Protokoll:
14183

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 183

  • date_rangeDatum: 6. Juli 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:19 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVOrgG) (Drucksachen 14/5314, 14/5928, 14/6177, 14/6495, 14/6545) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18063 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.: Effizienz in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung verbessern – Versichertennähe stärken (Drucksache 14/6585) . . . . . . . . . . . . . . . 18063 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Abgabe einer Regierungserklärung: Aktu- elle Entwicklung in Südosteuropa und Lage in Mazedonien . . . . . . . . . . . . . . . . 18063 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18063 D Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18066 B Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18068 D Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18070 C Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18071 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . . . . . . . . . . 18071 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18072 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18075 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 18076 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg. . . 18077 A Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18079 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18079 C Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Familienförde- rung (Drucksachen 14/6160, 14/6582, 14/6572) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18080 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Familienförderung (Drucksachen 14/6411, 14/6452, 14/6582, 14/6572) . . . . . . . . . . . . . 18081 A b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämp- fen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Verbesserung der Familienförderung (Drucksachen 14/6173, 14/6372, 14/6582) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18081 A Plenarprotokoll 14/183 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 183. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 I n h a l t : Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18081 C Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18082 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18083 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18083 D Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 18084 D Nicolette Kressl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18085 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18087 B Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18088 C Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18091 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18092 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18095 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18095 B Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18095 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18098 A Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18100 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18102 A Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . 18103 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18104 A, 18106 B Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Im Bündnis für Ar- beit, Ausbildung und Wettbewerbs- fähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich handeln (Drucksache 14/5758) . . . . . . . . . . . . . 18109 B b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Beschäftigungspolitischer Akti- onsplan der Bundesrepublik Deutschland 2001 (Drucksache 14/5513) . . . . . . . . . . . . . 18109 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Sicherung be- trieblicher Bündnisse für Arbeit (Drucksache 14/6548) . . . . . . . . . . . . . . . 18109 C Tagesordnungspunkt 22: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Neuregelung der Kran- kenkassenwahlrechte (Drucksachen 14/5957, 14/6568) 18109 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- regelung der Krankenkassen- wahlrechte (Drucksachen 14/6409, 14/6568) 18109 D b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Einführung des Wohn- ortprinzips bei Honorarvereinba- rungen für Ärzte und Zahnärzte (Drucksachen 14/5960, 14/6566, 14/6595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18109 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte (Drucksachen 14/6410, 14/6450, 14/6566, 14/6595) . . . . . . . . . . . . . 18110 A – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Wohnortprin- zips bei den Vereinbarungen über die ärztliche Gesamtvergütung (Drucksachen 14/5694, 14/6566, 14/6595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18110 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Dieter Tho- mae, Detlef Parr, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Versorgungsanglei- chung in der gesetzlichen Kran- kenversicherung (Versorgungsangleichungsgesetz) (Drucksachen 14/6054, 14/6566, 14/6595) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18110 A c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktio- nen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Größere Ver- teilungsgerechtigkeit bei kassenärzt- lichen Honoraren (Drucksachen 14/4891, 14/6566) . . . . 18110 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001II d) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Re- gelungen über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimit- tel in der gesetzlichen Kranken- versicherung (Festbetrags- Anpassungsgesetz – FBAG) (Drucksachen 14/6041, 14/6567) 18110 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An- passung der Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung (Festbe- trags-Anpassungsgesetz – FBAG) (Drucksachen 14/6408, 14/6451, 14/6567) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18110 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der F.D.P.: Zur Ab- schaffung der Liste verordnungsfähiger Arzneimittel (Drucksache 14/6571) . . . . . . . . . . . . . . . 18110 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 18110 D Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18113 C Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18114 A Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . 18114 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18115 C Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18117 D Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18119 B Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18119 D Christa Stewens, Staatsministerin (Bayern) 18121 A Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18122 C Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18125 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteu- ergesetzes (Drucksache 14/5331) . . . . . . . . . . . . . . . 18127 C Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18128 A Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18129 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 18130 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 18131 C Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 18132 B Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18134 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18134 D Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18136 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18136 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18136 D Zusatztagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Drucksachen 14/5166, 14/6576) . . . . 18137 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit (Drucksachen 14/1602, 14/6576) . . . . 18137 B Tagesordnungspunkt 25: a) Große Anfrage der Abgeordneten Elmar Müller (Kirchheim), Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Aktuelle Wettbewerbssituation in der Tele- kommunikation (Drucksachen 14/5167, 14/5915) . . . . 18137 D b) Antrag der Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Thomas Sauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor (Drucksache 14/5693) . . . . . . . . . . . . 18138 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlersta- tusgesetz – SpStatG) (Drucksachen 14/6310, 14/6573) . . . . . . . 18138 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 III Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Reform der Hermesbürgschaf- ten nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien (Drucksache 14/6373) . . . . . . . . . . . . . 18138 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Winfried Wolf, Eva-Maria Bulling-Schröter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu- Staudamm in der Türkei (Drucksachen 14/2336, 14/4072) . . . . 18138 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleis- tungssystem (Drucksachen 14/5334, 14/6182) . . . . 18138 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für den Erhalt von Her- mes als Instrument der Außenwirt- schaftsförderung und eine Reform des Hermesinstruments im interna- tionalen Rahmen (Drucksachen 14/5749, 14/6186) . . . . 18139 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18139 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18141 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volkmar Schultz (Köln) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in der Aus- schussfassung (Drucksachen 14/5751 und 14/6352) (177. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . 18142 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Monika Balt, Maritta Böttcher, Christina Schenk, Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Heidemarie Ehlert, Sabine Jünger, Dr. Heinrich Fink, Heidi Lippmann, Petra Bläss, Pia Maier, Ulla Jelpke und Eva Bulling-Schröter (alle PDS) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Familienförderung in der Aus- schussfassung (Drucksache 14/6582) (Tagesordnungs- punkt 20 a). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18142 A Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Erika Simm (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS: Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen (Drucksache 14/6589) (Tagesordnungs- punkt 20 b). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18143 A Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Anni Brandt- Elsweier (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der PDS: Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen (Drucksache 14/6589) (Tagesordnungs- punkt 20 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18143 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Im Bündnis für Arbeit, Aus- bildung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes end- lich handeln – der Unterrichtung: Beschäftigungspoliti- scher Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland 2001 – des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit (Tagesordnungspunkt 21 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18143 A Andrea Nahles SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18143 A Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . . 18144 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18145 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE 18146 C Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 18147 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18148 C Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA . 18149 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001IV Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Großen Anfrage: Aktuelle Wettbe- werbssituation in der Telekommunikation – des Antrags: Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor (Tagesordnungspunkt 25 a und b) . . . . . . . . . . 18151 C Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 18151 C Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18155 D Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 18156 C Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/ CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18157 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18158 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18159 A Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18159 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatus- gesetz – SpStatG) (Tagesordnungspunkt 26) . 18160 B Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . 18160 B Jochen Welt, Beauftragter der Bundesregie- rung für Aussiedlerfragen . . . . . . . . . . . . . . . 18161 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18162 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18163 A Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18163 D Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18164 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Reform der Hermesbürg- schaften nach ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien – der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu-Staudamm in der Türkei – der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem – der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Für den Erhalt von Hermes als In- strument der Außenwirtschaftsförderung und eine Reform des Hermesinstruments im internationalen Rahmen (Tagesordnungspunkt 28 a und d) . . . . . . . . . 18165 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18165 C Siegfried Helias CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18166 D Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18168 A Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18168 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18169 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 18170 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände- rung der Strafprozessordnung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit (Zusatztagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . 18171 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 18171 A Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18172 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18173 B Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18174 C Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18175 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 18175 C Anlage 11 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18176 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 18139 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18141 (C) (D) (A) (B) Aigner, Ilse CDU/CSU 06.07.2001 Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 06.07.2001 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.07.2001 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 06.07.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.07.2001 Borchert, Jochen CDU/CSU 06.07.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.07.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 06.07.2001 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 06.07.2001 Fischer (Karlsruhe-Land), CDU/CSU 06.07.2001 Axel Freitag, Dagmar SPD 06.07.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 06.07.2001 Peter Fuchs (Köln), Anke SPD 06.07.2001 Gloser, Günter SPD 06.07.2001 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 06.07.2001 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 06.07.2001 DIE GRÜNEN Günther (Plauen), F.D.P. 06.07.2001 Joachim Hartnagel, Anke SPD 06.07.2001 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 06.07.2001 Heinen, Ursula CDU/CSU 06.07.2001 Hiller (Lübeck), SPD 06.07.2001 Reinhold Hintze, Peter CDU/CSU 06.07.2001 Hofbauer, Klaus CDU/CSU 06.07.2001 Kampeter, Steffen CDU/CSU 06.07.2001 Kasparick, Ulrich SPD 06.07.2001 Klappert, Marianne SPD 06.07.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 06.07.2001 Dr. Lamers CDU/CSU 06.07.2001 (Heidelberg), Karl A. Lehn, Waltraud SPD 06.07.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.07.2001 Michelbach, Hans CDU/CSU 06.07.2001 Michels, Meinolf CDU/CSU 06.07.2001 Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 06.07.2001 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 06.07.2001 Ost, Friedhelm CDU/CSU 06.07.2001 Rauber, Helmut CDU/CSU 06.07.2001 Ronsöhr, CDU/CSU 06.07.2001 Heinrich-Wilhelm Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 06.07.2001 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 06.07.2001 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 06.07.2001 Schindler, Norbert CDU/CSU 06.07.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 06.07.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 06.07.2001 Hans Peter Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.07.2001 Andreas Schütz (Oldenburg), SPD 06.07.2001 Dietmar Schütze (Berlin), CDU/CSU 06.07.2001 Diethard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 06.07.2001 Schultz (Everswinkel), SPD 06.07.2001 Reinhard Sorge, Wieland SPD 06.07.2001 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 06.07.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.07.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.07.2001 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 06.07.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 06.07.2001 Wiese (Hannover), SPD 06.07.2001 Heino entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 06.07.2001 Wright, Heidemarie SPD 06.07.2001 Zapf, Uta SPD 06.07.2001 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Volmar Schulz (Köln) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfas- sungsgesetzes in der Ausschussfassung (Druck- sachen 14/5751 und 14/6352) (177. Sitzung, Ta- gesordnungspunkt 18) In der Abstimmliste ist mein Name nicht aufgeführt. Mein Votum lautet: „Ja“. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Monika Balt, Maritta Böttcher, Christina Schenk, Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Heidemarie Ehlert, Sabine Jünger, Dr. Heinrich Fink, Heidi Lippmann, Petra Bläss, Pia Maier, Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter (alle PDS) zur Abstimmung über den Entwurf in derAusschuss- fassung eines Zweiten Gesetzes zur Familienför- derung (Drucksache 14/6582) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Wir begrüßen ausdrücklich die Erhöhung des Kindergel- des um monatlich 30 DM. Dennoch werden wir dem Zweiten Gesetz zur Familienförderung nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf verdient nicht das Etikett der „Fa- milienförderung“, vielmehr enthält er eine erhebliche so- ziale Schieflage: Erstens. Die materiellen Bedingungen von armen und reichen Familien werden durch den Gesetzentwurf weiter auseinanderdriften. Die Freibeträge werden um 1 423 DM auf insgesamt rund 11 340 DM jährlich erhöht, das Kin- dergeld dagegen nur um monatlich 30 DM, 360 DM jähr- lich. Die Konsequenz dessen ist, dass Spitzenverdienerin- nen und -verdiener ab 2002 um weitere 56 DM pro Monat steuerlich entlastet werden, Eltern mit niedrigen und mitt- leren Einkommen jedoch nur um die Kindergelderhöhung von 30 DM. Spitzenverdienerinnen und -verdiener erhal- ten damit pro Monat eine Entlastung von insgesamt rund 460 DM gegenüber den anderen Eltern, die ausschließlich ein Kindergeld in Höhe von 300 DM monatlich erhalten. Diese unsozialen Verteilungswirkungen des Familienför- derungsgesetzes hätten Sie von der Regierung durch die Abschaffung des dualen Systems, also der Freibeträge und durch eine erhebliche Anhebung des Kindergeldes für alle Eltern vermeiden können. Dies war ja auch lange Jahre eine Forderung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Zweitens. Wir können dem Gesetzentwurf nicht zu- stimmen, weil die Anhebung des Kindergeldes nicht an die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe wei- tergegeben wird. Gerade bei den 1,1 Millionen betroffe- nen Kindern ist dies jedoch notwendig, da die Leistungen der Sozialhilfe bereits seit Jahren nicht mehr entspre- chend den realen Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Darüber hinaus ist nicht einzusehen, weshalb die Leistun- gen eines Gesetzes zur Familien“förderung“ nicht auch den ärmsten Familien zugute kommen sollen. Sind diese nicht förderungswürdig? Drittens. Wir enthalten uns, weil Sie mit ihrem Gesetz- entwurf wiederholt eine Strukturreform bei der Familien- besteuerung und die Chance, Finanzmittel für eine weitere Anhebung des Kindergeldes und die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Familien zu erschließen, ver- passt haben. So schaffen Sie zwar den Haushaltsfreibetrag der Alleinerziehenden ab, wagen sich jedoch nicht an die Kappung geschweige denn die Umwandlung des Ehegat- tensplittings. Alleinerziehende Eltern erfahren durch Ihre Reform dauerhaft eine steuerliche Diskriminierung und eine reale materielle Benachteiligung gegenüber den Ehepaaren. Den Verzicht auf diese Strukturreform halten wir für besonders brisant, da durch die Umwandlung des Ehegattensplittings, das ja auch zahlreichen kinderlosen Ehen zugute kommt, erhebliche Finanzmittel frei würden, die für die weitere Entlastung von Menschen mit Kindern verwendet werden könnten. Was uns zu der Entscheidung, sich zu Ihrem Gesetz- entwurf zu enthalten, im besonderen Maße bewegt, ist die Tatsache, dass durch Ihr Gesetz zur Familienförderung ein Teil der Eltern zukünftig real weniger Geld haben wird. Dies ist ein Novum. Vor allem durch die Streichung des Haushaltsfreibetra- ges werden alleinerziehende Eltern in den nächsten Jah- ren erhebliche materielle Benachteiligungen hinnehmen müssen. So sinkt das Haushaltsnettoeinkommen einer Al- leinerziehenden mit einem Kind mit einem monatlichen Bruttolohn von rund 2 000 DM ab dem Jahr 2005 um 50 DM monatlich. Alleinerziehende mit einem monatli- chen Bruttolohn in Höhe von 4 000 DM haben monatlich rund 130 DM weniger im Geldbeutel. Damit belasten Sie von der Regierung gerade diejenigen Eltern, die – auch laut dem Armuts- und Reichtumsbericht – tendenziell von Armut bedroht oder bereits arm sind. Das müssen Sie den Betroffenen erst einmal erklären! Und Sie hätten dies vermeiden können: Die PDS hat einen Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf einge- bracht, in dem wir fordern, die realen Kinderbetreuungs- kosten bei allen Eltern ab der ersten Mark bis in Höhe von 6 000 DM jährlich steuerlich zu berücksichtigen. Dies ist zwar eine Regelung für alle Eltern, allerdings mit dem Effekt, dass die massiven Mehrbelastungen, die Alleiner- ziehenden zugemutet werden, zumindest teilweise kom- pensiert werden könnten. Damit würde eine wesentliche Ursache der in Ihrem Gesetzentwurf zur Familienförde- rung enthaltenen sozialen Schieflage beseitigt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118142 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 4 Erklärung der Abgeordneten Erika Simm (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag der PDS: Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen (Drucksache 14/6589) (Tagesordnungspunkt 20 b) In der Abstimmungsliste ist mein Name nicht aufge- führt. Mein Votum lautet: „Nein“. Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Än- derungsantrag der PDS: Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen (Druck- sache 14/6589) (Tagesordnungspunkt 20 b) In der Abstimmungsliste ist mein Name nicht aufge- führt. Mein Votum lautet: „Nein“. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags: Im Bündnis für Arbeit, Ausbil- dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichti- gen Fragen des Arbeitsmarktes endlich han- deln – der Unterrichtung: Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der Bundesrepublik Deutsch- land 2001 – des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit (Tagesordnungspunkt 21 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 14) Andrea Nahles (SPD): Die SPD-geführte Bundes- regierung macht eine zukunftsfähige Arbeitsmarktpolitik. Das lässt sich am Beschäftigungspolitischen Aktionsplan im Detail nachvollziehen. Sie steht mit ihrer Politik in Europa nicht alleine. Die zunehmenden Abhängigkeiten in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion machen es erforderlich, dass Deutschland die Heraus- forderungen gemeinsam mit seinen europäischen Part- nern angeht. Während die Regierung Kohl immer eine Politik nach dem Motto „Beschäftigungspolitik geht die EU nichts an“ gemacht hat – Amsterdamer Gipfel 1997/ Luxemburger Beschäftigungsgipfel 1997 –, hat diese Bundesregierung nicht zuletzt während der Ratspräsi- dentschaft 1999 maßgeblichen Anteil an einer auf euro- päischer Ebene abgestimmten Beschäftigungspolitik. Ein Teil dieser abgestimmten Politik ist der Beschäftigungs- politische Aktionsplan, den wir heute hier diskutieren. Ich möchte nun auf einige ausgewählte Schwerpunkte des Aktionsplans 2001 eingehen. Die Schwerpunkte des Beschäftigungspolitischen Aktionsplans bauen auf vier Säulen auf: Erstens. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit: Der Rückgang der Arbeitslosigkeit muss weiter fortgesetzt werden, die Herausforderungen des Strukturwandels er- fordern ständige Anpassung der Arbeitsförderung, die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens steigt, weil die Anforderungen an zukunftsorientierte Arbeitsplätze mit dem technischen Fortschritt ständig zunehmen. Aus die- sem Grund setzten wir trotz rückläufiger Arbeitslosen- zahlen die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau fort. Das Haushaltsvolumen der aktiven Arbeitsmarkt- politik von Bund und Bundesanstalt für Arbeit beträgt für das laufende Jahr 44,4 Milliarden DM und liegt damit 2 Milliarden DM über den im Jahr 2000 aufgewendeten Mitteln. Die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik wur- den weit überproportional in den neuen Bundesländern eingesetzt. Der Stellenwert von Bildung und lebensbe- gleitendem Lernen wird im Aktionsplan deutlich darge- stellt. Die staatlichen Mittel für Bildung und Forschung – der Bund hat allein eine Steigerung von 1998 zu 2001 um 12,5 Prozent bzw. fast 1,8 Milliarden DM aufzuwei- sen – werden deutlich erhöht. Die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit spielt auch in der SGB-III-Reform eine wichtige Rolle. Wir set- zen also unsere Linie fort: Jobrotation wird als Regel- instrument der Arbeitsförderung eingeführt. Für unge- lernte und gering qualifizierte Arbeitnehmer wird ein neues Förderungselement geschaffen. Arbeitgebern wird Lohn ganz oder teilweise erstattet, wenn sie unter Weiter- zahlung des Gehalts Arbeitnehmer zur Qualifikation frei- stellen. Die Möglichkeit zum Bezug von Teilunterhalts- geld während beruflicher Weiterbildung in Teilzeitform wird deutlich erweitert. Weiterbildung im Ausland kann gefördert werden, wenn der Aufenthalt im Ausland zur Erreichung des Bildungsziels besonders sinnvoll ist. Zweitens. Förderung der Chancengleichheit von Män- nern und Frauen: Die Bundesregierung hat bei der Ver- besserung der Chancengleichheit von Frauen und Män- nern deutliche Fortschritte erzielt. Der Gender-Main- streaming-Ansatz findet nahezu bei allen Gesetzen seinen Niederschlag. So konnte die geschlechtsspezifische Dis- krepanz am Arbeitsmarkt im letzten Jahr reduziert werden. Die Frauenarbeitslosenquote ging im Vorjahr um 1,2 Pro- zent zurück und lag unter dem EU-Durchschnitt. Mit dem zu Beginn des Jahres in Kraft getretenen Teilzeit- und Be- fristungsgesetz, den neuen Regelungen zur Elternzeit und den verstärkten Anstrengungen, den Rechtsanspruch auf ei- nen Kindergartenplatz umzusetzen, verbessern sich die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig. Auch diese Entwicklung werden wir im SGB III fort- setzen. Der Gleichstellungsgedanke im Sinne des Gender- Mainstreaming wird im gesamten Anwendungsbereich des SGB III berücksichtigt. Der Zielkatalog des SGB III wird um die Gleichstellung von Frauen und Männern als einer Querschnittsaufgabe des Arbeitsförderungsrechts ergänzt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18143 (C) (D) (A) (B) Wir werden spezielle Frauenfördermaßnahmen ins SGB III einbauen, die dazu führen, dass Frauen entspre- chend ihrem Anteil an den Arbeitslosen und entsprechend ihrer Arbeitslosenquote durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gefördert werden. Die soziale Sicherung für Personen, die Kinder erzie- hen, wird erweitert: Der Erwerb eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld soll dadurch erleichtert werden, dass Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld sowie die Betreuung und Erziehung eines Kindes unter drei Jahren schrittweise in die Versicherungspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit einbezogen werden und damit künftig zum Erwerb von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld dienen. Berufsrückkehrer können in ABM gefördert werden, auch wenn sie aktuell keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe haben, aber einmal mindestens ein Jahr versi- cherungspflichtig beschäftigt waren. Kinderbetreuungs- kosten bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie Trainingsmaßnahmen wer- den auf 250 DM angehoben. Drittens. Entwicklung des Unternehmensgeistes und Schaffung von Arbeitsplätzen: Existenzgründungen wer- den durch eine Vielzahl von Maßnahmen durch Bund und Länder unterstützt. Im vergangenen Jahr wurden alleine aus dem ERP-Sondervermögen und über die Deutsche Ausgleichsbank Mittel für Kredite und Beteiligungskapi- tal in Höhe von 8 Milliarden DM für Existenzgründungen bereitgestellt. Damit wurden Investitionen in Höhe von 30 Milliarden DM angestoßen. Die Bundesanstalt für Ar- beit förderte im vergangenen Jahr die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit für Arbeitslose mit 1,5 Milli- arden DM. Viertens. Förderung der Anpassungsfähigkeit der Un- ternehmen und ihrer Beschäftigten: Im Rahmen des Bündnisses für Arbeit haben sich die Bündnispartner für einen beschäftigungswirksamen Abbau von Überstunden ausgesprochen. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, größere Arbeitszeit- souveränität für Arbeitnehmer geschaffen und die Flexi- bilität für Unternehmen gewahrt. Das Betriebsverfas- sungsgesetz schafft die Grundlage dafür, dass im Unternehmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe an der Sicherung und Schaffung von Arbeits- plätzen mitwirken können. Aus diesem Grund hat die neue Betriebsverfassung den Standortvorteil Mitbestim- mung gesichert, ausgebaut und so den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähiger gemacht. Sehr geehrte Da- men und Herren der Opposition, in Ihrem Antrag „Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig- keit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich han- deln“ warten Sie mit Rezepten auf, die Sie in 16 Jahren er- folglos betrieben haben. Die Folge waren die Probleme, mit denen auch wir jetzt immer noch zu kämpfen haben: Höhepunkt Ihrer Deregulierung waren im Januar 1998 4,82 Millionen Arbeitslose. Ich glaube, dass die Men- schen, denen man diese Folgen Ihrer Forderungen vor Augen hält, verstehen, dass die rot-grüne Koalition nicht auf sie eingeht, sondern an ihrem Weg unbeirrt festhält. Wir haben Ordnung in Ihr dereguliertes Chaos gebracht. Wir haben Gesetze zur Bekämpfung illegaler Beschäf- tigung verabschiedet, mit der Reform des 630-DM- Gesetzes und dem Gesetz zur Bekämpfung der Schein- selbstständigkeit arbeitender Menschen zurück in die So- lidarsysteme geholt und damit einen Beitrag dazu geleis- tet, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden konnten. Wir haben zum Beispiel mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz und mit dem Erziehungsgeldgesetz mit dazu beigetragen, dass bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich ist. Es spottet jeder Beschreibung, dass Sie in dem Antrag, den wir hier beraten, fordern, die Ver- einbarkeit von Familie und Beruf müsse verbessert wer- den, gleichzeitig aber diese beiden familienfreundlichen Gesetze sofort wieder abschaffen würden, wenn Sie nur die Macht dazu hätten. Einen Punkt möchte ich noch aus Ihrem Antrag her- ausgreifen; dann soll es aber auch genug sein: Sie fordern das Bündnis für Arbeit auf, Äußerungen zu unterlassen, die darauf hinweisen, dass im Bündnis für Arbeit Themen behandelt werden, die der Kompetenz der Tarifparteien unterliegen. Meine Damen und Herren von der Opposi- tion, lesen Sie gelegentlich auch das, was Sie schreiben? Gestern hat Herr Grund von der CDU hier im Bundestag über die Verhandlungen bei VW zum 5 000-Job-Pro- gramm gesprochen und dem Bündnis für Arbeit vorge- worfen, dass es dort schlechte Arbeit geleistet hat. Lieber Herr Grund, überlassen auch Sie bitte die Entscheidungen vor Ort den Tarifpartnern, die dafür zuständig sind. Lesen Sie Ihren eigenen Antrag und halten Sie sich bitte daran. Würden wir diesem Antrag der CDU/CSU zustimmen, würden wir eine Situation herbeiführen, in der sich die teilnehmenden Tarifvertragsparteien tatsächlich als Ge- winner oder Verlierer sehen müssten, wie es der Antrag dem jetzigen Bündnis fälschlicherweise vorwirft. Dies würde dazu beitragen, dass eine Situation entstünde, die das Bündnis der Vorgängerregierung 1996 zum Scheitern brachte. Dies wollen wir nicht, und deshalb halten wir Ihre Äußerungen für falsch. Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Der inten- sive Dialog zwischen Arbeitnehmern, Arbeitsgebern und Politik ist eine der Grundlagen der sozialen Markt- wirtschaft. Und bis auf eine Fraktion in diesem Hause bekennen sich auch alle Parteien vorbehaltlos zu dieser Gesellschaftsordnung. Vielleicht wird die PDS ja auch durch die intensive Zusammenarbeit mit der SPD zur sozialen Marktwirtschaft bekehrt. Vielleicht läuft es auch andersherum und die PDS überzeugt den politischen Part- ner SPD von ihren sozialistischen Idealen. Man wird dies mit Interesse verfolgen können. Tatsache ist jedenfalls, dass es gut ist, wenn Tarif- parteien und Politik miteinander sprechen. Am 4. März dieses Jahres wäre es jedoch besser gewesen, wenn die Bundesregierung geschwiegen hätte. Die Ungeschick- lichkeit ist erstaunlich, mit der der Bundeskanzler bei den Gesprächen zum „Bündnis für Arbeit“ das wertvolle Porzellan des guten Willens bei allen Beteiligten zerschlagen hat. Der Scherbenhaufen, der nach dem Tref- fen übrig blieb, zeugte davon. Einige Kostproben davon, welche Harmonie und gegenseitiges Verständnis der Moderator Schröder verbreitete: Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sprach von einem „2:0 Erfolg für uns“, also die Arbeitgeber. Dieter Schulte, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sprach laut „Frankfurter Rund- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118144 (C) (D) (A) (B) schau“ von einer „Niederlage“ der Gewerkschaften. IG- Metall-Chef Klaus Zwickel erklärte, unter dem Aspekt der Beschäftigung sei das Bündnis „kein ausreichender Erfolg“, sprach von „unverbindlichen Vereinbarungen“ und drohte in diesem Zusammenhang mit einer „schwie- rigen, möglicherweise explosiven“ Tarifrunde. Für dieses „prima Klima“ bei dem „Bündnis für Ar- beit“ ist der Bundeskanzler verantwortlich! Wenn dem- nächst die deutsche Wirtschaft durch hohe Lohnforderun- gen im internationalen Vergleich noch schlechter dasteht, können sich die Unternehmer und die Erwerbslosen, die eben deswegen nicht in Arbeit kommen, bei Herrn Schröder bedanken. Und diejenigen, die wegen der schlechten Wirtschaftslage ihren Job verlieren, auch. Diese Situation wird vor allem in den neuen Bun- desländern eintreten. Natürlich ist es einfacher und attrak- tiver, mit seinen Cousinen Tee zu trinken, als sich um Arbeitsplätze in Cottbus, in Neubrandenburg oder Plauen zu kümmern. Dort kann der Bundeskanzler nicht in die Kameras lächeln, denn dort ist die Arbeitsmarktsituation deprimierend. Im Juni 2001 sind in den neuen Bundes- ländern 16 300 Menschen mehr arbeitslos gewesen als ein Jahr zuvor; es gibt dort Arbeitsamtsbezirke, in denen fast jeder zweite offen oder verdeckt erwerbslos ist. Das ist das Ergebnis der „Chefsache Ost“! Als die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage in Deutsch- land nicht zuletzt wegen der Reformen der alten Regierung noch gut waren, da war es der „Aufschwung“ des Kanzlers. Heute, bei einer saisonbereinigt steigenden Arbeitslosigkeit in Gesamtdeutschland und einer absolut zunehmenden Erwerbslosigkeit in den neuen Bundeslän- dern, ist nicht die Regierung, sondern es ist die Wirtschaft schuld. Ich zitiere aus einer Anfrage, die die CDU/CSU- Bundestagsfraktion zum „Bündnis für Arbeit“ gestellt hat: „Trotz erheblicher staatlicher Förderung ist es der Wirtschaft in den neuen Bundesländern nicht gelungen, in ausreichendem Maße Beschäftigungsmöglichkeiten an- zubieten.“ Es ist nicht die Wirtschaft, es ist diese Regierung, der es nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen! Die Wirtschaft bemüht sich redlich, die Bundesregierung aber behindert die Schaffung von Arbeitsplätzen! Was ist denn unter „er- heblicher staatlicher Förderung“ zu verstehen? Vielleicht das Betriebsverfassungsgesetz, das die Unternehmen rund 2,5 Milliarden DM jährlich kostet? Vielleicht die Steuer- reform, die Großunternehmen entlastet, aber die arbeits- kräfteintensiven Klein- und Mittelbetriebe eher belastet? Das Gesetz zur Teilzeitarbeit, das auf dem Arbeitsmarkt eine neue Regulierungsschraube anzieht? Vielleicht die Ökosteuer, vielleicht die hohe Inflation, vielleicht die er- höhten Krankenkassenbeiträge? Das Einzige, was diese Bundesregierung fördert, ist die Arbeitslosigkeit. Man muss sich das einmal vorstellen: Von 1999 bis 2001 sind nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 645 000 Menschen mehr altersbedingt aus dem Berufsleben ausgeschieden, als junge Erwerbssuchende nachgerückt sind. Das ist eine von der Arbeitsmarkt- forschung bestätigte objektive Tatsache. Wenn wir diese Zahl auf die Erwerbslosenzahl des Juni dieses Jahres hinzurechnen, so erhalten wir mehr als 4,3 Millionen. Im September 1998, also im letzten Monat, in dem die christlich-liberale Bundesregierung die Verantwortung trug, waren es weniger als 4 Millionen. Die Bundesregierung hat es trotz einer hervorragenden Weltkonjunktur also nicht geschafft, aus eigenen Anstren- gungen heraus die Arbeitslosigkeit zu senken, im Gegen- teil ist sie unter der rot-grünen Bundesregierung bei Ein- berechnung aller Faktoren gestiegen. Wenn Sie es mir nicht glauben, glauben Sie es vielleicht dem IG-Metall- Chef Klaus Zwickel, der im Zusammenhang mit dem „Bündnis für Arbeit“ erklärte, „gemessen an diesen her- vorragenden Rahmenbedingungen ist die Beschäfti- gungsbilanz vollkommen unbefriedigend ausgefallen“. Klaus Zwickel hat auch Recht, wenn er in der „Berliner Zeitung“ erklärte, das „Bündnis für Arbeit“ sei eine „un- gesicherte Baustelle“ geworden und „die Botschaften, die aus dem Bündnis für Arbeit kommen, und die Ergebnisse, die sich später einstellen, müssten zusammenpassen.“ Das sagt ein führender Gewerkschaftsmann, der bei den Gesprächen dabei war. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in den Gesprächen zum Bündnis endlich die richtigen Fragen zu stellen: Wie kann den Erwerbslosen in den neuen Bun- desländern geholfen werden? Ich habe die „Gemeinsame Erklärung“ des letzten „Bündnisses für Arbeit“ noch ein- mal durchgesehen und habe keine spezifische Maßnahme für die neuen Länder gefunden. Wie kann der Mittelstand als Beschäftigungsmotor unterstützt werden? Ich habe insgesamt 17 Seiten der „Gemeinsamen Erklärung“ durch- gelesen, ich habe das Wort „Mittelstand“ nicht gefunden. Wie kann man die Langzeitarbeitslosen, die ja oft Ge- ringqualifizierte sind, auf die 1,5 Millionen freien Stellen vermitteln? Da gibt es zwar viele schön klingende Pas- sagen in dem Papier, aber konkrete und praktikable Vorschläge sucht man vergebens. Ich erinnere an Herrn Zwickel: Die Botschaften und die Ergebnisse müssen zusammenpassen. Zuletzt möchten wir den Bundeskanzler auffordern, sich bei zukünftigen Gesprächen zum „Bündnis für Ar- beit“ um Vermittlung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu bemühen und nicht noch durch die For- derung der Einbeziehung von Tariffragen die Gespräche zusätzlich zu belasten. Denn das „Bündnis für Arbeit“ ist sinnvoll. Miteinander reden ist immer gut. Ergebnisse gibt es aber nur, wenn die richtigen und wichtigen Probleme angesprochen werden. Heinz Schemken (CDU/CSU): Eine unvoreinge- nommene Analyse der Situation auf dem Arbeitsmarkt zeigt immer deutlicher: Die Bundesregierung hat ihr ar- beitsmarktpolitisches Ziel verfehlt. Die Konjunktur in Deutschland geht bergab. Die Inflationsrate steigt auf Rekordhöhe. Im europäischen Vergleich ist Deutschland dramatisch abgesackt. Das Wachstum geht auf eine Bedeutungslosigkeit von unter 2 Prozent. Daran ändert auch der vor vier Monaten vorgelegte beschäftigungspo- litische Aktionsplan der rot-grünen Bundesregierung nichts. Bereits der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im letz- ten Jahr von rund 200 000 in Deutschland bei einem Wirt- schaftswachstums von 3,0 Prozent beruhte nur auf der demographischen Entwicklung, die eine Entlastung von 235 000 Erwerbspersonen brachte. Inzwischen müssen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18145 (C) (D) (A) (B) wir bundesweit sogar eine Stagnation am Arbeitsmarkt feststellen, wie die letzten Zahlen belegen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert sich zu- nehmend durch die wirtschaftliche Lage und die Rekord- zahl der Zusammenbrüche von Firmen. Ursachen des Scheiterns der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung sind insbesondere die hausgemachte Konjunkturschwäche, die unzureichende Entlastung der mittelständischen Wirtschaft und des Handwerks, die Be- lastung der Verbraucher mit steigenden Abgaben und Steuern, beschäftigungsfeindliche Maßnahmen wie die Neuregelung der 630-DM-Jobs und der Scheinselbststän- digkeit. Nicht zuletzt trug aber auch eine nicht effiziente Arbeitsmarktpolitik, wo durchgreifende strukturelle Re- formen dringend notwendig sind, zum Misserfolg bei. Deshalb ist die Reform des SGB III überfällig, um die neuen Anforderungen mit flexiblen Regelungen zu beant- worten. Die Instrumente der Arbeitsförderung müssen noch konsequenter auf den ersten Arbeitsmarkt ausge- richtet werden. Da nutzen Ankündigungen sehr wenig, auch nicht solche Aktionen zum Wahljahr 2002. Notwen- dig ist, die Leistungsfähigkeit der Arbeitsvermittlung zu steigern, die Möglichkeit eines Kombi-Lohns zu schaffen, die Mobilität von Arbeitslosen zu erhöhen, die berufliche Bildung auszubauen, die Beschäftigungssituation für Äl- tere zu verbessern, die Selbstständigkeit aus der Arbeits- losigkeit heraus stärker zu fördern – denn dort entstehen weitere Arbeitsplätze –, die Arbeitnehmerüberlassung als Zugpferd am Arbeitsmarkt besser zu nutzen, die Arbeits- losen- und Sozialhilfe zu einem einheitlichen Hilfssystem zusammenzuführen – hierzu hat die CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion ein klares Konzept vorgelegt –, endlich die Beitragszahler durch Absenkung des Beitragssatzes zu entlasten. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesre- gierung auf, im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett- bewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmark- tes endlich zu handeln. Das Problem der hohen Erwerbs- losenquote in den neuen Bundesländern muss endlich lö- sungsorientiert diskutiert werden. Im Zeitraum zwischen 1993 bis 2000 sind für die ak- tive Arbeitsmarktpolitik mehr als 325 Milliarden DM aus- gegeben worden. Die Wirksamkeit lässt sich jedoch nicht präzise fassen. Lediglich die Verbleibsquoten geben Aus- kunft darüber. Während mehr als 90 Prozent derjenigen, die Überbrückungsgeld für den Weg in die Selbstständig- keit erhielten, nach 6 Monaten nicht mehr arbeitslos wa- ren, waren es bei ABM-Teilnehmern nur rund 42 Prozent. Von den 549 000 Arbeitslosen, die im Juni 2000 die Sta- tistik verließen, hatten nur 241 000 eine neue Arbeitsstelle gefunden, 88 000 wechselten in eine neue Arbeitsamts- maßnahme. Die wenigen Quoten machen schon deutlich, wie dringlich es ist, den Verbleib der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von geförderten Maßnahmen zu verfolgen, um den Tücken der Statistik nachzugehen. Die arbeits- marktpolitischen Problemgruppen der Langzeitarbeitslo- sen, geringqualifizierten und erwerbstätigen Erziehenden dürfen nicht nur thematisiert werden, sondern sie müssen mit raschen und praxisnahen Maßnahmen unterstützt werden. Es ist deshalb nicht einzusehen, dass derzeit circa 1,5 Millionen Arbeitsstellen nicht besetzt werden können. So geht das Zehn-Punkte-Programm der CDU/CSU-Frak- tion zur Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft und des Arbeitsmarktes davon aus, dass weitere Reform- schritte zur Verbesserung der Beschäftigungschancen jetzt her müssen. Anders als bei Rot-Grün hat die Steuerentlastung der Kohl-Regierung in den 80er-Jahren 3,2 Millionen mehr Arbeitsplätze gebracht, davon 2,7 Millionen in mittel- ständischen Betrieben, weil die Steuergesetzgebung mit- telstandsfreundlich war. Deshalb ziehen Sie die zweite Stufe der Steuergesetze vor! Sorgen Sie für mehr Flexibilität und Durchlässigkeit am Arbeitsmarkt. Nur so können die Einstellungschancen von Arbeitslosen verbessert werden. Leider verschließt sich die rot-grüne Bundesregierung unseren berechtigten Vorschlägen und trägt deshalb weiter zur Verschlechte- rung des Arbeitsmarktes und der Wirtschaftskonjunktur bei. Die Zahl der Arbeitslosen ist deshalb auch im Monat Mai dieses Jahres saisonbereinigt um 60 000 Arbeitslose zum Jahresende 2000 angestiegen. Der Monat Juni brachte einen Anstieg um 22 000. Dies ist enttäuschend für die Arbeitslosen und schädlich für Wirtschaft und Wachstum. Der Kanzler hat nicht Wort gehalten und dies richtet sich gegen die arbeitslosen Menschen. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Antrag der CDU/CSU zu diesem Tagesordnungs- punkt macht die ganze Konzeptlosigkeit und die ganze Hilflosigkeit der CDU/CSU in Sachen Beschäftigungspo- litik deutlich. Sie stellen Forderungen zum Bündnis für Arbeit, die erstens keine inhaltlichen Vorschläge enthal- ten, zweitens noch einmal belegen, dass Sie auch heute noch nicht verwunden haben, in Ihrer eigenen Regie- rungszeit das Bündnis zum Scheitern gebracht zu haben. Ich möchte aus dem Antrag zitieren, um die ganze Kläg- lichkeit Ihres Anliegens zu dokumentieren. Die CDU/ CSU fordert unter Punkt sechs des Antrages: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- rung auf ..., darauf hinzuwirken, dass keine der teil- nehmenden Tarifparteien sich in zusammenfassen- den Äußerungen als Gewinner oder Verlierer sieht.“ Vorsichtig ausgedrückt: Ich glaube nicht, dass dies ein Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungspolitik ist. Die Herren der Gewerkschaften und der Arbeitgeberver- bände im Bündnis für Arbeit brauchen gewiss nicht die mütterliche Fürsorge des Bundeskanzlers. Stattdessen ist es die Rolle des Bündnisses für Arbeit, Themen aufzu- greifen, die bisher im Streit zwischen den Tarifparteien nicht gelöst werden konnten, zum Beispiel Abbau von Überstunden, betriebliche Qualifizierung, Beschäftigung von älteren Arbeitnehmern, Projekte zur Integration von Arbeitslosen. Das sind Konfliktthemen, die im Bündnis aufgegriffen wurden. Und es wurden Lösungen vorge- schlagen. Jobrotation wurde vorgeschlagen, die Fraktio- nen der Regierungsparteien werden dies übernehmen in die SGB-III-Reform. Das Jumpprogramm ist zum Erfolg gerade in den neuen Bundesländern geworden. Altersteilzeit für die weitere Beschäftigung von Älte- ren unter erleichterten Bedingungen ist umgesetzt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118146 (C) (D) (A) (B) Schlechtwettergeld für die Bauwirtschaft hat einen sehr tragfähigen Kompromiss gefunden. So geht es weiter. Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag weiterhin: „Die Bundesregierung soll ... alle Äußerungen un- terlassen, die darauf hindeuten, sie strebe ... die Be- handlung von Themen an, die eindeutig der Kompe- tenz der Tarifparteien obliegen.“ Lassen Sie mich Folgendes bemerken: Erstens. Das Bündnis ist kein Kindergarten, es bestimmt seine Themen selber. Zweitens. Diese Forderung steht im krassen Wi- derspruch zu dem aktuellen Debatten – alleine in dieser Woche. Noch am Mittwoch in der Aktuellen Stunde haben Sie gefordert, der Bundeskanzler möge sich in die Tarif- verhandlungen bei VW um das Projekt 5 000 x 5 000 ein- mischen, er möge ein Machtwort sprechen. Das nun ist die Missachtung der Tarifautonomie schlechthin! Das Bündnis kann sicherlich keine Wunder bewirken. Aber es hat sich zentralen beschäftigungspolitischen Fra- gen gestellt. Eine der wichtigsten Vereinbarungen wurde am 6. Juni 2001 getroffen. Sie lautet: Die Reform des Flächentarifvertrages wird fortge- setzt. Voraussetzung ist die Wahrung der uneinge- schränkten Tarifautonomie. BDA und DGB lehnen gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie ab. Um betriebs- und praxisnahe Regelungen von Flächentarifverträgen zu stärken, sollen tarifliche Wahl- und Ergänzungsmöglichkeiten, tarifvertragli- che Korridore und Öffnungsklauseln erweitert wer- den. Wie viele Beispiele belegen, sind auf der be- trieblichen Ebene Bündnisse für Arbeit mit kon- kreten Verabredungen zur Beschäftigungssicherung und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze möglich. In die- sem Sinne treten wir im Rahmen geltender Gesetze und Tarifverträge für betriebliche Bündnisse für Be- schäftigungssicherung und -förderung, zur Schaf- fung von Ausbildungsplätzen und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ein. Das Bündnis nimmt sich also der Aufgabe an, auch be- triebliche Bündnisse für Arbeit zu erleichtern. Im Juni letzten Jahres wurde auch beschlossen, eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik zu betreiben. Diese Vereinbarung wurde begonnen umzusetzen und wird ge- rade im nächsten Jahr von zentraler beschäftigungspoliti- scher Bedeutung sein. Was wir brauchen für die Beschäftigungspolitik sind nicht die inhaltsleeren Vorschläge der CDU/CSU zur Kli- maverbesserung in den Bündnisverhandlungen. Was wir brauchen, ist eine Reform der Arbeitsmarktpolitik. Das Bündnis hat Modellprojekte angeregt – zum Beispiel zum Kombilohn und Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose. Diese Projekte müssen zukünftig aus dem Experimentier- stadium herausgeholt werden. Die rot-grünen Fraktionen haben diese Woche Eck- punkte für ein Job-Aqtiv-Gesetz verabschiedet. Dies wird im Herbst hier beraten. Es geht um die Verringerung von Langzeitarbeitslosigkeit, um maßgeschneiderte Einglie- derungsvereinbarungen mit Arbeitssuchenden. Menschen sollen nicht erst langzeitarbeitslos werden, bevor sie An- spruch auf Maßnahmen haben. Es wird auch um Dezen- tralisierung der Entscheidungen und Vereinfachung der Instrumente gehen. Mit diesem Ansatz sind wir auf einem guten Weg, im nächsten Jahr die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in Deutschland zu senken. Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Es ist in den letzten Ta- gen und Wochen in diesem Haus schon oft gesagt worden: Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich auf dem Weg in die Rezession. Alle Indikatoren und auch die Ar- beitsmarktdaten vom gestrigen Tage zeigen leider in diese Richtung. Noch ist es möglich, die Notbremse zu ziehen und durch mutige Reformen in der Steuerpolitik und auf dem Arbeitsmarkt unserem Land eine Rezession zu er- sparen, das Ruder herumzureißen. Aber die Bundesregierung zaudert und die sie tragende Koalition schließt die Augen und will sich durchmogeln. Dabei liegen die Vorschläge doch auf dem Tisch: Ihr Sach- verständigenrat fordert für den Arbeitsmarkt mehr Flexi- bilität und die Aufbrechung verkrusteter Strukturen. Un- terdessen tagt unbeeindruckt von diesen Entwicklungen das Bündnis für Arbeit beim Bundeskanzler seit knapp drei Jahren. Ergebnisse? Gleich Null! Einfluss? Gleich Null! Alle wichtigen Arbeitsmarktgesetze dieser Legislatur wur- den an den Notwendigkeiten vorbei beschlossen, zuletzt das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsver- hältnisse sowie das Betriebsverfassungsgesetz. Fast schon zynisch ist es, wenn die Bundesregierung in ihrem Be- schäftigungspolitischen Aktionsplan gerade diese beiden Gesetze als wesentliche Beiträge zur Flexibilisierung be- nennt. Jeder ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaft- ler und ihr eigener Sachverständigenrat rechnen ihr vor, dass diese Gesetze Arbeitsplätze nicht schaffen, sondern vernichten! Vor einer wirklichen Flexibilisierung des Arbeitsmark- tes schrecken Sie zurück. Gestern wieder hat Ihnen der Wirtschaftswissenschaftler James Heckman, Träger des Ökonomie-Nobelpreises 2000, den empirisch belegten Zusammenhang ins Stammbuch geschrieben: „Je höher in einem Land die Regulierung des Arbeitsmarktes ist, umso geringer ist die Beschäftigungsquote. “(„FAZ“ vom 5. Juli 2001, S. 14) Das ist so deutlich, dass es eigentlich auch Rot-Grün kapieren müsste. Wir Liberale wollen keine amerikanischen Arbeits- marktbedingungen in Deutschland, wie Herr Wulff von der CDU sie fordert, und wir wollen auch keine Abschaf- fung der Tarifautonomie. Nur zeigt doch das Beispiel VW, dass wir dringend flexible Strukturen im Tarifrecht brau- chen, denn sonst fliegt uns der Flächentarifvertrag um die Ohren! Am oberen Ende werden hoch qualifizierte Be- rufsgruppen in Schlüsselpositionen, wie schon jetzt die Lufthansa-Piloten, ihre eigenen Interessen durchsetzen. Am unteren Rand drängen die Arbeitslosen, die bereit sind, auch unter Tarif zu arbeiten. Wie sieht nun eine echte Modernisierung des Tarif- rechts aus, die diesen Entwicklungen Rechnung trägt? Unser Gesetz zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit sieht eine Neuinterpretation des Günstigkeitsprin- zips in § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz vor. In Zukunft soll eine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers auch dann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer für die Aufgabe oder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18147 (C) (D) (A) (B) Einschränkung einzelner tarifvertraglicher Rechte einen Verzicht des Arbeitgebers auf eine betriebsbedingte Kün- digung erlangt. Um eine Überrumpelung des Arbeitneh- mers zu verhindern, sieht unser Entwurf vor, dass sich der Arbeitnehmer unter Einhaltung einer Frist wieder aus der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber lösen und in den Tarif- vertrag zurückkehren kann. Alternativ soll für die Güns- tigkeit auch sprechen, wenn sich der Betriebsrat oder 75 Prozent der Arbeitnehmer in einem Betrieb für diese Regelung aussprechen. Wir haben damit – anders als in unserem Antrag „Reform des Tarifvertragsrechts“ in Drucksache 14/12612 ganz bewusst auf die umstrittene Änderung des § 77 Abs. 3 BetrVG verzichtet, um den anderen Fraktio- nen im Deutschen Bundestag die Zustimmung zu erleich- tern. Es gibt also keine Ausreden mehr. Wir wollen in die- ser zentralen Frage für Deutschland vorankommen, und ich fordere Sie auf, mit Ihrer Zustimmung den Weg frei- zumachen für mehr Arbeitsplätze. Die Vorzüge unseres Gesetzentwurfes lassen sich wirk- lich nicht leugnen. Ich betone nochmals: Ein Arbeitneh- mer kann in Zukunft selbst definieren, ob ihm ein Verzicht auf tarifrechtliche Positionen im Tausch für eine Beschäf- tigungsgarantie günstiger erscheint, und er kann sich aus dieser Vereinbarung mit dem Arbeitgeber unter Einhal- tung einer der Kündigungsfrist entsprechenden Ankündi- gungsfrist auch wieder in den Geltungsbereich des Flächentarifs zurückbegeben. Das Recht zur Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes beizutragen, kann man den mündigen Bürgern unseres Landes doch wirklich nicht verwehren. Wir wollen, dass die Entscheidungen dort getroffen werden, wo die größte Sachnähe ist: vor Ort, in den Be- trieben, ohne Fremdbestimmung durch hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre aus Frankfurt oder Berlin. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion nimmt mit dieser Lö- sung eine Anregung des Bundesarbeitsgerichts, BAG, auf. Das BAG hat ausdrücklich festgestellt, dass es dem Ge- setzgeber freisteht, die Günstigkeit neu zu definieren, BAG-Urteil vom 20. April 1999. Wir greifen auch nicht in die Tarifautonomie ein, wie immer wieder fälschlich be- hauptet wird: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner jüngsten Entscheidung festgehalten – 1 BvL 32/97 vom 31. Mai 2001 –, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber sich nicht auf eine unbegrenzte Tarifautonomie berufen können. Die Tarifparteien haben auch Rücksicht auf den Arbeitsmarkt, die Belastbarkeit der sozialen Sicherungs- systeme und die Wettbewerbsbedingungen in Deutsch- land zu nehmen, so das Bundesverfassungsgericht. Es gibt eine ganze Reihe betrieblicher Bündnisse für Ar- beit, an denen sich die Gewerkschaften dankenswerter- weise beteiligt haben. Aber es gibt eine ungleich größere Zahl betrieblicher Bündnisse für Arbeit, die sich ohne Zutun der Gewerkschaften oder mit stillschweigender Dul- dung der Tarifpartner in einer juristischen Grauzone bewe- gen. Und es gibt leider einzelne Fälle, in denen Gewerk- schaften ihren eigenen Betriebsräten den Abschluss be- trieblicher Bündnisse gerichtlich untersagt haben. Es wird höchste Zeit, diese betrieblichen Bündnisse für Arbeit, deren Legitimität niemand bestreitet, endlich der Legalität zuzuführen. Es ist jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen. Ich ap- pelliere insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, an Herrn Schlauch, Frau Dückert, Frau Hustedt, Herrn Metzger, Herrn Schmidt, Frau Wolf, ihren Absichtserklärungen auch Taten folgen zu lassen. Wir Liberale wollen einen wirklichen Reform- schritt im Arbeitsrecht machen, zugunsten der Arbeitneh- mer und der Arbeitslosen. Wir laden Sie ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Dr. Klaus Grehn (PDS): Heute diskutieren wir nun zum dritten Mal in dieser Woche zur Arbeitsmarktent- wicklung. Ich möchte an einen Zwischenruf aus der ges- trigen Debatte anknüpfen: Das Parlament schaffe keine Arbeitsplätze. Eher halbwahr als wahr ist diese Message, denn das Parlament hat Voraussetzungen, Bedingungen zu schaffen, deren Umsetzung zu Arbeitsplätzen führt oder den Abbau von Arbeitsplätzen negativ sanktioniert. Das gilt zum Beispiel, wenn sich Unternehmen etwa von älteren Arbeitnehmern befreien und die Folgen der Ge- sellschaft, etwa der Bundesanstalt für Arbeit oder den Kommunen, in Form der Sozialhilfe zuweisen. Auch der beschäftigungspolitische Aktionsplan schafft keine Arbeitsplätze. Aber er enthält wesentliche Schwer- punkte, deren Umsetzung Menschen in Arbeit bringen kann oder bringt. Deshalb wissen Sie unsere Fraktion bei der Umsetzung dieser Schwerpunkte an Ihrer Seite, weil es sich um die Seite der Betroffenen handelt. Aber mit der gleichen Energie, mit der wir bei der Um- setzung Arbeitsplätze schaffender Maßnahmen mitwir- ken, weisen wir auf Lücken hin und setzen uns mit unse- ren Vorschlägen für die Ausfüllung dieser Lücken ein. Lassen Sie mich einen Kritikpunkt nennen: Im Aktions- plan erklären Sie die Schaffung neuer, wettbewerbsfähi- ger Arbeitsplätze zum wichtigsten Ziel der Bundesregie- rung. Diese Aussage hat einen fundamentalen Mangel, der darin besteht, dass vor wettbewerbsfähig existenz- sichernd kommen muss. Alles andere, insbesondere die Schaffung oder der Ausbau des Niedriglohnsektors, leh- nen wir ab, was aus der Sicht der Betroffenen wie aus ge- samtgesellschaftlicher Sicht unverzichtbar ist. Der Ar- muts- und Reichtumsbericht hat doch bereits nachge- wiesen, in welcher Weise Armut trotz Arbeit angewach- sen ist. Weil die Maßnahmen des Aktionsplanes nicht ausrei- chen, um die Situation am Arbeitsmarkt nachhaltig zum Guten zu wenden, halten wir weitere Maßnahmen für not- wendig, unter anderem: keine Kürzung der investiven Ausgaben, Überdenken der Haushaltskonsolidierungspo- litik, mehr Investitionen im Bildungsbereich, in Kinder- betreuungseinrichtungen, in ein Stadtumbauprogramm gegen Wohnungsleerstand. Die Schaffung oder der Abbau von Arbeitsplätzen müssen in der und durch die Gesell- schaft eine neue Bewertung erhalten. Solche Maßnahmen sind auch deshalb notwendig, weil die Prognosen von Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung, die dem Ak- tionsplan zu Grunde liegen, heute auf sehr sehr wackligen Füßen stehen, und das wissen Sie genau. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118148 (C) (D) (A) (B) Nun einige Bemerkungen zu den Anträgen von CDU/CSU und F.D.P.: Es ist geradezu absurd, dass ausgerechnet die Parteien der früheren Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P. meinen, die von ihnen jahrelang vernachlässigten Probleme der Massenarbeitslosigkeit und der Steuerung des Arbeitsmarktes zur Attacke auf die Regierung nutzen zu können. Da nennt die F.D.P. außertarifliche Lohnver- einbarungen „Betriebliche Bündnisse für Arbeit“ und will eine solche Notsituation gar gesetzlich absegnen. Die meisten Flächentarifverträge lassen solche Ausnahmen zu; es sollte nur immer klar sein, dass das eine Ausnahme ist. Kein Arbeitnehmer im Osten ist froh über sein bedeu- tend geringeres Einkommen im Vergleich zu seinen tarif- geschützten Kollegen und der Verzicht auf Tariflohn hat entgegen der Unterstellung im F.D.P.-Antrag Zehntau- sende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den NBL nicht vor Entlassung geschützt. Die Kollegen von der F.D.P. ließen sich offensichtlich von einem Basar inspi- rieren, wenn sie Lohnverzicht als Tauschware gegen ei- nen sicheren Arbeitsplatz als gesetzliche Grundlage emp- fehlen. Und hökern ist nun wahrlich keine gute Grundlage für Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., sorgen Sie lieber dafür, dass die Unternehmer Löhne zum Tarif zahlen können und auch zahlen. Wir dürfen die Schleusen zu einem gar gesetzlich verbrieften Nied- riglohnsektor nicht öffnen. Die anstehende EU-Osterwei- terung beschert uns genug zusätzlichen Druck auf Lohn- dumping und prekäre Beschäftigung. Gerade bei Beibe- haltung des Schutzes von tariflichen Vereinbarungen wird die Rolle von Betriebsräten gestärkt. Der Bundestag hat ein solches Gesetz gerade verabschiedet. Mit dem Antrag der CDU/CSU kann ich so recht nichts anfangen. Dieser Antrag erinnert eher an ein Propaganda- flugblatt als an eine parlamentarische Initiative. Im Gegensatz zu einigen Fraktionen die Hauses gehört die PDS nicht zu den Befürwortern einer Entwicklung, die durch die Übergabe von originären Aufgaben des Parla- ments an andere Gremien gekennzeichnet ist, indem wich- tige Diskurse und Entscheidungen aus dem Parlament heraus verlagert werden, wie etwa das Bündnis für Arbeit. Wir können nicht erkennen, dass Gespräche im Bünd- nis für Arbeit überhaupt Einfluss auf den Arbeitsmarkt oder die Notlage bei der beruflichen Ausbildung oder die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gehabt hätten. Wir empfehlen den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, mit ihren sehr allgemeinen Forderungen, nicht für eine Aufwertung eines Gremiums zu sorgen, das außerhalb der parlamentarischen Einflussmöglichkeiten steht. Wir haben nichts dagegen, dass die Bundesregierung wen auch immer konsultiert. Nur ist etwa die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach Vorschlägen zur Reform des Arbeitsrechtes aus diesem „Bündnis“ die Verstärkung der oben genannten Praxis. Solche Vorschläge gehören ins Parlament und die ganze Gesellschaft – nicht nur Ge- werkschaften und Arbeitgeber – muss angemessen betei- ligt werden. Wir sind ebenso grundsätzlich dagegen, dass in diesem „Bündnis“ Vereinbarungen getroffen werden, die dann die Hände von Parlamentsfraktionen binden oder zu irgend- etwas verpflichten oder gar Stillschweigen über Abma- chungen vereinbart wird, das das Parlament im Unklaren lässt. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände können sich wo auch immer und wie oft auch immer treffen, ohne dass die Bundesregierung solche Gespräche in irgendeiner Weise präjudiziert. Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung: Die Unionsfrak- tionen meinen, der Bundesregierung mit ihrem vorliegen- den Antrag gute Ratschläge bei der Organisation des Bündnisses für Arbeit und dem Bundeskanzler schlechte Noten für seine Moderatorenrolle erteilen zu können. Beides wird Ihnen nicht gelingen. Sollten Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Union, es vergessen haben, nur zur Erinnerung: Im April 1996 scheiterte das von Helmut Kohl moderierte Bündnis für Arbeit und Standortsicherung nach gerade einmal drei Monaten. Drei, meine Damen und Herren von der Union. Und es scheiterte, weil Sie entgegen anders- lautender Absprachen massive Eingriffe in Arbeitneh- merschutzrechte vornehmen wollten. Die christ-liberale Regierung hat damit die ausgestreckte Hand eines Bünd- nispartners, der Gewerkschaften, bewusst ausgeschlagen. Das Scheitern geht damit ganz allein auf Ihre Kappe. Wir müssen uns von Ihnen wirklich nicht sagen lassen, wie man ein Bündnis für Arbeit organisiert. Wir haben im Gegensatz zu Ihnen ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit initiiert, das auf einen fairen Ausgleich von Geben und Nehmen aller Beteiligten aus- gerichtet ist und niemanden einseitig übervorteilt. Nur indem wir alle gesellschaftlichen Kräfte mobili- sieren kann es gelingen, die Herkulesaufgabe der Be- kämpfung der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit erfolgreich zu meistern. Unser „Bündnis der Modernisierer“ hat sich als Re- formmotor erwiesen und nachweislich gute Ergebnisse erzielt. Gerade das in Ihrem Antrag angesprochene Spit- zengespräch vom 4. März 2001 stellt das eindrucksvoll unter Beweis. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, die wichtigsten Beschlüsse noch einmal kurz darzustellen. Den gesamten Wortlaut, sollte er Ihnen noch nicht geläu- fig sein, können Sie übrigens im Internet nachlesen. Erste Vereinbarung: Die Bündnispartner haben eine breite Offensive zur umfassenden Erschließung und Förderung aller Qua- lifikationspotenziale verabredet. Die Chancen- gleichheit von Frauen und Männern soll hierbei als Querschnittsziel bei allen Maßnahmen Berücksichti- gung finden. Die Bedeutung dieses Beschlusses kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Die Entwicklung hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft hat einen fortlau- fenden Wandel der beruflichen Anforderungen an nahezu allen Arbeitsplätzen zur Folge. Qualifikation wird zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18149 (C) (D) (A) (B) künftig nicht nur über Wohlstand jedes Einzelnen, son- dern unserer gesamten Volkswirtschaft entscheiden. Ich freue mich deshalb, dass es den Tarifvertragsparteien in der Metallindustrie in Baden-Württemberg gelungen ist, hier einen erster Schritt zur Umsetzung zu vereinbaren. Zweite Vereinbarung: In Bezug auf die Beschäftigung älterer Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer haben die Bündnispart- ner einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Anstelle einer vorzeitigen Ausgliederung aus dem Erwerbs- leben sollen künftig die verstärkte Beschäftigung Älterer, die vorbeugende Verhinderung von Arbeits- losigkeit und die Wiedereingliederung bereits Ar- beitsloser vorrangiges Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein. Die Einleitung dieses Paradigmenwechsels ist sowohl aufgrund der durch Frühverrentung anfallenden gesamt- gesellschaftlichen Kosten als auch durch die absehbaren demographischen Entwicklungen eine ganz wichtige neue Weichenstellung. Dritte Vereinbarung: Die Bündnispartner haben weiter verabredet sich dafür einzusetzen, die hohe Zahl der regelmäßig ge- leisteten Überstunden zugunsten zusätzlicher Be- schäftigung zu reduzieren. Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, bestehende Be- schäftigung zu sichern und neue zu erschließen. Knapp 1,9 Milliarden Überstunden werden derzeit jährlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geleistet. Die Bündnispartner wollen erreichen, dass die Überstunden zugunsten neuer Jobs abgebaut werden. Schließlich die vierte Vereinbarung: Die Bündnispartner haben sich auch darauf verstän- digt, dass insbesondere zum Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit eine stärker aktivierende und vor- beugende Arbeitsmarktpolitik notwendig ist. Durch die Modernisierung der Arbeitsvermittlung und die Neuorientierung und größere Transparenz der Förder- maßnahmen soll die frühestmögliche Wiedereingliede- rung in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht und Arbeits- losigkeit verhindert werden. Ich finde, dass sich das Ergebnis des Bündnisses ins- gesamt sehr wohl sehen lassen kann. Wir werden uns je- denfalls nicht von unserem eingeschlagenen Weg abbrin- gen lassen und unser Streben nach Verständigung zwischen den Bündnispartnern unbeirrt fortsetzen. 94 Prozent der Bundesbürger teilen im Übrigen diese positive Einschätzung des Bündnisses und bewerten es nach einer forsa-Umfrage vom März diesen Jahres mit der Note „gut“. Wir müssen uns von Ihnen auch nicht sagen lassen, wie man Bündnisgespräche moderiert. Das sehen übrigens ihre eigenen Wähler ebenso. 61 Prozent der Unionsan- hänger, meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Union – das sind fast zwei Drittel der Unionsanhänger –, finden das Vorgehen des Bundeskanzlers in unserem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig- keit nach der schon erwähnten forsa-Umfrage richtig. Dass die Quote bei Anhängern von Rot-Grün noch etwas höher ausfällt, das können Sie getrost annehmen. Erinnern möchte ich schließlich aber auch noch einmal daran, warum die christ-liberale Regierung von den Bun- desbürgern im September 1998 abgewählt wurde. Sie ha- ben es eben nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Trotz massiven Einsatzes von Wahlkampf- ABM betrug die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 1998 rund 4,3 Millionen. Wir sind angetreten, es besser zu machen. Und: Unsere arbeitsmarktpolitische Bilanz kann sich sehr wohl sehen lassen: Die Arbeitslosigkeit konnte um rund 500 000 ge- senkt werden und das bei einer Erhöhung der Zahl der Er- werbstätigen um rund 1 Million. Wir müssen uns von Ih- nen wirklich nicht sagen lassen, wie man Arbeitslosigkeit bekämpft. Und diese Erfolge sind nicht allein der demographi- schen und konjunkturellen Entwicklung zuzurechnen. Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung ist ge- prägt von Kontinuität und Berechenbarkeit in der Mittel- ausstattung und durch Innovation bei den Maßnahmen. Es ist uns damit auch gelungen, achtbare Erfolge bei der Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit zu er- zielen. So konnten wir zum Beispiel die Zahl der Lang- zeitarbeitslosen in den vergangenen drei Jahren um über 16 Prozent senken. Ich empfehle den Beschäftigungspolitischen Aktions- plan der Bundesrepublik Deutschland für 2001 einer ein- gehenden Lektüre. Hier können Sie die zahlreichen von uns ergriffenen Maßnahmen nachlesen. Dieser Aktions- plan ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie ernst wir es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nehmen. Kurzatmiger Aktionismus, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, so steht es in Ihrem letzten Beschäftigungspolitischen Aktionsplan vom April 1998, sei abzulehnen. Da haben Sie Recht. Zugestanden – die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bleibt gegenwärtig hinter den Erwartungen zurück. Die Einführung der weltwirtschaftlichen Konjunktur, aus- gelöst durch die konjunkturelle Schwäche in den USA und Japan, wirkt sich wegen der erfolgreichen deutschen Exportindustrie in Deutschland stärker aus als in anderen europäischen Ländern. Deshalb wird die rot-grüne Bundesregierung sich auch weiterhin mit Nachdruck, aber auch mit Solidität und ohne Hektik für eine Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt einsetzen. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in dieser Woche ein Eck- punktepapier für ein Job-Aqtiv-Gesetz beschlossen. Tragende Elemente der von uns angestrebten Moderni- sierung der Arbeitsförderung sind: die grundlegende Mo- dernisierung des Vermittlungsprozesses, die stärkere Aus- richtung der beruflichen Qualifizierung auf die Belange der Arbeitswelt sowie die bessere Vereinbarkeit von Fa- milie und Beruf. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118150 (C) (D) (A) (B) Hiermit wollen wir den Vorgaben des Bündnisbe- schlusses vom März 2001 Rechnung tragen. Auf diese Ziele sind aber auch die beschäftigungspolitischen Leitli- nien der Europäischen Union ausgerichtet, die es umzu- setzen gilt. Die Arbeitsvermittlung ist dabei für uns das wichtigste Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Offene Stel- len müssen – im Interesse der Arbeitnehmer und der Ar- beitgeber – zügig besetzt werden. Drohender Langzeitar- beitslosigkeit wollen wir durch ein frühzeitiges Erkennen des Risikos entgegenwirken. Durch rasche und gezielte, auf den einzelnen Arbeitslosen zugeschnittene Maßnah- meangebote soll eine möglichst nachhaltige Eingliede- rung von Arbeitslosen in reguläre Beschäftigung unter- stützt werden. Das ist Aufgabe einer Solidargemeinschaft. Es liegt aber auch im Interesse der Solidargemeinschaft, dass der Arbeitslose selbst Anstrengungen zur Aufnahme einer Beschäftigung unternimmt und die Angebote des Arbeits- amtes annimmt. Mit dem Abschluss einer Eingliede- rungsvereinbarung zwischen dem Arbeitslosen und dem Arbeitsamt soll der Grundsatz des „Förderns und For- derns“ verwirklicht werden. Die berufliche Qualifizierung wollen wir an die neuen Herausforderungen anpassen. Eine kontinuierliche Wei- terbildung ist im Zeitalter der Globalisierung die zentrale Voraussetzung, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern. Zur Flankierung des strukturellen Wandels wollen wir die Maßnahmen der beruflichen Wei- terbildung daher präventiver und wirtschaftsnäher aus- richten. Die Verankerung von Jobrotation im SGB III und die Qualifizierung von älteren Arbeitnehmern im Betrieb sind wichtige Elemente dieser Neuausrichtung. Arbeitsmarktpolitik soll zukünftig auch stärker zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer beitragen. Die Gleichstellung von Frauen und Männern soll deshalb als Querschnittsaufgabe des Arbeitsförderungsrechts verankert werden. Die Wahrneh- mung von Erziehungspflichten darf sich nicht länger ne- gativ für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus- wirken. Und – last but not least: In den neuen Ländern ist es zwar vordringliche Aufgabe der Wirtschafts- und Finanz- politik, zusätzliche Impulse für den Arbeitsmarkt in Ost- deutschland zu setzen und die Schaffung neuer Arbeits- plätze zu fördern. Die aktive Arbeitsmarktpolitik kann diesen Prozess aber durch eine bessere Verzahnung von Arbeitsmarktpolitik und Infrastrukturpolitik unterstützen. Hierzu wollen wir mit dem Job-Aqtiv-Gesetz neue Wege beschreiten. Diese Regierung handelt. Und das ist gut so. Wir wer- den unmittelbar nach der Sommerpause einen entspre- chenden Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einbrin- gen. Ich würde mich freuen, wenn neben den Bündnis- partnern auch die Oppositionsparteien ihrer gesamtgesell- schaftlichen Verantwortung bei der Bekämpfung der Ar- beitslosigkeit gerecht werden und wir das Gesetz zum 1. Januar 2002 in Kraft setzen können. Die Arbeitslosen haben einen Anspruch darauf. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Großen Anfrage: Aktuelle Wettbewerbs- situation in der Telekommunikation – des Antrages: Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Die Turbulenzen in der neuen Ökonomie, als deren Teil auch die Telekom- munikationsbranche oft gesehen wird, und die Kursent- wicklung der Telekommunikationswerte in den letzten Monaten haben sehr deutlich gezeigt, wie wichtig bei sol- chen Ausschlägen auf den Finanzmärkten realwirtschaft- liche Stabilität und politische Berechenbarkeit sind. Und wie schnell die neue Ökonomie auf den harten Boden der alten fallen kann. Derzeit geht es vor allem darum, durch Rationalität in der Debatte und die richtigen Akzentsetzungen in der Po- litik dafür zu sorgen, dass die Verwerfungen an den Bör- sen überzogne Euphorie durch deplazierten Pessimismus und Hysterie ersetzen und wichtige Ansätze im Informa- tions- und Kommunikationssektor zerstören. Halten wir fest: Die positive Einschätzung der Bun- desregierung zur Marktentwicklung – Preissenkungen, die hohe Zahl von aktiven Lizenznehmern, der Aufbau neuer Infrastrukturen, steigende Verkehrsmengen, neue Arbeitsplätze, überdurchschnittliche Wachstumsraten – ist zutreffend. Aber nicht nur diese Daten und seine Nähe zur neuen Ökonomie weisen auf eine Sonderrolle des Telekommu- nikationssektors in unserer Volkswirtschaft hin. Nach wie vor stoßen auch in einer liberalisierten TK-Branche poli- tische und ökonomische Prinzipien und Aspekte aneinan- der, was ja auch in den Zielbeschreibungen des TKG deut- lich wird. Die Sonderrolle der Telekommunikation ergibt sich vor allem daraus, dass ihr Weg aus dem öffentlichen Dienst in den Wettbewerb nur auf der Grundlage einer besonderen gesetzlichen Regulierung beschritten werden kann und von einer dafür geschaffenen öffentlichen In- stanz, der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, umgesetzt wird, dass diese Branche aufgrund ihrer spezifischen Dynamik besonders sensibel auf ge- sellschaftliche und politische Entwicklungen reagiert, dass diese Branche aufgrund ihres zunehmenden Zusam- menwachsens mit dem Medienbereich besondere gesell- schaftliche Aufmerksamkeit erweckt und dass die Bran- che mit hohen gesellschaftspolitischen Anforderungen und Erwartungen konfrontiert ist, die mit hochtrabenden, aber wenig greifbaren Visionen von Wissensgesellschaft, Informationszeitalter, der Vermeidung oder Überwindung der digitalen Spaltung umschrieben werden. Aus diesen Gründen ist es dringend erforderlich, die großen wolkigen Visionen zu konkretisieren und aktuelle Debatten wie etwa die Diskussion um den neuen europä- ischen TK-Rechtsrahmen und um die nationale Regulie- rungspolitik an diesen Visionen zu messen sowie vor Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18151 (C) (D) (A) (B) allem die tatsächliche Entwicklung auf den Märkten mit Fakten und Zahlen zur Kenntnis zu nehmen und Ent- wicklungstendenzen aufzuzeigen. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zwangsläufig: Die jetzige Regulierungspraxis und das TKG sind weder unantastbare Dauerlösungen noch Spielball kurzfristiger Interessen. Wir brauchen Kontinuität für das Bewährte, Berechenbarkeit für alle Marktteilnehmer und Verbesse- rungen und Anpassungen dort, wo sich die Grundlagen verändert haben oder sich berechtigte Kritik aufstaut. Die bisherige sektorspezifische Regulierung hat er- folgreich Wettbewerb geschaffen und zu den anfangs ge- nannten positiven Entwicklungen entscheidend beigetra- gen. Dies muss ebenso betont werden wie die Tatsache, dass sich die Märkte heute, drei Jahre nach der völligen Liberalisierung, anders darstellen als zu Beginn der Re- gulierungstätigkeit. Eine Dogmatisierung der Regulie- rungspraxis aus der Anfangszeit würde Gefahren mit sich bringen: Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Vergleich zulasten nationaler Unternehmen und damit Nachteile für die gesamte Branche in Deutschland, Inves- titionsblockaden durch den Mechanismus, dass das regu- lierte, teilweise marktbeherrschende Unternehmen ihre Infrastruktur zu eigenen bzw. regulierten Kosten den Wettbewerbern zur Verfügung stellen muss, Abbremsen der Marktdynamik durch zu langwierige Entscheidungs- prozesse, Vernachlässigung volkswirtschaftlicher und ge- sellschaftspolitischer Zielsetzungen zum Beispiel bei der Weiterentwicklung universeller Dienstleistungen oder bei möglichen Fehlanreizen bei den Infrastrukturinvestitio- nen. Ich benenne dies ausdrücklich als mögliche Gefahren – auch für die Zukunft – und weniger als Zustandsbe- schreibungen der Gegenwart. Politik hat die Aufgabe, bei aller Würdigung positiver Entwicklungen und erbrachten Leistungen Gefahren zu benennen, auch wenn es einfa- cher ist, mit glänzenden Augen von der Informationsge- sellschaft zu schwärmen. Ich möchte die wesentlichen Veränderungen der letz- ten Jahre kurz benennen: Erstens. Der internationale Wettbewerb in der Tele- kommunikationsbranche hat sich wie in keiner anderen internationalen Branche enorm verschärft. Die bisher auf die nationale Ebene beschränkte Regulierungspraxis muss daher die internationale Entwicklung mit im Auge haben und darf nationale Unternehmen weder bevorzugen noch benachteiligen. Zweitens. Der Telekommunikationsmarkt wächst ei- nerseits immer mehr in sich zusammen und verflicht sich mit benachbarten Branchen. So ist es einerseits nicht mehr angemessen, das klassische Festnetz, den Mobilfunk, Ka- belsysteme und das Internet als völlig getrennt voneinan- der zu betrachten, da diese Systeme sich nicht mehr nur ergänzen, sondern auch teilweise ersetzen können. Die aktuelle Debatte um das TV-Kabel demonstriert das sehr anschaulich. Andererseits kann ein Segment wie das Fest- netz auch nicht mehr als eine Einheit gesehen werden, sondern zerfällt in Teilmärkte mit völlig unterschiedli- chen Gegebenheiten. Regulierung in Deutschland wurde aber bis vor nicht allzu langer Zeit mit Festnetzregulierung gleichgesetzt. Dort wurde dafür umso intensiver reguliert, während die anderen Bereiche erst jetzt nach und nach in den Blick ge- raten. Viele sehen noch heute das Festnetz als einen ein- heitlichen Markt an, während sich die Teilmärkte sowohl aus der Sicht der Verbraucher als auch im Hinblick auf die Technik, Teilmärkte deutlich unterschiedlich entwickeln. Einige Teilmärkte wie Fern- und Auslandsgespräche zeichnen sich durch drastisch gefallene Preise und hohe Wettbewerbsintensität aus, andere wie die „letzte Meile“ befinden sich mit über 98 Prozent fast noch im Monopol. Neue Teilmärkte wie breitbandige Anschlüsse kommen hinzu und werfen neue Fragen auf. Drittens. Die Auffassung der Bundesregierung und der EU-Kommission, dass die Konvergenz der Bereiche Medien, Telekommunikation und Informationstechno- logie größere regulierungs- und allgemeinpolitische Aufmerksamkeit erfordert, halten wir für zutreffend. Wenn Branchen teilweise zusammenwachsen und in- einander übergehen, entstehen Abgrenzungsprobleme und regulierungs-politischer Klärungsbedarf in Bezug auf die betroffenen Branchen und die zuständigen poli- tischen Ebenen. Die bisherigen Instrumente zur Be- obachtung und zur angemessenen Reaktion reichen weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene aus. Die Beurteilung der oligopolistischen Strukturen im Bereich der privaten elektronischen Medien im Ver- gleich zur Marktentwicklung im Telekommunikations- bereich durch die Monopolkommission und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind in sich nur teil- weise schlüssig: Während die Monopolkommission den TK-Bereich mit sehr strengen Maßstäben misst, sieht sie im Quasi-Duopol der privaten Fernsehanstalten kein Problem. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die in anderen Staaten schon viel weiter fortgeschrittene Ver- schmelzung von Teilen der Kommunikationsbranche in sich, wie wir sie aus den USA mit AOL und Time Warner kennen. Ähnliches geschieht bei uns mit Kooperationen wie zwischen T-Online und Springer. Ich will das gar nicht verteufeln, sondern nur die Di- mension zurechtrücken: In der Fachöffentlichkeit wird oft über Zehntelpfennige bei der Interkonnektion und ein paar Mark bei der TAL diskutiert. Ich will nur darauf hin- weisen: Es geht dabei um ganz andere Quantitäten, aber auch um ganz andere Qualitäten. Das betrifft sowohl die Gesellschaft, zum Beispiel bei der Frage von Informati- onsvielfalt und Zugang zu Informationen, aber auch die Unternehmen der Kommunikationswirtschaft. Viertens. Mit der Weiterentwicklung der Technik und der Ausbreitung moderner Kommunikationsangebote ent- stehen neue gesellschaftliche Mindestnormen, die zu er- füllen gleichzusetzen ist mit der Teilnahme am gesell- schaftlichen Leben insgesamt. Vielfältige und breit- bandige Datenübertragungsmöglichkeiten werden damit automatisch zum „universellen Dienst“ im ursprüngli- chen Wortsinn. Es wird zu beobachten sein, ob dieses uni- verselle Angebot sich aus dem Markt heraus entwickelt und damit die viel beschworene „digitale Spaltung“ ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118152 (C) (D) (A) (B) hindert wird. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass die Teilnahme an der Informationsgesellschaft nicht allein, nicht einmal vorrangig, eine Frage der technischen Infrastruktur und des Preises ist. Fünftens. Die Dynamik der Telekommunikations- märkte macht es sowohl für die Unternehmen als auch für die Regulierung erforderlich vorauszuschauen. Es ist ein Unterschied, ob aus einem staatlichen Monopol heraus Wettbewerb geschaffen wird oder ob wir in einer dyna- mischen Wettbewerbssituation Zukunftsfragen diskutie- ren und entscheiden wollen. Im Bezug auf die „letzte Meile“ wäre es beispielsweise höchste Zeit, einmal offen darüber zu reden, was wir eigentlich gemeinsam unter- nehmen wollen oder ob jeder für sich entscheiden will. Ich halte es natürlich für nicht ganz widerspruchsfrei, wenn aus derselben Ecke einerseits die Forderung kommt, den regulierten Preis für die TAL massiv zu senken und gleichzeitig angekündigt wird, es werde massiv in neue Teilnehmeranschlüsse investiert. Wann ist denn der An- reiz höher, in Teilnehmeranschlüsse zu investieren: bei hohem oder niedrigem Preisniveau? Und umgekehrt: Wer sagt, beim aktuellen Stand der Technik und bei den derzei- tigen Konditionen auf dem Markt seien alternative An- schlussmöglichkeiten uninteressant oder sie seien volks- wirtschaftlich gesehen Verschwendung – wofür ja durchaus etwas spricht –, der muss auch bekennen, dass damit das Ortsnetz ein monopolistischer Flaschenhals bleibt, der der dauerhaften Regulierung bedarf. Ich beanspruche nicht, eine Antwort zu haben. Aber ei- ner vorausschauenden Diskussion können wir im Sinne realistischer Regulierungspolitik nicht ausweichen. Für die Regulierungspolitik bedeutet all dies Folgen- des: Erstens. Laufende Überprüfung der Regulierung auf die Möglichkeit ihrer Reduzierung; also Deregulierung, teilweise Aufhebung oder verringerte Intensität von Re- gulierung, wo sie aufgrund selbsttragenden Wettbewerbs überflüssig geworden ist. In Teilmärkten mit infrastruktu- rellen Alternativen wie bei den Ferngesprächen halten wir das nach und nach für geboten. Es bedarf dabei keiner Veränderung des Marktbeherrschungsbegriffs, sondern der Veränderung seiner Anwendung. Das GWB hebt eben nicht nur auf Marktanteile, sondern beispielsweise auch auf Markteintrittsbarrieren oder auf die internationale Wettbewerbssituation ab. Zweitens. Erarbeitung eines Teilmarktkonzeptes. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hat dazu Eckpunkte vorgelegt. Drittens. Mehr wirtschaftliche Kompetenz für die Re- gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Wer Märkte beobachten, analysieren und regulieren soll, muss dies auf der Basis von eigenen Daten und deren Bewer- tung tun können. Die Regulierungsbehörde für Telekom- munikation und Post ist derzeit in vielen Fällen auf Zah- len der beteiligten Unternehmen oder externe Gutachten angewiesen. Dies kostet auch Zeit. Das bedeutet nicht, dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Kompetenz auf ihrem Gebiet absprechen. Vielmehr fordern wir neue personalpolitische Schwerpunkte in der Behörde. Viertens. Vorausschauende Regulierungspolitik. Die bisherige Arbeit der Regulierungsbehörde war von Ein- zelentscheidungen aufgrund von Anträgen und Be- schwerden sowie von kurzfristigem Entscheidungsbedarf geprägt. Um die Berechenbarkeit, Planbarkeit und Trans- parenz von Regulierungsentscheidungen zu erhöhen, benötigen wir in Zukunft eine vorausschauende Regulie- rungspolitik. In Grundsatzfragen – zum Beispiel Teil- märkte, Inkasso, Interkonnektionregime, UMTS – muss es künftig vermehrt vorab fachöffentliche Diskussions- möglichkeiten anhand von Eckpunkten geben. Fünftens. Sicherstellung des flächendeckenden breit- bandigen Angebotes, das für alle zugänglich und bezahl- bar ist. Derzeit besteht die Tendenz zu einer Entwicklung aus dem Markt heraus. Die Preise sinken, das Angebot weitet sich aus. Der Universaldienstbegriff gibt die Mög- lichkeit, dies rechtlich abzusichern, ohne dass zunächst ein Eingriff nötig ist. Dieser geschieht erst dann, wenn es nachweisbare Lücken gibt. Dies kann nicht wie in der derzeitigen Flatrate-Debatte dem marktbeherrschenden Unternehmen einseitig ohne Ausgleich für die Kosten aufgebürdet werden. Deshalb macht eine Fortschreibung und Modernisierung von Qua- lität und Umfang des Universaldienstes Sinn. Auch drän- gen wir auf eine Umsetzung des Gebotes der Förderung von Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Ein- richtungen in die Praxis, wie sie im TKG als Regulie- rungsziel angegeben ist. Der dynamische Universal- dienstbegriff des TKG bietet den Ansatzpunkt dafür, auch hochwertige Datenübertragungsmöglichkeiten als Uni- versaldienstleistungen anzubieten. Sechstens. Die von uns bereits angesprochene Kon- vergenz wirft die Frage nach der Herstellung eines re- gulatorischen und gesetzlichen Zusammenhangs, einer Verklammerung und Abgleichung der Kommunikati- ons- und Medienmärkte auf. Wie Sie wissen, erfolgt in Deutschland seit dem l. August 1997 die Zuordnung ei- nes Dienstes auf der Grundlage eines differenzierten und funktionsbezogenen Regelungssystems, nämlich des Rundfunkstaatsvertrages, des Mediendienste-Staats- vertrages, des Informations- und Kommunikationsdiens- te-Gesetzes, insbesondere des Teledienstegesetzes und des Telekommunikationsgesetzes. Bei den einzelnen Dienstkategorien – von Rundfunk bis Basistelekommu- nikationsdienst – handelt es sich unabhängig vom Inhalt um die Übermittlung von Nachrichten via Telekommu- nikationsinfrastruktur. Das TKG regelt die Zurverfü- gungstellung der technischen Infrastruktur für diese Dienste. Schon die Entwicklung im Internetbereich macht deut- lich, dass eine bessere Abstimmung von Landesmedien- gesetzen, Bundes- und europäischer Gesetzgebung erfor- derlich ist. Zwischenziel muss eine kohärente und integrierte Kommunikationsordnung zunächst auf natio- naler Ebene sein, die in Abstimmung mit den Ländern schrittweise entwickelt werden und durch den Aufbau an- gemessener Instrumente gestrafft und effektiviert werden muss. Dabei geht es uns nicht um mehr Regulierungs- breite und -tiefe, sondern um ein in sich stimmiges Ge- samtsystem, eine konvergente Regulierung in einer kon- vergenten Branche. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18153 (C) (D) (A) (B) Siebtens. Die Konvergenz der Bereiche Medien, Tele- kommunikation und Informationstechnologie auf globa- len Märkten ist eine Entwicklung, die sich in den nächs- ten Jahren auf der Dienstebene weiter intensivieren wird. Im Rahmen der gegenwärtigen Arbeiten am neuen euro- päischen Rechtsrahmen des Telekommunikationssektors setzen wir uns zusammen mit der Bundesregierung dafür ein, dass die deutschen Unternehmen in allen Ländern der EU grundsätzlich ein einheitliches regulatorisches Re- gime vorfinden. Die Bundesregierung beteiligt sich kon- struktiv an den derzeitigen Beratungen in Brüssel und wirkt darauf hin, dass eine volkswirtschaftlich angebo- tene Anpassung des nationalen Regulierungsrahmens an die jeweilige nationale Wettbewerbsentwicklung nicht durch restriktive EU-Vorgaben ausgeschlossen wird. Es ist das Ziel der Bundesregierung, ausreichend Spielraum des nationalen Gesetzgebers zu gewährleisten, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Telekommunikati- onsunternehmen im europäischen und globalen Umfeld zu erhalten. Wir brauchen eine Harmonisierung der europäischen Telekommunikationsmärkte. Dies bedeutet nicht zwangsläufig eine Ausweitung der Kompetenzen der EU-Kommission in diesem Bereich. Die im Rahmen der Richtlinienentwürfe des TK-Paketes vorgesehenen zu- sätzlichen Rechte der EU-Kommission etwa zum Ein- griff in Entscheidungen der nationalen Regulierungs- behörden sind abzulehnen. Wir sehen mit großer Sorge die Gefahr übereilter europäischer Entscheidungen, de- nen keine Analyse der tatsächlichen marktmäßigen und technischen Entwicklungen vorausgegangen ist. Ziel europäischer Telekommunikationspolitik muss vorran- gig die Angleichung der tatsächlichen Wettbewerbsbe- dingungen im Rahmen eines europäischen Modernisie- rungs- und Sozialmodells unter Berücksichtigung der beschäftigungspolitischen Zielsetzungen sein. Ziel ist also ein „Level-Playing-Field“ unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Ziele der EU. Dies gilt auch über die EU hinaus, zum Beispiel für den WTO-Bereich. Markteintrittsbarrieren, wie wir sie in den USA angewendet sehen, haben hier nichts zu suchen. Die USA sind übrigens im TK-Sektor ein Beispiel mehr dafür, dass nicht immer die lautesten Rufer die wahren Freunde von Wettbewerb und offenen Märkten sind. Achtens. Wie die internationale Erfahrung zeigt, ist gerade der Wettbewerb im Ortsnetz am schwierigsten zu bewältigen. Ende 2000 hatten die Wettbewerber der Deutschen Telekom bei den Festnetztelefonanschlüssen einen Marktanteil von insgesamt 1,5 Prozent. Mit der Möglichkeit des entbündelten Zugangs zur Teilnehmer- anschlussleitung und der künftigen Möglichkeit, auf ei- nem Teil der letzten Meile getrennt vom Telefonanbieter Datendienste anbieten zu können (so genannter „shared access“), sowie mit der Vergabe von Frequenzen für die drahtlose Teilnehmeranschlussleitung (WLL) und die dritte Mobilfunkgeneration UMTS wurden aus Sicht der Bundesregierung in Deutschland die regulatorischen Voraussetzungen für die Schaffung von Wettbewerb im Ortsnetz realisiert. Neben einigen bundesweit tätigen Wettbewerbern der Deutschen Telekom kommt insbesondere regional tätigen Teilnehmernetzbetreibern eine hohe Bedeutung für den Wettbewerb um den Kunden vor Ort zu. Auch wenn die Deutsche Telekom bis Ende 2000 erst circa 320 000 Teil- nehmeranschlüsse an Wettbewerber vermietet hatte – Quelle: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Jahresbericht 2000 –, ist dies im internationalen Vergleich eine beachtlich hohe Zahl. Bislang gibt es in keinem europäischen Land vergleichbar viele Teilnehmer- anschlüsse in Händen anderer Anbieter auf Basis der vom Incumbent gemieteten Teilnehmeranschlussleitung. Durch die jüngste Entscheidung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, die Entgelte in diesem Be- reich um gut 5 Prozent abzusenken, wurden die Möglich- keiten der Wettbewerber weiter verbessert. Ende 2000 gab es bereits 95 Verträge zwischen der Deutschen Telekom und ihren Wettbewerbern über den Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung. Auf der Grund- lage dieser Verträge bzw. auf der Basis eigener Teilneh- mernetze bieten derzeit circa 52 Lizenznehmer neben der Deutschen Telekom einen Direktanschluss zum Kun- den an. In etwa 51 Prozent der 188 deutschen Städte mit über 50 000 Einwohnern sowie in einer Reihe von Orten des Umlandes können die Verbraucher bereits zwischen der Deutschen Telekom und einem Wettbewerber, in manchen Städten sogar mehreren Wettbewerbern, aus- wählen. In Ansätzen können wir derzeit beobachten, dass sich in absehbarer Zukunft durch den Aufbau alternativer Technologien ein stärkerer Wettbewerb um Telefonan- schlüsse entfalten wird. So wird der Aufbau dialogfähiger Breitbandkabelnetze dazu führen, dass über die heutige Fernsehinfrastruktur künftig in größerem Umfang Tele- fon-, Internet- und Fernsehdienste angeboten werden kön- nen. Derzeit investieren zwei neue Kabelnetzbetreiber in den Ausbau der Breitbandkabelnetze. Weitere Impulse sind von alternativen Technologien wie Powerline oder WLL und nicht zuletzt auch von UMTS zu erwarten. Wir sehen vor diesem Hintergrund keinen Bedarf an zusätz- lichen ordnungspolitischen Maßnahmen zur Schaffung von Wettbewerb im Ortsnetz. Durch die jüngste Verordnung der EU über den ent- bündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss hat sich die Regulierungsintensität in Deutschland nicht grundsätz- lich geändert, da entsprechende Vorgaben bereits seit In- Kraft-Treten des Telekommunikationsgesetzes und der Netzzugangsverordnung existieren. Es macht wenig Sinn, sich in den aktuellen Streit um die Umsetzung dieser Richtlinie einzumischen. Allerdings sei darauf hingewie- sen, dass gesetzlich und regulatorisch schon lange Mög- lichkeiten für den Wettbewerb auf der letzten Meile be- stehen. Dass die Kunden diese Möglichkeiten nicht stärker nutzen und der Wettbewerb sich nur schwach entwickelt, hat seine Ursache nicht vorrangig in gesetzlichen oder re- gulatorischen Vorgaben oder in der Höhe der Miete. Viel- mehr geht es um die reine Ökonomie, wenn sich feststel- len lässt, dass die Gewinnmargen für Wettbewerber im Fernbereich die realisierbaren Renditen im Ortsnetzbe- reich anfangs deutlich überschritten. Zudem ist es erheb- lich schwieriger, Kunden komplett von der Deutschen Te- lekom abzuwerben, als Call-by-Call-Gespräche zu vermarkten. Komplettangebote implizieren Vertragskün- digungen der Kunden bei der Deutschen Telekom und den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118154 (C) (D) (A) (B) Neuabschluss eines Vertrages mit einem Wettbewerber. Die zunächst geringe Akzeptanz von Preselection-Ange- boten zeigt, dass die Wechselbereitschaft der Kunden nur dann hoch ist, wenn die Einsparpotenziale hoch und die Wechselkosten sehr niedrig liegen. Vor dem Hintergrund der überaus positiven Wettbe- werbsentwicklung in weiten Teilen des deutschen Tele- kommunikationsmarktes und des technisch und regulato- risch bedingten zunehmenden Wettbewerbspotenzials im Ortsnetzbereich sehen wir kurzfristig keinen Anlass, ge- sonderte Änderungen am Ordnungsrahmen vorzunehmen. Damit sind wir wieder beim Ordnungsrahmen und des- sen Gestaltung. Wenn wir mein Thesenpapier vom De- zember nehmen und daneben halten, was seither schon geschehen ist, erkennen wir die Dynamik nicht nur des Marktes, sondern auch der regulierungspolitischen De- batte. Ob Teilmärkte, ob Rückbau von Regulierung, ob Konvergenz – vieles, was seinerzeit zu heller Aufregung führte, ist heute Teil der Praxis oder einer breiteren Dis- kussion. Was ich damals veröffentlichte, ist heute An- tragstext der Regierungskoalition. Was damals von Ein- zelnen mit heftigen Protesten bedacht wurde – etwa von VATM –, dazu wird heute erklärt, damit könne man leben. Über eines bestand von Anfang an Klarheit. Wir wol- len keine Verunsicherung, wir wollen keine gesetzlichen Änderungen im Hauruckverfahren. Aber wer Veränderun- gen zur Kenntnis nimmt und darauf reagieren muss, muss gerade im Interesse von Berechenbarkeit und Zuverläs- sigkeit rechtzeitig die notwendigen Debatten anstoßen. Diese lassen sich nicht mit Verdächtigungen eröffnen. Die letzten Monate haben gezeigt, dass solche Debat- ten bei uns im Land gut möglich sind. Sie haben auch ge- zeigt, dass die Regulierungspraxis kein starres Konzept ist. Wenn die Flexibilität im derzeitigen Rechtsrahmen ge- nutzt wird, kommen wir bis zum Ende dieser Legislatur- periode ohne Gesetzesänderungen aus. Auf mittlerer Sicht, also ab 2003, bestehen jedoch An- haltspunkte für eine Rückführung der sektorspezifischen Regulierung und ihre Anpassung an die neuen Verhältnisse. Dann werden auch die Ergebnisse der gegenwärtigen Über- prüfung des europäischen Rechtsrahmens vorliegen und zu beachten sein. Ansätze für eine Weiterentwicklung des deutschen Ordnungsrahmens hat die Bundesregierung be- reits in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht der Re- gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 1998/1999 und zum Sondergutachten der Monopolkom- missions „Wettbewerb auf Telekommunikation- und Post- märkten“ entwickelt. Ich würde mich freuen, wenn wir über diese Weiterent- wicklung gemeinsam diskutieren könnten. Berechenbar- keit und Ernsthaftigkeit machen es erforderlich, rechtzei- tig zu beginnen. Die Große Anfrage der CDU/CSU läuft zwar wieder einmal dieser Debatte hinterher, ist aber in ih- rer Beantwortung eine wichtige Diskussionsgrundlage. Vor einigen Irrungen und Wirrungen der Opposition sei allerdings abschließend noch gewarnt: Erstens. Vor dem Kaputtreden des Informations- und Kommunikationsstandortes Deutschland. Nirgendwo hat sich die Branche so dynamisch entwickelt wie bei uns, sind auch die Internettarife so schnell gesunken, ist die Mobilkommunikation so fortgeschritten und sind selbst im Ortsnetzbereich so viele Wettbewerber mit eigenen Anschlüssen da. Ich muss mich schon manchmal wun- dern, wie die Union – allgemein stolz auf Deutschland – und die nationalliberal gewandte F.D.P. sich vor den Kar- ren von Interessen spannen lassen und die Situation ge- rade in der TK-Branche im In- und Ausland systematisch schlecht reden. Zweitens. Vor einer doppelzüngigen Rollenzuweisung an die Politik. Einerseits verweigern Union und F.D.P. bis- her die Diskussion im Grundsatz, in den langen Linien über die notwendigen Korrekturen in der Regulierungs- praxis, wie es sie bis Ende 2000 gab. Begründung: politi- scher Druck auf die Regulierungsbehörde für Telekom- munikation und Post. Gleichzeitig finden wir andererseits zu fast jeder einzelnen Regulierungsentscheidung die ein- schlägigen Presseerklärungen von Union und F.D.P. Dazu geben sie regelmäßig ihren Senf ab. Das passt nicht zu- sammen. Drittens. Leider gibt es zunehmend Versuche, Regulie- rung der Politik für unternehmerisches Versagen haftbar zu machen. Die derzeitige Marktbereinigung, die abseh- bar war und in weiten Teilen unumgänglich ist, versuchen Sie der Bundesregierung ans Bein zu schmieren. Dazu darf ich Michael K. Powell, den Vorsitzenden der FCC der USA, zitieren: „... in dieser Phase stetiger Veränderungen ... suchen viele den Schutz der Regulierung, um sich so vor dem rauen Sturm des Wettbewerbs zu schützen. Andere (oft sind es dieselben Leute) versuchen, Regulierung aktiv einzusetzen, um einem Konkur- renten zu schaden oder ihn zu belasten.“ Ich füge hinzu: Oft sind es auch die, die an anderer Stelle nach Wettbewerb pur rufen. Wir bekennen uns zur gesellschaftlichen und politi- schen Verantwortung auch und gerade für eine liberali- sierte Wettbewerbsbranche. Treten Sie mit uns in die De- batte darüber ein, anstatt je nach Belieben mal nach dem Markt und mal nach der Bundesregierung zu rufen. Wir bieten als Koalitionsfraktion mit unserem Antrag dazu eine gute Grundlage an und warten auf Ihr Angebot im po- sitiven Wettbewerb. Ulrich Kelber (SPD): Noch vor einigen Jahren begann ein Telefongespräch mit meinen in den USA lebenden Verwandten damit, diese wegen der dort sehr viel niedri- geren Telefontarife um einen Rückruf zu bitten. Heute te- lefoniere ich von Deutschland in die USA für den halben Preis wie in die Gegenrichtung. Schon dieses eine Beispiel zeigt den Erfolg des Wett- bewerbs auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt und auch den Erfolg der Regulierung bzw. der Regulie- rungsbehörde. Noch immer sinken die Telefontarife in un- serem Land, wenn auch wesentlich langsamer. In ihrem Antrag zeigt die SPD auf, welche Maßnahmen den Wett- bewerb stärken, Investitionen erleichtern und die Regu- lierung weiter modernisieren sollen. Ich will dabei auf drei Aspekte eingehen: Konvergenz der verschiedenen Technologien, europäische Harmoni- sierung der Regulierung und Stetigkeit der Regulierung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18155 (C) (D) (A) (B) Zur Konvergenz. Medien, Telekommunikation und In- formationstechnologie werden technologisch eine Einheit und auch die Branchen wachsen zusammen. Das zeigen nicht nur die Megafusionen. Diese Konvergenz muss auch die Regulierungspolitik berücksichtigen. Die dazu bisher gemachten Aussagen der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und Monopolkommission reichen nicht aus. Im privaten Fernsehbereich wird ein Quasi-Duopol ge- duldet, während in der Telekommunikation hart reguliert wird. Hier muss es zu einer Einheitlichkeit der Regulie- rung kommen, die auch ein neues Gleichgewicht zwi- schen Bundesländern, Bund und Europa erfordert. Wir brauchen eine neue Kommunikationsordnung in Deutsch- land; sonst droht die EU hier Kompetenzen an sich zu zie- hen. Zur europäischen Harmonisierung der Regulierung. Die europäischen Telekommunikationsmärkte müssen harmonisiert werden. Dazu gehören vor allem faire und vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Dies ist heute in der EU nicht gewährleistet, übrigens auch zulasten unse- rer deutschen Unternehmen. Während die Monopolisten anderer Länder sich, mit ihren Monopolgewinnen ge- stärkt, frei auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt bewegen können, werden deutsche Unternehmen in Tei- len des EU-Auslands trotz klarer EU-Regelungen in ihrer Betätigung behindert. Zu dieser Harmonisierung ist keine Ausweitung der Kompetenzen der EU-Kommission notwendig. Die SPD lehnt die von der EU gewünschten Möglichkeiten des Eingriffs in die Entscheidungen der nationalen Regulie- rungsbehörden ab. Von diesen nationalen Behörden er- warten wir eine stetige Politik. Zur Stetigkeit der Regulierung. Die Arbeit der Regu- lierungsbehörde für Telekommunikation und Post war bisher durch Einzelentscheidungen geprägt – durchaus nicht ganz freiwillig. Auslöser waren Anträge, Beschwer- den und ein kurzfristiger Entscheidungsbedarf im begin- nenden Wettbewerb. Die Unternehmen brauchen jetzt aber zunehmend Berechenbarkeit, Transparenz und Plan- barkeit von Entscheidungen. Dazu bedarf es einer noch vorausschauenden Regulie- rungspolitik. Grundsatzfragen müssen zunächst, breit dis- kutiert werden und danach von der Regierungsbehörde für Telekommunikation und Post in Eckpunkte gefasst werden. Regulierungspolitik muss auch deutlich machen, wo Regulierung unter bestimmten Umständen wieder zurückgefahren, der Markt also dereguliert werden kann. Die Unternehmen brauchen einen zuverlässigen Rahmen für ihre Investitionen, insbesondere für die Investitionen in Infrastruktur. Investitionen dürfen nicht durch eine überraschende Regulierungspolitik entwertet werden. Wohin ein Wettbewerb auf Kosten der Infrastruktur führt, zeigen der englische Bahnbetrieb und die kalifornische Energieversorgung. Das wollen wir in Deutschland und für das Telekommunikationsnetz nicht. Es ist ein wichti- ger Standortvorteil, dass wir das modernste Telekommu- nikationsnetz der Welt haben. Damit das so bleibt, brauchen wir die Investitionen, die europäische Harmonisierung und die Konvergenz der in Deutschland erfolgreichen Regulierungspolitik. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Wer wollte es bestreiten? Der für den Wettbewerbsstandort Deutschland wohl wichtigste und bislang innovativste Zukunftsmarkt, die Telekommunikation, befindet sich in einer mehr als kritischen Phase. „Nur wenige werden überleben“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Arthur D. Littl be- hauptet gar, dass von den 400 Unternehmen der Festnetz- branche gerade mal 20 überleben werden. Die wohlmei- nendsten Prognosen, die ich kenne, rechnen immerhin noch mit 50 Prozent der Unternehmen, die in der Branche in den nächsten 12 Monaten verschwinden werden. Welch ein krasses Bild, meine Damen und Herren, im Gegensatz zur Selbstbeweihräucherung dieser Bundesre- gierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage, die wir aus erkennbarer Sorge um diese Entwicklung im Januar diesen Jahres gestellt haben. Spätestens da, als Sie endlich Ende April die Antwort verfasst hatten, hätten Sie doch die ernsthafte Lage erkennen können, in der sich die Bran- che befindet. Aber ähnlich wie bei der kritischen Lage der Baubranche, ähnlich wie bei der Verlängerung des Post- monopols, wo Sie ebenfalls Wettbewerber der Branche in die Krise treiben, und ähnlich wie gestern in der Kom- mentierung der Arbeitslosenzahlen, haben Sie nichts zu bieten, als das sattsame Herunterbeten von Erfolgszahlen, die Sie den Reformen der Vorgängerregierung zu verdan- ken haben. Wie Hohn müssen es die 61 000 Mitarbeiter bei den Wettbewerbern der Telekom empfinden und ins- besondere auch die Betriebsräte und 6 000 Mitarbeiter von DB-KOM, -Arcor, wenn Sie schreiben, „Die Bun- desregierung beurteilt die Wettbewerbssituation auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt positiv.“ Drei Jahre haben Sie außer der Vereinnahmung von 100 Millionen DM an UMTS-Lizenzgebühren und den skurilen Einnahmen aus der zweiten Börsentranche mit 61 Euro pro Telekom-Aktie keinen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs geleistet. Im Gegen- teil: Mit dem so genannten Barthel-Papier im Dezember 2000 und mit der jüngsten Äußerung des von mir sonst sehr geschätzten Staatssekretärs Tacke – beide wollen die sektorspezifische Regulierung zurückdrehen – wurde er- heblich zur Verunsicherung des Marktes beigetragen. Vor allem das so genannte Barthel-Papier hatte doch ver- heerende Wirkungen auf ausländische Investoren, weil es exakt auf den Wechsel an der Spitze der Regulierungs- behörde fiel. So wie bei mir sind diese amerikanischen In- vestoren doch auch bei Ihnen gewesen, um zu fragen: Was ist denn hier geplant? Lohnt es sich noch in den deutschen TK-Markt zu investieren? Man muss schon regelrecht erleichtert sein, wenn die Bundesregierung wenigstens in der Frage des Breitband- kabelnetzes davon spricht, „dass die deutschen Telekom- munikationsmärkte ohne Einschränkung auch für auslän- dische Gesellschaften offen sind“, und sie begrüßt „ausdrücklich das Engagement ausländischer Unterneh- men, die hierzulande Arbeitsplätze sichern und schaffen“. Man ist versucht, gedanklich das Kanzlerwort hinzuzufü- gen: Wir haben verstanden. Möglicherweise richtet die Bundesregierung diese Antwort vor allem an die eigenen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118156 (C) (D) (A) (B) Genossen. Dies alles würden wir ja gerne glauben, wenn da nicht genau an den Stellen, wo wir Sie um konkrete ordnungspolitische Antworten bitten, nur ausweichende Allgemeinplätze lesen müssen. In dieser Woche sind uns zwei weitere wichtige Stellungnahmen zur Wettbewerbs- situation am TK-Markt auf den Tisch gekommen. Es ist das Weißbuch des Verbandes der Anbieter von Telekom- munikations- und Mehrwertdiensten e. V., VATM, und es sind der Bericht des Bundeskartellamtes und die Stellung- nahme der Bundesregierung zur Marktöffnung im TK- Bereich. Die beiden Berichte stellen, im Gegensatz zu den Beschwichtigungen der Bundesregierung, die prekäre Si- tuation wie sie sich heute darstellt, ungeschminkt vor. Ja, die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post unter neuer Leitung hat in den vergangenen sechs Monaten Entscheidungen getroffen! Aber sie hat Ent- scheidungen getroffen, die entweder den Infrastruktur- wettbewerb im Ortsnetz zementieren oder, wie wir zum Beispiel bei line-sharing erleben müssen, ignorieren, dass marktbeherrschende Unternehmen Anordnungen der Re- gulierungsbehörde einfach nicht befolgen. Es geht fast schon aus Gewohnheit über alle Gerichtsinstanzen. Das meiste aber erreicht es – das muss man leider neidlos fest- stellen – mit einem engen Beziehungsnetz, in der es seine ganze Marktmacht ausspielt. Demgegenüber sagen Wett- bewerber: Wir haben nicht einmal mehr die Mittel, um un- sere Interessen juristisch durchsetzen zu können. Aber es sind ja, wie der VATM prognostiziert, nur etwa 20 000 Arbeitsplätze, die wegen wettbewerbsorientierter Fehl- entwicklungen in den nächsten zwölf Monaten vermut- lich verloren gehen, und es trifft ja, wie die Bundesregie- rung sagen wird, nur mittelständische Betriebe, und im Übrigen sind wir sowieso in einem Rekordjahr der Kon- kurse; da kommt es also auf 100 TK-Firmen weniger nicht an. Im Übrigen hatte die SPD schon immer für die jungen Unternehmen der TK-Branche als so genannte Rosinen- picker nur Hohn und Spott übrig. Eine in meinen Augen krasse Fehlentscheidung, die wohl einmalig in der Ge- schichte Deutschlands in einem Wettbewerbsverfahren ist, war im Übrigen die wettbewerbsfeindliche Entschei- dung am 30. März zum Produktangebot T-DSL, durch die einem marktbeherrschenden Unternehmen Preisdumping erlaubt wird. Dieses wird verheerende Folgen auf die auch von der Bundesregierung in ihrer Antwort geforderten al- ternativen Anschlusstechnologien haben. Damit würde Wireless-Lokal-Loop kaputtgemacht, weil es sich nie mehr rechnet. Viel schlimmer aber ist, dass damit auch die Hoffnung auf einen dialogfähigen Ausbau des soeben nach England und Amerika verkauften Breitbandkabels auf lange Sicht begraben werden kann. Dieses Kabel wird lediglich noch zur Vervielfachung von Fernsehkanälen gebraucht Durch die Preisdumpingentscheidung bei DSL rechnet sich kein Geschäftsmodell alternativer Netzinfrastruktur mehr. Wie sagt heute in der „Berliner Zeitung“ der Chef von Arcor, Harald Stöber, wörtlich: „Wer da vom nahen- den Ende des Ortsnetzmonopols redet, betreibt politische Rhetorik.“ Nun werden Sie aber für die Interessen der Verbraucher und der mittelständischen Branche der TK-Wettbewerber nur Hohn und Spott übrig haben, während Sie vermutlich die Entwicklung der Remonopolisierung als Marktberei- nigung begrüßen. Dazu sagen Sie ja wörtlich in ihrer Ant- wort in Punkt 10 auf unsere Anfrage, dass das TKG genü- gend Aufgreiftatbestände für mögliches Missbrauchs- verhalten der DTAG hat, und im Übrigen ja auch noch das Bundeskartellamt da sei. Wenn Sie das so meinen, wie Sie hier schreiben, dann lesen Sie aber auch bitte den Bericht des Bundeskartellamtes, in dem seitenweise Bedenken gegen jüngste Regulierungsentscheidungen vorgetragen werden. Es ist für mich ein trauriges Bekenntnis, wenn ich sage, die historisch gewachsene Unabhängigkeit des Kartell- amtes wäre aus heutiger Sicht vermutlich die effizientere Lösung als die Regulierungsbehörde, obwohl sie doch als sektorspezifische Einrichtung nach dem Gesetz für ra- schen Wettbewerb sorgen sollte. Nur ein paar Stichworte: Ich denke, nachdem im Bereich Zusammenschaltung „EBC“ durch die Telekom ebenfalls verhindert wurde, sollte das bestehende System beibehalten werden und die nächste Generation IP-basierender Voraussetzung abge- wartet werden. Das erspart wenigstens unnötige Investi- tionen. Wegen der Weigerung des marktbeherrschenden Unternehmens, live-sharing einzuführen, muss dringend die Dumping-Genehmigung der T-DSL überprüft werden. Die Glaubwürdigkeit der Regulierungsbehörde muss wie- der hergestellt werden. Nach der für die Beschlusskam- mer der Regulierungsbehörde vernichtenden Stellung- nahme der Kartellbehörde auf den Antrag von Talkline auf Zusammenschaltung der ATM-Netze ist die Regierung aufgefordert, darauf zu drängen, dass § 82 TKG stärker beachtet wird und die Stellungnahme des Kartellamtes nicht nur pro forma eingeholt wird, sondern deren Argu- mente auch ernsthaft geprüft werden. Die sich mehrende Kritik aus dem Europäischen Parlament an der schlep- penden Umsetzung der Öffnung des Ortsnetzes hat auch die EU-Kommission erreicht; sie hat der deutschen Re- gierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht. Die Regierung darf sich nicht wundern, dass sie aus dem Kreis der Wettbewerber immer weniger Unterstützung er- hält, die Befugnisse der Regulierung auch künftig als na- tionale Kompetenz zu erhalten. Das Vertrauen in die Wettbewerbspolitik dieser Regierung schwindet jeden Tag mehr. Man vertraut da eher der EU-Kommission. Das war, wie Sie wissen, bisher nicht so und das sollte Ihnen zu denken geben. Weil es nach dem Telekommunikati- onsgesetz politischer Wille ist, für Wettbewerb im Tele- fonmarkt zu sorgen, muss es auch erklärtes Ziel der Be- teiligten sein, diesen Wettbewerb für eine Übergangszeit zu fördern, und zwar so lange, bis von den neuen Kon- kurrenten des einstigen Monopollisten erwartet werden kann, alle betriebswirtschaftlichen und technischen Funk- tionen selbst zu übernehmen und finanziell zu tragen. Das fördern Sie am besten dadurch, dass Sie keinen politi- schen Druck auf die Regulierungsbehörde ausüben. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Wett- bewerb ist auch in der Telekommunikation kein Selbst- zweck; er soll vielmehr den Kunden nutzen, dem Fort- schritt dienen und schließlich zu neuen Arbeitsplätzen in Deutschland führen. Die Liberalisierung des Telekommu- nikationsmarktes 1998 durch die unionsgeführte Bundes- regierung hat die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre in Deutschland, die in der Antwort zur Großen Anfrage Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18157 (C) (D) (A) (B) dargestellt ist, ermöglicht. Die jetzige Bundesregierung erntet die Früchte, die die frühere gesät hat. Der damalige Postminister Bötsch musste seine Reform gegen den Wi- derstand von Länderministerpräsidenten wie Eichel und Schröder durchsetzen. Zur künftigen Wettbewerbspolitik in der Telekommu- nikation einige grundsätzliche Feststellungen: Die Wett- bewerbssituation kann nicht allein im nationalen Rahmen, sie muss vielmehr weltweit gesehen werden. Dement- sprechend geht es in erster Linie nicht darum, die Deut- sche Telekom AG gegenüber den Mittelständlern in Deutschland, sondern die Deutsche Telekom AG gegen- über finanzstarken internationalen Gesellschaften zu stär- ken. Dabei muss bewusst bleiben, dass es für Deutschland wichtig ist, eine starke Deutsche Telekom AG zu haben. Ein Zweites ist wichtig: Es kann nicht darum gehen, dass nur in Deutschland die Märkte geöffnet und der Wettbe- werb verstärkt wird, während in anderen Ländern nach wie vor eine hinhaltende Abschottungspolitik betrieben wird. Aus der Fülle der Wettbewerbsthemen möchte ich ei- nes herausgreifen: die Flatrate. Im vergangenen Jahr hat sich der Bundeskanzler in der Ankündigung gesonnt, es werde ein flächendeckendes Angebot einer Full-Flatrate zu bezahlbaren Preisen geben. Das Glück hat nicht lange gedauert. Jetzt gibt es nur für ausgewählte Gebiete und praktisch nur von einem einzigen Anbieter, der Deutschen Telekom AG, in T-DSL ein Angebot. Fast alle anderen Anbieter sind verschwunden. Die Bundesregierung hat in diesem Falle wieder einmal Erwartungen geweckt, die sie nicht erfüllen kann. Schließlich möchte ich noch einige Worte zum Koali- tionsantrag auf Drucksache 14/5693 sagen. Im letzten Punkt dieses Antrages wird sozusagen unter „ferner lie- fen“ das Thema Elektrosmog aufgegriffen. Ist das die Pri- orität der Koalition für die Sorgen der Bürger? Die spe- kulativen Äußerungen des Bundesumweltministers über eine Grenzwertveränderung sind jedenfalls wenig hilf- reich. Wo ist die Aufforderung an die Bundesregierung, Forschungsvorhaben in Auftrag zu geben, um die Grenz- werte zu untermauern und damit die Diskussion auf eine stabilere sachliche Grundlage zu bringen? Wo ist im An- trag die Forderung nach einer öffentlichen und wirksamen Unterstützung der Mobilfunkgesellschaften durch die Bundesregierung? Wer 100 Milliarden DM abkassiert hat und die Betreiber im Regen stehen lässt, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für den Betrieb zu schaffen, ist unglaubwürdig. Die Koalition und die Bundesregierung sollten dieses Thema, das vielen Bürgern auf den Nägeln brennt und für die Entwicklung der Telekommunikation in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist, ernster nehmen. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Informations- und Kommunikationstechnologien sind eine der am schnellsten wachsenden Branchen. Allein bei Wettbewerbern der Telekom sind 60 000 Ar- beitsplätze entstanden. Wir wollen die Rahmenbedingun- gen optimal gestalten, damit die Beschäftigungspoten- ziale ausgeschöpft werden können. Die Debatte um die „New Economy“ wird zurecht auch unter dem Begriff „Netzwerkökonomie“ geführt: Auf der Basis der schnellen und kostengünstigen Kom- munikation entstehen neue Geschäftsmodelle im Internet. Niedrige Telekommunikationskosten sind die Voraus- setzung für die soziale Gestaltung der Informationsge- sellschaft und für neue Arbeitsplätze in diesem Bereich. Um diese zu gewährleisten ist ein funktionierender Wett- bewerb notwendig. Innovationen werden vor allem von kleinen und mitt- leren Unternehmen vorangetrieben. Bei Ihnen entstehen die meisten Arbeitsplätze. Optimale Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen sind entscheidend für die positive Entwicklung der Beschäftigung im Be- reich Informations- und Kommunikationsdienstleistun- gen. Aufgrund der nach wie vor stark von früheren Mono- polisten bestimmten Märkte und Besonderheiten des Wett- bewerbs in netzwerkartigen Infrastrukturen benöti- gen wir hier besondere Regulation. Nach dem Telekom- munikationsgesetz hat die RegTP die Voraussetzungen für funktionierenden Wettbewerb zu schaffen. Ziele der sektorspezifischen Regulation der RegTP ist es nach dem Telekommunikationsgesetz vor allem: Wettbewerb zu fördern, die flächendeckende Grundver- sorgung für Telekommunikationsdienstleistungen – Uni- versaldienstleistungen – zu erschwinglichen Preisen si- cher- stellen. Wettbewerb von Netzwerken braucht klare wettbe- werbliche Regeln. Diese müssen mit dem notwendigen Nachdruck durchgesetzt werden. In den letzten Wochen haben uns die Wettbewerber der Deutschen Telekom und ihre Verbände intensiv über viel- fältige Behinderungen durch die Deutsche Telekom infor- miert. Es ist nicht akzeptabel, dass die Deutsche Telekom die Anordnung der Regulierungsbehörde zum line-sharing nicht umsetzt. Die Anordnungen der Behörde müssen auch während eines laufenden Verfahrens von der Tele- kom umgesetzt werden. Alles andere wäre das Ende jeden Wettbewerbs ehe er richtig begonnen hat. Die Entscheidung der RegTP, die zu niedrigen Preisen – man kann berechtigt von Dumpingpreisen sprechen – der Telekom bei DSL zu akzeptieren, hat zur Herausbil- dung eines faktischen Monopols in dieser neuen Techno- logie geführt. Auch lnvestitionen in technischen Alterna- tiven machen nun keinen Sinn mehr. Vor diesem Hintergrund sollte diese Entscheidung überdacht werden. Wir brauchen endlich Wettbewerb im Ortsnetzbereich. Hier hat die Telekom dem Präsidenten der RegTP zuge- sagt, die Rückstände bei der Bereitstellung von Infra- strukturen im Ortsnetzbereich bis Ende Oktober aufzu- holen. Investitionen auch gerade ausländischer Unternehmen in die Infrastrukturen benötigen Planungssicherheit. Dem muss mit der Regulierungspolitik Rechnung getragen werden. Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen fairen Wett- bewerbsrahmen. Wir werden die Kritik der Wettbewerber an der Regulierungsbehörde sehr genau prüfen und mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118158 (C) (D) (A) (B) der Regulierungsbehörde darüber Gespräche führen, wie mehr Planungssicherheit für die Investoren geschaffen werden kann. Wir begrüßen es, dass die Deutsche Telekom sich end- lich von ihren regionalen Kabelgesellschaften trennt. Endlich entsteht ein alternativer Zugang zu den Haushal- ten, über den der Zugang ins Internet, das Telefonieren und der Empfang von Radio und Fernsehen möglich wird. Wettbewerb durch einen alternativen Zugang auf „der letzten Meile“ wird auch hier zum Sinken der Preise führen. Käuferin der Kabelnetze ist die amerikanische Liberty Media Corporation, die zum AT&T-Konzern gehört und an AOL Time Warner und dem Medien-Imperium von Rupert Murdoch beteiligt ist. Damit besteht die Gefahr, dass Liberty als Besitzerin des Netzes versucht, auf die In- halte der Fernsehprogramme Einfluss zu nehmen. Ein sol- cher Einfluss muss durch eine strikte Aufsicht durch die Landesmedienanstalten und die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation verhindert werden. Faire Zugangsbedingungen zu den Netzen auch für kleine In- halte-Anbieter sind unbedingt notwendig. Rainer Funke (F.D.P.): Will man sich dem Thema der aktuellen Wettbewerbssituation in der Telekommunika- tion seriös nähern, muss man sich zunächst darüber im Klaren werden, welche Wettbewerbsverhältnisse auf dem Telekommunikationsmarkt angestrebt werden sollen. Denn dass wir zurzeit noch keine befriedigende Wettbe- werbssituation haben und demgemäß nur von einem Zwi- schenstadium reden können, scheint mir evident zu sein. Mit der Postreform II haben wir uns entschieden für die Einführung eines asymmetrischen Wettbewerbs. Das heißt mit anderen Worten, dass der normalerweise anzu- strebende symmetrische Wettbewerb uns damals noch nicht als durchführbar erschien, weil der bisherige Mono- polist mit seiner Marktmacht alle Wettbewerber aufgrund seines technischen Know-hows, seiner Kapitalkraft und seiner Kabelnetze hätte behindern und jeden Wettbewerb hätte verhindern können. Um anderen Wettbewerbern die- sen Zugang zum Telekommunikationsmarkt zu ermögli- chen, ist die Regulierungsbehörde als ordnende Kraft ein- geführt worden. Diese Entscheidung für den asymme- trischen Wettbewerb war richtig. Richtig ist auch das Ziel eines symmetrischen Wettbewerbs ohne Regulierungs- behörde, wobei die Missbrauchsaufsicht später durch das Kartellamt durchgeführt werden soll. So weit sind wir aber noch nicht. Denn der Exmono- polist Telekom verteidigt seine Marktstellung mit allen Mitteln. Die Deutsche Telekom versucht alles, um die Öffnung der letzten Meile für den Wettbewerber zu ver- zögern, auch unter Hinweis auf angebliche technische Schwierigkeiten. Sie versucht den zukunftsträchtigen DSL-Markt zu monopolisieren und nimmt deshalb bei der Preisgestaltung Kostenunterdeckung in Kauf. Sie wird dabei auch von der Regulierungsbehörde unterstützt, denn die Regulierungsbehörde zeigt keine Neigung, das Verfahren über die Preissetzung bei DSL-Anschlüssen gegen die Telekom wieder aufzunehmen. Ich halte es auch nicht für gut, dass die Telekom über Gerichtsverfahren und angebliche technische Hindernisse versucht, bei DSL eine monopolartige Stellung aufzu- bauen. Dies widerspricht unserer Überzeugung, dass nur fairer Wettbewerb unter den Marktteilnehmern dazu ge- eignet ist, den Markt zu entwickeln und Innovationen durchzusetzen. Das Verhalten der Telekom führt eher dazu, dass der asymmetrische Wettbewerb noch länger aufrechterhalten werden muss, was wir langfristig nicht wollen. Wir begrüßen dagegen, dass die Telekom hinsichtlich der Breitbandkabel aus der Not eine Tugend gemacht hat und dieses Kabelnetz an dritte Kapitalanleger veräußert hat. Wir fordern die Telekom auf, sich dem Wettbewerb of- fensiv zu stellen und nicht durch zahlreiche Klagen gegen die Entscheidungen der Regulierungsbehörde oder Wett- bewerber Zeit zu schinden. Im Ergebnis wird jeder faire und vernünftige Wettbewerb der Telekom, den Wettbe- werbern den Mitarbeitern der Telekommunikationsunter- nehmen und vor allem den Verbrauchern nutzen. Wir sind darüber froh, dass wir in Europa auf dem Telekommuni- kationsmarkt hinsichtlich der Liberalisierung eine Vorrei- terrolle spielen. Dies sollte nicht durch regulatorische Maßnahmen der Bundesregierung rückgängig gemacht werden. Die Liberalisierung ist eine Erfolgsstory und sollte zügigst weiterbetrieben werden. Gerhard Jüttemann ( PDS): Erich Kästner hat einem seiner Gedichten den schönen Titel „Wo bleibt das Posi- tive, Herr Kästner?“ gegeben. Dem in dieser Frage ver- steckten Vorwurf wollten sich die Autoren der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU offensichtlich nicht aussetzen. In dieser Ant- wort blühen die Landschaften der Telekommunikation ähnlich wie die des Ostens. Und wie dort haben die Dar- stellungen der Bundesregierung mit der Realität wenig gemein. Ich erlaube mir deshalb, Kästners Frage leicht abzu- wandeln in: „Wo bleibt das Negative?“ Dass die so ge- nannte Wettbewerbssituation im Telekommunikations- sektor nicht so rosig ist, wie die Bundesregierung uns glauben machen will, steht ja jeden Tag in der Zeitung. Die Aktienkurse am Neuen Markt fallen und fallen, weil die Märkte so gut wie gesättigt sind und die gigantischen Investitionen sich kaum noch amortisieren können. Darum hat die Regulierungsbehörde jetzt auch ver- nünftigerweise grünes Licht dafür gegeben, dass die UMTS-Anbieter beim Aufbau ihrer Netze Grundstücke, Masten, Antennen, Kabel und andere technische Einrich- tungen gemeinsam nutzen können. Natürlich ist das nichts anderes als eine Einschränkung des Wettbewerbs. Denken Sie weiter in diese Richtung. Dann kommen Sie vielleicht auch darauf, dass man zum Telefonieren eigentlich nur ein Netz braucht und nicht fünf oder sechs. Diese einfach zu verstehende Tatsache ist auch der Grund dafür, dass das Sterben der kleinen Anbieter bereits begonnen hat – siehe Teldafax. Das Sterben der Größeren steht unmittelbar bevor; übrig bleiben die Giganten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18159 (C) (D) (A) (B) Von den unappetitlichen Begleiterscheinungen dieses Telekommunikationsmonopoly wie dubiose Abfindungs- zahlungen an ehemalige Topmanager in zweistelliger Millionenhöhe, für die sich auch schon mal der Staats- anwalt interessiert, will ich hier gar nicht reden, dafür aber auf einen anderen Widerspruch aufmerksam machen. Während in Deutschland allein im vergangenen Jahr 25 Millionen Handys verkauft worden sind, hat die Hälfte der Menschheit noch nie im Leben ein Telefongespräch geführt. In den am wenigsten entwickelten Ländern gibt es gerade einmal vier Telefonanschlüsse je tausend Men- schen. Daraus ist zu schlussfolgern: Die Aufgabe der Po- litik sollte eigentlich nicht darin bestehen, die vermeint- lich günstigsten Bedingungen für den Wettbewerb zu schaffen, sondern darin, die Menschheitsprobleme wie Hunger, Armut und Unterentwicklung zu lösen. Der Wettbewerb sollte übrigens auch zu einer Ent- bürokratisierung im TK-Sektor führen. Davon haben Sie exakt das Gegenteil erreicht. Hören Sie sich in der Regu- lierungsbehörde um. Deren Aufgabengebiete nehmen bei zurückgehender Personalausstattung ständig zu. Letzter Punkt: die Arbeitsplätze. Zehntausende Ar- beitsplätze sind vernichtet worden. Allerdings sind in gleicher Anzahl und darüber hinaus neue entstanden. Ein nur vorübergehender Effekt, wie wir in dazu erstellten Studien nachlesen können. Problematisch aber sind die bleibenden Veränderungen in der Arbeitswelt, die der so genannte Wettbewerb ausgelöst hat: befristete Beschäfti- gung, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Tarifflucht, das Ausschalten von Be- triebsräten. Die daraus notwendig entstehenden gesell- schaftlichen Konflikte werden durch Aussitzen nicht zu lösen sein. Und das ist – um auf Erich Kästner zurück zu kommen – das Positive an ihnen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaus- siedlerstatusgesetz – SpStatG) (Tagesordnungs- punkt 26) Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Heute befassen wir uns in der zweiten und dritten Lesung mit dem Gesetz- entwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnis- ses 90/Die Grünen zur Klarstellung des Spätaussiedler- status. Vorweg noch einmal in aller Deutlichkeit: Es geht nicht um ein neues Gesetz, es geht nicht um eine Novel- lierung, es geht letztlich einzig und allein um eine Klar- stellung, um den früheren Rechtszustand beizubehalten. Diese Klarstellung ist notwendig geworden, weil das Bundesverwaltungsgericht in einer Reihe von Entschei- dungen vom 19. Oktober 2000 § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) nunmehr in einer Weise auslegt, die für die Verwaltungspraxis einer weit reichenden Änderung der materiellen Rechtslage gleich- kommt. Damit hat sie in ausdrücklicher Weise den bishe- rigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf- gegeben. Insbesondere wird durch die im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung erfolgte Relativierung des Merkmales „deutsche Sprache“ für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit die Möglichkeit zur Aner- kennung als Spätaussiedler ausgeweitet. Deshalb geht es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einzig und alleine darum, das geltende Recht in der Gestalt, die ihm durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 gegeben worden ist, durch Klarstellungen in der Verwaltungspraxis weiterhin uneingeschränkt zur Gel- tung kommen zu lassen. Letzteres ist insbesondere in einem Punkt nicht mehr gesichert, der die Funktion der so genannten Bestätigungs- merkmale im § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundesvertriebe- nengesetzes betrifft. Bei diesen Bestätigungsmerkmalen, nämlich der familiären – ich betone: der familiären – Ver- mittlung von Deutschkenntnissen, deutscher Erziehung oder Kultur, hat sich im vergangenen Oktober durch eine aus meiner Sicht doch etwas überraschende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Situation erge- ben, die zu großer Verunsicherung bei den zuständigen Verwaltungen geführt und nicht erfüllbare Erwartungen bei den Betroffenen ausgelöst hat. In der Sache geht es darum, dass durch die geänderte Rechtsprechung das besonders bedeutsame Bestätigungs- merkmal „Sprache“, welches unverändert auch für die Feststellung der alternativen Bestätigungsmerkmale „Er- ziehung“ oder „Kultur“ von entscheidender Bedeutung ist, für die Entscheidung darüber, ob der einen Aufnah- mebescheid begehrende Spätaussiedlerbewerber deut- scher Volkszugehörigkeit ist oder nicht, im Grunde ge- nommen keine Bedeutung mehr hat. Aus dieser, zunächst wenig aufregend erscheinenden Veränderung ergibt sich letztlich die Konsequenz, dass es ausreicht, wenn ein Antragsteller darlegen und glaubhaft machen kann, ihm seien während der Zeit seiner fami- liären Prägung familiär Deutschkenntnisse vermittelt worden. Ob diese familiär vermittelten Deutschkennt- nisse bei einer Anhörung im Rahmen des Aufnahmever- fahrens – in der Praxis „Sprachtest“ genannt – noch fest- gestellt werden können, soll dann letztlich nur indikative Bedeutung dafür haben, ob eine derartige familiäre Ver- mittlung früher einmal stattgefunden hat. Sind bei der An- hörung keine Deutschkenntnisse feststellbar, soll der Be- troffene Zeugen anbieten können, die bestätigen, dass er früher in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hat. Diese Zeugen können naturgemäß nur aus dem familiären Umkreis oder dem unmittelbaren Freundes- bzw. Bekann- tenkreis stammen. Auch ohne den in Betracht kommenden Personen hier Täuschungsabsichten unterstellen zu wol- len, gehört wohl nicht viel Fantasie dazu, sich auszuma- len, wohin diese geänderte Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundesvertriebenengesetzes in der Verwal- tungspraxis führen würde. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die gewiss nicht unerfüllbaren Anforderungen bei dem vom Bundesverwaltungsamt im Aussiedlungsgebiet durchge- führten Sprachtest von rund 50 Prozent der Antragsteller gleichwohl nicht erfüllt werden – und dies mit sinkender Tendenz. Es ist indessen auch mit Blick auf die Akzeptanz der Spätaussiedlerzuwanderung nicht vermittelbar, dass jemand als deutscher Volkszugehöriger anerkannt wird, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118160 (C) (D) (A) (B) obwohl er nicht einmal dazu in der Lage ist, ein wirklich einfaches Gespräch in deutscher Sprache – sei es auch in der Form des familiär gepflegten Dialekts – zu führen. Dieses war erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Ge- setzgebers. Gerade deshalb meine ich, dass durch eine deutliche Reaktion in Form des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Klarstellung des Aussiedlerstatus dringender Handlungs- bedarf besteht, um Klarheit zu schaffen. Die bis zur Än- derung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beste- hende Verwaltungspraxis sollte so schnell wie möglich wieder fortgesetzt werden können, bevor eine deutlich fühlbare Zäsur eintritt. Dies alles hat mit dem, was die Zuwanderungskom- mission generell zur künftigen Gestaltung des Zuwande- rungsrechts für Spätaussiedler empfohlen hat, zumindest aus meiner Sicht nichts zu tun. Deshalb halte ich es auch für nicht zulässig, den Versuch zu unternehmen, einen nicht bestehenden Sachzusammenhang zu konstruieren. Ich möchte abschließend insbesondere der Kollegin Eva-Maria Kors und dem Kollegen Hartmut Koschyk von der CDU/CSU-Fraktion ganz herzlich dafür danken, dass es uns gemeinsam gelungen ist, in den Beratungen des In- nenausschusses zu einer einvernehmlichen Lösung zu ge- langen. Für das faire Miteinander möchte ich mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion bei Ihnen ganz herz- lich bedanken. Es ist gut, dass wir heute diese Entscheidung in diesem Hause treffen. Ich möchte zum Abschluss noch einmal an alle appellieren, sich doch dem Votum des Innenaus- schusses vom 4. Juli 2001 anzuschließen. Jochen Welt (Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen): Die Bundesregierung/das Bundesmi- nisterium des Innern hat bereits kurz nach Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe des Urteils des Bun- desverwaltungsgerichts vom 19. Oktober des vergange- nen Jahres, dass heißt Anfang März 2001, in Besprechun- gen mit den zuständigen Verwaltungsbehörden die praktischen Konsequenzen aus der geänderten Rechtspre- chung zur Auslegung des § 6 Abs. 2 BVFG zu klären ver- sucht. Es herrschte große Übereinstimmung darüber, dass aus rein fachlicher Perspektive eine rasche Reaktion des Gesetzgebers zur Wiederherstellung des rechtlichen Sta- tus quo ante in Angriff genommen werden sollte. Ziel war es, die Verwaltung von Feststellungen zu befreien, die sie mit Rücksicht auf die besondere Materie und die beson- deren Umstände nicht treffen kann. Genau dies wäre aber die Folge der Umsetzung der geänderten Rechtsprechung in der Verwaltungspraxis, die zu letztlich nicht zu bewäl- tigenden Problemen der Beweiswürdigung führen würde, indem für die vom Gesetz geforderte familiäre Vermitt- lung von Deutschkenntnissen zulässigerweise Zeugen aufgeboten würden. Von deren Unbefangenheit kann man realistischerweise nicht ausgehen, ohne dass hiermit Un- terstellungen hinsichtlich des Wahrheitswillens der Be- treffenden verbunden sind. Schließlich geht es hier um Fragen, in denen der subjektiven Bewertung ein nahezu unbegrenzter Spielraum eröffnet ist, zumal es sich häufig um länger zurückliegende Sachverhalte handelt. Wohl nicht zuletzt aus diesen und ähnlichen Erwägun- gen hat die von Otto Schily einberufene Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ unter anderem in ihren Empfehlungen zur Frage ob das geltende Recht zur Spätaussiedlerzuwanderung beibehalten oder geändert werden soll, in diesem Punkte für eine rasche Rückkehr zum früheren Zustand plädiert. Aus der Sicht der Bundes- regierung kann dem nur zugestimmt werden. Denn letzt- lich geht es bei diesem Gesetzentwurf alleine darum, das geltende Recht in der Gestalt, die ihm durch das Kriegs- folgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 gege- ben werden sollte, durch einige Klarstellungen in der Ver- waltungspraxis uneingeschränkt zur Geltung kommen zu lassen. Dies ist für die Funktion der so genannten Bestäti- gungsmerkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG jedoch nicht mehr gesichert. Deshalb stellt die Neufassung des gesamten § 6 Absatz 2 in klarstellender Absicht einen richtigen Schritt dar, um die Verunsicherung bei den Be- troffenen und den zuständigen Verwaltungen über das, was nach dieser Änderung der Rechtsprechung in der Verwaltungspraxis maßgebend sein soll, zu vermeiden und nicht erfüllbare Erwartungen bei Betroffenen abzu- bauen. Durch die geänderte Rechtsprechung des Bundesver- waltungsgerichtes kommt dem besonders bedeutsamen Bestätigungsmerkmal „Sprache“ für die Entscheidung da- rüber, ob der Antragsteller deutscher Volkszugehöriger ist und damit auch als Spätaussiedler anerkannt werden kann, im Grunde keine praktische Bedeutung mehr zu. Denn nach der neuen Rechtsprechung soll dieses Bestäti- gungsmerkmal nicht mehr wie bisher funktional als Be- stätigung des für die deutsche Volkszugehörigkeit maßge- benden Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ver- standen werden. Es soll sich vielmehr um ein unabhängi- ges Tatbestandsmerkmal eigener Art handeln, das neben das Bekenntnis tritt. Aus dieser zunächst wenig aufregend erscheinenden Veränderung ergibt sich aber letztlich folgende Konse- quenz: Es soll ausreichen, dass ein Antragsteller darlegt und glaubhaft machen kann, ihm seien in seiner Familie Deutschkenntnisse vermittelt worden. Ob diese familiär vermittelten Deutschkenntnisse bei einer Anhörung im Rahmen des Aufnahmeverfahrens, in der Praxis „Sprach- test“ genannt, noch festgestellt werden können, soll dann letztlich nur indikative Bedeutung haben. Sind bei der An- hörung keine Deutschkenntnisse feststellbar, soll der Be- troffene Zeugen anbieten können, die bestätigen, dass er früher in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hat. Diese Zeugen können naturgemäß nur aus dem familiären Umkreis oder dem unmittelbaren Freundes- bzw. Be- kanntenkreis stammen. Auch ohne den Antragstellern in irgendeiner Weise Täuschungsabsichten unterstellen zu wollen, gehört wohl nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, wohin diese geänderte Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der Verwaltungspraxis führen würde. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass auch heute schon circa 50 Prozent der Antragsteller den Sprachtest im Herkunftsland nicht bestehen – mit sinken- der Tendenz. Ebenso möchte ich anmerken, dass die Qua- lität und das psychologische Umfeld der Durchführung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18161 (C) (D) (A) (B) der Tests in den letzten Jahren stark auch auf die indivi- duellen Möglichkeiten der Antragsteller zugeschnitten worden sind. Auch mit Blick auf die Akzeptanz der Spätaussiedler- zuwanderung ist es nicht vermittelbar, dass jemand als deutscher Volkszugehöriger anerkannt wird, obwohl er nicht einmal dazu in der Lage ist, ein wirklich einfaches Gespräch in deutscher Sprache – sei es auch in der Form des familiär vermittelten Dialekts – zu führen. Dies war erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Gesetzgebers. Dessen ungeachtet ist dem Gesetzgeber zu danken, wenn er durch seine schnelle Reaktion einer Vielzahl überflüssiger Rechtsmittelverfahren in der Verwaltung und vor den Gerichten zuvorkommt und damit zugleich einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Akzeptanz des Spätaussiedlerzuzugs leistet. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion ist gegen weitere Verschlechterungen bei der Spätaussiedler-Aufnahme und gegen weitere Be- grenzungen des Aussiedlerzuzugs. Hilfen für die Integra- tion, die bereits in den Aussiedlungsgebieten beginnen müssen, haben für uns eindeutig Vorrang. Dennoch sind wir durchaus bereit, sinnvolle Änderungen im Aussiedler- Aufnahmerecht, also vor allem im Bundesvertriebenen- gesetz, mitzutragen. Wir nehmen diesbezüglich keine Blockadehaltung ein, müssen aber im Interesse der Aus- siedler von den Regierungsparteien vorgelegte Vor- schläge genau und sorgfältig prüfen. Seit 1996 wird die muttersprachliche Vermittlung der deutschen Sprache bei den Antragstellern, die eine Auf- nahme als Spätaussiedler in Deutschland begehren, mit dem so genannten Sprachtest geprüft. Der Sprachtest diente der Statusfeststellung darüber, ob es sich bei den Antragsteller um einen Volksdeutschen im Sinne des Bun- desvertriebenengesetzes gehandelt hat. Das Bundesver- waltungsgericht hat in Abänderung seiner bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Bedeutung dieses Sprachtestes durch mehrere Entscheidungen vom 19. Ok- tober 2000 relativiert. Die Kenntnis oder Unkenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aussiedlung sei in dieser Hinsicht kein Tatbestandsmerkmal, so das Bundesverwal- tungsgericht, allenfalls ein Indiz für oder gegen eine frühere Vermittlung deutscher Sprache. Diese geänderte Rechtsprechung hat gravierende Auswirkungen auf die seit Einführung der Sprachtests vollzogene Aufnahme- praxis. Aus diesem Grunde haben sich viele Seiten seit- dem für eine Wiederherstellung des Status quo ante aus- gesprochen. Zu den Befürwortern einer Wiederher- stellung zählen auch unionsregierte Bundesländer. Überraschend war es deshalb nicht, dass die Koaliti- onsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, vor- geschickt von der Bundesregierung, den Entwurf eines Spätaussiedler-Statusgesetzes vorgelegt haben. Ich will ausdrücklich betonen: Der Teil des Gesetzentwurfes, der der Wiederherstellung des Status quo ante dienen soll, wurde von uns nicht in Zweifel gezogen und wird von uns mitgetragen. Die weiteren, in dem Gesetzentwurf verharmlosend als Klarstellungen bezeichneten Änderungen hätten jedoch zu gravierenden Verschlechterungen bei der Aussiedler- Aufnahme geführt. Deshalb haben wir als CDU/CSU- Bundestagsfraktion deutlich gemacht, dass diese Punkte nicht unsere Zustimmung finden. Im Einzelnen betraf dies folgende Aspekte: Erstens. Nach einer beabsichtigten Neuregelung sollte eine Aufnahme in Deutschland nur möglich sein bei Er- füllung der Voraussetzungen als Spätaussiedler. Vertrie- bene, Umsiedler und deren Ehegatten oder Abkömmlinge hätten dann keine Aufnahme im Bundesgebiet mehr fin- den können. Dies hätte Personen betroffen, die durch Aufgabe des Wohnsitzes im Umsiedlungsgebiet den Ver- triebenstatus erworben haben, jedoch noch keine Auf- nahme in Deutschland gefunden haben, weil sie extra ins Vertreibungsgebiet zurückgezogen sind. Zweitens. Eine gravierende Verschlechterung hätte sich auch für Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussied- lern ergeben. Nach dem Willen der Koalitionsfraktion hät- ten diese nämlich im Rahmen des Bescheinigungsverfah- rens in Deutschland keine Höherstufung ihres Status mehr erreichen können. Allein schon aufgrund der Vorläufigkeit des Aufnahmeverfahrens wäre diese Schwächung des Be- scheinigungsverfahrens fragwürdig gewesen. Im Übrigen lassen sich viele Ehegatten und Abkömmlinge deshalb in einen Antrag einbeziehen und stellen keinen eigenen An- trag, weil sie das Aufnahmeverfahren beschleunigen wol- len. Dazu werden sie im Übrigen auch von der Verwal- tungsseite ermuntert. Ihnen deshalb die Möglichkeit einer Höherstufung in Deutschland zu verwehren, hätte zu Rechtsunsicherheit geführt und würde meines Erachtens gegen den Grundsatz des Vertrauenschutzes verstoßen. Drittens. Nach bisherigem Recht sind Ehegatten und Abkömmlinge des Spätaussiedlers auf Antrag hin in den Aufnahmebescheid einzubeziehen. Durch eine Neufas- sung sollte diese klare Vorschrift in eine Kann-Vorschrift umgewandelt werden. Eine solche Kann-Norm stellt die Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen auf eine unsichere Grundlage. Auch dies hätte zu Verunsicherun- gen geführt. Voraussetzung für die Zustimmung der CDU/CSU- Fraktion zu dem Gesetzentwurf war es, dass die Koa- litionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen diese Teile des Gesetzentwurfes gestrichen haben. Im Übrigen hat sich die von der Bundesregierung ein- gesetzte Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ dafür ausgesprochen, dass die durch das Urteil des Bun- desverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2000 absehba- ren Folgen für den Spätaussiedlerzuzug durch den Ge- setzgeber behoben werden sollten. Durch eine gesetzliche Klarstellung im Bundesvertriebenengesetz sollte, so die Kommission, das Erfordernis einer familiär vermittelten und aktuellen Kenntnis der deutschen Sprache als Be- stätigungsmerkmal der deutschen Volkszugehörigkeit festgeschrieben werden. Dies ist der Kern des heute zu verabschiedenden Gesetzentwurfes. Eine erste Empfeh- lung der Kommission wird hierdurch umgesetzt. Die Kommission verzichtet in ihren Empfehlungen im Übrigen darauf, den Zuzug von Spätaussiedlern durch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118162 (C) (D) (A) (B) Einführung eines Stichtages zu beschneiden und sie rüt- telt auch nicht an der Zuerkennung eines pauschalen Kriegsfolgenschicksals für die Russlanddeutschen. Hier- bei handelt es sich um wesentliche Eckpunkte, die die CDU/CSU-Bundesfraktion immer wieder vertreten hat. Leider gibt es im Bereich der SPD Stimmen, zum Beispiel den niedersächsischen Innenminister Bartling, die immer wieder die Anerkennung des pauschalen Kriegsfolgen- schicksals der Russlanddeutschen infrage stellen. Die Kommission hat darüber hinaus einen weiteren in- teressanten Vorschlag unterbreitet. Bislang findet ein zweigeteiltes Aufnahme- und Bescheinigungsverfahren für Spätaussiedler statt. Durch die dadurch erforderlichen Mehrfachprüfungen entstehen vielfach Unsicherheiten und Unklarheiten nicht zuletzt bei den Betroffenen. Die Kommission empfiehlt nunmehr die Einführung eines einzügigen Verfahrens bei einer Bundesbehörde, um mehr Transparenz und Rechtsicherheit zu gewährleisten. Un- sere Aufforderung an die Bundesregierung und an die Ko- alitionsfraktionen besteht deshalb darin, nicht ständig nur über Restriktionen für den Aussiedlerzuzug nachzuden- ken. Auch sinnvolle Vorschläge zur Vereinfachung und Verbesserung sollten berücksichtigt werden. Schließlich geht es bei den Russlanddeutschen um eine Schicksals- gruppe, die unter den Kriegsfolgen besonders lang und schwer zu tragen hatte und noch darunter leidet. Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzesentwurf dient der Klärung der Frage, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Bislang hat die Ver- waltungspraxis in Bund und Ländern in Übereinstim- mung mit der Rechtsprechung Sprachtests in den Her- kunftsländern derjenigen Menschen vorgenommen, die eine deutsche Volkszugehörigkeit für sich behaupteten. Damit sollte nachgewiesen werden, dass die Vermittlung deutscher Sprache in der Regel auch die Weitergabe deut- scher Kultur oder Erziehung beinhaltet. Durch die im Oktober 2000 geänderte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kann der Nachweis, zum deutschen Volkstum zu gehören, auch auf andere Weise, wie beispielsweise der Nennung von Zeugen, ge- führt werden. Dies kann dazu führen, dass zunehmend Personen aufgrund von Zeugenaussagen als Spätaussied- ler anerkannt werden, die praktisch über keinerlei Deutschkenntnisse verfügen. Diese Praxis birgt zweierlei Gefahren: Zum einen wird die Akzeptanz für die Spätaus- siedleraufnahme in der Bevölkerung erheblich belastet, zum anderen ist die Integration der Spätaussiedler zusätz- lich erschwert. Im Zuwanderungsspektrum Deutschlands stellen Aus- siedler, die auf der Basis des Grundgesetzes Anspruch auf die Aufnahme als deutsche Staatsbürger haben, eine be- sondere Gruppe dar. Ursprünglich basierte die Immigra- tion von Aussiedlern auf einem politischen Konsens, der ihre Aufnahme in Deutschland als Kompensation für er- littene Diskriminierungen verstand, denen die deutsche Minderheit in Osteuropa und der ehemaligen Sowjet- union als Folge des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war. Während der gesamten Phase des Ost-West-Konfliktes stand die Aussiedlerzuwanderung unter dem Vorzeichen der politischen Konfrontation zwischen den Herkunfts- ländern der Aussiedler und Deutschland, was ihre Zu- wanderung auf eine vergleichsweise geringe Zahl be- grenzte. Erst durch die politischen Transformationen in Osteuropa und der vormaligen Sowjetunion entwickelte sich die Aussiedlerzuwanderung zur bedeutensten Immi- grationsbewegung im Deutschland der 90er-Jahre. Aussiedler bringen einige Charakteristika mit, die für ihre Integration von maßgeblicher Bedeutung sind. In den meisten Fällen reisen Aussiedler im Familienverband ein, ohne sich im Herkunftsland eine Rückkehroption offen zu halten. Die meisten Aussiedler der 90er-Jahre bringen kaum noch deutsche Sprachkenntnisse mit, daher kommt dem 1996 eingeführten Sprachtest, der durch den vorliegenden Gesetzesantrag festgeschrieben wird, ein besondere Be- deutung zu. Der vorliegende Gesetzesentwurf strebt daher an, das Bundesvertriebenengesetz dergestalt zu ändern, dass eine Fortsetzung der bisherigen Verwaltungspraxis möglich ist. Meine Fraktion unterstützt den vorliegenden Gesetzesänderungsantrag. Ich bitte aber, im Rahmen der Gesamtreform des Spätaussiedlerrechtes dringend Lö- sungen für die folgenden Problembereiche zu finden: Erstens ist es unerträglich, dass Spätaussiedler mit einem Aufnahmebescheid einreisen, sie im Vertrauen auf diesen Bescheid ihre Existenz im Herkunftsland aufgeben und sie dann – nach der Zuwanderung – erfahren, dass sie doch keine Spätaussiedler sind. Konsequenz ist, dass sie trotz Aufnahmebescheid ins Herkunftsland zurückkehren müssen. Hier muss eine grundlegende Änderung im Ver- fahren her. Zweitens. Die bereits aufgrund der jetzigen katastro- phalen Rechtslage entstanden Altfälle müssen mit einer großzügigen Altfallregelung gelöst werden. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Der Deutsche Bundestag hat stets Verpflichtungen aus Art. 116 des Grundgesetzes ge- genüber den Spätaussiedlern aus den Staaten der ehema- ligen Sowjetunion eingehalten. Dazu gehört auch, die praktischen Probleme offen anzusprechen und einer Lö- sung zuzuführen. Es ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren ver- mehrt eine „Gettobildung“ sich in manchen Städten erge- ben hat, welche die Integration von Spätaussiedlern er- schwert. Dem entgegenzuwirken ist vor allem eine Aufgabe für die Kommunen. Zu den praktischen Problemen zählt ferner die Tatsa- che, dass mit der jetzigen Generation von Spätaussiedlern Familienangehörige nach Deutschland kommen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Die Sprachbarriere ist das größte Hindernis für das Zusammenleben der ein- heimischen Lohnbevölkerung und den Spätaussiedlerfa- milien. Es wäre daher notwendig, dass der Bundestag über die Sprachförderung für Spätaussiedler debattieren würde, wie dies auch die Süßmuth-Kommission empfiehlt. Stattdessen wird von den Regierungsfraktionen ein Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung zur Ab- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18163 (C) (D) (A) (B) stimmung gestellt, der nur scheinbar hiermit zu tun hat. Es geht zwar um Sprachtests. Gemeint sind jedoch nicht Ver- besserungen bei den Sprachkenntnissen der Spätaussied- ler als Mittel für ihre Integration, sondern die vor einigen Jahren eingeführten Sprachtests zur Feststellung des Spätaussiedlerstatus. Zu diesen Sprachtests hat das Bundesverwaltungsge- richt am 19. Oktober 2000 entschieden, dass ihnen in der bisherigen Verwaltungspraxis eine zu große Bedeutung für die Feststellung des Tatbestandesmerkmals „deutsche Volkszugehörigkeit“ zugemessen worden ist. Die F.D.P.-Fraktion hätte es für richtig gehalten, diese Kritik des Bundesverwaltungsgerichts aufzunehmen und darüber nachzudenken, welche Faktoren denn künftig für die Ermittlung des Spätaussiedlerstatus heranzuziehen sind. Denn die Sprachtests haben in der Praxis zu unge- rechten Ergebnissen geführt. Es sind Fälle bekannt ge- worden, wo bei mehreren Geschwistern ein und derselben Familie einmal die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bejaht worden ist, bei anderen Geschwistern ver- neint worden ist. Dies war nicht nachvollziehbar und hat gezeigt, dass die Sprachtests als Entscheidungskriterium problematisch waren. Die F.D.P.-Fraktion hat daher im federführenden Innenausschuss beantragt, in einer Sachverständigenan- hörung sich von Experten beraten zu lassen, wie man bes- sere Entscheidungskriterien festsetzen kann. Die Regierungsfraktionen und leider auch die CDU/CSU haben dies abgelehnt. Sie gehen mit dem vor- liegenden Gesetzentwurf schlicht auf die bisherige Ver- waltungspraxis zurück. Begründet wird dies mit der Be- sorgnis, dass nur eine rasche gesetzliche Klarstellung ein Ansteigen von Spätaussiedleranträgen verhindern könne. Diese Begründung überzeugt uns nicht. Denn die neue höchstrichterliche Rechtssprechung datiert vom Okto- ber 2000. Wenn die dadurch angeblich eingetretene Lücke von den potenziellen Antragstellern „ausgenutzt“ worden wäre, wie dies die Regierungsfraktionen befürch- ten, so hätte sich dies schon im ersten Quartal 2001 zei- gen müssen. In Wahrheit ist die Zahl der Anträge aber um sage und schreibe 37 Prozent zurückgegangen und nicht etwa angestiegen. Daraus leitet die F.D.P.-Fraktion ab, dass ein sorgfälti- ges Gesetzgebungsverfahren, wie dies dem schwierigen Problem angemessen wäre, ohne weiteres hätte durchge- führt werden können. Die F.D.P.-Fraktion kann nicht akzeptieren, dass statt- dessen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU der Gesetzentwurf in einem völlig unangemessenenTempo durch das Parlament gebracht wird. SPD und Grüne ha- ben bewusst den Weg eines Fraktionsentwurfs gewählt, damit der erste Durchgang im Bundesrat entfallen konnte, obwohl doch die Bundesländer in besonderem Maße von der Spätaussiedlergesetzgebung betroffen sind. Der Gesetzentwurf datiert vom 19. Juni 2001. Inner- halb von zweieinhalb Wochen hat er – ohne die von uns beantragte Anhörung – den Bundestag durchlaufen. Eine Woche später wird der Bundesrat das Gesetzgebungsver- fahren bereits abschließen. Bei einem solchen Verfahren ist die gebotene gründli- che Beratung der Kernfrage, welche Kriterien denn für die Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft maßgeblich sein sollen, nicht gewährleistet. Im Hauruckverfahren werden die Einwände der höchstrichterlichen Rechtsspre- chung vom Tisch gewischt. Daran kann und will sich die F.D.P.-Fraktion nicht beteiligen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Petra Pau (PDS): Wenn die Bundesregierung gewollt hätte, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, im Zusam- menhang auch mit den Arbeiten der Zuwanderungskom- mission grundsätzlich über die Frage der Einwanderung und des Status der Aussiedlerinnen und Aussiedler nach- zudenken und nach grundsätzlichen und gerechten und – vor allem – menschlich vertretbaren Lösungen zu su- chen. Man hätte in diesem Rahmen grundsätzlich den rechtlichen Status erörtern können, beispielsweise ob der Art. 116 Grundgesetz in seiner jetzigen Form noch zeit- gemäß ist. Gleiches würde in diesem Zusammenhang auch für das Kriegsfolgenbeseitigungsgesetz gelten. Es hätte sich hier die Chance geboten, von einer alten deutsch-völkischen und ideologisch überfrachteten Politik abzurücken und sich den tatsächlichen Gegebenheiten zuzuwenden. Es hätte die Chance bestanden, anzuerkennen, dass sich die deutschen Minderheiten in den osteuropäischen Ländern verändert und ihre deutschen Wurzeln weitgehend verlo- ren haben. Es hätte die Chance bestanden, sich mit ausgedehnten Übergangsfristen von einer unzeitgemäßen Politik zu ver- abschieden und die Versuche der Einwanderung und Inte- gration von Aussiedlern in ein Gesamtkonzept zu stellen. Dies hätte auch bedeutet, eine faire und berechenbare Po- litik gegenüber einer Menschengruppe zu betreiben, der man lange Jahre große Versprechungen in Bezug auf ihre Heimat Deutschland gemacht hat. Stattdessen hat sich die Bundesregierung für die schlechteste aller Varianten entschieden. Vor der Be- kanntgabe und öffentlichen Erörterung der Ergebnisse der Zuwanderungskommission wurde ein Gesetzentwurf hin- gepfuscht, der von seiner Substanz her rechtlich mehr als fragwürdig und handwerklich eine Katastrophe ist. Mit Verlaub: Wenn wir hier innerhalb von acht Tagen zum zweiten Mal eine Rede zu Protokoll geben, dann wird diese Form der Geisterdebatte eigentlich nur noch durch das Verhalten der Regierungsparteien getoppt. Die Regie- rungsparteien haben in der vergangenen Woche mittler- weile einen Änderungsantrag vorgelegt, der von der ur- sprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs die eine Hälfte wegstreicht und ein weiteres Viertel umschreibt. Dies lässt auf das Ausmaß unsachgemäßen und unverantwor- tungsvollen Handelns schließen. Am Kern des Gesetzes wird aber festgehalten. Weiter will man mittels Verwaltungsrecht die Zuwanderung ein- schränken. Mit dem Verwaltungsrecht wird der Art. 116 GG eingeengt und der Gleichheitsgrundsatz des GG aus- gehebelt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118164 (C) (D) (A) (B) Es ist schon bemerkenswert, wenn die Regierungspar- teien das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Ok- tober 2000 mit einem neuen Gesetz aufheben wollen, ob- wohl das Urteil gerade auch auf jenen Aspekt abhebt: Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts habe die bisherige Verwaltungspraxis der Familienzu- sammenführung nicht genügend Gewicht beigemessen; tatsächlich sind mit der Verwaltungspraxis Familien aus- einander gerissen worden. Die Überhöhung der Bestandsmerkmale bei dem Auf- nahmeverfahren wird aber nicht nur vom Bundesverwal- tungsgericht als äußerst fragwürdig angesehen. Auch der Deutsche Caritasverband hat grundsätzliche Einwände gegen diesen Gesetzesentwurf erhoben. In einem Schrei- ben vor der Innenausschusssitzung des Deutschen Bun- destages am 4. Juli 2001 hat der Deutsche Caritasverband noch einmal daraufhingewiesen, dass man grundsätzliche Kritik an dem Entwurf habe. Speziell hat der Deutsche Caritasverband darauf hingewiesen, dass „dem Beherr- schen der deutschen Sprache im Anerkennungsverfahren eine zu große Bedeutung beigemessen wird.“ Vor allem kritisiert der Verband – und meiner Meinung nach mit Fug und Recht – folgende Passage aus dem § 6 Abs. 2 BVFG, nach der deutscher Volkszugehöriger nur ist, wer sich „bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine ent- sprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleich- bare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt“ hat. Der Caritasverband kritisiert mit Recht dieses kleine, aber bedeutsame Wörtchen „nur“, das alle Möglichkeiten eröffnet, im weiteren Aufnahmeverfahren weitere und noch größere Hürden aufzubauen. Die von der CDU/CSU eingeführte Praxis, über die Verschärfung des Aufnahmeverfahrens auf dem Verwal- tungswege die Einwanderung von Aussiedlerinnen und Aussiedlern einzuengen, ist fatal. Es ist deshalb kein Zu- fall, dass die CDU/CSU im Innenausschuss eine Sachver- ständigenanhörung abgelehnt hat und ankündigte, dass sie diesem Gesetzentwurf auch zustimmen wird. Die von der Kohl-Regierung eingeführte Praxis hat zu großer Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit ge- führt. Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung haben damit eine Rechtsunsicherheit geschaffen, die die Aussiedler in äußerst prekäre Situationen bringt. Zu Recht hat Marieluise Beck in der ersten zu Protokoll ge- gebenen Debatte bemängelt, dass es unerträglich ist, dass Spätaussiedler mit einer Aufnahmebescheinigung einrei- sen, im Vertrauen auf diesen Bescheid ihre Existenz im Herkunftsland aufgeben und dann nach der Zuwande- rung erfahren müssen, dass sie doch keine Spätaussiedler sind. Und mit Recht fordert sie daher aufgrund der jetzi- gen katastrophalen Rechtslage eine großzügige Altfallre- gelung. Ich bedauere außerordentlich, dass die Bundesregie- rung dieses Gesetz in dieser Hast durch das Parlament peitscht. Ich finde es empörend, dass die Bundesregierung dies ohne Expertenanhörungen durchdrückt. Es steht zu befürchten, dass diese Regulierung über das Verwal- tungsverfahren die Aussiedlungswilligen der vollkomme- nen Willkür aussetzt. Anlage 9 Zur Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags: Reform der Hermesbürgschaf- ten nach ökologischen, sozialen und entwick- lungspolitischen Kriterien – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu- Staudamm in der Türkei – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Für ein effizientes und transparentes Aus- fuhrgewährleistungssystem – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Für den Erhalt von Hermes als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine Re- form des Hermesinstruments im internatio- nalen Rahmen. (Tagesordnungspunkt 28 a bis d) Rolf Hempelmann (SPD): Erst vor wenigen Wochen haben wir an dieser Stelle über das Thema „Reform des deutschen Ausfuhrgewährleistungssystems“ debattiert. Im Rahmen dieser Debatte ist ein Antrag der Koalitions- fraktionen verabschiedet worden, der vor allem zwei Ziele hatte: Zum einen sollten bei der Vergabe von Her- mesbürgschaften ökologische, soziale und entwicklungs- politische Kriterien stärkere Berücksichtigung finden. Zum anderen sollte Hermes aber gleichzeitig auch ein so effektives wirtschaftspolitisches Instrument bleiben wie bisher. Diese beiden Ziele haben wir erreicht. Der inter- ministerielle Ausschuss hat inzwischen seine „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über- nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes“ verab- schiedet und damit die wesentlichen Punkte umgesetzt. Ich will an dieser Stelle nur zwei Aspekte hervorheben, die meines Erachtens beispielhaft zeigen, dass die Leitli- nien sowohl den Effektivitätsanforderungen als auch Um- welt- und Entwicklungsaspekten im weiteren Sinn ge- recht werden: Beispielsweise ist dort vorgesehen, dass bei sensitiven Projekten vor der Übernahme einer Exportbürgschaft alle relevanten Auswirkungen ökologischer und sozialer Art eingehend geprüft und bei der Entscheidung berücksich- tigt werden. Um die relevanten Umwelt- und Entwick- lungsaspekte rechtzeitig zu identifizieren, wird ein „Scree- ning-Verfahren“ angewendet, bei dem insbesondere das Projektumfeld einbezogen wird. Dazu würden beispiels- weise besonders sensitive Standorte wie ökologische Schutzgebiete, Siedlungsgebiete indigener Völker oder Orte mit anerkannten Kulturgütern gehören. Darüber hi- naus wird die Übernahme von Exportbürgschaften trans- parenter werden. So wird neben dem Haushaltsausschuss auch der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie künf- tig über sensitive Projekte informiert werden. Außerdem werden bei Zustimmung des Exporteurs – sie ist aus recht- lichen Gründen notwendig – die Daten sensitiver Projekte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18165 (C) (D) (A) (B) zukünftig auch über das Internet einer breiten Öffentlich- keit zugänglich gemacht. Gleichzeitig haben wir darauf geachtet, dass das In- strument den Anforderungen an ein modernes und vor al- lem flexibles Ausfuhrgewährleistungssystem gerecht wird. So werden auch weiterhin keine Projekte von vorn- herein ausgeschlossen – so wie es beispielsweise die PDS mit ihrer Ausschlussliste gefordert hatte. Jeder Antrag wird einzeln geprüft und dem Screeningverfahren unter- zogen, danach findet eine Einzelfallprüfung unter Be- rücksichtigung der Daten für das jeweilige konkrete Pro- jekt statt. So ist der IMA in der Lage, seine Entscheidung aufgrund einer detaillierten und auf das Projekt bezoge- nen Faktenlage zu treffen. Eine Ausschlussliste hingegen könnte der großen Antragsvielfalt und den oftmals diffe- renzierten Proiektumständen nicht gerecht werden. Außerdem ist durch die Leitlinien des IMA sichergestellt, dass Exportbürgschaften für bestimmte Güter – dazu gehören beispielsweise Beförderungs- und Verkehrsmit- tel sowie Telekommunikationskomponenten – grundsätz- lich unbedenklich einzustufen sind. Dadurch ist gesichert, dass diese Exporte möglichst unbürokratisch und zeitnah gefördert werden können. Aus all diesen Gründen sind die Sorgen der Opposition unbegründet: Zum Antrag der CDU/CSU kann ich sagen: „Hermes“ bleibt selbstverständlich als effektives wirt- schaftspolitisches Instrument erhalten. Und auch die von der F.D.P. geforderte Flexibilität unseres Ausfuhrgewähr- leistungssystems ist weiterhin gewährleistet. Das gilt ins- besondere für den weitaus größten Teil der Anträge, die in ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Hin- sicht unbedenklich sind. Hermesbürgschaften werden auch zukünftig effektiv und attraktiv für deutsche Unternehmen sein und damit ei- nen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Wettbewerbsfähig- keit deutscher Firmen im Exportgeschäft leiten. Die Not- wendigkeit der Wettbewerbsfähigkeit für ein außenwirt- schaftspolitisches Instrument, wie es die Hermesbürg- schaften sind, haben die Kolleginnen und Kollegen von der PDS bei der Formulierung ihres Antrages offensicht- lich verkannt: Durch Ihre weit reichenden Forderungen für eine Ausschlussliste und für einen Katalog von ökolo- gischen Mindestbedingungen würde das deutsche System im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten und deshalb der deutschen Exportwirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Falls es Ihnen bisher entgangen sein sollte, werde ich es Ihnen an dieser Stelle gerne noch ein- mal mitteilen: Laut Prognos-Studie sichert das Hermesin- strument etwa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland ab. Ein nationaler Alleingang und eine solche Einschränkung des Instruments, wie Sie sie fordern, könnte für zahlreiche Menschen den Arbeitsplatzverlust bedeuten. Genau deshalb muss dringend die internationale Wett- bewerbsfähigkeit des deutschen Ausfuhrgewährleistungs- systems erhalten bleiben. Um sie sicherzustellen und gleichzeitig Umwelt- und Sozialaspekte stärker berück- sichtigen zu können, ist uns bei der gesamten Debatte um eine „Hermesreform“ wichtig gewesen, dass auf OECD- Ebene eine Einigung über gemeinsame Ansätze zur Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und ent- wicklungspolitischen Kriterien bei der Übernahme von Exportbürgschaften erzielt werden. Das wird auch gelin- gen: Auf einer Sondersitzung der OECD-Arbeitsgruppe „Exportkredite“ Anfang Juni konnte weitgehende Einig- keit über gemeinsame Leitlinien erreicht werden, der die meisten beteiligten Staaten zustimmen wollen. Mögli- cherweise werden Sie jetzt einwenden wollen „Ja, aber die USA ...“. Dazu kann ich nur auf die Diskrepanz zwi- schen den theoretischen Lippenbekenntnissen der ameri- kanischen Regierung und der tatsächlichen Praxis bei der Übernahme von Exportbürgschaften verweisen. Es exis- tieren in den USA zwar auf dem Papier strengere Vor- schriften als bei uns, in zu vielen Fällen werden aber Aus- nahmen gemacht und Projekte gefördert, die weit von der Einhaltung der vorgeschriebenen ökologischen oder ent- wicklungspolitischen Standards entfernt sind. Diese Pra- xis kann für uns kein Maßstab sein. Die Abstimmung auf internationaler Ebene wird zu- künftig nicht nur bei der Erarbeitung gemeinsamer Krite- rien für die Übernahme von Exportkrediten eine bedeu- tende Rolle spielen, sondern auch bezogen auf konkrete Projekte. Ein Beispiel dafür ist sicher der Ilisu-Staudamm in der Türkei: Auch wir halten das Projekt aus verschiede- nen Gründen für besonders sensitiv. Zum einen sind bisher Umsiedlungs- und Umweltfragen, zum anderen aber auch außenpolitische Probleme noch nicht abschließend ge- klärt. Zu mehreren dieser Fragestellungen – insbesondere zu den ökologischen, entwicklungs- und kulturpolitischen – trifft die seit wenigen Tagen vorliegende Umweltver- träglichkeitsprüfung Aussagen. Nach Auswertung der UVP wollen die beteiligten Exportkreditversicherer ge- meinsam über die Übernahme von xportkrediten beraten. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung nach der Sommerpause auch dem in Hermes- angelegenheiten fe- derführenden Wirtschaftsausschuss in Sachen Ilisu-Stau- damm vor einer endgültigen Entscheidung des IMA Be- richt erstattet. Darüber hinaus muss auch die türkische Regierung vor einer Entscheidung die angesprochenen außenpolitischen Aspekte lösen. Aus diesen Gründen können wir dem Antrag der PDS, der ohne Kenntnis aller Fakten eine Ablehnung des Pro- jektes fordert, nicht zustimmen. Auch den übrigen vorlie- genden Anträgen können wir nicht zustimmen, denn sie sind – wie ich bereits ausgeführt habe – obsolet geworden. Siegfried Helias (CDU/CSU): In ihrer Koalitionsver- einbarung haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen an- gekündigt, dass „die neue Bundesregierung eine Reform der Außenwirtschaftsförderung, insbesondere der Ge- währung von Exportbürgschaften (Hermes) nach ökolo- gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Ge- sichtspunkten“ in die Wege leiten wird. Damit wurden hohe Erwartungen insbesondere bei den genannten Nicht- regierungsorganisationen geweckt. Konkrete Schritte hat die Bundesregierung jedoch erst jetzt ergriffen. Ich bin durchaus der Meinung, dass die bisherige Ex- portkreditvergabe, die bereits umwelt- und menschen- rechtliche Kriterien erfüllte, kontinuierlich weiterent- wickelt werden muss. Dem in der Exportkreditvergabe verankerten Prinzip der Erfüllung umweltrechtlicher Standards wird in der aktuellen Diskussion wenig Beach- tung geschenkt. Der Exportorientierung der Kreditver- gabe wird kein Abbruch getan, wenn sie auch vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen und dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118166 (C) (D) (A) (B) damit zusammenhängenden Anspruch einer globalen Ver- antwortungsgesellschaft betrachtet wird. Verantwortung heißt aber auch, dass das bisher Erreichte wegen der po- sitiven Erfahrung bestehen bleiben muss. Ich verweise daher kurz auf die Geschichte des Her- mes-Kreditwesens und seiner arbeitsmarktpolitischen Be- deutung und der Bedeutung für den Mittelstand: Garan- tien für die Ausfuhr wickelt Hermes seit 1949 im Rahmen der Hermes-Kreditversicherung ab. Export-Versicherun- gen haben einen guten Grund, unter anderem die Er- schließung schwieriger Märkte und die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen, mit so genannten Schwellenlän- dern. Das Basler Prognos-Institut schätzt die Zahl der da- durch geförderten Arbeitsplätze auf 140 000 bis 216 000. Davon befinden sich drei Viertel in Deutschland! Nutznießer soll „auch“ der Mittelstand sein. Tatsäch- lich ist dies längst nicht so eindeutig. Zwar werden fast drei Viertel aller Hermesdeckungen an kleine und mittlere Unternehmen (bis 499 Beschäftigte) vergeben, aber die Prognos-Studie ergab lediglich einen Anteil von 15 Prozent am gedeckten Exportvolumen. Die Garantien kommen also vor allem Großunternehmen zugute. Insofern wäre hier eine breitere Streuung der Deckungszusagen für den Mittelstand wünschenswert. Aus der Sicht der Union müssen die Hermesreformvor- haben das gewachsene Vertrauen in die Ausfuhrge- währleistungspolitik des Bundes nicht nur erhalten, son- dern kontinuierlich ausbauen. So übernahm der Bund im Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM. Dies entspricht rund 3,3 Prozent des gesamten deutschen Exports. Diesen Anteil gilt es, zu stabilisieren und auszu- bauen. Daher ist eine verlässliche Grundlage für den Er- halt von Exportbürgschaften erforderlich. Die neuen „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes“ der Koalition erfüllen diese Forderungen nicht. Ziel einer Reform muss sein, auf der nationalen Ebene eine leichtere Handhabung, ein beschleunigtes Verfahren und eine Entbürokratisierung zu erzielen. International muss die Aufnahme vergleichbarer Standards erfolgen. Im ökologischen, sozialen und Umweltbereich muss eine größere Transparenz und Harmonisierung erreicht wer- den. Für die Nichtregierungsorganisationen stellt sich der gefundene Kompromiss als Flop dar, weil weder verbind- liche Umweltstandards festgeschrieben worden sind, noch eine Transparenz vor der Projektentscheidung ge- währleistet ist. Auch die von den Grünen ursprünglich ge- wünschten Ausschlusslisten für Rüstungs-, Atom- und ge- fährliche Chemie-Exporte fanden keinen Eingang in die Leitlinien des BMWi für Exportkreditbürgschaften. Die Leitlinien der Regierung sind ein Schlag ins Gesicht der- jenigen, die geglaubt haben, dass Hermesbürgschaften unter einer rot-grünen Regierung gemäß den Ankündi- gungen in der Koalitionsvereinbarung reformiert würden. Die neuen Leitlinien bieten nicht einmal Betroffenen die Chance, ihre Anliegen in das Entscheidungsverfahren einzubringen. Die Leitlinien sehen nämlich vor, dass pro- jektgebundene Informationen erst nach der Bürgschafts- entscheidung veröffentlicht werden – und dann auch nur, wenn die Firmen ihr Einverständnis geben. Unabhängig davon, wie sinnvoll solche Einzelfestlegungen auch sein mögen, bleibt festzuhalten, dass die Koalition viel ver- sprochen und davon so gut wie nichts gehalten hat. Es geht neben sozialen und umweltrechtlichen Aspek- ten auch insbesondere darum, die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Über die ex- portrechtlichen Regelungen hinaus, die für die Konkur- renzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die damit ver- bundene Arbeitsplatzsicherung von zentraler Bedeutung sind, sollte im Einvernehmen mit unseren europäischen Partnern die Bürgschaftsvergabe an Bedingungen gekop- pelt werden, die dem Geiste der europäischen Harmo- nisierung und dem erweiterten Aufgaben- und Verant- wortungsbereich der zukünftigen EU entsprechen. Die laufenden Harmonisierungsbemühungen in EU und OECD sollten vor allem in Fragen der Umwelt- und So- zialverträglichkeit intensiv vorangetrieben werden, um einseitige Nachteile für die deutsche Exportwirtschaft zu vermeiden. Wie sehen die Anträge der übrigen Parteien in Bezug auf die Hermesreform aus? Der F.D.P.-Antrag zielt in die richtige Richtung. Er spricht sich für ein effizientes und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem aus, vernachlässigt aber die Umweltdimension. Die umwelt- rechtliche Sicht ist aber für die CDU/CSU-Bundestags- fraktion von gleichrangiger Bedeutung. Gerade umwelt- rechtliche Themen rücken nämlich immer mehr ins Zentrum der Diskussion und stellen uns vor neue globale Herausforderungen. In diesem Zusammenhang weise ich auch auf die erhebliche negative internationale Resonanz auf das von den USA abgelehnte Kioto-Protokoll hin. Die in dem F.D.P.-Antrag aufgestellte Forderung nach einer „Maxime aller Maßnahmen“, die darin bestehen soll, das gewachsene Vertrauen in die Ausfuhrgewährleistungs- politik des Bundes zu erhalten und auszubauen, ist abzu- lehnen. Das Gegenteil wird erreicht: Infolge des radikalen Anspruchs der F.D.P.-Forderung schwindet das Vertrauen in deutsche Unternehmen eher und die deutsche Wirt- schaft wird darüber hinaus auch nicht angehalten, in zu- kunftsrelevante Umwelttechnologien zu investieren. In den PDS-Anträgen werden die bisherigen Vergabe- kriterien für Hermes-Kredite abgelehnt, und zwar aus ein- seitig politisch-ideologischen Gründen heraus. In allen PDS-Anträgen, die sich mit der Hermes-Kreditvergabe befassen, kommt diese einseitige, ideologisch geprägte Argumentationslinie zum Ausdruck. Die in den Anträgen angesprochenen menschenrechtlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedenken der PDS dienen bei näherer Betrachtung lediglich als Vehikel für ein ganz anderes Ziel. Das Ziel ist im Kern nichts an- deres als der gezielte Versuch, den türkischen Staat ins- gesamt in Misskredit zu bringen und die Hermes-Kre- ditreform für die Kurden-Problematik politisch zu instrumentalisieren. In den Anträgen der PDS kommt da- rüber hinaus die Absicht zum Ausdruck, die Vergabe von Hermes-Krediten staatlich zu sanktionieren und noch mehr zu bürokratisieren, indem weitere Kontrollinstanzen eingerichtet werden sollen. Die konkrete Forderung be- steht in dem grundsätzlichen Aussetzen der Förderung von Großstaudämmen, bis Empfehlungen der World Commission on Dams vorliegen. Die PDS-Anträge zei- gen keine echten Alternativen auf! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18167 (C) (D) (A) (B) Es ist ganz offensichtlich, dass das primäre Ziel einer Hermesreform darin liegen sollte, das Vertrauen unserer Partner im Ausland und in die Ausfuhrgewährleistung des Bundes zu stärken und auszubauen. Das heißt, dass Re- formvorschläge nicht im nationalen Alleingang durchge- setzt werden sollten. Reformvorschläge sollten innerhalb der OECD in abgestimmter Weise erfolgen. Die Harmo- nisierung auf EU-Ebene dient keinem Selbstzweck, son- dern baut auf den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auf. Nur wenn wir den Dialog auf der Grundlage eines realis- tischen Interessenausgleichs zwischen Ökonomie und Ökologie fortsetzen, können bei der künftigen Gestaltung des Hermes-Kreditwesens die wichtigen Impulse an die Wirtschaft und an die weltweite Ökologiebewegung wei- tergegeben werden. Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Keine Hermesbürgschaft für Ilisu“, habe ich immer gesagt, solange die gravierenden Probleme, die dieses Projekt kennzeichnen, nicht zufriedenstellend gelöst sind. Dies sind in erster Linie die Fragen: erstens von Umsiedlung und Partizipation der lokalen Bevölke- rung, zweitens des Schutzes von Kulturdenkmälern, vor allem der Stadt Hasankeyf, und drittens der Wasserrechte der Unterlieger des Tigris in Syrien und Irak. Inzwischen liegt auch die neueste 500-seitige Umwelt- verträglichkeitsstudie zum Staudamm vor, aus der wie- derum hervorgeht, dass 59 000 vom Projekt betroffene Kurden nicht in angemessener Weise konsultiert wurden, dass wichtige Kulturdenkmäler und Hunderte archäologi- scher Stätten in irreversibler Weise verloren gehen und dass Syrien und der Irak bezüglich der Auswirkungen am Unterlauf des Tigris nicht konsultiert wurden. Wir haben inzwischen unzählige Studien und Berichte aus unterschiedlichsten Quellen (von Betreibern, Kredit- versicherern, parlamentarischen Kommissionen, NROs, von Völkerrechtsjuristen, Umsiedlungsexperten, Um- weltfachleuten usw.). Wir haben die Empfehlungen der World Commission on Dams und wir haben die deutschen Hermesleitlinien. Wenn ich all diese Dokumente und Stu- dien Revue passieren lasse, dann kann ich heute nur zu dem Schluss kommen, dass dieser Staudamm selbst nach intensivster Prüfung keinerlei Grundlage bietet, um mit einer öffentlichen Bürgschaft unterstützt zu werden. Ich wiederhole: Wir haben es uns gerade bei diesem Projekt im Gegensatz zur PDS nicht leicht gemacht und stets für eine gründliche Prüfung plädiert. Jetzt ist jedoch der Zeit- punkt gekommen, ein klares Nein zu diesem Projekt aus- zusprechen. Dies tue ich und lehne zugleich den Antrag der PDS ab, weil er eine Reihe von Forderungen aufstellt, die inzwischen überholt sind. Für mich wird dieses Nein zu Ilisu durch die neuen Leitlinien untermauert, die den Bezug zu den Empfehlun- gen der Weltstaudammkommission herstellen und darü- ber hinaus betonen, dass das Ziel einer globalen nachhal- tigen Entwicklung einen hohen Stellenwert in der Bundesregierung einnimmt und „dass sich Umweltrisiken nicht nur über die Förderungswürdigkeit eines Projektes, sondern – im Rahmen der Kreditrisiko-Analyse – auch über die risikomäßige Vertretbarkeit auf die Entscheidung über die Indeckungnahme auswirken“. Ein Verweis auf die wirtschaftliche Machbarkeit ist an- gesichts der in der Türkei vorhandenen billigeren Ener- giealternativen und der Finanzsituation des Landes hier am richtigen Platz. Wir haben mit den „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Ausfuhrgewähr- leistungen des Bundes“ einen wichtigen ersten Schritt zur Neugestaltung des Hermesverfahrens getan. Die umwelt-, sozial- und entwicklungspolitische Verträglichkeit von Bürgschaften ist ein wesentliches Förderungskriterium für Exporte geworden. Die wichtigsten Veränderungen sind: stärkere Förde- rung sozial und ökologisch nachhaltiger Projekte, insbe- sondere regenerativer Energien; Ausschluss des Exportes von Nukleartechnologie; ein Screening-Verfahren zur Prüfung von ökologischen und sozialen Risiken; mehr Transparenz bei den Bürgschaftsentscheidungen, unter Mitwirkung der antragstellenden Unternehmen in Deutschland; stärkere Beteiligung der betroffenen Bevöl- kerung in den Bestellerländern; der Aufbau von Umwelt- prüfkapazitäten im Hermessystem. Trotz all dieser Fortschritte sind die Leitlinien keine Blaupause, aus der sich für jedes Projekt und für jeden Umstand, sozusagen mechanisch, eine Entscheidungsvor- lage ergibt. Gerade deshalb werden wir vom Parlament her die Praxis der Bürgschaftsvergabe auch in Zukunft kritisch begleiten. Wir tun dies bei Ilisu und beim Tehri- Staudamm in Indien und werden das auch bei anderen Vorhaben tun. Wir werden auch die Umsetzung von früh- zeitiger Transparenz bei den schwierigen Kategorie-A- Projekten monitorieren, um mehr kritische Öffentlichkeit zuzulassen, die letztlich auch der Akzeptanz der Projekte zugute kommt. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Leitlinien dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern, ohne in Konflikt mit Umwelt und Menschen in den Entwick- lungsländern zu geraten. Die Leitlinien sind Vorgaben, die sich in der Praxis zu bewähren haben. Ich gebe ihnen ei- nen Vertrauensvorschuss und sehe sie gleichzeitig als ein dynamisches Instrument, das in der Zukunft auf der Grundlage von neuen Erfahrungen und Veränderungen auf der internationalen Ebene angepasst werden kann, mit dem Ziel, einer Förderung sozial und ökologisch nach- haltiger Projekte jedes Mal gerechter zu werden. Gudrun Kopp (F.D.P.): Einfacher, transparenter und effizienter müssen die bewährten Hermesexportbürg- schaften gestaltet sein, und eben nicht überfrachtet mit Sonderforderungen. Nur wenn dies gelingt, können sich deutsche Exportunternehmen mit ihren innovativen Pro- dukten und den hohen technischen Standards auch in Zu- kunft auf den Weltmärkten durchsetzen. Hier ein paar Wirtschaftsdaten: 80 Prozent der Einzel- deckungen der Export-Garantien entfallen auf die mittel- ständische Export-Industrie. Hermesexportbürgschaften sichern etwa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Diese Export-Garantien wurden im Jahr 2000 in Höhe von 38 Milliarden DM vom Bund übernommen und erwirt- schafteten ein weiteres Mal Überschüsse, und zwar in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118168 (C) (D) (A) (B) Höhe von 67 Millionen DM. Vor diesem Hintergrund lehnt die F.D.P. die Befrachtung von Export-Bürgschaften mit weiteren Auflagen für den deutschen Mittelstand ab, wie von der PDS und auch Teilen der rot-grünen Koali- tion gefordert. Unsere Forderungen hingegen lauten: Erstens. Keine Alleingänge! Keine Abweichungen von den vereinbarten OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhr- gewährleistungen. Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleit- fadens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von effizienteren, flexibleren Instrumentarien. Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das Screening-Verfahren sind hinreichend. Viertens. Ausschlusslisten für Hermesbürgschaften sind abzulehnen. Fünftens. Unterstützung für in der OECD einheitliche Kriterien einer Präsentation im Internet. Sechstens. Einzelfallentscheidungen werden durch den Interministeriellen Ausschuss, IMA, getroffen. Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen- den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res- sorts und die Ausschüsse. Carsten Hübner (PDS): Die Debatte über Hermes- bürgschaften beschäftigt Parlament und Gesellschaft seit geraumer Zeit. Auch wenn nur ein vergleichsweise klei- ner Teil der bundesdeutschen Exporte über Hermesbürg- schaften, also über staatliche Bürgschaften, abgesichert wird, so ist es doch der Teil von Exporten, bei dem es im Wesentlichen um Geschäfte der deutschen Wirtschaft mit Entwicklungsländern geht. Schon das allein macht ein be- sonderes Augenmerk erforderlich. Nicht selten geht es um Megaprojekte, um Risikotechnologie und um Geschäfte mit Ländern mit eklatanten Defiziten im Bereich der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt mit erheblicher Korruption. China, die Türkei, Indonesien oder der Iran sind dafür beispielhaft. Das gilt auch für die Projekte selbst: der Ilisu-Staudamm im Südosten der Tür- kei, der Tehri-Staudamm in Nordindien, der Transrapid für Schanghai, die Zellstoffindustrie in Indonesien oder das unter offenkundiger Korruption und Pression zu- stande gekommene Kohlekraftwerk Paiton II, ebenfalls in Indonesien. Es handelt sich um Projekte, die allesamt unter ent- wicklungspolitischen, unter ökologischen, unter men- schenrechtlichen und nicht zuletzt auch unter ökonomi- schen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig sind. Es sind Projekte, die allzu oft mit Umsiedlungen und Vertreibun- gen einhergehen. Es sind Projekte, bei denen selbst die niederschwelligen international vereinbarten Mitsprache- rechte der betroffenen Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten werden. Der Ilisu-Staudamm in der Osttürkei, für den seit vie- len Monaten ein Antrag auf eine Hermesbürgschaft im zu- ständigen Interministeriellen Ausschuss festhängt – sehr zum Leidwesen der Firma Sulzer und des Wirtschafts- ministeriums und dank der Standhaftigkeit unter anderem des Entwicklungshilfeministeriums – steht exemplarisch für die Notwendigkeit, die im Koalitionsvertrag angekün- digte politische Reform der Hermesvergabe endlich in Angriff zu nehmen. Mit den gerade erst verabschiedeten Leitlinien ist der Reformprozess – jedenfalls von der Substanz her – wenn überhaupt, gerade erst eingeläutet worden. Das llisu-Staudammprojekt zeigt die ganze Bandbreite der Defizite und Gefahren der in jeder Hinsicht unverant- wortlichen bisherigen Hermes-Vergabepraxis: In der Pro- jektregion herrscht seit vielen Jahren der Ausnahmezu- stand. Eine demokratische Beteiligung der Bevölkerung an der Projektplanung, wie es etwa die Weltbankstandards fordern, ist damit völlig unmöglich. Das Projekt wurde Anfang der 60er-Jahre entwickelt und seither nicht verän- dert. Es ist also weiterhin von der Je-größer-je-lieber-Lo- gik inspiriert, die den an Nachhaltigkeit orientierten dezentralen Konzepten einer modernen Wasser- und Energieversorgung diametral entgegensteht. Die Türkei weigert sich weiterhin, internationale Verträge zu unter- zeichnen, die die Grundlage dafür schaffen, dass Stau- dämme dazu benutzt werden, anderen Staaten das Wasser abzudrehen, und das in dieser brisanten Region! Darüber hinaus ist die Umsiedlungsfrage – es geht um immerhin bis zu 80 000 Menschen – ebenso ungeklärt wie die Ma- lariagefahr aufgrund dieses riesigen stehenden Gewässers und anderer ökologischer Folgewirkungen. Klar hingegen ist jedoch, dass kulturelle Güter in den Fluten untergehen werden, die Tausende Jahre alt sind und zu den Quellen der europäischen Kultur gehören. Das sind mehr als genug gute Gründe, liebe Kolleginnen und Kol- legen, um diesem Projekt, um diesem Geschäft, staatliche Bürgschaften zu verweigern. Die Statements der World Commission an Dams, vie- ler NGO’s, der fraktionsübergreifend erstellte Delegati- onsbericht des Menschenrechtsausschusses oder das ge- rade vorgelegte Executive Summary des unter anderem vom BMZ in Auftrag gegebenen Environmental Impact Assessment Report weisen ebenso in diese Richtung wie die Ankündigung der britischen Regierung, sich aus dem Ilisu-Staudammprojekt aufgrund menschenrechtlicher Bedenken zurückzuziehen. Das deutsche Wirtschaftsministerium erkennt hinge- gen, Kraft seiner Wassersuppe, keine wesentlichen Pro- bleme und befürwortet das Projekt. Schließlich geht es um die Profitinteressen deutscher Unternehmen. Eine Denk- weise, die ich verheerend finde und die einer nachhaltigen globalen Strukturpolitik Hohn spricht. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zu Ilisu zuzu- stimmen. Wenn sich Unternehmen wie Sulzer oder Sie- mens schon nicht davon abbringen lassen, mit derartigen Projekten Geld verdienen zu wollen, dann muss wenigs- tens klar sein, dass sie dafür nicht auch noch staatliche Unterstützung, dass sie dafür nicht auch noch Bürgschaf- ten aus Steuergeldern erhalten. Hermes darf kein Selbst- bedienungsladen deutscher Unternehmen sein. Hermes muss – darauf zielt unser zweiter Antrag ab – zu einem entwicklungsverträglichen, zu einem transparenten In- strument deutscher Außenwirtschaftförderung werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18169 (C) (D) (A) (B) Ich denke an eine Wirtschaftsförderung, in deren Zentrum Nachhaltigkeit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit stehen und deren Profiteure nicht Konzerne wie Siemens sind, sondern Klein- und Mittelständische Unternehmen. Dafür bedarf es klarer und kohärenter Regelungen und nicht butterweicher Leitlinien, wie sie bisher vorgelegt wurden. In der Koalitionsvereinbarung, in ihrer Kritik vor der Regierungsübernahme waren Rot-Grün in dieser Frage bereits sehr viel weiter als in ihrer heutigen Praxis. Es wird Zeit, dass Sie sich daran wieder erinnern. Die Ausschuss- beratungen werden Ihnen dafür Gelegenheit bieten. Was aber die beiden heute zur Abstimmung stehenden Anträge zu Hermes von CDU/CSU und F.D.P. anbetrifft, so muss ich leider sagen, dass hier von den Wirtschafts- politikern beider Fraktionen ganz offensichtlich der Ver- such unternommen wird, ihre eigenen Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltpolitiker vor aller Welt der Lächerlichkeit preiszugeben. Das tut mir persönlich Leid, hält meine Fraktion aber natürlich nicht davon ab, diese Anträge nachdrücklich abzulehnen. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Von den drei vorliegenden Anträgen zum Ausfuhrgewährleistungssystem des Bundes sind uns die Anträge der Fraktionen der F.D.P. und CDU/CSU aus der Plenardebatte vom 6. April 2001 und den Ausschussberatungen gut bekannt. Sie wurden dort ausführlich diskutiert und am Ende abgelehnt, weil sie in- zwischen durch die Ereignisse überholt wurden. Der Interministerielle Ausschuss für Ausfuhrgewähr- leistungen beschloss am 26. April dieses Jahres seine „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes“. Diese sind das Ergebnis einer Auswertung der eigenen Erfahrungen sowie von Beratungen mit Mitglie- dern des Deutschen Bundestages, mit Exportwirtschaft und Banken sowie im internationalen Rahmen mit ande- ren Exportkreditagenturen. Zudem wurde ein Informati- onsaustausch mit Nichtregierungsorganisationen sowohl in Berlin wie auch bei der OECD in Paris durchgeführt. Die Leitlinien gewährleisten, dass wesentliche ökolo- gische, soziale und entwicklungspolitische Auswirkun- gen von Projekten im Prüfungsverfahren in die Entschei- dung einbezogen werden. Sie liegen damit auf der Linie des Entschließungsantrags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Für ein modernes Ausfuhrge- währleistungssystem“, der in der besagten Sitzung am 6. April vom Bundestag angenommen wurde. Wir verfü- gen damit im nationalen Bereich über ein funktionsfähi- ges Instrument, das unseren Exportunternehmen auch in Zukunft die unabdingbare Unterstützung bei der Er- schließung schwieriger Märkte und der Vertiefung unse- rer bilateralen Wirtschaftsbeziehungen vor allem mit Schwellenländern gewährleistet. Auch auf internationaler Ebene haben sich die Dinge weiterentwickelt. Auf einer Sondersitzung der OECD- Exportkreditgruppe in Paris am 7. und 8. Juni hat sich die ganz überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten inhalt- lich auf gemeinsame Ansätze zur Berücksichtigung von Umweltbelangen im Bereich der staatlichen Exportkre- ditversicherung geeinigt. Das dort vorgesehene Verfahren zur Berücksichtigung von Umweltaspekten entspricht weitgehend unseren nationalen Leitlinien. Die Mitgliedstaaten müssen bis zum 7. Juli ihre förm- liche Zustimmung erklären. Wir erwarten, dass sie die vereinbarten Grundsätze dann national in die Praxis um- setzen. Bis zum Ende 2003 sollen die bis dahin gewonne- nen Erfahrungen überprüft werden. Der Antrag der Fraktion der PDS zur Reform der Her- mes-Bürgschaften greift das Thema erneut auf, ohne wirklich Neues zu bieten. Er enthält überzogene, rea- litätsferne und rechtlich fragwürdige Forderungen, die das angestrebte Ziel einer Verbesserung der Umweltbe- dingungen in den Bestellerländern zwar kaum erreichen können, die aber mit Sicherheit dazu führen würden, un- sere Exporteure aus dem internationalen Wettbewerb hi- nauszukatapultieren. Wir werden ausreichend Gelegen- heit haben, dies in den Ausschussberatungen zu vertiefen. Der viere Antrag zum Thema Hermes betrifft das Stau- dammprojekt Ilisu in der Türkei. Auch dieses Projekt ist vielen von Ihnen gut bekannt. Auch aus der Sicht der Bun- desregierung handelt es sich hier um einen schwierigen Fall. Das mögen Sie schon daran erkennen, dass wir uns seit gut drei Jahren in einem internationalen Prüfungspro- zess zu der Frage befinden, in welcher Form dieses Projekt durch Exportkreditversicherungen begleitet werden kann. Wie Sie wissen, liegen die Probleme dieses Vorhabens nicht im Finanzierungsbereich, sondern in seiner Um- welt- und Sozialverträglichkeit: Es geht insbesondere um eine angemessene Lösung der Umsiedlungsfragen, die Gewährleistung der Wasserrechte anderer Länder am Ti- gris, die Erhaltung der Wasserqualität des Flusses und den Schutz wertvoller Kulturgüter. Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. In ei- nem intensiven Koordinierungsverfahren wirken wir mit den anderen beteiligten Exportkreditversicherern – da- runter die Schweiz, Großbritannien, USA – auf eine sach- gerechte Beantwortung der Problemfragen hin. Dieses Vorgehen ist etwas Neues in der Zusammenarbeit der Ex- portkreditversicherer, die üblicherweise als Konkurrenten auftreten. Sie ermöglicht es uns, gegenüber dem Besteller auf Projektverbesserungen hinzuwirken, die wir sonst aufgrund unseres kleinen Anteils an der Gesamtfinanzie- rung – 5 Prozent – nicht durchsetzen können. Inzwischen sind einige Fortschritte erreicht worden. Es wurde insbesondere eine umfangreiche Umweltverträg- lichkeitsprüfung durchgeführt, deren Ergebnis den Ex- portkreditversicherern vor einigen Tagen zur Verfügung gestellt wurde. Wir haben uns mit der türkischen Seite darauf geeinigt, dass dieser Bericht auch interessierten Dritten zugänglich gemacht werden kann. Nach seiner Auswertung werden die beteiligten Exportkreditversiche- rungen über das weitere Vorgehen beraten. Dieser Entwicklung trägt der Antrag der Fraktion der PDS nicht Rechnung. Entsprechend der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie sollte er deshalb abgelehnt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118170 (C) (D) (A) (B) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit (Zusatztagesordnungspunkt 16) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Endlich! Nach lan- gen Beratungen, die sich über mehr als drei Legislaturpe- rioden hingezogen haben, wird heute endlich in zweiter und dritter Lesung des Deutschen Bundestages ein Gesetz zum besseren Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit verabschiedet. Der bisher nur für anvertrautes Material geltende Schutz wird mit geringen Einschränkungen auch auf selbst recherchiertes Material ausgedehnt. Ich will heute darauf verzichten, die Ausführungen, die ich vor beinahe 14 Jahren in einem Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationa- les Strafrecht als Wissenschaftler gemacht habe, sowie die zahlreichen Reden, die ich seit fünf Jahren als Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Plenum vorgetragen habe, zu wiederholen. Stattdessen will ich mich auf einige Informationen beschränken, die sich seit meiner Rede vom 8. März 2001 anlässlich der ersten Lesung des heute abschließend zu beratenden Gesetzentwurfes der Bundes- regierung ergeben haben. Selbstverständlich ist die schon im November vergan- genen Jahres durchgeführte Sachverständigenanhörung sorgfältig ausgewertet worden. Dabei hat sich gezeigt, dass der vereinzelt von den Sachverständigen unterstützte Vorschlag, eine Durchsuchung sowie die Beschlagnahme selbst recherchierten Materials nur bei dringendem Tat- verdacht zuzulassen, nicht überzeugen kann. Denn wenn bereits so viele Erkenntnisse vorliegen, dass die Bege- hung einer Straftat durch den Beschuldigten wahrschein- lich ist, wird der Eingriff in das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit in der Regel nicht mehr erforderlich sein. Anders ist es in den Fällen, in denen zwar ein einfa- cher Tatverdacht besteht, aber die Beweise für eine Anklageerhebung noch nicht ausreichen. Es wäre also nach unserer Überzeugung geradezu systemwidrig, Durchsuchung und Beschlagnahme von dem Vorliegen eines dringenden Tatverdachtes abhängig zu machen. Die Sachverständigenanhörung hat ferner eine Reihe von Vorschlägen ergeben, die im größeren Zusammen- hang einer Strafprozessreform gründlich zu prüfen sein werden. Das gilt etwa für den Vorschlag von Professor Eser, die Fälle des Zeugnisverweigerungsrechtes und ei- nes daraus gewissermaßen abgeleiteten Beschlagnahme- verbotes nicht gleichzusetzen. Eine solche Unterschei- dung setzt einen strukturellen Eingriff in unser geltendes Strafprozessrecht voraus, der weit über die hier vor allem interessierenden Regelungen für Journalisten hinausgeht. Ich wiederhole deshalb meinen Vorschlag, diese und an- dere Fragen zum Gegenstand der Beratungen einer großen Strafprozesskommission zu machen, die mög- lichst noch in dieser Legislaturperiode eingesetzt werden sollte. Besondere Bedeutung hat in der Schlussphase unserer Beratungen eine Dokumentation erlangt, die mir im Juni 2001 vom Deutschen Journalisten-Verband zugeleitet wurde und die mehr als 150 Fälle von Durchsuchungs- sowie Beschlagnahmeanordnungen und von Beschlüssen über journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht betrifft, die sich in den vergangenen vierzehn Jahren ereignet ha- ben. Ich habe die 59 Seiten umfassende vorzügliche Dokumentation mit Einverständnis der Verfasser allen Fraktionen sowie den beteiligten Bundesministerien zu- gänglich gemacht. Die Dokumentation bestätigt die Richtigkeit der Grund- entscheidungen des Regierungsentwurfes in vierfacher Hinsicht: Erstens erweist es sich als richtig, dass die Not- wendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Ein- griff in das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit im Gesetz ausdrücklich betont wird. Dass die bisherigen Hinweise in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeld- verfahren nicht ausreichen, ergibt sich allein schon da- raus, dass in den Verfahren erster Instanz die Amtsge- richte nur in einem einzigen Fall überhaupt ausweislich des Wortlauts des Beschlusses eine Verhältnismäßigkeits- prüfung durchgeführt haben. In sieben Fällen wurde die Prüfung erst nach Beschwerde des betroffenen Medien- unternehmens in der zweiten Instanz nachgeholt. In diesem Zusammenhang ist zweitens von besonderer Bedeutung, dass der Regierungsentwurf im Unterschied zum F.D.P.-Entwurf Einschränkungen des Grundrechts der Medienfreiheit bei selbst recherchiertem Material nur noch in Verbrechenssachen zulässt. Die F.D.P. möchte hingegen an dem alten System eines Deliktskataloges festhalten. Die Dokumentation belegt nunmehr, dass in mehr als 90 Prozent der Fälle die Grundrechtseingriffe bisher in Vergehenssachen erfolgen. An der Spitze liegen dabei die Beleidigungsdelikte mit 19 Fällen. Es folgen die Körperverletzungen im Amt – vor allem im Zusammen- hang mit Demonstrationen – in neun Fällen sowie die Ver- letzung von Dienstgeheimnissen in acht Fällen. Dies ist nach unserer Auffassung eine klare Verletzung des Grund- satzes der Verhältnismäßigkeit. Mit dem Vorschlag, Grund- rechtseingriffe nur noch in Verbrechenssachen vorzuse- hen, folgen wir der vom Einzelfall unabhängigen Güterabwägung durch den Gesetzgeber. Wenn die F.D.P. allen Ernstes daran denkt, auch einzelne Vergehenssachen wegen ihres besonderen Gewichts ausreichen zu lassen, wäre es eher konsequent, derartige Vergehen in der Ein- stufung durch den Gesetzgeber zum Verbrechen zu ma- chen. Das würde beispielsweise für einzelne Sexual- delikte gelten, die allerdings in der Praxis ausweislich der Dokumentation bisher überhaupt keine Rolle spielen. Drittens erweist es sich als praxisferner Vorwand, dass nur über die Einschränkung des Grundrechts notwendige Strafverfahren gegen Journalisten möglich würden. Aus der Dokumentation ergibt sich, dass in 20 Fällen zwar Er- mittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet worden sind, aber in keinem einzigen Fall auch Anklage erhoben worden ist. Der Eindruck, dass das Vorgehen gegen Jour- nalisten und die Durchsuchung von Redaktionsräumen le- diglich Mittel zum Zweck ist und die Journalisten gewis- sermaßen als „Büttel der Staatsanwaltschaft“ benutzt werden, ist also nicht von der Hand zu weisen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18171 (C) (D) (A) (B) Schließlich belegt die Dokumentation, dass der vom Bundesverfassungsgericht gewiesene und auch von mir in meinem früheren Rechtsgutachten als Ausweg gewür- digte Weg, nämlich die unmittelbare Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ausweislich der Praxis keine Lösung ist. Von dieser Möglichkeit hat näm- lich in den dokumentierten Fällen nicht nur kein einziges Gericht Gebrauch gemacht. Vielmehr haben auch zwei Landgerichte die merkwürdige Auffassung vertreten, das Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk sei in § 53 der Strafprozessordnung abschließend geregelt, sodass eine unmittelbare Anwendung von Art. 5 des Grundgesetzes nicht möglich sei. Das bestätigt die von mir in früheren Debatten vorgetragene Auffassung, dass nunmehr ein besserer Schutz der Medienfreiheit nur durch den Gesetzgeber hergestellt werden kann. Deshalb gehen die Argumente der CDU/CSU-Fraktion, die sich grundsätzlich gegen die Reform des geltenden Rechts wendet, an der Rechtswirklichkeit offensichtlich vorbei. Rundfunk- und Pressefreiheit sind bekanntlich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konstitu- tives Element einer freiheitlichen Demokratie. Das wird ausdrücklich auch durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt, nach deren Art. 11 die Freiheit der Medien und ihre Pluralität zu achten sind. Ich freue mich, dass wir heute einen Gesetzentwurf verab- schieden, der dem Rechnung trägt. In der Beratung über den F.D.P.-Entwurf am 7. Oktober 1999 hatte ich angekün- digt, dass der demnächst zu beratende Entwurf der Bun- desregierung so evident besser sein werde, dass wir ihn ge- meinsam zur Beratungsgrundlage machen könnten. Meine Hinweise mögen belegen, dass diese Einschätzung richtig war. Damit stehen wir am Ende eines Weges, der in der vorletzten Legislaturperiode durch die Vorlage eines zum besseren Schutz der Medienfreiheit vorgelegten Gesetz- entwurfes der SPD-Bundestagsfraktion begonnen wurde. Die erwähnte Dokumentation mag auch den Bundesrat veranlassen, etwa noch bestehende Bedenken zurückzu- stellen und auf die Einlegung eines Einspruchs gegen das nicht zustimmungsbedürftige Gesetz zu verzichten. Ronald Pofalla (CDU/CSU): Die Sicherung der Pres- sefreiheit ist eine ernste Aufgabe und verfassungsrecht- lich höchst bedeutsam. Dies ist jedoch nicht erst die weise Erkenntnis der jetzigen Regierung, sondern ist für jeden Rechtsanwender, jeden Journalisten und letztlich jeden Bürger selbstverständlich. Natürlich kennt jeder Journalist die Grenzen seiner Tätigkeit, die da endet, wo strafbares Handeln beginnt oder die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden einge- schränkt oder gar verhindert wird. Natürlich kennt auch jeder Polizeibeamte, jeder Staatsanwalt und jeder Richter die Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten, die nämlich dort gezogen sind, wo es an die Substanz der freien Be- richterstattung geht, also dort, wo der verfassungsrecht- lich absolut geschützte Bereich des Grundrechtes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes berührt wird. Die beiden wichtigen von der Verfassung geschützten Werte, die hier in Einklang gebracht werden müssen, sind die Presse- und Rundfunkfreiheit einerseits und die im Rechtsstaatprinzip verankerte Pflicht zur Erforschung der Wahrheit im Strafprozess andererseits. Der notwendige Ausgleich zwischen diesen wichtigen Verfassungsgütern wird durch die Gerichte in ausreichen- dem Maße hergestellt. Die Vorschriften der Strafprozess- ordnung ermöglichen diesen Ausgleich. Sie haben einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht stand- gehalten. Das Bundesverfassungsgericht selbst sieht daher – so die Schlussfolgerung aus dem insoweit ein- schlägigen Urteil – keinen gesetzgeberischen Handlungs- bedarf. Auch der Deutsche Juristentag, der sich 1998 mit dem Thema auseinander gesetzt hat, ist der Ansicht, dass keine akute Notwendigkeit besteht, das geltende Recht zu än- dern. Warum also versuchen sowohl die Bundesregierung als auch zuvor bereits die F.D.P.-Fraktion, die einzelfall- angemessene Entscheidungskompetenz der Gerichte zu untergraben, indem sie das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten verändern und die Beschlagnahme- möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden reduzieren wollen? Der F.D.P.-Gesetzentwurf trug zudem noch den verwirrenden Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Siche- rung der Pressefreiheit“, was den Eindruck erweckt, als herrschten bei uns vordemokratische Verhältnisse. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist hingegen ein Wolf im Schafspelz: ein nichtssagender Titel, aber darin sind mindestens ebenso weit reichende Veränderun- gen des geltenden Rechts enthalten. In den wesentlichen Punkten weisen die beiden Ge- setzentwürfe Überschneidungen auf. Daher möchte ich mich vor allem diesen gemeinsamen Punkten im Einzel- nen widmen: Erstens. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO soll auch auf den Inhalt selbst recher- chierten bzw. selbst erarbeiteten Materials ausgedehnt werden. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist zu- dem in der geplanten Änderung des § 53 Abs. 2 StPO die ausdrückliche Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsgrund- satzes vorgesehen. Beide Änderungen sind tatsächlich nicht notwendig. Da diese Regelung zusammen mit dem hierzu eben- falls geplanten Beschlagnahmeverbot für selbst recher- chiertes Material den Kern beider Gesetzentwürfe aus- macht, möchte ich grundsätzlich Folgendes zu Bedenken geben: Wem nützt denn diese Regelung tatsächlich? Ganz bestimmt nicht dem Journalisten, der – selbst wenn er im investigativen Journalismus tätig ist – doch bei der Be- obachtung von Straftatbeständen über kurz oder lang sein Material von sich aus den Strafverfolgungsbehörden übergeben wird oder zumindest nichts dagegen haben wird, sein Material den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Geschützt werden durch solch weit gehende und un- flexible Regelungen höchstens die schwarzen Schafe der Branche, diejenigen, die die Berufsbezeichnung „Journa- list“ lediglich als Tarnung benutzen. Genau das wird der Gesetzentwurf erreichen. Er wird dazu führen, dass das unnötig erweiterte Zeugnisverweigerungsrecht als Deck- mäntelchen genutzt werden wird. Dies können auch die Journalistinnen und Journalisten nicht wollen. Eine sol- che „Ausnutzung“ ihres Berufsstandes kann nicht in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118172 (C) (D) (A) (B) ihrem Interesse liegen, von den Einschränkungen der Ef- fektivität der Strafrechtspflege einmal ganz zu schweigen. Zweitens. Geplant ist weiterhin eine Erweiterung des Schutzbereichs des Zeugnisverweigerungsrechts. So sol- len nunmehr auch ausdrücklich Filmberichte, nicht pe- riodische Druckwerke und der Berichterstattung dienende Informations- und Kommunikationsdienste miteinbe- zogen werden. Auch diese Änderung erscheint zumindest unnötig. Eine solche Ausweitung des Schutzbereiches wird eine trennscharfe Abgrenzung der Zeugnisverweigerungs- berechtigten erheblich erschweren. Ähnlich wie bereits bei dem Begriff des „selbst recherchierten Materials“ böte auch diese Änderung Personen, die mit der Presse nichts zu tun haben, die Möglichkeit, das Zeugnisverweige- rungsrecht als Tarnung in Anspruch zu nehmen. Drittens. Die Beschlagnahmemöglichkeit soll durch die ausdrückliche Aufnahme einer Verhältnismäßigkeits- prüfung beschränkt werden. Die Beschlagnahme soll zu- dem lediglich Ultima Ratio sein. Diese Beschränkung der Beschlagnahmemöglichkeit soll auch dann gelten, wenn das Material aus einer Straftat herrührt oder durch eine Straftat erlangt worden ist. Diese Regelung ist ebenfalls überflüssig. Schon heute muss bei jeder Beschlagnahme dem Verhältnismäßig- keitsgrundsatz Rechnung getragen werden. Dies ergibt sich aus Nr. 73 a RiStBV. Ganz ausdrücklich ist auch jetzt schon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Be- schlagnahme selbst recherchierten Materials zu beachten. Viertens. Geplant ist weiterhin in beiden Gesetzentwür- fen ein Beweiserhebungsverbot für Aussagen, die im Hin- blick auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach anderen Verfahrensordnungen gemacht wurden. Die Vorstellung, dass Erkenntnisse in einem zivilrechtlichen Verfahren streitentscheidend, im Strafverfahren jedoch unbeachtlich sein sollen, ist eine Durchbrechung prozessrechtlicher Prinzipien, die unangemessen erscheint. Fazit: Gesetzentwürfe dieser Art sind unnötig. Der ein- zige Nutzen ergibt sich aus ihrer schlichten Existenz; denn nur durch die ständige Diskussion bleiben wir für die Bedeutung der Presse- und Rundfunkfreiheit für unser Gemeinwesen sensibilisiert. Dieses für die Demokratie notwendige Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes muss immer wieder den Inhabern der staatlichen Gewalt vor Augen geführt werden. Nur so kann Machtmissbrauch verhindert werden. Gleichwohl bedarf es solcher Gesetzentwürfe nicht, um die Presse- und Rundfunkfreiheit zu schützen. Die Instrumentarien, die unsere Strafprozessordnung in ver- fassungskonformer Auslegung durch die Gerichte bietet, reichen aus. Es ist wichtig zu begreifen, dass in diesem empfindlichen Bereich nicht mit starren Gesetzen gear- beitet werden darf. Der Gesetzentwurf der Bundesregie- rung wird daher von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das ist ein gutes Gesetz, das wir jetzt verabschie- den: gut für die Pressefreiheit und gut für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, weil sie und die Redak- tionen jetzt sicher sein können, dass auch ihr selbst re- cherchiertes Material für die Justiz weitgehend tabu ist und bleibt. Dieses Material ist in Zukunft überwiegend geschützt vor Durchsuchungen und Beschlagnahme durch die Ermittlungsbehörden. Die Journalisten müssen über das von ihnen Recherchierte vor Gericht nicht aussagen. Sie haben nach diesem Gesetz ein Zeugnisver- weigerungsrecht. Damit wird das Vertrauen nicht nur der Informanten, sondern der ganzen Bevölkerung in die Ar- beit und Verschwiegenheit der Medien und der Journalis- ten wirksam gestärkt. Das ist auch gut für die Demokra- tie, denn die vierte Gewalt wird geschützt. Lange haben wir Bündnisgrünen uns für eine solche Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Journalis- tinnen und Journalisten gemeinsam mit Journalistenver- einigungen, Redaktionen und Verlagen eingesetzt. Ich will kein Hehl daraus machen, dass unsere Vorstellungen und Vorentwürfe aus Oppositionszeiten weiter gehende Regelungen mit noch mehr Sicherheit für die Journalisten und Medien vorgesehen hatten, etwa, dass in allen Fällen ohne jede Einschränkung auch selbst recherchiertes Ma- terial ganz beschlagnahmefrei sein sollte oder ein Ver- wertungsverbot für solches Material besteht, wenn sich später ein zunächst angenommener Tatverdacht nicht be- stätigen lässt. Aber wir mussten feststellen, dass nicht alles umsetz- bar war. Das lag nicht nur an einem uneinsichtigen Koali- tionspartner. Es gab auch objektiv wichtige Gründe, die dagegen gesprochen haben. So wäre es schwer, zu recht- fertigen, wenn ein Verbrechen wie Mord und Vergewal- tigung, nicht aufgeklärt werden kann, weil ein Journalist, der selbst etwas zu dem Verbrechen herausgefunden hat, nicht aussagen muss und von ihm zusammengestelltes Material vom Gericht nicht genutzt werden kann. Auch deshalb haben wir Kompromisse geschlossen. Die Kompromisse können sich aber gut sehen lassen. Bei Verbrechen gilt das neue Zeugnisverweigerungsrecht nicht und Material, das zur Aufklärung von Verbrechen dienen kann, kann auch vom Gericht genutzt werden, wenn anders kein Ermittlungserfolg möglich ist. Nur wenn es um Verbrechen geht, gilt das; nicht bei Vergehen oder Übertretungen strafrechtlicher Vorschriften. Nur dann müssen die Journalistenrechte ausnahmsweise zurücktreten. Damit gehen die in unserem Gesetz gefun- denen Regelungen weiter, als dies von Journalistenver- bänden vorgeschlagen wurde. Auch die F.D.P. bleibt mit ihrer Katalogregelung hinter unseren Ergebnissen zurück. Journalistenverbände haben in den vergangenen Jahren zu Recht kritisiert, dass Strafverfolgungsbehörden mehr- fach die Tätigkeit von Medienschaffenden behindert, Re- daktionen durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt hat- ten. Die rot-grüne Koalition weitet nun den Schutz vor solchen Behinderungen aus. Außerdem wird der Kreis der Berechtigten, in Strafverfahren die Zeugenaussage zu verweigern, auf die an Herstellung und Vertrieb von Büchern und Filmen Beteiligten erweitert. Werden Journalisten verdächtigt, selbst an einem De- likt beteiligt zu sein oder dieses zu begünstigen, kann wie bisher beweiswichtiges Material beschlagnahmt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18173 (C) (D) (A) (B) Dass dieser Eingriff in die Pressefreiheit möglich sein muss, hat das Bundesverfassungsgericht verlangt und auch der Deutsche Journalistenverband in einem eigenen Entwurf gutgeheißen. Noch enger als dieser Entwurf kann auf grüne Initiative hin nach dem neuen Gesetz künftig nur noch dann durchsucht und Material beschlagnahmt werden, wenn ohne diese Information die Ermittlungen aussichtslos oder wesentlich erschwert wären und wenn die Beschlagnahme zudem keine unverhältnismäßige Einschränkung der Pressefreiheit darstellt. Auch das ist ein wesentlicher Fortschritt. Unsere Regelung ist deutlich günstiger als der Vor- schlag des journalistischen Berufsverbands und der F.D.P.-Fraktion. Die F.D.P. will solche Eingriffe bei einem langen Katalog von über 65 Delikten bis hin zu Verstößen gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz zulassen. Die F.D.P. versucht, ihre Forderung nach so weit gehen- der Durchbrechung des journalistischen Schutzes mit der Behauptung zu verteidigen, andernfalls würde das Zeug- nisverweigerungsrecht Ermittlungsmaßnahmen auch im Falle sexuellen Kindesmissbrauchs verhindern, weil dies kein Verbrechen sei. Dieser Einwand ist an den Haaren herbeigezogen. Denn in solchen Fällen sind aufgrund des Verbrechenstatbestands nach § 177 StGB weiterhin natür- lich alle erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen möglich. Aus einer Auswertung des Deutschen Journalistenverban- des vom 13. Juni 2001 von über 150 Fällen, in denen Re- daktionen durchsucht und Beschlagnahmen durchgeführt wurden, ergibt sich, dass in aller Regel Ermittlungen we- gen Vergehen und kaum je Verbrechen zugrunde lagen. Nach der Lösung der Koalition wird derlei also künftig wirkungsvoll ausgeschlossen sein. Weiterhin ist nun vorgeschlagen worden, die Durch- suchung von Redaktionen nur dann zu gestatten, wenn be- reits ein dringender Tatverdacht besteht. Das ist eine For- derung, die wir Bündnisgrünen auch hatten, die aber nicht umsetzbar war. Dem wurde entgegengehalten, das sei sys- temwidrig; denn wenn die Ermittlungsbehörden schon so viele Beweise haben, dass dringender Tatverdacht gegen einen Beschuldigten besteht, dann kann und sollte auf eine so einschneidende Maßnahme wie die Durchsuchung einer Redaktion verzichtet werden. Dies wird nur dann er- wogen werden, wenn aufgrund eines bloß einfachen Tat- verdachts noch Beweise gesammelt werden müssen. Wir werden die Entwicklung beobachten und notfalls korri- gieren müssen, wenn der Einwand sich als unzutreffend herausstellt. Schließlich will der Gesetzentwurf der Koalition si- cherstellen, dass künftig das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten nicht ausgehebelt werden darf, indem gegen sie selbst ein beliebiges Strafermittlungsverfahren eröffnet wird, etwa wegen Anstiftung zum Geheimnis- verrat. Interessanterweise berichtet die erwähnte Doku- mentation des Journalistenverbands von mehr als 20 Fäl- len solcher Ermittlungen, die jedoch kein einziges Mal zu einer Anklage geführt habe. Wir gehen davon aus, dass ein dahin gehender Verfolgungseifer von Staatsanwälten nach unserem heutigen Gesetzesbeschluss zur Stärkung der Pressefreiheit deutlich abnimmt, jedenfalls nicht zur Umgehung von Ermittlungsverboten gegen Medien ein- gesetzt wird. Insgesamt beschließen wir heute ein gutes Gesetz für mehr Pressefreiheit. Selbstverständlich sind wir damit noch nicht am Ende unserer Bemühungen für bessere Ar- beitsmöglichkeiten von Presse und Journalisten. Das nächste Gesetzgebungsvorhaben ist ein Informationsfrei- heitsgesetz. Es ist in Arbeit. Damit soll das Recht ge- schaffen werden, nicht nur für Journalistinnen und Jour- nalisten, sondern auch für alle Bürgerinnen und Bürger, Einsicht in sie interessierende Behördenakten nehmen zu können. Es bleibt die Feststellung: Heute ist ein guter Tag für Presse und Medien. Noch kurz vor der Sommerpause schafft das Parlament für sie mehr Schutz und Rechte. Jörg van Essen (F.D.P.): Es ist zu begrüßen, dass der Deutsche Bundestag heute endlich einen Beschluss über die Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten herbeiführt. Die F.D.P. hätte sich den Be- schluss eines solchen Gesetzentwurfs schon viel früher gewünscht. Bereits im Sommer 1999 haben wir einen eigenen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, der das Zeugnis- verweigerungsrecht für Journalisten auch auf selbstre- cherchiertes Material ausweitet. Dabei haben wir alle For- derungen der betroffenen Verbände aufgenommen. Unser Gesetzentwurf ist in den Medien- und Journalistenkreisen daher auch auf breite Zustimmung gestoßen. Dies hat auch die Anhörung des Rechtsausschusses gezeigt. Die Sachverständigen haben unsere Initiative einhellig gelobt und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgezo- gen. In zwei wesentlichen Fragen unterscheidet sich der Ge- setzentwurf der F.D.P. von dem der Bundesregierung: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Beschlag- nahme des selbstrecherchierten Materials bereits bei ein- fachem Tatverdacht vor. Die F.D.P. fordert dagegen die Beschlagnahme erst bei dringendem Tatverdacht. Diese Regelung der F.D.P. ist von allen großen Verbänden, wie dem Deutschen Presserat, der IG Medien und dem Deut- schen Journalistenverband sowie von den Sachverständi- gen begrüßt worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält Aus- nahmen beim Zeugnisverweigerungsrecht, der Durchsu- chung und der Beschlagnahme bei Ermittlungen zur Auf- klärung eines Verbrechens, es sei denn, „die Verpflichtung zur Aussage würde unter Berücksichtigung des Grund- rechts der Pressefreiheit außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen“. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Regierung ist zu Recht auf Kritik gestoßen und wird in der Praxis zu er- heblichen Problemen führen. Diese Verhältnismäßigkeits- regel öffnet Tür und Tor für unterschiedliche Interpretati- onsmöglichkeiten und bietet keinen verlässlichen Schutz für die Arbeit der Journalisten. Nach dem Regierungsent- wurf darf der Journalist die Aussage verweigern bei Ver- fahren wegen sexuellem Missbrauch von Kindern. Dies zeigt, wie schlampig hier gearbeitet wurde. Die F.D.P. hat demgegenüber einen Straftatenkatalog aufgestellt, bei dem die Ausnahmen greifen. Dort ist der sexuelle Miss- brauch von Kindern selbstverständlich berücksichtigt worden. Noch vor wenigen Tagen ging eine weitere Stel- lungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten ein. Auch er erachtete den F.D.P.-Gesetzentwurf für vorzugswürdig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118174 (C) (D) (A) (B) Die Koalitionsfraktionen haben sämtliche Anregungen und Verbesserungsvorschläge der Sachverständigen igno- riert. Sie sind von ihrem Ursprungsentwurf nicht abgewi- chen. Dies zeigt, welche Bedeutung Rot-Grün dem wich- tigen parlamentarischen Instrument der Anhörung und den fachlichen Stellungnahmen von Experten beimisst. Wir sind uns im Ziel einig. In der Umsetzung unter- scheidet sich unsere Initiative aber erheblich von der der Koalition. Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung daher ablehnen. Angela Marquardt (PDS): Zunächst möchte ich be- tonen, dass eine Reform des Zeugnisverweigerungsrechts überfällig ist. Beide vorliegenden Gesetzentwürfe sind in- sofern zu unterstützen, als sie das Zeugnisverweigerungs- recht erstens auf selbst recherchiertes Material, zweitens auf elektronische Publikationen und drittens auf nicht pe- riodische Druckwerke erweitern. Das wäre alles ganz wunderbar, wenn nicht beide Gesetzentwürfe wegen ihren erheblichen Ausnahmeregelungen praktisch wieder ad ab- surdum geführt würden. Ob Sie nun, wie bei dem F.D.P.-Entwurf, einen Kata- log von 65 Straftaten anhängen – von Mord bis zu Ver- stößen gegen das Ausländerrecht – oder ob Sie, wie beim Regierungsentwurf, alle Straftaten ausnehmen, auf die mindestens ein Jahr Haft steht –, das kommt so ungefähr aufs Gleiche raus. Zu Durchsuchungen in Redaktionen kommt es nicht wegen eines Eierdiebstahls oder wegen Schwarzfahrerei, sondern immer nur bei Recherchen zu Straftaten wie § 129 a, Spionage, Mord, Steuerhinterzie- hung. Ich habe bereits einmal Herrn Ströbele in dieser Ange- legenheit zitiert und ich will es noch einmal machen, weil ich es nicht besser formulieren könnte: Machen Sie den Journalisten einmal klar, dass das Material, das sie in wirklich wichtigen Fällen, in de- nen es um Spionage, um kriminelle Vereinigungen oder um schwere Straftaten geht, erarbeitet und in ihrem Schreibtisch liegen haben, nicht frei von Be- schlagnahme ist. Ich denke, dass sie gerade in diesen Fällen geschützt werden müssen. So weit Ströbele zu dem F.D.P.-Entwurf. – Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Ströbele. Nur, nach dem Regierungs- entwurf werden Journalisten gerade in diesen Fällen ge- nauso wenig geschützt wie nach dem F.D.P.-Entwurf. In dieser Frage nehmen sich die beiden Anträge also nichts. In einem anderen Punkt ist der F.D.P.-Entwurf eindeu- tig besser als jener der Bundesregierung. Durchsuchun- gen und Beschlagnahmungen bei Journalisten waren bis- her nur möglich, wenn der betroffene Journalist selbst im Verdacht steht, an der Straftat beteiligt zu sein. Die F.D.P. will, dass das nur noch bei dringendem Tatverdacht er- laubt ist; nach SPD und Grünen soll schon der einfache Tatverdacht reichen. Die Anhörung im Rechtsausschuss hat gezeigt, dass die Vertreter der Medien und die Wissenschaftler in die- sem Punkt allesamt dem F.D.P.-Entwurf den Vorrang ge- ben. Vom Deutschen Journalisten-Verband bis zum Bun- desverband Deutscher Zeitungsverleger kritisierten alle den Regierungsentwurf als nicht weitgehend genug. Die- sem Urteil der Experten kann ich mich ganz klar an- schließen. Insgesamt halten wir den F.D.P.-Entwurf für weitge- hender und daher für besser. Wir werden ihm also zu- stimmen, obwohl auch er nicht das ist, was wir eigentlich bräuchten. Die Pressefreiheit musste wieder einmal hinter die Wünsche der Strafverfolger zurücktreten. Journalisten müssen weiterhin befürchten, dass sie mit ihren Recher- chen zu unfreiwilligen Hilfsermittlern werden. Schade, dass den Grünen der Mumm fehlte, ihre richtigen Ein- sichten auch durchzusetzen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Die Pressefreiheit und die Frei- heit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind konstituierend für unsere freiheitliche Verfassung. Sie ge- währleisten den in diesem Bereich tätigen Personen und Unternehmen Freiheit von staatlichem Zwang. Hierzu gehört der Schutz der Informationsbeschaffung ebenso wie die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit einschließ- lich des Schutzes solcher Unterlagen, die das Ergebnis ei- gener Beobachtungen und Ermittlungen enthalten. Presse- und Rundfunkfreiheit bilden die Voraussetzung dafür, dass die Medien ihr „Wächteramt“ gegenüber Poli- tik und Gesellschaft wirksam ausüben können. Bereits seit der 12. Legislaturperiode – damals auf der Grundlage von Anträgen des Bundesrates und der SPD- Bundestagsfraktion – beschäftigt sich dieses Haus mit der Frage, wie das Zeugnisverweigerungsrecht der Journa- listen besser mit dem staatlichen Auftrag der Sachauf- klärung im Strafverfahren austariert werden kann. Denn es ist unbestreitbar, dass es in der Vergangenheit mehrfach zu Ermittlungsmaßnahmen gegen zeugnisverweigerungs- berechtigte Journalisten kam, bei denen die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grund- rechte des Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht gesichert erschien. Diese Gesetzesinitiativen scheiterten aber stets am Widerstand der früheren Bundesregierung. Die jetzige Bundesregierung hat sich der Aufgabe, die insoweit dringend erforderlichen Konkretisierungen in der Strafprozessordnung vorzunehmen, energisch und – das möchte ich betonen – mit größtmöglicher Sorgfalt, unter anderem nach einer umfassenden Befragung der justiziellen Praxis und der betroffenen Verbände – ich nenne hier nur die Richterschaft, die Anwaltschaft und selbstverständlich die Medienverbände –, angenommen. Ergebnis ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf, der von dem Grundsatz geleitet wird: so viel Pressefreiheit wie möglich, so viel Strafverfolgung wie nötig. Denn auch der Auftrag des Staates zur Aufklärung von Strafta- ten ist in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts zu Recht hervorgehoben worden. Heute ist – das sage ich mit großer Genugtuung – ein sehr guter Tag für die Pressefreiheit. Neben der seit lan- gem geforderten Erweiterung des Zeugnisverweigerungs- rechtes der Journalisten und des entsprechenden Beschlagnahmeverbotes auf selbst recherchierte Erkennt- nisse werden in den Schutzbereich des Zeugnisverweige- rungsrechtes auch erstmals solche Personen aufgenom- men, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18175 (C) (D) (A) (B) breitung von nicht periodisch erscheinenden Druckwer- ken, also insbesondere im Bereich der Buchpresse, von Filmberichten und nicht zuletzt – auch diese Ergänzung war längst überfällig – von neuen Informations- und Kommunikationsdiensten, berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben. Lassen Sie mich zwei wichtige Elemente des Gesetz- entwurfes der Bundesregierung hervorheben, die auch in der vorangegangenen Diskussion des Rechtsausschusses dieses Hauses eine zentrale Rolle gespielt haben. Aus- nahmen von der Zeugnisfreiheit und vom Beschlagnah- meverbot bei selbst recherchiertem Material sind nur dann zulässig, wenn ein Verbrechen aufgeklärt werden soll. Doch auch in diesen Fällen ist die Beachtung des Ver- hältnismäßigkeitsgrundsatzes ausdrücklich hervorgeho- ben worden. Diese klare Abgrenzung wurde auch in der Anhörung im September letzten Jahres von Sachverstän- digen ausdrücklich begrüßt. Gegenüber einem insbeson- dere von der F.D.P. geforderten Straftatenkatalog hat diese Lösung nicht nur den Vorzug der Klarheit und der Kon- zentration auf Straftaten, die vom Gesetzgeber als beson- ders schwer wiegend eingestuft worden sind. Sie vermei- det auch die häufige Beliebigkeit von Katalogen und die mit Katalogen stets verbundenen Nachbesserungsdiskus- sionen. Nicht zuletzt gibt diese Regelung der Praxis ein klares Abgrenzungskriterium an die Hand. Außerdem wurde der Schutz vor Beschlagnahmen auch in den Fällen verbessert, in denen der Journalist teil- nahmeverdächtig ist oder es sich um deliktsverstrickte Gegenstände handelt. Insoweit wurde die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes im Gesetz ausdrück- lich festgeschrieben. Darüber hinaus wurde bestimmt, dass solche Maßnahmen nur zulässig sind, wenn die Er- forschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Auf- enthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der verschiedentlich erhobenen Forderung, die Zu- griffsschwelle auf das Vorliegen dringenden Tatver- dachts anzuheben, vermochte die Bundesregierung indes nicht zu folgen. Denn der dringende Tatverdacht bedeu- tet mehr als den sogar für die Anklageerhebung gefor- derten Grad an Gewissheit. Deshalb ist die Verdachts- schwelle des dringenden Tatverdachtes in der Straf- prozessordnung bei keiner noch so schwer wiegenden Er- mittlungsmaßnahme vorgesehen. Liegt dringender Tat- verdacht vor, ist die Beweislage zur Anklageerhebung nämlich bereits ausreichend. Weitere Ermittlungsmaß- nahmen sind also nicht mehr erforderlich und wären da- mit unverhältnismäßig. Lassen Sie mich noch ein Wort in Richtung Bundesrat sagen, dessen Wunsch nach Abstrichen beim Presseschutz die Bundesregierung mit wohlerwogenen Gründen nicht gefolgt ist. Insoweit ist es mein Anliegen, der Länder- kammer die Überlegung nahe zu bringen, dass der Ge- setzentwurf der Bundesregierung durch seine klaren und damit sehr praxistauglichen Vorgaben letztendlich auch die Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften durch Schaffung von Rechtssicherheit erleichtern wird. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzent- wurf der Bundesregierung, der die Pressefreiheit und das damit unabdingbar zusammenhängende Vertrauensver- hältnis zur Presse wesentlich verbessert, ohne die berech- tigten Belange der Strafverfolgung zu vernachlässigen. Anlage 11 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nach- stehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im zweiten Viertel- jahr des Haushaltsjahres 1999 – Drucksachen 14/1488, 14/1577 Nr. 6 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im dritten Viertel- jahr des Haushaltsjahres 1999 – Drucksachen 14/2210, 14/2296 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Über- und außerplanmäßige Ausgaben im vierten Viertel- jahr des Haushaltsjahres 1999 – Drucksachen 14/2830, 14/3048 Nr. 3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6395 Nr. 3.1 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/4665 Nr. 2.1 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/4309 Nr. 1.2 Drucksache 14/5172 Nr. 2.86 Drucksache 14/5730 Nr. 2.15 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/5836 Nr. 2.9 Drucksache 14/5836 Nr. 2.15 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118176 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418300000
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, einen schönen guten Morgen! Die
Sitzung ist eröffnet.

Der Ältestenrat hat vereinbart, dass in der Haus-
haltswoche vom 10. September 2001 keine Regierungs-
befragung, keine Fragestunden und keine Aktuellen
Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

nisationsreform in der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung (LSVOrgG)

– Drucksachen 14/5314, 14/5928, 14/6177,
14/6495, 14/6545 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Brandner

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6545? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Frak-
tion der PDS angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P.
Effizienz in der landwirtschaftlichen Sozial-
versicherung verbessern – Versichertennähe
stärken
– Drucksache 14/6585 –

Interfraktionell ist vereinbart worden, dass eine Aus-
sprache nicht erfolgen soll. – Das Haus ist damit einver-
standen.

Wir kommen also zur Abstimmung über den Antrag
auf Drucksache 14/6585. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig
angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Aktuelle Entwicklung in Südosteuropa und
Lage in Mazedonien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418300100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit wenigen
Tagen sitzt Slobodan Milosevic, der Brandstifter des ge-
fährlichsten europäischen Flächenbrandes seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs, in einer Haftzelle in Den Haag.
Milosevic wird sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren
wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwor-
ten müssen. Dies ist ein Sieg des Rechts über die Gewalt
und ein in seiner Bedeutung kaum zu überschätzender
Fortschritt für Europa und die Welt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir erwarten nunmehr auch die Festnahme weiterer Ge-
suchter, an erster Stelle die von Karadzic und Mladic.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es begann mit der Unterdrückungspolitik im Kosovo
durch die Aufhebung des Autonomiestatuts 1989 und dem

18063


(C)



(D)



(A)



(B)


183. Sitzung

Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Angriff auf Slowenien. Am Ende standen vier blutige Bal-
kankriege, Hunderttausende Tote und Millionen von Ver-
triebenen. Während sich Milosevic in Den Haag für seine
Taten verantworten muss, geht die Saat seiner verbreche-
rischen Politik auf dem Balkan an anderer Stelle weiter
auf. Seit einigen Monaten steht Mazedonien am Rande
eines Bürgerkriegs.

Viel zu lange waren die Europäer uneins und nicht be-
reit, die notwendigen Instrumente einzusetzen, um dem
entfesselten Nationalismus in Jugoslawien Einhalt zu ge-
bieten. Eigentlich erst nach der Tragödie von Srebrenica
haben die Europäer begriffen, dass der Balkan nicht eine
entlegene Weltregion mit ganz eigenen Gesetzen ist, son-
dern dass dort ihre eigene Sicherheit und ihre eigenen
Ideale auf dem Spiel stehen, dass der Balkan also ein un-
trennbarer Teil Europas und damit auch der europäischen
Sicherheit ist.

Es waren zwei Dinge, die die mörderische Strategie
Milosevics beendeten und in Südosteuropa eine grundle-
gende Wende zum Besseren auslösten: das entschlossene
Eingreifen der Staatengemeinschaft, zuerst in Bosnien
und dann im Kosovo, und die Bereitschaft Europas, den
Balkanstaaten eine europäische Perspektive, eine Per-
spektive für das Europa der Integration zu eröffnen. Wenn
Sie nach einer Exit-Strategie fragen: Exakt dies wird die
Exit-Strategie für unser Engagement auf dem Balkan sein;
eine andere Strategie wird es nicht geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist auch der Kern des Stabilitätspakts. Darauf sind
alle Bemühungen zur Unterstützung der demokratischen
Kräfte in Exjugoslawien gerichtet.

Diese Politik war sehr erfolgreich. Heute sind das de-
mokratische Jugoslawien und das demokratische Kroa-
tien auf europäischem, auf demokratischem Kurs. In Al-
banien fanden am vorletzten Sonntag erneut freie,
demokratische Wahlen statt. Im Kosovo wird es Krieg
und massenweise Menschenrechtsverletzungen nicht
wieder geben, auch wenn das Zusammenleben der Volks-
gruppen – ich erinnere an die Lage der Minderheit; es sind
in der Tat nach wie vor einzelne schwere Menschen-
rechtsverletzungen zu beklagen – noch lange schwierig
bleiben wird. Das Gleiche gilt für Bosnien.

Auch der Stabilitätspakt greift. Dies zeigten die Eini-
gung von sieben Balkanstaaten, bis Ende 2002 eine Frei-
handelszone zu schaffen, und die beachtlichen Ergebnisse
der Geberkonferenz für Jugoslawien.

In Mazedonien ist der europäische Frieden heute wie-
der bedroht. Die Probleme dort sind anders gelagert als in
Bosnien oder im Kosovo. Aber eines ist klar: Wir haben
nicht gegen einen großserbischen Nationalismus und
seine Gewaltpolitik gekämpft, um nun einem anderen ex-
tremen Nationalismus nachzugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die angespannte Lage in Mazedonien, die fast
100 000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat, gibt An-

lass zu großer Sorge. Wenn sich die Hardliner auf beiden
Seiten durchsetzen, dann ist eine gewaltsame Zuspitzung
bis hin zum Bürgerkrieg nicht auszuschließen. Entschei-
dend für den Frieden in Mazedonien ist eine neue Grund-
lage des Zusammenlebens, eine geänderte demokratische
Verfassung in einem einheitlichen Staat. Sie muss der
Kern einer politischen Lösung sein.

Alle Anstrengungen von außen – darin sind sich Euro-
päische Union und NATO einig – müssen auf eine solche
politische Lösung gerichtet sein. Die Mission François
Léotards in Skopje in enger Kooperation mit der NATO
und mit dem neuen US-Sondergesandten Pardew bietet
die Chance, den Verhandlungen einen neuen Impuls zu
geben. Die Bundesregierung hat diese Verhandlungen ak-
tiv und mit eigenen Vorschlägen begleitet. Diese Vor-
schläge haben breite Zustimmung gefunden.

Eine grundsätzliche Einigung über die politische Lö-
sung muss auf wesentlichen Grundprinzipien aufbauen,
die auch in den Friedensplänen beider Konfliktparteien
enthalten sind. Diese Prinzipien sind vor allem: die terri-
toriale Integrität Mazedoniens, kein Sonderstatus für
Teilgebiete und ein Bekenntnis zu Mazedonien als mul-
tiethnischem Staat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine politische Lösung sollte darüber hinaus Maßnahmen
zur Vertrauensbildung und zur Integration der Ethnien so-
wie eine Einigung über Verfassungsfragen beinhalten.

Die strittigen Punkte dabei sind eine Änderung der
Präambel der heutigen mazedonischen Verfassung in
Richtung einer Bürgerverfassung, eine Säkularisierung
des Staates, das Recht zur Benutzung der albanischen
Sprache als eine der offiziellen Sprachen Mazedoniens
und Schutzklauseln zur Wahrung der Interessen der ethni-
schen Gemeinschaften in für sie existenziellen Fragen.

Die mazedonische Regierung hat mithilfe des Ver-
handlungsteams der internationalen Staatengemeinschaft
ein Rahmenpapier erarbeitet, das gegenwärtig noch abge-
stimmt wird. Es steckt die Bereiche für zukünftige Ver-
handlungen ab und soll bereits jetzt konkrete Verpflich-
tungen festlegen. Die Umsetzung einer politischen
Lösung wird – dies muss allen klar sein – eine entspre-
chende Absicherung durch die Staatengemeinschaft vo-
raussetzen. Diese zentrale Lektion der vergangenen vier
Balkankriege darf heute nicht in Vergessenheit geraten.

Präsident Trajkovski hat die NATO um Unterstützung
bei der freiwilligen Entwaffnung der NLA gebeten. Alle
Angehörigen der mazedonischen Regierung haben dem
zugestimmt. Die Bundesregierung ist bereit, im Rahmen
der NATO hieran mitzuwirken, wenn folgende Vorausset-
zungen gegeben sind: erstens eine belastbare Grundsatz-
vereinbarung zur politischen Lösung der Probleme in
Mazedonien und der Verzicht auf jede militärische Option
– wir werden darauf hinwirken, dass die Weichen irrever-
sibel in Richtung eines dauerhaften Friedens gestellt wer-
den –, zweitens eine Einigung über den Waffenstillstand
und seine Modalitäten und drittens eine Selbstverpflich-
tung der NLA zur freiwilligen Waffenabgabe.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesminister Joseph Fischer

18064


(C)



(D)



(A)



(B)


Gestern haben die NLA und die mazedonische Regie-
rung in einseitigen Erklärungen eine Einstellung der
Kampfhandlungen für heute angekündigt. Wenn diese
Waffenruhe anhält, ist eine erste wichtige Voraussetzung
für den Frieden in Mazedonien geschaffen worden. Damit
ist aber – wohlgemerkt – erst eine der drei Voraussetzun-
gen für die Operation „Essential Harvest“ der NATO
erfüllt. Erst wenn aber wirklich alle drei Voraussetzungen
erfüllt sind, kann die NATO eine sinnvolle Rolle spielen.
Jeder falsche und voreilige Schritt birgt die große Gefahr,
die ethnischen Siedlungsgrenzen faktisch zu zementieren.
Dies hätte negative Folgewirkungen für die gesamte Re-
gion.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann darf
und wird sich Deutschland seiner außenpolitischen Ver-
antwortung nicht entziehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Alles andere würde nicht nur die deutsche Bündnisfähig-
keit, sondern auch die europäische Handlungsfähigkeit
massiv beeinträchtigen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben deshalb sichergestellt, dass die Vorbereitun-
gen für eine deutsche Beteiligung an der Operation „Es-
sential Harvest“ in der Größenordnung von etwa zwei
Einsatzkompanien eingeleitet werden und dies in den lau-
fenden NATO-Planungen berücksichtigt wird. Die beiden
Kompanien sollen gemeinsam mit dem französischen
Kontingent zum Einsatz kommen, wenn die NATO nach
Vorliegen aller Voraussetzungen diesen Einsatz beschließt
und der Deutsche Bundestag ihrer Entsendung zustimmt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das werden wir sehen!)


Der Bundeswehr werden für den Fall ihrer Beteiligung die
nötigen materiellen Voraussetzungen zur Verfügung
stehen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Was heißt das?)


Politischer Wille und materielle Fähigkeiten gehören un-
trennbar zusammen. Auch das ist eine der Lehren, die Eu-
ropa aus den Krisen in Südosteuropa gezogen hat.

Lassen Sie mich noch einmal unterstreichen: Eine Be-
teiligung der Bundeswehr bei der Waffenabgabe ist nur
unter den genannten Voraussetzungen vorstellbar. Das
Schreiben Präsident Trajkovskis an NATO-Generalse-
kretär Robertson, das von allen Parteien der Koalitions-
regierung gebilligt wurde, ist nach Auffassung der Bun-
desregierung hierfür die eindeutige Rechtsgrundlage. Der
Bundeskanzler hat gestern den Fraktionsvorsitzenden zu-
gesagt, sie vor einer möglichen Beschlussfassung im Ka-
binett erneut zu unterrichten. In letzter Instanz ist es Sa-
che des Bundestages, über eine solche Beteiligung zu
entscheiden.

Der Realismus gebietet es, darauf hinzuweisen, dass
auch eine Verschlechterung der Lage in Mazedonien
denkbar ist, die eine andere Planung der NATO nach sich
ziehen könnte. In diesem Fall müssten wir die Umstände

auch mit Blick auf eine mögliche Beteiligung der Bun-
deswehr neu bewerten.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Welche wären das?)


Meine Damen und Herren, die komplexen Probleme
Südosteuropas hängen weitgehend miteinander zusam-
men. Die Fragen um Bosnien-Herzegowina, um Monte-
negro, um den Kosovo oder um Mazedonien sind eng ver-
woben mit der Situation in den jeweiligen Nachbarstaaten
und -regionen. Ohne deren Einbindung wird ein Zusam-
menleben der Völker auf dem Balkan letztlich nicht dau-
erhaft friedlich geregelt werden können. Es ist daher von
verschiedener Seite vorgeschlagen worden, den Versuch
zu machen, eine Gesamtlösung für die Region zu finden.
Dabei ist eines entscheidend: Wenn wir über eine Ge-
samtlösung sprechen, dann müssen Substanzfragen ganz
ans Ende gerückt werden, weil diese Fragen unter den ge-
genwärtigen Bedingungen eben nicht friedlich lösbar
sind.

Am Anfang muss die Definition der Verfahren und
Grundregeln stehen. So verlief auch der KSZE-Prozess;
diese positive Erfahrung sollte auch die Grundlage für das
Vorgehen in Südosteuropa sein. Oberste Prinzipien müs-
sen Gewaltverzicht, die Achtung der Grenzen und der
Menschen- und Minderheitenrechte sein. Auf einer sol-
chen Grundlage könnte dann ein Konferenzprozess für
Sicherheit und Stabilität ins Auge gefasst werden; aber
nicht – das unterstreiche ich – in der Perspektive des
19. Jahrhunderts, also nicht in der Richtung, dass wieder
Großmächte über diese Region entscheiden, sondern
in der klaren Perspektive der Heranführung der gesam-
ten Region an das zusammenwachsende Europa der Inte-
gration.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es sollte also eine Brüsseler, nicht eine Berliner Kon-
ferenz sein, Richtung Integration, nicht Richtung Neu-
zeichnung der Grenzen. Der Stabilitätspakt hat dazu die
Vorarbeiten geleistet.

Die entscheidende Lektion aus vier furchtbaren, bluti-
gen Kriegen in Südosteuropa lautet: Der Balkan ist ein
Teil von Europa. Es gibt keine geteilte Sicherheit auf un-
serem Kontinent; es gibt nur eine Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen ist die Zukunft dieser Region die zentrale
Frage der europäischen Sicherheit.

Da wir, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
uns gegenwärtig auch in der Entwicklung der europä-
ischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik befinden
und da sich herausstellt, dass diese Entwicklung eben
nicht in Konfrontation zur NATO stattfindet – wenn wir
eine positive Erfahrung im letzten Jahr gemacht haben,
dann die, dass die Barrieren, auch die mentalen Barrieren,
zwischen NATO und Europäischer Union nahezu ver-
schwunden sind, dass es hier keine Konfrontation, kein
Gegeneinander gibt, sondern ein Miteinander, wie gerade
die Erfahrungen in Mazedonien beweisen –, da wir also in

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dieser entscheidenden historischen Bildungs- und For-
mungsphase Europas sind, auch in der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, müssen Sie begreifen, was es hieße,
wenn sich Deutschland, obwohl alle unsere europäischen
Partner bereit sind, diese politische Lösung, wenn sie
möglich und durchsetzbar ist, abzusichern, daran nicht
beteiligen würde.

Der Balkan ist ein Teil von Europa, habe ich gesagt.
Seine Zukunft ist die zentrale Frage der europäischen Si-
cherheit und damit auch eine der zentralen Fragen der Zu-
kunft des europäischen Integrationsprozesses. In Ma-
zedonien haben wir diesmal die große Chance, einen
Bürgerkrieg präventiv zu verhindern. Wir müssen uns die-
ser Aufgabe mit all unseren Kräften stellen; sonst gefähr-
den wir alles, was in den vergangenen Jahren an Positi-
vem in dieser Region erreicht wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutschland darf dabei nicht abseits stehen. Das ist un-
sere europäische Verantwortung. Das war bisher breiter
Konsens hier in diesem Haus. Es geht um den Frieden auf
dem Balkan, um die Zukunft Europas und damit auch um
die Glaubwürdigkeit der deutschen Außenpolitik.

Ich bedanke mich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418300200
Ich eröffne
die Aussprache und gebe zunächst für die CDU/CSU-
Fraktion dem Kollegen Volker Rühe das Wort.


Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1418300300
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir haben die Regierungs-
erklärung gefordert, um mehr Klarheit in der Debatte zu
bekommen.

Was sind die Fakten, Herr Bundesaußenminister? Zu-
nächst hat die NATO im Auftrag der Mitgliedstaaten, auch
Deutschlands, einen 30-Tage-Einsatz zur Entwaffnung
der UCK-Rebellen vorbereitet. Die Bundesregierung
stimmte dem Einsatzplan zu, meldete jedoch im Unter-
schied zu anderen europäischen Partnern keinen einzigen
Soldaten für diese Operation an.


(Gernot Erler [SPD]: Weil wir einen Parlamentsvorbehalt hatten! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konkreter Parlamentsvorbehalt!)


– Nicht, weil Sie den Parlamentsvorbehalt hatten, sondern
Sie haben zu den Terminen immer einen Parlamentsvor-
behalt angemeldet; so haben wir das über die letzten
sechs, acht Jahre gehalten.

Der Bundeskanzler kritisiert parallel dazu dieses Man-
dat der NATO, indem er ein robusteres, ein ehrlicheres
Mandat fordert. Er selbst und der Fraktionsvorsitzende
der SPD, Herr Struck – er nickt –, sagen, dieses Mandat
sei unrealistisch. Ich stimme ihnen ausdrücklich zu. Es ist
eine Fiktion, vielleicht eine Falle für unsere Soldaten.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Ein robustes Mandat heißt: mehr Soldaten über eine
längere Zeit. Ich will gleich etwas dazu sagen. Aber es ist
jedenfalls der ehrlichere Weg, so über die Situation zu
sprechen. Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung
dann im NATO-Rat überhaupt diesem unrealistischen
30-Tage-Einsatz zugestimmt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn sie dieses Mandat für falsch hält, hätte sie in der
NATO eine konzeptionelle Diskussion über die richtige
Form dieses Einsatzes führen müssen.

Natürlich gibt es im Zusammenhang mit einem robus-
ten Mandat Fragen: Wollen wir nach dem Protektorat in
Bosnien und nach dem im Kosovo ein drittes Protektorat
in Mazedonien errichten? Wie verhindern wir eine Spal-
tung des Landes? Wir alle wissen inzwischen sehr genau,
dass Soldaten den Frieden nicht erzwingen können; das
sehen wir im Kosovo. Deshalb brauchen wir Klarheit über
den politischen Prozess, den die NATO in Mazedonien
militärisch absichern soll. Wie soll das Zusammenleben
der Bevölkerungsgruppen künftig aussehen und welchen
Beitrag sollen unsere Soldaten über welchen Zeitraum
leisten?

Man fragt sich, ob die Bundesregierung in der Lage ist,
einen militärischen Beitrag zu einem solchen ehrlicheren
Mandat der NATO zu leisten. Das ist wahrscheinlich der
Grund für die erneute Kehrtwende, dass man also zu ei-
nem 30-Tage-Einsatz zurückkehrt und eine eher symboli-
sche deutsche Beteiligung in Aussicht stellt. Diese Fragen
müssen gestellt und beantwortet werden, wenn man nicht
leichtfertig in einen Einsatz hineinschlittern und die Si-
cherheit unserer Soldaten nicht gefährden will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Generalinspekteur der Bundeswehr ist der Kron-
zeuge dafür – was er in der „Welt am Sonntag“ zum Aus-
druck gebracht hat, das hat er zwei Tage vorher in der
Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion wortwörtlich gesagt –, dass ein solcher Ein-
satz die Möglichkeiten der Bundeswehr aufgrund ihrer
drastischen Unterfinanzierung übersteigen würde. Er hat
ganz nüchtern und verantwortungsbewusst – das stammt
im Übrigen nicht von einem Oppositionspolitiker – öf-
fentlich zu Protokoll gegeben, dass „die Bundeswehr auf
dem Zahnfleisch geht“ und dass deshalb für einen weite-
ren Auslandseinsatz keine Durchhaltefähigkeit gegeben
ist. Ich möchte ihm im Übrigen für seine offenen Worte
danken. Das gibt den Soldaten das Gefühl, dass die oben
doch noch wissen, wie es unten in der Bundeswehr aus-
sieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es gibt also einen unmittelbaren sachlichen und inne-
ren Zusammenhang zwischen der Unterfinanzierung
der Bundeswehr und der Möglichkeit, internationale
Einsätze durchzuführen. Wenn die Bundesregierung die
Bundeswehr in einen weiteren Auslandseinsatz schicken
will, muss sie diese finanziell deutlich besser ausstatten,
als das bisher der Fall ist. Alles andere wäre nicht ver-
antwortungsvoll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


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Herr Bundesaußenminister, nicht wir kündigen also den
Konsens auf, der im Hinblick auf Auslandseinsätze be-
steht, sondern diejenigen, die die Bundeswehr durch eine
drastische Unterfinanzierung in eine existenzielle Krise
geführt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Wir waren es, die in den 90er-Jahren gegen den erbit-
terten Widerstand aus Ihren Reihen Auslandseinsätze
überhaupt erst durchgesetzt und die Voraussetzungen
dafür geschaffen haben.


(Dr. Heidi Knake-Werner [PDS]: Darauf sind Sie auch noch stolz?)


Ich sage dazu einmal ein persönliches Wort – ich
schätze harte politische Debatten durchaus; aber alles
lasse ich mir von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, nicht
gefallen –: Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, wie ich
als Bundesverteidigungsminister – auch zusammen mit
dem Kollegen Kinkel – anlässlich der Entscheidungen
über die ersten Auslandseinsätze in den Verteidigungs-
ausschuss und in das Parlament gekommen bin und mir
gedroht wurde: Wenn auch nur ein einziger deutscher Sol-
dat stirbt oder wenn auch nur ein einziger deutscher Sol-
dat einen anderen erschießt, dann fordern wir deinen
Rücktritt. – Das war Ihre Solidarität in der Anfangsphase
der Auslandseinsätze, als es darum ging, diese Einsätze
überhaupt durchzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im Übrigen sage ich Ihnen: Sie werden mit dem Ver-
such, die Opposition in Washington, Paris, London und
wo auch immer in Misskredit zu bringen, scheitern. Wir
haben über viele Jahre ein Vertrauenskapital erarbeitet.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


– Da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Sie müssen noch
sehr viel tun, um ein vergleichbares Vertrauenskapital zu
erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Selbstgerechtigkeit! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie ist die Souveränität der Opposition? Kleinkariert! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsouverän! Wo ist die Souveränität der Opposition? Da ist schon wieder die Selbstgerechtigkeit!)


Die Bundeswehr braucht eine ausreichende materielle
und personelle Basis. Sie aber haben das Schwert, mit
dem Sie jetzt kämpfen wollen, stumpf gemacht. Wer die
Bundeswehr bündnisunfähig macht, darf anderen nicht
vorwerfen, sie würden die Bündnissolidarität verletzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von was für Kämpfen reden Sie denn?)


Die Bundeswehr macht eine ideelle, personelle und
materielle Auszehrung durch, die zu kaum wieder gutzu-
machenden Langzeitschäden führt. Ich könnte viele Zitate

auch aus der SPD-Fraktion bringen, etwa des Kollegen
Opel.


(Zuruf von der SPD: Bitte nicht!)


– Sie rufen: „Bitte nicht!“ Das dürfen Sie ihm nun auch
nicht antun. Er hat mir als Verteidigungsminister ganz
schön zugesetzt. Wenn er jetzt bei Ihnen ebenfalls die
Wahrheit sagt, dann müssen Sie das zumindest ertragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Streitkräfte sind nur noch bedingt einsatzfähig.
Das hat der Generalinspekteur öffentlich bekannt gege-
ben. Als Schlusslicht in den Verteidigungsaufwendungen
im Bündnis gilt Deutschland mittlerweile als unzuverläs-
siger Risikofaktor und Trittbrettfahrer.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gute Vorarbeit geleistet!)


Deutschland ist mit den heutigen Haushaltsansätzen nicht
in der Lage, seine NATO- und EU-Verpflichtungen zu er-
füllen.

Die Bundesregierung – das kann man spüren – möchte
die Bundeswehr international einsetzen, um im Bündnis
bestehen zu können. Man kann aber unsere Soldaten nicht
in schwere Einsätze schicken, eine tief greifende Reform
auf den Weg bringen und dann den Soldaten den Geld-
hahn immer weiter zudrehen. Das passt einfach nicht zu-
sammen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der frühere Generalinspekteur Dieter Wellershoff,
weiß Gott ein Mann, der seine Worte wägt und der auch
uns in der Vorgängerregierung manches ins Stammbuch
geschrieben hat


(Otto Schily, Bundesminister: Ja!)


– deswegen ist es ein glaubwürdiger Zeuge, den Sie sehr
ernst nehmen sollten –, hat es auf den Punkt gebracht, als
er sagte, dass Ihr Verhalten nicht nur ein Zeichen der Spar-
samkeit sei – insofern hat der Kollege Eichel nicht an al-
lem Schuld –, sondern „ein Symptom für die innere Ferne
der politisch Verantwortlichen zu den Soldaten“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch Unsinn! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Er sprach wörtlich von der – deswegen ist das nicht nur
eine Frage des Geldes –: inneren Distanz, ja Feindschaft
in Teilen der Regierungskoalition gegen die Bundeswehr.


(Detlef von Larcher [SPD]: Ach Gott, ach Gott! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ich finde, Sie sollten sich ernsthaft mit einem so nach-
denklichen Mann auseinander setzen, der weiß, worüber
er spricht, wenn er diese Worte an Sie richtet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe im Übrigen im Zusammenhang mit dem Ko-
sovo-Krieg immer gewürdigt, dass Sie die Kraft gefunden
haben, in der Kontinuität zu bleiben. – Da brauchen Sie

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gar nicht zu lachen, Herr Fischer. Ich würdige das noch
einmal; denn ich weiß, dass das Kraft gekostet hat.

Der Bundeskanzler und der Außenminister haben die
Bundeswehr international als Instrument genutzt, um
deutsche Gleichberechtigung in der europäischen Poli-
tik deutlich zu machen. Zugleich aber haben sie die Streit-
kräfte fallen gelassen, indem sie ihr die dafür notwendige
finanzielle Ausstattung verweigern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch alles Unsinn! Nun treiben Sie doch die Dinge nicht immer auf die Spitze!)


Das ist die Situation, in die Sie die Bundeswehr gebracht
haben.

Da ich sehe, dass der Bundeskanzler nun anwesend ist
und er von den „unsicheren Kantonisten in der Opposi-
tion“ gesprochen hat, sage ich ihm: Herr Bundeskanzler,
es gibt viele Zitate. Ich nenne hier nur einmal eines, um
daran zu erinnern, wie Ihre Durchhaltefähigkeit in Bezug
auf Ihre Argumente ist. Schröder am 7. August 1993: „Ich
bin gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr.“ Selbst wenn
die Partei anders entscheide, werde er seinen Widerstand
nicht aufgeben. Schröder: „Ich werde mir erlauben, meine
Meinung zu behalten.“ Sie sind ein großer „Meinungsbe-
halter“, Herr Bundeskanzler!


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch lächerlich, Herr Rühe!)


Wir sollten solche Worte wie „unsichere Kantonisten“
nicht verwenden. Die Koalition von CDU/CSU und
F.D.P. hat mit ihrer politischen Arbeit unter der Führung
von Helmut Kohl so viel internationales Vertrauenskapi-
tal erarbeitet, dass unsere Verbündeten wissen: Uns geht
es darum, die Bundeswehr zu stärken, damit wir unserer
internationalen Verantwortung besser gerecht werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben Sie 16 Jahre lang versäumt!)


Unser Verhalten zu einem möglichen Mazedonien-Ein-
satz wird von folgenden Bedingungen abhängen:


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha, jetzt kommen wir zum Thema zurück!)


Erstens. Für eine deutsche Beteiligung an einem
NATO-Einsatz in Mazedonien brauchen wir klare politi-
sche Rahmenbedingungen.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die werden gerade erarbeitet!)


Zweitens. Unsere Soldaten brauchen eine klar umris-
sene Aufgabe, die in einem überschaubaren Zeitrahmen
zu erfüllen ist.

Drittens. Voraussetzung für eine Beteiligung der Bun-
deswehr ist die Sicherstellung ihrer Durchhaltefähigkeit.
Das gilt auch für die Fiktion eines 30-Tage-Einsatzes.
Man darf keinen Einsatz beginnen, wenn man nicht auch

die Durchhaltefähigkeit hat, falls das eintritt, was der Kol-
lege Struck und andere gesagt haben.

Es geht also nicht darum – um das gleich sehr präzise
zu sagen –, der Bundeswehr für einen zusätzlichen Ein-
satz nur etwas mehr Geld zu geben. Was wir brauchen, ist
ein Einstieg in eine finanzielle Kehrtwende, damit die
Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr für solche Ein-
sätze gestärkt wird. Die Struktur der Bundeswehr und ihre
Finanzierung müssen endlich wieder in Übereinstimmung
gebracht werden.

Das sind die Bedingungen, an denen wir uns orientie-
ren werden, wenn eine Entscheidung über einen Mazedo-
nien-Einsatz auf uns zukommt.

Ich danke Ihnen.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 15 Minuten Polemik und drei Sätze zum Thema! – Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.] geht auf Abg. Volker Rühe [CDU/CSU] zu und schüttelt ihm die Hand – Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Rühe, was haben Sie denn jetzt für einen Fehler gemacht? – Weitere Zurufe von der SPD: Das war liberal! – Symbolik! – Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist denn das für ein Stil? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Rühe, Sie sind jetzt in Ehren im Container aufgenommen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418300400
Ich erteile
nunmehr das Wort dem Kollegen Gernot Erler für die
Fraktion der SPD.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1418300500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Dies ist eine Debatte über inter-
nationale Politik. Leider, Herr Rühe, hat man das bei Ihrer
Rede eben nicht gemerkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einmal mehr haben Sie Ihre parteipolitischen Vorstel-
lungen über den Bundeswehretat in den Mittelpunkt ge-
stellt. Sie haben eine internationale Frage auf die kleine
provinzielle Münze der Parteipolitik heruntergebrochen.
Das ist nicht angemessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit werden wir auch nicht das internationale Vertrau-
enskapital erweitern können, das Sie so häufig im Mund
geführt haben. Ich möchte deswegen anders anfangen als
Sie, Herr Rühe.

Zu reden ist nämlich zunächst einmal über ein kleines
Land, über ein armes Land. Ich weiß, in einer solchen De-
batte ist man schnell bei den großen Vokabeln von ge-
meinsamer Verantwortung, der Handlungsfähigkeit der
EU, der Bündnissolidarität. Das ist alles richtig. Trotzdem
möchte ich zuerst von Mazedonien reden, von einem
kleinen geschundenen Land mit 2 Millionen Einwohnern

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– Slawen, Albanern, Türken, Roma und anderen Minder-
heiten – und einem Bruttosozialprodukt von 7,5 Milli-
arden DM, mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 32 Pro-
zent und einem Durchschnittseinkommen der Menschen
von 360 DM im Monat.

Dieses Land steht plötzlich im Rampenlicht der Tages-
nachrichten. Die Fernsehsprecher versuchen Ortsnamen
wie Aracinovo, Kumanovo, Tetovo, Tanusevci und andere
korrekt auszusprechen. Die Bilder von den Kämpfen in
diesen Orten riechen nach Krieg, eventuell nach dem
fünften Balkankrieg in zehn Jahren.

Das war nicht immer so. In den ersten zehn Jahren
seiner Unabhängigkeit, beginnend 1991, schien es in
Mazedonien besser zu laufen als ringsum, wo die vier ju-
goslawischen Auflösungskriege ihre Verwüstungen an-
richteten. Mazedonien hatte eine Verfassung mit Minder-
heitenrechten, die gelobt wurde. Mazedonien, da lebten
Slawen und Albaner offenbar friedlich nebeneinander und
miteinander. Es gibt ein Parlament. Es gibt Parteien. Es
gibt Wahlen, über die sich die Wahlbeobachter halbwegs
zufrieden äußern.

Anscheinend war Mazedonien also eine Nische der
Normalität inmitten einer brodelnden Nachbarschaft. Be-
obachter von außen sprachen sogar von Mazedonien
als Musterland, als Insel der Stabilität, ja sogar von der
Schweiz des Balkans. Vielleicht hat das nie ganz ge-
stimmt. Aber es ist auch etwas passiert, etwas Uner-
bittliches, bis zur Prominenz dieser Ortsnamen wie
Aracinovo und Tanusevci.

Die Embargos gegen Jugoslawien, und zwar das
Jugoslawien Milosevics, haben die Wirtschaft des
Landes zerrüttet. Mit dem Nachbarn Bulgarien gab es
einen nervenzehrenden Sprachenstreit. Das EU-Mitglied
Griechenland ließ sich von einem jahrelangen Boykott
wegen eines Streits um den Staatsnamen Mazedoniens
von niemandem abbringen. Zum Schluss überschritt die
Logik der Gewalt die Grenzen, sickerte ein über die
Grenzgebirge zum Kosovo aus dem Présovo-Tal. Diese
kriegsgeborene Logik der Waffen, deren Wirksamkeit die
kosovarischen UCK-Kämpfer als Lektion gelernt hatten,
und diese Erfahrung, dass man ohne eine Kalaschnikow
seine Rechte und Interessen nicht durchsetzen kann,
machten sich in diesem wirtschaftlich zerrütteten Land
mit seinen sozialen Spannungen breit, in einem Maze-
donien, in dem sich gerade deswegen kriminelle und ille-
gale Strukturen wuchernd ausgebreitet hatten. Das alles
fiel dort auf einen fruchtbaren Boden.

Niemand will hier die persönliche Verantwortung der
mazedonischen Politiker, der Slawen wie der Albaner, in
Abrede stellen. In der Gesamtentwicklung aber ist
Mazedonien ein verspätetes Opfer jenes blutigen Zerfalls-
prozesses der alten Ordnungen in Südosteuropa, eines
Zerfalls, den wir, den Westeuropa und die internationale
Gemeinschaft nicht aufhalten konnten.

Hier muss ich nun eines der großen Worte nennen: Ver-
antwortung. Längst haben Europa, Amerika und die inter-
nationale Gemeinschaft Einzelverantwortung übernom-
men: in Bosnien-Herzegowina mit der SFOR und mit den
milliardenschweren Aufbauprogrammen, im Kosovo mit

KFOR und der UNMIK der Vereinten Nationen. Darüber
hinaus haben wir mit dem Stabilitätspakt für Südost-
europa, mit der neuen Integrationspolitik der Stabilitäts-
und Assoziierungsabkommen und mit den Geberkonfe-
renzen für Einzelländer, zuletzt für das Jugoslawien ohne
Milosevic, auch regionale Gesamtverantwortung über-
nommen.

Was wir in der Nachbarschaft nicht verhindern konn-
ten, das hat das scheinbar so stabile Mazedonien schwach
und anfällig gemacht für den wohl bekannten Virus der
Gewaltanwendung in ethnischem Gewand. Deswegen
haben wir keine Wahl, sondern nur eine Pflicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann es nicht darum gehen, ob wir etwas tun,
sondern nur darum, wie wir es tun. Deswegen wünschen
wir uns so dringend einen Erfolg für alle Botschafter, Son-
dergesandten und Verfassungsspezialisten, die in Skopje
jetzt für eine politische Lösung kämpfen. Wir danken So-
lana, Léotard, Robertson, Eiff, Feith, Pardew, Badinter
und vielleicht bald auch Roman Herzog für ihren Einsatz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können uns nicht verweigern, wenn wir um Hilfe ge-
beten werden, den Schlussstein für eine politische Lösung
zu setzen, die Waffen der UCK kontrolliert aus dem Ver-
kehr zu ziehen und Prävention zu betreiben, um die
schlimmere Variante, einen Bürgerkrieg, zu verhindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Politisch gesehen können wir uns aus all den Gründen,
die ich genannt habe, diesem mazedonischen Wunsch
nicht verweigern. Dann, aber erst dann, kommen noch an-
dere Gründe hinzu; ich nenne das Stichwort der Glaub-
würdigkeit der in Entwicklung begriffenen Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der EU und das Stichwort
der gemeinsamen Übernahme von Pflichten im Bündnis,
die man häufig auch Bündnissolidarität nennt.

Diese Pflicht darf aber nicht blind machen. Es gibt ge-
nug Erfahrungen mit militärischen Missionen auf dem
Balkan und damit, wohin sie sich entwickeln und wie
lange sie dauern. Deshalb können wir uns an der Opera-
tion „Essential Harvest“ nur beteiligen, wenn die poli-
tischen Voraussetzungen, wie die NATO sie formuliert
hat, erfüllt sind, wenn es ein ehrliches Mandat gibt, das
sich auf alle Eventualitäten und Risiken sorgfältig vorbe-
reitet,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Dann schreiben Sie das mal!)


und wenn wir auf diese Weise in der Lage sind, Herr Kol-
lege, die Gefahr für diejenigen, die wir in diese Operation
schicken, also für die Soldaten der Bundeswehr, soweit
wie irgend möglich zu reduzieren. Nur dann können wir
einer solchen Operation und unserer Beteiligung daran
zustimmen.

In diesem Zusammenhang möchte ich das Wort an Sie,
an die Kollegen von der CDU/CSU, richten. Ich appel-
liere an Sie: Nehmen Sie diese notwendige und wichtige

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Gernot Erler

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Prüfung aller Voraussetzungen und Bedingungen zusam-
men mit uns vor. Ketten Sie sich nicht länger an das von
Herrn Rühe eben nochmals vorgetragene unmögliche
Junktim, mit dem Sie Ihr Ja zu einer internationalen Ver-
pflichtung Deutschlands von der Durchsetzung Ihrer Vor-
stellungen über den Bundeswehretat abhängig machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Befreien Sie sich davon und kommen Sie aus dieser Sack-
gasse heraus.

Wir sind uns darin einig, dass „Essential Harvest“ al-
lein nicht die Lösung sein kann. Dieser sehr begrenzte
Einsatz gehört zu einem optimistischen Szenario und
kann nur Teil einer politischen Lösung sein; er kann nur
ein Baustein bei dem Ziel sein, Mazedonien als multi-
ethnisches demokratisches Gemeinwesen zu erhalten.
Wenn das nicht gelingt, wissen wir, dass all diese enormen
Bemühungen der ganzen Weltgemeinschaft in Südost-
europa zunichte sind, dass sie kaputtgemacht werden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Wort an den
Kollegen Lamers richten: Sie haben am letzten Freitag ein
Papier vorgelegt, in dem Sie eine Idee entwickeln, wie Sie
sich den politischen Rahmen vorstellen. Sie formulieren
darin die Idee einer südosteuropäischen Union als Balkan-
ersatzveranstaltung für die EU. Ich muss Ihnen sagen: Ich
war über dieses Papier erschrocken. Ich weiß nicht, ob Sie
über die Wirkung Ihrer Idee in Südosteuropa nachgedacht
haben. Viele werden dort sagen: Jetzt wissen wir endlich,
dass uns die Westeuropäer nicht in den Klub der EU rein-
lassen wollen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass sie in Wirklichkeit einen Sonderweg für uns vorge-
sehen haben.


(Zuruf von der PDS: Das ist doch auch so!)

Glauben Sie denn ernsthaft, Herr Kollege Lamers, dass

sich die Griechen, die schon in der EU sind, und die
Ungarn und Slowenen, die unmittelbar vor der Tür stehen,
jetzt auf eine Sonder-EU für Südosteuropa abschieben
lassen? Das ist völlig unrealistisch. Nein, es gibt keine
Alternative zu dem Tandem von ökonomischem Aufbau
und europäischer Integrationsperspektive. Über den Tag
hinaus die Situation zu stabilisieren setzt voraus, dass die
Maßnahmen wirksam sind. Deswegen habe ich auch die
soziale und ökonomische Situation in Mazedonien in den
Vordergrund gestellt. Ich bitte Sie, Herr Kollege: Denken
Sie noch einmal – Sie haben in Ihrem Papier sehr gute
Analysen gemacht – über die Konsequenzen nach und las-
sen Sie uns gemeinsam über dieses Problem nachdenken.

Ich möchte mit einem weiteren Appell schließen: Der
außenpolitische Grundkonsens gehört zur politischen
Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Ich bitte Sie:
Kündigen Sie ihn nicht auf, nicht in ruhigen Zeiten, aber
schon gar nicht in dieser Situation, in der wir international
gemeinsam gefordert sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418300600
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Karl Lamers das
Wort. Wenn Herr Kollege Erler möchte, kann er darauf
antworten.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1418300700
Herr Präsident! Die Be-
hauptung des Kollegen Erler, die Vorstellung, die Peter
Hintze, Klaus-Jürgen Hedrich und ich für eine regionale
Lösung der Probleme auf dem Balkan vorgelegt haben,
bedeute eine Ersatzveranstaltung für die Europäische
Union, ist nachweislich falsch.

Wir haben ausdrücklich festgehalten, dass die Einzel-
mitgliedschaft eines jeden Mitglieds dieser Balkanföde-
ration in der Europäischen Union möglich ist. Wir haben
erläutert, dass die Vorstellung von einer regionalen Föde-
ration den Weg in die Europäische Union beschleunigt.
Das, was wir diesen Ländern dagegen jetzt sagen, ist doch
eine ferne, vage und insofern völlig illusionäre Perspek-
tive. Aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, Herr Kollege Erler: Wir sagen, wir kön-
nen die Probleme nicht Fall für Fall lösen, sondern nur in
einem regionalen Zusammenhang. Sind wir in diesem
Punkt wirklich auseinander? Überhaupt nicht! Das Pro-
blem – nicht nur dieser Bundesregierung, sondern der
westlichen Gemeinschaft insgesamt –, ist doch, dass seit
Beginn dieses Konfliktes keine Perspektive einer regio-
nalen, das heißt einer Gesamtlösung im Sinne einer wirk-
lich realistischen Lösung entwickelt worden ist. Das ist
das Problem. Das habe ich ungezählte Male gesagt und
habe von Ihrer Seite immer nur Zustimmung erfahren,
aber keinen Beitrag zur Verbesserung der Lage.

Ich appelliere deshalb vor diesem Bundestag – in der-
selben Weise, wie ich das im Ausschuss getan habe – an
Sie und an die Regierung: Sie müssen schon einen Schritt
tun, um uns in der Region wirklich einsatzfähig zu ma-
chen. Es ist doch wahrlich nicht unsere Erfindung, dass
die Bundeswehr dazu immer weniger in der Lage ist.
Wenn wir ein robusteres, das heißt längeres und sehr viel
umfangreicheres, Mandat brauchen und – davon müssen
wir ausgehen – die Amerikaner sich daran nicht beteili-
gen, dann sind viele, aber in erster Linie die Bundeswehr
dazu einfach nicht in der Lage.

Sie wissen, wie schwer wir – nicht nur ich persönlich –
uns tun angesichts der Vorstellung, dass sich unsere Part-
ner, die eine solche Notwendigkeit vielleicht nicht sehen,
engagieren, während wir das nicht machen. Diese Be-
fürchtung haben wirklich alle in meiner Fraktion. Sie wis-
sen aber, dass die Forderung nach einer besseren Ausstat-
tung der Bundeswehr eine sachlich unbedingt notwendige
Begründung ist. Ich habe es auch dem Außenminister, so-
gar persönlich, gesagt: Ihr müsst uns entgegenkommen.
Und ich bleibe dabei: Das ist eine absolut gerechtfertigte
Forderung und keine taktische, innenpolitisch motivierte
Vorstellung. Bitte tun Sie das!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418300800
Zur Erwi-
derung erhält der Kollege Erler das Wort.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Gernot Erler

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Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1418300900
Herr Kollege Lamers, Ihre Vor-
stellungen über ein regionales politisches Gesamtkonzept
sind vom Ansatz her richtig; das habe ich auch gesagt. Wir
brauchen eine Einbettung eines jeden einzelnen Engage-
ments in ein Gesamtkonzept. Aber ich bleibe dabei – und
weiß mich darin einig mit einigen in dieser Region sehr
engagierten Vertretern Ihrer Fraktion –: Zum jetzigen
Zeitpunkt ist die Botschaft, von einer Südost-EU zu spre-
chen, kontraproduktiv. Das wird automatisch falsch ver-
standen. Deswegen erneuere ich mein Angebot: Lassen
Sie uns über die Thematik reden, auch über die Grenzen
der Fraktionen hinaus! Sie haben mit Ihrem Papier eine,
wie ich finde, hervorragende Analyse vorgenommen, die
ich weitgehend teile, aber am Ende gefährliche – jeden-
falls für den Moment gefährliche – Schlussfolgerungen
gezogen. Darüber möchten wir gerne reden.

Jetzt noch einmal zu dem anderen Thema. Der Bun-
deskanzler hat gestern mit den Fraktionsvorsitzenden
über die Ausstattung der Bundeswehr geredet. Ich
glaube, er hat sehr deutlich gemacht: Es wird bei einem
möglichen Einsatz der Bundeswehr – der ja limitiert sein
wird – eine hinreichende Ausstattung und Absicherung
geben. Das bedeutet, diesbezüglich wird es völlige Si-
cherheit geben, und das ist das Entscheidende.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sprechen Sie für die Bundesregierung?)


Das Problem ist, dass Sie grundsätzliche andere Vor-
stellungen hinsichtlich des Gesamtetats des Einzelplans 14
haben


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist auch notwendig!)


und dies immer mit der Thematik, über die wir heute re-
den, verbinden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist doch falsch!)


Damit zielen Sie auch auf ein anderes Ministerium, auf
den Konsolidierungskurs insgesamt. Das wissen wir und
das weiß auch jeder in der Öffentlichkeit. Dass Sie das
miteinander verbinden, Herr Lamers, ist sehr problema-
tisch. Und Sie wissen das! Das versteht draußen auch nie-
mand. Stellen Sie sich einmal vor, wie in der jetzigen Si-
tuation die Rede Ihres Kollegen Rühe international
aufgenommen werden kann. Was sollen die Leute denn
denken, worüber wir in Deutschland diskutieren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Da ist ja selbst der Fischer als Außenpolitiker besser als Sie!)


Deshalb appelliere ich noch einmal an Sie: Verlassen
Sie in der Herausforderung, in der wir uns befinden, nicht
den Grundkonsens! Dieser Konsens ist Teil unserer poli-
tischen Kultur in dieser Republik. Wir sollten alle unseren
Beitrag dazu leisten, dass er erhalten bleibt.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Alle!)


– Ja, alle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418301000
Als nächster
Redner spricht der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt für die
Fraktion der F.D.P..


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1418301100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, dass wir uns
gegenseitig über die außenpolitische Bedeutung der Ent-
scheidung, die möglicherweise auf uns zukommt, über die
Bündnissolidarität und die Bewertung der Lage in einer
konfliktreichen Region unterrichten müssen. Jedem Kol-
legen und jeder Kollegin – auch dem Kollegen Rühe, der
vor mir gesprochen hat – ist klar, dass wir dort einen Teil
unserer europäischen Sicherheit mitgestalten müssen.
Niemand verweigert sich Entscheidungen.

Wenn wir aber ein ehrliches Mandat erteilen wollen,
müssen wir auch ehrlich diskutieren: Das ehrliche Man-
dat hat zwei Seiten. Erstens muss es ehrlich gegenüber
deutschen Soldaten sein und darf ihnen nicht eine 30-
Tage-Frist vorgaukeln,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

die möglicherweise, um mich vorsichtig auszudrücken,
nicht ausreicht. Es darf ihnen auch nicht eine Situation
verschweigen, die qualitativ ein ganz anderes Mandat be-
deutete. Letzteres sage ich mit Blick darauf, dass hier der
Bundesaußenminister davon gesprochen hat, es könne not-
wendigsein,dorteinenBürgerkriegpräventivzuverhindern.

Zweitens muss dieses Mandat ehrlich in Bezug auf die
politischen Umstände sein: Wer heute Morgen wenige
Stunden nach einem Waffenstillstand, der auch Brüchig-
keiten aufweist, dessen Stabilität jedenfalls heute früh um
10 Uhr noch nicht abschließend zu bewerten ist, schon ge-
nau weiß, wie ein ehrliches Mandat aussieht, der soll uns
dies von dieser Stelle aus präzise begründen. Ich sehe
mich dazu heute Morgen außerstande; dazu sieht sich
auch die gesamte F.D.P.-Fraktion nicht in der Lage.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das verlangt doch gar keiner!)


Dafür haben wir überzeugende Gründe, die ich Ihnen
jetzt vortrage. Wir haben Soldaten stationiert und wissen
alle, dass es dort lange – noch Jahre – dauern wird, bis ein
Minimum an Verträglichkeiten, Respekt vor ethnischen
Gruppen, Akzeptanz von Gewaltverzicht zur Lösung po-
litischer Probleme und Verfassungs- und Verhaltensnor-
men entstehen, wie wir in Mitteleuropa sie im Konsens als
unsere zivilisatorischen Errungenschaften ansehen. Nie-
mand aus der Freien Demokratischen Fraktion streitet da-
rüber, dass wir der Bundeswehr, den deutschen Soldaten,
sagen müssen, dass es noch lange, jedenfalls länger, als
wir ursprünglich annahmen, dauern werde. Die Soldaten
haben aber ebenso wie die deutsche Öffentlichkeit einen
Anspruch darauf, dass wir ihnen sagen, worin am Ende
der politische Sinn ihres militärischen Beitrags besteht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das müssen wir denen sagen, die schon dort sind, und

ebenso denen, die in der Annahme einer bestimmten Si-
tuation nach Mazedonien entsandt werden sollen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch klar! Das ist doch unstrittig!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18071


(C)



(D)



(A)



(B)


– Lassen Sie mich dies doch zum Ausdruck bringen, weil
es bisher so deutlich nicht ausgedrückt worden ist. Auch
die letzte Mandatierung im Kosovo hatte keinen ausrei-
chenden politischen Background. Ich möchte die zu Ma-
zedonien aufgeworfene Frage nicht beantworten, ohne
Sicherheit zu haben, ob der Waffenstillstand trägt und ob
dort ein Verfassungsprozess mit realer Aussicht auf Im-
plementierung und Akzeptanz in den ethnischen Gruppen
in Gang gesetzt wird. Ich möchte auch wissen, ob die
UCK diesen Waffenstillstand voll und ganz mitträgt.
Mich interessiert nicht nur die Unterschrift eines Kom-
mandeurs, mich interessiert die Durchsetzungsfähigkeit
in den Konfliktparteien.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Deshalb kommt ja die Bundesregierung heute nicht mit
einem Beschluss und einem Antrag. Dies wird der ent-
scheidende Beobachtungsprozess der nächsten Tage und
Wochen sein, wenn wir wirklich über ein ehrliches Mandat
entscheiden wollen. Erforderlich ist also ein nachdrückli-
cher und am Konfliktherd klar erkennbarer Waffenstill-
stand, der bei den Konfliktparteien auch durchsetzbar ist,
nicht nur ein unterschriebenes Papier. Erforderlich ist des
Weiteren, einen Verfassungsgebungsprozess im Rahmen
der territorialen Integrität dieses Staates in Gang zu setzen,
bei dem erkennbar ist, wann er zu einem Abschluss kommt
und dass die Kräfte ihn tragen. Nur dann könnte über ein
Mandat diskutiert werden, das ich aber auf Dauer mit einer
Frist von 30 Tagen nicht für ausreichend beschrieben halte.
Wir – ich spreche hier für jeden Kollegen und jede Kolle-
gin – möchten auch nicht in eine Situation kommen, dass
wir gleich beim ersten Dominostein, der durch Vorgänge im
alten Jugoslawien ausgelöst wird, scheibchenweise wieder
in einen Fehlschlag für die NATO und das europäische En-
gagement hineinkommen. Wer Interesse an einem ehrli-
chen Mandat hat, muss eine ungeschminkte Lagebewer-
tung vornehmen. Diese ist aber heute Morgen so nicht
vorzunehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dritter Gesichtspunkt: Selbst wenn wir in der Lage
wären, später mit zuverlässigem politischen Hintergrund
über ein Mandat zu entscheiden, müssen wir auch darüber
diskutieren, dass die Lösung für Mazedonien nicht das
Einzige ist, was im Zusammenhang mit einer Mandatie-
rung zu erörtern ist.

Im Kosovo finden im November Wahlen statt. Auch die
dortige Stationierung muss irgendwann einmal stärker
durch einen zielführenden politischen Prozess zur Lösung
der Probleme in diesem Konfliktbereich unterstützt werden.
Ich glaube, dass die Akzeptanz in der deutschen Öffentlich-
keit an ihr Ende kommt, wenn die politische Perspektive
von Begleitmaßnahmen der militärischen Stationierung
unklar bleibt. Das ist eine ganz entscheidende Frage.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Akzeptanz bezieht sich nicht nur auf die Sicherheit
von Soldaten, auf den Schutz ihres Lebens und darauf,
wie robust man sie bewaffnet. Lassen Sie mich das einmal
ganz unmilitärisch ausdrücken. Sie ist eine Kernfrage der
deutschen Politik, weil dieses Land wie kein anderes Er-

fahrungen gemacht hat, die uns dazu bringen, immer da-
rauf zu achten, dass die Lösung solcher Probleme nie in
der Stationierung von Militär liegen kann. Es ist mir ein
sehr wichtiges Anliegen, bei dieser Debatte für meine
Kollegen und für mich auf diesen Aspekt hinzuweisen.

Der Bundesregierung sage ich: Ein ehrliches Mandat
schließt eine ehrliche Lagebewertung ein. Diese kann sie
heute nicht abschließend geben, kann sie aber auch nicht
durch den überdeckenden Hinweis ersetzen, es handle
sich nur um eine Frage der Bündnissolidarität. Ein Bünd-
nis ist nur in dem Maße solidarisch, in dem es fähig ist,
durch seinen Einsatz Probleme zu lösen. Daran entschei-
det sich diese Frage.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Deshalb kann ich heute keine abschließende Antwort

geben.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist auch gar nicht das Thema! Wir entscheiden doch nicht über den Einsatz! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das will doch niemand!)


– Warum sind Sie denn so aufgeregt?

(Widerspruch bei der SPD)


Sie sind so aufgeregt, weil ich Ihnen die Kriterien von
Entscheidungsfindung erläutere, die zum fairen Umgang
zwischen Gesprächspartnern gehören.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Aber das ist doch ganz unstrittig!)


Wenn die Bundesregierung zu einer Entscheidung
kommt, möge sie bitte ein ehrliches Mandat erteilen und
eine ehrliche Lagebewertung dann vornehmen, wenn die
Entscheidung heranreift. Dann kann sie gegenüber den
Fraktionen informieren. Der heutige Vormittag kann nur
nicht nach dem Motto bewältigt werden: Wer heute Kritik
äußert, ist nicht ausreichend bündnisfähig und hat nicht
das rechte außenpolitische Bewusstsein. Diese Fragen
wollen wir doch gleich aus der Debatte nehmen! Von
Außenpolitik versteht die F.D.P.-Fraktion mindestens so
viel wie die jetzt vorhandene politisch-parlamentarische
Mehrheit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418301200
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dr. Helmut Lippelt für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418301300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der Op-
position wird hier viel über ein „ehrliches Mandat“ ge-
sprochen. Ich habe den Eindruck, Sie verstehen Unter-
schiedliches darunter. Herr Rühe versteht unter ehrlichem
Mandat offensichtlich den Einsatz einer Bundeswehr zur
Friedenserzwingung, wovon die Regierung überhaupt
nicht spricht und was heute nicht Gegenstand der Diskus-
sion ist.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Was ist denn ein robustes Mandat?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt

18072


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Gerhardt spricht darüber, dass heute noch keine Ent-
scheidungsfähigkeit gegeben ist. Diese ist auch gar nicht
gefordert. Er spricht davon, dass er die Situation nicht
richtig durchschauen kann, aber er soll heute auch nicht
entscheiden.

Ich möchte über das sprechen, was heute erkennbar ist,
über die Erkenntnisse, die heute vorliegen. Ich sage das in
aller Demut: Ich denke, wir haben Anlass zu großen Hoff-
nungen. Vor einer Woche wurde Milosevic nach Den
Haag geschickt. Gestern Mittag wurde ein Waffenstill-
stand bekannt, der von Ali Ahmeti unterzeichnet wurde.
Bei aller Kenntnis oder Nichtkenntnis, Herr Gerhardt: Ali
Ahmeti ist der unbestrittene Chef des ganzen Haufens. Er
ist nicht irgendein Kommandeur. Nein, der Chef des Hau-
fens hat unterschrieben. Was seine Unterschrift wert ist,
werden wir in 14 Tagen wissen.


(Unruhe bei der F.D.P.)

– Ja, natürlich, weil die Entscheidung erst in 14 Tagen an-
steht. Folgen Sie doch den Argumenten, mit denen ich
mich auseinander setze.

Weiter: Gestern Abend konnten Sie hören, dass der Mi-
nisterpräsident der Republica Srpska die Überstellung
von Karadzic und Mladic nach Den Haag angekündigt
hat. Das war eine überraschende Mitteilung. Niemand
hatte damit gerechnet. Das bedeutet: Der großserbische
Traum ist ausgeträumt, wie zuvor auch schon der groß-
kroatische. Jetzt beerdigen die Desperados der UCK ihre
großalbanischen Ambitionen. Nicht nur Hass zeugt sich
fort, sondern auch Frieden kann ansteckend sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kollege Erler hat zu Recht gesagt: Wir sprechen heute
von nichts anderem als dem aktuellen Stand der Dinge.
Nichts anderes verlangt diese Regierung im Moment. Wir
sprechen über den jetzigen Status und über eine begrenzte
Mission. Wenn diese ausgeweitet werden soll, werden wir
darüber sprechen, wenn es so weit ist. Aber jetzt wird über
das debattiert, was heute erforderlich ist.

Vor diesem Hintergrund denke ich, dass wir ohne vor-
schnelle Lobpreisungen auszusprechen Javier Solana,
Léotard, dem US-Diplomaten Pardew und den Soldaten vor
Ort sehr dafür zu danken haben, dass es zu diesem Ergebnis
gekommen ist. Auch der Außenminister mit seinen EU-
Kollegen hat wesentlich dazu beigetragen, dass es in diese
gute Richtung ging. Auch ihm wollen wir dafür danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Lamers, erst vor anderthalb Monaten, vor sechs
Wochen – ich habe Ihre Rede nachgelesen –, haben Sie im
Zusammenhang mit der Mandatsverlängerung und der
Mandatserweiterung die Zustimmung Ihrer Fraktion mit
dem zentralen Satz begründet:

Gleichzeitig sind wir allerdings davon überzeugt,
dass wir die gleichen Rechte und Pflichten wie un-
sere Verbündeten haben. So sehen es übrigens auch
unsere Soldaten ...

Aber mit einer Sache waren Sie überhaupt nicht zufrie-
den: Ihnen passte der Antrag nicht:

Er passt mir hinsichtlich der Veränderungen, die die
Grünen vorgenommen haben, auch nicht. Sie wissen,
wir können den Antrag der Bundesregierung nicht
verändern, egal, ob er uns passt oder nicht passt ...

Danach haben Sie mit der großen Mehrheit Ihrer Fraktion
zugestimmt.

Nun will ich für alle, bis zu denen es sich vielleicht
noch nicht herumgesprochen hat, sagen, welche Verände-
rungen entsprechend dem Wunsch der Grünen vorgenom-
men worden sind. Was hatten die Grünen, die Newcomer,
verändert, was Ihnen als altem Fahrensmann nicht passte?

Erstens. Wir hatten den ursprünglichen Entwurf, der
eine Erweiterung des Mandats zur besseren Kontrolle der
Grenzen und der grenznahen Räume Südserbiens und
Mazedoniens beinhaltete, auf Südserbien begrenzt. Wir
haben das Mandat auf die Ground Safety Zone begrenzt,
weil uns die Vorgänge in Mazedonien damals noch nicht
übersichtlich genug waren, so wie sie dem Kollegen
Gerhardt noch heute nicht übersichtlich genug sind.

Zweitens. Wir wollten zugunsten einer politischen Lö-
sung Druck ausüben: nicht nur auf die NATO und die EU-
Regierungen, sondern vor allem auf die Parteien in Ma-
zedonien selbst, die sich so sehr im Clinch befinden, dass
sie einen Dritten und damit niemand anderen als die
NATO brauchen, um aus dieser Krise herauszufinden. Die
NATO soll nicht für sie kämpfen, sondern soll als Dritter
die Waffenabgabe überwachen. Das ist der Punkt.

Ich möchte ganz klar zu Ihnen von der Opposition sa-
gen: Sie hätten doch am liebsten – Karl Lamers hat das da-
mals so gesagt – schon vor einem Monat dem erweiterten
Mandat zugestimmt. Ich hätte gern Herrn Rühe gesehen,
um zu wissen, ob er damals den Dissidenten gespielt und
nicht mit seiner Fraktion zugestimmt hätte. Wenn Sie
ganz klar zugestimmt hätten, dann hätten wir heute diese
ganze Debatte nicht. Dann wären wir heute an der
Grenzsicherung Mazedoniens voll beteiligt und hätten
diese Diskussion nicht nötig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Herr Lippelt, werfen Sie doch nicht alles in einen Topf! – Ich werfe nichts durcheinander. Auf Ihr Scheinargument komme ich später zu sprechen. Ich will etwas an uns und an die Kollegen der SPD gerichtet sagen, die in der Beurteilung der Lage in Mazedonien eher schwanken und befürchten, von den streitenden Parteien in kriegerische Handlungen hineingezogen zu werden: Der Parlamentsvorbehalt ist eine Errungenschaft unseres parlamentarischen deutschen Systems. Seine vorsichtige Ausübung, die Möglichkeit, mit ihm begrenzend umzugehen, keine Vorratsbeschlüsse zu fassen, erlegt uns gleichzeitig eine große Verantwortung auf. Es ist die Verantwortung, immer wieder genau die Situation, die Bedingungen und die Notwendigkeiten eines Einsatzes zu prüfen. Wir dürfen uns nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, weil sich möglicherweise innenpolitische Erwägungen nach vorne schieben. Ich habe den Verdacht – das brauche ich nicht weiter zu begründen –, dass dies bei der CDU der Fall ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 Dr. Helmut Lippelt 18073 Deshalb lautet die Frage: Was hat sich geändert? Sind Notwendigkeiten größer oder Verhältnisse klarer geworden? Sind wir entscheidungsfähiger als vor sechs Wochen geworden? Ich meine, Herr Kollege Gerhardt: Ja, wir sind entscheidungsfähiger geworden. Erstens. Der Beschluss, das Mandat für den Einsatz in Südserbien zu erweitern, hat eine große friedensstiftende Wirkung gehabt. Das dürfen wir nicht vergessen. Die UCPMB hat nicht nur die Waffen niedergelegt und zum Teil abgegeben. Ich weiß, nur zum Teil und nicht die besten. Einige sind dann in Mazedonien wieder aufgetaucht. Aber die UCPMB hat sich doch insgesamt aufgelöst. Nicht jeder Kämpfer ist nach Mazedonien weitergezogen. Ein Teil ist ausgestiegen und in das zivile Leben zurückgekehrt. Richtig ist zwar auch, dass es danach zu verstärkter Kampftätigkeit in Mazedonien gekommen ist. Aber der Weg der Pazifizierung einer Region kann nur langsam beschritten werden und ist mühsam. Zweitens. Die Situation ist deutlicher und kalkulierbarer geworden. Die Führer der Guerilla sind uns schon aus Zeitungsberichten namentlich bekannt. Allein ich könnte Ihnen sechs Namen aufzählen. Die KFOR-Beobachter und die Diplomaten vor Ort kennen namentlich gewiss noch mehr und viel genauer. Deshalb haben die USA eine bemerkenswerte Kehrtwendung gemacht, indem sie die Konten der Mittelsmänner der UCPMB beschlagnahmt und deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt haben. Drittens. Die USA haben sich wieder stärker engagiert. Die Entsendung des Diplomaten Pardew zusätzlich zu dem ehemaligen französischen Verteidigungsminister Léotard sowie die Heranziehung des Verfassungsrechtlers Badinter zeigen, dass die diplomatisch-politischen Bemühungen der EU – um deren Stärkung wir uns bemüht haben, als wir damals darauf hingewiesen haben, dass die Ausdehnung des Mandats auf Mazedonien noch nicht möglich ist, bevor nicht politisch etwas geschieht – enorm verstärkt worden sind. Das müssen wir anerkennen. Viertens. Deshalb gab es dann auch den Durchbruch bei den Parteien selbst, von dem der Außenminister hier berichtet hat. Ich muss Ihnen sagen: Als die wild gewordenen Marodeure das Parlament in Skopje stürmten, saßen sowohl die albanoals auch die slawo-mazedonischen Parteiführer im oberen Bereich des Parlaments zusammen und verhandelten über einen Verfassungskompromiss. Es geht also. Obwohl viele es ja für eine illusionäre Betrachtung hielten, Truppen nur zum Einsammeln der Waffen zu entsenden, scheint genau das jetzt möglich geworden zu sein. Jetzt stellt sich für das Nordatlantische Bündnis die Frage, ob es Truppen entsenden soll. Fünftens. Auch die Gefahren des Nichthandelns sind am Dienstag voriger Woche sehr deutlich geworden, als nach dem vereinbarten Rücktransport der UCK aus Aracinovo illegale mazedonischen Milizen das Parlament stürmten und den eigenen Präsidenten bedrohten. In Skopje leben 240 000 Albaner und 300 000 bis 400 000 Mazedonier. Wären in jener Nacht ethnische Kämpfe ausgebrochen, so wären wir in unseren Bemühungen um Pazifizierung weit, vielleicht sogar uneinholbar zurückgeworfen worden. Aber die Situation ist durch den Mut des Präsidenten Trajkovski überwunden worden. Den im mazedonischen Kabinett vereinten albanound slawomazedonischen Parteien haben wir es zu verdanken, dass sie um einen Verfassungsausgleich gerungen haben und weiter darum ringen. So hat die diplomatische Vermittlung letztlich auch dazu geführt, dass jetzt ein Waffenstillstand vereinbart werden konnte, der nach meiner Einschätzung nichts mit den wenig haltbaren Waffenstillständen zu Milosevics Zeiten in Bosnien zu tun hat. Er ist vielmehr der Auftakt des Ende der ethnischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien. Wir haben heute nichts zu entscheiden. Aber ich glaube doch, für meine Fraktion sagen zu können, dass auf der eben beschriebenen Grundlage sie in ihrer sehr großen Mehrheit die Beteiligung deutscher Truppen an der Entwaffnung der UCK in Mazedonien für politisch verantwortbar, für bündnispolitisch geboten und für friedenspolitisch notwendig hält; denn wir haben jetzt eine große Chance, endgültig den mörderischen Ungeist chauvinistischer Anmaßungen aus diesem leidgeprüften Teil Europas zu verbannen. Noch ein abschließendes Wort in Richtung CDU/CSU: Obwohl Karl Lamers am liebsten schon vor sechs Wochen den Einsatz deutscher Truppen an den Grenzen und über sie hinaus in Mazedonien zugestimmt hätte – Sie können das ja widerrufen; aber ich habe das Protokoll genau gelesen –, (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Diese Arroganz ist unerträglich!)


(C)


(D)


(A)


(B)


(Zuruf des Abg. Karl Lamers [CDU/CSU])


hat sein Fraktionsvorsitzender damals in einer Erklärung
zur Abstimmung ebenso gravitätisch wie mit Nachdruck
erklärt, einer erneuten Verlängerung des Mandats werde
die CDU/CSU wegen der – von ihr behaupteten –
Unterfinanzierung der Bundeswehr nicht zustimmen.
Wenn ich mich recht erinnere, hat er sogar erwähnt, dass
die CDU dieses den Botschaftern der NATO-Staaten feier-
lich mitgeteilt habe. Diplomatische Großmacht CDU!


(Heiterkeit bei der SPD)


Von Volker Rühe konnte man vor einer Woche in der
„Zeit“ nachlesen, er habe diese ablehnende Position
– diese bezog sich plötzlich auf den bevorstehenden An-
trag der Bundesregierung, obwohl es damals nur um eine
Verlängerung um ein Jahr ging; Sie ziehen jetzt alles nach
vorne – sorgfältig vorbereitet. Herr Rühe, so werden Sie
in der „Zeit“ zitiert. Ich halte dies für eine völlig unzu-
lässige Vermischung unterschiedlicher Fragen aus
schlecht verhüllten innenpolitischen Motiven.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie immer wir über Bundeswehrreform, Modernisie-
rungskosten und deren Finanzierung streiten mögen: Die-
ser Grundsatzstreit hat doch wirklich wenig damit zu tun,
dass die Bundesregierung die Sonderkosten dieses Ein-
satzes selbstverständlich aus allgemeinen Haushaltsmit-
teln finanzieren muss. Warten wir also doch die Regie-
rungsvorlage ab!

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Helmut Lippelt

18074


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben vor sechs Wochen Ihr Nein zur Verlängerung
um ein Jahr begründet. Die Versuchung ist offensichtlich
sehr groß – zu groß – geworden, die Außenpolitik jetzt zu
innenpolitischen Zwecken zu missbrauchen. Ich möchte
Sie wirklich dringend auffordern, zu einer gemeinsamen
Außenpolitik zurückzukehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die Grünen fordern uns zur gemeinsamen Außenpolitik auf!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418301400
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418301500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich zu Beginn mei-
ner Rede an den Kollegen Erler wenden. Sie haben hier
sehr ernst und ernsthaft gesprochen. Die taktische Absicht
Ihrer Rede, gemünzt auf Ihre eigene Fraktion und auf die
CDU/CSU-Fraktion, war unverkennbar. Aber lassen wir
das. Ich finde, Sie haben einen ganz schlimmen Satz aus-
gesprochen, den ich Ihnen vorhalten will. Sie haben ge-
sagt, dass wir keine Wahl, sondern eine Pflicht hätten.
Wenn die Politik keine Wahl mehr hat, dann ist sie ge-
scheitert.


(Beifall bei der PDS)

Das Wesen von Politik ist geradezu die Auswahl.

Ihr Angebot zum Dialog und zum Reden miteinander
hörte sich so an: Reden wir einmal miteinander; aber wir
entscheiden.


(Widerspruch des Abg. Gernot Erler [SPD])

Das Reden hat aber nur einen Sinn, wenn man selber be-
reit ist, auf Argumente anderer tatsächlich einzugehen und
nicht nur die eigene Meinung zu exekutieren.


(Beifall bei der PDS)

Letzteres aber ist Ihre feste Absicht und entspricht auch
dem Gestus, mit dem Sie hier aufgetreten sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt haben Sie ihm das Wort im Munde herumgedreht!)


Es ist der Fluch der bösen Tat, dass sie immerfort Bö-
ses muss gebären. Es ist der Fluch der falschen Politik,
dass sie immerfort falsche Schritte nach sich zieht, wenn
sie nicht korrigiert wird. Wir sollten gemeinsam über Eck-
punkte einer anderen Balkanpolitik nachdenken, die ich
als Schritte eines Prozesses hin zu einem Frieden folgen-
dermaßen beschreiben würde:

Erstens gehört für mich dazu ein klares und deutliches
Nein zu allen Forderungen nach Veränderung der Grenzen
auf dem Balkan, ohne dass dort Grauzonen bleiben.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens würde dazu gehören eine klare Einordnung

der UCK als terroristische Organisation, die Entwaffnung
der UCK, die Auflösung ihrer Strukturen und die Unter-
bindung des Waffen- und Geldnachflusses für die UCK
auch aus Deutschland.


(Beifall bei der PDS)


Drittens würde dazu gehören eine deutliche Vertretung
der Rechte aller Minderheiten auf dem Balkan, seien es
Serben, Albaner, Roma oder andere Minderheiten. Alle
Minderheiten auf dem Balkan verdienen unsere Solida-
rität.


(Beifall bei der PDS)


Viertens würde dazu gehören, die Federführung des ge-
samten Balkanprozesses bei den Vereinten Nationen und
bei der OSZE anzusiedeln. Dort sind sie auch von ihrer
Natur her am besten aufgehoben. Es ist notwendig, gerade
die UNO in diesen Prozess einzubeziehen.


(Beifall bei der PDS)


Fünftens denke ich darüber nach, Herr Außenminister,
ob nicht doch eine Chance besteht, den Stabilitätspakt als
Grundlage einer Konferenz über Sicherheit und Zusam-
menarbeit auf dem Balkan weiterzuentwickeln, und ob
nicht der Stabilitätspakt den Rahmen für den politischen
Ausgleich hergibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns hier
ein paar Fragen stellen – die Regierung hat sich über die
eigentlichen Fragen wahrlich ausgeschwiegen; das war
die Botschaft, die Außenminister Fischer hier vorgetragen
hat –: Warum bemüht sich die Bundesregierung nicht
deutlicher und öffentlicher um ein Mandat der Vereinten
Nationen für den geplanten Einsatz?


(Beifall bei der PDS)


Warum nicht, Herr Außenminister? Wir wissen doch, dass
England und Frankreich das nicht für nötig halten. Was ist
mit der deutschen Regierung? Halten Sie es für nötig oder
halten Sie es nicht für nötig? Gesagt haben Sie dazu
nichts. Ein Mandat, auch wenn es völkerrechtlich für die
Gesamtheit des Einsatzes vielleicht nicht nötig wäre, wäre
allemal politisch sinnvoll und vernünftig; wünschenswert
wäre es auch. Warum machen Sie es nicht?


(Beifall bei der PDS)


Müssen wir uns nicht die Frage stellen, warum von
30 Tagen Waffen einsammeln gesprochen wird? Jeder
weiß, dass die 30 Tage der Einstieg zu einem längeren mi-
litärischen Engagement sind. Warum soll man in Maze-
donien mit 3 000 Soldaten in 30 Tagen das leisten, was im
Kosovo mit 50 000 Soldaten nicht geleistet worden ist,
nämlich die Entwaffnung der UCK?


(Beifall bei der PDS)


Warum? Dahinter steckt doch eine Taktik. Jeder kann oder
könnte wissen, dass die UCK Kind und Kriegspartner der
NATO gewesen ist. Die NATO-Staaten haben die UCK
partnerschaftlich ausgebildet, bewaffnet, trainiert. Ihre
Soldaten standen mit Ex-US-Offizieren zusammen vor
Skopje. Wie ist denn jetzt das Verhältnis zur UCK? Wird
hier einmal deutlich angesagt, dass die UCK nicht Partner
deutscher Politik sein kann? Sie bewegen sich hier in ei-
ner Grauzone, die geklärt werden muss.


(Beifall bei der PDS)

Warum argumentieren Sie jetzt nicht in der Sache

selbst, sondern – Ihre taktische Absicht ist mir klar – be-
schwören die Bündnistreue in der NATO? Das ist doch Ihr

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Helmut Lippelt

18075


(C)



(D)



(A)



(B)


Argument, mit dem Sie die CDU/CSU und die F.D.P.
knacken wollen. Sie reden nicht mehr über den Sinn des
Einsatzes, nicht mehr über die politische Konzeption,
sondern sagen: Die Bündnistreue in der NATO ist in Ge-
fahr. – Diese Absicht ist zu erkennen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Staatspolitische
Verantwortung wäre es, ein wirkliches politisches Kon-
zept für Stabilität, Frieden und Ausgleich auf dem Balkan
zu entwickeln, statt tagespolitische Gschaftlhuberei zu
betreiben, über die dann die ideologische Soße der Men-
schenrechte gegossen wird und bei der tatsächlich keine
Politik mehr betrieben wird. Das ist die Verantwortung
dieser Regierung.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418301600
Der Kollege
Christian Schmidt (Fürth) spricht für die CDU/CSU-
Fraktion.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1418301700
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Das ist schon Chuzpe, was der Kollege Lippelt in einer
etwas verquasten und – Sie erlauben den Begriff – diffu-
sen Rede rüberzubringen versucht hat, nämlich hier werde
von uns die Bündnissolidarität aufgekündigt, wir gäben
den alten Konsens auf und was weiß ich. Ich will Sie ein-
fach einmal mit einigen Stichwörtern an ein paar Sachen
erinnern, Herr Lippelt von den Grünen.

Bürgerrechtler: Als Sie nicht im Bundestag waren, in
der 12. Legislaturperiode, als die Grünen noch berechtig-
terweise das Wort „Bündnis 90“ in ihrem Namen geführt
haben, als Konrad Weiß noch bei den Grünen gewesen ist,
als Gerd Poppe noch im Bundestag war und nicht ins Aus-
wärtige Amt abgeschoben worden war, da haben die Bür-
gerrechtler zugestimmt. Frau Vollmer musste in der
nächsten Legislaturperiode sie zur Räson bringen, damit
sie nicht das, was zu dieser Zeit grüne Ideologie war, ad
absurdum führten, nämlich den Begriff, den Frau Beer ge-
prägt hatte: „Interventionsarmee“ hieß es damals, wenn
man sich bei einer multilateralen Aktion der NATO betei-
ligen wollte.


(Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])

Also kommen Sie mir bitte nicht mit der Vorstellung – ge-
rade Sie, Herr Lippelt, nun überhaupt nicht – Sie hätten zu
diesem Punkt irgendetwas an Glaubwürdigkeit, das Sie in
die Diskussion einbringen könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Situation der Bundeswehr: Die Semantiker sind

bei den Sozialisten immer besonders stark vertreten. Ich
erinnere mich noch gut daran, dass Horst Ehmke nach der
Wende 1982 – damals waren weder ich noch Sie im Bun-
destag – von „kaputtsparen“ gesprochen hat. Er benutzte
diesen Terminus, als es darum ging, den Staat in Ordnung
zu bringen. Wenn Horst Ehmkes Wort „kaputtsparen“ je-
mals seine Richtigkeit gehabt hat, dann in Bezug auf das,
was momentan mit der Bundeswehr passiert. Weil Sie
kein Interesse an der Bundeswehr haben, sparen Sie sie
kaputt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Regierungserklärung des Außenministers war gar
nicht schlecht. Wer in der Lage ist, zu verstehen, was je-
mand sozusagen zwischen den Zeilen sagt, der konnte die
von mir geäußerte Skepsis heraushören. Ich denke, dass
er selbst diese Skepsis zum Ausdruck bringen wollte und
dass die entsprechenden Punkte nicht nur deswegen in
seinem Manuskript standen, weil besonnene Skeptiker
aus dem Außenministerium sie hineingeschrieben haben.
Der Außenminister hat gesagt:

Politischer Wille und materielle Fähigkeiten gehören
untrennbar zusammen.

Sehr wahr!

Wenn die materiellen Fähigkeiten allerdings nicht
mehr vorhanden sind und aufgrund eines fehlenden poli-
tischen Willens nicht mehr zur Verfügung gestellt werden,
dann geht auch die außenpolitische Rechnung nicht mehr
auf. Herr Außenminister, Sie haben am Schluss Ihrer Rede
Gefahren bei der Ausdehnung des Mandats angedeutet.
Wir nehmen das sehr ernst.

An dieser Stelle kommt das Wort „Nachhaltigkeit“,
das die Grünen in vielerlei Hinsicht immer gern pflegen,
ins Spiel. „Nachhaltigkeit“ heißt, wenn man es im Hin-
blick auf die Belange der Bundeswehr übersetzt, „Durch-
haltevermögen“. Können wir mit unserem Parlaments-
vorbehalt wirklich so umgehen, dass wir gerade einmal
eine Art Camouflage beschließen, indem wir zunächst
von 30 Tagen, dann – wenn das nicht reicht – von 60 Ta-
gen und dann – wenn das wiederum nicht reicht – von
120 Tagen sprechen? Müssen wir uns nicht vorher über
die Grundsatzfrage abgestimmt haben? Müssen wir nicht
wissen, ob die Nachhaltigkeit erbracht werden kann?

Lord Robertson, der bekanntermaßen kein Mitglied der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, hat von „Papiertiger“
gesprochen. Der NATO-Generalsekretär wirft den Eu-
ropäern vor, „Papiertiger“ zu sein. Wenn die Herren von
der Regierungsbank bei ihren feierlichen Erklärungen
nach Helsinki ihre „headline goals“ mit Fußnoten verse-
hen, dann werden sie die Hosen herunterlassen müssen.
Es wird sich herausstellen: Siehe da, der Kaiser hatte
keine Kleider an, er war nackt. Wir wollen uns den An-
blick ersparen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD – Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt in den Reihen der SPD)


– Ich dachte, der Bundeskanzler sitzt noch auf der Regie-
rungsbank.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er sitzt hier!)


Ich sage in aller Ernsthaftigkeit: Der Bundeskanzler
muss im November 18 000 Soldaten zur Teilnahme an der
schnellen Eingreiftruppe designieren, die die Europäer in
Helsinki zu Recht vereinbart haben. In Brüssel sitzt ein
deutscher General mit einigen belgischen Hauptgefreiten
und bisher ist noch nichts passiert. So sieht die Bündnis-
solidarität aus, die infrage steht.

Ein Vertreter der Koalition – es gibt ein vielfältiges
Echo – hat gesagt, dass sich die Botschafter in den USA
und anderswo etwas mokiert hätten. Herr Lippelt, ich ma-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Wolfgang Gehrcke

18076


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(B)


che Ihnen einen Vorschlag: Wir beide – Sie von den Grü-
nen und ich von der CSU – gehen zu einem Bundeswehr-
bataillon, das in Kürze zu einem KFOR-Einsatz muss.
Anschließend machen wir einen Test, um festzustellen,
wo Vertrauen und Glaubwürdigkeit vorhanden sind. Da-
nach fliegen wir beide gemeinsam nach Washington, um
auch dort herauszufinden, wo Vertrauen und Glaubwür-
digkeit vorhanden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: In Washington empfängt Sie gar keiner!)


Wir bauen Brücken und wir machen Angebote. Ich
schlage vor: Betrachten Sie diese Angebote als ernsthaft
und versuchen Sie Ihrerseits, an dem Konsens festzuhal-
ten, der unsererseits nie infrage gestellt worden ist!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418301800
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, das Wort.


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1418301900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundes-
außenminister und der Kollege Erler haben jeweils mit ei-
ner, wie ich finde, wichtigen Argumentation darauf auf-
merksam gemacht, dass wir auf dem Balkan eine Reihe
von Fortschritten erreicht haben: den demokratischen
Wechsel in Serbien, die relative Stabilisierung im Ko-
sovo, den demokratischen Wechsel in Kroatien, die Funk-
tionsfähigkeit des Stabilitätspaktes und manches andere.
Dies alles sind Elemente, die zeigen, dass das enge Zu-
sammenwirken von NATO und Europäischer Union, zu
dem die Bundesregierung beigetragen hat, diesem Teil
Europas eine Perspektive zu Frieden, Stabilität und zu ei-
ner auch ökonomisch sicheren Entwicklung eröffnet hat.
Wir wissen, dass das in Gefahr ist, weil nicht jeder in Ser-
bien, in Bosnien, im Kosovo und jetzt besonders stark in
Mazedonien ein Interesse daran hat, dass diese Perspek-
tive Wirklichkeit wird.

Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir den politi-
schen Vertreterinnen und Vertretern der überwältigenden
Mehrheit der Menschen, die dort leben, beim Verwirkli-
chen der Perspektive behilflich sein wollen oder ob wir
die Entwicklung den Gewalttätigen und den Extremisten,
also denjenigen, die nie etwas anderes als Gewaltanwen-
dung gelernt und praktiziert haben, überlassen wollen.
Das ist die entscheidende Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Bei diesem Wettlauf in Mazedonien zwischen Bürger-
krieg und Chaos einerseits und einer stabilen und friedli-
chen Entwicklung andererseits hat es in den letzten Tagen
eine Reihe von ermutigenden Zeichen gegeben. Ich sage
das bewusst so, weil wir noch nicht davon sprechen kön-
nen, dass der Weg wirklich sicher ist. Die Ereignisse der
letzten wenigen Stunden zeigen, dass wir wieder vor der-
selben Frage stehen: Wollen wir jenen hilfreich zur Seite

stehen, die an einer stabilen und friedlichen Entwicklung
interessiert sind, oder wollen wir die Entwicklung in die
Hände derjenigen zurückfallen lassen, die das Gegenteil
wollen? Das machen auch die Ereignisse der letzten Stun-
den in Mazedonien überdeutlich.

Ich möchte jetzt nicht das wiederholen, was Gernot
Erler in beeindruckender Weise gesagt hat. Dem Gesag-
ten füge ich aber noch eines hinzu: Wir haben gegenüber
Mazedonien aus vielen Gründen eine besondere Ver-
pflichtung. Einer dieser Gründe ist die Tatsache, dass die-
ses Land uns in einer erstaunlichen und seine Kräfte oft
genug überfordernden Weise während der Auseinander-
setzungen im Kosovo durch die Aufnahme von Flücht-
lingen, deren Zahl mehr als 15 Prozent der Ursprungsbe-
völkerung Mazedoniens betrug, geholfen hat. Das war
eine enorme Leistung, für die wir nicht nur dankbar zu
sein haben, sondern die auch signalisiert, dass man bereit
ist, eine gegenseitige Verantwortung wahrzunehmen.
Natürlich müssen in Mazedonien bestimmte Vorausset-
zungen geschaffen werden; diese sind genannt worden.
Allerdings müssen wir wie bisher dabei mithelfen, dass
diese Voraussetzungen geschaffen werden.

Da wir jetzt über die Politik und das Verhalten
Deutschlands reden, möchte ich Ihnen sagen: Dass NATO
und Europäische Union, dass Amerikaner und Europäer,
dass Lord Robertson und Javier Solana und manche an-
dere so eng zusammenwirken, ist eine der Lektionen, die
wir aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt haben.

Nun stellt sich die Frage, ob für einen Einsatz in Ma-
zedonien klare, verlässliche und realistische Grundlagen
vorhanden sind. Die NATO hat beschlossen, unter be-
stimmten Voraussetzungen, die ich hier nicht wiederholen
muss, behilflich zu sein. Dieser Einsatz ist auf 30 Tage be-
fristet. Wenn man aber nur das erwähnt, sagt man die
halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass die NATO in
ihrem Operationsplan von vornherein die Möglichkeit
und, wie ich vermute, auch die Notwendigkeit einer Ver-
längerung dieses Einsatzes über die geplanten 30 Tage hi-
naus ausdrücklich einkalkuliert.

Das Zweite ist, dass niemand – davon hat der Bundes-
außenminister ja gesprochen – wirklich sagen kann, ob
unbeschadet des Willens der mazedonischen Regierung,
der Parteien in Mazedonien und auch der so genannten
NLA sich jeder an das hält, was die Staatsführung, die po-
litischen Parteien und die politische Führung der NLA
wollen. Dann wird die Frage auftauchen, ob wir sagen,
dass wir in dem Fall, dass Regierung, Parteien und politi-
sche Führung der so genannten NLA das zwar wollen,
sich aber nicht jeder daran hält, nicht behilflich sind, weil
nicht jeder „Knallkopp“, um es einmal grob zu sagen, an
diesem konstruktiven Prozess mitwirkt.

Damit sind wir dann bei der Frage der Robustheit eines
Mandates. Von vornherein davon auszugehen, dass es
nur um das Einsammeln von Waffen gehe, nicht aber auch
um ihre Sicherstellung, ihren Abtransport und den Schutz
der eingesetzten Soldaten, auch in kritischen Situationen,
wäre unrealistisch und daran wollten und werden wir uns
nicht beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist gut, Herr Scharping!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Christian Schmidt (Fürth)


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Ich sage das in aller Deutlichkeit deshalb, weil die
NATO in ihrem Operationsplan von vornherein – darauf
haben wir Wert gelegt und das haben wir den Fraktions-
vorsitzenden auch ausführlich erläutert – die Möglichkeit
eingebaut hat, diesen Operationsplan je nach Lage gege-
benenfalls zu ergänzen und anzupassen.

Nach der gestrigen Vereinbarung wird der NATO-
Oberkommandierende in diesen Stunden beantragen, die
Vorausverlegung von Logistikkräften, Fernmeldekräften
und anderen freizugeben. Das geschieht in der Hoffnung,
dass sich der politische Prozess in Mazedonien stabilisie-
ren wird und die im NATO-Beschluss genannten Bedin-
gungen eintreten werden. Treten sie ein, werden wir in
Deutschland sehr schnell – am Ende der nächsten, im Lau-
fe der übernächsten Woche – vor der Notwendigkeit ste-
hen, im Parlament das zu debattieren, was die Bundesre-
gierung nun tut, nämlich mit Frankreich und, wie ich
denke, auch Spanien einen gemeinsamen Verband zu ent-
wickeln, der sich an dieser NATO-Operation beteiligen
kann und, wenn der Bundestag zustimmt, auch beteiligen
wird.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302000
Herr
Bundesverteidigungsminister, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Heidi Lippmann?


Rudolf Scharping (SPD):
Rede ID: ID1418302100

Im Augenblick nicht.

Das alles ist ernst, es bedarf einer völlig klaren, realis-
tischen Einschätzung, nicht irgendeiner naiven Haltung.
Das ist der politischen Kohärenz des Bündnisses, der eu-
ropäischen Handlungsfähigkeit, der Unterstützung der
politischen Ziele, die die Europäische Union von Anfang
an und sehr konsequent und auch erfolgreich verfolgt hat,
und übrigens auch den Angehörigen der Streitkräfte und
ihrer Sicherheit geschuldet.

Vor diesem Hintergrund ist genauso klar – das sage ich
an die Adresse der Opposition –, dass die Bundesregie-
rung die notwendigen Mittel – damit meine ich Ausrüs-
tung und finanzielle Mittel – zur Bewältigung eines sol-
chen Einsatzes – in meiner Einschätzung werden das nicht
30 Tage sein – zur Verfügung stellen wird. Das ist der Tat-
sache geschuldet, dass wir mittlerweile eine politische
– ich sage ausdrücklich: politische – Garantenstellung für
die gesamte Entwicklung auf dem Balkan und seiner ein-
zelnen Staaten haben, ob wir es mögen oder nicht.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Die Frage ist nur, wie wir mit dieser Garantenstellung um-
gehen.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)


Vor diesem Hintergrund möchte ich einige wenige ab-
schließende Hinweise geben. Der eine ist: Wir sollten
nicht übersehen – niemand, auch die Opposition nicht –,
dass wir bisher sowohl in der Bundeswehr wie auch in der
Bevölkerung eine breite, überwältigend große Akzeptanz
für dieses deutsche Engagement haben. Das sollte nie-
mand zerreden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Zweite ist, dass wir mit Blick auf die Forderun-
gen, die die Union gestellt hat, zu fragen haben – ich for-
muliere das ausdrücklich als Frage –: Glauben Sie im
Ernst, dass Sie auf einer Grundlage, die klar, realistisch
und verlässlich ist, zu einem gemeinsamen französisch-
deutschen Vorgehen im Rahmen der Europäischen
Union und der NATO am Ende Nein sagen können? Ha-
ben Sie nicht auch das Gefühl, dass Sie sich aus sehr
kurzatmigen und nicht wirklich zu Ende gedachten
innenpolitischen Erwägungen in eine Ecke hineinmanö-
vrieren?


(Widerspruch des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])


Ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg, aus dieser Ecke
herauszukommen.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Jeder darf das sagen, aber doch nicht der Verteidigungsminister!)


Haben Sie im Übrigen nicht auch den Eindruck, dass
wir vor dem Hintergrund dieser ernsthaften Fragen
die Aufrechnerei wenigstens eine Zeitlang zurückstellen
sollten?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie einen Satz zu Kujat!)


Wenn wir dies nicht tun würden, kämen wir sehr schnell
in die Situation, zu fragen: Wer hat eigentlich den Zustand
der Bundeswehr, den wir vorfanden, zu verantworten?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Wer hat die Mittel gestrichen?)


Wie war insbesondere das Verhalten des früheren Ver-
teidigungsministers im Vorfeld des Einsatzes im Ko-
sovo? Hat er nicht noch zum Zeitpunkt des noch nicht
vollzogenen Abzuges der unbewaffneten OSZE-Beob-
achter den sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Ma-
zedonien verlangt, was ganz und gar unverantwortlich
war?

Wie gesagt, ich will heute auf all dies nicht eingehen.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Entschuldigung, Sie können doch nicht erwarten, dass
die Rede eines früheren Verteidigungsministers, die auf
einige Minuten angesetzt war und sich zu 95 Prozent in-
nenpolitischen und parteitaktischen Fragen widmete, völ-
lig unbeantwortet bleibt. Das können Sie wirklich nicht
erwarten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Werden Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht!)


Etwas anderes ist mir aber viel wichtiger: Ich hoffe,
dass es gelingt, auf einer sehr realistischen Grundlage das
zu tun, was im Interesse unseres früheren Engagements,
seiner Konsequenz und Glaubwürdigkeit in Mazedonien
sinnvollerweise geleistet werden kann, damit dieses Land
und mit ihm der gesamte Balkan die friedliche und stabile

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesminister Rudolf Scharping

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Perspektive erhalten werden, die die Menschen dort ver-
dienen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302200
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Heidi Lippmann
das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1418302300
Herr Minister Scharping, der
Ausflug, den Sie soeben in die Vergangenheit, in die Zeit
der Regierungsverantwortung von Schwarz-Gelb, ge-
macht haben, ist durchaus berechtigt. Aber nachdem Sie
persönlich gemeinsam mit Ihrem grünen Koalitionspart-
ner in den vergangenen drei Jahren alle Positionen, die Sie
bis 1998 vertreten haben, aufgegeben haben, sollten Sie
sich bei Ihrem rückwärts gewandten Blick etwas zurück-
halten.

Ihre Äußerungen, dass Mazedonien unsere ganze Un-
terstützung benötigt, kann ich voll unterstützen. Doch was
haben Sie bisher über den Rahmen der kleinkarierten Pro-
jektförderung des Stabilitätspaktes und der militärischen
Ausrüstungshilfe hinaus getan, um nicht nur für Mazedo-
nien, sondern für alle anderen Staaten in dieser Region
tatsächlich eine politische Vision zu entwickeln?

Sie sprachen gerade davon, dass man Mazedonien
friedliche und stabile Perspektiven geben müsse. In der
vergangenen Woche haben wir lange darüber beraten, in-
wieweit Friedenspläne, die vorgeschlagen und eingefor-
dert worden sind – auch von Herrn Putin wurden Frie-
denspläne vorgelegt –, überhaupt durchsetzbar und
gewollt sind. Sie und auch der Außenminister bzw. sein
Staatssekretär haben ganz deutlich gesagt, dass es der
falsche Zeitpunkt sei, über Friedenspläne zu sprechen.
Meinen Sie nicht, dass Sie heute vor dem Scheitern Ihrer
NATO-Politik stehen? Meinen Sie nicht, dass es aller-
höchste Zeit ist, Friedenspläne einzufordern und auch
voranzutreiben und nicht länger in der politischen Ausei-
nandersetzung ausschließlich auf militärische Optionen
zu setzen?

Schauen wir uns die Situation der Bundeswehr an. Es
ist nicht nur die CDU, die sagt, die Bundeswehr sei nicht
in der Lage, weitere militärische Einsätze zu leisten. Das
sagen vielmehr auch alle hochrangigen Vertreter aus den
Reihen der Bundeswehr selbst, der Vorsitzende des Bun-
deswehrverbandes, General Opel aus Ihren eigenen Rei-
hen oder viele andere mehr.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302400
Frau Kolle-
gin, ich habe Ihnen das Wort zu einer Kurzintervention
gegeben. Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss!


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1418302500
Ja, ich komme zum Schluss.
Ich sage Ihnen deutlich: Nehmen Sie Abstand von die-

ser Farce, dass ein Mandat auf 30 oder 60 Tage begrenzt
werden kann! Ziehen Sie die NATO-Truppen zurück! Set-
zen Sie sich für ein UN-Mandat ein und nehmen Sie end-

lich Abstand davon, jegliche politische Krisensituation
ausschließlich mit militärischen Mitteln lösen zu wollen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302600
Ich geben
nunmehr als letztem Redner in dieser Debatte dem Kolle-
gen Paul Breuer das Wort. Er spricht für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Muss das jetzt das Ende sein?)



Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1418302700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte mich direkt an Ver-
teidigungsminister Scharping wenden. Herr Minister
Scharping, glauben Sie wirklich, dass Sie mit dem, was
Sie eben in dieser Debatte gesagt haben, auch nur einen
einzigen Soldaten der Bundeswehr erreichen?


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Doch! Ja!)


Die Fragestellungen der Soldaten der Bundeswehr sind
diejenigen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das interessiert ihn doch überhaupt nicht!)


die der Generalinspekteur, General Kujat, thematisiert
hat: dass die Bundeswehr für einen größeren Einsatz kei-
ne Ressourcen, keine Durchhaltefähigkeit mehr besitzt,
und zwar sowohl personell wie materiell. Ich finde es un-
glaublich, dass Sie in dieser Debatte auftreten und den Ge-
neralinspekteur mit keiner Silbe erwähnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ansonsten gibt es gar nichts Bemerkenswertes an Ihrer
Rede. Ich sage Ihnen: Sie sind ein großer Lavierer. Ges-
tern las ich eine dpa-Meldung. Sie hörte sich mannhaft an,
Herr Scharping.


(Zuruf von der PDS: Ein echter Ausbruch!)


Da werden Sie mit den Worten zitiert: Ich werde keinen
Soldaten nach Mazedonien schicken, wenn es nicht mehr
Geld gibt. – Heute haben Sie in dieser Debatte eine
Chance gehabt. Und was war, Herr Minister Scharping? –
Fehlanzeige!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Valium!)


Dieses Lavieren des Ministers ist der Grund dafür, dass
die Bundeswehr in diese jämmerliche Situation,


(Peter Zumkley [SPD]: Na, na, na!)


die Handlungsunfähigkeit in der deutschen Außenpolitik
zur Folge hat, hineingekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Das sind doch hohle Sprüche!)


Wenn Außenminister Fischer


(Volker Rühe [CDU/CSU]: Letztlich verantwortlich ist der Kanzler!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesminister Rudolf Scharping

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(A)



(B)


heute deutsche Glaubwürdigkeit in der Außen- und Si-
cherheitspolitik angemahnt hat, dann ist das in Ordnung.
Aber deutsche Glaubwürdigkeit in der Außen- und Si-
cherheitspolitik ist auch eine Frage der militärischen
Handlungsfähigkeit. Deutsche Glaubwürdigkeit erweist
sich nicht nur in Bundestagsbeschlüssen für Einsätze der
Bundeswehr


(Zuruf der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– auf Sie komme ich gleich noch zurück –,

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Drohung!)


sondern sie erweist sich im Alltag; sie erweist sich dann,
wenn in Haushaltsplänen festgestellt werden muss, wel-
che finanzielle Ausstattung der Bundeswehr gegeben
werden soll.

Sie haben in den letzten drei Jahren Ihrer Regierungs-
verantwortung immer wieder vollmundig festgestellt: Die
Bundeswehr braucht weniger Geld, sie braucht weniger
Ausstattung. – Sie fahren sie herunter und stellen heute
fest – Sie sind damit in der Sackgasse –, dass die Politik,
die Sie in den letzten Jahren betrieben haben,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind in der Sackgasse schon seit längerem! Das wissen wir doch!)


mittlerweile deutsche Glaubwürdigkeit in der Außen- und
Sicherheitspolitik beschädigt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Die beschädigen Sie!)


Ich stelle darüber hinaus fest, dass Sie sich in eine
Sackgasse manövriert haben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch die Wiederholung hilft nicht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wie oft sagen Sie das?)


Deutschland hatte diesem Mandat für einen leichten
Einsatz – zeitlich limitiert auf 30 Tage, personell limitiert
auf 3 000 Soldaten – im NATO-Rat zugestimmt. Einen
solchen Einsatz haben Herr Schröder und andere als un-
ehrlich bezeichnet.

Ich habe heute festgestellt, dass Vertreter der Regie-
rungskoalition nach wie vor von solchen Einsätzen reden.
Andere sagen, das gehe nicht. Der Bundeskanzler hat ein
robustes Mandat, ein ehrliches Mandat gefordert. Der
Generalinspekteur hat gesagt, dass die Bundeswehr unter
den gegenwärtigen Voraussetzungen nicht fähig sei, ein
solches Mandat wahrzunehmen.

Frau Beer – ich habe die Pressemeldung eben bekom-
men – redet davon, dass sie einem leichten Mandat nicht
zustimmen werde.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist ein Tollhaus!)


Welche Verwirrung findet hier eigentlich statt? Glau-
ben Sie ernsthaft, dass Ihnen irgendein Bürger in diesem
Lande Ihre Behauptung abnimmt, die CDU/CSU oder
auch die F.D.P. sei für Ihre Verwirrung verantwortlich?


(Gernot Erler [SPD]: Die Welt ist kompliziert!)


Sie haben in den letzten Wochen so ziemlich alles ver-
kehrt gemacht, was man verkehrt machen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und das ausgerechnet aus Ihrem Munde!)


Ihnen glaubt in der NATO niemand mehr und Ihnen
glaubt auch in Deutschland niemand mehr.


(Zuruf von der SPD: Das hätten Sie gern!)


Ich will Ihnen ein Letztes für Ihre Überlegungen in den
nächsten Tagen mitgeben.


(Gernot Erler [SPD]: Stellen Sie sich einmal vor, in Mazedonien hört jemand Ihre Rede!)


Die eigentliche Problematik bei dieser Bundesregie-
rung besteht darin, dass sie sich ständig nur an den tages-
politischen Notwendigkeiten orientiert


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie gerade sagen!)


und lediglich bereit ist, Korrekturen an der Fassade vor-
zunehmen.


(Gernot Erler [SPD]: Es kann ja nicht jeder ein Überflieger sein wie Sie, Herr Kollege!)


In der Außen- und Sicherheitspolitik ist das sträflich. Sie
haben, was Ihre mittel- und langfristige Orientierung in
der Frage angeht, wie die Bundeswehr der Zukunft aus-
sieht und welche finanziellen Möglichkeiten sie erhält,
geglaubt, Sie könnten mit der an der tagespolitischen Ak-
tualität orientierten Aussage, es sei kein wichtiges
Thema, über die Runden kommen. Jetzt, liebe Kollegin-
nen und Kollegen der rot-grünen Koalition, sind Sie er-
tappt.


(Lachen bei der SPD – Gernot Erler [SPD]: Sie erschrecken mich!)


Sie werden mit dieser Art, durch die Sie im Übrigen
durchaus in die Lage kommen könnten, das Leben deut-
scher Soldaten zu gefährden, im Deutschen Bundestag
nicht „aus der Tür kommen“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Stellen Sie sich einmal vor, ein Mazedonier hätte diese Rede gehört!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302800
Ich schließe
die Aussprache.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist gut!)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und b auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Familienförderung
– Drucksache 14/6160 –

(Erste Beratung 174. Sitzung)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Paul Breuer

18080


(C)



(D)



(A)



(B)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Familienförderung
– Drucksachen 14/6411, 14/6452 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6582 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Elke Wülfing
Gisela Frick
Dr. Barbara Höll


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/6572 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara

Höll, Rosel Neuhäuser, Monika Balt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut
bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Carl-Ludwig Thiele, Klaus Haupt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Verbesserung der Familienförderung
– Drucksachen 14/6173, 14/6372, 14/6582 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nicolette Kressl
Elke Wülfing
Gisela Frick
Dr. Barbara Höll

Zum Gesetzentwurf zur Familienförderung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und zwei Ände-
rungsanträge der Fraktion der PDS sowie je ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der
Fraktion der PDS vor.

Über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und
einen Änderungsantrag der Fraktion der PDS werden wir
namentlich abstimmen. Da nach einer interfraktionellen
Vereinbarung – das Haus ist damit einverstanden – für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen sind, wer-
den die beiden namentlichen Abstimmungen etwa um
12.15 Uhr stattfinden. Ich bitte die Kolleginnen und Kol-
legen, sich darauf einzustellen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Red-
nerin der Kollegin Lydia Westrich für die Fraktion der
SPD das Wort.

Lydia Westrich (SPD) (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Nach der vorangegangenen Debatte ist es
etwas schwierig, jetzt mit dem Familienförderungsgesetz
weiterzumachen. Aber es beschreibt die Zukunft unserer
Republik. Deswegen ist es gut, dass wir darüber reden.

Mit dem Familienförderungsgesetz schreiben die Re-
gierungsfraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen ihre Familienpolitik ein gutes Stück weiter.


(Beifall bei der SPD)


Das Gesetz ist gelungen. Ich möchte besonders meiner
Kollegin Nicolette Kressl und ihrer Arbeitsgruppe sowie
den betreffenden Mitarbeitern aus dem Ministerium, die
sich besonders um dieses Gesetz bemüht haben, ganz
herzlich danken.


(Beifall bei der SPD)


Nach 16 Jahren katastrophaler Familienpolitik der al-
ten Bundesregierung haben wir es allein in dieser Legis-
laturperiode geschafft, das Kindergeld um 80 DM auf
300 DM monatlich zu erhöhen. Gleichzeitig haben wir
mit diesem Gesetz einen Einstieg in die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf gefunden.


(Beifall bei der SPD)


Plötzlich entdecken Sie, Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, Ihr Herz für Familien und Kinder.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Na, na, na!)


Nichts ist Ihnen gut genug. Das ist nicht gerade glaubhaft,
nachdem Sie so viele Jahre Zeit hatten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)


Das Bundesverfassungsgericht musste Sie förmlich vor
sich hertreiben.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Sie doch auch!)


Es ist gut, dass das jetzige Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts in unserer Regierungszeit gefällt worden ist, ob-
wohl es Ihre Regierungszeit betroffen hat. Ich möchte
nämlich nicht wissen, was Sie daraus gemacht hätten.

Wir haben es nach Aussagen aller Fachleute verfas-
sungsgemäß umgesetzt. Wir lassen den Haushaltsfrei-
betrag nicht gleich entfallen, sondern schmelzen ihn
schrittweise ab.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist wunderbar für die Alleinerziehenden! Das ist bemerkenswert!)


Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
so umgesetzt – vielleicht zu Ihrem Nachteil –, dass die
Schere zwischen gut und weniger gut verdienenden
Familien nicht noch weiter auseinander strebt.


(Beifall bei der SPD)


Wir hätten uns auch – das wäre Ihnen vielleicht lieber
gewesen, Frau Lenke – mit einer reinen Freibetragslösung
zufrieden geben können. Stattdessen haben wir das Urteil
zum Anlass genommen, eine neue Familienförderung zu
entwickeln, die allen Familien zugute kommt. Wir haben

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

18081


(C)



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(A)



(B)


damit endlich eine verfassungsgemäße Besteuerung von
Familien geschaffen.

Mit dem neuen integrierten Freibetragsmodell, in
dem die Freibeträge für Betreuung, Erziehung und Aus-
bildung zusammengefasst sind, haben wir ein Stück Le-
benswirklichkeit nachgebildet. Jedem ist wohl einsichtig,
dass bei 15-Jährigen wohl kaum noch Betreuungsbedarf,
wohl aber Erziehungsbedarf vorhanden ist. Zusammen-
gerechnet wird der Freibetrag für den sächlichen Exis-
tenzbedarf für jedes Kind


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Ist viel zu niedrig angesetzt!)


von 6 912 DM auf 7 128 DM erhöht. Das haben wir mit
dem Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag
von 4 212 DM aufgestockt.

Die bislang geltende Altersgrenze für den pauschalen
Betreuungsfreibetrag wird von 16 auf 27 Jahre erhöht.
Das ist eine ganz deutliche Erhöhung. Offenbar ist dies
aber noch immer nicht bei allen Kolleginnen und Kolle-
gen der Opposition angekommen. Für jedes Kind gibt es
von Geburt an bis zum 27. Lebensjahr den integrierten
Freibetrag von 4 212 DM,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


der dem Freibetrag von 7 128 DM hinzugerechnet wird.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Dafür muss man erst einmal Einkommen haben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418302900
Frau Kol-
legin Westrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Dr. Ilja Seifert?


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418303000
Ja.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1418303100
Frau Kollegin, Sie sprachen ge-
rade davon, dass bei einem 15-Jährigen normalerweise
kein Betreuungsbedarf mehr, wohl aber Erziehungsbedarf
gegeben sei. Sie geben mir doch sicherlich Recht, dass
zum Beispiel bei geistig schwer behinderten Menschen
auch dann noch, wenn sie schon älter als 27 Jahre alt sind,
ein erheblicher Betreuungsbedarf besteht. Heißt das also,
dass Sie unserem Änderungsantrag zustimmen werden,
dass für im Haushalt der Eltern lebende, unverheiratete
Menschen, die wie Kinder sind, zum Beispiel geistig Be-
hinderte, die gleiche Anrechnung wie für Kinder gilt, so-
dass den Menschen tatsächlich etwas von der Erhöhung
des Kindergeldes bleibt? Würden Sie unserem Antrag zu-
stimmen, damit für diese wirklich etwas übrig bleibt?
Nach Ihrem Vorschlag würde diesen nämlich wieder alles
entzogen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch!)



Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418303200
Nein, das ist nicht korrekt,
Herr Seifert, weil der Betreuungsfreibetrag natürlich auch
für behinderte Kinder gilt. Diese kommen genauso in den
Genuss des Freibetrages wie zum Beispiel jemand, der in
Ausbildung ist.

Wir haben zusätzlich noch einen extra Ausbildungs-
freibetrag in Höhe von 1 800 DM für auswärtig unterge-
brachte Kinder in Ausbildung geschaffen. Somit haben
wir eine jährliche Entlastung pro Kind in Höhe von
11 340 DM, bei Kindern in Ausbildung in Höhe von
13 140 DM.

Das Kindergeld für das erste und zweite Kind haben
wir um 30 Mark pro Monat angehoben. Weil wir wissen,
dass Betreuungskosten bei aushäusiger Betreuung hoch
sein können, haben wir uns entschlossen, zusätzlich zum
pauschalen Betreuungsfreibetrag – dieser gilt unabhängig
von der Betreuungsform, das heißt Betreuung zu Hause
oder außerhalb, eigene Betreuung oder durch Dritte – da-
rüber hinausgehende erwerbsbedingte Betreuungskosten
bis zu 3 000 DM steuerlich absetzbar zu machen.

Wir wollen und können keiner Familie vorschreiben,
wie sie ihre Kinder zu betreuen hat. Wir wollen aber je-
dem Elternteil die Möglichkeit geben, einer Erwerbstätig-
keit nachzugehen, ohne dass das Einkommen durch die
zwangsläufig entstehenden Betreuungskosten aufgezehrt
wird. Deshalb können künftig durch Erwerbstätigkeit
beider Eltern entstehende zusätzliche Betreuungskosten
abgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD)


Meistens sind es die Frauen, die weniger verdienen und
nach der Geburt eines Kindes häufig Teilzeit arbeiten. Ih-
nen wollen wir mit diesen Maßnahmen die Möglichkeit
bieten, wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ohne
ihren Lohn zum großen Teil in Betreuungskosten inves-
tieren zu müssen. Familien überlegen sich, ob es sich un-
ter dem Strich lohnt, wenn beide arbeiten gehen, zumal
die Einverdienerehe durch den Splittingvorteil sowieso
bevorzugt ist. Das ist eine Tatsache, die ich hier schlicht
feststelle, ohne sie zu werten.

Wir wollen Männern wie Frauen die Möglichkeit ge-
ben, sowohl eine Familie zu gründen und Kinder zu be-
kommen als auch berufstätig zu sein. Es kann nicht sein,
dass Familiengründung das Aus für die Berufstätigkeit
gut ausgebildeter Frauen bedeutet. Auch für Alleinerzie-
hende ist diese Möglichkeit ein großer Fortschritt.


(Beifall bei der SPD)


Natürlich wissen wir, dass eine finanzielle Förderung
allein nicht ausreicht. Sicher müssen die Betreuungs-
möglichkeiten verbessert werden. Wir wissen aber auch,
dass das vorwiegend Ländersache ist. Rheinland-Pfalz
zum Beispiel testet gerade ein Ganztagsschulmodell.
Auch in Bayern ist Herr Stoiber offensichtlich endlich
aufgewacht und hat festgestellt, dass die Betreuungs-
möglichkeiten in seinem Land durchaus noch verbesser-
bar sind.


(Zuruf von der SPD: Das ist schon ziemlich vornehm ausgedrückt!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418303300
Frau Kol-
legin Westrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Dr. Barbara Höll?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die haben doch alle ihre Redezeit! Leute, wir haben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 Lydia Westrich 18082 doch Freitag Mittag! – Gegenruf von der PDS: Im Parlament darf man reden! – Weiterer Zuruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD])


(C)


(D)


(A)


(B)



Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418303400
Ja.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1418303500
Sehr geehrte Frau Kressl,
ich habe in dieser Woche schon zwei Reden gehalten.
Da kann man bestimmt nicht sagen, wir könnten in un-
serer kleinen Fraktion den Redebedarf nicht genug ab-
decken.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bleiben Sie doch jetzt ganz ruhig!)


Liebe Kollegin Westrich, Sie haben eben den Betreu-
ungsfreibetrag und die steuerliche Absetzbarkeit als zwei-
ten Schritt herausgehoben. Darf ich Sie fragen, ob Sie
dann unserem Änderungsantrag zustimmen werden, der
vorsieht, dass bereits die erste Mark real entstehender Be-
treuungskosten steuerlich absetzbar ist? Das wäre wenigs-
tens ein Mittel, um die reale Schlechterstellung


(Nicolette Kressl [SPD]: Die gibt es nicht!)


von allein erziehenden Menschen mit Kindern zumindest
teilweise aufzuheben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418303600
Frau Kollegin Höll, Sie selbst
haben viele Berechnungsbeispiele angefordert. Eine
Schlechterstellung von Alleinerziehenden gibt es nicht.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Natürlich gibt es die!)


Trotzdem ist zu betonen: Wir haben einen großen
Schuldenberg, den wir nicht auf die Schultern der
Kinder verlagern wollen. Wir wollen eine Politik der
Generationengerechtigkeit machen. Dazu gehört auch,
mit dem Geld zu haushalten und maßvoll zu handeln.
Wir werden den Betreuungsfreibetrag ab 3 001 DM ein-
setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was wir als Regierungskoalition auf Bundesebene tun
können, um Familien zu fördern und die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf zu unterstützen, tun wir nicht erst
mit der Vorlage dieses Entwurfs. Wir tun es, seit wir an der
Regierung sind, und dieser Weg wird fortgesetzt. Dank
unserer Politik hat ein verheirateter Arbeitnehmer mit
zwei Kindern bei einem Jahresbruttolohn von 60 000 DM
in diesem Jahr gegenüber 1998 insgesamt 1 730 DM we-
niger Steuern zu zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Beispielfamilie hat heute schon 145 DM mehr
pro Monat. Im Jahr 2005 hat dieselbe Familie 4 056 DM
weniger Steuern zu zahlen als 1998, als Sie noch an der
Regierung waren.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Aber mit den Grünen noch mehr Ökosteuern!)


– Warten Sie es doch einmal ab, Frau Lenke. Es ist übri-
gens schön, dass Sie uns attestieren, 2005 mit Rot-Grün
weiter regieren zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Das werden wir verhindern!)


Das Beste ist: Die Verbesserungen für die Familien
sind solide finanziert. Das kann man von den Vorschlä-
gen, die von CDU/CSU, F.D.P. und PDS kommen, wahr-
haftig nicht behaupten.


(Nicolette Kressl [SPD]: So wie früher auch!)

Dort werden ganz großzügig Milliardenbeträge verteilt,
ohne darüber nachzudenken, woher die Mittel kommen
sollen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist doch Quatsch, Frau Westrich!)


Die von Ihnen hinterlassenen Schulden lasten sowieso als
riesige Hypothek auf den Schultern der Kinder. Sie tun
ihnen für die Zukunft wirklich nichts Gutes, wenn Sie den
Schuldenberg noch weiter erhöhen. Glauben Sie im Ernst,
die Menschen im Lande sind so gutgläubig, dass sie Ihren
populistischen Forderungen Glauben schenken? Sie wis-
sen doch, dass man gute Reformen nicht auf Pump ma-
chen kann; das zahlt sich wirklich nicht aus.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418303700
Frau Kolle-
gin Westrich, eine weitere Kollegin möchte Ihnen eine
Frage stellen. Die Zeit wird auf Ihre Redezeit nicht ange-
rechnet; aber es ist Ihre Entscheidung.


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418303800
Sie haben die Uhr aber nicht
angehalten.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1418303900
Das werde
ich in dem Augenblick tun, zu dem Sie die Zwischenfrage
zulassen. – Bitte schön.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1418304000
Frau Westrich, die Verschuldung
ist mit der Einheit gekommen. Dass Sie das jetzt wieder
in einer solchen Familiendebatte hochholen, finde ich un-
verschämt. Ich habe das schon im Ausschuss gesagt, wo
von Ihnen genau das Gleiche kam. Sind Sie gegen die
deutsche Einheit? Schröder hat ja gesagt, die sollten sich
hinten anstellen.


(Zurufe von der SPD: Frage!)

Wir, die F.D.P.-Fraktion, sind für die deutsche Einheit. Mit
der deutschen Einheit ist die Verschuldung gekommen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Frage!)

Sehen Sie das genauso wie ich?


Lydia Westrich (SPD):
Rede ID: ID1418304100
Frau Lenke, wir reden von
Generationengerechtigkeit. Es ist unsinnig, im Zuge einer
Politik für die Familien das Kindergeld und den Kinder-
freibetrag zu erhöhen und gleichzeitig denselben Kindern

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18083


(C)



(D)



(A)



(B)


aufzulasten, in der Zukunft einen riesigen Schuldenberg
abzutragen und damit gewissermaßen ihr eigenes Kinder-
geld zurückzahlen.


(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Politik, die jeglicher Generationengerechtig-
keit widerspricht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das müssen die halt noch lernen! – Ina Lenke [F.D.P.]: Sie haben die Frage nicht verstanden!)


Ich möchte mich noch mit ein paar Worten zu den
hauswirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen äu-
ßern. Die Beibehaltung deren Absetzbarkeit scheint den
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und F.D.P. sehr
am Herzen zu liegen. Sie wissen selbst, dass es eine aktu-
elle Studie des DIW vom März dieses Jahres gibt, die ganz
eindeutig belegt, dass die beschäftigungsstimulierenden
Effekte, die man sich von dem Freibetrag erhoffte, bisher
ausgeblieben sind. Vielmehr habe – so die Studie wörtlich –
„die Regelung in hohem Maße zu Mitnahmeeffekten bei
gut verdienenden Haushalten geführt“. Diese abzubauen
ist ebenfalls ein Schritt in Richtung auf Generationen-
gerechtigkeit.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Schwarzarbeit bauen Sie auf!)


Ganz offenbar wurde doch das Ziel, dadurch mehr Men-
schen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhält-
nisse zu bringen, nicht erreicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wie oft muss man Ihnen das Versagen dieses Instruments
noch deutlich machen, damit Sie nicht mehr darauf beste-
hen, dieses offenbar untaugliche Verfahren beizubehal-
ten?


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Frau Kressl und ich wir haben schon 1997 zusammen
mit Herrn Merz überlegt, Frau Böhmer, wie wir Dienst-
leistungsagenturen fördern können, beispielsweise im
Wege einer steuerlichen oder einer Zulagenförderung.
Herr Merz hat das damals ausdrücklich abgelehnt mit der
Begründung, das werde eine viel zu subventionsintensive
Förderung; das können wir uns nicht leisten.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Sie haben das in dem Gesetz nicht drin!)


Wir müssen – das biete ich Ihnen ausdrücklich an – daher
gemeinsam Modelle entwickeln, wie wir Dienst-
leistungsagenturen effektiv unterstützen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Vorhaben hat viele Aspekte: Wir müssen daran
arbeiten, Abgrenzungen zu finden, um das Handwerk
nicht zu benachteiligen – dies will ja nun wirklich nie-
mand –; wir müssen zum Beispiel überlegen, wie wir
hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse in einen
Qualifizierungsweg bekommen;


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das machen Sie alles kaputt!)


vor allem aber müssen wir mithelfen, dass Familien mit
vielen Kindern tatsächlich von dem Angebot der Dienst-
leistungsagenturen Gebrauch machen können und nicht
nur gut verdienende Ehepaare ohne Kinder, die das Steu-
erprivileg als Mitnahmeeffekt nutzen. Das wird, so denke
ich, eine spannende Sache und lohnt, Überlegungen und
Kraft hineinzustecken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann machen Sie es doch jetzt!)


Die Förderung der Familien ist dauernde Aufgabe für
jede Regierung. Die rot-grüne Bundesregierung mit den
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Grüne hat die He-
rausforderung angenommen, aus einer verkorksten, ver-
fassungswidrigen Familienpolitik heraus einen Weg zu
beschreiten, der die Familien endlich wieder dort hin-
rückt, wo sie hingehören, nämlich in den Mittelpunkt der
Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD)


Wir unterstützen sie bei dieser verantwortungsvollen Auf-
gabe, ohne die Zukunft der Kinder durch einen riesigen
Schuldenberg zu belasten. Familien fördern heißt die Zu-
kunft sichern. Das ist uns mit diesem Familienförder-
gesetz ein gutes Stück gelungen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418304200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Elke Wülfing.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1418304300
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
Westrich, wir haben es alle mitbekommen: Zum wieder-
holten Male erleben wir mit diesem so genannten Famili-
enförderungsgesetz etwas,


(Detlev von Larcher [SPD]: Na, na, na!)


was alle Gesetzgebungsverfahren dieser Regierung kenn-
zeichnet: Erst streitet man sich wochen- und monatelang
intern, dann kommt Knall auf Fall ein Gesetzentwurf auf
den Tisch, der hier im Plenum nicht ordentlich beraten,
sondern durchgepeitscht wird. Die Folge dieses Verfah-
rens war, dass Sachverständige, die wir gern gehört hät-
ten, wegen der kurzen Ladungsfristen überhaupt nicht
kommen konnten. Aber das war insofern nicht so
schlimm, als die vielen anderen anwesenden Sachver-
ständigen deutliche Kritik an diesem Gesetzentwurf, dem
so genannten zweiten Familienförderungsgesetz, geäu-
ßert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Warum haben Sie denn zugestimmt? Das hätten Sie doch ablehnen müssen, Frau Wülfing!)


Allerdings müssen sich die Koalitionsfraktionen da-
rüber auch nicht wundern. Die Einlassungen des Bundes-
finanzministeriums nach dem Bundesverfassungs-
gerichtsurteil vom November 1998 lauteten: Mein Gott,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Lydia Westrich

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das wird uns 22 Milliarden DM kosten. Was ist davon in
diesem Gesetz übrig geblieben? Genau 5 Milliarden DM!
40 Prozent des Entlastungsvolumens werden nämlich von
den Familien selbst finanziert: Ausbildungsfreibetrag,
Haushaltsfreibetrag, Absetzbarkeit von Haushaltshilfen
wurden stark eingeschränkt oder ganz gestrichen.

Die engagierten Familienpolitiker bei der SPD und den
Grünen haben ebenso wie alle Familien in ganz Deutsch-
land einen gemeinsamen Feind. Er heißt Eichel und sitzt
hier auf der Regierungsbank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundesfinanzminister hat dafür gesorgt – seine
Staatssekretärin, Frau Hendricks, hat ihm im Ausschuss
dabei geholfen –, dass das Bundesverfassungsgerichts-
urteil nur in einer Minimallösung umgesetzt wird. Von
Förderung kann hier keine Rede sein;


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Doch!)


denn die Umsetzung dieses Gesetzes wird zu einer deut-
lichen Senkung des Förderanteils beim Kindergeld
führen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist falsch! – Detlev von Larcher [SPD]: Nein! Sie sagen die Unwahrheit!)


– Das wissen Sie ganz genau. Um das Fördervolumen
beim Kindergeld aufrechtzuerhalten, hätte man Geld ge-
braucht, das Ihnen aber der Herr Eichel nicht gegeben hat.
Wenn man den Freibetrag erhöht und zugleich das Kin-
dergeld nur wesentlich geringer erhöht, dann bedeutet
das, dass Familien mit einem Jahreseinkommen von we-
nigstens 80 000 DM keinerlei Förderung mehr erfahren,
sondern nur noch eine Steuerrückerstattung erhalten.
Diese Grenze lag 1999 noch bei 170 000 DM. Demge-
genüber muss man heute eindeutig feststellen, dass das
Kindergeld für Familien mit mittlerem Einkommen kei-
nerlei Förderanteil mehr enthält. Reine Steuerrückerstat-
tung ist keine Familienförderung, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS] –Nicolette Kressl [SPD]: Das ist ein Verfassungsgerichtsurteil gewesen!)


Außerdem reichen die 30 DM – das wissen Sie auch –
gerade eben aus, um die höhere Inflationsrate von 3,5 Pro-
zent auszugleichen, die uns diese Regierung mit Öko-
steuer und steigenden Importpreisen beschert hat.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418304400
Frau Kollegin
Wülfing, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1418304500
Bitte, Frau Kressl.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1418304600
Sehr geehrte Frau Kollegin
Wülfing, können Sie, nachdem Sie jetzt so auf einer Er-
höhung des Kindergeldes bestehen und verlangen, es

müsse noch viel mehr sein, erklären, warum in Ihrer Re-
gierungszeit die damalige CDU/CSU-F.D.P.-Regierung
über den Bundesrat gezwungen werden musste, die Kür-
zung des Kindergeldes von 220 DM auf 200 DM, die in
Ihrem Gesetz stand, zurückzunehmen?


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)



Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1418304700
Frau Kressl, ich will es Ih-
nen wohl erklären.


(Lachen bei der SPD)


– Ich sage es Ihnen so, wie es wirklich war. Ich wäre nach-
her noch darauf zu sprechen gekommen, aber jetzt habe
ich ein bisschen mehr Redezeit für andere Dinge.

Die Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. hat in
ihrer Regierungszeit – das wissen Sie ganz genau – das
Kindergeld von 50 auf 220 DM erhöht.


(Joachim Poß [SPD]: Wegen der SPD und ihrer Mehrheit im Bundesrat!)


Sie hat den Erziehungsurlaub und das Erziehungsgeld, die
Kindererziehungsrente und den Anspruch auf einen Kin-
dergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr durchgesetzt.


(Joachim Poß [SPD]: Der Waigel wollte um 20 DM für das zweite Kind erhöhen, mehr nicht!)


Insgesamt haben wir die Familienleistungen


(Nicolette Kressl [SPD]: Meine Frage!)


für alle Kinder – auch für dritte und vierte Kinder – in un-
serer Regierungszeit verdreifacht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Meine Frage war, warum Sie es streichen wollten!)


Seit 1996 haben wir ein anderes System – das wissen Sie
ganz genau –, das System des Optionsmodells, wie es
auch künftig gelten soll.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, es
ist wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, in welcher
Art und Weise wir dieses Zweite Gesetz zur Familienför-
derung beurteilen. Sie wissen auch, dass die Verlierer da-
bei die Alleinerziehenden, die Familien mit auswärtig
ausgebildeten Kindern und diejenigen Familien sind, die
Kinderbetreuung für mehr als sechs Stunden in der Woche
benötigen. Das sind eigentlich alle Familien mit Kindern,
vor allem die Familien mit mehreren Kindern, von de-
nen ich eben gesprochen habe.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Ich komme gleich noch darauf zurück.
Gerade für diese Gruppe hat sich das Kindergeld – für

das dritte und vierte Kind – von 1998, seitdem diese Bun-
desregierung im Amt ist, überhaupt nicht mehr erhöht.
Das führt dazu, dass das verfügbare Einkommen einer Fa-
milie mit einem Jahreseinkommen von 60 000 DM und
drei Kindern um 4 590 DM jährlich unter dem steuerli-
chen Existenzminimum liegt. Bei einer Familie mit vier

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Elke Wülfing

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Kindern liegt es genau 10 000 DM darunter. Da ist es nicht
verwunderlich, dass der Bericht der Nationalen Armuts-
konferenz davor warnt, Mehrkinderfamilien liefen in ein
erhebliches finanzielles Risiko.

Wir haben sehr bedauert, dass Sie unserem Antrag, die
Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM auch für das dritte
und vierte Kind zu gewähren, nicht zugestimmt haben.
Angesichts der Situation in der Bundesrepublik, ange-
sichts des demographischen Wandels, angesichts des
sozialen Wandels, angesichts der Zukunft der Sozialversi-
cherungen, angesichts der Entwicklung unserer Steuer-
kraft und der Entwicklung unseres Arbeitskräftepoten-
zials wäre es ganz wichtig gewesen, die ökonomische
Basis von Familien deutlicher zu stärken, als Sie das tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das Bundesverfassungsgericht hat Wert darauf gelegt,
den Erziehungs- und Betreuungsbedarf generell anzuer-
kennen – ich habe es im Ausschuss auch schon gesagt; Sie
wollten es nicht hören –, unabhängig davon, ob im Hause
betreut wird oder ob erwerbstätige Eltern sich dazu Hilfe
holen oder ob das Kind in eine Einrichtung kommt.


(Nicolette Kressl [SPD]: Dafür gibt es den Freibetrag! – Lydia Westrich [SPD]: Sie kapiert es nicht!)


Genau das intendierte das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts. Unabhängig davon finden wir in diesem Gesetz
wirklich zu wenig Anerkennung für die Leistungen, die
innerhalb der Familie erbracht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Dafür gibt es den Freibetrag! – Lydia Westrich [SPD]: Und das Splitting!)


Die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen ha-
ben Sie ganz gestrichen, statt diese auszuweiten und da-
mit denjenigen ein Betätigungsfeld zu eröffnen, die Ar-
beitslosenhilfe bzw. Sozialhilfe beziehen


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach, Frau Wülfing, Sie reden doch völligen Unsinn!)


und in Dienstleistungszentren beschäftigt sind. Das wäre
richtig gewesen.

Jetzt komme ich noch einmal auf das, was Sie vorhin
hinsichtlich der sechs Stunden Betreuung moniert haben.
Ihr pauschalierter Kinderbetreuungsfreibetrag reicht
bei 20 DM Stundenlohn gerade einmal für drei Stunden
Betreuung in der Woche.


(Nicolette Kressl [SPD]: Was ist denn das für eine Betreuung?)


– Das haben Sie doch ins Gesetz geschrieben. Also, bei
aller Liebe!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn beide Eltern berufstätig sind, dann dürfen sie noch
einmal drei Stunden wöchentlich in Anspruch nehmen,
mehr aber auch nicht.

Bei Mehrkinderfamilien, auf die wir großen Wert le-
gen, ergibt sich zum Beispiel in der Regel eine bei weitem
längere Berufspause von Familienmüttern. Das wissen

Sie auch ganz genau. Darauf müssen wir wirklich Rück-
sicht nehmen. Das bedeutet Einkommensverzicht und zu-
sätzliche Kosten. Die Kosten für die Betreuung, die in-
nerhalb der Familie geleistet wird, sind wesentlich höher
als das zu veranschlagen, was Sie ins Gesetz geschrieben
haben.

Deswegen ist es dringend notwendig, dass wir eine
wirkliche Familienoffensive hier in diesem Bundestag
in Gang setzen, und zwar so, wie sie die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion entwickelt hat und für die nächste Le-
gislaturperiode auf den Weg bringen wird. Schon in der
Vergangenheit hat die CDU/CSU mit wichtigen familien-
politischen Leistungen einiges für die Familien getan. Das
habe ich schon vorhin in der Antwort auf Ihre Frage deut-
lich gemacht. Wir erinnern uns noch sehr gut an Herrn
Geißler und Frau Süssmuth, die die Kindererziehung bei
der Rente sehr viel stärker angerechnet haben, als das
früher jemals der Fall war. Ich denke, das war eine gute
Sache. Auch beim Kindergeld sind wir vorangekommen.

Aber ich will ehrlich sagen: Man kann natürlich der
Ansicht sein, dass dies alles noch nicht genug gewesen ist.
Deswegen legen wir eine neue Offensive auf den Tisch.
Im Gegensatz zu dem, was uns die SPD immer unterstellt,
fangen wir in diesem Konzept mit dem Thema Verein-
barkeit von Familie und Beruf an.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie fangen jetzt damit an? – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber Zeit!)


Wenn wir in unserem Familienkonzept 1 200 DM für die
ersten Lebensjahre des Kindes bereitstellen wollen, un-
terstellen Sie uns immer, wir wollten die Frauen zurück an
den Herd und zu den Kindern schicken. Nein, unser Kon-
zept beginnt mit dem Thema Vereinbarkeit von Familie
und Beruf. Das ist wichtig; denn auf Dauer werden wir
nicht ohne Ganztagsbetreuung auskommen, zum Bei-
spiel auch in den Schulen.


(Lydia Westrich [SPD]: Das machen wir in Rheinland-Pfalz bereits!)


Ich muss ehrlich sagen: Dem Antrag, den die CDU-
Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen Anfang Juni ge-
stellt hat, sollte man wirklich zustimmen. Er sollte auch in
allen anderen Bundesländern Schule machen.


(Lydia Westrich [SPD]: Das sollten Sie Ihren Ministerpräsidenten sagen!)


Ich glaube, dass wir von traditionell in unserem Land
herrschenden Halbtagsschulen langsam, aber sicher zu
Ganztagsschulen kommen werden; denn wir müssen die
Bildungsreserven, die bei unseren Kindern vorhanden
sind, noch besser ausschöpfen. Wir müssen aber nicht nur
die Bildungsreserven der Kinder stärker ausschöpfen,
sondern wir stellen fest, dass in den Ländern, in denen
Kinder ganztags betreut werden, erstens mehr Kinder ge-
boren werden


(Hans Eichel, Bundesminister: Welch neue Einsicht!)


und zweitens das Erwerbspersonenpotenzial von Vätern
und Müttern besser ausgeschöpft wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


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Elke Wülfing

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Hier sind wir auf dem richtigen Weg. Mit unserem An-
satz zu Kindergeld und der Familienoffensive werden wir
Ihnen gegenübertreten. Wir werden uns im Wahlkampf
wiedersehen. Sie haben mit diesem nicht ausreichenden
Familienfördergesetz, das seinen Titel nicht verdient, et-
was auf den Tisch gelegt, das den Familien nicht viel wei-
terhilft. Auch höre ich, dass Sie auf dem Bundesparteitag
jetzt das Ehegattensplitting antasten wollen. So habe ich
es jedenfalls in der Zeitung gelesen. Dies ist nicht unsere
Meinung. Wir kommen mit unserem Familienkonzept auf
Sie zu. Sie können das mit uns gemeinsam machen oder
wir mit Ihnen. Aber dann muss es etwas mehr sein, als in
diesem Gesetz steht.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418304800
Frau Kollegin,
bitte denken Sie an Ihre Redezeit.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1418304900
Ich bin bei meinem letz-
ten Satz.

Wir werden Ihnen trotzdem nicht den Gefallen tun,
dieses Gesetz abzulehnen; denn ich bin es leid, mir von
Ihnen anhören zu müssen, wir hätten 30 DM mehr Kin-
dergeld abgelehnt. Deswegen stimmen wir dieser Mini-
mallösung schweren Herzens zu.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: So eine mühsame Begründung für eine Zustimmung habe ich noch nie gehört!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305100

Verehrte Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Herzlichen Glückwunsch, Frau Wülfing, dass Sie endlich
die Einsicht gewonnen haben, dass Familie und Beruf
miteinander vereinbar sein müssen. Klasse!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Beim Vergleich mit den Ländern stellen wir schnell
fest, wo es fehlt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schauen Sie mal nach Baden-Württemberg! Dort sieht es besser aus!)


Gerade diejenigen, die in den letzten Wochen und Mona-
ten beim Thema Familienpolitik den Mund am weitesten
aufgemacht haben, wie beispielsweise das Land Bayern
und andere Südländer, haben beim Betreuungsangebot
den schlechtesten Standard und die schlechteste Ausrüs-
tung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! Das können Sie doch nicht einfach so behaupten!)


Nun zu diesem Gesetz. Das Kindergeld ist innerhalb
von vier Jahren, das nächste Jahr eingerechnet, von dieser

Regierung von 220 DM auf 300 DM erhöht worden. Das
bedeutet, dass wir den Familien durch die Erhöhung des
Kindergeldes für das erste und zweite Kind insgesamt
960 DM pro Jahr mehr zur Verfügung stellen. Das bedeu-
tet auch, dass im Jahr 2002 insgesamt 66 Milliarden DM
für das Kindergeld ausgegeben werden. Ich möchte an
dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: Man darf das
Kindergeld als familienpolitische Leistung nicht isoliert
sehen. Man muss auch die anderen familienpolitischen
Leistungen der Bundesregierung berücksichtigen. Wenn
man das tut, wird man feststellen, dass die gesamten Aus-
gaben für die familienpolitischen Leistungen im Jahr
2002 die Grenze von 100 Milliarden DM überschreiten
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das sind rund 20 Milliarden DM mehr als 1998, als wir
die Regierungsverantwortung übernommen haben. Das
ist sogar etwas mehr als ein Fünftel des gesamten Bun-
deshaushaltes. Auch das muss man einmal zur Kenntnis
nehmen.

Wer mehr fordert

(Ina Lenke [F.D.P.]: Das haben Sie doch auch gemacht!)

– viele, die das tun, kann ich gut verstehen –, muss wis-
sen, dass durch eine weitere Erhöhung der Ausgaben für
familienpolitische Leistungen die Verschuldung nach
oben getrieben wird, dass dann die Zinsausgaben steigen
werden und dass dadurch weniger Investitionen in Bil-
dung und andere Leistungen für Familien getätigt werden
können. Deswegen meine ich, dass wir eine sehr ehrliche
Finanzpolitik machen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist Umfinanzierung!)

Es klingt zwar gut, wenn die CDU/CSU ein Familiengeld
von 1 200 DM pro Kind und Monat fordert. Aber Sie wis-
sen ganz genau, dass das nicht finanzierbar ist und dass
Sie sich deswegen gegenüber den Familien sehr unehrlich
verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die rot-grüne Regierungskoalition wollte ihren
Schwerpunkt auf die Familienpolitik setzen. Das haben
wir realisiert. Auch die Grünen haben ihre Wahlverspre-
chen erfüllt. Wichtig ist, dass die anderen Leistungsver-
besserungen für Kinder und Jugendliche nicht vergessen
werden: Beim Erziehungsgeld wurden die Einkommens-
grenzen für Alleinerziehende um 11,4 Prozent erhöht.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist ein Klacks!)

Die Regelungen bezüglich des Elternurlaubs wurden
geändert – Väter und Mütter können nun gleichzeitig El-
ternurlaub nehmen;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


es hat lange Jahre gedauert, bis das gesetzlich umgesetzt
wurde –, um bessere Rahmenbedingungen für die Verein-
barkeit von Beruf und Familie zu schaffen und die Arbeit
der Betreuung von Kindern fairer aufzuteilen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Elke Wülfing

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Beim BAföG gelten seit 1. April dieses Jahres höhere
Fördersätze für Studierende und höhere Einkommens-
grenzen für Eltern. Das Familienförderungsgesetz bringt
im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf den Studenten
bei auswärtiger Unterbringung einen zusätzlichen Frei-
betrag von rund 1 800 DM.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Wie viel war es denn vorher? Vorher waren es 4 800 DM!)


Rot-Grün konsolidiert somit nicht nur den Bundeshaus-
halt, sondern investiert auch an den richtigen Stellen in
unsere Kinder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Einkommensteuerreform – das ist schon ange-
sprochen worden – bringt gerade den Familien mit durch-
schnittlichem Einkommen eine drastische Senkung ihrer
Steuerbelastung. Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen,


(Ina Lenke [F.D.P.]: Wir nehmen alles zur Kenntnis, liebe Kollegen, auch das Ehegattensplitting!)


dass die Familien durch das Zweite Gesetz zur Familien-
förderung ab dem Jahr 2002 insgesamt 4,6 Milliarden DM
mehr in den Taschen haben werden. Ich finde, dass diese
Summe, um die die verfügbaren Einkommen erhöht wer-
den, auch einen Beitrag zur Verbesserung der konjunktu-
rellen Entwicklung darstellt.

Ein Problem – das möchte ich gerne zugeben – ist mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf unzureichend gelöst.
Für die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Fami-
lie, egal, ob es sich um Verheiratete, Unverheiratete oder
Alleinerziehende handelt, ist es wichtig, dass die steuer-
liche Absetzbarkeit erwerbsbedingter Kinderbetreu-
ungskosten ab der ersten D-Mark möglich ist. Das müs-
sen wir ins Visier nehmen. Durch die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts, die im Zweiten Familienför-
derungsgesetz berücksichtigt wurden, wird sich die Situa-
tion der Alleinerziehenden in den Jahren 2003 und 2005
verschlechtern. Weil wir es leider nicht geschafft haben,
mit den Ländern darüber zu verhandeln – die Länder waren
nicht bereit, das gesamte Familienpaket noch einmal auf-
zuschnüren, ohne es in seiner Gesamtheit zu gefährden –,
haben wir den jetzigen Entwurf eingebracht. Aber wir
werden für die Alleinerziehenden noch eine Lösung aus-
arbeiten – die Grünen haben einen Vorschlag gemacht –,
damit diese in den Jahren 2003 bis 2005 von negativen
Auswirkungen verschont bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit der jetzigen Reform der Familienförderung ist ein
wesentlicher Schritt der Kinderförderung verwirklicht.
Im nächsten Schritt – das wünschen wir uns – wird es um
ein Kindergrundsicherungsmodell gehen, durch das
Kindern, die in prekären Einkommensverhältnissen le-
ben, mit Kindergeldzuschlägen geholfen werden soll.

Wir werden auch darüber zu reden haben, inwieweit
das Ehegattensplitting mit dem Kriterium der Kinder-
förderpolitik gesellschaftspolitisch akzeptiert werden
kann; denn Familie ist für uns überall da, wo Kinder le-

ben. Die Ehe ohne Kinder ist kein Grund zur Steuerbe-
günstigung. Darüber müssen wir einen gesellschaftlichen
Konsens herbeiführen. Ich hoffe, dass wir dies schaffen
– das Ehegattensplitting nicht abzuschaffen, aber einzu-
schränken – und dass wir die steuerlichen Einnahmen, die
wir dann haben werden, zugunsten von Kindern – und
zwar vor allem von Kindern, die sich in schwierigen Le-
benssituationen befinden – ausgeben können, indem wir
Familien mit mehreren Kindern oder auch Alleinerzie-
hende mit geringem Einkommen unterstützen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ina Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1418305300
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Scheel hat damit geendet, dass sie ver-
sprochen hat, Alleinerziehende und Familien mit mehre-
ren Kindern stärker zu unterstützen. Gerade in dem Ge-
setz, das uns hier vorliegt, sind diese Familien die
Verlierer der Politik von SPD und Grünen. Das muss man
ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


30 DM mehr Kindergeld: Das ist der Lichtblick im
Gesetz von Rot-Grün. Die F.D.P. begrüßt grundsätzlich
diese Erhöhung; sie ist aber bedauerlicherweise zu gering
ausgefallen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Nicolette Kressl [SPD]: Dass sich die F.D.P. das traut!)


– Natürlich ist sie zu gering ausgefallen! Das sagen Sie in
Pressemitteilungen doch selber. Sie begründen das nur an-
ders: Mit der deutschen Einheit begründen Sie das – das
ist wunderbar.


(Zuruf des Bundesministers Hans Eichel)


– Herr Eichel, ich komme noch auf Sie zurück. Sie brau-
chen nicht dazwischenzureden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach nein! Eine, die die ganze Zeit dazwischenredet!)


Bis zu dieser Entscheidung war der Weg sehr be-
schwerlich. Wie schwer, liebe Kollegen und Kolleginnen,
wurde bei Rot-Grün um diese 30 DM mehr Kindergeld
monatlich gerungen! Der sozialdemokratische Finanzmi-
nister machte die Erhöhung des Kindergeldes von der
Steuerschätzung abhängig.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was haben Sie denn gemacht?)


– Das haben wir noch nie gemacht.


(Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen haben Sie auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil bekommen!)


– Nun hören Sie mir doch einmal ganz in Ruhe zu. Sie müs-
sen sich auch einmal etwas anhören, was Ihnen nicht passt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Christine Scheel

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Wie groß war die Freude, als er schweren Herzens zu-
stimmte. Eichels Devise „laut klagen, still kassieren“ ist
auch bei diesem zweiten Familienfördergesetz durchge-
setzt worden. Schaut man einmal hinter die Kulissen und
rechnet die Finanzierung durch, dann merkt man, dass
Eichel die Familien mit Kindern an der Finanzierung zu
37 Prozent beteiligt. Das ist die Umfinanzierung, Frau
Scheel, von der einen Familie hin zur anderen Familie. –
Natürlich ist das so. Auch wenn Sie dreimal den Kopf
schütteln, wird das nicht besser;


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Gibt es eine Nettoentlastung oder nicht?)


denn Sie haben mit diesem Gesetz Vergünstigungen von
insgesamt 2,8 Milliarden DM bei den Familien einge-
sammelt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4,6 Milliarden DM mehr für die Familien!)


– Das steht doch in Ihrem Gesetzentwurf. Ich kann ja noch
lesen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Gibt es eine Nettoentlastung oder nicht?)


Beim zusätzlichen Kindergeld von 30 DM finanzieren
die Familien – wenn ich das so berechne – 11 DM selbst.
Eichel gibt also nicht 30 DM, Eichel gibt 20 DM.


(Zuruf von der F.D.P.: 19 DM!)

Diese Taschenspielertricks muss die Opposition auf-
decken.


(Hildegard Wester [SPD]: Wie würden Sie Kindergeld finanzieren?)


Als Oppositionspolitikerin von der F.D.P. habe ich nicht
die Aufgabe, Ihnen hier im Parlament bei jedem Mist zu-
zustimmen.


(Detlef von Larcher [SPD]: Da wären wir auch misstrauisch, wenn Sie uns zustimmen!)


Vielmehr muss ich schauen, wo die Defizite liegen. Das ist
meine Aufgabe als Oppositionspolitikerin: Gesetze von
Trägern politischer Mehrheiten nüchtern zu prüfen und
natürlich auch eigene Vorschläge zu machen. Der Antrag
der F.D.P. mit sieben Vorschlagspunkten liegt Ihnen vor.

Ich komme auf die Familienverbände zurück. Die Fa-
milienverbände haben Taschenspielertricks benannt und
haben gesagt, das rot-grüne Gesetz sei nur Kosmetik.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das werden die Familien anders sehen!)


Ich stelle also fest: Erstens. Die Erhöhung des Kinder-
geldes um 30 DM finanzieren die Familien mit. Zweitens.
Die Familien erhalten für das dritte und vierte Kind keine
Kindergelderhöhung.

Drittens. Die Zielgruppen, die SPD und Grüne fördern
wollten, sind am meisten gebeutelt. Das sind die Allein-
erziehenden und die Familien mit vielen Kindern.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, was ist an Ihrem Ge-
setzentwurf des Weiteren grundsätzlich zu loben? Zu lo-

ben ist der Einstieg in die steuerliche Absetzbarkeit der
Kinderbetreuungskosten, Frau Westrich. Vielleicht kön-
nen Sie sich noch an unseren Antrag von 1999 erinnern.


(Nicolette Kressl [SPD]: In der Opposition!)

– Ich bin erst seit 1998 familienpolitische Sprecherin der
F.D.P. Was wollen Sie eigentlich? Ich mache die Vor-
schläge und meine Fraktion hat ihnen zugestimmt. Von
daher ist es halt ein Wechsel in der Familienpolitik auch
bei uns.

Sie wollen, dass bis zu 3 000 DM Kindergartenge-
bühren abgesetzt werden können, aber es fängt erst ab der
3 025. Mark an. Auch das müssen Sie den Leuten sagen,
Frau Westrich. Das haben Sie in Ihrem Vortrag vergessen.


(Hildegard Wester [SPD]: Wir haben nichts zu verschweigen!)


Ich will Ihnen ein praktisches Beispiel geben: Eine
Frau will wieder in den Beruf zurück. Ein Ganztagsplatz
kostet in Hamburg für Doppelverdiener – so sage ich ein-
mal – monatlich bis zu 750 DM. Wenn ich dann die
Neidkampagne Ihrer Gewerkschaftler und anderer höre,
nämlich dass es für solche Zwei-Verdiener-Familien kein
Kindergeld geben soll, dann fasse ich mich wirklich an
den Kopf.


(Lydia Westrich [SPD]: Mit uns nicht!)

Bei mir im Landkreis bezahlt eine Sozialhilfeempfänge-
rin null Kindergartengebühren. Wenn die Frau wieder
arbeiten geht, wird sie dafür bestraft, weil sie dann im-
mer mehr Kindergartengebühren bezahlen muss. Frau
Westrich, ich hoffe, dass gerade Sie diese Neidkampagne
der Gewerkschaften nicht weiter mittragen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Notwendig ist ein Stück Ehrlichkeit in der Steuerpoli-
tik. Die Bürger wissen das nicht, weil sie nicht Steuerbe-
rater sind, weil sie nicht Steuerfachangestellte sind. Das
wissen nur wir, die wir uns mit diesem Gesetz beschäftigt
haben.


(Lydia Westrich [SPD]: Das wäre verfassungswidrig!)


Die Entlastung beträgt bei einem persönlichen Steuer-
satz von 30 Prozent lediglich 75 DM im Monat. Setzen
Sie das einmal zu den 750 DM ins Verhältnis, die man in
Hamburg für einen Kindergartenplatz zahlen muss! Dann
sehen die Zahlen ganz anders aus. Auch wir sind dafür,
dass Frauen arbeiten gehen, aber sie sollten bei höherem
Einkommen nicht die Last höherer Kindergartengebühren
tragen.


(Beifall bei der F.D.P. – Nicolette Kressl [SPD]: Die F.D.P. hat bis 1998 nichts gemacht!)


Wir werden uns für diese Klientel einsetzen; denn sonst –
das wissen Sie ganz genau – lohnt es sich für eine Frau gar
nicht, arbeiten zu gehen.


(Hildegard Wester [SPD]: So machen wir es doch!)


Wir wollen, dass Kinderbetreuungskosten bei Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern als Werbungskosten

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Ina Lenke

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und bei Selbstständigen als Betriebsausgaben abzusetzen
sind. Jede Frau weiß: Wenn ich mein Kind nicht unter-
bringe, kann ich nicht arbeiten. Und Sie fangen jetzt mit
den lächerlichen 3 000 DM an. Die Leute werden bei der
Einkommensteuererklärung im nächsten Jahr schon se-
hen, was sie davon haben.


(Hildegard Wester [SPD]: Insgesamt 6 000 DM!)


Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Dazu darf ich
wiederholen: Auch diese Entlastung von 3 000 DM zah-
len wegen Ihrer Umschichtungskultur zu 37 Prozent die
Familien.

Als ich mir gestern Abend zu dieser Rede Gedanken
gemacht habe,


(Detlev von Larcher [SPD]: So dünne Gedanken!)


habe ich wirklich bedauert, dass ich im Bundestag keine
positive Bewertung des rot-grünen Gesetzentwurfs abge-
ben kann.


(Lydia Westrich [SPD]: Das haben wir auch nicht erwartet!)


Und das ist auch gut so.

Meine Damen und Herren, ich komme jetzt auf die Al-
leinerziehenden zu sprechen, die von Ihnen ganz beson-
ders gebeutelt werden. Bisher hatten Alleinerziehende ei-
nen jährlichen Haushaltsfreibetrag von 5 616 DM.
Zusätzlich konnten Alleinerziehende mit einem Kind bis
zu 4 000 DM Kinderbetreuungskosten absetzen, also ins-
gesamt circa 10 000 DM. Wenn Sie nun sagen, Sie täten
auch für die Alleinerziehenden etwas, dann frage ich
mich, wo diese Entlastung ist. Rot-Grün kürzt nämlich
diesen Haushaltsfreibetrag bis zum Jahre 2005 auf null.
Es war schon eine abenteuerliche Variante von Begrün-
dung, die eine SPD-Kollegin am Mittwoch im Bundes-
tagsausschuss nannte, nämlich: Wir tun etwas für die Al-
leinerziehenden; wir kürzen den Haushaltsfreibetrag nicht
sofort auf null, sondern wir kürzen ihn stufenweise. Das
können sich die Alleinerziehenden hinter den Spiegel
stecken. Die werden sich freuen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch etwas
zu dem von Ihnen so gescholtenen Dienstmädchenprivi-
leg sagen. Das sind – Sie wissen es – sozialversiche-
rungspflichtige Haushaltshilfen. Ich begrüße es immer,
wenn in einem Haushalt nicht Schwarzarbeit gemacht
wird, wenn nicht 630-Mark-Arbeitsverhältnisse geschaf-
fen werden, sondern wenn ordentliche Arbeitsplätze ein-
gerichtet werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber Sie haben dieses kleine Pflänzchen kaputtgemacht
und Sie werden das in Ihrer Regierungszeit wahrschein-
lich auch nicht mehr erhöhen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das hat doch nichts genutzt!)


Der Ausbildungsfreibetrag – da haben Sie, Frau
Westrich, auch etwas verschleiert – beträgt bis jetzt
4 200 DM jährlich. Ich habe einen Sohn, der studierte. Wir
waren sehr froh darüber, dass wir diese 4 200 DM steuer-
mindernd absetzen konnten; denn wir mussten alles selbst
zahlen. Das ist auch in Ordnung. Aber was ist jetzt? Ein
jährlicher Freibetrag von 1 800 DM bedeutet bei 30 Pro-
zent persönlichem Steuersatz 50 DM im Monat. Das ist
doch wirklich ein Klacks. Mit diesem Betrag kann
man wahrscheinlich noch nicht einmal eine Fahrkarte be-
zahlen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie denn nicht mitgekriegt, dass die drei Dinge zusammengehören?)


Wir verlangen eine namentliche Abstimmung.
Ich muss noch kurz auf den Antrag, den unsere Frak-

tion in den Bundestag eingebracht hat – Sie sind darauf
eingegangen, allerdings in anderer Weise als wir –,
zurückkommen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert in
diesem Antrag, dass die Kinderbetreuungskosten als
Werbungskosten oder als Betriebsausgaben von der Ein-
kommen- und Lohnsteuer abzusetzen sind. Wir wollen
das Existenzminimum des Kindes und die Freibeträge für
Betreuung und Erziehung der allgemeinen Entwicklung
anpassen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das ist gerade vor dem Hintergrund der hohen Kosten, die
die Familien zu tragen haben, wichtig.

Außerdem fordern wir – wir sind die einzige Fraktion,
die dazu einen wirklich guten Vorschlag macht – ein
Bund-Länder-Programm zur Förderung der Kinderbe-
treuungseinrichtungen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen, dass Bund und Länder dieses Programm fünf
Jahre lang mit jeweils 1 Milliarde DM unterstützen. Als
F.D.P.-Bundestagsabgeordnete sage ich: Das Wichtigste
ist die Vielfalt von Kinderbetreuungseinrichtungen. Ohne
diese Einrichtungen werden wir den Frauen den Einstieg
in den Beruf nicht erleichtern.

Ich komme zum Schluss.

(Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!)


SPD und Grüne haben die Chance nicht genutzt, eine um-
fassende, gut durchdachte Familienförderung auf den
Weg zu bringen. Man hat auf der einen Seite einmal mehr
und auf der anderen Seite einmal weniger verändert. Ins-
gesamt bekommen die Familien zwar etwas mehr; aber
das reicht nicht.

Ich komme zum Anfang meiner Rede zurück.

(Lydia Westrich [SPD]: Entscheiden Sie sich mal! Was denn jetzt?)

– Warten Sie doch einmal! Was ich jetzt sage, das ist doch
etwas Nettes.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305400
Nein, Frau Kol-
legin. Das können Sie jetzt nicht mehr. Sie sind wirklich
weit über die Zeit.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Ina Lenke

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Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1418305500
Die Kindergelderhöhung durch
dieses Gesetz ist richtig. Deshalb wird meine Fraktion
diesem Gesetzentwurf zustimmen. Alles andere ist
Schrott.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Seltsame Zustimmungsreden höre ich heute!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (PDS) (von der PDS mit Beifall be-
grüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Bei solchen Debatten geht es immer auch um die
Stellung der Kinder in der Gesellschaft.


(Zuruf von der CDU/CSU)


– Das ist ein antifeministischer Vorhalt. Wenn Ihr Rollen-
verständnis so ist, dass Männer zu Kindern keine Bezie-
hung haben dürfen und zu diesem Thema nicht reden sol-
len, dann verstehe ich Sie nicht.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich war viele Jahre allein erziehend und glaube bei diesem
Thema mitreden zu können.

Es geht um die Stellung von Kindern in der Gesell-
schaft. Ich finde, dass ein jahrzehntelanger Fehlprozess
überwunden werden muss. Ich glaube, dass das allmäh-
lich geschieht. Wir müssen Kinder viel mehr als Subjekte,
als Trägerinnen und Träger eigener Rechte und weniger
als Objekte, wie es in früherer Zeit der Fall war, wahr-
nehmen.


(Beifall bei der PDS)


Interessant ist, dass alle Parteien Familienförderung in
ihren Programmen immer groß schreiben. Egal, welche
Regierung gerade an der Macht ist: Man macht Gesetze,
die beim Bundesverfassungsgericht sozusagen durch-
fallen, weil sie sich – gerade hinsichtlich der Familienför-
derung – als grundgesetzwidrig erweisen. Bundestag und
auch Bundesregierung tun weniger für Familien und Kin-
der als das Bundesverfassungsgericht, das in dieser Hin-
sicht die führende Rolle in der Bundesrepublik Deutsch-
land spielt. Das ist einfach so.


(Beifall bei der PDS – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Wahr ist – das ist hier mehrfach gesagt worden –, dass
wir in die Perspektive von Kindern und Jugendlichen zu
investieren haben. Meine Generation mag das Recht ha-
ben, an sich selbst zu sparen. Wir müssen uns immer wie-
der vor Augen führen: Wir haben nicht das Recht, an der
Zukunft der nächsten Generation zu sparen.


(Beifall bei der PDS)


Um das zu verhindern, bedarf es einer ausreichenden
Zahl von Freizeiteinrichtungen für Jugendliche. Es ist
schon bedauerlich, dass in den ersten Jahren nach der
Wende gerade in den neuen Bundesländern viele der vor-
handenen Freizeiteinrichtungen für Jugendliche geschlos-

sen worden sind, obwohl man sie hätte ausbauen können.
Das ist einfach eine Tatsache.


(Beifall bei der PDS)


Ich sprach von Freizeiteinrichtungen. Mir ist immer
wieder erklärt worden, diese Einrichtungen seien zu teuer.
Ich kann nur sagen: Jugendstrafvollzug ist wesentlich
teurer.


(Lydia Westrich [SPD]: Was attestieren Sie denn unseren Kindern, unseren Familien? Das ist ja schrecklich!)


Lassen Sie uns in Perspektive statt in Folgekosten von
ausgebliebenen Maßnahmen investieren!


(Beifall bei der PDS)


Ich komme nun darauf zu sprechen, worauf ich eigent-
lich eingehen wollte: auf den Gesetzentwurf. Es geht
natürlich in Ordnung, dass Sie – zum dritten Mal in die-
ser Legislaturperiode – das Kindergeld erhöhen. Es ist
klar, dass sich meine Fraktion wünscht, dass es stärker er-
höht wird. Ebenso klar ist, dass wir auf der anderen Seite
jede Erhöhung mittragen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Insgesamt hat dieser Gesetzentwurf aber beachtliche
Mängel, die man hätte vermeiden können. Lassen Sie
mich auf drei hinweisen.

Erster Mangel. So wie Sie den Gesetzentwurf ein-
schließlich der steuerrechtlichen Regelungen angelegt ha-
ben, kann ein Besserverdienender und erst recht ein Spit-
zenverdiener einen Kinderfreibetrag von monatlich
etwa 459 DM geltend machen. Das Kindergeld für dieje-
nigen, die einen solchen Freibetrag nicht geltend machen
können, beträgt dann 300 DM. Ist denn die Erwartung so
absurd, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesre-
gierung hier eine Korrektur vornimmt, den Kinderfreibe-
trag reduziert und das Kindergeld erhöht


(Joachim Poß [SPD]: Dann lesen Sie doch einmal das Urteil!)


und jede und jeder für jedes Kind 410 DM bekommt? Das
wäre doch gerecht.


(Beifall bei der PDS)


Dass die soziale Lage bei uns Erwachsenen so unter-
schiedlich ist, ist halt so. Kinder sollten uns aber alle
gleich viel wert sein.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Das ist auch unsere Meinung!)


Zweiter Hinweis. Alleinerziehende werden nun wirk-
lich benachteiligt. Das Bundesverfassungsgericht hat
gerügt, dass der Haushaltsfreibetrag nur für Alleinerzie-
hende gewährt würde, nicht für Verheiratete. Wie kann
man Gerechtigkeit herstellen? Entweder dadurch, dass
man ihn für Verheiratete einführt – das machen Sie
nicht –, oder dadurch, dass man ihn für Alleinerziehende
streicht. Diesen zweiten Weg sind Sie gegangen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Die haben doch Freibeträge! – Weitere Zurufe von der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18091


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(D)



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(B)


– Hören Sie doch einfach einmal zu! Sie sind so aufgeregt,
weil Sie natürlich wissen, dass Ihr Gesetz ganz beachtli-
che Mängel hat;


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie nun den Freibetrag oder nicht?)


sonst verhielten Sie sich viel ruhiger und souveräner.


(Beifall bei der PDS)


Ich sage Ihnen noch etwas: Die Folge davon ist, dass
eine Alleinerziehende im Jahre 2005 mit einem monatli-
chen Bruttoeinkommen von 2 000 DM trotz Kindergeld-
erhöhung real 50 DM weniger im Monat hat; bei einem
Bruttoeinkommen von 4 000 DM hat sie real 130 DM we-
niger. Das hätte doch wenigstens kompensiert werden
müssen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Durch einen Freibetrag?)


Deshalb haben wir den Antrag gestellt, dass real entste-
hende Kinderbetreuungskosten von der ersten Mark an
steuerlich berücksichtigt werden. Damit hätte es eine
Kompensation gegeben.


(Hildegard Wester [SPD]: Auch durch einen Freibetrag?)


Sie haben heute noch die Möglichkeit, diesem Antrag zu-
zustimmen.


(Beifall bei der PDS)


Drittes Problem. 1 Million Kinder in Deutschland le-
ben von Sozialhilfe und damit in Armut. Hier ergibt
sich dasselbe Problem wie bei Ihrer ersten Kindergeld-
erhöhung, nämlich dass sie von der Sozialhilfe abgezo-
gen wird. Das heißt, für diese 1 Million Kinder bleibt
real nicht eine einzige Mark mehr übrig. Wer Armut
wirksam bekämpfen will, muss das als ungerecht emp-
finden. Deshalb sage ich hierzu: Wer hat Sie denn daran
gehindert, den Weg zu gehen, den Sie bei der zweiten
Kindergelderhöhung gegangen sind, als nämlich, nach-
dem ich bei Frau Christiansen auf diesen Umstand hin-
wies und mich mit Kerstin Müller darüber stritt, Frau
Müller versprach, dass das korrigiert werde? Ihre Ko-
alition hat das dann tatsächlich korrigiert. Warum
können wir diesmal nicht auch den Weg gehen und
dafür sorgen, dass die Kindergelderhöhung nicht auf
die Sozialhilfe angerechnet wird, damit gerade auch
diese Kinder in den Nutzen der Kindergelderhöhung
kommen?


(Beifall bei der PDS)


Mit Gesetzen dieser Art bringen Sie die Opposition in
ernsthafte Schwierigkeiten bei der Abstimmung. Sagen
wir nämlich Nein, stehen wir als Leute da, die der Kin-
dergelderhöhung nicht zustimmen. Das ist natürlich nicht
der Fall. Sagen wir Ja, sagen wir auch zu diesem Quark
Ja. Das fällt ungeheuer schwer. Enthalten wir uns, hat man
den Eindruck, wir hätten gar keine Meinung dazu. Das
geht natürlich auch nicht. Wir werden deswegen zumin-
dest mehrheitlich der Kindergelderhöhung letztlich zu-
stimmen. Aber wir haben noch eine Hoffnung, nämlich

den Bundesrat. Wir hoffen, dass der Bundesrat dafür
sorgt, dass das Gesetz wenigstens in den Vermittlungs-
ausschuss kommt.


(Lydia Westrich [SPD]: Das sind Träume!)


Wenn dann die größten Ungerechtigkeiten beseitigt wer-
den und das Gesetz wieder dem Bundestag vorgelegt
wird, dann können wir noch mit viel größerer Leiden-
schaft Ja sagen.

Lassen Sie uns wirklich einem Grundsatz folgen: Bei
den Erwachsenen sind die sozialen Unterschiede in un-
serer Gesellschaft ungeheuer groß. Sorgen wir dafür,
dass wenigstens Kinder chancengleich aufwachsen kön-
nen: durch gleichen Zugang zur Bildung, gleichen Zu-
gang zu Kinderbetreuungseinrichtungen, gleichen Zu-
gang zur Kultur. Dieser entscheidet über die Chancen
von benachteiligten Kindern, ob diese Benachteiligun-
gen wenigstens wieder ausgeglichen werden können.
Dazu gehört ein Signal. Es muss lauten: Alle Kinder
sind uns nach der Geburt erst einmal hinsichtlich finan-
zieller Zuwendung gleich viel wert. Da unterscheiden
wir nicht nach dem Einkommen der Eltern. Aber
genau das geschieht. Ich aber will Chancengleich-
heit für Kinder. Das ist nicht zu viel verlangt von einer
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestellten Regie-
rung.

Danke.


(Anhaltender Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Dafür hat sich die Anstrengung nicht gelohnt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305700
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesfinanzminister Hans Eichel.


(Lydia Westrich [SPD]: Der Minister muss jetzt alles richtig stellen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418305800
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
habe einmal zusammengerechnet, was die vorige und
diese Parlamentswoche ungefähr gekostet hätten, hätten
wir den Anträgen der Opposition zugestimmt.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist ausweichend!)


Am Ende der vergangenen Woche waren es schlappe
80 Milliarden DM.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Bleiben Sie bei Ihrem Gesetz!)


Wie ich Ihre Forderungen hinsichtlich der Bundeswehr
heute Vormittag beziffern soll, weiß ich nicht genau; viel-
leicht wären Sie mit 5 Milliarden DM zufrieden. In Ihrem
Antrag bezüglich des Kindergeldes, der jetzt vorliegt, sind
es 5,6 Milliarden DM. Kurzum: Würden Ihre Anträge der
beiden letzten Parlamentswochen beschlossen, hätten wir
im nächsten Jahr 90 Milliarden DM weniger an Einnah-
men im Staatshaushalt.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Das ist Polemik!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Gregor Gysi

18092


(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist nicht Polemik, sondern es geht um die Frage, wie
ernst man das, was Sie hier vortragen, überhaupt nehmen
darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418305900
Herr Bundesmi-
nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Höll?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418306000
Nein, ich
möchte gerne der verehrten Opposition vorführen, was sie
hier so treibt.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ist das eine Haushaltsdebatte oder eine Familiendebatte, die wir hier haben?)


Es ist die Wahrheit, dass das Bundesverfassungsgericht
in Ihrer Regierungszeit festgestellt hat, dass Sie – das lag
in Ihrer Verantwortung – das Existenzminimum in verfas-
sungswidriger Weise besteuern.


(Beifall bei der SPD)


Daraus haben wir bei der Steuerreform die Konsequenz
gezogen, das steuerfreie Existenzminimum immer
weiter heraufzusetzen, während Sie bei der ganzen
Steuerreformdebatte nur ein einziges Wort kannten:
Spitzensteuersatz, Spitzensteuersatz, Spitzensteuer-
satz!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Eingangssteuersatz 15 Prozent! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)


– Sind Sie aufgeregt!

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur verfas-
sungswidrigen Schlechterstellung der Familien im Steu-
errecht bezieht sich auf 16 Jahre Regierungszeit von
CDU/CSU und F.D.P. Wir arbeiten das ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Warum ist der Finanzminister so nervös?)


– Nein, gar nicht, ich habe eine wunderbare Bilanz.

In unserer Regierungszeit, in dieser Wahlperiode, stei-
gen die Familienleistungen von unter 80 Milliarden DM
auf über 100 Milliarden DM. Das ist eine Erhöhung um
mehr als 25 Prozent. So etwas haben Sie nie zuwege ge-
bracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Können Sie auch vor 1998 rechnen?)


Damit komme ich zu dem ganz konkreten Sachverhalt,
mit dem wir es heute zu tun haben. Der größte Feind der
Familien heißt nicht Eichel. Die größten Freunde unserer
Kinder sind diese Bundesregierung und die sie tragende
Koalition.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das, was Sie vorschlagen, heißt konkret, dass die Kinder,
denen Sie angeblich etwas Gutes tun wollen, das hinter-
her selber bezahlen. Das nämlich heißt Kindergeld auf
Pump.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418306100
Herr Bundesmi-
nister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Lenke?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418306200
Ich be-
kenne mich ganz ausdrücklich dazu, dass ich gesagt habe,
über die Höhe des Kindergeldes könnten wir erst ent-
scheiden


(Ina Lenke [F.D.P.]: Sie wollen zu den Alleinerziehenden nichts sagen! Sagen Sie was dazu!)


– ich komme auch dazu –, wenn wir die Steuerschätzung
kennen. Wenn Sie jemals hingeschaut hätten, wie viel
Geld Sie in der Kasse haben, als Sie Ihre Ausgabenbe-
schlüsse gefasst haben, säßen wir nicht auf einem solchen
Schuldenberg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ich denke, wir haben zu wenig für die Familien getan!)


Wie machen wir unsere Konsolidierungspolitik? Zur
gleichen Zeit, zu der wir hart an die Konsolidierung he-
rangehen, um den nächsten Generationen nicht einen sol-
chen Schuldenberg zu hinterlassen, erhöhen wir das
Wohngeld. Das haben Sie seit 1991 nicht mehr angepackt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur selben Zeit erhöhen wir das Erziehungsgeld in diesem
Haushalt. Das haben Sie ebenfalls lange nicht mehr ange-
packt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur selben Zeit erhöhen wir das BAföG. Sie haben ganz
Recht mit dem Hinweis, wie schlimm es für unser Land
ist, dass nur so wenige junge Leute studieren. Sie haben
uns das doch eingebrockt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Ist doch gar nicht wahr! Wir haben regelmäßig erhöht! Das wissen Sie ganz genau! Sie haben nichts gemacht, als ein bisschen zu erhöhen! Mehr haben Sie nicht gemacht! Aber große Worte zum BAföG!)


Mein verehrter Vorvorgänger im Amte hat das BAföG
als Sparkasse benutzt, indem er die Beträge immer gleich
gelassen hat und auf diese Weise Jahr für Jahr immer we-
niger ausgeben konnte. Das ist die Wahrheit über Ihre
Haushaltspolitik.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Da waren Sie noch in Hessen!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesminister Hans Eichel

18093


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen sage ich ganz ausdrücklich – in dem Punkte
hat der Kollege Gysi Recht, er argumentiert nur falsch –:
Wir wollen gleiches Kindergeld für alle.

Jetzt wird es ganz spannend. Das Erste ist: Wer hat
heute das höchste Kindergeld? Das sind zwei Gruppen:
die Gruppe am unteren Ende und die Gruppe am oberen
Ende der Einkommensskala. Das höchste Kindergeld ha-
ben wir in der Sozialhilfe und bei den Hochverdienern,
weil es dort über den Steuerfreibetrag zustande kommt.

Übrigens, Sie haben soeben eine merkwürdige Rech-
nung aufgestellt. Schön, dass die CDU/CSU jetzt an das
Kindergeld denkt, das sie früher nie gewollt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Sie sollten einmal Ihre eigene Dialektik betrachten – jetzt
wird es schön –: Sie haben gesagt, die Familienförderung
über den Freibetrag sei gar nicht mehr so hoch. Diese För-
derung werde inzwischen immer mehr durch die Höhe des
Kindergeldes eingeholt. – Das ist doch logisch. Der
Grund ist die Steuersenkung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418306300
Herr Bundesmi-
nister, ich muss Sie nun einmal konkret fragen: Es besteht
der dritte Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie
gar keine Zwischenfrage zu?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418306400
Richtig.

(Zurufe von der CDU/CSU: Er ist nervös! – Er ist unsicher!)

– Ich bin überhaupt nicht nervös.

Der schöne Witz der Veranstaltung ist, dass der Wert
der Freibeträge natürlich geringer wird, wenn wir die
Steuern insgesamt senken. Das haben doch auch Sie ge-
wollt. Dann muss man auch die entsprechenden Konse-
quenzen ziehen. Da zeigt sich, dass der Weg über das Kin-
dergeld der allein richtige ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Dann sollten Sie mehr erhöhen!)


Herr Kollege Gysi, auf den Bundesrat würde ich an Ih-
rer Stelle eher nicht setzen.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: So ist es!)


Inzwischen sind ja alle hier vertretenen Parteien in ir-
gendeinem Bundesland an der Regierung beteiligt. Auf
den Antrag aus Mecklenburg-Vorpommern, das Kinder-
geld nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen, warte ich
noch. Das wird Ihr Test. Den müssen Sie dann bestehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das kommt erst nach der Berliner Wahl!)


Dieser Antrag kommt nämlich von überhaupt keiner Lan-
desregierung; damit wir uns richtig verstehen. Da ist man
sich mit der CDU/CSU vollständig einig.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir machen keine Gemeinsamkeit mit denen! Nur Sie in Berlin!)


Zum Schluss möchte ich feststellen: Der Bundeshaus-
halt und gerade unser Konsolidierungsprogramm – das
will ich mit aller Klarheit sagen – sind auf mehr Zukunfts-
investitionen ausgerichtet. Eine entscheidende Zukunfts-
investition ist die in die Familien. In unserer Legisla-
turperiode gab es eine Aufstockung der Mittel für die
Familienförderung um mehr als 25 Prozent. Das ist in der
Tat eine große Leistung.

Nun sage ich Ihnen noch eines: Das Kindergeld und die
Freibeträge sind nicht alles. Es war wunderbar, von Frau
Wülfing zu hören, dass auch die CDU/CSU jetzt gemerkt
hat, dass Kinderbetreuung wichtig ist.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Auf welchem Holzweg sind Sie da denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Wenn man sich die Situation in vergleichbaren Staaten in
der Welt ansieht, kann man feststellen: Kein Land ist darin
so schlecht wie Deutschland. In Deutschland ist es nir-
gendwo so schlecht wie dort, wo die CDU und vor allem
die CSU seit langem regieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das genau stimmt nicht!)


– Ach, Ihre Kämpfe gegen die Ganztagsschule, die Sie
noch bis vor ganz wenigen Jahren geführt haben und in
denen Sie argumentierten, man nehme den Familien die
Kinder weg, kenne ich in- und auswendig.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! Sie verwechseln die Ganztagsschule mit der Gesamtschule!)


Schade, dass es hier keine gemeinsamen Tagungen von
Bundestag und Bundesrat gibt. Dann könnten wir Ihnen
nämlich einmal vorhalten, was CDU-Leute in den Land-
tagen alles zu Ganztagsschulen gesagt haben. Dann wer-
den Sie sich wundern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Zu Gesamtschulen! Sie kennen anscheinend den Unterschied nicht!)


Ich stelle also fest: Die Familie steht bei uns ganz oben.
Aber eine Familienförderung über zusätzliche Schulden,
die unsere Kinder zu bezahlen haben, wollen wir nicht.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke [F.D.P.]: Denken Sie an den Länderfinanzausgleich, an den Fonds „Deutsche Einheit“!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418306500
Zu einer Kurz-
intervention erhält die Kollegin Höll das Wort.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesminister Hans Eichel

18094


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1418306600
Sehr geehrter Herr Minister!
Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass Sie sich leider
nicht immer die Zeit nehmen, zwischen den Anträgen der
Opposition zu unterscheiden, und dass Sie hier versucht
haben, ein Bild dahin gehend zu malen, als stelle die Op-
position insgesamt unfinanzierbare Anträge.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die PDS-Frak-
tion einen Antrag mit dem Titel „Gerechte Chancen am
Start – Kinderarmut bekämpfen“ eingebracht hat. Wir ha-
ben in unserem Antrag aufgezeigt, dass es sehr wohl
machbar und finanzierbar ist, zum 1. Januar 2002 für
alle Kinder ein einheitliches Kindergeld von 410 DM zu
zahlen.


(Beifall bei der PDS)


Nebenbei bemerkt führen wir damit das fort, was Sie,
solange Sie in der Opposition waren, immer gefordert ha-
ben: die Ablösung der Kinderfreibeträge und die Um-
wandlung in ein einheitliches Kindergeld. Nun an der Re-
gierung, haben Sie sich davon leider verabschiedet.

Wir gehen in unserem Antrag noch weiter, indem wir
vorschlagen, darüber hinaus für die Kinder, deren Fami-
lien sehr wenig Geld haben, also einkommensabhängig,
Zuschläge zu zahlen, sodass das Kindergeld zumindest
für diese Kinder, bei denen es besonders nötig ist, tatsäch-
lich den Status der Existenzsicherung erfüllt.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sie sollten bedenken, dass Herr Gysi schon wieder weg ist zum Wahlkampfeinsatz!)


Ich bitte doch, einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass
Ihr Vorwurf, es seien unfinanzierbare Forderungen, genau
hier nicht stimmt. Es ist nachgewiesen, dass es machbar
und finanzierbar ist.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418306700
Möchten Sie
antworten? – Bitte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418306800
Ich weise
erstens darauf hin, dass es verfassungsrechtlich nicht
möglich ist, die Freibeträge abzuschaffen. Insofern ist Ihr
Antrag verfassungswidrig.

Zweitens weise ich darauf hin, dass 410 DM einheitli-
ches Kindergeld gegenüber dem jetzigen Zustand eine
Zusatzbelastung von 28 Milliarden DM bedeuten würden.
Die finanzieren Sie durch nichts.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Die finanzieren wir!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418306900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ilse Falk.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1418307000
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, wenn Sie von
Gedächtnis reden, dann will ich Ihrem Gedächtnis auch
auf die Sprünge helfen, zumal es offensichtlich verbreitet
ist, sich an vieles nicht mehr zu erinnern.

Ich will Sie an die Zahlen erinnern und damit deutlich
machen, was im Jahre 1998 für Familien ausgegeben
wurde. In der Zeit der CDU/CSU/F.D.P.-geführten Bundes-
regierung sind die Leistungen für Familien von 27,5 Milli-
arden auf 78,5 Milliarden DM verdreifacht worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Nicolette Kressl [SPD]: In 16 Jahren! Wir tun mehr!)


Dabei ging es um die Wiedereinführung eines steuerli-
chen Kinderfreibetrages, den Sie völlig abgeschafft hat-
ten, um die mehrfache Anhebung des Kindergeldes,


(Nicolette Kressl [SPD]: Wie bitte?)

die Einführung und den Ausbau eines Erziehungsgeldes,
die Anerkennung von Erziehungsjahren in der gesetzli-
chen Rentenversicherung, die Anhebung der Kinderkom-
ponente bei der Eigenheimförderung. Das bedeutete in
Zahlen: Kindergeld 50 Milliarden DM, Erziehungsgeld
7 Milliarden DM, Kinderkomponente bei der Eigenheim-
förderung 4 Milliarden DM, Haushaltsfreibetrag 1,8 Mil-
liarden DM, Ausbildungsfreibeträge 1,3 Milliarden DM,
Unterhaltsfreibetrag 1,2 Milliarden DM. Ich sage dies nur
zu Ihrer Erinnerung. Sie haben nicht bei null angefangen,
sondern Sie haben teilweise das weiterentwickelt, was wir
auf den Weg gebracht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Nicolette Kressl [SPD]: Wir machen es schneller, viel schneller!)


Damit komme ich zu dem Punkt, mit dem ich eigent-
lich anfangen wollte. Bei aller Kritikwürdigkeit des vor-
gelegten Gesetzentwurfs ist es zu begrüßen – und nur des-
wegen stimmen wir ihm zu; das ist hier schon vielfach von
anderen begründet worden –, dass das Kindergeld zum
1. Januar nächsten Jahres um 30 DM erhöht werden soll.
Das ist gut für die Familien. Damit sind in der Tat in die-
ser Legislaturperiode für die Familien 80 DM Kindergeld
für das erste und zweite Kind dazugekommen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Na also!)

Alle Eltern von einem Kind oder zwei Kindern werden

sich sicherlich beim Vernehmen dieser Botschaft richtig
freuen, allerdings nur so lange, bis sie durchschauen, dass
sie mehr als ein Drittel durch Umschichtung der Leistun-
gen selber finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So sind am Ende die 30 DM nur noch ungefähr 19 DM
wert.

Als ich meine Rede zur ersten Lesung so ähnlich an-
gefangen habe, habe ich noch gehofft, dass wir zu besse-
ren Lösungen kommen würden.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Nein, alles abgelehnt!)


Aber auch in allen anderen Punkten hat sich nichts be-
wegt. Schade!

Nach wie vor stellt sich die Frage, was eigentlich mit
den Eltern von mehr als zwei Kindern ist.


(Detlev von Larcher [SPD]: Haben die nicht ein erstes und ein zweites Kind?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18095


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode lassen Sie
sie im Regen stehen. Wieder gibt es keinen Pfennig mehr
für die weiteren Kinder. Oder, anders gerechnet – wenn
Sie es so nicht verstehen, dann legen Sie es doch einmal
um –: Eltern von drei Kindern bekommen pro Kind statt
80 DM – ich nehme einmal die kompletten 80 DM – nur
noch 53,33 DM, Eltern von vier Kindern gar nur noch
40 DM, Eltern von fünf Kindern nur 32 DM pro Kind. Soll
ich weitermachen? Eltern von zehn Kindern haben ein zu-
sätzliches Kindergeld von 16 DM pro Kind


(Lachen bei der SPD)


– es gibt auch Eltern mit zehn Kindern –, und das trotz
Ökosteuer und, wie wir gerade in den neuesten Presse-
meldungen gelesen haben, trotz sinkender Reallöhne.

Hatten Sie sich nicht einmal die Besserstellung aller
Familien auf die Fahnen geschrieben und lautstark einge-
fordert, jedes Kind müsse dem Staat gleich viel wert sein?

Dass Sie dann auch noch die Alleinerziehenden in die
Umverteilung einbeziehen, löste auch bei dem kleineren
Koalitionspartner erhebliches Unbehagen aus. So sagten
Sie, Frau Kollegin Deligöz, in der Anhörung – ich zi-
tiere –:

... zwar kristallisiert sich ja jetzt in der aktuellen De-
batte ... heraus, dass gerade die Interessen von Al-
leinerziehenden und Kleinverdienerfamilien nicht
genügend berücksichtigt sind.

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten in der Koalition mehr
Durchsetzungsvermögen gehabt. Dieser Einschätzung
kann man nämlich nur zustimmen. Die stufenweise Ab-
schmelzung des Haushaltsfreibetrages trifft alle etwas
besser verdienenden Alleinerziehenden. Nur dann, wenn
sie relativ hohe Betreuungskosten haben, kommt ihnen
die verbesserte Absetzbarkeit dieser Kosten zugute.


(Nicolette Kressl [SPD]: Was ist mit dem pauschalen Freibetrag?)


Auch die Erhöhung des Kindergeldes kommt bei mehr
als 30 Prozent der Alleinerziehenden nicht an, weil sie mit
der Sozialhilfe verrechnet wird, und das, obwohl aus dem
Armutsbericht hervorgeht, dass Einelternfamilien die am
stärksten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe
sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will einen weite-
ren Punkt ansprechen, der bei uns auf völliges Unver-
ständnis stößt und der deshalb zu einer Forderung in un-
serem Entschließungsantrag geführt hat. Auch das ist
heute schon angesprochen worden. Aber ich glaube, man
kann Ihnen das nicht oft genug sagen. Sie streichen die
Absetzbarkeit von hauswirtschaftlichen Beschäfti-
gungsverhältnissen, weil sie diese für – ich zitiere –
„verteilungs- und arbeitsmarktpolitisch fragwürdig“
halten.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nachgewiesen!)


Dabei hat sich die bisherige Regelung als eine ausge-
zeichnete Hilfe für Familien mit Kindern und/oder pflege-
und betreuungsbedürftigen Familienmitgliedern ebenso
bewährt wie für die Familien, in denen beide Eltern be-

rufstätig sein wollen, oder aber auch für ältere Menschen,
die Unterstützung im Haushalt brauchen.


(Abg. Nicolette Kressl [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich sage Ihnen das gleich.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307100
Frau Kollegin
Falk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1418307200
Nein, dieAntwort kommt gleich.

(Lachen bei der SPD)


– Ich weiß, was Sie fragen wollten.
Warum soll im Haushalt eigentlich nicht möglich sein,

was im Betrieb völlig selbstverständlich ist, nämlich die
Kosten einer sozialversicherungspflichtig beschäftigten
Mitarbeiterin als Ausgaben in Abzug zu bringen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Fast 40 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte

in privaten Haushalten haben davon profitiert. Die Dienst-
leistenden selbst haben oft aus Arbeitslosigkeit und So-
zialhilfe heraus gerade in privaten Haushalten ein sozial-
versicherungspflichtig abgesichertes Arbeitsverhältnis
gefunden.

Sie kritisieren gerne – das wird Ihre Frage gewesen
sein –, dass dadurch nur wenige neue Stellen entstanden
seien. Auch wir sagen, dass es viel mehr sein könnten.
Deswegen sollten wir prüfen, wo es Schwachstellen bei
der Umsetzung gibt,


(Lydia Westrich [SPD]: Das wissen wir schon! Wir wollen etwas anderes!)


anstatt gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Oft ist es Uninformiertheit, häufig zu viel Bürokratie.
Ein Punkt kommt hinzu, den Sie, glaube ich, noch gar
nicht ins Auge gefasst haben: Oft sind auch fehlende
Fachkräfte ein Grund dafür, dass keine Haushaltskräfte
eingestellt werden. Hier sollten wir ansetzen. Wir sollten
junge Frauen und vielleicht auch Männer motivieren, eine
hauswirtschaftliche Ausbildung zu machen, und ihnen zu-
gleich diese Arbeitschancen eröffnen. Das, was Sie so
gerne mit dem Begriff des Dienstmädchens oder des
Dienstboten herabsetzen, ist heute alles andere als ein er-
niedrigender Beruf und die Nachfrage nach gut ausgebil-
deten Fachkräften steigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.] – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Meine Mitarbeiterin im Haushalt würde kündigen, wenn ich „Dienstmädchen“ zu ihr sagen würde!)


Auch der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme
zu dem Gesetzentwurf dafür ausgesprochen, die Strei-
chung der steuerlichen Absetzbarkeit von Haushaltshilfen
nochmals zu prüfen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Nein, nur der Finanzausschuss, nicht der Bundesrat!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Ilse Falk

18096


(C)



(D)



(A)



(B)


Er hat sogar angeregt, die Absetzbarkeit auf Dienstleis-
tungszentren, auf die Leistungen, die man von dort be-
zieht, auszudehnen. Damit gäben wir auch den Haushal-
ten eine Chance, die sich keine eigene Haushaltshilfe
leisten können oder wollen, aber durchaus Bedarf an stun-
denweiser Hilfe haben. Dienstleistungszentren in der An-
laufphase als Modellprojekte zu fördern war richtig und
wichtig. Jetzt bewähren sie sich. Viele Vollzeitarbeits-
plätze konnten geschaffen werden. Wir sollten diesen
Weg weitergehen und den Nutzern steuerliche Abzugs-
möglichkeiten geben; denn die Zentren müssen mit
schwarzen Stundenlöhnen von circa 15 DM konkurrieren.


(Nicolette Kressl [SPD]: Und was machen Sie im Handwerk?)


Es ist sicherlich möglich, die Absetzbarkeit auf hauswirt-
schaftliche Tätigkeiten zu beschränken.

Apropos Haushalt: Alles, was mit Haushalt zu tun hat,
scheint bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hef-
tige Schreckensvorstellungen auszulösen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Oder wie sonst kann ich mir erklären, dass das Stichwort
„Familiengeld“ – wir haben das in diesen Tagen in den
Diskussionen oft erlebt – als unsere Antwort für Familien
bei Ihnen schlagartig die Assoziation mit Küche und Herd
auslöst und damit Ihrer Ansicht nach von Übel und abzu-
lehnen ist?


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


Ich glaube, ich sollte Ihnen unser Familienkonzept
doch noch einmal erklären, damit Sie ruhiger in die Som-
merpause gehen können:

Der entscheidende Unterschied zu Ihnen ist, dass wir
den Menschen gerade nicht vorschreiben wollen, wie sie
zu leben haben,


(Zurufe von der SPD: Wir auch nicht!)

sondern wir möchten Anreize geben und Rahmenbedin-
gungen schaffen, damit Menschen ihren Wunsch nach
Familie wirklich leben können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört als erste Säule die bessere Vereinbarkeit
von Familien- und Erwerbsarbeit – das haben wir nun
wirklich nicht erst jetzt erfunden –


(Hildegard Wester [SPD]: Vor ungefähr einem Jahr!)


mit unter anderem einem deutlich bedarfsgerechteren Be-
treuungsangebot und einer familiengerechteren Arbeits-
welt. Dazu gehört als zweite Säule die Stärkung der Er-
ziehungskompetenz, aber als dritte Säule eben auch eine
deutlich bessere finanzielle Förderung der Familien, die
zu mehr Gerechtigkeit zwischen Erziehenden und Kin-
derlosen beitragen soll. Dazu wollen wir – das wissen
Sie – stufenweise ein umfassendes Familiengeld ein-
führen, das die Familien deutlich entlastet:


(Nicolette Kressl [SPD]: Nur die, die bisher kein Erziehungsgeld bekommen haben! Das sind die Reichen!)


in den ersten drei Lebensjahren 1 200 DM, von vier bis
18 Jahren 600 DM und danach circa 300 DM.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lydia Westrich [SPD]: Das ist sozial ungerecht!)


Das ist der wesentliche Punkt: Das Familiengeld soll
unabhängig vom Umfang der Erwerbstätigkeit oder dem
Einkommen geleistet werden, ist steuer- und sozialabga-
benfrei und muss dynamisiert werden. Andere staatliche
Leistungen für Familien bleiben erhalten. Es gibt also
keinerlei Veranlassung zu der Vermutung, die CDU/CSU
habe das Familiengeld nur als Mittel erfunden, um Frauen
zurück an den Herd zu holen.


(Lydia Westrich [SPD]: Wenn Sie das Erziehungsgeld streichen!)


Das Familiengeld wird auch bei Erwerbstätigkeit beider
Eltern gezahlt und hilft gerade, die Betreuung der Kinder
und eine möglicherweise notwendige Entlastung im
Haushalt zu realisieren. So können Eltern selbst entschei-
den, wie sie die Aufgaben innerhalb der Familie verteilen,
ob untereinander oder auch auf bezahlte Hilfen.

Mit dem dynamisierten Familiengeld wollen wir zu-
gleich sicherstellen, dass künftig niemand mehr auf So-
zialhilfe angewiesen ist, nur weil er Kinder hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Dynamisiert heißt: In zehn Jahren haben wir es dann!)


Kein Kind wird mehr von Sozialhilfe abhängig sein. Das
hat den zusätzlichen positiven Effekt, dass sich die Auf-
nahme einer Beschäftigung für Sozialhilfeempfänger be-
reits viel früher lohnt.

Leider läuft die Uhr schon rückwärts, sodass ich zur
Finanzierung des Familiengelds an dieser Stelle nichts sa-
gen kann. Dazu werden wir aber in den zukünftigen Dis-
kussionen kommen.

Ich will noch etwas zu den Prioritäten sagen: Priorität
haben bei uns die Familien. Darin unterscheiden wir uns
ganz deutlich von Ihnen, denn die Diskussion im Vorfeld
um die Anhebung des Kindergeldes um 30 DM war be-
schämend für die Familien.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307300
Frau Kollegin
Falk, Sie dürfen nicht mehr argumentieren.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1418307400
Ein letzter Satz: Nach Vorlie-
gen der Steuerschätzung – so hieß es aus dem Hause
Eichel und auch eben aus des Ministers Mund – wolle
man nach Berücksichtigung aller anderen Ausgaben se-
hen, ob noch genügend für die Familien übrig bleibe.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307500
Frau Kollegin
Falk, bitte.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1418307600
Familien als Almosenempfän-
ger? – So nicht, Herr Eichel! Familien gehören an die
erste Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Ilse Falk

18097


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307700
Jetzt hat die
Frau Bundesministerin Christine Bergmann das Wort.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Derzeit wird viel über Familienförderung geredet. Das
wäre natürlich richtig, wichtig und auch gut so, wenn es
denn ein Wettstreit um die besten Lösungen für die Fami-
lienförderung wäre. Aber das, was wir vonseiten der Op-
position auf den Tisch bekommen, hat wenig mit Serio-
sität zu tun.


(Nicolette Kressl [SPD]: Gar nichts!)

Das hat auch sehr wenig damit zu tun, was Familien wirk-
lich brauchen. Es ist angesichts der Tatsache, dass wir ei-
nen Teil der Leistungen im Familienförderungsgesetz
deshalb erbringen müssen, weil wir die von Ihnen hinter-
lassenen Erblasten abarbeiten müssen, auch nicht beson-
ders überzeugend. Zu den einzelnen Punkten sage ich
noch etwas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man Familien wirklich unterstützen will, muss
man vielfältige Wege gehen. Genau das tun wir. Wir ha-
ben in der Kinder- und Familienpolitik eine Wende einge-
leitet. Wir haben ein vernünftiges Familienkonzept, das
auf mehreren Säulen ruht. Wir reden nicht nur über Kin-
dergeld, sondern über Gesamtleistungen für Familien.

Ich will die Säulen unseres Konzeptes nennen: Es geht
zum einen darum, die finanziellen Leistungen auszu-
bauen. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zur Ver-
einbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern – das
Thema ist jetzt sogar schon bei der CDU/CSU angekom-
men –, und es geht darum, Eltern in ihrer Erziehungs-
kompetenz zu unterstützen und Kinderrechte auszubauen.
Das sind Themen, die ich in der heutigen Debatte, in der
es um Familienpolitik geht, vermisst habe.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zu den einzelnen Punkten sage ich später noch etwas.
Zunächst zu den finanziellen Leistungen, die wir mit

dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Familienförde-
rung auf dem Tisch haben. Ich sage noch einmal ganz
klar: Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts
betreffen erstens Altlasten; zweitens sind es Beschlüsse,
die wir mit einer reinen Steuerfreibetragsregelung hätten
umsetzen können. Die Beschlüsse sind so angelegt; das
wissen Sie alle in diesem Haus.

Wir wollen eine reine Steuerfreibetragsregelung aber
nicht, weil sie sozial nicht gerecht ist; denn wir wissen,
wie unterschiedlich die Entlastungswirkung einer Freibe-
tragsregelung ist. Deshalb legen wir unsere Priorität ganz
klar auf die Position: Freibeträge nur so viel, wie unbe-
dingt nötig, und Kindergeld so viel wie möglich. Das ist
ein vernünftiges Prinzip, über das wir uns, so glaube ich,
verständigen können.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben dieses Prinzip umgesetzt und werden es
weiter umsetzen. Wir wissen – ich sage das auch noch
einmal –, dass es immer noch eine Schere zwischen dem
Kindergeld und der Entlastungswirkung durch Freibe-
träge gibt. Es existiert aber eine entsprechende Vorgabe
des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb kann man auf
die Freibetragsregelung leider nicht verzichten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307800
Frau Ministerin,
gestatten Sie Zwischenfragen? Es haben sich die Kollegin
Lenke und der Kollege Seifert gemeldet.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Sie wissen, ich bin
immer dazu bereit, aber heute einmal nicht.


(Beifall bei der SPD)


Ich komme nun auf einen zweiten Punkt, der über das
hinausgeht, was von uns verlangt wird, nämlich die steu-
erliche Absetzbarkeit von real auftretenden Kinderbe-
treuungskosten über den Freibetrag für alle hinaus. Was
habe ich dazu nicht alles in den letzten Tagen und Wochen
gelesen! Heute sind wir immerhin schon ein Stück weiter;
es kommen konkrete Vorschläge. Die einen sagen, es sei
nicht genug, wir würden uns mehr wünschen. Die ande-
ren sagen, es müsse auf eine größere Gruppe ausgeweitet
werden. Nun frage ich mich: Warum sind Sie zu Ihrer Re-
gierungszeit – dieses Thema ist doch schon lange in der
Diskussion – diesen Punkt nie angegangen?


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man kann viel über die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie reden. Zum Schwur kommt es erst, wenn man
sich ansieht, was konkret dafür getan wurde. Mit unseren
Maßnahmen haben wir etwas zur Verbesserung der Ver-
einbarkeit von Beruf und Familie getan, insbesondere für
allein erziehende Mütter. Wir wissen natürlich, dass es
durch die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrages zu
einer Mehrbelastung kommt. Es stimmt aber nicht, dass
die Alleinerziehenden schlechter dastehen. Wir haben
diese Regelung – das ist enorm wichtig – in gleicher
Weise für Eltern getroffen.

Sie argumentieren, wir würden die Vorteile nur den Fa-
milien gewähren, bei denen beide Elternteile erwerbstätig
sind. Ich will dazu sagen: Wir haben ein Steuersplitting,
das weitestgehend Einverdienerfamilien begünstigt, egal,
ob sie Kinder erziehen oder nicht. Alleinerziehende haben
davon nichts.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Vielleicht weisen Sie in diesem Zusammenhang einmal auf das Grundgesetz und die Ehe hin!)


Wenn wir eine Regelung allein auf diesen Punkt begren-
zen, halte ich das für durchaus vernünftig.

Ich will noch etwas zu dem so genannten Dienst-
mädchenprivileg sagen, weil Sie, Frau Falk, dies eben
angesprochen haben.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Haushaltshilfe! Ganz einfach!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118098


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ja, die Haushaltshilfen. – Sie wissen es doch alle; wir
haben es heute wieder gehört. Warum erzählen Sie uns
dann immer wieder Dinge, die nicht stimmen? Das
Dienstmädchenprivileg war als Arbeitsmarktinstrument
gedacht. Wir alle haben gehofft, in den Haushalten
Arbeitsplätze schaffen zu können. Sie wissen genau, dass
es nichts gebracht hat; es ist ein reiner Mitnahmeeffekt
entstanden.


(Beifall bei der SPD)


Auch ich würde mir wünschen, in den Haushalten gute
und ordentliche Arbeitsverhältnisse zu schaffen. Aber auf
diesem Weg hat es offensichtlich nicht funktioniert.

Wir haben bei all unseren Reformvorhaben, die wir auf
den Tisch gelegt haben, die Familien berücksichtigt: Die
Steuerreform entlastet ganz erheblich auch die Familien;
beim BAföG, beim Wohngeld, bei der Rentenreform, bei
der Novelle des Erziehungsgeldgesetzes – überall sind fa-
milienfreundliche Komponenten enthalten. Das heißt, Fa-
milien haben heute sehr viel mehr Geld im Geldbeutel als
noch vor drei Jahren.


(Unruhe)


Frau Falk, da Sie gerade Rechnungen angestellt haben,
will auch ich das tun: Die in Rede stehenden Leistungen
sind in dieser Legislaturperiode von 78 Milliarden auf
mehr als 100 Milliarden DM gestiegen. Wir haben natür-
lich nicht bei Null angefangen; das haben wir aber auch
nicht gesagt. Während Ihrer Regierungszeit – diese dau-
erte immerhin 16 Jahre – stiegen diese Leistungen um
50 Milliarden DM. Selbst wenn man nicht ganz genau,
sondern recht großzügig zu Ihren Gunsten rechnet, sind
wir mit den Verbesserungen immer noch doppelt so
schnell.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Glocke der Präsidentin)


– Aber ich habe doch noch Zeit, oder?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418307900
Ich wollte nur
um etwas mehr Ruhe bitten.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Das wäre in der Tat
ganz gut. Wenn man Familienpolitik für ein wichtiges
Thema hält, dann sollte man auch einmal einen Moment
zuhören können.

Wir werden unseren Weg der Entlastung der Familien
ganz konsequent fortsetzen. Unser Ziel ist, die Kinder aus
der Sozialhilfe herauszuholen bzw. zu verhindern, dass sie
überhaupt von Sozialhilfe abhängig sind. Dazu haben wir
einige Vorschläge auf dem Tisch liegen. Wir werden be-
strebt sein, die Schere zwischen der Entlastungswirkung
des Freibetrags und dem Kindergeld weiter zu schließen.
Sie wissen, welche Vorschläge – es gibt ja eine ganze
Menge – dazu in der Diskussion sind.

Klar ist jedenfalls, dass kein Weg an der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf vorbeiführt.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da hilft zum Beispiel unser Familiengeld!)


– Gut, dass Sie mich an dieses Thema erinnern; das hätte
ich fast vergessen.

Rechnen wir also auch einmal Ihren Vorschlag zum
Familiengeld durch – auch wenn wir dies nicht zum ers-
ten Mal machen –: Das Erziehungsgeld beträgt jetzt
600 DM; wenn man es auf ein Jahr budgetiert, sogar
900 DM. Dazu gibt es ein Kindergeld von 300 DM. Nun
frage ich Sie einmal: Inwiefern sollte eigentlich die
Gruppe der Bezieher geringerer Einkommen, die derzeit
das Erziehungsgeld bekommen, von Ihrem Familiengeld
profitieren? – Überhaupt nicht!


(Beifall bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/ CSU]: Schauen Sie sich doch unseren Beschluss an!)


Mit diesem Vorschlag setzen Sie die Leistung wieder voll-
kommen unkontrolliert dort an, wo sie nicht unbedingt
hingehört.

Ich habe noch die Stimme meines Ministerkollegen im
Ohr, als ich selbst noch Landesministerin war, der in der
Diskussion über das Familiengeld immer gesagt hat: Das
ist ja prima, dann brauchen wir nicht mehr so viele
Kinderbetreuungseinrichtungen, dann können wir ja an
dieser Ecke sparen. – Natürlich wird nach Ihrem Modell
der Effekt eintreten, dass die Frauen vom Arbeitsmarkt
fern gehalten werden, ob Sie das nun wollen oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich will kurz auf zwei weitere Punkte eingehen. Wenn
wir über Familienförderung reden, reicht es nicht, nur
über Geld zu reden. Wir haben die Rahmenbedingungen
auch dadurch verbessert, dass wir das Erziehungsgeldge-
setz geändert haben. Die Möglichkeiten der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf sind durch den Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit wesentlich ausgeweitet worden. Wir
wollen damit natürlich erreichen, dass sich mehr Väter an
der Erziehungsarbeit beteiligen. Niemand kann etwas da-
gegen haben, wenn in einer Familiendebatte auch Väter
reden. Deswegen hätte ich mich gefreut, wenn Herr Gysi
– er ist leider nicht mehr da – in seinem Beitrag auch ein-
mal als Vater geredet und anerkannt hätte: Jetzt sind
weitere Möglichkeiten geschaffen worden, die Väter
stärker an der Familienarbeit zu beteiligen. – Denn auch
das gehört für mich zu einer vernünftigen Familien-
politik.

Wir begleiten den zur Beratung anstehenden Gesetz-
entwurf mit einer „Väterkampagne“. Lassen Sie mich da-
her einmal über meine Erfahrungen damit berichten: Ich
war die letzte Zeit in vielen Unternehmen unterwegs.
Denn wir wollen schließlich, dass Unternehmen bei die-
sem Thema mitziehen, familienfreundliche Arbeitsbedin-
gungen schaffen, Möglichkeiten der Teilzeitarbeit schaf-
fen usw. – und dabei nicht immer nur die Mütter im Blick
haben. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind
nicht nur etwas für Mütter; sie sind auch etwas für Väter.


(Beifall bei der SPD)


Ich habe gesehen: Es ist unwahrscheinlich viel möglich,
wenn all diese Fragen – Führungsaufgaben und Teilzeit,
Elternseminare – zur Unternehmenskultur gehören. Wir
ziehen da mit!

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

18099


(C)



(D)



(A)



(B)


Alle diese Regelungen haben Sie abgelehnt.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Quatsch! Stimmt doch nicht!)


Dies sollte man festhalten, um Ihre Familienfreundlich-
keit zu dokumentieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben das Erziehungsgeldgesetz abgelehnt, Sie haben
das Teilzeitgesetz abgelehnt – obwohl all dies dazu
beiträgt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ver-
bessern.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Es kommt doch darauf an, wie man das macht!)


– Wir haben es vernünftig gemacht.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Bestimmt nicht! Das sehen Sie an der Wirtschaftsentwicklung!)


Ein letzter Punkt: Natürlich brauchen wir zusätzliche
Kinderbetreuungseinrichtungen. Da sind – das wissen
wir alle – die Länder und die Kommunen in der Pflicht.
Wenn man sich den Versorgungsgrad der Null- bis Drei-
jährigen anschaut, so muss man feststellen: Am schlech-
testen sieht es in Bayern und Baden-Württemberg aus.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber dort kann man ja jetzt aufholen. Denn wir haben in
diesem Familienfördergesetz festgelegt, dass der Bund ei-
nen höheren Anteil beim Kindergeld übernimmt, unter der
Voraussetzung, dass die Länder den finanziellen Spiel-
raum zum Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen
nutzen. Nun sollen sie das bitte schön auch einmal tun.

Ein Allerletztes: Ich habe über Erziehungskompetenz
geredet. Sie haben das auch getan, Frau Falk – das hat
mich sehr gefreut –; Sie haben nur nicht gesagt, was Sie
machen wollen. Wenn wir über Familie reden, reden wir
über Kinderrechte und Erziehungskompetenz. Wir haben
einen Gesetzentwurf zur gewaltfreien Erziehung von Kin-
dern gegen Ihren Widerstand auf den Weg gebracht. Dass
Sie auch dies nicht wollten, muss man in einer solchen
familienpolitischen Bilanz auch erwähnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir unterstützen Familien bei ihrer Erziehungsauf-
gabe. Die Familien in diesem Land wissen, dass sie in uns
eine wichtige Stütze haben. Wir betreiben auf der Basis
unseres familienpolitischen Konzeptes in allen relevanten
Bereichen eine konsequente Familienförderung.

Danke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418308000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Barthle.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1418308100
Verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen

Sie mich eine Vorbemerkung machen. Wir haben jetzt
zur Familienförderung verschiedene Reden gehört. Mir
fiel schon auf, dass von den Regierungsfraktionen aus-
schließlich Frauen zu Wort kamen. Mir drängt sich die
Frage auf, ob es hier um Familienförderung oder um Frau-
enförderung geht.


(Zurufe von der SPD)


– Ach richtig, der Herr Eichel durfte ja auch reden. Aber
er tat dies in seiner Funktion als Bundesfinanzminister.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Sehr nervös war er!)


Welche Botschaft hat er uns übermittelt? – Mehr gibt es
nicht! Ansonsten haben wir eine von parteipolitischer Po-
lemik geprägte Rede gehört, auf die meines Erachtens ein
Finanzminister nicht stolz sein kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind jedenfalls der
Auffassung, dass auch Männer mitzureden haben, wenn
es um Familienförderung geht. Deswegen spreche ich hier
als Familienvater.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lieber Herr Eichel, wir sind es bei Ihren Gesetzen ja
schon gewohnt, dass man zwischen der radikalpopulis-
tischen Lyrik und dem, was tatsächlich im Gesetz steht,
genau unterscheiden muss. Deswegen muss man hier ein-
fach darauf hinweisen, dass der richtige Titel für Ihr Ge-
setz der folgende wäre: „Gesetz zur minimalen Umset-
zung bundesverfassungsgerichtlicher Vorgaben mittels
Umverteilung familienpolitischer Leistungen“. Ein sol-
cher Titel würde die Menschen nicht hinters Licht führen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Eichel, Ihr Steuerentlastungsgesetz entlastet die
Bürger ja nicht wirklich, und das Steuersenkungsgesetz
führt zu Mehrbelastungen. Angesichts dessen wundert es
niemanden, dass auch das Familienförderungsgesetz die
Familie nur unzureichend fördert und in manchen Fällen
die Situation für Familien sogar noch verschlechtert.

Wenn wir dennoch dieser Reform zustimmen, dann
verweise ich auf die Begründungen meiner Vorrednerin-
nen; darauf will ich nicht mehr eingehen. Festzuhalten
bleibt aber: Ihre halbherzige Reform ist bei weitem nicht
das, was Familien von der Politik, vor allem von einer
Bundesregierung, erwarten dürfen.

Glaubt man der Shell-Jugendstudie, wird der traditio-
nelle Familienbegriff von der Mehrzahl der jungen Men-
schen immer noch hoch gehalten. Die Ehe wird als die
selbstverständlich eingegangene Lebensform von Mann
und Frau betrachtet, die zusammen mit den Kindern und
eventuell mit den Großeltern eine Familie bildet, die für-
einander einsteht. Natürlich sind auch neue Formen des
Zusammenlebens entstanden; Familie findet heute auf
vielfältige Art und Weise statt, sodass sich junge Men-
schen mehr denn je aktiv und ganz bewusst für Familie
und Ehe entscheiden müssen. Sie tun es Gott sei Dank
noch häufig.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

18100


(C)



(D)



(A)



(B)


Erlauben Sie mir dazu noch eine Randbemerkung: Wenn
der berühmt gewordene Satz des Regierenden Bürger-
meisters bei einem Sachverhalt gerechtfertigt ist, dann für
diesen.

Ohne Familie geht es nicht. Sie genießt zu Recht den
besonderen Schutz unseres Grundgesetzes. Familie ist das
Bollwerk in unserer Gesellschaft. CDU und CSU als die
Familienparteien Deutschlands


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


haben, solange sie regiert haben – das wissen wir alle –,
nicht alles Wünschenswerte geleistet; auch bei uns gab es
einen Finanzminister. Aber die grundlegenden, mutigen
und weitreichenden Entscheidungen wurden in dieser
Zeit getroffen: Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, die
Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente,
die Entwicklung des Familienleistungsausgleichs usw.
wurden eingeführt. Sie wissen ganz genau, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, dass die
grundlegenden familienpolitischen Entscheidungen von
uns gemeinsam mit der F.D.P., aber eben nicht von der
SPD getroffen wurden. Das wurmt Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Erlauben Sie mir eine zweite Bemerkung. Schauen Sie
doch in die Bundesländer, in denen CDU oder CSU re-
gieren! Dort findet ein höherer Transfer statt. Dort haben
wir höhere Geburtenraten. In Baden-Württemberg gibt es
ein Landeserziehungsgeld.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie sieht denn nun Ihr großer Wurf aus? Sie erhöhen
das Kindergeld um 31 DM. Das daraus resultierende Vo-
lumen von insgesamt 5,9 Milliarden DM wirkt bei iso-
lierter Betrachtung recht gut, auch wenn mehr angekün-
digt war. Aber – meine Vorrednerinnen haben darauf
hingewiesen – was ist mit den Familien, die drei, vier oder
noch mehr Kinder haben?


(Susanne Kastner [SPD]: Wie viele haben Sie denn? Diese Ungleichbehandlung können Sie niemandem erklären. Warum begehen Sie wie schon des Öfteren wieder den Fehler, genau die gesellschaftliche Gruppe, für die Sie etwas tun wollen, die Gegenfinanzierung tragen zu lassen? Die Abzugsfähigkeit der Kosten für die Haushaltshilfe wurde gestrichen, der Ausbildungsfreibetrag wurde reduziert, der Haushaltsfreibetrag schmilzt ab auf null. Von den 5,9 Milliarden DM bleibt gerade noch eine Entlastung von 4,6 Milliarden DM; wir haben es gehört. Sie selbst reduzieren die von Ihnen vorgenommene Erhöhung des Kindergeldes auf gerade einmal 20 DM – eine fantastische Leistung. Die Familien werden es Ihnen danken. Sie werden es Ihnen vor allem an den Tankstellen danken, wenn die durch die Ökosteuer künstlich erhöhten Spritpreise diese Kindergelderhöhung wieder auffressen. (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Na klar!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Vor allem werden es Ihnen die Familien im Supermarkt
danken, wenn sie feststellen, dass ihr Kaufkraftverlust
durch die rot-grüne Geldentwertungspolitik ein Mehrfa-
ches der Kindergelderhöhung beträgt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Ein normaler Haushalt hat laut Statistischem Bundes-
amt Aufwendungen für den privaten Verbrauch in Höhe
von durchschnittlich 4 031 DM pro Monat.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was Sie für einen Unsinn reden!)


Bei der derzeitigen Inflationsrate verliert dieser Haushalt
Monat für Monat 141 DM an Kaufkraft. Was heißt das?
– Sie geben den Familien nicht annähernd das zurück, was
Sie ihnen vorher durch Ihre falsche Wirtschafts- und Steu-
erpolitik nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nebenbei muss man nochmals den grundsätzlichen

Widerspruch anmerken, der auf ein einseitig ideologi-
sches Gesellschaftsbild zurückgeht. Sie haben nur die be-
rufstätigen Mütter bzw. Eltern, die beide berufstätig sind,
im Blick. Damit wiederholen Sie genau den Fehler, den
das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil angepran-
gert hat. Sie grenzen die Freiheit der familiären Lebens-
gestaltung in eklatanter Weise ein,


(Beifall bei der CDU/CSU)

indem Sie die Familien benachteiligen, in denen ein Ehe-
partner die gemeinsamen Kinder erzieht und auf ein eige-
nes Einkommen verzichtet oder – was Sie sich vielleicht
nicht vorstellen können – eventuell auch verzichten muss.
Deshalb wurden wir aufgefordert, hierfür eine gerechtere
Lösung zu finden. An dieser Aufgabe sind Sie gescheitert.

Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben mit
unserem Vorschlag für ein Familiengeld ein stimmiges
Konzept vorgelegt. Wir haben auch einen Entschlie-
ßungsantrag vorgelegt, der Ihrem Gesetzentwurf die we-
sentlichsten Giftzähne zieht.


(Lydia Westrich [SPD]: Dann stimmen Sie unserem Gesetz zu!)


Dem können Sie zustimmen.
Jedenfalls vermisse ich bei Rot-Grün ein stimmiges,

ein geschlossenes Konzept. Ich höre, man arbeite daran.
Festzuhalten bleibt aber: Dieses Gesetz ist erneut Stück-
werk; es wird mit der rechten Hand gegeben, was zuvor
mit der linken genommen worden ist. Das nenne ich nicht
Politik der ruhigen Hand; das ist Politik der gierigen
Hand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wenn das, was gemunkelt wird, zutrifft und der neue
Wahlslogan der SPD „Sicherheit im Wandel“ lauten wird,
dann können bei Rot-Grün die Familien leider sicher sein,
dass sich nicht viel zum Besseren wandelt. Wir haben die
besseren Konzepte.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Norbert Barthle

18101


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418308200
Es gibt noch
eine letzte Rednerin in dieser Debatte. Ich bitte darum,
den Geräuschpegel insgesamt etwas zu senken, weil es
sonst für die Rednerin sehr schwer ist. Das galt auch
schon für die letzten Redner.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Einzige, die etwas von Familie versteht!)



Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418308300
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
ehrter Herr Kollege Barthle, Sie reden von besseren Kon-
zepten. Ich möchte einmal sagen: Sie haben ein kurzes
Gedächtnis. Aber das ist auch das Einzige, was Sie haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es erfordert wahrhaftig ein nicht allzu gutes Gedächt-
nis, um sich an die Entwicklung des Kindergeldes zu er-
innern. Im Jahre 1995 lag das Kindergeld bei 70 DM für
das erste und 130 DM für das zweite Kind. Dann kam es
bis 1998 zu einer Erhöhung des Kindergeldes auf
220 DM. Der einzige Grund, warum dieser Betrag von
220 DM durchgesetzt wurde, war, dass sich die rot-grü-
nen Länder, die in der Länderkammer die Mehrheit hat-
ten, im Vermittlungsverfahren durchsetzen konnten, als es
darum ging, Ihren Haushalt zu verabschieden. Um nichts
anderes ging es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt erklären Sie hier: Das haben wir durchgesetzt.
Hierzu möchte ich sagen: Frischen Sie Ihr Gedächtnis ein-
mal ein bisschen auf!

Ab dem 1. Januar 2002 wird das Kindergeld bei
300 DM liegen. Das ist das, was wir durchgesetzt haben.
Damit kann sich unsere rot-grüne Zwischenbilanz in der
Familienpolitik durchaus sehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir bleiben nicht bei diesem Punkt stehen. Wir re-
den von viel mehr, so etwa über die Absetzbarkeit von rea-
len Betreuungskosten. Doch für uns ist die Familienpo-
litik nicht nur mit den Finanzen verbunden. So kurzsichtig
sind wir nicht. Für uns gehört ein fairer Familienlasten-
ausgleich genauso wie die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie dazu.

Ein anderes Thema sind hierbei die ökologischen
Rechte der Kinder und auch der Schutz der Kinder vor
Gewalt. Dazu haben wir schon vier Gesetzentwürfe vor-
gelegt. Sie haben bisher gegen all diese Gesetzentwürfe
gestimmt. Ich erinnere nur an das Recht auf eine gewalt-
freie Erziehung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die PDS redet von subjektiven Kinderrechten. Fami-
lien zu stärken, ihnen in Krisenzeiten, in schwierigen Si-
tuationen Hilfe zu bieten heißt auch, Kinder stark zu ma-

chen für die Herausforderungen des Lebens. Genau das
machen wir. Für uns sind Kinder eigenständige Per-
sönlichkeiten. Sie haben ein eigenes Recht auf Entfaltung.
Für uns ist Kinder- und Familienpolitik nicht nur ein
Thema von Sonntagsreden. Für uns besteht diese Politik
nicht aus solchen Vorschlägen, wie sie von der CDU/CSU
kommen, die sich das Ziel von 60 Milliarden DM für die
Familienpolitik gesetzt haben und diese Summe irgend-
wann einmal in ferner Zukunft erreichen wollen. Dies
geht aber an der Realität völlig vorbei. Das ist für uns kein
schlüssiges Konzept. Für uns gehört sehr viel mehr dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich fand es etwas seltsam, dass gerade Sie damit ko-
kettieren, Vater von Kindern zu sein. Hier gibt es erstens
mehrere Väter und zweitens mehrere Mütter. Diese ko-
kettieren aber nicht damit. Das sollte hier einmal erwähnt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir über die Problematik der Kinderbetreuung
reden, dann reden wir immer noch über ein Thema, das
vor allem Frauen betrifft. Es sind immer noch zuerst die
Frauen, die auf den Job und damit auf die Karriere ver-
zichten müssen. Wenn wir über die Betreuung reden, dann
müssen wir auch über eine in sich stimmige Frauenpolitik
reden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ein Thema bleibt noch übrig. Das ist das, was uns der
Armuts- und Reichtumsbericht aufgezeigt hat. Armut
in Deutschland hat immer noch ein sehr junges Gesicht.
Sie betrifft vor allem Kinder. 10 Prozent der Kinder und
Jugendlichen leben tatsächlich in sehr prekären Verhält-
nissen. Noch einmal ungefähr die gleiche Zahl von Kin-
dern lebt von der Sozialhilfe. Hier wollen wir Grünen
bedarfs- und zielorientiert mit einem finanzierbaren Kon-
zept vorangehen. Wir haben dazu ein Konzept zur Kin-
dergrundsicherung vorgelegt. Meine Kollegin Christine
Scheel ist schon darauf eingegangen.

Wir wollen nicht, dass Kinder von Sozialhilfe leben
müssen, sondern wir wollen ihnen zu einem besseren Le-
ben verhelfen. Wir wollen, dass der Fallbeileffekt in der
Sozialhilfe überwunden wird, dass es sich rentiert, Leis-
tung zu erbringen. Wir wollen ganz gezielt und bedarfs-
orientiert und nicht nach dem Gießkannenprinzip vorge-
hen, wie dies von mehreren Seiten vorgeschlagen wurde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben ein Gegenfinanzierungsmodell eingebracht,
das die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Real-
splitting vorsieht. Dadurch stehen uns Mittel zur Refi-
nanzierung einer Kindergrundsicherung zur Verfügung.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Worte! Worte!)

Zu dem Vorwurf der PDS, dass die Höhe der durch

diese Umwandlung erzielten Mittel erst einmal berechnet
und konkrete Zahlen vorgelegt werden müssten, sage ich

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118102


(C)



(D)



(A)



(B)


deshalb: Das brauchen wir gar nicht mehr. Das DIW hat
erst vor einer Woche ein Gutachten zu dem von den Grü-
nen vorgeschlagenen Konzept vorgelegt. Außerdem gibt
es Berechnungen von verschiedenen Verbänden und Ver-
einigungen – angefangen vom Paritätischen Wohlfahrts-
verband bis hin zum Deutschen Kinderschutzbund –, die
belegen, dass unser Kindergrundsicherungsmodell auf
diese Weise finanzierbar ist. Wir brauchen also keine Zah-
len mehr, sondern politische Entscheidungen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Unsere Zielrichtung ist klar: Wir wollen nicht weniger,
sondern mehr Freiheit für die Paare, die sich für Kinder
entscheiden wollen. Aber wir wollen keinen moralischen
Zwang auf Paare ausüben, Kinder zu bekommen. Es muss
die persönliche Entscheidung von Frau und Mann sein, ob
sie Kinder haben wollen oder nicht, wie sie ihre Kinder
aufziehen wollen und für welche Lebensform sie sich ent-
scheiden. Deshalb müssen wir bessere Rahmenbedingun-
gen für Eltern, für das Aufwachsen der Kinder und für das
Zusammenleben mit Kindern schaffen. Wer sich für Kin-
der entscheiden will, soll sich das auch leisten können und
deshalb die maximale Unterstützung vonseiten der Politik
bekommen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418308400
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Die Abgeordnete
Dr. Barbara Höll und weitere 15 Mitglieder der Fraktion
der PDS möchten eine Erklärung zur Abstimmung abge-
ben.1) Diese soll zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Zweiten Gesetzes zur Familienförderung. Der
Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6582, die Gesetzentwürfe
auf den Drucksachen 14/6160 und 14/6411 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.

Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
und zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Über den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und
über einen Änderungsantrag der Fraktion der PDS stim-
men wir namentlich ab.

Aus gegebenem Anlass möchte ich Sie darauf hinwei-
sen – es sind ja die letzten Abstimmungen vor der Som-
merpause –, dass nach den namentlichen Abstimmungen
strittige Abstimmungen folgen. Ich bitte Sie deshalb, bis
zur letzten Abstimmung anwesend zu sein, damit wir zu
sauberen Abstimmungen kommen können.

Ebenfalls aus gegebenem Anlass bitte ich alle Kolle-
ginnen und Kollegen, bei den namentlichen Abstimmun-

gen sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten den
eigenen Namen und nicht einen anderen tragen. Bitte
überprüfen Sie Ihre Stimmkarte, bevor Sie sie in die Urne
werfen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/6596. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich jetzt
die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte in diesem Wahlgang nicht abgegeben hat? –
Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich hier-
mit die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen
später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen
fort.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/6589. Die Fraktion der PDS verlangt ebenfalls na-
mentliche Abstimmung. Dies ist jetzt die zweite nament-
liche Abstimmung. Danach – ich wiederhole es – gibt es
weitere strittige Abstimmungen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Wahlurnen
besetzt? – Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Ab-
stimmung.

Obwohl ich die Abstimmung schon eröffnet habe,
scheint eine Urne nicht doppelt besetzt zu sein. Deswegen
ist sie auch nicht geöffnet. Wir schicken jetzt einen Saal-
diener hin, sodass dann auch dort abgestimmt werden
kann. Ich schließe den zweiten Wahlgang noch nicht. – Es
tut mir Leid, dass ich das nicht habe sehen können.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das in die-
ser zweiten namentlichen Abstimmung noch nicht abge-
stimmt hat? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die
zweite namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, um mir einen et-
was besseren Überblick zu ermöglichen. Wir müssen
noch eine Reihe von Abstimmungen und auch die Schluss-
abstimmung durchführen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungs-
antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6588.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der PDS? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden.

Ich kann jetzt schon das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der ersten na-
mentlichen Abstimmung, über den Änderungsantrag der
F.D.P. zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Famili-
enförderung bekannt geben: Abgegebene Stimmen 570.
Mit Ja haben gestimmt 218, mit Nein haben gestimmt
352, Enthaltungen keine.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Ekin Deligöz

18103


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18104


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 568;
davon

ja: 219
nein: 349

Ja

CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner


(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen


(Nordstrand)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich


(Erlangen)

Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gottfried Haschke


(Großhennersdorf)


Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)

Hansgeorg Hauser


(Rednitzhembach)

Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold


(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann


(Lüdenscheid)

Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski


(Recklinghausen)

Dr. Martin Mayer


(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff

Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch


(Wiesbaden)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt


(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von

Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-

Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von

Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing

Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

F.D.P.

Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein

SPD

Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18105


(C)



(D)



(A)



(B)


Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack


(Extertal)

Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann


(Darmstadt)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter

Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann


(Neubrandenburg)

Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis

Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-

Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer


(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt


(Weilburg)

Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann


(Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-

Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von

Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek


(Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)


Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt worden.

Bevor wir fortfahren, muss das Ergebnis der zweiten
namentlichen Abstimmung vorliegen. Deshalb muss ich
die Sitzung jetzt für kurze Zeit unterbrechen.


(Unterbrechung von 12.48 bis 12.52 Uhr)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418308500
Die unterbro-
chene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Familien-
förderung, Drucksache 14/6589, bekannt. Abgegebene
Stimmen 567.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18106


(C)



(D)



(A)



(B)


Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst

Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


PDS

Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch

Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner

Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon

ja: 37
nein: 529

Ja

PDS

Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler

Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Nein

SPD

Brigitte Adler
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels

Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas

Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack


(Extertal)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18107


(C)



(D)



(A)



(B)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann


(Darmstadt)

Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann


(Neubrandenburg)

Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante

Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-

Hanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer


(Nürnberg)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt


(Weilburg)

Regina Schmidt-Zadel

Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann


(Delitzsch)

Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-

Wolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von

Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek


(Duisburg)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg

Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU

Ulrich Adam
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen


(Bönstrup)

Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Hartmut Büttner


(Schönebeck)

Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen


(Nordstrand)

Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich


(Erlangen)

Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Michael Glos
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gottfried Haschke


(Großhennersdorf )

Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser (Bonn)


Mit Ja haben gestimmt 37, mit Nein haben gestimmt
530, Enthaltungen keine. Der Änderungsantrag ist damit
abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Entwurf eines Zwei-
ten Gesetzes zur Familienförderung in der Ausschus-
sfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist

damit in zweiter Beratung mit den Stimmen fast des
ganzen Hauses bei einigen Enthaltungen der PDS ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18108


(C)



(D)



(A)



(B)


Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold


(Offenbach)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann


(Lüdenscheid)

Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski


(Recklinghausen)

Dr. Martin Mayer


(Siegertsbrunn)

Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Claudia Nolte
Günter Nooke

Franz Obermeier
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch


(Wiesbaden)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt


(Halsbrücke)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von

Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-

Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von

Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter

Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei

Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


F.D.P.

Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung von der überwiegenden Mehr-
heit des Hauses bei einigen Enthaltungen aus der PDS-
Fraktion angenommen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6586. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/6587. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stim-
men von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf Drucksache 14/6582 zurück. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 2 die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6173 mit dem Titel
„Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen“.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stim-
men der PDS angenommen worden.

Schließlich empfiehlt der Finanzausschuss unter Nr. 3
die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/6372 mit dem Titel „Verbesserung der Fa-
milienförderung“.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Aus-
schusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b sowie
Zusatzpunkt 14 auf:

21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und
Wettbewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des
Arbeitsmarktes endlich handeln
– Drucksache 14/5758 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Beschäftigungspolitischer Aktionsplan der
Bundesrepublik Deutschland 2001
– Drucksache 14/5513 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

ZP 14 Erste Beratung des von den Abgeordneten

(Augsburg)

der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bünd-
nisse für Arbeit
– Drucksache 14/6548 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Es wird gebeten, die Reden zu Protokoll geben zu kön-
nen, und zwar von den Abgeordneten Nahles, Schnieber-
Jastram, Schemken, Dückert, Kolb, Grehn und der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Ulrike Mascher.1) Sind Sie
damit einverstanden? –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Gern!)


Dann verfahren wir so.
Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird

Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5758,
14/5513 und 14/6548 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 d sowie
Zusatzpunkt 15 auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte
– Drucksache 14/5957 –

(Erste Beratung 167. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung der Krankenkassenwahl-
rechte
– Drucksache 14/6409 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/6568 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Aribert Wolf

b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18109


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1) Anlage 6

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
führung des Wohnortprinzips bei Honorarver-
einbarungen für Ärzte und Zahnärzte
– Drucksache 14/5960 –

(Erste Beratung 167. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des Wohnortprinzips bei Ho-
norarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte
– Drucksachen 14/6410, 14/6450 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei
den Vereinbarungen über die ärztliche Gesamt-
vergütung
– Drucksache 14/5694 –

(Erste Beratung 167. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Versorgungsangleichung in der ge-

(Versorgungsangleichungsgesetz)

– Drucksache 14/6054 –

(Erste Beratung 170. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksachen 14/6566, 14/6595 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Dieter Thomae

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Größere Verteilungsgerechtigkeit bei kas-
senärztlichen Honoraren
– Drucksachen 14/4891, 14/6566 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Dieter Thomae

d) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Anpassung der Regelungen über die Festsetzung
von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzli-

(Festbetrags-Anpassungsgesetz – FBAG)

– Drucksache 14/6041 –

(Erste Beratung 170. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Regelungen über die Festset-

zung von Festbeträgen für Arzneimittel in der ge-

(FestbetragsAnpassungsgesetz – FBAG)

– Drucksachen 14/6408, 14/6451 –

(Erste Beratung 179. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/6567 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer

ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Zur Abschaffung der Liste verordnungsfähiger
Arzneimittel
– Drucksache 14/6571 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung

Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Wohnortprin-
zips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte
liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Zum Gesetzentwurf zur Einführung des Wohnortprinzips
bei den Vereinbarungen über die ärztliche Gesamtvergü-
tung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor. Zum Entwurf eines Festbetrags-Anpas-
sungsgesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Es gibt keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Frau Bundesministerin Ulla Schmidt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1418308600
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich
mir die öffentlichen Debatten über die Gesundheitspolitik
anhöre bzw. anschaue, habe ich manchmal das Gefühl,
dass die eigentlich wichtigste Gruppe, die es in diesem
System gibt, nämlich die Patientinnen und Patienten, eine
etwas untergeordnete Rolle spielt.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, deshalb ist es wichtig, noch einmal darauf hin-
zuweisen: Bei der Diskussion über die Gesundheitspolitik
geht es nicht primär um die Honorare der Ärztinnen und
Ärzte oder um Krankenhäuser und auch nicht um die Ge-
winnstrategien der Pharmaindustrie, der Apotheker oder
des Großhandels. Es geht auch nicht um abstrakte Inter-
essen der Krankenkassen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Es geht um Qualität!)


Unabhängig von der Bedeutung all dieser Gruppen im
Gesundheitswesen müssen sie sich alle einem unterord-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

18110


(C)



(D)



(A)



(B)


nen, nämlich der besten Versorgung der Patientinnen und
Patienten. Denn sie alle sind nur Akteure im Gesund-
heitswesen; sie werden nur dann tätig, wenn ein Mensch
krank wird, von Krankheit bedroht wird oder wenn es um
humanes Sterben geht. Ich glaube, es ist an der Zeit, da-
rauf hinzuweisen, dass unsere Gesundheitspolitik genau
diesen Punkt berücksichtigt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich wünsche mir, dass im Mittelpunkt der politischen
Debatte auf der einen Seite die bessere Qualität der Ver-
sorgung der Menschen – vor allen Dingen der chronisch
Kranken – und auf der anderen Seite eine Diskussion
steht, wie Einsparmöglichkeiten und Wirtschaftlichkeits-
reserven in unserem Gesundheitssystem genutzt werden
können,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Von der Koalition sagt doch jeder etwas anderes!)


damit das Gesundheitswesen bezahlbar bleibt und akzep-
tiert wird.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ich darf sagen, dass wir in der kurzen Zeit unserer po-
litischen Verantwortung schon mehr geleistet haben als
die Regierung Kohl in 16 Jahren –.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass das medi-
zinisch Notwendige solidarisch finanziert wird; denn nie-
mand kann sagen, wann er aus welchem Grund medizini-
sche Hilfe braucht. Es gibt ein unschlagbares Argument
dafür, dabei zu bleiben: Rund 70 Millionen Frauen und
Männer mit ihren Kindern vertrauen auf diese solidari-
sche Finanzierung, denn sie sind Mitglieder der gesetzli-
chen Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie wollten doch seit zwei Jahren alles anders machen!)


– Deshalb, Herr Kollege Lohmann, bleibt es dabei: Wir
müssen handeln,


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Aber schnell! 3 Milliarden DM Überschuss!)


weil die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen.

Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Hätten Sie uns
ein funktionierendes Gesundheitswesen hinterlassen, dann
hätten wir heute nicht die Probleme, die wir nun haben


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und angesichts deren man Zeit braucht, um Reformen
auch im Hinblick auf Qualitätssicherung durchzusetzen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Seit drei Jahren haben Sie Zeit!)


– Wir haben auch damit angefangen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was? Wo?)


Wir müssen gemeinsam dafür sorgen – ich komme gleich
noch auf Ihre unseriösen Anträge von heute zu sprechen –,
dass die Menschen auch in Zukunft an den Innovationen
in der Medizin teilhaben können, auch an Innovationen
im medikamentösen Bereich.

Ich sage hier ganz klar für die, die uns draußen
zuhören: Wenn die Menschen wollen, dass sie, wenn sie
krank sind, an allen Innovationen teilhaben können, um
ihre Krankheit zu bekämpfen, dann müssen sie gemein-
sam mit uns den Weg gehen, dass die Krankenkassen in
all den Fällen, in denen es kostengünstigere Alternativen
gibt, auch nur diese kostengünstigen Alternativen, auch
im Medikamentenbereich, bezahlen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das sind doch Binsenweisheiten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das steht doch schon im Gesetz!)


Mit geht es darum, die Ursachen von Ineffizienz und
Fehlanreizen zu finden und mehr Qualität sowie eine stär-
kere Orientierung am Krankheitsgeschehen durchzuset-
zen. Daran setzen unsere aktuellen Gesetzentwürfe an.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den Beitragserhöhungen!)


Ich nenne als Beispiel den Risikostrukturausgleich.
Ich will gar nicht auf die Fehler eingehen, die auch in die-
sem Bereich gemacht worden sind, und zwar, wie ich fest-
gestellt habe, schon bei der Gestaltung.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da waren Sie aber dabei! Professor Pfaff!)


Wir müssen langfristig dahin kommen, dass bei den
Ausgleichszahlungen die Unterschiedlichkeiten in der
Zusammensetzung des Versichertenkreises aus gesun-
den und kranken Menschen stärker berücksichtigt wer-
den. Das, was wir heute auf den Weg bringen wollen, ist
ein Element eines Programms zur besseren Behandlung
von bestimmten Volkskrankheiten. Ich nenne hier Dia-
betes, Bluthochdruck und Brustkrebserkrankungen.
Durch unser Gesetz erhalten die Krankenkassen Geld,
damit sie ihren Versicherten, die an diesen Programmen
teilnehmen, eine qualitativ bessere, ja, eine optimale
Behandlung bieten können, statt, wie es zurzeit der
Fall ist, bestraft zu werden, wenn sie besondere Pro-
gramme zur Behandlung chronisch kranker Menschen
einführen.

Wenn Sie mit uns diesen Weg gehen wollen, dann stim-
men Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf zu;


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Legen Sie erst ein Konzept vor, dann können wir darüber nachdenken!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesministerin Ulla Schmidt

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(A)



(B)


denn es werden sofort nach Einführung des Gesetzes min-
destens 1,8 Millionen chronisch kranke Menschen von
diesen Maßnahmen profitieren können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können den Weg mitgehen, dass Krankenkassen
den Wettbewerb um die bestmögliche Versorgung von
kranken Menschen führen und Schluss damit machen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Legen Sie ein Konzept vor, dann denken wir darüber nach!)


dass der Wettbewerb um junge Gesunde stattfindet und
die Kranken außen vor bleiben oder immer höhere
Beiträge zahlen müssen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Polemisch und billig ist das!)


Eine der Voraussetzungen dafür ist die Änderung des
Kassenwahlrechts, die wir heute vornehmen, damit sich
nicht immer alles auf einen Tag, den 30. September, kon-
zentriert. Gleichzeitig, Herr Kollege Lohmann, stärken
wir mit diesem Gesetzentwurf die Position der Versicher-
ten,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Haben Sie nicht gehört, was die Versicherten gesagt haben?)


indem sie zukünftig nicht nur einmal im Jahr zu einem be-
stimmten Stichtag kündigen können, sondern jeweils zum
Ende des übernächsten Monats.

Ich kann Ihnen auch sagen, welche Philosophie dahin-
ter steht: Ich möchte, dass die Menschen durch die Mög-
lichkeit, immer kündigen zu können, vielleicht mehr Be-
ratung in Anspruch nehmen, dass sie mit ihrer Kasse
sprechen und fragen: Was bieten Sie mir denn für meinen
Beitrag – auch wenn Sie vielleicht 1 Prozent teurer sind –
und was bietet mir eine andere Kasse dafür? Damit kön-
nen wir vielleicht den Druck beseitigen, der aus der Tat-
sache entsteht, dass man nur zum 30. September kündigen
kann und dass eine Kündigung dann so schnell nicht mehr
möglich ist. In Bezug auf den Wechsel der Krankenkassen
schaffen wir es damit, dass die Menschen in Ruhe und Be-
sonnenheit und mit genauso viel Beratung, wie sie es zum
Beispiel erwarten, wenn sie einen Handyvertrag abschlie-
ßen, entscheiden können. Ich denke, die Gesundheit ist
mehr wert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn
Sie es mit Ihrer Sorge um die Beitragssatzentwicklung
ernst meinen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, das meinen wir!)


dann unterstützen Sie bitte das Festbetrags-Anpassungs-
gesetz, das wir heute im Bundestag verabschieden wollen.
Das Ziel ist, Einsparpotenziale zu nutzen. Bisher liegen
die Einsparbeträge bei 3,2 Milliarden DM. Die bisherige

Praxis des Festbetragsetzung ist durch Rechtsunsicher-
heiten belastet und steht auf dem Prüfstand. Deshalb wol-
len wir hier den Weg gehen, dass das Bundesministerium
für Gesundheit für eine begrenzte Zeit die Festbeträge be-
stimmt. Es geht dabei für die Krankenkassen, die Bei-
tragszahler und die Versicherten um jährliche Einsparun-
gen in Höhe von immerhin etwa 750 Millionen DM.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Gesprochen wurde aber von 650 Millionen DM!)


– Herr Kollege Lohmann, Sie haben gemeinsam mit
Herrn Seehofer einen Brief geschrieben, in dem steht: Wir
machen mit, wenn Sie für mehr Transparenz sorgen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und wenn der Bundesrat nicht ausgeschaltet wird! Das müssen Sie auch vorlesen!)


Wir setzen das um; wir legen die Verordnungszahlen vor.

Außerdem haben wir die so genannte Drittelregelung
gestrichen. Diese war früher für Sie ein Argument, nicht
mitzumachen. Jetzt bin ich neugierig, wie Sie nachher er-
klären werden, warum Sie nicht mitmachen und warum
Sie eher dafür sind – denn das bedeutet Ihr Nein –, dass
die Kassen Monat für Monat auf rund 60 Millionen DM
Einsparungen verzichten sollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt, der heute ansteht, ist: Uns geht es
um die Angleichung der Gesundheitsversorgung und
der Vergütungsniveaus in Ost und West. Der Finanz-
kraftausgleich, der bundesweite Risikostrukturausgleich
und unser Entwurf eines Gesetzes zum Wohnortprinzip
sind hierfür wichtige Schritte.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was sagen denn die Leute aus den neuen Ländern dazu?)


Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zum
Wohnortprinzip erreichen wir, dass das Geld dorthin
fließt, wo die Menschen zu ihren Ärztinnen und Ärzten
gehen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber die Ärzte muss es auch geben!)


Das bedeutet nicht nur eine gerechtere Verteilung der Ho-
norare zwischen Ost und West, sondern beinhaltet auch
eine bessere patientengerechte Versorgung, weil in den
Vertragsverhandlungen vor Ort auf die jeweiligen Bedin-
gungen eingegangen werden kann und die spezifischen
gesundheitspolitischen Angebote berücksichtigt werden
können.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Kann damit die Einkommensschere geschlossen werden?)


Die Entscheidungen werden endlich dort getroffen, wo sie
getroffen werden müssen. Dass das schon lange hätte pas-
sieren müssen, ist eine andere Sache.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesministerin Ulla Schmidt

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(C)



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(B)


Herr Kollege Lohmann, unsere Vorlage bedeutet auch,
dass das zur Honorierung der Ärztinnen und Ärzte vor-
handene Finanzvolumen um mehr als 100 Millionen DM
angehoben wird.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zulasten der Westärzte!)


Angesichts der schwierigen Situation der Kassen ist dies
eine gewaltige Menge Geld. Im Moment ist nicht mehr
möglich.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie wollten die Schere enger machen!)


Sie wollen mit Ihrem Änderungsantrag die Honorar-
situation der Ärztinnen und Ärzte um 600 Millionen DM
anheben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: In zwei Jahren!)


Das ist nicht nur unseriös, sondern auch widersprüchlich:
Beitragssatzstabilität zu fordern und 600 Millionen DM
mehr für die Honorare von Ärztinnen und Ärzte auszuge-
ben, das passt nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was sagen Ihre Kollegen dazu? Primitiver geht es nicht mehr!)


– Rechnen Sie einmal nach, was Sie hier vorgelegt haben.

Deshalb wird es Zeit, hier zu handeln. Sie aber sollten
wissen, was Sie wollen. Entweder geht es Ihnen darum,
dass wir gemeinsam eine Gesundheitsreform machen, die
den Interessen der Patientinnen und Patienten dient


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dann brauchen wir ein Konzept von Ihnen!)


und die an dem orientiert ist, was kranke Menschen in un-
serem Lande eigentlich benötigen, oder aber es geht Ihnen
weiter nur darum, pure Opposition zu machen und – un-
abhängig davon, was von dem, was Sie fordern im Rah-
men der Gesundheitsreform aufgegriffen wird – Nein zu
sagen, wie auch immer Sie das begründen. Es wird Zeit,
dass Sie Ihre Blockadehaltung gegen eine Beitragsstabi-
lität und gegen eine optimale Versorgung von Patientin-
nen und Patienten aufgeben und dass Sie mitmachen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben doch die Mangelerscheinungen erzeugt!)


Ansonsten wünsche ich Ihnen, weil heute der letzte Sit-
zungstag ist, trotz allem und auch schon vom Präventi-
onsgedanken her eine schöne, erholsame Sommerpause.
Denn alle in diesem Hause haben sie, wie ich weiß, unab-
hängig von politischen Differenzen verdient.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nach der Rede haben wir bestimmt eine Erholung verdient!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418308700
Als
nächster Redner hat Herr Kollege Dr. Wolf Bauer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1418308800
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Wir haben heute drei wichtige
Gesetze zu verabschieden. Ich möchte gleich am Anfang
feststellen: Bei zwei dieser Gesetzesvorhaben haben Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, die Chance
verpasst, etwas Vernünftiges für die Versicherten in Ost
und West zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nun haben wir eben einen hochinteressanten Vortrag
gehört: Die wichtigste Gruppe sind die Patienten.


(Zuruf von der SPD)


– Ob Rede oder Vortrag, das ist mir doch wurschtegal!


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Nun frage ich Sie ernsthaft: Wenn Sie die Eigenverant-
wortung stärken wollen, wenn Sie die Versicherten mit-
gestalten lassen wollen, warum haben Sie dann die Kos-
tenerstattung abgeschafft,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlef Parr [F.D.P.]: Sehr richtig!)


warum haben Sie die Selbstbehalte abgeschafft, warum
haben Sie die Beitragsrückgewähr abgeschafft? Das sind
doch alles Elemente, die die SPD nicht will. Und dann
sagt die Ministerin in diesem Hause: Die wichtigste
Gruppe sind für uns die Patienten.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)


Das lässt sich noch weiter ausbreiten: Nehmen Sie die
Kassenwahlrechte! Die Neuregelung der Kassenwahl-
rechte ist doch nicht für die Versicherten gemacht! Das ist
rein deswegen geschehen, um einen Schutzzaun um die
Krankenkassen zu errichten!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist Sinn und Zweck dieser Verordnung.

Ich muss an dieser Stelle eines sagen: Wenn Sie wirk-
lich die Patienten als die wichtigste Gruppe ansehen, dann
lassen Sie doch die individuellen Bedürfnisse etwas mehr
in den Vordergrund treten. Das Kanzleramt hat es Ihnen
vorgemacht, wie das mit Wahlen und Wahlrechten geht.
Es gibt ja ein Papier, aber angeblich gibt es kein Papier.
Auf jeden Fall ist das die richtige Politik! Dann greifen
Sie es endlich auf und tun wenigstens das, was Ihnen Ihr
eigener Kanzler sagt.

Die Gesundheitsministerin sagt zu dem Ganzen, es
bestehe kein Handlungsbedarf. Ich glaube, sie ist davon
überzeugt, dass sie immer noch mit der Parole „bis zum
Wahltermin nur lächeln“ über die Runden kommt. Aber
diese Vogel-Strauß-Politik werden wir nicht akzep-
tieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir werden immer wieder ein Konzept von Ihnen fordern.
Wir lassen uns nicht sagen, wir müssten handeln. Nein,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Bundesministerin Ulla Schmidt

18113


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(D)



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(B)


Sie müssen handeln, Sie müssen das Konzept auf den
Tisch legen.


(Zuruf von der SPD: Das tun wir doch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418308900
Herr Kol-
lege Bauer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kirschner?


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1418309000
Immer, gern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418309100
Herr
Kirschner, bitte schön.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1418309200
Herr Kollege Bauer, habe
ich Sie richtig verstanden, dass Sie sagen, Sie setzen mehr
Eigenverantwortung des Patienten mit höherer Zuzahlung
gleich?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, das hat er nicht gesagt!)



Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1418309300
Ach, Herr Kirschner,
das ist ja eine wunderbare Frage! Wissen Sie, was Sie
gemacht haben? Sie haben ein Wahlversprechen ein-
gelöst und die Arzneimittelzuzahlung um eine Mark
reduziert. Was haben Sie damit erreicht? Rationierung,
Budgetierung! Jetzt bekommen die Leute nicht
mehr das, was sie brauchen. Jetzt müssen sie es selber
kaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlef Parr [F.D.P.]: So ist es!)


Das ist eine unsoziale Politik, die Sie betrieben haben. Sie
haben auf die Menschen mit geringen Einkommen über-
haupt keine Rücksicht genommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


Das kann es doch nicht sein, Herr Kollege Kirschner! Da
müssen wir uns schon etwas anderes einfallen lassen.

Ich möchte aber lieber das aufgreifen, was immer wie-
der durch dieses Haus geistert. Da ist die Rede von der
„Erblast“. Das ist ja etwas Wunderbares!


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Frau Ministerin, bitte zuhören!)


Wir haben in den gesetzlichen Krankenkassen 1997 und
1998 über 1 Milliarde DM Überschuss gehabt. In dem
Jahr davor haben wir 6 Milliarden DM Defizit abgebaut.
Und, Herr Kirschner – er hört gerade nicht zu –, falls die
Frage nach den Beitragssatzerhöhungen kommt: Es gab
eben keine Beitragssatzerhöhungen in dieser Zeit! Um
0,1 Prozentpunkte sind die Beiträge erhöht worden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, eben!)


Da können Sie doch nicht permanent von „Erblast“ spre-
chen!


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wolf, sprich jetzt mal zur Ministerin! Die hört es nicht!)


Wenn es hier eine Erblast gibt, dann ist das wirklich nur
ein Überschuss, den Sie abgewirtschaftet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ergebnis ist das, was uns jetzt vorliegt: Kosten-
erhöhung, Rationierung, Budgetierung und die Zweiklas-
senmedizin. Es ist traurig genug!


(Zuruf von der SPD: Das ist Ihre Politik gewesen!)


Aber das ist kein Wunder. Denn die Gesundheitspolitik
dieser Bundesregierung ist kopflos und chaotisch. Ein
Scherbenhaufen ist das Ergebnis.


(Zuruf von der SPD: Seehofer!)

– Ich komme ja noch darauf.

Das Schlimmste daran ist, dass Sie nicht über Ihren
Schatten springen können. Wenn Sie endlich zugeben
könnten, dass die Politik von Horst Seehofer gar nicht so
schlecht war, und auf seinen Erfahrungen aufbauen wür-
den, dann hätten wir die meisten Probleme vom Tisch,
und Sie hätten uns auf Ihrer Seite, wenn wir die neue Ge-
sundheitspolitik gestalten wollen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418309400
Herr Kol-
lege Bauer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidbauer?


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1418309500
Ja.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1418309600
Herr Kollege
Dr. Bauer, im Hinblick auf den 2-Milliarden-Überschuss,
den die Kassen beim Regierungswechsel angeblich hat-
ten, frage ich Sie: Haben Sie zur Kenntnis genommen,
dass 30 Prozent der Menschen, die in dem Jahr auf Zahn-
ersatz hofften, keinen Zahnersatz bekamen und dass ein
Mehrfaches dieser 2 Milliarden im Nachhinein ausge-
geben worden ist, weil von der Möglichkeit zum Zahn-
ersatz, den die Menschen aufgrund der Änderungen bei
der Kostenerstattung nicht in Anspruch genommen haben,
nachträglich Gebrauch gemacht worden ist, sodass aus
diesem Grunde gar nicht von einem Überschuss gespro-
chen werden kann?


Dr. Wolf Bauer (CDU):
Rede ID: ID1418309700
Herr Schmidbauer, ich
habe das selbstverständlich zur Kenntnis genommen.
Natürlich war das auch mit einigen unangenehmen Fol-
geerscheinungen verbunden. Aber ich sage Ihnen – glau-
ben Sie mir das; ich erinnere Sie noch einmal an das Pa-
pier Ihres Kanzlers –: Sie werden nichts anderes machen
können, wenn Sie aus dieser Misere herauskommen wol-
len. Es führt kein Weg daran vorbei.

Ich habe gesagt, dass wir uns über all diese Probleme
offen unterhalten können.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber erst mal ein Konzept vorlegen!)


Aber das Konzept muss auf den Tisch. Darauf warten wir
noch immer.

Ich wollte noch etwas zu den Krankenkassenwahl-
rechten sagen, weil wir das Sonderkündigungsrecht – das

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Wolf Bauer

18114


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(A)



(B)


war Ihre ursprüngliche Absicht; Sie haben das, nachdem
Sie es zunächst zurückgenommen haben, wieder einge-
führt – natürlich mittragen. Aber die Sofortregelung hal-
ten wir für eine Frechheit und die 18-monatige Kündi-
gungsfrist für äußerst verbraucherfeindlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe gesagt, dass Sie heute eine Chance vertan ha-
ben. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Wohn-
ortprinzip hinweisen. Dazu wird mein Kollege Ulf Fink
gleich Näheres sagen.

Ich möchte noch auf das Festbetrags-Anpassungs-
gesetz zu sprechen kommen. Die Koalitionsfraktionen
haben in letzter Minute einen Änderungsantrag einge-
bracht. Dadurch wird deutlich, dass sie eingesehen haben,
dass vor allem die Transparenz im Berechnungsverfahren
sichergestellt sein muss. Allerdings bleibt für mich immer
noch die Frage unbeantwortet, wie es kommt, dass der
zwischen pharmazeutischer Industrie und den Kranken-
kassen ausgearbeitete Kompromiss 650 Millionen DM
vorsah, dass es dann aber auf einmal wie durch ein Wun-
der 750 Millionen DM waren. Das muss noch erklärt
werden. Das hat auch etwas mit Transparenz zu tun.

Ich möchte Ihnen auch sagen, warum wir gegen dieses
Gesetz sind. Uns gefällt die Vorgehensweise einfach
nicht. Warum haben Sie es abgelehnt, den Bundesrat, un-
sere Bundesländer einzubeziehen? Es hätte dadurch nach-
weislich keine allzu große terminliche Verzögerung ge-
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Daher war es gar nicht nötig, die Bundesländer außen vor
zu lassen.

Ein Wort noch zu dem Entschließungsantrag von SPD
und Grünen: Zu begrüßen ist, dass beide Fraktionen
nachträglich einem von unserer Fraktion längst formu-
lierten Anliegen zustimmen, nämlich dass durch die
Orientierung an den Marktverhältnissen und die Fest-
betragsfreiheit für patentgeschützte Arzneimittel ein An-
reiz für die Entwicklung von Innovationen besteht.

Interessant ist allerdings, dass Sie zu der Erkenntnis
gekommen sind, dass das deutsche Gesundheitswesen
staatsfern ist und dass es bei diesem bewährten Zuschnitt
bleiben soll. Ich bitte wirklich darum, dass Sie diese Er-
kenntnis auch in praktische Politik umsetzen. Das wäre
das Vernünftigste, was man machen kann. Es nur da hi-
neinzuschreiben, das bringt nicht all zuviel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden dem Entschließungsantrag also zustim-
men, das Gesetz insgesamt allerdings ablehnen.

Da wir gerade bei Arzneimitteln sind, möchte ich zum
Schluss die Frage stellen, was der Unterschied zwischen
einem Placebo und der Gesundheitspolitik dieser Bun-
desregierung ist: Ein Placebo ist ein Arzneiträger ohne
Wirkstoff; die Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung
ist ein Politikträger ohne Wirkung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: War das ein Witz, den man vom Blatt ablesen muss? Lesen Sie in der Kneipe die Witze auch vom Blatt ab?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418309800
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Ich bin froh darüber, dass wir am letzten Tag vor
der Sommerpause eine Reihe von weiteren Reformschrit-
ten in der Gesundheitspolitik beschließen.

Wenn wir nachher abstimmen, dann werden Sie viel-
leicht am Abstimmungsprozedere merken, dass von
Untätigkeit wirklich keine Rede sein kann: Festbetrags-
Neuordnungsgesetz, Gesetz zu den Kassenwahlrechten,
Gesetz zum Wohnortprinzip, das alles sind Beiträge für
weitere Reformschritte in der Gesundheitspolitik.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Frau Künast würde sagen: Nicht die Menge, sondern die Qualität macht es!)


Ulla Schmidt hat diese Schritte hier vorgestellt.

Herr Bauer, ich habe auch nach Ihrer Rede immer noch
nicht verstanden, weshalb Sie Ihre Zustimmung gerade zu
den Festbeträgen – wir haben in der letzten Woche sehr
intensiv über die Beitragssätze bei den gesetzlichen Kran-
kenversicherungen gesprochen – verweigern. Es geht um
Einsparungen in Höhe von 750 Millionen DM. Sie müs-
sen sich wirklich fragen lassen, warum Sie diesem ver-
nünftigen Schritt zur Sicherung der Beitragssätze nicht
zustimmen und ausscheren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat er doch erklärt! Sie haben nicht zugehört!)


Zweiter Punkt: das Kassenwahlrecht. Es ist interes-
sant, dass sich jetzt ausgerechnet die Union zum Hort des
Verbraucherschutzes entwickelt hat. Wir sind darüber
natürlich sehr erfreut. Man muss aber genau betrachten,
wie dieses System organisiert ist. Natürlich gibt es die In-
teressen der Versicherten und der Patienten auf der einen
und die Verbraucherinteressen auf der anderen Seite. Ich
bin der festen Überzeugung, dass durch den Gesetz-
entwurf so, wie er heute vorliegt, ein vernünftiger Aus-
gleich zwischen beiden Seiten gelingt. Manchmal vertritt
auch eine Person beide Seiten. So ist zum Beispiel eine
Person gleichzeitig Versicherter und Verbraucher und ir-
gendwann vielleicht auch noch Patient. Hier geht es um
einen vernünftigen Ausgleich. Es geht um die längere
Bindung an die Kasse.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber doch nicht darum, ihnen rückwirkend das Recht zu nehmen!)


Es geht darum, dass die Kasse jederzeit gewechselt wer-
den kann, und um die Beibehaltung des Sonderkün-
digungsrechtes. Mit diesem vernünftigen Ausgleich ma-
chen wir einen Schritt nach vorn, auch in Richtung eines
Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen, den wir
für die nächsten sieben Jahre planen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Wolf Bauer

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(A)



(B)


Dritter Punkt: das Wohnortprinzip. Auch darüber ist
hier gesprochen worden. Natürlich hätten sich gerade die
ostdeutschen Abgeordneten sowohl bei der SPD als auch
in unseren Reihen einen finanziell größeren Ausgleich ge-
wünscht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da haben Sie Recht!)


Das ist unbestritten, da muss man sich auch nicht gegen-
seitig etwas vormachen. Aber Sie haben mit keinem Satz
gesagt, woher Sie die 600 Millionen DM nehmen wollen,
die Sie anbieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Genau das ist der Punkt!)


Das halte ich für unseriös. Sie machen Versprechen trotz
leerem Geldbeutel. Sie machen Versprechen, die am Ende
genau diejenigen bezahlen müssen, denen Sie etwas
schenken wollen, nämlich die Beitragszahler.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was ist denn mit dem Nordrhein-Westfalen-Vorschlag?)


Da können wir nicht mitmachen. Da können wir nur einen
Kompromiss schließen, so schwer er uns in diesem Fall
auch fällt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da wird nichts verschenkt, da wird nur versucht, für gleiche Arbeit gleiches Geld zu bieten, mehr nicht!)


Von Untätigkeit kann also keine Rede sein.
Nun reden aber alle und insbesondere Sie davon, dass

wir jetzt eine große Gesundheitsreform brauchen. Dazu
möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen: Ich glaube, dass es
ganz wichtig ist, zunächst einmal das, was wir haben,
nämlich die Gesundheitsreform 2000, weiter umzu-
setzen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bitte nicht! Das ist doch eine Katastrophe!)


Es gibt tatsächlich noch viele Dinge, die umgesetzt wer-
den müssen. Alle reden davon, dass wir eine bessere Zu-
sammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Be-
handlung brauchen. Alle finden das vernünftig. Wir
wissen natürlich auch, dass dies Einsparmöglichkeiten
bringt, weil eine doppelte Behandlung verhindert und
echte Zusammenarbeit gewährleistet wird. Hieran müs-
sen wir intensiv weiterarbeiten. Es muss dazu kommen,
dass diese Reform tatsächlich umgesetzt wird.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das sind alles Drohungen!)


Ein weiterer Punkt, den ich Ihnen auch heute nicht er-
sparen kann, ist der Krankenhausbereich. Sie haben die
Reform im Krankenhausbereich, die wir angehen woll-
ten, im Bundesrat bewusst blockiert, haben dafür gesorgt,
dass hinsichtlich des größten Postens, der im Gesund-
heitssystem ausgegeben wird – 84 Milliarden DM –, eben
keine oder nur sehr kleine Reformen stattfinden können.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir waren gegen die globalen Budgets, wie wir gegen alle Budgets sind! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das war doch eine Katastrophe! Der ganze Bundesrat war dagegen! Das war ein 16:0-Verhältnis!)


Es gibt nur eines, was Sie zu den Themen Kassen-
wahlrechte, Festbeträge und Gesundheitsreform beige-
tragen haben, nämlich Blockade. Die Regierung handelt,
die Opposition blockiert. Es gibt also nichts Neues, auch
nicht unter der Sommersonne.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie war denn das Verhältnis im Bundesrat? 16:0!)


Nun haben Sie von der Union hier monatelang nächste
große Reformschritte verlangt und uns ein Papier vorge-
legt. Darin ging es um Wahl- und Pflichtleistungen.
Herr Bauer hat eben noch einmal deutlich gemacht, dass
er das für einen guten Vorschlag hält. Heute vernehmen
wir nun mit Erstaunen: Kommando zurück, es war alles
nicht so gemeint. Ergebnis: Die Union fordert eine große
Gesundheitsreform,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Heute? Seit Monaten! – Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Und keine Wahlund Pflichtleistungen!)


aber irgendeine Vorstellung darüber, wie sie aussehen
könnte, existiert nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Regierungssache!)


Interessant sind auch die Gründe dafür: Horst Seehofer
hat heute Morgen gesagt, er halte ein System von Wahl-
und Grundleistungen für nicht durchsetzbar.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Aha!)


Herr Lohmann, jetzt hören Sie einmal zu, wenn ich Ihnen
sage, welches die Gründe dafür sind. Ich finde das ziem-
lich interessant. Die Gründe dafür sind nämlich nicht etwa
mögliche Abgrenzungsprobleme, beispielsweise zwi-
schen sinnvollen Sportarten und Risikosportarten. Der
Grund dafür ist auch nicht, dass wir eine Zweiklassenme-
dizin bekommen. Wir wissen ja, dass es dann in der Re-
gel die Ärmsten treffen wird. Der Grund dafür ist ganz
einfach; Herr Seehofer spricht es aus:

Sie stoßen sofort auf den Widerstand der Lobby im
Gesundheitswesen



(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Hört! Hört!)


Ich finde, damit haben Sie die Katze aus dem Sack gelas-
sen, worum es Ihnen in der Gesundheitspolitik eigentlich
geht: Es geht Ihnen offensichtlich um die Lobby im Ge-
sundheitswesen. Ich finde gut, dass wir und auch die
Wählerinnen und Wähler das jetzt wissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier sind Sie jetzt auf besondere Art und Weise entlarvt
worden – das erinnert uns auch gleich wieder an die Zeit,
als Sie die Regierung stellten –: Es geht Ihnen nämlich
nicht um Versicherte und Patienten. Ich halte es für ganz
zentral, dass die Gesundheitsministerin nach der Debatte,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Katrin Göring-Eckardt

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(C)



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die wir in den letzten Tagen hatten, hier noch einmal dar-
gestellt hat, dass es Ihnen nicht um die Versicherten und
Patienten geht, sondern um die Lobby von Pharmaindus-
trie und Ärzteschaft.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Ach so?)


Das wird mit uns nicht zu machen sein. Diese Regierung
stellt die Versicherten und die Patienten in den Mittel-
punkt. Dabei bleibt es nach den Äußerungen von heute
auch noch lange.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem sollten wir uns die reale Situation anschauen.
Ein Beispiel sind die Arzneimittelausgaben. Die GKV
gibt heute 34 Milliarden DM für Arzneimittel aus. Versi-
cherte und Patienten legen aus ihrer eigenen Tasche und
aus guten Gründen noch einmal 15 Milliarden DM drauf;
so viel bringen die Haushalte in der Bundesrepublik auf.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Bei denen, die nicht mehr verordnet werden, müssen sie inzwischen voll bezahlen!)


Hier entscheiden Versicherte und Patienten längst, dass sie
für ihre eigene Gesundheit auch aus dem eigenen Porte-
monnaie etwas bezahlen wollen. Genau deshalb müssen wir


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ihnen die Chance geben!)


über den Leistungskatalog reden. Es geht nicht um eine
Unterscheidung in Wahl- und Pflichtleistungen, aber es
muss natürlich die Frage gestellt werden, was vom Alten
bewährt ist und wo es Neues gibt, was Altes ersetzen
kann,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Hört! Hört!)


für das nicht immer nur mehr bezahlt werden muss.

Bei einer so gearteten Wahlfreiheit geht es aus meiner
Sicht um zwei Dinge: Es besteht zum einen die Notwen-
digkeit, dass für die Versicherten das System und vor al-
len Dingen für die Patientinnen und Patienten die Art und
Weise der Behandlung transparenter wird. Das fließt auch
in den zweiten Punkt ein. Patientinnen und Patienten müs-
sen wissen, was los ist und welche Möglichkeiten es gibt.
Deshalb brauchen wir eine qualifizierte, kompetente und
unabhängige Patientenberatung, wie wir sie mit der Ge-
sundheitsreform angestoßen haben. Außerdem muss sie
flächendeckend vorhanden sein.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Sie müssen ihnen die Chance dazu geben!)


Zum anderen muss endlich allen Patientinnen und Pa-
tienten eine Behandlungsquittung ausgestellt werden.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Das reicht doch nicht!)

Wahlfreiheit heißt dann nicht, medizinisch Notwendiges
zu versagen, wie Sie es bis gestern ja vorgeschlagen ha-
ben – wir wissen, es würde die Ärmeren unter den Pati-
enten treffen –, sondern heißt, die Souveränität der Versi-
cherten und Patienten zu erhöhen. Eigenbeteiligung geht
dann nicht mit neuen Zuzahlungen einher, sondern ver-

langt eigene Entscheidungen. Das ist ein qualitativer
Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sagen wir auch! Aber Sie unterstellen das Gegenteil!)


Wenn wir weitere Reformen, die im System notwendig
sind, auf den Weg gebracht haben, müssen wir auch über
die Einnahmeseite sprechen. Da bin ich mir ganz sicher.
Wir können aber nicht den zweiten Schritt vor dem ersten
tun. Erst müssen durch Reformen die Einsparmöglich-
keiten im System genutzt werden, bevor wir über die
Frage reden können, ob wir dem System mehr Geld zur
Verfügung stellen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nicht nacheinander! Gleichzeitig!)


Wir werden da natürlich über die Beitragsbemessungs-
grenze und über die versicherungsfremden Leistungen zu
sprechen haben, die wir bei der Rente schon aus der soli-
darischen Versicherung herausgenommen haben.

Abschließend lassen Sie mich noch zwei Dinge sagen:

(Ulf Fink [CDU/CSU]: Lassen Sie uns einmal darüber reden!)

Ja, weitere Reformschritte sind nötig. Wir sind auf dem
Weg. Es bleibt ein zentrales Projekt dieser Regierung,
dass die Krankenkassenbeiträge nicht weiter ansteigen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Steht in der Regierungserklärung! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sie sind aber schon kräftig gestiegen und werden weiter steigen!)


Hören Sie, insbesondere Herr Bauer, mit einer Ver-
unsicherungsstrategie auf, wenn Sie kein eigenes Konzept
haben. Von der F.D.P. haben wir das nicht anders erwar-
tet. Inzwischen wissen wir aber, dass es das auch bei der
Union nicht gibt. Die Gesundheitspolitik ist bei Rot-Grün
in guten Händen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: In drei Jahren haben Sie größere Beitragssteigerungen als wir in zehn Jahren!)


Wir stellen eine Lobby für Versicherte und Patienten dar.
So soll es auch bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418309900
Als
nächster Redner hat der Kollege Detlef Parr von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1418310000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Frau Göring-Eckardt, deswegen ist auch
schon eine Ministerin gegangen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Parlamentarische Abende, meine Damen und Herren,
haben ja oft etwas Erhellendes an sich. Der Verband For-
schender Arzneimittelhersteller hatte sein Sommerfest

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Katrin Göring-Eckardt

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(A)



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unter das Motto „Wir nehmen unsere Dichter ernst“ ge-
stellt und sich damit auf ein Zitat Lessings bezogen. Er
hätte sich vielleicht auch an ein Wort des Dichters meiner
Heimatstadt Düsseldorf, Heinrich Heine, erinnern und in
aktueller Verfremdung formulieren können: Denk ich an
Deutschlands Gesundheitspolitik in der Nacht, dann bin
ich um den Schlaf gebracht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Der Präsident dieses Verbandes, Patrick Schwarz-
Schütte, ist nicht so weit gegangen. Er hat aber in seinem
Grußwort eine innovative Therapie für die Gesundheits-
politik gefordert. Eine innovative Therapie bedarf nach
meiner Überzeugung grundsätzlich eines ganzheitlichen
Ansatzes. Der Tagesordnungspunkt, den wir gerade bera-
ten, beweist jedoch genau das Gegenteil: Wir diskutieren
über Versatzstücke; der ganzheitliche Ansatz fehlt. Es
gibt kein schlüssiges Gesamtkonzept dieser Bundesre-
gierung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Im Schnellschussverfahren wird ein Gesetz nach dem an-
deren über die Bühne gebracht, ohne dass ordnungspoli-
tisch erkennbar wäre, wohin die Reise gehen soll.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beispiel eins. Das Gesetz zur Neuregelung der Kran-
kenkassenwahlrechte ist und bleibt ein Gesetz zur Be-
hinderung der Wahlfreiheiten für die Versicherten: kein
Sonderkündigungsrecht bei Beitragssatzerhöhungen in
diesem Jahr, eine überzogene Bindung an die Kranken-
kasse von 18 Monaten, also eineinhalb Jahren,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)


und die nächste Ausstiegsmöglichkeit nicht, wie bisher,
zum 1. Januar des nächsten Jahres, sondern erst drei Mo-
nate später. Das kritisieren zu Recht auch die Verbrau-
cherverbände. Das ist gelebte Missachtung der Verbrau-
cherrechte.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wir reden über Patienten und Versicherte und nicht über Verbraucher!)


Beispiel zwei. Beim Wohnortprinzip bietet sich das
gleiche Bild des gut Gemeinten, aber nicht gut Gemach-
ten. Die F.D.P. hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, Frau
Fuchs, der in der Fachwelt hohe Anerkennung gefunden
hat. Wir wollen den Fremdkassenausgleich wieder auf
seinen ursprünglichen Zweck reduzieren, für Patienten,
die ausnahmsweise außerhalb ihres Lebensbereiches ei-
nen Arzt aufsuchen müssen. Wir wollen die Vergütung
im ärztlichen Bereich – jetzt müssen Sie ganz genau zuhö-
ren, Frau Schmidt-Zadel – auf feste Punktwerte umstel-
len und damit endlich Planungssicherheit im System
schaffen.


(Beifall bei der F.D.P.)


Wie jeder andere Freiberufler auch muss ein Arzt doch vor
seiner Leistung, also vor der Behandlung eines Patienten,

wissen, was er dafür in D-Mark oder Euro erhält. Das ist
heute nicht der Fall.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir wollen gezielt in Stufen von drei Jahren die ärztli-

che Vergütung im Osten verbessern, ohne dass die Ärz-
tinnen und Ärzte im Westen zusätzlich belastet werden.
Ich frage mich: Warum können Sie sich eigentlich nicht
überwinden, diesen Eckpunkten zuzustimmen, statt skla-
visch an Ihrem Entwurf festzuhalten?


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Es kann Ihnen doch nicht gleichgültig sein, dass sich die
ohnehin großen Probleme bei der Gesundheitsversorgung
in den neuen Bundesländern deutlich verschärfen. Schon
heute ist es in einigen ländlichen Gebieten nahezu un-
möglich, frei werdende Vertragsarztsitze neu zu besetzen.
Das ist, so denke ich, eine nicht hinnehmbare Entwick-
lung. Wir schulden der Bevölkerung dort eine ange-
messene flächendeckende Versorgung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beispiel drei: das Festbetrags-Anpassungsgesetz. Wir
hätten angesichts der Rechtslage schon ganz gerne ge-
wusst, wie sich diese Bundesregierung langfristig die Zu-
kunft der Festbeträge vorstellt. Stattdessen werden wir
in einem blumigen Entschließungsantrag über die angeb-
lichen Vorteile eines solchen Instrumentes belehrt. Nicht
einmal die Übergangslösung ist sonderlich gelungen:
Dem ursprünglichen Kompromiss zwischen der Pharma-
industrie und den Spitzenverbänden der Krankenkassen
mit einem Einsparvolumen von 650 Millionen DM stehen
jetzt 750 Millionen DM gegenüber.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Schönrechnerei!)

Ich habe schon in der Anhörung eine Frage dazu gestellt;
denn wir wussten, dass es nicht bei dem ursprünglichen
Betrag bleiben, sondern dass sich dieser erhöhen würde.
Vielleicht ist die Differenz für diese Bundesregierung an-
gesichts der zu erwartenden Haushaltslöcher eine zu ver-
nachlässigende Größe; für die betroffenen Unternehmen
ist eine Abweichung von immerhin gut 15 Prozent nicht
unerheblich.

Was noch wesentlich problematischer ist: Arzneimit-
tel – zum Beispiel zur Behandlung von Depressionen;
man könnte auch andere Beispiele nennen – werden
zukünftig nicht mehr in ausreichender Anzahl zum Fest-
betrag zu haben sein. Das bedeutet: Die Patienten zahlen
die Differenz aus eigener Tasche, und das bei Arzneimit-
teln, die nicht einmal die Damen und Herren der Koalition
als umstritten einordnen würden.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das stimmt nicht!)


Das ist wieder ein Beispiel dafür, dass zwar von Patien-
tenschutz geredet wird; gehandelt wird aber gegen die In-
teressen der Patienten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zu einem ganz heiklen Punkt kom-
men, der in Ihnen immer noch Hoffnungen schürt und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Detlef Parr

18118


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(D)



(A)



(B)


von dem Sie glauben, das sei das Heil der Welt: die
Positivliste. Wir haben heute einen Antrag eingebracht,
in dem wir verdeutlicht haben, warum sich diese Hoff-
nungen überhaupt nicht erfüllen können. Die Positivlis-
te ist im Hinblick auf die bald abgeschlossenen Nach-
zulassungsverfahren beim Institut für Arzneimittel und
Medizinprodukte auch bezüglich der Qualitätsüberle-
gungen vollkommen überflüssig. Sie stellt für die
Arzneimittelforschung und die Innovation neuer Pro-
dukte eine eklatante Gefährdung dar. Eine zweite Zu-
lassungshürde ist nicht akzeptabel, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Positivliste verursacht einen immensen bürokra-
tischen Aufwand, dem kein entsprechender Nutzen ge-
genübersteht. – Ihnen macht es aber wahrscheinlich noch
Spaß, in Ihren Gesetzentwürfen einen solchen Aufwand
immer wieder zu provozieren. – Sie gefährdet die Thera-
piefreiheit im Bereich der Arzneimittel und belastet das
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Sie führt
zu sozialen Härten, weil ausgegrenzte Arzneimittel von
den Patienten zu 100 Prozent aus der eigenen Tasche be-
zahlt werden müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das soll gerecht sein?!)


– Das ist soziale Gerechtigkeit à la Rot-Grün.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Sie führt nicht zu den erwarteten Einsparungen im Arz-
neimittelbereich. Immer noch träumen Sie davon, Sie
könnten die Positivliste einsetzen, um im System Ein-
sparungen zu erzielen. Das ist ein Irrtum. Sie brauchen
nur über die Grenzen zu schauen: Es gibt nirgendwo den
Beweis dafür, dass eine Positivliste zu Einsparungen
führt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418310100
Herr Kol-
lege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kirschner?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1418310200
Gerne, Herr Präsident.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418310300
Herr
Kirschner.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1418310400
Herr Kollege Parr, sind Sie
mit mir der Meinung,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wahrscheinlich nicht!)


dass nach wie vor das Parlament zuständig ist, um Gesetze
aufzuheben, und könnten Sie dem Parlament einmal er-
klären, was die entsprechende Formulierung in Ihrem An-
trag bedeutet? Es heißt dort nämlich:

Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert,
§ 33 a SGB V in der Fassung vom 22.12.1999 auf-
zuheben, ...

Heißt dies, dass Sie das Parlament in Urlaub schicken
wollen, wenn es um die Änderung von Gesetzen geht?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1418310500
Herr Kollege Kirschner, nobody
is perfect. Sie haben unseren Antrag sehr genau gelesen;
das freut mich. Noch wichtiger wäre mir allerdings, dass
Sie aus seinem Inhalt mehr lernten, als dass Sie auf diesen
formalen Fehler hinweisen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine letzte Bemerkung mache ich zu den weiteren Ein-
schränkungen bei Naturheilmitteln. Es besteht über-
haupt kein Zweifel, dass die Nachfrage nach Naturheil-
mitteln immer weiter steigt. Auch das wird durch die
Positivliste infrage gestellt. Sie regulieren diesen Markt
sozusagen fast schon weg.

Deswegen fordere ich Sie auf, dafür zu sorgen, dass
diese Positivliste nicht das Licht der Welt erblickt, übri-
gens auch die Vorbereitungsliste nicht, die das Arznei-
mittelinstitut jetzt herausbringen will, damit wir nicht auf
diesem Schleichwege de facto eine Positivliste einführen.
Wir wollen keine Listenmedizin nach willkürlichen Ent-
scheidungen und mit gängelnder Wirkung, sondern wir
wollen die Therapiefreiheit und die Freiheit der Entschei-
dung von Arzt und Patient in der Praxis erhalten.

Abschließend bitte ich im Namen des Berichterstatters
Dr. Dieter Thomae, noch Folgendes zur Kenntnis zu neh-
men: In dem Antrag der CDU/CSU zum Wohnortprinzip
ist versäumt worden, in die Einführungsklausel den Pas-
sus „Nichtzustimmung des Bundesrates“ aufzunehmen.
Das sollte bitte noch geändert werden. Wie gesagt, Herr
Kirschner, nobody is perfect. Aber wir arbeiten inhaltlich
zusammen und hoffentlich auch gemeinsam zum Nutzen
der Patientinnen und Patienten.


(Heiterkeit bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber jetzt keine Heiratsanträge!)


Bei diesem Ziel sind wir immer gerne bereit, mit Ihnen
zusammenzuarbeiten. Ich bin einmal gespannt, wann Sie
das verstehen, was wir Ihnen hier vorgetragen haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der F.D.P. – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das war aber ein Angebot!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418310600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der PDS-Frak-
tion.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1418310700
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Eigentlich ist es fast eine Zumutung, in fünf
Minuten zu drei Gesetzentwürfen reden zu müssen, die
nicht unwesentlichen Einfluss auf das Funktionieren der
gesetzlichen Krankenversicherung haben. Ich muss es
gleichwohl tun und beginne mit einem Gesetz, das für uns
als PDS am einfachsten ist, nämlich mit dem Gesetz zur
Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Detlef Parr

18119


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Vorgriff auf die dringend notwendige Reform des
RSA ist es das Ziel dieses Gesetzentwurfes, den immer
mehr zunehmenden Entsolidarisierungsprozess in der
GKV zu stoppen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wahlrechte waren nie eure Stärke! Mit Freiheiten hattet ihr schon immer Probleme!)


Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU/
CSU und F.D.P., dazu eine ganz andere Meinung haben:
Für uns hat das Solidarprinzip in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung oberste Priorität.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer dieses Prinzip wirklich erhalten will, darf in diesem
Fall das Recht des Einzelnen nicht höher bewerten. Pro-
fessor Pfaff hat das bereits zum Ausdruck gebracht: Es ist
eine klare Güterabwägung, der wir uns stellen. Wir wer-
den diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Mit dem Festbetrags-Anpassungsgesetz ist es etwas
komplizierter. Richtig ist, dass die Ministerin zügig ge-
handelt und die Festbeträge auf eine andere Rechtsgrund-
lage gestellt hat. Damit werden auch in den folgenden Jah-
ren Einsparungen bei Arzneimitteln möglich.

Es bleibt kritisch festzuhalten, dass die als Kompro-
miss ausgehandelten 650 Millionen DM deutlich hinter
dem zurückbleiben, was die Krankenkassen zu Recht for-
derten. Nach genauer Berechnung hat man festgestellt,
dass doch noch irgendwie 100 Millionen DM eingespart
werden können. Für die Kassen war das ein Trost, wenn
auch ein kleiner; für die Pharmaindustrie mit ihren Milli-
ardenumsätzen waren es eigentlich Peanuts.

Doch verlorene Peanuts sind für die Pharmaindustrie
anscheinend verlorene Macht. Drohungen ihrerseits, wie-
der Probleme zu bereiten, wenn nicht zum vereinbarten
Betrag zurückgekehrt wird, taten leider ihre Wirkung. In
dieser Auseinandersetzung, werte Frau Kollegin Göring-
Eckardt, hat auch die Regierung nicht gerade Stärke ge-
zeigt. Nur so ist es für uns erklärbar, dass es offenbar zu
den künftigen Optionen gehört, die Festbetragsregelung
generell infrage zu stellen. Wir hoffen, dass das niemals
der Fall sein wird.

Für den ausgehandelten Kompromiss kann die Regie-
rung unsere Zustimmung jedenfalls nicht erwarten. Auch
wenn der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen
hinsichtlich seiner Grundaussagen von uns begrüßt wird,
fehlt eine klare Feststellung, dass die Festbetragsregelung
erhalten bleibt. Wir werden uns bei der Abstimmung da-
rüber der Stimme enthalten.

Ich komme nun zu dem Gesetzentwurf zur Einführung
des Wohnortprinzips. Auch wenn das Wohnortprinzip nur
noch für die so genannten Erstreckungskassen einge-
führt wird, bleibt es ein Schritt in die richtige Richtung.
Insbesondere in Ostdeutschland bringt es für viele Ärzte
nicht nur mehr Honorargerechtigkeit – und um Honorar-
gerechtigkeit geht es –, sondern auch geringfügige Ein-
nahmeverbesserungen.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Aber sehr geringfügige!)


Doch darum allein geht es nicht. Es geht um die
prekäre Situation im ambulanten Sektor. Eine Verbesse-
rung dieses Zustandes erreicht Ihr Gesetzentwurf leider
auch nicht. Umso unverständlicher ist, dass die Koaliti-
onsfraktionen diese minimalen Anhebungen und Verbes-
serungen mit ihren Änderungsanträgen noch verwässern.
Sie bleiben damit weit hinter den Vorschlägen des Bun-
desrates zurück. Dieser Vorgang zeugt unserer Meinung
nach von unglaublicher Ignoranz gegenüber der Entwick-
lung der medizinischen Versorgung in Ostdeutschland.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Ich frage mich, wie die Regierung das gegenüber den Ärz-
ten und vor allem, Frau Ministerin, vor den Menschen
dort vertreten will.


(Ulla Schmidt, Bundesministerin: Das kann ich vertreten!)


Folgende Forderungen müssen unseres Erachtens un-
bedingt erfüllt werden – sie sind Inhalt unserer Ände-
rungsanträge –:

Erstens. Wenn die Kopfpauschalen schon, wie das
jetzt vorgesehen ist, weiterhin getrennt nach Ost und West
ermittelt werden, dann ist eine gesetzliche Mindestsiche-
rung des Vergütungsniveaus in den neuen Ländern uner-
lässlich. Darauf zielt unser erster Änderungsantrag.

Zweitens. Mit der Regelung zum Wohnortprinzip muss
der Gesetzgeber den Vertragspartnern in der Selbstver-
waltung neue Spielräume eröffnen. Dabei geht es darum,
ihnen eine weiter gehende schrittweise Anhebung der Ge-
samtvergütung für die Ärzte in Ostdeutschland zu ermög-
lichen. Ein wirklich realistischer Maßstab dafür kann die
Relation sein, die bei der BAT-Regelung für angestellte
Ärzte gegenwärtig erreicht wird.

Mit dem zweiten und dritten Änderungsantrag schla-
gen wir vor, dass unterdurchschnittliche Kopfpauschalen
mindestens auf das durchschnittliche Vergütungsniveau
der jeweiligen Kassenart im Osten angehoben werden.


(Beifall bei der PDS)


Zugleich ermöglichen wir eine Anhebung der Gesamtver-
gütung in den Jahren 2002 und 2003 um jeweils bis zu
3 Prozentpunkte. Unsere Vorschläge sind keine Fantasie-
gebilde und nicht unseriös; denn sie knüpfen an Be-
schlüsse des Bundesrates an. Noch wird dem Bundesrat
wohl nicht unterstellt, dass er PDS-Politik betreibt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wird hoffentlich auch noch lange auf sich warten lassen! – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Nie!)


Meine Damen und Herren von der Koalition und in der
Regierung, Sie sollten das, was dort gesagt wurde, ernst
nehmen. Auch wenn unsere Vorschläge einen kleinen
Schritt weitergehen, so halten wir ihre Umsetzung für un-
bedingt notwendig, um die Gefährdung der medizini-
schen Versorgung der Bevölkerung in Ostdeutschland ab-
zuwenden. Das ist unser Hauptziel.

Im Interesse der medizinischen Versorgung der Bevöl-
kerung bitten wir Sie, unseren Anträgen zuzustimmen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Ruth Fuchs

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie das tun, werden wir auch dem Gesetz zur Ein-
führung des Wohnortprinzips zustimmen; anderenfalls
müssen wir uns der Stimme enthalten, auch wenn dieses
Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung ist. Sie werden
sich diesen Problemen in den neuen Bundesländern ir-
gendwann stellen müssen. Ich hoffe in diesem Zusam-
menhang auf die Kraft des Bundesrates.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418310800
Das Wort
hat nun die bayerische Staatsministerin für Arbeit und So-
zialordnung, Familie und Frauen, Christa Stewens.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418310900
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich
mit einem Bild anfangen: Was hat die Gesundheitspolitik
der Bundesregierung mit einem Formel-1-Rennen ge-
meinsam?


(Detlef Parr [F.D.P.]: Jetzt wird es spannend! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wahrscheinlich nicht viel!)


Zu stark auf die Bremse zu treten bedeutet in beiden Fäl-
len, aus der Kurve zu fliegen, vielleicht sogar mit schwe-
ren Blessuren. Die Bundesregierung ist mit ihrer plan-
wirtschaftlichen Gesundheitspolitik


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zurufe von der SPD: Oh!)


relativ unsanft im Aus gelandet. Insbesondere die Budge-
tierungspolitik war nach meiner Auffassung ein völlig
untauglicher Bremsversuch.


(Detlef Parr [F.D.P.]: So ist es!)


Die Versicherten haben häufig nicht einmal die notwen-
digen Arzneimittel erhalten. Innovative Arzneimittel ver-
schwanden aus Kostendruck ohnedies von den Rezept-
blöcken der Ärzte.


(Beifall des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU])


Zwangsläufige Folge der Budgetierungspolitik war
eine zunehmende Unterversorgung der Versicherten, ob-
wohl die Patienten im Vordergrund stehen sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies hat die Bundesregierung letztendlich zugegeben,
und zwar öffentlich in Form eines Gesetzes. Das ist mit
Sicherheit eine respektable Art der Selbstkritik. Mit der
Aufhebung des Arzneimittelbudgets hat die Bundesre-
gierung leider Gottes nur teilweise den Fuß von der plan-
wirtschaftlichen Bremse genommen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Planwirtschaft hat doch Herr Seehofer eingeführt! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber, Frau Schmidt-Zadel, Sie waren doch dabei! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sie haben dem Gesetz doch zugestimmt!)


Dadurch aber wird der medizinische Bedarf der Patienten
offensichtlich. Steigende Arzneimittelausgaben sind

zwangsläufig die Folge dieses Nachholprozesses. Ich
halte es schlichtweg für unseriös, diese Kostensteigerung
ausschließlich den Ärzten anzulasten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Damit Sie mich richtig verstehen: Ich habe nichts ge-

gen gezielte und gesicherte Bremsvorgänge, soweit sie
denn notwendig sind. So hätte beispielsweise das Fest-
betrags-Anpassungsgesetz durchaus die Zustimmung
Bayerns finden können, Frau Schmidt. Allerdings halte
ich es für völlig verfehlt, die Länder außen vor zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies gilt vor allen Dingen angesichts der wirtschaftlichen
Bedeutung einer Rechtsverordnung zur Festlegung der
Festbeträge. Aus diesem Grunde wird Bayern das Fest-
betrags-Anpassungsgesetz nicht mittragen.

Was ist wirklich notwendig, um in der Gesundheits-
politik den richtigen Kurs zu steuern?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418311000
Frau
Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidbauer?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418311100
Nein.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Eine umfassende Strukturreform in der gesetzlichen
Krankenversicherung wäre exakt die richtige Antwort auf
die bisherigen Fehlgriffe. Verschiebebahnhöfe müssen
rückgängig gemacht werden. Ich denke zum Beispiel an
die Belastung der Krankenkassen durch Änderungen bei
der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversiche-
rung. Die Budgetierung muss auch bei den Leistungser-
bringern abgeschafft und die zu starke finanzielle Belas-
tung der Westkassen zurückgefahren werden.

Doch das Stückwerk geht einfach weiter. Das Gesetz
zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte greift le-
diglich Randaspekte aus einer dringend notwendigen Re-
form zur Neugestaltung des Risikostrukturausgleichs
heraus. Diese wenigen Aspekte sind leider Gottes noch
unausgegoren. So können wir insbesondere die über-
fallartige Streichung des diesjährigen Kündigungstermins
nicht mittragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Risikopool in Höhe von 40 000 DM: Letztendlich

werden dann die Kosten in den stationären Bereich ver-
schoben.DamithabenwirwiedereinenVerschiebebahnhof.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Von Experten in der Anhörung eindrucksvoll bestätigt!)


Ich wiederhole: Eine politisch glaubwürdige Reform er-
fordert eine Gesamtkonzeption für eine Strukturreform.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Das hat Ihnen Herr Zöller aufgeschrieben!)


Bruchstückhafte Einzelgesetze haben im Stil einer
Salamitaktik das Ziel, eine politische Diskussion um Ge-
samtkonzepte zu verhindern und die eigentlichen politi-
schen Ziele zu verschleiern.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Ruth Fuchs

18121


(C)



(D)



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Es gibt viele Probleme, die dringend gelöst werden
müssen und die ein Gesamtkonzept in der Gesundheits-
politik erforderlich machen. Das Bundeskanzleramt hat
in seinem Arbeitspapier eine ganz realistische Analyse
der Situation der gesetzlichen Krankenversicherung
vorgelegt. Es geht davon aus, dass ohne durchgreifende
Reformen in absehbarer Zeit mit Beitragssätzen von 20
bis 24 Prozent, langfristig – man höre und staune – so-
gar mit einem Beitragssatz von 31 Prozent zu rechnen
ist. Danach sind mindestens ein Drittel oder sogar
50 Prozent der Leistungen der GKV mit den jetzigen
Beitragssätzen – jedenfalls längerfristig – nicht mehr zu
finanzieren.

Die gegenwärtige Finanzlage der Krankenkassen ist
also desolat. Zahlreiche Ortskrankenkassen mussten be-
reits in diesem Jahr ihre Beitragssätze anheben. Auch die
großen Ersatzkassen werden die finanzielle Durststrecke
– wir alle wissen das – nicht mehr länger durchhalten
können. Die Unzufriedenheit bei den Leistungserbrin-
gern wächst. Die Versicherten und die Patienten, Frau
Kollegin Schmidt, werden zu Zuschauern degradiert.
Die hehren Worte der Bundesregierung zur Gesund-
heitspolitik entpuppen sich letztendlich als Sprech-
blasen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Deshalb fordere ich die Bundesregierung an dieser
Stelle auf: Machen Sie mit ihren verbremsten Auf-
wärmrunden Schluss! Die Zuschauer wollen den Start
für eine echte Gesundheitsreform sehen, für eine Re-
form, die die Versicherten stärkt, sie aber auch stärker
in die Verantwortung nimmt, die die Leistungserbringer
fordert und die die Krankenkassen entlastet. Entschei-
dend für eine solch grundlegende Reform sind fünf
Eckpunkte – eigentlich sind es noch mehr; aber mit
Rücksicht auf meine Redezeit möchte ich nicht mehr
nennen –:

Erstens. Die Eigenverantwortung der Bürger ist zu
stärken. Ein diesbezüglicher Bewusstseinswandel ist zu
unterstützen. Dafür können positive und negative Anreize
gesetzt werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418311200
Frau
Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? – Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Wenn Sie weiter sprechen wollen
– das dürfen Sie –, dann geht das auf Kosten der Redezeit
Ihres Kollegen Ulf Fink.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1418311300
Ich
werde die übrigen Punkte nur kurz anreißen.

Zweitens. Verantwortlichkeiten liegen auch bei den
Leistungserbringern. Auch hier sind weitere Effizienz-
steigerungen und Qualitätsverbesserungen möglich.

Drittens. Die Systeme der Krankenversicherung sind
zu regionalisieren und in selbststeuernde Systeme umzu-
wandeln.

Viertens. Die dezentralen marktwirtschaftlichen Ele-
mente im Gesundheitswesen sind zu stärken. Das jetzige
Gesundheitssystem ist zu zentralistisch, undurchschaubar

und zu bürokratisch. Es ist schlicht und einfach über-
reglementiert. Man kann viele Regelungen abschaffen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Lesen Sie einmal im Ahlener Programm! Ich kenne es auswendig!)


Fünftens. Der Risikostrukturausgleich ist unverzüglich
auf andere Beine zu stellen. Der Finanzausgleich der
Krankenkassen darf nicht zementiert oder sogar verkom-
pliziert werden.

Nur mit einer an diesen Eckpunkten orientierten Ge-
sundheitsreform lässt sich die Ziellinie – um beim An-
fangsbild zu bleiben – erfolgreich passieren.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418311400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann von der SPD-
Fraktion.


Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1418311500
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Die vorgebliche Untätigkeit der
deutschen Gesundheitspolitik ist dieser Tage gerade von
Ihrer Seite lautstark bejammert worden. Heute bekommen
Sie aber gleich dreimal die Gelegenheit, Gesetze zu un-
terstützen, die notwendige und richtige Verbesserungen
im Gesundheitswesen bewirken werden. Das ist zwar we-
niger spektakulär, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, als zu kritisieren und zu jammern.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Und auch wirkungslos, wie Sie sehen werden! Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die drei Gesetzchen die Beitragssatzerhöhung aufhalten!)


Wenn Sie es aber wirklich ernst meinen mit Ihrer Forde-
rung nach mehr Qualität und mehr Selbstbestimmung für
die Patienten im Gesundheitswesen, dann verzichten Sie
heute auf Ihr Verweigerungsritual.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Wenn heuer einer die Kasse wechseln will, dann darf er nicht mehr! – Gegenruf von der SPD: Das stimmt doch nicht, Herr Wolf!)


Drei Gesetze liegen Ihnen heute zur Abstimmung vor:
die Neuregelung des Krankenkassenwahlrechts, die Ein-
führung des Wohnortprinzips und das Festbetrags-Anpas-
sungsgesetz.

Mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Kran-
kenkassenwahlrechts werden die Kassenwahlmöglichkei-
ten für Versicherungspflichtige und freiwillig Versicherte
einheitlich geregelt. Danach können auch Pflichtmitglieder
jederzeit zum Ende des übernächsten Monats ihre Kran-
kenkasse wechseln.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber zunächst nehmen Sie ihnen mal das Kündigungsrecht! Das ist der erste Akt!)


Damit entfällt die bisherige Beschränkung auf die Stich-
tagsregelung mit all ihren „Wüstenrot“-Effekten. Alle

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Staatsministerin Christa Stewens

18122


(C)



(D)



(A)



(B)


Mitglieder können sich nunmehr frei von den Stich-
tagsregelungen für eine andere Krankenkasse entscheiden.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Die Bindungsfrist von 18 Monaten wahrt sowohl die Be-
lange des Verbraucherschutzes als auch die der Kranken-
kasse im Hinblick auf Planungssicherheit.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Fragen Sie doch mal die Verbraucher! Die haben das Gegenteil gesagt!)


Sie sorgt damit für Flexibilität und Stabilität.
Das Sonderkündigungsrecht bleibt erhalten. Wenn also

eine Krankenkasse ihre Beiträge erhöht, kann der Versi-
cherte, auch wenn er weniger als 18 Monate bei der Kasse
versichert ist, diese Kasse verlassen. Damit erweitert
diese Neuregelung des Kassenwahlrechts eindeutig die
Selbstbestimmungsmöglichkeiten und das Wahlrecht der
Patienten im Gesundheitswesen.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Wenn er den Arbeitsplatz wechselt, darf er nicht mehr die Kasse wechseln! Das sind doch weniger Rechte und nicht mehr Rechte!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie
es mit den Freiheiten für die Patientinnen und Patienten
wirklich ernst meinen, dann unterstützen auch Sie unser
Gesetzesvorhaben.


(Beifall bei der SPD)

Mit der Einführung des Wohnortprinzips werden die

Leistungen endlich dort vergütet, wo sie auch erbracht
werden. Damit folgt in Zukunft auch da das Geld der Leis-
tung. Durch den zunehmenden Wettbewerb und die Öff-
nung der Krankenkassen haben viele Kassen neue Mit-
glieder gewonnen, die nicht in der Region oder in dem
Bundesland wohnen, wo die Kasse ihren Sitz hat. Dies gilt
in besonderem Maße für die neuen Länder. Etliche BKKs
haben dort in den letzten Jahren eine große Anzahl von
Mitgliedern hinzugewonnen. Während die Mitglieder der
AOK zu 95 Prozent in den KV-Bezirken wohnen, in de-
nen die Kasse auch die Vergütung verhandelt, gibt es un-
ter den Versicherten der Betriebskrankenkassen – gerade
in den neuen Ländern – circa 90 Prozent so genannte ein-
strahlende Mitglieder. Das heißt, die Versicherten wohnen
in den neuen Bundesländern und sind Mitglieder von Be-
triebskrankenkassen, die ihren Kassensitz im Westen
haben.

Die Gesamtvergütung – auch das ist bekannt – wird in
Form von Kopfpauschalen berechnet; die Krankenkassen
zahlen diese an die KVen. Dabei gibt es zwei unter-
schiedliche Regelungen zur Vereinbarung der Gesamt-
vergütung für die vertragsärztliche Versorgung:

Die Verbände der Ersatzkassen auf der Landesebene
vereinbaren die Gesamtvergütung regional mit all denje-
nigen Kassenärztlichen Vereinigungen, in deren Zustän-
digkeitsbereich Versicherte wohnen, die der Ersatzkasse
angehören, also nach dem Wohnortprinzip. Die Gesamt-
vergütung fließt dabei der KV zu, deren Ärzte die Versi-
cherten behandeln. Das Geld folgt hier der Leistung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: So ist das!)


Bei den überregionalen Betriebs- und Innungskran-
kenkassen hingegen schließt bislang nur derjenige Lan-
desverband einen Gesamtvertrag mit der KV ab, in deren
Zuständigkeitsbereich die Betriebs- oder Innungskran-
kenkasse ihren Sitz hat; das ist das alte Kassensitz-
prinzip. Damit zahlt die Betriebs- und Innungskranken-
kasse die komplette Gesamtvergütung, also die gesamten
Kopfpauschalen, für all ihre Versicherten an die KV in
diesem Bezirk. Die meisten BKKs – das habe ich gerade
gesagt – haben ihren Sitz nicht im Osten, sondern im
Westen.

Die Kosten der vertragsärztlichen Behandlung der Ver-
sicherten, die von Ärzten versorgt worden sind, die nicht
der KV des Kassensitzes angehören, werden in einem sehr
komplizierten, gesonderten Verfahren, dem so genannten
Fremdkassen-Zahlungsausgleich, zwischen den beteilig-
ten Kassenärztlichen Vereinigungen abgerechnet. Dabei
wird aber eben in der Regel nur ein Teil rückfinanziert. Der
Fremdkassenzahlungsausgleich – er ist kompliziert und
umständlich – ist ursprünglich nur für Ausnahmefälle,
zum Beispiel für die medizinische Versorgung im Urlaub,
vorgesehen worden. Dies soll in Zukunft wieder so sein.
Mit Einführung des Wohnortprinzips auch für die Be-
triebskrankenkassen fließen die Kopfpauschalen an die
KV, in deren Zuständigkeitsbereich die Versicherten woh-
nen und die dort ansässigen Ärzte die Leistungen erbrin-
gen. Deshalb wird mit Einführung des Wohnortprinzips
das Geld auch wieder der Leistung folgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kopfpauschalen Ost und West – das wissen wir –
divergieren sehr stark. Um diese Schieflage zu beseitigen,
werden die niedrigen Ost-Kopfpauschalen der Betriebs-
krankenkassen an die höheren Kopfpauschalen der Orts-
und Ersatzkrankenkassen in den neuen Ländern ange-
passt. Damit werden auch die noch bestehenden Vergü-
tungsunterschiede zwischen den Krankenkassenarten in
den neuen Bundesländern weitgehend ausgeglichen. Mit
dieser Regelung – das will ich hier nicht verschweigen –
werden 100 Millionen DM bis 110 Millionen DM zuguns-
ten der neuen Länder mobilisiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ihre eigenen Leute sind ja dagegen!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, die von
Ihnen geforderte Ausweitung der Gesamtvergütung um
5 Prozent über die Steigerung der Grundlohnsumme hi-
naus schießt weit über das Ziel hinaus. Sie gefährdet die
Beitragsstabilität und ist deshalb unverantwortbar.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: In den neuen Ländern sind die Beiträge doch viel niedriger als in den alten!)


Wenn es Ihnen mit Ihrem Bekenntnis zu Beitragsstabilität
und Verteilungsgerechtigkeit Ernst ist, dann – dazu for-
dere ich Sie auf – stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Wir stimmen nur sinnvollen Gesetzen zu! Damit ist die Frage beantwortet!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Carola Reimann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir schon über
Beitragsstabilität reden: Gerade von Ihnen ist in den letz-
ten Wochen immer wieder die Entwicklung im Arznei-
mittelbereich thematisiert worden. Ich gebe Ihnen Recht
darin, dass der Arzneimittelmarkt von besonderer Be-
deutung für unser Gesundheitssystem ist; denn wir reden
beim Arzneimittelgesamtmarkt über ein Finanzvolumen
von rund 37 Milliarden DM jährlich mit rund 780 Milli-
onen Verordnungen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Uns geht es nicht um das Geld! Uns geht es um die Versorgung der Patienten! Das ist unser Bestreben!)


Damit ist klar, dass die Entwicklung dieses Marktes
einen starken Einfluss auf die Kostensituation der Kran-
kenkassen hat. Wir erleben gegenwärtig, wie fundamen-
tal die Frage der Stabilisierung der Kosten für Arzneimit-
tel ist.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch klar! Wenn man vorher den Deckel drauftut, dann fängt es irgendwann an herauszulaufen! Das war Nachholbedarf!)


Die Ausgaben für Medikamente haben sich in den letzten
Wochen enorm erhöht. Kaum wurde nämlich eine Locke-
rung des Arzneimittelbudgets angekündigt, war jede
Selbstdisziplin bei den Verordnungen dahin. Bezahlen
müssen das die Kassen und damit letztlich die Beitrags-
zahler.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir begrüßen deshalb die Initiative der AOK Berlin
und der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, die Qualität
und Wirtschaftlichkeit derArzneimittelversorgung zu ver-
bessern. Dieses gute Beispiel sollte möglichst schnell und
umfassend Schule machen.

In der Vergangenheit hat das System der Festbeträge
eine Begrenzung der Arzneimittelausgaben ermöglicht.
So konnten Beitragszahler und Kassen entlastet werden –
und das bei einer Arzneimittelversorgung auf hohem Ni-
veau. Wir alle wissen aber auch, dass das Bundessozial-
gericht das bisherige Festbetragsmodell als verfassungs-
widrig eingeschätzt hat. Darüber hinaus gibt es kartell-
rechtliche Bedenken. Gerade in dieser Woche hat der Kar-
tellsenat in Karlsruhe die vorliegende Klage an den Euro-
päischen Gerichtshof in Luxemburg weitergeleitet. Eine
endgültige Entscheidung ist nicht vor Ablauf von zwei
Jahren zu erwarten. Deshalb brauchen wir für die Über-
gangszeit eine rechtssichere Lösung.

Der vorliegende Entwurf für das Festbetrags-Anpas-
sungsgesetz sieht deshalb eine einmalige allgemeine An-
passungsrunde der Festbeträge per Rechtsverordnung
vor.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber warum am Bundesrat vorbei? Das ist die entscheidende Frage!)


Die Kriterien für die Bestimmung der Festbeträge orien-
tieren sich an den bisher bewährten Prinzipien und wur-
den im Konsens mit allen Beteiligten, den Spitzenverbän-

den der Krankenkassen und den Verbänden der pharma-
zeutischen Industrie, vereinbart.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Bloß die Patienten bleiben wieder außen vor!)


Das Gesetz erlaubt es – das haben wir schon gehört –,
die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöp-
fen. Wir erwarten nach detaillierterer Kalkulation ein
Einsparvolumen von 750 Millionen DM jährlich – auf Ba-
sis der vereinbarten Kriterien.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist schöngerechnet!)


Deshalb gibt es auch keinen Grund, zu glauben, dies sei
nicht mehr im Sinne des Konsenses, der zwischen den
schon erwähnten Vertragspartnern vereinbart worden ist.
Ich habe deshalb auch nicht verstanden – so wie die Kol-
legin Göring-Eckardt –, warum Sie im Ausschuss Ihre Zu-
stimmung verweigert haben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben doch mit den Verbraucherrechten begonnen!)


Wir wollen keine Staatsmedizin, Frau Stewens.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum machen Sie sie dann?)


Die staatliche Festsetzung der Festbeträge für Arznei-
mittel ist eine reine Übergangslösung.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Lesen Sie mal Ihre Gesetze! Eine Bürokratie nach der anderen!)


– Ich lese sie, und ich lese jetzt auch noch einen Teil da-
raus vor. – Dies ergibt sich vor allem aus folgenden Re-
gelungen: Die Rechtsverordnung geht von den geltenden
Festbeträgen und von den Festbetragsgruppen aus. Neue
Gruppen und Festbeträge sollen grundsätzlich nicht ge-
bildet werden. Herr Kollege, es wird auch keine „Festbe-
tragsbehörde“ installiert. Das Gesetz ist mit einem Ver-
fallsdatum versehen,


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie die Regierung! Die Regierung hat auch ein Verfallsdatum! – Ulf Fink [CDU/CSU]: Verfallsdatum Ende 2002!)


und zwar dem 31. Dezember 2003.

Wir brauchen eine ordnungspolitische Weiterentwick-
lung des Arzneimittelsektors, die über die derzeitige Pra-
xis weit hinausgeht. Dazu müssen sich aber alle Akteure
in einer vorurteilsfreien Diskussion zusammenfinden
können.


(Unruhe bei der CDU/CSU)


Ich möchte Sie dringend auffordern – auch wenn Sie ge-
rade keine große Kooperationsbereitschaft zeigen –, da-
ran teilzunehmen.

Der vorliegende Gesetzentwurf bietet eine rechtssi-
chere Übergangslösung und den nötigen Freiraum, sämt-
liche Möglichkeiten auszuschöpfen, um der Selbstver-
waltung wieder die Kompetenz für die Festsetzung von
Festbeträgen einzuräumen. Das geschieht mit dem erklär-
ten Ziel, eine umfassend abgewogene, aber auch auf

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Carola Reimann

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Dauer rechtssichere und staatsferne Lösung herbeizu-
führen, die auch die künftige Rechtsprechung berücksich-
tigen wird. Dabei sind rechtliche Rahmenbedingungen
des europäischen Binnenmarktes und die technischen
Entwicklungen, also Internet, E-Commerce, elektroni-
sches Rezept, daraufhin zu prüfen, welche Chancen und
Möglichkeiten sich für die Preisentwicklung und für die
Distribution in Sachen Arzneimittel ergeben. Ich wieder-
hole: Das erfordert eine vorurteilsfreie Diskussion aller
Beteiligten.

Wenn es Ihnen um die Sache, um die Verbesserung der
Selbstbestimmungsrechte und um die Versorgung der Pa-
tientinnen und Patienten geht,


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Dann können wir nicht zustimmen!)


dann stimmen Sie den vorliegenden Gesetzentwürfen
bitte zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418311600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Ulf Fink von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1418311700
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Die Reden der Vertreter der
Regierungskoalition können doch über eines nicht hin-
wegtäuschen: Sie sind mit dem Versprechen angetreten,
für eine gute medizinische Versorgung zu tragbaren Prei-
sen zu sorgen. Die Wahrheit ist: Sie haben die Menschen
auf das Schwerste enttäuscht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter Ihrer Regierungsverantwortung ist es dazu ge-

kommen, dass viele Menschen nicht mehr die notwendi-
gen Medikamente bekommen haben. Zum ersten Mal ist
es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im
Zuge der Budgetierung zu einer Zweiklassenmedizin ge-
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dennoch steigen die Beitragssätze derzeit drastisch an.
Sie haben die Beitragsseite überhaupt nicht im Griff. Ich
gebe meinem verehrten Kollegen Professor Pfaff völlig
Recht, wenn er sagt: Man muss dringend etwas tun, um
drastische Beitragssatzsteigerungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo der Professor Recht hat, hat er Recht!)


Aus dem Lager der Regierungskoalition sind in einer
geradezu panischen, hektischen Art und Weise Vorschläge
zu hören, wobei ein Vorschlag dem nächsten widerspricht.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sogar die Staatssekretärin widerspricht der Ministerin!)


Einer Zeitung von heute ist zu entnehmen, dass sich die
SPD-Fraktionsspitze mit der Bundesgesundheitsministe-

rin zusammengesetzt hat, woraufhin man zu folgendem
Ergebnis gekommen ist: Sie wissen nun, dass Sie keine
Grund- und Wahlleistung wollen. Wir haben bisher nicht
erfahren, was Sie wollen. Sie wissen nur, was Sie nicht
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das erinnert mich an einen Spruch, den ich vor einiger

Zeit in dem Buch „Die Abenteuer Tom Sawyers“ gelesen
habe: Als sie das Ziel aus den Augen verloren hatten, ver-
doppelten sie die Geschwindigkeit. – So kommt mir Ihre
Gesundheitspolitik vor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Heute sprechen wir über die Versorgungssituation in

Ostdeutschland. Die Situation in der ambulanten medi-
zinischen Versorgung in Ostdeutschland nimmt zuneh-
mend dramatische Züge an.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Tatsache ist: Es gelingt kaum mehr, Arztpraxen in ländli-
chen Regionen neu zu besetzen.


(Zuruf von der SPD: Erzählen Sie nicht so einen Quatsch!)


Dazu zwei Beispiele aus Brandenburg: In Forst waren
zwei Hausarztstellen


(Unruhe bei der SPD)

– hören Sie sich das einmal an! – fast zwei Jahre lang aus-
geschrieben, ohne Erfolg. Die beiden Praxen mussten
mittlerweile geschlossen werden. In Luckau sind seit ei-
nem Dreivierteljahr zwei Stellen ausgeschrieben, bisher
ohne Erfolg. Ich könnte Ihnen für die anderen neuen Bun-
desländer beliebig weitere Beispiele nennen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Bloß, die Ursachen dafür liegen nicht in den letzten Wochen! Die haben eine Geschichte!)


Diese Beispiele beweisen: Es handelt sich keinesfalls
mehr nur um ein theoretisches Problem, sondern um die
harte Wirklichkeit. Der ambulanten medizinischen Ver-
sorgung in Ostdeutschland droht, wenn nicht Entschei-
dendes geschieht, der Kollaps.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo liegen die Gründe? Obwohl die niedergelassenen

ostdeutschen Kassenärzte aufgrund der höheren Krank-
heitshäufigkeit in den neuen Ländern mehr arbeiten müs-
sen als ihre Kollegen in Westdeutschland, erhalten sie nur
77 Prozent des Westhonorars. Dagegen erhalten zum Bei-
spiel die Krankenhausärzte in Ostdeutschland, die ja nach
BAT bezahlt werden, bereits jetzt 88,5 Prozent und ab
dem nächsten Jahr 90 Prozent des Westhonorars.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das ist auch zu wenig!)

Vor diesem Hintergrund ist es nur ein Tropfen auf den
heißen Stein, dass die Regierungskoalition bereit ist, dem
Osten Deutschlands die für die medizinische Versorgung
der Bevölkerung vorhandenen Mittel – insbesondere bei
den Betriebskrankenkassen – durch die Einführung des
Wohnortprinzips nicht länger vorzuenthalten. Im Zuge
des Gesetzgebungsverfahrens ist übrigens aus diesem
Tropfen auf den heißen Stein ein Tröpfchen geworden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dr. Carola Reimann

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Die getroffenen Regelungen haben zur Folge, dass die
Mittel für die ostdeutschen Praxen um nicht einmal 1 Pro-
zent steigen.

Meine Fraktion stellt deshalb den Antrag, eine zusätzli-
cheAnhebung der ostdeutschenArzthonorare um jeweils
5 Prozent für dieses und das nächste Jahr vorzunehmen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Unglaublich! Wer soll denn das bezahlen?)


Auch dabei stünden den niedergelassenen Ärzten in Ost-
deutschland noch weniger als ihren westdeutschen Kolle-
gen und auch weniger als ihren in Krankenhäusern ange-
stellten ostdeutschen Kollegen zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, Sie nennen das Kosten-
argument. Sie halten es bei den Kassen für vertretbar, dass
die westdeutschen Ärzte 100 Prozent erhalten. Sie halten
es ebenso für vertretbar, dass die angestellten Ärzte in
Ostdeutschland 88,5 Prozent und ab dem nächsten Jahr
90 Prozent erhalten. Zu den niedergelassenen Ärzten, die
das höchste Risiko zu tragen haben, sagen Sie, Sie hätten
kein Geld mehr. Das nenne ich eine Logik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Eines will ich Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich sagen:
Bei der Probeabstimmung in der SPD-Fraktion haben die
ostdeutschen SPD-Abgeordneten gegen Ihre Vorschläge
gestimmt und gesagt, es müsse etwas getan werden.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir haben doch keine Probeabstimmung gemacht!)


Ich fordere nun die ostdeutschen Kollegen bei den Grü-
nen und bei der SPD auf: Beweisen Sie Mut und nehmen
Sie sich ein Herz! Tun Sie etwas dafür, dass die Versor-
gung in den ambulanten Praxen in Ostdeutschland keinen
Kollaps erleidet! Setzen Sie Ihren Mut vor die Parteidis-
ziplin!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418311800
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 22 a: Abstimmung über den von

den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung der
Krankenkassenwahlrechte auf Drucksache 14/5957. Der
Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6568, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der F.D.P. angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-

genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben
angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/6568 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung
der Krankenkassenwahlrechte auf Drucksache 14/6409
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 22 b: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung des
Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte
und Zahnärzte auf Drucksache 14/5960. Der Ausschuss
für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6566, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegen drei
Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wir
zuerst abstimmen.

Änderungsantrag auf Drucksache 14/6600. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS
bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.

Änderungsantrag auf Drucksache 14/6601. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
abgelehnt.

Änderungsantrag auf Drucksache 14/6602. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch
dieser Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/
CSU und F.D.P. und Enthaltung der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6566 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des
Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte
und Zahnärzte auf Drucksache 14/6410 für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
CDU/CSU zur Einführung des Wohnortprinzips bei den
Vereinbarungen über die ärztliche Gesamtvergütung auf
Drucksache 14/5694. Der Ausschuss für Gesundheit emp-

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Ulf Fink

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fiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/6566, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6608? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsan-
trag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der
PDS abgelehnt worden.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Abstimmung über den Entwurf eines Versorgungsan-
gleichungsgesetzes der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/6054. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt un-
ter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6566, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 22 c: Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An-
trag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen mit dem Titel „Größere Verteilungsgerechtigkeit
bei kassenärztlichen Honoraren“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/6566, den Antrag auf Drucksache 14/4891 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 22 d: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Entwurf eines Festbetrags-Anpas-
sungsgesetzes auf Drucksache 14/6041. Der Ausschuss für
Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/6567 die Annahme des Ge-
setzentwurfes in der Ausschussfassung. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6579. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
CDU/CSU bei Gegenstimmen der F.D.P. und Enthaltung
der PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6567 empfiehlt der Ausschuss für Gesundheit, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 14/6408 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Zusatzpunkt 15: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/6571 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuer-
gesetzes

– Drucksache 14/5331 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sieben Minuten erhalten soll. Gibt es dazu Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Ge-
sundheitspolitiker, die nun den Raum verlassen wollen,
dies auch umgehend zu tun und ihre Gespräche außerhalb
des Plenarsaals fortzuführen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Dürfen wir auch bleiben?)


– Sie können natürlich gerne bleiben. Das ist nicht nur Ihr
Recht, sondern auch beinahe Ihre Pflicht.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dieter Grasedieck von der SPD-Fraktion das
Wort.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist unser Antrag! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist doch ein F.D.P.-Antrag!)


– Auch ich wundere mich etwas. Ich glaube, ich muss die
Reihenfolge der Redner ändern.

Entschuldigen Sie, Herr Grasedieck, eigentlich hat der
Antragsteller das Recht, als Erster zu sprechen. Deswegen
müssen wir die Reihenfolge ändern.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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Nun hat zur Begründung des Antrages der Kollege
Rainer Brüderle von der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1418311900
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wir unterbreiten Ihnen heute einen Vor-
schlag zum Abbau überflüssiger Bürokratie und zur
gleichzeitigen Entlastung von Unternehmen und staat-
licher Verwaltung. Um das zu erreichen, müssen wir den
Zeitraum für die Voranmeldung zur Umsatzsteuer ge-
nerell von einem auf drei Monate verlängern. Damit spa-
ren wir pro Jahr rund 12 Millionen Voranmeldeformulare.
Das führt nach konservativer Schätzung bei Unternehmen
und Finanzverwaltungen zu einer Bürokratieentlastung
von rund 1 Milliarde DM.

Was die Hand- und Spanndienste im Mittelalter waren,
sind heute die Bürokratiedienste der mittelständischen
Wirtschaft für den Staat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Das Mittelalter ist längst vorbei;


(Horst Kubatschka [SPD]: Aber der Staat nicht!)


also muss der Staat auf diese Gratisdienste der Unter-
nehmen jetzt soweit wie möglich verzichten. – Für Sie
nicht. Sie sind immer noch im Mittelalter. Das ist klar:


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Öffentliche Verwaltungen lassen sich jeden Handschlag
von den Bürgern und Unternehmen bezahlen. Wir alle
kennen die Gebühren für die Ausstellung eines Personal-
ausweises, Führerscheins, Gewerbescheins usw. Dagegen
sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, Verwaltungs-
arbeiten für den Staat unentgeltlich zu übernehmen. Dazu
zählen das Berechnen von Steuern und Abgaben, das Aus-
füllen von Formularen, das Erheben im staatlichen Auf-
trag. Allein das Lohnsteuerabzugsverfahren belastet nach
Berechnungen des Instituts für Steuern und Finanzen die
Unternehmen jährlich mit rund 10 Milliarden DM.

Zu diesen Gratisdiensten zählen weiter, verschiedene
Bescheinigungen auszustellen, Statistiken zu führen, amt-
liche Formulare auszufüllen. Die Belastungen durch
Bürokratiekosten belaufen sich jährlich auf über 60 Mil-
liarden DM, Tendenz: steigend.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Unglaublich!)


Gerade die grün-rote Bundesregierung hat sich als
Bürokratieweltmeister entpuppt. Ich nenne nur drei Bei-
spiele: die Neuregelung der 630-Mark-Jobs, das Schein-
selbstständigengesetz und die Ökosteuer mit ihren Aus-
nahmen. Diese drei unsinnigen Regelungen haben eines
gemeinsam: Sie produzieren einen ungeheuren Bürokra-
tiewust.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)


Die zunehmenden Dienstverpflichtungen rauben ins-
besondere kleinen und mittleren Unternehmen immer
mehr die Luft zum Atmen. 96 Prozent der Bürokratiekos-
ten entfallen auf den Mittelstand. Die monatlichen Um-

satzsteuervoranmeldungen müssen auch schon Unterneh-
men abgeben, die weniger als 100 000 DM Jahresumsatz
haben. Keiner in diesem Hause wird so vermessen sein,
ein solches Unternehmen als groß zu bezeichnen.

Die Verlängerung des Zeitraums für die Umsatzsteuer-
voranmeldung von einem Monat auf drei Monate ist
deshalb ein konkreter Schritt zur Verringerung von Belas-
tungen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Er ist zudem ein konkreter Vorschlag, den Mittelstand in
Deutschland zu entlasten.

Wir wären mit dieser Vereinfachung des Umsatzsteu-
errechts noch nicht einmal Pionier in Europa. Andere Län-
der, wie Dänemark, Österreich oder Großbritannien, ha-
ben bereits den vierteljährlichen Voranmeldezeitraum
eingeführt. Meine Damen und Herren von Grün-Rot,
trauen Sie sich und gehen Sie mit uns gemeinsam den
Schritt zum Abbau überflüssiger Belastungen!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Es wäre ein Signal an die Menschen im Lande, dass der
Deutsche Bundestag bereit ist, Bürokratie abzubauen. Es
wäre ein Signal, dass der Staat bereit ist, die Handlungs-
freiheit der Unternehmen nicht übermäßig zu beschrän-
ken, und es wäre ein Signal des echten Willens, alte, über-
kommene Zöpfe abzuschneiden.

Noch ein paar Worte an Etatisten und Kleinkrämer:
Den öffentlichen Haushalten gehen keine Einnahmen ver-
loren.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


– Ich werde es Ihnen noch belegen. Hören Sie einmal zu,
Frau Scheel!

Wir schlagen lediglich eine Neuorganisation der Erhe-
bung einer Jahressteuer vor. Das ist keine Änderung mit
wesentlicher Wirkung und eine Änderung ohne wesentli-
che Einnahmeausfälle für den Staat.

Erbsenzähler können mir vielleicht noch vorrechnen,
dass der Staat mit der Verlängerung des Vorauszahlungs-
zeitraums Zinsverluste erleidet. Dazu sage ich Ihnen Fol-
gendes:

Erstens werden solche Zinsverluste minimal sein, je
nachdem, wie man den Vorauszahlungszeitpunkt festlegt.
Man hat ja in dem Vierteljahr einen Spielraum.

Zweitens. Selbst wenn die Vorauszahlung am Ende des
Quartals erfolgt – man könnte sie auch in die Mitte le-
gen –, werden sich die Zinsverluste bei großzügiger Rech-
nung im oberen Bereich auf einen zweistelligen Millio-
nenbetrag belaufen. Dann müssen Sie aber die
volkswirtschaftlichen Gewinne gegenrechnen: Einem
Zinsverlust im öffentlichen Sektor steht der Zinsgewinn
im Privatsektor gegenüber. Damit neutralisieren sich die
Zinseffekte.


(Lachen bei der SPD)

Dagegen stehen deutliche Entlastungen bei Unternehmen
und Finanzverwaltung. Ich behaupte hier: Die Entlastung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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durch den um 12 Millionen Formulare verringerten Ar-
beitsaufwand ist aufseiten der öffentlichen Verwaltung
deutlich größer als dieser Zinseffekt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie sehen: Es gibt keinen vernünftigen Grund – noch nicht
einmal buchhalterische Gründe – einer Vereinfachung des
Umsatzsteuergesetzes nicht zuzustimmen.

Gerade in einer Zeit, in der sich die volkswirtschaftli-
chen Eckdaten im Sturzflug befinden und die Regierung
ihre Ratlosigkeit hinter der Floskel der ruhigen Hand ver-
birgt, ergeben sich einmalige Chancen, wenigstens in die-
sem Bereich Handlungsfähigkeit zu beweisen. Nutzen Sie
die Chance, etwas für den deutschen Mittelstand zu tun.
Tun Sie etwas für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Setzen Sie ein – längst überfälliges – Zeichen dafür, dass
diese Regierung noch nicht in den Schlaf der Selbst-
gerechten versunken ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Stimmen Sie diesem Gesetz zur Vereinfachung zu. Es

wäre ein Stück Hoffnung für diejenigen im Land, die all-
mählich daran verzweifeln, dass nichts einfacher wird.
Alles das, was im Zusammenhang mit der Steuerreform
diskutiert wurde, bezog sich nicht auf die Vereinfachung
im Steuerrecht. Denken Sie einmal an diejenigen, die es
nicht so gut haben, im Bundestag zu sitzen, sondern mo-
natlich all den bürokratischen Gulasch ausfüllen müssen,
aber auch an diejenigen in der Verwaltung, die das auch
noch kontrollieren müssen.

Nehmen Sie einmal die Jahresumsatzsteuererklärung.
Die können Sie sofort streichen, weil die deutschen Fi-
nanzämter – zumindest dank der Taschenrechner – in der
Lage sind, zwölf Zahlen zu addieren. Haben Sie den Mut,
wenigstens ein Schrittchen in Richtung Vereinfachung
und Handlungsfähigkeit zu tun, und lassen Sie die Men-
schen an diesem Staat nicht völlig verzweifeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418312000
Jetzt hat
der Kollege Dieter Grasedieck für die SPD-Fraktion das
Wort.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1418312100
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brüderle, durch
dieses Gesetz bringen Sie keine Hoffnung, sondern Sie
bremsen die Unternehmen aus. Das Anmeldeverfahren
für Umsatzsteuern haben CDU/CSU und F.D.P. damals
eingeführt. Sie dürfen nicht alles verteufeln, was Sie einst
beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Man lernt dazu!)


Viele Gesetze der Altregierung waren schlecht. Das ist
richtig, gar keine Frage. Aber einige Dinge waren doch
richtig und gut. Dazu gehört unter anderem dieses Gesetz.

Herr Brüderle, wenn man einmal mit Vertretern des
Handwerks oder der Industrie spricht, so erfährt man, dass

sie diese monatliche Abrechnung begrüßen und sie für
ausgesprochen wichtig und gut halten.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das habe ich noch nie gehört!)


Sie warnen vor einer Änderung. Man muss sich jetzt wirk-
lich fragen, welche Gründe diese Unternehmer, diese Ver-
treter der Industrie haben.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Weniger Arbeit!)


Nach Aussagen der Existenzgründer brauchen sie ge-
rade in den ersten Monaten das Geld möglichst sofort.
Deshalb ist es falsch, das zu verschieben. Ich will einmal
einige Beispiele anführen.

Ein junger Autohändler kauft im ersten Monat seines
Unternehmens für 75 000 DM Gebrauchtwagen auf, um
sie danach zu verkaufen. Er muss natürlich Umsatz-
steuer – das sind nach Adam Riese 12 000 DM – bezah-
len. Diese 12 000 DM bekommt er aber genau nach einem
Monat zurück. Durch Ihren Vorschlag würde das verzö-
gert. Warum bremsen Sie diese neuen Existenzen, diese
Jungunternehmer an dieser Stelle eigentlich aus?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will ein weiteres Beispiel anführen. Ein junger
IT-Ingenieur will ein Büro einrichten. Er gibt im ersten
Monat für seine Büroeinrichtung 35 000 DM und für die
Computerausstattung in einem ersten Schritt 25 000 DM
aus. Er bekommt exakt nach einem Monat die Um-
satzsteuer in Höhe von 9 600 DM zurück. Sie wollen es
verzögern. Ihr Gesetz ist eigentlich unternehmerfeind-
lich.

Jetzt sagen Sie, Herr Brüderle, dass der Vorschlag doch
enorme Vorteile mit sich bringt, weil dadurch Bürokratie
sowohl in den Unternehmen als auch in den Finanzämtern
vermieden wird. Ich muss Ihnen sagen: Gehen Sie einmal
in die Betriebe und sprechen Sie mit den Finanzämtern.
Die werden Ihnen etwas anderes erzählen. Sie führen un-
ter anderem aus, dass durch das Gesetz die kriminelle
Kreativität gefördert wird, weil mit der Neuregelung eine
größere Zeitverzögerung verbunden ist. Das ist ein sehr
wichtiges Problem. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel
nennen.

An der holländischen Grenze wird eine GmbH, eine
Scheinfirma natürlich, mit zwei Zielen gegründet: Erstens
möchten sie die Umsatzsteuer kassieren und zweitens die
Mehrwertsteuer in Holland umgehen. Das machen die
ganz einfach: Sie starten das Unternehmen ganz gezielt
nur für zweieinhalb Monate. Während dieser Zeit rechne-
ten sie alles ab. Sie kauften in Deutschland teures Mar-
kenporzellan. Hier bei uns in Deutschland ist die Umsatz-
steuer in Höhe von 200 000 DM pro Monat zwei Monate
lang kassiert worden.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Die Steuern müssen Sie täglich erheben!)


Dann ist es aufgefallen. Die Waren sind in Holland ver-
kauft worden. Natürlich sind in Holland die 19 Prozent
Mehrwertsteuer nicht gezahlt worden. Das ist gar keine
Frage. Diesen Betrag hat die Scheinfirma einkassiert.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Rainer Brüderle

18129


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Der deutsche und der holländische Staat sind betrogen
worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir verhindern!)


Herr Brüderle, auf Ihren Einwand, dass die Steuer täglich
erhoben werden solle, gehe ich gleich ein.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Nach Ihrer Philosophie!)


Durch die von Ihnen gewollte Verlängerung, Herr
Brüderle, besteht jedenfalls die Gefahr des Steuerbe-
trugs. Ich sage sogar: Diese Gefahr potenziert sich.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist aber Misstrauensverhalten! Alter Sozialismus! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Brüderle, Sie wissen, dass im Umsatzsteuerbereich
ein Betrug in einem Umfang von 23 Milliarden DM ein-
kalkuliert wird. So sprechen viele Experten.

Sie sprechen doch so häufig von jungen Bauunterneh-
mungen. Diese haben das Problem, dass erstens die Ka-
pitaldecke sehr kurz ist und dass zweitens die Kunden
– darüber haben wir uns immer wieder unterhalten – sehr
viel später zahlen. Der Geldrückfluss erfolgt nicht so
schnell. Jetzt kommt noch Ihre Vorsteuer hinzu, die erst
drei Monate später wieder ausgezahlt wird. Warum planen
Sie eigentlich solch ein unternehmensfeindliches Gesetz?

Im internationalen Wettbewerb spielen die Jungunter-
nehmen insbesondere bei neuen Technologien eine ent-
scheidende Rolle. Die Zukunftsberufe werden gefördert.
Wir haben Möglichkeiten, neue IT-Berufe zu kreieren.
Wir haben die Möglichkeit, neue Elektroniker auszubil-
den. Diese positive Entwicklung bremsen Sie mit Ihrem
Gesetzentwurf aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung fördert Jungunternehmer. Wir
fördern unter anderem 1 000 Jungunternehmer in Kombi-
nation mit der KfW mit 1,3 Milliarden DM. Das ist ein
Beispiel.

Ein zweites Beispiel: In Nordrhein-Westfalen, speziell
im Revier, also in meinem Wahlkreis, werden in Kombi-
nation mit dem Strukturfonds 4 Milliarden DM investiert,
um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dies war immer ein
Ziel unserer Finanzpolitik. 17 000 neue Unternehmens-
gründungen sind eingeplant. 200 000 neue und moderne
Arbeitsplätze


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Gute Politik!)


in den verschiedensten Bereichen – im Maschinenbau-,
im Elektronik- und im IT-Bereich – sind geschaffen wor-
den. In den letzten Jahren sind viele neue Firmen gegrün-
det worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418312200
Herr Kol-
lege Grasedieck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brüderle?


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1418312300
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418312400
Bitte
schön, Herr Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1418312500
Herr Kollege, Ihnen ist
doch sicherlich bekannt, dass diese Vorauszahlung ein
Saldobetrag ist. Über 90 Prozent aller Betriebe, die Um-
satzsteuer zahlen, zahlen die Umsatzsteuer per Saldo ein,
sodass sie bei unserem Verfahren entlastet würden. Sie ar-
gumentieren mit einer ganz kleinen Teilmenge.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1418312600
Nein, Herr Brüderle, das
ist nicht der Fall. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Um
zu verhindern, dass alle Unternehmen ihr Geld schon nach
sehr kurzer Zeit zurückbekommen, geht das bei uns in
Nordrhein-Westfalen einschließlich über Onlineverbin-
dungen. Man bekommt die Vorsteuer nur dann sofort
zurück, wenn man möglichst schnell reagieren kann. Man
kann aber nur dann sehr schnell reagieren, wenn eine
Onlineverbindung zwischen Finanzamt und Unterneh-
men besteht. Das ist bei jungen IT-Unternehmen natürlich
der Fall. Diese sind schnell bei der Hand, wenn es darum
geht, eine solche Onlineverbindung aufzubauen. Diese
haben dann den großen Vorteil, dass sie das Geld schon
nach einer Woche zurückbekommen. Das sind in man-
chen Städten in Nordrhein-Westfalen 20 Prozent der jun-
gen Unternehmen. Ich meine, diese positive Entwicklung
muss man herausstellen. Ihr Gesetzentwurf bewirkt genau
das Gegenteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie argumentieren für eine Minderheit!)


Der F.D.P.-Gesetzentwurf bremst diese positive Ent-
wicklung einfach aus. Zusätzlich wird diese positive Ent-
wicklung auch dadurch ausgebremst, dass Sie von Rezes-
sion sprechen, obwohl Sie ganz genau wissen, dass man
bei einem Wirtschaftswachstum 2000 von 3 Prozent nun
wirklich nicht von Rezession sprechen kann.

Sie hätten heute das „Handelsblatt“ lesen sollen. Auf
der ersten Seite wird aufgeführt, dass der DIHT 2 Prozent
Wachstum erwartet. Das ist positiv. Der Export steigt.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Wir reden über Umsatzsteuererhebung!)


– Ja, es geht hier doch um die wichtige Angelegenheit,
Jungunternehmer zu fördern, Herr Brüderle. Vorausset-
zung dafür, dass Jungunternehmer erfolgreich sein kön-
nen, ist Wachstum.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie reden von 3 Prozent der Unternehmen!)


Sie bremsen die Entwicklung dadurch, dass Sie die Re-
zession ansprechen. Das ist eine wichtige Frage für mich,
aber vor allem für Leute, die neu starten. Sie träumten
doch zu Ihrer Regierungszeit von Werten wie 3 Prozent

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dieter Grasedieck

18130


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oder, wie das „Handelsblatt“ heute schreibt, von 2 Prozent
Wachstum.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Haben Sie zum Thema nichts mehr?)


Sie träumten davon! Sie hatten von 1991 bis 1998 im
Durchschnitt 1,3 Prozent Wachstum. Nicht mehr.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Der Export steigt in diesem Jahr noch um 7 Prozent, so
schreibt das „Handelsblatt“.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Wir haben ein konkretes Thema!)


Sie sollten sich diese Seite einmal etwas genauer ansehen.
In diesem Jahr haben wir auch noch eine positive Ent-
wicklung im Bereich des Maschinenbaus, nämlich ein
Wachstum von 5 Prozent. Wir haben eine sehr positive
Entwicklung im Elektronikbereich, nämlich 7 Prozent.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Die Sonne scheint!)

Natürlich machen wir uns Sorgen über den Bausektor;
aber die Situation dort geht auf Ihre Politik der vergange-
nen Jahre zurück. Die Leerstände haben in der Hauptsa-
che Sie verschuldet.


(Beifall bei der SPD)

In diesem Zusammenhang fordern Sie, Herr Brüderle,

bzw. Sie von der CDU/CSU auch noch ein Konjunktur-
programm. Sie sprechen davon, obwohl Sie genau wis-
sen, dass man so etwas nur über Schulden finanzieren kann.
Eine andere Möglichkeit gibt es da nicht. 1,5 Billionen DM
Schulden haben Sie uns hinterlassen, das ist genug.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Zum Thema!)


Wir sehen einen besseren Weg. Auch wir haben ein Kon-
junkturprogramm;


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist Schröder!)

das haben wir schon vor Jahren aufgelegt, nämlich unsere
Steuerreform. Sie werden total überrascht sein, aber trotz
einer Steuererleichterung in Höhe von 100 Milliarden DM
in den Jahren von 1999 bis 2005 senken wir den Schul-
denstand. Keine Aufregung!


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Über den Arbeitsmarkt könnten Sie sich schon ein wenig aufregen!)


Das sind Fakten; die müssen Sie doch einmal anerkennen;
das ist doch schön. Wir senken im Gegensatz zu Ihnen den
Schuldenstand. Sie haben ihn seit 1982 immer weiter an-
steigen lassen. Das wollen wir in der nächsten Zeit ver-
hindern.

Folgendes muss man bezüglich des von Ihnen gefor-
derten Konjunkturprogramms festhalten: Punkt eins: Es
handelt sich um eine unseriöse Diskussion. Punkt zwei.
Sie glauben selber nicht daran.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Wir haben ein konkretes Thema, Herr Kollege! Reden Sie nicht über das Wetter!)


Wir stellen uns wirklich die Frage – jetzt komme ich
zum Gesetzentwurf zurück –, wie die Umsatzsteuerab-
rechnung verbessert werden kann. Ich habe da schon ein
Beispiel aufgeführt. Es ist für uns auch kein Problem, dass
wir durch die Verkürzung der Frist um zwei Monate Zin-
sen verlieren, Herr Brüderle. Das war für uns nie eine
Frage. Wir wollen Jungunternehmer unterstützen. Des-
halb sagen wir, dass es wichtig ist, dass die jungen IT-In-
genieure, die sich selbstständig machen wollen, die Mög-
lichkeit bekommen, online die Umsatzsteuerabrechnung
vorzunehmen, um die Umsatzsteuer dann direkt zurück-
zubekommen. Dieses Geld benötigt der Jungunternehmer
ganz einfach. Das wird gerade auch in der Zukunft wich-
tig sein. Wir wollen das auch weiter fördern. Handwerk,
Industriebetriebe und unsere Koalition unterstützen die
monatliche Umsatzsteuerabrechnung und die Online-Ab-
rechnung.

In den letzten Jahren sind in Deutschland viele neue
Firmen gegründet worden. Diese positive Entwicklung
muss weitergehen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418312700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme von der
CDU/CSU-Fraktion.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1418312800
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege
Grasedieck, Sie müssen mir einmal den Handwerker zei-
gen, der lieber Formulare ausfüllt, als seine Arbeit zu
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wenn er das gesagt hätte, wäre es ein guter Einwand!)


Sie von der Koalition argumentieren immer mit den
Durchschnittswerten. Das möchte ich Ihnen einmal
bildlich schildern: Wenn Sie auf einer glühenden Herd-
platte sitzen und die Füße in Eiswasser halten, haben Sie
eine gute Durchschnittstemperatur. Nur, Sie fühlen sich
nicht besonders gut.


(Widerspruch bei der SPD)


Die Menschen fühlen, dass es im Augenblick abwärts
geht. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Kollege Grasedieck, die F.D.P. hat mit dem An-
trag den Finger in eine offene Wunde gelegt. Es geht um
die Bürokratie, die Leistungen, die für den Staat erbracht
werden müssen. Seit kurzem sind das nicht nur die Be-
triebe, sondern auch die Vereine. Denn seit es das 630-
Mark-Gesetz gibt,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie kein anderes Thema?)


muss für jede Mark der Sozialversicherung gegenüber
eine monatliche Erklärung abgegeben werden, während
früher im Rahmen der Lohnsteuer lediglich eine monatli-
che, vierteljährliche oder jährliche Meldung abgegeben

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Dieter Grasedieck

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werden musste, je nach dem, wie hoch das zu erwartende
Steueraufkommen war. Und das war gut so.

Der Antrag der F.D.P. bewegt sich in der Tat – dies
haben Sie richtig gesagt – im Spannungsfeld zwischen
Bürokratieabbau und Bekämpfung des Umsatzsteuer-
missbrauches.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Deshalb lehnen Sie den auch ab, ja?)


Deswegen müssen wir uns das, was wir machen, gut über-
legen.

Sie, Herr Kollege Grasedieck, sprachen die Existenz-
gründer als Beispiel für jene an, die die Vorsteuer schnell
zurückhaben müssen. Leider haben Sie zwei Dinge über-
sehen: Erstens schlagen Sie anderweitig gerade vor, diese
Rückerstattung im Hinblick auf den Missbrauch bei der
Umsatzsteuer zu streichen, und zweitens sieht der F.D.P.-
Antrag überhaupt nicht vor, das Wahlrecht eines jeden
Unternehmers auf Abgabe einer monatlichen Erklärung
zu streichen. Jeder, der seine Erklärung monatlich abge-
ben will, weil er zu der kleinen Gruppe derjenigen gehört,
die etwas zurückbekommen, kann dies nach wie vor tun,
auch wenn der F.D.P.-Antrag beschlossen ist.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Online-System ist am besten!)


Sie wollen wieder einmal das Kind mit dem Bade aus-
schütten. Ich meine, man muss die Meldepflichten nach
dem Umfang der zu erwartenden Steueraufkommen staf-
feln, wie das auch bei der Lohnsteuer der Fall ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418312900
Herr Kol-
lege Fromme, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Brüderle?


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1418313000
Bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418313100
Bitte
schön, Herr Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1418313200
Herr Kollege, stimmen Sie
mir zu, dass Herr Kollege Grasedieck das System über-
haupt nicht verstanden hat?


(Lachen bei der CDU/CSU)


Denn Existenzgründer fallen gar nicht unter seine Darle-
gungen. Wer gerade ein Unternehmen gründet, muss, weil
er zunächst gar keine Umsätze hat, im Folgejahr eine Jah-
resumsatzsteuererklärung abgeben. Der Fall, dass eine
monatliche Erklärung abgegeben werden muss, tritt gar
nicht ein.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Der muss eine monatliche abgeben! Sie sind nicht informiert!)


Bei einer Umsatzsteuerlast von weniger als 12 000 DM
hat man bereits heute die vierteljährliche Umsatzsteuer-
meldung. Das Minisegment, auf das Sie abgestellt haben
– Sie haben sowieso weitgehend von etwas anderem
gesprochen, weil Ihnen dieses Thema offensichtlich
peinlich ist –, kommt also gar nicht vor. Der Existenz-

gründer fertigt im ersten Jahr eine Jahresumsatzsteuer-
erklärung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Fragen Sie doch bitte einmal, was Sie wollen!)


Sie können das im Gesetzestext nachsehen, auch wenn es
Ihnen peinlich ist, dass Sie so viel Unkenntnis demons-
trieren.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Fragen Sie doch einmal Herrn Fromme!)


Denn bei einer Umsatzsteuerlast unter 12 000 DM gibt es
schon heute die vierteljährliche Umsatzsteuervoranmel-
dung, was gerade Existenzgründer betrifft.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1418313300
Herr Kol-
lege Brüderle, ob der Herr Kollege Grasedieck das ver-
standen hat oder nicht, darüber kann ich mir kein Urteil
erlauben.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wundert uns nicht!)


Aber nach seinen Äußerungen zu urteilen, liegt er völlig
neben der Sache. Insofern spricht einiges dafür, was Sie
eben gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es geht um den Zinsvorteil.
Bei einem Umsatz von bis zu 75 000 DM beläuft sich der
Zinsvorteil auf maximal 120 DM. Diesem Betrag müssen
Sie einmal den Verwaltungsaufwand gegenrechnen, und
zwar nicht nur den beim Betrieb, sondern auch den beim
Fiskus. Denn Letzterer ist ja in jedem einzelnen Fall für
die Überwachung zuständig. Wird eine Monatsmeldung
abgegeben, muss der Fiskus auch monatlich kon-
trollieren, ob die Zahlung eingegangen ist. Angesichts
dessen muss man feststellen, dass der Kostennachteil
beim Staat sehr schnell größer ist als der Zinsvorteil.
Deswegen sollten wir uns mit solchen Vorschlägen sehr
eindringlich befassen und schauen, wo wir unnötige Mel-
dungen vermeiden können.

Ich sage es noch einmal: Es gibt viel gravierendere
Fälle, wo der Verwaltungsaufwand in einem noch kras-
seren Missverhältnis zu dem Zinsvorteil steht; das ist
nämlich beim 630-Mark-Gesetz der Fall. Dort muss etwa
für 50 DM eine Erklärung abgegeben werden. Der Zins-
vorteil beträgt dann – Sie müssen das ja immer noch auf
den Monat umrechnen – 1 DM oder 2 DM, bei einem rie-
sigen Verwaltungsaufwand. Deswegen sollten wir uns
auch bei der Umsatzsteuer mit gestaffelten Meldepflich-
ten, wie das übrigens schon bei der Lohnsteuer der Fall ist,
befassen.

Wir haben ja schon einmal eine schriftliche Frage zu
diesem Thema gestellt. Sie waren damals der Meinung,
Sie könnten bei der Sozialversicherung nicht auf die Mo-
natsmeldung verzichten, weil ansonsten die Finanzierung
der Sozialversicherung gefährdet sei. Bei gestaffelten
Melde- und Zahlungspflichten kann das überhaupt nicht
passieren. Vielmehr sparen wir Bürokratieaufwand und
Ärger bei den Betrieben und den Bürgern. Deswegen soll-
ten wir so verfahren.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Jochen-Konrad Fromme

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(B)


Wenn wir uns aber schon über Meldepflichten unter-
halten, dann empfehle ich Ihnen, sich einmal mit einem
ganz anderen Fall auseinander zu setzen. Was passiert,
wenn ein Betrieb seiner Erstanmeldungspflicht nicht
nachkommt? Ich habe gerade einen entsprechenden Fall
in meinem Wahlkreis gehabt: Auf der EXPO hat eine
Firma Personal beschäftigt und sich zur Erledigung der
Lohnbuchhaltung eines Steuerberaters bedient. Sie hat
dem Steuerberater aber nicht die Unterlagen gegeben,
sondern gesagt, er müsse noch ein bisschen warten, weil
noch neue Arbeitsverträge abgeschlossen werden sollten.
Der Betrieb ist dann mit der Folge Konkurs gegangen,
dass die Bediensteten nicht zur Konkursausfallskasse an-
gemeldet und, obwohl sie sozialversicherungspflichtige
Arbeit geleistet haben, nicht versichert waren. Auf den
Strafantrag hin hat die Staatsanwaltschaft erklärt, das Ver-
fahren müsse eingestellt werden, denn der Unternehmer
habe sich auf den Steuerberater verlassen können und für
Steuerberater seien Fristen von sechs bis acht Wochen üb-
lich.


(Heidemarie Ehlert [PDS]: Das steht in der Abgabenordnung!)


Meine Damen und Herren, um Fälle wie diesen müssen
wir uns wirklich einmal kümmern, denn hier werden die
Menschen um berechtigte Ansprüche gebracht. Was wäre
denn passiert, wenn jemand in der Zeit der Beschäftigung
einen Betriebsunfall gehabt hätte oder schwer krank ge-
worden wäre? Er hätte keinen Schutz gehabt. Es wäre an-
gebracht, sich darum zu kümmern, anstatt das, was hier
beantragt ist, in Bausch und Bogen abzulehnen und wie-
der einmal das Kind mit dem Bade auszuschütten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, Sie sollten sich einmal um
die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt
und nicht um bürokratische Kleinigkeiten kümmern. Sie
haben uns kritisiert, weil wir angeblich ein Konjunktur-
programm vorgelegt hätten. Sie haben natürlich den Un-
terschied überhaupt nicht begriffen. Ein Konjunkturpro-
gramm bedeutet, Kredite aufzunehmen, um Geld in den
Wirtschaftskreislauf zu pumpen, und die Kredite aus den
Steuereinnahmen aus diesen neuen wirtschaftlichen Akti-
vitäten zurückzuzahlen. Genau das wollen wir nicht, son-
dern wir wollen Strukturveränderungen vorziehen, die
ohnehin anstehen. Das ist etwas anderes, um kreditfinan-
ziert die Konjunktur anzukurbeln. Wir sind uns doch alle
darin einig, dass die keynessche Wirtschaftstheorie aus-
gedient hat.

Sie haben mit Ihren Maßnahmen die Inflation ange-
heizt, was zur Folge hat, dass jetzt zum Beispiel die
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sagt, sie wolle in ihre
neuen Lohnforderungen drei Komponenten einbauen: ers-
tens den Ausgleich der Inflationsrate – das sind zurzeit im-
merhin noch 3 Prozent –, zweitens das Aufholen von
Lohnverzicht aus der Vergangenheit und drittens die Teil-
habe am Produktivitätsfortschritt. Wenn diese Forderun-
gen kommen – das ist ja zu erwarten –, dann wird es Ta-
rifverhandlungen mit ganz anderen Lohnabschlüssen als
in der Vergangenheit geben, was die Inflation zusätzlich
anheizen wird. Dies wird nicht nur den Wirtschaftsauf-
schwung behindern, sondern auch den kleinen Menschen

in die Tasche greifen; denn Inflation, meine Damen und
Herren, ist Diebstahl am kleinen Mann und nichts anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie verkünden die Wirtschaftspolitik der ruhigen Hand.
Ich habe eher den Eindruck, dass Sie eingeschlafen sind
und gar nichts tun. Aber falls Sie einmal die Hand suchen,
um in der Konjunkturpolitik etwas zu tun, dann sollten Sie
sie in den Taschen der Bürger suchen. Darin stecken Ihre
Hände ganz tief, um die Bürger abzukassieren, anstatt
dass Sie ihnen helfen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Fromme, Sie reden schon wieder Unsinn!)


– Dieser Zwischenruf qualifiziert sich von alleine.


(Horst Kubatschka [SPD]: Nein, er hat vollkommen Recht!)


Wer die Konjunktur beflügeln will, muss bei den am
Wirtschaftsleben Beteiligten Vertrauen erwecken. Was
ist aber mit Ihrer Steuerpolitik?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es geht hier um einen F.D.P.-Antrag! Wissen Sie das eigentlich?)


– Ich nehme mir dasselbe Recht wie Herr Grasedieck, und
rede zu den Themen, zu denen ich sprechen will.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Aber Sie haben nicht so viel Zeit!)


Sie haben gesagt, Sie wollten die Unternehmensver-
käufe steuerfrei stellen. Nachdem die Menschen darauf
vertraut und disponiert haben, nachdem sie sogar Unter-
nehmensverkäufe und -veränderungen über den geplan-
ten Zeitpunkt hinausgeschoben haben, soll es bei der Ge-
werbesteuer plötzlich nicht mehr gelten. Das haben Sie
zwar wieder dementiert. Aber so kann man doch kein
Vertrauen bei den an der Wirtschaft Beteiligten schaffen.
Es kann doch nicht mit einem „Heute hüh, morgen hott“
gehen.

Das nächste Drama bahnt sich doch bei den Abschrei-
bungen an. Dieses unselige Thema haben wir hier lange
erörtert.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man muss den Tagesordnungspunkt gar nicht kennen, zu dem man redet!)


Jetzt ist – übrigens ganz im Gegensatz zu dem, was uns
die Staatssekretärin im Ausschuss gesagt hat – der Tages-
presse zu entnehmen, dass Sie die Veränderungen bei den
Branchentabellen aussetzen wollen. Worum geht es?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es geht um den F.D.P.-Antrag: Umsatzsteuer!)


Es geht darum, dass Sie die Abschreibungszeiten verlän-
gern wollen. Das heißt, dass Sie am Anfang mehr Steuern
einnehmen wollen. Das ist innovationsfeindlich.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Ozonloch könnten Sie doch noch irgendwie abhandeln! – Wilhelm Schmidt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 Jochen-Konrad Fromme 18133 [Salzgitter] [SPD]: Ihre eigenen Leute sind ganz überrascht!)


(C)


(D)


(A)


(B)


Wenn Sie dies jetzt zurücknehmen, was ja richtig wäre,
dann schafften Sie eine neue Schieflage zulasten des Mit-
telstandes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Mittelstand ist ja von den allgemeinen Tabellen be-
troffen, bei denen Sie die Erhöhung schon durchgezogen
haben, während Sie es jetzt für andere zurücknehmen
wollen. Das ist keine Wirtschaftspolitik, mit der man Ver-
trauen schaffen und die Konjunktur ankurbeln kann. Wir
können es jeden Tag am Arbeitsmarkt ablesen: Wir haben
keine sinkende, sondern eine steigende Arbeitslosigkeit.
Das sind doch die Früchte Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie lassen sich immer als diejenigen feiern, die durch
eine Steuerreform die Wirtschaft beflügeln wollen. Herr
Grasedieck hat das ja auch getan. Die Wahrheit ist, dass
die Steuerquote gestiegen und nicht gesunken ist. Die
Wahrheit ist, dass Sie heimlich bereits neue Steuererhö-
hungen planen. So sollen gemäß Steueränderungsgesetz
2001 die Lebensversicherung anders bewertet werden.
Das bedeutet im Ergebnis höhere statt niedrigere Steuern.
So kann man die Wirtschaft nicht ankurbeln.

Die Wirtschaft kann man ankurbeln, indem man Büro-
kratie abbaut, in den Unternehmen Energien freisetzt, die
sie in ihre eigentliche Tätigkeit stecken können, um wirt-
schaftliche Aktivitäten zu entwickeln. Das brauchen wir.
Deshalb kann ich nur sagen: Setzen wir uns positiv mit
dem Antrag auseinander. Er wird vielen Betrieben, Verei-
nen und Verbänden helfen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418313400
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dieter
Grasedieck von der SPD-Fraktion das Wort.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1418313500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lasst uns positiv in die
Zukunft sehen, so sagte Herr Fromme vorhin, wenn er es
auch mit anderen Worten ausdrückte. Genau das meinen
wir auch; das haben wir in der Vergangenheit gemacht.
Deshalb muss ich einiges von dem, was Sie, Herr
Fromme, aufgeführt haben, verbessern.

Es ist offensichtlich falsch, wenn sie sagen, die Ar-
beitslosigkeit sei angestiegen. Schauen Sie sich das doch
einmal genauer an. Sie hatten uns 4,7 Millionen Arbeits-
lose hinterlassen. Wissen Sie, wie viele Arbeitslose wir im
Moment haben? – 3,7 Millionen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Seit Monaten saisonbereinigt steigend!)


Insofern zeigt diese Entwicklung eine positive Richtung
auf.

Ich will weiter ein Wort zum Mittelstand sagen. Sicher
werden Sie das auch wissen, denn Sie haben vorhin auf-

gezeigt, dass bei der Umsatzsteuerabrechnung insgesamt
wirklich nach einem Jahr eine Schätzung durchgeführt
wird; danach wird festgelegt, ob die Jungunternehmer
vierteljährlich oder monatlich abzurechnen haben. Wenn
sie über 12 000 DM Umsatzsteuer liegen, müssen sie
diese Anmeldung monatlich abgeben; liegen sie unter die-
sem Betrag, müssen sie sie vierteljährlich einreichen.

Dies wollen wir durch unser Onlinesystem erleichtern.
Das ist modern; das wird die Zukunft sein. Wir wollen
auch an dieser Stelle positiv in die Zukunft blicken: Das
ist das richtige System, das in der Zukunft weiter einge-
baut werden muss.

Herr Fromme, Sie haben von Konjunkturprogramm
gesprochen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hat er nicht! Sie haben nicht zugehört!)


– Das habe ich da vorn ganz deutlich gehört.
Sie können Ihr Konjunkturprogramm nur über Schul-

den oder über eine Steuererhöhung finanzieren. Das ha-
ben Sie von 1981 bis zum Jahre 1998 teilweise gemacht.
Die Schulden haben sich nicht allein im Zeitraum von
1990 bis 1998 erhöht. Die Schulden müssen ein Ende ha-
ben, Herr Fromme. Das müssen Sie sich merken. Deshalb
haben wir unser Konjunkturprogramm mit unserem Steu-
erprogramm verbunden. Dadurch haben wir den Bürgern
viel Geld zurückgegeben. Damit werden wir auch hin-
sichtlich des Arbeitsmarktes erfolgreich sein.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418313600
Herr
Fromme, wollen Sie erwidern? – Sie wollen nicht erwi-
dern. Vielen Dank.


(Zuruf von der SPD: Er ist sprachlos! – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Nicht sprachlos, klug! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zwecklos!)


Jetzt hat die Kollegin Christine Scheel von Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418313700

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Fromme, scheinbar ist es so, dass Ihnen zu dem Thema,
über das wir hier beraten, nicht genug eingefallen ist, so-
dass Sie auf alle möglichen Themen ausweichen mussten,
die wir bereits in den letzten Sitzungen abgehandelt hat-
ten. Aber es ist immer ganz nett, wenn man eine Zusam-
menfassung hört


(Horst Kubatschka [SPD]: Auch wenn sie falsch ist!)


und als Ergebnis vernimmt, dass die CDU/CSU der Auf-
fassung ist, man solle die Staatsverschuldung weiter nach
oben treiben. Vielen Dank für die Auskünfte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie hat es immer noch nicht begriffen!)


– Ich will zum Thema reden.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Jochen-Konrad Fromme

18134


(C)



(D)



(A)



(B)


Die F.D.P. fordert in ihrem Gesetzentwurf, die Pflicht
zu monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abzu-
schaffen. Bisher war es so – Herr Grasedieck hat soeben
darauf hingewiesen –, dass nur Unternehmen, die im Vor-
jahr mehr als 12 000 DM Umsatzsteuer gezahlt haben, zu
solchen monatlichen Anmeldungen verpflichtet sind. Alle
anderen müssen ihre Umsatzsteuervoranmeldungen vier-
teljährlich abgeben und die entsprechende Umsatzsteuer
demgemäß abführen.

Das ist der Sachverhalt, wie er derzeit gegeben ist.

Diese Beschränkung der monatlichen Anmeldung auf
die umsatzstärkeren Unternehmen wurde übrigens erst
1996 eingeführt. Die Neuregelung hat sich bewährt; denn
gerade bei den kleinen und mittleren Unternehmen fallen
pro Jahr acht Umsatzsteuervoranmeldungen weg. Wenn
man das auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland
umrechnet, dann trifft dies jeden zweiten Unternehmer
und jede zweite Unternehmerin. Dementsprechend gerin-
ger ist auch der Aufwand. Das ist vollkommen klar. Da-
rüber müssen wir nicht reden.

Mir ist die Idee sympathisch, auch der anderen Hälfte
der Unternehmerschaft diesen Verwaltungsaufwand zu
ersparen. Ich kann Herrn Grasedieck nur vollständig darin
zustimmen, dass wir beim heutigen Stand der Technologie
und ihrer Fortentwicklung die Probleme, die es noch vor
Jahren gegeben hat, selbstverständlich so nicht mehr ha-
ben. Man kann nicht eine alte Technologie von vor drei
oder vier Jahren mit dem vergleichen, was heute möglich
ist und was es in der Perspektive an Abrechnungsmög-
lichkeiten geben wird.

Herr Brüderle, ich möchte Ihnen eines sagen: Es gilt
hier zwischen Vor- und Nachteilen abzuwägen. Ich finde,
dass der Vorschlag der F.D.P. die ganzen Anstrengungen
von Bund und Ländern konterkariert, gegen den Umsatz-
steuerbetrug durch kriminelle Organisationen verstärkt
vorzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418313800
Frau Kol-
legin Scheel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Brüderle?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418313900

Ich mag ihn jetzt nicht. Ich habe ihn schon gehört.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er hat schon genug Unsinn erzählt! – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie haben ein schlechtes Gewissen!)


Ich bin wirklich sehr überrascht: Wir machen uns in
diesem Hause schon seit längerer Zeit gemeinsam Ge-
danken darüber, wie wir den Umsatzsteuerbetrug eini-
germaßen in den Griff bekommen. Sie hingegen machen
genau das Gegenteil und wollen diesen Betrügern die
Arbeit noch erleichtern. Das ist wieder einmal typische
F.D.P.-Politik. Klasse!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Dummes Zeug! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die da drüben sind ja auch die Urheber dieser ganzen Veranstaltung!)


Wir wollen nach der Sommerpause ein ganzes Paket
beraten, mit dem wir die Steuerhinterziehung bei der Um-
satzsteuer eindämmen. Beispielsweise ist geplant, dass
Unternehmensgründer und -gründerinnen im Jahr der
Gründung und im ersten Folgejahr – unabhängig von den
tatsächlich erzielten Umsätzen – ihre Umsatzsteuervor-
anmeldungen monatlich abgeben. Herr Grasedieck hat
gerade darauf hingewiesen, dass dies technisch kein Pro-
blem ist.

Die Finanzämter – das ist das Wesentliche an dieser
ganzen Überlegung – kommen dadurch schneller an In-
formationen über neue Unternehmen und können somit
eher eine Steuerhinterziehung aufdecken. Das ist das, was
wir erreichen wollen; denn angesichts der sehr kurzen Le-
bensdauer von manchen kriminellen Organisationen, die
an solchen Karussellbetrugsgeschäften beteiligt sind,
können zwei Monate einen enormen Informationsvor-
sprung ausmachen. Deswegen wollen wir diese Regelung
ins Auge fassen.

Diese Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung bringen
zwar für manchen ehrlich zahlenden Unternehmer etwas
mehr Verwaltungsaufwand mit sich. Das ist richtig. Auf
der anderen Seite fehlen den öffentlichen Haushalten
aufgrund dieser betrügerischen Geschäfte erhebliche Steu-
ereinnahmen. Die Schätzungen gehen bis zu einer zwei-
stelligen Milliardensumme. Geschätzt sind es 20 Milli-
arden DM, auf die wir jedes Jahr leider verzichten
müssen,


(Heidemarie Ehlert [PDS]: Seit 1996!)


weil wir diese Betrügereien bislang nicht in den Griff
bekommen haben. Während Ihrer Regierungszeit gab es
wenig Bestrebungen, dies zu tun.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herrn Brüderle ist das egal!)


Seit ich heute Ihren Ausführungen gefolgt bin, wundert es
mich nicht mehr, dass das so war. Jedenfalls war das kon-
traproduktiv.

Wir wissen – das ist der letzte Punkt, den ich zu diesem
Thema anmerken möchte –, dass es darüber hinaus natür-
lich zu einem Kassenausfall führte, auch wenn Sie dies
bestreiten. Wir hätten einen Kassenausfall von rund
30 Milliarden DM zu verkraften. Das Geld kommt zwar
im Folgejahr wieder in die öffentlichen Kassen, aber das
Rechnungsjahr ist nun einmal nicht das Kalenderjahr.
Darüber hinaus haben wir Zinsausfälle und Zinsverluste.
Diese entstehenden Kosten müssten gegenfinanziert
werden.

Sie fordern immer Steuererleichterungen. Aber wo
dann die Investitionen hergenommen werden sollen, sa-
gen Sie nicht. Ich möchte Sie bitten: Kehren Sie endlich
zu einer ehrlichen Politik zurück! Hören Sie auf, perma-
nent Forderungen nach Vergünstigungen zu stellen, ohne
den Bürgern zu sagen, dass Sie damit die Staatsverschul-
dung nach oben treiben würden, dass dementsprechend

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Christine Scheel

18135


(C)



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(B)


mehr Zinsen zu zahlen wären und dass damit in Wahrheit
keine Konjunkturprogramme mehr machbar wären.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418314000
Die Ab-
lehnung der Zwischenfrage hat natürlich eine erneute
Kurzintervention provoziert. Ich mache darauf aufmerk-
sam, dass die nächste Kurzintervention die letzte ist, die
ich zulasse.


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle das Wort zu
einer Kurzintervention.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1418314100
Frau Kollegin Scheel, Sie
haben eben die ungeheuerliche Aussage gemacht, dass
wir mit der von uns vorgeschlagenen Vereinfachung der
Bürokratie quasi die Kriminalität fördern würden.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt! – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


– Hören Sie zu, Herr Ströbele. Sie sind ja Spezialist für
Kriminalität.

Wenn Sie unterstellen, dass wir durch eine Bürokratie-
vereinfachung Wirtschaftsverbrechen begünstigen, dann
beschimpfen Sie auch weite Teile unserer Wirtschaft und
des Mittelstands.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Glauben Sie etwa, dass Großbritannien, Österreich
oder Dänemark, die eine entsprechende Bürokratie-
vereinfachung durchgeführt haben, Kriminalitätsförder-
programme installiert haben?

Mit dem Ansatz, den Sie gewählt haben – das gilt auch
für Herrn Grasedieck –, wollen Sie nur vom eigentlichen
Problem ablenken.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Ach was!)


Das, was Sie über die Existenzgründer gesagt haben – das
war Ihr Kernpunkt –, trifft überhaupt nicht zu.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Vorhin haben Sie doch gesagt, dass das zutrifft! Sie müssen zuhören!)


Es geht doch um die Abschaffung der Pflicht zur monat-
lichen Umsatzsteueranmeldung. Wenn Sie es verstanden
hätten, dann müsste Ihnen eigentlich klar sein, dass Ihre
ganze Argumentation völlig abwegig ist. Wenn Sie argu-
mentieren, dass dadurch die Möglichkeit der monatlichen
Umsatzsteuerzahlung genommen wird, dann widerspre-
chen Sie sich sogar selbst.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht doch, wie gesagt, um die Abschaffung der
Pflicht zur monatlichen Umsatzsteueranmeldung. Wer es
freiwillig machen möchte, kann es machen. Wahrschein-
lich werden die Vorschläge, weil sie von der Opposition
und nicht von Ihnen stammen, verteufelt und mit allge-
meinen Sprüchen über Staatsverschuldung und Konjunk-
turprogramme bedacht. Damit wird vom Thema abge-
lenkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dieter Grasedieck [SPD]: Die F.D.P., der Unternehmensfeind!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418314200
Zur Erwi-
derung gebe ich das Wort Christine Scheel.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1418314300

Herr Brüderle, ich habe nicht davon gesprochen, dass die
Wirtschaft kriminell ist. Ihre Behauptung ist völliger
Unsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe davon gesprochen, dass es in unserer Gesell-
schaft leider – ich betone: leider – Leute gibt, die aufgrund
von kriminellen Machenschaften keine Steuern zahlen.
Dadurch entstehen Steuerausfälle in Höhe von etwa
20 Milliarden DM. Ich bin der Auffassung, dass es Auf-
gabe der Politik ist, der Allgemeinheit der Steuerzahler
durch das Schaffen von entsprechenden Rahmenbedin-
gungen und Prüfungsmechanismen diese Steuerausfälle
zu ersparen. Nur dann können wir die Steuern für alle
gemeinsam senken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dieter Grasedieck [SPD]: Pech gehabt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418314400
Als letzte
Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun das
Wort die Kollegin Heidi Ehlert von der PDS-Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1418314500
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Man möchte ja glauben, dass es tatsäch-
lich um das geht, was hier behauptet wird, nämlich um
den Abbau von Bürokratie. Es wäre schön, wenn es
tatsächlich so wäre. Aber mir fehlen Aussagen darüber, zu
welchen Ergebnissen die Änderung des Umsatzsteuer-
gesetzes von 1996 geführt hat. Damals wurde die Grenze,
ab der eine monatliche Umsatzsteuervoranmeldung erfol-
gen muss, von 6 000 auf 12 000 DM angehoben. Welche
Erleichterungen das sowohl für die Finanzbehörden als
auch für die Unternehmen gebracht hat, haben Sie nicht
gesagt.

Ich möchte klipp und klar sagen, worum es in dem
heute vorliegenden Antrag der F.D.P.-Fraktion geht: Bei
einer ersatzlosen Streichung dieser Grenze kommen all
diejenigen, die mehr als 12 000 DM Steuern zahlen, in
den Genuss des Voranmeldezeitraums von einem Vier-
teljahr, können das Geld also länger behalten. Das be-
trifft nicht etwa nur kleine und mittelständische Unter-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Christine Scheel

18136


(C)



(D)



(A)



(B)


nehmen, wie Sie behaupten. Sie sollten ehrlich sein und
zugeben, dass Sie eigentlich andere schützen wollen.
Diejenigen, die im Rahmen der Vorsteuer etwas vom
Fiskus zurückbekommen, sollen ihre Umsatzsteueran-
meldung natürlich monatlich abgeben können. Das heißt
also, der Staat wird von denjenigen, die es sich eigent-
lich leisten könnten, Umsatzsteuer zu zahlen, als
Kreditinstitut missbraucht. Das können wir nicht mit-
machen.


(Beifall bei der PDS – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wenn Sie alles verstaatlichen, haben Sie das Problem nicht mehr!)


– Ihre Bemerkung ist ein bisschen platt. Wenn feststeht,
was die Anhebung der Grenze von 6 000 auf 12 000 DM
gebracht hat, können wir einmal schauen, ob die jetzige
Grenze noch gerecht ist.

Die Vorsteuer wollen Sie monatlich zahlen lassen und
die Umsatzsteuer quartalsweise. Das hat nicht nur Zins-
ausfälle für den Staat zur Folge. Da müssen Sie schon sa-
gen, wie Sie die Lücke, die Sie entstehen lassen, wieder
schließen wollen.

Es bleibt uns noch viel Zeit, im Ausschuss darüber zu
diskutieren. Mit Abbau von Bürokratie hat dieser Antrag
aber nichts zu tun; vielmehr soll der Staat zum Kredit-
institut werden. Das können wir nicht mittragen.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1418314600
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 14/5331 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 16 auf:

ZP 16 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung der Strafprozess-
ordnung

– Drucksache 14/5166 –

(Erste Beratung 155. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Jörg van Essen, Rainer Funke,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der
Pressefreiheit

– Drucksache 14/1602 –


(Erste Beratung 61. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 14/6576 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ronald Pofalla
Hans-Christian Ströbele
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die Rede-
beiträge zu Protokoll gegeben werden. Ich darf die Namen
der Redner verlesen, deren Reden zu Protokoll genom-
men werden: Professor Jürgen Meyer von der SPD-Frak-
tion, Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion, Hans-
Christian Ströbele vom Bündnis 90/Die Grünen, Jörg van
Essen von der F.D.P., Angela Marquardt von der PDS und
für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatsse-
kretär Professor Eckhart Pick.1) Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung der Strafprozessordnung auf Drucksache 14/5166.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6576, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU
und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der F.D.P. zur Sicherung der Pressefreiheit
auf Drucksache 14/1602. Der Rechtsausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/6576, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU ge-
gen die Stimmen von F.D.P. und PDS abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Be-
ratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Elmar Müller (Kirchheim), Renate Blank,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Aktuelle Wettbewerbssituation in der Telekom-
munikation
– Drucksachen 14/5167, 14/5915 –

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Heidemarie Ehlert

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Barthel (Starnberg), Thomas Sauer, Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Grietje
Bettin, Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Wettbewerb und Regulierung im Telekommu-
nikationssektor
– Drucksache 14/5693 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien

Auch bei diesem Tagesordnungspunkt ist vorgesehen,
dass die Reden zu Protokoll genommen werden. Es han-
delt sich um die Reden der Kollegen Ulrich Kelber und
Klaus Barthel von der SPD-Fraktion, Dr. Martin Mayer
und Elmar Müller von der CDU/CSU, Michaele Hustedt
vom Bündnis 90/Die Grünen, Rainer Funke von der
F.D.P. und Gerhard Jüttemann von der PDS.2) Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so be-
schlossen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5693 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(Spätaussiedlerstatusgesetz – SpStatG)

– Drucksache 14/6310 –

(Erste Beratung 177. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/6573 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Graf (Friesoythe)

Hartmut Koschyk
Marieluise Beck (Bremen)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt ist vorgesehen,
die Reden zu Protokoll zu nehmen. Es handelt sich um die
Reden der Kollegen Günter Graf, SPD, Hartmut Koschyk,
CDU/CSU, Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen,
Dr. Max Stadler, F.D.P., Petra Pau, PDS, und des Aus-
siedlerbeauftragten Jochen Welt.1) Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Klarstellung des Spätaus-
siedlerstatus. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6573,
den von ihm verabschiedeten Teil des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 14/6310 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Teil des Gesetz-
entwurfs in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU ge-
gen die Stimmen von F.D.P. und PDS angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die diesem
Teil des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Dieser Teil des Gesetzentwurfs ist in der
Ausschussfassung mit dem gleichen Stimmenergebnis
angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6573 empfiehlt der Innenausschuss, den übrigen
Teil des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6310 einer
späteren Beschlussfassung vorzubehalten.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Hübner, Eva Bulling-Schröter, Ursula Lötzer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Reform der Hermesbürgschaften nach ökolo-
gischen, sozialen und entwicklungspolitischen
Kriterien
– Drucksache 14/6373 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,
Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu-Stau-
damm in der Türkei
– Drucksachen 14/2336, 14/4072 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

18138


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7
2) Anlage 8

Dr. Günter Rexrodt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.
Für ein effizientes und transparentes Ausfuhr-
gewährleistungssystem
– Drucksachen 14/5334, 14/6182 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Für den Erhalt von Hermes als Instrument der
Außenwirtschaftsförderung und eine Reform
des Hermesinstruments im internationalen
Rahmen
– Drucksachen 14/5749, 14/6186 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Auch in diesem Fall sollen dSie Reden zu Protokoll
genommen werden. Es handelt sich um die Reden der
Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion, Siegfried
Helias, CDU/CSU, Angelika Köster-Loßack, Bünd-
nis 90/Die Grünen, Gudrun Kopp, F.D.P., Carsten Hübner,
PDS, und des Parlamentarischen Staatssekretärs Siegmar
Mosdorf.2) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall.

Tagesordnungspunkt 28 a: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage aus Drucksache 14/6373 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 28 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-

sache 14/4072. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/2336 mit dem Titel „Keine Hermesbürgschaften
für den Ilisu-Staudamm in der Türkei“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 28 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/6182. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/5334 mit dem Titel „Für ein effizientes und trans-
parentes Ausfuhrgewährleistungssystem“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 28 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/6186. Der Ausschuss empfiehlt die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/5749 mit dem Titel „Für den Erhalt von Hermes
als Instrument der Außenwirtschaftsförderung und eine
Reform des Hermesinstruments im internationalen Rah-
men“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/
CSU und F.D.P. angenommen.

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.

Ich wünsche Ihnen gute Erholung, schöne Ferien und
dass Sie mit neuer Schaffenskraft zurückkommen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, den 11. September 2001, 11 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.