Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
18139
(C)
(D)
(A)
(B)
1) Anlage 9
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18141
(C)
(D)
(A)
(B)
Aigner, Ilse CDU/CSU 06.07.2001
Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 06.07.2001
DIE GRÜNEN
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 06.07.2001
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 06.07.2001
Bohl, Friedrich CDU/CSU 06.07.2001
Borchert, Jochen CDU/CSU 06.07.2001
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 06.07.2001
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 06.07.2001
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 06.07.2001
Fischer (Karlsruhe-Land), CDU/CSU 06.07.2001
Axel
Freitag, Dagmar SPD 06.07.2001
Friedrich (Altenburg), SPD 06.07.2001
Peter
Fuchs (Köln), Anke SPD 06.07.2001
Gloser, Günter SPD 06.07.2001
Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 06.07.2001
Grießhaber, Rita BÜNDNIS 90/ 06.07.2001
DIE GRÜNEN
Günther (Plauen), F.D.P. 06.07.2001
Joachim
Hartnagel, Anke SPD 06.07.2001
Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 06.07.2001
Heinen, Ursula CDU/CSU 06.07.2001
Hiller (Lübeck), SPD 06.07.2001
Reinhold
Hintze, Peter CDU/CSU 06.07.2001
Hofbauer, Klaus CDU/CSU 06.07.2001
Kampeter, Steffen CDU/CSU 06.07.2001
Kasparick, Ulrich SPD 06.07.2001
Klappert, Marianne SPD 06.07.2001
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 06.07.2001
Dr. Lamers CDU/CSU 06.07.2001
(Heidelberg), Karl A.
Lehn, Waltraud SPD 06.07.2001
Lengsfeld, Vera CDU/CSU 06.07.2001
Michelbach, Hans CDU/CSU 06.07.2001
Michels, Meinolf CDU/CSU 06.07.2001
Müller (Jena), Bernward CDU/CSU 06.07.2001
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 06.07.2001
Ost, Friedhelm CDU/CSU 06.07.2001
Rauber, Helmut CDU/CSU 06.07.2001
Ronsöhr, CDU/CSU 06.07.2001
Heinrich-Wilhelm
Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 06.07.2001
Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 06.07.2001
Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 06.07.2001
Schindler, Norbert CDU/CSU 06.07.2001
Schlee, Dietmar CDU/CSU 06.07.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 06.07.2001
Hans Peter
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 06.07.2001
Andreas
Schütz (Oldenburg), SPD 06.07.2001
Dietmar
Schütze (Berlin), CDU/CSU 06.07.2001
Diethard
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 06.07.2001
Schultz (Everswinkel), SPD 06.07.2001
Reinhard
Sorge, Wieland SPD 06.07.2001
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 06.07.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 06.07.2001
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 06.07.2001
Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 06.07.2001
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 06.07.2001
Wiese (Hannover), SPD 06.07.2001
Heino
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 06.07.2001
Wright, Heidemarie SPD 06.07.2001
Zapf, Uta SPD 06.07.2001
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Volmar Schulz (Köln) (SPD)
zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes in der Ausschussfassung (Druck-
sachen 14/5751 und 14/6352) (177. Sitzung, Ta-
gesordnungspunkt 18)
In der Abstimmliste ist mein Name nicht aufgeführt.
Mein Votum lautet: Ja.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
derAbgeordneten Barbara Höll, Rosel Neuhäuser,
Monika Balt, Maritta Böttcher, Christina
Schenk, Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert,
Heidemarie Ehlert, Sabine Jünger, Dr. Heinrich
Fink, Heidi Lippmann, Petra Bläss, Pia Maier,
Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter (alle PDS) zur
Abstimmung über den Entwurf in derAusschuss-
fassung eines Zweiten Gesetzes zur Familienför-
derung (Drucksache 14/6582)
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Wir begrüßen ausdrücklich die Erhöhung des Kindergel-
des um monatlich 30 DM. Dennoch werden wir dem
Zweiten Gesetz zur Familienförderung nicht zustimmen,
sondern uns der Stimme enthalten.
Der Gesetzentwurf verdient nicht das Etikett der Fa-
milienförderung, vielmehr enthält er eine erhebliche so-
ziale Schieflage:
Erstens. Die materiellen Bedingungen von armen und
reichen Familien werden durch den Gesetzentwurf weiter
auseinanderdriften. Die Freibeträge werden um 1 423 DM
auf insgesamt rund 11 340 DM jährlich erhöht, das Kin-
dergeld dagegen nur um monatlich 30 DM, 360 DM jähr-
lich. Die Konsequenz dessen ist, dass Spitzenverdienerin-
nen und -verdiener ab 2002 um weitere 56 DM pro Monat
steuerlich entlastet werden, Eltern mit niedrigen und mitt-
leren Einkommen jedoch nur um die Kindergelderhöhung
von 30 DM. Spitzenverdienerinnen und -verdiener erhal-
ten damit pro Monat eine Entlastung von insgesamt rund
460 DM gegenüber den anderen Eltern, die ausschließlich
ein Kindergeld in Höhe von 300 DM monatlich erhalten.
Diese unsozialen Verteilungswirkungen des Familienför-
derungsgesetzes hätten Sie von der Regierung durch die
Abschaffung des dualen Systems, also der Freibeträge
und durch eine erhebliche Anhebung des Kindergeldes für
alle Eltern vermeiden können. Dies war ja auch lange
Jahre eine Forderung von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen.
Zweitens. Wir können dem Gesetzentwurf nicht zu-
stimmen, weil die Anhebung des Kindergeldes nicht an
die Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe wei-
tergegeben wird. Gerade bei den 1,1 Millionen betroffe-
nen Kindern ist dies jedoch notwendig, da die Leistungen
der Sozialhilfe bereits seit Jahren nicht mehr entspre-
chend den realen Lebenshaltungskosten gestiegen sind.
Darüber hinaus ist nicht einzusehen, weshalb die Leistun-
gen eines Gesetzes zur Familienförderung nicht auch
den ärmsten Familien zugute kommen sollen. Sind diese
nicht förderungswürdig?
Drittens. Wir enthalten uns, weil Sie mit ihrem Gesetz-
entwurf wiederholt eine Strukturreform bei der Familien-
besteuerung und die Chance, Finanzmittel für eine weitere
Anhebung des Kindergeldes und die Verbesserung der
Rahmenbedingungen der Familien zu erschließen, ver-
passt haben. So schaffen Sie zwar den Haushaltsfreibetrag
der Alleinerziehenden ab, wagen sich jedoch nicht an die
Kappung geschweige denn die Umwandlung des Ehegat-
tensplittings. Alleinerziehende Eltern erfahren durch Ihre
Reform dauerhaft eine steuerliche Diskriminierung und
eine reale materielle Benachteiligung gegenüber den
Ehepaaren. Den Verzicht auf diese Strukturreform halten
wir für besonders brisant, da durch die Umwandlung des
Ehegattensplittings, das ja auch zahlreichen kinderlosen
Ehen zugute kommt, erhebliche Finanzmittel frei würden,
die für die weitere Entlastung von Menschen mit Kindern
verwendet werden könnten.
Was uns zu der Entscheidung, sich zu Ihrem Gesetz-
entwurf zu enthalten, im besonderen Maße bewegt, ist die
Tatsache, dass durch Ihr Gesetz zur Familienförderung
ein Teil der Eltern zukünftig real weniger Geld haben
wird. Dies ist ein Novum.
Vor allem durch die Streichung des Haushaltsfreibetra-
ges werden alleinerziehende Eltern in den nächsten Jah-
ren erhebliche materielle Benachteiligungen hinnehmen
müssen. So sinkt das Haushaltsnettoeinkommen einer Al-
leinerziehenden mit einem Kind mit einem monatlichen
Bruttolohn von rund 2 000 DM ab dem Jahr 2005 um
50 DM monatlich. Alleinerziehende mit einem monatli-
chen Bruttolohn in Höhe von 4 000 DM haben monatlich
rund 130 DM weniger im Geldbeutel. Damit belasten Sie
von der Regierung gerade diejenigen Eltern, die auch
laut dem Armuts- und Reichtumsbericht tendenziell von
Armut bedroht oder bereits arm sind. Das müssen Sie den
Betroffenen erst einmal erklären!
Und Sie hätten dies vermeiden können: Die PDS hat
einen Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf einge-
bracht, in dem wir fordern, die realen Kinderbetreuungs-
kosten bei allen Eltern ab der ersten Mark bis in Höhe von
6 000 DM jährlich steuerlich zu berücksichtigen. Dies ist
zwar eine Regelung für alle Eltern, allerdings mit dem
Effekt, dass die massiven Mehrbelastungen, die Alleiner-
ziehenden zugemutet werden, zumindest teilweise kom-
pensiert werden könnten. Damit würde eine wesentliche
Ursache der in Ihrem Gesetzentwurf zur Familienförde-
rung enthaltenen sozialen Schieflage beseitigt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118142
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entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 4
Erklärung
der Abgeordneten Erika Simm (SPD) zur na-
mentlichen Abstimmung über den Änderungs-
antrag der PDS: Gerechte Chancen am Start
Kinderarmut bekämpfen (Drucksache 14/6589)
(Tagesordnungspunkt 20 b)
In der Abstimmungsliste ist mein Name nicht aufge-
führt.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 5
Erklärung
der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier (SPD)
zur namentlichen Abstimmung über den Än-
derungsantrag der PDS: Gerechte Chancen
am Start Kinderarmut bekämpfen (Druck-
sache 14/6589) (Tagesordnungspunkt 20 b)
In der Abstimmungsliste ist mein Name nicht aufge-
führt.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
des Antrags: Im Bündnis für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit bei wichti-
gen Fragen des Arbeitsmarktes endlich han-
deln
der Unterrichtung: Beschäftigungspolitischer
Aktionsplan der Bundesrepublik Deutsch-
land 2001
des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung
betrieblicher Bündnisse für Arbeit
(Tagesordnungspunkt 21 a und b, Zusatztages-
ordnungspunkt 14)
Andrea Nahles (SPD): Die SPD-geführte Bundes-
regierung macht eine zukunftsfähige Arbeitsmarktpolitik.
Das lässt sich am Beschäftigungspolitischen Aktionsplan
im Detail nachvollziehen. Sie steht mit ihrer Politik in
Europa nicht alleine. Die zunehmenden Abhängigkeiten
in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion
machen es erforderlich, dass Deutschland die Heraus-
forderungen gemeinsam mit seinen europäischen Part-
nern angeht. Während die Regierung Kohl immer eine
Politik nach dem Motto Beschäftigungspolitik geht die
EU nichts an gemacht hat Amsterdamer Gipfel 1997/
Luxemburger Beschäftigungsgipfel 1997 , hat diese
Bundesregierung nicht zuletzt während der Ratspräsi-
dentschaft 1999 maßgeblichen Anteil an einer auf euro-
päischer Ebene abgestimmten Beschäftigungspolitik. Ein
Teil dieser abgestimmten Politik ist der Beschäftigungs-
politische Aktionsplan, den wir heute hier diskutieren.
Ich möchte nun auf einige ausgewählte Schwerpunkte
des Aktionsplans 2001 eingehen. Die Schwerpunkte des
Beschäftigungspolitischen Aktionsplans bauen auf vier
Säulen auf:
Erstens. Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit: Der
Rückgang der Arbeitslosigkeit muss weiter fortgesetzt
werden, die Herausforderungen des Strukturwandels er-
fordern ständige Anpassung der Arbeitsförderung, die
Notwendigkeit des lebenslangen Lernens steigt, weil die
Anforderungen an zukunftsorientierte Arbeitsplätze mit
dem technischen Fortschritt ständig zunehmen. Aus die-
sem Grund setzten wir trotz rückläufiger Arbeitslosen-
zahlen die aktive Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau
fort. Das Haushaltsvolumen der aktiven Arbeitsmarkt-
politik von Bund und Bundesanstalt für Arbeit beträgt für
das laufende Jahr 44,4 Milliarden DM und liegt damit
2 Milliarden DM über den im Jahr 2000 aufgewendeten
Mitteln. Die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpolitik wur-
den weit überproportional in den neuen Bundesländern
eingesetzt. Der Stellenwert von Bildung und lebensbe-
gleitendem Lernen wird im Aktionsplan deutlich darge-
stellt. Die staatlichen Mittel für Bildung und Forschung
der Bund hat allein eine Steigerung von 1998 zu 2001
um 12,5 Prozent bzw. fast 1,8 Milliarden DM aufzuwei-
sen werden deutlich erhöht.
Die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit spielt
auch in der SGB-III-Reform eine wichtige Rolle. Wir set-
zen also unsere Linie fort: Jobrotation wird als Regel-
instrument der Arbeitsförderung eingeführt. Für unge-
lernte und gering qualifizierte Arbeitnehmer wird ein
neues Förderungselement geschaffen. Arbeitgebern wird
Lohn ganz oder teilweise erstattet, wenn sie unter Weiter-
zahlung des Gehalts Arbeitnehmer zur Qualifikation frei-
stellen. Die Möglichkeit zum Bezug von Teilunterhalts-
geld während beruflicher Weiterbildung in Teilzeitform
wird deutlich erweitert. Weiterbildung im Ausland kann
gefördert werden, wenn der Aufenthalt im Ausland zur
Erreichung des Bildungsziels besonders sinnvoll ist.
Zweitens. Förderung der Chancengleichheit von Män-
nern und Frauen: Die Bundesregierung hat bei der Ver-
besserung der Chancengleichheit von Frauen und Män-
nern deutliche Fortschritte erzielt. Der Gender-Main-
streaming-Ansatz findet nahezu bei allen Gesetzen seinen
Niederschlag. So konnte die geschlechtsspezifische Dis-
krepanz am Arbeitsmarkt im letzten Jahr reduziert werden.
Die Frauenarbeitslosenquote ging im Vorjahr um 1,2 Pro-
zent zurück und lag unter dem EU-Durchschnitt. Mit dem
zu Beginn des Jahres in Kraft getretenen Teilzeit- und Be-
fristungsgesetz, den neuen Regelungen zur Elternzeit und
den verstärkten Anstrengungen, den Rechtsanspruch auf ei-
nen Kindergartenplatz umzusetzen, verbessern sich die
Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf
nachhaltig.
Auch diese Entwicklung werden wir im SGB III fort-
setzen. Der Gleichstellungsgedanke im Sinne des Gender-
Mainstreaming wird im gesamten Anwendungsbereich
des SGB III berücksichtigt. Der Zielkatalog des SGB III
wird um die Gleichstellung von Frauen und Männern als
einer Querschnittsaufgabe des Arbeitsförderungsrechts
ergänzt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18143
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Wir werden spezielle Frauenfördermaßnahmen ins
SGB III einbauen, die dazu führen, dass Frauen entspre-
chend ihrem Anteil an den Arbeitslosen und entsprechend
ihrer Arbeitslosenquote durch Maßnahmen der aktiven
Arbeitsmarktpolitik gefördert werden.
Die soziale Sicherung für Personen, die Kinder erzie-
hen, wird erweitert: Der Erwerb eines Anspruchs auf
Arbeitslosengeld soll dadurch erleichtert werden, dass
Zeiten des Bezuges von Mutterschaftsgeld sowie die
Betreuung und Erziehung eines Kindes unter drei Jahren
schrittweise in die Versicherungspflicht zur Bundesanstalt
für Arbeit einbezogen werden und damit künftig zum
Erwerb von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld dienen.
Berufsrückkehrer können in ABM gefördert werden, auch
wenn sie aktuell keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld
oder -hilfe haben, aber einmal mindestens ein Jahr versi-
cherungspflichtig beschäftigt waren. Kinderbetreuungs-
kosten bei Teilnahme an Maßnahmen der beruflichen
Aus- und Weiterbildung sowie Trainingsmaßnahmen wer-
den auf 250 DM angehoben.
Drittens. Entwicklung des Unternehmensgeistes und
Schaffung von Arbeitsplätzen: Existenzgründungen wer-
den durch eine Vielzahl von Maßnahmen durch Bund und
Länder unterstützt. Im vergangenen Jahr wurden alleine
aus dem ERP-Sondervermögen und über die Deutsche
Ausgleichsbank Mittel für Kredite und Beteiligungskapi-
tal in Höhe von 8 Milliarden DM für Existenzgründungen
bereitgestellt. Damit wurden Investitionen in Höhe von
30 Milliarden DM angestoßen. Die Bundesanstalt für Ar-
beit förderte im vergangenen Jahr die Aufnahme einer
selbstständigen Tätigkeit für Arbeitslose mit 1,5 Milli-
arden DM.
Viertens. Förderung der Anpassungsfähigkeit der Un-
ternehmen und ihrer Beschäftigten: Im Rahmen des
Bündnisses für Arbeit haben sich die Bündnispartner für
einen beschäftigungswirksamen Abbau von Überstunden
ausgesprochen. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz
über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, das am
1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, größere Arbeitszeit-
souveränität für Arbeitnehmer geschaffen und die Flexi-
bilität für Unternehmen gewahrt. Das Betriebsverfas-
sungsgesetz schafft die Grundlage dafür, dass im
Unternehmen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf gleicher
Augenhöhe an der Sicherung und Schaffung von Arbeits-
plätzen mitwirken können. Aus diesem Grund hat die
neue Betriebsverfassung den Standortvorteil Mitbestim-
mung gesichert, ausgebaut und so den Wirtschaftsstandort
Deutschland zukunftsfähiger gemacht. Sehr geehrte Da-
men und Herren der Opposition, in Ihrem Antrag Im
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-
keit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmarktes endlich han-
deln warten Sie mit Rezepten auf, die Sie in 16 Jahren er-
folglos betrieben haben. Die Folge waren die Probleme,
mit denen auch wir jetzt immer noch zu kämpfen haben:
Höhepunkt Ihrer Deregulierung waren im Januar 1998
4,82 Millionen Arbeitslose. Ich glaube, dass die Men-
schen, denen man diese Folgen Ihrer Forderungen vor
Augen hält, verstehen, dass die rot-grüne Koalition nicht
auf sie eingeht, sondern an ihrem Weg unbeirrt festhält.
Wir haben Ordnung in Ihr dereguliertes Chaos gebracht.
Wir haben Gesetze zur Bekämpfung illegaler Beschäf-
tigung verabschiedet, mit der Reform des 630-DM-
Gesetzes und dem Gesetz zur Bekämpfung der Schein-
selbstständigkeit arbeitender Menschen zurück in die So-
lidarsysteme geholt und damit einen Beitrag dazu geleis-
tet, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden
konnten. Wir haben zum Beispiel mit dem Teilzeit- und
Befristungsgesetz und mit dem Erziehungsgeldgesetz mit
dazu beigetragen, dass bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf möglich ist. Es spottet jeder Beschreibung, dass
Sie in dem Antrag, den wir hier beraten, fordern, die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf müsse verbessert wer-
den, gleichzeitig aber diese beiden familienfreundlichen
Gesetze sofort wieder abschaffen würden, wenn Sie nur
die Macht dazu hätten.
Einen Punkt möchte ich noch aus Ihrem Antrag her-
ausgreifen; dann soll es aber auch genug sein: Sie fordern
das Bündnis für Arbeit auf, Äußerungen zu unterlassen,
die darauf hinweisen, dass im Bündnis für Arbeit Themen
behandelt werden, die der Kompetenz der Tarifparteien
unterliegen. Meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, lesen Sie gelegentlich auch das, was Sie schreiben?
Gestern hat Herr Grund von der CDU hier im Bundestag
über die Verhandlungen bei VW zum 5 000-Job-Pro-
gramm gesprochen und dem Bündnis für Arbeit vorge-
worfen, dass es dort schlechte Arbeit geleistet hat. Lieber
Herr Grund, überlassen auch Sie bitte die Entscheidungen
vor Ort den Tarifpartnern, die dafür zuständig sind. Lesen
Sie Ihren eigenen Antrag und halten Sie sich bitte daran.
Würden wir diesem Antrag der CDU/CSU zustimmen,
würden wir eine Situation herbeiführen, in der sich die
teilnehmenden Tarifvertragsparteien tatsächlich als Ge-
winner oder Verlierer sehen müssten, wie es der Antrag
dem jetzigen Bündnis fälschlicherweise vorwirft. Dies
würde dazu beitragen, dass eine Situation entstünde, die
das Bündnis der Vorgängerregierung 1996 zum Scheitern
brachte. Dies wollen wir nicht, und deshalb halten wir
Ihre Äußerungen für falsch.
Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Der inten-
sive Dialog zwischen Arbeitnehmern, Arbeitsgebern und
Politik ist eine der Grundlagen der sozialen Markt-
wirtschaft. Und bis auf eine Fraktion in diesem Hause
bekennen sich auch alle Parteien vorbehaltlos zu dieser
Gesellschaftsordnung. Vielleicht wird die PDS ja auch
durch die intensive Zusammenarbeit mit der SPD zur
sozialen Marktwirtschaft bekehrt. Vielleicht läuft es auch
andersherum und die PDS überzeugt den politischen Part-
ner SPD von ihren sozialistischen Idealen. Man wird dies
mit Interesse verfolgen können.
Tatsache ist jedenfalls, dass es gut ist, wenn Tarif-
parteien und Politik miteinander sprechen. Am 4. März
dieses Jahres wäre es jedoch besser gewesen, wenn die
Bundesregierung geschwiegen hätte. Die Ungeschick-
lichkeit ist erstaunlich, mit der der Bundeskanzler bei den
Gesprächen zum Bündnis für Arbeit das wertvolle
Porzellan des guten Willens bei allen Beteiligten
zerschlagen hat. Der Scherbenhaufen, der nach dem Tref-
fen übrig blieb, zeugte davon. Einige Kostproben davon,
welche Harmonie und gegenseitiges Verständnis der
Moderator Schröder verbreitete: Arbeitgeberpräsident
Dieter Hundt sprach von einem 2:0 Erfolg für uns, also
die Arbeitgeber. Dieter Schulte, Chef des Deutschen
Gewerkschaftsbundes, sprach laut Frankfurter Rund-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118144
(C)
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(A)
(B)
schau von einer Niederlage der Gewerkschaften. IG-
Metall-Chef Klaus Zwickel erklärte, unter dem Aspekt
der Beschäftigung sei das Bündnis kein ausreichender
Erfolg, sprach von unverbindlichen Vereinbarungen
und drohte in diesem Zusammenhang mit einer schwie-
rigen, möglicherweise explosiven Tarifrunde.
Für dieses prima Klima bei dem Bündnis für Ar-
beit ist der Bundeskanzler verantwortlich! Wenn dem-
nächst die deutsche Wirtschaft durch hohe Lohnforderun-
gen im internationalen Vergleich noch schlechter dasteht,
können sich die Unternehmer und die Erwerbslosen, die
eben deswegen nicht in Arbeit kommen, bei Herrn
Schröder bedanken. Und diejenigen, die wegen der
schlechten Wirtschaftslage ihren Job verlieren, auch.
Diese Situation wird vor allem in den neuen Bun-
desländern eintreten. Natürlich ist es einfacher und attrak-
tiver, mit seinen Cousinen Tee zu trinken, als sich um
Arbeitsplätze in Cottbus, in Neubrandenburg oder Plauen
zu kümmern. Dort kann der Bundeskanzler nicht in die
Kameras lächeln, denn dort ist die Arbeitsmarktsituation
deprimierend. Im Juni 2001 sind in den neuen Bundes-
ländern 16 300 Menschen mehr arbeitslos gewesen als ein
Jahr zuvor; es gibt dort Arbeitsamtsbezirke, in denen fast
jeder zweite offen oder verdeckt erwerbslos ist. Das ist
das Ergebnis der Chefsache Ost!
Als die Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage in Deutsch-
land nicht zuletzt wegen der Reformen der alten
Regierung noch gut waren, da war es der Aufschwung
des Kanzlers. Heute, bei einer saisonbereinigt steigenden
Arbeitslosigkeit in Gesamtdeutschland und einer absolut
zunehmenden Erwerbslosigkeit in den neuen Bundeslän-
dern, ist nicht die Regierung, sondern es ist die Wirtschaft
schuld. Ich zitiere aus einer Anfrage, die die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion zum Bündnis für Arbeit gestellt
hat: Trotz erheblicher staatlicher Förderung ist es der
Wirtschaft in den neuen Bundesländern nicht gelungen, in
ausreichendem Maße Beschäftigungsmöglichkeiten an-
zubieten.
Es ist nicht die Wirtschaft, es ist diese Regierung, der
es nicht gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen! Die Wirtschaft
bemüht sich redlich, die Bundesregierung aber behindert
die Schaffung von Arbeitsplätzen! Was ist denn unter er-
heblicher staatlicher Förderung zu verstehen? Vielleicht
das Betriebsverfassungsgesetz, das die Unternehmen rund
2,5 Milliarden DM jährlich kostet? Vielleicht die Steuer-
reform, die Großunternehmen entlastet, aber die arbeits-
kräfteintensiven Klein- und Mittelbetriebe eher belastet?
Das Gesetz zur Teilzeitarbeit, das auf dem Arbeitsmarkt
eine neue Regulierungsschraube anzieht? Vielleicht die
Ökosteuer, vielleicht die hohe Inflation, vielleicht die er-
höhten Krankenkassenbeiträge?
Das Einzige, was diese Bundesregierung fördert, ist die
Arbeitslosigkeit. Man muss sich das einmal vorstellen:
Von 1999 bis 2001 sind nach Angaben der Bundesanstalt
für Arbeit 645 000 Menschen mehr altersbedingt aus dem
Berufsleben ausgeschieden, als junge Erwerbssuchende
nachgerückt sind. Das ist eine von der Arbeitsmarkt-
forschung bestätigte objektive Tatsache. Wenn wir diese
Zahl auf die Erwerbslosenzahl des Juni dieses Jahres
hinzurechnen, so erhalten wir mehr als 4,3 Millionen. Im
September 1998, also im letzten Monat, in dem die
christlich-liberale Bundesregierung die Verantwortung
trug, waren es weniger als 4 Millionen.
Die Bundesregierung hat es trotz einer hervorragenden
Weltkonjunktur also nicht geschafft, aus eigenen Anstren-
gungen heraus die Arbeitslosigkeit zu senken, im Gegen-
teil ist sie unter der rot-grünen Bundesregierung bei Ein-
berechnung aller Faktoren gestiegen. Wenn Sie es mir
nicht glauben, glauben Sie es vielleicht dem IG-Metall-
Chef Klaus Zwickel, der im Zusammenhang mit dem
Bündnis für Arbeit erklärte, gemessen an diesen her-
vorragenden Rahmenbedingungen ist die Beschäfti-
gungsbilanz vollkommen unbefriedigend ausgefallen.
Klaus Zwickel hat auch Recht, wenn er in der Berliner
Zeitung erklärte, das Bündnis für Arbeit sei eine un-
gesicherte Baustelle geworden und die Botschaften, die
aus dem Bündnis für Arbeit kommen, und die Ergebnisse,
die sich später einstellen, müssten zusammenpassen.
Das sagt ein führender Gewerkschaftsmann, der bei den
Gesprächen dabei war.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in den
Gesprächen zum Bündnis endlich die richtigen Fragen zu
stellen: Wie kann den Erwerbslosen in den neuen Bun-
desländern geholfen werden? Ich habe die Gemeinsame
Erklärung des letzten Bündnisses für Arbeit noch ein-
mal durchgesehen und habe keine spezifische Maßnahme
für die neuen Länder gefunden. Wie kann der Mittelstand
als Beschäftigungsmotor unterstützt werden? Ich habe
insgesamt 17 Seiten der Gemeinsamen Erklärung durch-
gelesen, ich habe das Wort Mittelstand nicht gefunden.
Wie kann man die Langzeitarbeitslosen, die ja oft Ge-
ringqualifizierte sind, auf die 1,5 Millionen freien Stellen
vermitteln? Da gibt es zwar viele schön klingende Pas-
sagen in dem Papier, aber konkrete und praktikable
Vorschläge sucht man vergebens. Ich erinnere an Herrn
Zwickel: Die Botschaften und die Ergebnisse müssen
zusammenpassen.
Zuletzt möchten wir den Bundeskanzler auffordern,
sich bei zukünftigen Gesprächen zum Bündnis für Ar-
beit um Vermittlung zwischen Arbeitnehmern und
Arbeitgebern zu bemühen und nicht noch durch die For-
derung der Einbeziehung von Tariffragen die Gespräche
zusätzlich zu belasten. Denn das Bündnis für Arbeit ist
sinnvoll. Miteinander reden ist immer gut. Ergebnisse gibt
es aber nur, wenn die richtigen und wichtigen Probleme
angesprochen werden.
Heinz Schemken (CDU/CSU): Eine unvoreinge-
nommene Analyse der Situation auf dem Arbeitsmarkt
zeigt immer deutlicher: Die Bundesregierung hat ihr ar-
beitsmarktpolitisches Ziel verfehlt. Die Konjunktur in
Deutschland geht bergab. Die Inflationsrate steigt auf
Rekordhöhe. Im europäischen Vergleich ist Deutschland
dramatisch abgesackt. Das Wachstum geht auf eine
Bedeutungslosigkeit von unter 2 Prozent. Daran ändert
auch der vor vier Monaten vorgelegte beschäftigungspo-
litische Aktionsplan der rot-grünen Bundesregierung
nichts.
Bereits der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im letz-
ten Jahr von rund 200 000 in Deutschland bei einem Wirt-
schaftswachstums von 3,0 Prozent beruhte nur auf der
demographischen Entwicklung, die eine Entlastung von
235 000 Erwerbspersonen brachte. Inzwischen müssen
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wir bundesweit sogar eine Stagnation am Arbeitsmarkt
feststellen, wie die letzten Zahlen belegen.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert sich zu-
nehmend durch die wirtschaftliche Lage und die Rekord-
zahl der Zusammenbrüche von Firmen. Ursachen des
Scheiterns der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik
der Bundesregierung sind insbesondere die hausgemachte
Konjunkturschwäche, die unzureichende Entlastung der
mittelständischen Wirtschaft und des Handwerks, die Be-
lastung der Verbraucher mit steigenden Abgaben und
Steuern, beschäftigungsfeindliche Maßnahmen wie die
Neuregelung der 630-DM-Jobs und der Scheinselbststän-
digkeit. Nicht zuletzt trug aber auch eine nicht effiziente
Arbeitsmarktpolitik, wo durchgreifende strukturelle Re-
formen dringend notwendig sind, zum Misserfolg bei.
Deshalb ist die Reform des SGB III überfällig, um die
neuen Anforderungen mit flexiblen Regelungen zu beant-
worten. Die Instrumente der Arbeitsförderung müssen
noch konsequenter auf den ersten Arbeitsmarkt ausge-
richtet werden. Da nutzen Ankündigungen sehr wenig,
auch nicht solche Aktionen zum Wahljahr 2002. Notwen-
dig ist, die Leistungsfähigkeit der Arbeitsvermittlung zu
steigern, die Möglichkeit eines Kombi-Lohns zu schaffen,
die Mobilität von Arbeitslosen zu erhöhen, die berufliche
Bildung auszubauen, die Beschäftigungssituation für Äl-
tere zu verbessern, die Selbstständigkeit aus der Arbeits-
losigkeit heraus stärker zu fördern denn dort entstehen
weitere Arbeitsplätze , die Arbeitnehmerüberlassung als
Zugpferd am Arbeitsmarkt besser zu nutzen, die Arbeits-
losen- und Sozialhilfe zu einem einheitlichen Hilfssystem
zusammenzuführen hierzu hat die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion ein klares Konzept vorgelegt , endlich die
Beitragszahler durch Absenkung des Beitragssatzes zu
entlasten. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesre-
gierung auf, im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit bei wichtigen Fragen des Arbeitsmark-
tes endlich zu handeln. Das Problem der hohen Erwerbs-
losenquote in den neuen Bundesländern muss endlich lö-
sungsorientiert diskutiert werden.
Im Zeitraum zwischen 1993 bis 2000 sind für die ak-
tive Arbeitsmarktpolitik mehr als 325 Milliarden DM aus-
gegeben worden. Die Wirksamkeit lässt sich jedoch nicht
präzise fassen. Lediglich die Verbleibsquoten geben Aus-
kunft darüber. Während mehr als 90 Prozent derjenigen,
die Überbrückungsgeld für den Weg in die Selbstständig-
keit erhielten, nach 6 Monaten nicht mehr arbeitslos wa-
ren, waren es bei ABM-Teilnehmern nur rund 42 Prozent.
Von den 549 000 Arbeitslosen, die im Juni 2000 die Sta-
tistik verließen, hatten nur 241 000 eine neue Arbeitsstelle
gefunden, 88 000 wechselten in eine neue Arbeitsamts-
maßnahme. Die wenigen Quoten machen schon deutlich,
wie dringlich es ist, den Verbleib der Teilnehmerinnen und
Teilnehmer von geförderten Maßnahmen zu verfolgen,
um den Tücken der Statistik nachzugehen. Die arbeits-
marktpolitischen Problemgruppen der Langzeitarbeitslo-
sen, geringqualifizierten und erwerbstätigen Erziehenden
dürfen nicht nur thematisiert werden, sondern sie müssen
mit raschen und praxisnahen Maßnahmen unterstützt
werden.
Es ist deshalb nicht einzusehen, dass derzeit circa
1,5 Millionen Arbeitsstellen nicht besetzt werden können.
So geht das Zehn-Punkte-Programm der CDU/CSU-Frak-
tion zur Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft und
des Arbeitsmarktes davon aus, dass weitere Reform-
schritte zur Verbesserung der Beschäftigungschancen
jetzt her müssen.
Anders als bei Rot-Grün hat die Steuerentlastung der
Kohl-Regierung in den 80er-Jahren 3,2 Millionen mehr
Arbeitsplätze gebracht, davon 2,7 Millionen in mittel-
ständischen Betrieben, weil die Steuergesetzgebung mit-
telstandsfreundlich war. Deshalb ziehen Sie die zweite
Stufe der Steuergesetze vor!
Sorgen Sie für mehr Flexibilität und Durchlässigkeit
am Arbeitsmarkt. Nur so können die Einstellungschancen
von Arbeitslosen verbessert werden. Leider verschließt
sich die rot-grüne Bundesregierung unseren berechtigten
Vorschlägen und trägt deshalb weiter zur Verschlechte-
rung des Arbeitsmarktes und der Wirtschaftskonjunktur
bei. Die Zahl der Arbeitslosen ist deshalb auch im Monat
Mai dieses Jahres saisonbereinigt um 60 000 Arbeitslose
zum Jahresende 2000 angestiegen. Der Monat Juni
brachte einen Anstieg um 22 000. Dies ist enttäuschend
für die Arbeitslosen und schädlich für Wirtschaft und
Wachstum. Der Kanzler hat nicht Wort gehalten und dies
richtet sich gegen die arbeitslosen Menschen.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Antrag der CDU/CSU zu diesem Tagesordnungs-
punkt macht die ganze Konzeptlosigkeit und die ganze
Hilflosigkeit der CDU/CSU in Sachen Beschäftigungspo-
litik deutlich. Sie stellen Forderungen zum Bündnis für
Arbeit, die erstens keine inhaltlichen Vorschläge enthal-
ten, zweitens noch einmal belegen, dass Sie auch heute
noch nicht verwunden haben, in Ihrer eigenen Regie-
rungszeit das Bündnis zum Scheitern gebracht zu haben.
Ich möchte aus dem Antrag zitieren, um die ganze Kläg-
lichkeit Ihres Anliegens zu dokumentieren. Die CDU/
CSU fordert unter Punkt sechs des Antrages:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf ..., darauf hinzuwirken, dass keine der teil-
nehmenden Tarifparteien sich in zusammenfassen-
den Äußerungen als Gewinner oder Verlierer sieht.
Vorsichtig ausgedrückt: Ich glaube nicht, dass dies ein
Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungspolitik ist.
Die Herren der Gewerkschaften und der Arbeitgeberver-
bände im Bündnis für Arbeit brauchen gewiss nicht die
mütterliche Fürsorge des Bundeskanzlers. Stattdessen ist
es die Rolle des Bündnisses für Arbeit, Themen aufzu-
greifen, die bisher im Streit zwischen den Tarifparteien
nicht gelöst werden konnten, zum Beispiel Abbau von
Überstunden, betriebliche Qualifizierung, Beschäftigung
von älteren Arbeitnehmern, Projekte zur Integration von
Arbeitslosen. Das sind Konfliktthemen, die im Bündnis
aufgegriffen wurden. Und es wurden Lösungen vorge-
schlagen. Jobrotation wurde vorgeschlagen, die Fraktio-
nen der Regierungsparteien werden dies übernehmen in
die SGB-III-Reform. Das Jumpprogramm ist zum Erfolg
gerade in den neuen Bundesländern geworden.
Altersteilzeit für die weitere Beschäftigung von Älte-
ren unter erleichterten Bedingungen ist umgesetzt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118146
(C)
(D)
(A)
(B)
Schlechtwettergeld für die Bauwirtschaft hat einen sehr
tragfähigen Kompromiss gefunden. So geht es weiter.
Die CDU/CSU fordert in ihrem Antrag weiterhin:
Die Bundesregierung soll ... alle Äußerungen un-
terlassen, die darauf hindeuten, sie strebe ... die Be-
handlung von Themen an, die eindeutig der Kompe-
tenz der Tarifparteien obliegen.
Lassen Sie mich Folgendes bemerken: Erstens. Das
Bündnis ist kein Kindergarten, es bestimmt seine Themen
selber. Zweitens. Diese Forderung steht im krassen Wi-
derspruch zu dem aktuellen Debatten alleine in dieser
Woche. Noch am Mittwoch in der Aktuellen Stunde haben
Sie gefordert, der Bundeskanzler möge sich in die Tarif-
verhandlungen bei VW um das Projekt 5 000 x 5 000 ein-
mischen, er möge ein Machtwort sprechen. Das nun ist die
Missachtung der Tarifautonomie schlechthin!
Das Bündnis kann sicherlich keine Wunder bewirken.
Aber es hat sich zentralen beschäftigungspolitischen Fra-
gen gestellt. Eine der wichtigsten Vereinbarungen wurde
am 6. Juni 2001 getroffen. Sie lautet:
Die Reform des Flächentarifvertrages wird fortge-
setzt. Voraussetzung ist die Wahrung der uneinge-
schränkten Tarifautonomie. BDA und DGB lehnen
gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie ab.
Um betriebs- und praxisnahe Regelungen von
Flächentarifverträgen zu stärken, sollen tarifliche
Wahl- und Ergänzungsmöglichkeiten, tarifvertragli-
che Korridore und Öffnungsklauseln erweitert wer-
den. Wie viele Beispiele belegen, sind auf der be-
trieblichen Ebene Bündnisse für Arbeit mit kon-
kreten Verabredungen zur Beschäftigungssicherung
und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze möglich. In die-
sem Sinne treten wir im Rahmen geltender Gesetze
und Tarifverträge für betriebliche Bündnisse für Be-
schäftigungssicherung und -förderung, zur Schaf-
fung von Ausbildungsplätzen und zur Verbesserung
der Wettbewerbsfähigkeit ein.
Das Bündnis nimmt sich also der Aufgabe an, auch be-
triebliche Bündnisse für Arbeit zu erleichtern.
Im Juni letzten Jahres wurde auch beschlossen, eine
beschäftigungsorientierte Tarifpolitik zu betreiben. Diese
Vereinbarung wurde begonnen umzusetzen und wird ge-
rade im nächsten Jahr von zentraler beschäftigungspoliti-
scher Bedeutung sein.
Was wir brauchen für die Beschäftigungspolitik sind
nicht die inhaltsleeren Vorschläge der CDU/CSU zur Kli-
maverbesserung in den Bündnisverhandlungen. Was wir
brauchen, ist eine Reform der Arbeitsmarktpolitik. Das
Bündnis hat Modellprojekte angeregt zum Beispiel zum
Kombilohn und Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose.
Diese Projekte müssen zukünftig aus dem Experimentier-
stadium herausgeholt werden.
Die rot-grünen Fraktionen haben diese Woche Eck-
punkte für ein Job-Aqtiv-Gesetz verabschiedet. Dies wird
im Herbst hier beraten. Es geht um die Verringerung von
Langzeitarbeitslosigkeit, um maßgeschneiderte Einglie-
derungsvereinbarungen mit Arbeitssuchenden. Menschen
sollen nicht erst langzeitarbeitslos werden, bevor sie An-
spruch auf Maßnahmen haben. Es wird auch um Dezen-
tralisierung der Entscheidungen und Vereinfachung der
Instrumente gehen. Mit diesem Ansatz sind wir auf einem
guten Weg, im nächsten Jahr die durchschnittliche Dauer
der Arbeitslosigkeit in Deutschland zu senken.
Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Es ist in den letzten Ta-
gen und Wochen in diesem Haus schon oft gesagt worden:
Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich auf dem
Weg in die Rezession. Alle Indikatoren und auch die Ar-
beitsmarktdaten vom gestrigen Tage zeigen leider in diese
Richtung. Noch ist es möglich, die Notbremse zu ziehen
und durch mutige Reformen in der Steuerpolitik und auf
dem Arbeitsmarkt unserem Land eine Rezession zu er-
sparen, das Ruder herumzureißen.
Aber die Bundesregierung zaudert und die sie tragende
Koalition schließt die Augen und will sich durchmogeln.
Dabei liegen die Vorschläge doch auf dem Tisch: Ihr Sach-
verständigenrat fordert für den Arbeitsmarkt mehr Flexi-
bilität und die Aufbrechung verkrusteter Strukturen. Un-
terdessen tagt unbeeindruckt von diesen Entwicklungen
das Bündnis für Arbeit beim Bundeskanzler seit knapp drei
Jahren. Ergebnisse? Gleich Null! Einfluss? Gleich Null!
Alle wichtigen Arbeitsmarktgesetze dieser Legislatur wur-
den an den Notwendigkeiten vorbei beschlossen, zuletzt
das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsver-
hältnisse sowie das Betriebsverfassungsgesetz. Fast schon
zynisch ist es, wenn die Bundesregierung in ihrem Be-
schäftigungspolitischen Aktionsplan gerade diese beiden
Gesetze als wesentliche Beiträge zur Flexibilisierung be-
nennt. Jeder ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaft-
ler und ihr eigener Sachverständigenrat rechnen ihr vor,
dass diese Gesetze Arbeitsplätze nicht schaffen, sondern
vernichten!
Vor einer wirklichen Flexibilisierung des Arbeitsmark-
tes schrecken Sie zurück. Gestern wieder hat Ihnen der
Wirtschaftswissenschaftler James Heckman, Träger des
Ökonomie-Nobelpreises 2000, den empirisch belegten
Zusammenhang ins Stammbuch geschrieben: Je höher
in einem Land die Regulierung des Arbeitsmarktes ist,
umso geringer ist die Beschäftigungsquote. (FAZ vom
5. Juli 2001, S. 14) Das ist so deutlich, dass es eigentlich
auch Rot-Grün kapieren müsste.
Wir Liberale wollen keine amerikanischen Arbeits-
marktbedingungen in Deutschland, wie Herr Wulff von
der CDU sie fordert, und wir wollen auch keine Abschaf-
fung der Tarifautonomie. Nur zeigt doch das Beispiel VW,
dass wir dringend flexible Strukturen im Tarifrecht brau-
chen, denn sonst fliegt uns der Flächentarifvertrag um die
Ohren! Am oberen Ende werden hoch qualifizierte Be-
rufsgruppen in Schlüsselpositionen, wie schon jetzt die
Lufthansa-Piloten, ihre eigenen Interessen durchsetzen.
Am unteren Rand drängen die Arbeitslosen, die bereit
sind, auch unter Tarif zu arbeiten.
Wie sieht nun eine echte Modernisierung des Tarif-
rechts aus, die diesen Entwicklungen Rechnung trägt?
Unser Gesetz zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für
Arbeit sieht eine Neuinterpretation des Günstigkeitsprin-
zips in § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz vor. In Zukunft soll
eine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers auch dann
vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer für die Aufgabe oder
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18147
(C)
(D)
(A)
(B)
Einschränkung einzelner tarifvertraglicher Rechte einen
Verzicht des Arbeitgebers auf eine betriebsbedingte Kün-
digung erlangt. Um eine Überrumpelung des Arbeitneh-
mers zu verhindern, sieht unser Entwurf vor, dass sich der
Arbeitnehmer unter Einhaltung einer Frist wieder aus der
Vereinbarung mit dem Arbeitgeber lösen und in den Tarif-
vertrag zurückkehren kann. Alternativ soll für die Güns-
tigkeit auch sprechen, wenn sich der Betriebsrat oder
75 Prozent der Arbeitnehmer in einem Betrieb für diese
Regelung aussprechen.
Wir haben damit anders als in unserem Antrag
Reform des Tarifvertragsrechts in Drucksache
14/12612 ganz bewusst auf die umstrittene Änderung des
§ 77 Abs. 3 BetrVG verzichtet, um den anderen Fraktio-
nen im Deutschen Bundestag die Zustimmung zu erleich-
tern. Es gibt also keine Ausreden mehr. Wir wollen in die-
ser zentralen Frage für Deutschland vorankommen, und
ich fordere Sie auf, mit Ihrer Zustimmung den Weg frei-
zumachen für mehr Arbeitsplätze.
Die Vorzüge unseres Gesetzentwurfes lassen sich wirk-
lich nicht leugnen. Ich betone nochmals: Ein Arbeitneh-
mer kann in Zukunft selbst definieren, ob ihm ein Verzicht
auf tarifrechtliche Positionen im Tausch für eine Beschäf-
tigungsgarantie günstiger erscheint, und er kann sich aus
dieser Vereinbarung mit dem Arbeitgeber unter Einhal-
tung einer der Kündigungsfrist entsprechenden Ankündi-
gungsfrist auch wieder in den Geltungsbereich des
Flächentarifs zurückbegeben. Das Recht zur Sicherung
des eigenen Arbeitsplatzes beizutragen, kann man den
mündigen Bürgern unseres Landes doch wirklich nicht
verwehren.
Wir wollen, dass die Entscheidungen dort getroffen
werden, wo die größte Sachnähe ist: vor Ort, in den Be-
trieben, ohne Fremdbestimmung durch hauptamtliche
Gewerkschaftsfunktionäre aus Frankfurt oder Berlin.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion nimmt mit dieser Lö-
sung eine Anregung des Bundesarbeitsgerichts, BAG, auf.
Das BAG hat ausdrücklich festgestellt, dass es dem Ge-
setzgeber freisteht, die Günstigkeit neu zu definieren,
BAG-Urteil vom 20. April 1999. Wir greifen auch nicht in
die Tarifautonomie ein, wie immer wieder fälschlich be-
hauptet wird: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner
jüngsten Entscheidung festgehalten 1 BvL 32/97 vom
31. Mai 2001 , dass Gewerkschaften und Arbeitgeber
sich nicht auf eine unbegrenzte Tarifautonomie berufen
können. Die Tarifparteien haben auch Rücksicht auf den
Arbeitsmarkt, die Belastbarkeit der sozialen Sicherungs-
systeme und die Wettbewerbsbedingungen in Deutsch-
land zu nehmen, so das Bundesverfassungsgericht.
Es gibt eine ganze Reihe betrieblicher Bündnisse für Ar-
beit, an denen sich die Gewerkschaften dankenswerter-
weise beteiligt haben. Aber es gibt eine ungleich größere
Zahl betrieblicher Bündnisse für Arbeit, die sich ohne
Zutun der Gewerkschaften oder mit stillschweigender Dul-
dung der Tarifpartner in einer juristischen Grauzone bewe-
gen. Und es gibt leider einzelne Fälle, in denen Gewerk-
schaften ihren eigenen Betriebsräten den Abschluss be-
trieblicher Bündnisse gerichtlich untersagt haben.
Es wird höchste Zeit, diese betrieblichen Bündnisse für
Arbeit, deren Legitimität niemand bestreitet, endlich der
Legalität zuzuführen.
Es ist jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen. Ich ap-
pelliere insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen, an Herrn Schlauch, Frau
Dückert, Frau Hustedt, Herrn Metzger, Herrn Schmidt,
Frau Wolf, ihren Absichtserklärungen auch Taten folgen
zu lassen. Wir Liberale wollen einen wirklichen Reform-
schritt im Arbeitsrecht machen, zugunsten der Arbeitneh-
mer und der Arbeitslosen.
Wir laden Sie ein, diesen Weg mit uns gemeinsam zu
gehen.
Dr. Klaus Grehn (PDS): Heute diskutieren wir nun
zum dritten Mal in dieser Woche zur Arbeitsmarktent-
wicklung. Ich möchte an einen Zwischenruf aus der ges-
trigen Debatte anknüpfen: Das Parlament schaffe keine
Arbeitsplätze. Eher halbwahr als wahr ist diese Message,
denn das Parlament hat Voraussetzungen, Bedingungen
zu schaffen, deren Umsetzung zu Arbeitsplätzen führt
oder den Abbau von Arbeitsplätzen negativ sanktioniert.
Das gilt zum Beispiel, wenn sich Unternehmen etwa von
älteren Arbeitnehmern befreien und die Folgen der Ge-
sellschaft, etwa der Bundesanstalt für Arbeit oder den
Kommunen, in Form der Sozialhilfe zuweisen.
Auch der beschäftigungspolitische Aktionsplan schafft
keine Arbeitsplätze. Aber er enthält wesentliche Schwer-
punkte, deren Umsetzung Menschen in Arbeit bringen
kann oder bringt. Deshalb wissen Sie unsere Fraktion bei
der Umsetzung dieser Schwerpunkte an Ihrer Seite, weil
es sich um die Seite der Betroffenen handelt.
Aber mit der gleichen Energie, mit der wir bei der Um-
setzung Arbeitsplätze schaffender Maßnahmen mitwir-
ken, weisen wir auf Lücken hin und setzen uns mit unse-
ren Vorschlägen für die Ausfüllung dieser Lücken ein.
Lassen Sie mich einen Kritikpunkt nennen: Im Aktions-
plan erklären Sie die Schaffung neuer, wettbewerbsfähi-
ger Arbeitsplätze zum wichtigsten Ziel der Bundesregie-
rung. Diese Aussage hat einen fundamentalen Mangel,
der darin besteht, dass vor wettbewerbsfähig existenz-
sichernd kommen muss. Alles andere, insbesondere die
Schaffung oder der Ausbau des Niedriglohnsektors, leh-
nen wir ab, was aus der Sicht der Betroffenen wie aus ge-
samtgesellschaftlicher Sicht unverzichtbar ist. Der Ar-
muts- und Reichtumsbericht hat doch bereits nachge-
wiesen, in welcher Weise Armut trotz Arbeit angewach-
sen ist.
Weil die Maßnahmen des Aktionsplanes nicht ausrei-
chen, um die Situation am Arbeitsmarkt nachhaltig zum
Guten zu wenden, halten wir weitere Maßnahmen für not-
wendig, unter anderem: keine Kürzung der investiven
Ausgaben, Überdenken der Haushaltskonsolidierungspo-
litik, mehr Investitionen im Bildungsbereich, in Kinder-
betreuungseinrichtungen, in ein Stadtumbauprogramm
gegen Wohnungsleerstand. Die Schaffung oder der Abbau
von Arbeitsplätzen müssen in der und durch die Gesell-
schaft eine neue Bewertung erhalten. Solche Maßnahmen
sind auch deshalb notwendig, weil die Prognosen von
Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung, die dem Ak-
tionsplan zu Grunde liegen, heute auf sehr sehr wackligen
Füßen stehen, und das wissen Sie genau.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118148
(C)
(D)
(A)
(B)
Nun einige Bemerkungen zu den Anträgen von
CDU/CSU und F.D.P.:
Es ist geradezu absurd, dass ausgerechnet die Parteien
der früheren Regierungskoalition aus CDU/CSU und
F.D.P. meinen, die von ihnen jahrelang vernachlässigten
Probleme der Massenarbeitslosigkeit und der Steuerung
des Arbeitsmarktes zur Attacke auf die Regierung nutzen
zu können. Da nennt die F.D.P. außertarifliche Lohnver-
einbarungen Betriebliche Bündnisse für Arbeit und will
eine solche Notsituation gar gesetzlich absegnen. Die
meisten Flächentarifverträge lassen solche Ausnahmen
zu; es sollte nur immer klar sein, dass das eine Ausnahme
ist. Kein Arbeitnehmer im Osten ist froh über sein bedeu-
tend geringeres Einkommen im Vergleich zu seinen tarif-
geschützten Kollegen und der Verzicht auf Tariflohn hat
entgegen der Unterstellung im F.D.P.-Antrag Zehntau-
sende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den NBL
nicht vor Entlassung geschützt. Die Kollegen von der
F.D.P. ließen sich offensichtlich von einem Basar inspi-
rieren, wenn sie Lohnverzicht als Tauschware gegen ei-
nen sicheren Arbeitsplatz als gesetzliche Grundlage emp-
fehlen. Und hökern ist nun wahrlich keine gute Grundlage
für Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.,
sorgen Sie lieber dafür, dass die Unternehmer Löhne zum
Tarif zahlen können und auch zahlen. Wir dürfen die
Schleusen zu einem gar gesetzlich verbrieften Nied-
riglohnsektor nicht öffnen. Die anstehende EU-Osterwei-
terung beschert uns genug zusätzlichen Druck auf Lohn-
dumping und prekäre Beschäftigung. Gerade bei Beibe-
haltung des Schutzes von tariflichen Vereinbarungen wird
die Rolle von Betriebsräten gestärkt. Der Bundestag hat
ein solches Gesetz gerade verabschiedet.
Mit dem Antrag der CDU/CSU kann ich so recht nichts
anfangen. Dieser Antrag erinnert eher an ein Propaganda-
flugblatt als an eine parlamentarische Initiative.
Im Gegensatz zu einigen Fraktionen die Hauses gehört
die PDS nicht zu den Befürwortern einer Entwicklung, die
durch die Übergabe von originären Aufgaben des Parla-
ments an andere Gremien gekennzeichnet ist, indem wich-
tige Diskurse und Entscheidungen aus dem Parlament
heraus verlagert werden, wie etwa das Bündnis für Arbeit.
Wir können nicht erkennen, dass Gespräche im Bünd-
nis für Arbeit überhaupt Einfluss auf den Arbeitsmarkt
oder die Notlage bei der beruflichen Ausbildung oder die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gehabt hätten.
Wir empfehlen den Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, mit ihren sehr allgemeinen Forderungen,
nicht für eine Aufwertung eines Gremiums zu sorgen, das
außerhalb der parlamentarischen Einflussmöglichkeiten
steht.
Wir haben nichts dagegen, dass die Bundesregierung
wen auch immer konsultiert. Nur ist etwa die Forderung
der CDU/CSU-Fraktion nach Vorschlägen zur Reform
des Arbeitsrechtes aus diesem Bündnis die Verstärkung
der oben genannten Praxis. Solche Vorschläge gehören ins
Parlament und die ganze Gesellschaft nicht nur Ge-
werkschaften und Arbeitgeber muss angemessen betei-
ligt werden.
Wir sind ebenso grundsätzlich dagegen, dass in diesem
Bündnis Vereinbarungen getroffen werden, die dann die
Hände von Parlamentsfraktionen binden oder zu irgend-
etwas verpflichten oder gar Stillschweigen über Abma-
chungen vereinbart wird, das das Parlament im Unklaren
lässt.
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände können sich
wo auch immer und wie oft auch immer treffen, ohne dass
die Bundesregierung solche Gespräche in irgendeiner
Weise präjudiziert.
Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Arbeit und Sozialordnung: Die Unionsfrak-
tionen meinen, der Bundesregierung mit ihrem vorliegen-
den Antrag gute Ratschläge bei der Organisation des
Bündnisses für Arbeit und dem Bundeskanzler schlechte
Noten für seine Moderatorenrolle erteilen zu können.
Beides wird Ihnen nicht gelingen.
Sollten Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen
von der Union, es vergessen haben, nur zur Erinnerung:
Im April 1996 scheiterte das von Helmut Kohl moderierte
Bündnis für Arbeit und Standortsicherung nach gerade
einmal drei Monaten. Drei, meine Damen und Herren von
der Union. Und es scheiterte, weil Sie entgegen anders-
lautender Absprachen massive Eingriffe in Arbeitneh-
merschutzrechte vornehmen wollten. Die christ-liberale
Regierung hat damit die ausgestreckte Hand eines Bünd-
nispartners, der Gewerkschaften, bewusst ausgeschlagen.
Das Scheitern geht damit ganz allein auf Ihre Kappe.
Wir müssen uns von Ihnen wirklich nicht sagen lassen,
wie man ein Bündnis für Arbeit organisiert. Wir haben im
Gegensatz zu Ihnen ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung
und Wettbewerbsfähigkeit initiiert, das auf einen fairen
Ausgleich von Geben und Nehmen aller Beteiligten aus-
gerichtet ist und niemanden einseitig übervorteilt.
Nur indem wir alle gesellschaftlichen Kräfte mobili-
sieren kann es gelingen, die Herkulesaufgabe der Be-
kämpfung der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit
erfolgreich zu meistern.
Unser Bündnis der Modernisierer hat sich als Re-
formmotor erwiesen und nachweislich gute Ergebnisse
erzielt. Gerade das in Ihrem Antrag angesprochene Spit-
zengespräch vom 4. März 2001 stellt das eindrucksvoll
unter Beweis. Ich will deshalb die Gelegenheit nutzen, die
wichtigsten Beschlüsse noch einmal kurz darzustellen.
Den gesamten Wortlaut, sollte er Ihnen noch nicht geläu-
fig sein, können Sie übrigens im Internet nachlesen.
Erste Vereinbarung:
Die Bündnispartner haben eine breite Offensive zur
umfassenden Erschließung und Förderung aller Qua-
lifikationspotenziale verabredet. Die Chancen-
gleichheit von Frauen und Männern soll hierbei als
Querschnittsziel bei allen Maßnahmen Berücksichti-
gung finden.
Die Bedeutung dieses Beschlusses kann man gar nicht
hoch genug einschätzen. Die Entwicklung hin zu einer
Informations- und Wissensgesellschaft hat einen fortlau-
fenden Wandel der beruflichen Anforderungen an nahezu
allen Arbeitsplätzen zur Folge. Qualifikation wird zu-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18149
(C)
(D)
(A)
(B)
künftig nicht nur über Wohlstand jedes Einzelnen, son-
dern unserer gesamten Volkswirtschaft entscheiden. Ich
freue mich deshalb, dass es den Tarifvertragsparteien in
der Metallindustrie in Baden-Württemberg gelungen ist,
hier einen erster Schritt zur Umsetzung zu vereinbaren.
Zweite Vereinbarung:
In Bezug auf die Beschäftigung älterer Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer haben die Bündnispart-
ner einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Anstelle
einer vorzeitigen Ausgliederung aus dem Erwerbs-
leben sollen künftig die verstärkte Beschäftigung
Älterer, die vorbeugende Verhinderung von Arbeits-
losigkeit und die Wiedereingliederung bereits Ar-
beitsloser vorrangiges Ziel arbeitsmarktpolitischer
Maßnahmen sein.
Die Einleitung dieses Paradigmenwechsels ist sowohl
aufgrund der durch Frühverrentung anfallenden gesamt-
gesellschaftlichen Kosten als auch durch die absehbaren
demographischen Entwicklungen eine ganz wichtige
neue Weichenstellung.
Dritte Vereinbarung:
Die Bündnispartner haben weiter verabredet sich
dafür einzusetzen, die hohe Zahl der regelmäßig ge-
leisteten Überstunden zugunsten zusätzlicher Be-
schäftigung zu reduzieren.
Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, bestehende Be-
schäftigung zu sichern und neue zu erschließen. Knapp
1,9 Milliarden Überstunden werden derzeit jährlich von
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geleistet. Die
Bündnispartner wollen erreichen, dass die Überstunden
zugunsten neuer Jobs abgebaut werden.
Schließlich die vierte Vereinbarung:
Die Bündnispartner haben sich auch darauf verstän-
digt, dass insbesondere zum Abbau der strukturellen
Arbeitslosigkeit eine stärker aktivierende und vor-
beugende Arbeitsmarktpolitik notwendig ist.
Durch die Modernisierung der Arbeitsvermittlung und
die Neuorientierung und größere Transparenz der Förder-
maßnahmen soll die frühestmögliche Wiedereingliede-
rung in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht und Arbeits-
losigkeit verhindert werden.
Ich finde, dass sich das Ergebnis des Bündnisses ins-
gesamt sehr wohl sehen lassen kann. Wir werden uns je-
denfalls nicht von unserem eingeschlagenen Weg abbrin-
gen lassen und unser Streben nach Verständigung
zwischen den Bündnispartnern unbeirrt fortsetzen.
94 Prozent der Bundesbürger teilen im Übrigen diese
positive Einschätzung des Bündnisses und bewerten es
nach einer forsa-Umfrage vom März diesen Jahres mit der
Note gut.
Wir müssen uns von Ihnen auch nicht sagen lassen, wie
man Bündnisgespräche moderiert. Das sehen übrigens
ihre eigenen Wähler ebenso. 61 Prozent der Unionsan-
hänger, meine lieben Kolleginnen und Kollegen der
Union das sind fast zwei Drittel der Unionsanhänger ,
finden das Vorgehen des Bundeskanzlers in unserem
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähig-
keit nach der schon erwähnten forsa-Umfrage richtig.
Dass die Quote bei Anhängern von Rot-Grün noch etwas
höher ausfällt, das können Sie getrost annehmen.
Erinnern möchte ich schließlich aber auch noch einmal
daran, warum die christ-liberale Regierung von den Bun-
desbürgern im September 1998 abgewählt wurde. Sie ha-
ben es eben nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu
bekämpfen. Trotz massiven Einsatzes von Wahlkampf-
ABM betrug die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt
1998 rund 4,3 Millionen.
Wir sind angetreten, es besser zu machen. Und: Unsere
arbeitsmarktpolitische Bilanz kann sich sehr wohl sehen
lassen: Die Arbeitslosigkeit konnte um rund 500 000 ge-
senkt werden und das bei einer Erhöhung der Zahl der Er-
werbstätigen um rund 1 Million. Wir müssen uns von Ih-
nen wirklich nicht sagen lassen, wie man Arbeitslosigkeit
bekämpft.
Und diese Erfolge sind nicht allein der demographi-
schen und konjunkturellen Entwicklung zuzurechnen.
Die Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung ist ge-
prägt von Kontinuität und Berechenbarkeit in der Mittel-
ausstattung und durch Innovation bei den Maßnahmen. Es
ist uns damit auch gelungen, achtbare Erfolge bei der
Bekämpfung der strukturellen Arbeitslosigkeit zu er-
zielen. So konnten wir zum Beispiel die Zahl der Lang-
zeitarbeitslosen in den vergangenen drei Jahren um über
16 Prozent senken.
Ich empfehle den Beschäftigungspolitischen Aktions-
plan der Bundesrepublik Deutschland für 2001 einer ein-
gehenden Lektüre. Hier können Sie die zahlreichen von
uns ergriffenen Maßnahmen nachlesen. Dieser Aktions-
plan ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie ernst wir es
mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nehmen.
Kurzatmiger Aktionismus, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, so steht es in Ihrem
letzten Beschäftigungspolitischen Aktionsplan vom April
1998, sei abzulehnen. Da haben Sie Recht.
Zugestanden die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
bleibt gegenwärtig hinter den Erwartungen zurück. Die
Einführung der weltwirtschaftlichen Konjunktur, aus-
gelöst durch die konjunkturelle Schwäche in den USA
und Japan, wirkt sich wegen der erfolgreichen deutschen
Exportindustrie in Deutschland stärker aus als in anderen
europäischen Ländern.
Deshalb wird die rot-grüne Bundesregierung sich auch
weiterhin mit Nachdruck, aber auch mit Solidität und
ohne Hektik für eine Verbesserung der Situation auf dem
Arbeitsmarkt einsetzen. Die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen haben in dieser Woche ein Eck-
punktepapier für ein Job-Aqtiv-Gesetz beschlossen.
Tragende Elemente der von uns angestrebten Moderni-
sierung der Arbeitsförderung sind: die grundlegende Mo-
dernisierung des Vermittlungsprozesses, die stärkere Aus-
richtung der beruflichen Qualifizierung auf die Belange
der Arbeitswelt sowie die bessere Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118150
(C)
(D)
(A)
(B)
Hiermit wollen wir den Vorgaben des Bündnisbe-
schlusses vom März 2001 Rechnung tragen. Auf diese
Ziele sind aber auch die beschäftigungspolitischen Leitli-
nien der Europäischen Union ausgerichtet, die es umzu-
setzen gilt.
Die Arbeitsvermittlung ist dabei für uns das wichtigste
Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Offene Stel-
len müssen im Interesse der Arbeitnehmer und der Ar-
beitgeber zügig besetzt werden. Drohender Langzeitar-
beitslosigkeit wollen wir durch ein frühzeitiges Erkennen
des Risikos entgegenwirken. Durch rasche und gezielte,
auf den einzelnen Arbeitslosen zugeschnittene Maßnah-
meangebote soll eine möglichst nachhaltige Eingliede-
rung von Arbeitslosen in reguläre Beschäftigung unter-
stützt werden.
Das ist Aufgabe einer Solidargemeinschaft. Es liegt
aber auch im Interesse der Solidargemeinschaft, dass der
Arbeitslose selbst Anstrengungen zur Aufnahme einer
Beschäftigung unternimmt und die Angebote des Arbeits-
amtes annimmt. Mit dem Abschluss einer Eingliede-
rungsvereinbarung zwischen dem Arbeitslosen und dem
Arbeitsamt soll der Grundsatz des Förderns und For-
derns verwirklicht werden.
Die berufliche Qualifizierung wollen wir an die neuen
Herausforderungen anpassen. Eine kontinuierliche Wei-
terbildung ist im Zeitalter der Globalisierung die zentrale
Voraussetzung, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten
und zu verbessern. Zur Flankierung des strukturellen
Wandels wollen wir die Maßnahmen der beruflichen Wei-
terbildung daher präventiver und wirtschaftsnäher aus-
richten. Die Verankerung von Jobrotation im SGB III und
die Qualifizierung von älteren Arbeitnehmern im Betrieb
sind wichtige Elemente dieser Neuausrichtung.
Arbeitsmarktpolitik soll zukünftig auch stärker zur
besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen
und Männer beitragen. Die Gleichstellung von Frauen
und Männern soll deshalb als Querschnittsaufgabe des
Arbeitsförderungsrechts verankert werden. Die Wahrneh-
mung von Erziehungspflichten darf sich nicht länger ne-
gativ für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus-
wirken.
Und last but not least: In den neuen Ländern ist es
zwar vordringliche Aufgabe der Wirtschafts- und Finanz-
politik, zusätzliche Impulse für den Arbeitsmarkt in Ost-
deutschland zu setzen und die Schaffung neuer Arbeits-
plätze zu fördern. Die aktive Arbeitsmarktpolitik kann
diesen Prozess aber durch eine bessere Verzahnung von
Arbeitsmarktpolitik und Infrastrukturpolitik unterstützen.
Hierzu wollen wir mit dem Job-Aqtiv-Gesetz neue Wege
beschreiten.
Diese Regierung handelt. Und das ist gut so. Wir wer-
den unmittelbar nach der Sommerpause einen entspre-
chenden Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag einbrin-
gen. Ich würde mich freuen, wenn neben den Bündnis-
partnern auch die Oppositionsparteien ihrer gesamtgesell-
schaftlichen Verantwortung bei der Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit gerecht werden und wir das Gesetz zum
1. Januar 2002 in Kraft setzen können.
Die Arbeitslosen haben einen Anspruch darauf.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
der Großen Anfrage: Aktuelle Wettbewerbs-
situation in der Telekommunikation
des Antrages: Wettbewerb und Regulierung
im Telekommunikationssektor
(Tagesordnungspunkt 25 a und b)
Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Die Turbulenzen in
der neuen Ökonomie, als deren Teil auch die Telekom-
munikationsbranche oft gesehen wird, und die Kursent-
wicklung der Telekommunikationswerte in den letzten
Monaten haben sehr deutlich gezeigt, wie wichtig bei sol-
chen Ausschlägen auf den Finanzmärkten realwirtschaft-
liche Stabilität und politische Berechenbarkeit sind. Und
wie schnell die neue Ökonomie auf den harten Boden der
alten fallen kann.
Derzeit geht es vor allem darum, durch Rationalität in
der Debatte und die richtigen Akzentsetzungen in der Po-
litik dafür zu sorgen, dass die Verwerfungen an den Bör-
sen überzogne Euphorie durch deplazierten Pessimismus
und Hysterie ersetzen und wichtige Ansätze im Informa-
tions- und Kommunikationssektor zerstören.
Halten wir fest: Die positive Einschätzung der Bun-
desregierung zur Marktentwicklung Preissenkungen,
die hohe Zahl von aktiven Lizenznehmern, der Aufbau
neuer Infrastrukturen, steigende Verkehrsmengen, neue
Arbeitsplätze, überdurchschnittliche Wachstumsraten
ist zutreffend.
Aber nicht nur diese Daten und seine Nähe zur neuen
Ökonomie weisen auf eine Sonderrolle des Telekommu-
nikationssektors in unserer Volkswirtschaft hin. Nach wie
vor stoßen auch in einer liberalisierten TK-Branche poli-
tische und ökonomische Prinzipien und Aspekte aneinan-
der, was ja auch in den Zielbeschreibungen des TKG deut-
lich wird. Die Sonderrolle der Telekommunikation ergibt
sich vor allem daraus, dass ihr Weg aus dem öffentlichen
Dienst in den Wettbewerb nur auf der Grundlage einer
besonderen gesetzlichen Regulierung beschritten werden
kann und von einer dafür geschaffenen öffentlichen In-
stanz, der Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post, umgesetzt wird, dass diese Branche aufgrund
ihrer spezifischen Dynamik besonders sensibel auf ge-
sellschaftliche und politische Entwicklungen reagiert,
dass diese Branche aufgrund ihres zunehmenden Zusam-
menwachsens mit dem Medienbereich besondere gesell-
schaftliche Aufmerksamkeit erweckt und dass die Bran-
che mit hohen gesellschaftspolitischen Anforderungen
und Erwartungen konfrontiert ist, die mit hochtrabenden,
aber wenig greifbaren Visionen von Wissensgesellschaft,
Informationszeitalter, der Vermeidung oder Überwindung
der digitalen Spaltung umschrieben werden.
Aus diesen Gründen ist es dringend erforderlich, die
großen wolkigen Visionen zu konkretisieren und aktuelle
Debatten wie etwa die Diskussion um den neuen europä-
ischen TK-Rechtsrahmen und um die nationale Regulie-
rungspolitik an diesen Visionen zu messen sowie vor
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allem die tatsächliche Entwicklung auf den Märkten mit
Fakten und Zahlen zur Kenntnis zu nehmen und Ent-
wicklungstendenzen aufzuzeigen.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zwangsläufig:
Die jetzige Regulierungspraxis und das TKG sind weder
unantastbare Dauerlösungen noch Spielball kurzfristiger
Interessen. Wir brauchen Kontinuität für das Bewährte,
Berechenbarkeit für alle Marktteilnehmer und Verbesse-
rungen und Anpassungen dort, wo sich die Grundlagen
verändert haben oder sich berechtigte Kritik aufstaut.
Die bisherige sektorspezifische Regulierung hat er-
folgreich Wettbewerb geschaffen und zu den anfangs ge-
nannten positiven Entwicklungen entscheidend beigetra-
gen. Dies muss ebenso betont werden wie die Tatsache,
dass sich die Märkte heute, drei Jahre nach der völligen
Liberalisierung, anders darstellen als zu Beginn der Re-
gulierungstätigkeit. Eine Dogmatisierung der Regulie-
rungspraxis aus der Anfangszeit würde Gefahren mit sich
bringen: Wettbewerbsverzerrungen im internationalen
Vergleich zulasten nationaler Unternehmen und damit
Nachteile für die gesamte Branche in Deutschland, Inves-
titionsblockaden durch den Mechanismus, dass das regu-
lierte, teilweise marktbeherrschende Unternehmen ihre
Infrastruktur zu eigenen bzw. regulierten Kosten den
Wettbewerbern zur Verfügung stellen muss, Abbremsen
der Marktdynamik durch zu langwierige Entscheidungs-
prozesse, Vernachlässigung volkswirtschaftlicher und ge-
sellschaftspolitischer Zielsetzungen zum Beispiel bei der
Weiterentwicklung universeller Dienstleistungen oder bei
möglichen Fehlanreizen bei den Infrastrukturinvestitio-
nen.
Ich benenne dies ausdrücklich als mögliche Gefahren
auch für die Zukunft und weniger als Zustandsbe-
schreibungen der Gegenwart. Politik hat die Aufgabe, bei
aller Würdigung positiver Entwicklungen und erbrachten
Leistungen Gefahren zu benennen, auch wenn es einfa-
cher ist, mit glänzenden Augen von der Informationsge-
sellschaft zu schwärmen.
Ich möchte die wesentlichen Veränderungen der letz-
ten Jahre kurz benennen:
Erstens. Der internationale Wettbewerb in der Tele-
kommunikationsbranche hat sich wie in keiner anderen
internationalen Branche enorm verschärft. Die bisher auf
die nationale Ebene beschränkte Regulierungspraxis
muss daher die internationale Entwicklung mit im Auge
haben und darf nationale Unternehmen weder bevorzugen
noch benachteiligen.
Zweitens. Der Telekommunikationsmarkt wächst ei-
nerseits immer mehr in sich zusammen und verflicht sich
mit benachbarten Branchen. So ist es einerseits nicht mehr
angemessen, das klassische Festnetz, den Mobilfunk, Ka-
belsysteme und das Internet als völlig getrennt voneinan-
der zu betrachten, da diese Systeme sich nicht mehr nur
ergänzen, sondern auch teilweise ersetzen können. Die
aktuelle Debatte um das TV-Kabel demonstriert das sehr
anschaulich. Andererseits kann ein Segment wie das Fest-
netz auch nicht mehr als eine Einheit gesehen werden,
sondern zerfällt in Teilmärkte mit völlig unterschiedli-
chen Gegebenheiten.
Regulierung in Deutschland wurde aber bis vor nicht
allzu langer Zeit mit Festnetzregulierung gleichgesetzt.
Dort wurde dafür umso intensiver reguliert, während die
anderen Bereiche erst jetzt nach und nach in den Blick ge-
raten. Viele sehen noch heute das Festnetz als einen ein-
heitlichen Markt an, während sich die Teilmärkte sowohl
aus der Sicht der Verbraucher als auch im Hinblick auf die
Technik, Teilmärkte deutlich unterschiedlich entwickeln.
Einige Teilmärkte wie Fern- und Auslandsgespräche
zeichnen sich durch drastisch gefallene Preise und hohe
Wettbewerbsintensität aus, andere wie die letzte Meile
befinden sich mit über 98 Prozent fast noch im Monopol.
Neue Teilmärkte wie breitbandige Anschlüsse kommen
hinzu und werfen neue Fragen auf.
Drittens. Die Auffassung der Bundesregierung und
der EU-Kommission, dass die Konvergenz der Bereiche
Medien, Telekommunikation und Informationstechno-
logie größere regulierungs- und allgemeinpolitische
Aufmerksamkeit erfordert, halten wir für zutreffend.
Wenn Branchen teilweise zusammenwachsen und in-
einander übergehen, entstehen Abgrenzungsprobleme
und regulierungs-politischer Klärungsbedarf in Bezug
auf die betroffenen Branchen und die zuständigen poli-
tischen Ebenen. Die bisherigen Instrumente zur Be-
obachtung und zur angemessenen Reaktion reichen
weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene
aus.
Die Beurteilung der oligopolistischen Strukturen im
Bereich der privaten elektronischen Medien im Ver-
gleich zur Marktentwicklung im Telekommunikations-
bereich durch die Monopolkommission und die daraus
gezogenen Schlussfolgerungen sind in sich nur teil-
weise schlüssig: Während die Monopolkommission den
TK-Bereich mit sehr strengen Maßstäben misst, sieht
sie im Quasi-Duopol der privaten Fernsehanstalten kein
Problem.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die in
anderen Staaten schon viel weiter fortgeschrittene Ver-
schmelzung von Teilen der Kommunikationsbranche in
sich, wie wir sie aus den USA mit AOL und Time Warner
kennen. Ähnliches geschieht bei uns mit Kooperationen
wie zwischen T-Online und Springer.
Ich will das gar nicht verteufeln, sondern nur die Di-
mension zurechtrücken: In der Fachöffentlichkeit wird oft
über Zehntelpfennige bei der Interkonnektion und ein
paar Mark bei der TAL diskutiert. Ich will nur darauf hin-
weisen: Es geht dabei um ganz andere Quantitäten, aber
auch um ganz andere Qualitäten. Das betrifft sowohl die
Gesellschaft, zum Beispiel bei der Frage von Informati-
onsvielfalt und Zugang zu Informationen, aber auch die
Unternehmen der Kommunikationswirtschaft.
Viertens. Mit der Weiterentwicklung der Technik und
der Ausbreitung moderner Kommunikationsangebote ent-
stehen neue gesellschaftliche Mindestnormen, die zu er-
füllen gleichzusetzen ist mit der Teilnahme am gesell-
schaftlichen Leben insgesamt. Vielfältige und breit-
bandige Datenübertragungsmöglichkeiten werden damit
automatisch zum universellen Dienst im ursprüngli-
chen Wortsinn. Es wird zu beobachten sein, ob dieses uni-
verselle Angebot sich aus dem Markt heraus entwickelt
und damit die viel beschworene digitale Spaltung ver-
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hindert wird. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber,
dass die Teilnahme an der Informationsgesellschaft nicht
allein, nicht einmal vorrangig, eine Frage der technischen
Infrastruktur und des Preises ist.
Fünftens. Die Dynamik der Telekommunikations-
märkte macht es sowohl für die Unternehmen als auch für
die Regulierung erforderlich vorauszuschauen. Es ist ein
Unterschied, ob aus einem staatlichen Monopol heraus
Wettbewerb geschaffen wird oder ob wir in einer dyna-
mischen Wettbewerbssituation Zukunftsfragen diskutie-
ren und entscheiden wollen. Im Bezug auf die letzte
Meile wäre es beispielsweise höchste Zeit, einmal offen
darüber zu reden, was wir eigentlich gemeinsam unter-
nehmen wollen oder ob jeder für sich entscheiden will.
Ich halte es natürlich für nicht ganz widerspruchsfrei,
wenn aus derselben Ecke einerseits die Forderung kommt,
den regulierten Preis für die TAL massiv zu senken und
gleichzeitig angekündigt wird, es werde massiv in neue
Teilnehmeranschlüsse investiert. Wann ist denn der An-
reiz höher, in Teilnehmeranschlüsse zu investieren: bei
hohem oder niedrigem Preisniveau? Und umgekehrt: Wer
sagt, beim aktuellen Stand der Technik und bei den derzei-
tigen Konditionen auf dem Markt seien alternative An-
schlussmöglichkeiten uninteressant oder sie seien volks-
wirtschaftlich gesehen Verschwendung wofür ja durchaus
etwas spricht , der muss auch bekennen, dass damit das
Ortsnetz ein monopolistischer Flaschenhals bleibt, der der
dauerhaften Regulierung bedarf.
Ich beanspruche nicht, eine Antwort zu haben. Aber ei-
ner vorausschauenden Diskussion können wir im Sinne
realistischer Regulierungspolitik nicht ausweichen.
Für die Regulierungspolitik bedeutet all dies Folgen-
des:
Erstens. Laufende Überprüfung der Regulierung auf
die Möglichkeit ihrer Reduzierung; also Deregulierung,
teilweise Aufhebung oder verringerte Intensität von Re-
gulierung, wo sie aufgrund selbsttragenden Wettbewerbs
überflüssig geworden ist. In Teilmärkten mit infrastruktu-
rellen Alternativen wie bei den Ferngesprächen halten wir
das nach und nach für geboten. Es bedarf dabei keiner
Veränderung des Marktbeherrschungsbegriffs, sondern
der Veränderung seiner Anwendung. Das GWB hebt eben
nicht nur auf Marktanteile, sondern beispielsweise auch
auf Markteintrittsbarrieren oder auf die internationale
Wettbewerbssituation ab.
Zweitens. Erarbeitung eines Teilmarktkonzeptes. Die
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
hat dazu Eckpunkte vorgelegt.
Drittens. Mehr wirtschaftliche Kompetenz für die Re-
gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Wer
Märkte beobachten, analysieren und regulieren soll, muss
dies auf der Basis von eigenen Daten und deren Bewer-
tung tun können. Die Regulierungsbehörde für Telekom-
munikation und Post ist derzeit in vielen Fällen auf Zah-
len der beteiligten Unternehmen oder externe Gutachten
angewiesen. Dies kostet auch Zeit. Das bedeutet nicht,
dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Kompetenz
auf ihrem Gebiet absprechen. Vielmehr fordern wir neue
personalpolitische Schwerpunkte in der Behörde.
Viertens. Vorausschauende Regulierungspolitik. Die
bisherige Arbeit der Regulierungsbehörde war von Ein-
zelentscheidungen aufgrund von Anträgen und Be-
schwerden sowie von kurzfristigem Entscheidungsbedarf
geprägt. Um die Berechenbarkeit, Planbarkeit und Trans-
parenz von Regulierungsentscheidungen zu erhöhen,
benötigen wir in Zukunft eine vorausschauende Regulie-
rungspolitik. In Grundsatzfragen zum Beispiel Teil-
märkte, Inkasso, Interkonnektionregime, UMTS muss
es künftig vermehrt vorab fachöffentliche Diskussions-
möglichkeiten anhand von Eckpunkten geben.
Fünftens. Sicherstellung des flächendeckenden breit-
bandigen Angebotes, das für alle zugänglich und bezahl-
bar ist. Derzeit besteht die Tendenz zu einer Entwicklung
aus dem Markt heraus. Die Preise sinken, das Angebot
weitet sich aus. Der Universaldienstbegriff gibt die Mög-
lichkeit, dies rechtlich abzusichern, ohne dass zunächst
ein Eingriff nötig ist. Dieser geschieht erst dann, wenn es
nachweisbare Lücken gibt.
Dies kann nicht wie in der derzeitigen Flatrate-Debatte
dem marktbeherrschenden Unternehmen einseitig ohne
Ausgleich für die Kosten aufgebürdet werden. Deshalb
macht eine Fortschreibung und Modernisierung von Qua-
lität und Umfang des Universaldienstes Sinn. Auch drän-
gen wir auf eine Umsetzung des Gebotes der Förderung
von Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Ein-
richtungen in die Praxis, wie sie im TKG als Regulie-
rungsziel angegeben ist. Der dynamische Universal-
dienstbegriff des TKG bietet den Ansatzpunkt dafür, auch
hochwertige Datenübertragungsmöglichkeiten als Uni-
versaldienstleistungen anzubieten.
Sechstens. Die von uns bereits angesprochene Kon-
vergenz wirft die Frage nach der Herstellung eines re-
gulatorischen und gesetzlichen Zusammenhangs, einer
Verklammerung und Abgleichung der Kommunikati-
ons- und Medienmärkte auf. Wie Sie wissen, erfolgt in
Deutschland seit dem l. August 1997 die Zuordnung ei-
nes Dienstes auf der Grundlage eines differenzierten
und funktionsbezogenen Regelungssystems, nämlich
des Rundfunkstaatsvertrages, des Mediendienste-Staats-
vertrages, des Informations- und Kommunikationsdiens-
te-Gesetzes, insbesondere des Teledienstegesetzes und
des Telekommunikationsgesetzes. Bei den einzelnen
Dienstkategorien von Rundfunk bis Basistelekommu-
nikationsdienst handelt es sich unabhängig vom Inhalt
um die Übermittlung von Nachrichten via Telekommu-
nikationsinfrastruktur. Das TKG regelt die Zurverfü-
gungstellung der technischen Infrastruktur für diese
Dienste.
Schon die Entwicklung im Internetbereich macht deut-
lich, dass eine bessere Abstimmung von Landesmedien-
gesetzen, Bundes- und europäischer Gesetzgebung erfor-
derlich ist. Zwischenziel muss eine kohärente und
integrierte Kommunikationsordnung zunächst auf natio-
naler Ebene sein, die in Abstimmung mit den Ländern
schrittweise entwickelt werden und durch den Aufbau an-
gemessener Instrumente gestrafft und effektiviert werden
muss. Dabei geht es uns nicht um mehr Regulierungs-
breite und -tiefe, sondern um ein in sich stimmiges Ge-
samtsystem, eine konvergente Regulierung in einer kon-
vergenten Branche.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18153
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Siebtens. Die Konvergenz der Bereiche Medien, Tele-
kommunikation und Informationstechnologie auf globa-
len Märkten ist eine Entwicklung, die sich in den nächs-
ten Jahren auf der Dienstebene weiter intensivieren wird.
Im Rahmen der gegenwärtigen Arbeiten am neuen euro-
päischen Rechtsrahmen des Telekommunikationssektors
setzen wir uns zusammen mit der Bundesregierung dafür
ein, dass die deutschen Unternehmen in allen Ländern der
EU grundsätzlich ein einheitliches regulatorisches Re-
gime vorfinden. Die Bundesregierung beteiligt sich kon-
struktiv an den derzeitigen Beratungen in Brüssel und
wirkt darauf hin, dass eine volkswirtschaftlich angebo-
tene Anpassung des nationalen Regulierungsrahmens an
die jeweilige nationale Wettbewerbsentwicklung nicht
durch restriktive EU-Vorgaben ausgeschlossen wird. Es
ist das Ziel der Bundesregierung, ausreichend Spielraum
des nationalen Gesetzgebers zu gewährleisten, um die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Telekommunikati-
onsunternehmen im europäischen und globalen Umfeld
zu erhalten.
Wir brauchen eine Harmonisierung der europäischen
Telekommunikationsmärkte. Dies bedeutet nicht
zwangsläufig eine Ausweitung der Kompetenzen der
EU-Kommission in diesem Bereich. Die im Rahmen der
Richtlinienentwürfe des TK-Paketes vorgesehenen zu-
sätzlichen Rechte der EU-Kommission etwa zum Ein-
griff in Entscheidungen der nationalen Regulierungs-
behörden sind abzulehnen. Wir sehen mit großer Sorge
die Gefahr übereilter europäischer Entscheidungen, de-
nen keine Analyse der tatsächlichen marktmäßigen und
technischen Entwicklungen vorausgegangen ist. Ziel
europäischer Telekommunikationspolitik muss vorran-
gig die Angleichung der tatsächlichen Wettbewerbsbe-
dingungen im Rahmen eines europäischen Modernisie-
rungs- und Sozialmodells unter Berücksichtigung der
beschäftigungspolitischen Zielsetzungen sein. Ziel ist
also ein Level-Playing-Field unter Berücksichtigung
der gesellschaftlichen Ziele der EU.
Dies gilt auch über die EU hinaus, zum Beispiel für den
WTO-Bereich. Markteintrittsbarrieren, wie wir sie in den
USA angewendet sehen, haben hier nichts zu suchen. Die
USA sind übrigens im TK-Sektor ein Beispiel mehr dafür,
dass nicht immer die lautesten Rufer die wahren Freunde
von Wettbewerb und offenen Märkten sind.
Achtens. Wie die internationale Erfahrung zeigt, ist
gerade der Wettbewerb im Ortsnetz am schwierigsten zu
bewältigen. Ende 2000 hatten die Wettbewerber der
Deutschen Telekom bei den Festnetztelefonanschlüssen
einen Marktanteil von insgesamt 1,5 Prozent. Mit der
Möglichkeit des entbündelten Zugangs zur Teilnehmer-
anschlussleitung und der künftigen Möglichkeit, auf ei-
nem Teil der letzten Meile getrennt vom Telefonanbieter
Datendienste anbieten zu können (so genannter shared
access), sowie mit der Vergabe von Frequenzen für die
drahtlose Teilnehmeranschlussleitung (WLL) und die
dritte Mobilfunkgeneration UMTS wurden aus Sicht der
Bundesregierung in Deutschland die regulatorischen
Voraussetzungen für die Schaffung von Wettbewerb im
Ortsnetz realisiert.
Neben einigen bundesweit tätigen Wettbewerbern der
Deutschen Telekom kommt insbesondere regional tätigen
Teilnehmernetzbetreibern eine hohe Bedeutung für den
Wettbewerb um den Kunden vor Ort zu. Auch wenn die
Deutsche Telekom bis Ende 2000 erst circa 320 000 Teil-
nehmeranschlüsse an Wettbewerber vermietet hatte
Quelle: Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post, Jahresbericht 2000 , ist dies im internationalen
Vergleich eine beachtlich hohe Zahl. Bislang gibt es in
keinem europäischen Land vergleichbar viele Teilnehmer-
anschlüsse in Händen anderer Anbieter auf Basis der vom
Incumbent gemieteten Teilnehmeranschlussleitung. Durch
die jüngste Entscheidung der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post, die Entgelte in diesem Be-
reich um gut 5 Prozent abzusenken, wurden die Möglich-
keiten der Wettbewerber weiter verbessert.
Ende 2000 gab es bereits 95 Verträge zwischen der
Deutschen Telekom und ihren Wettbewerbern über den
Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung. Auf der Grund-
lage dieser Verträge bzw. auf der Basis eigener Teilneh-
mernetze bieten derzeit circa 52 Lizenznehmer neben
der Deutschen Telekom einen Direktanschluss zum Kun-
den an. In etwa 51 Prozent der 188 deutschen Städte mit
über 50 000 Einwohnern sowie in einer Reihe von Orten
des Umlandes können die Verbraucher bereits zwischen
der Deutschen Telekom und einem Wettbewerber, in
manchen Städten sogar mehreren Wettbewerbern, aus-
wählen.
In Ansätzen können wir derzeit beobachten, dass sich
in absehbarer Zukunft durch den Aufbau alternativer
Technologien ein stärkerer Wettbewerb um Telefonan-
schlüsse entfalten wird. So wird der Aufbau dialogfähiger
Breitbandkabelnetze dazu führen, dass über die heutige
Fernsehinfrastruktur künftig in größerem Umfang Tele-
fon-, Internet- und Fernsehdienste angeboten werden kön-
nen. Derzeit investieren zwei neue Kabelnetzbetreiber in
den Ausbau der Breitbandkabelnetze. Weitere Impulse
sind von alternativen Technologien wie Powerline oder
WLL und nicht zuletzt auch von UMTS zu erwarten. Wir
sehen vor diesem Hintergrund keinen Bedarf an zusätz-
lichen ordnungspolitischen Maßnahmen zur Schaffung
von Wettbewerb im Ortsnetz.
Durch die jüngste Verordnung der EU über den ent-
bündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss hat sich die
Regulierungsintensität in Deutschland nicht grundsätz-
lich geändert, da entsprechende Vorgaben bereits seit In-
Kraft-Treten des Telekommunikationsgesetzes und der
Netzzugangsverordnung existieren. Es macht wenig Sinn,
sich in den aktuellen Streit um die Umsetzung dieser
Richtlinie einzumischen. Allerdings sei darauf hingewie-
sen, dass gesetzlich und regulatorisch schon lange Mög-
lichkeiten für den Wettbewerb auf der letzten Meile be-
stehen.
Dass die Kunden diese Möglichkeiten nicht stärker
nutzen und der Wettbewerb sich nur schwach entwickelt,
hat seine Ursache nicht vorrangig in gesetzlichen oder re-
gulatorischen Vorgaben oder in der Höhe der Miete. Viel-
mehr geht es um die reine Ökonomie, wenn sich feststel-
len lässt, dass die Gewinnmargen für Wettbewerber im
Fernbereich die realisierbaren Renditen im Ortsnetzbe-
reich anfangs deutlich überschritten. Zudem ist es erheb-
lich schwieriger, Kunden komplett von der Deutschen Te-
lekom abzuwerben, als Call-by-Call-Gespräche zu
vermarkten. Komplettangebote implizieren Vertragskün-
digungen der Kunden bei der Deutschen Telekom und den
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(C)
(D)
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(B)
Neuabschluss eines Vertrages mit einem Wettbewerber.
Die zunächst geringe Akzeptanz von Preselection-Ange-
boten zeigt, dass die Wechselbereitschaft der Kunden nur
dann hoch ist, wenn die Einsparpotenziale hoch und die
Wechselkosten sehr niedrig liegen.
Vor dem Hintergrund der überaus positiven Wettbe-
werbsentwicklung in weiten Teilen des deutschen Tele-
kommunikationsmarktes und des technisch und regulato-
risch bedingten zunehmenden Wettbewerbspotenzials im
Ortsnetzbereich sehen wir kurzfristig keinen Anlass, ge-
sonderte Änderungen am Ordnungsrahmen vorzunehmen.
Damit sind wir wieder beim Ordnungsrahmen und des-
sen Gestaltung. Wenn wir mein Thesenpapier vom De-
zember nehmen und daneben halten, was seither schon
geschehen ist, erkennen wir die Dynamik nicht nur des
Marktes, sondern auch der regulierungspolitischen De-
batte. Ob Teilmärkte, ob Rückbau von Regulierung, ob
Konvergenz vieles, was seinerzeit zu heller Aufregung
führte, ist heute Teil der Praxis oder einer breiteren Dis-
kussion. Was ich damals veröffentlichte, ist heute An-
tragstext der Regierungskoalition. Was damals von Ein-
zelnen mit heftigen Protesten bedacht wurde etwa von
VATM , dazu wird heute erklärt, damit könne man leben.
Über eines bestand von Anfang an Klarheit. Wir wol-
len keine Verunsicherung, wir wollen keine gesetzlichen
Änderungen im Hauruckverfahren. Aber wer Veränderun-
gen zur Kenntnis nimmt und darauf reagieren muss, muss
gerade im Interesse von Berechenbarkeit und Zuverläs-
sigkeit rechtzeitig die notwendigen Debatten anstoßen.
Diese lassen sich nicht mit Verdächtigungen eröffnen.
Die letzten Monate haben gezeigt, dass solche Debat-
ten bei uns im Land gut möglich sind. Sie haben auch ge-
zeigt, dass die Regulierungspraxis kein starres Konzept
ist. Wenn die Flexibilität im derzeitigen Rechtsrahmen ge-
nutzt wird, kommen wir bis zum Ende dieser Legislatur-
periode ohne Gesetzesänderungen aus.
Auf mittlerer Sicht, also ab 2003, bestehen jedoch An-
haltspunkte für eine Rückführung der sektorspezifischen
Regulierung und ihre Anpassung an die neuen Verhältnisse.
Dann werden auch die Ergebnisse der gegenwärtigen Über-
prüfung des europäischen Rechtsrahmens vorliegen und zu
beachten sein. Ansätze für eine Weiterentwicklung des
deutschen Ordnungsrahmens hat die Bundesregierung be-
reits in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht der Re-
gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
1998/1999 und zum Sondergutachten der Monopolkom-
missions Wettbewerb auf Telekommunikation- und Post-
märkten entwickelt.
Ich würde mich freuen, wenn wir über diese Weiterent-
wicklung gemeinsam diskutieren könnten. Berechenbar-
keit und Ernsthaftigkeit machen es erforderlich, rechtzei-
tig zu beginnen. Die Große Anfrage der CDU/CSU läuft
zwar wieder einmal dieser Debatte hinterher, ist aber in ih-
rer Beantwortung eine wichtige Diskussionsgrundlage.
Vor einigen Irrungen und Wirrungen der Opposition sei
allerdings abschließend noch gewarnt:
Erstens. Vor dem Kaputtreden des Informations- und
Kommunikationsstandortes Deutschland. Nirgendwo hat
sich die Branche so dynamisch entwickelt wie bei uns,
sind auch die Internettarife so schnell gesunken, ist die
Mobilkommunikation so fortgeschritten und sind selbst
im Ortsnetzbereich so viele Wettbewerber mit eigenen
Anschlüssen da. Ich muss mich schon manchmal wun-
dern, wie die Union allgemein stolz auf Deutschland
und die nationalliberal gewandte F.D.P. sich vor den Kar-
ren von Interessen spannen lassen und die Situation ge-
rade in der TK-Branche im In- und Ausland systematisch
schlecht reden.
Zweitens. Vor einer doppelzüngigen Rollenzuweisung
an die Politik. Einerseits verweigern Union und F.D.P. bis-
her die Diskussion im Grundsatz, in den langen Linien
über die notwendigen Korrekturen in der Regulierungs-
praxis, wie es sie bis Ende 2000 gab. Begründung: politi-
scher Druck auf die Regulierungsbehörde für Telekom-
munikation und Post. Gleichzeitig finden wir andererseits
zu fast jeder einzelnen Regulierungsentscheidung die ein-
schlägigen Presseerklärungen von Union und F.D.P. Dazu
geben sie regelmäßig ihren Senf ab. Das passt nicht zu-
sammen.
Drittens. Leider gibt es zunehmend Versuche, Regulie-
rung der Politik für unternehmerisches Versagen haftbar
zu machen. Die derzeitige Marktbereinigung, die abseh-
bar war und in weiten Teilen unumgänglich ist, versuchen
Sie der Bundesregierung ans Bein zu schmieren. Dazu
darf ich Michael K. Powell, den Vorsitzenden der FCC der
USA, zitieren:
... in dieser Phase stetiger Veränderungen ... suchen
viele den Schutz der Regulierung, um sich so vor
dem rauen Sturm des Wettbewerbs zu schützen.
Andere (oft sind es dieselben Leute) versuchen,
Regulierung aktiv einzusetzen, um einem Konkur-
renten zu schaden oder ihn zu belasten.
Ich füge hinzu: Oft sind es auch die, die an anderer
Stelle nach Wettbewerb pur rufen.
Wir bekennen uns zur gesellschaftlichen und politi-
schen Verantwortung auch und gerade für eine liberali-
sierte Wettbewerbsbranche. Treten Sie mit uns in die De-
batte darüber ein, anstatt je nach Belieben mal nach dem
Markt und mal nach der Bundesregierung zu rufen. Wir
bieten als Koalitionsfraktion mit unserem Antrag dazu
eine gute Grundlage an und warten auf Ihr Angebot im po-
sitiven Wettbewerb.
Ulrich Kelber (SPD): Noch vor einigen Jahren begann
ein Telefongespräch mit meinen in den USA lebenden
Verwandten damit, diese wegen der dort sehr viel niedri-
geren Telefontarife um einen Rückruf zu bitten. Heute te-
lefoniere ich von Deutschland in die USA für den halben
Preis wie in die Gegenrichtung.
Schon dieses eine Beispiel zeigt den Erfolg des Wett-
bewerbs auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt
und auch den Erfolg der Regulierung bzw. der Regulie-
rungsbehörde. Noch immer sinken die Telefontarife in un-
serem Land, wenn auch wesentlich langsamer. In ihrem
Antrag zeigt die SPD auf, welche Maßnahmen den Wett-
bewerb stärken, Investitionen erleichtern und die Regu-
lierung weiter modernisieren sollen.
Ich will dabei auf drei Aspekte eingehen: Konvergenz
der verschiedenen Technologien, europäische Harmoni-
sierung der Regulierung und Stetigkeit der Regulierung.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18155
(C)
(D)
(A)
(B)
Zur Konvergenz. Medien, Telekommunikation und In-
formationstechnologie werden technologisch eine Einheit
und auch die Branchen wachsen zusammen. Das zeigen
nicht nur die Megafusionen. Diese Konvergenz muss
auch die Regulierungspolitik berücksichtigen. Die dazu
bisher gemachten Aussagen der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post und Monopolkommission
reichen nicht aus.
Im privaten Fernsehbereich wird ein Quasi-Duopol ge-
duldet, während in der Telekommunikation hart reguliert
wird. Hier muss es zu einer Einheitlichkeit der Regulie-
rung kommen, die auch ein neues Gleichgewicht zwi-
schen Bundesländern, Bund und Europa erfordert. Wir
brauchen eine neue Kommunikationsordnung in Deutsch-
land; sonst droht die EU hier Kompetenzen an sich zu zie-
hen.
Zur europäischen Harmonisierung der Regulierung.
Die europäischen Telekommunikationsmärkte müssen
harmonisiert werden. Dazu gehören vor allem faire und
vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Dies ist heute in
der EU nicht gewährleistet, übrigens auch zulasten unse-
rer deutschen Unternehmen. Während die Monopolisten
anderer Länder sich, mit ihren Monopolgewinnen ge-
stärkt, frei auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt
bewegen können, werden deutsche Unternehmen in Tei-
len des EU-Auslands trotz klarer EU-Regelungen in ihrer
Betätigung behindert.
Zu dieser Harmonisierung ist keine Ausweitung der
Kompetenzen der EU-Kommission notwendig. Die SPD
lehnt die von der EU gewünschten Möglichkeiten des
Eingriffs in die Entscheidungen der nationalen Regulie-
rungsbehörden ab. Von diesen nationalen Behörden er-
warten wir eine stetige Politik.
Zur Stetigkeit der Regulierung. Die Arbeit der Regu-
lierungsbehörde für Telekommunikation und Post war
bisher durch Einzelentscheidungen geprägt durchaus
nicht ganz freiwillig. Auslöser waren Anträge, Beschwer-
den und ein kurzfristiger Entscheidungsbedarf im begin-
nenden Wettbewerb. Die Unternehmen brauchen jetzt
aber zunehmend Berechenbarkeit, Transparenz und Plan-
barkeit von Entscheidungen.
Dazu bedarf es einer noch vorausschauenden Regulie-
rungspolitik. Grundsatzfragen müssen zunächst, breit dis-
kutiert werden und danach von der Regierungsbehörde
für Telekommunikation und Post in Eckpunkte gefasst
werden.
Regulierungspolitik muss auch deutlich machen, wo
Regulierung unter bestimmten Umständen wieder
zurückgefahren, der Markt also dereguliert werden kann.
Die Unternehmen brauchen einen zuverlässigen Rahmen
für ihre Investitionen, insbesondere für die Investitionen
in Infrastruktur. Investitionen dürfen nicht durch eine
überraschende Regulierungspolitik entwertet werden.
Wohin ein Wettbewerb auf Kosten der Infrastruktur führt,
zeigen der englische Bahnbetrieb und die kalifornische
Energieversorgung. Das wollen wir in Deutschland und
für das Telekommunikationsnetz nicht. Es ist ein wichti-
ger Standortvorteil, dass wir das modernste Telekommu-
nikationsnetz der Welt haben.
Damit das so bleibt, brauchen wir die Investitionen, die
europäische Harmonisierung und die Konvergenz der in
Deutschland erfolgreichen Regulierungspolitik.
Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Wer wollte es
bestreiten? Der für den Wettbewerbsstandort Deutschland
wohl wichtigste und bislang innovativste Zukunftsmarkt,
die Telekommunikation, befindet sich in einer mehr als
kritischen Phase. Nur wenige werden überleben,
schreibt die Süddeutsche Zeitung. Arthur D. Littl be-
hauptet gar, dass von den 400 Unternehmen der Festnetz-
branche gerade mal 20 überleben werden. Die wohlmei-
nendsten Prognosen, die ich kenne, rechnen immerhin
noch mit 50 Prozent der Unternehmen, die in der Branche
in den nächsten 12 Monaten verschwinden werden.
Welch ein krasses Bild, meine Damen und Herren, im
Gegensatz zur Selbstbeweihräucherung dieser Bundesre-
gierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage, die wir
aus erkennbarer Sorge um diese Entwicklung im Januar
diesen Jahres gestellt haben. Spätestens da, als Sie endlich
Ende April die Antwort verfasst hatten, hätten Sie doch
die ernsthafte Lage erkennen können, in der sich die Bran-
che befindet. Aber ähnlich wie bei der kritischen Lage der
Baubranche, ähnlich wie bei der Verlängerung des Post-
monopols, wo Sie ebenfalls Wettbewerber der Branche in
die Krise treiben, und ähnlich wie gestern in der Kom-
mentierung der Arbeitslosenzahlen, haben Sie nichts zu
bieten, als das sattsame Herunterbeten von Erfolgszahlen,
die Sie den Reformen der Vorgängerregierung zu verdan-
ken haben. Wie Hohn müssen es die 61 000 Mitarbeiter
bei den Wettbewerbern der Telekom empfinden und ins-
besondere auch die Betriebsräte und 6 000 Mitarbeiter
von DB-KOM, -Arcor, wenn Sie schreiben, Die Bun-
desregierung beurteilt die Wettbewerbssituation auf dem
deutschen Telekommunikationsmarkt positiv.
Drei Jahre haben Sie außer der Vereinnahmung von
100 Millionen DM an UMTS-Lizenzgebühren und den
skurilen Einnahmen aus der zweiten Börsentranche mit
61 Euro pro Telekom-Aktie keinen positiven Beitrag zur
Weiterentwicklung des Wettbewerbs geleistet. Im Gegen-
teil: Mit dem so genannten Barthel-Papier im Dezember
2000 und mit der jüngsten Äußerung des von mir sonst
sehr geschätzten Staatssekretärs Tacke beide wollen die
sektorspezifische Regulierung zurückdrehen wurde er-
heblich zur Verunsicherung des Marktes beigetragen. Vor
allem das so genannte Barthel-Papier hatte doch ver-
heerende Wirkungen auf ausländische Investoren, weil es
exakt auf den Wechsel an der Spitze der Regulierungs-
behörde fiel. So wie bei mir sind diese amerikanischen In-
vestoren doch auch bei Ihnen gewesen, um zu fragen: Was
ist denn hier geplant? Lohnt es sich noch in den deutschen
TK-Markt zu investieren?
Man muss schon regelrecht erleichtert sein, wenn die
Bundesregierung wenigstens in der Frage des Breitband-
kabelnetzes davon spricht, dass die deutschen Telekom-
munikationsmärkte ohne Einschränkung auch für auslän-
dische Gesellschaften offen sind, und sie begrüßt
ausdrücklich das Engagement ausländischer Unterneh-
men, die hierzulande Arbeitsplätze sichern und schaffen.
Man ist versucht, gedanklich das Kanzlerwort hinzuzufü-
gen: Wir haben verstanden. Möglicherweise richtet die
Bundesregierung diese Antwort vor allem an die eigenen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118156
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Genossen. Dies alles würden wir ja gerne glauben, wenn
da nicht genau an den Stellen, wo wir Sie um konkrete
ordnungspolitische Antworten bitten, nur ausweichende
Allgemeinplätze lesen müssen. In dieser Woche sind uns
zwei weitere wichtige Stellungnahmen zur Wettbewerbs-
situation am TK-Markt auf den Tisch gekommen. Es ist
das Weißbuch des Verbandes der Anbieter von Telekom-
munikations- und Mehrwertdiensten e. V., VATM, und es
sind der Bericht des Bundeskartellamtes und die Stellung-
nahme der Bundesregierung zur Marktöffnung im TK-
Bereich. Die beiden Berichte stellen, im Gegensatz zu den
Beschwichtigungen der Bundesregierung, die prekäre Si-
tuation wie sie sich heute darstellt, ungeschminkt vor. Ja,
die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post unter neuer Leitung hat in den vergangenen sechs
Monaten Entscheidungen getroffen! Aber sie hat Ent-
scheidungen getroffen, die entweder den Infrastruktur-
wettbewerb im Ortsnetz zementieren oder, wie wir zum
Beispiel bei line-sharing erleben müssen, ignorieren, dass
marktbeherrschende Unternehmen Anordnungen der Re-
gulierungsbehörde einfach nicht befolgen. Es geht fast
schon aus Gewohnheit über alle Gerichtsinstanzen. Das
meiste aber erreicht es das muss man leider neidlos fest-
stellen mit einem engen Beziehungsnetz, in der es seine
ganze Marktmacht ausspielt. Demgegenüber sagen Wett-
bewerber: Wir haben nicht einmal mehr die Mittel, um un-
sere Interessen juristisch durchsetzen zu können. Aber es
sind ja, wie der VATM prognostiziert, nur etwa 20 000
Arbeitsplätze, die wegen wettbewerbsorientierter Fehl-
entwicklungen in den nächsten zwölf Monaten vermut-
lich verloren gehen, und es trifft ja, wie die Bundesregie-
rung sagen wird, nur mittelständische Betriebe, und im
Übrigen sind wir sowieso in einem Rekordjahr der Kon-
kurse; da kommt es also auf 100 TK-Firmen weniger nicht
an.
Im Übrigen hatte die SPD schon immer für die jungen
Unternehmen der TK-Branche als so genannte Rosinen-
picker nur Hohn und Spott übrig. Eine in meinen Augen
krasse Fehlentscheidung, die wohl einmalig in der Ge-
schichte Deutschlands in einem Wettbewerbsverfahren
ist, war im Übrigen die wettbewerbsfeindliche Entschei-
dung am 30. März zum Produktangebot T-DSL, durch die
einem marktbeherrschenden Unternehmen Preisdumping
erlaubt wird. Dieses wird verheerende Folgen auf die auch
von der Bundesregierung in ihrer Antwort geforderten al-
ternativen Anschlusstechnologien haben. Damit würde
Wireless-Lokal-Loop kaputtgemacht, weil es sich nie
mehr rechnet. Viel schlimmer aber ist, dass damit auch die
Hoffnung auf einen dialogfähigen Ausbau des soeben
nach England und Amerika verkauften Breitbandkabels
auf lange Sicht begraben werden kann. Dieses Kabel wird
lediglich noch zur Vervielfachung von Fernsehkanälen
gebraucht
Durch die Preisdumpingentscheidung bei DSL rechnet
sich kein Geschäftsmodell alternativer Netzinfrastruktur
mehr. Wie sagt heute in der Berliner Zeitung der Chef
von Arcor, Harald Stöber, wörtlich: Wer da vom nahen-
den Ende des Ortsnetzmonopols redet, betreibt politische
Rhetorik.
Nun werden Sie aber für die Interessen der Verbraucher
und der mittelständischen Branche der TK-Wettbewerber
nur Hohn und Spott übrig haben, während Sie vermutlich
die Entwicklung der Remonopolisierung als Marktberei-
nigung begrüßen. Dazu sagen Sie ja wörtlich in ihrer Ant-
wort in Punkt 10 auf unsere Anfrage, dass das TKG genü-
gend Aufgreiftatbestände für mögliches Missbrauchs-
verhalten der DTAG hat, und im Übrigen ja auch noch das
Bundeskartellamt da sei. Wenn Sie das so meinen, wie Sie
hier schreiben, dann lesen Sie aber auch bitte den Bericht
des Bundeskartellamtes, in dem seitenweise Bedenken
gegen jüngste Regulierungsentscheidungen vorgetragen
werden.
Es ist für mich ein trauriges Bekenntnis, wenn ich sage,
die historisch gewachsene Unabhängigkeit des Kartell-
amtes wäre aus heutiger Sicht vermutlich die effizientere
Lösung als die Regulierungsbehörde, obwohl sie doch als
sektorspezifische Einrichtung nach dem Gesetz für ra-
schen Wettbewerb sorgen sollte. Nur ein paar Stichworte:
Ich denke, nachdem im Bereich Zusammenschaltung
EBC durch die Telekom ebenfalls verhindert wurde,
sollte das bestehende System beibehalten werden und die
nächste Generation IP-basierender Voraussetzung abge-
wartet werden. Das erspart wenigstens unnötige Investi-
tionen. Wegen der Weigerung des marktbeherrschenden
Unternehmens, live-sharing einzuführen, muss dringend
die Dumping-Genehmigung der T-DSL überprüft werden.
Die Glaubwürdigkeit der Regulierungsbehörde muss wie-
der hergestellt werden. Nach der für die Beschlusskam-
mer der Regulierungsbehörde vernichtenden Stellung-
nahme der Kartellbehörde auf den Antrag von Talkline auf
Zusammenschaltung der ATM-Netze ist die Regierung
aufgefordert, darauf zu drängen, dass § 82 TKG stärker
beachtet wird und die Stellungnahme des Kartellamtes
nicht nur pro forma eingeholt wird, sondern deren Argu-
mente auch ernsthaft geprüft werden. Die sich mehrende
Kritik aus dem Europäischen Parlament an der schlep-
penden Umsetzung der Öffnung des Ortsnetzes hat auch
die EU-Kommission erreicht; sie hat der deutschen Re-
gierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht.
Die Regierung darf sich nicht wundern, dass sie aus dem
Kreis der Wettbewerber immer weniger Unterstützung er-
hält, die Befugnisse der Regulierung auch künftig als na-
tionale Kompetenz zu erhalten. Das Vertrauen in die
Wettbewerbspolitik dieser Regierung schwindet jeden
Tag mehr. Man vertraut da eher der EU-Kommission. Das
war, wie Sie wissen, bisher nicht so und das sollte Ihnen
zu denken geben. Weil es nach dem Telekommunikati-
onsgesetz politischer Wille ist, für Wettbewerb im Tele-
fonmarkt zu sorgen, muss es auch erklärtes Ziel der Be-
teiligten sein, diesen Wettbewerb für eine Übergangszeit
zu fördern, und zwar so lange, bis von den neuen Kon-
kurrenten des einstigen Monopollisten erwartet werden
kann, alle betriebswirtschaftlichen und technischen Funk-
tionen selbst zu übernehmen und finanziell zu tragen. Das
fördern Sie am besten dadurch, dass Sie keinen politi-
schen Druck auf die Regulierungsbehörde ausüben.
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Wett-
bewerb ist auch in der Telekommunikation kein Selbst-
zweck; er soll vielmehr den Kunden nutzen, dem Fort-
schritt dienen und schließlich zu neuen Arbeitsplätzen in
Deutschland führen. Die Liberalisierung des Telekommu-
nikationsmarktes 1998 durch die unionsgeführte Bundes-
regierung hat die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre in
Deutschland, die in der Antwort zur Großen Anfrage
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dargestellt ist, ermöglicht. Die jetzige Bundesregierung
erntet die Früchte, die die frühere gesät hat. Der damalige
Postminister Bötsch musste seine Reform gegen den Wi-
derstand von Länderministerpräsidenten wie Eichel und
Schröder durchsetzen.
Zur künftigen Wettbewerbspolitik in der Telekommu-
nikation einige grundsätzliche Feststellungen: Die Wett-
bewerbssituation kann nicht allein im nationalen Rahmen,
sie muss vielmehr weltweit gesehen werden. Dement-
sprechend geht es in erster Linie nicht darum, die Deut-
sche Telekom AG gegenüber den Mittelständlern in
Deutschland, sondern die Deutsche Telekom AG gegen-
über finanzstarken internationalen Gesellschaften zu stär-
ken. Dabei muss bewusst bleiben, dass es für Deutschland
wichtig ist, eine starke Deutsche Telekom AG zu haben.
Ein Zweites ist wichtig: Es kann nicht darum gehen, dass
nur in Deutschland die Märkte geöffnet und der Wettbe-
werb verstärkt wird, während in anderen Ländern nach
wie vor eine hinhaltende Abschottungspolitik betrieben
wird.
Aus der Fülle der Wettbewerbsthemen möchte ich ei-
nes herausgreifen: die Flatrate. Im vergangenen Jahr hat
sich der Bundeskanzler in der Ankündigung gesonnt, es
werde ein flächendeckendes Angebot einer Full-Flatrate
zu bezahlbaren Preisen geben. Das Glück hat nicht lange
gedauert. Jetzt gibt es nur für ausgewählte Gebiete und
praktisch nur von einem einzigen Anbieter, der Deutschen
Telekom AG, in T-DSL ein Angebot. Fast alle anderen
Anbieter sind verschwunden. Die Bundesregierung hat in
diesem Falle wieder einmal Erwartungen geweckt, die sie
nicht erfüllen kann.
Schließlich möchte ich noch einige Worte zum Koali-
tionsantrag auf Drucksache 14/5693 sagen. Im letzten
Punkt dieses Antrages wird sozusagen unter ferner lie-
fen das Thema Elektrosmog aufgegriffen. Ist das die Pri-
orität der Koalition für die Sorgen der Bürger? Die spe-
kulativen Äußerungen des Bundesumweltministers über
eine Grenzwertveränderung sind jedenfalls wenig hilf-
reich. Wo ist die Aufforderung an die Bundesregierung,
Forschungsvorhaben in Auftrag zu geben, um die Grenz-
werte zu untermauern und damit die Diskussion auf eine
stabilere sachliche Grundlage zu bringen? Wo ist im An-
trag die Forderung nach einer öffentlichen und wirksamen
Unterstützung der Mobilfunkgesellschaften durch die
Bundesregierung? Wer 100 Milliarden DM abkassiert hat
und die Betreiber im Regen stehen lässt, wenn es darum
geht, die Voraussetzungen für den Betrieb zu schaffen, ist
unglaubwürdig. Die Koalition und die Bundesregierung
sollten dieses Thema, das vielen Bürgern auf den Nägeln
brennt und für die Entwicklung der Telekommunikation
in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist, ernster
nehmen.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Informations- und Kommunikationstechnologien
sind eine der am schnellsten wachsenden Branchen.
Allein bei Wettbewerbern der Telekom sind 60 000 Ar-
beitsplätze entstanden. Wir wollen die Rahmenbedingun-
gen optimal gestalten, damit die Beschäftigungspoten-
ziale ausgeschöpft werden können.
Die Debatte um die New Economy wird zurecht
auch unter dem Begriff Netzwerkökonomie geführt:
Auf der Basis der schnellen und kostengünstigen Kom-
munikation entstehen neue Geschäftsmodelle im Internet.
Niedrige Telekommunikationskosten sind die Voraus-
setzung für die soziale Gestaltung der Informationsge-
sellschaft und für neue Arbeitsplätze in diesem Bereich.
Um diese zu gewährleisten ist ein funktionierender Wett-
bewerb notwendig.
Innovationen werden vor allem von kleinen und mitt-
leren Unternehmen vorangetrieben. Bei Ihnen entstehen
die meisten Arbeitsplätze. Optimale Rahmenbedingungen
für kleine und mittlere Unternehmen sind entscheidend
für die positive Entwicklung der Beschäftigung im Be-
reich Informations- und Kommunikationsdienstleistun-
gen.
Aufgrund der nach wie vor stark von früheren Mono-
polisten bestimmten Märkte und Besonderheiten des
Wett- bewerbs in netzwerkartigen Infrastrukturen benöti-
gen wir hier besondere Regulation. Nach dem Telekom-
munikationsgesetz hat die RegTP die Voraussetzungen für
funktionierenden Wettbewerb zu schaffen.
Ziele der sektorspezifischen Regulation der RegTP
ist es nach dem Telekommunikationsgesetz vor allem:
Wettbewerb zu fördern, die flächendeckende Grundver-
sorgung für Telekommunikationsdienstleistungen Uni-
versaldienstleistungen zu erschwinglichen Preisen si-
cher- stellen.
Wettbewerb von Netzwerken braucht klare wettbe-
werbliche Regeln. Diese müssen mit dem notwendigen
Nachdruck durchgesetzt werden.
In den letzten Wochen haben uns die Wettbewerber der
Deutschen Telekom und ihre Verbände intensiv über viel-
fältige Behinderungen durch die Deutsche Telekom infor-
miert.
Es ist nicht akzeptabel, dass die Deutsche Telekom die
Anordnung der Regulierungsbehörde zum line-sharing
nicht umsetzt. Die Anordnungen der Behörde müssen
auch während eines laufenden Verfahrens von der Tele-
kom umgesetzt werden. Alles andere wäre das Ende jeden
Wettbewerbs ehe er richtig begonnen hat.
Die Entscheidung der RegTP, die zu niedrigen Preisen
man kann berechtigt von Dumpingpreisen sprechen
der Telekom bei DSL zu akzeptieren, hat zur Herausbil-
dung eines faktischen Monopols in dieser neuen Techno-
logie geführt. Auch lnvestitionen in technischen Alterna-
tiven machen nun keinen Sinn mehr. Vor diesem
Hintergrund sollte diese Entscheidung überdacht werden.
Wir brauchen endlich Wettbewerb im Ortsnetzbereich.
Hier hat die Telekom dem Präsidenten der RegTP zuge-
sagt, die Rückstände bei der Bereitstellung von Infra-
strukturen im Ortsnetzbereich bis Ende Oktober aufzu-
holen.
Investitionen auch gerade ausländischer Unternehmen
in die Infrastrukturen benötigen Planungssicherheit. Dem
muss mit der Regulierungspolitik Rechnung getragen
werden.
Bündnis 90/Die Grünen stehen für einen fairen Wett-
bewerbsrahmen. Wir werden die Kritik der Wettbewerber
an der Regulierungsbehörde sehr genau prüfen und mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118158
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der Regulierungsbehörde darüber Gespräche führen, wie
mehr Planungssicherheit für die Investoren geschaffen
werden kann.
Wir begrüßen es, dass die Deutsche Telekom sich end-
lich von ihren regionalen Kabelgesellschaften trennt.
Endlich entsteht ein alternativer Zugang zu den Haushal-
ten, über den der Zugang ins Internet, das Telefonieren
und der Empfang von Radio und Fernsehen möglich wird.
Wettbewerb durch einen alternativen Zugang auf der
letzten Meile wird auch hier zum Sinken der Preise
führen.
Käuferin der Kabelnetze ist die amerikanische Liberty
Media Corporation, die zum AT&T-Konzern gehört und
an AOL Time Warner und dem Medien-Imperium von
Rupert Murdoch beteiligt ist. Damit besteht die Gefahr,
dass Liberty als Besitzerin des Netzes versucht, auf die In-
halte der Fernsehprogramme Einfluss zu nehmen. Ein sol-
cher Einfluss muss durch eine strikte Aufsicht durch die
Landesmedienanstalten und die Regulierungsbehörde für
Post und Telekommunikation verhindert werden. Faire
Zugangsbedingungen zu den Netzen auch für kleine In-
halte-Anbieter sind unbedingt notwendig.
Rainer Funke (F.D.P.): Will man sich dem Thema der
aktuellen Wettbewerbssituation in der Telekommunika-
tion seriös nähern, muss man sich zunächst darüber im
Klaren werden, welche Wettbewerbsverhältnisse auf dem
Telekommunikationsmarkt angestrebt werden sollen.
Denn dass wir zurzeit noch keine befriedigende Wettbe-
werbssituation haben und demgemäß nur von einem Zwi-
schenstadium reden können, scheint mir evident zu sein.
Mit der Postreform II haben wir uns entschieden für die
Einführung eines asymmetrischen Wettbewerbs. Das
heißt mit anderen Worten, dass der normalerweise anzu-
strebende symmetrische Wettbewerb uns damals noch
nicht als durchführbar erschien, weil der bisherige Mono-
polist mit seiner Marktmacht alle Wettbewerber aufgrund
seines technischen Know-hows, seiner Kapitalkraft und
seiner Kabelnetze hätte behindern und jeden Wettbewerb
hätte verhindern können. Um anderen Wettbewerbern die-
sen Zugang zum Telekommunikationsmarkt zu ermögli-
chen, ist die Regulierungsbehörde als ordnende Kraft ein-
geführt worden. Diese Entscheidung für den asymme-
trischen Wettbewerb war richtig. Richtig ist auch das Ziel
eines symmetrischen Wettbewerbs ohne Regulierungs-
behörde, wobei die Missbrauchsaufsicht später durch das
Kartellamt durchgeführt werden soll.
So weit sind wir aber noch nicht. Denn der Exmono-
polist Telekom verteidigt seine Marktstellung mit allen
Mitteln. Die Deutsche Telekom versucht alles, um die
Öffnung der letzten Meile für den Wettbewerber zu ver-
zögern, auch unter Hinweis auf angebliche technische
Schwierigkeiten. Sie versucht den zukunftsträchtigen
DSL-Markt zu monopolisieren und nimmt deshalb bei der
Preisgestaltung Kostenunterdeckung in Kauf. Sie wird
dabei auch von der Regulierungsbehörde unterstützt,
denn die Regulierungsbehörde zeigt keine Neigung, das
Verfahren über die Preissetzung bei DSL-Anschlüssen
gegen die Telekom wieder aufzunehmen.
Ich halte es auch nicht für gut, dass die Telekom über
Gerichtsverfahren und angebliche technische Hindernisse
versucht, bei DSL eine monopolartige Stellung aufzu-
bauen. Dies widerspricht unserer Überzeugung, dass nur
fairer Wettbewerb unter den Marktteilnehmern dazu ge-
eignet ist, den Markt zu entwickeln und Innovationen
durchzusetzen. Das Verhalten der Telekom führt eher
dazu, dass der asymmetrische Wettbewerb noch länger
aufrechterhalten werden muss, was wir langfristig nicht
wollen.
Wir begrüßen dagegen, dass die Telekom hinsichtlich
der Breitbandkabel aus der Not eine Tugend gemacht hat
und dieses Kabelnetz an dritte Kapitalanleger veräußert
hat.
Wir fordern die Telekom auf, sich dem Wettbewerb of-
fensiv zu stellen und nicht durch zahlreiche Klagen gegen
die Entscheidungen der Regulierungsbehörde oder Wett-
bewerber Zeit zu schinden. Im Ergebnis wird jeder faire
und vernünftige Wettbewerb der Telekom, den Wettbe-
werbern den Mitarbeitern der Telekommunikationsunter-
nehmen und vor allem den Verbrauchern nutzen. Wir sind
darüber froh, dass wir in Europa auf dem Telekommuni-
kationsmarkt hinsichtlich der Liberalisierung eine Vorrei-
terrolle spielen. Dies sollte nicht durch regulatorische
Maßnahmen der Bundesregierung rückgängig gemacht
werden. Die Liberalisierung ist eine Erfolgsstory und
sollte zügigst weiterbetrieben werden.
Gerhard Jüttemann ( PDS): Erich Kästner hat einem
seiner Gedichten den schönen Titel Wo bleibt das Posi-
tive, Herr Kästner? gegeben. Dem in dieser Frage ver-
steckten Vorwurf wollten sich die Autoren der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
CDU/CSU offensichtlich nicht aussetzen. In dieser Ant-
wort blühen die Landschaften der Telekommunikation
ähnlich wie die des Ostens. Und wie dort haben die Dar-
stellungen der Bundesregierung mit der Realität wenig
gemein.
Ich erlaube mir deshalb, Kästners Frage leicht abzu-
wandeln in: Wo bleibt das Negative? Dass die so ge-
nannte Wettbewerbssituation im Telekommunikations-
sektor nicht so rosig ist, wie die Bundesregierung uns
glauben machen will, steht ja jeden Tag in der Zeitung.
Die Aktienkurse am Neuen Markt fallen und fallen, weil
die Märkte so gut wie gesättigt sind und die gigantischen
Investitionen sich kaum noch amortisieren können.
Darum hat die Regulierungsbehörde jetzt auch ver-
nünftigerweise grünes Licht dafür gegeben, dass die
UMTS-Anbieter beim Aufbau ihrer Netze Grundstücke,
Masten, Antennen, Kabel und andere technische Einrich-
tungen gemeinsam nutzen können. Natürlich ist das nichts
anderes als eine Einschränkung des Wettbewerbs. Denken
Sie weiter in diese Richtung. Dann kommen Sie vielleicht
auch darauf, dass man zum Telefonieren eigentlich nur ein
Netz braucht und nicht fünf oder sechs.
Diese einfach zu verstehende Tatsache ist auch der
Grund dafür, dass das Sterben der kleinen Anbieter bereits
begonnen hat siehe Teldafax. Das Sterben der Größeren
steht unmittelbar bevor; übrig bleiben die Giganten.
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Von den unappetitlichen Begleiterscheinungen dieses
Telekommunikationsmonopoly wie dubiose Abfindungs-
zahlungen an ehemalige Topmanager in zweistelliger
Millionenhöhe, für die sich auch schon mal der Staats-
anwalt interessiert, will ich hier gar nicht reden, dafür aber
auf einen anderen Widerspruch aufmerksam machen.
Während in Deutschland allein im vergangenen Jahr
25 Millionen Handys verkauft worden sind, hat die Hälfte
der Menschheit noch nie im Leben ein Telefongespräch
geführt. In den am wenigsten entwickelten Ländern gibt
es gerade einmal vier Telefonanschlüsse je tausend Men-
schen. Daraus ist zu schlussfolgern: Die Aufgabe der Po-
litik sollte eigentlich nicht darin bestehen, die vermeint-
lich günstigsten Bedingungen für den Wettbewerb zu
schaffen, sondern darin, die Menschheitsprobleme wie
Hunger, Armut und Unterentwicklung zu lösen.
Der Wettbewerb sollte übrigens auch zu einer Ent-
bürokratisierung im TK-Sektor führen. Davon haben Sie
exakt das Gegenteil erreicht. Hören Sie sich in der Regu-
lierungsbehörde um. Deren Aufgabengebiete nehmen bei
zurückgehender Personalausstattung ständig zu.
Letzter Punkt: die Arbeitsplätze. Zehntausende Ar-
beitsplätze sind vernichtet worden. Allerdings sind in
gleicher Anzahl und darüber hinaus neue entstanden. Ein
nur vorübergehender Effekt, wie wir in dazu erstellten
Studien nachlesen können. Problematisch aber sind die
bleibenden Veränderungen in der Arbeitswelt, die der so
genannte Wettbewerb ausgelöst hat: befristete Beschäfti-
gung, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, Flexibilisierung
der Arbeitszeit, Tarifflucht, das Ausschalten von Be-
triebsräten. Die daraus notwendig entstehenden gesell-
schaftlichen Konflikte werden durch Aussitzen nicht zu
lösen sein. Und das ist um auf Erich Kästner zurück zu
kommen das Positive an ihnen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaus-
siedlerstatusgesetz SpStatG) (Tagesordnungs-
punkt 26)
Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Heute befassen wir
uns in der zweiten und dritten Lesung mit dem Gesetz-
entwurf der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zur Klarstellung des Spätaussiedler-
status. Vorweg noch einmal in aller Deutlichkeit: Es geht
nicht um ein neues Gesetz, es geht nicht um eine Novel-
lierung, es geht letztlich einzig und allein um eine Klar-
stellung, um den früheren Rechtszustand beizubehalten.
Diese Klarstellung ist notwendig geworden, weil das
Bundesverwaltungsgericht in einer Reihe von Entschei-
dungen vom 19. Oktober 2000 § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des
Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) nunmehr in einer
Weise auslegt, die für die Verwaltungspraxis einer weit
reichenden Änderung der materiellen Rechtslage gleich-
kommt. Damit hat sie in ausdrücklicher Weise den bishe-
rigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf-
gegeben. Insbesondere wird durch die im Vergleich zur
bisherigen Rechtsprechung erfolgte Relativierung des
Merkmales deutsche Sprache für die Feststellung der
deutschen Volkszugehörigkeit die Möglichkeit zur Aner-
kennung als Spätaussiedler ausgeweitet. Deshalb geht es
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einzig und alleine
darum, das geltende Recht in der Gestalt, die ihm durch
das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember
1992 gegeben worden ist, durch Klarstellungen in der
Verwaltungspraxis weiterhin uneingeschränkt zur Gel-
tung kommen zu lassen.
Letzteres ist insbesondere in einem Punkt nicht mehr
gesichert, der die Funktion der so genannten Bestätigungs-
merkmale im § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundesvertriebe-
nengesetzes betrifft. Bei diesen Bestätigungsmerkmalen,
nämlich der familiären ich betone: der familiären Ver-
mittlung von Deutschkenntnissen, deutscher Erziehung
oder Kultur, hat sich im vergangenen Oktober durch eine
aus meiner Sicht doch etwas überraschende Änderung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Situation erge-
ben, die zu großer Verunsicherung bei den zuständigen
Verwaltungen geführt und nicht erfüllbare Erwartungen
bei den Betroffenen ausgelöst hat.
In der Sache geht es darum, dass durch die geänderte
Rechtsprechung das besonders bedeutsame Bestätigungs-
merkmal Sprache, welches unverändert auch für die
Feststellung der alternativen Bestätigungsmerkmale Er-
ziehung oder Kultur von entscheidender Bedeutung
ist, für die Entscheidung darüber, ob der einen Aufnah-
mebescheid begehrende Spätaussiedlerbewerber deut-
scher Volkszugehörigkeit ist oder nicht, im Grunde ge-
nommen keine Bedeutung mehr hat.
Aus dieser, zunächst wenig aufregend erscheinenden
Veränderung ergibt sich letztlich die Konsequenz, dass es
ausreicht, wenn ein Antragsteller darlegen und glaubhaft
machen kann, ihm seien während der Zeit seiner fami-
liären Prägung familiär Deutschkenntnisse vermittelt
worden. Ob diese familiär vermittelten Deutschkennt-
nisse bei einer Anhörung im Rahmen des Aufnahmever-
fahrens in der Praxis Sprachtest genannt noch fest-
gestellt werden können, soll dann letztlich nur indikative
Bedeutung dafür haben, ob eine derartige familiäre Ver-
mittlung früher einmal stattgefunden hat. Sind bei der An-
hörung keine Deutschkenntnisse feststellbar, soll der Be-
troffene Zeugen anbieten können, die bestätigen, dass er
früher in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hat.
Diese Zeugen können naturgemäß nur aus dem familiären
Umkreis oder dem unmittelbaren Freundes- bzw. Bekann-
tenkreis stammen. Auch ohne den in Betracht kommenden
Personen hier Täuschungsabsichten unterstellen zu wol-
len, gehört wohl nicht viel Fantasie dazu, sich auszuma-
len, wohin diese geänderte Auslegung des § 6 Abs. 2 Satz
1 Nr. 2 des Bundesvertriebenengesetzes in der Verwal-
tungspraxis führen würde.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass
die gewiss nicht unerfüllbaren Anforderungen bei dem vom
Bundesverwaltungsamt im Aussiedlungsgebiet durchge-
führten Sprachtest von rund 50 Prozent der Antragsteller
gleichwohl nicht erfüllt werden und dies mit sinkender
Tendenz. Es ist indessen auch mit Blick auf die Akzeptanz
der Spätaussiedlerzuwanderung nicht vermittelbar, dass
jemand als deutscher Volkszugehöriger anerkannt wird,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118160
(C)
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(B)
obwohl er nicht einmal dazu in der Lage ist, ein wirklich
einfaches Gespräch in deutscher Sprache sei es auch in
der Form des familiär gepflegten Dialekts zu führen.
Dieses war erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Ge-
setzgebers.
Gerade deshalb meine ich, dass durch eine deutliche
Reaktion in Form des vorliegenden Gesetzentwurfs zur
Klarstellung des Aussiedlerstatus dringender Handlungs-
bedarf besteht, um Klarheit zu schaffen. Die bis zur Än-
derung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beste-
hende Verwaltungspraxis sollte so schnell wie möglich
wieder fortgesetzt werden können, bevor eine deutlich
fühlbare Zäsur eintritt.
Dies alles hat mit dem, was die Zuwanderungskom-
mission generell zur künftigen Gestaltung des Zuwande-
rungsrechts für Spätaussiedler empfohlen hat, zumindest
aus meiner Sicht nichts zu tun. Deshalb halte ich es auch
für nicht zulässig, den Versuch zu unternehmen, einen
nicht bestehenden Sachzusammenhang zu konstruieren.
Ich möchte abschließend insbesondere der Kollegin
Eva-Maria Kors und dem Kollegen Hartmut Koschyk von
der CDU/CSU-Fraktion ganz herzlich dafür danken, dass
es uns gemeinsam gelungen ist, in den Beratungen des In-
nenausschusses zu einer einvernehmlichen Lösung zu ge-
langen. Für das faire Miteinander möchte ich mich im
Namen der SPD-Bundestagsfraktion bei Ihnen ganz herz-
lich bedanken.
Es ist gut, dass wir heute diese Entscheidung in diesem
Hause treffen. Ich möchte zum Abschluss noch einmal an
alle appellieren, sich doch dem Votum des Innenaus-
schusses vom 4. Juli 2001 anzuschließen.
Jochen Welt (Beauftragter der Bundesregierung für
Aussiedlerfragen): Die Bundesregierung/das Bundesmi-
nisterium des Innern hat bereits kurz nach Vorliegen der
schriftlichen Entscheidungsgründe des Urteils des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 19. Oktober des vergange-
nen Jahres, dass heißt Anfang März 2001, in Besprechun-
gen mit den zuständigen Verwaltungsbehörden die
praktischen Konsequenzen aus der geänderten Rechtspre-
chung zur Auslegung des § 6 Abs. 2 BVFG zu klären ver-
sucht. Es herrschte große Übereinstimmung darüber, dass
aus rein fachlicher Perspektive eine rasche Reaktion des
Gesetzgebers zur Wiederherstellung des rechtlichen Sta-
tus quo ante in Angriff genommen werden sollte. Ziel war
es, die Verwaltung von Feststellungen zu befreien, die sie
mit Rücksicht auf die besondere Materie und die beson-
deren Umstände nicht treffen kann. Genau dies wäre aber
die Folge der Umsetzung der geänderten Rechtsprechung
in der Verwaltungspraxis, die zu letztlich nicht zu bewäl-
tigenden Problemen der Beweiswürdigung führen würde,
indem für die vom Gesetz geforderte familiäre Vermitt-
lung von Deutschkenntnissen zulässigerweise Zeugen
aufgeboten würden. Von deren Unbefangenheit kann man
realistischerweise nicht ausgehen, ohne dass hiermit Un-
terstellungen hinsichtlich des Wahrheitswillens der Be-
treffenden verbunden sind. Schließlich geht es hier um
Fragen, in denen der subjektiven Bewertung ein nahezu
unbegrenzter Spielraum eröffnet ist, zumal es sich häufig
um länger zurückliegende Sachverhalte handelt.
Wohl nicht zuletzt aus diesen und ähnlichen Erwägun-
gen hat die von Otto Schily einberufene Unabhängige
Kommission Zuwanderung unter anderem in ihren
Empfehlungen zur Frage ob das geltende Recht zur
Spätaussiedlerzuwanderung beibehalten oder geändert
werden soll, in diesem Punkte für eine rasche Rückkehr
zum früheren Zustand plädiert. Aus der Sicht der Bundes-
regierung kann dem nur zugestimmt werden. Denn letzt-
lich geht es bei diesem Gesetzentwurf alleine darum, das
geltende Recht in der Gestalt, die ihm durch das Kriegs-
folgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 gege-
ben werden sollte, durch einige Klarstellungen in der Ver-
waltungspraxis uneingeschränkt zur Geltung kommen zu
lassen. Dies ist für die Funktion der so genannten Bestäti-
gungsmerkmale in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG jedoch
nicht mehr gesichert. Deshalb stellt die Neufassung des
gesamten § 6 Absatz 2 in klarstellender Absicht einen
richtigen Schritt dar, um die Verunsicherung bei den Be-
troffenen und den zuständigen Verwaltungen über das,
was nach dieser Änderung der Rechtsprechung in der
Verwaltungspraxis maßgebend sein soll, zu vermeiden
und nicht erfüllbare Erwartungen bei Betroffenen abzu-
bauen.
Durch die geänderte Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichtes kommt dem besonders bedeutsamen
Bestätigungsmerkmal Sprache für die Entscheidung da-
rüber, ob der Antragsteller deutscher Volkszugehöriger ist
und damit auch als Spätaussiedler anerkannt werden
kann, im Grunde keine praktische Bedeutung mehr zu.
Denn nach der neuen Rechtsprechung soll dieses Bestäti-
gungsmerkmal nicht mehr wie bisher funktional als Be-
stätigung des für die deutsche Volkszugehörigkeit maßge-
benden Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ver-
standen werden. Es soll sich vielmehr um ein unabhängi-
ges Tatbestandsmerkmal eigener Art handeln, das neben
das Bekenntnis tritt.
Aus dieser zunächst wenig aufregend erscheinenden
Veränderung ergibt sich aber letztlich folgende Konse-
quenz: Es soll ausreichen, dass ein Antragsteller darlegt
und glaubhaft machen kann, ihm seien in seiner Familie
Deutschkenntnisse vermittelt worden. Ob diese familiär
vermittelten Deutschkenntnisse bei einer Anhörung im
Rahmen des Aufnahmeverfahrens, in der Praxis Sprach-
test genannt, noch festgestellt werden können, soll dann
letztlich nur indikative Bedeutung haben. Sind bei der An-
hörung keine Deutschkenntnisse feststellbar, soll der Be-
troffene Zeugen anbieten können, die bestätigen, dass er
früher in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hat.
Diese Zeugen können naturgemäß nur aus dem familiären
Umkreis oder dem unmittelbaren Freundes- bzw. Be-
kanntenkreis stammen. Auch ohne den Antragstellern in
irgendeiner Weise Täuschungsabsichten unterstellen zu
wollen, gehört wohl nicht viel Phantasie dazu, sich
auszumalen, wohin diese geänderte Auslegung des § 6
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG in der Verwaltungspraxis
führen würde.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass
auch heute schon circa 50 Prozent der Antragsteller den
Sprachtest im Herkunftsland nicht bestehen mit sinken-
der Tendenz. Ebenso möchte ich anmerken, dass die Qua-
lität und das psychologische Umfeld der Durchführung
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18161
(C)
(D)
(A)
(B)
der Tests in den letzten Jahren stark auch auf die indivi-
duellen Möglichkeiten der Antragsteller zugeschnitten
worden sind.
Auch mit Blick auf die Akzeptanz der Spätaussiedler-
zuwanderung ist es nicht vermittelbar, dass jemand als
deutscher Volkszugehöriger anerkannt wird, obwohl er
nicht einmal dazu in der Lage ist, ein wirklich einfaches
Gespräch in deutscher Sprache sei es auch in der Form
des familiär vermittelten Dialekts zu führen. Dies war
erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Gesetzgebers.
Dessen ungeachtet ist dem Gesetzgeber zu danken,
wenn er durch seine schnelle Reaktion einer Vielzahl
überflüssiger Rechtsmittelverfahren in der Verwaltung
und vor den Gerichten zuvorkommt und damit zugleich
einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Akzeptanz des
Spätaussiedlerzuzugs leistet.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion ist gegen weitere Verschlechterungen
bei der Spätaussiedler-Aufnahme und gegen weitere Be-
grenzungen des Aussiedlerzuzugs. Hilfen für die Integra-
tion, die bereits in den Aussiedlungsgebieten beginnen
müssen, haben für uns eindeutig Vorrang. Dennoch sind
wir durchaus bereit, sinnvolle Änderungen im Aussiedler-
Aufnahmerecht, also vor allem im Bundesvertriebenen-
gesetz, mitzutragen. Wir nehmen diesbezüglich keine
Blockadehaltung ein, müssen aber im Interesse der Aus-
siedler von den Regierungsparteien vorgelegte Vor-
schläge genau und sorgfältig prüfen.
Seit 1996 wird die muttersprachliche Vermittlung der
deutschen Sprache bei den Antragstellern, die eine Auf-
nahme als Spätaussiedler in Deutschland begehren, mit
dem so genannten Sprachtest geprüft. Der Sprachtest
diente der Statusfeststellung darüber, ob es sich bei den
Antragsteller um einen Volksdeutschen im Sinne des Bun-
desvertriebenengesetzes gehandelt hat. Das Bundesver-
waltungsgericht hat in Abänderung seiner bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung die Bedeutung dieses
Sprachtestes durch mehrere Entscheidungen vom 19. Ok-
tober 2000 relativiert. Die Kenntnis oder Unkenntnis
deutscher Sprache zur Zeit der Aussiedlung sei in dieser
Hinsicht kein Tatbestandsmerkmal, so das Bundesverwal-
tungsgericht, allenfalls ein Indiz für oder gegen eine
frühere Vermittlung deutscher Sprache. Diese geänderte
Rechtsprechung hat gravierende Auswirkungen auf die
seit Einführung der Sprachtests vollzogene Aufnahme-
praxis. Aus diesem Grunde haben sich viele Seiten seit-
dem für eine Wiederherstellung des Status quo ante aus-
gesprochen. Zu den Befürwortern einer Wiederher-
stellung zählen auch unionsregierte Bundesländer.
Überraschend war es deshalb nicht, dass die Koaliti-
onsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, vor-
geschickt von der Bundesregierung, den Entwurf eines
Spätaussiedler-Statusgesetzes vorgelegt haben. Ich will
ausdrücklich betonen: Der Teil des Gesetzentwurfes, der
der Wiederherstellung des Status quo ante dienen soll,
wurde von uns nicht in Zweifel gezogen und wird von uns
mitgetragen.
Die weiteren, in dem Gesetzentwurf verharmlosend als
Klarstellungen bezeichneten Änderungen hätten jedoch
zu gravierenden Verschlechterungen bei der Aussiedler-
Aufnahme geführt. Deshalb haben wir als CDU/CSU-
Bundestagsfraktion deutlich gemacht, dass diese Punkte
nicht unsere Zustimmung finden. Im Einzelnen betraf dies
folgende Aspekte:
Erstens. Nach einer beabsichtigten Neuregelung sollte
eine Aufnahme in Deutschland nur möglich sein bei Er-
füllung der Voraussetzungen als Spätaussiedler. Vertrie-
bene, Umsiedler und deren Ehegatten oder Abkömmlinge
hätten dann keine Aufnahme im Bundesgebiet mehr fin-
den können. Dies hätte Personen betroffen, die durch
Aufgabe des Wohnsitzes im Umsiedlungsgebiet den Ver-
triebenstatus erworben haben, jedoch noch keine Auf-
nahme in Deutschland gefunden haben, weil sie extra ins
Vertreibungsgebiet zurückgezogen sind.
Zweitens. Eine gravierende Verschlechterung hätte sich
auch für Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussied-
lern ergeben. Nach dem Willen der Koalitionsfraktion hät-
ten diese nämlich im Rahmen des Bescheinigungsverfah-
rens in Deutschland keine Höherstufung ihres Status mehr
erreichen können. Allein schon aufgrund der Vorläufigkeit
des Aufnahmeverfahrens wäre diese Schwächung des Be-
scheinigungsverfahrens fragwürdig gewesen. Im Übrigen
lassen sich viele Ehegatten und Abkömmlinge deshalb in
einen Antrag einbeziehen und stellen keinen eigenen An-
trag, weil sie das Aufnahmeverfahren beschleunigen wol-
len. Dazu werden sie im Übrigen auch von der Verwal-
tungsseite ermuntert. Ihnen deshalb die Möglichkeit einer
Höherstufung in Deutschland zu verwehren, hätte zu
Rechtsunsicherheit geführt und würde meines Erachtens
gegen den Grundsatz des Vertrauenschutzes verstoßen.
Drittens. Nach bisherigem Recht sind Ehegatten und
Abkömmlinge des Spätaussiedlers auf Antrag hin in den
Aufnahmebescheid einzubeziehen. Durch eine Neufas-
sung sollte diese klare Vorschrift in eine Kann-Vorschrift
umgewandelt werden. Eine solche Kann-Norm stellt die
Einbeziehung von Ehegatten und Abkömmlingen auf eine
unsichere Grundlage. Auch dies hätte zu Verunsicherun-
gen geführt.
Voraussetzung für die Zustimmung der CDU/CSU-
Fraktion zu dem Gesetzentwurf war es, dass die Koa-
litionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
diese Teile des Gesetzentwurfes gestrichen haben.
Im Übrigen hat sich die von der Bundesregierung ein-
gesetzte Unabhängige Kommission Zuwanderung
dafür ausgesprochen, dass die durch das Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichtes vom 19. Oktober 2000 absehba-
ren Folgen für den Spätaussiedlerzuzug durch den Ge-
setzgeber behoben werden sollten. Durch eine gesetzliche
Klarstellung im Bundesvertriebenengesetz sollte, so die
Kommission, das Erfordernis einer familiär vermittelten
und aktuellen Kenntnis der deutschen Sprache als Be-
stätigungsmerkmal der deutschen Volkszugehörigkeit
festgeschrieben werden. Dies ist der Kern des heute zu
verabschiedenden Gesetzentwurfes. Eine erste Empfeh-
lung der Kommission wird hierdurch umgesetzt.
Die Kommission verzichtet in ihren Empfehlungen im
Übrigen darauf, den Zuzug von Spätaussiedlern durch die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118162
(C)
(D)
(A)
(B)
Einführung eines Stichtages zu beschneiden und sie rüt-
telt auch nicht an der Zuerkennung eines pauschalen
Kriegsfolgenschicksals für die Russlanddeutschen. Hier-
bei handelt es sich um wesentliche Eckpunkte, die die
CDU/CSU-Bundesfraktion immer wieder vertreten hat.
Leider gibt es im Bereich der SPD Stimmen, zum Beispiel
den niedersächsischen Innenminister Bartling, die immer
wieder die Anerkennung des pauschalen Kriegsfolgen-
schicksals der Russlanddeutschen infrage stellen.
Die Kommission hat darüber hinaus einen weiteren in-
teressanten Vorschlag unterbreitet. Bislang findet ein
zweigeteiltes Aufnahme- und Bescheinigungsverfahren
für Spätaussiedler statt. Durch die dadurch erforderlichen
Mehrfachprüfungen entstehen vielfach Unsicherheiten
und Unklarheiten nicht zuletzt bei den Betroffenen. Die
Kommission empfiehlt nunmehr die Einführung eines
einzügigen Verfahrens bei einer Bundesbehörde, um mehr
Transparenz und Rechtsicherheit zu gewährleisten. Un-
sere Aufforderung an die Bundesregierung und an die Ko-
alitionsfraktionen besteht deshalb darin, nicht ständig nur
über Restriktionen für den Aussiedlerzuzug nachzuden-
ken. Auch sinnvolle Vorschläge zur Vereinfachung und
Verbesserung sollten berücksichtigt werden. Schließlich
geht es bei den Russlanddeutschen um eine Schicksals-
gruppe, die unter den Kriegsfolgen besonders lang und
schwer zu tragen hatte und noch darunter leidet.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
vorliegende Gesetzesentwurf dient der Klärung der Frage,
wer deutscher Volkszugehöriger ist. Bislang hat die Ver-
waltungspraxis in Bund und Ländern in Übereinstim-
mung mit der Rechtsprechung Sprachtests in den Her-
kunftsländern derjenigen Menschen vorgenommen, die
eine deutsche Volkszugehörigkeit für sich behaupteten.
Damit sollte nachgewiesen werden, dass die Vermittlung
deutscher Sprache in der Regel auch die Weitergabe deut-
scher Kultur oder Erziehung beinhaltet.
Durch die im Oktober 2000 geänderte Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichtes kann der Nachweis,
zum deutschen Volkstum zu gehören, auch auf andere
Weise, wie beispielsweise der Nennung von Zeugen, ge-
führt werden. Dies kann dazu führen, dass zunehmend
Personen aufgrund von Zeugenaussagen als Spätaussied-
ler anerkannt werden, die praktisch über keinerlei
Deutschkenntnisse verfügen. Diese Praxis birgt zweierlei
Gefahren: Zum einen wird die Akzeptanz für die Spätaus-
siedleraufnahme in der Bevölkerung erheblich belastet,
zum anderen ist die Integration der Spätaussiedler zusätz-
lich erschwert.
Im Zuwanderungsspektrum Deutschlands stellen Aus-
siedler, die auf der Basis des Grundgesetzes Anspruch auf
die Aufnahme als deutsche Staatsbürger haben, eine be-
sondere Gruppe dar. Ursprünglich basierte die Immigra-
tion von Aussiedlern auf einem politischen Konsens, der
ihre Aufnahme in Deutschland als Kompensation für er-
littene Diskriminierungen verstand, denen die deutsche
Minderheit in Osteuropa und der ehemaligen Sowjet-
union als Folge des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war.
Während der gesamten Phase des Ost-West-Konfliktes
stand die Aussiedlerzuwanderung unter dem Vorzeichen
der politischen Konfrontation zwischen den Herkunfts-
ländern der Aussiedler und Deutschland, was ihre Zu-
wanderung auf eine vergleichsweise geringe Zahl be-
grenzte. Erst durch die politischen Transformationen in
Osteuropa und der vormaligen Sowjetunion entwickelte
sich die Aussiedlerzuwanderung zur bedeutensten Immi-
grationsbewegung im Deutschland der 90er-Jahre.
Aussiedler bringen einige Charakteristika mit, die für
ihre Integration von maßgeblicher Bedeutung sind. In den
meisten Fällen reisen Aussiedler im Familienverband ein,
ohne sich im Herkunftsland eine Rückkehroption offen zu
halten.
Die meisten Aussiedler der 90er-Jahre bringen kaum
noch deutsche Sprachkenntnisse mit, daher kommt dem
1996 eingeführten Sprachtest, der durch den vorliegenden
Gesetzesantrag festgeschrieben wird, ein besondere Be-
deutung zu. Der vorliegende Gesetzesentwurf strebt daher
an, das Bundesvertriebenengesetz dergestalt zu ändern,
dass eine Fortsetzung der bisherigen Verwaltungspraxis
möglich ist.
Meine Fraktion unterstützt den vorliegenden
Gesetzesänderungsantrag. Ich bitte aber, im Rahmen der
Gesamtreform des Spätaussiedlerrechtes dringend Lö-
sungen für die folgenden Problembereiche zu finden:
Erstens ist es unerträglich, dass Spätaussiedler mit einem
Aufnahmebescheid einreisen, sie im Vertrauen auf diesen
Bescheid ihre Existenz im Herkunftsland aufgeben und
sie dann nach der Zuwanderung erfahren, dass sie
doch keine Spätaussiedler sind. Konsequenz ist, dass sie
trotz Aufnahmebescheid ins Herkunftsland zurückkehren
müssen. Hier muss eine grundlegende Änderung im Ver-
fahren her.
Zweitens. Die bereits aufgrund der jetzigen katastro-
phalen Rechtslage entstanden Altfälle müssen mit einer
großzügigen Altfallregelung gelöst werden.
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Der Deutsche Bundestag hat
stets Verpflichtungen aus Art. 116 des Grundgesetzes ge-
genüber den Spätaussiedlern aus den Staaten der ehema-
ligen Sowjetunion eingehalten. Dazu gehört auch, die
praktischen Probleme offen anzusprechen und einer Lö-
sung zuzuführen.
Es ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren ver-
mehrt eine Gettobildung sich in manchen Städten erge-
ben hat, welche die Integration von Spätaussiedlern er-
schwert. Dem entgegenzuwirken ist vor allem eine
Aufgabe für die Kommunen.
Zu den praktischen Problemen zählt ferner die Tatsa-
che, dass mit der jetzigen Generation von Spätaussiedlern
Familienangehörige nach Deutschland kommen, die die
deutsche Sprache nicht beherrschen. Die Sprachbarriere
ist das größte Hindernis für das Zusammenleben der ein-
heimischen Lohnbevölkerung und den Spätaussiedlerfa-
milien.
Es wäre daher notwendig, dass der Bundestag über die
Sprachförderung für Spätaussiedler debattieren würde,
wie dies auch die Süßmuth-Kommission empfiehlt.
Stattdessen wird von den Regierungsfraktionen ein
Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung zur Ab-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18163
(C)
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(A)
(B)
stimmung gestellt, der nur scheinbar hiermit zu tun hat. Es
geht zwar um Sprachtests. Gemeint sind jedoch nicht Ver-
besserungen bei den Sprachkenntnissen der Spätaussied-
ler als Mittel für ihre Integration, sondern die vor einigen
Jahren eingeführten Sprachtests zur Feststellung des
Spätaussiedlerstatus.
Zu diesen Sprachtests hat das Bundesverwaltungsge-
richt am 19. Oktober 2000 entschieden, dass ihnen in der
bisherigen Verwaltungspraxis eine zu große Bedeutung
für die Feststellung des Tatbestandesmerkmals deutsche
Volkszugehörigkeit zugemessen worden ist.
Die F.D.P.-Fraktion hätte es für richtig gehalten, diese
Kritik des Bundesverwaltungsgerichts aufzunehmen und
darüber nachzudenken, welche Faktoren denn künftig für
die Ermittlung des Spätaussiedlerstatus heranzuziehen
sind. Denn die Sprachtests haben in der Praxis zu unge-
rechten Ergebnissen geführt. Es sind Fälle bekannt ge-
worden, wo bei mehreren Geschwistern ein und derselben
Familie einmal die familiäre Vermittlung der deutschen
Sprache bejaht worden ist, bei anderen Geschwistern ver-
neint worden ist. Dies war nicht nachvollziehbar und hat
gezeigt, dass die Sprachtests als Entscheidungskriterium
problematisch waren.
Die F.D.P.-Fraktion hat daher im federführenden
Innenausschuss beantragt, in einer Sachverständigenan-
hörung sich von Experten beraten zu lassen, wie man bes-
sere Entscheidungskriterien festsetzen kann.
Die Regierungsfraktionen und leider auch die
CDU/CSU haben dies abgelehnt. Sie gehen mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf schlicht auf die bisherige Ver-
waltungspraxis zurück. Begründet wird dies mit der Be-
sorgnis, dass nur eine rasche gesetzliche Klarstellung ein
Ansteigen von Spätaussiedleranträgen verhindern könne.
Diese Begründung überzeugt uns nicht. Denn die neue
höchstrichterliche Rechtssprechung datiert vom Okto-
ber 2000. Wenn die dadurch angeblich eingetretene
Lücke von den potenziellen Antragstellern ausgenutzt
worden wäre, wie dies die Regierungsfraktionen befürch-
ten, so hätte sich dies schon im ersten Quartal 2001 zei-
gen müssen. In Wahrheit ist die Zahl der Anträge aber um
sage und schreibe 37 Prozent zurückgegangen und nicht
etwa angestiegen.
Daraus leitet die F.D.P.-Fraktion ab, dass ein sorgfälti-
ges Gesetzgebungsverfahren, wie dies dem schwierigen
Problem angemessen wäre, ohne weiteres hätte durchge-
führt werden können.
Die F.D.P.-Fraktion kann nicht akzeptieren, dass statt-
dessen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
der Gesetzentwurf in einem völlig unangemessenenTempo
durch das Parlament gebracht wird. SPD und Grüne ha-
ben bewusst den Weg eines Fraktionsentwurfs gewählt,
damit der erste Durchgang im Bundesrat entfallen konnte,
obwohl doch die Bundesländer in besonderem Maße von
der Spätaussiedlergesetzgebung betroffen sind.
Der Gesetzentwurf datiert vom 19. Juni 2001. Inner-
halb von zweieinhalb Wochen hat er ohne die von uns
beantragte Anhörung den Bundestag durchlaufen. Eine
Woche später wird der Bundesrat das Gesetzgebungsver-
fahren bereits abschließen.
Bei einem solchen Verfahren ist die gebotene gründli-
che Beratung der Kernfrage, welche Kriterien denn für die
Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft maßgeblich
sein sollen, nicht gewährleistet. Im Hauruckverfahren
werden die Einwände der höchstrichterlichen Rechtsspre-
chung vom Tisch gewischt. Daran kann und will sich die
F.D.P.-Fraktion nicht beteiligen.
Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Petra Pau (PDS): Wenn die Bundesregierung gewollt
hätte, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, im Zusam-
menhang auch mit den Arbeiten der Zuwanderungskom-
mission grundsätzlich über die Frage der Einwanderung
und des Status der Aussiedlerinnen und Aussiedler nach-
zudenken und nach grundsätzlichen und gerechten und
vor allem menschlich vertretbaren Lösungen zu su-
chen. Man hätte in diesem Rahmen grundsätzlich den
rechtlichen Status erörtern können, beispielsweise ob der
Art. 116 Grundgesetz in seiner jetzigen Form noch zeit-
gemäß ist.
Gleiches würde in diesem Zusammenhang auch für das
Kriegsfolgenbeseitigungsgesetz gelten. Es hätte sich hier
die Chance geboten, von einer alten deutsch-völkischen
und ideologisch überfrachteten Politik abzurücken und
sich den tatsächlichen Gegebenheiten zuzuwenden. Es
hätte die Chance bestanden, anzuerkennen, dass sich die
deutschen Minderheiten in den osteuropäischen Ländern
verändert und ihre deutschen Wurzeln weitgehend verlo-
ren haben.
Es hätte die Chance bestanden, sich mit ausgedehnten
Übergangsfristen von einer unzeitgemäßen Politik zu ver-
abschieden und die Versuche der Einwanderung und Inte-
gration von Aussiedlern in ein Gesamtkonzept zu stellen.
Dies hätte auch bedeutet, eine faire und berechenbare Po-
litik gegenüber einer Menschengruppe zu betreiben, der
man lange Jahre große Versprechungen in Bezug auf ihre
Heimat Deutschland gemacht hat.
Stattdessen hat sich die Bundesregierung für die
schlechteste aller Varianten entschieden. Vor der Be-
kanntgabe und öffentlichen Erörterung der Ergebnisse der
Zuwanderungskommission wurde ein Gesetzentwurf hin-
gepfuscht, der von seiner Substanz her rechtlich mehr als
fragwürdig und handwerklich eine Katastrophe ist.
Mit Verlaub: Wenn wir hier innerhalb von acht Tagen
zum zweiten Mal eine Rede zu Protokoll geben, dann wird
diese Form der Geisterdebatte eigentlich nur noch durch
das Verhalten der Regierungsparteien getoppt. Die Regie-
rungsparteien haben in der vergangenen Woche mittler-
weile einen Änderungsantrag vorgelegt, der von der ur-
sprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs die eine Hälfte
wegstreicht und ein weiteres Viertel umschreibt. Dies
lässt auf das Ausmaß unsachgemäßen und unverantwor-
tungsvollen Handelns schließen.
Am Kern des Gesetzes wird aber festgehalten. Weiter
will man mittels Verwaltungsrecht die Zuwanderung ein-
schränken. Mit dem Verwaltungsrecht wird der Art. 116
GG eingeengt und der Gleichheitsgrundsatz des GG aus-
gehebelt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118164
(C)
(D)
(A)
(B)
Es ist schon bemerkenswert, wenn die Regierungspar-
teien das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Ok-
tober 2000 mit einem neuen Gesetz aufheben wollen, ob-
wohl das Urteil gerade auch auf jenen Aspekt abhebt:
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
habe die bisherige Verwaltungspraxis der Familienzu-
sammenführung nicht genügend Gewicht beigemessen;
tatsächlich sind mit der Verwaltungspraxis Familien aus-
einander gerissen worden.
Die Überhöhung der Bestandsmerkmale bei dem Auf-
nahmeverfahren wird aber nicht nur vom Bundesverwal-
tungsgericht als äußerst fragwürdig angesehen. Auch der
Deutsche Caritasverband hat grundsätzliche Einwände
gegen diesen Gesetzesentwurf erhoben. In einem Schrei-
ben vor der Innenausschusssitzung des Deutschen Bun-
destages am 4. Juli 2001 hat der Deutsche Caritasverband
noch einmal daraufhingewiesen, dass man grundsätzliche
Kritik an dem Entwurf habe. Speziell hat der Deutsche
Caritasverband darauf hingewiesen, dass dem Beherr-
schen der deutschen Sprache im Anerkennungsverfahren
eine zu große Bedeutung beigemessen wird. Vor allem
kritisiert der Verband und meiner Meinung nach mit Fug
und Recht folgende Passage aus dem § 6 Abs. 2 BVFG,
nach der deutscher Volkszugehöriger nur ist, wer sich bis
zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine ent-
sprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleich-
bare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt hat.
Der Caritasverband kritisiert mit Recht dieses kleine, aber
bedeutsame Wörtchen nur, das alle Möglichkeiten
eröffnet, im weiteren Aufnahmeverfahren weitere und
noch größere Hürden aufzubauen.
Die von der CDU/CSU eingeführte Praxis, über die
Verschärfung des Aufnahmeverfahrens auf dem Verwal-
tungswege die Einwanderung von Aussiedlerinnen und
Aussiedlern einzuengen, ist fatal. Es ist deshalb kein Zu-
fall, dass die CDU/CSU im Innenausschuss eine Sachver-
ständigenanhörung abgelehnt hat und ankündigte, dass sie
diesem Gesetzentwurf auch zustimmen wird.
Die von der Kohl-Regierung eingeführte Praxis hat zu
großer Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit ge-
führt. Sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung
haben damit eine Rechtsunsicherheit geschaffen, die die
Aussiedler in äußerst prekäre Situationen bringt. Zu
Recht hat Marieluise Beck in der ersten zu Protokoll ge-
gebenen Debatte bemängelt, dass es unerträglich ist, dass
Spätaussiedler mit einer Aufnahmebescheinigung einrei-
sen, im Vertrauen auf diesen Bescheid ihre Existenz im
Herkunftsland aufgeben und dann nach der Zuwande-
rung erfahren müssen, dass sie doch keine Spätaussiedler
sind. Und mit Recht fordert sie daher aufgrund der jetzi-
gen katastrophalen Rechtslage eine großzügige Altfallre-
gelung.
Ich bedauere außerordentlich, dass die Bundesregie-
rung dieses Gesetz in dieser Hast durch das Parlament
peitscht. Ich finde es empörend, dass die Bundesregierung
dies ohne Expertenanhörungen durchdrückt. Es steht zu
befürchten, dass diese Regulierung über das Verwal-
tungsverfahren die Aussiedlungswilligen der vollkomme-
nen Willkür aussetzt.
Anlage 9
Zur Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
des Antrags: Reform der Hermesbürgschaf-
ten nach ökologischen, sozialen und entwick-
lungspolitischen Kriterien
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Keine Hermesbürgschaften für den Ilisu-
Staudamm in der Türkei
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Für ein effizientes und transparentes Aus-
fuhrgewährleistungssystem
der Beschlussempfehlung und des Berichts:
Für den Erhalt von Hermes als Instrument
der Außenwirtschaftsförderung und eine Re-
form des Hermesinstruments im internatio-
nalen Rahmen.
(Tagesordnungspunkt 28 a bis d)
Rolf Hempelmann (SPD): Erst vor wenigen Wochen
haben wir an dieser Stelle über das Thema Reform des
deutschen Ausfuhrgewährleistungssystems debattiert.
Im Rahmen dieser Debatte ist ein Antrag der Koalitions-
fraktionen verabschiedet worden, der vor allem zwei
Ziele hatte: Zum einen sollten bei der Vergabe von Her-
mesbürgschaften ökologische, soziale und entwicklungs-
politische Kriterien stärkere Berücksichtigung finden.
Zum anderen sollte Hermes aber gleichzeitig auch ein so
effektives wirtschaftspolitisches Instrument bleiben wie
bisher. Diese beiden Ziele haben wir erreicht. Der inter-
ministerielle Ausschuss hat inzwischen seine Leitlinien
für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und
entwicklungspolitischen Gesichtspunkten bei der Über-
nahme von Ausfuhrgewährleistungen des Bundes verab-
schiedet und damit die wesentlichen Punkte umgesetzt.
Ich will an dieser Stelle nur zwei Aspekte hervorheben,
die meines Erachtens beispielhaft zeigen, dass die Leitli-
nien sowohl den Effektivitätsanforderungen als auch Um-
welt- und Entwicklungsaspekten im weiteren Sinn ge-
recht werden:
Beispielsweise ist dort vorgesehen, dass bei sensitiven
Projekten vor der Übernahme einer Exportbürgschaft alle
relevanten Auswirkungen ökologischer und sozialer Art
eingehend geprüft und bei der Entscheidung berücksich-
tigt werden. Um die relevanten Umwelt- und Entwick-
lungsaspekte rechtzeitig zu identifizieren, wird ein Scree-
ning-Verfahren angewendet, bei dem insbesondere das
Projektumfeld einbezogen wird. Dazu würden beispiels-
weise besonders sensitive Standorte wie ökologische
Schutzgebiete, Siedlungsgebiete indigener Völker oder
Orte mit anerkannten Kulturgütern gehören. Darüber hi-
naus wird die Übernahme von Exportbürgschaften trans-
parenter werden. So wird neben dem Haushaltsausschuss
auch der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie künf-
tig über sensitive Projekte informiert werden. Außerdem
werden bei Zustimmung des Exporteurs sie ist aus recht-
lichen Gründen notwendig die Daten sensitiver Projekte
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18165
(C)
(D)
(A)
(B)
zukünftig auch über das Internet einer breiten Öffentlich-
keit zugänglich gemacht.
Gleichzeitig haben wir darauf geachtet, dass das In-
strument den Anforderungen an ein modernes und vor al-
lem flexibles Ausfuhrgewährleistungssystem gerecht
wird. So werden auch weiterhin keine Projekte von vorn-
herein ausgeschlossen so wie es beispielsweise die PDS
mit ihrer Ausschlussliste gefordert hatte. Jeder Antrag
wird einzeln geprüft und dem Screeningverfahren unter-
zogen, danach findet eine Einzelfallprüfung unter Be-
rücksichtigung der Daten für das jeweilige konkrete Pro-
jekt statt. So ist der IMA in der Lage, seine Entscheidung
aufgrund einer detaillierten und auf das Projekt bezoge-
nen Faktenlage zu treffen. Eine Ausschlussliste hingegen
könnte der großen Antragsvielfalt und den oftmals diffe-
renzierten Proiektumständen nicht gerecht werden.
Außerdem ist durch die Leitlinien des IMA sichergestellt,
dass Exportbürgschaften für bestimmte Güter dazu
gehören beispielsweise Beförderungs- und Verkehrsmit-
tel sowie Telekommunikationskomponenten grundsätz-
lich unbedenklich einzustufen sind. Dadurch ist gesichert,
dass diese Exporte möglichst unbürokratisch und zeitnah
gefördert werden können.
Aus all diesen Gründen sind die Sorgen der Opposition
unbegründet: Zum Antrag der CDU/CSU kann ich sagen:
Hermes bleibt selbstverständlich als effektives wirt-
schaftspolitisches Instrument erhalten. Und auch die von
der F.D.P. geforderte Flexibilität unseres Ausfuhrgewähr-
leistungssystems ist weiterhin gewährleistet. Das gilt ins-
besondere für den weitaus größten Teil der Anträge, die in
ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Hin-
sicht unbedenklich sind.
Hermesbürgschaften werden auch zukünftig effektiv
und attraktiv für deutsche Unternehmen sein und damit ei-
nen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Wettbewerbsfähig-
keit deutscher Firmen im Exportgeschäft leiten. Die Not-
wendigkeit der Wettbewerbsfähigkeit für ein außenwirt-
schaftspolitisches Instrument, wie es die Hermesbürg-
schaften sind, haben die Kolleginnen und Kollegen von
der PDS bei der Formulierung ihres Antrages offensicht-
lich verkannt: Durch Ihre weit reichenden Forderungen
für eine Ausschlussliste und für einen Katalog von ökolo-
gischen Mindestbedingungen würde das deutsche System
im internationalen Vergleich ins Hintertreffen geraten und
deshalb der deutschen Exportwirtschaft erheblichen
Schaden zufügen. Falls es Ihnen bisher entgangen sein
sollte, werde ich es Ihnen an dieser Stelle gerne noch ein-
mal mitteilen: Laut Prognos-Studie sichert das Hermesin-
strument etwa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland ab.
Ein nationaler Alleingang und eine solche Einschränkung
des Instruments, wie Sie sie fordern, könnte für zahlreiche
Menschen den Arbeitsplatzverlust bedeuten.
Genau deshalb muss dringend die internationale Wett-
bewerbsfähigkeit des deutschen Ausfuhrgewährleistungs-
systems erhalten bleiben. Um sie sicherzustellen und
gleichzeitig Umwelt- und Sozialaspekte stärker berück-
sichtigen zu können, ist uns bei der gesamten Debatte um
eine Hermesreform wichtig gewesen, dass auf OECD-
Ebene eine Einigung über gemeinsame Ansätze zur
Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und ent-
wicklungspolitischen Kriterien bei der Übernahme von
Exportbürgschaften erzielt werden. Das wird auch gelin-
gen: Auf einer Sondersitzung der OECD-Arbeitsgruppe
Exportkredite Anfang Juni konnte weitgehende Einig-
keit über gemeinsame Leitlinien erreicht werden, der die
meisten beteiligten Staaten zustimmen wollen. Mögli-
cherweise werden Sie jetzt einwenden wollen Ja, aber
die USA .... Dazu kann ich nur auf die Diskrepanz zwi-
schen den theoretischen Lippenbekenntnissen der ameri-
kanischen Regierung und der tatsächlichen Praxis bei der
Übernahme von Exportbürgschaften verweisen. Es exis-
tieren in den USA zwar auf dem Papier strengere Vor-
schriften als bei uns, in zu vielen Fällen werden aber Aus-
nahmen gemacht und Projekte gefördert, die weit von der
Einhaltung der vorgeschriebenen ökologischen oder ent-
wicklungspolitischen Standards entfernt sind. Diese Pra-
xis kann für uns kein Maßstab sein.
Die Abstimmung auf internationaler Ebene wird zu-
künftig nicht nur bei der Erarbeitung gemeinsamer Krite-
rien für die Übernahme von Exportkrediten eine bedeu-
tende Rolle spielen, sondern auch bezogen auf konkrete
Projekte. Ein Beispiel dafür ist sicher der Ilisu-Staudamm
in der Türkei: Auch wir halten das Projekt aus verschiede-
nen Gründen für besonders sensitiv. Zum einen sind bisher
Umsiedlungs- und Umweltfragen, zum anderen aber auch
außenpolitische Probleme noch nicht abschließend ge-
klärt. Zu mehreren dieser Fragestellungen insbesondere
zu den ökologischen, entwicklungs- und kulturpolitischen
trifft die seit wenigen Tagen vorliegende Umweltver-
träglichkeitsprüfung Aussagen. Nach Auswertung der
UVP wollen die beteiligten Exportkreditversicherer ge-
meinsam über die Übernahme von xportkrediten beraten.
Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung nach der
Sommerpause auch dem in Hermes- angelegenheiten fe-
derführenden Wirtschaftsausschuss in Sachen Ilisu-Stau-
damm vor einer endgültigen Entscheidung des IMA Be-
richt erstattet. Darüber hinaus muss auch die türkische
Regierung vor einer Entscheidung die angesprochenen
außenpolitischen Aspekte lösen.
Aus diesen Gründen können wir dem Antrag der PDS,
der ohne Kenntnis aller Fakten eine Ablehnung des Pro-
jektes fordert, nicht zustimmen. Auch den übrigen vorlie-
genden Anträgen können wir nicht zustimmen, denn sie
sind wie ich bereits ausgeführt habe obsolet geworden.
Siegfried Helias (CDU/CSU): In ihrer Koalitionsver-
einbarung haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen an-
gekündigt, dass die neue Bundesregierung eine Reform
der Außenwirtschaftsförderung, insbesondere der Ge-
währung von Exportbürgschaften (Hermes) nach ökolo-
gischen, sozialen und entwicklungsverträglichen Ge-
sichtspunkten in die Wege leiten wird. Damit wurden
hohe Erwartungen insbesondere bei den genannten Nicht-
regierungsorganisationen geweckt. Konkrete Schritte hat
die Bundesregierung jedoch erst jetzt ergriffen.
Ich bin durchaus der Meinung, dass die bisherige Ex-
portkreditvergabe, die bereits umwelt- und menschen-
rechtliche Kriterien erfüllte, kontinuierlich weiterent-
wickelt werden muss. Dem in der Exportkreditvergabe
verankerten Prinzip der Erfüllung umweltrechtlicher
Standards wird in der aktuellen Diskussion wenig Beach-
tung geschenkt. Der Exportorientierung der Kreditver-
gabe wird kein Abbruch getan, wenn sie auch vor dem
Hintergrund der globalen Herausforderungen und dem
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118166
(C)
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damit zusammenhängenden Anspruch einer globalen Ver-
antwortungsgesellschaft betrachtet wird. Verantwortung
heißt aber auch, dass das bisher Erreichte wegen der po-
sitiven Erfahrung bestehen bleiben muss.
Ich verweise daher kurz auf die Geschichte des Her-
mes-Kreditwesens und seiner arbeitsmarktpolitischen Be-
deutung und der Bedeutung für den Mittelstand: Garan-
tien für die Ausfuhr wickelt Hermes seit 1949 im Rahmen
der Hermes-Kreditversicherung ab. Export-Versicherun-
gen haben einen guten Grund, unter anderem die Er-
schließung schwieriger Märkte und die Vertiefung der
Wirtschaftsbeziehungen, mit so genannten Schwellenlän-
dern. Das Basler Prognos-Institut schätzt die Zahl der da-
durch geförderten Arbeitsplätze auf 140 000 bis 216 000.
Davon befinden sich drei Viertel in Deutschland!
Nutznießer soll auch der Mittelstand sein. Tatsäch-
lich ist dies längst nicht so eindeutig. Zwar werden fast
drei Viertel aller Hermesdeckungen an kleine und mittlere
Unternehmen (bis 499 Beschäftigte) vergeben, aber die
Prognos-Studie ergab lediglich einen Anteil von 15 Prozent
am gedeckten Exportvolumen. Die Garantien kommen
also vor allem Großunternehmen zugute. Insofern wäre
hier eine breitere Streuung der Deckungszusagen für den
Mittelstand wünschenswert.
Aus der Sicht der Union müssen die Hermesreformvor-
haben das gewachsene Vertrauen in die Ausfuhrge-
währleistungspolitik des Bundes nicht nur erhalten, son-
dern kontinuierlich ausbauen. So übernahm der Bund im
Jahr 2000 Bürgschaften in Höhe von 38,1 Milliarden DM.
Dies entspricht rund 3,3 Prozent des gesamten deutschen
Exports. Diesen Anteil gilt es, zu stabilisieren und auszu-
bauen. Daher ist eine verlässliche Grundlage für den Er-
halt von Exportbürgschaften erforderlich. Die neuen
Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen,
sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten
bei der Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen des
Bundes der Koalition erfüllen diese Forderungen nicht.
Ziel einer Reform muss sein, auf der nationalen Ebene
eine leichtere Handhabung, ein beschleunigtes Verfahren
und eine Entbürokratisierung zu erzielen. International
muss die Aufnahme vergleichbarer Standards erfolgen.
Im ökologischen, sozialen und Umweltbereich muss eine
größere Transparenz und Harmonisierung erreicht wer-
den. Für die Nichtregierungsorganisationen stellt sich der
gefundene Kompromiss als Flop dar, weil weder verbind-
liche Umweltstandards festgeschrieben worden sind,
noch eine Transparenz vor der Projektentscheidung ge-
währleistet ist. Auch die von den Grünen ursprünglich ge-
wünschten Ausschlusslisten für Rüstungs-, Atom- und ge-
fährliche Chemie-Exporte fanden keinen Eingang in die
Leitlinien des BMWi für Exportkreditbürgschaften. Die
Leitlinien der Regierung sind ein Schlag ins Gesicht der-
jenigen, die geglaubt haben, dass Hermesbürgschaften
unter einer rot-grünen Regierung gemäß den Ankündi-
gungen in der Koalitionsvereinbarung reformiert würden.
Die neuen Leitlinien bieten nicht einmal Betroffenen
die Chance, ihre Anliegen in das Entscheidungsverfahren
einzubringen. Die Leitlinien sehen nämlich vor, dass pro-
jektgebundene Informationen erst nach der Bürgschafts-
entscheidung veröffentlicht werden und dann auch nur,
wenn die Firmen ihr Einverständnis geben. Unabhängig
davon, wie sinnvoll solche Einzelfestlegungen auch sein
mögen, bleibt festzuhalten, dass die Koalition viel ver-
sprochen und davon so gut wie nichts gehalten hat.
Es geht neben sozialen und umweltrechtlichen Aspek-
ten auch insbesondere darum, die Konkurrenzfähigkeit
der deutschen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Über die ex-
portrechtlichen Regelungen hinaus, die für die Konkur-
renzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die damit ver-
bundene Arbeitsplatzsicherung von zentraler Bedeutung
sind, sollte im Einvernehmen mit unseren europäischen
Partnern die Bürgschaftsvergabe an Bedingungen gekop-
pelt werden, die dem Geiste der europäischen Harmo-
nisierung und dem erweiterten Aufgaben- und Verant-
wortungsbereich der zukünftigen EU entsprechen. Die
laufenden Harmonisierungsbemühungen in EU und
OECD sollten vor allem in Fragen der Umwelt- und So-
zialverträglichkeit intensiv vorangetrieben werden, um
einseitige Nachteile für die deutsche Exportwirtschaft zu
vermeiden.
Wie sehen die Anträge der übrigen Parteien in Bezug
auf die Hermesreform aus? Der F.D.P.-Antrag zielt in
die richtige Richtung. Er spricht sich für ein effizientes
und transparentes Ausfuhrgewährleistungssystem aus,
vernachlässigt aber die Umweltdimension. Die umwelt-
rechtliche Sicht ist aber für die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion von gleichrangiger Bedeutung. Gerade umwelt-
rechtliche Themen rücken nämlich immer mehr ins
Zentrum der Diskussion und stellen uns vor neue globale
Herausforderungen. In diesem Zusammenhang weise ich
auch auf die erhebliche negative internationale Resonanz
auf das von den USA abgelehnte Kioto-Protokoll hin. Die
in dem F.D.P.-Antrag aufgestellte Forderung nach einer
Maxime aller Maßnahmen, die darin bestehen soll, das
gewachsene Vertrauen in die Ausfuhrgewährleistungs-
politik des Bundes zu erhalten und auszubauen, ist abzu-
lehnen. Das Gegenteil wird erreicht: Infolge des radikalen
Anspruchs der F.D.P.-Forderung schwindet das Vertrauen
in deutsche Unternehmen eher und die deutsche Wirt-
schaft wird darüber hinaus auch nicht angehalten, in zu-
kunftsrelevante Umwelttechnologien zu investieren.
In den PDS-Anträgen werden die bisherigen Vergabe-
kriterien für Hermes-Kredite abgelehnt, und zwar aus ein-
seitig politisch-ideologischen Gründen heraus. In allen
PDS-Anträgen, die sich mit der Hermes-Kreditvergabe
befassen, kommt diese einseitige, ideologisch geprägte
Argumentationslinie zum Ausdruck. Die in den Anträgen
angesprochenen menschenrechtlichen, ökologischen,
wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedenken der
PDS dienen bei näherer Betrachtung lediglich als Vehikel
für ein ganz anderes Ziel. Das Ziel ist im Kern nichts an-
deres als der gezielte Versuch, den türkischen Staat ins-
gesamt in Misskredit zu bringen und die Hermes-Kre-
ditreform für die Kurden-Problematik politisch zu
instrumentalisieren. In den Anträgen der PDS kommt da-
rüber hinaus die Absicht zum Ausdruck, die Vergabe von
Hermes-Krediten staatlich zu sanktionieren und noch
mehr zu bürokratisieren, indem weitere Kontrollinstanzen
eingerichtet werden sollen. Die konkrete Forderung be-
steht in dem grundsätzlichen Aussetzen der Förderung
von Großstaudämmen, bis Empfehlungen der World
Commission on Dams vorliegen. Die PDS-Anträge zei-
gen keine echten Alternativen auf!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18167
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Es ist ganz offensichtlich, dass das primäre Ziel einer
Hermesreform darin liegen sollte, das Vertrauen unserer
Partner im Ausland und in die Ausfuhrgewährleistung des
Bundes zu stärken und auszubauen. Das heißt, dass Re-
formvorschläge nicht im nationalen Alleingang durchge-
setzt werden sollten. Reformvorschläge sollten innerhalb
der OECD in abgestimmter Weise erfolgen. Die Harmo-
nisierung auf EU-Ebene dient keinem Selbstzweck, son-
dern baut auf den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auf.
Nur wenn wir den Dialog auf der Grundlage eines realis-
tischen Interessenausgleichs zwischen Ökonomie und
Ökologie fortsetzen, können bei der künftigen Gestaltung
des Hermes-Kreditwesens die wichtigen Impulse an die
Wirtschaft und an die weltweite Ökologiebewegung wei-
tergegeben werden.
Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Keine Hermesbürgschaft für Ilisu, habe ich
immer gesagt, solange die gravierenden Probleme, die
dieses Projekt kennzeichnen, nicht zufriedenstellend
gelöst sind. Dies sind in erster Linie die Fragen: erstens
von Umsiedlung und Partizipation der lokalen Bevölke-
rung, zweitens des Schutzes von Kulturdenkmälern, vor
allem der Stadt Hasankeyf, und drittens der Wasserrechte
der Unterlieger des Tigris in Syrien und Irak.
Inzwischen liegt auch die neueste 500-seitige Umwelt-
verträglichkeitsstudie zum Staudamm vor, aus der wie-
derum hervorgeht, dass 59 000 vom Projekt betroffene
Kurden nicht in angemessener Weise konsultiert wurden,
dass wichtige Kulturdenkmäler und Hunderte archäologi-
scher Stätten in irreversibler Weise verloren gehen und
dass Syrien und der Irak bezüglich der Auswirkungen am
Unterlauf des Tigris nicht konsultiert wurden.
Wir haben inzwischen unzählige Studien und Berichte
aus unterschiedlichsten Quellen (von Betreibern, Kredit-
versicherern, parlamentarischen Kommissionen, NROs,
von Völkerrechtsjuristen, Umsiedlungsexperten, Um-
weltfachleuten usw.). Wir haben die Empfehlungen der
World Commission on Dams und wir haben die deutschen
Hermesleitlinien. Wenn ich all diese Dokumente und Stu-
dien Revue passieren lasse, dann kann ich heute nur zu
dem Schluss kommen, dass dieser Staudamm selbst nach
intensivster Prüfung keinerlei Grundlage bietet, um mit
einer öffentlichen Bürgschaft unterstützt zu werden. Ich
wiederhole: Wir haben es uns gerade bei diesem Projekt
im Gegensatz zur PDS nicht leicht gemacht und stets für
eine gründliche Prüfung plädiert. Jetzt ist jedoch der Zeit-
punkt gekommen, ein klares Nein zu diesem Projekt aus-
zusprechen. Dies tue ich und lehne zugleich den Antrag
der PDS ab, weil er eine Reihe von Forderungen aufstellt,
die inzwischen überholt sind.
Für mich wird dieses Nein zu Ilisu durch die neuen
Leitlinien untermauert, die den Bezug zu den Empfehlun-
gen der Weltstaudammkommission herstellen und darü-
ber hinaus betonen, dass das Ziel einer globalen nachhal-
tigen Entwicklung einen hohen Stellenwert in der
Bundesregierung einnimmt und dass sich Umweltrisiken
nicht nur über die Förderungswürdigkeit eines Projektes,
sondern im Rahmen der Kreditrisiko-Analyse auch
über die risikomäßige Vertretbarkeit auf die Entscheidung
über die Indeckungnahme auswirken.
Ein Verweis auf die wirtschaftliche Machbarkeit ist an-
gesichts der in der Türkei vorhandenen billigeren Ener-
giealternativen und der Finanzsituation des Landes hier
am richtigen Platz.
Wir haben mit den Leitlinien für die Berücksichtigung
von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen
Gesichtspunkten bei der Übernahme von Ausfuhrgewähr-
leistungen des Bundes einen wichtigen ersten Schritt zur
Neugestaltung des Hermesverfahrens getan. Die umwelt-,
sozial- und entwicklungspolitische Verträglichkeit von
Bürgschaften ist ein wesentliches Förderungskriterium
für Exporte geworden.
Die wichtigsten Veränderungen sind: stärkere Förde-
rung sozial und ökologisch nachhaltiger Projekte, insbe-
sondere regenerativer Energien; Ausschluss des Exportes
von Nukleartechnologie; ein Screening-Verfahren zur
Prüfung von ökologischen und sozialen Risiken; mehr
Transparenz bei den Bürgschaftsentscheidungen, unter
Mitwirkung der antragstellenden Unternehmen in
Deutschland; stärkere Beteiligung der betroffenen Bevöl-
kerung in den Bestellerländern; der Aufbau von Umwelt-
prüfkapazitäten im Hermessystem.
Trotz all dieser Fortschritte sind die Leitlinien keine
Blaupause, aus der sich für jedes Projekt und für jeden
Umstand, sozusagen mechanisch, eine Entscheidungsvor-
lage ergibt. Gerade deshalb werden wir vom Parlament
her die Praxis der Bürgschaftsvergabe auch in Zukunft
kritisch begleiten. Wir tun dies bei Ilisu und beim Tehri-
Staudamm in Indien und werden das auch bei anderen
Vorhaben tun. Wir werden auch die Umsetzung von früh-
zeitiger Transparenz bei den schwierigen Kategorie-A-
Projekten monitorieren, um mehr kritische Öffentlichkeit
zuzulassen, die letztlich auch der Akzeptanz der Projekte
zugute kommt.
Damit wollen wir sicherstellen, dass die Leitlinien
dazu beitragen, deutsche Exporte zu fördern, ohne in
Konflikt mit Umwelt und Menschen in den Entwick-
lungsländern zu geraten. Die Leitlinien sind Vorgaben, die
sich in der Praxis zu bewähren haben. Ich gebe ihnen ei-
nen Vertrauensvorschuss und sehe sie gleichzeitig als ein
dynamisches Instrument, das in der Zukunft auf der
Grundlage von neuen Erfahrungen und Veränderungen
auf der internationalen Ebene angepasst werden kann, mit
dem Ziel, einer Förderung sozial und ökologisch nach-
haltiger Projekte jedes Mal gerechter zu werden.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Einfacher, transparenter und
effizienter müssen die bewährten Hermesexportbürg-
schaften gestaltet sein, und eben nicht überfrachtet mit
Sonderforderungen. Nur wenn dies gelingt, können sich
deutsche Exportunternehmen mit ihren innovativen Pro-
dukten und den hohen technischen Standards auch in Zu-
kunft auf den Weltmärkten durchsetzen.
Hier ein paar Wirtschaftsdaten: 80 Prozent der Einzel-
deckungen der Export-Garantien entfallen auf die mittel-
ständische Export-Industrie. Hermesexportbürgschaften
sichern etwa 200 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Diese
Export-Garantien wurden im Jahr 2000 in Höhe von
38 Milliarden DM vom Bund übernommen und erwirt-
schafteten ein weiteres Mal Überschüsse, und zwar in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118168
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Höhe von 67 Millionen DM. Vor diesem Hintergrund
lehnt die F.D.P. die Befrachtung von Export-Bürgschaften
mit weiteren Auflagen für den deutschen Mittelstand ab,
wie von der PDS und auch Teilen der rot-grünen Koali-
tion gefordert.
Unsere Forderungen hingegen lauten:
Erstens. Keine Alleingänge! Keine Abweichungen von
den vereinbarten OECD-Umweltleitlinien für Ausfuhr-
gewährleistungen.
Zweitens. Unterstützung des Hermes-Umweltleit-
fadens des BMWi, verbunden mit der Entwicklung von
effizienteren, flexibleren Instrumentarien.
Drittens. Die vorgesehenen Schwellenwerte für das
Screening-Verfahren sind hinreichend.
Viertens. Ausschlusslisten für Hermesbürgschaften
sind abzulehnen.
Fünftens. Unterstützung für in der OECD einheitliche
Kriterien einer Präsentation im Internet.
Sechstens. Einzelfallentscheidungen werden durch den
Interministeriellen Ausschuss, IMA, getroffen.
Siebtens. Über besondere Charakteristika zu anstehen-
den Projekten informiert der IMA die zuständigen Res-
sorts und die Ausschüsse.
Carsten Hübner (PDS): Die Debatte über Hermes-
bürgschaften beschäftigt Parlament und Gesellschaft seit
geraumer Zeit. Auch wenn nur ein vergleichsweise klei-
ner Teil der bundesdeutschen Exporte über Hermesbürg-
schaften, also über staatliche Bürgschaften, abgesichert
wird, so ist es doch der Teil von Exporten, bei dem es im
Wesentlichen um Geschäfte der deutschen Wirtschaft mit
Entwicklungsländern geht. Schon das allein macht ein be-
sonderes Augenmerk erforderlich. Nicht selten geht es um
Megaprojekte, um Risikotechnologie und um Geschäfte
mit Ländern mit eklatanten Defiziten im Bereich der
Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt
mit erheblicher Korruption. China, die Türkei, Indonesien
oder der Iran sind dafür beispielhaft. Das gilt auch für die
Projekte selbst: der Ilisu-Staudamm im Südosten der Tür-
kei, der Tehri-Staudamm in Nordindien, der Transrapid
für Schanghai, die Zellstoffindustrie in Indonesien oder
das unter offenkundiger Korruption und Pression zu-
stande gekommene Kohlekraftwerk Paiton II, ebenfalls in
Indonesien.
Es handelt sich um Projekte, die allesamt unter ent-
wicklungspolitischen, unter ökologischen, unter men-
schenrechtlichen und nicht zuletzt auch unter ökonomi-
schen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig sind. Es sind
Projekte, die allzu oft mit Umsiedlungen und Vertreibun-
gen einhergehen. Es sind Projekte, bei denen selbst die
niederschwelligen international vereinbarten Mitsprache-
rechte der betroffenen Bevölkerung im wahrsten Sinne
des Wortes mit Füßen getreten werden.
Der Ilisu-Staudamm in der Osttürkei, für den seit vie-
len Monaten ein Antrag auf eine Hermesbürgschaft im zu-
ständigen Interministeriellen Ausschuss festhängt sehr
zum Leidwesen der Firma Sulzer und des Wirtschafts-
ministeriums und dank der Standhaftigkeit unter anderem
des Entwicklungshilfeministeriums steht exemplarisch
für die Notwendigkeit, die im Koalitionsvertrag angekün-
digte politische Reform der Hermesvergabe endlich in
Angriff zu nehmen. Mit den gerade erst verabschiedeten
Leitlinien ist der Reformprozess jedenfalls von der
Substanz her wenn überhaupt, gerade erst eingeläutet
worden.
Das llisu-Staudammprojekt zeigt die ganze Bandbreite
der Defizite und Gefahren der in jeder Hinsicht unverant-
wortlichen bisherigen Hermes-Vergabepraxis: In der Pro-
jektregion herrscht seit vielen Jahren der Ausnahmezu-
stand. Eine demokratische Beteiligung der Bevölkerung
an der Projektplanung, wie es etwa die Weltbankstandards
fordern, ist damit völlig unmöglich. Das Projekt wurde
Anfang der 60er-Jahre entwickelt und seither nicht verän-
dert. Es ist also weiterhin von der Je-größer-je-lieber-Lo-
gik inspiriert, die den an Nachhaltigkeit orientierten
dezentralen Konzepten einer modernen Wasser- und
Energieversorgung diametral entgegensteht. Die Türkei
weigert sich weiterhin, internationale Verträge zu unter-
zeichnen, die die Grundlage dafür schaffen, dass Stau-
dämme dazu benutzt werden, anderen Staaten das Wasser
abzudrehen, und das in dieser brisanten Region! Darüber
hinaus ist die Umsiedlungsfrage es geht um immerhin
bis zu 80 000 Menschen ebenso ungeklärt wie die Ma-
lariagefahr aufgrund dieses riesigen stehenden Gewässers
und anderer ökologischer Folgewirkungen.
Klar hingegen ist jedoch, dass kulturelle Güter in den
Fluten untergehen werden, die Tausende Jahre alt sind und
zu den Quellen der europäischen Kultur gehören. Das sind
mehr als genug gute Gründe, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, um diesem Projekt, um diesem Geschäft, staatliche
Bürgschaften zu verweigern.
Die Statements der World Commission an Dams, vie-
ler NGOs, der fraktionsübergreifend erstellte Delegati-
onsbericht des Menschenrechtsausschusses oder das ge-
rade vorgelegte Executive Summary des unter anderem
vom BMZ in Auftrag gegebenen Environmental Impact
Assessment Report weisen ebenso in diese Richtung wie
die Ankündigung der britischen Regierung, sich aus dem
Ilisu-Staudammprojekt aufgrund menschenrechtlicher
Bedenken zurückzuziehen.
Das deutsche Wirtschaftsministerium erkennt hinge-
gen, Kraft seiner Wassersuppe, keine wesentlichen Pro-
bleme und befürwortet das Projekt. Schließlich geht es um
die Profitinteressen deutscher Unternehmen. Eine Denk-
weise, die ich verheerend finde und die einer nachhaltigen
globalen Strukturpolitik Hohn spricht.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zu Ilisu zuzu-
stimmen. Wenn sich Unternehmen wie Sulzer oder Sie-
mens schon nicht davon abbringen lassen, mit derartigen
Projekten Geld verdienen zu wollen, dann muss wenigs-
tens klar sein, dass sie dafür nicht auch noch staatliche
Unterstützung, dass sie dafür nicht auch noch Bürgschaf-
ten aus Steuergeldern erhalten. Hermes darf kein Selbst-
bedienungsladen deutscher Unternehmen sein. Hermes
muss darauf zielt unser zweiter Antrag ab zu einem
entwicklungsverträglichen, zu einem transparenten In-
strument deutscher Außenwirtschaftförderung werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18169
(C)
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(B)
Ich denke an eine Wirtschaftsförderung, in deren Zentrum
Nachhaltigkeit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit stehen
und deren Profiteure nicht Konzerne wie Siemens sind,
sondern Klein- und Mittelständische Unternehmen.
Dafür bedarf es klarer und kohärenter Regelungen und
nicht butterweicher Leitlinien, wie sie bisher vorgelegt
wurden. In der Koalitionsvereinbarung, in ihrer Kritik vor
der Regierungsübernahme waren Rot-Grün in dieser Frage
bereits sehr viel weiter als in ihrer heutigen Praxis. Es wird
Zeit, dass Sie sich daran wieder erinnern. Die Ausschuss-
beratungen werden Ihnen dafür Gelegenheit bieten.
Was aber die beiden heute zur Abstimmung stehenden
Anträge zu Hermes von CDU/CSU und F.D.P. anbetrifft,
so muss ich leider sagen, dass hier von den Wirtschafts-
politikern beider Fraktionen ganz offensichtlich der Ver-
such unternommen wird, ihre eigenen Entwicklungs-,
Menschenrechts- und Umweltpolitiker vor aller Welt der
Lächerlichkeit preiszugeben. Das tut mir persönlich Leid,
hält meine Fraktion aber natürlich nicht davon ab, diese
Anträge nachdrücklich abzulehnen.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Von den drei
vorliegenden Anträgen zum Ausfuhrgewährleistungssystem
des Bundes sind uns die Anträge der Fraktionen der F.D.P.
und CDU/CSU aus der Plenardebatte vom 6. April 2001 und
den Ausschussberatungen gut bekannt. Sie wurden dort
ausführlich diskutiert und am Ende abgelehnt, weil sie in-
zwischen durch die Ereignisse überholt wurden.
Der Interministerielle Ausschuss für Ausfuhrgewähr-
leistungen beschloss am 26. April dieses Jahres seine
Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen,
sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten
bei der Übernahme von Ausfuhrgewährleistungen des
Bundes. Diese sind das Ergebnis einer Auswertung der
eigenen Erfahrungen sowie von Beratungen mit Mitglie-
dern des Deutschen Bundestages, mit Exportwirtschaft
und Banken sowie im internationalen Rahmen mit ande-
ren Exportkreditagenturen. Zudem wurde ein Informati-
onsaustausch mit Nichtregierungsorganisationen sowohl
in Berlin wie auch bei der OECD in Paris durchgeführt.
Die Leitlinien gewährleisten, dass wesentliche ökolo-
gische, soziale und entwicklungspolitische Auswirkun-
gen von Projekten im Prüfungsverfahren in die Entschei-
dung einbezogen werden. Sie liegen damit auf der Linie
des Entschließungsantrags der Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen Für ein modernes Ausfuhrge-
währleistungssystem, der in der besagten Sitzung am
6. April vom Bundestag angenommen wurde. Wir verfü-
gen damit im nationalen Bereich über ein funktionsfähi-
ges Instrument, das unseren Exportunternehmen auch in
Zukunft die unabdingbare Unterstützung bei der Er-
schließung schwieriger Märkte und der Vertiefung unse-
rer bilateralen Wirtschaftsbeziehungen vor allem mit
Schwellenländern gewährleistet.
Auch auf internationaler Ebene haben sich die Dinge
weiterentwickelt. Auf einer Sondersitzung der OECD-
Exportkreditgruppe in Paris am 7. und 8. Juni hat sich die
ganz überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten inhalt-
lich auf gemeinsame Ansätze zur Berücksichtigung von
Umweltbelangen im Bereich der staatlichen Exportkre-
ditversicherung geeinigt. Das dort vorgesehene Verfahren
zur Berücksichtigung von Umweltaspekten entspricht
weitgehend unseren nationalen Leitlinien.
Die Mitgliedstaaten müssen bis zum 7. Juli ihre förm-
liche Zustimmung erklären. Wir erwarten, dass sie die
vereinbarten Grundsätze dann national in die Praxis um-
setzen. Bis zum Ende 2003 sollen die bis dahin gewonne-
nen Erfahrungen überprüft werden.
Der Antrag der Fraktion der PDS zur Reform der Her-
mes-Bürgschaften greift das Thema erneut auf, ohne
wirklich Neues zu bieten. Er enthält überzogene, rea-
litätsferne und rechtlich fragwürdige Forderungen, die
das angestrebte Ziel einer Verbesserung der Umweltbe-
dingungen in den Bestellerländern zwar kaum erreichen
können, die aber mit Sicherheit dazu führen würden, un-
sere Exporteure aus dem internationalen Wettbewerb hi-
nauszukatapultieren. Wir werden ausreichend Gelegen-
heit haben, dies in den Ausschussberatungen zu vertiefen.
Der viere Antrag zum Thema Hermes betrifft das Stau-
dammprojekt Ilisu in der Türkei. Auch dieses Projekt ist
vielen von Ihnen gut bekannt. Auch aus der Sicht der Bun-
desregierung handelt es sich hier um einen schwierigen
Fall. Das mögen Sie schon daran erkennen, dass wir uns
seit gut drei Jahren in einem internationalen Prüfungspro-
zess zu der Frage befinden, in welcher Form dieses Projekt
durch Exportkreditversicherungen begleitet werden kann.
Wie Sie wissen, liegen die Probleme dieses Vorhabens
nicht im Finanzierungsbereich, sondern in seiner Um-
welt- und Sozialverträglichkeit: Es geht insbesondere um
eine angemessene Lösung der Umsiedlungsfragen, die
Gewährleistung der Wasserrechte anderer Länder am Ti-
gris, die Erhaltung der Wasserqualität des Flusses und den
Schutz wertvoller Kulturgüter.
Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. In ei-
nem intensiven Koordinierungsverfahren wirken wir mit
den anderen beteiligten Exportkreditversicherern da-
runter die Schweiz, Großbritannien, USA auf eine sach-
gerechte Beantwortung der Problemfragen hin. Dieses
Vorgehen ist etwas Neues in der Zusammenarbeit der Ex-
portkreditversicherer, die üblicherweise als Konkurrenten
auftreten. Sie ermöglicht es uns, gegenüber dem Besteller
auf Projektverbesserungen hinzuwirken, die wir sonst
aufgrund unseres kleinen Anteils an der Gesamtfinanzie-
rung 5 Prozent nicht durchsetzen können.
Inzwischen sind einige Fortschritte erreicht worden. Es
wurde insbesondere eine umfangreiche Umweltverträg-
lichkeitsprüfung durchgeführt, deren Ergebnis den Ex-
portkreditversicherern vor einigen Tagen zur Verfügung
gestellt wurde. Wir haben uns mit der türkischen Seite
darauf geeinigt, dass dieser Bericht auch interessierten
Dritten zugänglich gemacht werden kann. Nach seiner
Auswertung werden die beteiligten Exportkreditversiche-
rungen über das weitere Vorgehen beraten.
Dieser Entwicklung trägt der Antrag der Fraktion der
PDS nicht Rechnung. Entsprechend der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
sollte er deshalb abgelehnt werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118170
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung
der Strafprozessordnung
des Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der
Pressefreiheit
(Zusatztagesordnungspunkt 16)
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Endlich! Nach lan-
gen Beratungen, die sich über mehr als drei Legislaturpe-
rioden hingezogen haben, wird heute endlich in zweiter
und dritter Lesung des Deutschen Bundestages ein Gesetz
zum besseren Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit
verabschiedet. Der bisher nur für anvertrautes Material
geltende Schutz wird mit geringen Einschränkungen auch
auf selbst recherchiertes Material ausgedehnt. Ich will
heute darauf verzichten, die Ausführungen, die ich vor
beinahe 14 Jahren in einem Gutachten des Freiburger
Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationa-
les Strafrecht als Wissenschaftler gemacht habe, sowie die
zahlreichen Reden, die ich seit fünf Jahren als Sprecher
der SPD-Bundestagsfraktion im Plenum vorgetragen
habe, zu wiederholen. Stattdessen will ich mich auf einige
Informationen beschränken, die sich seit meiner Rede
vom 8. März 2001 anlässlich der ersten Lesung des heute
abschließend zu beratenden Gesetzentwurfes der Bundes-
regierung ergeben haben.
Selbstverständlich ist die schon im November vergan-
genen Jahres durchgeführte Sachverständigenanhörung
sorgfältig ausgewertet worden. Dabei hat sich gezeigt,
dass der vereinzelt von den Sachverständigen unterstützte
Vorschlag, eine Durchsuchung sowie die Beschlagnahme
selbst recherchierten Materials nur bei dringendem Tat-
verdacht zuzulassen, nicht überzeugen kann. Denn wenn
bereits so viele Erkenntnisse vorliegen, dass die Bege-
hung einer Straftat durch den Beschuldigten wahrschein-
lich ist, wird der Eingriff in das Grundrecht der Presse-
und Rundfunkfreiheit in der Regel nicht mehr erforderlich
sein. Anders ist es in den Fällen, in denen zwar ein einfa-
cher Tatverdacht besteht, aber die Beweise für eine
Anklageerhebung noch nicht ausreichen. Es wäre also
nach unserer Überzeugung geradezu systemwidrig,
Durchsuchung und Beschlagnahme von dem Vorliegen
eines dringenden Tatverdachtes abhängig zu machen.
Die Sachverständigenanhörung hat ferner eine Reihe
von Vorschlägen ergeben, die im größeren Zusammen-
hang einer Strafprozessreform gründlich zu prüfen sein
werden. Das gilt etwa für den Vorschlag von Professor
Eser, die Fälle des Zeugnisverweigerungsrechtes und ei-
nes daraus gewissermaßen abgeleiteten Beschlagnahme-
verbotes nicht gleichzusetzen. Eine solche Unterschei-
dung setzt einen strukturellen Eingriff in unser geltendes
Strafprozessrecht voraus, der weit über die hier vor allem
interessierenden Regelungen für Journalisten hinausgeht.
Ich wiederhole deshalb meinen Vorschlag, diese und an-
dere Fragen zum Gegenstand der Beratungen einer
großen Strafprozesskommission zu machen, die mög-
lichst noch in dieser Legislaturperiode eingesetzt werden
sollte.
Besondere Bedeutung hat in der Schlussphase unserer
Beratungen eine Dokumentation erlangt, die mir im Juni
2001 vom Deutschen Journalisten-Verband zugeleitet
wurde und die mehr als 150 Fälle von Durchsuchungs-
sowie Beschlagnahmeanordnungen und von Beschlüssen
über journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht betrifft,
die sich in den vergangenen vierzehn Jahren ereignet ha-
ben. Ich habe die 59 Seiten umfassende vorzügliche
Dokumentation mit Einverständnis der Verfasser allen
Fraktionen sowie den beteiligten Bundesministerien zu-
gänglich gemacht.
Die Dokumentation bestätigt die Richtigkeit der Grund-
entscheidungen des Regierungsentwurfes in vierfacher
Hinsicht: Erstens erweist es sich als richtig, dass die Not-
wendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Ein-
griff in das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit
im Gesetz ausdrücklich betont wird. Dass die bisherigen
Hinweise in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeld-
verfahren nicht ausreichen, ergibt sich allein schon da-
raus, dass in den Verfahren erster Instanz die Amtsge-
richte nur in einem einzigen Fall überhaupt ausweislich
des Wortlauts des Beschlusses eine Verhältnismäßigkeits-
prüfung durchgeführt haben. In sieben Fällen wurde die
Prüfung erst nach Beschwerde des betroffenen Medien-
unternehmens in der zweiten Instanz nachgeholt.
In diesem Zusammenhang ist zweitens von besonderer
Bedeutung, dass der Regierungsentwurf im Unterschied
zum F.D.P.-Entwurf Einschränkungen des Grundrechts
der Medienfreiheit bei selbst recherchiertem Material nur
noch in Verbrechenssachen zulässt. Die F.D.P. möchte
hingegen an dem alten System eines Deliktskataloges
festhalten. Die Dokumentation belegt nunmehr, dass in
mehr als 90 Prozent der Fälle die Grundrechtseingriffe
bisher in Vergehenssachen erfolgen. An der Spitze liegen
dabei die Beleidigungsdelikte mit 19 Fällen. Es folgen die
Körperverletzungen im Amt vor allem im Zusammen-
hang mit Demonstrationen in neun Fällen sowie die Ver-
letzung von Dienstgeheimnissen in acht Fällen. Dies ist
nach unserer Auffassung eine klare Verletzung des Grund-
satzes der Verhältnismäßigkeit. Mit dem Vorschlag, Grund-
rechtseingriffe nur noch in Verbrechenssachen vorzuse-
hen, folgen wir der vom Einzelfall unabhängigen
Güterabwägung durch den Gesetzgeber. Wenn die F.D.P.
allen Ernstes daran denkt, auch einzelne Vergehenssachen
wegen ihres besonderen Gewichts ausreichen zu lassen,
wäre es eher konsequent, derartige Vergehen in der Ein-
stufung durch den Gesetzgeber zum Verbrechen zu ma-
chen. Das würde beispielsweise für einzelne Sexual-
delikte gelten, die allerdings in der Praxis ausweislich der
Dokumentation bisher überhaupt keine Rolle spielen.
Drittens erweist es sich als praxisferner Vorwand, dass
nur über die Einschränkung des Grundrechts notwendige
Strafverfahren gegen Journalisten möglich würden. Aus
der Dokumentation ergibt sich, dass in 20 Fällen zwar Er-
mittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet worden
sind, aber in keinem einzigen Fall auch Anklage erhoben
worden ist. Der Eindruck, dass das Vorgehen gegen Jour-
nalisten und die Durchsuchung von Redaktionsräumen le-
diglich Mittel zum Zweck ist und die Journalisten gewis-
sermaßen als Büttel der Staatsanwaltschaft benutzt
werden, ist also nicht von der Hand zu weisen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18171
(C)
(D)
(A)
(B)
Schließlich belegt die Dokumentation, dass der vom
Bundesverfassungsgericht gewiesene und auch von mir in
meinem früheren Rechtsgutachten als Ausweg gewür-
digte Weg, nämlich die unmittelbare Anwendung von
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ausweislich der
Praxis keine Lösung ist. Von dieser Möglichkeit hat näm-
lich in den dokumentierten Fällen nicht nur kein einziges
Gericht Gebrauch gemacht. Vielmehr haben auch zwei
Landgerichte die merkwürdige Auffassung vertreten, das
Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk sei
in § 53 der Strafprozessordnung abschließend geregelt,
sodass eine unmittelbare Anwendung von Art. 5 des
Grundgesetzes nicht möglich sei. Das bestätigt die von
mir in früheren Debatten vorgetragene Auffassung, dass
nunmehr ein besserer Schutz der Medienfreiheit nur
durch den Gesetzgeber hergestellt werden kann. Deshalb
gehen die Argumente der CDU/CSU-Fraktion, die sich
grundsätzlich gegen die Reform des geltenden Rechts
wendet, an der Rechtswirklichkeit offensichtlich vorbei.
Rundfunk- und Pressefreiheit sind bekanntlich nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konstitu-
tives Element einer freiheitlichen Demokratie. Das wird
ausdrücklich auch durch die Charta der Grundrechte der
Europäischen Union anerkannt, nach deren Art. 11 die
Freiheit der Medien und ihre Pluralität zu achten sind. Ich
freue mich, dass wir heute einen Gesetzentwurf verab-
schieden, der dem Rechnung trägt. In der Beratung über
den F.D.P.-Entwurf am 7. Oktober 1999 hatte ich angekün-
digt, dass der demnächst zu beratende Entwurf der Bun-
desregierung so evident besser sein werde, dass wir ihn ge-
meinsam zur Beratungsgrundlage machen könnten. Meine
Hinweise mögen belegen, dass diese Einschätzung richtig
war. Damit stehen wir am Ende eines Weges, der in der
vorletzten Legislaturperiode durch die Vorlage eines zum
besseren Schutz der Medienfreiheit vorgelegten Gesetz-
entwurfes der SPD-Bundestagsfraktion begonnen wurde.
Die erwähnte Dokumentation mag auch den Bundesrat
veranlassen, etwa noch bestehende Bedenken zurückzu-
stellen und auf die Einlegung eines Einspruchs gegen das
nicht zustimmungsbedürftige Gesetz zu verzichten.
Ronald Pofalla (CDU/CSU): Die Sicherung der Pres-
sefreiheit ist eine ernste Aufgabe und verfassungsrecht-
lich höchst bedeutsam. Dies ist jedoch nicht erst die weise
Erkenntnis der jetzigen Regierung, sondern ist für jeden
Rechtsanwender, jeden Journalisten und letztlich jeden
Bürger selbstverständlich.
Natürlich kennt jeder Journalist die Grenzen seiner
Tätigkeit, die da endet, wo strafbares Handeln beginnt
oder die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden einge-
schränkt oder gar verhindert wird. Natürlich kennt auch
jeder Polizeibeamte, jeder Staatsanwalt und jeder Richter
die Grenzen der Ermittlungsmöglichkeiten, die nämlich
dort gezogen sind, wo es an die Substanz der freien Be-
richterstattung geht, also dort, wo der verfassungsrecht-
lich absolut geschützte Bereich des Grundrechtes aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes berührt wird. Die
beiden wichtigen von der Verfassung geschützten Werte,
die hier in Einklang gebracht werden müssen, sind die
Presse- und Rundfunkfreiheit einerseits und die im
Rechtsstaatprinzip verankerte Pflicht zur Erforschung der
Wahrheit im Strafprozess andererseits.
Der notwendige Ausgleich zwischen diesen wichtigen
Verfassungsgütern wird durch die Gerichte in ausreichen-
dem Maße hergestellt. Die Vorschriften der Strafprozess-
ordnung ermöglichen diesen Ausgleich. Sie haben einer
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht stand-
gehalten. Das Bundesverfassungsgericht selbst sieht
daher so die Schlussfolgerung aus dem insoweit ein-
schlägigen Urteil keinen gesetzgeberischen Handlungs-
bedarf.
Auch der Deutsche Juristentag, der sich 1998 mit dem
Thema auseinander gesetzt hat, ist der Ansicht, dass keine
akute Notwendigkeit besteht, das geltende Recht zu än-
dern.
Warum also versuchen sowohl die Bundesregierung
als auch zuvor bereits die F.D.P.-Fraktion, die einzelfall-
angemessene Entscheidungskompetenz der Gerichte zu
untergraben, indem sie das Zeugnisverweigerungsrecht
für Journalisten verändern und die Beschlagnahme-
möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden reduzieren
wollen? Der F.D.P.-Gesetzentwurf trug zudem noch den
verwirrenden Titel Entwurf eines Gesetzes zur Siche-
rung der Pressefreiheit, was den Eindruck erweckt, als
herrschten bei uns vordemokratische Verhältnisse.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist hingegen
ein Wolf im Schafspelz: ein nichtssagender Titel, aber
darin sind mindestens ebenso weit reichende Veränderun-
gen des geltenden Rechts enthalten.
In den wesentlichen Punkten weisen die beiden Ge-
setzentwürfe Überschneidungen auf. Daher möchte ich
mich vor allem diesen gemeinsamen Punkten im Einzel-
nen widmen:
Erstens. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53
Abs. 1 Nr. 5 StPO soll auch auf den Inhalt selbst recher-
chierten bzw. selbst erarbeiteten Materials ausgedehnt
werden. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist zu-
dem in der geplanten Änderung des § 53 Abs. 2 StPO die
ausdrückliche Aufnahme des Verhältnismäßigkeitsgrund-
satzes vorgesehen. Beide Änderungen sind tatsächlich
nicht notwendig.
Da diese Regelung zusammen mit dem hierzu eben-
falls geplanten Beschlagnahmeverbot für selbst recher-
chiertes Material den Kern beider Gesetzentwürfe aus-
macht, möchte ich grundsätzlich Folgendes zu Bedenken
geben: Wem nützt denn diese Regelung tatsächlich? Ganz
bestimmt nicht dem Journalisten, der selbst wenn er im
investigativen Journalismus tätig ist doch bei der Be-
obachtung von Straftatbeständen über kurz oder lang sein
Material von sich aus den Strafverfolgungsbehörden
übergeben wird oder zumindest nichts dagegen haben
wird, sein Material den Strafverfolgungsbehörden zur
Verfügung zu stellen.
Geschützt werden durch solch weit gehende und un-
flexible Regelungen höchstens die schwarzen Schafe der
Branche, diejenigen, die die Berufsbezeichnung Journa-
list lediglich als Tarnung benutzen. Genau das wird der
Gesetzentwurf erreichen. Er wird dazu führen, dass das
unnötig erweiterte Zeugnisverweigerungsrecht als Deck-
mäntelchen genutzt werden wird. Dies können auch die
Journalistinnen und Journalisten nicht wollen. Eine sol-
che Ausnutzung ihres Berufsstandes kann nicht in
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118172
(C)
(D)
(A)
(B)
ihrem Interesse liegen, von den Einschränkungen der Ef-
fektivität der Strafrechtspflege einmal ganz zu schweigen.
Zweitens. Geplant ist weiterhin eine Erweiterung des
Schutzbereichs des Zeugnisverweigerungsrechts. So sol-
len nunmehr auch ausdrücklich Filmberichte, nicht pe-
riodische Druckwerke und der Berichterstattung dienende
Informations- und Kommunikationsdienste miteinbe-
zogen werden.
Auch diese Änderung erscheint zumindest unnötig.
Eine solche Ausweitung des Schutzbereiches wird eine
trennscharfe Abgrenzung der Zeugnisverweigerungs-
berechtigten erheblich erschweren. Ähnlich wie bereits
bei dem Begriff des selbst recherchierten Materials böte
auch diese Änderung Personen, die mit der Presse nichts
zu tun haben, die Möglichkeit, das Zeugnisverweige-
rungsrecht als Tarnung in Anspruch zu nehmen.
Drittens. Die Beschlagnahmemöglichkeit soll durch
die ausdrückliche Aufnahme einer Verhältnismäßigkeits-
prüfung beschränkt werden. Die Beschlagnahme soll zu-
dem lediglich Ultima Ratio sein. Diese Beschränkung der
Beschlagnahmemöglichkeit soll auch dann gelten, wenn
das Material aus einer Straftat herrührt oder durch eine
Straftat erlangt worden ist.
Diese Regelung ist ebenfalls überflüssig. Schon heute
muss bei jeder Beschlagnahme dem Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz Rechnung getragen werden. Dies ergibt
sich aus Nr. 73 a RiStBV. Ganz ausdrücklich ist auch jetzt
schon nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Be-
schlagnahme selbst recherchierten Materials zu beachten.
Viertens. Geplant ist weiterhin in beiden Gesetzentwür-
fen ein Beweiserhebungsverbot für Aussagen, die im Hin-
blick auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach anderen
Verfahrensordnungen gemacht wurden. Die Vorstellung,
dass Erkenntnisse in einem zivilrechtlichen Verfahren
streitentscheidend, im Strafverfahren jedoch unbeachtlich
sein sollen, ist eine Durchbrechung prozessrechtlicher
Prinzipien, die unangemessen erscheint.
Fazit: Gesetzentwürfe dieser Art sind unnötig. Der ein-
zige Nutzen ergibt sich aus ihrer schlichten Existenz; denn
nur durch die ständige Diskussion bleiben wir für die
Bedeutung der Presse- und Rundfunkfreiheit für unser
Gemeinwesen sensibilisiert. Dieses für die Demokratie
notwendige Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des
Grundgesetzes muss immer wieder den Inhabern der
staatlichen Gewalt vor Augen geführt werden. Nur so
kann Machtmissbrauch verhindert werden.
Gleichwohl bedarf es solcher Gesetzentwürfe nicht,
um die Presse- und Rundfunkfreiheit zu schützen. Die
Instrumentarien, die unsere Strafprozessordnung in ver-
fassungskonformer Auslegung durch die Gerichte bietet,
reichen aus. Es ist wichtig zu begreifen, dass in diesem
empfindlichen Bereich nicht mit starren Gesetzen gear-
beitet werden darf. Der Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung wird daher von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
abgelehnt.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das ist ein gutes Gesetz, das wir jetzt verabschie-
den: gut für die Pressefreiheit und gut für die Arbeit von
Journalistinnen und Journalisten, weil sie und die Redak-
tionen jetzt sicher sein können, dass auch ihr selbst re-
cherchiertes Material für die Justiz weitgehend tabu ist
und bleibt. Dieses Material ist in Zukunft überwiegend
geschützt vor Durchsuchungen und Beschlagnahme
durch die Ermittlungsbehörden. Die Journalisten müssen
über das von ihnen Recherchierte vor Gericht nicht
aussagen. Sie haben nach diesem Gesetz ein Zeugnisver-
weigerungsrecht. Damit wird das Vertrauen nicht nur der
Informanten, sondern der ganzen Bevölkerung in die Ar-
beit und Verschwiegenheit der Medien und der Journalis-
ten wirksam gestärkt. Das ist auch gut für die Demokra-
tie, denn die vierte Gewalt wird geschützt.
Lange haben wir Bündnisgrünen uns für eine solche
Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten der Journalis-
tinnen und Journalisten gemeinsam mit Journalistenver-
einigungen, Redaktionen und Verlagen eingesetzt. Ich
will kein Hehl daraus machen, dass unsere Vorstellungen
und Vorentwürfe aus Oppositionszeiten weiter gehende
Regelungen mit noch mehr Sicherheit für die Journalisten
und Medien vorgesehen hatten, etwa, dass in allen Fällen
ohne jede Einschränkung auch selbst recherchiertes Ma-
terial ganz beschlagnahmefrei sein sollte oder ein Ver-
wertungsverbot für solches Material besteht, wenn sich
später ein zunächst angenommener Tatverdacht nicht be-
stätigen lässt.
Aber wir mussten feststellen, dass nicht alles umsetz-
bar war. Das lag nicht nur an einem uneinsichtigen Koali-
tionspartner. Es gab auch objektiv wichtige Gründe, die
dagegen gesprochen haben. So wäre es schwer, zu recht-
fertigen, wenn ein Verbrechen wie Mord und Vergewal-
tigung, nicht aufgeklärt werden kann, weil ein Journalist,
der selbst etwas zu dem Verbrechen herausgefunden hat,
nicht aussagen muss und von ihm zusammengestelltes
Material vom Gericht nicht genutzt werden kann.
Auch deshalb haben wir Kompromisse geschlossen.
Die Kompromisse können sich aber gut sehen lassen. Bei
Verbrechen gilt das neue Zeugnisverweigerungsrecht
nicht und Material, das zur Aufklärung von Verbrechen
dienen kann, kann auch vom Gericht genutzt werden,
wenn anders kein Ermittlungserfolg möglich ist. Nur
wenn es um Verbrechen geht, gilt das; nicht bei Vergehen
oder Übertretungen strafrechtlicher Vorschriften. Nur
dann müssen die Journalistenrechte ausnahmsweise
zurücktreten. Damit gehen die in unserem Gesetz gefun-
denen Regelungen weiter, als dies von Journalistenver-
bänden vorgeschlagen wurde. Auch die F.D.P. bleibt mit
ihrer Katalogregelung hinter unseren Ergebnissen zurück.
Journalistenverbände haben in den vergangenen Jahren
zu Recht kritisiert, dass Strafverfolgungsbehörden mehr-
fach die Tätigkeit von Medienschaffenden behindert, Re-
daktionen durchsucht und Unterlagen beschlagnahmt hat-
ten. Die rot-grüne Koalition weitet nun den Schutz vor
solchen Behinderungen aus. Außerdem wird der Kreis der
Berechtigten, in Strafverfahren die Zeugenaussage zu
verweigern, auf die an Herstellung und Vertrieb von
Büchern und Filmen Beteiligten erweitert.
Werden Journalisten verdächtigt, selbst an einem De-
likt beteiligt zu sein oder dieses zu begünstigen, kann wie
bisher beweiswichtiges Material beschlagnahmt werden.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18173
(C)
(D)
(A)
(B)
Dass dieser Eingriff in die Pressefreiheit möglich sein
muss, hat das Bundesverfassungsgericht verlangt und
auch der Deutsche Journalistenverband in einem eigenen
Entwurf gutgeheißen. Noch enger als dieser Entwurf kann
auf grüne Initiative hin nach dem neuen Gesetz künftig
nur noch dann durchsucht und Material beschlagnahmt
werden, wenn ohne diese Information die Ermittlungen
aussichtslos oder wesentlich erschwert wären und wenn
die Beschlagnahme zudem keine unverhältnismäßige
Einschränkung der Pressefreiheit darstellt. Auch das ist
ein wesentlicher Fortschritt.
Unsere Regelung ist deutlich günstiger als der Vor-
schlag des journalistischen Berufsverbands und der
F.D.P.-Fraktion. Die F.D.P. will solche Eingriffe bei einem
langen Katalog von über 65 Delikten bis hin zu Verstößen
gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz zulassen.
Die F.D.P. versucht, ihre Forderung nach so weit gehen-
der Durchbrechung des journalistischen Schutzes mit der
Behauptung zu verteidigen, andernfalls würde das Zeug-
nisverweigerungsrecht Ermittlungsmaßnahmen auch im
Falle sexuellen Kindesmissbrauchs verhindern, weil dies
kein Verbrechen sei. Dieser Einwand ist an den Haaren
herbeigezogen. Denn in solchen Fällen sind aufgrund des
Verbrechenstatbestands nach § 177 StGB weiterhin natür-
lich alle erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen möglich.
Aus einer Auswertung des Deutschen Journalistenverban-
des vom 13. Juni 2001 von über 150 Fällen, in denen Re-
daktionen durchsucht und Beschlagnahmen durchgeführt
wurden, ergibt sich, dass in aller Regel Ermittlungen we-
gen Vergehen und kaum je Verbrechen zugrunde lagen.
Nach der Lösung der Koalition wird derlei also künftig
wirkungsvoll ausgeschlossen sein.
Weiterhin ist nun vorgeschlagen worden, die Durch-
suchung von Redaktionen nur dann zu gestatten, wenn be-
reits ein dringender Tatverdacht besteht. Das ist eine For-
derung, die wir Bündnisgrünen auch hatten, die aber nicht
umsetzbar war. Dem wurde entgegengehalten, das sei sys-
temwidrig; denn wenn die Ermittlungsbehörden schon so
viele Beweise haben, dass dringender Tatverdacht gegen
einen Beschuldigten besteht, dann kann und sollte auf
eine so einschneidende Maßnahme wie die Durchsuchung
einer Redaktion verzichtet werden. Dies wird nur dann er-
wogen werden, wenn aufgrund eines bloß einfachen Tat-
verdachts noch Beweise gesammelt werden müssen. Wir
werden die Entwicklung beobachten und notfalls korri-
gieren müssen, wenn der Einwand sich als unzutreffend
herausstellt.
Schließlich will der Gesetzentwurf der Koalition si-
cherstellen, dass künftig das Zeugnisverweigerungsrecht
von Journalisten nicht ausgehebelt werden darf, indem
gegen sie selbst ein beliebiges Strafermittlungsverfahren
eröffnet wird, etwa wegen Anstiftung zum Geheimnis-
verrat. Interessanterweise berichtet die erwähnte Doku-
mentation des Journalistenverbands von mehr als 20 Fäl-
len solcher Ermittlungen, die jedoch kein einziges Mal zu
einer Anklage geführt habe. Wir gehen davon aus, dass ein
dahin gehender Verfolgungseifer von Staatsanwälten
nach unserem heutigen Gesetzesbeschluss zur Stärkung
der Pressefreiheit deutlich abnimmt, jedenfalls nicht zur
Umgehung von Ermittlungsverboten gegen Medien ein-
gesetzt wird.
Insgesamt beschließen wir heute ein gutes Gesetz für
mehr Pressefreiheit. Selbstverständlich sind wir damit
noch nicht am Ende unserer Bemühungen für bessere Ar-
beitsmöglichkeiten von Presse und Journalisten. Das
nächste Gesetzgebungsvorhaben ist ein Informationsfrei-
heitsgesetz. Es ist in Arbeit. Damit soll das Recht ge-
schaffen werden, nicht nur für Journalistinnen und Jour-
nalisten, sondern auch für alle Bürgerinnen und Bürger,
Einsicht in sie interessierende Behördenakten nehmen zu
können. Es bleibt die Feststellung: Heute ist ein guter Tag
für Presse und Medien. Noch kurz vor der Sommerpause
schafft das Parlament für sie mehr Schutz und Rechte.
Jörg van Essen (F.D.P.): Es ist zu begrüßen, dass der
Deutsche Bundestag heute endlich einen Beschluss über
die Verbesserung des Zeugnisverweigerungsrechts für
Journalisten herbeiführt. Die F.D.P. hätte sich den Be-
schluss eines solchen Gesetzentwurfs schon viel früher
gewünscht. Bereits im Sommer 1999 haben wir einen
eigenen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, der das Zeugnis-
verweigerungsrecht für Journalisten auch auf selbstre-
cherchiertes Material ausweitet. Dabei haben wir alle For-
derungen der betroffenen Verbände aufgenommen. Unser
Gesetzentwurf ist in den Medien- und Journalistenkreisen
daher auch auf breite Zustimmung gestoßen. Dies hat
auch die Anhörung des Rechtsausschusses gezeigt. Die
Sachverständigen haben unsere Initiative einhellig gelobt
und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgezo-
gen.
In zwei wesentlichen Fragen unterscheidet sich der Ge-
setzentwurf der F.D.P. von dem der Bundesregierung: Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Beschlag-
nahme des selbstrecherchierten Materials bereits bei ein-
fachem Tatverdacht vor. Die F.D.P. fordert dagegen die
Beschlagnahme erst bei dringendem Tatverdacht. Diese
Regelung der F.D.P. ist von allen großen Verbänden, wie
dem Deutschen Presserat, der IG Medien und dem Deut-
schen Journalistenverband sowie von den Sachverständi-
gen begrüßt worden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält Aus-
nahmen beim Zeugnisverweigerungsrecht, der Durchsu-
chung und der Beschlagnahme bei Ermittlungen zur Auf-
klärung eines Verbrechens, es sei denn, die Verpflichtung
zur Aussage würde unter Berücksichtigung des Grund-
rechts der Pressefreiheit außer Verhältnis zur Bedeutung
der Sache stehen.
Das Regel-Ausnahme-Verhältnis der Regierung ist zu
Recht auf Kritik gestoßen und wird in der Praxis zu er-
heblichen Problemen führen. Diese Verhältnismäßigkeits-
regel öffnet Tür und Tor für unterschiedliche Interpretati-
onsmöglichkeiten und bietet keinen verlässlichen Schutz
für die Arbeit der Journalisten. Nach dem Regierungsent-
wurf darf der Journalist die Aussage verweigern bei Ver-
fahren wegen sexuellem Missbrauch von Kindern. Dies
zeigt, wie schlampig hier gearbeitet wurde. Die F.D.P. hat
demgegenüber einen Straftatenkatalog aufgestellt, bei
dem die Ausnahmen greifen. Dort ist der sexuelle Miss-
brauch von Kindern selbstverständlich berücksichtigt
worden. Noch vor wenigen Tagen ging eine weitere Stel-
lungnahme des Bundesdatenschutzbeauftragten ein. Auch
er erachtete den F.D.P.-Gesetzentwurf für vorzugswürdig.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118174
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Koalitionsfraktionen haben sämtliche Anregungen
und Verbesserungsvorschläge der Sachverständigen igno-
riert. Sie sind von ihrem Ursprungsentwurf nicht abgewi-
chen. Dies zeigt, welche Bedeutung Rot-Grün dem wich-
tigen parlamentarischen Instrument der Anhörung und
den fachlichen Stellungnahmen von Experten beimisst.
Wir sind uns im Ziel einig. In der Umsetzung unter-
scheidet sich unsere Initiative aber erheblich von der der
Koalition. Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung daher ablehnen.
Angela Marquardt (PDS): Zunächst möchte ich be-
tonen, dass eine Reform des Zeugnisverweigerungsrechts
überfällig ist. Beide vorliegenden Gesetzentwürfe sind in-
sofern zu unterstützen, als sie das Zeugnisverweigerungs-
recht erstens auf selbst recherchiertes Material, zweitens
auf elektronische Publikationen und drittens auf nicht pe-
riodische Druckwerke erweitern. Das wäre alles ganz
wunderbar, wenn nicht beide Gesetzentwürfe wegen ihren
erheblichen Ausnahmeregelungen praktisch wieder ad ab-
surdum geführt würden.
Ob Sie nun, wie bei dem F.D.P.-Entwurf, einen Kata-
log von 65 Straftaten anhängen von Mord bis zu Ver-
stößen gegen das Ausländerrecht oder ob Sie, wie beim
Regierungsentwurf, alle Straftaten ausnehmen, auf die
mindestens ein Jahr Haft steht , das kommt so ungefähr
aufs Gleiche raus. Zu Durchsuchungen in Redaktionen
kommt es nicht wegen eines Eierdiebstahls oder wegen
Schwarzfahrerei, sondern immer nur bei Recherchen zu
Straftaten wie § 129 a, Spionage, Mord, Steuerhinterzie-
hung.
Ich habe bereits einmal Herrn Ströbele in dieser Ange-
legenheit zitiert und ich will es noch einmal machen, weil
ich es nicht besser formulieren könnte:
Machen Sie den Journalisten einmal klar, dass das
Material, das sie in wirklich wichtigen Fällen, in de-
nen es um Spionage, um kriminelle Vereinigungen
oder um schwere Straftaten geht, erarbeitet und in
ihrem Schreibtisch liegen haben, nicht frei von Be-
schlagnahme ist. Ich denke, dass sie gerade in diesen
Fällen geschützt werden müssen.
So weit Ströbele zu dem F.D.P.-Entwurf. Ich bin ganz
Ihrer Meinung, Herr Ströbele. Nur, nach dem Regierungs-
entwurf werden Journalisten gerade in diesen Fällen ge-
nauso wenig geschützt wie nach dem F.D.P.-Entwurf. In
dieser Frage nehmen sich die beiden Anträge also nichts.
In einem anderen Punkt ist der F.D.P.-Entwurf eindeu-
tig besser als jener der Bundesregierung. Durchsuchun-
gen und Beschlagnahmungen bei Journalisten waren bis-
her nur möglich, wenn der betroffene Journalist selbst im
Verdacht steht, an der Straftat beteiligt zu sein. Die F.D.P.
will, dass das nur noch bei dringendem Tatverdacht er-
laubt ist; nach SPD und Grünen soll schon der einfache
Tatverdacht reichen.
Die Anhörung im Rechtsausschuss hat gezeigt, dass
die Vertreter der Medien und die Wissenschaftler in die-
sem Punkt allesamt dem F.D.P.-Entwurf den Vorrang ge-
ben. Vom Deutschen Journalisten-Verband bis zum Bun-
desverband Deutscher Zeitungsverleger kritisierten alle
den Regierungsentwurf als nicht weitgehend genug. Die-
sem Urteil der Experten kann ich mich ganz klar an-
schließen.
Insgesamt halten wir den F.D.P.-Entwurf für weitge-
hender und daher für besser. Wir werden ihm also zu-
stimmen, obwohl auch er nicht das ist, was wir eigentlich
bräuchten. Die Pressefreiheit musste wieder einmal hinter
die Wünsche der Strafverfolger zurücktreten. Journalisten
müssen weiterhin befürchten, dass sie mit ihren Recher-
chen zu unfreiwilligen Hilfsermittlern werden. Schade,
dass den Grünen der Mumm fehlte, ihre richtigen Ein-
sichten auch durchzusetzen.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz: Die Pressefreiheit und die Frei-
heit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film sind
konstituierend für unsere freiheitliche Verfassung. Sie ge-
währleisten den in diesem Bereich tätigen Personen und
Unternehmen Freiheit von staatlichem Zwang. Hierzu
gehört der Schutz der Informationsbeschaffung ebenso
wie die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit einschließ-
lich des Schutzes solcher Unterlagen, die das Ergebnis ei-
gener Beobachtungen und Ermittlungen enthalten.
Presse- und Rundfunkfreiheit bilden die Voraussetzung
dafür, dass die Medien ihr Wächteramt gegenüber Poli-
tik und Gesellschaft wirksam ausüben können.
Bereits seit der 12. Legislaturperiode damals auf der
Grundlage von Anträgen des Bundesrates und der SPD-
Bundestagsfraktion beschäftigt sich dieses Haus mit der
Frage, wie das Zeugnisverweigerungsrecht der Journa-
listen besser mit dem staatlichen Auftrag der Sachauf-
klärung im Strafverfahren austariert werden kann. Denn
es ist unbestreitbar, dass es in der Vergangenheit mehrfach
zu Ermittlungsmaßnahmen gegen zeugnisverweigerungs-
berechtigte Journalisten kam, bei denen die Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grund-
rechte des Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht gesichert
erschien. Diese Gesetzesinitiativen scheiterten aber stets
am Widerstand der früheren Bundesregierung.
Die jetzige Bundesregierung hat sich der Aufgabe, die
insoweit dringend erforderlichen Konkretisierungen in
der Strafprozessordnung vorzunehmen, energisch und
das möchte ich betonen mit größtmöglicher Sorgfalt,
unter anderem nach einer umfassenden Befragung der
justiziellen Praxis und der betroffenen Verbände ich
nenne hier nur die Richterschaft, die Anwaltschaft und
selbstverständlich die Medienverbände , angenommen.
Ergebnis ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf, der
von dem Grundsatz geleitet wird: so viel Pressefreiheit
wie möglich, so viel Strafverfolgung wie nötig. Denn
auch der Auftrag des Staates zur Aufklärung von Strafta-
ten ist in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts zu Recht hervorgehoben worden.
Heute ist das sage ich mit großer Genugtuung ein
sehr guter Tag für die Pressefreiheit. Neben der seit lan-
gem geforderten Erweiterung des Zeugnisverweigerungs-
rechtes der Journalisten und des entsprechenden
Beschlagnahmeverbotes auf selbst recherchierte Erkennt-
nisse werden in den Schutzbereich des Zeugnisverweige-
rungsrechtes auch erstmals solche Personen aufgenom-
men, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Ver-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 2001 18175
(C)
(D)
(A)
(B)
breitung von nicht periodisch erscheinenden Druckwer-
ken, also insbesondere im Bereich der Buchpresse, von
Filmberichten und nicht zuletzt auch diese Ergänzung
war längst überfällig von neuen Informations- und
Kommunikationsdiensten, berufsmäßig mitwirken oder
mitgewirkt haben.
Lassen Sie mich zwei wichtige Elemente des Gesetz-
entwurfes der Bundesregierung hervorheben, die auch in
der vorangegangenen Diskussion des Rechtsausschusses
dieses Hauses eine zentrale Rolle gespielt haben. Aus-
nahmen von der Zeugnisfreiheit und vom Beschlagnah-
meverbot bei selbst recherchiertem Material sind nur
dann zulässig, wenn ein Verbrechen aufgeklärt werden
soll. Doch auch in diesen Fällen ist die Beachtung des Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatzes ausdrücklich hervorgeho-
ben worden. Diese klare Abgrenzung wurde auch in der
Anhörung im September letzten Jahres von Sachverstän-
digen ausdrücklich begrüßt. Gegenüber einem insbeson-
dere von der F.D.P. geforderten Straftatenkatalog hat diese
Lösung nicht nur den Vorzug der Klarheit und der Kon-
zentration auf Straftaten, die vom Gesetzgeber als beson-
ders schwer wiegend eingestuft worden sind. Sie vermei-
det auch die häufige Beliebigkeit von Katalogen und die
mit Katalogen stets verbundenen Nachbesserungsdiskus-
sionen. Nicht zuletzt gibt diese Regelung der Praxis ein
klares Abgrenzungskriterium an die Hand.
Außerdem wurde der Schutz vor Beschlagnahmen
auch in den Fällen verbessert, in denen der Journalist teil-
nahmeverdächtig ist oder es sich um deliktsverstrickte
Gegenstände handelt. Insoweit wurde die Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Grundrechte
aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes im Gesetz ausdrück-
lich festgeschrieben. Darüber hinaus wurde bestimmt,
dass solche Maßnahmen nur zulässig sind, wenn die Er-
forschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Auf-
enthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos
oder wesentlich erschwert wäre.
Der verschiedentlich erhobenen Forderung, die Zu-
griffsschwelle auf das Vorliegen dringenden Tatver-
dachts anzuheben, vermochte die Bundesregierung indes
nicht zu folgen. Denn der dringende Tatverdacht bedeu-
tet mehr als den sogar für die Anklageerhebung gefor-
derten Grad an Gewissheit. Deshalb ist die Verdachts-
schwelle des dringenden Tatverdachtes in der Straf-
prozessordnung bei keiner noch so schwer wiegenden Er-
mittlungsmaßnahme vorgesehen. Liegt dringender Tat-
verdacht vor, ist die Beweislage zur Anklageerhebung
nämlich bereits ausreichend. Weitere Ermittlungsmaß-
nahmen sind also nicht mehr erforderlich und wären da-
mit unverhältnismäßig.
Lassen Sie mich noch ein Wort in Richtung Bundesrat
sagen, dessen Wunsch nach Abstrichen beim Presseschutz
die Bundesregierung mit wohlerwogenen Gründen nicht
gefolgt ist. Insoweit ist es mein Anliegen, der Länder-
kammer die Überlegung nahe zu bringen, dass der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung durch seine klaren und
damit sehr praxistauglichen Vorgaben letztendlich auch
die Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften durch
Schaffung von Rechtssicherheit erleichtern wird.
Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzent-
wurf der Bundesregierung, der die Pressefreiheit und das
damit unabdingbar zusammenhängende Vertrauensver-
hältnis zur Presse wesentlich verbessert, ohne die berech-
tigten Belange der Strafverfolgung zu vernachlässigen.
Anlage 11
Amtliche Mitteilungen
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
schäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nach-
stehenden Vorlagen absieht:
Haushaltsausschuss
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Über- und außerplanmäßige Ausgaben im zweiten Viertel-
jahr des Haushaltsjahres 1999
Drucksachen 14/1488, 14/1577 Nr. 6
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Über- und außerplanmäßige Ausgaben im dritten Viertel-
jahr des Haushaltsjahres 1999
Drucksachen 14/2210, 14/2296 Nr. 1
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Über- und außerplanmäßige Ausgaben im vierten Viertel-
jahr des Haushaltsjahres 1999
Drucksachen 14/2830, 14/3048 Nr. 3
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/6395 Nr. 3.1
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksache 14/4665 Nr. 2.1
Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
Drucksache 14/4309 Nr. 1.2
Drucksache 14/5172 Nr. 2.86
Drucksache 14/5730 Nr. 2.15
Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 14/5836 Nr. 2.9
Drucksache 14/5836 Nr. 2.15
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 183. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juli 200118176
(C)
(D)
(A)
(B)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin