Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Eckpunkte einer gesetzlichen
Regelung für die Kraft-Wärme-Kopplung.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Werner Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Das Bundeskabinett hat heute Vormittag Eck-
punkte einer Regelung zur Förderung der Kraft-Wärme-
Kopplung auf der Basis einer von der Wirtschaft angebo-
tenen freiwilligen Selbstverpflichtung beschlossen.
Es geht darum, bis zum Jahre 2010 etwa 23 Millionen
Tonnen CO2 durch Maßnahmen im Bereich der Kraft-
Wärme-Kopplung einzusparen. Darüber hinaus enthält
die Selbstverpflichtung der auf dem Strommarkt tätigen
Unternehmen bzw. Verbände Maßnahmen zur Einsparung
von etwas über 20 Millionen Tonnen CO2, sodass bis zum
Jahre 2010 Einsparungen von 45 Millionen Tonnen CO2
erbracht werden.
Im Kern beinhaltet die Selbstverpflichtung auf dem
Feld der Kraft-Wärme-Kopplung die Modernisierung be-
stehender Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Dies bedeu-
tet einen Neubau von Anlagen, ohne dass deswegen die
Kapazitäten auf dem Strommarkt gewaltig erhöht wür-
den; eine gewisse marktorientierte Zubauregelung ist da-
bei vorgesehen.
Ergänzt wird diese Selbstverpflichtung der Stromwirt-
schaft erstens durch Anreize zum Ausbau kleiner Block-
heizkraftwerke bis zu einer Leistungsgröße von 2 Mega-
watt und zweitens durch eine besondere Förderung der
Brennstoffzellentechnik. Dabei handelt es sich um eine
Technik, mit der Strom und Wärme stationär erzeugt wer-
den können. Insofern kann man diese Technik auch unter
den Begriff Kraft-Wärme-Kopplung subsumieren, auch
wenn es eine Technik ist, die gerade erst am Horizont
sichtbar wird.
Zu dieser Selbstverpflichtung gehört, dass wir im Be-
reich der Modernisierung von Anlagen sowie bei dem
Restbetrieb alter, nicht sehr CO2-wirksamer Kraft-
Wärme-Kopplungsanlagen über ein Umlagesystem finan-
zielle Mittel in einem bestimmten Umfang jährlich ein-
sammeln, um sie an die Betreiber der Anlagen oder an die
Unternehmen, die neue Anlagen errichten, zu verteilen.
Diese Summe soll sich auf insgesamt 8 Milliarden DM
belaufen; hinzu kommen etwa 700 Millionen DM für das
Zusatzprogramm zur Förderung kleiner Blockheizkraft-
werke und Brennstoffzellenanlagen.
Ich will darauf hinweisen, dass diese Regelung das be-
stehende Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz ablöst und in-
sofern die Verbraucher auf dem Strommarkt gegenüber
heute keine Preiserhöhungen befürchten müssen. Die
Umlage im Bereich der jetzigen Regelung zur Kraft-
Wärme-Kopplung liegt nämlich in der Größenordnung
von rund 1,2 Milliarden DM, während die in der
Selbstverpflichtung der Wirtschaft enthaltene Umlage
maximal bei 1,2 Milliarden DM liegt, aber tendenziell ge-
ringer ist.
Die Umlage wird kontinuierlich auf Höhe und Notwen-
digkeit überprüft. Wir sind der Ansicht, dass sie im Zeit-
ablauf spezifisch sinken wird; denn wir gehen davon aus,
dass sich Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zunehmend
von alleine auf dem Markt werden behaupten können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Minister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. Als erstem
Fragesteller erteile ich dem Kollegen Ruck das Wort.
Herr Minister, kön-
nen Sie ungefähr abschätzen, wie hoch das CO2-Reduk-
tionsziel, in Tonnen ausgedrückt, bei dieser Gesetzes-
vorlage, also allein auf KWK gestützt, ist?
17805
181. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Beginn: 13.00 Uhr
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Nicht unter 20 Millionen Tonnen, mög-
lichst 23 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2010.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ruck,
eine Nachfrage? Bitte.
Allein durch KWK?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Allein durch KWK.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Hirche.
Herr Minister Müller, ange-
sichts der Tatsache, dass in einer Grundfrage Überein-
stimmung besteht, nämlich dass KWK einiges zur Errei-
chung des Klimaziels beitragen kann, bin ich doch von
Ihrer Darstellung heute überrascht. Sie behaupten, es kä-
men keine zusätzlichen Kosten auf uns zu. Das steht im
Widerspruch zu allem, was letzte Woche bei einer An-
hörung durch den zuständigen Ausschuss von den Ex-
perten in dem Zusammenhang gesagt worden ist. Ich habe
an Sie die Frage, ob Sie bei dieser Darstellung bleiben und
wie Sie angesichts der neuen wirtschaftlichen Daten das
Prinzip einer Weiterreichung von Kosten an Dritte eigent-
lich vertreten wollen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Erstens. Sie können davon ausgehen,
dass ich bei meinen Darstellungen bleibe; Sie kennen
mich ja. Wir haben heute, wie ich Ihnen eben sagte, eine
Marktumlage in der Größenordnung von 1,2 Milli-
arden DM. Diese Größenordnung wird nicht übertroffen.
Richtig ist, dass das heutige Kraft-Wärme-Kopplungs-
gesetz in den Jahren bis 2006 diese Marktumlage auf etwa
400 Millionen DM absenken würde. Wir erheben jetzt
eine Marktumlage, die im Spitzenwert etwa 1 Milli-
arde DM betragen kann, die aber längerfristig tendenziell
sinken wird. Wie gesagt, für jetzt und für das nächste Jahr
ist eine Erhöhung nicht gegeben.
Zweitens. Mich wundert, ehrlich gesagt, Ihre Frage-
stellung. Wir werden durch dieses Programm Investitionen
in einer Größenordnung zwischen 5 und 10 Milliarden DM
betreffend den Neubau von Stromerzeugungsanlagen an-
regen. Ich bin durchaus der Meinung, dass das für die kon-
junkturelle Situation jedenfalls nicht schädlich sein wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage
stellt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Herr Minister, die Eckpunkte
öffnen ja nur ein kleines Förderfenster, nämlich nur für
Anlagen unter 2 Megawatt für völlig neue Anbieter.
Meine Frage ist: Könnte dieses Handicap und der faktisch
fehlende gesetzliche Anspruch auf Netzzugang europa-
rechtlich zu Diskussionen führen? Dies ist zwar umwelt-
konform, es könnte aber wettbewerbsrechtliche Probleme
geben, weil ein geschlossener Markt entsteht.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich sehe das nicht so. Es ist jedermann
in diesem Lande freigestellt, auf der Basis dieser Förde-
rung Blockheizkraftwerke bis zu einer Größenordnung
von 2 Megawatt zu errichten. Die 2-Megawatt-Grenze re-
sultiert aus der bisherigen Freistellung von der Ökosteuer.
Dort ist diese Grenze schon einmal enthalten. Ich sehe das
also nicht so.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kutzmutz
hat noch eine Nachfrage. Bitte.
Herr Minister, in der Anhörung
spielte ein Gesetzentwurf der Gewerkschaft Verdi eine
Rolle. Wird dieser Gesetzentwurf bei der Arbeit in Ihrem
Haus bzw. im Umweltministerium bei der Novellierung
eine Rolle spielen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Insoweit der Gesetzentwurf sich mit
unseren Überlegungen deckt, schon. Dort, wo er von den
Eckpunkten abweicht, logischerweise nicht. Wir werden
diesen Gesetzentwurf, denke ich, Mitte August im Kabi-
nett verabschieden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Frage-
steller ist der Kollege Koppelin.
Herr Minister, bei solchen
Vereinbarungen gibt es ja sehr oft auch juristische Pro-
bleme zu lösen. Ich möchte Sie daher fragen: Haben Sie
diese Vereinbarung zum Beispiel durch das Bundesjustiz-
ministerium überprüfen lassen und zu welchem Ergebnis
ist das Bundesjustizministerium gekommen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an.
In der Zeit, als die F.D.P. noch die Wirtschaftsminister
stellte
ja, dann lassen Sie mich Ihnen antworten , ist ein Sys-
tem der Umlegung der Kohleverstromungskosten auf
Endverbraucher etabliert worden, das so genannte Kohle-
pfennigsystem, das dann vom Bundesverfassungsgericht
Ihren Wirtschaftsministern aus der Hand geschlagen
wurde.
Soviel ich weiß, hat das Bundesverfassungsgericht 1994
das, was die F.D.P.-Wirtschaftsminister gemacht haben, für
verfassungswidrig erklärt, und natürlich müssen wir diese
Grundsätze des Bundesverfassungsgerichtes beachten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117806
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Koppelin, Sie ha-
ben eine Nachfrage? Bitte.
Herr Minister, darf ich Sie
fragen, warum Sie meine Frage nicht beantwortet haben?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich denke, dass ich Ihre Frage beant-
wortet habe.
Das Justizministerium ist für Verfassungsfragen nicht
primär zuständig.
Die verfassungsrechtlichen Aspekte haben wir natür-
lich mit dem für Verfassung zuständigen Minister erörtert
und dies werden wir weiter tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sollten auf die im
Rahmen der Regierungsbefragung übliche Frage-und-
Antwort-Regelung zurückkommen.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Schauerte.
Zunächst einmal
freue ich mich, dass wir Sie wieder einmal im Parlament
haben.
Ich möchte Ihnen eine Frage zum Konflikt zwischen
Kraft-Wärme-Kopplung im industriellen Bereich und
Kraft-Wärme-Kopplung im kommunalen Bereich stellen.
Sind Sie der Meinung, dass mit dieser Regelung wirklich
eine Diskriminierung der industriellen Kraft-Wärme-
Kopplung gegenüber der kommunalen Kraft-Wärme-
Kopplung, wie sie im Moment im Gesetz enthalten ist,
verfassungsfest vermieden wird, oder wie bewerten Sie
diese Gleich- bzw. Ungleichbehandlung in der Verein-
barung?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Sie müssten festgestellt haben, Herr
Schauerte, dass diese freiwillige Selbstverpflichtung so-
wohl vom Bundesverband der Deutschen Industrie als
auch von der Vereinigung industrieller Stromerzeuger un-
terschrieben worden ist. Unternehmen des kommunalen
Bereiches sind industriellen Stromerzeugern insofern
gleichgestellt, als eingespeister Strom bezuschusst wird.
Ich habe eine
zweite Frage: Ermöglicht die gefundene Lösung ausrei-
chend Spielraum für Innovationen und können Sie einige
Beispiele nennen, wie sie Innovationen auch im Energie-
gewinnungsbereich fördert?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wir haben, wie ich Ihnen eben sagte,
das Schwergewicht auf die Modernisierung von Anlagen
gelegt. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel geben: Wenn Sie
heute eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage auf Basis der
Steinkohle betreiben, dann haben Sie in aller Regel einen
primärenergetischen Wirkungsgrad in der Größenord-
nung von 45 bis 50 Prozent. Wenn Sie diese auf eine
hochmoderne Gasanlage umstellen, haben Sie zunächst
einmal eine Primärenergie, die per se ein Drittel weniger
CO2-Ausstoß bewirkt. Das ist der Unterschied zwischen
Erdgas und Steinkohle. Zudem hat die Gasanlage einen
Wirkungsgrad in der Größenordnung von über 80 Pro-
zent, sodass ein weiteres Mal fast eine Halbierung des
CO2-Ausstoßes erreicht wird. Mit anderen Worten: Die
Umrüstung bestehender Kohle-Kraft-Wärme-Kopplungs-
anlagen auf hochmoderne Gasanlagen bringt sozusagen
einen fünffachen CO2-Effekt.
Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen auf Kohlebasis
verbrauchen heute zwischen 1,5 und 2 Millionen Tonnen
Steinkohle, überwiegend Importkohle. Das hat mit der
deutschen Steinkohle nichts zu tun.
Ich will aber Ihre Frage hinsichtlich des Anreizes zum
Einsatz neuer Technologien weiter beantworten. Wir
werden, denke ich, einen kleinen Neubauboom auch bei
Blockheizkraftwerken bis 2 Megawatt erreichen. Die
Technik wird über die kontinuierliche Anwendung sol-
cher Anlagen bei Neubauten weiterentwickelt. Ich ver-
weise darauf, dass wir für Stromeinspeisungen aus Brenn-
stoffzellen eine relativ großzügige Förderung vorgesehen
haben, sodass diese sehr modernen Techniken, die bisher
sagen wir es einmal so unwirtschaftlich waren, ein
gutes Stück weiter in den Markt rücken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist die Kollegin
Eva Bulling-Schröter mit ihrer Frage an der Reihe.
Herr Minister, in der
Vereinbarung mit der Energiewirtschaft sind gleich meh-
rere Deckel im Zusammenhang mit der in Gesetzesform
zu gießenden Bundesregelung enthalten: umlegbare
Gesamtkosten, Förderung kleinerer Neubauanlagen und
Mehrkostenobergrenzen.
Meine Frage: Wie sollen solche Parameter EU- und ver-
fassungsrechtlich unbedenklich in ein Gesetz Eingang fin-
den, dessen eigentlicher Zweck der Klimaschutz sein sollte?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wir müssen die gesamte Selbstver-
pflichtung gesetzlich umsetzen, weil die umgelegte
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001 17807
Bezuschussung von Modernisierungen und dem Neubau
von Anlagen ein tragendes Element ist. Wir müssen dies
hierzulande sowohl europarechtlich wie verfassungs-
rechtlich festlegen. Das ist in Arbeit. Wir sind absolut zu-
versichtlich, dass wir diese beiden Aufgabenstellungen
bis Mitte August erledigt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es weitere Fragen
zu diesem Themenkomplex? Das ist offensichtlich nicht
der Fall. Dann bedanke ich mich bei dem Herrn Wirt-
schaftsminister.
Wir kommen nun zu den freien Fragen im Rahmen der
Regierungsbefragung. Herr Eckart von Klaeden hat die
erste Frage.
Frau Präsidentin!
Ich nehme Bezug auf eine Meldung der Wochenzeitung
Die Zeit. Sie meldete heute um 10.40 Uhr, dass aus dem
Entwurf des Grundsatzprogramms der Grünen her-
vorgehe, dass militärische Einsätze der Bundeswehr in
Zukunft nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit im Bun-
destag beschlossen werden sollen. Weiterhin heißt es in
Der Zeit:
Bundeswehr und NATO sollen zwar nicht mehr wie
im gültigen Grundsatzprogramm von 1980 abge-
schafft werden, aber aufgelöst werden.
Darf ich Sie fragen, ob diese Ansichten eines der bei-
den Koalitionspartner insbesondere im Hinblick auf den
Mazedonien-Einsatz in der Kabinettssitzung eine Rolle
gespielt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es antwortet Herr
Staatsminister Schwanitz.
Herr Abgeordneter, dies hat keine Rolle gespielt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Koppelin
hat ebenfalls eine Frage an die Bundesregierung. Bitte.
Darf ich Sie fragen, ob das
Thema Mazedonien heute im Kabinett eine Rolle gespielt
hat? Wenn ja, dann bitte ich Sie, einmal zu sagen, in wel-
cher Form.
Herr Abgeordneter Koppelin, das ist nicht angesprochen
worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gibt es weitere Fragen
an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Damit
ist die Regierungsbefragung abgeschlossen.
Normalerweise könnten wir jetzt nahtlos in die Frage-
stunde übergehen. Aber da die Parlamentarische Staats-
sekretärin Gudrun Schaich-Walch noch nicht anwesend
ist, mache ich den Vorschlag, die Sitzung zu unterbrechen.
In einer Viertelstunde würde ich dann die Fragestunde
aufrufen.
Wir müssen uns jetzt schnell mit den Parlamentarischen
Geschäftsführern einigen. Ich unterbreche die Sitzung für
wenige Augenblicke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Es bleibt dabei, dass die Sitzung für 15 Minuten unter-
brochen wird und dass wir dann planmäßig mit den dring-
lichen Fragen aus dem Bereich des Bundesministeriums
für Gesundheit fortfahren. Ich denke, wir sollten den par-
lamentarischen Brauch, mit den dringlichen Fragen zu
beginnen, beibehalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 14/6499, 14/6537
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage
des Abgeordneten Wolfgang Lohmann
auf:
Wird die Bundesregierung dem Vorschlag des SPD-Fraktions-
vorsitzenden Peter Struck und des Vorsitzenden des Gesundheits-
ausschusses im Deutschen Bundestag, Klaus Kirschner, folgen
und zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung die
so genannte Positivliste für Arzneien, deren erster Entwurf am
3. Juli 2001 von der beauftragten Expertenkommission einstim-
mig beschlossen wurde, noch in diesem Jahr in das parla-
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Verfügung.
G
Sehr geehrter Herr
Kollege, die so genannte Positvliste der verordnungsfähi-
gen Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversi-
cherung wird als Rechtsverordnung des Bundesministeri-
ums für Gesundheit mit Zustimmung des Bundesrates
erlassen. Die Bundesregierung legt großen Wert darauf,
dass die Positivliste sorgfältig vorbereitet und in den
Fachkreisen intensiv erörtert wird. In einem ersten Schritt
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Bundesminister Dr. Werner Müller
17808
bereitet das Institut für die Arzneimittelversorgung in der
gesetzlichen Krankenversicherung, das aus unabhängigen
Sachverständigen besteht, einen Vorschlag vor, den es an
das Bundesministerium für Gesundheit übergibt.
Das Institut hat am 29. Juni 2001 den Entwurf eines
solchen Vorschlags einstimmig beschlossen, der nunmehr
an die Fachkreise zur Stellungnahme versandt werden
wird. Die dann eingehenden Stellungnahmen werden vom
Institut aufgearbeitet, bewertet und führen gegebenenfalls
zu Änderungen am Entwurf der Vorschlagsliste. Wann das
Institut den Vorschlag fertig stellen und dem Bundes-
ministerium für Gesundheit übergeben kann, hängt
insbesondere vom Umfang der eingehenden Stellungnah-
men ab.
Das Bundesministerium für Gesundheit wird auf der
Grundlage des Vorschlags des Instituts den Entwurf einer
Rechtsverordnung erstellen. Auch dieser wird das im Ge-
setz vorgesehene Anhörungsverfahren durchlaufen. Nach
Überarbeitung wird das Bundesministerium für Gesund-
heit das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie herbeiführen und den Ent-
wurf der Rechtsverordnung dem Bundesrat zur Zustim-
mung zuleiten.
Wie viel Zeit jeder dieser Schritte beanspruchen wird,
kann nicht genau vorhergesagt werden. Das Bundesminis-
terium für Gesundheit geht nach grober Schätzung bisher
davon aus, dass die Positivliste etwa Anfang des Jah-
res 2003 in Kraft treten kann. Die Bundesregierung wird
das Verfahren unter Wahrung der Qualität, der Transpa-
renz und der Rechtssicherheit der Vorschlagsliste so zügig
wie möglich durchführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Lohmann
hat das Wort zu einer Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, was sagt die Bundesregierung dazu,
dass die Süddeutsche Zeitung am 12. April 2001 ge-
schrieben hat, die Bundesgesundheitsministerin habe der
pharmazeutischen Industrie im Zusammenhang mit dem
Kompromiss über die Festbeträge bei Arzneimitteln das
Zugeständnis gemacht, die Positivliste nicht vor dem
Jahr 2003 umzusetzen?
G
Ich habe Ihnen so-
eben den Ablauf, wie mit der Positivliste umgegangen
wird, vorgetragen. Das ist im Gesetz geregelt. Andere Be-
hauptungen entbehren jeglicher Grundlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage des Kollegen Lohmann, bitte.
Ist
die Bundesregierung in diesem Fall frage ich Sie, Frau
Staatssekretärin der gleichen Meinung wie die Kollegen
Struck und Kirschner, die derselben Fraktion wie Sie an-
gehören, dass mit der Einführung der Positivliste eine fi-
nanzielle Entlastung der gesetzlichen Krankenversi-
cherung verbunden ist? Wie hoch beziffern Sie diese ge-
gebenenfalls?
G
Die Bundesregie-
rung geht im Wesentlichen davon aus, dass mit der Ein-
führung einer Positivliste eine enorme Qualitätsverbes-
serung der Arzneimittelversorgung unserer Bevölkerung
verbunden ist. Eventuelle Einspareffekte lassen sich nicht
in Mark und Pfennig belegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Inzwischen habe ich
eine ganze Liste von Kolleginnen und Kollegen, die eine
Nachfrage stellen möchten.
Die erste Nachfrage stellt der Kollege Koppelin.
Nach Ihren Antworten auf
die Fragen des Kollegen Lohmann möchte ich Sie fragen,
Frau Staatssekretärin Sie haben Ihre Antwort vorge-
lesen : Kann ich davon ausgehen, dass die Antwort, die
Sie uns soeben gegeben haben, wirklich korrekt ist oder
muss ich damit rechnen, dass Ihre Ministerin sie wieder
dementiert und korrigiert, wie es am Wochenende gesche-
hen ist?
G
Wir haben das ab-
gesprochen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun darf der Kollege
Storm eine Nachfrage stellen.
Frau Staatssekretärin,
die Bundesgesundheitsministerin hat am Wochenende
mehrfach erklärt, dass die Positivliste überhaupt keine nen-
nenswerten Kostendämpfungseffekte habe. Teilen Sie die-
se Auffassung? Warum wird dieses Instrument von Ihrer
Seite trotzdem noch immer fast täglich in der Debatte um
die Vermeidung von Beitragssatzsteigerungen gefordert?
G
Die Bundesregie-
rung ist davon überzeugt, dass es durch Qualitätsverbes-
serungen auch zu Beitragsentlastungen kommen kann.
Die Positivliste wird eine solch nennenswerte Qualitäts-
verbesserung darstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Als Nächster stellt der
Kollege Horst Seehofer eine Nachfrage, dem ich an die-
ser Stelle im Namen des gesamten Hauses ganz herzlich
zum Geburtstag gratuliere und alles Gute wünsche.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
17809
Vielen Dank, Frau Prä-
sidentin. Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie Negativ-
wirkungen dieser Positivliste auf die Patienten vermei-
den? Alle Medikamente, die künftig nicht mehr auf dieser
Liste stehen und trotzdem vom Patienten gewünscht wer-
den, sind ja zu 100 Prozent von ihm zu bezahlen, auch
wenn sie vom Arzt verschrieben werden. Haben Sie an
diesen Sachverhalt gedacht?
Wie wollen Sie soziale Härten vor allem chronisch
Kranke sind im Hinblick auf die Bioverträglichkeit auf
bestimmte Medikamente, die Sie ausgrenzen wollen, ange-
wiesen und eine Qualitätsverschlechterung vermeiden?
G
Die Positivliste
wird so ausgestaltet, dass sie Arzneimittel für sämtliche
Erkrankungen, die behandelbar sind, enthält. Sie enthält
nur solche Medikamente, deren Wirksamkeit und Qualität
eindeutig nachgewiesen wurden. Wir können also davon
ausgehen, dass auf der Positivliste für jede Erkrankung
und für jedes Krankheitsbild ausreichend Medikamente
aufgeführt sind, die Qualität dieser Medikamente nachge-
wiesen ist, die Positivliste so ist es vom Gesetz vorge-
schrieben ständig um neue innovative Medikamente er-
gänzt wird und alle auf der Positivliste stehenden
Medikamente zulasten der gesetzlichen Krankenversiche-
rung verschrieben werden können. Ich sehe überhaupt
keine Gefahr, dass Patientinnen und Patienten das, was
medizinisch notwendig ist, aufgrund wirtschaftlicher Kri-
terien nicht erhalten können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Bergmann-Pohl, Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Kol-
legin, die Positivliste ist ja nicht etwas völlig Neues. Wie
bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass bei Ab-
schaffung der Positivliste durch das 5. SGB V-Ände-
rungsgesetz im Jahre 1995 das Land Niedersachsen unter
der Führung des heutigen Bundeskanzlers im Bundesrat
der Abschaffung zugestimmt hat, und zwar aus Gründen
der mangelnden Sinnhaftigkeit einer solchen Positivliste?
G
Die Positivliste
dieser Regierung unterscheidet sich von der Positivliste
Ihrer Regierung im Wesentlichen dadurch, dass sämtliche
Krankheitsbilder berücksichtigt werden. Das war bei der
damaligen Positivliste nicht der Fall; ich denke nur an das
Krankheitsbild der Demenz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage
stellt die Kollegin Irmgard Schwaetzer.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie argumentieren so, als gäbe es diese von Ihnen
gerade so hochgelobte Positivliste bereits. Sie haben aber
in Ihrer ersten Antwort auf die Frage gesagt, dass Sie noch
einen unbestimmten Zeitraum benötigen, um über das zu
diskutieren, was in dieser Liste stehen soll. Demnach
kann es sich bei Ihren Aussagen im Moment nur um An-
nahmen handeln.
Was mir nicht in den Kopf gehen will, ist, dass diese
Regierung überhaupt keine Vorstellung davon hat, wie
lange ein solcher Prüfungszeitraum dauert. Ich würde von
Ihnen gerne wissen, ob Sie noch vor der Bundestagswahl
2002 einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorlegen
und in das Gesetzgebungsverfahren einbringen werden
oder ob Sie sich mit diesem Verfahren nicht vielmehr über
die Bundestagswahl hinwegretten wollen, um anschlie-
ßend, was sehr vernünftig wäre, keine Positivliste aufstel-
len zu müssen.
G
Sehr geehrte Kol-
legin, ich habe Ihnen vorhin gesagt, dass es einen Vor-
schlag der Kommission gibt. Den gesamten Verfahrens-
ablauf bestimmt nicht die Bundesregierung. Dieser ist
vom Parlament gesetzlich geregelt worden. Die Bundes-
regierung hält sich an diese gesetzlichen Regelungen.
Dieser Vorschlag wird jetzt allen Kreisen, der Pharmain-
dustrie, den Krankenkassen, den Patientenverbänden und
den von diesem Bereich betroffenen Kreisen, zur Stellung-
nahme zugeleitet. Ich hatte Ihnen gesagt, dass auch das
Gesetz mögliche Korrekturen zulässt, zum Beispiel,
wenn Unterlagen nachgereicht werden, die bei Erstellung
der Vorschlagsliste nicht vorhanden waren. Dieses Ver-
fahren werden wir zeitlich so durchführen, wie es im Ge-
setz geregelt ist. Wir werden das gründlich und solide
durchführen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir da-
von ausgehen, dass wir bei guter und zügiger Arbeit, aber
immer die Qualität im Auge behaltend, Anfang 2003 das
hatte ich in der Antwort auf die erste Frage von Herrn
Lohmann gesagt die Positivliste zur Verfügung stellen
können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Eckart von Klaeden mit seiner Nachfrage an der Reihe.
G
Ich kann Ihnen das
sagen: Im Herbst 2002 läuft ein ausgesprochen transpa-
rentes Verfahren, an dem Sie alle teilhaben können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war jetzt ein
Dialog außer der Reihe.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117810
G
Diese Regierung
wird ihre Arbeit, die notwendig ist, nicht einstellen, weil
Wahlen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist aber wirklich
der Kollege Eckart von Klaeden mit seiner Nachfrage an
der Reihe.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben im Hinblick auf die Positivliste von
Einspareffekten gesprochen, die nicht in Mark und
Pfennig zu berechnen seien. Deswegen frage ich Sie ers-
tens: Auf welcher Grundlage werden denn im Gesund-
heitsministerium Einspareffekte berechnet?
Zum Zweiten: Zu welchen Ergebnissen hat das ge-
führt?
G
Ich hatte Ihnen be-
reits gesagt, dass es das Bestreben dieser Bundesregie-
rung ist, die Qualität der Arzneimittelversorgung sicher-
zustellen,
das permanent zu tun und eine Hilfe auch bei der Auswahl
für die Arzneimitteltherapie an die Hand zu geben. Das
steht im Vordergrund.
Wenn was aus anderen Ländern bekannt ist bei den
verschiedensten Krankheitsbildern eine vernünftige Arz-
neimitteltherapie am Ende auch zu guten Ergebnissen
führt, sodass manche Folgeschäden bei Patientinnen und
Patienten vermieden werden können, dann ist das ein Er-
gebnis in Bezug auf die Qualität. Aber am Ende wird es
sich auch in Geld ausdrücken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommt der Kol-
lege Zöller mit seiner Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben in Ihren Ausführungen gesagt, Sie wollten die
Positivliste hauptsächlich aus Gründen der Wirksamkeit
der Arzneimittel. Ist es nicht so, dass in Deutschland ein
Mittel nur dann als Arzneimittel zugelassen werden darf,
wenn seine Wirksamkeit im Zulassungsverfahren nachge-
wiesen werden kann? Wenn Sie dies also machen wollen,
müssten Sie das Zulassungsverfahren ändern und bräuch-
ten nicht eine neue Positivliste. Wenn Sie aber einen an-
deren Weg gehen wollen, dass Sie nämlich einen zusätz-
lichen Wirksamkeitsnachweis in Form der Positivliste
einführen, dann werden Sie wohl erleben, dass alle Na-
turheilmittel aus dieser Liste herausfallen.
G
Die Naturheilmittel
können aus dieser Liste gar nicht herausfallen, weil sie
sich im Anhang der Liste befinden. Das ist im gültigen
Gesetz geregelt.
Zu dem zweiten Bereich kann ich Ihnen sagen, dass in
die Positivliste das ist ebenfalls geregelt alle Arznei-
mittel kommen, die den Wirkungsnachweis, die EU-Zu-
lassung haben.
Aber, Herr Zöller, Sie wissen genauso gut wie ich: Eine
Reihe von Arzneimitteln, die bei uns auf dem Markt sind,
haben diesen Wirkungsnachweis nicht; mit ihnen haben
wir zum Teil auch gute Erfahrungen gemacht. Die wollen
wir behalten. Aber die anderen, bei denen man diesen
Nachweis nicht erbringen kann und die nicht nach den
neuen Kriterien zugelassen sind, sollten nicht zulasten der
gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Die
kann man sich letztendlich auch so besorgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der dringlichen
Frage und der Vielzahl von Nachfragen rufe ich jetzt zum
selben Fragenkreis nacheinander die Fragen 41 bis 45 auf,
da diese nach Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde
ebenfalls vorgezogen werden.
Wir kommen zuerst zur Frage 41 des Kollegen Horst
Seehofer:
Kann Bundeskanzler Gerhard Schröder die Aussage der
Süddeutschen Zeitung vom 27. Juni 2001, im Bundeskanzler-
amt sei ein Strategiepapier zum Vorhaben des Bundesministe-
riums für Gesundheit für die nächste Legislaturperiode unter dem
Titel Fortführung der Gesundheitsreform erarbeitet worden,
bestätigen?
G
Herr Kollege, ein
Strategiepapier des Bundeskanzleramtes existiert nicht,
sondern nur eine unverbindliche Sichtung von einschlä-
gig bekannten Diskussionsbeiträgen durch die Fachebene
ohne jegliche Handlungsempfehlung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Nach-
frage des Kollegen Seehofer. Bitte.
Frau Staatssekretärin,
kann Ihre Aussage überhaupt zutreffen, wenn Anfang die-
ses Jahres der Bundeskanzler in der Zeitschrift Die Neue
Gesellschaft Frankfurter Hefte wörtlich Folgendes aus-
geführt hat:
Ein Gesundheitswesen ohne finanzielle, geistige und
in diesem Fall buchstäblich körperliche Selbstbetei-
ligung der Versicherten ist nicht mehr vorstellbar.
Außerdem hat der Staatsminister beim Bundeskanzler,
der Kollege Bury, im Frühjahr 1999 gegenüber der Nach-
richtenagentur Reuters erklärt, dass bei der gesetzlichen
Krankenversicherung niedrige Tarife angeboten werden
sollten, die nur Unfälle und schwere Krankheiten ab-
decken, und dass die Behandlung kleinerer gesundheit-
licher Probleme durch die Versicherten selbst zu zahlen
ist. Diese Gedanken finden sich in dem Papier wieder.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001 17811
Inwieweit können Sie Ihre Aussage aufrechterhalten,
dass es nur eine Beamtenmeinung sei, wenn die Chefs des
Hauses in öffentlichen Verlautbarungen und namentlich
gezeichneten Artikeln genau diese These wiedergegeben
haben? Teilen Sie die Meinung des Bundeskanzlers, die er
zum Ausdruck gebracht hat?
G
Dazu möchte ich
Folgendes sagen: In dem Artikel des Bundeskanzlers fin-
det sich nichts darüber, dass die Eigenbeteiligungen, die
bereits in diesem System vorhanden sind die Zuzahlun-
gen sind ja von Ihnen nicht unerheblich heraufgesetzt
worden; das musste von uns nach unten korrigiert wer-
den , ausgeweitet werden. Ich bin daher der festen Über-
zeugung, dass an diesem Punkt nichts geändert wird.
Dass wir im Bereich der Prävention da ist auch die
Ministerin mit dem Bundeskanzler einer Meinung sehr
viel mehr tun müssen, spiegelt sich auch darin wider, dass
wir mit der Gesundheitsreform 2000 der Prävention einen
sehr viel höheren Stellenwert einräumen. An der Präven-
tion muss sich aber der Versicherte immer selbst aktiv be-
teiligen, wenn sie Wirkung zeigen soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Seehofer
hat noch eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
da Sie offensichtlich wie wir gerade gehört haben eine
sehr große Neigung haben, Maßnahmen im Gesundheits-
wesen erst zu Beginn des Jahres 2003, also ein Vierteljahr
nach der Bundestagswahl, in Kraft zu setzen, will ich fra-
gen: Können Sie heute definitiv ausschließen, dass dieses
Strategiepapier des Kanzlerministers und die persönlichen
Meinungen des Kanzlers und seines Kanzleramtschefs in
den nächsten Monaten oder gar erst nach der Bundestags-
wahl wenn Sie weiterhin die Verantwortung haben
Grundlage Ihrer Politik werden könnten?
G
Die Gesundheits-
ministerin hat einen runden Tisch eingerichtet. Dort und
in verschiedenen Arbeitsgruppen wird darüber diskutiert,
wie das Gesundheitswesen der Zukunft aussehen soll. Das
wird die Grundlage für unsere Vorschläge sein, die wir
dann dem Parlament unterbreiten, damit die eventuell
weiter notwendigen Gesundheitsreformmaßnahmen für
das Jahr 2003 beraten werden können.
Wir haben eine ganze Reihe von Regelungen in Angriff
genommen, die ebenfalls im Jahre 2003 in Kraft treten
werden, zum Beispiel die Einführung der Fallpauschalen
im Krankenhauswesen. Ich kann Ihnen versichern, dass es
bei uns im Hause keine Ansätze gibt, über eine grundsätz-
liche Änderung der solidarisch finanzierten gesetzlichen
Krankenversicherung, über das Sachleistungsprinzip oder
über eine eventuelle Ausweitung der Zuzahlungen nach-
zudenken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Nachfrage der
Kollegin Kors.
Frau Staatssekretärin,
Sie sprachen eben davon, dass das Strategiepapier nur
eine Sichtung sei. Können Sie uns heute erklären, wie die
tatsächlichen Richtlinien des Bundeskanzlers in der Ge-
sundheitspolitik sind?
G
Die Regierung und
die sie tragende Koalition haben sehr klare Vorstellungen.
Ich sagte bereits, dass wir die Basis der solidarischen Fi-
nanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
verlassen, dass wir wo möglich das Sachleistungs-
prinzip erhalten und dass wir Zuzahlungen senken, wenn
es mit der Beitragssatzstabilität vereinbar ist.
Wir werden weiterhin die Maßnahmen durchführen,
die absolut notwendig sind, um für etwas mehr Wettbe-
werb zu sorgen. Diese Maßnahmen müssen aber sinnvoll
sein, wie es im Krankenhausbereich mit den neuen Tari-
fen der Fall ist. Wir setzen weiterhin auf eine Verbesse-
rung der Prävention. Absoluten Vorrang hat die Qualität
im Gesundheitswesen. Deshalb werden wir im Rahmen
des Risikostrukturausgleichs zum Beispiel Programme
zur besseren Versorgung von chronisch kranken Men-
schen auflegen. Das ist ein weiterer Beitrag zur besseren
Versorgung und zur Einsparung von Kosten im Gesund-
heitswesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt eine Nachfrage
der Kollegin Bergmann-Pohl.
Frau
Staatssekretärin, die Äußerungen des Bundeskanzlers und
des Kanzleramtsministers stehen nun einmal im Raum.
Dieses so genannte Sichtungspapier ist der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht worden. Ich frage Sie in diesem Zu-
sammenhang: Bekennt die Bundesregierung mit diesen
Äußerungen, mit diesem Papier und mit der Abschaffung
der Arznei- und Heilmittelbudgets, dass ihre bisherige
Gesundheitspolitik gescheitert ist?
G
Die bisherige Po-
litik ist nicht gescheitert. Wir haben eines der besten
Gesundheitswesen weltweit. Wir haben im Gegensatz zu
Ihnen über einen längeren Zeitraum für Beitragssatzstabi-
lität gesorgt.
Die Qualität der gesundheitlichen Versorgung wird
schrittweise verbessert. Ein wichtiger Schritt dabei ist si-
cher, dass wir das Arzneimittelbudget, wie es jetzt exis-
tiert, aufheben werden im Moment ist es noch gültig
und dass wir zu anderen Festlegungen, wie Therapien aus-
zugestalten sind, kommen werden. Dass wir uns von der
Budgetierung weiter entfernen werden, werden Sie sehr
deutlich sehen, wenn Sie in den nächsten Wochen den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Horst Seehofer
17812
Entwurf des Ministeriums zur Einführung des neuen
Preissystems im Krankenhausbereich bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Andreas Storm an der Reihe.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben sich an der durch das Strategiepapier in der
vergangenen Woche ausgelösten Diskussion am Wochen-
ende auch durch eigene Vorschläge beteiligt und gefor-
dert, die Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversi-
cherung auf jene in der Rentenversicherung zu erhöhen.
Ihre Ministerin hat diesen Vorschlag postwendend abge-
lehnt. War dieser Vorschlag im Ressort abgestimmt und
halten Sie diesen Vorschlag trotzdem aufrecht?
G
Ich habe in dem Presse-
gespräch gesagt, dass es jetzt keine Debatte über eine
eventuelle Erhöhung der finanziellen Mittel für die ge-
setzliche Krankenversicherung geben kann und geben
darf und dass im Vordergrund die Verbesserung der Quali-
tät steht. Das machen wir im Rahmen des runden Tisches.
Wenn wir das geregelt haben, werden wir sehen, welchen
Finanzbedarf die gesetzliche Krankenversicherung hat.
Dann werden wir alle Möglichkeiten eine davon ist si-
cher die, die ich angedeutet habe prüfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Frage
kommt vom Kollegen Zöller.
Frau Staatssekretärin,
eine Frage zu Ihrer Äußerung, Sie hätten mit Ihrer so ge-
nannten Gesundheitsreform im Gegensatz zu der Vorgän-
gerregierung für stabile Beiträge gesorgt: Stimmen Sie
mir zu, dass die Beiträge nach der Verabschiedung der Ge-
sundheitsreform 1992 in den Jahren 1993, 1994, 1995,
1996, 1997 und 1998 stabil waren und dass die AOK ge-
rade in dem Land, aus dem Sie kommen, in Hessen, in die-
sem Jahr ihren Beitragssatz um einen Beitragssatzpunkt
das sind 7,25 Prozent erhöht?
G
Ich stimme Ihren
Ausführungen nicht zu, weil sich in der Zeit von 1991
In Ihrer Regierungszeit hat sich der Beitragssatz von
12,3 Prozent in 1991 auf 13,6 Prozent in 1998 erhöht.
Seitdem ist der Durchschnittsbeitragssatz der Kranken-
kassen sogar geringfügig auf 13,5 Prozent abgesenkt
worden. Zum 1. Juli 2001 lag dieser Beitragssatz wieder,
wie 1998, bei 13,6 Prozent. Nichtsdestotrotz ist es natür-
lich angebracht, darauf zu achten, dass die Beiträge nicht
steigen.
Zur AOK Hessen kann ich Ihnen sagen, dass die dor-
tige Beitragssatzsteigerung schon viel früher fällig gewe-
sen wäre. Das trifft nicht nur für die AOK Hessen zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Lohmann, Ihre Nachfrage, bitte.
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Glauben Sie denn, dass der Bundeskanzler die von
Frau Bundesministerin Schmidt am Wochenende in der
Sendung Berlin direkt gemachte Äußerung, die Bemes-
sungsgrundlage zur Ermittlung der Krankenkassenbei-
träge müsse verbreitert werden, zum Beispiel durch die
Einbeziehung von Kapitaleinkünften, von Erträgen aus
Grundbesitz und von Mieteinnahmen, unterstützen wird?
G
Für diesen Bereich
gilt das Gleiche, was ich vorhin ausgeführt habe. Wir
bemühen uns jetzt um Qualitätsverbesserung,
um Neustrukturierungen im System. Eine Erhöhung der
Mittel für das System ist zum augenblicklichen Zeitpunkt
nicht das Thema der Debatte. Langfristig wird man im Zu-
sammenhang mit den Fragen: Was wollen wir in diesem
Gesundheitswesen leisten? Was brauchen die Menschen?
schon alleine aufgrund der demographischen Entwick-
lung über die Finanzierung reden müssen. Das wird in der
langfristigen Perspektive sicher auch ein Moment sein,
das neben anderen zur Diskussion steht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen zur
Frage 42 des Kollegen Horst Seehofer:
Trifft die Aussage der Süddeutschen Zeitung zu, dass in die-
sem Strategiepapier die Einführung einer Kapitaldeckung für die
Altersrückstellung in der Krankenversicherung nach dem Vorbild
der Rente angedacht ist?
G
Entsprechende Pla-
nungen gibt es definitiv nicht. Es gibt hierzu lediglich un-
verbindliche Sichtungen von einschlägig bekannten Dis-
kussionsbeiträgen durch die Fachebene ohne jegliche
Handlungsempfehlung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Nachfrage
des Kollegen Seehofer.
Frau Staatssekretärin,
nachdem Sie uns gerade eindrucksvoll bestätigt haben,
dass die Beitragssätze nach der Gesundheitsstruktur-
reform 1992 von 1993 bis einschließlich 1998 stabil wa-
ren darüber hinaus wurden 1997 und 1998 Milliardenü-
berschüsse erwirtschaftet , frage ich Sie: Wie würden
Sie aus der Sicht der Regierung und nicht aus der Sicht
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
17813
des runden Tisches die Beitragsentwicklung für die Zeit
bis Mitte des nächsten Jahres verbindlich einschätzen?
G
Wir haben jetzt
zwei Erhöhungen gehabt. Ich sehe im Moment nicht, dass
weitere Erhöhungen anstehen.
Die Reserven, die Sie gehabt haben, Herr Seehofer da-
ran möchte ich nur erinnern , ergaben sich nicht aufgrund
von Wirtschaftlichkeit, sondern diese Reserven haben
sich angesammelt, weil Sie durch eine Erhöhung der Zu-
zahlungen Gelder eingenommen haben. Wir sind der
festen Überzeugung, dass die Versicherten hierdurch über
Gebühr belastet worden sind.
Wir gehen davon aus, dass die Maßnahmen, die einge-
leitet worden sind bzw. die mit den gesetzlichen Regelun-
gen, die am kommenden Freitag beschlossen werden, ein-
geleitet werden, langfristig zu Stabilität in der gesetzlichen
Krankenversicherung beitragen werden.
Frau Staatssekretärin,
wie erklären Sie sich, dass je nach Umfrage zwischen
zwei Drittel und drei Viertel der Bevölkerung Ihre Ge-
sundheitspolitik nicht mehr verstehen? Glauben Sie, dass
Sie mit den Allgemeinplätzen, die Sie heute wieder bie-
ten, dieses hohe Maß an Unverständnis in der Bevölke-
rung reduzieren können?
G
Herr Seehofer, ich
bin davon überzeugt, dass es keine Allgemeinplätze sind,
wenn wir den Menschen mitteilen, dass wir uns mit sehr
konkreten Versorgungsprogrammen besonders der Gruppe
der chronisch Kranken annehmen. Das wird verstanden
werden; darüber mache ich mir gar keine Gedanken. Es ist
auch von sämtlichen Gruppen der chronisch Kranken ver-
standen worden, dass wir die Einführung von Wahl- und
Regelleistungen verhindert haben. Wäre es dazu gekom-
men, hätten die chronisch Kranken vor der Tür gestanden.
Die Menschen werden auch verstehen, dass wir dafür
Sorge tragen müssen, dass die Solidarität in der gesetz-
lichen Krankenversicherung erhalten bleibt.
Ferner kann ich Ihnen sagen: Uns liegen Umfragen vor,
aus denen hervorgeht, dass die Menschen in der Bundes-
republik mit diesem Gesundheitswesen recht zufrieden
sind. Ich meine, wir sollten alle beide daran arbeiten, dass
die Zufriedenheit mit diesem System erhalten bleibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt folgt die erste
Nachfrage des Kollegen Storm.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben vorhin erklärt, dass Sie im Zuge der Überlegun-
gen für weitere Reformen Ihren Vorschlag prüfen, die
Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung
auf das Niveau der Rentenversicherung, also deutlich, an-
zuheben, dass der Vorschlag der Ministerin geprüft wird,
in Zukunft auch andere Einkunftsarten, wie Kapitalerträ-
ge, Mieteinnahmen oder Zinsen, in die Beitragspflicht zur
gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen.
Prüfen Sie auch den Vorschlag der gesundheitspoliti-
schen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Kollegin
Schmidt-Zadel, wonach Rauchen und Alkoholgenuss in
Zukunft ebenfalls mit neuen Abgaben zur Sanierung des
Gesundheitssystems belegt werden sollen, und welche
weiteren zusätzlichen Belastungen werden in Ihrem
Hause noch geprüft?
G
Es werden in unse-
rem Hause überhaupt keine zusätzlichen Belastungen ge-
prüft.
Sie müssen mich sehr deutlich missverstanden haben. Ich
habe nicht gesagt, dass wir diese Vorschläge prüfen; viel-
mehr handelt es sich einfach um eine Reihe von Diskus-
sionsvorschlägen, die wir regelmäßig ins Haus bekom-
men; hier wird auf der Arbeitsebene geschaut, was davon
zu halten ist. Das ist die ganz normale Arbeitsweise eines
Ministeriums.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat Herr Kollege
Lohmann das Wort.
Nein, ich stelle nicht dieselbe Frage, sondern gehe auf das
ein, was die Staatssekretärin gesagt hat.
Sie haben eben gesagt, Ihnen sei außer einer respektive
zwei Beitragssatzerhöhungen nichts weiter von Beitrags-
satzerhöhungen bekannt, und wollten damit darauf ver-
weisen, es handele sich nur um 0,089 Prozent. Nehmen
Sie denn Briefe, die Ihnen die verschiedenen Kranken-
kassen schon geschrieben haben und in denen sie Bei-
tragssatzerhöhungen zum 1. Juli da ist es jetzt klar und
zum 1. Januar 2002 verbindlich angekündigt haben, nicht
zur Kenntnis? Ist das alles nur ein Rauschen im Blätter-
wald?
G
Wir haben uns jetzt
mit diesen Beitragssatzerhöhungen auseinander zu set-
zen. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir nach einer gering-
fügigen Beitragssatzabsenkung in diesem Jahr wieder bei
13,6 Prozent liegen, wie es auch im Jahre 1998 der Fall
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Horst Seehofer
17814
war. Diese Zahl ist sehr passabel. Natürlich nehmen wir
es ernst, wenn uns Kassen mitteilen, dass sie Probleme
hätten. Deshalb werden wir zum Beispiel auch Verän-
derungen im Risikostrukturausgleich vornehmen und uns
bemühen, das sehr zeitgerecht zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen nun zur
Frage 43 des Kollegen Wolfgang Zöller:
Trifft die Aussage der Süddeutschen Zeitung vom 27. Juni
2001 zu, dass in einem Strategiepapier des Bundeskanzleramtes
die Einführung von Grund- und Wahlleistungen, gepaart mit
privaten Zusatztarifen, erörtert wird?
G
Ein Strategiepapier
des Bundeskanzleramtes existiert nicht, lediglich eine un-
verbindliche Sichtung von einschlägig bekannten Diskus-
sionsbeiträgen.
Ich antworte auf die Frage 43, die so gestellt worden ist.
Dieses Papier ist auf der Fachebene erstellt worden und
enthält keinerlei Handlungsempfehlung. Alle Spekula-
tionen, die Sie hier jetzt dazu tätigen, entbehren jeglicher
Grundlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Zöller
hat eine erste Nachfrage.
Ich bin etwas über-
rascht, dass im Bundeskanzleramt jeder ungeprüfte, un-
kontrollierte und unsinnige Vorschläge machen zu dürfen
scheint und anschließend niemand darüber spricht.
Es kann doch wohl nicht sein, dass niemand einen Auftrag
erteilt hat. Deshalb die Frage an Sie: In wessen Auftrag ist
dieses so genannte unverbindliche Sichtungspapier er-
stellt worden?
G
Ich habe Ihnen be-
reits mitgeteilt, dass es ein Strategiepapier, von dem Sie
reden, nicht gibt. Wenn es ein solches Papier nicht gibt,
dann gibt es dafür auch keinen Auftrag.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da Herr Kollege
Zöller stehen bleibt, hat er offensichtlich eine zweite
Nachfrage.
Vielen Dank, dem ist
so. Wenn Sie sagen, dieses Papier gebe es nicht, dann ist
also ein Papier vom Bundeskanzleramt nach außen ge-
drungen, das es gar nicht gibt. Mir fällt es schwer, dies zu
verstehen.
G
Ich habe Ihnen be-
reits gesagt, dass es ein Strategiepapier, wie Sie es in
Ihrer Frage ausdrückten ein solches Papier hätte einen
völlig anderen Stellenwert , nicht gibt, sondern dass es ein
Arbeitspapier gibt, das leider nach außen gedrungen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine
Nachfrage des Kollegen Schauerte.
Frau Staatssekretä-
rin, wir sind dankbar, dass jetzt feststeht, dass es ein Pa-
pier gibt.
G
Das hat nie jemand
bestritten.
Ja, Sie haben es ja
gerade verneint.
G
Nein, es geht um
den Stellenwert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es sollte zumindest noch verständlich sein,
wer hier fragt und wer hier antwortet.
Es gibt also ein Pa-
pier. Dann haben Sie gesagt, dieses enthalte nur Sich-
tungspunkte. Was macht man denn mit Sichtungspunkten,
die aus dem Kanzleramt kommen und von der Ministerin
in der Öffentlichkeit angesprochen werden? Prüft man sie
nie oder prüft man sie nur jetzt nicht? Prüft man sie spä-
ter oder tut man so, als hätte es sie nie gegeben? Was sol-
len Vorschläge und Sichtungspunkte, wenn sie nicht ge-
prüft werden? Warum haben Sie das in Abrede gestellt?
G
Es gehen uns im-
mer sehr viele Vorschläge zu. Ein Strategiepapier ist an-
ders als ein Sichtungspapier zu beurteilen. Wenn es ein
nennenswertes Papier wäre, dann enthielte es Handlungs-
optionen. Es gibt aber keinerlei Handlungsempfehlungen.
Nein, wir prüfen es nicht, sondern wir lesen es.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
17815
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt wieder eine
Reihe von Kollegen, die nachfragen wollen. Ich fange mit
Herrn Seehofer an.
Frau Staatssekretärin,
trifft es zu, dass Ihre Ministerin über dieses Papier mit
dem Bundeskanzler gesprochen und ihr Befremden zum
Ausdruck gebracht hat, dass im Bundeskanzleramt am
Bundesgesundheitsministerium vorbei ein Strategiepa-
pier jedenfalls aus der Sicht des Bundeskanzlers ge-
fertigt wurde?
Trifft es zu, dass ein solches Gespräch stattgefunden hat
und darüber Befremden geäußert wurde?
G
Da es das Strate-
giepapier nicht gegeben hat, kann es auch dieses Gespräch
nicht gegeben haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Fromme an der Reihe.
Frau Staats-
sekretärin, in wessen Auftrag und von wem ist dieses Pa-
pier erstellt worden?
G
Es gibt keinen Auf-
trag zur Erstellung dieses Papieres. Das haben wir schon
gehabt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte darum, ein Stück weit auf die
Form zu achten.
G
Ich hatte vorhin
gesagt: Ein Strategiepapier des Bundeskanzleramtes exis-
tiert nicht, sondern eine unverbindliche Sichtung von
einschlägig bekannten Diskussionsbeiträgen durch Mit-
arbeiter der Fachebene, und zwar ohne jegliche Hand-
lungsempfehlung. Die Spekulationen, die Sie hier dies-
bezüglich immer wieder anstellen, entbehren nach wie vor
jeglicher Grundlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Nachfra-
gende ist der Kollege Storm.
Frau Staatssekretärin,
da Sie uns in der letzten Viertelstunde mehrfach erklärt
haben, dass es nicht nur dieses Papier nicht gibt, sondern
dass im Bundeskanzleramt auch generell kein Strategie-
papier vorhanden ist und dass in den nächsten Monaten
über eine Reihe von wenn auch ungeprüften Vor-
schlägen aus Ihren Reihen diskutiert werden soll: Bedeu-
tet das, dass im Bundeskanzleramt und möglicherweise
auch im Gesundheitsministerium noch überhaupt keine
Strategie hinsichtlich der langfristigen Entwicklung im
Gesundheitswesen vorhanden ist?
G
Ich habe Ihnen die
Strategie der Bundesregierung im Hinblick auf die lang-
fristige Entwicklung im Gesundheitswesen bereits vorge-
tragen. Sie orientiert sich an folgenden Punkten: Präven-
tion, Qualität, sozialverträglicher Wettbewerb und das
Ganze solidarisch finanziert.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war jetzt der ano-
nyme Fragesteller zwischendurch.
Jetzt ist der Kollege Weiß an der Reihe.
Frau
Staatssekretärin, nachdem Sie uns dargelegt haben, dass
es ein Papier gibt egal, ob es als Strategiepapier, Ar-
beitspapier, Sichtungspapier oder sonst was qualifiziert
wird , und Sie auf mehrere Nachfragen diesbezüglich
noch nicht geantwortet haben: Könnten Sie uns bitte sa-
gen, wer den Auftrag zur Abfassung dieses Papiers gege-
ben hat und wer dieses Papier verfasst hat? Für den Fall,
dass Sie diese beiden Fragen wieder damit beantworten
sollten, dass es diesen Auftrag und dieses Papier nicht
gebe, frage ich Sie, ob es üblich ist, dass im Bundes-
kanzleramt Beamte ohne jeden Auftrag und ohne Anlass
irgendwelche Papiere schreiben.
G
Ich habe Ihnen be-
reits gesagt, dass es sich um eine unverbindliche Sichtung
von einschlägig bekannten Diskussionsbeiträgen durch
Mitarbeiter der Fachebene, und zwar ohne jegliche Hand-
lungsempfehlung, handelt. Das ist immer noch so!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117816
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist die Kollegin
Bergmann-Pohl an der Reihe.
Frau
Staatssekretärin, noch einmal vielleicht auch für die
Bevölkerung zur Klarheit:
Herr Kollege, wären Sie so gnädig, etwas ruhiger zu
sein, damit ich meine Frage stellen kann? Gibt es nach
den unterschiedlichen Äußerungen der Staatssekretärin
und der Bundesgesundheitsministerin, der Sichtung von
Diskussionsbeiträgen durch Beamte im Kanzleramt und
den Gesprächen des runden Tisches im Gesundheits-
wesen irgendeine klare Strategie? Ich erkenne aufgrund
der unterschiedlichen Vorschläge keine.
G
Ich versuche es ein-
fach noch einmal: Wir haben die Gesundheitsreform 2000
eingeleitet, die als wesentliche Elemente Prävention,
Qualität und Wettbewerb und zwar auf solidarischer
Finanzierungsbasis enthält. An diesem Gesundheits-
reformwerk arbeiten wir weiterhin. Wir werden zudem
noch die Neuordnung des Risikostrukturausgleichs und
die Einführung der Fallpauschalen im Krankenhaus-
bereich abzuschließen haben. Die vorhin erwähnte
Positivliste gehört ebenfalls dazu.
Die Ministerin hat alle Beteiligten zum runden Tisch
eingeladen, der von Arbeitsgruppen begleitet wird, um
über die zukünftige Entwicklung im Gesundheitswesen zu
diskutieren. Dort wird man unter Sichtung der augen-
blicklichen Situationen in unserem Gesundheitswesen da-
rüber nachdenken, wie die zukünftige Gesundheitsversor-
gung aussehen soll und was man dazu brauchen wird.
Diese Vorschläge werden dann öffentlich und auch mit den
Fraktionen eingehend diskutiert werden. Am Ende wird
man alle Möglichkeiten, alle Optionen gesichtet und ge-
wertet haben und dann legen wir Ihnen ein Programm vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Nach-
frage kommt vom Kollegen Straubinger.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen Seehofer ge-
antwortet: Da es kein Strategiepapier gibt, kann es auch
keine Auseinandersetzungen darüber gegeben haben.
Meine Nachfrage dazu: Gab es denn über die Auflis-
tung dieser Punkte, über das Diskussionspapier oder das
Geschriebene insgesamt eine Auseinandersetzung zwi-
schen der Ministerin und dem Bundeskanzler?
G
Das kann ich mir
beim besten Willen nicht vorstellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Nachfrage
zu diesem Komplex kommt vom Kollegen Lohmann.
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, daran wird gearbeitet.
Nehmen Sie es ruhig ernst. Auf weiteres Nachfragen
hat er gesagt: Ob die Details eines solchen Papiers noch
vor oder erst nach der Wahl bekannt gegeben werden,
kann ich nicht sagen.
Wie passt diese Aussage zu der Aussage Ihrer Minis-
terin, die noch am 21. Mai dieses Jahres auf dem Bundes-
ärztetag gesagt hat: Entgegen anders lautenden Meinun-
gen und Behauptungen damit war unter anderem ich
gemeint wird im Ministerium nicht an einem Konzept
gearbeitet.
G
Ich habe Ihnen
doch gerade die Funktion des runden Tisches und seine
Bedeutung für die Weiterentwicklung des Gesundheits-
wesens erläutert. Ich habe Ihnen zudem erläutert, welche
Gesetzesvorhaben wir noch in dieser Legislaturperiode zu
Ende bringen werden, und auch schon neulich im Plenum
gesagt, dass ich überhaupt nichts davon halte, wenn man
glaubt, man müsse dieses langfristig angelegte Gesund-
heitswesen, das sich bewährt hat, jede Woche einmal um-
graben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich Frage 44
des Kollegen Wolfgang Zöller auf:
Trifft die Aussage der Süddeutschen Zeitung vom 27. Juni
2001 zu, dass in diesem Strategiepapier des Bundeskanzleramtes
der Vorschlag für ein Angebot mit mehreren Versicherungstarifen
bei Beibehaltung des vollen Anspruchs auf alle notwendigen Leis-
tungen in jedem Tarif gemacht wird?
G
Auch hierzu gibt es
definitiv keine Planung des Bundeskanzleramtes. Im
Übrigen verweise ich auf die Antwort auf Frage 43.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001 17817
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Zöller zu ei-
ner Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
würden Sie es dann nicht für sinnvoll halten, wenn wir uns
als Politiker nicht jeden Tag mit neuen Meldungen aus
Ihrem Haus und Ihrer Fraktion auseinander setzen müss-
ten, die gerade das Gegenteil beweisen? Die Gesund-
heitsministerin zum Beispiel sagt: Abgaben auch auf
Kapitaleinkünfte.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion
sagt: Abgaben auch auf Tabak und Alkohol.
Von einem exzellenten Gesundheitspolitiker Ihrer Frak-
tion heißt es: Verbreiterung der Beitragsbemessungs-
grundlage.
Wäre es nicht ehrlicher, den Leuten vor der Wahl zu sa-
gen, was man will, statt jedem Interessentenkreis in Form
von vagen Ankündigungen sozusagen ein Butterbrot hin-
zuwerfen und dann nach der Wahl die Rechnung für den
Patienten zu präsentieren?
G
Ich habe bereits
ausgeführt, welche Dinge für dieses Jahr zu erwarten sind
einschließlich der Positivliste und was wir im Jahr
2003 angehen werden. Womit Sie sich täglich auseinander
setzen, liegt nicht in meiner Entscheidungsbefugnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die Fra-
ge 45 des Kollegen Wolfgang Lohmann auf:
Ist es mit Blick auf die nach Aussagen der gesetzlichen Kran-
kenkassen in diesem und im nächsten Jahr unumgänglichen Bei-
tragssatzanhebungen nicht dringend geboten, noch vor der nächs-
ten Bundestagswahl aus dem im Bundeskanzleramt entwickelten
Das ist jetzt die letzte Frage zu diesem Themenkomplex.
G
Die Bundesregie-
rung hat bereits mit dem GKV-Solidaritätsstärkungs-
gesetz und der Gesundheitsreform 2000 in der ersten
Hälfte dieser Legislaturperiode wichtige Weichenstellun-
gen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenver-
sicherung auf den Weg gebracht, die derzeit von den Be-
teiligten im Gesundheitswesen umgesetzt und vom
Ministerium begleitet werden.
Mit dem bereits in erster Lesung im Deutschen Bun-
destag beratenen Gesetzentwurf zur Ablösung der Arz-
neimittelbudgets und der Reform des Risikostrukturaus-
gleichs haben wir dem Parlament weitere wichtige
zukunftsorientierte Gesetzentwürfe vorgelegt, die die
Wirtschaftlichkeit und Qualität der Arzneimittelversor-
gung verbessern und die Voraussetzungen für einen
gerechten Wettbewerb der Krankenkassen schaffen wer-
den. Bei dem Ziel eines gerechten Wettbewerbs ist es uns
wichtig, dafür zu sorgen, eine verbesserte Versorgung
chronisch kranker Patienten zu bekommen und nicht nur
einen Wettbewerb um den jungen, gesunden Patienten zu
haben.
Mit dem von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt be-
reits im Mai einberufenen runden Tisch wurden die wei-
teren notwendigen Schritte zur mittel- und langfristigen
Reform in der Krankenversicherung eingeleitet. Hekti-
sche und überstürzte Beratungen des Gesetzgebers helfen
uns an dieser Stelle nicht weiter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Lohmann hat eine erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, man hört immer, welche Maßnah-
men auf den Weg gebracht worden sind. Dabei wird der
Eindruck erweckt, als hätte in diesem Jahr durch die Er-
nennung der neuen Gesundheitsministerin ein Regie-
rungswechsel stattgefunden. Wann darf man nun damit
rechnen, dass die auf den Weg gebrachten Maßnahmen
vor allem die Maßnahmen, die unmittelbar nach der
Wahl auf den Weg gebracht worden sind ihre positive
Wirkung so entfalten, dass wellenartige Beitragssatz-
erhöhungen ausbleiben?
G
Herr Lohmann, die
positiven Wirkungen sind bereits sichtbar geworden: Wir
haben das Krankenhausnotopfer, das Sie den Leuten ab-
verlangt haben, abgeschafft, bei den chronisch Kranken
Zuzahlungen in Milliardenhöhe heruntergefahren, Patien-
tinnen und Patienten entlastet und damit die Solidarität in
dem System wieder verbreitert. Wir erwarten nicht eine
Solidarität nur unter den Kranken, sondern eine Solida-
rität unter allen Versicherten.
Das sind nur einige wenige Punkte; aber diese sind, so
glaube ich, sehr wichtig. Wir haben mit dem Gesetz auch
die Reform des Krankenhausbereichs begonnen. Ich
möchte Sie nur daran erinnern: Man kann ein Gesund-
heitswesen nicht reformieren, indem man ein Gesetz auf-
legt, mit dem man die Ausgaben um ein paar Milliarden
Mark kürzt. Die Folge wären ich sagte es bereits vorige
Woche Arbeitsplatzverluste, zerstörte Strukturen und
am Ende noch weitere Probleme. Das sind die Wirkungen,
die Sie mit Ihrem Kürzungsgesetz bei Kur- und Reha-
maßnahmen herbeigeführt haben. Daraus haben wir ge-
lernt, Umsteuerungen im Gesundheitswesen so auszuge-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117818
stalten, dass sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
verträglich sind und sich Patientinnen und Patienten so-
wie Versicherte darauf einstellen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Lohmann hat eine zweite Nachfrage.
Of-
fenbar gehört eine große Geduld möglicherweise über
mehrere Wahlperioden dazu, um die Realisierung Ihrer
eigenen Versprechungen zu erleben, nämlich die Beitrags-
sätze so zu senken, dass der Gesamtbeitrag zur Sozialver-
sicherung unter 40 Prozent sinkt oder zumindest stabil ge-
halten wird. Kann es sein, dass Ihr Grundkonzept ist: Wir
haben das Ziel, möglichst lange an der Regierung zu blei-
ben, und irgendwann wird das eintreten, was wir verspro-
chen haben?
G
Es wird nicht ir-
gendwann dazu kommen. Ich habe Ihnen aufgezählt, in
welchen Bereichen wir bereits Veränderungen erreicht ha-
ben. Als Nächstes wollen wir die Positivliste einführen
und Verbesserungen im Krankenhausbereich erzielen.
Wir werden bis Ende 2003 ordentlich zu arbeiten haben.
Wir werden dies mit Augenmaß tun; unsere Arbeit wird zu
einem Erfolg für die gesetzliche Krankenversicherung
führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch bei diesem
Punkt geht es nicht ohne Nachfragen anderer Kollegen.
Als erstem Nachfrager erteile ich dem Kollegen Seehofer
das Wort.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben in den letzten Tagen von Äußerungen Ihrer Mi-
nisterin abweichende Meinungen vertreten. Ich habe
gehört, dass diese Tatsache zu einem Gespräch zwischen
Ihnen und Ihrer Ministerin geführt hat und Sie von Ihrer
Ministerin darauf hingewiesen worden sind, Staatsse-
kretäre hätten für den jeweiligen Minister eine Hilfsfunk-
tion zu erfüllen und könnten daher nicht abweichende
Meinungen in der Öffentlichkeit vertreten. Ist es zutref-
fend, dass Sie entgegen dem Geschäftsverteilungsplan
des Ministeriums aus dem normalen Geschäftsgang der
Vorlagen herausgestrichen worden sind und die Ministe-
rin die Vorlagen nun direkt bekommt?
G
An einem solchen
Gespräch war ich nicht beteiligt. Es hat nicht stattgefun-
den, Herr Seehofer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Storm,
Sie haben eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin,
nachdem eine Reihe von Kassen bereits in den letzten Ta-
gen zum 1. Juli erhebliche Beitragssatzerhöhungen
durchgeführt hat, hat heute das Institut der deutschen
Wirtschaft in Köln ein Papier veröffentlicht, in dem es
heißt, dass die bisherigen Steigerungen nur die Spitze ei-
nes Eisberges seien und weitere Beitragssatzerhöhungen
in den nächsten Monaten folgen würden. Damit würde das
Ziel der Bundesregierung, den Gesamtsozialversiche-
rungsbeitrag unter 40 Prozent zu drücken, in weite Ferne
rücken. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Mit wel-
chem durchschnittlichen Beitragssatz in der gesetzlichen
Krankenversicherung rechnet das Bundesgesundheitsmi-
nisterium für das Jahr 2002?
G
Ich habe Ihnen ge-
sagt: Wir sind im Augenblick bei 13,6 Prozent; wir waren
bei 13,5 Prozent. Wir haben jetzt eine Erhöhung von
0,08 Prozent gehabt. Das Papier, das Sie hier zitieren,
kenne ich nicht. Bevor ich mich dazu äußere, möchte ich
es gerne einmal lesen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Definitiv.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe diesen
Themenkomplex ab und bedanke mich für das einstün-
dige Antwortmarathon bei der Parlamentarischen Staats-
sekretärin Gudrun Schaich-Walch.
Nachdem die dringliche Frage und die Fragen des ent-
sprechenden Geschäftsbereichs aufgerufen und beant-
wortet worden sind, rufe ich jetzt die übrigen Fragen in
der üblichen Reihenfolge auf.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
17819
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter auf:
Wie sollen Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit durch Einsichtnahme in Genehmi-
gungsunterlagen und Erörterung der geplanten Maßnahmen zur
Vorsorge gegen Beeinträchtigungen wahrnehmen, wenn im atom-
rechtlichen Verfahren für dezentrale Zwischenlager für abge-
brannte Brennelemente Behältertypen mit genehmigt werden sol-
len, für die nach Auskunft des Bundesamtes für Strahlenschutz
weder eine verkehrsrechtliche Genehmigung noch eine Lagerge-
nehmigung noch irgendwelche hinreichenden technischen Be-
schreibungen außer den voraussichtlichen Typenbezeichnungen
G
Sehr verehrte Kollegin Bulling-Schröter, im Rahmen der
Öffentlichkeitsbeteiligung in den Genehmigungsverfah-
ren zur Aufbewahrung von Kernbrennstoffen nach § 6 des
Atomgesetzes werden Antrag, Kurzbeschreibung, Sicher-
heitsbericht und Unterlagen zur Umweltverträglichkeit
ausgelegt. Auf Basis dieser Unterlagen wurden bisher in
zwölf von 18 Genehmigungsverfahren Einwendungen er-
hoben und fanden Erörterungstermine statt. Es ist richtig,
dass nach den bisher vorliegenden Anträgen auch solche
Transport- und Lagerbehälter in den Standortzwischenla-
gern zur Genehmigung beantragt sind, die noch keine ver-
kehrsrechtliche Zulassung als Typ-B(U)-Versandstück-
muster haben. Eine Zulassung wird für die Erteilung einer
Genehmigung nach § 4 AtG vorausgesetzt. Nach den An-
tragsunterlagen der Antragsstellerinnen sollen nur solche
Behälter eingelagert werden, für die zum Zeitpunkt der
Einlagerung eine verkehrsrechtliche Zulassung besteht.
Dies geht auch aus den Sicherheitsberichten, die im Rah-
men der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 6 AtVfV
das ist die Atomrechtliche Verfahrensverordnung aus-
gelegt werden, hervor.
In Ihrer Frage wird davon ausgegangen, dass in den
Genehmigungsverfahren für abgebrannte Brennelemente
Behältertypen mit genehmigt werden, für die noch keine
hinreichenden technischen Beschreibungen außer den
voraussichtlichen Typenbezeichnungen der Hersteller be-
kannt sind. Das ist falsch. Die Eignung jedes einzelnen
Behältertyps für die Aufbewahrung der jeweiligen abge-
brannten Brennelemente wird im Genehmigungsverfah-
ren anhand umfassender und detaillierter Unterlagen im
Einzelnen geprüft, bevor die Genehmigung erteilt werden
kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Bulling-Schröter,
Sie haben eine erste Nachfrage?
Frau Staatssekretärin,
vielen Dank. Meine weitere Frage: Es gibt ja auch schon
getestete Castoren, beispielsweise den Castor V/52, der
hierbei auch zum Einsatz kommen soll. Teilt die Bundes-
regierung die Meinung von Professor Elmar Schlich von
der Uni Gießen der seinerzeit solche Behälter entwickelt
hat , dass der Test dieses neuen Castors V/52 nicht aus-
reiche?
G
Wie ich Ihnen schon mitgeteilt habe, werden die Behälter
immer im Zusammenhang mit dem jeweiligen Genehmi-
gungsverfahren für das Zwischenlager beurteilt. Das
heißt, der Castor V/52, der für Gorleben genehmigt ist,
wird in diesem Verfahren noch einmal entsprechend be-
gutachtet werden. Dazu hat es noch keinerlei Tests gege-
ben. Diese stehen noch aus. Aber, wie gesagt, im Zusam-
menhang mit der Zwischenlagergenehmigung ist die
Eignung nochmals festzustellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Bulling-
Schröter hat eine zweite Nachfrage, bitte.
Mich würde interessie-
ren, ob es zusätzliche Tests dieser neuen Lagerbehälterty-
pen gibt oder ob die üblichen genügen, die schon unter der
alten Bundesregierung genügt haben.
G
Die neuen Behälter, die nicht Gegenstand dieses Geneh-
migungsverfahrens sind, werden entsprechend den recht-
lichen und gesetzlichen Vorgaben geprüft werden. Je
nachdem, ob es sich um wesentliche oder um geringfü-
gige Veränderungen handelt, finden die entsprechenden
öffentlichen Verfahren Anwendung bzw. eröffnen sich
Möglichkeiten im Zusammenhang mit Klagerechten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Uwe Hiksch eine Nachfrage
Sehr geehrte Frau Staatssekretä-
rin, wer die Genehmigungsunterlagen für die drei bayeri-
schen Atomkraftwerksstandorte anschaut, sieht, dass in
den Genehmigungsunterlagen bereits von drei neuen Cas-
tortypen gesprochen wird. Unter anderem kommt in den
Genehmigungsunterlagen ein Castortyp vor, den es noch
nicht einmal gibt, sondern der erst entwickelt werden soll.
Ich frage Sie hier ganz deutlich: Wie kann es sein, dass
eine rot-grüne Bundesregierung keine Probleme damit
hat, wenn in Genehmigungsunterlagen für Zwischen-
lager, zu denen allein in Bayern 140 000 Einwendungen
vorliegen, Castoren zur Einlagerung vorgesehen werden,
die noch nicht einmal hergestellt sind? Welche Vorteile er-
hofft sich die Bundesregierung von der Benennung neuer
Castortypen?
G
Verehrter Kollege, ich habe Ihrer Kollegin bereits mit-
geteilt, dass die beiden neuen Typen es sind übrigens
zwei, nämlich der Castor VC und der Constor X 69, der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss
17820
Castor V/52 ist bereits existent und wird in Gorleben ein-
gesetzt nicht Gegenstand des Verfahrens sind. Es han-
delt sich ansonsten, wie ich schon sagte, um ein Geneh-
migungsverfahren nach dem Atomgesetz bzw. nach den
Vorgaben der verkehrsrechtlichen Zulassung, wie es bis-
her üblich war und auch weiterhin üblich sein wird. So-
bald die konkreten Unterlagen vorliegen Sie haben
Recht, sie liegen noch nicht vor, deshalb sind sie auch
nicht Gegenstand des Verfahrens , werden sie entspre-
chend bewertet werden und dann geht das Verfahren sei-
nen ganz normalen rechtlichen Gang.
Des Weiteren möchte ich noch einmal deutlich ma-
chen, dass das Verfahren, einen in der Entwicklung be-
griffenen Typ anzumelden, der dann zu einem entspre-
chenden Zeitpunkt begutachtet und bei Erfüllung der
Vorgaben auch genehmigt wird, nicht ungewöhnlich ist.
Es hat bereits Anwendung gefunden, in Gorleben zum
Beispiel bei den Typen Castor V/52, V/19 SN 06 und
TN 900/1-21 mit den Bauvarianten a, b und c. Insofern ist
das auch keine Besonderheit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege Schur
möchte eine Nachfrage stellen.
Frau Staatssekretärin, ist
es richtig, dass die eben angesprochenen Behälter in Russ-
land gebaut werden sollen?
G
Die Frage, wo diese Behälter hergestellt werden, ist für
das Genehmigungsverfahren nicht relevant. Relevant ist,
ob das Produkt die Auflagen und gesetzlichen Vorgaben
erfüllt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 2 der Kollegin Eva Bulling-Schröter auf:
Über welche Rechtsmittel verfügen Bürgerinnen und Bürger,
wenn sich in ihren Augen herausstellt, dass die technische Vor-
sorge in Gestalt dieser neuen Behälter, die zu ihrem Schutz ge-
troffen wird, nicht ausreichend ist?
G
Die Genehmigung für Behälter ist verwaltungsgerichtlich
überprüfbar. Wenn, sobald die entsprechenden Nachweise
vorliegen, die Genehmigung für die Aufbewahrung von
Kernbrennstoffen in neuen Behältern erteilt wird, können
grundsätzlich Bürgerinnen und Bürger, die zuvor Ein-
wendungen erhoben haben und der Meinung sind, dass
keine ausreichende Vorsorge gegen Schäden durch die
Aufbewahrung getroffen ist, innerhalb einer Frist von ei-
nem Monat nach Bekanntgabe Klage gegen den Ge-
nehmigungsbescheid bzw. gegen die betreffende Ände-
rungsgenehmigung erheben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Bulling-Schröter, Ihre erste Nachfrage, bitte.
Soweit ich informiert
bin, sollen diese Lagerbehälter gemeinsam mit dem Zwi-
schenlager genehmigt werden. Meine Frage: Auf wel-
chem Weg sollen die Betroffenen hinsichtlich der Behäl-
ter, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt sind,
Zugang zu einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung
erhalten? Wie sollen sie die Klage überhaupt substanziell
begründen können, wenn ihnen die Prüfberichte nicht
vorliegen?
G
Frau Kollegin, auch hier gibt es ein gesetzliches Verfah-
ren mit entsprechender Beteiligung der Öffentlichkeit. Ich
will Ihnen das gerne einmal skizzieren. Wie ich Ihnen be-
reits gesagt habe, müssen natürlich die konkreten Infor-
mationen, die zur Begutachtung notwendig sind, vorhan-
den sein. Sie werden anschließend atomrechtlich nach
§ 6 AtG und verkehrsrechtlich nach den Vorgaben der
BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung und -prü-
fung, entsprechend geprüft.
Sollte es sich um eine wesentliche Veränderung han-
deln, vergleichbar mit den schon vorhandenen Castor-
typen, dann wird es ein gesondertes Genehmigungsver-
fahren geben. Das bedeutet, dass es ein Verfahren mit
erneuter Beteiligung der Öffentlichkeit, Einwendungen
und Anhörungen geben wird. Handelt es sich nach Prü-
fung und Entscheidung des BfS nur um eine geringe Än-
derung, wird es nach Genehmigung für vier Wochen eine
Auslegung geben. Dies wird über Presse und Internet ent-
sprechend bekannt gemacht werden. Dann haben die Ein-
wender auf der Grundlage der konkreten Informationen,
die aus den ausgelegten Antragsunterlagen hervorgehen,
die Möglichkeit zur Klage.
Ich möchte noch nach
den Fristen fragen. Innerhalb welcher Frist nach Beschei-
dung des Antrages für das dezentrale Zwischenlager muss
der Betroffene seine Klage gegen den Genehmigungs-
bescheid in diesem Fall begründen und einreichen?
G
Es gelten die Fristen, die in einem üblichen Verfahren
festgelegt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt ist der Kollege
Uwe Hiksch mit seiner Nachfrage an der Reihe.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin,
Ihr ehemaliger Kollege, der ehemalige grüne Landtagsab-
geordnete aus Bayern Raimund Kamm hat angesichts der
Tatsache, dass in den Unterlagen zur Genehmigung Behäl-
ter beantragt werden, die es nur auf dem Papier gibt, erklärt,
er sei entsetzt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Gila Altmann
17821
Ich frage die rot-grüne Bundesregierung: Kann es eine
Bundesregierung, in der Sozialdemokraten und Grüne die
Verantwortung tragen, für richtig halten, dass ein Geneh-
migungsverfahren für ein Zwischenlager läuft, in dem
später einmal Behälter eingelagert werden sollen, die
noch nicht einmal entwickelt sind? Kann die rot-grüne
Bundesregierung nicht zusagen, dass ein solches Verfah-
ren in Zukunft nicht mehr stattfindet?
G
Herr Kollege, für die Gefühlsaufwallung von Herrn
Kamm ist die Bundesregierung nicht zuständig. Darüber
hinaus habe ich Ihnen gerade deutlich gemacht, dass es
hierbei um ein ganz normales und geregeltes Verfahren
geht. Die bisher nur auf dem Papier existierenden Behäl-
tertypen mit den Bezeichnungen VC und Constor X 69
sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Wenn die ent-
sprechenden Unterlagen eingereicht sind, werden sie nach
den gesetzlichen Vorgaben des AtG und seitens der BAM
geprüft. Dann haben die Bevölkerung und auch Herr
Kamm die Möglichkeit, diese Unterlagen einzusehen, zu
bewerten und daraus entsprechende Konsequenzen zu
ziehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schur,
Ihre Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
meine Frage lautet: Weshalb lehnt das Bundesamt für
Strahlenschutz eine Unterbrechung des laufenden Geneh-
migungsverfahrens ab, obwohl die Sicherheitsunterlagen
und Prüfprotokolle laut Süddeutscher Zeitung und
taz noch nicht vorhanden sind?
G
Verehrter Herr Kollege, ich glaube, ich habe gerade deut-
lich gemacht, was Gegenstand des Genehmigungsverfah-
rens ist und was nicht. Es gibt keine rechtlichen Gründe,
das laufende Verfahren zu unterbrechen. Das heißt, die
Voraussetzungen für eine Unterbrechung liegen einfach
nicht vor, weil alle Unterlagen, die Gegenstand des
Genehmigungsverfahrens sind, offen liegen und entspre-
chende Einwendungen erhoben werden können. Es gibt
keinerlei Fehler, die eine Unterbrechung in irgendeiner
Form rechtfertigen würden, weil ich sage das noch ein-
mal die eben genannten Behältertypen nicht Gegenstand
des Verfahrens sind.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt noch eine
Nachfrage des Kollegen Grehn.
Frau Staatssekretärin, ich
knüpfe an Ihre Antwort auf die Frage meines Kollegen
Schur an. Ist Ihnen bekannt, ob ein Angebot von russi-
schen Firmen eingeholt worden ist, die hier zur Diskus-
sion stehenden Behälter zu produzieren?
G
Ich habe dies aus der Zeitung erfahren. Aber ich muss
noch einmal darauf hinweisen: Das ist nicht Gegenstand
des Verfahrens und kein Beurteilungskriterium des Bun-
desamtes für Strahlenschutz. Beurteilungskriterium ist
das Produkt, das nach allen sicherheitstechnischen Qua-
litätsmerkmalen, die sich nach dem Stand von Wissen-
schaft und Technik richten, zu begutachten ist. Wir kön-
nen keinen Einfluss darauf nehmen, wer letztendlich der
Produzent ist, welche Firma den Zuschlag erhält. Die Auf-
gabe des Bundesamtes für Strahlenschutz ist, die Sicher-
heit des Produktes zu überprüfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Martin
Hohmann auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung zur Ein-
führung des europäischen Fingerabdruckidentifikationssystems
Eurodac bisher unternommen und bis wann rechnet die Bundes-
regierung mit einem endgültigen Erfolg ihrer Bemühungen?
F
Herr Kollege Hohmann, die
Bundesregierung beantwortet Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung hat die Eurodac-EG-Verordnung als
Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Fingerabdruck-
vergleichssystems Eurodac konstruktiv mitgestaltet und
ich glaube, auch das sagen zu können wesentlich dazu
beigetragen, dass diese Verordnung am 15. Dezember 2000
in Kraft treten konnte.
Nach dieser Verordnung ist Voraussetzung für die Auf-
nahme der Tätigkeit von Eurodac, dass jeder Mitglied-
staat sowie die Europäische Kommission die technischen
Vorkehrungen hierfür getroffen haben. Die Bundesregie-
rung begrüßt die Anstrengungen der Europäischen Kom-
mission zur zügigen Inbetriebnahme der Eurodac-Zen-
traleinheit und unterstützt die Kommission hierbei aktiv
durch die Mitwirkung deutscher technischer Experten.
Die Kommission strebt erste Tests für den Herbst und
eine Anbindung aller Mitgliedstaaten an die Zentralein-
heit für das Jahresende an. Die beteiligten deutschen
Dienststellen arbeiten mit Nachdruck an der Verwirkli-
chung dieser Planung. Auf die Schaffung der technischen
Voraussetzungen in den anderen Mitgliedstaaten hat die
Bundesregierung wenn ich Ihnen das sage, dann ist das,
glaube ich, keine Überraschung allerdings keinen Ein-
fluss, sodass eine verlässliche Vorhersage über den Zeit-
punkt der Tätigkeitsaufnahme durch Eurodac nicht ge-
troffen werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hohmann hat eine erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
wenn Sie sagen, dass keine verlässliche Vorhersage ge-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Uwe Hiksch
17822
troffen werden kann, weil das Ganze natürlich auch von
den Aktivitäten anderer Regierungen abhängig ist, so ist
das sicherlich nachzuvollziehen. Lässt sich denn viel-
leicht eine Aussage darüber machen, wann das schät-
zungsweise der Fall sein kann? Haben Sie eine Zielvor-
stellung?
F
In diesem Fall ist es leider so, dass
der Langsamste das Tempo vorgibt. Ich möchte hier keine
Prognose abgeben. Die Frage überrascht mich nicht, Herr
Hohmann. Ich habe auch noch einmal versucht, mich
sachkundig zu machen, um Ihnen vielleicht ein bisschen
präziser antworten zu können, aber mehr geben die Infor-
mationen nicht her. Das Bemühen habe ich Ihnen geschil-
dert, auch im Hinblick auf die Zeitabläufe. Wir peilen an,
am Ende dieses Jahres in den Betrieb gehen zu können.
Aber, wie gesagt: Das ist ein Stück weit Prognose, die
auch einige Unsicherheiten in sich trägt. Wir wären je-
denfalls sehr daran interessiert, wenn das so gelänge. Von
unserer Seite aus versuchen wir, alles dazu beizutragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine zweite
Nachfrage, bitte.
Kann die Bundesre-
gierung vielleicht grob beziffern, wie viele Asylbewerber
dadurch, dass wir jetzt noch nicht so weit sind, jährlich
nach Deutschland kommen und in Deutschland Asyl be-
antragen statt in anderen Ländern, beispielsweise in Ita-
lien oder in Frankreich? Es gibt ja, wie wir wissen, eine
Bewegung von Süd nach Nord.
F
Herr Kollege Hohmann, es gibt
natürlich verschiedene Bewegungen in diesem Bereich.
Wenn Sie sich auch die Entwicklungen innerhalb der
Europäischen Union ansehen, dann stellen Sie fest, dass
es zu den unterschiedlichsten Zeiten Veränderungen gibt,
die übrigens nicht immer zulasten Deutschlands gehen.
Mittlerweile gibt es auch andere Entwicklungen.
Eurodac unternimmt den Versuch so ist es ja entstan-
den , im Grunde genommen ein Asylshopping so sage
ich das einmal ganz bewusst in Anführungszeichen
zu verhindern bzw. in den Griff zu bekommen. Weil wir
Eurodac aber noch nicht haben, wäre jegliche Zahl, die
ich nennen würde, spekulativ, und das möchte ich ver-
meiden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 4
des Kollegen Eckart von Klaeden auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass von einer
Beobachtung der PDS durch Verfassungsschutzbehörden abzu-
sehen ist, wenn die PDS regierungsbeteiligt ist, wie dies etwa
der Berliner Justizsenator geäußert hat Quelle: Die Welt vom
26. Juni 2001 ?
F
Herr Kollege von Klaeden, ich
kann Ihre Frage relativ kurz beantworten. Die Entschei-
dungen treffen die Länder in eigener Verantwortung. Die
Bundesregierung äußert sich nicht zu Regelungen, die in
Länderkompetenzen fallen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege von
Klaeden, Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekre-
tär, da frage ich doch einmal nach § 1 des Bundesverfas-
sungsschutzgesetzes, der Bund und Länder gerade zu ei-
ner Zusammenarbeit bei der Beobachtung extremistischer
Bestrebungen gesetzlich verpflichtet.
F
Was die Verfassungsschutzbehör-
den anbelangt, so befinden sie sich in einem Dialog. Was
die Bundesregierung an dieser Stelle tut, ist eindeutig. Ich
will Ihnen das kundtun.
Die PDS bietet nach unserem Dafürhalten unverändert
tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung, die nach den
§§ 3 und 4 Bundesverfassungsschutzgesetz eine Beob-
achtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
rechtfertigen.
Sowohl im Programm als auch im Statut der PDS ist die
Existenz offen extremistischer Strömungen in der Partei
verankert. Im Übrigen verweise ich auf unseren Verfas-
sungsschutzbericht.
Das sind die Seiten 145 ff.; ich glaube, es sind insgesamt
neun Seiten. Die empfehle ich Ihrer Lektüre.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr von Klaeden hat
noch eine zweite Nachfrage.
Ich würde das
gern auf den Fall des Berliner Justizsenators zuspitzen.
Verstehe ich Ihre Antwort, Herr Staatssekretär, insbeson-
dere unter Berücksichtigung des von mir genannten § 1
Bundesverfassungsschutzgesetz richtig dahin gehend,
dass die Bundesregierung nichts unternehmen würde,
wenn anlässlich einer Regierungsbeteiligung der PDS in
Berlin die Beobachtung durch den Verfassungsschutz
eingestellt würde?
F
Lieber Herr Kollege von Klaeden,
wie die Landesverfassungsschutzbehörden mit der Frage
Beobachtung der PDS umgehen, ist sehr unterschiedlich.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Martin Hohmann
17823
Ich kann Ihnen die entsprechenden Informationen das
ist kein Geheimnis gerne einmal zukommen lassen. Es
geht auch darum, mit welchen Mitteln diese Beobachtung
durchgeführt wird. Sie wissen, dass zurzeit überwiegend
die offene Beobachtung praktiziert wird; allerdings wen-
den andere Bundesländer auch andere Methoden an. Be-
stimmte Landesverfassungsschutzämter beobachten die
PDS überhaupt nicht. Die Situation hat sich nicht geän-
dert und es gibt keinen neuen Diskussionsstoff, auch
wenn bestimmte aktuelle Presseartikel etwas anderes
nahe legen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Grehn,
Sie möchten eine Nachfrage stellen.
Herr Staatssekretär, können
Sie dem Kollegen von Klaeden bestätigen, dass die PDS
im Land Mecklenburg-Vorpommern bereits an der Regie-
rung beteiligt ist und dass es dort keine Beobachtung
durch den Verfassungsschutz gibt?
F
Lieber Herr Kollege Grehn, die
Frage von Herrn von Klaeden bezog sich darauf, inwie-
weit der Bund eine Landesverfassungsschutzbehörde an-
weisen kann, in diesem oder jenem Falle tätig zu werden.
Es ist gesetzlich geregelt, dass das nicht möglich ist. Wir
mischen uns nicht in Regelungen ein, die den Länder-
kompetenzen unterliegen. Die Art und Weise, wie man
mit der PDS in den einzelnen Bundesländern umgeht, ist
sehr verschieden. Ich habe auf die gesetzlichen Grundla-
gen der Vorgehensweise der Bundesregierung hingewie-
sen. Diese Grundlagen wirken sich auf unseren Verfas-
sungsschutzbericht aus, der vor kurzem wieder vorgelegt
worden ist. Ich empfehle schlichtweg die Lektüre dieses
Berichts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Nachfra-
gende ist der Kollege Schauerte.
Herr Staatssekre-
tär, ich habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie
wie die Innenminister die Beobachtung der PDS in wei-
ten Bereichen nach wie vor für notwendig halten. Wie ste-
hen Sie dazu, dass die PDS als Mitglied einer Landesre-
gierung in der Innenministerkonferenz über ihre eigene
Beobachtung mit zu entscheiden hat?
F
Die Innenministerkonferenz ent-
scheidet nicht über die Kompetenz eines einzelnen Bun-
deslandes hinweg, ob von der Beobachtung Gebrauch
gemacht wird oder nicht. Die Situation, dass eine be-
stimmte Partei in einem Bundesland an der Regierung be-
teiligt ist, ist nicht neu. Insofern gibt es keine Verände-
rungen und keinen besonders aktuellen Diskussionsstoff.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Hirche eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie
bereit, Ihre bemerkenswerten Aussagen im Hinblick auf
Rolle und Beobachtung der PDS auch Herrn Müntefering
zur Kenntnis zu bringen?
F
Lieber Herr Kollege Hirche, wir
haben einen sehr guten Informationsaustausch. Das, was
ich hier gesagt habe Sie haben das erfreuerlicherweise
bemerkenswert genannt , ist im Grunde genommen
nichts besonders Aktuelles. Ich verweise noch einmal auf
unseren Verfassungsschutzbericht. Bevor ein Verfas-
sungsschutzbericht erstellt wird, gibt es natürlich Diskus-
sionen, deren Ergebnis ein solcher Bericht auch ist. Wir
haben es aufgrund unseres gesetzlichen Auftrages für not-
wendig gehalten, die offene Beobachtung fortzuführen.
Wir werden häufig gefragt, ob wir über ein Ende nach-
denken. Im Grunde genommen hängt die Antwort ganz
entscheidend von denjenigen ab, die Gegenstand dieser
Beobachtung sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen, Herr
Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen 5
und 6 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin Dr. Uschi Eid zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Peter Weiß auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den am 27. Juni 2001 von
der Organisation Transparency International vorgelegten Cor-
ruption Perceptions Index 2001 über die Einschätzung der
Korruptionsverbreitung im öffentlichen Dienst und unter Politi-
kern in 91 Ländern der Welt?
Dr
Herr Kollege, aus Sicht der Bundesregierung
liefert der entsprechende Korruptionsindex, der ja vor
kurzem veröffentlicht worden ist, wertvolle Anhalts-
punkte zur Beurteilung von Trends. Er scheint jedoch als
alleinige Grundlage zur Beurteilung von Korruption nicht
ausreichend aussagefähig. Nach der eigenen Aussage von
Transparency International das ist die Organisation, die
diesen Korruptionsindex vorlegt wird der Korruptions-
index aus 14 verschiedenen Umfragen zusammengestellt,
die die Wahrnehmungen sowohl von einheimischen als
auch im Ausland lebenden Geschäftsleuten, Akademikern
und Risikoanalysten widerspiegeln. Der Index beruht auf
Umfragen, die immer zeitliche Momentaufnahmen sind
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
17824
und nur Meinungen und Erfahrungswerte wiedergeben.
Entsprechend ist der Aussagekraft des Indexes mit einiger
Zurückhaltung zu begegnen, da die vorgelegte Rang-
ordnung letztlich auf subjektiver Wahrnehmung der be-
fragten Personen und nicht auf objektiven Zahlen und
Fakten beruht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Weiß,
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben vorgetragen, dass die Unter-
suchungen von Transparency International nicht als all-
gemein gültig oder besonders aussagekräftig eingestuft
werden. Welche Indikatoren und Berichte hat denn die
Bundesregierung ihrerseits, anhand deren sie bemisst, wie
stark in Staaten der Welt Korruption verbreitet ist? Wel-
che Berichte und Indikatoren legt die Bundesregierung
ihren eigenen Entscheidungen bezüglich der Zusammen-
arbeit mit Staaten, in denen Korruption besonders stark
verbreitet ist, zugrunde?
Dr
Herr Kollege Weiß, ich habe nicht gesagt, dass
dieser Index nicht aussagekräftig ist, sondern ich habe ge-
sagt: Der Index ist nicht ausreichend aussagekräftig.
Natürlich erkennen wir diesen Index an und unterstützen
Transparency International, auch finanziell, weil dieser
Index natürlich auch für uns wichtig ist, um Trendaussa-
gen zu erhalten, und uns Orientierung gibt.
Wir legen bei der Kooperation mit unseren Partnerlän-
dern ein ganzes Set, also verschiedene Kategorien von
Kriterien, an. Dazu gehört selbstverständlich unter ande-
rem auch die Korruption. Bei der Beurteilung, ob Kor-
ruption in einem Land vorhanden ist, legen wir selbstver-
ständlich die Trendmeldungen des Korruptionsindexes
zugrunde, aber wir haben natürlich auch durch unsere
Entwicklungsexperten, die vor Ort tätig sind, direkte
Informationen. Es gibt ja Länder, die selber Antikorrup-
tionsinstitutionen eingerichtet haben, um Korruption zu
bekämpfen. Auch diese sind eine unserer Quellen, natür-
lich auch die vor Ort bestehenden Botschaften.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Weiß, zu ei-
ner zweiten Frage hierzu.
Frau
Staatssekretärin, gibt es denn auf der Ebene der Europä-
ischen Union oder vielleicht sogar auf der Ebene der UN
bzw. der UN-Sonderorganisationen verbindliche Indika-
toren und Maßstäbe, nach denen die Korruption in ver-
schiedenen Staaten der Welt bemessen wird und die auch
Grundlage für Entscheidungen zur politischen Zu-
sammenarbeit sind?
Dr
Herr Kollege Weiß, Sie sprechen hier ein sehr
komplexes Problem an. Sie wissen, dass in der Vergan-
genheit bei uns sogar bis vor zwei Jahren zum Beispiel
Bestechungsgelder, die durch Privatfirmen gezahlt wor-
den sind, steuerlich absetzbar waren. Die Bundesregie-
rung erachtet es insofern als richtig, auf beiden Seiten ak-
tiv zu sein. So haben wir bei uns die steuerliche
Absetzbarkeit abgeschafft; das ist uns hier im Deutschen
Bundestag gemeinsam gelungen. Korruption findet nicht
immer in der Öffentlichkeit statt. Deshalb gibt es keine
messbaren Indikatoren. Ein Staatsoberhaupt wird natür-
lich nicht der Öffentlichkeit bekannt geben, dass er von ei-
ner Firma 1 oder 5 Millionen zugesteckt bekommen hat,
damit in seiner Hauptstadt ein großer Flugplatz gebaut
wird. Insofern ist das Ganze schwierig. Man kann also,
wie wir das auch tun, immer nur Bekanntmachungen zu-
grunde legen, wie zum Beispiel den Korruptionsindex
von Transparency International.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die
Frage 8 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wird die Bundesregierung Konsequenzen für die Entwick-
lungszusammenarbeit mit denjenigen Ländern ziehen, in denen
Transparency International eine besonders starke Verbreitung der
Korruption festgestellt hat, wie zum Beispiel Bangladesch, Nige-
ria, Uganda, Indonesien, Kenia, Kamerun, Bolivien und Aser-
baidschan, die einen CPI-Punktwert von 2,0 und weniger erreicht
haben?
Dr
Herr Kollege Weiß, die Bewertung der politi-
schen Rahmenbedingungen in den Partnerländern hat
selbstverständlich wesentlichen Einfluss auf Art und Um-
fang der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und be-
stimmt die Inhalte des Politikdialogs. Dabei werden ne-
ben zahlreichen anderen Faktoren auch die Bemühungen
der Regierungen um Korruptionsbekämpfung berück-
sichtigt. Grundlage der Bewertung ist hierbei die Tendenz
der Entwicklung und das sichtbare Bemühen der Partner-
regierungen.
Da Sie ganz konkret nach einzelnen Ländern gefragt
haben, möchte ich in diesem Zusammenhang auch einige
nennen.
In Kamerun beispielsweise wurde auf die Verabschie-
dung und beginnende Umsetzung eines Programms zur
guten Regierungsführung im Jahre 1999 mit einem vor-
sichtigen Anstieg der Zusagen reagiert, nachdem seit Be-
ginn der 90er-Jahre defizitäre politische Rahmenbedin-
gungen ein Grund für eine deutliche Reduzierung der
Mittel der Entwicklungszusammenarbeit waren.
In besonders gravierenden Fällen kann mangelndes
Bemühen der Partnerregierung um Korruptionsbekämp-
fung zu einer Reduzierung bzw. zum Aussetzen der Ent-
wicklungszusammenarbeit führen. Ein Beispiel hierfür ist
Kenia, wo mit Zustimmung der Gebergemeinschaft Welt-
bank und Internationaler Währungsfonds die laufenden
Beistandskredite ausgesetzt haben und auch die deutsche
bilaterale Entwicklungszusammenarbeit ihre weitere Zu-
sammenarbeit davon abhängig gemacht hat, dass Kenia
die konsequente Korruptionsbekämpfung insbesondere
mit dem Aufbau einer unabhängigen Antikorruptions-
behörde wieder aufnimmt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
17825
Im Rahmen des Politikdialogs mit den Partnerregie-
rungen spricht die Bundesregierung die Korruptionspro-
blematik an und fordert gegebenenfalls konkrete Schritte
zur Korruptionsbekämpfung. So war in Indonesien
Deutschland der erste Geber, der schon 1997 anlässlich
eines Weltbank-Konsultativtreffens Korruption ange-
prangert hat, und in den deutsch-ugandischen Regie-
rungsverhandlungen im April 2001 war die Korruptions-
problematik wesentlicher Bestandteil des Politikdialogs.
Auch in Aserbaidschan wird bei den nächsten Regie-
rungsverhandlungen im Oktober 2001 das Problem der
Korruption thematisiert werden.
Durch gezielte Förderprogramme, so genannte Positiv-
maßnahmen, unterstützt die Bundesregierung aktiv die
Bemühungen der Partnerregierungen in der Korruptions-
bekämpfung. Beispiele hierfür sind ein Programm zur
Korruptionsbekämpfung und zur Verbesserung der Re-
gierungsführung in Indonesien, ein Vorhaben zur Erarbei-
tung von wirksamen Korruptionsbekämpfungsstrategien
in Nigeria, die Unterstützung des Aufbaus der Antikor-
ruptionsbehörde in Kenia, die Unterstützung des Aufbaus
von Kontrollmechanismen der Zivilgesellschaft in Boli-
vien oder die Stärkung der kommunalen Demokratie in
Aserbaidschan.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Weiß die Chance der ersten Nachfrage.
Frau
Staatssekretärin, Sie haben jetzt nicht erwähnt, dass in
dem neuen Partnerschaftsabkommen der Europäischen
Union mit den AKP-Staaten vom 23. Juni 2000 ausdrück-
lich vereinbart worden ist, dass die Zusammenarbeit in
Fällen schwerer Korruption ausgesetzt werden kann. Ist
denn der Bericht von Transparency International für die
Bundesregierung Veranlassung, in der Europäischen
Union auf eine Überprüfung der Zusammenarbeit mit den
als besonders korrupt eingestuften Regierungen in Kame-
run, Kenia, Uganda und Nigeria zu drängen?
Dr
Herr Kollege Weiß, wenn ich mich jetzt richtig
erinnere, betrifft das den § 97 des nun Cotonou-Abkom-
men genannten Vertrages. Dieser § 97 wird natürlich dann
aktiviert, wenn ganz massive Fälle entdeckt werden. Aber
die Entdeckung reicht ja nicht aus, sondern es ist dann die
Frage zu stellen, ob sich die Partnerregierung bemüht, die
Korruption zu kämpfen. Es werden erst einmal mit der
entsprechenden Regierung Gespräche geführt, sodass sie
gewarnt ist. Die Kooperation wird also nicht sofort been-
det, sondern man gibt der Partnerregierung die Chance,
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, damit § 97 des
Abkommens nicht angewendet wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Weiß,
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Frau
Staatssekretärin, können Sie uns sagen, welches Ausmaß
von Korruption nach Auffassung der Bundesregierung
vorliegen muss, damit die Sanktionsmechanismen nach
dem Cotonou-Abkommen Anwendung finden?
Dr
Nein, das kann ich nicht sagen. Wir halten es
für falsch, die Zusammenarbeit mit einem Land zu been-
den, wenn es beispielsweise 5 Millionen DM über Kor-
ruptionskanäle erhält. Man muss sich vielmehr fragen, ob
die Korruption systemisch in einem Land vorkommt und
ob sich die politisch verantwortliche Führung darum
bemüht, diese Korruption zu bekämpfen.
Ich gebe zu, dass in einigen Ländern der Staatspräsi-
dent das alleinige Sagen hat. In diesem Fall wäre es falsch,
sich zurückzuziehen. Wir müssen vielmehr im Dialog
bleiben, was wir aber nur dann tun können, wenn wir die
Kooperation weiterführen. Wir müssen auf allen Ebenen,
also auf Regierungsebene wie auch auf kommunaler
Ebene, im Gespräch bleiben und unseren Einfluss geltend
machen, damit die Korruption bekämpft wird.
Eine Zusatzfrage,
Herr Dr. Ruck.
Frau Staatssekretä-
rin, ich möchte bei Bolivien und Uganda nachhaken.
Diese beiden Länder stehen auf der Topliste der HIPC-
Entschuldungsinitiative. Wie verträgt sich diese Tatsache
mit den Berichten von Transparency International?
Dr
Herr Kollege Ruck, ich gehe erst auf Bolivien
ein. Es ist richtig, dass Bolivien am 8. Juni dieses Jahres
den Entscheidungspunkt, den so genannten completion
point, im Rahmen des erweiterten Schuldenerlasses er-
reicht hat. Hierfür hatte die bolivianische Regierung in
Abstimmung mit der dortigen Zivilgesellschaft das ist ja
der entscheidende Punkt eine Armutsreduzierungsstra-
tegie erstellt. Bei der Umsetzung dieser Strategie soll vor
allem durch eine weit gehende Dezentralisierung, die die
kommunale Ebene stärkt, und durch Kontrollmechanis-
men der Zivilgesellschaft gerade auch die Korruption
eingedämmt werden. Wir werden Bolivien darin unter-
stützen. Es wäre völlig falsch, sich jetzt aus der Zusam-
menarbeit zurückzuziehen, da sich Regierung und Zivil-
gesellschaft auf eine Antikorruptionsstrategie geeinigt
haben.
Ich komme zu Uganda. Die Bundesregierung hat die
Korruptionsproblematik während der deutsch-ugandi-
schen Regierungsverhandlungen im April 2001 als einen
wesentlichen Bestandteil des Politikdialogs thematisiert
und konkrete Fortschritte bei der Korruptionsbekämpfung
angemahnt. Darüber hinaus und in Abstimmung mit
Deutschland und den übrigen Mitgliedstaaten hat die
Europäische Union auf dem im Mai 2001 in Kampala
stattgefundenen Weltbank-Konsultativgruppentreffen die
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
17826
Bedeutung überzeugender Maßnahmen zur Korruptions-
bekämpfung für die Fortsetzung der von Europäischer
Union und einzelnen Mitgliedstaaten gewährten Budget-
hilfe hervorgehoben.
Die anstehende Umsetzung des von der ugandischen
Regierung ausgearbeiteten umfassenden Antikorruptions-
plans wird von der internationalen Gebergemeinschaft be-
gleitet werden. Erhöhte Transparenz und Rechenschafts-
pflichtigkeit werden auch von der geplanten umfassenden
Reform des Justizwesens erwartet, an deren Umsetzung
sich die Bundesregierung im Rahmen der Gemeinschafts-
finanzierung beteiligen wird.
Ich danke der Frau
Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.
Die übrigen Fragen dieses Geschäftsbereiches, also die
Fragen 9 und 10, werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanz-
leramtes. Hier werden alle Fragen das sind die Fra-
gen 11, 12, 13 und 14 schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur
Verfügung.
Die Fragen 15, 16, 17 und 18 werden schriftlich beant-
wortet.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Rainer Brüderle auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht des EU-Kommissars für
Wirtschaft und Währungsangelegenheiten, Pedro Solbes Mira,
dass Deutschland zusammen mit Italien oder Portugal die Chance
verpasst hat, das zuletzt vorteilhafte Wachstum für eine gründliche
Haushaltskonsolidierung zu nutzen?
D
Herr Kollege Brüderle, die
Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren alle Chan-
cen zur Haushaltskonsolidierung genutzt, gleichzeitig
aber auch durch Steuersenkungen nachhaltig in Wachstum
und Beschäftigung investiert und so einer noch stärkeren
Konjunkturabschwächung vorgebeugt. Die mittelfristige
Entwicklung des öffentlichen Gesamthaushalts ist von der
Fortsetzung des Konsolidierungskurses auf allen Ebenen
geprägt. Bund, Länder und Gemeinden bleiben zum Teil
deutlich unter der im Finanzplanungsrat vereinbarten
Begrenzung des Ausgabenzuwachses von 2 Prozent.
Das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts sinkt nach
der neuesten mittelfristigen Finanzprojektion von rund
37,5 Milliarden Euro im Jahr 2001 auf rund 7,5 Milliar-
den Euro im Jahr 2005. Damit sind die Defizitziele er-
reichbar, auf die sich Deutschland im Stabilitätsprogramm
festgelegt hat. Die Einnahmen aus der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen in Höhe von knapp 51 Milliarden Euro
sind vollständig zur Schuldentilgung eingesetzt worden.
Das alles sind deutlich sichtbare Elemente der Konsolidie-
rungsstrategie der Bundesregierung.
Die vorübergehende Verlangsamung des Wachstums-
tempos stellt diese Strategie nicht infrage. Allerdings
wäre es auch kontraproduktiv, den Sparkurs als Reaktion
auf unvorhergesehene Einbußen zu verschärfen.
Zusatzfrage Nummer
eins, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, sind
Sie nicht der Meinung, man hätte sich insbesondere
bemühen müssen, die Steinkohlesubventionen stärker
zurückzuführen und auf diese Weise Mittel für eine wei-
ter gehende Konsolidierung oder für stärkere Steuersen-
kungen freizusetzen?
D
Herr Kollege Brüderle, wie
Sie wissen, sind die Steinkohlesubventionen degressiv
ausgestaltet worden, und zwar noch in der Verantwortung
der alten Bundesregierung. Diese Degressivität setzt die
Bundesregierung fort. Es gibt keinen Subventionstatbe-
stand in der Bundesrepublik Deutschland, der vergleich-
bar degressiv ausgestaltet ist. Wir wären froh, wenn wir
das auch bei anderen Subventionstatbeständen so hätten.
Im Übrigen sind dies, selbst wenn man sich die Stein-
kohlesubventionen ganz wegdenkt, Größenordnungen,
die sich bei einer Steuersenkung im Verhältnis zu dem,
was wir an Steuersenkungen ohnehin vorgesehen haben,
nicht spürbar auswirken würden.
Zusatzfrage zwei,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ein
paar Milliarden wären es schon und ein paar Milliarden
würden auch der wirtschaftlichen Entwicklung gut tun.
D
Ein paar Milliarden, 5 Mil-
liarden DM, wären 0,3 Prozentpunkte Umsatzsteuer, um
Ihnen das einmal deutlich zu machen.
Nein, natürlich will ich sie nicht erhöhen, Herr Kollege
Niebel, sondern ich wollte dem Herrn Kollegen Brüderle
am Beispiel der Umsatzsteuer deutlich machen, welchen
Umfang eine Steuersenkung in der Größenordnung von
5 Milliarden DM haben kann. Klar, wir können mit 5 Mil-
liarden DM das Familienpaket schnüren; diesen Zusatz-
bereich kann man damit abdecken. Aber im Einkommen-
steuerbereich kann man mit 5 Milliarden DM nichts
Wesentliches anfangen.
Was man damit bewegen könnte, läge im Promillebereich.
Nun hat die Kollegin
Schwaetzer eine Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
17827
Frau Staatssekre-
tärin, in der Frage war der EU-Kommissar Pedro Solbes
zitiert worden, der die Konsolidierungsbemühungen der
Bundesregierung nicht so hoch einschätzt, wie Sie das
hier gerade getan haben. Teilen Sie denn diese Einschät-
zung oder nehmen Sie diese internationale Einschätzung
von renommierten und Ihrer Partei nahe stehenden Politi-
kern wenigstens ernst, dass Sie hier deutlich mehr hätten
konsolidieren können und dass Sie diese Chance nicht
wahrgenommen haben?
D
Frau Kollegin Schwaetzer,
wie Sie wissen, hat sich die Bundesregierung bei der
Europäischen Kommission für das laufende Jahr, das
Jahr 2001, die Genehmigung geholt, ein gesamtstaatli-
ches Defizit von nicht, wie eigentlich vorgesehen, 1 Pro-
zentpunkt, sondern von 1,5 Prozentpunkten im Verhältnis
zum Bruttoinlandsprodukt zu erreichen.
Ich antworte Ihnen etwas ausführlicher, Frau Kollegin;
das darf ich. Ich darf so antworten, wie ich will, solange
ich nicht lüge, und ich lüge nicht.
Die Bundesregierung hat also von der Europäischen
Kommission ich wiederhole mich die Erlaubnis be-
kommen, in diesem Jahr statt 1 Prozent gesamtstaatliches
Defizit 1,5 Prozent zu erreichen, und zwar im Hinblick
auf die Steuerreform, die wir gemacht haben, die in die-
sem Jahr mit Steuereinnahmeausfällen von 45 Milliar-
den DM zu Buche schlägt. Dies ist die Kehrseite der Me-
daille. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie wenn auch
vielleicht nicht Sie persönlich, so doch mindestens eine
große Reihe von Fraktionskollegen von Ihnen und auch
von Mitgliedern des Hauses, die sich in den Reihen neben
Ihnen befinden ein immer weiteres Vorziehen von
Steuerentlastungsschritten gefordert haben. Dies würde
den Konsolidierungskurs in der Tat ad absurdum führen.
Nun hat die Kollegin
Kopp das Wort für eine Zwischenfrage.
Frau Staatssekretärin, was ge-
denkt die Bundesregierung zu tun, um der Aufforderung
von EZB-Präsident Duisenberg zu folgen, den Arbeits-
markt zu deregulieren und Deregulierung aus gesamt-
wirtschaftlichem Interesse überhaupt voranzutreiben?
Was gibt es da für Pläne?
D
Frau Kollegin Kopp, mir
ist diese Äußerung von Herrn Duisenberg nicht bekannt.
Deswegen möchte ich sie so auch nicht kommentieren.
Jetzt hat der Kollege
Niebel das Wort zu einer Frage.
Frau Staatssekretärin, unabhän-
gig davon, ob Ihnen die Aussage des Herrn Duisenberg
bekannt ist oder nicht, möchte ich daran erinnern, dass die
Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in
Göteborg der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik
schlechte Noten ausgestellt haben. Das hat etwas mit
Überregulierung zu tun. Abgesehen von der Äußerung
des EZB-Chefs frage ich Sie daher: Was hat die Bundes-
regierung insgesamt vor, um die Überregulierung des Ar-
beitsmarktes in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und
überhaupt im Bereich der öffentlichen Hand allmählich
abzubauen?
D
Herr Kollege Niebel, zu-
nächst weise ich Ihre Aussage zurück, dass der Europä-
ische Rat in Göteborg der Bundesregierung schlechte No-
ten ausgestellt hätte. Das ist nicht der Fall. Das ist eine
Behauptung, die ich so nicht stehen lassen kann. Das ist
nicht richtig.
Wenn Sie mich nach Deregulierung im Bereich der Wirt-
schafts- und Finanzpolitik in Bezug auf den Arbeitsmarkt
fragen, so möchte ich sagen, dass die Finanzpolitik rela-
tiv wenig zur Deregulierung im Bereich des Arbeitsmark-
tes beitragen kann. Ich wüsste nicht, wo da der Ansatz-
punkt der Finanzpolitik wäre.
Das ist nun wirklich sehr um die Ecke gedacht.
Ich muss das den Kolleginnen und Kollegen erklären.
Es geht Herrn Niebel um eine Deregulierung des Steuer-
rechts zur Förderung des Arbeitsmarktes. Das ist eine
Fragestellung, die so nicht formuliert war. Wenn Sie da-
von ausgehen, dass ein dereguliertes Steuerrecht positive
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat, so ist dies eine
Annahme, die nicht vollständig zu bestreiten ist. Anderer-
seits können Sie in keiner Weise sagen, dass das Steuer-
recht dazu beitrüge, dass es in der Arbeitswelt verkrustete
Strukturen gäbe. Ich glaube nicht, dass Sie in der Lage
sind, dazu auch nur ein Beispiel zu nennen; vielmehr be-
haupten Sie einfach, dass es so etwas gäbe. Das gibt es
aber nicht. Ich glaube, Sie sind nicht in der Lage, auch nur
ein Beispiel zu nennen.
Ich rufe nun die
Frage 20 des Abgeordneten Rainer Brüderle auf.
Wie ist es zu erklären, dass Deutschland bei einem Wachs-
tumsvergleich in der EU auf einem der letzten Plätze liegt, wenn
die weltwirtschaftliche Abschwächung alle EU-Staaten im Ergeb-
nis gleichmäßig trifft?
Frau Staatssekretärin.
D
Die in der Frage aufgestell-
te Behauptung, dass die weltwirtschaftliche Abschwä-
chung alle EU-Staaten im Ergebnis gleichermaßen trifft,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117828
ist falsch. Die direkten Effekte aus der Abschwächung der
Weltwirtschaft sind für Deutschland erheblich stärker als
in den anderen EU-Mitgliedstaaten. Der Extra-Handels-
anteil, also die Exporte Deutschlands in Nicht-EU-Län-
der, beträgt, bezogen auf den gesamten Außenhandel
Deutschlands, 44 Prozent und ist damit spürbar höher als
im Durchschnitt der restlichen EU-Länder, der bei circa
36 Prozent liegt.
Die deutsche Exportindustrie ist im amerikanischen
Raum, in Asien sowie in den mittel- und osteuropäischen
Staaten viel stärker vertreten als die Exportindustrie der
übrigen EU-Staaten. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Produkte in Verbindung mit absatzbeglei-
tender Markterschließung, zum Beispiel durch Direkt-
investitionen, hat zu deutlichen Marktanteilsgewinnen
Deutschlands auch außerhalb der Europäischen Union
geführt.
Folglich konnten die deutschen Exporteure in den ver-
gangenen Jahren von der lebhaften Entwicklung des Welt-
handels und dem robusten Wachstum der Weltwirtschaft,
insbesondere der USA, überproportional profitieren. In
diesem Jahr wie auch schon während der Asien-, Latein-
amerika- oder Russlandkrise wird Deutschland von der
weltwirtschaftlichen Abschwächung daher stärker betrof-
fen als der Durchschnitt der anderen EU-Länder.
Inzwischen haben die USA Maßnahmen beschlossen,
die auf eine schnelle Rückgewinnung der dortigen ge-
samtwirtschaftlichen Dynamik gerichtet sind, wie zum
Beispiel die mehrfachen Zinssenkungen der Federal Re-
serve Bank sowie ein Jahr nach uns das Steuersen-
kungsprogramm der US-Administration.
In dem Maße, wie diese Schritte die Binnennachfrage
in den USA stärken, dürfte die wirtschaftliche Belebung
in Deutschland davon dann auch wieder überdurch-
schnittlich profitieren.
Erste Zusatzfrage,
Herr Brüderle.
Frau Staatssekretärin, es ist
ja nicht zu bestreiten, dass Deutschland mit seiner Wachs-
tumsrate inzwischen auf dem letzten Platz der EU-Länder
angelangt ist. Das ist kein Zufall; das hat Ursachen. Sind
Sie mit mir der Auffassung, dass eine der Kernursachen
das zeigen die Diagnosen von OECD, Bundesbank und
allen Wirtschaftsforschungsinstituten in der Tat die aus-
stehende Deregulierung des Arbeitsmarkts ist?
Herr Baron, wenn Sie zuhören, bekommen Sie es auch
mit. Könnte die fehlende Flexibilität des Arbeitsmarkts
der Grund dafür sein, dass die deutsche Wirtschaft auf
dem letzten Platz der europäischen Entwicklung ange-
langt ist, während sie früher die Lokomotive war?
D
Nein, Herr Kollege
Brüderle, ich kann Ihre Auffassung nicht bestätigen,
sondern ich nenne Ihnen einen weiteren wesentlichen
Faktor für das etwas ungünstigere Wirtschaftswachstum
in Deutschland im europäischen Vergleich. Wir haben seit
1995 eine Baurezession zu beklagen. Hier weist Deutsch-
land im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern
einen deutlich anderen Zyklus auf, der sich im Wesent-
lichen durch die Auswirkungen der Wiedervereinigung
erklären lässt.
Durch steuerliche Anreize, die so genannten Sonder-
abschreibungen Ost, wurde vor allem in den neuen Bun-
desländern Anfang bis Mitte der 90er-Jahre ein ausge-
prägter Bauboom mit Zuwachsraten von real zum Teil
über 40 Prozent forciert. Dabei wurden erhebliche Über-
kapazitäten geschaffen, die die Nachfrage bei weitem
überschritten. Sie wissen, wir haben in den neuen Ländern
1 Million leer stehende Wohnungen und Leerstandsquo-
ten bei den Gewerbeimmobilien von zum Teil über
30 Prozent.
Die seit Mitte der 90er-Jahre einsetzende Baurezession
hat das gesamtwirtschaftliche Wachstum erheblich be-
lastet: Die Baurezession hat allein im Jahre 2000 das
Wachstumsergebnis beim Bruttoinlandsprodukt um rund
0,75 Prozentpunkte nach unten gedrückt. Ohne den nega-
tiven Beitrag des Bausektors hätte das BIP-Wachstum real
bei rund 3,75 Prozent gelegen und wäre damit höher als
etwa die französische Rate gewesen.
Zugleich entwickelt sich dagegen die Baukonjunktur
in den europäischen Ländern exakt gegenläufig: Einer
Baurezession Anfang bis Mitte der 90er-Jahre folgten seit
1996 eine Erholung und zuletzt sogar ein überproportio-
naler Anstieg. Dies ist nicht zuletzt auf staatliche Förder-
programme in diesem Bereich in einzelnen Ländern, zum
Beispiel in Frankreich, zurückzuführen, die zu entspre-
chend günstigeren gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen
führten.
Auf der anderen Seite entwickeln sich in den neuen Bun-
desländern das verarbeitende Gewerbe und der Dienst-
leistungssektor weiterhin dynamisch. Mit dem Auslaufen
der Baurezession werden diese positiven Elemente in den
Wachstumsraten für ganz Deutschland stärker sichtbar
werden.
Zweite Frage des
Kollegen Brüderle.
Frau Staatssekretärin, Ihre
monokausalen Erklärungsversuche geben mir Anlass, Sie
zu fragen, ob Sie angesichts der aktuellen Situation nicht
meinen, dass die Regierung dringend mit zusätzlichen
steuerlichen Entlastungen handeln müsste. Ich verweise
in diesem Zusammenhang auf Ausführungen Ihres frühe-
ren Kollegen Claus Noé, Staatssekretär im Bundesfinanz-
ministerium, der darauf hinwies, dass wir im Mai zum ers-
ten Mal seit langem saisonbereinigt eine Zunahme der
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
17829
Arbeitslosigkeit hatten, was, wie er sagte, ein klassischer
Frühindikator einer Rezession sei. Ich ziehe daraus nicht
dieselben Schlussfolgerungen wie Claus Noé, frage Sie
aber, ob Sie keinen Anlass dazu sehen, dass die Bundes-
regierung durch vorgezogene steuerliche Entlastungen
dieser drohenden Entwicklung entgegenwirkt.
D
Herr Kollege Brüderle, Sie
sagten, ich hätte eine monokausale Erklärung vorgetra-
gen. Ich hatte Ihnen aber in zwei aufeinander folgenden
Vorträgen zum einen die Bedingungen der internationalen
Wirtschaft und zum anderen die Bedingungen dargestellt,
die durch die Besonderheiten der Baurezession in der
Bundesrepublik Deutschland bestehen. Das war also nicht
monokausal, sondern ich habe Ihnen zwei Gründe ge-
nannt.
Bis jetzt hatten Sie aber in Ihrer Frage ganz im Ge-
gensatz zu mir monokausal auf die Flexibilisierung des
Arbeitsmarkts abgehoben und sie als einzigen Grund für
die Wachstumsschwäche angenommen. Nun nehmen Sie
einen zweiten Grund an und fragen, ob es nicht notwen-
dig sei, die geplanten Steuersenkungen vorzuziehen. Ich
darf auf die von Ihnen zunächst gestellte Frage, die ich so-
eben beantwortet habe, zurückkommen: Dort haben Sie
uns immanent vorgeworfen, wir hätten die Möglichkeiten
der Haushaltskonsolidierung nicht vollkommen ausge-
schöpft. Ich darf Ihnen keine Rückfragen stellen.
Um Gottes willen,
dann antwortet er auch noch!
D
Aber ich möchte Ihnen sa-
gen, dass Sie sich in den beiden Fragestellungen, die Sie
hier in weniger als zehn Minuten abgegeben haben,
durchaus widersprüchlich verhalten.
Jetzt hat der Kollege
Niebel eine Nachfrage.
Auch auf die Gefahr hin, von der
Bundesregierung im Nachhinein schulmeisterlich belehrt
zu werden, möchte ich gerne wissen, ob die Bundesregie-
rung an ihrer Wachstumsprognose von 2 Prozent für 2001
festhält und, wenn ja, wie diese mit den Äußerungen des
Bundeswirtschaftsministers Müller in Einklang zu brin-
gen ist, der für das zweite Quartal ein Nullwachstum ver-
mutet.
D
Die Bundesregierung be-
teiligt sich nicht an diesen wöchentlichen Wasserstands-
meldungen, die von den Prognostikern im Wettlauf abge-
geben werden. Sie wird im Herbst dieses Jahres, wie ge-
plant, die gesamtwirtschaftliche Projektion und die Steu-
erschätzung überprüfen und dann entscheiden, wie die
vorgegebenen Konsolidierungsziele weiter erreicht wer-
den können. Wir machen jetzt keine neue Prognose.
Jetzt hat die Kollegin
Schwaetzer eine Nachfrage.
Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben jetzt wortreich und minutenlang Er-
klärungen dafür abgegeben, weshalb die Bundesrepublik
Deutschland im Hinblick auf die Wachstumserwartungen
Schlusslicht in Europa ist. Meine Frage an Sie lautet: Be-
unruhigt es Sie eigentlich überhaupt nicht, dass im Zu-
sammenhang mit diesen schlechten Wachstumsprognosen
der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht vorankommt, son-
dern saisonbereinigt sogar ein Anstieg zu verzeichnen ist?
D
Frau Kollegin Schwaetzer,
selbstverständlich ist das der Bundesregierung nicht
gleichgültig. Aber wenn Sie jetzt behaupten, es sei ein An-
stieg der Arbeitslosigkeit zu erwarten, so ist das wirklich
nur eine Behauptung.
Darf ich hier antworten?
Herr Kollege Niebel,
die Kollegin Staatssekretärin hat das Wort. Sie haben eine
Frage gestellt und nun haben Sie eigentlich gar nichts
mehr zu sagen. Sie dürfen aber gerne zuhören.
Richtig, jetzt wird die Frage der Kollegin Schwaetzer
beantwortet. Die Kollegin steht ja noch, wie das üblich ist,
wenn man auf die Beantwortung seiner Frage wartet.
Nun hat Kollege Brandner Gelegenheit zu einer Frage.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Rainer Brüderle
17830
Wenn Sie wollen,
dann antworten Sie.
D
Vielen Dank, Frau Präsi-
dentin. Bisher bin ich nicht dazu gekommen.
Nun haben Sie das
Wort.
D
Herzlichen Dank, Frau
Präsidentin. Selbstverständlich ist der Bundesregierung
eine solche Entwicklung nicht gleichgültig. Aber nach
allen uns vorliegenden Prognosen gehen wir weiterhin
davon aus das sagen sogar die zurückgenommenen
Wachstumserwartungen nicht anders aus , dass wir im
nächsten Jahr auf eine Arbeitslosenzahl von 3,5 Millionen
kommen werden. Zurzeit besteht eine Wachstumsdelle.
Für das zweite Halbjahr erwarten wir positivere Tenden-
zen. Dies wird sich wiederum so hoffen wir jedenfalls
und dies ist in allen Prognosen bestätigt worden auf dem
Arbeitsmarkt positiv auswirken. Auch im Hinblick auf die
zurzeit etwas gestiegene Inflationsrate erwarten wir eine
entsprechende Entwicklung, also einen Rückgang.
Ich darf im Übrigen auf Folgendes hinweisen: In den
90er-Jahren gab es inklusive des Vereinigungsbooms eine
Wachstumsrate von im Durchschnitt 1,4 Prozent. Ich bitte
Sie daher, nicht zu sehr schwarz zu malen, damit wir nicht
in die Gefahr einer self-fulfilling prophecy geraten,
nämlich dass sich durch Äußerungen negativer Art
tatsächlich eine Spirale nach unten ergibt.
Nun hat der Kollege
Brandner das Wort.
Frau Staatssekretärin, Sie ha-
ben gerade die Wachstumsrate angesprochen. Ich möchte
Sie konkret fragen, ob Sie bestätigen können, dass das
durchschnittliche Wachstum in den Jahren 1990 bis 1998
unter dem der Jahre 1999 bis 2000 lag und dass dieses ver-
besserte Wachstum mit der Haushalts-, Finanz- und Wirt-
schaftspolitik der jetzigen Bundesregierung in Zusam-
menhang zu bringen ist.
D
Selbstverständlich, Herr
Kollege Brandner. Wir haben ja im vergangenen Jahr ein
reales Wachstum von 3 Prozent gehabt. Ein so hohes
Wachstum ich sagte ja schon, dass das Wachstum der
90er-Jahre bei durchschnittlich 1,4 Prozent lag gab es,
soweit ich mich erinnere, nur Anfang der 90er-Jahre, was
aber natürlich mit dem vereinigungsbedingten Boom zu
tun hatte. Das war auch im Vergleich mit den Wachs-
tumsraten im europäischen Bereich eine Sonderentwick-
lung und hat sich im weiteren Verlauf der 90er-Jahre
natürlich nicht fortgesetzt. Wir hatten in diesem Jahrzehnt
vielmehr trotz des Booms zu Beginn der 90er-Jahre nur
eine Wachstumsrate von im Durchschnitt 1,4 Prozent zu
verzeichnen.
Zu dem deutlichen Wachstum von 3 Prozent im Jahr
2000 ist natürlich das Wachstum dieses Jahres hinzuzu-
rechnen. Dieses verbesserte Wachstum hat selbstver-
ständlich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der
Bundesregierung zu tun.
Nun hat die Kollegin
Kopp eine Frage.
Frau Staatssekretärin, bei der
Frage eben, die Sie beantwortet haben, ging es darum,
dass Deutschland im Augenblick bei den Wachstumszah-
len im europäischen Vergleich das Schlusslicht bildet. In
den Jahren davor jedoch waren wir beim Wirtschafts-
wachstum topp. Dies ist etwas, was man nachtragen muss.
Hinsichtlich der Wachstumsprognose, die Herr Kol-
lege Niebel angesprochen hat, haben wir mit einer gewis-
sen Besorgnis zur Kenntnis nehmen müssen, dass Sie den
Bundeswirtschaftsminister für seine Äußerung geohrfeigt
haben.
Meine Frage denn Sie müssen sich auch mit den Rea-
litäten beschäftigen lautet: Welche Auswirkungen hätte
ein Wachstumsminus von 0,5 Prozent auf unseren derzei-
tigen Bundeshaushalt? Diese Überlegungen müssen Sie
wenigstens intern angestellt haben. Darüber hätten wir
gerne Auskunft.
D
Zum Ersten: Frau Kolle-
gin, ich habe den Bundeswirtschaftsminister nicht geohr-
feigt. Im Gegenteil, ich schätze ihn sehr. Wir sitzen hier
auch immer sehr freundschaftlich und kollegial nebenein-
ander.
Zum Zweiten: Dazu, dass Sie mit der Prämisse Sie
müssen sich auch mit den Realitäten beschäftigen begin-
nen und dann konjunktivisch mit der Frage fortfahren,
was wir denn tun würden, wenn wir ein Minuswachstum
von 0,5 Prozent hätten, muss ich rein von der Sprachlogik
her sagen: Es kann sich nicht um die Realität handeln,
sonst würden Sie nicht konjunktivisch reden. Da wir dies
auch nicht erwarten, müssen wir uns mit einem irgendwie
gedachten worst case man könnte auch sagen: viel-
leicht werden es minus 5 oder 10 Prozent nicht ausei-
nander setzen, auch nicht in der Haushaltsplanung.
Nun kommt der Kol-
lege Dreßen mit einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, es ist un-
bestritten, dass wir alle gerne eine höhere Wachstumsrate
hätten. Die Opposition macht aber nun Vorschläge, um
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001 17831
diese Wachstumsdelle zu beseitigen. Einerseits fordert sie
zum Beispiel Steuererleichterungen in einem Umfang von
circa 50 Milliarden DM, andererseits verlangt sie Steuer-
mehrausgaben hierbei denke ich zum Beispiel an Fami-
lien oder den Verteidigungshaushalt auch in einem Um-
fang von etwa 50 Milliarden DM.
Sie sollen eine Frage
stellen, Herr Kollege.
Ich möchte Sie fragen, Frau
Staatssekretärin: Welche haushaltstechnischen Auswir-
kungen hätte es, wenn wir diese Forderungen der Oppo-
sition in einer Größenordnung von insgesamt über
120 Milliarden DM erfüllen würden? Wie ließe sich so et-
was überhaupt finanzieren?
D
Das ließe sich außer über
erhöhte Schulden, und zwar nicht nur auf Bundesebene,
sondern auch auf Ebene der Länder und Gemeinden,
natürlich gar nicht finanzieren. Denn ein Vorziehen der
nächsten Steuerreformstufe würde im Wesentlichen auch
die Einkommensteuer umfassen. Dies würde jetzt rede
ich auch konjunktivisch zu entsprechenden Minderein-
nahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden führen und
deswegen sicherlich keine Zustimmung im Bundesrat fin-
den. Insofern ist es ein typischer Oppositionsantrag, für
den man keine Verantwortung übernehmen muss.
Jetzt hat die Kollegin
Wolf eine Frage.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Kollegin Hendricks, ich habe eine Frage
zur finanz- und wirtschaftspolitischen Kompetenz der
F.D.P.
Frau Kollegin, Sie
müssen natürlich anders fragen, denn wir sind immer noch
bei Frage 20. Dazu haben Sie eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Okay. Meine Zusatzfrage lautet, ob Ihnen be-
kannt ist, dass sich unter der F.D.P.-Regierung die Ar-
beitslosenzahl von 1983 bis 1998 verdreifacht hat, dass
die Wachstumsraten bis auf die schon angesprochenen
vereinigungsbedingten Wachstumsraten im Durchschnitt
unter 1 Prozent lagen und dass sich die Lohnnebenkosten
fast verdoppelt haben, nicht zu sprechen von der Haus-
haltsverschuldung, die um 35 Prozent zugenommen hat.
D
Frau Kollegin, selbstver-
ständlich ist mir das bekannt. Ich danke Ihnen dafür, dass
Sie die Zahlen, die ich nicht alle so präsent gehabt hätte,
dem geneigten Auditorium noch einmal haben zur Kennt-
nis geben können, insbesondere den Kolleginnen und
Kollegen von der F.D.P.
Ich darf die Gelegenheit nutzen, um noch darauf hin-
zuweisen, dass die Bemerkung von Ihnen, Frau Kopp, die
Sie vorhin gemacht haben, Sie seien beim Wirtschafts-
wachstum immer Spitze gewesen, natürlich ich bitte den
unparlamentarischen Ausdruck zu entschuldigen barer
Unsinn war.
Die letzte Frage dazu
kommt vom Kollegen Hirche.
Frau Staatssekretärin, Aus-
gangspunkt war die Frage nach dem Wirtschaftswachs-
tum in Deutschland im europäischen Vergleich. Sie haben
darauf hingewiesen, dass der Export dabei eine Rolle
spiele. Nun ist es so, dass der deutschen Exportwirtschaft
der niedrige Stand des Euro ein ganzes Stück hilft. Das
bedeutet auch, dass er im Augenblick in Deutschland
Arbeitsplätze sichert.
Wie wirkt es sich aus, wenn die Bemühungen, die die
Bundesregierung hoffentlich anstellt, den Euro zu stär-
ken, durchgreifen? Wie wirkt sich das auf die Arbeits-
plätze und auf die Wirtschaft in Deutschland im Verhält-
nis zu den anderen europäischen Staaten aus? Oder wollen
Sie etwa auf einen stärkeren Euro verzichten?
D
Wir werden selbstver-
ständlich nicht auf einen stärkeren Euro verzichten; die
Bundesregierung strebt eine Stärkung des Euro an. Es
dürfte aber in der Logik liegen: Wenn der Euro gestärkt
wird, wird er nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Frankreich gestärkt, sodass sich in Bezug auf den Ar-
beitsmarkt keine Unterschiede in den einzelnen Ländern
ergeben werden.
Wir sind damit am
Ende der Fragestunde.
Die nicht beantworteten Fragen werden nicht mehr
aufgerufen, sondern schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Zur Ablehnung der IG Metall, bei VW 5 000
Arbeitsplätze mit einem Lohn von 5 000 DM zu
schaffen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Peter Dreßen
17832
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die F.D.P.-
Fraktion dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es muss wirklich eine starke
Zumutung für Klaus Zwickel, den Vorsitzenden der IG
Metall, sein: Tausende von Menschen in unserem Lande
wollen sich nicht länger seinem Arbeitszeitdiktat beugen
und wagen eine Majestätsbeleidigung, indem sie ihre Be-
reitschaft erklären, mehr als 35 Stunden zu arbeiten, weil
sie nicht länger auf Arbeitslosengeld angewiesen sein
oder von Sozialhilfe leben wollen. Aber Klaus Zwickel
sagt Nein, weil für ihn nicht sein kann, was nicht sein darf.
Dabei sind die Bedingungen, die VW in Abstimmung
mit dem Betriebsrat offeriert, durchaus nicht unzumutbar:
Das Gehalt ist attraktiv, Eigenverantwortung wird gefor-
dert und gefördert und Weiterbildung in Sonntagsreden,
Herr Dreßen, ein Lieblingsthema der Gewerkschaften
ist ein wichtiger Teil dieses Konzeptes. Eine neue Form
der Qualitätssicherung soll sogar Nachtschichten über-
flüssig machen. Als Sahnehäubchen gibt es schließlich
noch eine Beteiligung am Unternehmensergebnis. Ich
kann nur sagen: Das ist wahrlich ein modernes Paket, das
hier geschnürt wurde. Nur Herr Zwickel will das nicht
wahrhaben.
Das zwickelsche Veto, das nach letzten Tickermeldun-
gen beim Appell in Frankfurt auch gegenüber dem VW-
Betriebsrat durchgedrückt wurde, ist nach Auffassung der
F.D.P. eine nicht zu akzeptierende Bevormundung der
Menschen, die sich beworben haben.
Es ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitslosen in unserem
Land, wenn ein Gewerkschaftsvorsitzender, der materi-
elle Not persönlich nicht mehr kennt, anderen den Weg zu
einer besseren Lebenssituation verbaut.
Hier stellt sich, Herr Dreßen, die Frage nach der Wahr-
nehmung der politischen Verantwortung.
Wir leben das ist in der Fragestunde noch einmal gesagt
worden in einem Land mit aktuell rund 3,7 Millionen
Arbeitslosen Tendenz bestenfalls gleich bleibend. Wir
leben in einem Land mit dem derzeit schwächsten
Wirtschaftswachstum in der EU und können es uns daher
nicht erlauben, auf solche Angebote wie das von VW zu
verzichten. Wir müssen handeln, und zwar schnell.
Was geschieht, wenn die Vereinbarung nicht zustande
kommt? VW, Herr Weiermann, wird wohl kaum auf die
Produktion des Minivans verzichten; die 5 000 Arbeits-
plätze werden dann nicht in Deutschland, sondern im Aus-
land in Portugal oder Tschechien geschaffen.
Selbst wenn zur Gesichtswahrung der Minivan am Stand-
ort Wolfsburg produziert werden sollte, wird dafür die
Fertigung anderer Modelle ins Ausland verlagert. Der Be-
schäftigungseffekt ist und bleibt in beiden Fällen gleich
Null.
Was uns empört, ist das Signal, das von Herrn Zwickel
offensichtlich mit Billigung des Bundeskanzlers auch
an Investoren aus dem Ausland gegeben wird: Wir wollen
eure Investitionen, aber nur zu unseren Bedingungen, bas-
ta! Das ist für uns nicht akzeptabel.
Wir finden, es ist empörend, dass im Kanzleramt zu die-
sem Thema absolute Funkstille herrscht. Es ist überfällig,
dass die ruhige Hand des Kanzlers endlich einmal auf den
Tisch haut und diesem Trauerspiel ein Ende macht.
Vorrang für Arbeitsplätze, das ist das Gebot der Stunde.
Der Machtwortkanzler aber wird regelmäßig zum Ku-
scheltier, wenn es um die Interessen des DGB und erst
recht um die einer seiner mächtigsten Einzelgewerk-
schaften, der IG Metall, geht.
Das war beim Betriebsverfassungsgesetz so. Das ist auch
beim Thema betriebliche Bündnisse für Arbeit nicht an-
ders.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Mahnungen
des Sachverständigenrates ich sage: Ihres Sachverstän-
digenrates mehr als berechtigt sind. Er schreibt in sei-
nem aktuellen Gutachten, das in diesen Fällen es geht
um das betriebliche Bündnis für Arbeit herrschende Ein-
vernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in
der gemeinsamen Anstrengung, Arbeitsplätze zu sichern,
lasse die bestehende Gesetzeslage, die sich diesen
Bemühungen in den Weg stelle, überholt erscheinen und
erfordere eine Antwort des Gesetzgebers.
Lassen Sie uns endlich handeln! Wir brauchen die
Möglichkeit, betriebliche Bündnisse für Arbeit auch ohne
die Zustimmung der Tarifverbände, auch ohne die Zu-
stimmung von Herrn Zwickel und seiner Gewerkschaft zu
ermöglichen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs
17833
Man hört immer wieder auch aus den Reihen der Ko-
alition, vorzugsweise aus den Reihen der Grünen ent-
sprechende Töne, hier müsse etwas geschehen. Herr
Schlauch, Frau Wolf, Frau Scheel, Frau Hustedt und Frau
Dückert äußern sich regelmäßig und werden ebenso re-
gelmäßig zurückgepfiffen. Frau Wolf, Sie werden heute
zwar nicht als Staatssekretärin, aber als Abgeordnete in
dieser Debatte reden. Ich bin sehr gespannt, wie Sie die
Position Ihrer Partei in dieser Frage begründen werden.
Die Stunde der Wahrheit naht. Wir werden am Freitag
eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes in den Deut-
schen Bundestag einbringen, die sich ganz auf das Güns-
tigkeitsprinzip um diese Frage geht es hier konzen-
triert. Spielraum für Ausreden wird es dann nicht mehr
geben.
Herr Kollege, Sie
müssen zum Schluss kommen. Wir sind in der Aktuellen
Stunde.
Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin.
Wir als F.D.P. werden in dieser Frage nicht locker las-
sen, weil wir glauben, dass die Menschen in den Betrie-
ben sehr wohl selbst für sich entscheiden können.
Wir wollen mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit. Dies
ist ein aussichtsreicher Weg, vielleicht der aussichtsreichs-
te Weg, mehr Arbeitsplätze in unserem Land zu schaffen.
Vielen Dank.
Ich möchte darauf
hinweisen, dass die Redezeit in der Aktuellen Stunde fünf
Minuten beträgt. Eine Ausnahme gilt für die Bundesre-
gierung. Ich sage das, damit wir uns ein bisschen daran
halten.
Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres.
G
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst sa-
gen: Die Bundesregierung bedauert, dass es bei VW nicht
zu einem Tarifabschluss gekommen ist.
Ich sage Ihnen aber: Die Bundesregierung geht auch da-
von aus, dass dieses Projekt in absehbarer Zeit zu einem
Abschluss kommen wird.
Bei allem Feldgeschrei, Herr Kolb, das Sie hier ange-
stimmt haben, darf ich Ihnen sagen: Ich bin mir relativ si-
cher, dass bei VW neue Arbeitsplätze entstehen werden.
Ich bin mir auch sicher, dass bei VW Arbeitslose wieder
in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Ich bin mir
deshalb sicher, weil das auch in der Vergangenheit der Fall
war. Man kann am Beispiel VW deutlich machen, wie
sehr sich die Tarifautonomie und andere Regelungsinstru-
mente, die wir in diesem Sektor haben, bewährt haben.
Ich empfehle Ihnen ausdrücklich, sich mit der Sache
vertraut zu machen
und sich damit auseinander zu setzen, statt hier ein Feld-
geschrei anzustimmen. Dann werden Sie nämlich fest-
stellen, dass es um außerordentlich komplexe und kom-
plizierte Zusammenhänge geht, die man nicht einfach mit
so einer marktschreierischen Debatte beenden kann, wie
Sie das hier versucht haben.
Ich vertraue auf die Zukunft des deutschen Tarifsys-
tems. Tarifverhandlungen sind ein Geschäft, das in
Deutschland seit mehr als 120 Jahren von den Tarifver-
tragsparteien betrieben wird, die unabhängig vom Staat,
vom Parlament und von der jeweiligen Bundesregierung
sind. Das Grundgesetz sieht ganz bewusst vor, dass es den
beteiligten Sozialpartnern überlassen bleibt, ihre Belange
selbst zu regeln.
Das ist auch gut so; denn wer kann das besser als die Be-
teiligten selber? Wer ist dichter an den konkreten Fragen
dran als die Betroffenen?
Der durch die Sozialpartner frei ausgehandelte Tarif-
vertrag ist ein Garant des sozialen Friedens. Er ist eine tra-
gende Säule der deutschen Wirtschaftsordnung. Der
durch die Sozialpartner frei ausgehandelte Tarifvertrag
hat in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Funktionen
gehabt; diese wird er meiner Auffassung nach auch be-
halten. Die Tarifautonomie hat uns wesentlich größere
Stabilität und größeren Arbeitsfrieden gebracht als den
meisten Ländern, in denen es keine Tarifautonomie nach
unserem Muster gibt.
Wir sollten uns, auch wenn uns die Opposition dies
gern einreden möchte, von den Tarifauseinandersetzun-
gen bei VW in dieser Stunde nicht zu sehr beeindrucken
lassen. Die Verhandlungen das wissen Sie und es hätte
Ihnen gut angestanden, sich das einmal genauer anzu-
schauen laufen noch und sind noch nicht zu Ende.
Natürlich das habe ich eingangs schon gesagt und das
gestehe ich gern zu hätte es die Bundesregierung gern
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Dr. Heinrich L. Kolb
17834
gesehen, wenn die Verhandlungspartner schon zu einem
Ergebnis gekommen wären. Ganz besonders hätten wir
uns über die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze gefreut;
denn für uns ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kein
Lippenbekenntnis. Für uns bleibt diese Aufgabe der Dreh-
und Angelpunkt unseres politischen Handelns.
Warten wir ab, wer gescheitert ist!
Natürlich begrüße ich es, wenn die Tarifparteien neue
Wege zur Schaffung neuer Jobs beschreiten, und natürlich
begrüße ich grundsätzlich das Projekt 5 000 x 5 000 von
VW, wenn es gelingt, unbürokratisch und im Konsens
neue Beschäftigungen anzustoßen. Aber ich begrüße es
auch, wenn die Beschäftigung der zusätzlichen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer durch Tarifvertrag gere-
gelt wird.
Das mag manch einem von der Opposition nicht
schmecken, der den Tarifvertrag am liebsten ad acta legen
möchte. Wie sehr, das konnten wir eben bei Ihnen hören.
Aber ich bin mir recht sicher: Der Tarifvertrag hat Be-
stand.
Sie alle wissen, dass die Tarifvertragsparteien mit ihren
beschäftigungsfördernden Abschlüssen im vorigen und
auch in diesem Jahr den Vereinbarungen im Bündnis für
Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbildung Rechnung
getragen haben. Vielleicht hilft das Ihnen, meine Damen
und Herren von der Opposition, ein bisschen auf die
Sprünge denn auch dies steht in einem engen Zusam-
menhang : Das Bündnis für Arbeit hat, was die letzten
beiden Jahre angeht, tarifpolitisch Außerordentliches be-
wirkt. Auch das ist das sage ich Ihnen ausdrücklich
meiner Auffassung nach gut so.
Tarifverträge abzuschließen ist ein hartes Brot, braucht
Geduld und Kompromissbereitschaft. So begrüßenswert
das Angebot des Unternehmens auch ist, neue Arbeits-
plätze zu schaffen, so schwierig ist die Situation für die
IG Metall, einem Vorschlag zuzustimmen, der von den
bisher üblichen Tarifstandards wesentlich abweicht. Das
Angebot, wie es zunächst von VW auf den Tisch gelegt
wurde, bleibt weit unter den Bedingungen des VW-Haus-
tarifvertrags zurück.
Es unterschreitet auch den Flächentarifvertrag für die Me-
tall- und Elektroindustrie in Niedersachsen.
Ich will mich an dieser Stelle nicht auf rechnerische
Einzelheiten einlassen. Dies ist nicht Aufgabe der Bun-
desregierung, sondern ureigene Angelegenheit der Tarif-
vertragsparteien. Auch in diesem Falle bin ich allerdings
guten Mutes, dass die Verhandlungspartner eine Lösung
finden werden, die den Interessen des Unternehmens, den
Belangen der künftig Beschäftigten und dem Arbeits-
markt gerecht wird.
Diesen Prozess befördern wir jedoch nicht durch Ak-
tuelle Stunden. Die F.D.P. hat uns diese Debatte doch nur
deshalb aufgenötigt, um Druck auf die handelnden Ak-
teure auszuüben.
Das ist ich sage das ausdrücklich der Sache nicht dien-
lich.
Meine Damen und Herren Liberalen, Ihre Absicht ist doch
sehr durchsichtig. Sie wollen hier Zwist schüren und da-
bei nehmen Sie in Kauf, dass es zu einer Verhärtung der
Verhandlungspositionen kommt.
Ich appelliere an die Unternehmensleitung von VW
und an die IG Metall, sich nicht von der F.D.P. irritieren
zu lassen und auf wechselseitige Schuldzuweisungen zu
verzichten. Sie sollten bei allen gegensätzlichen Verhand-
lungspositionen die gemeinsame Einsicht und den Mut
haben, sich am Verhandlungstisch neuen Lösungen zuzu-
wenden. Ich bin zuversichtlich, dass es bei der Volkswa-
gen AG bald zu einer Lösung kommen wird, und ich bin
sicher, die Tarifautonomie wird sich auch in diesem Fall
bewähren. Da können Sie von der Opposition ganz unbe-
sorgt sein. Noch hat es die Sozialpartnerschaft in den letz-
ten 120 Jahren immer wieder geschafft, den Interessen-
ausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
herzustellen. Ich denke, in diesem Fall wird das ebenfalls
gelingen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Bernd Protzner, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär
Andres, Bedauern ist etwas zu wenig für die Bundesre-
gierung angesichts der Lage, in der wir uns in Deutsch-
land befinden. Wir haben einen dramatischen, einen dras-
tischen Wachstumseinbruch, wir haben eine Stagnation
auf dem Arbeitsmarkt und wir haben das Scheitern des
Konzepts des zweiten Arbeitsmarktes so deutlich wie nie
vor Augen. Wir geben dort seit Jahren Milliarden von
Mark aus, ohne dass wir etwas bewegen. Herr Kollege,
Sie schütteln den Kopf. Wir haben 1 200 Milliarden DM
für die neuen Länder ausgegeben. Dort hat sich etwas
bewegt, dort ist etwas vorangekommen. Wir haben seit
1990 in den zweiten Arbeitsmarkt die gleiche Summe
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
17835
hineingesteckt. Wir haben jedoch auf dem Arbeitsmarkt
nichts bewegt, nichts ist vorangekommen. Es ist die
größte Fehlinvestition in der Weltgeschichte, die auf dem
zweiten Arbeitsmarkt stattgefunden hat.
Warten Sie doch ab!
Jetzt haben wir die Gelegenheit das ist das Interes-
sante am Fall VW, an 5 000 x 5 000 , dass wir endlich
einen Ansatz für den ersten Arbeitsmarkt haben, nämlich
5 000 Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt hi-
neinzubekommen. Es ist gut, dass sich 10 000 Menschen
beworben haben und hier ihre Chance sehen.
Man muss nachfragen, ob es in unserem Land gerecht
und vertretbar ist, dass fern von Wolfsburg, in Frankfurt,
von einem Fremden zentral gesteuert, Widerspruch ein-
gelegt werden kann und dadurch die Verhandlungen
abgebrochen werden. Das ist ein Skandal, der nicht hin-
nehmbar ist.
Der Bundeskanzler hat die falsche Diskussion geführt.
Es geht bei uns in Deutschland nicht um das Recht auf
Faulheit. Offensichtlich will Bundeskanzler Schröder
eine Pflicht zur Faulheit in unserem Land, indem er ver-
hindert, dass 5 000 Menschen heute oder morgen in Arbeit
kommen.
Ihre Aufregung bestätigt mir, dass Sie nichts dabei fin-
den, dass Menschen in unserem Land ausgegrenzt wer-
den, nicht nur materiell, sondern auch immateriell in
Form von Arbeitsplätzen.
Arbeitsplatzbesitzer und ihre Funktionäre können da-
rüber entscheiden, ob jemand bei uns im Land Arbeit fin-
den kann.
Soziale Marktwirtschaft bedeutet Arbeit für alle. Jeder bei
uns im Land muss die Chance bekommen, einen Arbeits-
platz zu erhalten, wenn er zur Verfügung steht. Daran darf
er nicht gehindert werden.
Die Menschen sind mündig. Lassen Sie doch die Men-
schen ein Stück mehr entscheiden! Es ist doch der Fehler
unserer Arbeitsmarktpolitik, wie uns alle Gutachten und
internationalen Organisationen bestätigen: Wir setzen zu
wenig auf betriebsnahe Lösungen und bevormunden die
Betroffenen zu viel. Herr Andres, Sie hören nicht auf die
Betroffenen. Sie bevormunden die 10 000 Menschen, die
sich um diese Arbeitsplätze beworben haben. Das ist der
Fehler. Die Bundesregierung schaut bei dieser Bevor-
mundung zu. Das ist nicht tragbar.
Wir wollen keine falschen Diskussionen, die Sie her-
beiführen. Wir als Union stehen zu Tarifverträgen und zur
Tarifautonomie.
Aber wir wollen betriebsnähere Entscheidungen haben,
die Sie verhindern.
Das Schlimme ist, dass dies nicht das erste Mal ist. Wir
haben schon den Fall Viessmann in Hessen und auch an-
dere Fälle gehabt, bei denen verhindert worden ist, dass es
schnell zu einer Entscheidung kam. Deshalb ist es not-
wendig, dass diese Bundesregierung mit ihrer emotiona-
len Attitüde des Bedauerns aufhört und das macht, was
ihre Aufgabe ist, nämlich zu regieren und zu handeln. Sie
müssen das Tarifvertragsrecht so ändern, dass es das be-
tone ich noch einmal zu betriebsnäheren Lösungen
kommt.
Lesen Sie nach, was Professor Berthold gestern in der
Parlamentarischen Gesellschaft vorgeschlagen hat. Dann
werden Sie erfahren, dass Tarifautonomie und Mitbestim-
mung der Betroffenen mit betriebsnäheren Lösungen
durchaus vereinbar sind. Öffnen Sie sich der Zukunft!
Sorgen Sie dafür, dass Menschen in unserem Land in Ar-
beit und Lohn kommen! Das würde Ihnen als Sozialde-
mokraten gut anstehen.
Nun hat die Kollegin
Margareta Wolf für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Sehr geehrter Herr Protzner, die Fälle Viess-
mann und Burda lagen in der letzten Legislaturperiode.
Mit den Betriebsräten von Viessmann und Burda hat die
jetzige Regierung diskutiert. So viel zur Regierungsfähig-
keit.
Herr Kollege Kolb, ich habe mich schon den ganzen
Tag gefragt, warum es heute diese Aktuelle Stunde gibt.
Jetzt weiß ich es: Sie haben sich in den letzten Tagen
trotz des vielfältigen Angebotes an Zeitungen in diesem
Lande nicht darum bemüht, auch nur in eine zu schauen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Dr. Bernd Protzner
17836
Wenn Sie das getan hätten, dann hätten Sie und Herr
Protzner zur Kenntnis genommen, dass sich der Bundes-
kanzler durchaus eingemischt hat.
Sie hätten dann vielleicht auch zur Kenntnis nehmen kön-
nen, dass die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und
Konzernführung bei VW weiterlaufen und dass sie auf ei-
nem sehr guten Wege sind. Ich freue mich insbesondere
darüber, dass sich 10 000 Menschen bei VW beworben
haben.
Wir alle wissen, dass sich die industriellen Beziehun-
gen seit den 80er-Jahren immer mehr verändert haben.
Das bedeutet auch, dass sich die Beziehung zwischen Ar-
beitgebern und Arbeitnehmern verändert haben. Das liegt
unter anderem an dem Druck zur Steigerung der globalen
Wettbewerbsfähigkeit, von dem natürlich auch die Auto-
mobilindustrie in Deutschland betroffen ist. Das liegt
auch an dem Zwang zur Effizienzsteigerung und Reorga-
nisation, daran, Entlassungen und Ausgründungen vorzu-
nehmen, und an der Tatsache
haben Sie ein bisschen Geduld , dass zunehmend Be-
triebe übernommen werden. Vor diesem Hintergrund muss
man sagen, dass in den letzten Jahren der soziale Konsens
über die Mitbestimmung hergestellt worden ist. Er bedeu-
tet heute mehr denn je einen verlässlichen Rahmen.
Da Sie nunmehr die betrieblichen Bündnisse für Arbeit
entdecken, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es gibt
nach einer WSI-Studie, die in den letzten Jahren durchge-
führt und die mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien
abgeschlossen worden ist, 800 betriebliche Bündnisse für
Arbeit, vornehmlich im Osten, aber auch im Westen. Sie
sind ausgesprochen erfolgreich.
Solche Bündnisse gibt es bei Opel, Mercedes und Debis.
Den dort geltenden Haustarifvertrag halte ich für vorbild-
lich. Diese Firmen werden auch dem Anspruch nach mehr
Qualifikation gerecht und bieten ihren Arbeitnehmern die
Möglichkeit des lebenslangen Lernens. Dazu fühlen sich
diese Firmen verpflichtet.
Nichtsdestotrotz kann man an dem Verhalten von
Herrn Zwickel beispielhaft sehen, dass die deutschen Ge-
werkschaften im Moment leider an einem Prozess der
Auszehrung leiden, da sich immer weniger junge Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer mit sinkender Ten-
denz für eine gewerkschaftliche Mitarbeit interessieren.
Halten Sie doch einmal den Mund. Meiner Fraktion ist
sehr daran gelegen, dass die Gewerkschaften nicht zu Al-
tersorganisationen werden, die die Zukunftschancen der
Mitbestimmung schwächen. Wir brauchen gerade im
Zeitalter der Globalisierung eine funktionierende Mitbe-
stimmung. Dem strukturellen Wandel müssen sich auch
die Gewerkschaften stellen.
Ich möchte an dieser Stelle etwas sagen, was überhaupt
kein Geheimnis ist. Ich bin der Meinung, die Gewerk-
schaften täten gut daran vielleicht lernen sie das jetzt aus
dem Fall VW , einzusehen, dass die direkte Beschäf-
tigungspartizipation, das heißt die Bündnisse für Arbeit
das habe ich übrigens schon immer gefordert , aus der
Nische herausgeholt werden muss, weil die Bündnisse für
Arbeit der Beschäftigungssicherung dienen. Diese Bünd-
nisse erfordern eine hohe soziale Verantwortung und un-
ternehmerischen Geist seitens der Betriebsräte. Beides
haben die Betriebsräte in Deutschland offensichtlich;
denn sonst gäbe es nicht so viele Bündnisse für Arbeit.
Es wird doch gemacht.
Jetzt nutzen Sie die Gelegenheit und sagen: Der Kanz-
ler hat nicht auf den Tisch gehauen. Dann müssen wir das
Günstigkeitsprinzip verändern, verehrter Herr Kollege
Kolb. Ich war auch einmal dieser Meinung, weil ich
dachte, dass dies ein Instrument der Beschäftigungssiche-
rung wäre und dass es die Beschäftigungsautonomie in
diesem Lande stärken würde. Dieser Meinung bin ich in-
zwischen nicht mehr, nachdem ich mit vielen Gewerk-
schaftern und Arbeitsrechtlern geredet habe. Zu dem Fall
Burda das wissen Sie genau hat der damalige BAG-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Politik muss die rechtlichen Vo-
raussetzungen des Günstigkeitsprinzips neu definieren.
Ich bin nicht mehr dieser Meinung, weil ich glaube, dass
man in Zeiten des Strukturwandels nicht an der Tarifauto-
nomie rütteln sollte. Wenn die Arbeitgeber und die Ar-
beitnehmer wie auch die CDU/CSU-Fraktion eine Neu-
definition des Günstigkeitsprinzips so verstehen, dann
muss man anmerken, dass es kein geeignetes Instrument
zur Stärkung des Flächentarifvertrags ist.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: Das Beispiel
VW macht deutlich, dass der alte Streit innerhalb der Ge-
werkschaften, welche Macht und Autonomie Betriebsräte
haben dürfen und welche Rolle die Funktionäre spielen
dürfen, jetzt geklärt werden muss. Das ist auch im Fall
Burda eines der Kernprobleme gewesen,
Frau Kollegin, Sie
müssen dringend zum Schluss kommen.
Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): wenngleich ich glaube, dass auch Herrn
Zwickel sehr an der Beschäftigungssicherung gelegen ist.
Danke schön.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Margareta Wolf
17837
Meine lieben Herren
Kollegen, ich beobachte schon darauf möchte ich hin-
weisen , dass die Zwischenrufe lauter sind, wenn eine
Kollegin spricht.
Mit Ausnahme von Herrn Niebel. Er ist immer laut; das
ist in Ordnung.
Nun hat das Wort die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner
für die PDS-Fraktion.
Herr Niebel über-
trifft immer alle.
Frau Präsidentin! Lieben Kolleginnen und Kollegen!
Die IG Metall und insbesondere ihr Vorsitzender Klaus
Zwickel stehen seit Tagen in der Schusslinie als angebli-
che Arbeitsplatzblockierer, als Anwälte der Arbeits-
platzbesitzenden wie das so neumodisch immer heißt
und als Traditionalisten, die sich scheinbar der Moderni-
sierung der Automobilproduktion in den Weg stellen.
5 000 VW-Arbeitsplätze werden angeblich durch Be-
tonköpfigkeit in den Wind geschlagen und die Interessen
der Arbeitslosen schmählich verraten, heißt es.
Die F.D.P. schießt aus vollen Rohren wir konnten das
heute hören und die Bündnisgrünen, so ihr Parteichef
Kuhn, blasen ins gleiche Horn. Sie werden verwechselbar,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich wäre es für viele Arbeitssuchende eine große
Chance, einen der tatsächlich 3 500 neuen Jobs bei VW zu
bekommen.
Nein, 3 500.
Die stehen in den Sternen. Ich kann verstehen, dass
sich viele Hoffnungen darauf richten. Mancher, der in-
zwischen in der Arbeitslosenhilfe gelandet ist, würde sich
über einen dieser 5 000-DM-Jobs freuen. Aber was für
den Einzelnen erstrebenswert ist, muss für die Gesamt-
entwicklung noch lange nicht gut sein.
Das wissen auch die meisten Erwerbslosen. Sie sollten
sich mit denen einmal ein bisschen beschäftigen.
Was von der F.D.P. hier inszeniert wird, ist ein zyni-
scher Umgang mit den Menschen, die keine bezahlte Ar-
beit haben. Die wollen sich nämlich weder gegen die Ge-
werkschaften instrumentalisieren lassen, noch wollen sie
sich dazu hergeben, soziale und tarifliche Standards zu
unterlaufen. Aber genau das wollen Sie mit dieser Aktu-
ellen Stunde.
Was ist das Problem beim VW-Modell? Am Standort
Wolfsburg und später vielleicht einmal in Hannover soll
ein neues Produktionskonzept im Automobilbau erprobt
werden. Zweifellos ist damit eine Menge an industriepoli-
tischer Innovation verbunden, und möglicherweise ist das
für die Herstellung von Autos eine wirkliche Revolution.
Die Krux ist nur: Diese Revolution wird auf dem Rücken
der abhängig Beschäftigten ausgetragen. Und genau das
wollen wir nicht.
Ich will jetzt nicht im Einzelnen auf das eingehen, was
in diesem Modell vorgesehen ist; ich will nur ein Ergeb-
nis nennen, das die Beschäftigten und die Menschen, die
Ihnen ja so sehr am Herzen liegen, betrifft: In dem neuen
Werk würden die Beschäftigten 40 Prozent weniger ver-
dienen, als der Flächentarifvertrag in der Metall- und
Elektroindustrie vorsieht. Das ist das Ergebnis und genau
dieses Ergebnis wollen wir nicht.
Dazu kann keine Gewerkschaft guten Gewissens Ja sa-
gen. Sie würde damit nämlich den Startschuss geben für
einen gnadenlosen Unterbietungswettlauf um Lohnkosten
und Arbeitszeit in der gesamten Automobilindustrie. Das
wissen Sie ganz genau. Das ist auch Ihr erklärtes Ziel,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie glauben doch nicht
im Ernst, dass in Rüsselsheim oder Zuffenhausen die
Löhne zu halten sind, wenn die Lohnkosten in Wolfsburg
so drastisch sinken! Nein, natürlich glauben Sie das nicht.
Sie wollen ja ausdrücklich, dass genau dieser Prozess ein-
setzt.
Das weiß natürlich auch die VW-Vorstandsetage. Sie
hat mit dem 5 000 x 5 000-Vorschlag ein Pilotprojekt
geplant, das nicht nur den Haustarif bei VW aushebelt,
sondern das gesamte Tarifwerk der Metall- und Elektro-
industrie unterbietet.
Das in Jahrzehnten erstrittene Lohn- und Arbeitszeit-
niveau soll dabei mir nichts, dir nichts nach unten
gedrückt werden, um nach dem Erreichen der höchsten
Arbeitsproduktivität die haben wir bei VW nun auch
noch die höchste Kapitalrendite einzufahren. Für eine
Gewerkschaft ist es völlig inakzeptabel, dabei zuzusehen,
zumal es um einen Betrieb geht, der wirklich nicht in
wirtschaftlicher Not steckt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 200117838
Gerade in einem Unternehmen wie VW mit einem hohen
gewerkschaftlichen Organisationsgrad wäre der Verzicht
auf die Mindeststandards des Flächentarifvertrages gegen-
über den Beschäftigten und gegenüber den Arbeitslosen
verantwortungslos. Damit es eindeutig klar ist: Es ist im
Interesse der Erwerbslosen, wenn sie zu vernünftigen und
erkämpften Tarifbedingungen beschäftigt und nicht zu de-
ren Unterbietung missbraucht werden. Ich stimme dem
IG-Metall-Chef Klaus Zwickel voll und ganz zu, wenn er
sagt: Am Ende einer solchen Lohnabwärts- und Arbeits-
zeitaufwärtsspirale stehen nicht Tausende Arbeitslose we-
niger, sondern Hunderttausende Arbeitslose mehr.
Nein, das ist bei Herrn Zwickel völlig richtig.
Ich sage ausdrücklich: Die PDS wird genau diejenigen
unterstützen, die sich diesem Trend in den Weg stellen. Ge-
nau das tut die IG Metall in diesem Fall und das ist gut so.
Jetzt hat der Kollege
Bodo Seidenthal für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die von der F.D.P.-Fraktion
beantragte Aktuelle Stunde beweist einmal mehr, dass die
F.D.P. Politik auf dem Rücken von Menschen machen
will, die auch ohne Sie, meine Damen und Herren, genug
Probleme haben.
Herr Hirche, Sie wollen den Menschen doch gar nicht hel-
fen; vielmehr geht es Ihnen darum, Tarifrecht und Tarif-
autonomie abzuschaffen. Das sind Ihre wahren Motive.
Meine Damen und Herren von der F.D.P. und von der
CDU, wo waren Sie eigentlich, als am 25. Februar 1988
ein Entschließungsantrag der SPD, die geplante Privati-
sierung von Anteilen des Bundes an der VW AG abzuleh-
nen, zur namentlichen Abstimmung stand? Sie haben die-
sen Antrag abgelehnt!
Wo waren Sie eigentlich, als es in den 90er-Jahren um
die Einführung der Viertagewoche ging, mit der über
30 000 Arbeitsplätze in Wolfsburg gesichert wurden? Wo
waren Sie da, Herr Hirche?
Wo waren Sie eigentlich in den letzten Wochen, als es um
das neue Betriebsverfassungsgesetz es verbessert die
Situation der Betriebsräte ging?
Wenn wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., bei all diesen Entscheidungen an unserer Seite ge-
habt hätten, dann wären Sie heute viel glaubwürdiger.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., als Ver-
treter einer liberalen Partei meinen Sie doch, dass eine
Wirtschaftsordnung umso erfolgreicher sei, je mehr sich
der Staat zurückhalte und dem Einzelnen seine Freiheit
lasse. Warum sollen wir dann heute eigentlich disku-
tieren? Warum soll sich der Deutsche Bundestag eigent-
lich in diese Diskussion
Herr Niebel und Herr Kolb, seien Sie doch ganz ru-
hig. Warum soll sich der Bundestag einmischen? Die
Tarifparteien funktionieren und dabei soll es bleiben.
Das Projekt 5000x5000 benötigt unsere Diskussion
nicht.
Frau Schwaetzer, auch Sie waren doch damals schon da-
bei und haben dagegen gestimmt.
Eines steht fest: Die Verhandlungsparteien haben sich
auch ohne uns für einen Verhandlungserfolg intensiv ein-
gesetzt;
denn sie wollten mit diesem Projekt zeigen, dass in
Deutschland ein Wachstum anArbeitsplätzen auf dem Ge-
biet der industriellen Produktion möglich ist. Sie wollten
vor allen Dingen zeigen, dass wir auch für diejenigen Men-
schen, die nicht über das Privileg einer akademischenAus-
bildung verfügen, Beschäftigungswachstum brauchen.
Herr Niebel, deshalb ist es richtig, dass die Verhandlungs-
teilnehmer das neue System nach Wolfsburg holen und
vor allem den Standort sichern wollten. Sie wollten Be-
schäftigungsverhältnisse für 5 000 Arbeitslose schaffen.
Herr Niebel, Herr Zwickel hat es mit Sicherheit nicht
verhindert.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Dr. Heidi Knake-Werner
17839
Jetzt zitiere ich Ihnen das einmal, damit das ein für alle
Mal bei den Folgerednern vom Tisch ist.
Herr Niebel, ich will
jetzt hier keinen Ordnungsruf erteilen. Ich finde es aber
schon ziemlich unerträglich, dass Sie den Redner dauernd
unterbrechen. Meine Bitte ist, einmal ein bisschen zu-
zuhören. Der Kollege Seidenthal hat das Wort.
Frau Präsidentin, mit Ihrer
Genehmigung zitiere ich aus einem Brief von Klaus
Zwickel an den niedersächsischen Ministerpräsidenten:
Zuvor will ich aber festhalten, dass die Tarifver-
handlungen am 25. Juni bereits faktisch gescheitert
waren, als ich gegen 18.30 Uhr in Hannover ankam.
Das hatte sich nämlich schon ab 15 Uhr abgezeichnet.
Die Tarifverhandlungen waren gescheitert, bevor Klaus
Zwickel überhaupt in Hannover eintraf.
Das müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
Nach den gescheiterten Verhandlungen müssen wir
aber leider feststellen: Die Hürden zur Erreichung eines
Verhandlungserfolges waren definitiv zu hoch. Die An-
nahme des Vorschlages des Unternehmens hätte nämlich
faktisch die Festschreibung einer Arbeitszeit von über
40 Stunden in der Woche zur Folge gehabt. Das wäre ein
eindeutiges Signal für eine Verlängerung der tariflichen
Arbeitszeiten in ganz Deutschland gewesen. Sagen Sie
doch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern drau-
ßen, dass Sie das so wollen. Dies können und werden die
IG Metall, der Betriebsrat und die SPD nicht akzeptieren,
weil wir nicht 50 Jahre erfolgreicher Tarifpolitik der
Arbeitszeitverkürzung einfach auf den Müllhaufen der
Geschichte schmeißen wollen.
Erkundigen Sie sich doch einmal in Wolfsburg beim
Betriebsrat: Bei Volkswagen gibt es mittlerweile über
100 Arbeitszeitmodelle, sodass wir Ihren Kommentar gar
nicht brauchen.
Meine Damen und Herren, zum ersten Mal ist man bei
Volkswagen ohne gemeinsames Ergebnis auseinander ge-
gangen. Das bedaure ich persönlich sehr. Ich bin aber zu-
versichtlich, dass die Beteiligten im nächsten Anlauf ei-
nen guten tarifvertraglichen Kompromiss erreichen
werden.
Volkswagen und der Betriebsrat stehen vor einer Be-
währungsprobe der besonderen Mitbestimmung. Vor-
stand und Gesamtbetriebsrat stellen sich dieser Be-
währungsprobe. Ich gehe davon aus, dass sie sie aus
eigener Kraft bestehen. Wir brauchen nicht den Rat der
F.D.P.
Nun hat das Wort der
Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
So ist es!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir diskutieren in diesem Hause aus gutem
Grund oft über die Arbeitsmarktpolitik im Allgemeinen.
Heute diskutieren wir einmal über Arbeitsplätze im Kon-
kreten, nämlich über 5 000 Arbeitsplätze bei VW und
darüber, dass es viele Menschen im dortigen Raum gibt
sonst hätten sich ja nicht 10 000 beworben , die zurzeit
arbeitslos sind, vielleicht Familie haben und hier eine
neue Lebensperspektive sowie ein vernünftiges finan-
zielles Fundament für ihr persönliches Leben bekommen
könnten. Das ist eine ganz konkrete Sache.
Ich kann mir schon vorstellen, dass diese Menschen ziem-
lich erstaunt sind über das, was da bei VW passiert.
Ich möchte es mir nicht so einfach machen und fest-
legen, ob nun die Gewerkschaften oder der Vorstand von
VW schuldig ist. Für die Menschen, die diese Arbeits-
plätze haben wollten, ist diese Frage auch relativ uner-
heblich. Sie erwarten zu Recht, dass es eine Entscheidung
gibt und diese Arbeitsplätze in Deutschland genauer: in
der Region Wolfsburg entstehen. So einfach ist das.
In der letzten Wahlperiode hat mein Kollege Heinrich-
Wilhelm Ronsöhr einen Angriff der F.D.P. auf das VW-
Gesetz abgewehrt. Wir von der CDU/CSU haben die Li-
beralen davon überzeugt, das besser sein zu lassen. In
diesem VW-Gesetz ist festgelegt, dass VW seinen Stand-
ort in Wolfsburg hat. Damals sind der Herr Ronsöhr und
die Union auch von der IG Metall dafür gefeiert worden,
dass sie diese Angriffe vereitelt haben.
Wenn aber die IG Metall es damals so gefeiert hat, dass
VW in Wolfsburg bleibt und die Entscheidungen von VW
weiterhin in Wolfsburg fallen, dann sollte sie sich bitte
auch daran halten und nicht von Frankfurt aus Entschei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Bodo Seidenthal
17840
dungen in Wolfsburg beeinflussen. Man kann nicht beides
haben.
Wir müssen auch einmal darüber reden, dass der
Betriebsratsvorsitzende, mein Kollege von der IG Metall,
gesagt hat, dass diese Arbeitsplätze für VW in Wolfsburg
große Bedeutung haben, auch über diese 5 000 hinaus.
Wir wissen ja, dass an einem Arbeitsplatz bei VW auch
Zulieferungen hängen, dass auch Infrastruktur daran
hängt. Es gibt Leute, die sagen, man könne einen Arbeits-
platz in der Industrie etwa mal vier nehmen.
Also geht es hier um eine gewaltige Sache für die Region.
Nun sind wir hier im Bundestag bei der Politik. Wir
müssen uns natürlich schon überlegen, was wir tun kön-
nen. Die Bundesregierung hat immer gesagt, sie wolle im
Bündnis für Arbeit darüber reden, was wir tun können, um
mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu kriegen.
Warum ist eigentlich im Bündnis für Arbeit bis jetzt nicht
über die Probleme, die wir bei VW haben, die mit dem
Flächentarifvertrag zusammenhängen, geredet und eine
Lösung geschaffen worden?
Denn das, was im Moment im Zusammenhang mit VW
durch die Zeitungen geht, passiert doch wahrscheinlich
Woche für Woche mit weniger Arbeitsplätzen an vielen
hundert oder tausend Stellen in Deutschland.
Ich glaube, dass es, wenn dieses Bündnis überhaupt noch
Sinn machen soll, dringend notwendig wäre, darüber zu
reden.
Der Bundestag muss sich fragen, warum er nicht die
rechtlichen Voraussetzungen schafft, für diesen Bereich
auch zu anderen Lösungen zu kommen. Meine Partei hat
im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsgesetz in
unserem Antrag einen Vorschlag gemacht und gesagt,
dass so etwas gehen muss, wenn der Betriebsrat, die Ge-
schäftsleitung und die Belegschaft in geheimer Abstim-
mung mit einem hohen Quorum dafür sind und ein be-
gründetes und zeitlich befristetes Einspruchsrecht der
Tarifvertragsparteien gegeben ist.
Das muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Ich
sage nur eines: Der Flächentarifvertrag hat eine beru-
higende Wirkung und eine sehr positive Bedeutung. Den-
noch ist es doch so, dass wir über solche Maßnahmen wie
hier im Falle von VW, die doch eigentlich alle wollen,
nachdenken müssen. Die Mitarbeiter von VW würden ja
nicht Arbeitsbedingungen für die neuen Kollegen zustim-
men, wenn die unmöglich wären. 5 000 DM Einkommen
sind für viele Leute in diesem Lande Gott sei Dank noch
eine Menge Geld. Unter diesen Voraussetzungen muss so
etwas gehen.
Ich finde, wir sollten die gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen dafür schaffen. Eigentlich gibt es auch eine Mehr-
heit im Parlament dafür; denn auch die Grünen, auch ihr
Fraktionsvorsitzender, haben sich mehrfach eindeutig so
geäußert, dass wir eine Regelung dafür brauchen.
Dann ist es auch einmal wichtig, dass Sie mit uns zusam-
men diese Regelung schaffen. Die Opposition steht dafür
bis auf die PDS zur Verfügung. Sie dürfen eben nicht nur
auf Parteitagen reden, aber dann in der Praxis so abstim-
men, dass sich in dieser Frage einfach zu wenig tut.
Ich hoffe nur, dass die Verantwortlichen bei VW und
bei der IG Metall bald eine Lösung finden, damit diese
Arbeitsplätze bei uns entstehen. Ansonsten geben sie alle
sich der Lächerlichkeit preis
und kommen damit wieder an einen Punkt, an dem sich
die Menschen zu Recht fragen: Was ist eigentlich in un-
serem Land los?
Schönen Dank.
Jetzt hat die Kollegin
Dr. Thea Dückert für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Das Projekt 5 000x5 000 ist sicherlich ein Projekt mit
ungeheuer großen Chancen für die gesamte Region
Wolfsburg,
für Hannover und, wie wir gehört haben, auch darüber hi-
naus. Das wird von niemandem bezweifelt. Die große
Chance besteht auch in den vielen innovativen Elemen-
ten, die in diesem Paket insgesamt enthalten sind. Bei al-
lem Ärger über den derzeitigen Abbruch der Verhand-
lungen, aber auch bei allem Verständnis dafür gibt es eine
sehr gute Nachricht, nämlich: Es wird weiter verhandelt
werden. Im August werden die Partner wieder zusam-
mentreten. Sie arbeiten jetzt an weiteren Lösungen, und
ich denke, das ist gut so.
Ich muss dabei aber auch feststellen das insbesondere
an die Adresse von Herrn Kolb , dass dies nun einmal
Sache der Tarifparteien ist. Ich sage Ihnen: Auch das ist
gut so!
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Karl-Josef Laumann
17841
Es ist nicht Sache des Bundeskanzlers, sich da einzu-
mischen, und zum Glück auch nicht Sache des Herrn
Protzner, hier irgendwelche Lösungen vorzuschlagen.
Herr Kolb, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie hier in
großer Klarheit gesagt haben, worum es Ihnen eigentlich
geht. Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie in diesem
Fall die Tarifparteien gar nicht bräuchten.
Es geht Ihnen in dieser Aktuellen Stunde und in diesem
Fall gar nicht um die Inhalte,
um die es noch zu streiten gilt, sondern es geht Ihnen da-
rum, in einer verantwortungslosen Art und Weise den
Flächentarifvertrag und die Tarifautonomie anzugreifen.
Beide Tarifparteien haben von Anfang an ihr großes
Interesse an dem Projekt 5 000 x 5 000 deutlich gemacht.
Die IG Metall hat Ideen eingebracht, wie dieses Projekt
vorangetrieben werden muss. Zum Beispiel sollen Ar-
beitslose gezielt für schon vorhandene oder noch zu
schaffende Arbeitsplätze qualifiziert werden. Damit kann
für diese arbeitlosen Menschen eine Brücke zum Ar-
beitsmarkt geschlagen werden. Sie haben auch vor-
geschlagen, Gruppenarbeit in eigener Verantwortung zu
installieren
und flache Hierarchien in drei Stufen anstatt wie bisher in
acht Stufen im Rahmen dieses Projekts festzuschreiben.
Es war von Anfang an klar, dass die Regelungen, die
gefunden werden müssen, zwischen Haustarifvertrag und
Flächentarifvertrag liegen werden. Es wurde von keiner
Seite behauptet auch nicht von den Arbeitgebern , dass
man eine Lösung finden wollte, die unter den Regelungen
des Flächentarifvertrags liegt.
Man kann sich zwar darüber streiten, ob dies der heutige
Stand ist ich werde noch darauf zurückkommen , aber
es ist einfach falsch und völlig deplatziert, hier eine De-
batte um das Günstigkeitsprinzip zu entfachen. Selbst
wenn man Ihren Vorschlägen folgen würde, würde das
Günstigkeitsprinzip überhaupt nicht zur Debatte stehen.
Der Betriebsrat ist nicht zurückgepfiffen worden, wie
Sie hier suggerieren wollen. Der Betriebsrat hat vielmehr
in Übereinstimmung mit der IG Metall eindeutig gesagt,
dass es in dem vorliegenden Paket noch Pferdefüsse gibt
und dass somit noch die Gefahr besteht, dass der Tarif-
vertrag unterlaufen wird. In Wolfsburg wird im Moment
um eine Lösung oberhalb des Flächentarifvertrages, aber
eben auf Basis des Flächentarifvertrages gestritten. Die
Arbeitgeber bieten im Moment einen Jahreslohn von
54 000 DM an. Diese Summe liegt nun einmal unterhalb
der Summe von 61 000 DM, die im Flächentarifvertrag
vereinbart worden ist.
Ich sage aber auch: In dem Gesamtpaket gibt es Stell-
schrauben, um viele innovative Elemente bezüglich eines
ergebnisorientierten Produktionsverfahrens oder zum
Beispiel Beteiligungselemente bei der Bezahlung einzu-
führen. Es gibt viele flexible Elemente, die auf der einen
Seite Pilotcharakter haben, die aber auf der anderen Seite
auch Stellschrauben sind. Damit sind beide Seiten in der
Zukunft in der Lage, auf der Basis der Tarifverträge für sie
tragfähige Verabredungen zu treffen.
Ich glaube, dass man in Wolfsburg aufgrund der vor-
handenen Stellschrauben und Bewegungsmöglichkeiten
noch eine gute Lösung finden kann. Ich bin fest davon
überzeugt, dass die IG Metall und die Arbeitgeber in der
Lage sein werden, eine Win-Win-Situation herzustellen,
also eine Situation, in der in der Region alle das heißt:
das Unternehmen, die Arbeitslosen und die Gewerkschaf-
ten gewinnen werden.
Bis dahin wird es noch eine gewisse Zeit brauchen. Vor
dem Hintergrund der Geschichte gerade von VW Wolfs-
burg und der Geschichte der unterschiedlichen Haustarif-
verträge bei VW Wolfsburg, die allesamt Pilotcharakter
hatten, bin ich aber sehr positiv gestimmt, dass es VW
auch diesmal wieder gelingen wird, eine Vorreiterrolle be-
züglich neuer Tarifverträge und Haustarifverträge einzu-
nehmen.
Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Walter Hirche, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Es ist natürlich eine zutiefst politische
Debatte, die wir haben, wenn in Deutschland der Vor-
schlag gemacht wird, auf einen Schlag 5 000 neue Ar-
beitsplätze zu schaffen, und dann die Gewerkschaft in der
ersten Runde Nein dazu sagt.
Genau so ist es. Herr Volkert, der Betriebsratsvorsit-
zende, hat das zu Anfang in aller Deutlichkeit gesagt.
Es kann ja sein, dass er inzwischen durch Druck aus
Frankfurt
eingefangen und auf eine andere Linie gebracht worden
ist; das lasse ich mal dahingestellt sein.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Dr. Thea Dückert
17842
Ich hoffe mit Herrn Andres, um zu Beginn einmal auf-
zugreifen, dass es noch eine Lösung gibt;
denn 5 000 Arbeitsplätze plus entsprechende weitere Ar-
beitsplätze sind für die Region Wolfsburg und Hannover
bitter notwendig. Aber Tatsache ist doch auch, dass man
sich mit dem Vorgehen der IG Metall in dieser Situation
beschäftigen muss.
Nicht die F.D.P. mit dieser Aktuellen Stunde, sondern das
Verhalten der IG Metall im Zusammenhang mit neuen Ar-
beitsplätzen gefährdet die Tarifautonomie, nichts anderes!
Für uns als Liberale ist Tarifautonomie ein Bestandteil der
Freiheitssicherung in der Gesellschaft. Da soll sich der
Staat nicht reinmischen;
denn wir sind gegen einen zentralistischen Staat.
Aber Tatsache ist doch, dass Klaus Zwickel und die
IG Metall die Einrichtung von 5 000 neuen Arbeitsplätzen
bei VW sabotiert haben, ohne Rücksicht auf die betriebli-
chen Notwendigkeiten.
Das ist ein wirtschaftlicher Skandal.
Tatsache ist: 10 000 Menschen haben sich schon um
diese Arbeitsplätze beworben. Ihnen wird die Tür vor der
Nase zugeknallt. Das ist ein sozialer Skandal!
Die Hoffnungen der Arbeit Suchenden werden
blockiert, nur weil die IG Metall sagt: Wir haben mit den
Tarifverträgen einmal ein Muster gefunden, und an dem
wollen wir festhalten.
In der Tat das finde ich das Positive an den Ge-
sprächen zwischen dem Betriebsrat und dem Unterneh-
men hat auch der Betriebsrat gesagt: Lasst uns über fle-
xible Arbeitszeiten nachdenken;
lasst uns darüber reden, dass es eine Gruppenverantwor-
tung gibt. Aber genau das, Frau Dückert, wird heute in ei-
ner Tickermeldung der Gewerkschaften wieder infrage
gestellt.
Man könne einem Arbeitnehmer nicht zumuten, heißt es
dort, für das Ergebnis seiner Arbeit verantwortlich zu sein.
Aber dem Kunden wird zugemutet, dass er mit dem Er-
gebnis der Arbeit zu einem festen Preis etwas anfängt.
Dann muss aber ebenso im Betrieb, wie das bei jedem
Mittelständler der Fall ist, der sich auch nicht an 35, 38
oder 42 Stunden festhalten kann,
ergebnisverantwortlich gehandelt werden.
Das, was die IG Metall hier bisher gemacht hat völ-
lig anders als etwa die IG Chemie oder andere Gewerk-
schaften ,
ist ein Dinosaurierverhalten, wie es in unserer Gesell-
schaft kein krasseres gibt:
das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer gegen die Arbeitslo-
sen in dieser Gesellschaft.
Das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist doch,
dass wir uns überlegen, warum andere Länder um uns
herum ich nehme als Beispiel einmal die Schweiz mit
ihrer Arbeitsmarktstruktur in der Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit so viel erfolgreicher sind. In der Schweiz
liegt die Arbeitslosigkeit unter 3 Prozent bei einer
durchaus höheren Wochenarbeitszeit; das ist richtig.
Da können Sie sagen: Aha;
für mich ist aber der Arbeitsplatz das Wichtigste und nicht
das Beharren auf formalen Regeln.
Ich sage Ihnen: Lieber drei oder fünf Stunden pro Woche
mehr arbeiten und einen Arbeitsplatz haben, als arbeitslos
in der Gegend herumzulaufen.
Das ist die eigentliche soziale Frage, der wir uns heute
stellen müssen. Wenn Sie zu dieser Frage Nein sagen und
die eine Gewerkschaft hier einfach machen lassen, dann
ist das ein falscher Weg. Ich begrüße deshalb, dass in die-
sem Zusammenhang seitens der Bundesregierung durch-
aus differenzierte Meinungen geäußert worden sind.
Ich will noch einmal verdeutlichen: Für uns ist bei die-
ser Debatte das Wichtigste, lieber Kollege Seidenthal,
dass Arbeitsplätze entstehen. Sie würden das genauso se-
hen. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass wir das da-
mals bei der Betriebsversammlung von VW zusammen
haben verfolgen können, als über die 28-Stunden-Woche
geredet wurde; auch das Ergebnis haben wir gesehen. Ich
bin nämlich durchaus in den Betrieben.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Walter Hirche
17843
Deswegen sage ich als letzten Punkt dieses kurzen Bei-
trags: Wir haben hier einen Beweis dafür, dass es im Ta-
rifrecht und im Betriebsverfassungsrecht wir müssen al-
les miteinander diskutieren notwendig ist, über eine
neue Interpretation der Günstigkeitsklausel nachzuden-
ken.
Es kann nicht sein, dass diese Günstigkeitsklausel nur
mehr Lohn oder weniger Arbeitszeit beinhaltet. Vielmehr
muss sie in Zukunft betriebliche Vereinbarungen auch
dann zulassen, wenn es um mehr Arbeitsplätze geht.
Priorität in unserer Gesellschaft muss die Schaffung von
mehr Arbeitsplätzen haben. Das ist die Auffassung der
F.D.P.
Ich verstehe gar nicht, warum Sie da so aufgeregt dazwi-
schenrufen.
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit.
Denn wir müssten uns auf die-
ses Ziel hin gemeinsam weiterbewegen. Das wollen wir
mit dieser Aktuellen Stunde erreichen. Ich hoffe, dass die
Einsicht bei Ihnen noch einkehrt, wie sie bei der Bundes-
regierung in Teilen offenbar vorhanden ist.
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bei dem, was wir
heute hier gehört haben, insbesondere von Herrn Kolb
und von Herrn Protzner,
habe ich mir im Innern gesagt: Was an Inhalten fehlt, holt
man an Lautstärke nach. Ich habe in meiner Kindheit ge-
lernt: Wer schreit, hat Unrecht. Das, was Sie vorgetragen
haben, waren wirklich nur Lautnummern.
Das hat keinem Arbeitslosen in dieser Gesellschaft gehol-
fen. Das, was Sie vorgelegt haben, war in der Tat jäm-
merlich.
Ein Beitrag wie der von Herrn Hirche, der sich sogar
dazu herabgelassen hat, von Sabotage bei Arbeitsplätzen
zu sprechen,
und der damit das Vorgehen in die Nähe einer Straftat
rückt, ist aus meiner Sicht eine Unverschämtheit. Ich sage
das einmal so deutlich.
Ich will auch etwas zu dem Kollegen Laumann sagen,
der in seinem Beitrag zuerst versucht hat, eine ausgewo-
gene Position darzustellen, sich dann aber in Bezug auf
das Tarifrecht und die Tarifautonomie völlig verirrt hat.
Das, was er vorgetragen hat, hat nämlich zur Folge, dass
Betriebräte zukünftig ein Streikrecht haben müssen; denn
in diesem Fall bei VW geht es nicht um eine Sanierung,
sondern darum, einen Haustarifvertrag für einen speziel-
len Unternehmenszweig abzuschließen. Wer will, dass
Betriebsräte dort eine andere Funktion bekommen, als sie
nach dem geltenden Betriebsverfassungsrecht haben, der
muss ihnen auch das offizielle Streikrecht zubilligen. Wer
das will, der schafft eine völlig andere Landschaft in die-
sem Land, der sorgt dafür, dass der Betriebsfrieden, der
heute eines unserer höchsten Güter ist, dauerhaft zerstört
wird, Kollege Laumann.
Meine Damen und Herren, die bisherige Debatte hat
gezeigt, dass die F.D.P. mit dem Beispiel VW wieder ein-
mal gegen die Tarifautonomie als solche vom Leder zie-
hen will. Ich stelle dagegen für die Sozialdemokraten klar:
Die SPD steht zur Tarifautonomie, weil sie sich in unse-
rem Land bewährt hat
und weil es richtig ist, dass mit Tarifabschlüssen Rechts-
frieden und soziale Sicherheit in diesem Land hergestellt
worden sind.
Die F.D.P. beantragt eine Aktuelle Stunde zum Thema:
Zur Ablehnung der IG Metall, bei VW 5 000 Arbeits-
plätze mit einem Lohn von 5 000 DM zu schaffen. Dazu
sage ich Ihnen ganz konkret: Die IG Metall lehnt die
Schaffung von 5 000 Arbeitsplätzen mit einem Lohn von
5 000 DM nirgendwo ab.
Es geht nur darum, dass die Bedingungen, unter denen
dieser Abschluss erfolgen soll, nicht annehmbar sind. Das
muss man deutlich sagen.
Bei VW geht es also um einen besonderen Abschluss.
Gerade bei VW hat sich die IG Metall in der Vergangen-
heit schon oft durch innovative Tarifpolitik zusammen mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Walter Hirche
17844
dem Betriebsrat hervorgetan. Das wissen Sie. Ich erinnere
in dem Zusammenhang nur an den Tarifvertrag über die
28,5-Stunden-Woche, durch den 30 000 Arbeitsplätze in
einer Krisensituation gesichert wurden. Gerade bei VW
haben Betriebsrat, IG Metall und Geschäftsleitung ge-
zeigt, wie innovative Tarifpolitik funktionieren kann.
Deshalb sind wir das sage ich sehr deutlich gegen
Schnellschüsse, durch die im Kern die IG-Metall-Zentrale
als mutwilliger Bremser in der Tarifpolitik dargestellt
wird.
Ich sage auch ganz offen zu Frau Wolf: Die Gewerk-
schaften leiden in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit unter
Umständen an mangelndem Mitgliederzuwachs; dass sie
aber ausgezehrt und nicht mehr innovativ seien und keine
Ideen mehr hätten, das kann ich in der Tat nicht nachvoll-
ziehen.
Die IG Metall hat gerade in Baden-Württemberg einen
Tarifvertrag zur Qualifizierung abgeschlossen und damit
ein Beispiel dafür gesetzt, dass Zukunftsfragen wie die
Arbeitsplatzsicherheit durch Tarifpolitik zu regeln seien.
Meine Damen und Herren, die Verhandlungskommis-
sionen, die bei VW getagt haben, haben einstimmig ein
Ergebnis abgelehnt, das der VW-Vorstand vorgelegt hat.
Die Annahme, es gebe Differenzen zwischen Betriebsrat
und IG Metall, ist völlig fehl am Platze; das wissen Sie.
Im Übrigen setzt sich die Tarifkommission zu 80 Prozent
aus ehrenamtlichen Betriebsräten von VW und nur zu
20 Prozent aus hauptamtlichen Metallern zusammen. Das
macht deutlich, dass Sie völlig auf dem Holzwege sind,
wenn Sie einen Keil zwischen Betriebsrat und IG Metall
treiben wollen.
Es gibt keinen Kampf zwischen der angeblich sturen, be-
tonköpfigen Zentrale der IG Metall und den beweglichen,
flexiblen Betriebsräten vor Ort.
Meine Damen und Herren, es ist ganz einfach so: Die
Arbeitnehmer sind sich in dieser Angelegenheit noch
nicht einig geworden. Anstatt hier aber einen Spaltpilz zu
säen, sollten wir angesichts der Komplexität hier geht es
ja um Neuerungen in einem Tarifvertrag, die ausgelotet
werden müssen; es müssen Chancen ausgelotet und Risi-
ken minimiert werden
den Parteien Zeit geben, sie fördern und ihnen sagen, dass
wir einen solchen Prozess nicht stören wollen. Wir sollten
loben, was gerade bei VW an innovativer Tarifpolitik ent-
standen ist.
Herr Kollege, bitte
kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Diese Aktuelle Stunde ist in der von der F.D.P. verfolgten
Zielrichtung so überflüssig wie ein Kropf. Ich bin davon
überzeugt, dass es bei VW einen guten, modernen und in-
novativen Tarifvertrag auch zu diesem Gegenstand geben
wird. Allerdings bin ich gespannt, ob Sie, meine Damen
und Herren von der F.D.P., dann auch dazu eine Aktuelle
Stunde beantragen werden, um die innovative Tarifpoli-
tik, die vor Ort gemacht wird, zu feiern.
Das Wort hat der Kol-
lege Wolfgang Meckelburg für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Natürlich
muss da etwas ausgelotet werden, Herr Brandner; das ist
völlig klar. Die Frage ist, wo ausgelotet wird und wie
lange dies dauert. Ich möchte nicht, dass das bis zum
Wahltag dauert, auch wenn dies hilfreich wäre, wenn es
zur Folge hätte, dass Sie dann nicht mehr gewählt werden,
weil Sie bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht
viel bewegt haben. Aber für die vielen Menschen, die be-
reit sind, dort zu arbeiten, wäre es keine Hilfe, sondern
verlorene Zeit, wenn dort zu lange verhandelt wird.
Wir diskutieren hier ja auch nicht im luftleeren Raum,
sondern in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit seit
vier Monaten saisonbereinigt nicht mehr zurückgeht. In-
zwischen sind es schon fünf Monate; denn morgen kom-
men ja neue Zahlen. Heute sagt Ihnen das Ifo-Institut,
dass im Herbst die Arbeitslosigkeit erstmals wieder höher
ausfallen werde als ein Jahr zuvor.
Frau Rennebach, Sie sind doch gleich dran. Sparen Sie
sich Ihre Kraft für den Redebeitrag auf!
Das Ifo-Institut sagt auch, dass seit Mitte 2000 die
Wirtschaft nicht mehr so gewachsen sei, dass es positive
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat. Der Wirt-
schaftsweise Horst Siebert sagt Ihnen heute in einer Zei-
tung, man habe seitens der Regierung nichts am Regel-
werk getan, was Unternehmen zu einer stärkeren
Nachfrage nach Arbeitskräften veranlassen könnte.
In dieser Situation reden wir über die Frage, welchen
Stellenwert ein Modell 5 000 Arbeitsplätze für 5 000 DM
brutto hat. Es gibt eine Menge Gründe, die dafür sprechen,
dass für dieses interessante Modell schnell eine Lösung
gefunden wird. Der erste Grund wäre der deutliche Bei-
trag zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Es wäre ein Beitrag
für die Menschen, die arbeitslos sind und die unter diesen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Klaus Brandner
17845
Konditionen arbeiten wollen, auf einen Arbeitsplatz zu
kommen, um damit ihre Familien aus eigener Hände Kraft
ernähren zu können, statt von Arbeitslosengeldzahlungen
abhängig zu sein.
Es ist nach wie vor die größte soziale Ungerechtigkeit in
diesem Lande, dass nicht genügend Arbeit vorhanden ist.
Wir müssen in diesem Zusammenhang jedes Steinchen
prüfen.
Der zweite Grund wäre, dass es die Standortfrage mit
einschließt, die Frage also, ob diese 5 000 Arbeitsplätze
hier bei uns oder irgendwo sonst entstehen.
Der dritte Grund wäre, dass wir der Beantwortung der
Frage nahe kommen, ob dies nicht ein Modell dafür sein
kann, zu mehr Flexibilität insgesamt zu kommen.
Wir leiden doch gerade unter einem zu umfangreichen
Regelwerk.
Wir sehen an vielen Stellen, dass es offensichtlich durch-
aus möglich ist, auf Betriebsebene, also zwischen den Be-
triebsräten und den Unternehmen, und mit dem Einver-
ständnis der Beteiligten zu etwas lockereren und
flexibleren Regelungen zu kommen. Als Vertreter einer
Partei, die hier in Deutschland die soziale Marktwirtschaft
eingeführt hat,
sage ich Ihnen, dass wir natürlich zu den bestehenden
Flächentarifverträgen und zur Tarifautonomie stehen.
Was wir aber auch wollen, ist, dass es im Bündnis für Ar-
beit und auf Betriebsebene bzw. in den jeweiligen Unter-
nehmen mehr Flexibilität gibt, entsprechende Regelungen
festzulegen. Es geht nichts daran vorbei, in diese Rich-
tung zu gehen.
Wir sprechen hier über etwas, dessen Regelung zurzeit
nicht unbedingt ansteht. Bei der Änderung der Betriebs-
verfassung haben wir diese Chance gerade verpasst.
Herr Kollege Brandner, ich sage es Ihnen einmal knall-
hart: Diesen möglichen 5 000 Arbeitsplätzen können wir
nicht dadurch zur Geltung verhelfen und den 10 000 an
diesen Arbeitsplätzen Interessierten können wir nicht da-
durch helfen, dass die Schwellenwerte, wie es im Be-
triebsverfassungsgesetz festgelegt worden ist, gesenkt
werden bzw. ein Betriebsrat mehr oder weniger einge-
richtet worden ist.
Das hilft den nach den Arbeitsplätzen Nachfragenden
überhaupt nichts. Das, was Sie getan haben, war keine
Flexibilisierung, sondern reine Statistik.
Frau Rennebach, was wir von Ihnen erwartet hätten, ist,
dass Sie die Betriebsverfassung zu einem modernen In-
strument der sozialen Partnerschaft gemacht, vor Ort un-
ter Beibehaltung der Tarifhoheit Bündnisse für Arbeit zu-
gelassen und Möglichkeiten geschaffen hätten, in den
Betrieben flexibler zu sein, und somit einen wichtigen
Beitrag geleistet hätten, wie man unter Beteiligung aller
Betroffenen zu mehr Arbeitsplätzen kommt. Da werden
keine Rechte und Möglichkeiten weggenommen. Wir
wollen nur, dass alles etwas flexibler wird.
Diese Chance haben Sie im Rahmen der Änderung der
Betriebsverfassung vertan, Herr Brandner.
Am Ende meiner Rede kann ich nur meiner Hoffnung
Ausdruck geben, dass die, die für das Zustandekommen
des Modells von VW verantwortlich sind, sehen, welche
Chance und welche Verantwortung sie haben, dass sie
aber auch sehen, welchen Mut sie brauchen, sich einmal
einen kleinen Schritt abzunabeln und in Wolfsburg etwas
zu entscheiden, was nicht unbedingt von Frankfurt aus
fremdbestimmt wird. Das wäre ein Schritt, der Signalwir-
kung haben könnte, und dann wären wir sicherlich ein we-
sentliches Stück weiter. Ich hoffe, dass die Beteiligten die-
sen Mut haben und dies möglichst zügig umsetzen.
Jetzt hat für die SPD-
Fraktion die Kollegin Annette Kramme das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Arbeitslose
ist ein Arbeitsloser zu viel.
Dies ist das ursprünglichste Ziel der Sozialdemokrati-
schen Partei und selbstverständlich die maßgeblichste
Zielvorgabe einer rot-grünen Koalition, weil wir wissen,
was Arbeitslosigkeit bedeutet: Existenzsorgen, soziale
Ausgrenzung und dauerhafter Qualifikationsverlust.
Sozialpolitik bedeutet deshalb vor allen Dingen auch
staatliche Arbeitsmarktpolitik. Wir werden daher zum
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Wolfgang Meckelburg
17846
1. Januar 2001 das Recht der Arbeitsförderung novellie-
ren. Sozialpolitik bedeutet aber auch, durch staatliches
Handeln für angemessene Arbeitsbedingungen auf dem
Arbeitsmarkt zu sorgen. Wir sind deshalb mit dem
Schlagwort Recht und Ordnung für den Arbeitsmarkt in
den Wahlkampf 1998 gezogen und haben die entspre-
chenden Gesetzesänderungen, beispielsweise zum Kün-
digungsschutz, veranlasst.
Aber staatliches Handeln hat immer auch den Grund-
satz Schuster, bleib bei deinem Leisten zu befolgen.
Deshalb sage ich, meine sehr geehrten Damen und Herren
von der F.D.P.-Fraktion: Bleiben Sie bei Ihrem Leisten!
Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen Art. 9 Abs. 3 des
Grundgesetzes erläutere. Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes
gewährt die Koalitionsfreiheit und als Ausprägung der-
selben vor allen Dingen die Tarifautonomie.
Ein Grundrecht soll dabei auch in diesem Fall vor
staatlichem Handeln schützen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei-
dung in Band 88, S. 114 formuliert:
Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifauto-
nomie wird ein Freiraum gewährleitstet, in dem die
Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessen-
gegensätze
jetzt hören Sie gut zu!
in eigener Verantwortung austragen können.
Diese Freiheit findet ihren Grund in der historischen
Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse er-
zielt werden, die den Interessen der widerstreitenden
Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als
bei einer staatlichen Schlichtung.
Gerade bei der Lohnfestsetzung zeigt der Handlungs-
rahmen der Tarifautonomie besonders intensive Wir-
kung. Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren
von der F.D.P.-Fraktion, noch einmal: Bleiben Sie bei
Ihrem Leisten!
Weshalb Sie dieses Thema dennoch zum Thema einer
Aktuellen Stunde machen, ist klar: Es passt in den Ge-
samtkontext Ihrer Politik. Sie wollen Tarifverträgen nur
noch den Charakter von unverbindlichen Meinungsäuße-
rungen zukommen lassen.
Die von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe sprechen eine
deutliche Sprache: Sie wollen § 77 Abs. 3 des Betriebs-
verfassungsgesetzes und das Günstigkeitsprinzip abschaf-
fen. Sie wollen den langjährigen Konsens der sozialen
Marktwirtschaft aufgeben. Ich sage: Das ist ungehörig.
Das ist unanständig.
Politik hat sich nicht in Tarifpolitik einzumischen. Po-
litik darf aber durchaus Meinungsäußerungen vornehmen
und das will ich an dieser Stelle tun.
Das Angebot von VW scheint verlockend: 5 000 Arbeits-
plätze jeweils für 5 000 DM. Aber die Hürden sind hoch
gesetzt. Tatsächlich stehen nur noch 3 500 Arbeitsplätze
und Lohndumping im Raum. Dort wird eine Politik gegen
die Arbeitslosen betrieben. Wer soll denn noch die
Schwächsten, nämlich die Arbeitslosen, zu den gleichen
Bedingungen, wie sie für Arbeitsplatzinhaber gelten, ein-
stellen?
Ein Blick über die Unternehmensgrenzen hinaus zeigt,
dass es auch bei anständigen Arbeitsvergütungen durch-
aus möglich ist, am Standort Deutschland konkurrenz-
fähig Automobile zu bauen und zu investieren. Ich ver-
weise auf BMW und Chrysler.
Die IG Metall hat klar zum Ausdruck gebracht, dass sie
bereit ist, in der Tarifpolitik neue Wege zu gehen. Sie hat
Kompromisse angeboten, die ihr bestimmt nicht leicht
gefallen sind. Sie hätte befristete Arbeitsverträge akzep-
tiert, sie hätte eine befristete Qualifizierung jenseits der
35-Stunden-Woche oder eine stärkere Einbeziehung des
Samstags in die Arbeitszeit akzeptiert.
Ich sage Ihnen: Es ist richtig, Nein zu sagen zu langen
Arbeitszeiten, die zunächst vor Ort kurzfristig Arbeits-
plätze schaffen, langfristig aber vor Ort und andernorts
Arbeitsplätze bedrohen.
Es ist richtig, eine abwärts gerichtete Lohnspirale zu ver-
hindern, sodass niemand mehr gehalten ist, Arbeitslose zu
Tarifbedingungen einzustellen. Es ist richtig, einem Un-
terbietungswettlauf um Lohnkosten und Arbeitszeiten
entgegenzuwirken. Es ist richtig, eine Präjudizierung der-
gestalt zu verhindern, dass die Arbeitsbedingungen einer
gesamten Industrielandschaft unter das Flächentarifver-
tragsniveau sinken.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Anette Kramme
17847
Meine sehr geehrten Damen und Herren, statt über VW
sollten wir uns als Parlamentarier über die staatlichen
Handlungsmöglichkeiten zur Bekämpfung des Gräuels
Arbeitslosigkeit unterhalten.
Aber das machen Sie natürlich nicht gerne.
Schließlich könnte es an das erinnern, was Sie uns als
Erblast hinterlassen haben, nämlich eine Rekordarbeits-
losigkeit.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Jochen-Konrad Fromme von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Kol-
lege Andres, Frau Dückert, warum wollen Sie eigentlich
eine zweitklassige Lösung, wenn es eine erstklassige Lö-
sung gibt?
Wir würden uns natürlich freuen, wenn 5 000 oder auch
3 500 Menschen eine Arbeit finden würden. Aber zwi-
schen der erstklassigen und der zweitklassigen Lösung
liegen 1 500 Arbeitslose, die gern arbeiten möchten, aber
auf der Straße stehen.
Der Sachverhalt ist nicht neu: Seit Jahren wird in
Wolfsburg über dieses Projekt verhandelt. Peinlich ist
natürlich, wenn am Ende der stellvertretende Aufsichts-
ratsvorsitzende Herr Zwickel hat einen Doppelhut aus
Gründen, die mit VW gar nichts zu tun haben, die Not-
bremse zieht. Für das formale Argument hinsichtlich des
Tarifvertrages habe ich überhaupt kein Verständnis, denn
VW selbst schließt die Tarifverträge ab.
Das Unternehmen hat den Haustarifvertrag und den Tarif-
vertrag für VW-Coaching. Warum soll das nicht auch bei
diesem Modellprojekt gehen?
Frau Wolf, Sie haben gesagt, der Bundeskanzler habe
das Thema zur Chefsache gemacht und sich darum
gekümmert. Es scheint mir, als ginge es den üblichen
Weg einer Chefsache. Was ist denn nun? Hat er sich in
die Tarifautonomie eingemischt oder hat er sich geküm-
mert?
In 800 Modellprojekten darf von Tarifverträgen abge-
wichen werden; dies gilt zum Beispiel auch für das Kon-
kurrenzunternehmen Opel. Warum soll das dann nicht bei
VW gehen?
Diese Frage müssen Sie den 10 000 Leuten, die sich für
eine der Arbeitsstellen interessieren, beantworten.
Frau Wolf, Sie haben gesagt, dass die Gewerkschaften
an einer Auszehrung leiden. Ich glaube, Sie haben das mit
sich selbst verwechselt. Sie als Grüne sind doch so nervös,
weil Ihre Umfragewerte so sehr gesunken sind. Ich sage
Ihnen, worin die Ursache liegt: Sie liegt darin, dass Sie et-
was anderes reden, als Sie tun.
Das, was ich Ihren Kollegen schon vor einigen Tagen
gesagt habe, sage ich Ihnen noch einmal: Sie haben früher
die Kröten über die Straße getragen und heute schlucken
Sie die Kröten der SPD. Deswegen sinken die Umfrage-
werte Ihrer Partei so.
Kümmern Sie sich doch mal um das, was Sie versprechen.
Meine Damen und Herren, wir reden heute über das
wichtige Thema Arbeitsmarktpolitik. An dem Erfolg Ihrer
Arbeitsmarktpolitik wollen Sie sich messen lassen. Sie
werden ständig gewogen und für zu leicht befunden. Am
Arbeitsmarkt haben wir zurzeit Stillstand und Rückgang,
aber keinen Fortschritt.
Es geht darum, Arbeitsplätze in Deutschland zu erhal-
ten und Standorte zu sichern. Bei VW in Wolfsburg gibt
es dafür verschiedene Instrumente. Die F.D.P. tritt dafür
ein, das VW-Gesetz abzuschaffen. Dies lehnen wir ent-
schieden ab. Wir sind uns alle einig: Das VW-Gesetz muss
bleiben, weil es richtig ist und den Standort sichert.
Die Koalition bzw. die Bundesregierung hat dies gefähr-
det. Sie hat, bezogen auf die Fusionsrichtlinie, ihren
Standpunkt gewechselt. Die Kommission hat sich vor das
Knie getreten gefühlt und sucht jetzt nach Möglichkeiten,
wie sie dies mit Nadelstichen zurückzahlen kann. Dieser
Konflikt wird auf dem Rücken der VW-Arbeiter ausge-
tragen. Das darf es nicht geben.
Es geht um Mitbestimmung. Wir wollen natürlich die
Mitbestimmung vor Ort und nicht die irgendwelcher Zen-
tralen erreichen.
Es geht auch um Flexibilisierung am Arbeitsmarkt.
Das Problem ist: Es ist lange verhandelt worden. Im letz-
ten Augenblick hat die IG Metall durch Herrn Zwickel
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Anette Kramme
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die Notbremse gezogen. Es ging möglicherweise nicht da-
rum, dass er es in der Sache für falsch gehalten hat; er hat
ja als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender daran
mitverhandelt. Es ging vielleicht auch um Dinge, die mit
VW gar nichts zu tun haben, sondern mit einer Auseinan-
dersetzung im DGB.
Es geht hier nicht um die Frage, ob eine bestimmte Ar-
beit gemacht oder nicht gemacht wird, sondern um die
Frage, ob die Arbeit in Deutschland oder woanders ge-
macht wird. Das ist der Kernpunkt der Auseinanderset-
zung.
Meine Damen und Herren, Sie sorgen durch Ihre Politik
dafür, dass die Arbeit möglicherweise woanders gemacht
wird. Dies nützt keinem unserer Arbeitnehmer etwas und
deswegen halte ich diesen Weg für falsch.
Wir müssen durch Flexibilisierung dies betrifft die
wöchentliche Arbeitszeit, die Jahresarbeitszeit und ähnli-
che Dinge, die in diesem Modell enthalten waren,
Natürlich ist die Flexibilisierung der Jahresarbeitszeit in
diesem Modell enthalten. Es soll doch eine Ergebnisver-
antwortung geben. Diese Ergebnisverantwortung bedeu-
tet doch auch, dass man dann arbeitet, wenn Arbeit da ist,
und dann nicht arbeitet und auch nicht bezahlt wird ,
wenn keine Arbeit da ist. Im Jahresdurchschnitt muss die
Arbeitszeit der tariflichvertraglich vereinbarten Arbeits-
zeit entsprechen.
Wir haben Verständnis für die Sorge der VW-Arbeiter,
die jetzt in anderen Tarifen sind. Es kann aber doch keine
Politik geben, bei der gesagt wird: Auf Deubel komm raus
werden diejenigen verteidigt, die Arbeitsplätze haben,
und diejenigen, die keine Arbeitsplätze haben, bleiben um
jeden Preis außen vor. Das ist doch das Ergebnis Ihrer Po-
litik.
Deswegen liegen Sie hier völlig falsch.
Ich kann nur hoffen, dass es zu dem Kompromiss
kommt. Dieser aber ist und bleibt zweitklassig. Ich sage
es noch einmal: Es bleiben von vornherein 1 500 Men-
schen außen vor, die man in Arbeit und Beschäftigung
hätte bringen können.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Renate Rennebach für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Selbst die Bild-Zeitung hat eher
verstanden, wovon wir hier reden, als Sie. Die Bild-Zei-
tung hat eine Umfrage unter Arbeitslosen gemacht, die zu
dem Ergebnis kommt: Die Arbeitslosen sind empört.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Menschen,
die keine Arbeit haben, sind empört über das Erpres-
sungsangebot, das dem Betriebsrat von VW bzw. der sie
vertretenden Gewerkschaft gemacht worden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, VW, die Betriebsräte
und die IG Metall haben Appelle von Ihrer Seite nicht
nötig;
das sage ich hier ganz ausdrücklich.
Die IG Metall, VW und die Betriebsräte werden weiter
verhandeln, einen neuen Weg in ihrem Tarifvertrag fin-
den. Ich zitiere Klaus Zwickel:
Wir lassen uns die Chance nicht entgehen, mehr als
5 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen.
Aber nicht zu jedem Preis. Wir sind nicht bereit, ei-
nen arbeitszeitpolitischen Rückschritt in Kauf zu
nehmen, der letztlich Tausende von Arbeitsplätzen
gefährden würde.
Das, denke ich, kann der Fall sein.
Nun etwas zu Ihrem Politikstil: Sie fordern von dieser
Bundesregierung und von der Koalition politische Ein-
griffe in die Tarifautonomie.
Ist es liberal, wenn die F.D.P. den Deutschen Bundestag
mit dem Gewerkschaftstag der IG Metall verwechselt?
Dort wären Ihre Vorwürfe angebracht, dort wären Ihre
Appelle angebracht unter Umständen, wenn man auf Sie
hört!
Aber weder hier noch dort hört man auf Sie. Seit einiger
Zeit spielt die F.D.P. am Rande der Spaßgesellschaft und
wir machen hier jeden Mittwoch Aktuelle Stunden, die
Stunk-Sitzungen in nichts nachstehen.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist kein guter Politikstil.
Ich verstehe auch nicht, dass Sie auf einmal einen Para-
digmenwechsel vollziehen. Was hat Ihre Fraktion, die da-
mals in der Koalition mit regiert hat, gejubelt, als VW ei-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 181. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Juli 2001
Jochen-Konrad Fromme
17849
nen Haustarifvertrag zusammen mit der IG Metall er-
reicht hat! 28 Stunden und das hat 30 000 Arbeitsplätze
geschaffen.
Da hat jeder gesagt: leuchtendes Beispiel. Damals aber
war von Arbeitszeitverkürzungen die Rede, auch zulasten
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nämlich ei-
nen großen Teil ihrer außertariflichen Leistungen für die-
sen Tarifvertrag gegeben haben.
Da haben Sie gejubelt. Nun wollen Sie genau das Gegen-
teil.
Wir haben VW, ein Werk, das europaweit die längste
Betriebsnutzungszeit und die kürzesten Arbeitszeiten hat.
Sie haben Erfolg damit. Sie werden auch mit der neuen
Vereinbarung, die im Übrigen von vielen Kolleginnen und
Kollegen in der Gewerkschaft und auch von Klaus
Zwickel als höchst spannend betrachtet wird, eine Verein-
barung zum Wohle der Beschäftigten und der Region fin-
den. Ihre Einmischung, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der F.D.P. und von der CDU/CSU, haben sie über-
haupt nicht nötig. Die Menschen, die keine Arbeit haben,
haben deutlich gesagt, dass sie es nicht zulassen werden,
dass Sie den Zug der Gewerkschaften und den der Ar-
beitslosen aufeinander prallen lassen. Das schadet näm-
lich den Menschen, die keine Arbeit haben.
Ach, hören Sie doch auf, Herr Hirche! Wo auch immer
in der Republik die Menschen sich beworben haben: Ja,
wir werden ihnen helfen.
Wissen Sie, warum ich jetzt wir gesagt habe? Ich bin
stolz darauf, Mitglied der IG Metall zu sein. Das ist auch
gut so.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen
Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages ein auf morgen, Donnerstag, den 5. Juli 2001, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.