Protokoll:
14193

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 193

  • date_rangeDatum: 12. Oktober 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:55 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Finanzierung der Terrorbe- kämpfung (Drucksache 14/7062) . . . . . . . . . . . . . . . . 18855 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18855 B Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18858 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18861 A Dr. Günter Rexrodt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 18863 C Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18865 D Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18867 B Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18869 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18871 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 18872 B Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18873 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18874 B Klaus-Peter Willsch CDU/CSU . . . . . . . . . . . 18875 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/- CSU: Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstandorte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder verkleinern will (Drucksachen 14/5550, 14/6930) . . . . . . . 18875 C Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . . 18875 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 18876 D Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18878 A Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 18879 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18880 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18881 D Johannes Kahrs SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18882 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . 18883 A Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18885 A Tagesordnungspunkt 18: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Ab- rüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie über die Ent- wicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2000) (Drucksache 14/5986) . . . . . . . . . . . . . 18886 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Fraktion der PDS zu der vereinbarten Debatte Ent- scheidung des US-Senats zum Atom- teststoppvertrag (Drucksachen 14/1894, 14/3812) . . . . . 18886 B e) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Fraktion der PDS: Neue nu- kleare Abrüstungsinitiativen statt neuer Raketenabwehrprojekte (Drucksachen 14/3875, 14/5852) . . . . . 18886 B Plenarprotokoll 14/193 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 193. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 I n h a l t : Petra Ernstberger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18886 C Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18888 A Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18891 A Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . 18891 D Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 18892 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18893 C Rainer Arnold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18894 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18895 D Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001 (Drucksache 14/7064) . . . . . . . . . . . . . 18897 C b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechts- rahmengesetzes (BRRG) (Drucksache 14/6717) . . . . . . . . . . . . . 18897 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 18897 D Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18898 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18900 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18901 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18901 D Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18902 C Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die Erhaltung, die Moder- nisierung und den Ausbau der Kraft- Wärme-Kopplung (Kraft-Wärme- Kopplungsgesetz) (Drucksachen 14/7024, 14/7086) . . . . . 18903 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Hartmut Schauerte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kraft-Wärme-Kopp- lung im Wettbewerb stärken (Drucksachen 14/4753, 14/6518) . . . . . 18904 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand (Drucksachen 14/4614, 14/6519) . . . . . 18904 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 18904 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18905 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18906 D Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18908 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18909 C Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . . 18910 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18912 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Dr. Günter Rexrodt, Hans- Joachim Otto (Frankfurt), weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausprä- gung einer 1-DM-Goldmünze und die Er- richtung der Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unterstützung der Rekonstruktion der Museumsinsel (Museumsinselunter- stützungsgesetz) (Drucksachen 14/5274, 14/6563, 14/7092) 18913 D Ingrid Arndt-Brauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18914 B Diethard Schütze (Berlin) CDU/CSU . . . . . . 18914 D Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18916 A Dr. Günter Rexrodt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 18916 D Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanz- ausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfort- führungsgesetz – SFG) (Drucksache 14/7063) . . . . . . . . . . . . . . . . 18918 A Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Forschun- gen zur Lebenssituation intersexueller Menschen (Drucksache 14/6259) . . . . . . . . . . . . . . . . 18918 A Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18918 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18919 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001II Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18920 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18920 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18921 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes über die Ausprägung einer 1-DM-Gold- münze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unterstützung der Re- konstruktion der Museumsinsel (Museums- inselunterstützungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 18922 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18922 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bun- desstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . 18923 A Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18923 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 18924 A Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18927 A Jürgen Türk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18927 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18928 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18928 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschungen zur Lebenssituation intersexueller Menschen (Tagesordnungs- punkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18929 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18929 B Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU . . . . . 18929 D Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 18931 A Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18931 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 Irmingard Schewe-Gerigk 18920 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 192. Sitzung, Seite 18788 (B), zweiter Absatz ist wie folgt zu lesen: „Ab- gesehen davon: Glauben Sie wirklich im Ernst, dass eine Familie mit 160 000 DM Jahreseinkommen ein Eigenheim nicht baut, weil sie auf 5 000 DM Eigenheimzulage im Jahr verzichten muss?“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18921 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Gila DIE GRÜNEN Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 12.10.2001 Beck (Köln), BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 Volker DIE GRÜNEN Dr. Blank, CDU/CSU 12.10.2001 Joseph-Theodor Bodewig, Kurt SPD 12.10.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 12.10.2001 Borchert, Jochen CDU/CSU 12.10.2001 Böttcher, Maritta PDS 12.10.2001 Burchardt, Ursula SPD 12.10.2001 Burgbacher, Ernst FDP 12.10.2001 Dr. Dückert, Thea BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 DIE GRÜNEN Dzembritzki, Detlef SPD 12.10.2001 Eichhorn, Maria CDU/CSU 12.10.2001 Erler, Gernot SPD 12.10.2001 Eymer (Lübeck), CDU/CSU 12.10.2001 Anke Feibel, Albrecht CDU/CSU 12.10.2001 Frankenhauser, CDU/CSU 12.10.2001 Herbert Friedrich (Altenburg), SPD 12.10.2001 Peter Dr. Friedrich CDU/CSU 12.10.2001 (Erlangen), Gerhard Friedrich (Mettmann), SPD 12.10.2001 Lilo Fuchs (Köln), Anke SPD 12.10.2001 Funke, Rainer FDP 12.10.2001 Girisch, Georg CDU/CSU 12.10.2001 Glos, Michael CDU/CSU 12.10.2001 Häfner, Gerald BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 DIE GRÜNEN Hartenbach, Alfred SPD 12.10.2001 Henke, Hans Jochen CDU/CSU 12.10.2001 Hintze, Peter CDU/CSU 12.10.2001 Hornung, Siegfried CDU/CSU 12.10.2001 Ibrügger, Lothar SPD 12.10.2001 Jäger, Renate SPD 12.10.2001* Janssen, Jann-Peter SPD 12.10.2001 Dr. Knake-Werner, PDS 12.10.2001 Heidi Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 12.10.2001 Kolbow, Walter SPD 12.10.2001 Kopp, Gudrun FDP 12.10.2001 Kraus, Rudolf CDU/CSU 12.10.2001 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 12.10.2001 Leidinger, Robert SPD 12.10.2001 Dr. Lippold CDU/CSU 12.10.2001 (Offenbach), Klaus W. Mascher, Ulrike SPD 12.10.2001 Mogg, Ursula SPD 12.10.2001 Naumann, Kersten PDS 12.10.2001 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 12.10.2001 DIE GRÜNEN Nolte, Claudia CDU/CSU 12.10.2001 Ostrowski, Christine PDS 12.10.2001 Pfannenstein, Georg SPD 12.10.2001 Pieper, Cornelia FDP 12.10.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 12.10.2001 Raidel, Hans CDU/CSU 12.10.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 12.10.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 12.10.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 12.10.2001 Hans Peter Schösser, Fritz SPD 12.10.2001 Schuhmann (Delitzsch), SPD 12.10.2001 Richard entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Simm, Erika SPD 12.10.2001 Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 12.10.2001 Sigrid Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 12.10.2001 Dr. Freiherr von CDU/CSU 12.10.2001 Stetten, Wolfgang Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 12.10.2001 Thiele, Carl-Ludwig FDP 12.10.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 12.10.2001 Wieczorek, Norbert SPD 12.10.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 12.10.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 12.10.2001 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausprägung ei- ner 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unter- stützung der Rekonstruktion der Museumsinsel (Museumsinselunterstützungsgesetz) (Tagesord- nungspunkt 21) Dr. Heinrich Fink (PDS): Über die Bedeutung des Projektes Museumsinsel besteht hier Einigkeit, auch da- rüber, dass es sich hierbei um eine Aufgabe von nationa- ler und internationaler Bedeutung handelt, für die auch der Bund und die Länder Verantwortung tragen. Ange- sichts der prekären Haushaltssituation von Berlin ist un- strittig, dass die Stadt diese gigantische Aufgabe nicht al- lein schultern kann. Über die aktuelle Situation hinaus ist aus unserer Sicht ein dauerhaftes, noch größeres Engage- ment der öffentlichen Hand für die Sanierung dieser he- rausragenden Kulturstätte unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unabdingbar. Die Fraktion der PDS begrüßt daher die zusätzliche fi- nanzielle Unterstützung für die investiven Maßnahmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch den Bund im Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages sowie die Ge- währung von Sondermitteln für die Museumsinsel im Rahmen der Vereinbarung mit Berlin für die Jahre 2001 bis 2010. Dieses Engagement erkennen wir durchaus an. Ebenso erkennen wir die Initiative des Bundes an, alle Erlöse aus dem Verkauf der Goldmünze, die den Betrag von 100 Millionen DM übersteigen, unmittelbar für die Restaurierung der Museumsinsel zur Verfügung zu stel- len. Unserer Ansicht nach aber sollte die Chance nicht verpasst werden, diese Initiative auszuweiten. Mit dem Gesetzentwurf der FDP liegt ein Vorschlag dazu vor, den meine Fraktion nachdrücklich unterstützt. Wir hielten es für sinnvoll, den gesamten Erlös aus dem Verkauf der Goldmünzen für die Museumsinsel zur Ver- fügung zu stellen. Eine Zweckentfremdung können wir darin nicht sehen. Die Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ halten auch wir für überflüssig. Wir stimmen dem Gesetzentwurf daher zu. Die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses lehnen wir dementsprechend ab. Ich möchte als Berliner hinzufügen, dass mir die Re- konstruktion der Museumsinsel auch persönlich am Her- zen liegt. Ich halte es für wichtig und richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt mit dem Kauf die- ser Münze die Möglichkeit erhalten, sich am Wiederauf- bau zu beteiligen. Ich bedaure sehr, dass in den Aus- schüssen mit Koalitionsmehrheit abschlägig entschieden wurde. Wie diese Entscheidung vonseiten der Kulturpolitiker und -politikerinnen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen begründet wurde, macht mich nachdenklich; wurde sie doch einfach mit den resignierenden Hinweis darauf erklärt, dass sich dieses kulturelle Anliegen in der Interessenauseinandersetzung mit anderen Politikfel- dern nicht durchsetzen lasse. Für micht wirft dies ein Schlaglicht darauf, dass trotz anders lautender Erklärun- gen das Feld der Kulturpolitik generell, wie hier im be- sonderen die Unterstützung des Bundes für die Kultur in Berlin, durch die Bundesregierung immer noch nicht ih- rer wirklichen Bedeutung nach entsprechend behandelt wird. Diesem Stellenwert gerecht zu werden, das verlangt nicht nur höheres finanzielles Engagement, sondern neue konzeptionelle Überlegungen zur Kulturförderung des Bundes in der Hauptstadt. Aus unserer Sicht kann dies nur sinnvoll geschehen, wenn in gemeinsamer, ressortüber- greifender Diskussion von Bund, dem Land Berlin und den anderen Ländern, von Vertretern aus verschiedenen gesellschafltichen Bereichen aus der ganzen Bundesrepu- blik geklärt wird, was Sache Berlins, was Sache des Bun- des und was Sache der Länder sein kann und muss. Mein Fraktionskollege Gregor Gysi hat, wie Sie wissen, einen Vorschlag zur Bildung einer Kommission mit dieser Auf- gabenstellung unterbreitet, den ich sehr unterstütze. Er sollte nach den Wahlen in Berlin unverzüglich in die Tat umgesetzt werden. Im Zuge dieser Neudefinition von Aufgaben und Kom- petenzen wäre auch neu über das künftige Engagement des Bundes für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ge- nerell zu befinden. Wir halben es für dringend geboten und für sachgerecht, dass der Bund die Investitionskosten voll übernimmt und in Bund-Länder-Verhandlungen eine ausgewogene Beteiligung am Zuschussbedarf für den Be- trieb der Stiftung erwirkt wird. Staatsminister Professor Dr. Nida-Rümelin hat Ge- sprächsbereitschaft zur Übernahme der Investitionskos- ten gegenüber Berlin signalisiert. Das ist erfreulich. Uns Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118922 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich aber ist wichtig, dass eine Übernahme der Baukosten nicht zulasten der zurzeit durch den Bund geförderten Kultureinrichtungen oder gar des Hauptstadtkulturfonds geht. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Soli- darpaktfortführungsgesetz – SFG) (Tagesord- nungspunkt 22) Horst Schild (SPD): Mit dem heute in erster Lesung zu beratenden Solidarpaktfortführungsgesetz steht der zweite Teil der 1999 vom Bundesverfassungsgericht auf- gegebenen Neuregelung des bundesstaatlichen Finanz- ausgleichsrechts an. Der Entwurf der Koalitionsfraktio- nen – der mit dem zurzeit im Bundesrat behandelten Gesetzentwurf der Bundesregierung identisch ist – knüpft dabei unmittelbar an die vor der parlamentarischen Som- merpause abgeschlossene Gesetzgebung zum Maßstäbe- gesetz und die von Bundestag und Bundesrat verabschie- dete begleitende Entschließung an. Das inhaltliche Leitmotiv des vorliegenden Gesetzes ist die solidarische Bereitstellung der finanziellen Mittel für die zweite Hälfte der Wegstrecke des Aufbaus in den neuen Ländern: Dem dienen die Regelungen zur Fortführung des Solidarpakts bis zum Jahre 2019 ebenso wie die – eben- falls bis 2019 terminierte – Neuregelung des Finanz- ausgleichsgesetzes, die 2005 in Kraft treten wird. Der noch immer außergewöhnlichen ökonomischen und finanzwirt- schaftlichen Lage in den neuen Ländern und ihren Ge- meinden wird so angemessen Rechnung getragen. Im Einzelnen stellt der Entwurf die Ausformung der zwischen allen 16 Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundeskanzler im Juni getroffenen und in der gleich lautenden Entschließung von Bundestag und Bundesrat niedergelegten Vereinbarung zum Solidarpakt, zum Finanzausgleich und zur Finanzierung des Fonds „Deut- sche Einhei“t dar: Im Rahmen des Solidarpakts werden die neuen Länder und Berlin weitere 105 Milliarden Euro, das sind 206 Mil- liarden DM, als direkte Transfers des Bundes zum Aus- gleich des infrastrukturellen Nachholbedarfs und der un- terdurchschnittlichen kommunalen Finanzkraft erhalten – und zwar vollständig in Form von Sonderbedarfs-Bun- desergänzungszuweisungen. Die bisherige Parallelität solcher Zuweisungen mit Investitionshilfen nach dem In- vestitionsfördergesetz wird bereits ab dem kommenden Jahr entfallen. Damit liegt die Mittelverwendung künftig allein in der Verantwortung der neuen Länder, die über die Ergebnisse des Mitteleinsatzes jährlich im Finanzpla- nungsrat zu berichten haben. Der neue Finanzausgleich unter den Ländern ab 2005 enthält vereinbarungsgemäß folgende Kernelemente: Die kommunale Finanzkraft wird mit 64 Prozent statt bisher mit 50 Prozent einbezogen – eine Regelung von der, iso- liert betrachtet, die finanzschwächeren Länder gerade in Ostdeutschland profitieren. Die Einwohnerwertung der Stadtstaaten mit 135 Prozent wird beibehalten; die Ein- wohnerwertung bei den Gemeindesteuern wird deutlich vereinfacht: 135 Prozent für die Stadtstaaten, zwischen 102 Prozent und 105 Prozent für die dünn besiedelten Flächenländer Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Meck- lenburg-Vorpommern und 100 Prozent für alle anderen Länder. Die Hafenlasten werden künftig außerhalb des Fi- nanzausgleichs abgegolten. Der Ausgleichstarif wird ab- geflacht und Mindestauffüllungen für finanzschwache Länder entfallen auf allen Ausgleichsstufen zur Erhöhung des Anreizes, Mehreinnahmen zu erzielen. Dieser Anreiz soll zusätzlich durch ein so genanntes Prämiensystem, ei- nem Abzug von der Finanzkraft bei überdurchschnittli- chem Einnahmezuwachs, gefördert werden. Abschöp- fungshöchstgrenzen sichern zudem das einzelne Zahlerland vor übermäßiger Belastung. Die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen werden im Volumen ab- gesenkt; dasselbe gilt für die BEZ „Kosten politischer Führung“, die anders als bisher auf die tatsächlichen Größenverhältnisse unter den Ländern ausgerichtet wird. Der Fonds „Deutsche Einheit“ wird – gegen Kompensa- tion bei der Umsatzsteuer – ab 2005 vom Bund übernom- men; eine Endabrechnung soll am Ende der Laufzeit des Solidarpakts, also Ende 2019, vorgenommen werden. Für die Jahre bis 2005 ist eine deutliche Tilgungsabsenkung vorgesehen. Die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs mit der Eini- gung zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bun- deskanzler sowie dem einvernehmlich verabschiedeten Maßstäbegesetz bringt es mit sich, dass sich der im Be- reich der Finanzausgleichsgesetzgebung ansonsten un- vermeidliche Bund-Länder-Gegensatz in diesem Fall ganz wesentlich auf technische Umsetzungsfragen be- schränkt. Die am vergangenen Freitag beschlossenen Empfeh- lungen des Finanzausschusses des Bundesrates zum gleich lautenden Regierungsentwurf bestätigen dies und lassen größere Differenzen nur an zwei Stellen, nämlich bei den Formulierungen zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung im Zusammenhang mit dem Familienleistungsausgleich so- wie zur innerstaatlichen Umsetzung der Defizitkriterien des Maastrichter Vertrages im Haushaltsgrundsätzegesetz, also in Art. 7 des Entwurfs, erkennen. Da aber beide Kom- plexe, in denen es letztlich auch um wichtige finanzielle Interessen des Bundes geht, ausdrücklich Bestandteil so- wohl der Vereinbarung als auch des Entschließungstextes waren, bin ich zuversichtlich, dass eine zufrieden stellende Lösung im Gesetzgebungsverfahren gefunden werden kann. Dasselbe gilt übrigens auch für das – aus nachvoll- ziehbaren Gründen – zwar nicht von Länderseite, wohl aber bereits von den kommunalen Spitzenverbänden an- gesprochene Thema der Gewerbesteuerumlage. Wir wol- len im Verfahren dafür sorgen, dass im Ergebnis alle staat- lichen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – ihren fairen Anteil an den belastenden wie an den entlastenden Elementen des Gesamtpakets haben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18923 (C) (D) (A) (B) Angesichts der Vorklärung vieler Detailfragen zum Fi- nanzausgleich bei den Ausschuss- und Plenarberatungen zum Maßstäbegesetz im Frühjahr spricht meiner Meinung nach alles für eine zügige Beratung und eine baldige Ver- abschiedung des hier vorliegenden Gesetzentwurfs. So können wir rechtzeitig vor In-Kraft-Treten der ersten Ele- mente zum Jahreswechsel langfristig finanzielle Pla- nungssicherheit für Bund, Länder und Gemeinden schaf- fen und damit nicht zuletzt auch einen Beitrag zur Stabilisierung der Konjunktur gerade auch in den neuen Ländern in einem ansonsten schwierigen weltwirtschaft- lichen Umfeld leisten. Hierzu bitte ich Sie alle, im Son- derausschuss wie hier im Plenum, um Ihre tatkräftige Hilfe. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die Bundes- regierung hat mit der Drucksache 14/7063 einen Gesetz- entwurf vorgelegt, der das Maßstäbegesetz ausfüllen soll. Wer davon die Klärung weiterer Streitfragen erwartet hat, wird enttäuscht. Es wird nur das in Gesetzform gekleidet, was die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler be- reits vor der Verabschiedung des Maßstäbegesetzes ver- einbart hatten. Ob das allerdings gelungen ist, wird von den Ländern bezweifelt und muss kritisch geprüft werden. Ursprünglich war vereinbart, die Umsatzsteuervertei- lung noch zu verhandeln und deshalb die Regelung später in einem gesonderten Gesetz zu treffen. Nun ist diese Frage ohne die erforderlichen Verhandlungen in den Ge- setzentwurf aufgenommen worden. Der Länderfinanzausgleich bewegt sich im Span- nungsverhältnis zwischen Herstellung gleicher Lebens- verhältnisse und dem Geben von Anreizen im Wettbewerb der Bundesländer untereinander. Es herrscht in Deutschland weitgehend Einigkeit, dass in den letzten Jahrzehnten das Pendel zu sehr in die Rich- tung Herstellung gleicher Lebensverhältnisse geschlagen ist. Dies führte unter anderem dazu, dass die Finanzver- hältnisse nach Länderfinanzausgleich praktisch gleichge- schaltet worden sind. Bis auf 99,5 Prozent wurde die Fi- nanzkraft angenähert. Dies nahm jeglichen Anreiz, eigene Mittel aufzuwenden, um sie in die Verbesserung der In- frastruktur zur Erzielung künftiger Einnahmen zu stecken. Warum sollte man auf Konsum oder Wahlgeschenke ver- zichten, wenn die dadurch zu erwartenden Mehreinnah- men über den Länderfinanzausgleich auf alle umverteilt werden? Die Debatte über das Maßstäbegesetz hat auch ergeben, dass sich bei Mehreinnahmen eines Landes je nach Steuerart kuriose Wirkungen ergeben. So war es denkbar, dass Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer unter dem Strich durch die Abschöpfungswirkung des Länderfinanzausgleichs zu einer Verschlechterung der Fi- nanzsituation hätten führen können. Solche Zustände führen auch nicht gerade dazu, dass sich ein Land im Rahmen der Steuerverwaltung anstrengt, zu einer gerechten Besteuerung zu kommen. Wozu soll man einen hohen Personalaufwand beispielsweise für die Betriebsprüfung oder für die Nachkontrolle von Steuerer- klärungen investieren, wenn die Früchte auf alle umver- teilt werden? Hier ließ sich auf bequeme Art und Weise „Wirtschaftsförderung“ und „Standortpflege“ betreiben. Dies kann aber im Sinne des Rechtsstaates nicht richtig sein. Deshalb müssen hier Anreize durch das System ge- schaffen werden, dass die Länder sich um rechtsstaatlich einwandfreie Verhältnisse bemühen. Wer von dem laufenden Verfahren, das aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Länderfinanzaus- gleich notwendig geworden war, eine echte Reform und damit eine Verbesserung der Verhältnisse in Deutschland erwartet hatte, muss bitter enttäuscht sein. Es wurde ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner ge- funden, der den Blick in die richtige Richtung erlaubt, aber in der Sache praktisch keine Fortschritte erzielt. Das ist wenig befriedigend und bedarf dringend der Nachbes- serung. Dass der Kompromiss überhaupt möglich wurde, liegt im Wesentlichen daran, dass mit dem Finanztrick „Til- gungsstreckung“ Bund und Länder in den nächsten Jah- ren Liquidität gewinnen. Dadurch, dass die Tilgung zum Fonds „Deutsche Einheit“ gestreckt wird, war der Bund in der Lage, den Ländern ab 2005 ihre Tilgungsanteile zu er- lassen. Für die Jahre 2002 bis 2004 werden die Früchte der Tilgungsstreckung aufgeteilt zwischen Bund und Län- dern. Dadurch konnte der Bund ohne finanziellen Mehr- aufwand den Ländern vermeintliche finanzwirtschaftli- che Luft verschaffen. Das Ganze ist allerdings ein großer Trugschluss. Tilgungsstreckung bedeutet immer nur, dass im Moment weniger Liquidität aufgewendet werden muss, bedeutet aber auch, dass Kredite länger laufen und mit der Verlängerung der Laufzeit der Zinsanteil steigt. Hier werden nicht nur Lasten in die Zukunft verlagert, sondern es werden auch neue konsumtive Kosten produ- ziert. Dadurch wird die Finanzkraft in den Folgejahren weiter geschwächt, ohne dass davon Impulse für die wirt- schaftliche Entwicklung ausgehen. Dieses Verlagern in die Zukunft ist gegenüber künftigen Generationen unver- antwortlich und kann deshalb nicht als Fortschritt be- trachtet werden. Da praktisch alle Länder die Kommunen bei der Til- gung des Fonds „Deutsche Einheit“ im Rahmen des Soli- darpaktes I im Verhältnis der Quoten der Steuereinnah- men von Ländern und Kommunen beteiligt haben, erwarte ich, dass die Länder dieses nun zurückgeben und die Liquidität an die Kommunen abtreten. Dadurch, dass der Bund den Fonds „Deutsche Einheit“ allein tilgt, hat er auch das alleinige Bestimmungsrecht. Ich sehe die Gefahr, dass er in Zukunft sich weitere Liqui- dität und damit politischen Finanzspielraum erschließt, dass er die Tilgung aussetzt, indem der Fonds „Deutsche Einheit“ aus dem Sondervermögen in die allgemeine Bundesschuld, die ja bekanntlich nicht getilgt wird, über- führt wird. Ein Punkt, der dringend hätte geklärt werden müssen, bleibt offen. Dies ist die Frage der Umsatzsteuervertei- lung. Zwischen Bund und Ländern gibt es große Diffe- renzen darüber, wie die entsprechenden Deckungsquoten ermittelt werden sollen. Im Wesentlichen geht es um Mei- nungsdifferenzen bei der Frage der Berücksichtigung des Sonderlastenausgleiches für das Kindergeld und um die Frage von Zurechnungen und Kürzungen. Bei Letzteren fehlt ein klarer Maßstab. Entweder muss man sich für das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118924 (C) (D) (A) (B) Bruttoprinzip oder für das Nettoprinzip entscheiden. Das bedeutet, dass beispielsweise die Zahlungen für die EU entweder vorweg auf der Einnahmeseite abgesetzt wer- den. Oder wenn man die Steuern ungekürzt als Finanz- kraft zugrunde legt, dann müssen die Ausgaben als Belas- tung voll berücksichtigt werden. Dies gilt auch für Punkte wie die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. Sie müssen beim Bund als Ausgaben mindernd und bei den Ländern als Einnahmen mehrend berücksichtigt werden. Gerade weil der Steit im Rahmen des Maßstäbegeset- zes nicht geklärt werden konnte, hätte er jetzt im Rahmen des Konkretisierungsgesetzgebungsverfahrens geklärt werden müssen. Es ist auch ausreichend Zeit dafür. Es gibt überhaupt keinen Grund, den ab 2005 geltenen Län- derfinanzausgleich schon im Jahre 2001 regeln zu müs- sen. Zwar gibt es einige Punkte, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, die noch zum 1. Januar 2002 in Kraft tre- ten sollen und müssen, diese hätte man jedoch isoliert und vorgezogen regeln können. Das hätte ausreichende Zeit für eine sorgfältige Beratung und Entscheidung der offe- nen Streitfragen gelassen. Solange diese offenen Punkte nicht geregelt sind, ist das Gesetz aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig. Das Grundgesetzt muss ernst genommen werden. Der Entwurf des Länderfinanzausgleichgesetzes bietet ein an- schauliches Beispiel dafür, wie gering die jetzige Koali- tion diesen Punkt erachtet. Die A-Länder hatten unter Führung der damaligen Ministerpräsidenten Eichel, Voscherau, Schröder und Lafontaine eine Grundgesetzän- derung erzwungen, die verhindern sollte, dass der Bund die Finanzierung des Kindergeldes auf Länder und Kom- munen verlagern kann. Entgegen dem eindeutigen Ergebnis der Anhörung zum Maßstäbegesetz erkennen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen den von den SPD-Ländern 1996 gegen den Willen der CDU erzwungenen Sonderlas- tenausgleich bei der Familienförderung als gesonderten Regelungskreislauf nicht an. Im Hinblick auf die lang- fristige Vertrauenszerstörung, die dadurch im Verhältnis zu den Kommunen stattgefunden hat, halte ich dies nicht für vertretbar. Jetzt wird diese Frage wieder nicht voran- gebracht. Ganz im Gegenteil: Der Bundesfinanzminister versucht die Länder über den Tisch zu ziehen. Bei der Umstellung des Kindergeldes von einer Sozi- alleistung zur Absetzung bei der Einkommensteuer im Jahre 1995 mit Wirkung vom Jahr 1996 hatten die SPD- geführten Bundesländer gegen den Willen der CDU/CSU- Bundestagsfraktion und damaligen Koalitionsregierung einen Sonderlastenausgleich für das Kindergeld mit grundgesetzlicher Absicherung erzwungen. Dieser muss, dass hat die Anhörung zum Maßstäbegesetz eindeutig erge- ben, vor der Berechnung der Deckungsquotenberechnung durchgeführt werden. Das ergibt einen anderen Finanzie- rungssaldo, als wenn dies in die Deckungsquotenberech- nung mit einbezogen wird. Das steht auch nicht im Wi- derspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil, denn dieses hat ausdrücklich ausgeführt, dass der Sonderlas- tenausgleich im Rahmen der Deckungsquotenberechnung berücksichtigt werden muss. Er muss also nicht im Rah- men der Deckungsquotenberechnung durchgeführt wer- den, sondern muss vorab erledigt werden. Die Ergebnisse finden dann als Minderung beim Bund und Stärkung bei den Ländern Eingang in die Deckungsquotenberechnung. Wenn man schon solch eine Grundgesetzregelung festge- schrieben hat, dann gebietet es der Respekt vor der Ver- fassung, dass diese auch beachtet wird. Genau dies ge- schieht aber nicht. Im Zusammenhang mit der Änderung war festgelegt worden, dass der Bund 74 Prozent der Lasten aus der Kin- dergeldfinanzierung trägt und die Länder zusammen mit den Kommunen die restlichen 26 Prozent. Dieses Ziel wurde von Anfang an mit dem dafür vorgesehenen Zah- lungsausgleich von 5,5 Umsatzsteuerpunkten nicht er- reicht. Auch die „Anpassung“ auf 5,75 Umsatzsteuer- punkte zum 1. Januar 2000 hat das Ziel nicht erreicht. War man beim Erlass des Gesetzes noch davon ausgegangen, dass dieses der Fall sein würde, so hätte spätestens nach Erkenntnis, dass die Prognose nicht zutrifft, eine Anpas- sung erfolgen müssen. Dies geschah nicht. Damit ist ein großer Teil der Kindergelderhöhung – übrigens erfolgte die größte Erhöhung des Kindergeldes 1996 unter der Re- gie der CDU/CSU-FDP-Koalition und nicht durch die Anhebungen der jetzigen Koalition – auf die Länder und Kommunen verlagert werden. Um das 1996 von allen politischen Kräften gewünschte Ergebnis zu erreichen, hätte der Umsatzsteueranteil im Jahre 1996 5,88 Mehrwertsteuerpunkte umfassen müssen. Durch die tatsächliche Entwicklung der Auszahlungen und die Kindergelderhöhungen wären im Jahre 2000 7,256 Umsatzsteuerpunkte als Ausgleich notwendig ge- wesen. Nach der neuerlichen Erhöhung wären es 7,188 Mehrwertsteuerpunkte, die zum vollständigen Aus- gleich notwendig sind. Tatsächlich wurden es 6,5 Punkte, übrigens sollen es nach Art. 5 des Entwurfes ab 2005 nur noch 6,4 Umsatzsteuerpunkte sein. Die Differenz macht jährlich 4,3 Milliarden DM aus. Ich verstehe die Länder- finanzminister überhaupt nicht, dass sie es hier dem Bund durchgehen lassen, dass dieser Wahlgeschenke auf ihre Kosten verteilt. Sonst jagen sie doch jedem Pfennig nach und haben nicht selten „klebrige Finger“, wenn Mittel für die Kommunen durch ihren Haushalt geleitet werden. Noch ungerechter ist es gegenüber den Kommunen. Denn eigentlich hätten die Länder intern den Kommunen den durch ihre Zustimmung im Bundesrat zu den Kinder- gelderhöhungen entstehenden Einnahmeausfall ersetzen müssen. Schließlich sind sie nach den Länderverfassun- gen dafür verantwortlich, dass die kommunale Finanz- ausstattung stimmt. Wenn sie durch derartige Maßnahmen verschlechtert wird, müssen sie die Verantwortung über- nehmen. Dies können sie entweder dadurch, dass sie im Bundesrat und nur bei einem entsprechenden Ausgleich zustimmen, oder dadurch, dass sie mit der Übernahme der Verantwortung diesen Ausgleich selbst leisten. Das ist bundesweit nicht geschehen. Angesichts der Finanzenge in den Länderhaushalten verstehe ich überhaupt nicht, dass die Länderfinanzminister sich diese Finanzquelle entgehen lassen. Hier gibt es Rechtsansprüche gegenüber dem Bund, sich jährlich wiederholend in Milliardenhöhe. Von 1996 bis 2001 sind 19,6 Milliarden DM aufgelaufen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18925 (C) (D) (A) (B) Lächerlich wird es dann allerdings, wenn durch Bun- desgesetz die Feststellung in das Gesetzblatt eingefügt werden soll, dass die Verfassungsregel des Art. 106 Abs. 3 Satz 5 erfüllt wird, obwohl dies offensichtlich nicht der Fall ist. Man kann in das Gesetz Wege hineinschrei- ben, wie verfassungsgemäße Ziele erreicht werden sollen, und/oder an Tatbestandsmerkmale Rechtsfolgen knüpfen. Man kann aber nicht die Feststellung, dass eine bestimmte Rechtsfolge eingetreten ist, festschreiben. Genau dieses versucht der Entwurf, indem er in das ab 2005 geltende Länderfinanzausgleichsgesetz in dem § 1 Satz 4 hinein- schreibt, dass die Verfassung erfüllt ist. Einer solchen Regelung vermag ich nicht zuzustimmen. Hier muss nachgebessert werden. Es kann nur der Weg zur Erfüllung der grundgesetzlichen Regel vorgegeben werden. Da sich die Verhältnisse durch Veränderung der Zahlungsströme jährlich ändern, kann nur der Weg aufgezeigt werden, nicht aber das Ergebnis im Gesetz qua Definition. Das wäre eine Fiktion, aber keine praktische Folge. Sie wol- len die Lebenswirklichkeit durch Ihre Wunschvorstellung ersetzen. Das geht nicht. Wer in Zukunft, wie wohl eine Mehrheit aller Parteien des Deutschen Bundestages, Ar- beitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenfügen will, benötigt dazu das Vertrauen der Kommunen. Wer dagegen die geltende Geschäftsgrundlage in einer so wichtigen Fi- nanzbeziehung zerstört, der verhält sich im Blick auf die künftigen Einigungsnotwendigkeiten fahrlässig. Zu einer grundsätzlich notwendigen Förderalismus- Reform gehört auch eine Gemeindefinanz-Reform. Die Chance dazu wurde verpasst. Zu einer grundlegenden Reform des Länderfinanzaus- gleiches gehört aus meiner Sicht auch eine andere und neuere Regelung des Finanzdreieckes Bund-Länder-Ge- meinden. Wenn den Gemeinden neue Aufgaben vom Bund zugewiesen werden, dann muss der finanzielle Aus- gleich direkt und unmittelbar im Verhältnis zu den Fi- nanzbeziehungen des Bundes zu den Kommunen geregelt werden. Insbesondere wenn neue Aufgaben der sozialen Grundlast übertragen werden, muss auch sichergestellt werden, dass die Finanzierung auf Dauer fair erfolgt. Dies geht nur, wenn die Finanzströme auch auf Dauer nach- vollziehbar bleiben. Bisher wird ein doppelter Umweg mit einem doppelten Risiko aus der kommunalen Sicht gegangen. Es wird behauptet, dass es keine direkte Finanzbezie- hung zwischen Bund und Kommunen geben dürfte, des- halb müsste der Ausgleich immer über die Länder ge- schehen. Damit führt der Weg immer über das Bermuda-Dreieck der Länderfinanzhaushalte. Zusätzlich wurden Kompensionen nicht direkt gesucht, sondern im- mer in anderen Finanzbeziehungen, die mit der eigentli- chen Sachfrage nichts zu tun haben, gelöst. Ich erinnere an das Beispiel der Grundrente, wo die kommunalen Fi- nanzlasten über das Wohngeld – indirekt über die Lan- deshaushalte – ausgeglichen werden soll. Dieser doppelte Umweg wird zum doppelten Risiko und ist völlig überflüssig und unnötig. Es gibt mindestens eine dreifache direkte Finanzbeziehung zwischen den Kommunen und dem Bund. Sie umfassen: den Gemein- deanteil an der Einkommensteuer, den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer und die Gewerbesteuerumlage. Spätestens mit der Änderung des Art. 28 und des Art. 106 im Rahmen der Abschaffung der Gewerbekapi- talsteuer ist deutlich geworden, dass es direkte Finanz- ströme gibt. Deshalb kann der Ausgleich auch hier ge- sucht werden. Dass hätte den großen Vorteil, dass man auch nach Jahren noch nachvollziehen kann, ob die ein- geräumten Umsatzsteueranteile oder Gemeindeanteile an der Einkommensteuer bzw. Veränderung bei der Gewer- besteuerumlage ausreichen, um die aus einem bestimmten Aufgabenfeld zu finanzierenden Aufgaben abzudecken oder ob sie überschritten werden und sofern etwas zurück- gegeben werden muss. Dieses System ist übrigens keine Einbahnstraße, sondern muss in beide Richtungen funk- tionieren. Damit könnte das finanzwirtschaftliche Streit- potenzial erheblich kleiner gemacht werden. Aus der Sicht der Kommunen ist es besonders wichtig, weil sie an der Willensbildung über Gesetze nicht beteiligt sind. Die Länder dürfen über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken und können so Einfluss ausüben. Dies ist den Kommunen verwehrt. Umso mehr sind sie auf faire Mechanismen angewiesen, damit es nicht zu nachhaltigen Lastenverschiebungen kommen kann. Hier haben in der Vergangenheit alle gesündigt. Angesichts der bevorstehenden Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe mit einem Ausgabenvolumen von 46,5 Milliarden DM im Jahre 2000 und der notwendigen Neuregelungen der Familienleistungen außerhalb bisheri- ger Tarifverträge oder der Sozialhilfe kommen auf die Kommunen so große Risiken zu, dass dieses nur vor dem Hintergrund einer fairen Finanzregelung und eines direk- ten, auf Dauer nachvollziehbaren Ausgleiches gewährleis- tet ist. Wir begrüßen, dass die Gewerbesteuerumlage abge- senkt wird, damit die über diesen Weg erfolgte Beteili- gung der Kommunen an der Finanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ rückgängig gemacht wird. Aber die darüber hinausgehende Beteiligung der Kommunen, wie zum Beispiel in Niedersachsen, muss auch rückgängig ge- macht werden. An dieser Stelle möchte ich darauf hin- weisen, dass die Gewerbesteuerumlage generell überprüft werden muss. Zum Beispiel war sie im Rahmen der Steu- erreform angehoben, um Mehreinnahmen der Kommunen durch die veränderten Afa-Tabellen abzuschöpfen. Nach dem die Branchentabellen nicht verändert wurden, muss dies korrigiert werden. Dies ist nur ein ganz augenfälliges Beispiel für die Notwendigkeit einer Überprüfung und Korrektur der Gewerbesteuerumlage, wie ich sie im Aus- schuss gefordert habe. Der augenblicklich dramatische Rückgang der Gewerbesteuer macht weiter Korrekturen erforderlich. Die kommunalen Spitzenverbände haben zu Recht darauf hingewiesen. Die Länder wenden sich gegen den Vorschlag zur Um- setzung der Maastrichtkriterien, weil damit in ihr Haus- haltsrecht eingegriffen wird. Dieser Punkt muss geklärt werden. Alles in allem bedarf der Entwurf erheblicher Korrek- turen, um zustimmungspflichtig zu werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118926 (C) (D) (A) (B) Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem heute einzubringenden Gesetz über die Fortführung des Solidarpaktes dokumentieren wir die Vereinbarungen, die der Bund und die Länder dazu unserer Meinung nach getroffen haben. Nachdem die Wiedervereinigung inzwi- schen schon mehr als eine Dekade zurückliegt, war es nun wirklich an der Zeit, Vereinbarungen zu treffen, die tei- lungsbedingten Sonderlasten innerhalb einer Generation zu einem ordentlichen Ende zu bringen: Der Fonds „Deut- sche Einheit“ wird zum 31. Dezember 2019 aufgelöst. Bis dahin müssen wir uns den Realitäten stellen, die sich in den ostdeutschen Bundesländern entwickelt ha- ben. Und es ist ein wirklicher Fortschritt, dass dies vor al- lem nach dem Finanzausgleichsgesetz geschehen soll, mithin also die ostdeutschen Länder nunmehr „ordentli- che“ Teilnehmer im Länderfinanzausgleich sind und ord- nungspolitische Normalität einzieht, auch wenn man die Ausgleichsbedarfe innerhalb des Systems immer noch mit Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen finanzie- ren muss. Trotz vieler Erfolge sind immer noch Mehrbedarfe, zum Beispiel im Bereich Infrastruktur, vorhanden, deren Abdeckung dazu beitragen wird, die Lebensverhältnisse in Ost und West weiter anzugleichen. Mit der Neuregelung des Gesetzes erhalten die neuen Länder und Berlin zum Abbau dieser teilungsbedingten Sonderlasten weitere 15 Jahre besagte Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuwei- sungen in Höhe von insgesamt 206 Milliarden DM. Da- rüber hinaus sollen aus dem Bundeshaushalt weiterhin überproportionale Leistungen für die neuen Länder geleis- tet werden. Zielgröße ist dabei für die Laufzeit des Soli- darpaktes lI insgesamt ein Betrag von 100 Milliarden DM. Teile des Gesetzes werden bereits zum Jahr 2002 in Kraft treten. Das betrifft zum Beispiel die Änderung der Umsatzsteuerverteilung oder die Umschichtung aus dem IfG in die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisun- gen. Deshalb muss das Gesetzgebungsverfahren auch schon in diesem Jahr abgeschlossen werden, obwohl Teile seiner Regelungen erst ab dem Jahre 2005 wirksam werden. Bundesrat und Bundestag haben durch Ent- schließungen dafür die Inhalte auch schon weitgehend vorgegeben. Ab dem nächsten Jahr erhalten demzufolge die Länder einen Ausgleich für die Belastungen aus dem Zweiten Ge- setz zur Familienförderung in Höhe von 0,65 Umsatz- steuerpunkten. Die Beiträge der Länder zur Finanzierung des Fonds „Deutsche Einheit“ werden bis 2004 neu fest- gesetzt. Die ostdeutschen Länder bekommen höhere Bun- desergänzungszuweisungen, um die Laufzeitverkürzung des IfG zu kompensieren. Über die Änderungen, die nunmehr für den Länderfi- nanzausgleich festgeschrieben worden sind und erst 2005 in Kraft treten werden, will ich hier nicht viel sagen, denn sie werden noch hinlänglich Gegenstand heftiger Debat- ten in diesem Parlament sein. Die – vor allem westdeut- schen – Bundesländer haben viele ihrer Positionen durch- gesetzt und damit auch dem Solidarpakt II engere Grenzen gesetzt, als es dem einen oder anderen Recht ge- wesen wäre. Insgesamt ist mit dem Gesetz zur Fort- führung des Solidarpaktes aber eine ausgewogene Verein- barung gelungen, die den einen oder anderen Schönheits- fehler ertragen lässt. Um diese Debatte auch ausführlich in den nächsten Wochen führen zu können, bitten wir um die Überweisung unseres Gesetzesentwurfes in die zu- ständigen Ausschüsse. Jürgen Türk (FDP): Der Titel des vorliegenden Ge- setzentwurfs der Bundesregierung ist schon etwas irre- führend. Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 den Gesetzgeber aufgefordert, die Rechtsgrundlagen des bun- desstaatlichen Finanzausgleichs in zwei Stufen neu zu re- geln. Die erste Stufe, das Maßstäbegesetzes, ist im Som- mer verabschiedet worden. Heute liegt die zweite Stufe, die eigentliche Ausführung des Maßstäbegesetzes, vor. Dieses Maßstäbegesetz, Sie werden sich erinnern, konnte im Bundestag erst verabschiedet werden, nachdem die Ministerpräsidenten der Länder einen finanziellen Kom- promiss ausgekungelt hatten. Der Bundestag war ledig- lich Notar. Für die zweite Stufe, den Länderfinanzausgleich, gilt das Gleiche. Wir haben keine wirkliche Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs mit echten Maßstä- ben vorliegen, wie vom Bundesverfassungsgericht ver- langt, sondern nur einen politischen Kompromiss, der sich an finanziellen Zugeständnissen der Geberländer und des Bundes orientiert. Die Fortführung des Solidarpakts ist jedenfalls nicht Schwerpunkt dieses Gesetzes, wie es die Überschrift glauben machen will. Trotzdem begrüße ich als ostdeutscher Abgeordneter, dass die neuen Länder hinsichtlich der weiteren notwen- digen finanziellen Unterstützung Planungssicherheit er- halten. Wir werden uns die Einzelheiten während der par- lamentarischen Beratungen genau ansehen und konstruktiv mitwirken. Skepsis kommt allerdings auf, wenn man das Eigenlob der Bundesregierung hinsichtlich ihrer Solidarität mit den neuen Ländern in der Einführung des Gesetzentwurfes liest. Andererseits muss man fest- stellen, dass in einem anderen Steuergesetz die Investiti- onszulage für selbstgenutzte Wohnungen nicht mehr bis 2004, sondern nur noch bis zum Ende dieses Jahres ge- währt wird. Hier haben wir schlichtweg eine Kürzung der Förderung für Eigenheimbesitzer. Mit der Selbstlosigkeit der rot-grünen Bundesregierung ist es auch sonst nicht weit her. Angeblich dient ja der Solidaritätszuschlag, der auch von Bürgern und Unternehmern in den ostdeutschen Ländern aufgebracht wird, dem Aufbau Ost. Nach der jüngsten Steuerschätzung beläuft sich das Aufkommen aus dieser Steuer auf 22,3 Milliarden DM. Im Haushalts- entwurf des Bundes für das Jahr 2002 sind aber für den Aufbau Ost nur 20,5 Milliarden DM vorgesehen. Das be- deutet: Ein Teil der für die neuen Länder vorgesehenen Mittel fließt in den allgemeinen Bundeshaushalt. Der So- lidaritätszuschlag dient also keineswegs ausschließlich dem Aufbau Ost. Dabei wäre gerade jetzt ein Investiti- onsschub erforderlich. Wie sonst wollen Sie der steigen- den Abwanderung, insbesondere junger Menschen, Ein- halt gebieten? Die FDP wird der Koalition während der parlamentari- schen Beratungen zu diesen Fakten sehr kritische Fragen stellen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18927 (C) (D) (A) (B) Dr. Barbara Höll (PDS): Mit der Verabschiedung des Maßstäbegesetzes durch den Bundesrat am 13. Juli 2001 wurde ein gutes Fundament gelegt für die Reform der Fi- nanzbeziehungen im föderalen Bundesstaat. Die PDS hat dem Maßstäbegesetz zugestimmt. Grundsätzliche Prinzi- pien des solidarischen Finanzausgleichs, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wurden, finden sich im Maßstäbegesetz wieder. Die reichen Ge- berländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die gegen den bestehenden Länderfinanzausgleich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hatten, konnten sich mit ihrem Ansinnen, den solidarischen Finanzausgleich in einen Wettbewerbsföderalismus zu transformieren, nicht durchsetzen. Heute liegt uns nunmehr der Entwurf des Solidarpakt- fortführungsgesetzes vor. Auch dieses geht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 zurück. Das oberste Gericht hatte den Gesetzgeber aufge- fordert, die im Maßstäbegesetz verankerten grundsätzli- chen Prinzipien der Steuerverteilung zwischen dem Bund und den Ländern in einem zweiten Schritt in einem Ge- setz zu konkretisieren. Es ist also zu prüfen, inwieweit sich die im Maßstäbegesetz verankerten solidarischen Prinzipien des Finanzausgleichs im Solidarpaktfort- führungsgesetz widerspiegeln. Mit dem Solidarpaktfortführungsgesetz erhalten die neuen Bundesländer für einen sehr langen Zeitraum fi- nanzielle Planungssicherheit. Der Bund stellt den ost- deutschen Ländern einschließlich Berlins zum Abbau tei- lungsbedingter Sonderlasten für den Zeitraum von 2005 bis 2019 insgesamt 206 Milliarden DM zur Verfügung. Dabei wird im Jahr 2005 vom derzeitigen Volumen des Solidarpakts I in Höhe von 20,6 Milliarden DM ausge- gangen. Dieser Betrag wird dann in kleinen Schritten bis 2020 abgebaut. Die PDS geht davon aus, dass die Bundesregierung auch die Vereinbarung auf der Sonderkonferenz der Mi- nisterpräsidenten der Länder vom 21./22. Juni 2001 ein- löst, im Rahmen der Laufzeit des Solidarpakts II den neuen Bundesländern insgesamt zusätzlich 100 Milliar- den DM für überproportionale Leistungen zur Verfügung zu stellen. Kritikwürdig am Gesetzentwurf ist aber – auch das muss hier gesagt werden –, dass eine Überprüfung des Verteilungsschlüssels der Sonderbedarfsergänzungszu- weisungen des Bundes über den gesamten Zeitraum des Solidarpakts II offenbar nicht vorgesehen ist. Eine un- terschiedliche wirtschaftliche Dynamik der neuen Bun- desländer kann somit nicht berücksichtigt werden. Auch kann man der Bundesregierung nicht den Vorwurf erspa- ren, dass das Solidarpaktfortführungsgesetz keinen Bei- trag zur Vereinfachung der föderalen Finanzverfassung leistet. Mit der Ablehnung der von der PDS gestellten Änderungsanträge zur Vereinfachung der Struktur des Finanzausgleichs wurde die Chance verpasst, die Finanz- beziehungen von Bund und Ländern transparenter und durchschaubarer zu gestalten und damit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 in vollem Umfang gerecht zu werden. Dennoch wird dieser Gesetzentwurf im Ganzen von der PDS unterstützt. Spiegeln sich im Gesetzentwurf doch die solidarischen Prinzipien des Finanzausgleichs wider und ist der Forderung der ostdeutschen Ministerpräsiden- ten entsprochen worden, den Solidarpakt gesetzlich zu verankern. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Vorrangiges Ziel der Bun- desregierung nach der deutschen Einheit ist auch weiter- hin die Angleichung der Lebensverhältnisse. Wir alle wis- sen, dass der Aufbau der neuen Länder noch andauern wird. Die neuen Länder brauchen daher sichere Pla- nungsgrundlagen bei ihren weiteren Anstrengungen. Mit dem Solidarpaktfortführungsgesetz erhalten die neuen Länder eine verlässliche Perspektive. Um solide Planungsgrundlagen für die neuen Länder zu schaffen, haben sich die Regierungschefs von Bund und Ländern am 23. Juni dieses Jahres in Berlin auf eine Fortsetzung des Solidarpaktes bis zum Jahr 2019 verstän- digt. Die herausragende Bedeutung des Solidarpaktes für den Aufbau Ost haben auch der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in ihren Entschließungen vom 5. bzw. 13. Juli 2001 hervorgehoben. Die einzelnen Elemente die- ser Entschließungen werden mit dem Solidarpaktfort- führungsgesetz umgesetzt. Im Rahmen des Gesamtkonzeptes kommen die Soli- darpflichten von Bund und Ländern in vollem Umfang zum Tragen. Ich erwähne hier insbesondere die Ver- pflichtung des Bundes, bis zum Jahr 2019 insgesamt 206 Milliarden DM Sonderbedarfs-Bundesergänzungszu- weisungen an die neuen Länder und Berlin zu leisten. Das Solidarpaktfortführungsgesetz besteht aus einer Reihe von Einzelgesetzen, die in engem Sachzusammen- hang stehen. Insbesondere wird der bundesstaatliche Finanzausgleich für die Zeit ab 2005 neu geregelt. Damit wird gleichzeitig ein noch offener Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 11. November 1999 erfüllt. Ein weiterer Auftrag, nämlich die erstmalige Schaf- fung des Maßstäbegesetzes, ist bereits erfüllt: Das Maß- stäbegesetz, das – wie vom Bundesverfassungsgericht ge- fordert – die Grundlagen des Finanzausgleichsgesetzes regelt, ist gerade in Kraft getreten. Die Regelungen sollen teilweise bereits zum 1. Januar 2002 in Kraft treten. Kernelement der Änderungen ab 2002 ist die Um- wandlung der bisherigen Mittel des Investitionsförde- rungsgesetzes Aufbau Ost. Diese sollen bereits ab dem kommenden Jahr übergeleitet werden in Sonderbedarfs- Bundesergänzungszuweisungen für die neuen Länder und Berlin; diese werden somit in entsprechender Höhe auf- gestockt. Über die Mittelverwendung werden die neuen Länder künftig dem Finanzplanungsrat berichten. Mit dieser Änderung des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost soll ihre Eigenverantwortlichkeit gestärkt wer- den. Ich möchte betonen, dass damit einem Wunsch der neuen Länder entsprochen wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118928 (C) (D) (A) (B) Für die Zeit ab 2005 soll der bundesstaatliche Finanz- ausgleich neu gefasst werden, und zwar auf der Grundlage des gerade in Kraft getretenen Maßstäbegesetzes. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts haben dabei wesentliche Weichen gestellt. Das Finanzausgleichsgesetz für die Zeit ab 2005 ent- hält eine Reihe von Neuerungen, von denen ich nur einige wichtige kurz skizzieren möchte: Für den Bereich des vertikalen Finanzausgleichs setzt der Gesetzentwurf die Zusage der Bundesregierung um, den Ländern zum Ausgleich für Belastungen durch die Kindergelderhöhung um 30 DM zusätzlich 0,05 und da- mit insgesamt 0,65 Umsatzsteuerpunkte zu übertragen; dies gilt schon ab 2002. Des Weiteren ist im neuen Finanzausgleichsgesetz zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung eine Regelung enthal- ten, die nach Auffassung der Bundesregierung der Rechtsposition sowohl des Bundes als auch der Länder beim Streit über die Finanzierung des Familienleistungs- ausgleichs Rechnung trägt. Allerdings vertreten die Län- derfinanzminister in diesem Punkt eine andere Position. Hierüber wird daher im Verfahren noch zu reden sein. Zum Länderfinanzausgleich möchte ich hervorheben, dass es – trotz konträrer Interessenlagen unter den Län- dern – gelungen ist, die eine oder andere Regelung zu ver- einfachen. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht angemahnt. Das neue Ausgleichssystem ist an einer Stärkung der Anreizwirkungen ausgerichtet. Dies wurde auch erreicht durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in Verbindung mit einer Abflachung der Ausgleichstarife ohne Mindestauffüllgrenzen. Eine Neuerung des Ausgleichssystems, die ich auch er- wähnen möchte, betrifft die Höhe der Ausgleichszahlun- gen der Geberländer: Es ist dafür Sorge getragen, dass die Abschöpfung der überdurchschnittlichen Finanzkraft be- grenzt ist – und dies selbstverständlich ohne die Solida- rität unter den Ländern infrage zu stellen. 1) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Forschungen zur Le- benssituation intersexueller Menschen (Tages- ordnungspunkt 24) Margot von Renesse (SPD): Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die ih- nen zuvörderst obliegende Pflicht. So steht es in Art. 6 un- seres Grundgesetzes. Die Damen und Herren von der PDS mögen bitte zur Kenntnis nehmen, dass unsere freiheitli- che Verfassung den Eltern eines Kindes und nicht in ers- ter Linie dem Staat die Verantwortung dafür zuspricht, dass es den Kindern gut geht. Nach aller Erfahrung ist die- ser Grundsatz in der Regel für die Kinder auch das Beste. Das gilt auch für die medizinische Versorgung, die Eltern nach Beratung mit fachkundigen Ärzten und Ärztinnen im Sinne des Kindeswohls zu entscheiden pflegen. Über die Betätigung der elterlichen Sorgepflicht wacht die staatliche Gemeinschaft. Der Staat kann, ja muss dann eingreifen, wenn Eltern zum Schaden ihrer Kinder han- deln. Wenn ich das richtig sehe, gehen Sie davon aus, dass es Veranlassung gibt, an der Zuträglichkeit elterlicher Entscheidungen im Falle intersexueller Kinder zu zwei- feln. Die Veranlassung ergibt sich für Sie aus den ver- schiedenen Anklagen, die Betroffene gegen ihre Eltern vorbringen, weil diese ärztlichem Rat gefolgt sind. Da- raus schlussfolgern Sie den Verdacht, der Kenntnisstand der Mediziner sei grundsätzlich von Vorurteilen gegen In- tersexualität geprägt und bedürfe der Korrektur. Es wäre in der Tat verhängnisvoll, wenn angesichts der geringen Zahlen betroffener Kinder keine Forschung auf diesem Gebiet stattfände. Das aber ist, wie die Bundesre- gierung in ihrer Antwort auf Ihre Anfrage mitgeteilt hat, keineswegs der Fall. Medizinische Forschung findet statt und erweitert ständig den Kenntnisstand der Ärzte und Ärztinnen auf diesem Gebiet. Wahrscheinlich werden wir morgen hinsichtlich der Erscheinung der Intersexualität klüger sein als heute. Gleichwohl müssen Eltern, wenn ih- nen ein intersexuelles Kind geboren wird, gleich Ent- scheidungen treffen. Diese aufzuschieben, kann für Kinder mindestens ebenso irreparable körperliche und seelische Schäden hervorrufen wie eine Entscheidung, die uns im Lichte späteren und besseren Wissens als überholt er- scheint. Eltern können und müssen handeln. Sie tun es nach bestem Wissen in dem Umfang und in der Weise, wie es heute ärztlich geraten wird. Geht aus den von Ihnen zitierten Anklagen Betroffener nun eindeutig hervor, dass die bisher ärztlich angeratenen Wege in diesen Fällen so falsch sind, dass zum Schutz der Kinder vor Verstümmelung von Rechts wegen eingegrif- fen werden muss? Wir meinen, dass das nicht der Fall ist. Wie viele betroffene Kinder mag es geben, die in keinen Selbsthilfeverein eintreten, weil es ihnen leidlich gut geht und sie ihren Eltern dafür dankbar sind, ihnen ein Leben in der Schwebe erspart zu haben? Aus Anklagen erwach- sen gewordener Kinder gegen Entscheidungen ihrer El- tern, die es auf vielen Gebieten häufig gibt, ist nur zu schließen, dass es zwischen Eltern und Kindern schwere Konflikte gegeben hat – nicht notwendigerweise jedoch, dass deren Hintergrund immer ein elterliches Fehlverhal- ten gewesen ist. Das Wächteramt des Staates ist keines- wegs immer schon aufgerufen, wenn Kinder, in welcher Lebensphase auch immer, ihre Eltern beschuldigen. Da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, elterliches Versagen oder verfehlte Beratung durch Mediziner zu vermuten, da auch die für die medizinische Forschung gebotene Kompetenzerweiterung ständig stattfindet, gibt es nach unserer Meinung hier keinen Handlungs- bedarf. Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU/CSU): Bei der Geburt eines Kindes wird den jungen Eltern neben der Frage nach der Gesundheit des Neugeborenen natürlich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18929 (C) (D) (A) (B) 1) Abdruck des restlichen Redetextes erfolgt als Anlage zum Stenogra- phischen Bericht der 194. Sitzung auch immer die Frage gestellt: „Was ist es denn, Junge oder Mädchen?“ Eine scheinbar einfache Frage. Es gibt aber Fälle, wo sich diese zunächst nicht ohne weiteres be- antworten lässt. Eine Zahl von Neugeborenen vereint die körperlichen Merkmale beider Geschlechter in einer Per- son, bedingt durch Abweichungen der Geschlechtschro- mosomen oder hormonelle Entwicklungsstörungen. In- tersexualität ist heute der medizinische Oberbegriff für eine Vielzahl von verschiedensten Diagnosen, die eine rechtliche und medizinisch eindeutige Geschlechterzu- ordnung erschweren. In einem Großteil dieser Fälle weist eine Person genetisch die Merkmale des einen Geschlechts auf, hat aber zu einem bestimmten Teil Merkmale des an- deren Geschlechts. Die Wissenschaft geht davon aus, dass circa eines von 2000 Neugeborenen intersexuell ist. Die größte Gruppe dabei sind Mädchen mit einem adrenoge- nitalen Syndrom, das heißt eine Überproduktion von an- drogenen Hormonen. In der Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion der PDS hat die Bundesregierung zu dieser Problematik umfassend Stellung genommen. Es wird zu Fragen der Epidemiologie, der Diagnostik und der medizinischen Behandlung, zu Fragen der psychosozialen Betreuung, der gesellschaftlichen Akzeptanz u. v. m. eine ausführli- che Stellungnahme abgegeben. Deshalb ist die Behaup- tung im Antrag der PDS, den wir heute diskutieren, dass die Bundesregierung „der Medizin einen Freibrief für ihr Tun ausstellt“, eine Unterstellung. Der Antrag der PDS geht von Voraussetzungen aus, die lediglich einer wissenschaftlichen Mindermeinung ent- stammen, nämlich der Auffassung, dass die Zweige- schlechtlichkeit des Menschen keine unumstößliche Wahrheit ist. Ein Großteil der Sexualwissenschaftler ist der Meinung, dass eine mögliche frühzeitige Festlegung der Geschlechtszugehörigkeit anzustreben ist, um Iden- titätsproblemen für die heranwachsenden Kinder und Ju- gendlichen mit entsprechenden psychosozialen und Ak- zeptanzproblemen vorzubeugen. Gleichzeitig wird aber die umfassende Einbeziehung und Aufklärung der Eltern und das Angebot einer kontinuierlichen sexualmedizini- schen und psychologischen Beratung und Begleitung bis ins Erwachsenenalter betont. Verschwiegen werden soll und kann dabei aber auch nicht, dass die Geschlechtszu- schreibung im Säuglingsalter später bei den Betroffenen zu Problemen führen kann. Ich plädiere dafür, das ernst zu nehmen. Eine stärkere Aufklärung über Intersexualität gehört dazu. Aber ich sehe die Aufklärungsarbeit nicht als primäre Aufgabe des Gesetzgebers an. Sie obliegt den Be- troffenen und deren Interessengruppen. Zielgerichtete Be- ratungsangebote müssen ausgebaut werden. Hierbei sind die Länder und die Kommunen in der Pflicht, bei der Ein- richtung und Förderung einzelner Beratungsstellen tätig zu werden. Den Antrag lehnt unsere Fraktion aus verschiedenen weiteren Gründen ab. Wir halten eine umfassende For- schung weder für notwendig noch für sachgerecht. Aus unserer Sicht sollte zunächst eine zielgerichtete For- schung hinsichtlich der Basisdaten erfolgen, um einen Überblick über die Relevanz der Problematik zu bekom- men. Zum anderen scheint eine flächendeckende Umset- zung von medizinischen, psychologischen und sozialme- dizinischen Erfahrungen unter Einbeziehung von Gynä- kologen, Andrologen, Pädiatern und Betroffenen wün- schenswert. Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur Intersexualität kann die Anzahl der Fälle in Deutschland nicht eindeutig beziffert werden. Wir haben hier scheinbar, wie in der gesamten Gesundheitspolitik, das Problem, dass weitgehend belastbare Datengrundla- gen fehlen. Forschung sollte zudem zielgerichtet darauf- hin erfolgen, wie viele Erwachsene von Problemen mit In- tersexualität tatsächlich betroffen sind. Denn die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort an, dass es nur eine geringe Anzahl von Fällen gibt, in denen erwachsene In- tersexuelle um psychiatrische, psychologische und se- xualmedizinische Beratungsangebote nachsuchen. Erst wenn diese Grunddaten erhoben sind, macht es aus mei- ner Sicht Sinn, über einzelne weitere Forschungsvorha- ben zu diskutieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die rechtlichen und ethischen Probleme möglicher For- schungsvorhaben hinweisen. Vielfach werden von den Forschungsvorhaben nicht einwilligungsfähige Säuglinge und Kinder betroffen sein. Das könnte Einfluss auf eine ungestörte sexuelle Identitätsentwicklung der Betroffenen haben. Denn Sie müssen bedenken, dass die Vereindeuti- gung des Geschlechtes – so bezeichnet es die Fachspra- che – regelmäßig schon im Säuglingsalter vorgenommen wird. Und das geschieht nicht ohne Grund. Wissenschaft- ler gehen davon aus, dass es ein so genanntes „Fenster zur Geschlechterprägung“ gibt, das in diesem Alter noch of- fen steht. In Fachkreisen gilt eine möglichst frühzeitige Festlegung des Geschlechts (bis zum 18. Monat) als Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Dabei ist zu berück- sichtigen, dass die Geschlechtszugehörigkeit eine kom- plexe Interaktion von chromosomalen, gonadalen, genita- len, zerebralen und sozialen Faktoren ist. Natürlich müssen die Eltern umfassend aufgeklärt und die Risiken und Chancen einer Operation miteinander abgewogen werden, einschließlich der Aufklärung über weitere Maß- nahmen wie hormonelle Behandlung und der Empfeh- lung, dass eine einmal getroffene Entscheidung konsistent durchgehalten werden sollte. Letztlich kann diese Problematik hier auch nur an- gerissen werden, denn aus meiner Sicht ist die Entwick- lung medizinischer Methoden und Leitlinien Sache der Fachleute. Ich lehne den Antrag der PDS auch deswegen ab, weil ich mich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass hier eine Forschungsförderung für eine eng umgrenzte Klien- tel betrieben werden soll. Da nennen Sie einerseits in Ihrem Antrag eine bestimmte Arbeitsgruppe, die als Interessenvertretung an der Ausrichtung der For- schungsaufträge beteiligt werden soll. Auf der anderen Seite wollen Sie den gesamten wissenschaftlichen Sach- verstand, nämlich die Fachleute, die in der Praxis Erfah- rungen mit der Geschlechterzuweisung haben, von den Forschungsaufträgen ausschließen. Diese Art von For- schungsförderungspolitik lehnen wir schon wegen ihrer wissenschaftlichen Ungeeignetheit ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118930 (C) (D) (A) (B) Hildebrecht Braun (Augsburg) (FDP): Die PDS hat einen verdienstvollen Antrag gestellt, dem die FDP in sei- ner Ziffer II zustimmt. Die Feststellungen, die die PDS vom Bundestag be- stätigt bekommen haben will, können nach dem gegen- wärtigen Wissensstand, so wie er bei uns vorhanden ist, noch nicht geteilt werden. Sie müssten daher abgelehnt werden. Wichtig und richtig ist es, dass die PDS das Augenmerk auf eine Personengruppe mit großen psychosozialen Pro- blemen lenkt, deren Existenz den meisten Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes gar nicht bekannt ist. Inter- sexuelle Menschen haben Anzeichen von Männern und Frauen, sodass ihre Sexualität nicht eindeutig einem Ge- schlecht zugeordnet werden kann. Nach Meinung der Regierung soll jeder Tausendste oder jeder Zweitausendste in Deutschland geborene Mensch unter diese Rubrik fallen. Ich zweifle zwar an die- ser Annahme. Es kommt aber nicht wesentlich darauf an, ob es in Deutschland 80 000, 40 000 oder nur 1 000 Men- schen gibt, die als intersexuell bezeichnet werden könn- ten. Wesentlich ist, dass diese Personen wegen des bishe- rigen Verständnisses dessen, was „normal“ oder „gesund“ oder für die Menschen zuträglich sei, bereits als Klein- kinder erheblichen chirurgischen Eingriffen unterzogen werden, die möglicherweise noch schlimmere psychische Folgen haben als das Belassen der äußerlichen und inne- ren zweideutigen Geschlechtsidentität. Es ist in jedem Fall richtig, wenn die Antragsteller For- schungen in Auftrag gegeben haben wollen, die geeignet sind, ein zutreffendes Bild über die Lebenssituation von intersexuellen Menschen und einen eventuellen politi- schen Handlungsbedarf zu vermitteln. Ebenso richtig ist es, Vertreter der betroffenen Perso- nengruppe selbst in die Forschungen einzubeziehen und nicht nur über die Betroffenen Feststellungen vorlegen zu lassen. Gerade angesichts der Tendenz der Bundesregie- rung, Anfragen aus den Reihen der Opposition oft sehr kurz, ja unzureichend zu beantworten, soll an dieser Stelle ausdrücklich die Ausführlichkeit der Beantwortung der so genannten Kleinen Anfrage der PDS auf Drucksache 14/5425 hervorgehoben werden. In den vergangenen Jahren ist es nicht zuletzt aufgrund der Initiativen der FDP, aber auch der Grünen-Fraktion und der PDS gelungen, diskriminierende Tatbestände für Minderheiten wie Schwule oder Lesben zu beenden. Es wird sicherlich notwendig sein, auch für Intersexuelle eine Verbesserung der Lebenssituation zu schaffen, so- weit dies mit politischen Mitteln möglich ist. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 767. Sitzung am 27. Sep- tember 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgeset- zes und anderer Gesetze – Gesetz zurÄnderung des Grundgesetzes (Artikel 108) – Gesetz zu dem Vertrag zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Tschechischen Republik vom 2. Februar 2000 zur weiteren Er- leichterung des Rechtshilfeverkehrs – Gesetz zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Ge- biet der internationalen Adoption und zur Weiterent- wicklung des Adoptionsvermittlungsrechts – Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationa- len Adoption – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 25. Januar 1996 über die Ausübung von Kinder- rechten – Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 182 der Inter- nationalen Arbeitsorganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kin- derarbeit – Gesetz zu dem Abkommen vom 22. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über die Zusam- menarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung be- trieblicher Altersversorgung – Gesetz zur Aufhebung des Magnetschwebebahn- bedarfsgesetzes – Gesetz zur Bereinigung offener Fragen des Rechts an Grundstücken in den neuen Ländern (Grundstücks- rechtsbereinigungsgesetz – GrundRBerG) – Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze – Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Ab- geordnetengesetzes – Gesetz zur Umstellung von Vorschriften des Dienst-, allgemeinen Verwaltungs-, Sicherheits-, Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts auf Euro (Sechstes Euro-Einführungsgesetz) – Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährde- ter Zeugen Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 mitgeteilt, dass der Bundesrat in seiner 767. Sitzung am 27. September 2001 beschlossen hat, gemäß Artikel 110 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) keine Einwendungen zu erheben. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 mitgeteilt, dass der Bundesrat in seiner 767. Sitzung am 27. September 2001 beschlossen, hat, gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft und gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 des Haushaltsgrundsätzegesetzes von dem Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005 Kenntnis zu nehmen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18931 (C) (D) (A) (B) Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr und Übersicht über das Rettungswesen 1998 und 1999 – Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1998/99 – – Drucksache 14/3863 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2000 – Drucksachen 14/5682, 14/6019 Nr. 1.2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 14/6508 Nr. 2.10 Drucksache 14/6508 Nr. 2.11 Drucksache 14/6508 Nr. 2.12 Drucksache 14/6508 Nr. 2.40 Drucksache 14/6615 Nr. 2.11 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 14/6026 Nr. 2.19 Drucksache 14/6026 Nr. 2.25 Drucksache 14/6116 Nr. 1.3 Drucksache 14/6116 Nr. 1.4 Drucksache 14/6214 Nr. 1.2 Drucksache 14/6214 Nr. 2.18 Drucksache 14/6395 Nr. 2.15 Drucksache 14/6395 Nr. 2.16 Drucksache 14/6395 Nr. 2.17 Drucksache 14/6395 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 2.13 Drucksache 14/6508 Nr. 2.15 Drucksache 14/6508 Nr. 2.33 Drucksache 14/6508 Nr. 2.35 Drucksache 14/6508 Nr. 2.37 Drucksache 14/6508 Nr. 2.41 Drucksache 14/6615 Nr. 2.8 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6116 Nr. 1.8 Drucksache 14/6508 Nr. 2.22 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 14/1016 Nr. 2.23 Drucksache 14/3050 Nr. 2.1 Drucksache 14/3146 Nr. 2.9 Drucksache 14/3146 Nr. 2.10 Drucksache 14/3146 Nr. 2.11 Drucksache 14/3146 Nr. 2.12 Drucksache 14/3146 Nr. 2.13 Drucksache 14/3146 Nr. 2.14 Drucksache 14/3146 Nr. 2.15 Drucksache 14/3146 Nr. 2.16 Drucksache 14/3146 Nr. 2.17 Drucksache 14/3146 Nr. 2.18 Drucksache 14/3341 Nr. 2.26 Drucksache 14/3428 Nr. 2.15 Drucksache 14/3576 Nr. 2.34 Drucksache 14/3576 Nr. 2.41 Drucksache 14/4170 Nr. 2.64 Drucksache 14/4170 Nr. 2.84 Drucksache 14/4309 Nr. 1.3 Drucksache 14/4309 Nr. 1.22 Drucksache 14/4309 Nr. 1.28 Drucksache 14/4441 Nr. 1.3 Drucksache 14/4441 Nr. 1.6 Drucksache 14/4665 Nr. 3.1 Drucksache 14/4945 Nr. 2.4 Drucksache 14/4945 Nr. 2.33 Drucksache 14/4945 Nr. 2.35 Drucksache 14/5114 Nr. 2.1 Drucksache 14/5114 Nr. 2.2 Drucksache 14/5172 Nr. 2.21 Drucksache 14/5172 Nr. 2.60 Drucksache 14/5610 Nr. 2.16 Drucksache 14/5610 Nr. 2.30 Drucksache 14/5610 Nr. 2.31 Drucksache 14/5610 Nr. 2.40 Drucksache 14/5730 Nr. 2.33 Drucksache 14/5836 Nr. 2.6 Drucksache 14/5836 Nr. 2.7 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/5610 Nr. 2.53 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/5610 Nr. 1.3 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/6508 Nr. 1.3 Drucksache 14/6508 Nr. 2.3 Drucksache 14/6508 Nr. 2.23 Drucksache 14/6508 Nr. 2.34 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/6026 Nr. 2.2 Drucksache 14/6026 Nr. 2.10 Drucksache 14/6026 Nr. 2.29 Drucksache 14/6026 Nr. 2.31 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118932 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419300000
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzie-
rung der Terrorbekämpfung
– Drucksache 14/7062 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1419300100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! In den Wochen seit dem 11. September ist uns
allen bewusst geworden, dass wir verstärkte Anstrengun-
gen zur wirksamen Bekämpfung des internationalen
Terrorismus


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da fällt Ihnen nichts anderes ein, als Steuern zu erhöhen!)


und zur Erhöhung der inneren und äußeren Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland unternehmen müssen.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist das eine Rede oder ist das ein Flüstern im Deutschen Bundestag?)


Sehr schnell hat die Bundesregierung mit Unterstüt-
zung der Koalitionsfraktionen hierfür ab dem 1. Ja-
nuar 2002 3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Können Sie nicht so laut sein wie sonst bei Ihren Zwischenrufen? Ich verstehe nichts!)


– Herr Westerwelle, Sie verstehen manches nicht. Das
beweisen Sie auch mit gelegentlich dummen Bemerkun-
gen wie dieser.


(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Prima! So kennen wir ihn!)


Sehr wahrscheinlich ist es so, dass die Tonanlage im Deut-
schen Bundestag besser funktioniert als Ihr Verstand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Unruhe bei der FDP)


– Sie wollten das doch haben! Sie haben die Einladung
dazu doch ausgesprochen.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Poß ist immer ein feiner Mann!)


Wir haben sehr schnell auf diese Situation reagiert.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Mit Steuererhöhungen sind Sie schnell!)


Im Moment diskutiert die Bundesregierung die bedarfs-
orientierte Verteilung für dieses Programm.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Prolo!)


– Genau. – Mit der prompten Bereitstellung umfangrei-
cher finanzieller Mittel für die jetzt notwendigen Maß-
nahmen haben wir Forderungen auch der Opposition auf-
gegriffen. Dies zeigt: In der schwierigen Lage, in der wir
uns derzeit befinden, suchen wir ernsthaft den Konsens
und die Zusammenarbeit mit der Opposition. Darum geht
es nämlich jetzt. Es muss der unabdingbare Bedarf im
Zusammenhang mit der neuen Sicherheitslage ermittelt
und auch finanziert werden.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Was ist mit dem Inhalt des Gesetzes?)


Wir wollen alles unternehmen, damit sich so etwas wie
in New York und Washington nicht wiederholt.


(Beifall bei der SPD – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Mit Steuererhöhungen!)


Aber auch in schwieriger Lage müssen wir die vorgege-
benen finanziellen Beschränkungen berücksichtigen. Sie,
die Sie uns diese Erbschaft – allein auf Bundesebene

18855


(C)



(D)



(A)



(B)


193. Sitzung

Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Beginn: 9.00 Uhr

1,5 Billionen DM Schulden – hinterlassen haben, sollten
sich wirklich nicht so aufblasen, wie Sie das hier schon zu
Beginn der Sitzung heute Morgen tun.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Das sind ganz alte Kamellen!)


Sie haben allen Anlass, uns zu unterstützen, wenn wir
trotz dieser schwierigen Lage sagen: Jawohl, es ist rich-
tig. Wir müssen aus der Schuldenfalle herauskommen und
dürfen nicht anderen Vorschlägen von Ihnen folgen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Alte Kamellen!)

Selbst in solchen Zeiten ist es richtig, den Kurs solider
Finanzpolitik beizubehalten.


(Detlev von Larcher [SPD], zu Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] gewandt: Herr Westerwelle, Sie wollten doch zuhören!)


Selbst in der derzeitigen Ausnahmesituation fällt die
Opposition zum Teil aber in ihre alte Obstruktionshaltung
zurück; beredte Beispiele dafür haben wir gerade in den
letzten Minuten erlebt. Mit Entrüstung über die geplante
Erhöhung der Tabak- und der Versicherungsteuer ver-
sucht sie, Stimmungsmache und Wahlkampf zu betreiben,
wo eigentlich Unterstützung angemessen wäre.


(Beifall bei der SPD – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Unterstützung für Steuererhöhung?)


Wir alle müssen uns hier gemeinsam ernsthaft und ver-
antwortlich Gedanken darüber machen, wie wir Terror-
anschläge in der Bundesrepublik Deutschland verhindern
können. Wir müssen im Parlament vielleicht sogar bald
entscheiden, ob deutsche Soldaten in Krisengebieten ein-
gesetzt werden. Vor diesem Hintergrund die geplanten Er-
höhungen der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer
voller Entrüstung zu einer Grundsatzfrage zu machen, das
ist keine angemessene Reaktion auf den Ernst der Lage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie Bundeskanzler Schröder Ihre Partnerschaft

anbieten – Herr Westerwelle macht das ja jeden Tag –,

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein, nur jeden zweiten! – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt liest er Zeitung!)


dann müssen Sie auch entsprechend verantwortlich han-
deln und tatsächlich bereit sein – Sie betonen es immer
wieder –, unpopuläre Maßnahmen mitzutragen. Das gilt
auch für die in Aussicht genommenen Erhöhungen von
Tabak- und Versicherungsteuer. Weder der Bundesfinanz-
minister noch wir sind von den Steuererhöhungen begeis-
tert. Daraus machen wir gar keinen Hehl.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann soll er es doch lassen!)


Wir bewerten allerdings die besondere Situation, in der
wir uns befinden, und wir sehen, was die Aufbringung der
jetzt notwendigen Mittel angeht, keine Alternative. Von
daher sind die Steuererhöhungen nach Abwägung aller
Optionen notwendig und unabdingbar, weil wir, wie ich
gesagt habe, Kurs halten wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Steuererhöhungen sind leider Gottes – das sage ich
mit besonderer Hingabe in Richtung der Opposition im
Hinblick auf deren politische Erbschaft – auch deshalb
notwendig, weil bis heute in manchen Bereichen beste-
hende Steueransprüche des Staates noch nicht umfassend
durchgesetzt sind. Gerade die derzeitige Situation zeigt,
wie wichtig ein handlungs- und finanzierungsfähiger
Staat ist und dass wir uns zum Beispiel Steuerhinterzie-
hungen in mehrstelliger Milliardenhöhe nicht leisten
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sind wir in diesem Parlament bereits initiativ
geworden, um die Umsatzsteuerkriminalität zu bekämp-
fen, deshalb müssen wir jetzt verstärkt die Frage einer
verfassungsgemäßen Besteuerung der Zinserträge stel-
len und deshalb gehört nach meiner Auffassung
der § 30 a der Abgabenordnung, den Sie in den 80er-
Jahren hinzugefügt haben, wieder auf die politische
Agenda.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich kann mich daran erinnern, dass der Herr Präsident der
Initiator dieser Aktion war. Sie sind die Beschützer von
Steuerhinterziehern. Über diese Frage können wir gerne
einmal eine Debatte führen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Diese Verleumdung nehmen Sie zurück! Sie sind ein Brandstifter, ein Brunnenvergifter! Sie sind ja halbkriminell! – Gegenruf des Abg. Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Nein, das ist ein Kasper!)


Angesichts zu erwartender Widerstände von interes-
sierter Seite – er meldet sich hier besonders lautstark –
wird auf diesem Gebiet sicherlich noch einige Überzeu-
gungsarbeit zu leisten sein.

Die Argumentation der Opposition wie auch mancher
Verbände gegen die heute in erster Lesung behandelte
Vorlage, die Steuererhöhungen vorsieht, ist stark übertrie-
ben. Ich bin gespannt, wie sich Herr Rexrodt hier gleich
als wahlkämpfender Frischling der Berliner FDP aufbla-
sen wird, wenn er sich gegen die Steuererhöhungen aus-
spricht.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind grün hinter den Ohren!)


Bei den in Rede stehenden Steuererhöhungen handelt
es sich um genau abgegrenzte, auf wenige Produkte be-
schränkte punktuelle Erhöhungen. Damit bleiben die Aus-
wirkungen auf das Preisniveau überschaubar und es ent-
stehen keine unzumutbaren Belastungen für Haushalte
und Betriebe. Die Inflationsrate geht offensichtlich ste-
tig zurück. Laut Statistischem Bundesamt fiel die jähr-
liche Teuerungsrate im September mit 2,1 Prozent auf den
tiefsten Stand seit einem Jahr.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Deshalb machen Sie Steuererhöhungen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Joachim Poß

18856


(C)



(D)



(A)



(B)


Vor allem die Benzinpreise erreichen zurzeit Jahrestiefst-
stände. Das hat im Übrigen die gleiche Wirkung wie ein
kleines Konjunkturprogramm.


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)

– Ja, natürlich! Erinnern Sie sich doch einmal an die Re-
den, die Sie in diesem Parlament gehalten haben, als die
Inflationsrate im Mai bei 3,5 Prozent lag. Offenbar haben
Sie schon vergessen, was Sie da gesagt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Die schwatzen nur rum!)


Ein Rückgang der Preissteigerungsrate erhöht die
Kaufkraft der Investoren und der Konsumenten natürlich
unmittelbar.


(Zuruf von der FDP: Das ist eine Posse nach der anderen!)


Da werden die mit den Preissteigerungen einhergehen-
den Verteuerungen von Tabakwaren und Versicherungen,
gesamtwirtschaftlich gesehen, eher zu einer Rand-
erscheinung. Das heißt, bei sachlicher Bewertung halten
sich auch die konjunkturellen Effekte der vorge-
schlagenen Tabak- und Versicherungsteuererhöhung in
Grenzen.

Ich finde, es ist wirklich unter Niveau – wenn auch bei
Ihnen nicht verwunderlich –, dass bei der Einschätzung
der konjunkturellen Effekte – ob gewollt oder ungewollt,
lasse ich einmal dahingestellt – schlichtweg vergessen
wird, dass die Verwendung der durch die Steuererhöhun-
gen erzielten Mittel durchaus positive konjunkturelle Ef-
fekte hat. Das mag sich zwar zynisch anhören; aber es ist
so. Das können Sie bei Ökonomen nachlesen. Was ich
sage, gilt auch für die Lage in den USA. All das, was jetzt
für die innere und äußere Sicherheit ausgegeben werden
muss, generiert Wirtschaftswachstum. Natürlich dürfen
Sie diesen Effekt nicht ausblenden. Ein Großteil der In-
vestitionen in mehr Sicherheit wird mit Ihrer Zustimmung
für mehr und besser qualifiziertes Personal ausgegeben
werden. Das Geld wird also dem Wirtschaftskreislauf
nicht entzogen werden; vielmehr werden wichtige Nach-
frageaggregate gestärkt.

Ihre Empörung ist zudem unangebracht: 1991 haben
Sie, nicht wir, die Steuern zur Finanzierung des Golf-
krieges um bis zu 27 Milliarden DM erhöht, und zwar auf
Jahre hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das ist doch nicht vergleichbar!)


Auf einen Schlag haben Sie damals den Solidaritätszu-
schlag eingeführt sowie die Mineralölsteuer für bleifreies
Benzin um 22 Pfennig pro Liter und für verbleites Benzin
um 25 Pfennig pro Liter erhöht.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viermal Ökosteuer auf einen Schlag!)


Das allein entspricht dem Umfang aller bisherigen Öko-
steuererhöhungen. Sie haben die Versicherungsteuer nicht
um einen Punkt, sondern um drei Punkte erhöht.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Ach Gott!)


– Ich weiß nicht, in welcher Funktion Sie, Herr Rexrodt,
damals hier tätig waren.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Der war immer da!)


– Dass der immer da war, stimmt ja; das ist wohl wahr. Er
war zwar nicht immer segensreich tätig; aber er war im-
mer da.

Sie haben nicht nur die Versicherungsteuer, sondern
auch die Tabaksteuer erhöht. Wenn man davon absieht,
dass der Solidaritätszuschlag ein Jahr später für kurze
Zeit ausgesetzt worden ist, kann man sagen, dass diese
Steuererhöhungen im Wesentlichen bis heute gelten; das
heißt, diese Steuern werden Jahr für Jahr erhoben. Ge-
braucht haben Sie für den Golfkrieg allerdings nur 14 bis
15 Milliarden DM. Unter falscher Überschrift – ich kann
mich an die Debatten hier im Deutschen Bundestag erin-
nern, als wir gesagt haben, Sie dürften beispielsweise für
Aufwendungen im Zusammenhang mit der deutschen
Einheit oder für Zahlungen an Russland keine falschen
Überschriften verwenden – haben Sie damit die Bürge-
rinnen und Bürger gezwungen, über Jahre hinweg Steu-
ern, die weit mehr als 10 Milliarden DM über dem Betrag
lagen, der für den Golfkrieg aufgebracht werden musste,
an den Staat abzuführen. Auf welcher Grundlage wollen
Sie eigentlich heute, wenn Sie sich das noch einmal vor
Augen halten, unsere moderaten Steuererhöhungen kriti-
sieren?


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Moderat nennt er das!)


Mit der Finanzierung des Antiterrorpakets durch über-
schaubare Steuererhöhungen hält die Bundesregierung
– sie wird dabei von den Koalitionsfraktionen unterstützt –
haushaltspolitisch Kurs. Von diesem Kurs lassen wir uns
nicht abbringen, weder heute Morgen durch besonders
lebhafte Zwischenrufe, noch morgen oder irgendwann.
Wir halten Kurs, und zwar im Interesse der Bevölkerung
der Bundesrepublik Deutschland.

Denken Sie auch einmal an Ihre sonstigen Forderun-
gen: Gestern forderte Frau Merkel eine erhebliche Auf-
stockung des Wehretats und der Entwicklungshilfe; vor-
gestern forderte Herr Merz 50 Milliarden DM zusätzlich
für das Familiengeld. Wie wollen Sie das denn alles fi-
nanzieren? Sollen wir dafür andere Sozialausgaben im
Bundesetat streichen?

Es ist somit festzuhalten, meine Damen und Herren: In
Abwägung der verschiedenen Finanzierungsoptionen und
angesichts der derzeitigen Ausnahmesituation sind die be-
schlossenen Steuererhöhungen eine angemessene und
vernünftige Antwort auf die aktuellen Erfordernisse. Dass
die Opposition ihre Argumentation in dieser Frage nicht
der außergewöhnlichen historischen Situation anpasst, ist
sehr fragwürdig und im Kern auch unredlich; verhindern
können wir allerdings diese Haltung wohl nicht.


(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Eine große Rede der Steuerpolitik!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Joachim Poß

18857


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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419300200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1419300300
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wie bei vielen anderen Steuer-
gesetzen stimmen auch bei diesem Gesetz Verpackung
und Inhalt überhaupt nicht überein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Ah geh! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist vernünftig und ehrlich!)


In der Überschrift steht „Terrorbekämpfung“; inhaltlich
geht es aber um Steuererhöhungen. Warum schreiben Sie
dann nicht auch in der Überschrift: Gesetz zur Erhöhung
der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer? Damit
wären Sie wenigstens ehrlich und würden nicht täuschen
und tarnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Täuschung setzt sich auch bei den veranschlagten
Zahlen fort. Es war von 3 Milliarden DM Finanzbedarf
die Rede. In Ihrem eigenen Gesetzentwurf veranschlagen
Sie bei der Versicherungsteuer im nächsten Jahr 1 Milli-
arde DM Mehreinnahmen und bei der Tabaksteuer im
nächsten Jahr 2 Milliarden DM Mehreinnahmen.

Schon ein Jahr später gehen Sie – mit steigender Ten-
denz – davon aus, dass aus diesen 3 Milliarden DM 4 Mil-
liarden DM werden. Selbst wenn wir annehmen, dass
diese Zahlen richtig errechnet sind – was sie im Übrigen
nicht sind; darauf komme ich gleich noch zu sprechen –,
geben Sie damit selbst zu, dass Sie mehr Geld einnehmen
werden, als Sie benötigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Tatsächlich werden die Einnahmen noch wesentlich
höher ausfallen. Im Jahr 2000 hatten wir einen Verbrauch
an Zigaretten in Höhe von 140 Milliarden Stück. Nun
planen Sie eine Erhöhung um 2 Cent, das heißt von fast
4 Pfennig, pro Stück. Das bedeutet für jede Schachtel eine
Erhöhung um etwa 80 Pfennig – nur, damit man sich die
Größenordnung einmal vor Augen halten kann. Wenn Sie
diesen Betrag auf der Basis des Verbrauchs des Jah-
res 2000 hochrechnen, dann nehmen Sie 2,8 Milliar-
den Euro, also etwa 5,5 Milliarden DM, ein. Hinzu kommt
noch – das wird ja sowieso verschwiegen – zusätzlich die
Mehrwertsteuer. Das bedeutet, dass Sie mehr als 6 Milli-
arden DM allein aus der Tabaksteuer einnehmen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Das bewirkt Verhaltensänderungen! Das wissen Sie doch!)


– Aber selbst wenn Sie solche Verhaltensänderungen ein-
kalkulieren, wissen Sie genau, dass diese nur kurzfristig
sind und dass manche Menschen vielleicht kurzfristig auf
einige Zigaretten verzichten. Aber sehr schnell wird der
Konsum das vorherige Niveau wieder erreichen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die Sucht ist stärker!)


Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn Sie diese
Verhaltensänderungen einkalkulieren, müssen Sie fest-
stellen: Zwischen den Beträgen von 2 Milliarden DM
und 6 Milliarden DM ist ein sehr großer Unterschied,
den man nicht mit Verhaltensänderungen begründen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie nehmen unter dem Deckmantel der Terror-
bekämpfung einen kräftigen Schluck aus der Pulle,


(Detlev von Larcher [SPD]: Oh, oh! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das tun wir nicht!)


weit mehr, als Sie für den von Ihnen angegebenen Zweck
brauchen, um Ihre selbstverschuldeten Haushaltslöcher
zu stopfen. Das ist nämlich der eigentliche Grund, warum
Sie so schnell zu einer Steuererhöhung in diesem Ausmaß
greifen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt haben Sie uns entlarvt!)


Wissen Sie, es war doch schon bei der Haushaltsde-
batte klar, dass Ihr Haushalt auf Sand gebaut ist


(Detlev von Larcher [SPD]: Ich fühle mich richtig entlarvt!)


und dass er Makulatur ist. Ihre Annahmen sind nicht rea-
listisch. Sie gehen nach wie vor von 2 Prozent Wachstum
aus. Aber wir müssen froh sein, wenn wir 0,8 Prozent er-
reichen. Das wissen Sie genau. Damit sind wir Schluss-
licht in Europa. Allein in diesem Jahr müssen Sie für die
Bundesanstalt für Arbeit nicht – wie vorgesehen und ein-
geplant – 1,2 Milliarden DM, sondern 4 Milliarden DM
ausgeben,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben hellseherische Fähigkeiten, Frau Hasselfeldt!)


und zwar nicht aus irgendwelchen Gründen, die mit den
Ereignissen des 11. September dieses Jahres zu tun haben,
sondern wegen Ihrer falschen Wirtschafts- und Finanzpo-
litik. Dies ist die Ursache für Ihre Haushaltslöcher.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Ja, freilich!)


Anstatt diese Situation nun herumzudrehen und die
Rahmenbedingungen für echtes Wirtschaften zu verbes-
sern,


(Detlev von Larcher [SPD]: Warum hatten Sie so viele Haushaltslöcher?)


tun Sie das, was am schnellsten und am einfachsten mög-
lich ist: Sie greifen in die Taschen des Steuerzahlers. Das
ist wirtschaftspolitisch nicht richtig und auch unredlich.
Im Übrigen ist es schon ein Armutszeugnis und auch ein
Offenbarungseid des Finanzministers,


(Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie gerne!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118858


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wenn wegen eines Betrags von 3 Milliarden DM, 0,6 Pro-
zent des Haushaltsvolumens, sofort zu Steuererhöhungen
gegriffen wird.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Daran sieht man auch, mit welch heißer Nadel dieser
Haushalt gestrickt ist, wenn Sie nicht einmal diese 3 Mil-
liarden DM durch vernünftige Prioritätensetzung und
durch Umschichtung finanzieren können. Denn dann
wäre keine Erhöhung der Neuverschuldung notwendig,
Herr Poß.


(Detlev von Larcher [SPD]: Macht uns das mal vor!)


Wenn Sie diesen Betrag nicht durch eine vernünftige Um-
schichtung finanzieren können, dann ist das ein Armuts-
zeugnis, wie es schlimmer nicht sein kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Konkrete Vorschläge! – Joachim Poß [SPD]: Die hat Merkel gestern nicht gemacht!)


– Herr von Larcher, ich muss Sie an Folgendes erin-
nern: Der Finanzminister, der ja heute nicht anwesend
ist, hat auf dem Kongress des Bundes der Steuerzah-
ler am 18. September dieses Jahres – damit wurde er
im „Handelsblatt“ vom 19. September dieses Jahres
zitiert; diese Aussage ist wörtlich nachzulesen – ge-
sagt,

Eichel will „zusätzliche Ausgaben des Bundes für in-
nere und äußere Sicherheit allein durch Umschich-
tungen im Haushalt finanzieren“.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist der Finanzminister eigentlich?)


Genau einen Tag später fand hier vormittags eine De-
batte zur Terrorbekämpfung statt. Am Nachmittag des
gleichen Tages, wenige Minuten nach Schluss dieser De-
batte,


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Richtig!)


in der weder von Steuererhöhungen noch von der Finan-
zierung die Rede war,


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jawohl!)


hat das Kabinett entgegen den Äußerungen des Finanz-
ministers vom Tag zuvor auf dem Kongress des Bundes
der Steuerzahler


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: So war es!)


genau diese Steuererhöhung beschlossen.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Eigenartig!)


Es war keine Rede mehr von Umschichtungen. Meine
Damen und Herren, wer soll denn einem Mitglied dieser
Regierung noch glauben und vertrauen? Herr Poß, mit
dem Motto „Kurs halten“, wie Sie es gesagt haben, ist
nicht sehr viel zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Es fehlen immer noch die konkreten Vorschläge!)


– Ich habe es doch ganz konkret gesagt: Umschichtungen
im Haushalt.


(Lachen bei der SPD – Jörg-Otto Spiller [SPD]: Das ist sehr konkret!)


Jede Menge können Sie umschichten. Sie geben viel zu
viel aus, nur weil Sie nicht mutig genug sind, echte Re-
formen zum Beispiel beim Arbeitsmarkt und bei der So-
zialpolitik durchzuführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man kann leicht den Sparminister spielen, wenn man
beim geringsten Finanzbedarf nicht ans Sparen denkt,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist genauso erbärmlich wie gestern bei Frau Merkel!)


sondern zuerst zum Geld der Steuerpflichtigen greift, die
sich nicht wehren können. Das hat doch mit einem Spar-
minister nichts zu tun.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie mal bei der Wahrheit!)


Die Mär vom Sparminister glaubt Ihnen ohnehin niemand
mehr.


(Susanne Kastner [SPD]: Frau Hasselfeldt, das ist aber schlimm, was Sie jetzt sagen!)


Die Defizitquote ist nicht gesunken, die Abgabenquote ist
nicht gesunken, die Steuerquote ist nicht gesunken. Das
Einzige, was in Ihrer Regierungszeit gestiegen ist, sind
die Ausgaben des Bundes. Was ist da vom Sparen eigent-
lich übrig geblieben?

Es ist überhaupt keine Frage, dass die von Ihnen beab-
sichtigten Erhöhungen der Versicherungsteuer und der
Tabaksteuer Gift für die wirtschaftliche Entwicklung
sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Auch in anderen Ländern in Europa und darüber hinaus
sind verstärkte Anstrengungen bei der inneren und äuße-
ren Sicherheit notwendig. Kein einziges anderes Land
denkt aber bei diesen notwendigen Maßnahmen an
Steuererhöhungen.


(Susanne Kastner [SPD]: Die hatten auch keine CDU/CSU-Regierung, die so viel Schulden gemacht hat!)


Sie jedoch haben als allererste Maßnahme nur an Steuer-
erhöhungen gedacht und wollen sie im Hauruckverfahren
realisieren. Gerade in unserem Land, das ohnehin das
niedrigste Wachstum aller europäischen Länder hat, ist
dies besonderes Gift. Der EU-Währungskommissar hat
erst vor wenigen Wochen, nachzulesen in der „FAZ“ vom
9. Oktober, in Bezug auf die Wachstumsentwicklungen
der Euroländer wörtlich gesagt: „Deutschland ist ein Pro-
blem.“


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Regierung ist das Problem!)


Meine Damen und Herren, wenn Sie die wirtschaftli-
che und konjunkturelle Entwicklung in unserem Land

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Gerda Hasselfeldt

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nicht nur aktuell, sondern über die letzten Monate hinweg
objektiv betrachten und dann, wie es Herr Poß vorhin ge-
tan hat, Steuererhöhungen als die richtige konjunktur-
politische Antwort ansehen, dann kann ich nur sagen: Ei-
nen größeren Amateurökonom habe ich noch nicht gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Das hat er nicht gesagt! Sie unterstellen ihm etwas!)


– Natürlich hat er das gesagt. Lesen Sie es nach!


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie bauen einen Popanz auf! Sie sind nicht ernst zu nehmen!)


Das Problem ist hausgemacht; das wissen Sie ganz
genau. Ursache ist Ihre falsche Wirtschafts- und Finanz-
politik. Durch die Maßnahme, die Sie jetzt vorsehen, ver-
größern Sie das Problem noch, weil sie das konjunktur-
politisch völlig falsche Signal ist. Das Problem sind die
fehlenden Binneninvestitionen und die gesunkene Bin-
nennachfrage. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der pri-
vate Verbrauch. Mit Ihrer Steuererhöhung würgen Sie die-
sen noch mehr ab, als es ohnehin schon der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt auf einmal der Verbrauch!)


Wenn Sie die Erhöhung dieser Steuern, die mit einer
Erhöhung der Inflationsrate in Höhe von etwa 0,5 Prozent
verbunden ist – ich beziehe hier die Ökosteuer ein, deren
Erhöhung zum 1. Januar 2002 schon beschlossen ist –, da-
mit abtun, dass das nicht so schlimm sei, weil die Inflati-
onsrate jetzt wieder zurückgegangen sei,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber die Basis ist entscheidend!)


dann wird auch deutlich, wes Geistes Kind Sie sind. In
dem Moment, in dem die Inflationsrate durch Einflüsse
von außen, die Sie nicht verursacht haben, ein wenig
zurückgeht, sehen Sie sofort Spielraum für Steuererhö-
hungen, womit Sie die Inflationsrate wieder erhöhen. So
einfach können Sie es sich nicht machen. Die Bürger mer-
ken, dass dies der falsche Weg ist. Sie werden von Ihrer
Politik nur abgezockt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wirklich lächerlich!)


Sie treffen damit ja nicht nur die Raucher. Mit der Ver-
sicherungsteuer treffen Sie jeden Haushalt und jeden Be-
trieb: bei der Kfz-Versicherung, bei den Gebäudeversi-
cherungen, bei den Brandversicherungen und allen
sonstigen Sachversicherungen. Dies tun Sie in einer Zeit,
in der die Versicherungsbeiträge wegen der vielen Scha-
densfälle ohnehin steigen. Damit steigt übrigens auch das
Steueraufkommen aus der Versicherungsteuer. Wenn Sie
nun durch Ihre gesetzliche Maßnahme die Versicherung-
steuer zusätzlich erhöhen, werden die Menschen nicht nur
durch die Prämienerhöhung und die darauf ohnehin an-
fallende höhere Versicherungsteuer, sondern auch noch
ein drittes Mal durch Ihre Steuererhöhung getroffen, ganz
zu schweigen von der damit verbundenen zusätzlichen
Mehrwertsteuer.

Von den technischen Schwierigkeiten in Bezug auf die
Umstellungen bei den Automaten, auch von den techni-
schen Schwierigkeiten der Versicherungen wegen der
kurzfristigen Erhöhungen will ich hier gar nicht reden. Sie
wissen auch, dass das beispielsweise enorme Auswirkun-
gen auf die Mitarbeiter, auf die Beschäftigten in der Ta-
bakwirtschaft hat. Aber das scheint Ihnen alles völlig egal
zu sein. Sie haben nicht einmal allen betroffenen Verbän-
den den Gesetzentwurf zugeschickt.

Da wird schon deutlich, dass Sie das in einem Hau-
ruckverfahren möglichst schnell und geräuschlos, ohne
dass die Betroffenen Stellung nehmen können, durchzie-
hen wollen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Auch das ist nicht wahr!)


Auch das wirft ein Licht auf Ihre Unseriosität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun hat Herr Kollege Poß die Steuererhöhungen im
Jahre 1991 anlässlich des Golfkrieges angesprochen.


(Joachim Poß [SPD]: Lesen Sie mal die Protokolle des Deutschen Bundestages nach!)


Herr Poß, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das ein biss-
chen detaillierter und objektiver betrachten würden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das kann er nicht!)


Sie wissen genau, dass dies erstens eine völlig andere Di-
mension war, dass es zweitens auch mit den großen An-
strengungen bei der Herstellung der deutschen Einheit
verbunden war


(Joachim Poß [SPD]: Das hat der Waigel aber nicht so gesagt! Dann hätten Sie das im Deutschen Bundestag anders begründen müssen!)


und dass wir drittens damals ein wesentlich höheres
Wachstum hatten, als wir es heute haben. Auch die öko-
nomische Bewertung war eine völlig andere als jetzt. Hier
Äpfel mit Birnen zu vergleichen und das Handeln jetzt so
zu rechtfertigen ist ein völlig falscher Schluss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist im Übrigen eine billige Ausrede und sonst
nichts. Es ändert nichts daran, dass diese Steuererhö-
hung, die Sie jetzt vorhaben, nicht notwendig ist, und es
ändert auch nichts daran, dass sie ökonomisch verfehlt
ist. Deshalb werden Sie unsere Zustimmung dazu nicht
bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419300400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die
Grünen.


(Joachim Poß [SPD]: Bieg das mal gerade! – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jetzt kommt der große Slalom! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt zeigt sie, was sie alles für den Mittelstand tun will!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Gerda Hasselfeldt

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Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419300500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste
Feststellung: Ich gehe davon aus, dass es keine einzige po-
litische Partei in diesem Raum gibt, die nicht die Auffas-
sung vertritt, dass unverzüglich mehr finanzielle Mittel
für verstärkte Anstrengungen zur wirksamen Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus und zur Erhöhung
der inneren, aber auch der äußeren Sicherheit der Bürger
und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland aufge-
wandt werden müssen.

Zweite Feststellung: Durch die im vorgelegten Gesetz-
entwurf vorgesehene Erhöhung der Versicherungs- und
Tabaksteuer mit einem geplanten Einnahmevolumen von
rund 3 Milliarden DM sollen ab 2002 Maßnahmen im
Bereich des Katastrophenschutzes, des Bundesgrenz-
schutzes, des Bundeskriminalamtes, aber auch der Ent-
wicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe fi-
nanziert werden.

Wir haben bereits jetzt zur Verbesserung der
wirtschaftlichen Perspektiven der betroffenen Länder
verstärkt Mittel bereitgestellt und auch im Bereich der hu-
manitären Hilfe finanzielle Anstrengungen unternom-
men. Am Geld scheitert – das muss man ganz klar sagen –,
die humanitäre Unterstützung von deutscher Seite aus
nicht.

Wir sind allerdings der Überzeugung, dass im Haushalt
2002 keine Möglichkeiten für Umschichtungen zulasten
anderer Ausgaben bestehen. Es ist auf der einen Seite
schwer, das zuzugeben. Auf der anderen Seite ist es für
viele Bürgerinnen und Bürger schwer nachvollziehbar,
dass bei einem Haushaltsvolumen von rund 485 Milliar-
den DM kein Spielraum für Einsparungen gegeben sein
soll.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass selbst die Haushalts-
experten der Opposition, Herr Austermann und Herr Kalb,
wissen müssen, dass es im Haushalt, Frau Hasselfeldt, eben
keinen Spielraum mehr gibt. Ich finde, dass die Union sich
endlich sortieren muss, dass sie klar bekennen muss, wie sie
Haushaltspolitik, Finanzpolitik und Wirtschaftshilfe in der
Zukunft gestalten will.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben hier Anfang September Erklärungen abge-
geben, dass im Haushalt angeblich ein Finanzloch von
rund 12 Milliarden DM bestehe. Wir haben gesagt: Das
stimmt nicht. Wir haben einen soliden Haushalt – ver-
nünftig durchgerechnet – aufgestellt.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Warum kassieren Sie denn dann jetzt mehr ein, als Sie brauchen?)


Sie haben gesagt, es gebe eine Unterdeckung von 12 Mil-
liarden DM. Fast zum gleichen Zeitpunkt – in den vorhe-
rigen Wochen und auch jetzt wieder in den letzten Ta-
gen – kommen Forderungen, die nächsten Steuerreform-
stufen, vor allem die Senkung des Spitzensteuersatzes,
vorzuziehen,


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das wäre das richtige Signal!)


was bedeutet, dass wir im nächsten Jahr weniger Einnah-
men in einer Größenordnung von rund 45 Milliarden DM
hätten.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Gleichzeitig sagt Herr Merz, wir müssten die Familien
fördern; das klingt ja immer gut.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das klingt nicht nur gut, das ist auch gut! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das ist notwendig!)


Das kostet 50 Milliarden DM.
Dann sagen Sie: Der Haushalt ist zwar nicht richtig ge-

deckt – da haben Sie eine Riesenlücke –, aber gleichzei-
tig brauchen wir im Bereich der Bundeswehr, im Bereich
der Landwirtschaftssubventionen usw. Mehrausgaben
von rund 13,5 Milliarden DM.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Umschichten! Schwerpunkte setzen!)


Wenn man das alles zusammennimmt, Frau
Hasselfeldt, haben wir es hier, abgeleitet von Ihren For-
derungen, mit Mehrausgaben bzw. Steuerminder-
einnahmen – wenn man es so herum betrachtet – in einer
Größenordnung von rund 115 Milliarden DM zu tun.
Das heißt: absolutes gedankliches Chaos in Ihren Vor-
schlägen!


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie glauben doch wohl nicht, dass die Leute so doof sind,
Ihnen abzunehmen, dass Sie auf der einen Seite Steuer-
senkungen finanzieren wollen, die Ökosteuer aussetzen
wollen, gleichzeitig die Arbeitslosenversicherungsbei-
träge senken wollen – das finden wir übrigens richtig und
das wollen wir ebenfalls tun, aber auf einem anderen Weg,
als Sie ihn vorschlagen – und auf der anderen Seite aus dem
Haushalt heraus auch noch 13,5 Milliarden DM Mehraus-
gaben für die Bundeswehr und andere Einrichtungen zur
Verfügung stellen wollen. Sie glauben doch nicht im Ernst,
dass Ihnen die Leute abnehmen, dass all dies ohne gigan-
tische Steuererhöhungen an irgendeiner anderen Stelle


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben an der richtigen Stelle!)


oder eben ohne eine massive Neuverschuldung funktio-
nieren soll. Was Sie hier an Forderungen aufstellen, ist
vom Volumen her ein Viertel des gesamten Haushaltsvo-
lumens.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zum Thema!)


Da kann ich nur sagen: Gott sei Dank sind Sie nicht an der
Regierung; sonst würden wir den Schuldenstaat, den wir
leider übernommen haben, fortführen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das wäre eine Katastrophe für die Wirtschaft. Das würde
bedeuten, dass wir einen verfassungswidrigen Haushalt
hätten, dass die Länder Pleite gingen, die Kommunen
pleite wären und der Bund dazu. Das ist die Konsequenz
Ihrer Politik.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18861


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wissen ganz genau, dass Ihre eigenen Ministerprä-
sidenten – dazu gehört auch der bayerische, der ja im Hin-
blick auf die nächsten Wahlen so ein bisschen im Startloch
sitzt – ganz genau wissen, dass diese Forderungen nur ge-
stellt werden können, solange man in der Opposition ist.
Aber ich finde, zur Politik gehört auch eine gewisse Ehr-
lichkeit. Man darf den Leuten nicht Sand in die Augen
streuen – nach dem Motto, man könnte irgendwo im
Haushalt umschichten, das sei ja alles überhaupt kein Pro-
blem – und gigantische Mehrausgaben fordern, die nie-
mand schultern kann, von denen wir alle ganz genau wis-
sen, dass das völlig unsolide ist. Die Haushalts- und
Finanzpolitik, die Sie betreiben wollen, darf man nicht
ernst nehmen.

Wir sind endlich so weit, dass wir sagen: Wir gehen
von den Schulden herunter, aber leisten trotzdem die Aus-
gaben, die notwendig sind für die Konjunktur, für Bildung
und für Wissenschaft und im ökologischen Bereich bis hin
zu Anschubfinanzierungen und Finanzierungen, die im
Infrastrukturbereich, auch bei der Bahn, auch im Straßen-
bau usw. sinnvoll sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wann kommen Sie denn mal zum Thema? Diese Rede haben Sie schon einmal gehalten! – Gegenruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann Ihnen das nicht oft genug sagen!)


Wir haben jetzt im Verhältnis zum Gesamtvolumen des
Bundeshaushalts zwar nicht unerhebliche Steuererhöhun-
gen beschlossen – das ist richtig –, aber wir haben sie auf
der Grundlage des Ziels einer sehr soliden, einer ehrlichen
und einer an der Konsolidierung der Staatsfinanzen ori-
entierten Finanzpolitik beschlossen. Das ist die Richt-
schnur unseres Handelns und die Rückführung der
Nettokreditaufnahme in diesem und im nächsten Jahr soll
auch im Rahmen eigener Handlungskompetenz fortge-
setzt werden.

Wir haben das Problem, dass im Jahr 2001 – das wis-
sen Sie – die Weltkonjunktur rückläufig ist.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Auf einmal ist sie rückläufig? – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt geht es nicht mehr nur um die Konjunktur in Europa, sondern in der ganzen Welt!)


Das wird die Planung für das nächste Jahr nicht verein-
fachen. Erst die Konjunkturprognosen der fünf For-
schungsinstitute und des Sachverständigenrates werden
die Bundesregierung insbesondere im Rahmen des Jah-
reswirtschaftsberichts veranlassen, eigene Konjunktur-
erwartungen zu formulieren. Grundsätzlich ist jede Kon-
junkturprognose angesichts der Militäreinsätze gegen den
Terrorismus von psychologisch begründeter Unsicherheit
geprägt.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das war doch schon vor dem 11. September so! Tun Sie doch nicht so, als ob das mit dem 11. September zu tun hätte!)


Die Psychologie ist jetzt „Herr des Verfahrens“. Alle Wirt-
schaftsforscher sagen, dass die Psychologie zumindest

50 Prozent ausmacht. Jeder weiß, dass es sehr enge wirt-
schaftspolitische Zusammenhänge zwischen den Ent-
wicklungen in den USA, in Japan und in Europa gibt.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auf einmal!)


Wir wissen, dass sich in Japan ein realer Schrump-
fungsprozess mit Raten von 0,5 bis 1 Prozent abzeichnet.
Wir wissen auch, dass die Prognose für das reale Wirt-
schaftswachstum in den USA für das Jahr 2001 bei rund
1,5 Prozent liegt. Insgesamt ist aber eine rückläufige
Wachstumsentwicklung zu verzeichnen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Man kann dazu auch „Rezession“ sagen!)


Wir wissen, dass in allen Ländern Europas die
Wachstumserwartungen nach unten korrigiert werden
mussten. Wir sehen aber auch, dass in diesem zweiten
Halbjahr, vor allem im vierten Quartal, die Talsohle der
wirtschaftlichen Entwicklung in Europa erreicht ist und
dass es jetzt aufwärts geht. Die Tendenz ist in vielen Bran-
chen europaweit steigend. Dass dieses gute Ergebnis trotz
der negativen gesamtweltwirtschaftlichen Situation er-
reicht werden konnte, hängt auch damit zusammen, dass
der Konsolidierungskurs in anderen europäischen Län-
dern gut durchgehalten werden konnte.

Die Inflationsrate ist nach den starken Rohölpreis-
steigerungen im letzten Jahr und den aktuell fallenden
Rohölpreisnotierungen stark rückläufig. Die Europäische
Zentralbank hat bereits die Geldmarktzinsen gesenkt.
Weiterer Spielraum für Zinssenkungen ist vorhanden, so-
dass auch Investitionen kostengünstig finanziert werden
können.

Die Bürgerinnen und Bürger haben durch die Steuer-
reform, durch die Anhebung des Kindergeldes und durch
die angehobenen Freibeträge, die die rot-grüne Regierung
im Rahmen des Familienförderungsgesetzes beschlossen
hat, mehr Kaufkraft in einer Höhe von rund 47 Milli-
arden DM.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Dann müsste die Lage ja eigentlich besser sein!)


Auch die Einführung des Euro im Rahmen des europä-
ischen Binnenmarktes wird zusätzliche Impulse für mehr
wirtschaftliche Aktivitäten freisetzen.

Die Lohnstückkosten haben sich im Rahmen der mo-
deraten Tarifabschlüsse laut Bundesbankbericht leicht
rückläufig entwickelt. Auch die nächsten Tarifrunden
sollten sich, so meinen wir, am Produktivitätsfortschritt
orientieren, um eine stetige wirtschaftliche Entwicklung
gewährleisten zu können.

Die weitere wirtschaftliche Entwicklung auf den Ex-
portmärkten hängt von äußeren Einflussfaktoren ab, die
mit der Terrorismusbekämpfung in unmittelbarem Zu-
sammenhang stehen. Wie gesagt, der Weltmarktpreis für
Öl ist gegenwärtig auf einem niedrigen Niveau, was für
die Devisenbilanz eine stark entlastende Wirkung hat,
aber ebenso auch für die Verbraucher und Verbraucherin-
nen, weil die Preise entsprechend niedrig sind. Wir wis-
sen aber nicht, ob dieses Preissignal morgen noch gilt, da
der Kampf gegen den Terrorismus grundsätzlich auch den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christine Scheel

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Nachschub von Öl für die Weltwirtschaft infrage stellen
kann.

Die Bundesregierung setzt im Kampf gegen den Terro-
rismus vor allen Dingen auf internationale Zusammen-
arbeit gerade auch mit den arabischen Ländern. Sie setzt
sich insbesondere durch unseren Außenminister, Joschka
Fischer, aktiv für eine friedliche Lösung des Palästina-
konfliktes ein. Auch das ist ein Beitrag zu einer möglichst
günstigen Weltkonjunkturentwicklung. Man muss einmal
auch diesen Zusammenhang betrachten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Keinem Land der Erde ist in Zeiten der Globalisierung
der Weltwirtschaft mit einer Rezession gedient. Vielmehr
würden die Mittel für aktive Armutsbekämpfung, wirt-
schaftliche Hilfen, vermehrte humanitäre Aufgaben in
vielen Teilen der Erde mit einer Rezession schwerer fi-
nanzierbar. Aus diesem Grund sollte die Politik alles dafür
tun, dass die Unsicherheit überwunden wird und dass Zu-
versicht greift.

Gegenwärtig ist aber nicht der Zeitpunkt gekommen,
um Konjunkturankurbelungsprogramme aufzulegen bzw.
zu fordern. Mehrere Konjunkturforschungsinstitute rech-
nen für nächstes Jahr bereits wieder mit einer Wiederbe-
lebung des Wirtschaftswachstums. Selbst der Präsident
des DIHK, Herr Ludwig Georg Braun, sieht wie wir keine
Rezessionsgefahr. Er rät – wörtlich –, „sich nicht verrückt
machen zu lassen“. Auch er sieht Konjunkturprogramme
als gefährlich für die Stabilität des Euros an – und das mit
Recht. Diese Einschätzung möchte ich Ihnen mitgeben,
da Sie immer die Forderung aufstellen, locker mehr Geld
auszugeben. Dafür würden Sie sogar eine Neuverschul-
dung in Kauf nehmen. Das werden wir im Hinblick auf
die Wirtschaftspolitik in diesem Land mit Recht nicht tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben, um das in Erinnerung zu rufen, noch immer
einen Schuldenberg von fast 1,5 Billionen DM – das sind
1 500 Milliarden DM –, eine kaum vorstellbare Summe.
Wir müssen jährlich Zinslasten von rund 80 Milli-
arden DM tragen. Deswegen werden wir nichts tun, wo-
durch diese Zinslast weiter steigt. Alle Vorschläge, die vor
allem vonseiten der FDP gekommen sind und auf die die
CDU/CSU jeden Tag aufsattelt, würden dazu führen, dass
die Zinslasten der Bundesrepublik Deutschland weiter
steigen. Diese Politik wollen wir nicht und wir machen sie
nicht mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Im Vergleich
zu den USA haben wir eine andere Situation. Das möchte
ich einmal sagen. Es heißt immer, in den USA werde al-
les wunderbar geregelt, es gebe Entlastungs- und Kon-
junkturprogramme.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Warum? Weil sie die richtige Steuerpolitik gemacht haben, Frau Scheel!)


Die USA haben aber auch Budgetüberschüsse zu ver-
zeichnen und können somit andere Entscheidungen tref-

fen. Sie haben bei weitem keine Steuerentlastungen in der
Höhe vorgenommen wie wir in den letzten Jahren. Des-
wegen ist dieser Vergleich vollkommen falsch. Ich bitte
Sie, ein bisschen mehr Ehrlichkeit walten zu lassen.
Streuen Sie den Bürgern nicht Sand in die Augen und sug-
gerieren Sie nicht, wir hätten Freiraum für alle möglichen
Maßnahmen. Den haben wir nicht. Deswegen nehmen wir
einmalig diese Steuererhöhungen vor, die wir hier be-
schlossen haben. Wir machen dies, weil wir eine ehrliche
Politik wollen. Wir wollen nicht zulasten der nächsten
Generationen weitere Schulden aufnehmen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419300600
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Günter Rexrodt von
der FDP-Fraktion das Wort.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat der denn zu sagen?)



Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1419300700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte zwei Vorbemerkungen
machen. Erstens. Wir reden hier heute über Steuer-
erhöhungen. Dem Bürger wird dadurch in die Tasche ge-
griffen. Und was muss ich feststellen: Nicht ein einziger
Minister hält es für notwendig, bei solch einem Thema auf
der Regierungsbank zu erscheinen. Das ist ein unmögli-
cher Vorgang.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja ungeheuerlich!)


Zweitens. Herr Poß, Sie haben hier ja schon so manche
Posse aufgeführt, aber spätestens heute morgen habe ich
verstanden, warum Herr Clement dabei ist, Sie politisch
des Landes zu verweisen. Das ist leider kein Zugewinn für
die Bundespolitik.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das war ein heftiger Rüffel!)


Sie werden von Herrn Clement gebraucht, Herr Poß. Ge-
hen Sie nach Nordrhein-Westfalen. Wir können gern auf
Sie verzichten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Ein sehr sachlicher Beitrag! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können auch in Berlin auf Sie verzichten!)


Dass jemand derartige Wolken um einen wirtschafts- und
finanzpolitisch verfehlten Schritt macht, habe ich selten
erlebt.

Ich komme zur Sache. Ich möchte keine weiteren Aus-
führungen darauf verwenden, um klarzustellen, dass es
notwendig ist, Maßnahmen gegen den Terror zu verab-
schieden, die die innere und die äußere Sicherheit er-
höhen. Es war immer unsere Partei, die dafür eingetreten
ist, die Bundeswehr besser auszustatten und deren Etat

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christine Scheel

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nicht als Steinbruch zur Sanierung des Haushalts zu be-
nutzen. Wir waren immer diejenigen, die gesagt haben:
Freiheit ist ohne Sicherheit nicht möglich. Frau Scheel,
Sie, die Grünen, waren und sind diejenigen, die sich in
Ihrem Programm von 1998 dafür aussprechen, dass der
Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der
Militärische Abschirmdienst abgeschafft werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch 29 Jahre regiert! Oder habe ich da etwas verpasst? – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Steuer zu tun?)


Diesen Beitrag zur Sicherheit leisten Sie bis zum heutigen
Tag.

Ich habe nichts dagegen, dass Geld bereitgestellt wird,
und das schnell. Ich bin aber strikt dagegen, dass bei ei-
nem Bundeshaushalt von 490 Milliarden DM 3 Milli-
arden DM dadurch aufgebracht werden müssen, dass man
die Steuern erhöht. Das ist ein Armutszeugnis für die Fi-
nanzpolitik. Das ist Ausdruck dessen, dass diese Bundes-
regierung ihre Schularbeiten nicht gemacht hat, insbe-
sondere wenn es darum ging, die Ausgabenseite des
Haushalts zu sanieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: So ist es! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie einen Vorschlag!)


Wir befinden uns in einer wirtschaftlich schwierigen
Situation. Diese Steuererhöhung ist das falsche Signal
zum schlechtesten Zeitpunkt, den man sich nur vorstellen
kann. Diese Steuererhöhung wird hier handstreichartig
präsentiert. Am Morgen des 19. September hält der Bun-
deskanzler eine Regierungserklärung an dieser Stelle und
sagt kein Wort von einer Steuererhöhung. Nachmittags
um zwei erfahren wir über die Ticker, dass eine Steuer-
erhöhung vorgesehen ist. So geht man mit dem deutschen
Parlament nicht um!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Diese Steuer wird in Ihrer Argumentation in ihrer Wir-
kung bagatellisiert und bei Ihrer Begründung wird mani-
puliert, und zwar erstens, indem der Finanzminister so
tut – auch Sie, Frau Scheel, haben eben in Ihrer Begrün-
dung so getan –, als wäre die Alternative zu dieser Steuer-
erhöhung der Schuldenstaat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es uns vorgemacht! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen Ihren Schuldenberg abbauen!)


Es ist doch lächerlich, bei einer Haushaltssumme von
490 Milliarden DM nicht in der Lage sein zu wollen,
2 oder 3 Milliarden DM durch eine pauschale Minder-
ausgabe oder durch Umschichtung aufzubringen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Zu Ihrer Regierungszeit waren 1 Milliarde immer nur Peanuts! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Vorschlag?)


Das wird in ganz anderen Zusammenhängen x-mal getan.
Sie haben die „Gunst der Stunde“ genutzt, um den
Steuerzahler, den Verbraucher, den mittelständischen In-

vestor zusätzlich zur Kasse zu bitten; nichts anderes ist
geschehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Schulden-Rexrodt!)


Dann bringen Sie zweitens diese lächerliche Begrün-
dung, konjunkturell sei die Steuererhöhung ohne Wir-
kung.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ist es auch!)


– Lassen Sie sich Folgendes sagen: Sie sind der größte
Wirtschaftsexperte aller Zeiten, Herr von Larcher; das ist
weltweit bekannt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Mehr als Sie! Sie konnten ja nicht einmal Wirtschaftsminister bleiben!)


Sie sagen, das seien ja nur 3 Milliarden DM, geraucht
werde im Übrigen immer und eine Sachversicherung
müsse es sowieso geben, das Auto müsse versichert wer-
den. Wissen Sie denn nicht: Wer zwangsweise sparen
muss, der gibt weniger aus. Er gibt weniger aus für Mö-
bel und Einrichtungsgegenstände, beim Besuch von
Gaststätten und bei Textil und Bekleidung und er ver-
schiebt auch die Anschaffung eines Autos. Das ist dann
nicht mehr spaßig; von Spaß kann gar keine Rede mehr
sein.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt!)


Gehen Sie in dieser Zeit einmal in ein Warenhaus und
sprechen Sie mit dem Geschäftsführer. Die Warenhäuser
sind leer; es wird nichts mehr gekauft.


(Susanne Kastner [SPD]: Gehen Sie mal ins KaDeWe! Sie sollten mal wieder einkaufen gehen!)


Offensichtlich sind Ihnen nicht einmal die neuesten Zah-
len bekannt.

Die Einzelhandelsumsätze – so ist es heute in der Sta-
tistik ausgewiesen – sind im September um 0,9 Prozent
zurückgegangen. Darin spiegelt sich noch nicht die Reak-
tion auf den 11. September vollständig wider. Sie sind ja
nicht einmal über die Fakten informiert. Dass das bei Ih-
nen zu dieser Reaktion führt, das werden die Menschen,
die Handwerksbetriebe, diejenigen, die im Einzelhandel
Verantwortung tragen, sehr wohl registrieren. Lassen Sie
sich das sagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie machen uns richtig Angst!)


Schauen Sie sich einmal die Bemühungen der Auto-
branche an, die sie unternehmen muss, um in dieser Zeit
in diesem Land überhaupt noch Autos loszuwerden. Dies
alles ist nicht nur, aber auch darauf zurückzuführen, dass
Sie in Ihrer Steuerpolitik und in Ihrer Wirtschaftspolitik
falsche Signale gesetzt haben.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Günter Rexrodt

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Dann kommt am 1. Januar – das ist das kritische Da-
tum – noch einmal eine Erhöhung der Ökosteuer hinzu.


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt sind wir wieder beim Thema, Herr Rexrodt! Darauf habe ich schon gewartet!)


Sie reden groß von Entlastung, aber merken Sie denn
nicht, wie die Menschen draußen denken? Auf der einen
Seite gibt es eine irgendwie angesetzte Entlastung und auf
der anderen Seite wird in mindestens demselben Umfang
durch eine Steuererhöhung wieder zugegriffen, in diesem
Fall sogar durch eine Steuererhöhung, die überhaupt nicht
notwendig war.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Weil das zurückgegeben wird! Sie reden ja Unsinn! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Volksverdummung!)


Es leidet nicht nur der private Konsum, es leidet auch
das Investitionsklima; denn Investitionen und Konsum
hängen immer zusammen. Das lernt man im zweiten Se-
mester, Herr von Larcher. Sie haben es nach so vielen Jah-
ren noch nicht gelernt, weil Sie von Wirtschaft null Ah-
nung haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ihre Wirtschaftspolitik hat wirklich Grenzen! Deshalb durften Sie nicht bleiben!)


In der Wirtschaft hat 50 Prozent dessen, was passiert,
psychologische Gründe. Die Steuererhöhung mag in
Ihren Augen noch so klein sein: Psychologisch gesehen
haben Sie wirtschaftspolitisches Vertrauen verspielt, ha-
ben Sie die Investoren und die Mittelständler erneut vor
den Kopf gestoßen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei hätte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoli-
tik doch Ihr Highlight sein sollen. Sie haben von einer
Senkung der Arbeitslosenzahlen um mindestens 1 Million
gesprochen. Die magische Zahl ist 3,5 Millionen im
Jahresdurchschnitt. Wir werden wahrscheinlich 3,9 Milli-
onen Arbeitslose haben. Wir haben jetzt schon 3,85 Mil-
lionen. Davon sprechen die Institute.

Beim Wirtschaftswachstum sind wir nicht mehr Loko-
motive, sondern wir sind im europäischen Zug im Ge-
päckwagen angelangt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben auch ein etwas anderes Wirtschaftsniveau gehabt als Spanien und Portugal!)


Die Arbeitslosigkeit ist viel, viel höher als im europä-
ischen Durchschnitt und darin sind schon die Länder im
Süden des Kontinents mit traditionell hoher Arbeitslosig-
keit eingerechnet. Deutschland sitzt im Gepäckwagen, ist
Schlusslicht. Nach drei Jahren können Sie nicht mehr mit
dem Schuldenberg, mit der Wiedervereinigung und die-
sen Dingen kommen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind noch nach zwölf Jahren mit dem Schuldenberg gekommen!)


Dies ist Ergebnis einer total verfehlten Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: An Ihrem Schuldenberg arbeiten noch Generationen!)


Die Menschen draußen erkennen das immer mehr, meine
Damen und Herren.

Dann sagt Frau Scheel und sagen andere: Die
Weltwirtschaft ist daran schuld. Frau Scheel, Sie sind
doch meilenweit weg von Ihrer Partei. Sie wissen es ei-
gentlich besser, aber was tragen Sie hier vor? Wenn die
Weltwirtschaft, vielleicht nur die europäische Wirtschaft,
daran Schuld hätte, dann müssten kleine Länder wie Bel-
gien, die Niederlande oder Dänemark, die prozentual sehr
viel stärker in die Weltwirtschaft integriert sind, erheblich
mehr in den konjunkturellen Rückgang involviert sein.
Sie sind es aber nicht. Ihnen geht es besser. Deutschland
ist Schlusslicht in der konjunkturellen Entwicklung und
das kann nur Ergebnis einer verfehlten hausgemachten
Politik sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie das Vertrauen des Mittelstandes, das Ver-
trauen der Bürger – in diesem Fall ohne Not – mit einer
Erhöhung der Steuern enttäuschen, wenn Sie die Men-
schen davon abhalten, Vertrauen in die künftige Entwick-
lung zu haben und wie geplant zu disponieren – durch die
Anschaffung langlebiger Konsumgüter mit Auswirkun-
gen auf den Einzelhandel – dann brauchen Sie sich nicht
zu wundern, dass wir in dieser Position sind.

Die Erhöhung der Tabak- und der Versicherung-
steuer ist ein schwerer wirtschafts- und finanzpolitischer
Fehler. Das ist Ausdruck der Fantasielosigkeit des Fi-
nanzministers,


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


aber auch ein Stück Ausdruck von Arroganz und Selbst-
herrlichkeit der Bundesregierung,


(Detlev von Larcher [SPD]: Mehr Arroganz als Sie kann man gar nicht haben!)


wenn sie die „Gunst der Stunde“ nutzt, um den Steuer-
zahler zur falschen Zeit an der falschen Stelle zur Kasse
zu bitten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Kein konkreter Vorschlag vom Experten! – Gegenruf der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulden, Schulden, Schulden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419300800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Christa Luft von
der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1419300900
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Es ist in der PDS-Bundestags-
fraktion unstrittig, dass zur wirksamen Bekämpfung des

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Dr. Günter Rexrodt

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internationalen Terrorismus und zur Erhöhung der öffent-
lichen Sicherheit notwendige Mittel aufgebracht werden
müssen.


(Beifall bei der PDS)


Das Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung darf man
weder ignorieren noch bagatellisieren; man muss es ernst
nehmen. Das steht für uns fest. Dabei werden wir uns si-
cherlich noch darüber zu streiten haben, was auf diesem
Gebiet notwendig sein wird.

Eine Erhöhung der Neuverschuldung für diesen
Zweck lehnen wir allerdings ab.


(Beifall bei der PDS)


Es war schon erstaunlich, aus Unionskreisen vor Tagen zu
hören, dass man sich dort die Finanzierung der Terroris-
musbekämpfung durch Aufnahme neuer Schulden durch-
aus vorstellen konnte. Jedenfalls habe ich in der „Welt“
Ausführungen des Kollegen Merz so gelesen. Vom Kolle-
gen Austermann war Entsprechendes zu lesen und auch
der hessische Ministerpräsident Koch hat sich in dieser
Weise geäußert.


(Detlev von Larcher [SPD]: Die hatten ja Übung darin!)


Eine höhere Neuverschuldung war für Unionspolitike-
rinnen und -politiker in den vergangenen drei Jahren stets
ein Sündenfall. Man sehe, wie schnell auch in der CDU in
dieser Frage jähe Wendungen möglich sind!

Ich will noch einmal sagen: Wir als PDS haben die
Neuverschuldung nie zu einem Tabu erklärt, wenngleich
wir uns Schuldensenkung auch sehr wünschen. Aber
wenn über Neuverschuldung geredet wird, dann wollen
wir, dass daraus wachstumsfördernde, Beschäftigung
schaffende und wieder Steuereinnahmen generierende
Maßnahmen finanziert werden. Für das, worüber wir jetzt
reden, brauchen wir andere Quellen.


(Beifall bei der PDS)


Ausdrücklich lehnen wir auch das Ansinnen von Union
und FDP, eben nochmals von der Kollegin Hasselfeldt
und vom Kollegen Rexrodt vorgetragen, ab, die Mittel für
ein Sicherheitspaket durch Umschichtungen im Haushalt
aufzubringen, jedenfalls wenn damit ein Aderlass für Ar-
beit und Soziales gemeint ist – und das ist ja wohl ge-
meint, wie man den entsprechenden Äußerungen entneh-
men kann. Ich sage Ihnen: Wer arbeitslos oder in einem
prekären Beschäftigungsverhältnis ist, der lebt alltäglich
sozial unsicher. Ihn darf man durch öffentliches Speku-
lieren über weitere Reduzierungen der Mittel für Arbeits-
förderung und soziale Leistungen nicht noch mehr verun-
sichern.


(Beifall bei der PDS)


Diese Bürgerinnen und Bürger, Herr Kollege Rexrodt,
die sich in einer solchen Situation befinden, kaufen oh-
nehin keine Autos und keine teuren Schrankwände. Wenn
das verwirklicht wird, was Sie vorhaben, müssen diese
Menschen fürchten, für den täglichen Bedarf immer we-
niger Geld zu haben. Hinzu kommen noch die Preis-
erhöhungen, die sich durch die Euroumstellung schon
jetzt in jedem Laden täglich erleben lassen.

Die Bundesregierung hat für meine Begriffe zunächst
wie eine Art Hausnummer die Zahl von 3 Milliarden DM
genannt, die für ein Sicherheitspaket notwendig seien.
Bislang kennen wir die Struktur, wie also das Geld aus-
gegeben werden soll, noch nicht im Einzelnen. Insofern
muss man diesen 3 Milliarden DM nicht unbedingt eu-
phorisch zustimmen.

Die Bundesregierung hat willkürlich zwei Steuerarten
herangezogen, die sie für diesen Zweck erhöhen will,
nämlich die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer.
Wir haben gegen dieses Vorhaben prinzipielle Einwände.
Sicherheit brauchen alle, aber nicht alle rauchen. Wir wol-
len überhaupt keinen Schutzzaun um Raucherinnen und
Raucher ziehen, aber man darf doch wohl daran erinnern,
dass die Tabaksteuer schon heute fast so viel aufbringt
wie die veranlagte Einkommensteuer und die Körper-
schaftsteuer zusammengenommen. Das lässt aufhorchen.
Wenn man diese Steuer weiter erhöhen will, würden wir
dazu nur dann Ja sagen, wenn die zusätzlichen Einnahmen
für die Gesundheitsvorsorge aufgewendet würden, aber
nicht für den Zweck, der jetzt in Rede steht.


(Beifall bei der PDS)


Bei der Versicherungsteuer ist schon heute auf dem Ge-
biet der Sachversicherungen die Lage in den Haushalten
und in den Unternehmen außerordentlich differenziert. Es
gibt viele Fälle von Unterversicherung. Ich sage Ihnen:
Die Zahl dieser Fälle wird angesichts der Verteuerung der
Versicherungen weiter zunehmen. Dabei müsste eigent-
lich die Möglichkeit, sich sachgerecht zu versichern, ge-
rade in unsicheren weltpolitischen Zeiten durch die Bun-
desregierung gestärkt statt geschwächt werden. Diese
Gefahr der Unterversicherung wird für das Gemeinwesen
teuer werden, wenn für diese Fälle der Ausgleich ansteht.

Da sich die vorgesehenen Steuererhöhungen, wie wir
aus dem vorgelegten Tableau ersehen, ab 2003 auf eine
Summe belaufen werden, die das anvisierte Ziel von
3 Milliarden DM weit überschreiten wird, fragt man sich,
ob dann vorgesehen ist, das Sicherheitspaket aufzu-
stocken oder wofür sonst die überschüssigen Einnahmen
verwendet werden sollen. Der Finanzminister schweigt
dazu. Offensichtlich will er die zusätzlichen Milliarden
als Manövriermasse in seinem Haushalt zur freien Verfü-
gung haben.

Hier beginnt die ganze Angelegenheit noch anrüchiger
zu werden. Angesichts der anhaltenden Massenarbeitslo-
sigkeit – wir nähern uns leider fast wöchentlich der Zahl
von vier Millionen Arbeitslosen – wächst die Belastung
des Haushalts. Um eine höhere Neuverschuldung zu ver-
meiden, werden unter der Hand Steuererhöhungen durch-
geführt. Dadurch wird die missliche finanzielle Lage der
Regierung kaschiert.


(Detlev von Larcher [SPD]: Wieso „unter der Hand“?)


Das eherne Versprechen von Rot-Grün, nach der Öko-
steueranhebung keine weiteren Steuererhöhungen vorzu-
nehmen, ist gebrochen worden; das muss deutlich ausge-
sprochen werden.


(Beifall bei der PDS)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Christa Luft

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Wir wollen zur Terrorismusbekämpfung nicht neuen
Steuererhöhungen das Wort reden. Aber wir halten es in
Anbetracht der neuen Herausforderungen für dringend
geboten, auf bereits beschlossene, jedoch noch nicht in
Kraft getretene Steuererleichterungen zu verzichten.
Das betrifft konkret die Steuerfreistellung für Veräu-
ßerungsgewinne von Kapitalgesellschaften, die ab Ja-
nuar 2002 gelten soll. Sie wissen, dass es dagegen von An-
fang an große Einwände gab. Im Bundesrat wird bis zur
Stunde dagegen Widerstand geleistet.

Ich habe sehr große Sympathie für einen Satz, den
der Außenminister in der gestrigen Debatte gesagt hat:
Wir müssen angesichts der neuen sicherheitspolitischen
Herausforderungen über bisherige Vorstellungen vom
Niedrigsteuerstaat neu diskutieren. Das ist für meine Be-
griffe nicht nur ein Appell an Verbraucherinnen und Ver-
braucher, sondern auch an Unternehmerinnen und Unter-
nehmer, über diesen Satz nachzudenken.


(Beifall bei der PDS)


Angebracht wäre in diesem Zusammenhang auch der
Verzicht auf die geplante weitere Senkung des Spitzen-
steuersatzes bei der Einkommensteuer ab dem Jahre 2003.
Wenn diese Senkung des Spitzensteuersatzes vollzogen
wird, wird es immer unverständlicher, wie Sie von Rot-
Grün erklären wollen, dass Sie sich nicht mit den Bun-
desländern über die Wiedererhebung der Vermögensteuer
verständigen können. Auch die Bundesländer brauchen
mehr Geld für die Verbesserung der Sicherheit. Wir glau-
ben, dieses Thema gehört endlich wieder auf die Tages-
ordnung.

Danke.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419301000
Als
nächster Redner hat der Kollege Detlev von Larcher von
der SPD-Fraktion das Wort.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Darf der auch mal wieder reden? – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Er ist ja ein großer Experte!)



Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1419301100
Hoffentlich schmeckt Ih-
nen der Kaffee. Ich wünsche Ihnen das jedenfalls.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Hauser hat in seiner Rede in der Bundestagsdebatte zum
Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz am 25. September
dieses Jahres gesagt: „Wir unterstützen sinnvolle
Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen.“
Dann kam lange nichts außer Kritik an unserem Gesetz-
entwurf. Und dann habe ich gefragt, was er an Positivem
unterstützen wolle. Auch da kam nichts.

Heute geht das wieder so. CDU/CSU und FDP be-
schwören die Einigkeit bei der Bekämpfung des Terroris-
mus mit großen Worten. Gestern haben Sie unserem In-
nenminister Otto Schily bestätigt, seine Vorschläge seien
gut. Nur, mit der Finanzierung der Kosten dieses wahr-
scheinlich jahrelangen Kampfes gegen den Terrorismus
– für die Maßnahmen zur Verbesserung der äußeren und
inneren Sicherheit, für die weltweiten Maßnahmen zur

Bekämpfung von Armut, Hunger, Elend und Ungerech-
tigkeit – wollen Sie nichts zu tun haben. Das ist wirklich
scheinheilig. Sie sagen, die Mehrkosten seien aus dem
laufenden Haushalt zu finanzieren.

Gleichzeitig verlangen Sie ein Vorziehen der nächsten
Stufe der Steuerreform, eine Steigerung der investiven
Ausgaben des Bundes und viele andere Dinge, die heute
schon genannt worden sind. Ihre zusätzlichen Forderun-
gen zum Haushalt 2002 – völlig ohne Finanzierungsvor-
schläge – betragen 36,5 Milliarden DM. Darin sind Ihre
Forderungen zur Familienförderung noch gar nicht ent-
halten.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da fehlt noch einiges! Genau!)


Das ist ein derart deutliches parteitaktisches Verhalten,
dass Sie damit niemanden, weder im Parlament noch bei
den Bürgerinnen und Bürgern, überzeugen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie machen Sprüche, aber es steht nichts dahinter. Das ist
ein konzeptionsloses Neinsagen.

Die Maßnahmen, die jetzt erforderlich sind, kosten
Geld, und zwar viel Geld. Für uns sind 1 Milliarde DM
keine Peanuts wie anscheinend für Herrn Rexrodt. Wenn
wir das Konzept so breit anlegen, wie es notwendig ist,
wenn wir unsere Anstrengungen zur Armutsbekämpfung
und zur Beseitigung von Ungerechtigkeit und Benachtei-
ligungen auf der Welt – mit den wohlhabenden Staaten zu-
sammen – wirksam und effektiv verstärken müssen und
wollen, dann kostet das wahrscheinlich noch mehr Geld
als die Summe, über die wir heute sprechen.

Gerade dieser rot-grünen Steuersenkungskoalition fällt
es besonders schwer, in einem kleinen Bereich, nämlich
bei Tabak und den Sachversicherungen, Verbrauchsteu-
ern – ich sage: leicht – zu erhöhen. Wir müssen der Be-
völkerung aber klar sagen: Angesichts der seit dem
11. September neuen ungeahnten Bedrohungen ist Si-
cherheit nicht kostenlos zu haben. Deswegen müssen wir
diese Operation machen. Wir wollen die Steuern auf Ziga-
retten um 2 Cent und auf den Feinschnitt um den gleichen
prozentualen Anteil erhöhen. Außerdem wollen wir die
Versicherungsteuer für Sachversicherungen – also nicht
für Lebensversicherungen – um einen Prozentpunkt von
15 Prozent auf 16 Prozent erhöhen.

Dies ist notwendig, weil die Maßnahmen zur Verbes-
serung der inneren und äußeren Sicherheit, die wir jetzt
ergreifen müssen, anders nicht zu finanzieren sind. Dies
muss allen verständigen Menschen angesichts der Haus-
haltslagen von Bund, Ländern und Gemeinden deutlich
sein. Wer sagt, es ginge anders, versucht, den Menschen
etwas vorzumachen.

Gleichzeitig muss gesagt werden, dass die geplanten
Erhöhungen maßvoll und für die Menschen zumutbar
sind, nachdem sich ihr Nettoeinkommen durch unsere
Steuerreform und unsere Familienförderung so deut-
lich verbessert hat und bis zum Jahre 2005 noch weiter
verbessern wird.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Christa Luft

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Ich rufe in Erinnerung: Am Ende der Regierungszeit
Kohl lag der Grundfreibetrag bei 12 365 DM. 2005 wird
er 14 989 DM betragen. Der Eingangssteuersatz lag am
Ende Ihrer Regierungszeit bei 25,9 Prozent. 2005 wird er
15 Prozent betragen. Der Spitzensteuersatz betrug bei Ih-
nen zuletzt 53 Prozent. 2005 wird er 42 Prozent betragen.
Das Kindergeld lag bei Ihnen zuletzt bei 220 DM; bei uns
wird es auf 300 DM erhöht. Das alles ist schon Gesetz.
Eine vierköpfige Familie zahlt im Jahr 2005 gut 4 000 DM
weniger an Steuern als 1998.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Rexrodt, ein verheirateter mittelständischer Un-
ternehmer mit einem Jahresgewinn von 150 000 DM zahlt
im Jahr 2005 gut 10 000 DM weniger an Steuern als 1998.
Bürger und Unternehmen werden um insgesamt mehr als
100 Milliarden DM entlastet. Dabei profitieren private
Haushalte, Familien und mittelständische Unternehmen
am meisten von dieser Steuerentlastung. Dazu kommt die
kräftige Erhöhung des BAföG und die Anhebung der
Einkommensgrenzen dafür. Das ist die bisherige Bilanz
rot-grüner Steuer- und Familienpolitik. Die kann sich
wahrhaftig sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Erhöhung der Tabak- und Versicherungsteuer, wie
wir sie vorhaben, ist im Übrigen so konzipiert, dass es
keine schädlichen Auswirkungen auf die Konjunktur gibt,
Herr Rexrodt. Das wäre bei einer Erhöhung anderer Ver-
brauchsteuern, beispielsweise bei der Mehrwertsteuer, die
Sie erhöht haben, oder gar bei der Einkommensteuer, ganz
anders. Was die Tabaksteuer anbelangt, liegen wir im un-
teren Bereich der inzwischen in Kraft getretenen EU-
Richtlinie. Es gibt Länder, in denen Zigaretten sehr viel
teurer sind; denken Sie zum Beispiel an Großbritannien.


(Heidemarie Ehlert [PDS]: Es gibt auch Länder, in denen die billiger sind!)


Im Übrigen möchte ich Sie von der 1998 abgewählten
Regierungskoalition daran erinnern, dass Sie die Versiche-
rungsteuer in Ihrer Regierungszeit viermal erhöht haben:
von 5 Prozent auf 15 Prozent. Die Erhöhung der Ta-
baksteuer, die Sie vorgenommen haben, betrug 0,8 Pfen-
nig pro Zigarette. Was sollen also die heutigen Krokodils-
tränen? Ihre Kritik nimmt Ihnen niemand ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Selbstverständlich haben wir mit der Tabak- und Ziga-
rettenindustrie, mit der Versicherungswirtschaft und den
zuständigen Gewerkschaften gesprochen, bevor wir unse-
ren Gesetzentwurf heute eingebracht haben.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die kannten den noch nicht einmal! Die wussten nichts davon!)


Natürlich sind diese Gesprächspartner von unserem Vor-
haben nicht begeistert. Uns begeistert die Notwendigkeit
dieses Vorhabens ja selbst nicht. Aber unsere Gesprächs-
partner haben uns gesagt, dass sie das Vorhaben ange-
sichts der heutigen Situation tolerieren können. Sie haben

uns ihrerseits Vorschläge für die Ausgestaltung des Ge-
setzentwurfs gemacht.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was bleibt ihnen anderes übrig?)


Sie haben uns beispielsweise gebeten, Zigarren von der
Steuererhöhung auszunehmen, weil die einheimischen
Zigarren- und Zigarillohersteller sonst vor die Existenz-
frage gestellt würden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Weil der Kanzler so gern Zigarren raucht!)


– Darauf habe ich gewartet. Genau diese Bemerkung, die
aus den Reihen der CSU kam und die sich jetzt die FDP
zu Eigen macht, ist unsinnig und geht an der Sache völlig
vorbei. Außerdem ist diese Bemerkung lächerlich.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Hier raucht keiner Zigarren!)


– Hören Sie zu! Sie haben offenbar keine Ahnung.
Unsere einheimischen Zigarrenhersteller verlangen in

ihrem Marktsegment einen Preis von 30 Pfennig bis
1,10 DM. Um die geht es.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Und der Kanzler raucht für 70 DM!)


– Nur kein Neid, Herr Rexrodt. – Wir denken nun darüber
nach, ob wir einen Weg finden, die Besteuerung der Zi-
garren so zu gestalten, dass sie unseren Zigarrenherstel-
lern nicht schadet. Das gilt auch für Pfeifentabak. Wir
denken auch darüber nach, ob wir die Erhöhung der Ta-
baksteuer möglicherweise in zwei Stufen vornehmen, um
so die technischen Probleme bei der Umstellung der Zi-
garetten- und Automatenindustrie zu erleichtern.

Wir wollen über diese Probleme in der Sitzung des Fi-
nanzausschusses in der kommenden Woche in einem
kleinen Expertengespräch noch einmal diskutieren und
uns dann entscheiden, und zwar schnell, weil Eile gebo-
ten ist. Denn die Betroffenen haben ein Anrecht darauf,
schnell zu erfahren, was ganz konkret auf sie zukommt,
damit sie die notwendigen Umstellungen zum 1. Januar
2002 noch einigermaßen rechtzeitig vornehmen können.

Ich sage es noch einmal: Wir erhöhen die Steuern auf
Tabak und Versicherungen nicht gerne. Aber wir müssen
uns der Notwendigkeit beugen, die Maßnahmen zu finan-
zieren, die jetzt unerwartet auf uns zugekommen sind, die
aber unabdingbar für die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger und für den erfolgreichen Kampf gegen den
Terrorismus geworden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Das war eine Bürokratenrede!)


– Ich bin ja auch nicht im Wahlkampf wie Sie, Herr
Rexrodt.


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Rexrodt hat eine Wahlkampfrede gehalten!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1419301200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU-
Fraktion.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Detlev von Larcher

18868


(C)



(D)



(A)



(B)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1419301300
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu-
erst eine Vorbemerkung machen. Mir ist aufgefallen, dass
heute, wo wir über Steuererhöhungen reden, auf der Re-
gierungsbank und in den Reihen der Koalition große
Lücken klaffen. Offensichtlich will sich mit diesem
Thema niemand identifizieren. Offensichtlich mag der
Herr Bundeskanzler keine Fernsehbilder von Sitzungen
sehen, in denen es um Steuererhöhungen geht. Das gibt
mir schon zu denken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Herr Kollege Poß ist heute Morgen als Speerspitze vor-
geschickt worden, um die jetzt anstehenden Steuererhö-
hungen zu begründen. Dazu kann ich nur sagen – das kann
ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kollege –: Nach Ihrer Rede
weiß ich, warum Sie in Ihrem eigenen SPD-Landesver-
band als Bezirksvorsitzender abgemeiert wurden und
auch auf der Regierungsbank keinen Platz gefunden ha-
ben. Mir wird jetzt einiges klar.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie gerne! – Susanne Kastner [SPD]: Was erzählen Sie denn da für Ungereimtheiten! – Joachim Poß [SPD]: Ich bin noch nie abgemeiert worden!)


Sie haben nur in einem Punkt Recht behalten, als Sie
gesagt haben: Wir halten Kurs. In der Tat treffen wir in der
heutigen Diskussion auf ein durchgängiges Gestaltungs-
merkmal rot-grüner Regierungspolitik, das sich mit
Aktionismus und Arroganz beschreiben lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn in Ihrem Gesetzentwurf heißt es unter Punkt B – Lö-
sung – ganz lapidar:

Durch die Erhöhung der Tabaksteuer und der
Versicherungsteuer werden die notwendigen Ein-
nahmen zur Erhöhung der inneren und äußeren Si-
cherheit zur Verfügung gestellt.

Welche Auswirkungen dies auf die Konjunktur in
Deutschland haben wird, welche psychologischen Folgen
dies für die Wirtschaft und die Verbraucher haben wird
und wie die betroffenen Branchen mit den Steuererhö-
hungen umzugehen haben werden, hat Sie nicht interes-
siert. Das nenne ich arrogant.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie hören nicht zu!)


– Wir haben mit den Vertretern der von den Steuererhö-
hungen betroffenen Branchen gesprochen.

Während wir alle die besonnenen Reaktionen der Ame-
rikaner auf den 11. September loben und insbesondere aus
den Reihen der Grünen und der SPD-Linken die Befürch-
tung zu hören war, Präsident Bush könnte „aus der Hüfte
schießen“, handelt Rot-Grün genauso. Sie schießen fi-
nanzpolitisch aus der Hüfte.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was der miteinander vergleicht, das ist ja unglaublich!)


Der Finanzminister glaubt, mit diesem finanzpolitischen
Schnellschuss Haushaltslöcher stopfen zu können, ohne
dass die Menschen draußen im Land das in diesen aufge-
regten Tagen merken. Das nenne ich schäbig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Kollegin Gerda Hasselfeldt hat schon darge-
stellt, wie unfair und unseriös der Herr Bundesfinanzmi-
nister mit dem Thema Steuererhöhung umgegangen ist.
Innerhalb von 24 Stunden hat er sich fundamental
widersprochen. Auch der Herr Bundeskanzler meinte,
dieses Thema in seiner gestrigen Rede ausklammern zu
können. Auch dieses Vorgehen hat wenig Stil. Das muss
man deutlich zur Sprache bringen.


(Susanne Kastner [SPD]: Von Stil verstehen Sie eine ganze Menge!)


– Ich denke schon.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ja, ja!)


– Wie nennen Sie denn ein solches Vorgehen, wenn man
sich während der Beratungen über die Steuern zuerst für
die eigentlich richtige Aussage, man müsse Umschich-
tungen vornehmen, feiern und sich dann 24 Stunden spä-
ter im Kabinett Steuererhöhungen absegnen lässt? Nen-
nen Sie das tricksen, die Unwahrheit sagen oder lügen?
Ich nenne das schäbig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man sollte an dieser Stelle darüber nachdenken, was es
eigentlich ist, das unseren Bundesfinanzminister dazu
treibt, sich so zu verhalten. Wie groß sind eigentlich die
Brocken, die er stemmen muss? Sie lassen sich gerade
einmal auf 3 Milliarden DM beziffern. Das sind
0,618 Prozent des Bundeshaushalts, der ein Volumen
von rund 485 Milliarden DM hat. Ein ehemaliger Ban-
ker der Deutschen Bank würde Peanuts dazu sagen. Das
möchte ich nicht tun. Wer aber angesichts dieser Tatsa-
chen glaubt, trotz interner Umschichtungen könnten die
geplanten Maßnahmen nicht mit Haushaltsmitteln fi-
nanziert werden und müssten Steuern erhöht werden,
der hat jeden politischen Gestaltungsanspruch aufge-
geben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt hören wir konkrete Vorschläge!)


Im Grunde genommen ist der vorliegende Gesetzentwurf
eine Bankrotterklärung der Finanzpolitik dieser Bundes-
regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Nein, konkrete Vorschläge!)


– Herr Larcher, eines muss ich Ihnen noch sagen: Wir wis-
sen aufgrund der in den letzten Tagen veröffentlichten Ar-
beitsmarktdaten – selbst Herr Riester gibt es zu –, dass die
Zahl der Arbeitslosen auf über 4 Millionen ansteigen
wird. Sie wissen genau, dass Sie die Bundeszuschüsse an
die Bundesanstalt für Arbeit um fast 3 Milliarden DM er-
höhen müssen. Wäre Ihre Argumentation logisch und
stringent, müssten Sie auch dafür Steuern erhöhen. Aber

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001 18869


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(A)



(B)


das kann man offensichtlich durch Umschichtungen fi-
nanzieren. Also, seien Sie einmal ehrlich und sagen Sie
den Leuten, um was es geht!


(Detlev von Larcher [SPD]: Nun machen Sie mal konkrete Vorschläge! – Gegenruf des Abg. Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Muss er doch gar nicht! – Detlev von Larcher [SPD]: Er kann fordern und fordern und fordern!)


Im Grunde genommen ist es auch falsch, diese Steuer-
erhöhungen isoliert zu betrachten. Isoliert betrachtet sind
es nur 1 Prozentpunkt mehr Versicherungsteuer und
4 Pfennige mehr pro Zigarette, aber die eigentliche Bot-
schaft, die damit einhergeht, lautet ganz anders: Unser
Sparhansel Eichel ist nicht länger der Sparminister, der er
ohnehin nie war; er ist jetzt Steuererhöhungsminister.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Darin wird er sogar noch von Außenminister Fischer
unterstützt.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Wer ist denn das eigentlich? – Detlev von Larcher [SPD]: Wirklich peinlich!)


Wir haben gestern seine Rede hier gehört. Darin stellte
Herr Fischer die Frage, ob wir es uns denn angesichts der
anstehenden Herausforderungen leisten können, weiter-
hin ein Niedrigsteuerland zu sein. Herr Fischer, erstens
sind wir kein Niedrigsteuerland und zweitens lässt diese
Aussage ahnen, wohin die Reise gehen soll.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Wenn diesem Finanzminister schon bei 3 Milliar-
den DM nichts anderes einfällt, als die Steuern zu er-
höhen, ist die Frage: Wie wird das erst sein, wenn die He-
rausforderungen größer werden?


(Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt konkrete Vorschläge!)


Der Golfkrieg hat unter dem Strich 17 Milliarden DM
gekostet.


(Joachim Poß [SPD]: 27 Milliarden DM laut Finanzbericht 1997!)


Die aktuelle Krise ist, meine ich, wesentlich gravierender.

Nebenbei bemerkt: Im kommenden Jahr steht Ihnen
ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Renten-
besteuerung ins Haus – mit einem geschätzten Steueraus-
fall von roundabout 50 Milliarden DM. Ich bin gespannt,
was Ihnen dann einfällt.

Sie haben es mit Umschichtungen, mit Sparen noch
nicht einmal versucht. Wie aus dem Finanzministerium zu
hören ist, lagen die Pläne schon seit Monaten in den
Schubladen. Sie haben sich bewusst eine Steuer ausge-
sucht, zu deren Erhöhung Sie keine Zustimmung des Bun-
desrats brauchen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja so fies von uns!)


Es ist zynisch, meine ich, in dieser Situation diese Pläne
aus der Schublade zu ziehen und der staunenden Öffent-
lichkeit zu präsentieren.

Dass Sie die Steuermehreinnahmen nur zur Terror-
bekämpfung verwenden wollen, glaubt Ihnen ohnehin
niemand mehr; da können Sie tricksen und schönrechnen,
wie Sie wollen. Selbst wenn der Zigarettenkonsum von
derzeit 140 Milliarden Stück auf 120 Milliarden Stück
zurückgehen sollte, fließen zusammen mit der zusätzli-
chen Mehrwertsteuer und der erhöhten Versicherung-
steuer deutlich mehr als 6 Milliarden DM in die Kassen
des Bundes.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Sie haben doch gerade gesagt, dass es teurer wird!)


Die überschüssigen Milliarden werden Sie verwenden,
um Ihre Haushaltslöcher zu stopfen, die sich aus der lah-
menden Konjunktur, aus der wieder steigenden Arbeitslo-
sigkeit und aus Ihrer unseriösen Wirtschafts- und Finanz-
politik ergeben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Darauf kommen Sie nur, weil Sie es 1991 so gemacht haben!)


– Von wegen!


(Detlev von Larcher [SPD]: Ja! Nicht „von wegen“!)


Die Botschaft, die Herr Eichel aussendet, lautet klipp
und klar: Weitere Steuererhöhungen drohen. Was sagen
die Experten aus der Regierungskoalition dazu? Herr
Metzger meinte, wir müssten wieder Wachstumsmotor in
Europa werden, aber nicht mit Steuererhöhungen. Da hat
er Recht. Aber dann knickt er in typischer Manier wieder
ein und bezeichnet das als lässliche Sünde, als Ausnahme.
Frau Scheel, können Sie uns garantieren, dass das eine
Ausnahme bleibt? Sind die Grünen so stark? Wir alle wis-
sen es: Sie sind es nicht.

Der Kollege Poß von der SPD ist da schon etwas ehr-
licher. In einem Schreiben an seine Fraktion behauptet er,
dass die negativen konjunkturellen Effekte begrenzt und
die Auswirkungen auf das Preisniveau überschaubar sind.
Darin hat er Recht. Diese Steuererhöhungen haben nega-
tive konjunkturelle Effekte. Sie sind in der derzeitigen Si-
tuation grundfalsch und werden die Krise verstärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Statistische Bundesamt geht von einer um fast
0,5 Prozentpunkte höheren Inflationsrate aus. Das hängt
auch mit der Ökosteuererhöhung zusammen, die zum
1. Januar kommt. Sie entziehen den Bürgern 10 Milliar-
den DM Kaufkraft. Das wird sich auswirken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Betroffen sind nicht nur die Raucher, die unter Ihrer
Steuererhöhung leiden; betroffen ist auch die Branche der
Versicherungswirtschaft, ist die Tabakindustrie, ist der
Einzelhandel. Diese werden durch Ihren Schnellschuss
vor große Probleme gestellt. Mit der Erhöhung der Versi-
cherungsteuer bestrafen Sie genau die Menschen, die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Norbert Barthle

18870


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(A)



(B)


verantwortungsvoll handeln, die, indem sie Versicherun-
gen abschließen, vorsorgen anstatt zu konsumieren. Dabei
haben wieder einmal die Autofahrer über die Kfz-Steuer
die Hauptlast zu tragen.

Auch die deutsche Wirtschaft wird erneut belastet. Die
Versicherungsteuer ist anders als zum Beispiel die Mehr-
wertsteuer nicht vorsteuerabzugsfähig. Damit werden die
Produkte unmittelbar verteuert, die Mehrkosten unmittel-
bar an die Kunden weitergegeben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht!)


Das schadet nicht nur den Unternehmen in Deutschland,
sondern das vergrößert auch die schon bestehenden Stand-
ortnachteile weiter.

Die Steuer ist in kaum einem anderen Land so hoch wie
in Deutschland. In der EU sind wir, was die Höhe der Ver-
sicherungsteuer angeht, einsame Spitze.


(Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen haben wir sie ja entscheidend gesenkt, was Sie nicht fertig gebracht haben!)


Mein Kollege Peter Rauen hat, Herr von Larcher, allein
für seinen Betrieb in der Baubranche Mehrkosten von
über 2 200 DM errechnet.


(Joachim Poß [SPD]: Der konnte noch nie rechnen!)


Jede weitere Steigerung würde die schon bestehende Ge-
fahr erhöhen. Es wird Ausweichstrategien geben und es
wird sicherlich zu einer Neubewertung der Risiken kom-
men. Das kann doch nicht Ihr Ziel sein, meine Damen und
Herren von der Koalition. Überlegen Sie also in Ruhe und
stoppen Sie diesen unproduktiven, schädlichen Schnell-
schuss!


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besonnen!)


Für die Tabakindustrie und für den Einzelhandel gilt
Gleiches. Auch dort haben Sie nicht an die Folgen ge-
dacht. Für Sie ist es eine Kleinigkeit, die Tabaksteuer um
30 Prozent zu erhöhen. Nach Aussage eines Betroffenen
ist das die höchste Steuererhöhung, seit Christoph
Kolumbus dieses Kraut nach Europa gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


An dem Ganzen hängt ein Rattenschwanz von Proble-
men. Eines der Hauptprobleme besteht für die Tabakwa-
rengroßhändler und für die Automatenaufsteller. Seit die-
sem Frühjahr werden 830 000 Automaten in Deutschland
auf die Annahme von Euromünzen umgerüstet.


(Detlev von Larcher [SPD]: Darüber habe ich ja gesprochen!)


– Eben. – Schon diese Umstellung war eine enorme logis-
tische Leistung. Die jetzige Erhöhung auf 3,50 Euro ver-
teuert nicht nur die Schachtel Zigaretten um knapp 1 DM,
sondern sie stellt auch die Automatenhersteller vor unlös-
bare Probleme. Ein Großteil der Automaten wird von klei-
nen und mittleren Familienunternehmen betrieben. Ein
Tabakwarenhändler aus meinem Wahlkreis hat mir ge-

sagt, dass er 90 Prozent seines Gewinns darüber erwirt-
schaftet. Er sieht sich vor existenzielle Probleme gestellt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Herr Larcher macht den Mittelstand kaputt!)


Mit dieser Verteuerung treffen Sie auch die Tabakwirt-
schaft. Die von Herrn Eichel eingerechnete Reduzierung
von 20 Milliarden Zigaretten pro Jahr entspricht in etwa
der Dimension der Jahresproduktion eines Werkes. Eines
wird geschlossen werden, vielleicht in Berlin, vielleicht in
Brandenburg oder vielleicht in Baden-Württemberg. Da-
ran hängen Arbeitsplätze. Sie haben offensichtlich auch
vergessen, dass es in Baden-Württemberg und in anderen
Bundesländern Tabakbauern gibt. Allein in meiner Hei-
mat sind 1 900 Arbeitsplätze gefährdet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach dieser Logik müssten wir die Steuern senken, damit mehr geraucht wird!)


Lassen Sie mich zum Abschluss anmerken: Wenn Sie
schon meinen, die Mehrkosten durch Steuererhöhungen
erwirtschaften zu müssen, dann frage ich Sie, weshalb Sie
die Lasten nur von einer Gruppierung tragen lassen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Also was soll gemacht werden?)


Wenn es um die Stärkung der inneren Sicherheit geht,
dann ist das doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Es wäre doch fairer, ehrlicher und gerechter, wenn zu die-
ser Finanzierung die gesamte Bevölkerung und nicht nur
eine einzige Gruppe herangezogen würde. Das ist nicht
korrekt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Also die Mehrwertsteuer erhöhen! Und die ist konjunkturell nicht wirksam?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419301400
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1419301500
Offensichtlich ist das
Ihre Strategie. Vielleicht sollten Sie auf den Zigaretten-
schachteln künftig aufdrucken lassen: Rauchen gefährdet
Ihre Gesundheit, doch mit jeder Zigarette unterstützen Sie
Ihre innere Sicherheit. – Das ist, wie Herr Westerwelle ge-
sagt hat, gaga.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419301600
Für die
Bundesregierung spricht jetzt die Parlamentarische
Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419301700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir waren uns in diesem Hause frakti-
onsübergreifend einig, dass wir national und international
Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen
müssen. Offenbar hört eine Seite dieses Hauses auf,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Norbert Barthle

18871


(C)



(D)



(A)



(B)


Verantwortung für dieses Land zu übernehmen, wenn es
ein bisschen unangenehm wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind bereit, auch für die etwas unangenehmeren
Seiten Verantwortung zu tragen. Das gehört dazu, weil wir
an der Regierung sind. Sie von der rechten Seite dieses
Hauses mögen aber bitte nicht behaupten, dass Sie in der
Lage sind, regierungsfähig zu sein. Sie sind es nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Regierungsfähigkeit gehört die Übernahme der ge-
samten Verantwortung. Dazu gehört auch, den Bürgerin-
nen und Bürgern zu sagen, dass die Erhöhung der inneren
und äußeren Sicherheit durch öffentliche Schutzmaßnah-
men hergestellt werden muss.


(Susanne Kastner [SPD]: Wo ist eigentlich der Rexrodt?)


Infolgedessen müssen öffentliche Gelder bereitgestellt
werden.

Öffentliche Gelder können – das ist schon der Defini-
tion nach so – keine privaten Gelder sein. Wir haben also
logischerweise einen höheren Finanzbedarf. Wir bitten
die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Gesetzentwurf
– wir haben ihn nicht heimlich oder versteckt auf den Weg
gebracht, wie es uns gerade vorgeworfen worden ist – da-
rum, einen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit
zu leisten, die ihnen notwendigerweise zugute kommt.
Wir haben gar keine andere Wahl, als alle Maßnahmen zu
ergreifen, die wir für notwendig erachten. Wir sind nicht
sicher, ob sie ausreichend sind. Wir können die Bedro-
hungen, die vielleicht noch auf uns zukommen, nicht
recht ermessen. Nach bestem Wissen und Gewissen tun
wir jetzt alles, was wir tun können.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419301800
Frau Kol-
legin Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419301900
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419302000
Herr
Schauerte, bitte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1419302100
Frau Staatssekretä-
rin, unter diesen fürchterlichen Terroranschlägen haben
die Amerikaner am heftigsten gelitten und noch zu leiden.
Deutschland ist ungefähr in gleicher Weise betroffen wie
die anderen europäischen Nationen auch. Die Belastung
dürfte in etwa gleich sein. Können Sie mir erklären,
warum Deutschland in dieser Situation weltweit das ein-
zige und damit logischerweise auch das erste Land ist,
welches, bevor irgendetwas anderes beschlossen worden
ist, Steuererhöhungen festlegt?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419302200
Dies haben wir getan, weil

wir auch im Interesse zukünftiger Generationen keine
weitere Neuverschuldung zulassen wollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir halten das für nicht verantwortbar.

In den acht Jahren der Clinton-Administration ist in
den USA ein erheblicher Haushaltsüberschuss aufgebaut
worden. Im Vergleich dazu ist festzustellen, dass der Bun-
deshaushalt einen Schuldenstand von 1,5 Billionen DM
hat. Ich brauche nicht zu sagen, wo er herkommt. Wir wis-
sen es alle.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Seit drei Jahren sind Sie an der Regierung!)


Aus Ihrer Richtung wird natürlich immer wieder gesagt,
wir sollten aufhören, darüber zu reden. Es ist Ihnen unan-
genehm. Der Schuldenstand von 1,5 Billionen DM be-
deutet aber, dass wir 82 Milliarden DM Zinsen im Jahr zu
zahlen haben. Hätten wir diese zur Verfügung, bräuchten
wir auch keine Steuern zu erhöhen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese 82 Milliarden DM Zinsen werden wir auch in Zu-
kunft noch leisten müssen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wollten Sie die deutsche Einheit nicht haben?)


– Herr Dautzenberg, hören Sie doch auf! Natürlich woll-
ten wir die deutsche Einheit.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihnen war doch jede Mark, die wir ausgegeben haben, zu wenig!)


Wir müssen diesen Zinsendienst leisten. Es lässt sich
nun einmal nicht ändern. Deswegen werden Sie sich auch
noch etwas länger, nämlich so lange, wie wir diesen Zin-
sendienst zu leisten haben, mit dieser unangenehmen Tat-
sache konfrontiert sehen müssen. Wir haben eben keinen
Spielraum im Haushalt. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen das
noch einmal sagen muss. Ich will Sie ja gar nicht persön-
lich beleidigen, Sie dürfen es aber auch nicht vergessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gerda Hasselfeldt [CDU/ CSU]: Was hat das mit der Wachstumslücke zu tun?)


Es wurde eben davon gesprochen, die Grünen hätten
gesagt, es müsse alles abgebaut werden und es stehe in de-
ren Wahlprogramm, die Ausgaben für die innere Si-
cherheit zu verringern und den ganzen Verfassungsschutz
abzubauen. Dazu möchte ich feststellen: Mir liegt eine ak-
tuelle Vorlage aus dem Haushaltsreferat des Bundes-
innenministeriums vor.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ein Grünen-Programm!)


Seit 1996 hat es ein Abbau- und Strukturprogramm beim
Bundesamt für Verfassungsschutz gegeben.


(Lothar Mark [SPD]: Das haben Sie von der CDU/CSU beschlossen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

18872


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Zielvorstellung lautete, 500 Stellen einzusparen,
20 Prozent des gesamten Stellenbedarfs. Dies lag – wenn
ich das richtig im Kopf habe – in der Verantwortung un-
seres ehemaligen Kollegen Kanther.


(Joachim Poß [SPD]: Ah, der Herr Kanther! Wo ist er denn? Er taucht nur im Untersuchungsausschuss auf! Dort ist er Repräsentant der Union! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal, wie viele Stellen Sie in der Zollverwaltung einsparen!)


– Ja, der Herr Kanther, genau.
Es war vorgesehen, ab1993 beim Bundesgrenzschutz

760 Planstellen einzusparen. Auch dies lag in der Verant-
wortung von Kanther bzw. seines Vorgängers. Im Bun-
deskriminalamt sollten – auch seit 1993 – 252 Planstellen
eingespart werden. Diese vorgesehenen Einsparungen
sind noch nicht alle realisiert worden. Nach meinem
Kenntnisstand hat der Bundesinnenminister angewiesen,
den vorgesehenen Abbau, der während Ihrer Regierungs-
verantwortung eingeleitet worden ist, jetzt zunächst ein-
mal zu stoppen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass Herr Kanther so für die innere Sicherheit war! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben wir seriös und flächendeckend eingeführt!)


Das ist also nicht dieser Bundesregierung anzulasten. Im
Gegenteil: Wir stoppen den vorgesehenen Abbau. Das ist
natürlich angesichts der jetzigen Sicherheitslage auch
notwendig.


(Detlev von Larcher [SPD]: Bei der Bundeswehr ist es das Gleiche!)


Herr Rexrodt hat eben mitgeteilt, dass er nicht mehr an-
wesend sein könne, weil er – er ist ja im Wahlkampf – zu
einer Pressekonferenz müsse. Ich habe Verständnis dafür,
dass er jetzt nicht mehr da ist. Ich hatte Gelegenheit, vor
Beginn dieser Plenarsitzung gemeinsam mit Herrn
Rexrodt eine Viertelstunde im Sender Phoenix zu disku-
tieren. Ich hatte gedacht, er sei, noch aufnahme- und lern-
fähig.


(Lothar Mark [SPD]: War der noch nie!)

Er hat aber den gleichen Unsinn, den er im Sender Phoe-
nix gesagt hat, hier wiederholt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Immer wieder!)

Wir haben Argumente ausgetauscht und ich dachte, es sei
etwas hängen geblieben. Aber es nützt ja nichts. Dabei ist
das nur eine Viertelstunde vorher gewesen.


(Zuruf von der FDP: Sie waren nicht überzeugend genug! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist bei der FDP hoffnungslos!)


Es ist wirklich problematisch: Auf der einen Seite be-
wegt sich diese Steuererhöhung nach Argumentation von-
seiten der Union und der FDP in einer solchen Größen-
ordnung, dass sie die ganze Konjunktur zerstört. Auf der
anderen Seite handelt es sich um solch geringe Beträge,

dass man sie leicht durch eine Umschichtung im Bundes-
haushalt hätte aufbringen können.


(Joachim Poß [SPD]: Ja, genau! Sehr logisch!)

Wenn man nur ein bisschen logisch damit umgeht,

muss man doch sagen:

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Der Bundes kanzler redet immer von Psychologie!)

Einerseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis zum
Bundeshaushalt in Höhe von 485 Milliarden DM.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist ein weiterer falscher Schritt nach den anderen falschen Schritten, die vorangegangen sind!)


Andererseits stehen die 3 Milliarden DM im Verhältnis
zum gesamten Bruttoinlandsprodukt. Diese Relation ist
sehr viel geringer als das Verhältnis zum Bundeshaushalt.
Trotzdem soll eine Umschichtung im Bundeshaushalt
ganz einfach sein, bezüglich des Bruttoinlandsprodukts
aber soll die Steuererhöhung Verwüstungen anrichten.


(Joachim Poß [SPD]: Nein!)

Irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden, welche
Argumentationslinie Sie aufrechterhalten wollen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419302300
Frau Kol-
legin Dr. Hendricks, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bonitz?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419302400
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419302500
Frau
Bonitz, bitte.


Sylvia Bonitz (CDU):
Rede ID: ID1419302600
Frau Staatssekretärin, die
Steuermehreinnahmen in Höhe von 3 Milliarden DM sol-
len ja zur Finanzierung zusätzlicher Sicherungsmaßnah-
men verwandt werden. Beabsichtigt denn die Bundes-
regierung, möglicherweise darüber hinausgehende
Steuermehreinnahmen, die den Betrag von 3 Milliar-
den DM übersteigen, auch für zusätzliche Sicherungs-
maßnahmen zur Verfügung zu stellen, oder würden diese
in den allgemeinen Haushalt zur Schuldentilgung fließen?

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419302700
Frau Kollegin Bonitz, für
das Jahr 2002 erwarten wir tatsächlich Steuermehrein-
nahmen in der Größenordnung von 3 Milliarden DM.
Natürlich gibt es da gewisse Schätzunsicherheiten. Es ist
richtig, dass in den Folgejahren aufgrund sich wieder än-
dernden Verbraucherverhaltens beim Rauchen etwas
mehr Steuern eingenommen werden könnten.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: 4 Milliarden DM!)


Aber das ist nicht sicher, weil man nie genau weiß, wie
sich das Verbraucherverhalten entwickeln wird.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

18873


(C)



(D)



(A)



(B)


In den Folgejahren wird der Haushaltsgesetzgeber,
also die Mehrheit dieses Hauses – vielleicht auch das
ganze Haus zusammen; das erwarte ich aber eher nicht –,
zu entscheiden haben, wie mit den Finanzmitteln umzu-
gehen ist. Alle Steuereinnahmen – alle, nicht nur diese –
fließen immer in den Einzelplan 60. Aus diesem werden
sie zum Ausgeben in die verschiedenen Einzelpläne trans-
poniert, die in der Verantwortung des Haushaltsgesetzge-
bers liegen. Wenn es dann notwendig sein sollte, noch
weitere Maßnahmen zur Erhöhung der inneren und äuße-
ren Sicherheit vorzunehmen, wird der Haushaltsgesetz-
geber das tun.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Dann erhöhen Sie die Steuern noch einmal!)


Wenn dann andere Aufgabenbereiche vordringlicher zu
sein scheinen, wird sich der Haushaltgesetzgeber diesen
zuwenden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419302800
Frau
Hendricks, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage der
Kollegin Dr. Höll von der PDS-Fraktion?


(Zuruf von der SPD: Ist jetzt Regierungsbefragung?)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419302900
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419303000
Bitte
schön.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1419303100
Frau Staatssekretärin, es
freut uns natürlich, dass Sie uns hier mit Ihrer Fachkom-
petenz die Meinung der Regierung kundtun. Trotz allem
habe ich die Frage, wo die Ministerinnen und Minister der
Regierung sind. Denn wir befinden uns in der Kerndebat-
tenzeit und debattieren die doch sehr grundlegende Frage
der Finanzierung des Antiterrorprogramms. Wir meinen,
bei einem solch wichtigen politischen Thema in der Kern-
debattenzeit wäre eine Präsenz von Ministerinnen und
Ministern doch angebracht. Deshalb stelle ich Ihnen
diese Frage. Dies hat nichts mit Ihrer Fachkompetenz und
Ihrer Stellungnahme in dieser Debatte zu tun.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419303200
Frau Kollegin Höll, gerade
weil ich Sie schätze, verwundert es mich, dass Sie diese
Frage, die eben schon aus den Reihen der anderen Seite
dieses Hauses gestellt wurde, noch einmal stellen.


(Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Ich weiß, dass die Ministerinnen und Minister ihren
Dienstgeschäften nachgehen. Ich weiß natürlich nicht
– jedenfalls nicht von allen –, wo sie dies tun. Vom Bun-
desfinanzminister weiß ich, dass er sich zurzeit in Argen-
tinien befindet, und zwar zu politischen Gesprächen mit
dem dortigen Finanzminister, dem Staatspräsidenten, dem
Notenbankpräsidenten und anderen. Die Bundesregie-
rung ist vertreten durch den Parlamentarischen Staats-

sekretär beim Innenminister, der den Aspekt der inneren
Sicherheit abdeckt, und durch die Parlamentarische
Staatssekretärin beim Wirtschaftsminister, die die Frage
möglicher konjunktureller Wirkungen abdeckt sowie
durch die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, die die internationale Entwicklungszusam-
menarbeit abdeckt. Im Übrigen bitte ich Sie, sich weiter-
hin auf mich zu verlassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben also wirklich sehr überschaubare Steuer-
erhöhungen vorgeschlagen. Folgendes möchte ich noch
einmal sagen: Die Anhebung der Versicherungsteuer um
einen Prozentpunkt bedeutet für eine normale Familie,
dass sie im gesamten Jahr – ich wiederhole: pro Jahr –
etwa 15 DM mehr bezahlen muss.


(Detlev von Larcher [SPD]: Aber dafür 4 000 DM weniger Steuern!)


Wenn Herr Rauen sagt, das werde ihn 2 200 DM kosten,
dann müsste er – ich überschlage das einmal kurz im Kopf
– in seinem mittelständischen Bauunternehmen Versiche-
rungspolicen in einer Größenordnung von 500 000 DM
haben. Das halte ich eher für unwahrscheinlich. Ich
glaube vielmehr, dass Herr Rauen hier – wie schon des
Öfteren – falsch gerechnet hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen wohl nicht, was die Versicherung für einen Baukran kostet! – Detlev von Larcher [SPD]: Wenn er so hohe Policen hat, dann kann er es auch bezahlen!)


– Wenn sein Unternehmen ein so großes mittelständisches
Unternehmen ist, dass es Versicherungen in einem so
großen Umfange braucht, dann ist es auch im Hinblick auf
die Belastungen nicht so problematisch.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bitte einfach darum, zu versuchen – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419303300
Entschul-
digen Sie, Frau Kollegin Hendricks. – Herr Göhner, ich
habe bereits viele Zwischenfragen zugelassen. Heute ist
Freitag und die Debatten werden sich bis in den Nachmit-
tag hineinziehen. Viele Kolleginnen und Kollegen wollen
nach Hause. Daher bitte ich, auf Zwischenfragen zu ver-
zichten.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist aber schade! Das war jetzt sehr interessant!)


D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1419303400
Herr Präsident, ich fasse
mich jetzt kurz und nehme die Zeit nicht mehr weiter in
Anspruch.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, sich zu über-
legen, ob die Verantwortung teilbar ist. Angesichts der
Tatsache, dass man für die Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger mehr tun muss, als bisher notwendig zu sein

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

18874


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(A)



(B)


schien, sollte eigentlich das ganze Haus in der Lage sein,
auch den zweiten Teil der Verantwortung zu übernehmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419303500
Als
nächster Redner hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist der Letzte!)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1419303600
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau
Staatssekretärin, ich war schon einigermaßen überrascht,
als ich am 19. September nach einer dreistündigen De-
batte, in der wir einvernehmlich feststellten, dass wir der
Bedrohung durch den Terrorismus gemeinsam wider-
stehen müssten, die geheimen Steuererhöhungspläne der
Regierung auf dem Weg zum Flughafen im Radio hörte.
Das war schon ein starkes Stück. Ich bin ja sehr dafür, dass
man in militärischen Angelegenheiten nicht alles offen zu
Markte trägt. Aber dass man Steuererhöhungen wie ge-
heime Kommandosachen behandelt, halte ich für sehr un-
gewöhnlich. Damit kündigen Sie die Gemeinsamkeit auf,
die wir an jenem Tag gemeinsam bekundeten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Man hat einfach den Eindruck – das kann man ange-
sichts der Wirtschaftsdaten, die Sie zu verantworten ha-
ben, durchaus verstehen –, dass Sie auf eine Gelegenheit
gelauert haben, eine Steuer zu erhöhen,


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


und die Gelegenheit sofort ergriffen haben, weil Sie das
Gefühl hatten, dass es mit dieser Begründung keinen
großen Protest geben werde.


(Detlev von Larcher [SPD]: 1991!)


Sie wissen, dass Ihnen die Zahlen in diesem Jahr ab-
schmieren. Bei der Arbeitslosigkeit werden Sie zum Jah-
resende bei 4 Millionen liegen, beim Wachstum werden
Sie deutlich unter 1 Prozent liegen, bei der Preissteige-
rung werden Sie deutlich über 2 Prozent liegen, bei den
Sozialversicherungsbeiträgen werden Sie deutlich über
40 Prozent liegen; die nächste Erhöhungsrunde ist durch
die AOK in Bayern schon angekündigt worden. Das ist
die miserable wirtschaftspolitische Bilanz, die Sie zu
vertreten haben. Nun wollen Sie auch noch mittels eines
Vorzieheffektes – das sage ich mit Blick auf die Erhöhung
der Tabaksteuer, weil die Leute in diesem Jahr noch bun-
kern – versuchen, Ihre Bilanz zu schönen. Das ist nicht der
richtige Weg.

Wir halten es für psychologisch völlig abwegig, dass
Sie angesichts einer Bedrohung, hinsichtlich derer andere
sich Gedanken machen, wie sie Zeichen von Optimismus
aussenden und der Bevölkerung deutlich machen können,
dass es sich zwar um eine ernste Gefahr handele, die aber
beherrscht werde, als Erstes daran denken, in kleinkräme-
rischer Manier Steuern zu erhöhen. Damit senden Sie ein

völlig falsches wirtschaftspolitisches Signal aus, mit
dem eine weitere Verunsicherung einhergeht. Im Übrigen
führt dies zu einer Erhöhung der Staatsquote.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt kommt Ihr konkreter Vorschlag! Sie sind doch verantwortungslos!)


Das ist eine falsche Politik, die wir nicht mittragen wer-
den. Das werden wir in den nächsten Wochen auch bei
vielen Diskussionen in unserem Lande deutlich machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419303700
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/7062 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt (Fürth),
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Strukturpolitische Verantwortung für Bundes-
wehrstandorte übernehmen, die die Bundes-
regierung schließen oder verkleinern will
– Drucksachen 14/5550, 14/6930 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Christian Müller von der SPD-Fraktion das Wort.


Christian Müller (SPD):
Rede ID: ID1419303800
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist wohl die
vorerst letzte Debatte zu dem Thema, das wir hier bereits
im März behandelt haben. Lassen Sie mich daher zuerst
noch einmal unterstreichen: Es ist für keine Region leicht,
mit den Folgen eines tief greifenden Strukturwandels,
gleich welcher Art, fertig zu werden. Dazu liegen be-
kanntlich aus den letzten zehn Jahren, nicht zuletzt in den
ostdeutschen Regionen, aber eben nicht nur dort, um-
fangreiche Erfahrungen vor. Das gilt natürlich auch für
die Folgen einer Schließung von Bundeswehrstandorten.
Die Berichte von BMWi und BMVg, die im Ausschuss
vorgelegen haben, haben uns meiner Meinung nach ge-
zeigt: Strukturpolitische Verantwortung hat bei dem jetzi-
gen Standortkonzept eine wichtige Rolle gespielt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Herr Kollege, das darf doch nicht wahr sein! Das gibt es ja nicht!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks

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(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt keinen Zweifel: Konversion führt in der Regel
zu strukturpolitischen Herausforderungen. Insofern steht
Konversion in einer Reihe mit den Folgen von Globali-
sierung an sich, dem überregionalen Wettbewerb der
Standorte, der im Zuge der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion eine Beschleunigung erfahren hat, dem
Strukturwandel im ländlichen Raum, der Umorientierung
der Agrarpolitik und der noch nicht vollendeten Behe-
bung der strukturellen und wirtschaftlichen Defizite in
Ostdeutschland. Im Übrigen dürfen wir einen weiteren
Schub des Strukturwandels in der Folge der Erweiterung
der Europäischen Union erwarten.

Keines dieser Probleme tritt für sich alleine auf. Folg-
lich sind sie auch nicht durch die isolierte Auflage einzel-
ner Sonderprogramme behebbar. Vielmehr haben wir die
bewährten Instrumente zu nutzen und zu verstärken, über
die wir verfügen können.

Natürlich ist die Frage, ob gerade die schwächsten Re-
gionen den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege
bringen, sehr berechtigt. Deswegen halten wir es für sinn-
voll, dass Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung
für Moderation, Koordinierung und Begleitung des Struk-
turwandels in den Regionen übernehmen. Derartige An-
sätze haben wir bereits in der jüngsten Zeit in unseren di-
versen europapolitischen Anträgen zum Ausdruck
gebracht.

Wir verfügen über eine bewährtes strukturpolitisches
Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen kön-
nen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang noch einmal
ausdrücklich alle bekannten Gemeinschaftsaufgaben,
natürlich an erster Stelle die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Es ist also
nicht erforderlich, Neues zu erfinden. Wir sollten viel-
mehr darauf achten, dass uns bewährte, bundesweit gül-
tige und regelgebundene Systeme wie eben insbesondere
die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstrukturen“ nicht abhanden kommen.

In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, dass
die Ministerpräsidenten der Länder im Zuge der Verhand-
lungen zum Länderfinanzausgleich ihren Willen zur Ab-
schaffung der Gemeinschaftsaufgaben bekundet haben.
Wir werden also in den nächsten Jahren erheblich darüber
nachzudenken haben, wie dies mit den vorhandenen
Erkenntnissen zusammenpasst, dass durch den sich be-
schleunigenden Impuls zum Strukturwandel der regional-
politische Handlungsbedarf zunimmt, während Hand-
lungsmöglichkeiten und Instrumente, natürlich auch in
der Folge des Wirkens der Kommission in Brüssel, ab-
nehmen bzw. zunehmend begrenzt sind.

Darüber hinaus geht es nach wie vor darum, diese be-
währten Förderinstrumente in Brüssel beihilferechtlich
abzusichern. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich alle
Bemühungen der Bundesregierung, in einer vernünftigen
Interpretation des Subsidiaritätsprinzips Spielräume für
eigenes Handeln zu behalten bzw. wiederzugewinnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erfolge bei der Regionalentwicklung – also auch in der
Folge der Konversion – werden sich am ehesten durch
eine vernünftige regionale Koordinierung auf Projekt-
ebene erreichen lassen. Dies dürfte der richtige Weg sein,

um dem erkennbaren Mangel in der Zusammenführung
der verschiedenen raumwirksamen Politiken des Bundes
und der Länder zu begegnen.

Natürlich müssen wir die wirksamen Instrumente auch
finanziell leistungsfähig halten und Förderprogramme
besser aufeinander abstimmen. Die Mittelausstattung
wird allerdings dort an Grenzen stoßen, wo die Haus-
haltslage des Bundes und der Länder mehr Mittel nicht
zulässt.

Sinnvoll sind nach wie vor Umschichtungen von kon-
sumtiven zu investiven Ausgaben und der Übergang von
strukturkonservierenden zu strukturverbessernden Maß-
nahmen. Derartige Ansätze stehen selbst dann noch zur
Verfügung, wenn wir Haushaltskonsolidierung als
ein wesentliches Prinzip unserer Politik festschreiben
müssen.


(Beifall bei der SPD)

Mehr Klarheit in Förderprogrammen und die Beseitigung
von Parallelförderungen und Überschneidungen können
ebenfalls einen Beitrag dazu liefern.

Es sollte doch wohl deutlich genug sein: Nicht neue
Programme sind der notwendige Lösungsansatz zur Be-
wältigung des Strukturwandels, sondern die bessere
Koordinierung unserer bewährten strukturpolitischen In-
strumente. Deswegen kann der noch immer im Raum ste-
henden Forderung nach einem gesonderten Konversions-
programm so nicht zugestimmt werden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das sagen Sie gegen Ihr eigenes Wissen!)


Erinnert werden soll außerdem noch einmal an die Er-
höhung des Anteils der Länder am Mehrwertsteuerauf-
kommen von 35 auf 37 Prozent, wobei 2 Prozent für Kon-
version verwendet werden können, und auch daran, dass
die Länder die Möglichkeit erhielten, Mittel aus der Er-
höhung des Mehrwertsteuersatzes von 14 auf 15 Prozent
zusätzlich für diese Zwecke einzusetzen.

Ingesamt stehen noch immer, neben den Instrumenten
der Gemeinschaftsaufgabe, 39 Milliarden DM für Kon-
version zur Verfügung. Diese Mittel sind nicht gestrichen
worden.

Hinsichtlich der hier zur Debatte stehenden wirtschaft-
lichen Folgen der Schließung von Bundeswehrstandorten
werden wir uns – das ist im Wirtschaftsausschuss so ver-
einbart worden – zu Beginn des nächsten Jahres von der
Bundesregierung einen aktuellen Bericht geben lassen
und uns auf seiner Grundlage dann mit diesem sehr wich-
tigen Thema weiter auseinander setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419303900
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1419304000
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christian Müller (Zittau)


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(C)



(D)



(A)



(B)


gen! Ich möchte es trotz der sachlichen Rede von
Christian Müller noch einmal klarstellen: Es gibt keine
Sondermittel für die Konversion.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider Gottes!)


Deshalb haben auch die SPD-Bundesländer ein eigenes
Konversionsprogramm beantragt und sind von ihrer For-
derung noch nicht zurückgetreten.

Mit dem 11. September 2001 hat sich die Sicherheits-
lage weltweit, auch bei uns, radikal geändert. Die zusätzli-
chen Risiken machen vielen Menschen Angst und verant-
wortliche Politik hat darauf zu reagieren. Unser Land tut
es – und das weitgehend übereinstimmend –; das festigt bei
vielen Bürgern ihren Glauben an unsere Demokratie.

Auf dem Prüfstand stehen bei uns seit dem Terroran-
schlag besonders die Konzeptionen für die äußere wie
für die innere Sicherheit; hier ist in den vergangenen
Jahren gesündigt worden. Deshalb muss wenigstens jetzt
gehandelt werden. Das gilt für die Verstärkung der perso-
nellen Sicherheit, das gilt für die Sicherheitstechnik, das
gilt für den Umfang der Finanzmittel für mehr Sicherheit,
das gilt aber auch für das hier zur Diskussion stehende
Ressortkonzept des Verteidigungsministers.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die dramatischen und tragischen Bilder dieser Tage
zwingen zu folgenden Fragen: Ist der Rückzug der Bun-
deswehr aus fast 100 Standorten wirklich verantwortbar?
Ist die Aufgabe stragisch optimaler Standorte vertretbar?
Gehört nicht auch dieser Teil der Bundeswehrreform wie-
der auf den Prüfstand? Ich meine: ja.

61 000 Dienstposten sollen in kürzester Zeit abge-
schafft, 45 000 zivile Mitarbeiter weniger beschäftigt wer-
den. Auf über 100 000 Sicherheitskräfte will die Bundes-
regierung trotz einer Weltlage verzichten, die durch einen
unberechenbaren Terrorismus, durch Krieg und neue Ge-
fahren für die gesamte Menschheit gekennzeichnet ist. Es
darf deshalb keine Reform im Handstreich geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Wolfgang, schau einmal, wo die Regierung ist!)


– Die Regierung ist abgetaucht. Schade, dass sie bei die-
ser Debatte so schwach vertreten ist.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wie immer!)


Eine besonnene Aufbereitung des Ressortkonzeptes
vor diesem Hintergrund ist ein Gebot verantwortlichen
Handelns. Doch noch gibt es kein Signal für einen Stopp
dieser vorhandenen Pläne und Programme; noch hält man
fest an der Ausdünnung der Bundeswehr; noch hält man
fest am Abbau von Sicherheit. Deshalb möchte ich mich
neben den grundsätzlichen Bedenken auch mit den
Schwachstellen des aktuellen Ressortkonzeptes ausei-
nander setzen. Strukturschwache Regionen werden un-
verhältnismäßig hoch belastet. Bayern wird übermäßig
ausgedünnt.


(Lachen bei der SPD)


Gegenüber den neuen Ländern wird das Wort gebrochen.
Auch hier schafft man jetzt soldatenfreie Zonen.

47 Prozent, also fast 50 Prozent, aller betroffenen Bun-
deswehrstandorte befinden sich in benachteiligten Regio-
nen. Über 55 000 Dienstposten sollen hier nach dem Wil-
len des Verteidigungsministers abgezogen werden – hier,
wo die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist.
Aber einen fairen Ausgleich für die neuen, unverschulde-
ten Verluste soll es nach Auffassung der Regierung nicht
geben: weder für fehlende Kaufkraft noch für Defizite bei
den Einrichtungen bei der Daseinsfürsorge von Schulen
über Kindergärten bis hin zu Schwimmbädern. Auch
staatliche Aufträge für die regionale Wirtschaft sollen
nicht ersetzt werden. Es erfolgt ein Kahlschlag ohne neue
Aufforstung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Verantwortungslos!)


Fast 40 Jahre waren Städte und Gemeinden gute Part-
ner der Bundeswehr. Sie werden jetzt mit ihren Sorgen al-
lein gelassen. Dieser Vorgang ist einmalig in unserem
Land. Bisher erfolgte Truppenreduzierungen wurden stets
mit Sonderprogrammen begleitet: Anfang der 90er-Jahre
durch höhere Länderanteile an den Verbrauchsteuern und
Mitte der 90er-Jahre durch mehr Mittel im Rahmen des
Finanzausgleichs. Aber diesmal gibt es keine Direkthil-
fen. Das ist fatal für die betroffenen Gebiete.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So bedeutet der Abzug von 1130 Dienstposten aus dem
historischen Bundeswehrstandort Schleswig – er liegt in
meinem Wahlkreis –, dass damit fast jeder zehnte Ar-
beitsplatz in dieser Kreisstadt wegfällt und dass damit
jährlich ein Kaufkraftverlust von 22 Millionen DM ein-
tritt. Eine Alternative ist für diesen Raum aber nicht er-
kennbar. Was für die Schleistadt gilt, trifft für fast alle der
100 Standorte gleichfalls zu.

Die Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang an
ihren Verfassungsauftrag zu erinnern. Nach Art. 72 und
106 unseres Grundgesetzes ist sie zur Schaffung gleich-
wertiger Lebensverhältnisse verpflichtet. Durch nationale
Bundesentscheidungen ist es zur Festlegung von Bundes-
wehrstandorten gekommen. Jetzt hat auch der Bund die
Pflichten zu tragen, wenn das Vertragsverhältnis durch
ihn einseitig aufgekündigt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Doch der Bund schleicht sich aus seiner Verantwor-
tung. Die Regierung empfiehlt den betroffenen Regionen,
frühzeitig eine zivile Anschlussnutzung von Konversi-
onsflächen zu planen. Gleichzeitig lehnt sie die Einräu-
mung von Vorzugskrediten rigoros ab. Das ist nicht fair.
Die Regierung empfiehlt, regionalpolitische Förder-
instrumente des Bundes zu nutzen. Gleichzeitig ist sie
aber nicht bereit, im Haushalt 2002 zusätzliche Mittel für
die Förderung der Regionalwirtschaft einzusetzen. Das ist
unverantwortlich. Doch da die Kassen leer sind, bleiben
bei den Städten viele dieser Forderungen unerfüllt. Es
werden keine Arbeitsplätze geschaffen und es erfolgt
keine Wirtschaftsförderung. Die Finanzkraft vor Ort sinkt
dramatisch.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Auch der Bundesrat hat sich mit dieser konfliktrei-
chen Sachlage befasst. Er erwartet noch immer ein Kon-
versionsprogramm von der Bundesregierung. Nieder-
sachsen ist dafür als Wortführer Anfang des Jahres
eingetreten. Doch nichts ist daraus geworden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gar nichts!)


Die Regierung hat ihre Genossen vor Ort abblitzen lassen.
Die fast 100 betroffenen Bundeswehrstandorte sind ohne
Hilfen geblieben. Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen für
die betroffenen Regionen, für die betroffenen Städte und
Gemeinden. Die Bürger haben bei diesem Ressortkonzept
das Nachsehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419304100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Bündnis 90/Die
Grünen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419304200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Eine Bundeswehrreform ist notwendig. Ich denke, Herr
Börnsen, darüber sind wir uns alle einig. Oder meinen Sie,
man bräuchte keine Modernisierung, da Sie eine solche
Bundeswehrreform abgelehnt haben?

Eine Reform der Bundeswehr – notwendig auch deshalb,
um sie den jetzigen Aufgaben gerecht werden zu lassen –
kann angesichts der aktuellen schwierigen Haushaltslage
nur durch eine Verkleinerung der Mannschaftsstärke
verwirklicht werden. Eine solche Verkleinerung hat
zwangsläufig die Reduzierung der Zahl von Bundeswehr-
standorten zur Folge. Sie, meine Damen und Herren von
der Union, wissen das nur zu genau; denn Anfang der
90er-Jahre hatten Sie eine entsprechende Reform in Gang
gesetzt, die auch eine drastische Reduzierung der Zahl der
Liegenschaften umfasste.

Eine Reduzierung der Mannschaftsstärke um
700 000 Soldaten unter Ihrer Regie hatte damals weitaus
gravierendere Folgen als die momentane Reduzierung um
90 000 Soldaten. Viele Regionen in Deutschland hatten
durch Ihre Bundeswehrreform mit viel größeren wirt-
schaftlichen und umweltpolitischen Problemen zu kämp-
fen als heute.

Ich will die heutigen regionalen Probleme nicht klein
reden, aber Ihre jetzigen Forderungen ins rechte Licht
rücken: Sie fordern heute Finanzierungshilfen vom Bund
für das Auffangen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Ich erinnere mich, dass Sie damals einen Konversions-
fonds, wie er von Bündnis 90/Die Grünen gefordert
wurde, ablehnten. Sie haben auch das von uns Grünen
1994 eingebrachte Bundeskonversionsgesetz abgelehnt.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie wollten doch aus der NATO!)


Der von der damaligen Bundesregierung den Ländern
pauschal überlassene um 2 Prozent höhrere Umsatzsteu-
eranteil wurde nicht nach der Betroffenheit durch den
Truppenabbau oder nach der Strukturschwäche der Re-

gion ausgegeben. Nein, Sie verteilten diese Mittel nach
Einwohnerzahlen. So wurde Bayern mit einer damaligen
unterproportionalen Anzahl von Standortschließungen
überproportional begünstigt.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Allerdings sind diese Mittel in Bayern kaum in die be-
troffenen Regionen geflossen. Das habe ich als Stadtrat
von Hammelburg, einem Bundeswehrstandort, der von
der Reduzierung stark betroffen war, bitter miterleben
müssen. Erfolgreiche Landeskonversionskonzepte gab
es dagegen in rot-grün-regierten Ländern, zum Beispiel in
Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg.

Also, meine Damen und Herren von der Union, wer
heute so laut nach regionalen Konversionsmitteln ruft, der
muss sich an den eigenen Fehlleistungen der Vergangen-
heit messen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Sie wissen nicht, was Sie sagen!)


Auch wenn die heute geplanten Reduzierungen bei der
Bundeswehr den Umfang der vergangenen Standort-
schließungen bei weitem nicht erreichen, so sind aus der
Sicht von Bündnis 90/Die Grünen die betroffenen Regio-
nen dennoch nicht alleine zu lassen. Ihre Vorschläge,
meine Damen und Herren von der Union, können wir aber
nicht mittragen, da Sie wie immer keine Vorstellungen ha-
ben, wie Ihre Wünsche finanziert werden sollen.

Wir empfehlen den betroffenen Kommunen, zunächst
die Chancen, die in einer Standortschließung liegen kön-
nen, klar zu analysieren und gegebenenfalls zu nutzen.
Durch den Wegfall von Flug- und Schießlärm und ande-
rer militärischer Belastungen können innerstädtische oder
touristische Liegenschaften an Attraktivität gewinnen.
Eine Folgenutzung für Betriebe oder Gebäude kann so er-
leichtert werden. In neu angesiedelten Betrieben können
neue Arbeitsplätze entstehen. Damit kann die Wirt-
schaftskraft der Region gestärkt werden. Eine Fülle von
Wirtschaftsförderprogrammen steht dafür zur Verfügung.
Ich verweise beispielsweise auf die vielen Programme der
Bundesregierung zur Unterstützung des Aufbaus von
Technologieunternehmen, für erneuerbare Energien, für
Umweltschutz oder für naturverträgliche Landwirtschaft
bzw. für die Touristikbranche.

Diese Chancen aktiv zu nutzen kann gerade über eine
Stärkung des Mittelstandes einen Teil der Nachteile von
Standortschließungen oder -reduzierungen auffangen.
Hierfür sind Kreativität und aktives Anpacken der betrof-
fenen Kommunen gefordert.

Wir von Bündnis 90/Die Grünen sind auch der Auffas-
sung, dass solche Unterstützungen sogar verstärkt und ge-
zielt durch Umschichtungen in bestehenden Regional-
strukturprogrammen des Bundes und der Länder oder
aus Privatisierungserlösen zugunsten der betroffenen Re-
gionen eingesetzt werden sollten. Bereits heute – Herr
Börnsen, hören Sie gut zu – hat der Bund gehandelt. Er
schleicht sich nicht aus seiner Verantwortung, wie Sie be-
hauptet haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


18878


(C)



(D)



(A)



(B)


Der CDU/CSU-Antrag ist deshalb überflüssig. Ein
Drittel der GA-Mittel fließt in die Infrastruktur und ein
überproportionaler Anteil davon in Konversionsgebiete.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was? Die GAMittel werden jetzt gegen die Konversionsprogramme aufgerechnet? Das glaube ich nicht!)


Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit das bestehende
Instrumentarium aufzeigen, das auch zur Flankierung des
Anpassungsprozesses in den von den Reduzierungen oder
Schließungen betroffenen Standorten eingesetzt werden
kann. Hierzu gehören insbesondere die Bund-Länder-Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“,


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Alle Mittel bereits verplant!)


die europäischen Strukturfonds, die Städtebauförderung


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Auch verplant!)


sowie die Maßnahmen der Arbeitsmarktspolitik, natürlich
auch für Konversionsaufgaben verplant.

Darüber hinaus ist für die infolge der Reform betroffe-
nen Zivilbeschäftigten der Bundeswehr ein Tarifvertrag
abgeschlossen worden, der weitreichende sozialverträgli-
che Begleitmaßnahmen enthält, insbesondere den Aus-
schluss von betriebsbedingten Beendigungskündigungen,
eine zusätzliche kostenfreie Qualifizierungsförderung für
Anschlussbeschäftigungen auch außerhalb des öffentli-
chen Dienstes, Elemente zur Einkommenssicherung für
wegfallende Zulagen, pauschale Abgeltungsbeträge und
Abfindungen, Einkommensverbesserungen im Rahmen
der Altersteilzeit bei Wegfall des Arbeitsplatzes sowie
eine Härtefallregelung.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber dafür musste gestreikt werden!)


Weiterhin hat das Verteidigungsministerium bereits
Anfang Juli eine Übersicht über alle im Rahmen der
Reform voraussichtlich frei werdenden Bundeswehr-
liegenschaften veröffentlicht. Damit haben die Kommu-
nen und die potenziellen Investoren eine frühzeitige Pla-
nungsgrundlage über den Zeithorizont sowie über die
Größe der Flächen und der Anlagen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das wussten die doch mit dem Tag der Nennung der Schließung! Da brauche ich doch nicht noch eine Liste zu veröffentlichen! So ein Krampf!)


Im Übrigen strebt der Bund wie auch bei den bis-
herigen Standortfreigaben an, die ehemaligen Militär-
liegenschaften so schnell wie möglich einer zivilen
Anschlussnutzung zuzuführen. Die bestehenden Altlas-
tenregelungen tragen dazu bei, Befürchtungen von Inves-
toren hinsichtlich etwaiger Kontaminationen abzubauen.

Um potenzielle Investoren und Kommunen gezielt
über das Verwertungsverfahren und die Fördermöglich-
keiten zu informieren, erstellt das Wirtschaftsministerium
gemeinsam mit dem Finanzministerium und dem
Verteidigungsministerium sowie den Länderwirtschafts-
ministerien ein Liegenschaftsschema. Darin werden alle

regionalen Ansprechpartner zu Fragestellungen hin-
sichtlich Konversion und Wirtschaftsförderung gebündelt
sowie die Modalitäten für das Veräußerungsverfahren er-
läutert. Die Übersicht wird voraussichtlich noch in diesem
Monat vorgelegt.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ein neuer Bürokratismus wird aufgebaut!)


Bündnis 90/Die Grünen stehen zu der im Koalitions-
vertrag festgeschriebenen Verantwortung des Bundes,
Konversion auch als Element regionaler Strukturpolitik
zu begreifen. Wir halten es auch weiterhin für sinnvoll, ei-
nen Bundeskonversionsbeauftragten als Vermittler und
Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommunen und
Investoren zu berufen. Wir halten es für sinnvoll, Kon-
versionsflächen für den Städtebau, für das Gewerbe oder
für Natur- und Landschaftsschutz zu verwenden.

Wir lassen die betroffenen Kommunen nicht alleine.
Wir werden weiter an Vorschlägen für bezahlbare Kon-
versionshilfen arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eine Welt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1419304300
Bevor ich
das Wort weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, dass
laut Protokoll vom vorherigen Tagesordnungspunkt bei
der Rede des Kollegen Poß der Kollege Dr. Peter
Ramsauer folgenden Zwischenruf gemacht hat: „Diese
Verleumdung nehmen Sie zurück! Sie sind ein Brandstif-
ter, ein Brunnenvergifter! Sie sind ja halbkriminell!“
Auch in Anbetracht der bayerischen Sprachgewohnheiten
überschreitet das deutlich die Grenzen der Sprache, deren
wir uns hier im Parlament befleißigen sollten. Ich rüge
diesen Zwischenruf ausdrücklich.

Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der
FDP-Fraktion.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)



Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1419304400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fell, als ich Ihre
Rede gehört habe, habe ich mich gefragt, wann Sie in der
letzten Zeit einen Standort besucht haben, der von der Re-
duzierung oder Schließung betroffen ist, wann Sie mit den
betroffenen Menschen vor Ort gesprochen haben, die da-
rauf warten, dass es konkrete Hilfen gibt und konkrete
Maßnahmen ergriffen werden. Das, was Sie heute hier
gemacht haben, war Schönrederei. Ich halte mich lieber
an den Kollegen Müller, der die Probleme aufgezeigt hat.

Wenn Sie aber, Herr Kollege Müller, diese Probleme so
sehen, wie wir sie ja auch sehen, wie sie in dem Antrag der
Union wiedergegeben werden, wie wir sie im Antrag der
FDP aufgezeigt haben, warum werden dann nicht ent-
sprechende Maßnahmen im Haushalt umgesetzt? Das ist
doch die Frage!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch umgesetzt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Hans-Josef Fell

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(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Fragen müssen Sie beantworten. Ich hoffe, dass ei-
ner der Nachredner aus der Koalition darauf noch eingeht.

Wir haben eine drastisch unterfinanzierte Bundes-
wehr, wir haben eine katastrophale Materiallage, wir ha-
ben eine unausgewogene Personalstruktur, wir haben
unmittelbar bevorstehende, zwingend notwendige Kon-
versionsmaßnahmen und – ich muss das an dieser Stelle
sagen – wir haben einen Verteidigungsminister, der die-
sen Herausforderungen ganz und gar nicht gewachsen
ist,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sondern der, wie in den letzten Tagen mehrfach gesche-
hen, mit verantwortungslosen Äußerungen durch die Me-
dien schwadroniert.

Mit einem nominal sinkenden Verteidigungshaushalt
wird keine Liegenschaft der Bundeswehr so zurückge-
baut oder so saniert werden, dass sie verkauft werden
kann. Personalmaßnahmen können nicht sozialver-
träglich umgesetzt werden, geschweige denn, dass ein
Sonderprogramm für die von Schließungen und Verklei-
nerungen besonders betroffenen Kommunen eingeleitet
werden kann.

Wir alle wissen: Eine Verkleinerung der Bundeswehr
hat Standortreduzierungen und auch -schließungen zur
Folge. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maß-
nahmen müssen für die betroffenen Kommunen abgemil-
dert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Viele Gemeinden befinden sich durch den Perso-
nalabbau, der zum Beispiel auch in meiner Region, in
Augustdorf, über 2 700 Dienstposten umfasst, in einer
existenziell bedrohlichen Situation. Dies kann und darf
die rot-grüne Bundesregierung, Herr Minister, nicht igno-
rieren, auch und gerade angesichts der Lage in den neuen
Bundesländern.

Herr Kollege Müller, ich frage Sie noch einmal – Sie
kommen aus den neuen Bundesländern –: Wenn Sie das
so sehen, warum tun Sie dann nichts? Darf ich Sie zum
Beispiel an Eggesin erinnern, darf ich Sie an Stavenha-
gen erinnern, wo wir heute schon in der Region eine Ar-
beitslosenquote von 26 Prozent haben – und Sie tun
nichts!

Jetzt sind Steuerentlastungen und arbeitsmarktpoliti-
sche Impulse für die Regionen gefragt. Aber was tun Sie?
Sie erhöhen die Steuern, wie wir es heute Morgen hier
wieder gehört haben. Das ist der falsche Weg.

Lassen Sie mich eines auch als Bürger dieser
Bundesrepublik Deutschland dazu sagen: Es erschreckt
mich, wenn Maßnahmen für die äußere und innere Si-
cherheit angeblich nicht mehr finanziert werden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Für die FDP-Bundestagsfraktion, Herr Minister
Scharping, sage ich Ihnen: Beenden Sie die haushaltspo-
litischen Schildbürgerstreiche und kehren Sie zu einer so-
liden Finanzpolitik für die Bundeswehr zurück. Ich sage

hier ganz bewusst: Wenn Ihnen dazu die Kraft fehlt, dann
treten Sie zum Wohle dieser Bundeswehr zurück.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die FDP-Bundestagsfraktion fordere ich die rot-
grüne Bundesregierung und auch die rot-grüne Koalition
auf, erstens sofort ein Sonderprogramm einzuleiten, das
den von Standortschließung bzw. -reduzierung betroffe-
nen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und strukturel-
len Folgen zu mildern, zweitens ein über die betroffenen
Gemeinden hinausgehendes regionales Ausgleichskon-
zept in die Förderung mit einzubeziehen, drittens
Härtefallfonds einzurichten, viertens im Zuge der Stand-
ortschließungen bzw. -reduzierungen betriebsbedingte
Kündigungen zu vermeiden, sozialverträgliche Lösungen
für die betroffenen Zivilbediensteten zu finden und not-
wendige Arbeitsplatzveränderungen sozial abzufedern,
fünftens Verfahren zur Freigabe von Liegenschaften
durch die Bundesvermögensverwaltung zu beschleunigen
und sechstens bei der Entwicklung der Konversionspro-
gramme insgesamt verstärkt mit dem internationalen
Konversionszentrum in Bonn zu kooperieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet, dass die rot-
grüne Bundesregierung und die rot-grüne Koalition eine
aktive Politik betreiben, die die Belange der Bundeswehr
genauso wie die der betroffenen Kommunen und der
mittelständischen Wirtschaft berücksichtigt, sonst sind
diese rot-grüne Bundesregierung und die rot-grüne Koali-
tion dafür verantwortlich, dass ganze Landstriche ver-
öden, gerade in den neuen Bundesländern. Dies darf nicht
sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419304500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1419304600
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Bundeskonver-
sionsprogramm halte ich für ausgesprochen sinnvoll.
Eine entsprechende Initiative hat das Land Brandenburg
im Bundesrat eingebracht. Es geht doch nicht nur um die
Schließung von Kasernen. Es geht um zukunftsfähige Lö-
sungen für Menschen, Kommunen und Regionen.


(Beifall bei der PDS)


Fest steht: Die Bundeswehr muss umgebaut werden,
aber nicht zu einer Streitmacht, die globale Interventionen
lange durchhalten kann, sondern zu einer jederzeit hand-
lungsfähigen regionalen Verteidigungskraft. Dafür braucht
man weniger als die bisher geplanten Mittel, womit auch
Geld für die laufende Konversion verfügbar wäre.


(Beifall bei der PDS)


An dem Nebengedanken im CDU/CSU-Antrag, ein
Bundeskonversionsprogramm sofort, aber nicht zulasten
des Verteidigungsetats aufzulegen, müssen sich allerdings
die Geister scheiden. Den Widerspruch, einerseits mehr
Geld für Konversion, andererseits auch mehr Geld für die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Günther Friedrich Nolting

18880


(C)



(D)



(A)



(B)


Umrüstung zu verlangen – das Ganze steht zudem unter
dem herzhaft vertretenen politischen Primat der Haus-
haltskonsolidierung –, müssen Sie erst noch auflösen. Wir
stimmen Ihrem Antrag dennoch zu, weil sein Kern, das
schon mehrfach erwähnte Bundeskonversionsprogramm,
jetzt unverzichtbar ist.

Bei dieser strukturpolitisch vielerorts existenziellen
Frage bewegen sich Regierung und Koalition nicht. Das
hat sich auch bei dem ersten Diskussionsbeitrag wieder
gezeigt. In einem Brief an den Vorsitzenden der PDS-
Stadtratsfraktion der Reuterstadt-Stavenhagen – Herr
Nolting hat die Stadt schon erwähnt – schrieb das Bun-
deskanzleramt im Mai 2001 – ich zitiere –:

Die Bundesregierung hat natürlich Verständnis für
die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger
im Zusammenhang mit der beschlossenen Bundes-
wehrstrukturreform und nimmt diese Sorgen ernst.

Allein das Ernstnehmen der Sorgen bringt den Leuten dort
überhaupt nichts.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist es!)


Natürlich haben auch wir registriert, dass mittlerweile
betriebsbedingte Arbeitslosigkeit für nicht mehr benötigte
Zivilbeschäftigte der Bundeswehr durch einen neuen
Tarifvertrag ausgeschlossen wurde. Die Lösung des
personalpolitischen Problems ist das eine die strukturpo-
litischen Verwerfungen jedoch sind das andere.

Bemerkenswert ist, wenn vom Wirtschaftsministerium
zu den Haushaltsberatungen 2002 zur Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
mitgeteilt wird – ich zitiere, weil dies vorhin meiner An-
sicht nach falsch dargestellt worden ist –:

Die jetzigen Ansätze für 2002 enthalten keine finan-
ziellen Reserven, aus denen spezielle strukturelle
Probleme wie Auswirkungen der EU-Osterweiterung
oder der Bundeswehrreform oder der Umorientie-
rung in der Agrarpolitik auf einzelne Standorte re-
gionalpolitisch abgefedert werden könnten.

Sie alle wissen, dass bisher mit dem Verweis auf diese Ge-
meinschaftsaufgabe ein Bundesprogramm abgelehnt
wurde.

Wie sollen denn nun die strukturpolitischen Fragen
bundespolitisch beantwortet werden? Über Eggesin ist
schon beim letzten Mal gesprochen worden, auch heute
wurde es wieder erwähnt. Mecklenburg-Vorpommern hat
zwar in den letzten Monaten knapp 8 Millionen DM für
den dortigen Stadtumbau mobilisiert, aber dies war nur
ein Darlehen, womit das Problem finanziell letztlich nur
in die Zukunft verschoben wird. Gerade an Orten wie die-
sen – ich möchte hierzu den stellvertretenden Minister-
präsidenten, Helmut Holter, der dies immer wieder betont,
zitieren – geht es nicht um starre Standortkonversion, son-
dern um flexible Raumkonversion.

Herr Fell, ich schätze Sie sehr, aber ich habe bei Ihrer
Rede den Eindruck gehabt, Sie haben von den Kommu-
nen ein völlig falsches Bild.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war lange genug Stadtrat!)


Vielleicht waren Sie in letzter Zeit nicht mehr in dem Be-
reich tätig. Sie haben so getan, als ob die Kommunen im
Geld schwämmen und verlassene Bundeswehrstandorte
einfach in Besitz nehmen, in sie investieren und für neue
Unternehmen attraktiv machen könnten. Dazu muss ich
Ihnen sagen: Selbst eine geschenkte Anlage kann schon
zu einem Stein am Hals werden. Im Osten ist dies oft der
Fall. Sicherlich gibt es auch Beispiele im Westen.


(Beifall bei der PDS)

Es geht um die Stärkung der Region, damit das Geld

für eine nachhaltige, langfristig selbst tragende Entwick-
lung wirksam wird.

Auch der Verweis auf die zusätzlichen Umsatzsteuer-
punkte vom Anfang der 90er-Jahre hilft den betroffenen
Gebieten heute überhaupt nichts mehr. Zum einen kos-
tet – insbesondere im Osten mit den großen früheren
Standorten der Westgruppe und der NVA – der damalige
Umbruch auch heute noch das seinerzeit bewilligte Geld
und zum anderen geht Strukturschwäche – das macht sol-
che Steuerinstrumente von vornherein untauglich – mit
niedriger Nachfrage, niedrigen Umsätzen und entspre-
chend geringeren Steuereinnahmen einher. Aus diesem
Teufelskreis hilft nur eine Bundesfinanzierung – eine Fi-
nanzierung durch den Verursacher –, deren Umfang sich
vor allem an der tatsächlichen Strukturschwäche der
betroffenen Regionen orientieren muss, also: ein Kon-
versionsprogramm nach GA-Kriterien, aber nicht als Ge-
meinschafts-, sondern als Bundesaufgabe. Darüber soll-
ten wir gemeinsam nachdenken.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419304700
Das Wort hat
jetzt der Kollege Rossmanith.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1419304800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Lie-
ber Kollege Christian Müller, ich schätze Sie sehr, aber
nach den ersten Sätzen Ihrer Rede bin ich davon über-
zeugt: Es ist in der jetzigen Zeit ganz gut, dass es Men-
schen gibt, die ihren Humor noch nicht verloren haben.
Ihre Bemerkung, bei dieser so genannten Bundeswehr-
reform sei auf den Arbeitsmarkt und auf Wirtschaftsre-
gionen Rücksicht genommen worden, gehört in den Be-
reich des Humors, aber nicht in dieses Parlament; denn
nichts davon stimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Es ist eher zynisch als humorvoll! – Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Galgenhumor!)


Allerdings wurden Sie noch vom Kollegen Fell über-
troffen. Kollege Fell sagte: Wir modernisieren die Bun-
deswehr. – Gleichzeitig wird der Verteidigungshaushalt
permanent nach unten gefahren. Lieber Kollege Fell, Sie
müssen erläutern, wie Sie es machen wollen, mit nichts
oder weniger als nichts die Bundeswehr zu moderni-
sieren.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der Reduzierung der Mannschaftsstärke!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Rolf Kutzmutz

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(A)



(B)


Das ist die Quadratur des Kreises und gehört auf eine Fast-
nachtsveranstaltung, aber nicht in dieses Parlament. Denn
wir sollten hier bei derWahrheit und der Ehrlichkeit bleiben.

Vor dem Hintergrund der Situation, in der wir seit dem
11. September sind, bin ich der Meinung, dass diese Bun-
desregierung – vor allem Sie, Herr Bundesverteidigungs-
minister – nichts anderes – –


(Rudolf Scharping, Bundesminister: Bitte, reden Sie ruhig weiter!)


– Ich rede gerne weiter, wenn Sie zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Simone Violka [SPD]: Das ist ja billig! Mann, Mann!)


Ich bin der Meinung, dass Sie Ihre so genannte Reform
– ich sehe das als allerletzte Warnung – überdenken müs-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Tag für Tag müssen wir sehen, dass die Bürger verun-
sichert sind. In Großbritannien, den USA und bei uns wird
die Gefahr biologischer und chemischer Waffen herauf-
beschworen. Sie dagegen schließen – nur um ein Beispiel
zu bringen – die ABC-Schule in Sonthofen. Es wird nicht
darüber nachgedacht, diese Entscheidung zurückzuneh-
men. Ich frage Sie: Was lernen Sie denn aus den brutalen
und menschenverachtenden Anschlägen auf die freiheit-
liche, zivilisierte Welt vom 11. September?

Sie wollen 100 000 Stellen für Soldaten und zivile Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter streichen. Ich bin dem Kol-
legen Börnsen sehr dankbar dafür, dass er darauf hinge-
wiesen hat, dass ein Drittel davon Standorte in Bayern
betrifft. Es steht doch außer Frage, dass solche Pläne gra-
vierende Folgen für die betroffenen Regionen haben. In
der Debatte vom 29. März habe ich bereits darauf hinge-
wiesen, dass Ihr SPD-Parteikollege Dr. Ivo Holzinger,
Oberbürgermeister in Memmingen gesagt hat: Allein
die Schließung des Standortes Memmingerberg – rund
2 500 Beschäftigte, also Soldaten und zivile Mitarbeiter –
wird für die Region eine Minderung des Investitions- und
Konsumrahmens von 250 Millionen DM pro Jahr bedeu-
ten. Die Schließung hat auch Auswirkungen auf Hand-
werk, Handel, Industrie, Kindergärten, Schulen und vie-
les andere mehr.

Sie sind überhaupt nicht bereit, den Kommunen ent-
gegenzukommen. In der Debatte vom 29. März dieses
Jahres, die ich schon erwähnt habe, hat der Parlamenta-
rische Staatssekretär Mosdorf gesagt, Ihr Parlamenta-
rischer Staatssekretär Walter Kolbow, Herr Bundesvertei-
digungsminister, habe ihm zugesagt, er wolle prüfen
lassen, ob den betroffenen Gemeinden ein vorrangiges
Zugriffsrecht auf die Flächen eingeräumt werden kann.
Seitdem habe ich davon nichts mehr gehört. Es genügt
auch nicht, im Sommer dieses Jahres eine Liste darüber
herauszugeben, welche Flächen frei werden. Eine solche
Liste brauchen die Gemeinden nicht. Diese Arbeit hätten
Sie sich und Ihren Mitarbeitern ersparen können. Denn
aufgrund Ihres so genannten Schließungsprogramms
war doch klar, welche Standorte geschlossen werden. Um
festzustellen, welche Flächen aufgrund der Standort-
schließungen frei werden, brauche ich doch nicht noch
einmal eine ganze Stabsabteilung in Gang zu setzen.

Zum Schluss meiner Rede muss ich zum einen deutlich
feststellen: Es ist mir unverständlich und sogar meiner
Meinung nach unverantwortlich, dass man aufgrund der
Ereignisse seit dem 11. September dieses Jahres nicht be-
reit ist, noch einmal über diese so genannte Reform nach-
zudenken. Zum anderen ist auf Folgendes hinzuweisen:
Wie die beiden Koalitionsfraktionen mit unserem Antrag,
der nur darauf abzielt, den Kommunen Hilfen an die Hand
zu geben, umgehen, ist unverständlich. Auf die Schwie-
rigkeiten der Kommunen wurde ja bereits hingewiesen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen ja nicht, wie Sie das finanzieren wollen!)


Sie haben unseren Antrag ohne eine Begründung abge-
lehnt. Sie haben wieder die alte Leier gebracht, die nicht
einmal der Wahrheit entspricht. Bleiben Sie bei der Wahr-
heit und überdenken Sie das, was wir in diesem Antrag
vorgeschlagen haben! Heute wäre noch Zeit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfinanzierbare Wünsche sind im Antrag, sonst nichts!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419304900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Johannes Kahrs.


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1419305000
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
gleich zu Anfang feststellen, dass große Teile des Antra-
ges der CDU/CSU inzwischen von der Wirklichkeit ein-
geholt worden sind


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und vom 11. September!)


und keiner Diskussion mehr bedürfen.

(Simone Violka [SPD]: Das wissen die nur noch nicht!)

Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag – Kurt, du solltest
euren Antrag kennen –, dass der Bundesminister der Ver-
teidigung seiner Fürsorgepflicht nachkommen solle und
es keine betriebsbedingten Kündigungen geben dürfe.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: So ist es!)

Hierzu stelle ich fest, dass mit Schreiben vom 16. Mai

dieses Jahres – Kurt, lesen kannst du – der Bundesminis-
ter der Verteidigung allen Abgeordneten des Deutschen
Bundestages den neuen Tarifvertrag für die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer der Bundeswehr zugesandt
hat. Dieser Tarifvertrag, den du hoffentlich gelesen hast,
ist bereits in Kraft. Zu seinen wesentlichen Inhalten zählt
unter anderem der Vorrang der Arbeitsplatzsicherung im
Zusammenhang mit der Bundeswehrreform und das Ver-
bot der betriebsbedingten Kündigung.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Was kostet der Vertrag?)


Die CDU/CSU fordert Umschulungsmaßnahmen. Ich
stelle fest, dass ein weiteres Kernstück dieses Tarifvertra-
ges das Angebot kostenloser Qualifizierung ist. Darüber
hinaus beinhaltet der gleiche Tarifvertrag auch eine

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Kurt J. Rossmanith

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(D)



(A)



(B)


Härtefallregelung, die in besonderen Fällen greift und den
Arbeitnehmern einen umfangreichen Schutz bietet.

Während Sie hier längst überholte Forderungen stellen,
hat die Regierung bereits gehandelt und die Interessen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertraglich abge-
sichert.


(Beifall bei der SPD – Simone Violka [SPD]: Die CDU/CSU ist nicht so schnell! Die braucht länger!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419305100
Herr Kollege
Kahrs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Rossmanith?


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1419305200
Selbstverständlich, Kurt.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1419305300
Lieber Kollege
Kahrs, ich bedanke mich sehr herzlich. – Vielleicht kön-
nen Sie mir einmal erklären – ich lade Sie gerne einmal in
meinen Wahlkreis ein –, was Sie angesichts des Tarifver-
trages, den Sie erwähnt haben und den ich natürlich
kenne, einer Mitarbeiterin sagen wollen, die in der Küche
in Memmingerberg oder Sonthofen – das ist nur ein Bei-
spiel; das gilt auch für alle anderen betroffenen Stand-
orte – arbeitet und keine Möglichkeit hat, an einen ande-
ren Standort zu wechseln, da diese mindestens 50 bis
70 Kilometer entfernt sind.


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1419305400
Als wir diesen Tarifvertrag
abgeschlossen haben, haben wir unter anderem darauf
geachtet, dass in bestimmten Fällen Ausnahmere-
gelungen möglich sind; darum bemühen wir uns. Gerade
bei einer solch großen Anzahl von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern gibt es problematische Einzelfälle. Diese
Einzelfälle werden bearbeitet. In den meisten Fällen ha-
ben wir es auch geschafft, eine vernünftige Regelung zu
finden.

In meiner weiteren Rede werde ich darauf zu sprechen
kommen, dass wir darauf geachtet haben, nur solche
Bundeswehreinrichtungen zu schließen, in deren unmit-
telbarer Nähe sich, wenn irgend möglich, andere Bun-
deswehreinrichtungen befinden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Kommen Sie einmal in das Allgäu! Dann sehen Sie die Entfernungen! Nicht wie in Hamburg!)


Ich glaube, dass wir das im Rahmen der jetzigen Reform
entsprechend berücksichtigen.

Ich möchte gerne noch darauf hinweisen, dass Sie bei
Ihren Versuchen, die Bundeswehr zu reformieren, dem,
was Sie in Ihrer Zwischenfrage angemerkt haben, über-
haupt nicht Rechnung getragen haben. Die Beispiele dafür
kann ich ihnen nennen, abgesehen von der Tatsache, dass
Bayern, das in der Vergangenheit durch die von Ihnen ge-
führte Bundesregierung bevorzugt behandelt worden ist.
Deswegen sind Sie in Bayern besser weggekommen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: In Bayern sind die Soldaten noch geduldet! Das ist der Un terschied! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nicht nur geduldet, sondern erwünscht!)


– Stimmt, in Bayern sind sie geduldet; aber in Hamburg
werden sie geschätzt.

Dies zeigt, dass der Bundesminister der Verteidigung
seine Fürsorgepflichten sehr ernst nimmt – Kurt, hör ge-
nau zu – und die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat.
Dafür hat er sich den Respekt aller Abgeordneten dieses
Hauses verdient. – Also, Kurt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, zu

der von Ihrer Fraktion geforderten verbilligten Abgabe
von Liegenschaften stelle ich fest, dass bereits während
Ihrer Regierungszeit die anfängliche Zahl der Verbil-
ligungsmöglichkeiten erheblich heruntergefahren worden
ist. Da aber die derzeitige Reform in ihren Auswirkungen
bei weitem nicht das Ausmaß der bereits erfolgten bun-
desweiten Truppenreduzierung hat, ist es müßig, über
weitere Verbilligungen zu diskutieren.

Ich erinnere auch in diesem Zusammenhang daran,
dass der Bund allein in diesem Jahr im Rahmen der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ Barmittel in Höhe von 2 Milliarden DM
und Verpflichtungserklärungen in Höhe von 1,8 Milli-
arden DM zur Verfügung stellt, die auch dafür genutzt
werden können.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Aber nicht für die Konversion!)


Sie sagen doch immer, dass man Schwerpunkte setzen
und umschichten muss. Genau das ist hier geschehen.

Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass im Rah-
men der bereits bestehenden Programme der Städtebau-
förderung, der Agrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung
und der Mittelstandsförderung – der Kollege Müller hat
schon darauf hingewiesen – die Länder entsprechend um-
schichten können.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das sind alles allgemeine Mittel! Das hat nichts damit zu tun!)


Es bedarf keiner zusätzlicher Finanzmittel. Es geht da-
rum, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen.

In diesem Zusammenhang ist es einmal mehr bezeich-
nend für Ihre Art von Politik, dass Sie die Höhe Ihrer For-
derungen weder genau benennen noch Möglichkeiten der
Finanzierung aufzeigen. Statt anständig und redlich den
konkreten Finanzierungsbedarf und die entsprechende
Deckung aufzuzeigen, wollen Sie mit einer wolkigen Um-
schreibung wie – ich zitiere aus Ihrem Antrag – „muss
durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts
ermöglicht werden“ die Bürgerinnen und Bürger auf das
Glatteis führen.

In der vorangegangenen Debatte wollten Sie auch alles
durch Umschichtungen im Rahmen des Gesamthaushalts
ermöglichen. In den letzten Wochen war es immer das
Gleiche:


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil Ihnen außer Steuererhöhungen nichts einfällt!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Johannes Kahrs

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Die Zahl Ihrer Forderungen ist unendlich und Sie wollen
sie durch Umschichtungen im Gesamthaushalt finanzie-
ren. Aber nie hat einer Ihrer Kolleginnen und Kollegen
auch nur einen einzigen Vorschlag gemacht, aus dem er-
sichtlich wird, wo gestrichen werden soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Rossmanith, ich möchte noch etwas zu
Ihrem Zwischenruf sagen. Es ist natürlich erfreulich, dass
Sie zumindest in dem jetzt vorliegenden Antrag darauf
verzichtet haben, die staatliche Neuverschuldung hoch-
zufahren. Ich finde, das ist ein geradezu richtungsweisen-
der Aspekt für Ihre zukünftige Oppositionspolitik. Den
sollten Sie beibehalten; denn hinsichtlich der Neuver-
schuldung haben Sie in der Vergangenheit kein rühm-
liches Bild abgegeben.


(Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die Wiedervereinigung haben Sie gar nicht mitgekriegt!)


– Selbstverständlich! Auch wir haben sie begrüßt!

Ich möchte noch Folgendes sagen, Herr Kollege. Wenn
Sie hier schon Forderungen aufstellen – über die kann
man im Einzelfall durchaus diskutieren –, dann müssen
Sie, bitte schön, auch sagen, wie Sie sie finanzieren wol-
len. Werden Sie ausnahmsweise einmal konkret. Merken
Sie sich: Tatsachen schafft man nicht aus der Welt, indem
man sie ignoriert. Das sollte inzwischen auch in Bayern
angekommen sein.

Zu den Verfahren der Freigabe von Liegenschaften:
Die Verfahren zur Freigabe der Liegenschaften, die schon
angesprochen worden sind, wurden bereits in der Vergan-
genheit angepasst. Wir haben erhebliche Vereinfachungen
in den Verwertungsverfahren geschaffen und deutliche
Beschleunigungseffekte erreicht. Aber ich weise in die-
sem Zusammenhang auch darauf hin, dass insbesondere
den Kommunen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei
der Anschlussnutzung zukommt. Hier geht es darum, dass
die Kommunen die rechtlichen Rahmenbedingungen für
die weitere Nutzung schaffen müssen.

Zu Ihrem Antrag möchte ich des Weiteren feststellen,
dass Sie mit Ihrer Behauptung, Standortschließungen und
-reduzierungen fänden vorwiegend in strukturschwachen
Gebieten statt, der tatsächlichen Situation nicht gerecht
werden. Das Gegenteil ist zutreffend. Es ist vielmehr rich-
tig, dass insbesondere die strukturschwachen Regionen
von Veränderungen unterdurchschnittlich betroffen wor-
den sind. Wir lassen uns da von einigen Wolkenschiebern
der CDU/CSU die Sonne nicht verdunkeln.

Es ist das Verdienst dieser Reform, die Bundeswehr-
präsenz da zu verringern, wo es möglich und sinnvoll war,
eben in strukturstarken Gebieten. Ich nenne Ihnen als Bei-
spiele die Städte Koblenz, München und Hamburg, die
eine Reduzierung natürlich eher verkraften können als an-
dere, auch wenn es uns im Einzelfall jedes Mal schwer
fällt. Natürlich schmerzt es insbesondere mich als Ham-
burger und Hauptmann der Panzergrenadiertruppe, dass
der Standort Fischbek mit dem Panzergrenadierbatail-
lon 72 in meiner Heimatstadt geschlossen wird. Die Al-
ternative jedoch, eine Kaserne in einer strukturschwachen

Region zu schließen, ist für einen Sozialdemokraten noch
weniger akzeptabel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Rauschender Beifall! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das sag mal deinem Verteidigungsminister!)


Sie wissen ebenso gut wie ich, dass die Reduzierung
der Standorte eben nicht proportional zur personellen Ver-
ringerung der Streitkräfte und ihrer Angestellten erfolgte.
Aus Verantwortung gegenüber den Kommunen haben wir
schon bei der Konzeption der Bundeswehrreform den
Sorgen und Ängsten in höchstem Maße Rechnung getra-
gen; denn vor dem Hintergrund einer funktionalen Be-
trachtung hätte die Hälfte aller Standorte bundesweit ge-
schlossen werden müssen.

Lassen Sie mich das verantwortungsvolle Handeln mit
zwei Zahlen belegen. Betrachtet man die zu schließenden
Standorte im regionalen Zusammenhang, kommt man zu
dem Ergebnis, dass bei einem Drittel dieser Standorte der
nächste aufrechterhaltene Standort – mancherorts sind es
sogar mehrere solcher Standorte – bereits in einem Um-
kreis von 10 Kilometern zu finden ist. Bei den übrigen
von Schließung betroffenen Standorten liegt die nächste
Präsenz der Bundeswehr im Umkreis von lediglich 20 Ki-
lometern. Damit werden die Auswirkungen im regionalen
Zusammenhang schon der Konzeption nach abgemildert.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Kern
der Reform zu sprechen kommen. Während die Bundes-
wehr in Ihrer Regierungszeit – auch in deiner, Kurt – von
einer Reform in die nächste stolperte und mit den Folgen
noch heute kämpfen muss, wird diese Reform zu Recht als
Erneuerung von Grund auf bezeichnet. Die Ergebnisse
der Bestandsaufnahme der Bundeswehr waren für Ihre
verfehlte Politik bezeichnend. – Ich hoffe, du hast das ge-
lesen.

Bundesminister Scharping hat es in vorzüglicher Weise
verstanden, sowohl die Öffentlichkeit als auch die Politik
und die Betroffenen selbst an der Gestaltung dieser Re-
form teilhaben zu lassen.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist aber der Einzige, der das glaubt!)


– Merken Sie sich: Auf jedem Schiff, das dampft und se-
gelt, ist einer, der die Sache regelt. In diesem Fall ist das
Rudolf Scharping.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das Beispiel mit dem Schiff und dem Wasser hätte nicht kommen sollen!)


Zusammenfassend stelle ich fest, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU: Ihr Antrag war vielleicht gut
gemeint, aber das heißt noch lange nicht, dass er auch gut
gemacht ist. Seit der letzten Bundestagswahl sollten Sie
wissen: Im Zweifel entscheidet die Wirklichkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr!)


Wir Sozialdemokraten werden diese Bundeswehr-
reform weiterhin solide und reell umsetzen; denn wir wis-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Johannes Kahrs

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(C)



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(B)


sen: Der größte Feind des Kaufmanns ist die Hoffnung.
Wir dürfen nicht die Armee erhalten, die wir gewohnt
sind, sondern müssen die Armee aufstellen, die wir
benötigen – und genau das tun wir.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419305500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Susanne Jaffke.


Susanne Jaffke (CDU):
Rede ID: ID1419305600
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass sehr viele Bür-
ger zum Beispiel aus den Regionen Eggesin und Staven-
hagen diese Rede des Kollegen Kahrs gehört haben; denn
dann wird es


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hoffnungslos!)


im nächsten Jahr für die Bundesrepublik Deutschland mit
Sicherheit sehr gut aussehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke vor allem
meinen Kollegen Börnsen und Rossmanith dafür, dass sie
so klar und eindeutig über die Sicherheitsanforde-
rungen gesprochen haben, die unserer Meinung nach
schon vor dem 11. September bestanden haben, die seit
dem 11. September noch stärker geworden sind und de-
nen mit diesem neuen Konzept für die Bundeswehrstruk-
tur mitnichten Genüge getan wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Antrag, den wir vorgelegt haben, zielt in die Rich-
tung, die Kommunen, die jetzt im Stich gelassen werden,
ein Stückchen zu berücksichtigen, was die Aufgaben an-
geht, die sie zu erfüllen haben.

In vielen Diskussionsbeiträgen, vor allem in dem Bei-
trag vom Kollegen Fell, wurde darauf abgehoben, was
schon alles geleistet worden ist. Lassen Sie mich das an-
hand einiger Beispiele, vor allem aus den neuen Bundes-
ländern, betrachten.

Im Land Mecklenburg-Vorpommern waren zur Wen-
dezeit am Standort Eggesin 21 000 und am Standort Ba-
sepohl mehr als 5 000 NVA-Soldaten stationiert. Dazu
kommen die Angehörigen der Marine in Dranske, die der
Luftwaffe in Peenemünde und die dort stationierten sow-
jetischen Streitkräfte. Insgesamt waren in Mecklenburg-
Vorpommern mehr als 150 000 Armeeangehörige sta-
tioniert.

Dadurch, dass die Anzahl der Dienstposten am Stand-
ort Eggesin von mehr als 20 000 auf 4 800 reduziert wor-
den ist, hat diese Region eine besondere Kraftanstrengung
vornehmen müssen. 1998 – CDU und SPD stellten die
Landesregierung – dachte man in der Region, man könne
sich darauf verlassen, dass sich diese Kraftanstrengung
nach acht Jahren endlich auszahlt. Dann fuhren der Bun-
deskanzler und der Verteidigungsminister durch die Ge-
gend und erklärten den Leuten, dass das Standortkonzept,
wie es die vorherige Bundesregierung entwickelt hatte,
durch die jetzige Bundesregierung aufrechterhalten
werde. Das waren die Worte dieser beiden Personen vor

Ort. Anschließend wurde dieses Standortkonzept vorge-
stellt, woraufhin die Anzahl der Dienstposten am Standort
Eggesin um weitere 1 800 gekürzt wurde.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Wortbruch ist das!)


In dieser Region, die an der polnischen Grenze liegt,
haben die Menschen immer mit der Armee gelebt und sie
wollen dort ihren Frieden und ihr Leben finden. Daher ist
es einfach unanständig, wenn Sie so handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In dieser Region sind allein in die Sanierung der Infra-
struktur der Bundeswehr und der Truppenübungsplätze
mehr als 109 Millionen DM geflossen. Vor diesem Hin-
tergrund halte ich es für einen Treppenwitz der Ge-
schichte, wie Sie auf die Haushaltskonsolidierung abge-
hoben haben. Erst haben Sie in den Gesamtstandort mehr
als 300 Millionen DM investiert und nun ziehen Sie große
Teile der Armee ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesrepublik Deutschland hat dort mit den
Kommunen Verträge geschlossen, und zwar im Bereich
Wohnungsfürsorge. Ich habe diesbezüglich mehrfach
Anfragen an die Bundesregierung gerichtet. Sie sind
nichts sagend beantwortet worden. An die Adresse der
PDS möchte ich Folgendes sagen: Was der Kollege Holter
– ich war anwesend – von sich gegeben hat, war das Hin-
terletzte; es war gar nichts. Die Kommunen bekommen
nichts, schon gar nicht von der Landesregierung. Aber ich
will Sie an den Taten messen: Durch den Haushalt 2002
werden sämtliche Verbilligungstatbestände der Kommu-
nen für Investitionen in die soziale Infrastruktur – und
damit für den Erwerb von Bundesliegenschaften – der
Jahre 2000 und 2001 sang- und klanglos abgeschafft.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist geradezu skandalös! Rücksichtslos!)


Bei allen drei Verbilligungstatbeständen, die den Kommu-
nen beim Erwerb von Bundesgrundstücken für gemein-
nützige Einrichtungen gewährt wurden, steht expressis
verbis, dass der entsprechende Haushaltsvermerk nicht
für den Fall der Veräußerung von bisher militärisch ge-
nutzten Liegenschaften, die nach dem 14. Juni 2002 zum
Verkauf anstehen, gilt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Abzocken zulasten der Bürger!)


Wo ist also bitte schön die Verantwortung dieser Regie-
rung gegenüber den Ländern und gegenüber den Kom-
munen, wenn sie so mit diesen Standorten umgeht?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Abgesehen davon kann ich Ihnen, was die neuen Bun-
desländer angeht, nur Folgendes sagen: Ich wage zu be-
zweifeln, dass es gelingt, die für ein deutsch-dänisch-
polnisches Korps im Rahmen der NATO entwickelte
Konzeption – die Soldaten, die eine bestimmte Tradition
aufgebaut haben, werden jetzt abgezogen; Stichwort

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Johannes Kahrs

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Stargarder Regiment in Polen – aufrechtzuerhalten. Ich
weiß nicht, wie den Verpflichtungen gegenüber der NATO
und anderen damit verbundenen Aufgaben nachgekom-
men werden soll.

Sie haben jetzt noch die Chance, unserem Antrag zu-
zustimmen. Ich bitte Sie darum. Alles andere wird die Be-
völkerung entsprechend würdigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419305700
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstand-
orte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder
verkleinern will“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5550 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b sowie
18 e auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der
Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung

(Jahresabrüstungsbericht 2000)

– Drucksache 14/5986 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

tion der PDS zu der vereinbarten Debatte
Entscheidung des US-Senats zum Atomtest-
stoppvertrag
– Drucksachen 14/1894, 14/3812 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Hans Raidel
Rita Grießhaber
Hildebrecht Braun (Augsburg)

Wolfgang Gehrcke

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Neue nukleare Abrüstungsinitiativen statt
neuer Raketenabwehrprojekte
– Drucksachen 14/3875, 14/5852 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Ernstberger
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Petra Ernstberger.


Petra Ernstberger (SPD):
Rede ID: ID1419305800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen noch immer
unter dem Eindruck der terroristischen Anschläge vom
11. September und der daraufhin erfolgten Gegenmaß-
nahmen, die im Rahmen eines bis dahin noch nie gekann-
ten Bündnisses, auch eines Bündnisses über die NATO
hinaus, eingeleitet wurden. Diese Anschläge haben Aus-
wirkungen auf unser Thema: Auswirkungen auf den Fort-
gang von Abrüstung und Rüstungskontrolle, Auswirkun-
gen vor allem aber aufgrund der Konsequenzen, die die
Vereinigten Staaten aus den Terroranschlägen gerade für
ihr Land gezogen haben. Sie haben sich von der Über-
zeugung leiten lassen, dass die Herstellung von Sicherheit
vor Terrorismus eine gemeinsame Aufgabe der Staaten-
welt ist, dass Erfolge nicht durch unilaterale Maßnahmen,
vielmehr am ehesten im Zusammenwirken aller Staaten
erzielt werden könne.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Zusammenschmieden dieser großen Antiterror-
koalition ist der Ausdruck eines neuen Engagements für
eine multilaterale Sicherheitspolitik. Kollektive Sicher-
heitsanstrengungen und vertragliche Vereinbarungen zur
Reduzierung von Bedrohungen waren und bleiben politi-
sche Ansätze der Rüstungskontrolle. Gerade diese An-
sätze sind aber in den letzten Jahren zunehmend infrage
gestellt und zugunsten einseitiger Sicherheitsmaßnahmen
ausgehöhlt worden. Eine einseitige Kündigung des ABM-
Vertrages und eine einseitige Stationierung von Raketen-
abwehrsystemen hätten Rüstungskontrollbemühungen im
Bereich der strategischen Rüstung die Basis entzogen.
Dazu ist es Gott sei dank bislang nicht gekommen. Es gibt
Grund zur Hoffnung, dass es künftig nicht nur bei der
Bekämpfung des Terrorismus, sondern auch bei der Frage
der Raketenabwehr zu Vereinbarungen und Regelungen
kommt, die die Interessenslagen der Nuklearmächte und
aller anderen Staaten berücksichtigen, die sich potenziell
einer Bedrohung durch Raketen ausgesetzt sehen.

Unser Interesse besteht nach wie vor darin, die Proli-
feration von Massenvernichtungswaffen und deren Trä-
gersystemen durch internationale verifizierbare Überein-
kommen zu verhindern.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Es gibt berechtigten Anlass zu der Erwartung, dass dies
nun auch im Interesse der USA, Russlands und Chinas
liegt und von ihnen mitgetragen wird. Präsident Putin hat

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Susanne Jaffke

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ja gerade an diesem Ort seine Bereitschaft zu einer
Stabilitätskoalition erklärt. Auch Indien und Pakistan
gehören in eine solche Koalition. Die neuen Umstände
müssen jetzt genutzt werden, um die bisherige Stagnation
bei den Verhandlungen über nukleare Abrüstung und der
Durchsetzung eines umfassenden nuklearen Teststopp-
vertrages zu überwinden.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, bei der Wei-
terentwicklung von Raketentechnologie tätig zu werden.
Als ein Beispiel nenne ich den Umgang mit Nordkorea.
Wir begrüßen es, dass Präsident Bush den Dialog mit die-
sem Land wieder aufgenommen hat. Wir sehen reale
Chancen, dass durch ein Zusammenwirken der Staaten
der ganzen Region – Südkorea, Japan, China –, aber auch
der Europäischen Union Bedingungen zur Beendigung
der Raketenproliferation aufgestellt und ein andauernder
Stopp der Entwicklung weit reichender Raketen erreicht
werden können.

Ein zweiter Ansatz besteht darin, die MTCR-Verhand-
lungen, die die Verbreitung von Risikotechnologie unter
internationale Kontrolle bringen sollen, wieder zu inten-
sivieren. Diese Verhandlungen waren in letzter Zeit fest-
gefahren und das Interesse daran, sie erfolgreich abzu-
schließen, war zunehmend geschwunden. Jetzt gibt es
neue Gründe für neue Anstrengungen, bei denen auch
Staaten wie der Iran mit einbezogen werden sollten.

Auch die Frage, wie waffentaugliches Plutonium aus
abgerüsteten Kernsprengköpfen sicher entsorgt wird,
muss auf die Tagesordnung. Es ist ein prioritäres Interesse
aller Staaten, dass dieses Plutonium nicht in irgendwelche
falschen Hände gerät. Für meine Fraktion ist die Frage,
wie das Plutonium entsorgt wird und welche Technologie
damit verbunden ist, sekundär. Primär ist, dass das Pluto-
nium für seinen weiteren Einsatz als Waffe unbrauchbar
gemacht wird. Auffassungsunterschiede über die zu ver-
wendende Technik und Finanzen waren aber gerade die
Gründe, die dieses wichtige Thema international auf Eis
gelegt haben.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Daran war Deutschland aber sehr wohl beteiligt!)


Angesichts der dringenden Frage der Terrorismus-
bekämpfung können wir uns eine derartige Vernachlässi-
gung nicht mehr leisten. Aber wir können sie uns auch aus
Abrüstungsgründen nicht leisten. Wer nämlich möchte,
dass künftig noch mehr Atomwaffen verschrottet werden,
der muss auch eine Antwort auf die Frage geben, was aus
dem dadurch frei werdenden Plutonium und dem hoch an-
gereicherten Uran in den Atomsprengköpfen werden soll.
Ohne eine solche Antwort wäre eine weitere Atomabrüs-
tung nur schwer verantwortbar. Denn sie würde das Ri-
siko, dass sich gerade die Falschen dieses Materials
bemächtigen, mit jedem weiteren Abrüstungsschritt stei-
gern.

Was multilaterale Rüstungskontrolle für den Aufbau
der Sicherheit zu leisten vermag, zeigt in meinen Augen
auf besondere Weise der „Eckstein der europäischen Si-
cherheit“, wie ihn der Abrüstungsbericht bezeichnet,
nämlich der KSE-Vertrag. Der im November 1990

geschlossene Vertrag hat dafür gesorgt, dass über
50 000 schwere konventionelle Waffen abgerüstet worden
sind. Durch ihn wurde die Fähigkeit zu Überraschungs-
angriffen und zur Einleitung groß angelegter militärischer
Offensiven in Europa vollständig beseitigt. Keine noch so
große einseitige militärische Maßnahme Deutschlands
oder der NATO hätte eine derart durchgreifende Verbes-
serung unserer Sicherheit erzielen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch der Er-
fahrungshintergrund dafür, dass wir auch in anderen Be-
reichen der militärischen Sicherheit so beharrlich an der
Rüstungskontrolle und den Abrüstungsregimen festhal-
ten. Allerdings gibt es auch beim KSE-Vertrag noch De-
fizite. Russland ist wegen Tschetschenien seinen KSE-
Verpflichtungen immer noch nicht ausreichend nach-
gekommen. Deshalb appellieren wir an die Bundesregie-
rung, weiterhin auf unseren russischen Partner einzuwir-
ken, damit die Bedingungen für die Ratifizierung des an-
gepassten KSE-Vertrages sobald wie möglich erfüllt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zum Schluss möchte ich noch auf das Thema Minen
eingehen, das bereits bei der gestrigen Debatte eine Rolle
gespielt hat. Es gibt Vorschläge, das Ottawa-Überein-
kommen zu einem Verbot von Antipersonenminen auszu-
weiten und auch ein Verbot von Antipanzerminen in den
Vertrag aufzunehmen.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Es gibt auch einen entsprechenden Antrag der FDP!)


Dazu ist ja gestern der Antrag der FDP diskutiert worden.

Aus meiner Sicht wäre eine solche Vorgehensweise
dann zweckmäßig, wenn die Ziele des Ottawa-Vertrages,
bei denen es ausschließlich um Antipersonenminen geht,
bereits erreicht wären. Das ist leider längst nicht der Fall.
Die größte Schwäche des Ottawa-Abkommens besteht
nämlich darin, dass die wichtigsten Länder, die Produ-
zenten und Exporteure sind, nämlich Russland, China,
Pakistan, Indien und auch die USA, dem Übereinkommen
nicht beigetreten sind. Darüber hinaus hat das Überein-
kommen in den realen Krisenregionen dieser Welt bisher
noch keine sehr nachhaltigen Wirkungen erzielt. In allen
Krisengebieten – ob in Jugoslawien, Mazedonien,
Kaschmir oder jetzt in Pakistan und Afghanistan – wur-
den und werden weiterhin Minen gelegt. Das Ottawa-Ab-
kommen hat daran nichts ändern können.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Leider!)


Aus diesem Blickwinkel erscheint es wenig erfolgver-
sprechend, die Thematik auszuweiten, solange der erste
Schritt, nämlich die Ächtung der Antipersonenminen,
noch nicht zufrieden stellend vollzogen ist. Deshalb drän-
gen wir die Bundesregierung, sich mit allen ihr zur Verfü-
gung stehenden Mitteln für die Universalität des Ottawa-
Abkommens einzusetzen


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Ernstberger

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und sich mit eigenen Beiträgen weiterhin an der Minen-
räumung zu beteiligen. Auch unser Unterausschuss wird
sich mit dieser Thematik weiterhin befassen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, bei aller Dramatik
der gegenwärtigen Entwicklungen müssen wir verstärkt
an unserem Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle ar-
beiten. Jetzt müssen und werden wir auf die neuen Anfor-
derungen reagieren. Aufgrund der neuen internationalen
Zusammenarbeit gegen Terrorismus ist nun eine neue
Chance gegeben, wieder in Gespräche zu kommen. Diese
neuen internationalen Konstellationen bieten uns auch
Chancen für Abrüstung. Lassen Sie uns bitte gemeinsam
diese Chancen nutzen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419305900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ruprecht Polenz.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1419306000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei der De-
batte um den Jahresabrüstungsbericht aus dem aktuellen
Anlass des 11. September ebenfalls auf die Gefahren der
Proliferation, also der Weiterverbreitung von Massen-
vernichtungswaffen, konzentrieren. Hier müssen wir un-
sere Anstrengungen verstärken; dieses Thema hat seit
dem 11. September eine größere Dringlichkeit bekom-
men.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es!)


Es geht nicht nur um die Gefahr der Verbreitung dieser
Systeme an Staaten, sondern auch um die Gefahr einer
Verbreitung an Terroristen. Wir müssen deshalb mehr
dafür aufwenden; ich füge gleich hinzu: auch mehr Geld.

Das wird uns nur gelingen, wenn wir das öffentliche
Bewusstsein für diese neue Dringlichkeit nutzen.


(Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Die Debatte heute findet aber als eine Art Nischendebatte
statt.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es! Ganz genau!)


Wir müssen diese Debatte aus der Expertendiskussion her-
ausholen – wir sollten gemeinsam überlegen, wie uns das
gelingen kann –, damit die Grundlagen dieser Debatte auch
für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich wäre froh, wenn die Bundesregierung Vorschläge
dazu vorlegen könnte. Wir werden die notwendige Ver-
schiebung von Prioritäten mit den entsprechenden finan-
ziellen Konsequenzen nicht ohne Rückhalt in der Öffent-
lichkeit erreichen. Herr Minister, wir werden deshalb
weniger Geld für andere Dinge zur Verfügung haben. Wir
werden nicht einfach die Steuern erhöhen können, wie Sie
es in Ihrem gestrigen Beitrag angekündigt haben und wie

die Bundesregierung es bei den ersten Maßnahmen zur
Terrorbekämpfung mit der Tabaksteuer gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joseph Fischer, Bundesminister: Was schlagen Sie vor?)


Meine Damen und Herren, der 11. September hat ge-
zeigt, dass wir die Proliferationsgefahren noch ernster als
bisher nehmen müssen. Ein besonderes Risiko bei der
Weiterverbreitung sind die Bestände der ehemaligen
Sowjetunion. Hier geht es zum einen – das sagt auch der
Jahresabrüstungsbericht – um die Beseitigung von che-
mischen Waffen, zum anderen um die Beschäftigung von
Wissenschaftlern aus den GUS-Staaten,


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Sehr richtig!)


die in ehemals sensiblen militärischen Forschungs- und
Entwicklungsbereichen tätig waren. Die Programme be-
schäftigen insgesamt 36 700 Wissenschaftler. Die Haupt-
finanzlast dieser Programme tragen die USA; die Eu-
ropäer tragen einen kleinen Bruchteil und wir sind daran
kaum beteiligt. Die Programme zur Beschäftigung dieser
Wissenschaftler sind außerordentlich wichtig, denn es
gibt, wie wir wissen, Versuche zu ihrer Anwerbung aus
Staaten wie dem Irak, dem Iran oder Pakistan. Wir müs-
sen uns, wenn die Programme ausgelaufen sein werden,
hier stärker engagieren und dafür mehr Mittel bereitstel-
len, auch weil noch nicht alle Wissenschaftler erfasst sind.

Das gilt nach meiner festen Überzeugung auch für die
Beseitigung von chemischen Waffen der ehemaligen Sow-
jetunion. Hier gewähren wir technische Unterstützung bei
der Planung und Errichtung einer Pilotanlage zur Ver-
nichtung chemischer Kampfstoffe in Gornyj. Das Ziel ist,
dass Russland mit der Vernichtung im Jahre 2002 beginnt,
damit seine Verpflichtungen aus dem Chemiewaffenüber-
prüfungsabkommen bis zum Jahre 2007 erfüllt sein wer-
den. Aber auch hier, meine Damen und Herren, könnten
und sollten wir mehr tun; je eher diese Waffen vernichtet
sein werden, desto besser. Solange sie noch existieren,
können sie auch in falsche Hände geraten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zum Geld in diesem Zusammenhang.

Insgesamt gaben wir als Bundesrepublik Deutschland zur
vorbeugenden Bekämpfung der Proliferationsgefahren
auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und zur Ab-
rüstungszusammenarbeit mit Russland und der Ukraine
im Jahre 2000 ganze 15 Millionen DM aus. Das ist weni-
ger, als dem Fußballer Sebastian Deisler als Anzahlung
für seinen bevorstehenden Wechsel von Hertha BSC zu
Bayern München gezahlt worden ist.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist das! Das sind die Größenordnungen!)


Zum Vergleich: Die USA geben für diesen Zweck seit
1992 jedes Jahr 1 Milliarde US-Dollar aus dem Nunn-Lu-
gar-Funds aus, an dem auch die Briten und die Franzosen
beteiligt sind. Sie sehen an diesen Zahlen: Die USA, aber
auch Großbritannien und Frankreich nehmen das Prolife-
rationsrisiko in diesem Fall wesentlich ernster als wir. Es
ist höchste Zeit, dass wir das ändern.

Darüber hinaus gibt es ein besonderes Proliferationsri-
siko, nämlich das waffenfähige Plutonium in der ehe-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Ernstberger

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maligen Sowjetunion betreffend. Die Vernichtung dieses
Plutoniums ist eines der größten abrüstungspolitischen
Probleme, die der Kalte Krieg hinterlassen hat. Ein ame-
rikanisch-russisches Abkommen in diesem Zusammen-
hang sieht nun vor, zunächst insgesamt 34 Tonnen des
Plutoniums auf beiden Seiten zu entsorgen, also ein-
schließlich des Anteils, den die USA haben. Wir wissen:
Das ist nur ein Anfang. Die Bestände sind etwa dreimal so
groß. Jedes Jahr sollen 2 Tonnen entsorgt werden. Man
will spätestens am 31. Dezember 2007 beginnen, wenn
möglich noch früher, und hat vereinbart, dass das ent-
sorgte Plutonium nicht mehr für Waffenzwecke verwen-
det werden darf.

Die Sache eilt, das wissen wir, denn das Plutonium ist
in Russland – ich will es mal so ausdrücken – in zweifel-
haftem Gewahrsam. Es ist nicht auszudenken, was pas-
sieren würde, wenn davon etwas in terroristische Hände
fiele.

Angesichts der dringend gebotenen abrüstungspoliti-
schen Hilfe für Russland stolpert die Bundesregierung
über die ideologischen Hürden ihrer Kernenergiepolitik.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Genauso ist es!)


Frau Ernstberger hat gerade selber darauf hingewiesen,
dass das Projekt droht, auf Eis gelegt zu werden. Wie sieht
die Situation konkret aus? Russland will waffenfähiges
Plutonium vernichten, sieht das Plutonium jedoch als ei-
nen energiehaltigen Wertstoff, will es also durch Um-
wandlung in Mischoxidbrennelemente verarbeiten und
damit Strom erzeugen, auch durch den Export an Kern-
kraftbetreiber im Westen. Die sollen die Brennelemente
kaufen und später gegen Bezahlung wieder nach Russland
schaffen. Die Russen könnten so die Vernichtung des Plu-
toniums bezahlen, die Kernkraftbetreiber bekämen ihren
Brennstoff etwas billiger, weil die Investitionskosten vom
westlichen Steuerzahler aufgebracht werden und nicht
voll in die Preise eingehen.

Die USA, Großbritannien, Frankreich und Japan, die
das Umwandlungsprogramm mitfinanzieren, haben da-
gegen keine Bedenken. Nur die rot-grüne Bundesregie-
rung hat energiepolitische Bauchschmerzen. Die werden
nun dadurch verstärkt, Herr Minister, dass für die Um-
wandlung des Plutoniums die Hanauer Brennelementefa-
brik von Siemens gebraucht wird, weil sonst alles viel teu-
rer würde oder weitere Verzögerungen eintreten würden.
Gebraucht wird also die Anlage, die Minister Fischer als
hessischer Umweltminister einst stillgelegt hat.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Sie war nie in Betrieb! Von daher konnte sie auch nicht stillgelegt werden!)


Es ist ein Eiertanz, es sind halbherzige Lösungen, die die
Regierung hier vollzieht. Die Politik ist mehr an den grü-
nen Scheuklappen orientiert als an der Notwendigkeit,
Proliferationsgefahren umfassend und schnellstmöglich
zu beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)


– Sie kommen gleich noch dran, Herr Minister!

Wie soll nun die Lösung aussehen? Zur Beruhigung
der grünen Basis hat der Wirtschaftsminister festgestellt,
der Export der Hanauer Anlage sei zwar genehmigungs-
pflichtig, aber bedauerlicherweise bestehe ein Rechtsan-
spruch auf Genehmigung. Keinesfalls werde man aber
diesen Export mit einer Hermesbürgschaft absichern.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Sehr richtig!)


Damit erklärt die rot-grüne Bundesregierung die abrüs-
tungspolitisch höchst erwünschte Verwendung der Ha-
nauer Anlage gleichsam zur Privatsache der Firma
Siemens. Sie nimmt möglicherweise eine erhebliche Ver-
zögerung, vielleicht sogar ein Scheitern des gesamten
Projektes in Kauf, einschließlich einer Brüskierung unse-
rer Partner in der G 8, die an dem Projekt beteiligt sind.

Auf der anderen Seite möchte man sich aber doch be-
teiligen, weil man der grünen Basis auch abrüstungspoli-
tisch etwas vorweisen möchte. Hier gibt es 100 Milli-
onen DM von der EU, und Sie, Herr Außenminister,
haben für Deutschland einen signifikanten Beitrag in Aus-
sicht gestellt, Bedingung allerdings: nicht für die Herstel-
lung von MOX-Brennstäben, stattdessen für eine Im-
mobilisierung durch Verglasung oder Keramisierung.

Jetzt kommt der Punkt: Weil Russland das Plutonium
wiederverwerten will, wird für diese Immobilisierung nur
Atommüll zur Verfügung gestellt, der mit Plutonium ver-
seucht ist, also plutoniumhaltige Schlämme. Damit ist der
deutsche Beitrag, der hier in Aussicht gestellt wird, eher
ein Beitrag zum Umweltschutz als zur Abrüstung. Des-
halb sollte dieser Beitrag im Haushalt von Minister Trittin
statt unter „Abrüstungshilfe“, Herr Außenminister, etati-
siert werden.

Trotz dieser Klimmzüge ist Rot-Grün hier nicht aus
dem Schneider, meine Damen und Herren. Die 4 Tonnen
Plutonium pro Jahr, die über die MOX-Brennstäbe weg-
geschafft werden sollen, lassen sich nämlich ohne deut-
sche Kernkraftwerke nicht verbrennen. Dazu wären die
deutschen Betreiber wohl auch bereit. Nach Auskunft der
Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland ist bis zum Ab-
lauf der Restlaufzeiten noch Platz für 14 Tonnen Pluto-
nium. Washington und Moskau drängen auf Klarheit, ob
die Bundesregierung dazu die Genehmigung erteilt. Sie
werden also noch vor der Bundestagswahl Farbe be-
kennen müssen, Herr Lippelt.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und Sie werden sich mit der Problematik von MOX-Brennelementen beschäftigen müssen!)


Lassen Sie mich zum KSE-Vertrag kommen. Der an-
gepasste KSE-Vertrag konnte – Frau Ernstberger hat da-
rauf hingewiesen – auch im Jahre 2000 nicht in Kraft tre-
ten, da die Bedingungen für die Ratifikation unverändert
nicht gegeben sind. Das Problem ist: Russland erfüllt die
neu vereinbarten Flankenobergrenzen in Tschetschenien
nicht. Es bleibt eine Kernforderung an Russland auch im
Jahre 2001, wie es im Jahresabrüstungsbericht heißt, dies
zu ändern.

Nun war Herr Putin zu Besuch in Berlin, und wir soll-
ten das gute Klima nutzen, um erneut darauf hinzuwirken.

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Das Hindernis: Russland überschreitet im Zusammen-
hang mit dem Tschetschenien-Konflikt die regionalen
Flankenobergrenzen. In diesem Zusammenhang möchte
ich doch darauf hinweisen: Es gibt keinen Anlass für eine
so genannte „differenzierte Bewertung“ des russischen
Vorgehens in Tschetschenien, wie der Bundeskanzler
meint.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Wir haben das russische Vorgehen immer differenziert
bewertet. Wir haben das Recht Russlands anerkannt, ge-
gen Terrorismus vorzugehen, und das Recht Russlands
auf territoriale Integrität. Aber es gibt kein Recht Russ-
lands, dabei in schwer wiegender Weise die Menschen-
rechte zu verletzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt Berichte von Menschenrechtsorganisationen über
Folter, über Vergewaltigungen, über entwürdigende Be-
handlung von Gefangenen und über Repressalien gegen
die Zivilbevölkerung. Hier ist keine „differenzierte“, son-
dern weiterhin eine klare Bewertung angebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Außenminister nicht in der Haushaltsdebatte gehört? Er hat nur den Kanzler gehört!)


Lassen Sie mich ein Wort zum Raketenabwehrsystem
und zum ABM-Vertrag sagen. Ungeachtet der präventiv
angelegten Nichtverbreitungs- und Rüstungskontroll-
regime gibt es weiterhin eine Besorgnis erregende welt-
weite Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und
Trägersystemen, und bei den Staaten oder internationalen
Akteuren, die heute oder künftig in Besitz von Massen-
vernichtungswaffen sind, wird das Prinzip der Ab-
schreckung durch gegenseitige gesicherte Vergeltung
nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, das zur Zeit des Kal-
ten Krieges den Einsatz dieser Waffen verhinderte. Mit
den amerikanischen Plänen zur Schaffung einer Raketen-
abwehr zeichnet sich die Möglichkeit ab, die militärische
Abschreckung und Prävention durch eine Verteidigung
gegen Raketenangriffe zu ergänzen. Es ist deshalb auch
moralisch geboten, zu prüfen, inwieweit durch Raketen-
abwehr die Chance besteht, die Abhängigkeit von Offen-
sivwaffen durch eine gemeinsame Abhängigkeit von De-
fensivwaffen zu reduzieren und damit eine umfassende
Abrüstung auf wenige hundert Nuklearsysteme zu er-
möglichen.

Gegen die Entwicklung eines solchen Systems zur Ra-
ketenabwehr spricht nicht, dass auch damit die Anschläge
auf das World Trade Center und das Pentagon nicht hätten
verhindert werden können, genauso wenig, wie es gegen
Anstrengungen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung
spricht, dass weder Teppichmesser noch Passagierma-
schinen jemals in Abrüstungsvereinbarungen aufgenom-
men werden.

Wir brauchen einen umfassenden Ansatz unserer
Außen- und Sicherheitspolitik: Verteidigungspolitik,
Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nonproliferation, Krisen-

prävention und Terrorbekämpfung. Bei der Krisenpräven-
tion und Terrorbekämpfung hat auch die Entwicklungs-
zusammenarbeit einen besonderen Stellenwert. Hier
gibt es zwar keinen unmittelbaren, aber einen mittelbaren
Zusammenhang; denn Armut ist der Nährboden für den
Terrorismus. Armut, Verzweiflung und Perspektivlosig-
keit sind auch ein Grund dafür, dass viele die reichen Län-
der hassen. Dieser Hass macht anfällig dafür, sich von
Ideologen und Volksverhetzern einspannen zu lassen.

Es war deshalb falsch, dass die Bundesregierung ihre
Mittel zur Armutsbekämpfung gekürzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es war auch falsch, dass die Bundesregierung in den ver-
gangenen Jahren Botschaften, Konsulate und Goethe-In-
stitute geschlossen hat;


(Beifall bei der CDU/CSU)


denn wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, De-
mokratie, Freiheit und Achtung der Menschenwürde und
Rechtsstaatlichkeit weltweit zu etablieren. Es ist falsch,
dass die Bundesregierung die Mittel für die politischen
Stiftungen kürzt, die in vielen Ländern gerade in diese
Richtung besonders erfolgreich arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist außerdem falsch, dass die Bundesregierung die
Mittel für die deutschen Schulen im Ausland kürzt; denn
in diese Schulen gehen ja nicht nur die Kinder der deut-
schen Diplomaten, sondern auch die Kinder vieler
Einheimischer, die später zu den Eliten ihrer Länder
gehören. Wir vergeben durch die Kürzung der Mittel für
deutsche Schulen im Ausland die Chance, dass diese Kin-
der auch zu demokratischen Werten erzogen werden. Es
ist deshalb doppelt falsch, dass die Bundesregierung die
Mittel für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit
im Haushaltsentwurf 2002 um 60 Millionen Euro kürzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit diesen Bildungsmitteln wird vielen Kindern und Ju-
gendlichen ein Schulbesuch überhaupt erst ermöglicht.
Damit wird der Anfälligkeit für die Ideen von Terroristen
entgegengewirkt.

Kurz gesagt: Es ist falsch – gerade auch angesichts der
Bedrohung durch den internationalen Terrorismus –, dass
die Bundesregierung die Entwicklungshilfe im Haushalt
2002 um 5,3 Prozent herunterkürzt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Sie hat jetzt nur noch einen Anteil von 0,2 Prozent am
Bruttosozialprodukt. Wir sind weit von dem Ziel entfernt,
0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Ent-
wicklungshilfe auszugeben.

Wir hatten im Frühjahr eine gemeinsame Anhörung des
Finanz-, des Auswärtigen und des AWZ-Ausschusses mit
dem Präsidenten des Internationalen Währungsfonds,
Horst Köhler. Er hat uns dazu aufgefordert, dieses
0,7-Prozent-Ziel in zehn Jahren zu erreichen und uns dazu
gesetzlich zu verpflichten. Ich fordere die Bundesregie-
rung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzule-

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gen und die mittelfristige Finanzplanung des Bundes-
finanzministers entsprechend zu korrigieren.


(Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Wir haben keine Alternative zum jetzigen Vorgehen gegen
die Terroristen und diejenigen, die sie unterstützen und ih-
nen Unterschlupf gewähren. Das schließt auch militäri-
sche Mittel ein. Aber die Anwendung von Gewalt, der
trotz aller Vorsicht auch Unschuldige zum Opfer fallen
können, bleibt ein Übel, auch wenn sie in bestimmten Si-
tuationen unvermeidbar ist. Umso dringender ist die Auf-
gabe, alles zu tun, um solche Dilemmasituationen in Zu-
kunft möglichst zu vermeiden: durch Gewaltprävention,
Nonprofileration, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Ver-
stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Das Recht,
jetzt so zu handeln, macht es erforderlich, dass die ande-
ren Maßnahmen der Gewaltprävention folgen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306100
Das Wort hat die
Abgeordnete Angelika Beer.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306200
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich teile
die bisher geäußerte Einschätzung aller Rednerinnen und
Redner, dass der 11. September eine große Auswirkung
auf die Bedeutung unseres Unterausschusses haben wird,
gerade wenn es um Fragen wie die Verhinderung der Pro-
liferation von chemischen, biologischen und atomaren
Stoffen geht.

Da Bundesaußenminister Joschka Fischer gleich noch
selber zu diesen Bereichen Stellung nehmen wird, möchte
ich in der kurzen Zeit auf zwei Aspekte zu sprechen kom-
men, die wir unter abrüstungspolitischem Blickwinkel
nicht vergessen dürfen, weil sie auch wichtige humanitäre
Fragen berühren. Diese betreffen die Landminen und
Kleinwaffen und sind für die Zivilbevölkerung und für
die Entwicklung der Gesellschaft der auch heute genann-
ten Regionen wie zum Beispiel Afghanistan von wesent-
licher Bedeutung. Landminen und Kleinwaffen sind zen-
trale Themen in der Abrüstungspolitik unserer
Bundesregierung. Die Bundesregierung versucht aktiv,
die jeweiligen Ansätze in Zusammenarbeit mit den Part-
nerländern der Europäischen Union und womöglich im
Rahmen anderer internationaler Organisationen weiter zu
entwickeln.

Wenn ich heute das Thema Landminen anspreche, so
nehme ich auch Bezug auf ein Forum, das gestern Abend
stattgefunden hat, nämlich auf das Lew-Kopelew-Forum
zur Problematik Landminen und Afghanistan. In Afgha-
nistan ist seit Jahren Krieg. Nur 25 Prozent der Landes-
fläche sind noch nutzbar, also nicht vermint. Vor diesem
Hintergrund ist es notwendig – darüber gibt es keinen
Streit –, die Universalisierung des Ottawa-Abkommens
weiter zu betreiben. Universalisierung meint, dass die
Ächtung der Antipersonenminen, die auf Druck der inter-

nationalen Kampagne durchgesetzt werden konnte, erst
dann wirklich wirksam sein wird, wenn wichtige Staaten
wie Russland, China oder die USA hier aktive Unterstüt-
zung bieten.

Spätestens seit gestern Abend, seit dem Vortrag des
Vertreters von Medico International, wissen wir aber
auch, dass seit der Ächtung von Antipersonenminen in
diesen Regionen vermehrt Antipanzerminen mit einem
so genannten Aufhebeschutz verwendet und ausgelegt
werden. Wieder sind Zivilisten die Opfer, weil eine Anti-
panzermine nicht zwischen einen Minenräumer und ei-
nem Gegner, nicht zwischen einem Panzer, einem Schul-
bus und anderen zivilen Fahrzeugen unterscheiden kann.

So sehr ich dieses Ottawa-Abkommen und die Versu-
che, die anderen Staaten zu überzeugen, dass diese Abrüs-
tungsinitiative der richtige Schritt ist, begrüße, so bin ich
doch sicher, dass wir den Aspekt der Ächtung der
Antipanzerminen nicht vernachlässigen dürfen. Ich
glaube, es stünde uns gut an, gerade in dieser Zeit paral-
lel eine Initiative zu untenehmen und zusammen mit an-
deren Staaten, wie zum Beispiel mit Italien, dafür zu wer-
ben, dass auch die Antipanzerminen ohne Aufhebeschutz
geächtet gehören, eben weil sie eine undifferenzierte
Waffe sind, die sich gegen alle richtet.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306300
Frau Kollegin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306400
Ja,
natürlich.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1419306500
Frau Kollegin
Beer, es liegt hierzu ja ein entsprechender Antrag der
FDP-Fraktion vor, der gestern eingebracht wurde. Wird
die Koalition und werden speziell Sie diesem Antrag zu-
stimmen?


(Zuruf von der SPD: Da machen wir lieber einen gemeinsam!)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306600
Herr
Kollege Nolting, dieser Antrag ist wie jede Initiative zu
begrüßen. Es auch zu begrüßen, dass die FDP den Stand,
den wir im Rahmen der internationalen Verhandlungen
durchgesetzt haben, durch den Bundestag gerne fest-
schreiben möchte. Das wird die Bundesregierung nicht
stören und uns erst recht nicht.

Es stellt sich hier aber die Frage, ob wir im Rahmen un-
serer humanitären Aufgaben jetzt nicht einen Schritt wei-
ter gehen sollten. Wir sollten prüfen, ob Bereitschaft vor-
handen ist, jene Minen, die wie die Antipanzerminen
unterschiedslos wirken, ebenfalls perspektivisch zu äch-
ten. Deswegen werden wir hier im Parlament gründlich
beraten und dabei möglicherweise etwas weiter gehen als
Sie in Ihrer Initiative. Ich glaube, das ist die humanitäre
Verantwortung, der wir uns nicht nur als Politiker und Re-
gierung zu stellen haben. Dazu haben wir uns auch im
Koalitionsvertrag verpflichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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Deswegen, Herr Kollege Nolting, werden wir auch eigene
Vorschläge unterbreiten.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das habe ich gestern ganz anders gehört! Das sagt Ihr Koalitionspartner ganz anders, auch gestern Abend!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass Sie
das alles als illusorisch bezeichnen.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Nein, überhaupt nicht! Sie haben drei Jahre Zeit gehabt!)


Als ehemalige Koordinatorin der internationalen Kam-
pagne gegen Landminen für Medico International
möchte ich hier kurz Folgendes berichten: Als ich anfing,
mit den Verteidigungsministerien der europäischen Staa-
ten zu beraten, unsere Kampagne vorstellte und fragte:
„Was halten Sie davon?“, war ich spätestens nach fünf
Minuten mit dem Kommentar wieder vor der Tür, das sei
vollkommen illusorisch, sie bräuchten diese Antiperso-
nenminen. Letzten Endes erhielt diese Kampagne den in-
ternationalen Friedenspreis. Das Ergebnis ist Ottawa I.
Deswegen sind wir hoffungsvoll, dass wir zusammen mit
den Hilfsorganisationen – das sind die Experten in diesem
Bereich – einen Schritt weiterkommen hin zu Ottawa II,
hin zur Ächtung aller Landminen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine nachdenkliche
Anmerkung machen. Wenn es stimmt, dass jetzt auch im
Rahmen der von uns mitgetragenen militärischen Ein-
sätze gegen Terrorzentralen in Afghanistan Streubomben
und Bomben, die Antipersonenminen beinhalten, abge-
worfen werden, dann müssen wir überlegen, ob das der
richtige Weg ist.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Und woher wissen Sie das?)


Ich habe da große Zweifel; denn wir wissen: Auch wenn
Kriege beendet sind, bleiben Minen scharf. Sie bleiben
scharf, bis ein Zivilist, ein Flüchtling, der Nahrung sucht,
auf sie tritt und damit zu einem weiteren Opfer eines be-
endeten Krieges wird. Darüber sachlich zu diskutieren
und Auswege zu suchen ist unser aller Verantwortung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1419306800
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist
also die große Abrüstungsdebatte des Deutschen Bundes-
tages im Jahr 2001, die Debatte im Parlament eines der
wichtigsten Staaten dieser Welt, eines Staates, der wie
kein anderer zur Abrüstung und zum Frieden beitragen
könnte; denn er hat schon lange freiwillig auf den Besitz
von Atomwaffen sowie von biologischen und chemischen
Waffen verzichtet. Er hat schon lange Obergrenzen seiner
Streitkräfte akzeptiert und seit Jahren eine sehr zurück-
haltende Rüstungsexportpolitik betrieben.


(Lachen der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Abrüstung und die Verhinderung der Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen sind eigentlich zentrale The-
men unserer Zeit. Nur, die Bundesregierung zeigt ihr
besonderes Interesse in der besonderen Art: Der Verteidi-
gungsminister schickt noch nicht einmal seinen Staats-
sekretär. Die Entwicklungsministerin glänzt durch Abwe-
senheit, als hätte dieses Thema mit den Lebenschancen
der Menschen in den Entwicklungsländern schlicht gar
nichts zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die FDP sitzt mit drei Leuten hier!)


Der Wirtschaftsminister weiß wahrscheinlich gar nicht,
dass sein Ressort für Rüstungsexporte primär zuständig
ist. Der Staatssekretär für Verbraucherfragen unterhält
den gelangweilten Außenminister während der Hälfte der
Debatte. Das ist unsere große Abrüstungsdebatte – tolle
Sache!


(Beifall bei der FDP und der PDS)


Dabei hätten wir bei einer der zentralen Schicksalsfra-
gen der Menschheit durch unsere politische und wirt-
schaftliche Bedeutung, aber eben auch durch die in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten betriebene Politik
besonderen Einfluss, wenn wir ihn nur geltend machten.
Wir alle wissen, dass unser Partner, die USA, sich bei der
Abrüstung besonders schwer tut. Atomteststoppvertrag,
National Missile Defense, Ottawa-Abkommen über die
Ächtung von Minen, Bedenken gegen den ABM-Ver-
trag – wo man hinschaut, sitzen die USA im Bremser-
häuschen. Abrüstung ist in den USA wenig populär.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Moment ist das auch schwierig!)


Hier hätte ein selbstbewusster Partner, der den USA
aus gutem Grunde solidarisch beistand und beisteht, wenn
es darauf ankommt, großen Einfluss. Nur, wird er genutzt
von denjenigen, die unser Land in der internationalen Po-
litik vertreten?

Eines der wichtigsten Themen gerade in unserer Zeit
muss sein, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Atom-
bomben in die Hände von Terroristen oder auch von Staa-
ten wie dem Irak, dem Iran oder Libyen geraten. Nicht
auszudenken, was passiert wäre, wenn die Attentäter des
11. September 2001 Atombomben in ihrer Verfügungsge-
walt gehabt und an Bord der Flugzeuge gebracht hätten.
Wir würden von New York nur noch in der Vergangen-
heitsform sprechen können.

Es glaube doch keiner, dass Attentäter, die ihr eigenes
Leben und das von Hunderten von mitfliegenden Men-
schen und Tausenden von völlig unbeteiligten friedlichen
Bürgern riskieren, auf den Einsatz von Massenvernich-
tungswaffen verzichten würden, wenn diese nur ihrem
Ziel des Kampfes gegen die Amerikaner, gegen den Ka-
pitalismus, gegen den Westen, gegen die Demokratie, ge-
gen das Christentum oder gegen die Ungläubigen dienen
könnten.

Mehr als 15 000 Atomsprengköpfe mit mehr als
50 Tonnen waffenfähigem Plutonium lagern in Russ-
land. Keiner von uns weiß, ob diese Plutoniummengen

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wirklich sicher bewacht und kontrolliert werden. Wir wis-
sen aber, dass Russland den größten Teil davon gerne los-
werden und für die friedliche Atomenergie nutzen will.
Wie Herr Polenz vorhin schon sagte: Amerika, England,
Frankreich und Japan wollten sich an dem Programm be-
teiligen, nur die Bundesregierung ging und geht davon
aus, es sei wichtiger, dass bestehende russische Atom-
kraftwerke nicht zusätzliche Brennstoffe erhalten, als
dass vagabundierende Atombomben von ihrer Gefähr-
lichkeit befreit werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Unverantwortlich!)


Die Bundesregierung weigert sich, Russland auf sei-
nem Weg zur Konversion von Waffen in friedliche Ener-
gie beizustehen, und besteht darauf, dass Plutonium, wel-
ches für Russland von größtem wirtschaftlichem Wert
sein kann, verglast und dann immobilisiert werden soll.
Dass dieses Glas auch wieder aufgebrochen werden kann,
sodass man letztlich wieder an das Plutonium heran-
kommt, wurde als nicht so wesentlich angesehen. Statt
den Export der Nukem-Fabrik


(Joseph Fischer, Bundesminister: Alkem!)


zur Umwandlung von Waffenplutonium in MOX-Brenn-
elemente zu fördern, gibt man sich distanziert und im
Grunde abweisend.

Kann es denn richtig sein, wenn diese Regierung mit
dem Blick auf grüne Wähler, denen der Ausstieg aus der
Kernenergie versprochen wurde, die Augen vor den gro-
ßen Nöten dieser Welt verschließt,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


die sehr viel mehr mit der Gefahr der Weiterverbreitung
von Massenvernichtungswaffen als mit dem Abschalten
sicherer deutscher Atomkraftwerke zu tun haben?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


In der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will
ich noch auf ein Thema zu sprechen kommen. Wir spre-
chen heute über Abrüstung. Über Jahre und Jahrzehnte
wurde jeweils der Gegner des Gegners aufgerüstet. Nicht
zuletzt die USA haben die Taliban mit Boden-Luft-Ra-
keten ausgestattet, als diese noch gegen die Sowjets
kämpften. Jetzt richten sich diese Raketen gegen die ei-
genen Flugzeuge. Diese Beobachtung sollte all denen die
Augen öffnen, die allzu leichtfertig Waffen an Streitpar-
teien liefern, deren Verlässlichkeit alles andere als ge-
sichert ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn jetzt die Nordallianz mit Waffen vollgepumpt
wird, ohne dass eine Absicherung über die Rückgabe oder
die Vernichtung der Waffen nach einem eventuellen Sieg
über die Taliban gewährleistet ist, dann sät man damit be-
reits wieder für den nächsten Krieg mit einem noch unbe-
kannten Gegner.

Dass es bei der UCK gelang, 3 000 Waffen durch frei-
willige Abgabe und weitere 3 000 Waffen bei illegalen

Grenzübertritten einzusammeln und der Vernichtung zu-
zuführen, ist ein ermutigendes Zeichen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch was!)


Ähnliches muss aber mit der Nordallianz und allen mög-
lichen ähnlichen Partnern der Zukunft vereinbart werden,
wenn wir nicht gleich den nächsten Waffengang in Kauf
nehmen wollen. Über die vordergründigen Interessen in
einer momentanen Interessenkonstellation hinaus müssen
auch immer die Wirkungen der Waffenlieferungen für die
Zukunft beachtet werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419306900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Heidi Lippmann.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1419307000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Sie alle haben darauf hingewie-
sen, dass wir nicht zur Tagesordnung übergehen können.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal
daran erinnern, dass die NATO genau heute vor einem
Monat erstmals das In-Kraft-Treten des Art. 5 des NATO-
Vertrages erklärt hat. Ich möchte auch daran erinnern,
dass in den vergangenen Tagen der Bundeskanzler in
Washington ganz im Gegensatz zu dem Tenor dieser De-
batte, die wir führen, weitreichende Zusagen zur militä-
rischen Unterstützung bei den Angriffen auf Afghanistan
und eventuell weitere Staaten, die noch folgen werden,
gemacht hat. Auch der Bundesverteidigungsminister ist
mehr denn je davon entfernt, dem Thema Abrüstung auch
nur eine nennenswerte Beachtung zu schenken. Sie sag-
ten zu Recht: Wenn man auf die Regierungsbank schaut,
sieht man, wer hier ist und wer nicht hier ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dankbar
für die Besonnenheit, die wir in der jetzigen Debatte hat-
ten; aber die haben wir als Abrüster immer schon gehabt.
Ich wünschte mir – darin kann ich dem Kollegen Braun
nur Recht geben –, dass wir nur ein Minimum an Auf-
merksamkeit dessen bekämen, was den Aufrüstern und
den Militärdiskutanten hier widerfährt.

Wenn wir uns über Abrüstung unterhalten, können wir
das nur unter den aktuellen Gesichtspunkten tun. Da
möchte ich Ihnen widersprechen, Herr Kollege Polenz:
Die aktuelle Debatte, die im Moment in den USA zur Na-
tional Missile Defense geführt wird, ist sehr weit herun-
tergefahren worden. Denn dort sieht man ganz klar, dass
Raketenabwehr die Anschläge vom 11. September eben
nicht verhindert hätte. Deswegen ist im Moment dort nie-
mand mehr ernsthaft in der Lage, dieses Programm vo-
ranzutreiben. Wir sind sehr dankbar dafür, weil wir – ei-
gentlich fraktionsübergreifend – immer wieder gefordert
haben, das nationale Raketenabwehrprogramm zu stop-
pen.

Schauen wir uns die aktuellen Ängste in der Bevölke-
rung an, zum Beispiel angesichts der Milzbranderkran-
kungen in den USA, dann wird das bestätigt, was NATO-
Generalsekretär Robertson vor zwei Tagen in Ottawa

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Hildebrecht Braun (Augsburg)


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gesagt hat: dass B-Waffen die „Atombomben des kleinen
Mannes“ seien. Bei der NATO-Versammlung in Ottawa
hat man sehr besonnen darüber diskutiert, wie Prolife-
ration verhindert werden könnte, welche Auswirkungen
nicht nur konventionelle Systeme, sondern natürlich auch
A-, B- und C-Waffen haben.

Wir können heute nur ahnen, wie viele Tonnen chemi-
scher Kampfstoffe in den Lagern der GUS lagern. Wir
können allenfalls erahnen, wie viele Tonnen den Weg hi-
naus in die seit kurzem wieder als „Schurkenstaaten“ be-
zeichneten Länder gefunden haben. Wir können nur erah-
nen, in welchem Ausmaß biologische Waffen vorhanden
sind, nicht nur in Staaten, sondern auch bei terroristischen
Gruppen oder bei Einzelpersonen.

Wir wissen auch nicht erst seit dem 11. Septem-
ber 2001, dass es möglich ist, B-Waffen-Erreger mit Flug-
zeugen, die normalerweise Pestizide versprühen, zu ver-
teilen, sondern das wussten wir schon früher, weil es die
USA in Kolumbien vorgeführt haben, indem sie Koka-
felder mit „Agent Green“ besprüht haben.

Doch darüber, wie wir aus dieser Spirale herauskom-
men, sollten wir nicht nur gemeinsam in diesem Kreis
nachdenken, sondern darüber hinaus. Wir sollten vor al-
len Dingen über die Relation zwischen Aufrüstung und
Abrüstung massiv nachdenken. Ich als Raucherin wäre
persönlich gerne bereit, eine Mark mehr zu bezahlen,
wenn ich wüsste, dass die 1,5 Milliarden DM, die Herr
Scharping jetzt bekommt, in den Bereich der Abrüstung
und nicht in den Bereich der Aufrüstung investiert wür-
den.


(Beifall bei der PDS)


Wenn Länder wie die USA nicht bereit sind, den Atom-
teststoppvertrag zu ratifizieren, dann hat das natürlich eine
Wirkung, ebenso, wenn Sie nicht bereit sind, ihre Chemie-
produktion für unabhängige Kontrollorgane zu öffnen.

Wenn wir es schaffen, Abrüstung in eine nennenswerte
Relation zu den Aufrüstungsprogrammen zu setzen, die
wir gerade dieser Tage erleben, dann schaffen wir es auch,
entsprechende Mittel in den Etat der Entwicklungs-
zusammenarbeit zu investieren, die Chemiewaffenlager
in Russland und den anderen GUS-Staaten durch entspre-
chende Maßnahmen zu sichern und abzubauen und damit
aus dieser Spirale der militärischen Gewalt auszubrechen.

Liebe Kollegin Beer, ein Wort an Sie. Sie haben Ottawa
angesprochen und von den humanitären Verpflichtungen
geredet. Wir alle sind der Meinung, dass wir nicht nur
Antipersonenminen, sondern auch Antifahrzeugminen
ächten müssen. Doch angesichts dessen, was gerade die-
ser Tage in Afghanistan passiert, möchte ich Sie aus hu-
manitärer Verpflichtung heraus bitten, einmal lautstark
darüber nachzudenken, welchen Sinn es macht, gleich-
zeitig Lebensmittelpakete und Bomben in Gebiete abzu-
werfen, die nachweislich vermint sind.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307100
Frau Kollegin
Lippmann, Ihre Redezeit ist vorbei. Ihr letzter Satz war
doch ein sehr guter Schluss.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1419307200
Noch einen Satz: Wenn wir
die Spirale der Gewalt durchbrechen wollen, dann müs-
sen wir aktiv Friedenspolitik gestalten. Friedenspolitik
bedeutet Entwicklungspolitik. Friedenspolitik bedeutet
nicht die Bombardierung von Ländern wie Afghanistan
im Rahmen der Terrorbekämpfung.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Arnold.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1419307400
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen! Liebe Kollegen! Der 11. September 2001 und
seine tief greifenden Folgen könnten zu dem Trugschluss
führen, dass wir uns mehr mit Aufrüstung als mit Abrüs-
tung auseinander setzen müssen. Der richtige Weg ist aber
die Verstärkung der bisherigen Abrüstungsbemühungen.
Deshalb ist es gut, dass Fortschritte bei Abrüstung, Rüs-
tungskontrolle und besonders bei der Nichtverbreitung
von Massenvernichtungswaffen ein wichtiges Ziel deut-
scher Sicherheitspolitik waren und bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn dieser Prozess im Jahr 2000 gelegentlich leider
ins Stocken geraten ist, dann liegt das auch an NMD. Herr
Polenz, darin sind wir anderer Meinung. NMD ist keine
Chance, sondern es ist ein Risiko.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] sowie bei der PDS)


Wenn das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten
und Russland von Irritationen geprägt ist, dann fallen die
entscheidenden Akteure für den Abrüstungsprozess aus.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Jetzt hat die aktuelle weltpolitische Lage zu intensiven
Dialogen über mögliche Bedrohungsszenarien geführt
und eine breite Basis gemeinsamer Interessen geschaffen.
Das Ziel ist klar: mehr Sicherheit für alle durch verstärkte
Abrüstungsbemühungen.

Ein Thema, mit dem wir uns immer wieder im Unter-
ausschuss beschäftigt haben, findet in den letzten Tagen
besondere Aufmerksamkeit: die Gefahren, die von che-
mischen und biologischen Kampfstoffen ausgehen. Trotz
internationaler Ächtung bedrohen sie die Menschheit und
– wir wissen es – viele Menschen sind besorgt. Wir wis-
sen, dass kriminelle Terroristen die Substanzen in größe-
rem Umfang nicht in der Badewanne oder im Küchenla-
bor basteln können. Die Herstellung solcher Stoffe und
vor allem deren weite Streuung ist komplex und wird
wohl nur mit der Unterstützung verantwortungsloser
Staaten möglich sein. Der Irak taucht dabei seit Jahren in
der Arbeit unseres Unterausschusses als einer der
Hauptakteure auf.

Der vorliegende Abrüstungsbericht beschäftigt sich
mit dem Chemiewaffenübereinkommen, das bis zum
Jahre 2007 zu einer Vernichtung aller C-Waffen und
C-Waffen-Produktionsstätten führen soll. Wir haben ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Heidi Lippmann

18894


(C)



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meinsam die Beseitigungsanlage im russischen Gorny
besichtigt; ich darf daran erinnern, dass wir diese Anlage
finanziell unterstützen. Der Ansatz hierzu wurde im lau-
fenden Haushaltsjahr erhöht. Allerdings wünschen wir
uns auch, dass die russischen Partner eine baldige Inbe-
triebnahme mit mehr Vehemenz verfolgen, um ihre Ver-
tragszusagen termingerecht erfüllen zu können.

141 Staaten sind bis zum Ende des Berichtsjahres dem
Abkommen beigetreten. Allerdings bleiben im Mittleren
und Nahen Osten Besorgnis erregende Lücken. Wir be-
grüßen die Bestrebungen der Bundesregierung, eine uni-
verselle Geltung des CWÜ zu erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Problem der biologischen Waffen wird seit 1975
im Biologiewaffenübereinkommen berücksichtigt. Die
bisherigen Vereinbarungen müssen allerdings mehr als
Gentleman’s Agreement aus der Zeit des Kalten Krieges
bewertet werden;


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider ja!)


denn es besteht ein grundsätzliches Problem: Leider feh-
len beim BWÜ nach wie vor konsequente Verifikations-
regeln.

Die Entwicklung der letzten Tage in den Vereinigten
Staaten zeigt, wie notwendig denkbar strengste Überprü-
fungen wären. Gerade unter verlässlichen Freunden muss
dieses Anliegen auch gegenüber den Vereinigten Staaten
klar formuliert werden. Ich bin froh, dass unsere Bundes-
wehr bei ihrer präventiven Forschung in den Bereichen
biologischer und chemischer Kampfstoffe nichts zu ver-
bergen hat. Die Kritiker in den Medien und aus diesem
Haus müssen zwischenzeitlich anerkennen: Auch unser
Land braucht diese Forschung zur Abwehr möglicher Ge-
fahren dringend.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Es sind allerdings nicht Massenvernichtungswaffen,
die Jahr für Jahr 500 000 Menschen töten. Die grauenhaft
hohe Zahl der Opfer ist Folge von 100 Millionen Klein-
waffen, die unkontrolliert zirkulieren.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es!)


Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 intensive
Bemühungen unternommen, um die Masse an Klein-
waffen unter Kontrolle zu bringen. Sie hat eine Resolu-
tion der Vereinten Nationen mit auf den Weg gebracht,
die zu einer internationalen Staatenkonferenz zum Han-
del mit Kleinwaffen geführt hat. Diese Konferenz
konnte trotz gemeinsamer Interessen die gesteckten
Ziele nicht erreichen. Innenpolitische und kulturelle Dif-
ferenzen – auch die Frage einer möglichen Un-
terstützung von Bürgerkriegsparteien – haben eine Eini-
gung leider verhindert.

Auch wir wollen Kleinwaffen nur unter staatlicher
Kontrolle. Das heißt konkret: Einschränkung des privaten
Waffenbesitzes, Begrenzung des Verkaufs an nicht staat-

liche Akteure und Markierung aller Kleinwaffen zur Kon-
trolle der Vertriebswege.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Mit der Reduzierung illegaler Kleinwaffen und der Kon-
trolle der Beschaffungsmöglichkeiten entziehen wir auch
dem internationalen Terrorismus und den Warlords in
Afrika eine ihrer wichtigen Grundlagen.

Nachdem wir schmerzhaft erfahren mussten, dass die
größten Risiken für den Frieden von nicht staatlicher Ge-
walt ausgehen, sollte auch der Prozess der Rüstungskon-
trolle neu justiert werden. Im Mittelpunkt muss dabei die
Unterbindung der Weitergabe von Waffen, aber auch von
technologischem Know-how stehen. In diesem Bereich
sehen wir Wirtschaftsgüter, die Dual-Use-Zwecke haben,
zunehmend kritisch. Dies gilt vor allem, soweit es um die
Produktion biologischer und chemischer Waffen geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen: Langfristig wird die Welt nur dann siche-
rer, wenn Waffen nicht in die falschen Hände geraten.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307500
Das Wort hat
jetzt der Bundesaußenminister, Joschka Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie
mich mit zwei Vorbemerkungen beginnen. Erste Vorbe-
merkung. Herr Polenz, Opposition ist ein hartes Geschäft;
aber Sie sollten eine gewisse Logik beibehalten: Sie kön-
nen nicht sagen, dass wir Steuern senken und Kürzungen
unterlassen und gleichzeitig Leistungen wesentlich anhe-
ben sollen. Da begeben wir uns in einen Bereich, in dem
nur noch der Glaube an Wunder hilft. Reines Wunsch-
denken gehört aber nicht in den Bereich der Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ruprecht Polenz [CDU/ CSU]: Man muss von den Grundrechenarten nur eine beherrschen!)


Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie sollten einmal
ordentliche Finanzierungsvorstellungen auf den Tisch
legen.

Zweite Vorbemerkung. Ich schätze Sie ja sehr; aber
von der Hanauer Anlage verstehen Sie nun wirklich we-
nig. Das damalige Unternehmen hieß nicht Nukem, son-
dern Alkem. Außerdem wissen Sie doch ganz genau, dass
einmal in Betrieb genommene Anlagen überhaupt nicht
exportiert werden können, weil sie kontaminiert sind.

Jetzt kommt das für Sie Erstaunliche: Diese Anlage
war nie in Betrieb. Sie hatte gar keine Genehmigung.
Denn diese ist von einem Gericht kassiert worden. Die da-
mals vorhandene Genehmigung ist von einem CDU-Kol-
legen unterschrieben worden, der so unter politischen
Druck gesetzt wurde, in kürzester Zeit eine Genehmigung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Rainer Arnold

18895


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zu erhalten, dass er in seiner Verzweiflung die Firma
Siemens die Genehmigung hat schreiben lassen. Das ging
– dagegen wurde geklagt – nach dem deutschen Verwal-
tungsrecht nicht. Das heißt, eigentlich war die CDU sehr
erfolgreich im Verhindern dieser Anlage. Das wollte ich
Ihnen nur sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Wie geht es jetzt mit der Anlage weiter, Herr Minister? Das ist viel spannender! – Heidi Lippmann [PDS]: Nach dieser erfolgreichen Verhinderung sind Sie nun bereit, sie nach Russland zu exportieren!)


– Nein, das ist nicht der Punkt. Siemens hat jetzt erklärt,
dass es von dieser Anlage keinen Gebrauch mehr macht.

Auch weitere Aussagen von Ihnen teile ich nicht: Punkt
eins. Natürlich wäre eine Verglasung die einzig sinnvolle
Maßnahme. Denn die Plutoniumwirtschaft halte ich an-
gesichts der sowieso schwer bis gar nicht kalkulierbaren
nuklearen Risiken für überhaupt nicht mehr tragbar. Ich
finde, Russland begibt sich hier in eine völlig falsche
Richtung, was Sie in Ihrer Rede auch noch unterstützt ha-
ben. Ich halte das für eine ganz verderbliche Entwicklung.

Punkt zwei. Russland erbrütet täglich neues waffen-
fähiges Plutonium. Das heißt, wir würden hier einen zu-
sätzlichen Kreislauf bewirken. Das ist eine schlechte Idee.

Punkt drei. Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir mit
unserem hohen Plutoniumvorrat in Europa – das betrifft
auch die deutsche Nuklearwirtschaft – ausgerechnet auch
noch russisches Waffenplutonium in Form von MOX-
Brennelementen bräuchten? Dieses müsste sonst wohin in
die Welt exportiert werden. Aber Europa – ich meine hier
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und vor allen
Dingen die nuklear arbeitende Stromwirtschaft bei uns, in
Frankreich und in anderen Ländern – sitzt auf ganz großen
Vorräten. Ihre Argumente stimmen also hinten und vorne
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ruprecht Polenz [CDU/ CSU]: Schauen wir mal!)


Lassen Sie mich nun zum aktuellen Thema kommen.
Erstens. Angesichts der Krise nach dem 11. September
2001, die hier erwähnt wurde, und der aktuellen Situation
ist die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen
eine ganz entscheidende Frage, wobei es hier nicht nur um
biologische und chemische Waffen geht. Für mich ist, ge-
rade wenn ich an den Nahen und Mittleren Osten und an
Südasien denke, das Problem der Trägersysteme und des
nuklearen Rüstungswettlaufs alles andere als beruhi-
gend.

Die politischen und vertraglichen Instrumente der
Nichtverbreitung gilt es zu stärken und Schwachstellen zu
beseitigen. Im nuklearen Bereich bleibt die Verpflichtung
des Nichtverbreitungsvertrages zu vollständiger atomarer
Abrüstung entscheidend. Die konkreten Schritte sind auf
der Überprüfungskonferenz im Frühjahr 2000 festgelegt
worden. Auf diesem Weg müssen wir vorangehen.

Das Chemiewaffenübereinkommen muss voll operativ
werden. Bei den Biowaffen muss es uns angesichts der

realen Bedrohungen gelingen, endlich wirksame interna-
tionale Kontrollmechanismen zu schaffen. Ich denke,
diese Chance besteht jetzt mehr denn je. Insgesamt muss
die Verhinderung des Erwerbs solcher Waffen durch nicht
staatliche Gruppen stärker in den Vordergrund rücken.

Bei den Trägersystemen – diese sollten wir nicht ver-
gessen – treiben wir gemeinsam mit Frankreich und un-
seren anderen EU-Partnern seit Monaten die Erarbeitung
eines internationalen Verhaltenskodex gegen ballistische
Raketenproliferation voran, der alle wichtigen Länder
einbezieht. Nun gilt es, die internationale Staatengemein-
schaft für diese Vereinbarung zu gewinnen. Wir wollen
noch im nächsten Jahr den ersten greifbaren weltweiten
Schritt gegen diese besonders gefährliche Form der Proli-
feration verwirklichen.

Zweitens wollen wir eine Eindämmung konkreter
Proliferationsgefahren durch eine Verstärkung der prakti-
schen Abrüstungszusammenarbeit bewirken. Hier geht
es um die Zerstörung gewaltiger Bestände an nuklearen
und chemischen Waffen, vor allem in der ehemaligen
Sowjetunion. Damals waren das ja noch Nuklearwaffen in
des Volkes Hand. Daneben gilt es, den Abfluss von tech-
nischem Know-how für die Herstellung von Massenver-
nichtungswaffen zu verhindern. Die Bundesrepublik hat
zwar in den letzten Jahren mit ihrer Hilfe bei der um-
weltschonenden Beseitigung von ehemals sowjetischen
chemischen und nuklearen Waffen Wichtiges geleistet.
Aber die Dimension der Aufgabe erfordert – hier stimme
ich zu –, dass die dafür zur Verfügung stehenden
Haushaltsmittel deutlich erhöht werden, allerdings im
Rahmen der Prioritätensetzung.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Dann lassen Sie uns einmal darüber reden!)


– Ich bin dafür, dass wir darüber reden, aber – ich sage es
noch einmal – nur im Rahmen der entsprechenden Prio-
ritätensetzung.

Drittens. Ein neuer Impuls für die weltweite Koopera-
tion in Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung ist wichtig. Kein verantwortliches Mit-
glied der Völkergemeinschaft darf bei dieser Anstrengung
abseits stehen, die sowohl nationale Maßnahmen, wie
etwa verschärfte Exportkontrollen, als auch internationale
Verpflichtungen umfasst. Wir führen deshalb einen in-
tensiven Dialog über Abrüstung und Nichtverbreitung.
Ich wage die Prophezeiung, dass gerade die Frage der
Nichtverbreitung eine wesentlich größere Rolle in der in-
ternationalen Politik spielen wird. Ich halte das auch und
gerade vor dem Hintergrund der neuen Bedrohungssitua-
tion für einen sehr wichtigen Ansatz.

Wir dürfen aber in diesem Zusammenhang, wie gesagt,
regionale Rüstungswettläufe nicht vergessen. Wir haben
es mit einer Kumulation von Krisenfaktoren zu tun. Zu
diesen gehören regionale Rüstungswettläufe, „failing sta-
tes“, also zusammengebrochene Staatsstrukturen, sowie
die Verbreitung der Unterentwicklung, der Unter-
drückung der Menschenrechte und des Terrorismus. Das
alles kumuliert in bestimmten Regionen und macht einen
breiten Ansatz notwendig, wenn man dem entgegensteu-
ern will.


(Heidi Lippmann [PDS]: Aber das sind doch keine neuen Erkenntnisse!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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– Ich war wirklich überrascht, als ich Ihre Rede gehört
habe; denn sie strotzte ja nur so vor neuen Erkenntnissen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Sie haben nur Lippenbekenntnisse! Sagen Sie das doch mal in Zahlen!)


Die breite internationale Koalition, die die USA ge-
schmiedet haben, bietet Chancen für kooperative Si-
cherheitsstrukturen auch auf strategischer Ebene, die
wir nutzen sollten. Bei all den Tragödien – darauf habe ich
schon gestern hingewiesen – gibt es jetzt auch und gerade
im Zusammenhang der Abrüstung, der Rüstungskontrolle
und der Nichtverbreitung eine neue Chance, die wir un-
bedingt nutzen sollten, zumal hier der neue Konsens zwi-
schen den USA und Russland in der Tat Möglichkeiten
eröffnet. Wenn es gelingt, noch eine andere Großmacht,
zum Beispiel China, sowie die Frage der Rüstungs-
kontrolle und der Rüstungsbegrenzung etwa im indisch-
pakistanischen Konflikt miteinzubeziehen, dann wären
wir in der Tat einen ganz entscheidenden Schritt weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Wie sieht es im Hinblick auf die Frage des Kollegen Polenz aus? Die Plutoniumabrüstung!)


– Darauf habe ich vorhin schon ausführlich geantwortet.
Ich bin gerne bereit, Ihnen ein Privatissimum angedeihen
zu lassen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307700
Bitte nicht im
Rahmen der angemeldeten Redezeit, die bald zu Ende ist.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307800

Wir stehen an einer Wegscheide. Die alten Feindschaften
sind überwunden. Neue Bedrohungen sind aufgetaucht.
Allerdings werden die Abrüstung, die Rüstungskontrolle,
die Abrüstungspolitik und die Rüstungsbegrenzung in der
Welt des 21. Jahrhunderts wichtiger denn je sein. Die al-
ten Instrumente zu schärfen, neue Instrumente vor allen
Dingen für die Abwehr neuer Gefahren zu entwickeln und
eine wirksame operative Politik gegen die Proliferation
von Massenvernichtungsmitteln zu finden – damit müs-
sen wir uns intensiv auseinander setzen – gehört zu den
Hauptaufgaben. Aber ich unterstreiche auch, dass die
konventionelle Bedrohung – ich denke an die Kleinwaf-
fen und die Antiminenprogramme – nicht vergessen wer-
den darf.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419307900
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5986 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS zu der vereinbar-
ten Debatte über die Entscheidung des US-Senats zum
Atomtteststoppvertrag. Der Ausschuss empfiehlt, den
Entschließungsantrag auf Drucksache 14/1894 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der PDS angenommen worden.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Fraktion der PDS mit dem Titel „Neue nukleare
Abrüstungsinitiativen statt neuer Raktenabwehrpro-
jekte“. Der Ausschuss empfiehlt, auch diesen Antrag auf
Drucksache 14/3875 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen
worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Versorgungsänderungs-
gesetzes 2001
– Drucksache 14/7064 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG)

– Drucksache 14/6717 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1419308000
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Am 19. September dieses Jahres hat die Bun-
desregierung einen so genannten zweiten Versorgungs-
bericht beschlossen, der dem Parlament zugeleitet wor-
den ist. Diesem Versorgungsbericht kann man eine
Entwicklung entnehmen, die man notwendigerweise im

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Bundesminister Joseph Fischer

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(A)



(B)


Kopf haben muss, wenn man über das Thema Versor-
gungsänderungsgesetze redet, nämlich: Wir werden einen
ungeheuer dynamischen Anstieg der Versorgungsleistun-
gen erleben. Wir geben derzeit 43 Milliarden DM für Ver-
sorgungsleistungen aus. Aller Voraussicht nach wird es
einen Anstieg bis auf 164 Milliarden DM im Jahr 2040 ge-
ben. Das ist die eigentliche Herausforderung. Man kann
natürlich sagen, dass solche Zahlen spekulativ sind; aber
wichtig ist die Entwicklung.

Die Entwicklung gründet sich auf zwei Dinge: einmal
auf den demographischen Wandel – darin liegt ein Teil der
Ursache – und zum anderen auf die Einstellungspraxis
von Bund, Ländern und Gemeinden – auch das ist ein Teil
der Ursache –, insbesondere von Mitte der 60er- bis Mitte
der 70er-Jahre. Aus einem einfachen Grund sage ich das
in einer Vorbemerkung: Ich will deutlich machen, dass
wir heute nicht so tun können, als ob kein Handlungsbe-
darf bestünde. Handlungsbedarf ist gegeben, damit auch
noch zukünftig – das, denke ich, ist ganz wichtig – ein
solch bewährtes System wie das der Versorgung erhalten
bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von daher ist all das, was kritisch gesagt wird, nämlich
dass es nichts zu tun gebe, im Grunde genommen falsch.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist natürlich ein Stück
an dem orientiert, was wir zur Rentenreform beschlossen
haben. Es ist der Versuch unternommen worden, eine wir-
kungsgleiche Harmonisierung dieser beiden Systeme
vorzunehmen.

Meine Damen und Herren, ich will vor einem falschen
Eindruck warnen und deshalb deutlich sagen: Bei der
Umsetzung dieses Gesetzentwurfs wird keine Pension
gekürzt. Das ist für die öffentliche Diskussion in aller
Deutlichkeit festzuhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heidemarie Ehlert [PDS]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Es ist richtig, dass keine Pension gekürzt wird. Der Zwi-
schenruf macht meine Aussage nicht falsch.

Niemand erhält aufgrund der vorgesehenen Maßnah-
men weniger Pension, als er derzeit bezieht. Ebenso wie
künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung wird aber
der zukünftige Anstieg der Versorgungsbezüge – ich be-
tone das, um das System deutlich zu machen – geringer.
Das geschieht, indem die an die Besoldungserhöhungen
der aktiven Beamten und Beamtinnen gekoppelten Er-
höhungen der Versorgungsbezüge bei den nächsten acht
Anpassungen nach dem 31. Dezember 2002 um jeweils
circa 0,5 Prozent geringer ausfallen. Nach diesen acht fällt
die Versorgung damit um circa 4,33 Prozent geringer aus.

Diese Abflachung zukünftiger Versorgungserhöhun-
gen ist niedriger als bei den Rentnerinnen und Rentnern,
bei denen die Erhöhungen in der ersten Phase der Ren-
tenreform um circa 5 Prozent reduziert sind. Allerdings
haben die Beamtinnen und Beamten in den Jahren von
1999 bis 2002 bereits Vorleistungen erbracht. Das hängt
mit der Versorgungsrücklage zusammen. Als Vorsorge

für die absehbaren künftigen Belastungen durch die er-
höhten Versorgungskosten wird die Hälfte der Ersparnisse
aus dieser ersten Übertragungsstufe den Versorgungs-
rücklagen von Bund und Ländern zugeführt. Auch das
halten wir für systematisch richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um Doppelbelastungen zu vermeiden, werden die
Leistungen der Versorgungsrücklage in Höhe von 0,2 Pro-
zent der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen für
die Zeit von 2003 bis 2010 ausgesetzt. Ab dem Jahr 2011
wird der Aufbau der Versorgungsrücklage wieder auf-
genommen und bis in das Jahr 2017 fortgesetzt. Diese
Regelung ist im Lichte der ab dem Jahr 2011 absehbaren
Entwicklung zu überprüfen. Das ist die so genannte Revi-
sionsklausel. Ich denke, auch das ist richtig.

Ich will deutlich zum Ausdruck bringen, dass die Beam-
tinnen und Beamten zukünftig genauso wie die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer an der freiwilligen Vorsorge
beteiligt werden und von den steuerlichen Vergünstigungen
Gebrauch machen können. Das ist meiner Meinung nach
im Sinne einer wirkungsgleichen Harmonisierung der bei-
den Systeme. Wir sehen auch kinderbezogene Verbesse-
rungen, zum Beispiel die Kinderkomponente beim Wit-
wengeld, vor.

Wir wollen mit unseren Maßnahmen das Versorgungs-
system zukunftssicher machen. Ich lade Sie zu einer kon-
struktiven Diskussion über unseren Vorschlag ein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419308100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Meinrad Belle.


Meinrad Belle (CDU):
Rede ID: ID1419308200
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Heimlich, still und leise erfolgt
jetzt, am Freitag Mittag um 13 Uhr – die meisten Kolle-
ginnen und Kollegen sind bereits auf der Rückfahrt in die
Wahlkreise;


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Die wissen aber, dass das hier verhandelt wird!)


die Berichte für die Wochenendausgaben der Tageszei-
tungen sind weitgehend geschrieben –, die erste Lesung
des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfs
eines Versorgungsänderungsgesetzes 2001.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Dem die CDU zustimmen wird!)


Zur Fristwahrung wurde dieser Gesetzentwurf in den
Sitzungen der Koalitionsfraktionen am Dienstag einge-
bracht. Möglichst ohne großes Aufsehen, ohne Wider-
stand und Ärger bei den Beamten und bei den Pensionären
zu entfachen, beginnt die Beratung dieses Gesetzesvorha-
bens – es hat die verniedlichende Bezeichnung „Versor-
gungsänderungsgesetz“ –, das gewaltige Einschnitte in
die Bezüge bzw. Pensionen der Beamten und der Versor-
gungsempfänger mit sich bringt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

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(B)


In der ersten Stufe bis 2010 sollen Minderausgaben in
den öffentlichen Haushalten in Höhe von circa 12 Milli-
arden DM erwirtschaftet werden. Diese Art der Behand-
lung wird der Bedeutung und den Auswirkungen dieses
Gesetzentwurfs nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Verfahrensweise ist unangemessen und muss bean-
standet werden.

Ich erinnere an Folgendes: Nach jahrelangen Beratun-
gen, nach der Bildung vieler Kommissionen, nach unzäh-
ligen Verhandlungsrunden, nach intensiven öffentlichen
Diskussionen wurde Ihre Reform der gesetzlichen Ren-
tenversicherung in diesem Jahr mit dem Altersvermö-
gensgesetz und dem Altersvermögensergänzungsgesetz
abgeschlossen. Die Weiterführung der Versorgungsre-
form kann doch nicht im Eilzugtempo und quasi per Fe-
derstrich realisiert werden. Auch dieses Reformvorhaben
muss mit der notwendigen Gründlichkeit und Gewissen-
haftigkeit angepackt werden.

In der letzten Legislaturperiode hat die CDU/CSU-
FDP-Koalition die erste Dienstrechts- und Versor-
gungsrechtsreform verabschiedet. Ich will gerne bestäti-
gen, dass Sie diese Reformen in weiten Bereichen
mitgetragen haben. Die Versorgungsrechtsreform erfolgte
zeit- und wirkungsgleich mit der von uns damals reali-
sierten Rentenreform, die Sie nach der Bundestagswahl
allerdings zurückgenommen haben. Die Dienst- und Ver-
sorgungsrechtsreform mit Auswirkungen auf die aktiven
Beamten und die Versorgungsempfänger in Milliarden-
höhe blieb aber unverändert. Seit über drei Jahren erbrin-
gen also aktive Beamte und Versorgungsempfänger Vo-
rausleistungen auf Ihre Reform 2001.

Was wird von Ihnen beabsichtigt? Sie wollen, wie im
Entwurf formuliert, die Reformmaßnahmen der gesetzli-
chen Rentenversicherung wirkungsgleich und systemge-
recht auf die Beamtenversorgung übertragen. Ich will
jetzt nicht auf Einzelheiten des Entwurfs eingehen; dafür
bleibt noch genug Zeit. Bereits heute muss ich Ihnen aber
den grundlegenden Vorwurf machen, dass Sie die Vorleis-
tungen der Beamten und Versorgungsempfänger in Milli-
ardenhöhe in Ihrem Gesetzentwurf nicht ausreichend
berücksichtigt haben. Das ist ein Skandal und dürfte Ih-
nen als erfahrenen Beamtenpolitikern nicht passieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie müssten sich eigentlich nicht nur ein bisschen, son-
dern sehr schämen.

Sagen Sie heute nicht, dass Sie es nicht wussten oder
dass jedes Gesetz den Bundestag in einer anderen Fassung
verlässt, als es eingebracht worden ist. Das wäre zu billig.
In fast allen meinen Redebeiträgen der letzten beiden
Jahre zu Besoldungs- und Beamtenfragen habe ich Sie auf
diese Vorleistungen hingewiesen.

Aus den Reformen der letzten Legislaturperiode wurde
nur die Versorgungsrücklage in Höhe von 0,6 Prozent,
die bei den Versorgungsempfängern einbehalten und da-
nach abgeführt wird, berücksichtigt. Unberücksichtigt
blieb dabei insbesondere die Tatsache, dass auch die akti-
ven Beamten in diesen drei Jahren an der Versorgungs-
rücklage beteiligt waren. Dies wird in der Endstufe zu ei-

ner tatsächlichen Gehaltskürzung von bis zu 3 Prozent
führen.

Durch Ihre Rentenreform 2001 wird bei den aktiven
Arbeitnehmern aber eher ein positiver Effekt erreicht, da
der Beitragssatz zur Rentenversicherung ja stabil gehalten
werden soll. Auf jeden Fall tritt bei Ihrer Rentenreform bei
den aktiven Arbeitnehmern keine Verringerung der Löhne
und Gehälter ein.

Außerdem haben Sie außer Betracht gelassen, dass
durch die weiteren versorgungsrechtlichen Einsparmaß-
nahmen im Dienstrechtsreform- und Versorgungsrechts-
reformgesetz, wie zum Beispiel die Anhebung der allge-
meinen Antragsaltersgrenze auf 63 Jahre, das Vorziehen
des Versorgungsabschlages, der Wegfall des Erhöhungs-
betrages, der Wegfall, die Kürzung und die Beseitigung
der Ruhegehaltsfähigkeit von Zulagen, die Verlängerung
der Wartefrist für die Versorgung aus dem Beförderungs-
amt usw., zusätzliche Vorleistungen von hochgerechnet
etwa 4,4 Milliarden DM bis Ende dieses Jahres von den
Versorgungsempfängern und den Beamten erbracht wur-
den. Hinzu kommt dann natürlich auch noch der Betrag
aus der verspäteten Besoldungs- und Versorgungs-
anpassung 2000 – der tatsächlichen Nullrunde für die
Pensionäre – in Höhe von circa 3 Milliarden DM.

Meine Damen und Herren, damit wir uns richtig ver-
stehen: Wir wehren uns nicht gegen eine wirkungsgleiche
und systemgerechte Übertragung der Ergebnisse der Ren-
tenreform auf die Versorgung der Beamten und Pen-
sionäre. Sie muss dann aber auch tatsächlich wirkungs-
gleich und systemgerecht erfolgen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Keine Sonderopfer!)


Bei Ihnen werden die Beamten und Versorgungsempfän-
ger aber nicht nur doppelt, sondern, wenn Sie die verspä-
tete Besoldung- und Versorgungsanpassung 2000 mit
berücksichtigen, sogar dreifach zur Kasse gebeten.

Bei dem objektiven Beobachter muss einfach der Ein-
druck entstehen, dass es Ihnen nicht so sehr um eine ge-
rechte Übertragung der Rentenreform in das Beamtenrecht
und damit um eine Gleichbehandlung der verschiedenen
Gruppen im öffentlichen Dienst geht. Sie wollen Ihre
ideologischen Vorbehalte gegen das Berufsbeamtentum
erneut vor allem im Geldbeutel der Beamten und Pen-
sionäre ausleben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wen meinen Sie?)


– Sie alle.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Unglaublich!)


Zu diesen ungerechten und unsozialen Vorschlägen
können Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. In den
weiteren Beratungen werden wir Ihre Vorschläge an fol-
genden Punkten messen: Reformen der verschiedenen
Alterssicherungssysteme müssen zu wirkungsgleichen
Ergebnissen für die Betroffenen führen. Sonderopfer für
die eine oder andere Gruppe darf es nicht geben.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)


Die Besonderheiten der jeweiligen Systeme sind zu
berücksichtigen und die Vorleistungen der aktiven

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Meinrad Belle

18899


(C)



(D)



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(B)


Beamten und der Pensionäre aus der Dienstrechts- und
Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturperiode
müssen voll berücksichtigt werden.

Ich appelliere heute an Sie: Kehren Sie wieder zu einer
gerechten, soliden und leistungsfördernden Besoldungs-
und Versorgungspolitik zurück.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir sind doch schon dabei!)


Dann werden auch wir künftig unpopuläre und einschnei-
dende Maßnahmen mittragen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hans-Peter Kemper [SPD])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419308300
Nächster Redner ist
der Kollege Helmut Wilhelm für die Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn heute die Änderung der Versorgung von
Beamten, Richtern, Soldaten, Parlamentarischen Staats-
sekretären und Ministern – auch diese gehören dazu – auf
den Weg gebracht wird, geschieht dies aus zwei Gründen:

Zum Ersten ist das geboten angesichts der abzusehen-
den Probleme, die mit den erheblich steigenden Ausgaben
für das Alterssicherungssystem des genannten Personen-
kreises einhergehen. Auch hier ist der Handlungsbedarf,
ebenso wie in der Rentenversicherung, auf die allgemeine
demographische Entwicklung zurückzuführen. Die ge-
stiegene Lebenserwartung, verbunden mit einem sinken-
den Ruheeintrittsalter und damit verlängerten Laufzeiten,
ist für die enormen Kostensteigerungen der öffentlichen
Haushalte verantwortlich.

Ich möchte trotzdem an dieser Stelle dafür plädieren,
den Begriff „Versorgungsberg“ in diesem Zusammenhang
nicht zu verwenden. Hier geht es nicht um Dinge, sondern
um Menschen, die ein Anrecht auf Versorgung haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass die Finanzierung eine wirkliche Herausforderung
darstellt, ist unbestritten. Dafür können aber am wenigs-
ten die Menschen, die als Beamte eingestellt wurden. Der
Reformbedarf zur Sicherung der Altersversorgung der ak-
tuellen, vor allem aber der zukünftigen Pensionäre und ih-
rer Familien steht außer Frage. Auch ich bin Beamter, also
selbst betroffen.


(Dr. Max Stadler [FDP]: Ein Richter!)


– Richter, das ist richtig. Dies ist ein dem Beamtenrecht
angenäherter Zustand. – Herr Kollege Belle, was ich da-
her ganz bestimmt nicht habe, sind ideologische Vorbe-
halte gegenüber Beamten.

Zum Zweiten ist zwischen Rot-Grün im Koalitionsver-
trag festgeschrieben worden, nach der Reform der gesetz-
lichen Rentenversicherung auch die Beamtenversorgung

entsprechend und im Einklang mit der Rentenreform, also
wirkungsgleich, fortzuentwickeln. Wirkungsgleiche Über-
tragung bedeutet einerseits eine den Einsparungen bei den
Rentenversicherungsträgern vergleichbare Entlastung der
öffentlichen Haushalte und andererseits eine äquivalente
monetäre Auswirkung bei Beamten und Pensionären so
wie bei Arbeitnehmern und Rentnern auch. Dass Minister
und Staatssekretäre in gleicher Weise einbezogen sind, ist
hier wohl selbstverständlich. Dies alles ergibt sich bereits
aus dem Gleichheitsprinzip.

Dabei darf die wirkungsgleiche Übertragung der Ren-
tenreform auf die Beamtenversorgung wegen der beson-
deren verfassungsrechtlichen Stellung nur systemkon-
form erfolgen. Die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs
bezüglich des Versorgungsniveaus sind bereits genannt
und dargestellt worden: der Aufbau einer steuerlich ge-
förderten ergänzenden privaten Altersversorgung als
staatliches Angebot, die Abflachung des Anstiegs der Ver-
sorgungsbezüge und das Absinken des Höchstversor-
gungssatzes. Ich will hier nicht alle Punkte wiederholen.

An dieser Stelle möchte ich aber etwas näher auf die
Hinterbliebenenversorgung eingehen. Das Witwengeld
wird bekanntlich ebenso wie die Witwenrente reduziert.
Dies gilt, ebenso wie in der Rentenversicherung,
grundsätzlich nur für nach dem 31. Dezember dieses Jah-
res geschlossene Ehen. Dabei bleibt – wegen des Grund-
satzes der Alimentation – die Mindestversorgung erhal-
ten.

Die Hinterbliebenenversorgung der Beamten stellt
aber gemäß dem Alimentationsgrundsatz aus Art. 33 des
Grundgesetzes einen eigenständigen Alimentationsan-
spruch dar. Hier verbietet sich wegen des Verfassungs-
rangs eine vollständige Übertragung der Grundsätze, so
zum Beispiel bei den Anrechnungen von Hinzuverdiens-
ten. Besonders wichtig ist hier ein sozialer Ausgleich bei
Witwenrente und Witwengeld durch einen Kinderzu-
schlag. Kindererziehungszeiten werden dadurch berück-
sichtigt. Auch hier werden Grundsätze der Rentenversi-
cherung in das Beamtenversorgungssystem übernommen.

Berücksichtigt werden muss insbesondere Folgendes:
Die Beamten haben Vorleistungen erbracht. Während
Einschränkungen der früheren Regierung im Rentenver-
sicherungssystem bei Regierungsantritt dieser Bundesre-
gierung aufgehoben wurden, verblieb es bei den Beamten
beim entsprechenden Einschnitt des 0,2-prozentigen
Versorgungsabschlags. Eine wirkungsgleiche Umsetzung
der Rentenversicherung auf das Beamtenversorgungs-
system bedeutet aber ganz klar, dass diese Vorleistung
berücksichtigt werden muss.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine
Bemerkung in Richtung Opposition: Ich habe mir einmal
den einschlägigen Antrag der CSU für den Bayerischen
Landtag besorgt. Dort teilt man immerhin den akuten
Handlungsbedarf. Auch die Vorschläge der CSU im Land-
tag sind, wenngleich sie keinerlei konkrete Ansätze zur
Lösung des Problems beinhalten, in ihrer Generalität be-
achtenswert; denn sie entsprechen, wenn auch verallge-
meinert, gänzlich dem vorliegenden Gesetzentwurf von
Rot-Grün.

Zum Schluss noch ein Wort zur Änderung des Beam-
tenrechtsrahmengesetzes. Es war ja nun wirklich nicht

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Meinrad Belle

18900


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mehr einzusehen, weshalb bei der willkürlich gezogenen
Altersgrenze von 50 Jahren bei nur begrenzter Dienst-
fähigkeit ältere Beamte weiterbeschäftigt werden konn-
ten, jüngere aber in den Ruhestand zu versetzen waren.
Hier muss Rehabilitation Vorrang vor Versorgung haben.
Auch eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis ist
in diesen Fällen nunmehr möglich.

Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419308400
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1419308500
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Heute stehen zwei Gesetz-
entwürfe zur Debatte, die allerdings nach Auffassung der
FDP-Fraktion sehr unterschiedlich zu bewerten sind.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des
Beamtenrechtsrahmengesetzes greift zwei berechtigte
Anliegen auf. Die Möglichkeit, Beamte bei begrenzter
Dienstfähigkeit weiterzubeschäftigen, ist bisher an die
Vollendung des 50. Lebensjahres geknüpft. Die Strei-
chung dieser Altersgrenze soll eine Gleichbehandlung
aller begrenzt dienstfähigen Beamten sicherstellen. Dem
kann man zustimmen.

Im Dienstrechtsreformgesetz, das die frühere Koalition
aus CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode
beschlossen hat, war der Grundsatz „Rehabilitation vor
Versorgung“ betont worden. Dieser richtige Gedanke
wird nun durch den Gesetzentwurf des Bundesrates kon-
sequent fortgeführt, indem die erneute Berufung in ein
Beamtenverhältnis auch in den Fällen der begrenzten
Dienstfähigkeit möglich werden soll. Bei dem großen An-
stieg vorzeitiger Ruhestandsversetzungen darf der Ge-
setzgeber nicht tatenlos zusehen; das hat ja erhebliche
Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte. Daher ist
diesem Vorschlag des Bundesrates aus Sicht der FDP zu-
zustimmen.

Dagegen lehnen wir Ihren Entwurf zum Versorgungs-
änderungsgesetz 2001 weiterhin entschieden ab. Herr
Staatssekretär Körper hat sich heute auf den Versorgungs-
bericht berufen, den die Bundesregierung im September
beschlossen hat und der wohl dem Parlament zugeleitet
ist, beim Parlament aber noch nicht angekommen ist. Des-
wegen ist es ein etwas schwieriges Unterfangen, auf der
Basis von Herrschaftswissen über eine Versorgungs-
rechtsreform zu diskutieren.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist der Unterschied zwischen Körper und Antikörper! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Klar ist, dass Sie sich in der Vergangenheit ohnehin
nicht auf diesen Versorgungsbericht bezogen haben, da
Sie bereits seit Monaten ankündigen, dass Sie die Re-
formmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung
„wirkungsgleich“, wie es heißt, auf die Beamtenversor-
gung übertragen wollen. Dabei haben Sie außer Betracht

gelassen, dass mit der Einführung der Versorgungsrück-
lage durch die alte Koalition die notwendige Vorsorge für
die Erfüllung der Pensionsansprüche bereits getroffen
worden war. Der Reformbedarf war von uns in der letzten
Legislaturperiode längst erkannt. Der Einschnitt, den wir
bei der Beamtenversorgung vorgenommen haben, ist von
Ihnen nicht rückgängig gemacht worden, die Rentenre-
form dagegen sehr wohl.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist der Widerspruch!)


Deswegen ist es eine verquere Logik, wenn Sie jetzt be-
haupten, man müsse im Beamtenrecht das nachvollzie-
hen, was im Rahmen Ihrer Rentenreform von Bundestag
und Bundesrat beschlossen worden ist. Vielmehr ist die
Reform in der Beamtenversorgung längst von CDU/CSU
und FDP vollzogen worden. Es besteht daher nach Auf-
fassung der FDP kein Anlass, erneut in die Beamtenver-
sorgung einzugreifen. Es wäre sachgerecht gewesen, es
bei der Versorgungsrechtsreform der letzten Legislaturpe-
riode zu belassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die FDP will weder eine
Besserstellung noch eine Schlechterstellung der Beamten.
Entgegen allgemeiner Meinung in der Öffentlichkeit gibt
es aber im Versorgungsrecht längst keine Besserstellung
der Beamtenschaft mehr. Deswegen kann das, was Sie
heute auf den Weg bringen, nur als ungerechtfertigte
Schlechterstellung bezeichnet werden.

Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken aus der
aktuellen politischen Situation einbringen. Bei den De-
batten um die innere Sicherheit wird allseits gesagt, dass
wir einen leistungsfähigen, hoch motivierten und mit
kompetenten Beamten ausgestatteten Sicherheitsapparat
brauchen würden. Um diesen zu erhalten und zu bekom-
men, muss der Staat aber auch die Bedingungen für das
Beamtenverhältnis attraktiv gestalten und attraktiv hal-
ten. Dazu passt das, was Sie jetzt zur Versorgungsreform
vorschlagen, überhaupt nicht. Auch aus diesem Grund
kann die FDP bei einer solchen Politik nicht mitmachen.


(Beifall bei der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419308600
Das Wort hat die Kol-
legin Petra Pau für die PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419308700
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie begannen mit
dem Wort „Herausforderung“. Ich dachte schon mit Blick
auf die Debatten, die wir in den letzten Tagen hier hatten,
was die Herausforderungen an den öffentlichen Dienst be-
trifft, aber auch mit Blick auf die tatsächliche Herausfor-
derung, Gerechtigkeit herzustellen, Sie hätten umgedacht
und würden uns heute veränderte Gesetzentwürfe vorstel-
len. Fehlanzeige!


(Beifall bei der PDS – Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär: Was gut ist, braucht man nicht zu verändern!)


Was hier vorliegt, ist insofern eine Herausforderung,
besser: eine Zumutung, für die betroffenen Beamten, auch

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Helmut Wilhelm (Amberg)


18901


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für diejenigen, die vielleicht darüber nachdenken, in ein
solches Dienstverhältnis zu gehen.


(Jürgen Türk [FDP]: Wir wollen ja gar nicht so viele Beamte!)


Sie meinten ja, Sie würden mit diesen Gesetzesentwürfen
Gerechtigkeit herstellen, da Sie die Beamtenversorgung
nur an die Rentenreform anpassen oder diese nachvoll-
ziehen würden. Nun kennen Sie meine Auffassung zur
Rentenreform, welche hier beschlossen wurde: Sie ist we-
der gerecht noch hat sie etwas mit Zukunftsfähigkeit zu
tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben Sie wohl Recht!)


Das, was Sie jetzt vorgelegt haben, ist insofern eine Zu-
mutung, da die Beamtinnen und Beamten noch schlechter
behandelt werden als diejenigen, welche in Zukunft eine
Rente beziehen werden. Sie haben keine Übergangsfrist
in Ihren Gesetzentwurf für die eingefügt, die in den nächs-
ten zwölf Jahren in den Ruhestand gehen. Das heißt, Sie
haben das Vertrauen derjenigen, die im öffentlichen
Dienst beschäftigt sind, missbraucht. Sie werden nämlich
unzumutbare Abschläge bei ihren Pensionen hinnehmen
müssen. Sie haben keine Chance mehr, privat zusätzlich
vorzusorgen.


(Zuruf von der FDP: So ist es!)


Das widerspricht meines Erachtens übrigens auch
Art. 3 Grundgesetz, in dem es um die Gleichbehandlung
geht.

Sie haben außerdem all diejenigen nicht berücksich-
tigt, welche den Höchstruhesatz nicht erreichen können,
das heißt die Beamten im Osten, die beispielsweise aus
der NVA in die Bundeswehr übernommen wurden. Aber
das trifft insbesondere auch Beamte bei der Bahn. Auch
dort Fehlanzeige bei der Suche nach Gerechtigkeit in
Ihrem Gesetzentwurf!

Diejenigen, die im einfachen und mittleren Dienst be-
schäftigt sind, fallen in großen Teilen unter die Mindest-
versorgung. Sie haben das trotz Zusage des Bundesinnen-
ministers in einem Gespräch mit dem Deutschen
Gewerkschaftsbund von Anfang September, das noch
einmal zu prüfen ist, nicht nachgebessert.

Zu den Versorgungsrücklagen haben meine Vorredner
schon gesprochen. Das muss ich nicht wiederholen.

Ein Satz noch zum Beamtenrechtsrahmengesetz
– Kollege Stadler sprach schon dazu –: Es wäre gut ge-
wesen, den zweiten Versorgungsbericht der Bundesregie-
rung nicht nur zu berücksichtigen, sondern ihn dem Par-
lament auch rechtzeitig vorzulegen. Wir sind mit Ihnen im
Grundsatz einig, dass Rehabilitation vor Versorgung ge-
hen muss. Aber dann fehlen in diesem Gesetzentwurf An-
reize für diejenigen, die bei Teildienstfähigkeit tatsächlich
aktiv bleiben wollen, im Hinblick auf diejenigen, die die
Pension in Anspruch nehmen. Ich denke, hier muss nach-
gebessert werden.

Etwas, was in beiden Gesetzen nicht gelöst werden
kann, sondern nur durch aktive Politik: Wir sollten da-
rüber nachdenken, warum so viele Beamte teildienstfähig

sind, das heißt, was an den Arbeitsbedingungen im öffent-
lichen Dienst zu verändern ist.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419308800
Letzter Redner dieser
Debatte ist der Kollege Hans-Peter Kemper für die SPD-
Fraktion.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1419308900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem
Kollegen Meinrad Belle


(Meinrad Belle [CDU/CSU]: Danken!)

in vielen Punkten Recht geben: Heimlich, still und leise
machen wir die Reform nicht. Aber es ist ärgerlich: Wir
haben im Vorfeld mit fast allen Berufsorganisationen ge-
sprochen. Es hat sich einiges geändert, und wir sind wei-
terhin im Gespräch. Die Sache ist aber noch nicht abge-
schlossen.

Es hat mich aber auch geärgert, dass wir diese Diskus-
sionen ständig in den Abendstunden oder am Freitag-
mittag führen. Umso mehr freut es mich, dass Sie mit der
ganzen Wucht Ihrer großen Fraktion anwesend sind, um
die berechtigten Interessen der Beamten zu verteidigen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das war ein tolles Argument!)


Es geht um die Versorgungsreform. Die Versor-
gungsreform ist ein Stück Sicherheit. Wir haben in der
letzten Zeit ständig über Sicherheit gesprochen, über in-
nere Sicherheit allerdings mehr als über die soziale Si-
cherheit. Aber ich sage Ihnen: Auch die soziale Sicherheit
gehört dazu. Das, was wir heute hier beraten, dient dazu,
ein Stück Leben ohne Angst zu gewährleisten; ein Stück
Leben ohne Angst ist auch ein Stück Lebensqualität.
Wenn die Menschen, die im öffentlichen Dienst oder
sonst wo ihre Arbeit geleistet haben, in den Ruhestand ge-
hen, müssen sie sich darauf verlassen können, dass sie
nachher nicht mit der letzten Mark rechnen müssen, dass
sie das Geld bekommen, das sie sich verdient haben.
Dafür sorgen wir. Wir machen die Versorgung berechen-
bar und bezahlbar, und zwar sowohl im Interesse der heu-
tigen Ruheständler als auch und gerade im Interesse künf-
tiger Ruheständler.

Es ist richtig, dass wir einen motivierten und engagier-
ten öffentlichen Dienst brauchen. Ich denke da an die vie-
len Polizeibeamten und Beamten des Bundesgrenz-
schutzes, die gerade in dieser Zeit bis zur Höchstgrenze
der Belastbarkeit ihren Dienst versehen. Wir sehen sie
draußen, wie sie Streife laufen, wie sie auch für unsere Si-
cherheit sorgen. Es ist nicht zumutbar, dass sie später mit
Unsicherheit belastet in den Ruhestand gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen legen wir die Reform so an. Aber wenn das
von Ihnen, Herr Belle, und von Herrn Stadler – lieber
Max! – kritisiert wird, dann muss ich allerdings sagen: Es

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Petra Pau

18902


(C)



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(A)



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war die letzte Koalition, die die Ruhegehaltsfähigkeit der
Polizeibeamten – gerade derjenigen, die diese Arbeit
heute leisten müssen – abgeschafft hat


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


und sie damit um 150 bis 200 DM ihrer Pension gebracht
hat. Wenn man heute also solche Krokodilstränen ver-
gießt, muss man auch einmal daran denken, was man
früher selbst angerichtet hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: Wir haben doch nicht die Ruhegehaltsfähigkeit der Beamten abgeschafft!)


Ich will es mir jetzt verkneifen, die beliebten Spielchen
zu treiben, also die Versäumnisse der letzten 16 Jahre auf-
zuzählen, auf die Verschuldung, die Sie uns hinterlassen
haben, hinzuweisen und zu sagen: Damit haben Sie uns
erst gezwungen, das alles so zu machen. Ich will statt-
dessen auf die Prognosen eingehen, die wir haben. Das
sind die gleichen Prognosen, die auch Sie in der letzten
Legislaturperiode gehabt haben. Die vermehrten Einstel-
lungen in den öffentlichen Dienst in den 60er- und 70er-
Jahren haben zur Folge, dass diese Menschen nun zu-
nehmend in den Ruhestand gehen und zunehmend
Versorgungskosten verursachen. Bis zum Jahre 2040 wer-
den die Versorgungslasten – ohne Bahn und Post – um
das 3,8fache steigen. Diese Folge ist nicht in den letzten
drei Jahren entstanden, sondern während der gesamten
Laufzeit.


(Meinrad Belle [CDU/CSU]: Darum haben wir es ja auch so gemacht!)


Das haben wir erkannt. Wir haben Sie ja in der letzten
Legislaturperiode in kleinen Teilbereichen, die Sie in An-
griff genommen haben, unterstützt, weil das vernünftig
war. Da auch wir etwas Vernünftiges machen, werden Sie
uns – da bin ich sicher – im Endeffekt ebenfalls unter-
stützen.

Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Renten-
reform wirkungsgleich auf die Beamten übertragen wer-
den. Das geschieht in acht kleinen Schritten in den Jahren
von 2003 bis 2010. Für diese Zeit wird die Versorgungs-
rücklage ausgesetzt; danach wird sie bis zum Jahre 2017
wieder eingeführt.

Nun weiß ich, dass die Berufsverbände zu dem ersten
Vorschlag gesagt haben, hier finde eine Überkompensa-
tion statt, hier würden von den Beamten Sonderopfer ver-
langt. Deswegen ist es zu Änderungen gekommen. Des-
wegen wird die Versorgungsrücklage vier Jahre lang nicht
erhoben und das Versorgungsniveau weniger abgesenkt.
Auf welches Niveau wird man noch sehen. Jedenfalls er-
folgt die Absenkung nicht auf die Weise, wie sie zunächst
im Gespräch war.

Die Beamten haben die Möglichkeit, eine freiwillige
Zusatzversorgung zu den gleichen Bedingungen, wie sie
für die rentenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer gelten, abzuschließen. Zur Hinterbliebenenver-
sorgung ist schon einiges gesagt worden. Ich will das
nicht wiederholen.

Wir haben eine Reihe von Prüfaufträgen im Rahmen
dieses Gesetzesvorhabens auf den Weg gebracht. Das Ge-
setzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Dies ist erst die erste Lesung; wir werden noch über den
Gesetzentwurf beraten. Ich bin aber ganz sicher, dass wir
eine Lösung finden werden, sodass das Gesetz mit einer
breiten Mehrheit verabschiedet werden kann.

Der Bundesrat wird noch einige Vorschläge in die Be-
ratung einbringen. Ich bin ganz sicher, dass er uns noch
einige Hinweise geben wird. Wir werden zu diesem
Thema wahrscheinlich am 7. oder am 8. November eine
Anhörung durchführen. Dazu werden Sachverständige
eingeladen, die in der Materie stecken und die uns viel-
leicht den einen oder anderen Hinweis geben werden.

Ein Punkt ist aber klar – davon können Sie und auch
alle Beamtinnen und Beamten ganz sicher ausgehen, die
heute noch ihren Dienst verrichten oder die sich bereits im
Ruhestand befinden –: Es wird keine Sonderopfer für Be-
amte geben. Es wird keine Überkompensation bei der wir-
kungsgleichen Übertragung geben. Es wird vielmehr ei-
nen sozial ausgewogenen und einen gerechten Übertrag
geben.

Der eine oder andere Punkt wird sicherlich noch zur
Disposition gestellt. Wir werden über den einen oder an-
deren Punkt noch diskutieren. Aber die grobe Richtung
stimmt. Die Weichenstellung ist richtig. Ich lade Sie ein,
bei den Beratungen mitzumachen. Ich bitte Sie, dieses
Gesetzesvorhaben, das für eine sichere Versorgung der
Beamtinnen und Beamten wichtig ist, zu unterstützen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich diesen vernünf-
tigen Einsichten verschließen werden. Das haben Sie wie
auch wir in der Vergangenheit nicht getan. Ich gehe daher
zuversichtlich in die nächsten Beratungsrunden.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 14/7064 und 14/6717 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für die
Erhaltung, die Modernisierung und den Aus-

(Kraft-WärmeKopplungsgesetz)

– Drucksachen 14/7024, 14/7086 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Hans-Peter Kemper

18903


(C)



(D)



(A)



(B)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dr. Christian Ruck, Hartmut Schauerte,
Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Kraft-Wärme-Kopplung im Wettbewerb stär-
ken
– Drucksachen 14/4753, 14/6518 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michaele Hustedt

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K.
Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand
– Drucksachen 14/4614, 14/6519 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner
Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Bundesregierung hat nach langen und
schwierigen Verhandlungen, die insbesondere von Herrn
Trittin und mir über viele Monate geführt wurden, am
25. Juni 2001 mit der deutschen Wirtschaft eine Selbst-
verpflichtungsvereinbarung zur Verminderung der CO2-
Emissionen und zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopp-
lung paraphiert. Mit der Vorlage des Gesetzes für die
Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-
Wärme-Kopplung, kurz: Kraft-Wärme-Kopplungsge-
setz, erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtung, die
sie im Rahmen dieser Vereinbarung zum Klimaschutz mit
den Vertretern der Wirtschaft eingegangen ist.

Wir sind damit bei einem oftmals auch etwas kontro-
vers diskutierten Thema einen großen Schritt vorange-
kommen. Ich begrüße das sehr. Denn bei den langwie-
rigen und schwierigen Diskussionen hat der eine oder
andere schon einmal das eigentliche Ziel aus den Augen
verloren. Mitunter standen auch Forderungen im Raum,
die klar an dem eigentlichen Ziel des CO2-Sparens vor-
beigingen und die, was die Forderung nach öffentlichen
Subventionen anbelangt, gelegentlich schlicht über das
Ziel hinausgeschossen sind.


(Walter Hirche [FDP]: Die Forderung nach dem Jungbrunnen!)


Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, was der
Ausgangspunkt war. Ausgangspunkt war, dass die wirt-

schaftliche Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung
durch die Folgen der Liberalisierung im Strommarkt in
eine ungünstige Situation geraten ist; denn die Strom-
preise sind gesunken. Dies ist ein für die Stromverbrau-
cher angestrebtes Ergebnis des Liberalisierungsprozesses.
Aber die Betreiber von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Folge dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten wäre
gewesen, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen inner-
halb relativ kurzer Frist vor der Stilllegung gestanden hät-
ten. Deswegen haben wir vor einiger Zeit für solche An-
lagen ein Hilfsprogramm beschlossen, in dem auch
festgelegt wurde, dass bis zum 1. Januar 2002 eine gene-
relle Kraft-Wärme-Kopplungsregelung gefunden werden
soll. Dies ist insbesondere auch deswegen notwendig,
weil wir nicht nur die bestehenden Anlagen in vernünfti-
gem Ausmaß vor den Folgen der Liberalisierung zu schüt-
zen haben, sondern auch weil wir bei solchen Anlagen ei-
nen Zubau erreichen wollen, damit die klimapolitischen
Ziele der alten und der neuen Bundesregierung verwirk-
licht werden können. Für die Erreichung dieser klima-
politischen Ziele sind Erhalt und Ausbau ökologisch effi-
zienter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ein wichtiger
Baustein.

Im Kabinettsbeschluss vom Juli 2000 hat die Bun-
desregierung den Minderungsbeitrag der Kraft-Wärme-
Kopplung zur Erfüllung des Klimaschutzziels mit 23 Mil-
lionen Tonnen weniger CO2 pro Jahr bis 2010 beziffert. In
Politik und Wirtschaft gibt es einen breiten Konsens da-
rüber, dass dieses Ziel mit einer ökologisch effizienten
Kraft-Wärme-Kopplung prinzipiell erreichbar ist. Bei der
Umsetzung dieses Zieles gilt es, einerseits die Interessen
der stromverbrauchenden Industrie und andererseits die
Interessen der Anlagenbetreiber an der Absicherung vor-
handener Anlagen im Auge zu behalten.

Die beteiligten Verbände sind den Vorstellungen der
Bundesregierung gefolgt und haben sich entschieden, den
Weg einer Selbstverpflichtung zu gehen, um die klima-
politischen Ziele zu erreichen. Wir haben – das möchte ich
kurz einflechten – mit dem Mittel der Selbstverpflichtung
der Wirtschaft in Kombination mit flankierenden Maß-
nahmen der Politik bisher insgesamt sehr gute Erfolge er-
zielt. Deswegen wollen wir diesen Weg auch fortsetzen.

Mit der im Juni paraphierten Vereinbarung soll eine
Emissionsreduktion um insgesamt bis zu 45 Milli-
onen Tonnen CO2 pro Jahr bis 2010 verwirklicht werden.
Dazu ist in dieser paraphierten Vereinbarung ein umfang-
reiches Maßnahmenpaket verabredet worden. Neben dem
Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung umfassen die Zusa-
gen der Wirtschaft beispielsweise Maßnahmen zur Mo-
dernisierung des Kraftwerksparks, den beschleunigten
Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Modernisierung
der Heizungs- und Warmwasserversorgung.

Bei der Kraft-Wärme-Kopplung hat die Bundesregie-
rung zugesagt, die Modernisierung des KWK-Bestandes
mit gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen. Mit dem
Gesetz, das heute eingebracht wird, löst die Bundesregie-
rung diese eingegangene Verpflichtung ein. Zweck des
Gesetzes ist der befristete Erhalt und vor allem die Mo-
dernisierung des Bestandes der Kraft-Wärme-Kopp-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

18904


(C)



(D)



(A)



(B)


lungsanlagen in Deutschland. Deshalb belohnt das Gesetz
eine schnelle Modernisierung. Über die Erhöhung der
Stromausbeute durch Modernisierung kann der Betrag der
Begünstigung ferner verdoppelt bis verdreifacht werden.

Ich will deutlich sagen: Das Hauptziel dieses Gesetzes
liegt auf der Modernisierung bestehender Anlagen. Wir
wollen also verhindern, dass durch übermäßige Subven-
tionierung relativ wenig umweltwirksame Altanlagen im
Bestand viel zu lange weiter betrieben werden, einfach
deshalb, weil sie Subventionen genießen. Wenn wir hier
auf ein Hilfssystem durch Umlage über den Strompreis
zurückgreifen, dann müssen wir dabei beachten, dass wir
die Strompreise in Deutschland durch diese Umlagesys-
teme nicht zu sehr nach oben treiben dürfen.

Wie wir wissen, ist das von dieser Bundesregierung
eingangs ihrer Tätigkeit gefertigte Stromeinspeisungsge-
setz überaus erfolgreich. Wir haben exorbitante Zu-
wächse bei der Verstromung erneuerbarer Energien, so-
dass wir im Jahre 2005 mit etwa 5 Milliarden DM Umlage
auf den Strompreis durch das Stromeinspeisungsgesetz
rechnen.

Das von der Bundesregierung hier und heute einge-
brachte Gesetz wird zu Belastungen für den Strompreis
von insgesamt rund 1 Milliarde DM bis 2010 führen. Es
wird aber zu keiner Strompreiserhöhung kommen, weil
durch das Gesetz die Hilfsverpflichtung, die ebenfalls ge-
setzlich geregelt ist, abgelöst wird. Ich will noch einmal
deutlich sagen: Mir scheint damit das erreicht, was wir an
Belastungen des Strompreises durch Umlagesysteme
gesamtwirtschaftlich in etwa für verkraftbar halten.

Ich füge hinzu, dass neben der Unterstützung kleiner
Blockheizkraftwerke ein weiteres wichtiges Ziel des jetzt
eingebrachten Gesetzes die Markteinführung der Brenn-
stoffzelle ist. Die Brennstoffzelle wird mit diesem Gesetz
in einer besonderen Weise gefördert, sowohl was den Be-
trag als auch was den Zeitraum angeht; denn sie wird als
Einziges über den Zeitpunkt 2010 hinaus gefördert. Das
trägt dem Umstand Rechnung, dass die Brennstoffzelle
einschließlich der in diesem Gesetz geregelten Beihilfen
zurzeit noch relativ deutlich von der Wirtschaftlichkeit
entfernt ist, dass wir aber die sichere Überzeugung haben,
dass Brennstoffzellen 2005 und später mit den im Gesetz
angebotenen Hilfen in den Bereich der Wirtschaftlichkeit
kommen. Deswegen haben wir hier eine Ausnahme
gemacht und fördern Brennstoffzellen maximal bis
2019/2020.

Alles in allem bildet das vorgesehene Gesetz eine
wichtige Voraussetzung für den langfristigen Erhalt der
Kraft-Wärme-Kopplung und die Realisierung der Klima-
schutzziele dieser Bundesregierung bis zum Jahre 2010.
Daher sollte der mit der Wirtschaft gefundene Kompro-
miss auch so rasch wie möglich umgesetzt werden.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Gesetzentwurf
in der von der Bundesregierung vorgelegten Form unter-
stützten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309100
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Christian Ruck.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1419309200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Das Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz der Bundesregierung, das wir heute in erster
Lesung beraten, hat gute und schlechte Seiten. Positiv ist
wenigstens, dass wir die Vorstellungen der Bundesregie-
rung endlich hier im Parlament und sogar bei Tageslicht
diskutieren können. Nach meinem parlamentarischen
Verständnis sind wir Abgeordnete nämlich nicht nur zum
Abnicken von Vorlagen gewählt, die die Bundesregierung
mit Verbänden und Organisationen außerhalb des Hauses
ausgemauschelt hat. Das gilt umso mehr, als die Maßnah-
men die Menschen in diesem Land viel Geld kosten.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das sagen die, die immer erbitterten Widerstand während der Kohl-Regierung geleistet haben! – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Dem stimmen wir ausdrücklich zu! – Gegenruf des Abg. Walter Hirche [FDP]: Dem, dass die Bundesregierung mauschelt, stimmen Sie zu? Das ist ja interessant! Herr Müller, Sie müssen zuhören! – Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


– Danke, Herr Müller.

Gut ist auch, Herr Müller – ich bin gerade dabei, die
Vorlage zumindest in einigen Teilen zu loben; das sollten
Sie sich nicht entgehen lassen –, dass Rot-Grün mit dem
neuen Gesetz das unselige KWK-Vorschaltgesetz beer-
digt. Schon dieses Vorschaltgesetz kam unsere Bürger
teuer zu stehen und war und ist ökologisch völlig wir-
kungslos, also in jeder Hinsicht eine Missgeburt.

Wir begrüßen auch, dass Rot-Grün in der neuen Geset-
zesvorlage auf einige frühere Pläne verzichtet hat, die wir
für falsch gehalten haben, zum Beispiel die starre Ziel-
vorgabe einer Verdoppelung von KWK als Handlungs-
auftrag oder ein wie immer geartetes Quotenmodell.

Wir begrüßen auch, dass der neue Gesetzentwurf nun
tatsächlich die gleichzeitige Produktion von Strom und
Wärme honoriert, dass die Förderung degressiv gestaffelt
und zeitlich begrenzt wird – auch das haben wir immer ge-
fordert – und dass mit dem Anreiz zur Modernisierung
und zur Förderung von Blockheizkraftwerken und Brenn-
stoffzellenanlagen Innovation und technischer Fortschritt
angeregt werden.

Auch das politische Instrument der freiwilligen Selbst-
verpflichtung halten wir generell für richtig, wenn es denn
auch wirklich freiwillig ist und nicht nur die Wahl zwi-
schen Teufel und Beelzebub.

Aber der neue rot-grüne KWK-Gesetzentwurf bietet
leider auch viel Anlass zur Kritik. Wie beim EEG und dem
KWK-Vorschaltgesetz wird wieder der Weg einer Umla-
gefinanzierung durch die Verbraucher gewählt, das heißt
eine heimliche Steuererhöhung ohne die Transparenz und
die Kontrolle durch ein ordentliches parlamentarisches
Haushaltsverfahren.

Die Wettbewerbsverzerrung zwischen öffentlichen und
industriellen KWK-Anlagen ist zwar gemildert, aber

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Bundesminister Dr. Werner Müller

18905


(C)



(D)



(A)



(B)


längst nicht beseitigt. Ich frage mich schon, wie unter den
Bedingungen dieses Gesetzes der Zubau durch die private
Wirtschaft, der zugesagt wurde, garantiert werden kann,
wenn weder der Zubau noch der Eigenverbrauch geför-
dert werden.

Der Entwurf bringt an mehreren Stellen auch riskante
Unklarheiten, rechtliche Risiken und den völlig unnötigen
Zwang zu einem gewaltigen bürokratischen Mehrauf-
wand, vor allem für die betroffenen Unternehmen. Darauf
hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme hinge-
wiesen. Wir fordern Sie auf, Herr Müller, auch diese Hin-
weise ernst zu nehmen.

Ich möchte ein Beispiel für diese Unklarheiten und Un-
schärfen nennen. Die Deutsche Bahn befürchtet, dass sie
nicht in die zweite Vergünstigungsstufe des Gesetzes
fallen könnte, obwohl das Unternehmen sehr strominten-
siv arbeitet und 7,5 Prozent des Konzernumsatzes aus
Energiebeschaffungskosten bestehen. Aber die umwelt-
freundliche Bahn ist eigentlich kein produzierendes
Unternehmen im Sinne des Gesetzes und müsste damit
erneut die als umweltschützerische Maßnahmen dekla-
rierten Mehrkosten des KWK-Gesetzes voll tragen. Das
würde zum Beispiel für die Dauer des Gesetzes einen Be-
trag von 170 Millionen DM im Vergleich zu dem Zustand
ausmachen, den die Bahn hätte, wenn man sie logischer-
weise in die höchste Vergünstigungsstufe hereinnähme.
Hier muss eine Klarstellung zugunsten der Bahn erfolgen.

Schließlich ist auch die Klimaschutzkomponente
nach wie vor unterbelichtet. Die Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung ist erklärtermaßen Teil der Klima-
schutzstrategie der Bundesregierung. So ist sie auch be-
gründet worden. Aber auch im neuerlichen Anlauf ist es
nicht gelungen, die Förderung tatsächlich an ökologi-
schen Kriterien, insbesondere an der Reduktion von
Treibhausgasemissionen, festzumachen. Sie entscheiden
in Ihrem Gesetz die Frage des Ob und Wie einer Förde-
rung nach den Kriterien, wie alt eine Anlage ist, ob sie mo-
dernisiert wird und ob die Anlage in das öffentliche Netz
einspeist oder nicht, aber nicht nach der Frage, welchen
Beitrag sie zum Klimaschutz leistet. Damit ist der ökolo-
gische Effekt der 8 Milliarden DM, die Sie den Bürgern
aus der Tasche ziehen, gering.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ausgestaltung Ihres Gesetzentwurfes lässt nur ei-

nen Schluss zu: Es geht Ihnen auch diesmal weniger um
den Klimaschutz als um die stranded investments bei öf-
fentlichen Energieerzeugern. Darüber kann man natürlich
diskutieren. Aber das ist kein schlüssiges Klimaschutz-
konzept, das ist hoher ökonomischer Aufwand für wenig
Ökologie – genau wie bei der Ökosteuer, dem EEG und
dem 100 000-Dächer-Programm. Deswegen lehnen wir
auch diesen Gesetzentwurf – zumindest in der vorliegen-
den Form – ab.

Wir haben zur KWK-Förderung eigene Vorschläge
auf den Tisch gelegt, die sicherlich auch nicht perfekt
sind, die wir aber für schlüssiger halten: erstens die För-
derung bestehender Anlagen nach einem hohen ökologi-
schen Effizienzkriterium, zum Beispiel einem Monats-
nutzungsgrad von mindestens 60 Prozent, zweitens eine
Intensivierung von Forschung und Entwicklung innovati-
ver, dezentraler Energieumwandlungsanlagen, drittens

ein 100 000-Keller-Programm zur Markteinführung inno-
vativer KWK-Anlagen, zum Beispiel – aber nicht nur –
mit Brennstoffzellentechnologie. Solche Technologien
– das haben Sie zumindest schon gesagt, Herr Müller –
könnten ihre Marktreife in drei bis vier Jahren erreichen.
Bei einem solchen gezielten Markteinführungsprogramm
wäre der CO2-Minderungseffekt um ein Vielfaches höher
als zum Beispiel beim 100 000-Dächer-Programm für
Photovoltaik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unseren Antrag haben Sie im Umweltausschuss fälsch-
licherweise abgelehnt – und nicht nur das: Sie haben fälsch-
licherweise auch andere gute Klimaschutzanträge der
CDU/CSU mit Ihrer Mehrheit abgeschmettert, darunter
ein detailliertes Konzept zur Komplettsanierung des deut-
schen Gebäudebestandes mit dem Ergebnis einer Minde-
rung des CO2-Ausstoßes um jährlich über 90 Millionen
Tonnen. Im Vergleich: Ihr KWK-Gesetz soll im Jahr 2010
knapp über 20 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß einsparen.
Wir haben auch Vorschläge für einen wirksamen Klima-
schutz durch verstärkte Forschungs- und Entwicklungs-
politik unterbreitet. Sie haben sowohl die Mittel für die
Forschungs- als auch für die Entwicklungspolitik zusam-
mengestrichen.

Ihre Klimaschutzpolitik, dessen Bestandteil das KWK-
Gesetz sein soll, ist ein jährliches zweistelliges Mil-
liardengrab, mit dem Sie den Klimaschutz aber nicht vo-
ranbringen. Die ökologischen Herausforderungen im
Klimabereich für die nächsten Jahre und Jahrzehnte sind
gewaltig. Deswegen können wir uns keine ideologisch be-
gründete Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressour-
cen leisten. Mit ihrer Umwelt- und Energiepolitik wird die
Bundesregierung ihrer Verantwortung, eine nachhaltige
Politik zu betreiben, in keiner Weise gerecht.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen!)


Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu, dann sind wir
schon einen konkreten Schritt weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309300
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419309400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach langer
Beratung haben wir jetzt das KWK-Modernisierungs-
und Ausbaugesetz in der parlamentarischen Beratung.
Damit haben wir nach dem Gesetz zur Förderung der
erneuerbaren Energien weltweit das beste Gesetz, das es
auf dem Markt gibt, und neben dem Altbausanie-
rungsprogramm sowie der Wärmeschutzverordnung ei-
nen weiteren Baustein einer neuen umweltfreundlichen
Energiepolitik auf den Weg gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Christian Ruck

18906


(C)



(D)



(A)



(B)


Dieses Gesetz löst gleichzeitig das KWK-Vorschaltge-
setz ab und macht dabei Fehler wieder gut, die wir aus
meiner Sicht im KWK-Vorschaltgesetz gemacht haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Endlich! Das ist erfreulich!)


– Das habe ich immer gesagt.

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])

Herr Ruck, es ist in keiner Weise so, wie Sie es be-

haupten. In dem neuen KWK-Gesetz werden klare ökolo-
gische Effizienzkriterien zur Vergabe der Förderung ge-
nannt.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Nein, das stimmt nicht! Das wissen Sie!)


– Lesen Sie es genau durch. Viele unökologische Anlagen,
die im KWK-Vorschaltgesetz aufgeführt sind, werden aus
der Förderung herausfallen.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!)


Das bedeutet unterm Strich, dass das neue KWK-Gesetz
günstiger wird als das KWK-Vorschaltgesetz.

Wir werden mit diesem Gesetz hauptsächlich die Mo-
dernisierung fördern. Mit Blick auf Anlagen, die Fern-
wärme produzieren und ökologisch nicht effizient sind,
wollen wir einen Anreiz geben, moderne, ökologisch effi-
ziente Anlagen zu bauen. Zum anderen werden wir den
Ausbau kleiner BHKWs und der Brennstoffzelle fördern.

Herr Ruck, Sie müssen sich klar machen, wie die Posi-
tion der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Gesetz ist. Sie
wollen andere Wege gehen. Ich sage Ihnen dazu: Das ma-
chen wir alles schon. Die Forschung für die Brenn-
stoffzelle – das sollte Ihnen nicht entgangen sein – haben
wir mit Mitteln aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen
deutlich aufgestockt, und zwar mit dem Schwerpunkt
Brennstoffzelle.


(Walter Hirche [FDP]: Für ein Jahr aufgestockt, im nächsten Jahr gekürzt!)


– Nein, das ist gerade für den Bereich Brennstoffzelle
dauerhaft.

Die Markteinführung – das ist doch bekannt – ist mit
Instrumenten wie der Einspeisevergütung oder den Zerti-
fikatshandelsmodellen wesentlich leichter als über För-
derprogramme zu erreichen, die jedes Jahr auf dem Prüf-
stand stehen. Förderprogramme bedeuten immer stop and
go und geben keine Investitionssicherheit und damit die
Voraussetzung einer Planung für die Markteinführung.
Wenn Sie der Markteinführung zustimmen, dann müssten
Sie dieses Gesetz eigentlich begrüßen.

Einige aus der CDU/CSU-Fraktion tun dies sogar. Ich
habe zum Beispiel heute eine Pressemitteilung des kom-
munalpolitischen Sprechers Ihrer Fraktion, Herrn Götz,
vorliegen.


(Walter Hirche [FDP]: Das kann ich mir nicht vorstellen!)


– Doch. – Er fordert uns auf, dieses Gesetz deutlich über
das Jahr 2010 hinaus zu verlängern, weil es für die Kom-

munen tatsächlich ein guter Weg ist, um ökologisch effi-
zient einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten.


(Walter Hirche [FDP]: Die erste Hälfte des Satzes stimmt!)


Die Aufforderung, dieses Gesetz bis über das Jahr 2010 zu
verlängern, zeugt nicht gerade von einer Ablehnung des
Gesetzes. Was also nun? Welche Position hat die
CDU/CSU in dieser Frage?


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist missverstanden worden!)


Wenn Sie fordern, dass wir das Gesetz ausweiten und
die Industrie einbeziehen sollen, dann muss ich Ihnen
dazu sagen: Wer die Ausweitung fordert, kann nicht
gleichzeitig das Gesetz ablehnen.


(Walter Hirche [FDP]: Das geht schon! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört, Frau Hustedt! Lesen Sie meine Rede bitte nach!)


Überlegen Sie sich, welche Position Sie in diesem Bereich
haben!

Herr Hirche, es ist merkwürdig, dass gerade von der
FDP der Vorwurf kommt, Gesetze im Dialog mit der In-
dustrie zu entwickeln sei Mauschelei.


(Walter Hirche [FDP]: Ich habe ihn nicht erhoben! Herr Müller hat den Vorwurf erhoben! Bringen Sie die Dinge nicht durcheinander! Das kann doch jeder im Protokoll nachlesen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen schon beim Zuhören Fehler!)


– Der Bundestag ist die gesetzgebende Instanz und wir ge-
hen jetzt in die Beratung. Ich finde, es ist völlig richtig,
dass man Gesetze auch im Dialog mit der Industrie ent-
wickelt.

Wir unterstützen den Gesetzentwurf; wir haben für ihn
gekämpft, weil KWK ein Baustein ist, um die dezentrale
Energieversorgung weiter voranzutreiben. Wir erwarten
von der Umsetzung des Entwurfs einen Schub für neue
Technologien. Wirtschaftlich ist die Technologie span-
nend, weil die Investitionen sehr flexibel der Nachfrage
angepasst werden können. KWK ist aber auch sehr öko-
logisch, weil wir mit ihr einen Beitrag zur Effizienzrevo-
lution schaffen. Die BHKWs sind bei der Ausnutzung der
Primärenergie wesentlich effizienter. Dies gilt für die
großen KWK-Anlagen, aber erst recht für die kleinen
Brennstoffzellen, die eine Effizienzsteigerung von 15 bis
30 Prozent bringen.

KWK ist gleichzeitig ein idealer Baustein für den
Übergang vom fossilen und atomaren Zeitalter zum sola-
ren Zeitalter, weil wir mit dem System eine Struktur auf-
bauen, die optimal mit den erneuerbaren Energien zu
kombinieren ist. Die Brennstoffzelle, die BHKWs sowie
die KWK-Anlagen können perspektivisch – das dauert al-
lerdings noch ein bisschen – mit solar erzeugtem Wasser-
stoff betrieben werden. Gleichzeitig ist diese Form der
Energieerzeugung ein großer Beitrag zur aktiven Be-
schäftigungspolitik. Wir bauen mit diesen innovativen
Technologien, die große Zukunftsmärkte haben – ebenso
wie bei den erneuerbaren Energien –, ein neues Innovati-
onszentrum auf.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Michaele Hustedt

18907


(C)



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(A)



(B)


Die technischen Veränderungen kosten ein bisschen
was. Die Kosten sind aber niedriger, als sie nach dem
KWK-Vorschaltgesetz, das wir durch das neue Gesetz ab-
lösen wollen, gewesen wären.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Da haben Sie Recht!)


Außerdem fügen wir eine Regelung in das Gesetz ein, die
die Kosten für die Industrie zusätzlich begrenzt. Insge-
samt wird die Industrie mit 0,1 Pfennig pro Kilowatt-
stunde belastet. Auf der anderen Seite wird die Branche
der Anlagenbauer in Deutschland unterstützt, um innova-
tive Techniken auf den internationalen Markt zu bringen.
Zu diesen Zielen stehen wir. Wenn man den Begriff Nach-
haltigkeit ernst nimmt, muss man diesen Weg gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Klimaschutz ist nicht umsonst zu haben.

Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass die Industrie
einbezogen wird. Wir werden ein knallhartes Monitoring
in Bezug auf die Selbstverpflichtung der Industrie ma-
chen. Ich bin mir nicht sicher, ob es für die Industrie nicht
Möglichkeiten gibt, auch ohne zusätzliche finanzielle
Unterstützung durch ein Gesetz zuzubauen. Dies wird
davon abhängen, ob die Strompreise in der Zukunft stei-
gen und die Gaspreise sinken werden. Von dem Verhält-
nis zwischen Strom- und Gaspreisen wird es abhängen,
ob bei einem neuen Investitionsbedarf auf dem Energie-
sektor die Industrie tatsächlich die hochmodernen Anla-
gen zubaut. Es ist wichtig zu kontrollieren, ob dies ge-
schieht, und im Jahre 2004 eine Bilanz zu ziehen, um zu
sehen, ob es im Bereich der Industrie den Zubau, zu dem
sich die Industrie selbst verpflichtet hat, gegeben hat.
Wenn er nicht vorgenommen worden ist, müssen daraus
Konsequenzen – eventuell auch hinsichtlich einer Aus-
weitung der gesetzlichen Regelungen – gezogen werden.
Ich finde, wir haben einen gangbaren Weg des Kompro-
misses gewählt, der eigentlich auch in Ihrem Sinne sein
sollte.

Abschließend: Wir reden hier über einen wichtigen
Bestandteil einer neuen Energiepolitik, die umweltver-
träglich und wirtschaftlich ist sowie – auch nach den Er-
eignissen des 11. September – eine wesentlich höhere
Versorgungssicherheit als unser jetziges System garan-
tiert. Wir sind auf dem besten Weg zu einer nachhaltigen
Energiewirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309500
Jetzt spricht der Kol-
lege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1419309600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Wir beschäftigen uns gewissermaßen
mit dem Lieblingsthema unseres Wirtschaftsministers. Er
hat in vielen öffentlichen Erklärungen deutlich gemacht,
wie sehr es ihm am Herzen liegt – ich hoffe, die Ironie ist
nicht zu verkennen –, dass die Kommunen deutlich mehr
Geld für ihre Stadtwerke in die Kassen bekommen. Ich

habe bei der Debatte über das Vorschaltgesetz gesagt, das
sei ein „Jung-Brunnen“ für die Kommunen.

Im Rahmen der jetzt vorliegenden Gesetzesfassung
kann man die Abkürzung KWK ganz neu auflösen: K wie
Kommunen, W wie wollen und K wie kassieren. Also:
Kommunen Wollen Kassieren. Ihr Gesetz ist kein Beitrag,
so wie wir ihn uns vorstellen, nämlich dass man versucht,
eine gute Technologie und eine klima- und energiepoli-
tisch wichtige Energieform effizient zu fördern.

Ich gebe zu, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf
deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Vorschaltge-
setz enthält, das nicht zu einer umfangreichen Senkung
der CO2-Emissionen beigetragen hat. Ich will in aller
Deutlichkeit sagen: Ich freue mich, dass Frau Hustedt
– natürlich etwas verklausuliert – unsere Kritik am Vor-
schaltgesetz bestätigt hat.

Auch der neue Gesetzentwurf ist gut gemeint, aber
schlecht gemacht. Zwei wesentliche Aspekte müssen kri-
tisiert werden. Erstens. Es entsteht eine Ungleichbehand-
lung von KWK-Anlagen je nach Verbrauch. Man muss in
aller Deutlichkeit sagen: KWK-Strom wird gemäß dem
jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nur dann begünstigt,
wenn er in öffentliche Anlagen eingespeist wird. Was ist
denn eigentlich schlecht an einem solchen KWK-Strom,
den die Industrie selber verbraucht, um Arbeitsplätze zu
sichern?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was soll dieser Quatsch einer Differenzierung und der
Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz?

Ich habe mir heute noch einmal eine entsprechende
Stellungnahme des Bundesverbandes Kraft-Wärme-
Kopplung durchgelesen, der auf diesem Gebiet tätig ist.
Schon in der Einleitung steht, dass „ohne sachliche Recht-
fertigung KWK-Strom außerhalb des Eigentums öffentli-
cher Netzbetreiber und von Neuanlagen diskriminiert“
wird. Ich füge aus der Seite 4 dieser Stellungnahme hinzu:

Klimapolitisch ist ein Ausschluss von selbst ver-
brauchtem KWK-Strom von der Förderung nicht zu
rechtfertigen, da hinsichtlich CO2-Emissionen kein
Unterschied zwischen dem vor Ort verbrauchten und
dem in das öffentliche Netz eingespeisten Strom be-
steht.

Das ist Tatsache. Von daher, Herr Wirtschaftsminister,
kann ich nachvollziehen, warum dies Ihr „Lieblingsge-
setz“ ist.

Zweitens. Wir werden uns im zuständigen Ausschuss
über folgendes Problem unterhalten müssen: Eine funda-
mentale Schwäche ist – Herr Kollege Ruck hat das soeben
ausgeführt –, dass es keine strengen technischen und wirt-
schaftlichen Effizienzkriterien und keine ökologischen
Mindeststandards für die zu fördernden Anlagen gibt.

Interessant ist im Übrigen, dass Sie immer damit argu-
mentieren, dass die Industrie dann, wenn eine Energie-
form modern ist, den Anteil an dieser selber erhöht. Die
Industrie ist die Selbstverpflichtung eingegangen, eine
entsprechende Senkung der CO2-Emissionen vorzuneh-
men. Sie will in diesem Zusammenhang ein Monitoring

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Michaele Hustedt

18908


(C)



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(A)



(B)


durchführen. Ich verstehe das so, dass auf diesem Gebiet
kein Fördergesetz nötig ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, das will die Industrie!)


Wenn es in einem Wirtschaftsbereich eine Selbstver-
pflichtung gibt, warum muss ich dann eine Förderung
vorsehen? Sie schneidern die Förderung so zu, dass sie im
Wesentlichen bei den Kommunen und bei der Verbund-
wirtschaft ankommt, die Privatindustrie aber ausgenom-
men wird. Das bedeutet wiederum: Arbeitsplätze stehen
bei Ihnen nicht im Mittelpunkt und, wie ich eingangs ge-
sagt habe, der Klimaschutz spielt für Sie überhaupt keine
Rolle.

In der Industrie gibt es – das ist eine sehr interessante
Tatsache – in starkem Maße eine isolierte Wärmeerzeu-
gung. Dabei denke ich zum Beispiel an die Chemie, die
unwahrscheinlich viel Dampf für ihre Prozesse benötigt.
Wenn man eine Förderung vorsehen will, dann wäre es in-
teressant zu sagen: Dort, wo dauerhaft Wärme gebraucht
und abgegeben wird, ist unser Ausgangspunkt; zusätzlich
zu dieser Wärme erzeugen wir Strom.

Sie aber tun das Umgekehrte.

(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist der entscheidende Fehler!)

Sie sagen: Es wird Strom erzeugt und zusätzlich produ-
zieren wir Wärme. Dabei nehmen Sie keine Rücksicht da-
rauf, ob diese Wärme das ganze Jahr über abgenommen
und gebraucht wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist falsch. Ihr Weg ist der klimapolitisch und im Übri-
gen auch wirtschaftspolitisch schlechtere.

Ich empfehle Ihnen sehr nachdrücklich, in der An-
hörung, die noch ansteht, und während der diesbezügli-
chen Ausschussberatungen zur Kenntnis zu nehmen, wel-
che Position der in diesem Jahr wegen der dilettantischen
Vorbereitungen dieses Gesetzes neu gegründete Bundes-
verband Kraft-Wärme-Kopplung einnimmt. Gespräche
mit Vertretern dieses Verbandes führen nämlich zu einem
ganz anderen Ergebnis, als es Frau Hustedt hier ausge-
führt hat.

Ich habe keine Hemmungen, zuzugeben, dass ich mit
Vertretern von bestimmten Firmen gesprochen habe, un-
ter anderem einer, die am Rande Bayerns, und zwar im
Ausland, ihren Sitz hat. Ich möchte das nicht näher aus-
führen, weil ich keine Werbung für diese Firmen machen
möchte. Jedenfalls haben mir diese Firmenvertreter ge-
sagt, dass sie wegen der Konstruktion des Gesetzes zur-
zeit gar keine Anlagen verkaufen könnten, dass die Anla-
genbauer zutiefst verunsichert seien, weil nur die
Modernisierung bestehender Anlagen angestrebt werde
und nicht verlangt werde, dass die Industrie ihrer Selbst-
verpflichtung, die KWK in einem bestimmten Umfang
auszubauen, nachkomme.

Aus diesem Grunde unterstelle ich zwar, dass Sie das al-
les gut meinen. Aber ich muss feststellen, dass Sie das
handwerklich ganz schlecht umgesetzt haben. Es ist nicht
ohne Grund so schlecht gemacht worden. Frau Hustedt,

Ihre Rede hat mir erst die Möglichkeit gegeben, dies zu sa-
gen. Wenn der Sprecher, der für die Kommunalpolitik der
Union zuständig ist, erklärt, er finde das Ganze besonders
gut, dann wird deutlich – Herr Fromme schaut mich zwar
etwas streng an, aber es ist so; das ist in diesem Zusam-
menhang auch legitim –, dass hier bestimmte kommunal-
politische Interessen ausschlaggebender sind als die Kli-
mapolitik und die Arbeitsplätze. Mit dieser Art von
Prioritätensetzung werden Sie die Zukunft nicht gewinnen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309700
Herr Kollege Hirche,
ich muss Sie bremsen.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1419309800
Klimapolitik und Arbeitsplätze
müssen an erster Stelle stehen. Unter dieser Prämisse wer-
den wir die weiteren Gesetzesberatungen begleiten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419309900
Jetzt spricht der Kol-
lege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1419310000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Minister Müller hat gesagt, das
Ziel des Gesetzentwurfes sei die Modernisierung der be-
stehenden Anlagen. Frau Hustedt, von Ausbau war bei
Herrn Müller nicht die Rede. Dabei bleiben nach meiner
Auffassung der vorgelegte Gesetzentwurf und die in ihm
favorisierte Variante selbst hinter der halbherzigen Lö-
sung zurück, die von den meisten Energiewirtschaftsver-
bänden Ende Juni – Herr Minister, Sie haben es schon an-
gesprochen – angeboten wurde. Selbst die ist bis heute
nicht unterzeichnet worden. Es scheint fast so zu sein,
dass die Verbände ihren eigenen Forderungen nicht mehr
trauen.

Ich möchte vier kritische Anmerkungen machen. Dass
sich die von den kritischen Anmerkungen, die Herr Hirche
gemacht hat, unterscheiden, liegt einfach daran, dass wir
die KWK unterschiedlich betrachten.

Erstens. Der Gesetzentwurf enthält keinerlei prak-
tische umweltpolitische Bezüge. Er erscheint deshalb als
bloßes Investitionsschutzgesetz. Er kann sich daher
nicht auf die mittlerweile ständige Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes stützen, die den Umwelt-
schutz höher als die Warenverkehrsfreiheit gewichtet.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)


Zumindest müssten konkrete Ziele zur Reduzierung des
Kohlendioxidumfangs im Gesetz festgeschrieben und
müsste deren Überprüfung viel früher als geplant durch-
geführt werden. Das vorgesehene Verbot der Er-
schließung neuer Wärmeabsatzpotenziale durch Anlagen-
modernisierung muss fallen.

Zweitens. Der Entwurf diskriminiert industrielle
KWK-Stromerzeugung, obwohl diese nachgewiesener-
maßen die größten Klimaschutzeffekte brächte. Für diese
Anlagen muss ein diskriminierungsfreier Anschluss an
die Netze der allgemeinen Versorgung gesetzlich vorge-
schrieben werden. Nur so haben die Betreiber solcher An-
lagen überhaupt eine Chance auf Vergütung ihres Stroms.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Walter Hirche

18909


(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Die erhebliche Entlastung bestimmter
Stromkundengruppen ist in der vorgeschlagenen Form
unpraktikabel und dürfte sogar gegen den Gleichheits-
grundsatz des Grundgesetzes verstoßen. Kleinkunden,
vor allem die Haushalte, kann man jedenfalls nicht derart
diskriminieren wie vorgesehen. Es wäre doch sozial- und
umweltpolitisch verrückt, wenn die Stromkosten der Bür-
gerinnen und Bürger desto mehr steigen würden, je mehr
umweltfreundlicher KWK-Strom auf den Markt käme.
Außerdem verbaut die Entlastung der großen Stromver-
braucher gerade die Chancen auf Erhalt und Ausbau der
industriellen KWK. Schließlich mindern sich damit die
wirtschaftlichen Anreize, vom Fremdstrombezug zur Ei-
genstromversorgung überzugehen.

Viertens. Vor allem das im Bereich des KWK-Stroms
propagierte Alleinkäufermodell verstärkt die Vormacht-
stellung der regionalen und der überregionalen Netzbe-
treiber. Die entscheiden letztlich darüber, ob der Strom
auf dem Markt eine Chance hat. Das ist auch europa-
rechtlich angreifbar. Schließlich sollen Stromhandel und
Netzbetrieb zunehmend getrennt werden. Der Regie-
rungsentwurf würde das Gegenteil bewirken.

Der vorliegende Gesetzentwurf belegt einmal mehr,
dass ein Handel mit Zertifikaten auf der Basis einer Quote
nicht nur unbürokratischer und zielführender, sondern of-
fenbar auch volkswirtschaftlich günstiger wäre.

In der vorliegenden Form jedenfalls ist der einge-
brachte Entwurf nicht zustimmungsfähig. Wir setzen hier
– wie viele andere Befürworter von KWK auch – auf die
Ausschussberatungen. Insofern ist die von der FDP bean-
tragte Vorlage eines Berichts der Bundesregierung ak-
tueller denn je. Wie schon in den Ausschüssen werden wir
diesem Anliegen zustimmen, auch wenn ich natürlich
weiß, lieber Herr Kollege Hirche, dass Sie mit dem Be-
richt ein gänzlich anderes Ziel verfolgen als wir.


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)


Aber letztlich ist der Bericht wichtig als Entscheidungs-
grundlage.


(Walter Hirche [FDP]: Eine objektive Plattform!)


Was den CDU/CSU-Antrag angeht, können wir nur
die Koalition unterstützen. Die Christdemokraten waren
und sind gegen KWK, weil sie für die großen Verbund-
unternehmen sind.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Nein! Das ist Quatsch!)


Sie beweisen Kontinuität – vom durch sie betriebenen
Energiewirtschaftsgesetz 1998 bis zum jüngsten Antrag.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun! – Zuruf von der CDU/CSU: Darüber unterhalten wir uns auf dem Fußballplatz!)


Klimaschonende Stromerzeugung ist auf diese Art und
Weise nicht zu erreichen.

Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419310100
Jetzt spricht der Kol-
lege Volker Jung für die SPD-Fraktion.


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1419310200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Müller und Herr Trittin,
wir begrüßen es sehr nachdrücklich, dass die Bundesre-
gierung den Gesetzentwurf zur Modernisierung und zum
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung fristgerecht vorge-
legt hat.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist die Energierevolutionsrede von Volker Jung!)


Das gibt uns nämlich die Chance, das Gesetz, wie vorge-
sehen, zum 1. Januar 2002 in Kraft treten zu lassen. Nach
der langen und streckenweise auch kontroversen Diskus-
sion, auf die der Bundeswirtschaftsminister hingewiesen
hat, ist das, meine ich, ein recht bemerkenswertes Ergeb-
nis.

Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz
schließen wir die letzte große Lücke unseres Energie-
wendeprogramms, das wir am Anfang der Legis-
laturperiode verabredet haben. Nach dem 100 000-
Dächer-Programm, nach dem Einstieg in die ökologische
Steuerreform, nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz,
nach dem Markteinführungsprogramm, nach dem
Kernenergieabwicklungsgesetz und auch dem KWK-So-
forthilfegesetz schließen wir dieses Programm jetzt mit
einem fundierten Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Ansatz ist die Kombination einer Selbst-
verpflichtung der deutschen Wirtschaft und einer gesetz-
lichen Begleitung. Anders ist das bei dieser Materie gar
nicht vorstellbar. Die Wirtschaft hat eine zusätzliche Re-
duzierung der CO2-Emissionen im Umfang von 45 Milli-
onen Tonnen bis zum Jahre 2010 zugesagt; durch die Nut-
zung der Kraft-Wärme-Kopplung soll in diesem Zeitraum
eine Minderung um 20 Millionen Tonnen bis 23 Milli-
onen Tonnen erreicht werden. Auf der anderen Seite muss
die Umlagefinanzierung organisiert werden und das geht
nur auf gesetzlichem Wege. Dabei konzentrieren wir uns
auf den Bestandsschutz und auf die Modernisierung der
Kraft-Wärme-Kopplung in der öffentlichen Versorgung.
Außerdem fördern wir die Markteinführung der Brenn-
stoffzellen.

Herr Hirche, Sie haben den Unterschied zwischen der
öffentlichen Versorgung und der industriellen KWK her-
vorgehoben; das ist ja ein Lieblingsthema von Ihnen.
Dazu muss ich Ihnen in aller Klarheit sagen: Die
Gleichstellung dieser beiden Anlagenkategorien ist von
der Wirtschaft verhindert worden. Wir sind mit dem An-
satz hineingegangen, auch die industrielle Kraft-Wärme-
Kopplung zu fördern, und zwar adäquat;


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das habt ihr doch schon beim ersten Mal nicht gemacht! Das wolltet ihr doch schon beim ersten Mal nicht!)


denn sie hat erhebliche Wettbewerbsvorteile. Das ist aber
von der deutschen Wirtschaft verhindert worden, und
zwar unter Einschluss des VIK, des Verbandes der Indus-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Rolf Kutzmutz

18910


(C)



(D)



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(B)


triellen Energie- und Kraftwirtschaft, die intern zerstritten
war.


(Walter Hirche [FDP]: Sie sind doch nicht der Knecht der Wirtschaft, oder?)


Das ist der Punkt an der ganzen Sache, der, wie ich finde,
nicht unterschlagen werden darf.


(Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill [CDU/ CSU]: Nennen Sie mal den Grund, warum das so ist!)


Durch den Diskussionsprozess hat sich doch, meinen
wir, ein ganz erheblicher Konsens zwischen Wirtschaft
und Politik herausgebildet, den man festhalten und nicht
zerreden sollte. Der Konsens bezieht sich darauf – so
würde ich das umschreiben –, dass Kraft-Wärme-Kopp-
lung tatsächlich einen wirksamen und kostengünstigen
Beitrag zum Klimaschutz leistet. Auch die begleitenden
wissenschaftlichen Studien kommen letztlich zu dieser
Schlussfolgerung.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Was?)


Wir leisten mit dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-
lung auch einen erheblichen Beitrag zur Stärkung der
dezentralen Energieversorgung. Wenn man die heutige
Entwicklung beobachtet, dann stellt man fest, dass es ein
ganz entscheidender Gesichtspunkt ist, dass sich insbe-
sondere die großen Energieverbundunternehmen in zu-
nehmendem Maße international organisieren, damit auch
ihre Produktionsstrukturen international werden, weswe-
gen die Gefahr groß ist, dass in Zukunft der Umfang des
Stromimports und nicht die Wertschöpfung in unserem
Lande erheblich wachsen wird.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Sorgt doch dafür, dass hier Kraftwerke gebaut werden! Dann braucht ihr das hier nicht vorzutragen!)


Dieser wichtige Aspekt wird in der Diskussion in der Re-
gel unterschlagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir mit dem
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung einen Beitrag dazu
leisten, die Wertschöpfung und die Beschäftigung in die-
sem Lande zu stärken und zu verhindern, dass Arbeits-
plätze exportiert werden. Um diese Ziele zu erreichen, ist
der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ein geeignetes
Instrument.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen – diese Frage darf man ebenfalls nicht
außen vor lassen – die Kernenergie – die Atomkraft-
werke gehen in absehbarer Zeit vom Netz – in der Zukunft
substituieren, genauso wie wir veraltete Kraftwerke er-
neuern müssen. Die Vertreter der Elektrizitätswirtschaft
sagen uns, dass der Reinvestitionszyklus im Kraft-
werkspark ab dem Jahre 2005 einsetzen wird. Auch von
daher ist es wichtig, dass es politische Signale gibt, in wel-
che Richtung die Entwicklung gehen soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kernenergie wird im Jahre 2020 oder 2022 voll-
ständig vom Netz genommen sein. Das bedeutet, dass bis
dahin immerhin ein Drittel der Stromerzeugungskapazität
in unserem Lande wegfällt. Die Kernenergie wird vor al-
len Dingen in der Grundlast eingesetzt. Im Jahre 2010
werden die Atomkraftwerke bereits 40 Terawattstunden
– das entspricht 8 Prozent unserer Stromversorgung – we-
niger liefern. Man muss sich Gedanken darüber machen,
in welche Richtung Investitionen zur Substitution dieser
Energie gelenkt werden sollen.

Ich füge den Hinweis hinzu, dass die Kraft-
Wärme-Kopplung grundlastfähig ist. Sie kann also, was
in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung ist, auch
in der Grundlast eingesetzt werden. Wenn wir die
Kraft-Wärme-Kopplung nicht ausbauen, dann gäbe es im
Hinblick auf die Zukunft der Fernwärmeversorgung in
unserem Lande zwei Alternativen: Entweder müssten wir
– das ist ökologisch absolut unsinnig – reine Heizwerke
bauen oder es käme – darüber diskutieren viele Unter-
nehmer schon – zu einem Desengagement auf diesem Ge-
biet.

Ich möchte das Ganze folgendermaßen zusammenfas-
sen: Die Kombination von einer Vereinbarung und einer
gesetzlichen Flankierung hat eine völlig neue Qualität be-
züglich der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft.
Sie ist zielgenau. Sie ist branchenscharf und technologie-
spezifisch angelegt.


(Walter Hirche [FDP]: Nur das Letzte stimmt!)


Ich meine, dass wir damit im Prinzip gar nichts anderes
machen, als das einzulösen, was Sie einmal entschieden
haben. Da Sie es mit Sicherheit vergessen haben, möchte
ich gerne § 4 a des Energiewirtschaftsgesetzes zitieren:


(1) Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass die

Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Wege frei-
williger Selbstverpflichtung zusätzliche Maßnahmen
zur Steigerung des Anteils der Elektrizitätserzeugung
aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme-
Kopplung treffen.

(2) Die Bundesregierung kann nach Anhörung der

beteiligten Kreise Ziele festlegen, die in angemessener
Frist erreicht werden sollen.

Dieses Gesetz ist 1998 von Helmut Kohl und Günter
Rexrodt unterschrieben worden.

In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Gesichts-
punkt wichtig – meine Kollegin Hustedt hat darauf hin-
gewiesen –: Durch die neue Ausrichtung des Gesetzes,
also durch die ausschließliche Förderung des KWK-Stro-
mes, wird sich die Belastung der Industrie von 0,5 Pfen-
nig pro Kilowattstunde, wie beim KWK-Soforthilfege-
setz, auf 0,1 Pfennig pro Kilowattstunde absenken lassen.
Wir werden die Belastung der stromintensiven Industrie
auf 0,05 Pfennig pro Kilowattstunde verringern.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das müssen andere bezahlen! Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!)


Das ist doch ein in diesem Zusammenhang nicht zu ver-
nachlässigender Fortschritt. Das bedeutet – das muss man

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Volker Jung (Düsseldorf)


18911


(C)



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(A)



(B)


auch hinzufügen –, dass wir andere Kreise möglicher-
weise etwas mehr belasten müssen.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist die Revolution!)


Ich möchte in dieser Debatte als Letztes noch einen
weiteren Gesichtspunkt in Erinnerung rufen: Die Wirt-
schaft muss sich bewusst sein, dass sich, wenn wir ein sol-
ches System neu konzipieren – dazu gibt es sehr eindeu-
tige Signale aus Brüssel –, die Beihilfekontrolle der
Europäischen Kommission in Zukunft auch verstärkt
diesen Selbstverpflichtungen zuwenden wird. Das be-
deutet, dass sehr deutlich erkennbare Beiträge zum Kli-
maschutz von der Wirtschaft erbracht werden müssen,
wenn diese Ansatzpunkte vor der Beihilfekontrolle der
Europäischen Kommission Bestand haben sollen. Ansons-
ten könnte es nämlich passieren, dass die Privilegierung
der Wirtschaft, beispielsweise bezüglich der Belastung
durch die ökologische Steuerreform, unter Druck geraten
und möglicherweise untersagt wird. Die Beträge, um die
es dabei geht, sind nicht gerade klein; es geht um Beträge
von 5 Milliarden DM aufwärts.

Insofern bin ich überzeugt davon, dass dieser sich neu
andeutende Konsens zwischen Wirtschaft und Politik zu-
stande kommen wird und wir auf dieser Grundlage letzt-
lich ein gutes Gesetz verabschieden können.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419310300
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Kurt-Dieter Grill für die
Fraktion der CDU/CSU.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1419310400
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will
zunächst den Versuch der Kollegin Hustedt, den Vorsit-
zenden der Arbeitsgruppe Kommunalpolitik der CDU/
CSU-Fraktion zum Kronzeugen für dieses Gesetz zu ma-
chen, zurückweisen und bitte sie, noch einmal zu prüfen,
ob sie bei der Wahrheit geblieben ist.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum darf er nicht reden?)


Die vorliegende Presseerklärung von Peter Götz unter-
stützt in keiner Weise den Gesetzentwurf, den wir hier
heute beraten. Es heißt nämlich schon in der Überschrift:
„KWK-Modernisierungsgesetz – lauwarme rot-grüne
Energiepolitik lässt Kommunen im Regen stehen“.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es zu wenig ist!)


Weiter heißt es:

Zur ersten Lesung des Kraft-Wärme-Koppelungsge-
setzes der rot-grünen Bundesregierung
erklärt der
kommunalpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion
: Der rot-grüne Gesetzentwurf ist
ein fauler Kompromiss im Zielkonflikt zwischen bil-
liger Energie auf einem liberalisierten Markt und

dem Umweltschutz. Den Kommunen hilft er nicht
weiter.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum? Weil es zu wenig ist und nicht zu viel!)


Herr Götz ist also weiß Gott kein Kronzeuge. Ich finde,
Sie sollten doch etwas wahrhaftiger mit den Dingen, die
draußen geschehen, umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen!)


Das Zweite ist: Ich habe immer danach gesucht, worin
denn die Revolution besteht, die Sie hier jetzt verkündet
haben. Wir werden einmal schauen, ob es Ihnen, ebenso
wie es uns in den letzten zehn Jahren gelungen ist, gelingt,
eine 2-prozentige Energieeffizienzsteigerung pro anno
mit Ihrer Politik hinzubekommen. Angesichts dieses Ge-
setzes ist jedenfalls nicht sichergestellt, dass Sie eine Ef-
fizienzrevolution hinbekommen. Sie werden aber auf je-
den Fall erreichen, dass mehr Geld von den Bürgern in die
Kassen von Leuten, die auf Ihren Wunsch hin Kraft-
Wärme-Kopplung ausbauen, fließt.


(Walter Hirche [FDP]: Eine Subventionsrevolution!)


– Eine Subventionsrevolution; das ist ein netter Zuruf, ich
bin dafür dankbar, Walter Hirche.

Wer gegen diesen Gesetzentwurf etwas sagt, meine
Damen und Herren, muss nicht zwangsläufig gegen
Kraft-Wärme-Kopplung sein. Er muss schon gar nicht ge-
gen Brennstoffzellen sein. Es muss vielmehr gestattet
sein, in diesem Hause darüber zu diskutieren, ob das, was
hier auf dem Tisch liegt, den Ansprüchen einer in sich
konsistenten Energiepolitik gerecht wird.


(Walter Hirche [FDP]: Nein!)


Frau Hustedt hat von einem weiteren Baustein gespro-
chen. Es wäre ja schön, wenn wir endlich einmal erken-
nen könnten, wie der Konstruktionsplan, sozusagen die
Architektur dieses Energiehauses von Rot-Grün, denn
aussieht. Nach dem Energiebericht des Bundeswirt-
schaftsministers liegt er bisher überhaupt nicht vor. Eine
in sich schlüssige Konzeption werden wir von der rot-grü-
nen Koalition bis Ende der Legislaturperiode auch nicht
bekommen. Insofern ist eine Einordnung dieses Bausteins
schlicht und einfach gar nicht möglich.

Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass die Er-
forschung von Brennstoffzellen keine Erfindung von Rot-
Grün ist. Die Erprobung und der Einsatz der Brennstoff-
zelle, so wie heute schon bei Daimler-Chrysler und vielen
anderen Industriebetrieben und Lieferanten, erfolgen
doch nicht erst seit den letzten drei Jahren. Im Gegenteil,
die Energieforschung läuft bei Ihnen Gefahr, auf Null re-
duziert zu werden.

Es gibt einen zweiten Punkt, über den ich in diesem Zu-
sammenhang gerne einmal mit Ihnen streiten würde. Es
geht darum, dass Sie in den energiepolitischen Diskussio-
nen draußen eigentlich immer den Vorwurf erheben, wir
würden eine zu stark angebotsorientierte Energiepolitik
betreiben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Volker Jung (Düsseldorf)


18912


(C)



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(A)



(B)


Es bestehen – das wird von Ihnen auch nicht bestritten –
Überkapazitäten. Sie selber schwärmen immer von den
hier bestehenden Einsparpotenzialen. Die entscheidenden
Einsparpotenziale – in diesem Punkt widersprechen wir
Ihnen ja gar nicht – liegen nicht nur im Strombereich,
sondern insbesondere im Wärmebereich. Durch Ihre
Energieeinsparverordnung in Fortsetzung der Wärme-
schutzverordnung besteht heute in den kommunalen
Fernwärmenetzen eine mangelnde Auslastung. Der Wär-
meverbrauch sinkt ja aufgrund von Nachrüstungen in
Altbauten und vielen anderen Dingen.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)


Dies stützt das Argument, das Walter Hirche hier vorge-
tragen hat, sich bei dem Thema KWK nicht an der Strom-
produktion, sondern am Wärmeverbrauch zu orientieren.
Dann kämen wir zu ganz anderen Ergebnissen; denn die-
ses Kriterium ist ausschlaggebend für die ökonomische
und ökologische Effizienz der Kraft-Wärme-Kopplung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Herr
Jung, auch durch Ihre Bemerkung über das Vorschalt-
gesetz können Sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie
hier wieder eher eigentümerorientiert als anlagenorien-
tiert fördern.


(Volker Jung [Düsseldorf] [SPD]: Das ist völliger Quatsch!)


– Das ist nicht völliger Quatsch. Lesen Sie einmal all die
Stellungnahmen, die bei uns auf dem Tisch liegen. Sie
können dann zwar sagen, dass Sie sie nicht zur Kenntnis
nehmen oder dass Sie die Einwände nicht ernst nehmen;
das kann ich Ihnen zubilligen, das bleibt Ihnen überlassen.
Aber zu sagen, dies sei völliger Quatsch, ist vollkommen
inakzeptabel. Denn es geht Ihnen nicht um KWK im
Ganzen, sondern um ganz spezifische Anlagen bei ganz
spezifischen Eigentümern. Das ist der Konstruktions-
fehler. Denn wenn die KWK, von der Sie immer behaup-
ten, sie sei ökonomisch und ökologisch überlegen, wirk-
lich eine solche Überlegenheit vorweisen könnte, dann
bräuchte sie keine Förderung in diesem Umfang. Das ist
der Widerspruch an dieser Stelle.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)


Die Stellungnahme des Bundesrates zeigt eine große
Fülle handwerklicher Schwächen dieses Gesetzentwurfes
auf, die seine Umsetzung erschweren und nicht erleich-
tern. Die Klimaziele werden Sie damit nicht erreichen.

Ich bin Herrn Kollegen Jung allerdings dankbar, dass
er am Schluss seiner Rede etwas deutlich gemacht hat,
was der Bürger draußen begreifen muss. Die entspre-
chende Aussage liegt ungefähr auf der Linie durchaus
energieintensiver Betriebe, deren Vertreter sich bei einer
Anhörung über die zusätzliche Belastung beschweren,
aber nicht sagen, dass sie gegen die Subventionen sind.
Vielmehr sagen sie: Senkt unsere Belastungen ab und ver-
teilt sie auf die Bürger! Dann sind wir zufrieden. – Meine
Damen und Herren, das ist eine Politik, die wir nicht
unterstützen können.

Herr Kollege Jung, Sie haben hier ganz deutlich gesagt,
dass der normale Tarifverbraucher, der einzelne Bürger,
die Zeche dafür bezahlt, dass Sie die Belastung aus der
Subvention der KWK-Förderung nicht an die energie-
intensiven Betriebe weitergeben, sondern einen Deal zu-
lasten der normalen Verbraucher gemacht haben. Das
heißt: Wer Ihrer Politik folgt, der wird – im Vergleich
zu der Zeit, bevor wir die Regierungsverantwortung ab-
geben mussten – am Ende dieser Legislaturperiode eine
Mehrbelastung von etwa 6 Pfennig pro Kilowattstunde
einschließlich Stromsteuer feststellen.

Dabei sprechen wir ja nicht nur über die normalen Ta-
rifverbraucher draußen im Lande, sondern auch über die
große Breite des Mittelstandes, die sich Ihrer Subven-
tionspolitik und den daraus folgenden Belastungen nicht
entziehen können. Sie betreiben eine Politik, die Sie sel-
ber nicht bezahlen wollen, die aber der Bürger zu bezah-
len hat. Es schert Sie im Grunde genommen einen Teufel,
ob das sozial und ökonomisch zu verantworten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Noch ein letztes Wort: Sie haben gesagt, dass dieses
Gesetz auch zum Ziel habe, Auslandsinvestitionen und
eine Flucht der deutschen Stromwirtschaft ins Ausland zu
verhindern. Herr Jung, eine solche Zumutung sollten Sie
uns in Zukunft ersparen. Wenn die deutsche Stromwirt-
schaft außerhalb Deutschlands investiert, dann tut sie es
nicht deswegen, weil sie nicht in der Lage wäre, den Er-
satz von 30 000 Megawatt in Deutschland bereitzustellen
– bis zum Ende diesen Jahrzehnts werden wir darüber ja
entscheiden müssen –, sondern deswegen, weil Sie die
Weichen im Grunde genommen so stellen, dass niemand
mehr Lust hat, in Deutschland zu investieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419310500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf den Drucksachen 14/7024 und 14/7086 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Ich sehe im gesamten Hause keinen Wider-
spruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/6518 zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU mit dem Titel „Kraft-Wärme-Kopplung im
Wettbewerb stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/4753 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto

(Frankfurt), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord-

neten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Kurt-Dieter Grill

18913


(C)



(D)



(A)



(B)


zes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze
und die Errichtung der Stiftung „Geld und
Währung“ und zur Unterstützung der Rekonstruk-

(Museumsinselunterstützungsgesetz)

– Drucksache 14/5274 –

(Erste Beratung 168. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6563 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Diethard Schütze (Berlin)

Gisela Frick


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/7092 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist die
Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion.


Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1419310600
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf
lautet vereinfacht „Museumsinselunterstützungsgesetz“.
Da wir uns in der heißen Phase des Berliner Wahlkamp-
fes befinden, werde ich eher neutral erläutern, worum es
geht. Es geht der FDP darum, ein Gesetz auszuhebeln, das
der Bundestag beschlossen hat und das zum Gegenstand
hat, eine 1-DM-Goldmünze zu prägen, vom Verkaufserlös
100 Millionen DM in eine Stiftung mit dem Namen „Geld
und Währung“ zu überführen und mit dem Rest die Sa-
nierung der Museumsinsel in Berlin zu betreiben. Es han-
delt sich um ein sehr gutes Gesetz. Die FDP fordert, statt-
dessen das gesamte Geld für die Museumsinsel zu
verwenden.

Lassen Sie mich Ihnen erläutern, warum dies nicht
sinnvoll ist. Ab Januar 2002 werden wir, 320 Millionen
Menschen in Europa, mit dem Euro bezahlen können.
Nicht nur uns fällt der Abschied von der alten Währung
schwer. Wir hängen an unserer D-Mark und wollen einen
ebenso stabilen Euro. Es muss mit allen Mitteln versucht
werden, die Stabilität des Euro sicherzustellen. In diesem
Zusammenhang ist es sinnvoll, auch Forschung zu Fragen
und Aufgabenstellungen zu betreiben, die die neue
Währung mit sich bringt. Im Moment leistet der Sachver-
ständigenrat gute Arbeit bei der Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung und die Bundesbank
ist federführend zuständig, gesellschaftliche und wirt-
schaftliche Fragestellungen mit finanzpolitischen Frage-

stellungen zu verbinden. Darüber hinaus müssen aber
auch Fragen, die sich im europäischen Währungsraum
neu stellen, untersucht werden.


(Beifall bei der SPD)


Zu diesem Zweck brauchen wir eine unabhängige Stif-
tung, die Forschung, vor allem Grundlagenforschung, be-
treibt. Mit diesem Wunsch stehen wir nicht allein; ur-
sprünglich wurde er sogar aus Kreisen der Wirtschaft
formuliert. Das Stiftungsprojekt wird von der EZB wohl-
wollend begleitet; die EZB erklärt auch in Öffentlichkeit
immer wieder, wie sinnvoll diese Forschung ist. In diese
Stiftung fließen ungefähr 100 Millionen DM.

Über diese 100 Millionen DM hinaus werden – je nach
Goldwert – weitere 50 bis 60 Millionen DM erlöst wer-
den. Diese meiner Meinung nach große Menge Geld wer-
den wir sofort in die Sanierung der Museumsinsel
stecken. Wie wir alle wissen, ist die Museumsinsel ein
ganz besonderes „Schätzchen“. Sie ist UNESCO-Welt-
kulturerbe und unbedingt schützens- und erhaltenswert.

Neben diesen 50 bis 60 Millionen DM stellt die Bun-
desregierung im Rahmen der Hauptstadtkulturför-
derung in den nächsten 10 Jahren noch circa 250 Milli-
onen DM als Kofinanzierungsmittel zur Herrichtung der
Museumsinsel zur Verfügung. Dies verdeutlicht, dass sie
für uns sehr wertvoll ist


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und dass wir sie unbedingt erhalten wollen. Trotzdem
kann es nicht Ziel sein, das gesamte Geld in die Museums-
insel zu stecken.

Der eingeschlagene Weg ist unserer Meinung nach
nicht beliebig erweiterbar und auch nicht übertragbar. Je-
der von uns kennt eine Fülle von Vorhaben, die er gerne
finanziert hätte. Wir haben mehrere erhaltenswerte Ge-
bäude nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen Teilen
der Bundesrepublik. Wir sollten hier nicht Tür und Tor
öffnen, sondern bei dem bestehenden Rahmen bleiben,
100 Millionen DM in die wirklich sehr sinnvolle Stiftung
zu überführen und das Geld, das darüber hinaus erlöst
wird, für die Erhaltung der Museumsinsel bereitzustellen.
Das ist einleuchtend; das wird jeder verstehen. Wenn Sie
den Nachrednern intensiv zuhören und den Wahlkampf
ein bisschen außer Acht lassen, dann werden Sie feststel-
len, dass auch sie nicht zu anderen Ergebnissen kommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419310700
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Diethard Schütze.


Diethard Schütze (CDU):
Rede ID: ID1419310800
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Wir treten ebenso wie
die FDP-Fraktion dafür ein, dass der Erlös aus der Aus-
prägung einer 1-DM-Goldmünze uneingeschränkt zur Sa-
nierung der Museumsinsel eingesetzt wird. Dort wird je-
der Pfennig bitter benötigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

18914


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Stiftung „Geld und Währung“, die von meiner Vor-
rednerin im Einzelnen vorgestellt worden ist, in die nach
dem Willen von Rot-Grün ein Großteil des Erlöses fließen
soll, ist dagegen nach unserer Ansicht überflüssig.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Ein Witz ist das!)


Die Grundlagenforschung, die in dieser Stiftung ab
1. Januar 2002 betrieben werden soll, kann ebenso gut von
der Deutschen Bundesbank oder auch von der Europä-
ischen Zentralbank selbst erbracht werden. Außerdem
verfügt die Bundesrepublik Deutschland bekanntlich über
zahlreiche Hochschulen und wissenschaftliche Institute,
die ebenfalls hervorragende Arbeit auf diesem Gebiet
leisten. Im Übrigen dürfte deren Neutralität und Unab-
hängigkeit im Zweifel größer sein als die einer von Rot-
Grün eingesetzten Stiftung.

Zweck der Stiftung „Geld und Währung“ soll sein – ich
zitiere –, „das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Be-
deutung stabilen Geldes zu erhalten und zu fördern“.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn es in
einem Land in Europa ein ausgeprägtes Bewusstsein für
Geldwertstabilität gibt, dann doch ganz bestimmt in
Deutschland. Das deutsche Volk musste die leidvolle Er-
fahrung machen, dass Börsencrash und andauernde Infla-
tion mit politischer Instabilität und Armut einhergehen.
Demgegenüber steht für die Erfolgsstory der Bundes-
republik Deutschland nicht zuletzt die hervorragende Sta-
bilität der D-Mark.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass ich gerade in
den letzten Monaten schon darüber nachgedacht habe, ob
es nicht doch einer Institution bedarf, die das Bewusstsein
der Öffentlichkeit für die Bedeutung stabilen Geldes er-
hält und fördert. Denn angesichts der katastrophalen Wirt-
schafts- und Finanzpolitik von Rot-Grün


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Lesen Sie einmal die neuesten Statistiken!)


kann man tatsächlich vom Glauben abfallen und sich fra-
gen, was aus unserer einst stabilen Währung möglicher-
weise noch werden wird.

Meine Damen und Herren, die Gedenkmünze soll im-
merhin 250 DM kosten. Sie lässt sich sicherlich besser
verkaufen – es sollen ja breite Bevölkerungsschichten an-
gesprochen werden –, wenn der Käufer weiß, dass sein
Geld ausschließlich für einen guten Zweck verwendet
wird, statt überwiegend einer unbekannten neu gegründe-
ten Stiftung zuzufließen, deren Erfolg noch völlig unge-
wiss ist. Außerdem liegt es nicht völlig fern, anzunehmen,
dass mit der Einrichtung dieser neuen Stiftung in bewähr-
ter Manier noch kurz vor der Bundestagswahl ein paar
verdiente Genossen versorgt werden könnten. Wir werden
sehen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist sagenhaft! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Da sollten gerade Sie vorsichtig sein!)


Möglicherweise erwartet Rot-Grün von der geplanten
Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ Erhellendes

für ihre Politik; denn gerade in diesen Wochen wird wie-
der einmal deutlich, dass Rot-Grün von solider Finanzpo-
litik, von effizienten Haushalten und von einer soliden
Währung nichts versteht, was der jüngste Haushaltsent-
wurf, der in diesen Tagen hier besprochen worden ist, wie-
der einmal eklatant offenbart hat. Vor diesem Hintergrund
kann ich schon verstehen, dass sich die Damen und Her-
ren der Regierung eine Stiftung leisten wollen, von der sie
das eine oder andere Sinnvolle über den Umgang mit Geld
und über den Umgang mit der Währung erfahren können.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Vorsicht! Vorsicht! – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Pflichtbeifall der beiden einzigen Abgeordneten der CDU/CSU, die überhaupt noch hier sind!)


Die Frage ist nur, ob das tatsächlich etwas bringt; denn bei
Rot-Grün haben wir immer wieder erfahren müssen, dass
nur das richtig ist, was ins ideologische Weltbild passt; an-
sonsten ist man beratungsresistent.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das scheint ja die ganze Fraktion geradezu vom Hocker zu reißen!)


Nachdem Sie sich beruhigt haben, meine Damen und
Herren, kann ich vielleicht noch einen weiteren Punkt an-
sprechen. War es nicht Ihr Bundeskanzler, der mit viel
Getöse bereits im letzten Wahlkampf der angeblich so
vernachlässigten Kultur zu neuer Größe und Schönheit
verhelfen wollte? Mit der Zustimmung zu dem vorliegen-
den Gesetzentwurf der FDP könnte Rot-Grün ein Gutteil
ihrer vollmundigen Versprechen einlösen. Rot-Grün sind
es doch, die im Berliner Wahlkampf als die angeblichen
Retter der Stadt auftreten. Jetzt hätten sie mit der An-
nahme des Gesetzentwurfs die Möglichkeit, ihren Sprü-
chen auch konkrete Taten folgen zu lassen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nichts als Luftblasen!)


Das sage ich nicht nur als Berliner Abgeordneter, dem
diese Stadt naturgemäß besonders am Herzen liegt, son-
dern auch deshalb, weil es sich bei der Museumsinsel um
ein von der UNESCO anerkanntes kulturelles Welterbe
handelt, für dessen dringende Sanierung bisher nicht ge-
nug Geld bereitstand. Wenn der volle Erlös aus dem Ver-
kauf der Goldmünzen an die Stiftung „Preußischer Kul-
turbesitz“ fließt, kann der Masterplan in den kommenden
zehn Jahren erfolgreich umgesetzt werden.

Dies soll natürlich nicht bedeuten – um auch dies sehr
deutlich zu sagen –, dass sich die öffentliche Hand damit
aus der Verantwortung für die Museumsinsel zurückzieht.
Das möchte ich hier als Vertreter der Union deutlich un-
terstreichen. Wir könnten aber mit dem Erlös aus dem
Verkauf der D-Mark-Goldmünze sicherstellen, dass mit
der Restaurierung der Museumsinsel ein außerordentli-
cher touristischer Anziehungspunkt in Berlin wieder er-
stehen kann, der auch eine wichtige Ausstrahlung auf
ganz Deutschland haben wird.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Thema verfehlt, Herr Schütze; aber das kennen Sie ja!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Diethard Schütze (Berlin)


18915


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419310900
Für die Fraktion des
Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Dr. Antje
Vollmer das Wort.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1419311000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Schütze, dass gerade Sie uns über Integrität und den kor-
rekten Umgang mit Geld belehren wollen! Ich denke, da
fehlt es Ihnen ein wenig an Taktgefühl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Aufhebung der Immunität stört Sie wohl überhaupt nicht?)


Aber kommen wir zur Sache. Die Museumsinsel ist
schon jetzt ein Wahrzeichen von Berlin. In New York
schwärmt man von ihr als einem Phänomen in der Tradi-
tion der sieben Weltwunder und selbst in Paris ist man sich
bewusst, dass sie eines Tages möglicherweise den Louvre
an Schönheit übertreffen wird. Der Bundeskanzler per-
sönlich, Gerhard Schröder, die SPD, die Grünen – auch
ich wiederholt – haben immer darauf hingewiesen, dass
uns der Wiederaufbau der Museumsinsel sehr am Her-
zen liegt und Chefsache ist. Deshalb begrüßen wir im
Prinzip jede Initiative zur Unterstützung.

Allerdings verärgert mich die Art, lieber Herr Rexrodt,
wie die FDP mit ihren Entwürfen in Hase-und-Igel-Ma-
nier auf die fahrenden Züge springt, die wir sorgfältig vor-
bereitet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Wie denn? Was denn?)


Von daher scheint es Ihnen mit der heutigen Debatte
am frühen Freitagnachmittag wohl eher um eine Unter-
stützungsaktion zur Rekonstruktion der Berliner FDP zu
gehen, jedenfalls in der Vorphase des Wahlkampfes.


(Beifall des Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt [FDP] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war das Eingeständnis von Herrn Rexrodt! – Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Jawohl, dazu stehen wir!)


Es war nämlich nicht die FDP, sondern die rot-grüne Re-
gierung,


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Oh Gott, oh Gott!)


die überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass die Gelder die-
ser Stiftung, die ursprünglich nämlich nicht für die Mu-
seumsinsel vorgesehen waren, ab einem Betrag von
100 Millionen DM genau diesem Zwecke zugute kom-
men. Wir also hatten diese intelligente Idee und Sie kom-
men jetzt und sagen: Könnte man denn nicht alles dafür
nehmen? – Ich finde, Sie sollten sich in Zukunft Ihren ei-
genen Kopf zerbrechen und nicht unsere Ideen und unsere
Konzepte besetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wenn Sie auf halbem Wege stehen bleiben, können wir Ihnen doch zum Ganzen verhelfen!)


Generell wäre es ganz gut, wenn Sie überhaupt einmal ein
Konzept hätten.


(Dr. Günter Rexrodt [FDP]: Dann hätten Sie heute gar kein Programm!)


Schauen wir uns doch einmal an, was mit der Mu-
seumsinsel und überhaupt mit der Berliner Kulturpolitik
geschehen ist. Wenn ich es richtig sehe, war es die
CDU/FDP-Regierung, die in den Einigungsverhandlun-
gen genau dies unterlassen hat: nämlich die Berliner Kul-
turpolitik, die anerkanntermaßen besondere Finanzie-
rungsschwierigkeiten hat, überhaupt sicherzustellen. War
es nicht die Misere der großen Koalition in Berlin, stän-
dig in Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten? Es ist
mit dem neuen rot-grünen Berliner Senat erstmals gelun-
gen, aus der ewigen Finanzierungsmisere der Museums-
insel herauszukommen. Der schon geplante Baustopp und
der Stopp für das Architektenbüro konnten abgewendet
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Berliner Lage hat sich zwar nicht geändert; sie ist
weiterhin schwierig. Aber jetzt herrscht Planungssicher-
heit, weil es Politiksicherheit gibt. Denn der Berliner Se-
nat hat begriffen, dass man mit der Museumsinsel und ih-
rer Finanzierung nicht spielen kann.

Wir haben die Finanzierung gesichert und werden das
auch in Zukunft weiter tun. Sie werden uns den Erfolg
bezüglich des Erhalts des Ruhms und des Glanzes
der Museumsinsel nicht streitig machen können, Herr
Rexrodt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419311100
Da der Kollege
Dr. Heinrich Fink, PDS-Fraktion, seine Rede zu Protokoll
gibt1), ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt, der für die FDP
spricht, der letzte Redner in dieser Debatte.


(Walter Hirche [FDP]: Jetzt wird es auf den Punkt gebracht!)



Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1419311200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Frau Vollmer, dass Sie sich dazu her-
geben, eine solche Rede zu halten und die Fakten der-
maßen in ihr Gegenteil zu verkehren – ich sage es einmal
sehr höflich an diesem Freitagnachmittag –, habe ich ei-
gentlich nicht für möglich gehalten.

Faktum ist, dass es hier um einen sehr vernünftigen,
praktikablen und eleganten Weg geht, die Wiederher-
richtung der Museumsinsel voranzubringen, Baustopps
zu vermeiden und die sich ergebenden Schwierigkeiten
aus der Welt zu schaffen. Jeder, der diesen Vorschlag
kennt, unterstützt ihn.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 200118916


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Ich behaupte, Herr Nida-Rümelin wäre heilfroh, wenn er
den Erlös aus der Prägung der Münze vollständig in die
Finanzierung der Museumsinsel stecken könnte.


(Walter Hirche [FDP]: Frau Vollmer weint doch nur, weil es ihr nicht selber eingefallen ist!)


Rot-Grün lehnt einen Vorschlag – um nichts anderes geht
es Rot-Grün –, der vernünftig und gut ist, nur deshalb ab,
weil er von der FDP und nicht von Rot-Grün stammt.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unser Vorschlag! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Absurdistan, was Sie da erzählen!)


Wir halten hier große Reden – an dieser Stelle müssen
wir uns nicht streiten, Frau Vollmer – über das Gewicht
und die Bedeutung der Museumsinsel, dieses Kleinods,
das auch von der UNESCO entsprechend gewürdigt wird.
Da sind Schätze zu finden, die mit den Schätzen ver-
gleichbar sind, die man in Museen in Paris, New York und
London finden kann. Die Museumsinsel war nach dem
Zweiten Weltkrieg und während der DDR-Zeit in schlech-
ter Verfassung. Aber langsam tut sich etwas.

Frau Vollmer – damit komme ich zu dem entschei-
denden Punkt –, Sie sprachen vorhin vom derzeitigen
Berliner Senat. Ihre Kultursenatorin Goehler hat zur
Unterstützung der Museumsinsel partout nichts beigetra-
gen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Sie geht zu Eröffnungen von Kunstausstellungen.


(Walter Hirche [FDP]: Hält ausgesprochen dumme Reden!)


Sie paraphiert längst verhandelte Verträge und lässt sich
auf Diskussionen mit antiamerikanischem Tenor ein.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das Geld gesichert?)


Sie spricht davon, dass es eigentlich gut nachvollziehbar
ist, dass das World Trade Center in New York kaputt-
gegangen ist. Das ist Frau Goehler, die auf Ihrem Ticket
Kultursenatorin geworden ist.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Rexrodt, das ist unter Ihrem Niveau!)


Sie tut für klassische Kultur rein gar nichts; sie hat einen
ganz anderen Kulturbegriff.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie hier keinen Wahlkampf! Das ist platter Wahlkampf!)


– Die jetzige Kultursenatorin hat doch Frau Vollmer in die
Debatte gebracht. Drehen Sie mir doch nicht das Wort im
Munde herum! Wenn Frau Vollmer nicht von dieser Frau
gesprochen hätte, hätte ich kein Wort dazu gesagt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind eben frontal auf diese Berliner Senatorin zugegangen! Blanker Wahlkampf!)


Es geht nur darum: Ein guter Vorschlag soll deswegen ab-
gelehnt werden, weil er von der FDP stammt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein!)


Berlin ist in einer ganz prekären Situation. Der Haus-
halt 2002 kann frühestens im Frühjahr 2002 aufgestellt
werden. Vorher ist eine Kofinanzierung angesichts der
über alle Maßen angespannten Haushaltslage gefährdet.
Dadurch können große Gefahren für die Planungs-
sicherheit und für den Planungsfortschritt entstehen.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Schnee von gestern!)


Mit der Bereitstellung der gesamten Mittel wäre diese Ge-
fahr aus der Welt geschafft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es wird argumentiert: Weil wir für die Stabilität des
Euro sind, brauchen wir die Stiftung „Geld und
Währung“. Ich frage Sie: Wer ist denn nicht für die Sta-
bilität des Euro? Müssen wir uns das hier vorhalten las-
sen? Das ist eine Selbstverständlichkeit. Gibt es in dieser
Bundesrepublik Deutschland nicht Institutionen und Gre-
mien wie den Sachverständigenrat – Sie haben ihn eben
angesprochen –, die Bundesbank, Forschungsinstitute
und Universitäten, die sich um die Stabilität der Währung
kümmern? Gibt es nicht ein allgemeines Bewusstsein in
diesem Land? Gibt es nicht eine europäische Währungs-
kultur, die zu einem großen Teil aus dem deutschen Ver-
ständnis von Währungsstabilität gespeist ist? Warum
muss ich zusätzlich noch eine Stiftung „Geld und
Währung“ gründen, die zwar mit einem riesigen Kapital-
stock ausgestattet ist, aber noch nicht einmal einen defi-
nierten Auftrag hat? Das war eine Idee der Bundesbank,
die schon sehr frühzeitig in die Welt gesetzt wurde. Die
Bundesregierung oder die Koalition hätten jede Mög-
lichkeit gehabt, sich darüber hinwegzusetzen; sie tun es
aber nur deshalb nicht – und dabei bleibt es –, weil der
Vorschlag nicht von Ihnen, sondern von uns gekommen
ist.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange darf der eigentlich reden?)


Das ist kleinkariert und schäbig. Das hat mit Kultur nichts
zu tun. Frau Vollmer, das ist nicht einmal eine gute Parla-
mentskultur.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Det is sein Miljöh!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419311300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Museums-
inselunterstützungsgesetzes auf Drucksache 14/5274. Der
Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6563, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Dr. Günter Rexrodt

18917


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP
und PDS in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortführung
des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundes-
staatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung

(Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG)

– Drucksache 14/7063 –
Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz (f)

Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Die Kolleginnen und Kollegen Horst Schild, Jochen-
Konrad Fromme, Antje Hermenau, Jürgen Türk,
Dr. Barbara Höll sowie die Parlamentarische Staatssekre-
tärin Dr. Barbara Hendricks haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben1). – Ich sehe Freude im gesamten Hause.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/7063 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch hier sehe
ich Einverständnis bei allen Kolleginnen und Kollegen.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina
Schenk, Dr. Ilja Seifert, Rosel Neuhäuser, Dr. Ruth
Fuchs und der Fraktion der PDS
Forschungen zur Lebenssituation intersexu-
eller Menschen
– Drucksache 14/6259 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

(Federführung strittig)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten Redezeit erhalten soll. – Ich höre auch hier
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Die Kolleginnen Margot von Rennesse und Dr. Sabine
Bergmann-Pohl sowie der Kollege Hildebrecht Braun ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Christina Schenk von der PDS-Fraktion.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1419311400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Wenn ein Kind geboren wird, lautet
die erste Frage von Eltern, Großeltern, Freunden und Be-

kannten zumeist: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Er-
wartet wird eine klare Antwort. Was aber, wenn diese
nicht gegeben werden kann, weil sich das Kind nicht ein-
deutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lässt?
Was, wenn bei dem Kind körperliche Merkmale beider
Geschlechter vorhanden sind, die inneren Geschlechtsor-
gane zum Beispiel weiblich und die äußeren männlich
sind oder umgekehrt? In der Tat kommt auf 1 000 Neuge-
borene ein Kind mit – wie die Mediziner sagen – unein-
deutigen Geschlechtsmerkmalen. Im Volksmund werden
sie Zwitter oder Hermaphroditen genannt. In der Fach-
sprache hat sich der Begriff Intersexuelle durchgesetzt.

Das Allgemeine Preußische Landrecht hatte Zwittern
im 18. Jahrhundert immerhin noch das Recht zugestan-
den, selbst zu entscheiden, ob sie als Männer oder als
Frauen leben wollen. Im neuen deutschen Recht findet
sich hingegen nichts dazu. Die Politik hat sich der Zu-
ständigkeit mit der Konsequenz entledigt, dass Interse-
xualität heute ausschließlich als medizinisches Problem
verstanden wird.

Die Folgen sind fatal. Für die Medizin ist Intersexua-
lität ein zu beseitigender Zustand. So werden in Deutsch-
land seit den 50er-Jahren geschlechtszuweisende Be-
handlungen an Kindern durchgeführt. Die systematische
chirurgische und hormonelle Behandlung beginnt bereits
im Alter von wenigen Monaten. Dabei wird in der Regel
die Klitoris stark verkleinert, gegebenenfalls werden Pe-
nis und Hoden entfernt und eine Vaginaplastik angelegt.
Für die Betroffenen beginnt hier eine jahre- oder jahr-
zehntelange Tortur. Ziel dieser Prozedur ist lediglich, dem
intersexuellen Kind frühzeitig ein äußeres Geschlecht als
Junge oder Mädchen zuzuweisen und äußerliche körper-
liche Eindeutigkeit herzustellen. Zu 90 Prozent fällt die
Entscheidung dabei für das weibliche Geschlecht. Der
Grund dafür ist rein technischer Natur: Ein Penis ist er-
heblich schwieriger herzustellen als eine Vagina.

Hinzu kommt ein weiteres, sehr schwerwiegendes Pro-
blem: Oft genug erweist sich das zugewiesene Geschlecht
dann als das falsche.

Gewiss, in einer Gesellschaft, die so tut, als ob es nur
zwei Geschlechter gäbe, ist es weder für die Kinder noch
für die Eltern einfach, mit Intersexualität zu leben. Aber
angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigung so-
wohl der physischen als auch der psychischen Integrität
durch die medizinischen Eingriffe und angesichts der Tat-
sache, dass eine Geschlechtszuweisung nach operativen
Machbarkeitskriterien in sehr vielen Fällen eben nicht der
subjektiven Befindlichkeit entspricht, ist eine Fortsetzung
der bisherigen Praxis in keiner Weise akzeptabel.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Immer mehr Betroffene setzen sich öffentlich zur Wehr
und brechen die um sie errichtete Mauer des Schweigens.
Sie kritisieren die an ihnen in der Kindheit vorgenomme-
nen schwersten operativen Eingriffe als Folter und als
Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit
und Selbstbestimmung. Sie wollen als das anerkannt wer-
den, was sie sind: als Menschen, die nicht in das gewohnte
und – seien wir uns darüber klar – kulturell konstruierte
Schema der zwei Geschlechter passen und dieses spren-
gen. Sie wollen das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss

18918


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3
2) Anlage 4

sich einem Geschlecht zuordnen oder als Zwitter leben
wollen. Sie fordern die Zulassung geschlechtsindifferen-
ter Vornamen und die Möglichkeit der Eintragung „Zwit-
ter“ in Geburtsurkunde und Ausweise. Sie wollen, dass
die Verfügungsgewalt von Eltern sowie Ärzten und Ärz-
tinnen in Bezug auf operative Eingriffe an intersexuellen
Kindern eingeschränkt wird.

So erlaubt das Bürgerliche Gesetzbuch eine Sterilisa-
tion bei Kindern oder anderen einwilligungsunfähigen
Menschen nur, wenn ein Vormundschaftsgericht ihr zu-
stimmt. Die Klitorisverstümmelung, wie sie in manchen
afrikanischen Kulturen verlangt wird, gilt hierzulande
ohne Wenn und Aber als Körperverletzung im Sinne des
Strafgesetzbuches und wird dementsprechend verfolgt.
Aber die teilweise oder völlige operative Entfernung der
Klitoris oder die vollständige Beseitigung der Hoden bei
intersexuellen Kindern können Eltern in Zusammenarbeit
mit den Chirurgen ohne weiteres beschließen. Wohlge-
merkt, es handelt sich hier nicht um eine behandlungsbe-
dürftige Krankheit. Ziel der schweren und – das betone
ich – nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriffe ist
lediglich, dem intersexuellen Kind frühzeitig ein äußer-
lich eindeutiges Geschlecht zu geben und es als Mädchen
oder Junge zu normieren.

Die Bundesregierung – das ist das Problem – billigt
diese menschrechtsverletzende Praxis. Sie tut dies, wie
sie in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage meiner
Fraktion eingestehen musste, in völliger Unkenntnis der
Lebenssituation von Intersexuellen. Weder hat sie Daten
zur Zahl intersexuell geborener Kinder noch Kenntnisse
über die Art, den Umfang, die Dauer und die Ergebnisse
der Behandlung.

Die Bundesregierung lehnt eine Änderung des jetzigen
Rechts ab, solange – das ist vielleicht ein kleiner Licht-
blick – nicht bewiesen ist, dass eine Nichtfestlegung des
Geschlechts dem Wohl der Betroffenen dient. Sie tut aber
nichts – das ist mein Vorwurf –, um sich die von ihr ein-
geforderten gesicherten Erkenntnisse zu verschaffen. In-
tersexuelle müssen zu ihrer Lebenssituation befragt und
die medizinische Praxis muss evaluiert werden. Genau
darauf zielt unser Antrag; das ist der Gegenstand unserer
Vorlage.

Es geht letztendlich darum, der menschenrechtsverlet-
zenden Praxis der geschlechtszuweisenden Maßnahmen
an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen schnellst-
möglich ein Ende zu setzen.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Deshalb beantragt die PDS-Fraktion als Einbringerin des
Antrags die Federführung des Menschenrechtsausschus-
ses. Der Gesundheitsausschuss, der hier offensichtlich
von einigen favorisiert wird, ist meines Erachtens dazu
nicht geeignet; denn es ist keine gesundheitspolitische
Fragestellung, da es hier nicht um die politischen
Rahmenbedingungen für den Umgang mit kranken Men-
schen geht. Es handelt sich hier um etwas anderes; ich
habe es dargelegt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419311500
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Wir beschäftigen uns heute mit einem Thema,
das auch im 21. Jahrhundert noch immer mit einem Tabu
belegt ist: der Intersexualität. Eines von 2 000 Neu-
geborenen ist intersexuell, das heißt, es sind männliche
und weibliche Geschlechtsmerkmale vorhanden. Circa
20 000 Menschen leben unter uns, denen, meist im Säug-
lingsalter, operativ ein bestimmtes Geschlecht zugewie-
sen wurde, zu 90 Prozent das weibliche, weil es chirur-
gisch leichter herstellbar ist, wie uns leider Ärzte und
Ärztinnen selbst bescheinigen. Häufige operative Ein-
griffe, Hormonbehandlung und die falsche Geschlechts-
zuweisung führen nicht nur zu körperlichen Beschwer-
den, sondern haben immense psychische Auswirkungen
für die Betroffenen.

Daher ist es wichtig, dass sich das Parlament dieser
Probleme annimmt. Wir müssen gemeinsam darüber
nachdenken, wie die Politik die Lebenssituation von in-
tersexuellen Menschen verbessern kann. Was heute als
Intersexualität bezeichnet wird, umfasst ein breites Spek-
trum an Variationen zwischen den beiden biologischen
Geschlechtern. Schon die Bandbreite des Phänomens „In-
tersexualität“ macht es nötig, sehr differenziert an die
Problemlage heranzugehen. Diese Differenzierung fehlt
mir leider, verehrte Kollegin Schenk, im PDS-Antrag. Mit
reiner Polemik kommen wir hier nicht weiter.


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


– Ich sage das gleich, keine Aufregung!

Die Bundesregierung ist ja für vieles verantwortlich zu
machen. Dass sie aber „entscheidend mitverantwortlich“
am bipolaren Zustand zwischen den Geschlechtern sein
soll, scheint mir doch sehr weit hergeholt. Ich finde, die-
ses Thema eignet sich auch nicht für einen Parteienstreit.
Hier sollten wir schauen, ob wir nicht interfraktionell et-
was hinbekommen. Ich habe den Eindruck, das gelingt
uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin mir auch nicht sicher, ob alle Problemstellun-
gen bei Intersexualität allein auf den gesellschaftlichen
Zuschreibungen beruhen und damit auch gelöst wären,
wenn diese entfielen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind erschütternde
Berichte bekannt, dass Mediziner besonders in den frühe-
ren Jahren sehr selbstherrlich an die Geschlechtszuwei-
sung herangegangen sind – mit schlimmen Folgen für die
Betroffenen. Aus dieser Erfahrung heraus gibt es heutzu-
tage in der Medizin weitaus differenziertere Empfehlun-
gen zur Intersexualität, die mehr Flexibilität ermöglichen
und weitaus stärker auf Begleitung, Beratung und auch
Therapie setzen.

Trotzdem stellt sich die Frage: Reicht das bereits aus?
Denn wir wissen auch, dass es zumindest in einem Teil der
Fälle weiterhin schief geht. Ich nehme die Berichte von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 193. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2001

Christina Schenk

18919


(C)



(D)



(A)



(B)


intersexuellen Menschen sehr ernst, wenn sie im Kin-
desalter vorgenommene Eingriffe auch als Verletzung ih-
rer Menschenrechte verstehen, als Angriff auf ihre Würde,
als Angriff auf ihre Integrität. Es gibt intersexuelle Men-
schen, die sagen: Wir fühlen uns verstümmelt. Die Medi-
zin hat bei der Geschlechtszuweisung einen Fehler ge-
macht; Geschlechtsidentität und medizinisch hergestelltes
Geschlecht passen nicht zusammen.

Diese Schicksale müssen uns Anlass geben, sehr genau
hinzuschauen, was in diesem Bereich der medizinischen
Geschlechtszuweisung passiert. Alle Maßnahmen müssen
immer wieder kritisch reflektiert werden, müssen auf den
Prüfstand unter medizinischen, sexualwissenschaftlichen,
aber auch ethischen Gesichtspunkten. Und genau hier, bei
der ethischen Bewertung, sind wir als Bundestag gefragt.

Deshalb ist es sehr zu begrüßen, wenn immer mehr Er-
kenntnisse über die Lebenssituation Intersexueller ge-
wonnen werden können. Insofern stimme ich dem PDS-
Antrag zu, dass wir da noch Forschung brauchen. Zu
vielen Fragen ist der wissenschaftliche Kenntnisstand
noch nicht sehr weit gediehen. Das hat die Bundesregie-
rung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der PDS ja
auch dargelegt. Ich begrüße es, dass es nun auch in
Deutschland Forschung gibt, insbesondere seit dem Sep-
tember des Jahres 2000 an der Universität Kiel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schlage vor, dass
wir, bevor wir den PDS-Antrag in den Ausschüssen bera-
ten, eine Sachverständigenanhörung des Deutschen Bun-
destages zu diesem Thema durchführen, zu der wir auch
die Betroffenen und ihre Organisationen als Expertinnen
und Experten in eigener Sache hinzuziehen. Wir müssen
die ethischen Probleme medizinischer Geschlechtszuwei-
sungen im Bundestag beraten. Eine Engführung auf rein
medizinische Aspekte – da gebe ich Ihnen Recht – wäre
diesem Problem nicht angemessen.

Es gibt weitere Fragen zu diskutieren, zum Beispiel:
Was kann flankierend in der Aufklärung und Beratung ge-
tan werden? Welche Möglichkeiten der Unterstützung
gibt es für Menschen, die sich nicht einem Geschlecht zu-
ordnen möchten? Welche Maßnahmen sind nötig, um in-
tersexuelle Menschen besser vor Diskriminierung zu
schützen?

Das Schlimmste ist das Schweigen – so bezeichnen Be-
troffene ihre Situation. Dieses Schweigen sollte mit dem
heutigen Tage ein Ende finden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1419311600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6259 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorge-
schlagen.

Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP wünschen, abweichend von der Tagesordnung,
die Federführung beim Ausschuss für Gesundheit, die
Fraktion der PDS wünscht Federführung beim Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion der PDS abstimmen, das heißt über die Fe-
derführung beim Ausschuss für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt worden.

Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Frak-
tion der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der FDP, das heißt für die Federführung beim
Ausschuss für Gesundheit? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen worden.
Damit liegt die Federführung beim Ausschuss für Ge-
sundheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf Mittwoch, den 17. Oktober 2001,
13 Uhr, ein.

Ich bedanke mich ausdrücklich für die Geduld bei den
Besucherinnen und Besuchern auf der Tribüne und wün-
sche Ihnen allen ein arbeitsreiches, aber auch erholsames
Wochenende.

Die Sitzung ist geschlossen.