Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.Die Kollegin Christa Lörcher feierte am 24. Juniihren 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ichnachträglich sehr herzlich.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der KollegeOlaf Scholz als stellvertretendes Mitglied aus dem Ver-mittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird derKollege Klaus Brandner vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istder Kollege Klaus Brandner als stellvertretendes Mit-glied im Vermittlungsausschuss bestimmt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnenvorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: HaltungderBundesregierung zur drohenden Auszehrung derBahn-industrie in Deutschland vor dem Hintergrund einer exis-tenziellen Gefährdung der Adtranz/Hennigsdorf2. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun , weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigentums-rechte nicht durch falsche Naturschutzpolitik aushöhlen– Drucksachen 14/1113, 14/4572 –Berichterstattung:Abgeordnete Ulrike MehlVera LengsfeldUlrike HöfkenBirgit HomburgerEva Bulling-Schröter3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Hauser
, Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard Friedrich (Erlan-
gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:„Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizienz für denwachsenden Bildungsmarkt – Drucksache 14/6437 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschuss4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, UlrikeFlach, Horst Friedrich , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der F.D.P.: Sicherung des Wissenschafts-, For-schungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durchAusbildung hoch qualifizierter Fachkräfte – Drucksache14/6445 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Iris Gleicke,Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge-ordneten Albert Schmidt , FranziskaEichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm , weiterenAbgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
– Drucksache 14/6434 –
Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
SportausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Tourismusb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Küchler,Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris Barnett, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-ten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin,weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbildung im Bildungssys-tem verankern – Chancengleichheit stärken – Druck-sache 14/6435 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnungc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias Marhold,Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenDr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,Kerstin Müller , Rezzo Schlauch und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts-und Hochschulkooperationen mit Entwicklungs- undTransformationsländern – Drucksache 14/6442 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung
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179. SitzungBerlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001Beginn: 9.00 UhrAuswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungd) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung:Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armutund sozialer Ausgrenzung – Drucksache 14/6134 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Angelegenheiten der neuen Länder6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Haltung der Bundesregierung zur Welle der Beitragssatz-erhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. KlausGrehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Vertrag vonNizza nachverhandeln – Drucksache 14/6443 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussRechtsausschuss8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der PDS: Existenzminimum realitätsnahermitteln – Drucksache 14/6444 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss9. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Solidarpakt II:Sichere Zukunft für die neuen Länder10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Neue Wachstums-chancen mit durchgreifenden wirtschaftspolitischenReformen schaffen – Blitzprogramm für die deutsche Wirt-schaft – Drucksache 14/6446 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Des Weiteren wurde vereinbart, die Punkte 13 – AirbusA 3 –, 14 – Datenschutzbericht –, 23 – Asylverfahrensän-derungsgesetz –, 24 – Spätaussiedlerstatusgesetz –, 26 –Ausländeränderungsgesetz – sowie 30 a – Neuntes Euro-Einführungsgesetz – abzusetzen.Außerdem soll der Tagesordnungspunkt 17 vorgezo-gen und bereits nach Tagesordnungspunkt 12 beraten wer-den. Der Tagesordnungspunkt 27 soll bereits heute ohneDebatte aufgerufen werden.Weiterhin mache ich auf eine geänderte bzw. einenachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunkt-liste aufmerksam:Der in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr feder-führend an den Auswärtigen Ausschuss und an den Aus-schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionzur Mitberatung überwiesen werden.Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,Ernst Burgbacher, Ina Albowitz, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die deutsch-französische Beziehungen mit Leben erfüllen– Drucksache 14/6167 –überwiesen:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDer in der 177. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlichdem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfezur Mitberatung überwiesen werden.Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulla Jelpke,Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der PDS zur Änderungdes Asylverfahrensgesetzes und anderer Vor-schriften – Drucksache 14/6129 –überwiesen:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatz-punkt 2 auf:3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-lung des Rechts des Naturschutzes und derLandschaftspflege und zur Anpassung andererRechtsvorschriften
– Drucksache 14/6378 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
SportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für TourismusZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu dem An-trag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, UlrikeFlach, Hildebrecht Braun , weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.:Eigentumsrechte nicht durch falsche Natur-schutzpolitik aushöhlen– Drucksachen 14/1113, 14/4572 –Berichterstattung:Abgeordnete Ulrike MehlVera LengsfeldUlrike HöfkenBirgit HomburgerEva Bulling-Schröter
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Präsident Wolfgang Thierse17544
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesminister Jürgen Trittin.Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Seit fast vier Legislaturperioden dis-kutieren wir über eine Novellierung des Bundesnatur-schutzgesetzes. Eine solche Novelle legen wir heute vor.Wir schaffen damit die Grundlagen für den Erhalt der bio-logischen Vielfalt in einer modernen Industrie- undDienstleistungsgesellschaft. Meine Vorgängerin und ihrVorgänger sind – ich sage bewusst: leider – an einem sol-chen Gesetzentwurf, wie er heute dem Bundestag vor-liegt, gescheitert. Ich denke, wir sind damit heute einengroßen Schritt weiter.
Wir stärken den Schutz der Natur, um, wie es Richardvon Weizsäcker einmal gesagt hat, ihrer selbst willen.Störche, Adonisröschen und andere bedrohte Arten sollenin Deutschland ein Recht auf Überleben haben. Ich sageimmer: Da, wo Störche leben können, ist mit Sicherheitauch ein guter Platz für Menschen. Wer als Kind Naturlive erlebt und erfahren sowie die Bereicherung durch Na-tur empfunden hat, der wird sich als Erwachsener mehrfür Natur, aber auch mehr für Naturschutz und gelegent-lich für die Naturwissenschaften interessieren.Wir schützen mit dem Bundesnaturschutzgesetz dieNatur nicht gegen die Menschen, sondern mit den Men-schen. Wir wollen den Naturschutz aus seinem Reservatherausholen.
Wir berücksichtigen deswegen auch die Interessen derJogger, der Kletterer und der Menschen, die Kanu fahren,weil wir glauben, dass diejenigen, die in ihrem Sport Na-tur erleben, potenziell auch Bündnispartner für den Na-turschutz sein können.Gerade mit der Verpflichtung, Naherholungsgebietezu schaffen und zu erhalten, wollen wir dazu beitragen,dass Menschen – seien es alte Menschen, seien es Men-schen mit Kindern – eine Chance haben, sich ortsnah zuerholen. Der Spreewald, das Siebengebirge und die Eifelsind allesamt ideale Kurzurlaubsorte vor der Haustür.
– Ich konnte nicht alle aufzählen.
– Jetzt kommen die ganzen Vorschläge. Sie wissen, wasich meine. – Wir sind uns einig, dass wir diese Räume er-halten müssen, anstatt eine Tendenz zu befördern, immerhäufiger, für immer kürzere Zeit und immer weiter in denUrlaub zu fliegen.
Wir versuchen, die Arbeit der Naturschutzverbändezu stärken. Was wäre denn Naturschutz ohne die Zehn-tausende von Jugendlichen und Erwachsenen in den Na-turschutzverbänden? Die Naturschutzverbände sind dieAnwälte der Natur. Wir geben ihnen nunmehr auch bun-desweit ein Instrument in die Hand, mit dem sie als An-walt der Natur wirklich tätig werden können. Wir führendie Verbandsklage ein. Wo auf Auflagen für Schutzge-biete verzichtet werden soll, wo Planfeststellungsverfah-ren durchgeführt werden, dort können anerkannte Ver-bände künftig, wenn sie sich vorher an den Verfahrenbeteiligt haben, Klage erheben. Wir ziehen damit die Kon-sequenz aus den guten Erfahrungen, die wir mit der Ver-bandsklage in mittlerweile 13 Bundesländern gemachthaben. Die Bayern und die Baden-Württemberger müssenin diesem Punkt noch ein bisschen geschoben und nachvorne gebracht werden.
Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die Agrar-wende und die Neuorientierung der Landwirtschaft, dieVerbraucher ebenso wie Landwirte fordern. Ich will andieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Ohne landwirt-schaftliche Tätigkeit, das heißt ohne die Arbeit von Land-wirten, würde die Kulturlandschaft in Deutschland ver-öden. Aber umgekehrt gilt auch: Bei einer weiterenIndustrialisierung der Landwirtschaft würden nicht nurdie Landschaft und die Natur unter die Räder kommen,sondern auch das Höfesterben würde sich weiter be-schleunigen. Deswegen sage ich mit allem Nachdruck:Landwirte und Naturschutz haben ein gemeinsames Inte-resse an einer nachhaltigen Landwirtschaft und an or-dentlichen ländlichen Räumen.
Spätestens dann, wenn ungespritztes Obst, Gemüse undFleisch, das von Bioland oder anderen Produzenten er-zeugt worden ist, für alle bezahlbar wird, merkt jeder:Nachhaltige Landwirtschaft, Naturschutz schmeckt gut.Ich will an dieser Stelle noch einige Bemerkungen zuden Eckpunkten dieses Gesetzentwurfs machen. Wir de-finieren das Verhältnis von Naturschutz und Land- undForstwirtschaft neu. Das heißt, wir führen erstmals Re-geln für eine gute fachliche Praxis aus der Sicht des Na-turschutzes ein. Es ist nicht so, wie einige immer be-fürchten, dass dadurch etwas Schreckliches passiert. ImGrunde genommen ist es doch selbstverständlich – es sinddie „basics“, Neudeutsch gesagt –, dass Grünland inFlußauen und an Hängen nicht umgebrochen wird, weildas zu Erosionen führt. Wir wissen, dass leider nicht da-nach gehandelt wird; deswegen müssen wir entspre-chende Vorschriften in das Gesetz aufnehmen.Höfe sollen künftig im Verhältnis zum Viehbestandund zur Fläche ausgewogen bewirtschaftet werden. Wir
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Präsident Wolfgang Thierse17545
wollen, dass in der Forstwirtschaft Kahlschlag untersagtwird. Wir halten nichts davon, dass überall Fichtenplanta-gen angelegt werden. Wir wollen vernünftigen Misch-wald und eine standortgerechte Bewirtschaftung.
In der Fischereiwirtschaft erhält der Naturschutz Vorrangvor der Rendite.Wir geben es den Ländern mit dem Naturschutzgesetzin die Hand, dieses Gesetz auszugestalten. Wir setzen be-wusst Rahmen, weil wir der Auffassung sind, dass es jenach Landschaft, je nach Bundesland unterschiedlicheBedingungen gibt. Dem muss in einem föderalen Staatvon den Ländern Rechnung getragen werden.Das gilt gerade im Hinblick auf die Ausgleichsrege-lung.Wir haben mit der von Ihnen vorgelegten Gesetzes-novelle, nach der eine Ausgleichspflicht auch dann be-stand, wenn eine Naturschutzbehörde lediglich zurVerhinderung von Umweltsünden eine gute fachlichePraxis durchgesetzt hat, Schluss gemacht. Das kann nichtausgleichsfähig sein. Den Ausgleich von Leistungen, diedie Landwirte über die gute fachliche Praxis hinaus fürden Naturschutz erbringen, sollen die Länder regeln. Dasist unser Ansatz für ein neues Miteinander zwischen Na-turschutz und Landwirtschaft.
Wir wollen, dass die Länder auch eine Gesetzlichkeitfür ein Biotopverbundsystem aufbauen, ein System, indem sich unterschiedliche Biotope miteinander verbin-den. Ich sage an dieser Stelle deutlich, dass es sich hiernicht um eine Schutzkategorie handelt. Wir haben mit Ab-sicht nicht festgeschrieben, wie die Länder das machensollen, sondern wir gehen davon aus, dass dies aufgrundder jeweiligen regionalen Bedingungen erfolgt.Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass wir dieEingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes ver-schärft haben. Künftig gilt die Veränderung des Grund-wasserspiegels, eines der Hauptprobleme, das wir haben,als ein Eingriff. Wir haben sie zwar praktikabler gemacht,aber gleichzeitig den Schutz von Lebensräumen vonstreng geschützten Tier- und Pflanzenarten verschärft.Darüber hinaus wollen wir nicht mehr, dass bei EingriffenAblasshandel betrieben wird. Ausgleichsmaßnahmenmüssen angemessen und hochwertig sein. Die Natural-kompensation muss im Vordergrund stehen. Die Funktiondes Naturhaushaltes und das Landschaftsbild dürfen nichtbeeinträchtigt werden.Schließlich sind wir mit dem Naturschutzgesetzent-wurf einen weiteren Missstand angegangen, nämlich denVogeltod an Hochspannungsleitungen.Bestehende Lei-tungen sollen innerhalb von acht Jahren so umgerüstetwerden, dass zum Beispiel Uhus und Greifvögel gegenStromschlaggefahr gesichert sind.Ich möchte nun eine Bemerkung zu einem Konfliktfeldmachen, das gerade an der Küste eine besondere Rollespielt. Wir beobachten eine steigende Investitionstätigkeitin Bezug auf die Planung und den Bau und von Offshore-windenergieparks. Als Naturschützer sage ich ganzdeutlich: Wir wollen den Ausbau der Windenergie. Wennwir den Klimawandel nicht bekämpfen, wird das geradeauf die Artenvielfalt, die Biodiversität, Auswirkungen ha-ben. Es ist und bleibt aber richtig, dass die wirklichen Po-tenziale für den Ausbau der Windenergie beim Windener-gieweltmeister Bundesrepublik Deutschland offshore imWasser liegen. Das ist der Grund, weswegen wir als fürden Naturschutz zuständiges Ministerium Flächen be-stimmt haben, auf denen dieser Ausbau möglich ist. Wirwollten damit ganz bewusst ein Signal setzen, nämlichden Naturschutz aus der Rolle des Verweigerers und Ver-hinderers in eine aktive Mitgestaltung bei der Lösung die-ses Problems bringen.
Außerdem werden wir dafür sorgen, dass innerhalb derAWZ, der Außenwirtschaftszone, für solche Dinge ent-sprechende Regeln gelten. Wir verändern die Seeanlagen-verordnung und wir schaffen die Grundlagen zur Auswei-sung von FFH- und Vogelschutzgebieten.Meine Damen und Herren, in einem montäglichenMagazin habe ich auf dem Titelbild Folgendes gelesen:„Die abgeschlafften Reformer“.
Ich muss Ihnen sagen: Für die Umwelt- und Naturschutz-politik dieser Regierung kann ich das nicht nachvollzie-hen.
Nach dem Atomkonsens, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem Modernisierungsgesetz für Kraft-Wärme-Kopplung geht Rot-Grün mit dem Natur-schutzgesetzentwurf die nächste große Reform an, eineReform, an der Sie 16 Jahre lang gescheitert sind. Ichkann nur sagen: Von Reformmüdigkeit ist zumindest beimir keine Spur.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Paziorek von der CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Der Schutz der Natur ist beiuns, in Europa und weltweit eine der zentralen Heraus-forderungen unserer Zeit. Bei der Festlegung der Krite-rien für die Beantwortung der Frage, wie wir die Natur ambesten schützen können, müssen wir zwar von naturwis-senschaftlichen Fakten ausgehen; letztlich ist dies aber
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Bundesminister Jürgen Trittin17546
eine gesellschaftspolitische Frage. Bei ihrer Beantwor-tung müssen alle Bürger einbezogen werden. Das bedeu-tet für die CDU/CSU im Gegensatz zur Regierungskoali-tion: Naturschutz kann nur mit der Bevölkerung und nichtgegen die Bevölkerung verwirklicht werden.
Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze in der Natur-schutzpolitik. Sagen wir es ganz deutlich: Moderner Na-turschutz bedeutet Schutz der Natur vor negativenmenschlichen Einflüssen, aber auch Schutz und Nutzungder Natur durch den Menschen.
Daraus folgt für uns ganz wesentlich: Diese Grund-frage mit Generationenbedeutung kann nur im Einver-nehmen mit allen gesellschaftlichen Gruppen gelöstwerden. Das wird nur zu schaffen sein, wenn für die Be-lange des Naturschutzes ein auf Konsens gerichtetes poli-tisches Klima erreicht wird. Dieser Anforderung wird IhrGesetzentwurf, Herr Minister, an keiner Stelle gerecht.
Voraussetzung für einen Dialog zwischen Naturnut-zern und Naturschützern und den Willen aller zu einemBündnis für die Natur ist, dass es zu einer gerechten Las-tenverteilung im Rahmen der Naturschutzpolitik kommenmuss. Den Nutzen, den die Allgemeinheit von einer in-takten Natur hat, dürfen nicht nur wenige, sondern müs-sen alle bezahlen. Das übersehen Sie – entgegen IhrenWorten, Herr Minister – eindeutig in Ihrem Gesetzent-wurf.
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist derjetzt von Bundesminister Trittin – nach seiner Rede zu ur-teilen besteht bei ihm doch eine große politische Müdig-keit – und von den Regierungskoalitionen vorgelegte Ent-wurf einer Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz eineherbe Enttäuschung. Er trägt nicht zum Konsens imNaturschutz bei. Er vertieft vielmehr die Kluft zwischenden verschiedenen Akteuren, insbesondere zur Land- undForstwirtschaft. Diese Kluft haben wir, CDU/CSU undF.D.P.,
vor 1998 – da waren Sie, Herr Minister, noch nicht Mit-glied dieses Bundestages – durch die letzte Novellierungdes Bundesnaturschutzgesetzes erfolgreich überbrückenkönnen. Sie schrauben das wieder zurück.
Sie werden diese Kluft mit diesem Gesetzentwurf wiederaufreißen, und zwar – das sage ich ganz deutlich – zulas-ten des Naturschutzes in unserem Land.Wie bei der Rentendiskussion 1998 und bei der Ge-sundheitsreform Ende 1998 wird jetzt, natürlich verspä-tet, auch die Naturschutzdiskussion von der rot-grünenBundesregierung mit Themen von gestern und vorgesterneröffnet. Nicht die Lösung von Zukunftsfragen, sonderndas Rückgängigmachen früherer Beschlüsse des Bundes-tages steht aus rein ideologischen Gründen im Mittel-punkt dieser Novelle.Der Entwurf fördert nicht die Lösung von Natur-schutzfragen im Konsens mit dem Bürger, er stärkt nichtden Vertragsnaturschutz, sondern er setzt wieder stärkerauf die hoheitliche und damit auch verwaltungsmäßigeWahrnehmung, teilweise auch gegen den Willen der ört-lichen Bevölkerung.Der Entwurf hebt die bundeseinheitliche Verpflichtungder Bundesländer zum finanziellen Ausgleich für Natur-schutzauflagen, die über die gute fachliche Praxis hinaus-gehen, wieder auf und überlässt damit die Regelung derfinanziellen Fragen in Bezug auf die Landwirtschafttatsächlich nur den Bundesländern. Es wird nach IhremGesetzentwurf entgegen Ihren Worten, Herr Minister, kei-nen gerechten bundeseinheitlichen Lastenausgleich imNaturschutz mehr geben. Gerade das war ein Erfolg derletzten Novellierung vor 1998. Sie machen diesen wich-tigen Erfolg, die Verankerung des Naturschutzes in derBevölkerung, wieder zunichte.
Wer das nicht glauben will, schaue sich nur die Be-gründung Ihres neuen Gesetzentwurfes an. Ich darf zitie-ren, Herr Präsident.Zwar ist es den Ländern unbenommen, Entschädi-gungen auch für solche Beschränkungen zu zahlen,die nur unwesentlich über den Standard der gutenfachlichen Praxis hinausgehen. Aber auf der anderenSeite sind auch reine Härtefallregelungen denkbar,die bereits an der Grenze der Sozialpflichtigkeit desEigentums angesiedelt sein können. In dieser Band-breite sind die Länder zukünftig frei, Ausgleichszah-lungen zu treffen.So die Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf.
Dabei wissen wir doch ganz genau, dass gerade diesefrühere Praxis, die Sie jetzt wieder einführen wollen, zuunterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in Deutsch-land geführt hat.
Sie war doch gerade ein wesentlicher Grund für die Ab-nahme der Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen in derBevölkerung, insbesondere in der Land- und Forstwirt-schaft.
Es ist ein umweltpolitischer Treppenwitz, dass die Bundes-regierung diese überholte Praxis, die wir schon längst über-wunden hatten, jetzt in Deutschland wieder einführen will.
Die Konsequenz daraus wird sein, dass damit unter demDiktat leerer öffentlicher Landeskassen Naturschutz
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künftig wieder zulasten einer Bevölkerungsgruppe betrie-ben wird, siehe Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.Ich muss ganz deutlich sagen: Ich halte es für unehr-lich, dass bei der Vorstellung des Entwurfs auf frühzeitigeInformation und Konsens mit der Bevölkerung hingewie-sen wird, dass in den konkreten Regelungen aber – dasstellt man fest, wenn man in den Gesetzentwurf hinein-schaut – vieles von dem, was Sie, Herr Minister, heuteMorgen gesagt haben, vom Gesetzes- und Begründungs-text leider nicht getragen wird; das waren alles reine Wort-hülsen.
Die Anhänger des Naturschutzes werden es noch be-reuen. Das Zurückdrängen des Vertragsnaturschutzes inDeutschland wird nicht dazu beitragen, das zukünftigeKlima – ich sage es noch einmal ganz deutlich – für not-wendige Naturschutzmaßnahmen zu verbessern. Mankann sagen: Der Entwurf hält nicht das, was Sie gerade inIhrer Rede versprochen haben.
Es wird zum Beispiel davon gesprochen, dass ein Bio-topverbund notwendig sei – dies ist richtig – und dass dieverschiedensten Naturschutzflächen in Deutschlandgrundsätzlich 10 Prozent der Landesfläche umfassen sol-len. Wie kommen Sie auf diese Zahl von 10 Prozent?
Warum nicht in dem einen Land 12 oder 15 Prozent undin einem anderen 7 oder 8 Prozent? Wieso greifen Sie ein-fach eine Zahl heraus, obwohl Sie ganz genau wissen,dass Sie diese Zahl in der konkreten Naturschutzdiskus-sion überhaupt nicht begründen können. Sie wollen nurIhre Klientel zufrieden stellen; das ist völlig falsch.
Meinen Sie denn wirklich, dass es ein Beitrag zur Bür-gerinformation und Bürgeröffentlichkeit ist, wenn Sie dieverschiedensten Biotoptypen und -schutzkategorien jetztnoch weiter anreichern? Sie führen eine Vielzahl vonSchutzgebietskategorien ein. Der Bürger steht verzweifeltvor Ihrem Gesetzentwurf und fragt sich, was durch die ent-sprechenden Typen – Naturschutzgebiete, Naturparke, Na-tionalparke und Biosphärenreservate – geschützt wird, in-wieweit durch den einen Typ in sein Eigentum eingegriffenwird und wie er sich bei einem anderen Typ tatsächlich ver-halten muss. Im Sinne der Entbürokratisierung wäre es einGebot der Stunde, die Schutzkategorien zu vereinfachen,damit die Bürger wissen, wo es langgeht, und bereit sind,dort mitzumachen. Das machen Sie leider nicht.
– Herr Matschie, Sie als Ausschussvorsitzender werdennoch erleben, wie lange die Beratungen im Ausschuss dau-ern werden. Diesen Zwischenruf werden Sie noch bereuen.
Sie werden sehen, dass wir gerade diese Punkte im Detailkritisieren werden.
Ein wichtiges Thema ist das von Ihnen angesprocheneVerhältnis zwischen Landwirtschaft und Naturschutz.Wir wissen, dass es notwendig ist, Landwirtschafts- undNaturschutzpolitik zu harmonisieren. Durch neue Aufla-gen und Verordnungen sowie durch die Abschaffung vonRegelungen zur finanziellen Entschädigung werden Sie indiesem weiten Politikfeld nicht erfolgreich sein. Auch dieCDU/CSU ist für standortangepasste Landnutzung, artge-rechte Tierhaltung und naturnahe Bewirtschaftung. DieAnhebung der Standards, von denen Sie gerade gespro-chen haben, gehört aber in die einschlägigen Fachgesetzeund nicht in das Bundesnaturschutzgesetz.
Herr Trittin, man merkt, dass Sie ursprünglich nicht inder Verwaltung tätig gewesen sind: Alle Fachleute sagenIhnen, dass die Naturschutzbehörden vor Ort personellnicht so ausgestattet sind, dass sie die vielen offenenPunkte im Natur- und Landschaftsschutz regeln und har-monisieren könnten. Die Verwaltung vor Ort ist überhauptnicht entsprechend ausgestattet. Sie befrachten vielmehrdie Naturschutzbehörden mit neuen Aufgaben und wissenganz genau, dass die Naturschutzbehörden diese Fragenvor Ort überhaupt nicht lösen können. Sie werden dadurchnur große Unsicherheiten und Probleme in der Natur-schutzpolitik vor Ort herbeiführen.Deshalb fordere ich ganz deutlich: Hören Sie auf, indiesen Fragen die so genannte Agrarwende zu betreiben!Machen Sie das, wenn Sie wollen, in den Fachgesetzen!Helfen Sie aber mit, dass der Gedanke des Naturschutzesan dieser Stelle keinen Schaden leidet!Ich fasse zusammen: Dieser von Rot-Grün vorgelegteEntwurf einer Novellierung des Bundesnaturschutzgeset-zes wird die Situation des Naturschutzes in Deutschlandleider nicht verbessern. Die CDU/CSU-Fraktion schlägtvor, den bisher eingeschlagenen Weg des Konsenses
im Naturschutz weiterzugehen. Dazu muss – im Gegen-satz zu Ihrem Entwurf – der Vertragsnaturschutz gestärktund die bundeseinheitlich vorgeschriebene Ausgleichs-verpflichtung der Bundesländer für Naturschutzauflagenbeibehalten werden. Darüber hinaus ist das Bundesnatur-schutzrecht mit einer Vereinfachung der Schutzkategorienund Veränderungen im Artenschutzrecht für den Bürgertransparenter zu gestalten.Für solche Regelungen bieten wir in den Ausschüssenunsere Mitarbeit an. Den Entwurf in der jetzigen Fassunglehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber entschiedenab.
Ich erteile das WortUlrike Mehl, SPD-Fraktion.
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Dr. Peter Paziorek17548
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Paziorek, ich konnte eigent-lich nichts anderes erwarten; aber ein bisschen enttäuschtes mich schon, dass Sie wieder in das altbekannte Hornblasen. Den Dissens in der Öffentlichkeit, den Sie bekla-gen, haben Sie erzeugt, und zwar in der letzten Legis-laturperiode mit der Diskussion gerade um die Land-wirtschaft. Einen Konsens erreicht man nicht mit solchenReden, wie Sie eben eine gehalten haben.
Ich habe gehofft, dass Sie konstruktiv mitarbeiten wollen.Aber offensichtlich wollen Sie es nicht; Sie wollen dasThema vielmehr wieder ausschlachten und schaden damitgerade dem Bestreben, Naturschutz und Landwirt-schaft zusammenzubekommen. Sie bringen die Leute aufdie Barrikaden, und das ohne jeden Grund.
– Ich komme dazu gleich noch. Ich kann überhaupt nichtnachvollziehen, was Sie an Inhalten kritisieren. Aber viel-leicht kommt später mehr Substanz.Wir debattieren heute – ich hoffe, zum vorletzten Mal fürgeraume Zeit – das Bundesnaturschutzgesetz, das wir weitüber zwölf Jahre intensiv diskutiert haben. Aber bis 1998gab es nur Gesetzentwürfe der Opposition. Auch der frühereUmweltminister Töpfer, der das Fehlen einer Novelle alseine klaffende Wunde in der Umweltpolitik der damaligenRegierung bezeichnet hat, hatte keinen Gesetzentwurf under wusste sehr wohl, warum: Er wollte nämlich keinenschlechten vorlegen. Stattdessen haben Sie 1998 zwei No-vellen vorgelegt; die zweite scheiterte. In der dritten habenSie dann das geregelt, was Sie in der zweiten nicht durch-bekommen haben. Alleine das ist schon ein Grund dafür,dass das Naturschutzgesetz überarbeitet werden muss.Dass die CDU jetzt im Bundesrat versucht, zu halten,was zu halten ist, um dem Gesetz einen eigenen Stempelaufzudrücken, kann ich zwar nachvollziehen; aber ichsage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, dieses Gesetzzu einem zustimmungspflichtigen Gesetz zu machen undes damit scheitern zu lassen. Das Gesetz wird diesmal be-schlossen werden.
Die Fachwelt ist sich jedenfalls einig, dass, obwohlschon viele Jahre untätig ins Land gegangen sind, eineÜberarbeitung des Naturschutzgesetzes dringend notwen-dig ist; denn die Artengefährdung sowie der Lebens-raumschwund und die Lebensraumverschlechterung hal-ten ungebremst an. Das kann man in vielen Gutachten, diein den letzten Jahren erstellt worden sind, nachlesen.Der Interessenkonflikt zwischen Landwirtschaft undNaturschutz ist weitgehend unverändert geblieben. Dazuhat die Diskussion in der letzten Legislaturperiode kräftigbeigetragen. Ich finde das ausgesprochen bedauerlich. Ichglaube, dass es für die Landwirtschaft eine große Chanceist, wenn sie von sich aus auf den Naturschutz zugeht.
Das tut sie ja in weiten Teilen, und zwar auch in der Pra-xis. Aber mit solchen Reden, wie Sie sie hier halten, tunSie das jedenfalls nicht.
Wir werden mit dem vorgelegten Gesetzentwurf einenneuen Anlauf nehmen, um endlich das notwendige ge-setzliche Fundament für einen wirksamen Naturschutz zuschaffen. Dieses Gesetz ist im Gegensatz zu dem, was wireben gehört haben, eine deutliche Verbesserung gegen-über dem geltenden Recht. Es orientiert sich an dem Prin-zip der Nachhaltigkeit, betont nicht mehr so stark dieInteressen der Naturnutzer und berücksichtigt neue wis-senschaftliche Erkenntnisse aus Naturschutz und Land-schaftsplanung.Ich kann in dem Zusammenhang nur begrüßen, dassdie Liste der zu schützenden Biotope erweitert worden istund dass beispielsweise auch der Schutz von Gewässernund Uferzonen als wichtiges Element für ein ökolo-gisches Netz benannt worden ist.Ich finde die Neuregelung des Verhältnisses von Na-turschutz einerseits und Land-, Forst- und Fischerei-wirtschaft andererseits, wie sie jetzt in den Gesetzent-wurf aufgenommen worden ist, lobenswert. Diebestehenden fachrechtlichen Vorschriften für die ord-nungsgemäße Bewirtschaftung werden durch na-turschutzfachliche Anforderungen ergänzt. Diese ge-plante Änderung – das ist der Unterschied zu dem, wasin der letzten Legislaturperiode gelaufen ist – flankiertdie ebenfalls überfällige Agrarwende, die den Weg zueiner nachhaltigen, umweltfreundlichen Landwirtschaftebnet. Die Novellierung des Bundesnaturschutzgeset-zes ist also einer der Bausteine bei der Umsetzung derneuen Agrarpolitik.§ 5, um den es hier geht, hat schon im Vorfeld zu hef-tigen Diskussionen geführt. Allerdings ist das eine Dis-kussion, die wir schon seit zehn Jahren intensiv führen.Ich kann heute, da der ausformulierte Text vorliegt, dieablehnenden Argumente vonseiten der Landwirtschaftnoch weniger verstehen als früher. Es ist für mich nichtnachvollziehbar, warum die Landwirtschaft glaubt, dassdas, was hier formuliert ist, zum Ruin der Landwirtschaftführt. Dies haben Sie ja eben heraufbeschworen.
Ich glaube, das im Gesetz Formulierte ist das Minimumdessen, was man von der Landwirtschaft erwarten kann.Die Bauernverbandsvertreter sagen ja selbst, dass sie das,was in § 5 des Bundesnaturschutzgesetzes formuliert ist,ohnehin machen, und zwar seit vielen Jahren. Deswegenerschließt es sich mir nicht, warum sie mit allen Mittelndagegen kämpfen.
Unter den diversen Gegenargumenten gibt es eines, dasich gerne bereit bin, im parlamentarischen Beratungsver-fahren zu untersuchen. In § 5 Abs. 3 Nr. 2 steht, dass die
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erforderlichen Elemente zur Vernetzung von Biotopen inausreichender Dichte zu erhalten bzw. wieder herzustel-len sind. Es wird behauptet, dass dies dazu führen könnte,dass bestehende Agrarförderprogramme ausgehebeltwürden. Ich glaube nicht, dass dieser Fall eintreten wird,weil nämlich in dem gleichen Absatz formuliert ist, dassdie Länder die zu erreichende regionale Mindestdichtehierfür festlegen müssen. Ich bin aber, wie gesagt, gernbereit, dies zu überprüfen, weil wir natürlich im Interessedes Naturschutzes eine Bereicherung an Landschaft errei-chen wollen. Wenn dies über Agrarprogramme geschieht,dann soll dies auch weiterhin so sein.Im Übrigen ist in diesem Themenzusammenhang wei-terhin der Vertragsnaturschutz als wichtiges Elementverankert worden. Ich betone aber noch einmal, dass derVertragsnaturschutz eben nur ein Instrument unter ande-ren ist. Dies ist im Gesetzentwurf auch so formuliert. DerVertragsnaturschutz ist ein Instrument, das bei der Um-setzung vor Ort sehr flexibel angewendet werden kann,und zwar dort, wo es Sinn macht. Aber was Sinn macht,an welcher Stelle und unter welchen Voraussetzungen esSinn macht, das entscheiden diejenigen, die für den Na-turschutz und für die Umsetzung zuständig sind, und dassind die Länder. Im Übrigen sind es auch die Länder, diedas bezahlen müssen. Deswegen halte ich es nach wie vorfür richtig, im Bundesgesetz nicht bindend vorzuschrei-ben, dass der Vertragsnaturschutz das Instrument ist, dasdie Länder als erstes anzuwenden haben, sondern dassdieses Instrument zur Verfügung gestellt und gesagt wird:Wendet es dort an, wo ihr meint, dass es das richtige undflexible Instrument ist. Genau das haben wir jetzt ge-macht.
Alles in allem ist festzuhalten: Die Landwirtschaft istin die Lage zu versetzen, umweltverträglich zu wirtschaf-ten. Das ist aber nicht Aufgabe des Naturschutzes, son-dern Aufgabe der Landwirtschaftspolitik. Genau das wirddie Regierung jetzt mit der Agrarwende tun. Alle überdieses Maß hinausgehenden Anforderungen und Wün-sche vonseiten des Naturschutzes gehören in das Aufga-benfeld des Naturschutzes. Dafür haben wir mit diesemGesetz die Grundlagen und die Instrumente geschaffen.Ein weiterer wichtiger Eckpunkt des Gesetzes ist, dassdie Naturschutzverbände nun endlich durch die Ein-führung der Vereinsklage auch auf Bundesebene einwichtiges Instrument erhalten. Wie wir schon gehört ha-ben, wenden bereits 13 Bundesländer dieses Instrumentseit Jahren an. Während noch vor zehn Jahren heftig la-mentiert wurde, dadurch würde der ganze Staat lahm ge-legt, weil die Umweltverbände auf Teufel komm rausklagen würden, hat sich genau das Gegenteil herausge-stellt. Es hat sich herausgestellt, dass die Umweltver-bände mit diesem Instrument sehr verantwortungsbe-wusst umgehen. Auf der anderen Seite haben dieVerwaltungen inzwischen festgestellt, dass das die Ver-fahren eher beschleunigt, als dass es sie verlangsamt, weilsie nämlich in den Verfahren sehr viel enger und sehr vielfrüher zusammenarbeiten. Alle miteinander stellen alsofest: Dies ist ein gutes Instrument. – Das war auf Bundes-ebene lange überfällig. Wir haben dies ernst genommenund haben jetzt die Gelegenheit genutzt, es in das Gesetzaufzunehmen.
Wir haben das Instrument der Landschaftsplanunggestärkt, indem wir es als flächendeckendes Instrument indas Gesetz aufgenommen haben. Die Landschaftsplanungist die einzige Fachplanung, die die unterschiedlichenNutzungsansprüche an Natur und Landschaft koordinie-ren kann. Deswegen ist sie ein sehr wichtiges Instrument.Die Länder werden nun die Aufgabe haben, einen ent-sprechenden Mindeststandard der Landschaftsplanungfestzulegen. In Teilen ist das ja schon geschehen, aber dieLänder werden auch die Aufgabe haben, mit solchen Min-deststandards der Landschaftsplanung die Bedeutung zugeben, die sie verdient.Wir haben außerdem unsere langjährigen Forderungennach einem Biotopverbund in diesen Entwurf aufge-nommen. Auf mindestens zehn Prozent der Fläche einesBundeslandes soll es den Vorrang für den Naturschutz ge-ben. Die Vernetzung der Flächen untereinander setzt nunendlich schon lange bekannte wissenschaftliche Erkennt-nisse im Bereich des Naturschutzes um.Abschließend möchte ich festhalten: Dieses Gesetz isteine sehr gute Grundlage zur Verbesserung des Natur-schutzes. Allerdings bietet auch dieses Gesetz nicht dieLösung aller Probleme; das sollte jedem klar sein. Dasliegt zum einen daran, dass es sich um ein Rahmengesetzhandelt, zum anderen aber auch daran, dass Naturschutzeine Querschnittsaufgabe ist, die mit vielen Interessen ausanderen Ressorts kollidiert. Der Erfolg des Naturschutzeshängt im Wesentlichen davon ab, dass diese anderen Inte-ressenfelder dem Naturschutz die Aufgabe zumessen, dieer hat, nämlich die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.Es gibt sicherlich den einen oder anderen Punkt in die-sem Gesetzentwurf, der verbesserungswürdig ist. Wirwerden darüber im parlamentarischen Verfahren diskutie-ren. Das betrifft möglicherweise Regelungen zumBiotopverbund, zum Thema Meeresnaturschutz und viel-leicht auch im Zusammenhang mit Offshore-Anlagen, dievorhin schon angesprochen worden sind. Wir werden da-rüber eingehend beraten.Ich freue mich sehr, Herr Paziorek, dass Sie trotz allergrundsätzlichen undifferenzierten Beschimpfungen, wasdieses Gesetz angeht, erklären, Sie wollten konstruktivmitarbeiten und würden im Ausschuss sehr intensive Vor-lagen dazu einbringen. Ich freue mich darauf und hoffe,dass Sie dann auch konstruktiv nach außen wirken undnicht so destruktiv, wie Sie es eben getan haben.
Ich erteile der Kolle-
gin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Welche Vision hat diese Bundesregie-
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Ulrike Mehl17550
rung eigentlich von oder für Deutschland – Industriestand-ort oder Feuchtbiotop?
Naturschutz in einer hoch entwickelten Industriege-sellschaft, in einem dicht besiedelten Land ist ein dau-ernder Abwägungsprozess. Auf einem zunehmend engerwerdenden Markt für Fläche ist der Naturschutz neben derWirtschaft und dem Wohnungs- und Straßenbau zu einemweiteren Nachfrager geworden. Da ist es wenig hilfreich,diesen Abwägungsprozess zu ignorieren und erst einmaldie Abwägungsklausel zu streichen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sieuns schon nicht glauben, dann sollte Ihnen die gemein-same Erklärung von BDI, DIHK, DBV und denkommunalen Spitzenverbänden Anlass zum Nachdenkensein. Wer den Naturschutz aus sich selbst heraus rechtfer-tigt, geht zumindest den lästigen Fragen der Landwirt-schaft, der Forstwirtschaft, der Grundeigentümer, dergesamten Bevölkerung des ländlichen Raumes aus demWeg.
Herr Minister, auch wir haben natürlich ein Herz für denStorch und für das Adonisröschen.Nachhaltigkeit – dieses wunderschöne Wort! Kaumein Antrag, kaum ein Gesetzentwurf, kaum eine Rede derRegierung, in denen nicht das Leitbild der Nachhaltigkeitbeschworen wird. Aber was ist denn Nachhaltigkeit,meine Damen und Herren von der Regierung? Nachhal-tigkeit umfasst genau das, was Sie mit der Novelle desBundesnaturschutzgesetzes verhindern wollen, nämlichdie offene Abwägung von ökonomischen, ökologischenund sozialen Faktoren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie erklärenSie es den Landwirten, wenn Sie ihre wirtschaftliche Frei-heit zunehmend einschränken?
Wie sagen Sie dem Landwirt, dass seine Existenz wenigerwichtig ist als zum Beispiel die einer bedrohten Insekten-art? Sie drücken sich vor der Antwort, Herr Schönfeld, in-dem Sie sagen: Wir schützen die Natur, weil es nun ein-mal die Natur ist. – Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dassdie Betroffenen mit dieser Auskunft sehr zufrieden seinwerden.Aber die Halbwahrheiten der Regierung gehen nochweiter. Während Herr Trittin landauf, landab erklärt, dassder Naturschutz zu einer wichtigen Einkommensquellefür die Bauern geworden ist, sieht die Wahrheit etwas an-ders aus. Wohlgemerkt, Herr Trittin: Dies ist die Wahrheitaus Ihrem eigenen Haus.Auf meine schriftliche Anfrage an die Bundesregie-rung vom 7. Juni 2001 habe ich zur Antwort bekommen,dass der Bundesregierung „keine allgemeinen Erkennt-nisse über die Einkommens- und Vermögensentwick-lungen der landwirtschaftlichen Betriebe in den verschie-denen Schutzgebietstypen bzw. über die finanziellen Aus-wirkungen von Schutzgebietsausweisungen vorliegen“.
Woher nimmt dann bitte schön die Koalition die Dreistig-keit, immer wieder zu behaupten, der Naturschutz sei eineEinkommensquelle für die Landwirtschaft?Aber die Antwort auf meine Anfrage enthält ein weite-res Highlight. Schließlich weist die Bundesregierungausdrücklich darauf hin, dass den „durch Auflagen verur-sachten Kosten jedoch auch Ertragssteigerungen entge-genstehen können, wenn landwirtschaftliche Erzeugnisseaus Schutzgebieten zu einer erhöhten Nachfrage und da-mit Zahlungsbereitschaft führen“. Während die Einnah-men aus dem Naturschutz also sehr fraglich sind, sind dieKosten sehr real. Darüber kann man doch nur noch denKopf schütteln. Geht es nicht noch etwas praxisfremder?Wenn man so etwas liest, dann weiß man eines: HerrTrittin steht mit seiner Novelle mit beiden Beinen fest inder Luft.
Aber man muss ihm zu seiner Verteidigung zugestehen:Er hat schließlich niemanden, der es ihm besser erklärenkönnte.Auf meine Frage nach der Anzahl der Fachkräfte mitlandwirtschaftlicher Ausbildung im Bundesumweltminis-terium antwortete die Bundesregierung: zehn Mitarbeiterdes höheren und gehobenen Dienstes beim BMU und sie-ben beim Bundesamt für Naturschutz. – Wenn man das inRelation zu den 770 Mitarbeitern beim BMU und 220beim Bundesamt für den Naturschutz setzt, dann verstehtman die Befürchtung der Landwirte, wenn sich HerrTrittin erst einmal an die Definition der guten fachlichenPraxis macht.Beim BMU mag diese personelle Schieflage noch hin-nehmbar sein. Vielleicht hilft Frau Künast Herrn Trittinbei den Hausaufgaben. Ich vermisse übrigens Vertreterdes Landwirtschaftsministeriums bei einer für die Land-wirte so wichtigen Debatte.
Bei dem Bundesamt für Naturschutz habe ich für so et-was kein Verständnis. Wenn Naturschutz tatsächlich auf100 Prozent der Fläche stattfinden soll, wie es das BfNimmer wieder fordert, dann sollte doch eigentlichsichergestellt sein, dass diese Behörde in der Lage ist, dieSorgen und Nöte der größten Flächennutzer, nämlich derLandwirtschaft, zu verstehen. 97 Prozent der Mitarbeiterdes BfN haben von Landwirtschaft keine Ahnung. Das istetwas wenig Fachkompetenz, um zu verstehen, was auf55 Prozent der Fläche in Deutschland vor sich geht.
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Marita Sehn17551
Die gesamte Novelle des Bundesnaturschutzgesetzesist deshalb auch ein Beleg für die landwirtschaftliche Ah-nungslosigkeit des Herrn Trittin. Was können Sie nach derNovelle des Bundesnaturschutzgesetzes für den Natur-schutz tun, was Sie nicht auch heute schon tun können?Sie wollen einen Biotopverbund auf 10 Prozent derFläche. Warum verwirklichen Sie dies nicht gemeinsammit den Landwirten über den Vertragsnaturschutz?Warum brauchen Sie immer gleich ein neues Gesetz?
Ob dieses Gesetz mehr Naturschutz bringt, ist nicht si-cher. Sicher ist aber, dass auch dieses Gesetz wenigerFreiheit bedeutet – weniger Freiheit für die Land- undForstwirtschaft, weniger Freiheit für die Grundbesitzer,weniger Freiheit für das Handwerk und den Mittelstandund weniger Freiheit für die Bewohner des ländlichenRaumes. Es ist interessant, dass die ehemaligen Alternati-ven heute die fleißigsten Gesetzesstricker sind.Die F.D.P. setzt gerade beim Naturschutz auf Koopera-tion. Naturschutz ist ein Anliegen der gesamten Gesell-schaft. Deshalb ist es nur recht und billig, wenn er auchvon allen mitgetragen wird. Mit dem Vertragsnatur-schutz – an dem wir übrigens in der vergangenen Legis-laturperiode einen großen Anteil gehabt haben –
gibt es bereits ein hervorragendes Instrument, Natur-schutzaspekte auf der einen Seite und die ökonomischenBelange der Nutzer auf der anderen Seite gleichermaßenzu berücksichtigen.
Für uns Liberale ist der Naturschutz kein von der Rest-gesellschaft losgelöster Monolith, sondern integraler Be-standteil. Deshalb muss ein Abwägungsprozess stattfin-den. Wer Naturschutz will – und wir alle wollen ihn –,muss auch sagen, was er dafür zu zahlen bereit ist. Natur-schutz darf nicht per Mehrheitsbeschluss einer Minder-heit aufs Auge gedrückt werden. Die F.D.P. will, dassGrundrechte für alle gelten, auch für Minderheiten. DieLandwirte sind zu einer Minderheit geworden
und die Bundesregierung lässt sie dieses deutlich spüren.Herr Matschie, ich möchte noch einmal fragen: Wervertritt das Landwirtschaftsministerium heute auf der Re-gierungsbank? Ich kann niemanden sehen. Es tut mirLeid.
Ich empfinde dies als eine Katastrophe. Es ist ein so wich-tiges Gesetz, gerade für die Landwirtschaft. Dafür, dannhier nicht anwesend zu sein, habe ich kein Verständnis.
Die Bundesregierung will große Politik machen, hataber kein Geld. Also müssen die Landwirte die Zeche zah-len. Vielleicht sollte man Herrn Trittin einmal daran erin-nern: Die Qualität einer Demokratie zeigt sich an ihremUmgang mit Minderheiten.Das Recht auf Eigentum ist ein Grundrecht. Es mussauch für die Landwirte gelten. Die Landwirtschaft darfnicht mit immer neuen Auflagen belastet werden, die ei-ner schleichenden Enteignung gleichkommen.Die F.D.P. fühlt sich dem Gedanken der Nachhaltigkeitverpflichtet, die auch die sozialen und ökonomischen Be-lange mit in Betracht zieht. Wir Liberale wissen, dass derWirtschaftsstandort Deutschland kein Feuchtbiotop istund wir neue Konzepte brauchen. Die Realität lässt sichleider auch nicht per Gesetz wegverordnen. Deshalb brau-chen wir neue Strategien, die es ermöglichen, Naturschutzauch in dicht besiedelten Räumen zu verwirklichen.Die Grünen haben anscheinend ein Problem mit denRealitäten eines Industrielandes. Ein Industrieland brauchteine gewisse Infrastruktur. Dazu gehört natürlich auch eineflächendeckende Energieversorgung. Aber selbst damithaben Sie ein Problem. Für die toten Vögel an Hochspan-nungsleitungen haben Sie ein Herz. Aber sind die, welchevon Windrädern erschlagen werden, weniger wert?
Was ist übrigens in diesem Zusammenhang mit demLandschaftsbild, Herr Kubatschka? Danach muss ich hierauch einmal fragen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im Na-turschutz brauchen wir eine Verhältnismäßigkeit; wirbrauchen die Abwägung ökonomischer, sozialer und öko-logischer Faktoren. Viele Aspekte in unserer Gesellschaftsind nicht unbedingt angenehm und fast jede Form desWirtschaftens ist auch mit einem Ge- und Verbrauch vonUmwelt verbunden. Wenn aber das Streichen der Abwä-gungsklausel im Bundesnaturschutzgesetz alles ist, wasIhnen dazu einfällt, dann ist das schon etwas mager.
An der Realität ändert sich dadurch überhaupt nichts undSie bringen die Gesellschaft damit keinen Deut weiter.Man möchte Sie manchmal fragen: Wissen Sie eigent-lich, wo Sie sich befinden? Deutschland ist keine Jäger-und-Sammler-Gesellschaft mehr.
Wir leben in einem hoch entwickelten Industrieland mit ei-ner umfassenden Infrastruktur und dicht besiedelten Räu-men. Da kann Naturschutz nur in Abwägung mit anderenFaktoren stattfinden. Die eigentliche Herausforderung imNaturschutz besteht nicht darin, ein neues Gesetz zu schaf-fen. Die große Herausforderung im Naturschutz bestehtvielmehr darin, Wege aufzuzeigen, wie Naturschutz auchin Ballungsgebieten im Konsens mit allen Beteiligten
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Marita Sehn17552
durchgeführt werden kann. Wir Liberale wollen den Na-turschutz, Frau Mehl, aber wir wollen den Naturschutzmit den Menschen und für die Menschen und nicht einenNaturschutz, der über die Bedürfnisse der Menschen hin-weggeht.Vielen Dank.
Ich erteile das Wortdem Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpom-mern, Wolfgang Methling.
und Herren Abgeordnete! Zunächst darf ich mich sehrherzlich für die Gelegenheit bedanken, als PDS-Umwelt-minister aus Mecklenburg-Vorpommern in diesem HohenHause zu sprechen.
Die ersten Diskussionsbeiträge, die ich gehört habe, ma-chen es mir nicht schwer, mich hier ganz wie zu Hause zufühlen; denn die Argumente zum Naturschutz, die ichgehört habe, kenne ich aus ähnlichen Diskussionen inMecklenburg-Vorpommern.
Es mag übrigens sein, dass 97 Prozent der Mitarbeiterim BfN von der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Zu-mindest mir geht es nicht so; denn ich habe noch bis vorkurzem in der Lehre und in der Forschung für die Land-wirtschaft gearbeitet. Ich glaube, dass ich die Interessender Landwirtschaft sehr gut kenne, und dazu will ich michäußern.
– Unser Gesetzentwurf ist gut.Als ich erfahren habe, dass bereits heute die erste Le-sung der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz erfolgenwürde, war ich, ehrlich gesagt, von dem vorgelegtenTempo, mit dem der Gesetzentwurf die Ressort-, die Län-der- und die Verbandsabstimmungen durchlaufen und dasBundeskabinett passiert hatte, außerordentlich über-rascht. Denn ich hatte das nicht erwartet. – Herzliche Gra-tulation an die Bundesregierung, dass sie diesen Entwurfso schnell vorlegen konnte! – Haben sich doch vorange-gangene Anläufe zur Novellierung schon mehrfach totge-laufen. Sie waren am Widerstand der Wirtschaft und auchan dem der Landwirtschaft gescheitert.Ich weiß sehr wohl – ich selbst habe das vor kurzem so-zusagen am eigenen Leibe in Mecklenburg-Vorpommernanlässlich der Novelle zu unserem Landesnaturschutz-gesetz erfahren –, dass ein solches Vorhaben von ver-schiedenster Seite außerordentlich argwöhnisch beäugtwird und widerstrebende Interessen abgewogen werdenmüssen. Dabei den großen Wurf für den Naturschutz zu er-zielen ist höchst schwierig und nach Einschätzung der PDSmit dem heutigen Gesetzentwurf noch nicht voll gelungen.Im Vergleich zum geltenden Bundesnaturschutzgesetzist der vorliegende Entwurf ein Fortschritt, wenn auch ausunserer Sicht nur ein relativ bescheidener. Anders als esaus naturschutzfachlicher Sicht erforderlich wäre und imGegensatz zu den Forderungen der Naturschutzverbände– das ist Ihnen sicherlich bekannt – stellt er leider nichtden erhofften großen Schritt nach vorne für den Natur-schutz dar. Die Fortschritte sind mehr von der Tilgung vonenormen Defiziten – auch das sollte hier einmal erwähntwerden – des im Kern 25 Jahre alten Gesetzes als von derkonsequenten Umsetzung neuer Ansätze im Naturschutz-recht bestimmt. Dies lässt sich an mehreren Kernpunktender Novelle deutlich machen.
Zweifellos ist es für den ehrenamtlichen Naturschutzein Erfolg, wenn anerkannten Naturschutzverbänden erst-mals ein Vereinsklagerecht zur Wahrung von Natur-schutzinteressen zugestanden wird. Allerdings zeugt derkonkrete Regelungsgehalt nicht von großem Vertrauen zuden Umweltverbänden; das merkt man dieser Novelledurchaus an. Die Beschränkung auf eine Klagemöglich-keit bei Planfeststellungsbeschlüssen und Befreiungenvon Verboten und Geboten in Schutzgebieten bleibt deut-lich hinter dem zurück, was viele Länder bereits durchLandesrecht geregelt haben.
– Ja, mit Herrn Schnappauf lassen sich dazu besonders gutGespräche führen.Insofern ist es tröstlich, dass die Länder weitergehendeRegelungen getroffen haben. Sie tun dies grundsätzlichauch deshalb, weil dieses Bundesrecht nur ein „Rahmen-recht“ ist. Davon hat auch Mecklenburg-Vorpommern– ich muss sagen: endlich – Gebrauch gemacht, indem esseinen Gesetzentwurf so gestaltet hat, dass eine Kla-gemöglichkeit bei Plangenehmigungen, aber auch beiUVP-pflichtigen Vorhaben außerhalb von Schutzgebietenvorgesehen ist.Was die Eingriffsregelung betrifft, finde ich es richtig,dass die Koalitionsfraktionen auf dem Vorrang des Aus-gleichs vor Ersatzmaßnahmen bestanden haben. Die Er-satzzahlung soll weiterhin nur bei nicht ausgleichbarenund nicht kompensierbaren Eingriffen in Betracht kom-men und wird der Regelungskompetenz der Länder un-terworfen. Wir werden dies schon regeln. Dies halte ichfür eine praktikable Lösung.Gleichwohl wird diese Regelung ebenso wenig wie inder Vergangenheit Eingriffe in Natur und Landschaft wirk-lich verhindern können. An der Praxis, dass die Belangedes Naturschutzes bei Bauvorhaben häufig eher „weg“-als, wie eigentlich erforderlich, abgewogen werden, wirddurch die Novelle wohl nichts geändert. Das ist eine Ein-schätzung, die natürlich auch für unser Land zutrifft.
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Marita Sehn17553
Durch den Gesetzentwurf soll ferner das Verhältnisvon Naturschutz und Landwirtschaft neu geordnetwerden. Das gesellschaftliche Klima dafür ist nach denDebatten um BSE und MKS so günstig wie nie, obwohlich hier sagen möchte, dass diese beiden Krankheiten nunwahrlich nichts mit Naturschutz zu tun haben. Es istselbstverständlich nicht nur im Interesse des Natur-schutzes, sondern aus meiner Sicht auch im Interesse derBauern selbst, wenn sie dieses positive Klima aufgreifenund nicht blockieren und mit eigenen Vorschlägen ihr– leider – bei großen Teilen der Bevölkerung beschädig-tes Ansehen aufwerten würden.
Es steht völlig außer Frage, dass die so genannte ord-nungsgemäße Landwirtschaft zu einer erheblichen Moor-degradation geführt hat, die Nährstoffeinträge in dieGewässer aufgrund der diffusen Austräge aus den land-wirtschaftlichen Nutzflächen nach wie vor unzulässighoch sind und intensive Tierhaltung ohne die entspre-chenden eigenen Flächen zur Gülleausbringung höchstproblematisch ist. Vor diesem Hintergrund ist das, was in§ 5 des Entwurfs von dem Landwirt verlangt wird – dasist meine Meinung –, eher als zaghaft und wenig verbind-lich zu charakterisieren; denn fast alles, was von ihm ge-fordert wird, muss er schon aus wirtschaftlichem Eigen-interesse tun.Die Anerkennung der in § 5 des Entwurfs genanntenGrundsätze als gute fachliche Praxis ist aus meiner Sichteher eine Würdigung als eine Forderung an die Landwirt-schaft.
Mir ist deshalb die häufig zu hörende Kritik der Bauern-verbände an dieser Definition völlig unverständlich. Indiesem Punkt möchte ich Frau Mehl und Herrn MinisterTrittin unterstützen. Mir ist unverständlich, wie die An-erkennung einer guten fachlichen Praxis aus Sicht des Na-turschutzes für die Bauern ein Problem sein kann; dennsie sagen ja, sie würden eine gute fachliche Praxis üben.
Will man eine genauere Definition der guten fachlichenPraxis haben, so kann ich nur empfehlen, in den Entwurfder PDS-Fraktion, der sich bereits in der ersten Lesungbefunden hat, zu schauen. In diesem Entwurf wird eineOrientierung gegeben, da er eine klarere und weiterge-hende Regelung hinsichtlich der Verantwortung derLandwirtschaft für den Schutz der Natur enthält.Ich habe viele Gespräche mit Bauern geführt und weißdaher, dass viele Bauern durchaus bereit sind, freiwilligzum Naturschutz beizutragen. Es gibt in der Bauernschaftnicht nur Feinde des Naturschutzes, sondern auch vieleVerbündete. Darauf können wir bauen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bundesregie-rung und die Koalitionsfraktionen haben hinsichtlich desTempos der Novellierung ein beträchtliches Ergebnis zu-stande gebracht. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt.Der Gehalt der Novelle dagegen lässt manche Wünscheoffen. Ein – wenigstens heimlicher – Blick in den Gesetz-entwurf der PDS-Fraktion vor den Ausschussberatungenkann sicherlich Anregungen zur Verbesserung des Ent-wurfs von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geben. Dazumöchte ich Sie – auch im eigenen Interesse – ermuntern,denn wenn Sie im Bund höhere Maßstäbe setzen, wird esmir leichter gemacht, eine weitere Anhebung des Natur-schutzniveaus in Mecklenburg-Vorpommern zu errei-chen.Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Karsten Schönfeld, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es war eine sozialdemokra-tisch geführte Bundesregierung, die 1976 das erste Bun-desnaturschutzgesetz verabschiedet hat. Trotz einiger Än-derungen in den letzten Jahrzehnten ist das bestehendeNaturschutzrecht heute nicht mehr zeitgemäß. Deshalb le-gen wir diesen Gesetzentwurf vor.Natur und Umwelt müssen in einem hoch industriali-sierten und dicht besiedelten Land – also nicht nur Feucht-biotope, Frau Kollegin Sehn – wie Deutschland konse-quent und wirkungsvoll geschützt werden, dies besondersauch deshalb, um künftigen Generationen eine lebens-werte Umwelt zu hinterlassen. Man muss kein ausgewie-sener Umweltpolitiker sein, um das zu erkennen.In unserem Gesetzentwurf wird die Verantwortung fürdie zukünftigen Generationen hervorgehoben und damitdas Nachhaltigkeitsprinzip gestärkt.
Es wird sichergestellt, dass bei Naturschutzmaßnahmendie betroffene und interessierte Öffentlichkeit frühzeitigund umfangreich informiert wird. Außerdem wird die Ak-zeptanz von Maßnahmen des Naturschutzes durch eineverstärkte Einbindung der Betroffenen gefördert.Naturschutz ist in der grundgesetzlichen Ordnung eineAngelegenheit der Länder; darauf ist bereits hingewiesenworden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb alsRahmengesetz, quasi als Richtschnur, formuliert. Bei sei-ner Umsetzung spielen die Länder eine entscheidendeRolle. Gemäß den Regelungen im Grundgesetz sind dieLänder hier in der Verantwortung.Die Novelle unterstützt die von uns eingeleitete Neu-orientierung in der Agrarpolitik. Erst vor wenigen Tagenhaben die Umwelt- und Agrarminister der Länder und desBundes diese Neuorientierung eingefordert und unter an-derem einen besseren Schutz von Umwelt und Natur ver-langt.Ein wesentliches Anliegen ist uns die Akzeptanz in derÖffentlichkeit. Es geht darum, das Verständnis für Natur-
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Minister Dr. Wolfgang Methling
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schutz zu verstärken. Der Dialog mit der Land- undForstwirtschaft ist mir als Agrarpolitiker dabei ein be-sonderes Anliegen.
Landwirtschaftliche Verbände, aber auch einige Agrar-minister kritisieren den Entwurf zur Neuregelung desBundesnaturschutzgesetzes, weil er – so der Tenor derKritik – die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft überGebühr belaste und ihre Rolle bei der Pflege der Kultur-landschaft nicht anerkenne. Diese undifferenzierte Glo-balkritik trifft so nicht zu,
auch wenn einige Punkte noch einer eingehenden Prüfungbedürfen. Die berufsständischen Vertreter kritisieren, diepauschale Festlegung, dass mindestens 10 Prozent derLandesfläche als Biotopverbundsystem ausgewiesen wer-den sollen, berücksichtige regionale Besonderheiten nurunzureichend. Es besteht die Furcht, dass diese 10 ProzentNaturschutzfläche auf kleine Regionen oder sogar aufeinzelne Betriebe bezogen wird. Das kann ich dem Ent-wurf so nicht entnehmen. Vielmehr müssen die Länderdarüber entscheiden, auf welche Weise sie diese Zielvor-gabe erreichen. Sollte das unklar formuliert sein, werdenwir das in unserem Gesetzentwurf noch konkretisieren.Schon heute ist von einigen Ländern – Schleswig-Holstein sei hier genannt – zu hören, dass sie diese Ziel-vorgabe bereits erreicht haben. In anderen Ländern ist dasschwieriger. Die Zahl 10 dokumentiert aber unserenfesten Willen, ein ökologisch sinnvolles Verbundsystemzu schaffen.
Lassen Sie mich dazu einige Zahlen nennen, die – sodenke ich – in diesem Zusammenhang wichtig sind: Etwa2 Prozent der Landesfläche entfallen bereits heute auf Na-turschutzgebiete, weitere 2 Prozent auf Nationalparks,4 Prozent auf Biosphärenreservate, 25 Prozent auf Land-schaftsschutzgebiete und 19 Prozent auf Naturparke. Si-cher, die Flächenanteile lassen sich nicht addieren und nurTeile davon sind auch Bestandteil eines zukünftigen Ver-bundsystems. Aber es sollte möglich sein, 10 Prozent derFlächen in einem Verbund zusammenzufassen.
Kritisiert wird außerdem, dass Regelungen zur gutenfachlichen Praxis in der Landwirtschaft in das Bundes-naturschutzgesetz aufgenommen werden sollen. Es istaber nun einmal so, dass die Regelungen zur guten fach-lichen Praxis im landwirtschaftlichen Fachrecht nichtausgereicht haben,
um negative Folgen für Umwelt und Natur in jedem Fallzu verhindern. Das ist so.
Über die Gründe kann man sicherlich streiten; festzuhal-ten ist aber, dass eine nachhaltige Land- und Forstwirt-schaft bereits heute keine Probleme hat, die im Gesetz-entwurf definierten Anforderungen zu erfüllen.Die Aufzählung von Pflichten in § 5 des Gesetzent-wurfes lässt sich auch als positive Darstellung der land-wirtschaftlichen Tätigkeit in unserem Land lesen: Verant-wortungsvolle Landwirte wählen schon immer Bewirt-schaftungsverfahren, die die natürliche Ausstattung derNutzfläche nicht über das erforderliche Maß hinaus be-einträchtigen. Verantwortungsvolle Landwirte erhaltenschon immer die natürliche Ertragsfähigkeit ihres Bo-dens. Verantwortungsvolle Betriebsleiter unterlassenschon immer den Grünlandumbruch auf erosionsgefähr-deten Hängen und schon immer treten verantwortungs-volle Agrarpolitiker – auch aus Ihren Reihen – für ein re-gional ausgewogenes Verhältnis zwischen Tierhaltungund Pflanzenbau ein.
Die neuen Anforderungen an die gute fachliche Praxisim Gesetz sind so streng nicht. Gute Landwirte wirtschaf-ten – ich habe es erwähnt – bereits heute so. Trotzdem istdie Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen, dasseinige der staatlich finanzierten Agrarumweltmaßnahmengefährdet sein könnten. Werden sie als neuer gesetzlicherStandard festgeschrieben, so könnte – das ist eine Sorge –ihre Förderfähigkeit infrage gestellt sein. Wir wollen diebisher für die EU-Agrarpolitik verwendeten Mittel in diezweite Säule umschichten. Modulation ist ein Instrumentdazu. Das heißt, wir verringern die Mittel für Flächen-und Tierprämien und stellen sie den Landwirten für Um-weltmaßnahmen auf dem Wege der Kofinanzierung wie-der zur Verfügung.Wir werden kein Gesetz verabschieden, das Zahlungenfür Umweltleistungen behindert. Das kann ich unserenLandwirten von dieser Stelle aus versichern.
Auch wenn die Ausgestaltung der Vorschriften Ländersa-che ist, wird unser Bundesgesetz in dieser Frage klar undeindeutig sein.Es wird auch bemängelt, dass wir dem Vertragsna-turschutz keinen Vorrang vor anderen umweltpolitischenMaßnahmen wie Geboten und Verboten einräumen. Auchdies ist eine Frage, die die Länder in ihrer Verantwortungzu lösen haben. Wir Sozialdemokraten sind immer dafüreingetreten, das bewährte Instrumentarium des Vertrags-naturschutzes zu nutzen, weil die Akzeptanz für Umwelt-maßnahmen bei den Landwirten gestärkt wird und ihreaktive Mitwirkung unterstützt wird – auch durch zusätzli-che Einkommen. Wir haben uns immer dagegen ausge-sprochen, in Bundesgesetzen Regelungen festzuschrei-ben, die dann die Länder zu finanzieren haben.
Die Verbesserung des Naturschutzes darf allerdingsnicht gegen die Landwirtschaft, sondern sie muss im Ein-vernehmen mit der Landwirtschaft geschehen. Ich bitteSie, meine Damen und Herren von der Opposition: Sor-gen Sie mit dafür, dass dieses Einvernehmen hergestellt
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Karsten Schönfeld17555
wird, und sorgen Sie nicht mit Brandreden, wie wir siehier heute schon gehört haben, dafür, dass ein weitererKeil zwischen die Politik und die Landwirtschaft getrie-ben wird!
Ich scheue mich auch in einer Umweltdebatte nicht,darauf hinzuweisen, dass in vielen Agrarbetrieben inDeutschland eine schwierige Einkommenssituationherrscht. Das haben wir nie bestritten. Deshalb werdenunsere Maßnahmen – in der Form, wie ich sie hier be-schrieben habe – dazu führen, dass sich die Einkommens-situation nicht verschlechtert, sondern, im Gegenteil, ver-bessert werden kann.
Wir können keinen Subventionsabbau vornehmen undvon den Landwirten verstärkt unternehmerisches Handelnfordern, ohne gleichzeitig Wege aufzuzeigen, wie sie zu-sätzliche Einkommen erzielen können. Und das machenwir.Öffentliche Mittel für Leistungen im Bereich der Land-schaftspflege und im Vertragsnaturschutz sind gut ange-legtes Geld. Wir helfen damit der Umwelt, sichern zu-sätzliches Einkommen und schaffen Akzeptanz bei denLandwirten. Wir sichern außerdem bei den Bürgerinnenund Bürgern die Akzeptanz für Direktzahlungen an dieLandwirte.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schlussund möchte mit einem Zitat enden:Einen völligen Ausgleich aller Interessen herbeizu-führen und dabei das große Ziel, den Schutz unsererNatur, nicht aus den Augen zu verlieren, das ist eineAufgabe wie die Quadratur des Kreises. Es gibtkaum einen Bereich, in dem der Anspruch, sachver-ständig zu sein, in derartiger Breite geltend gemachtwird wie im Naturschutz. Zumeist verbergen sichdahinter ziemlich eigennützige Motive, das Festhal-ten an vermeintlichen Privilegien, die Eroberungneuer.Diesem Zitat aus dem Jahr 1997, meine Damen undHerren, ist fast nichts hinzuzufügen. Es stammt von FrauMerkel, aus anscheinend noch glücklicheren Tagen in ih-rer Zeit als Umweltministerin. Ich kann gut verstehen,dass Frau Merkel hier heute nicht im Plenum ist.
Dieses Zitat trifft in wunderbarer Weise die Haltung vie-ler Oppositionspolitiker – wir haben es heute wieder ge-hört –, die sich hier als Sachwalter von Interessengruppenaufführen, anstatt gemeinsam mit uns ein gutes Gesetzzum Schutz der Umwelt zu verabschieden.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bewahrungder Schöpfung und der Schutz der natürlichen Lebens-grundlagen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweitund im eigenen Land eine drängende und zunehmendschwierigere Aufgabe.In den Entwicklungs- und Schwellenländern schrump-fen die Tropenwälder als Zentren der Biodiversität unauf-haltsam weiter und gehen ganze Regionen der Verwüs-tung entgegen. In unserem Land kämpfen wir darum, dieArtenvielfalt und die verbliebenen Naturlandschaften mitunserem Wohlstand in Einklang zu bringen. Natürlichkommt der Druck auf unsere Natur von der hohen Sied-lungsdichte, unserem engmaschigen Verkehrsnetz und ei-ner intensiven Land- und Forstwirtschaft. Aber all dies istauch wesentliche Grundlage für unseren hohen Lebens-standard, auf den wir nicht verzichten wollen.Die Kunst der Politik besteht darin, die Anforderungenan eine moderne Industrie- und Technologiegesellschaftmit unseren Vorstellungen von Natur und Heimat in Ein-klang zu bringen. Diese Entscheidung findet auf allen po-litischen Ebenen und auf allen Politikfeldern statt; der Na-turschutz ist ein solches wichtiges Politikfeld. SeineAufgabe ist es, die Schädigungen der Natur zurückzu-drängen, die vorhandenen Schutzgebiete und die schüt-zenswerten Flächen abzusichern und einen großräumigenBiotopverbund herzustellen.Meine Damen und Herren, die bisherigen Taten vonRot-Grün im Naturschutz in Bund und Ländern sind aberkein Grund, sich selbst zu beweihräuchern. Die Vorrednervon der Koalition – insbesondere Sie, Herr Trittin – habenso getan, als hätten sie den Naturschutz erfunden. Sie ha-ben zum Beispiel völlig vergessen – das ist allerdings einKunststück –, dass die letzte Novellierung des Natur-schutzgesetzes 1998 passiert ist, eine Leistung der dama-ligen Bundesumweltministerin.
In dieser Novellierung haben wir den Konsens mit derLandwirtschaft gefunden. Es wäre sicherlich besser ge-wesen, erst einmal Erfahrungen mit dieser Novelle zusammeln und deren Umsetzung durch die Länder abzu-warten, ehe man eine neue Novelle aus dem Ärmel zieht.Praktischer Naturschutz findet zum Beispiel imunionsregierten Bayern statt, wo zehnmal mehr für denVertragsnaturschutz als im rot-grünen Nordrhein-West-falen ausgegeben wird.
Das rot-grüne Nordrhein-Westfalen hat es bisher auchnicht geschafft, einen einzigen Nationalpark auszuwei-sen. Es war ein CSU-Finanzminister, der die milliarden-schwere „Bundesstiftung Umwelt“ ins Leben gerufen hat,die jetzt auch für Naturschutzzwecke geöffnet worden ist.
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Karsten Schönfeld17556
Auch war es die letzte Regierung, die den ersten Trup-penübungsplatz zum Nationalpark erklärt hat, genausowie es die Vorgängerregierung war, die den Entwick-lungshaushalt ökologisierte. Eben diesen Haushalt strei-chen Sie jetzt aber zusammen. Herr Trittin, der einzigeHaushaltstitel in Ihrem Ministerium, mit dem Sie auf na-tionaler Ebene wirklich Naturschutz betreiben können,der Titel für die gesamtstaatlich repräsentativen Flächen,stammt ebenfalls von uns.Ihre Naturschutzpolitik ist bisher nichts als heiße Luftoder – das muss ich jetzt noch einmal sagen – sie bringtdie Leute gegen den Naturschutz auf. Das gilt auch für diejetzige Novelle.
Angesichts der verfassungsmäßigen Kompetenzen ist einerfolgreicher Naturschutz nur dann möglich, wenn erstensdie Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern undUmweltinstitutionen überlegt und fundiert ist, wenn wirzweitens ein abgestimmtes Instrumentenbündel aus ho-heitlichem und vertraglichem Naturschutz haben undwenn es drittens zu einer vertrauensvollen Zusammen-arbeit zwischen Staat und Gebietskörperschaft sowie Na-turschützern und Land- und Forstwirten kommt. Genaudiesen Anforderungen hält Ihre Novelle nicht stand.Ihre Vorlage führt zu mehr Verwaltungsaufwand undbürokratischen Kosten – Geld und Personal, das wir an-derswo im Naturschutz besser einsetzen könnten. Diedem Entwurf fehlende unmittelbare Geltung der Ziele undGrundsätze für das ganze Bundesgebiet kann zu einemBumerang auch für den Naturschutz werden, wenn ein-zelne Bundesländer in einen Wettbewerb um die gerings-ten Naturschutzanforderungen eintreten. Statt Koopera-tion – das wurde von meinem Kollegen bereits gesagt –lautet Ihr Motto Konfrontation: Die Verschärfung derAuforderungen an die gute fachliche Praxis im Natur-schutz-, anstatt im Landwirtschaftsrecht und dazu die feh-lende präzise formulierte und ausreichende Ausgleichs-regelung bei Nutzungsbeschränkungen werden die Forst-und Landwirtschaft noch mehr gegen den Naturschutz inWallung bringen. Wenn man darauf hinweist, so ist dasnicht etwa eine Brandrede, sondern das ist die Wirklich-keit, wie sie von allen gesehen wird, die sich in der Land-und Forstwirtschaft auskennen.
Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für die Aus-grenzung der Bundesländer im Entscheidungsprozess.Nach der Verfassung sind vor allem die Bundesländer fürden Naturschutz verantwortlich. Die Umgehung des Bun-desrats ist deshalb kein gutes Signal für eine zukünftigevertrauensvolle Zusammenarbeit.
Genauso gilt dies für die fehlende Verpflichtung der Bun-desbehörden, das jeweilige Landesnaturschutzrecht zubeachten.Das sind die Hauptgründe, warum wir den rot-grünenEntwurf eines neuen Bundesnaturschutzgesetzes in derjetzigen Form nicht mittragen können, auch wenn er si-cherlich positive Regelungen wie die Rückholklauseloder die Jedermannverpflichtung zum Naturschutz bein-haltet. Aber anstatt die wichtigsten Akteure für eine ver-trauensvolle Zusammenarbeit bei der Lösung einergroßen Aufgabe zu gewinnen, wird die vorliegende No-velle, so befürchten wir, mehr teilen statt einen und damitdem Naturschutz mehr schaden als nützen.
Wir werden die Novellierung konstruktiv begleiten. Inihr müssen aus unserer Sicht folgende Elemente stärkerbeachtet werden: Erstens. Die wichtigsten Ziele undGrundsätze müssen in allen Bundesländern gleicher-maßen gelten.Zweitens. Der Bund und seine Einrichtungen müssensich stärker engagieren, zum Beispiel auf den bundes-eigenen Flächen oder im Haushaltstitel des Bundes fürnational bedeutsame Naturräume. Außerdem muss dieÖffnung der „Bundesstiftung Umwelt“ für Naturschutz-zwecke als weiteres Instrument des Bundes verstärkt wer-den, um den Ländern bei der Absicherung wichtiger Na-turgebiete zu helfen.Drittens. Naturschutz muss auch flexibler und effizien-ter werden, zum Beispiel mit der Aufhebung der unmit-telbaren räumlichen Verbindung von Ausgleichsflächeund Eingriff sowie mit der Verwaltung der Kompensati-onsgelder über einen Naturschutzfonds und deren regio-nale Verteilung. Wir sind dezidiert für ein Ökokonto, dasman vorausschauend einrichten kann, sowie für steuerli-che Anreize, wenn Privateigentümer freiwillig auf ihremGrundstück ökologische Verbesserungen tätigen.Viertens. Wir treten dafür ein, dass die staatliche Zu-sammenarbeit mit den Naturschutzverbänden gestärktwird. Dazu gehört auch die Übertragung bestimmterbehördlicher Aufgaben, zum Beispiel bei der Pflege vonSchutzgebieten. Dazu zählen auch Umweltpatenschaften,in deren Rahmen die Verbände wertvolle Liegenschaftenin einer Mischfinanzierung erwerben, mit staatlicher För-derung betreuen und auch selbst mit Privateigentümernprivatrechtliche Schutzvereinbarungen schließen können.Vor allem aber: Offensive für Naturschutz kann nichtheißen Offensive gegen Bauern, Kommunen und Wald-besitzer. Natürlich braucht der Naturschutz eine natur-verträgliche Bodennutzung, aber nicht über eine kalteEnteignung. Der Forderung nach einer umweltgerechtenLandwirtschaft muss das staatliche Angebot gegenüber-stehen, naturschützerische Leistungen wie die Schaffungund die Pflege von Hecken, Feuchtwiesen und Gewässer-randstreifen angemessen zu honorieren. Ertragsein-bußen, zum Beispiel durch Verzicht auf Düngung, Grün-landumbruch oder Pflanzenschutzmittel, sind fairauszugleichen.Jedes neue Windkraftwerk, jede Hochspannungslei-tung und jedes neue Gewerbegebiet auf der grünen Wiesesind für uns einerseits ein Zuwachs an Wohlstand. Ande-rerseits kann es auch Verlust an Heimat sein. Wir müssendafür werben: Es ist wichtig, dass unsere Kinder nochwissen, wie ein Laubfrosch oder eine Feldlerche ausse-hen. Aber wenn wir unsere Heimat bewahren wollen,
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Dr. Christian Ruck17557
dürfen wir die Kosten dafür nicht einer oder nur wenigenBerufsgruppen, zum Beispiel den Landwirten, aufbürden.
Wenn wir das – wofür wir nachdrücklich eintreten – er-reichen wollen, dann müssen die Opfer gemeinsam er-bracht werden. Erfolgreiches Werben für den Naturschutzbraucht ein Miteinander. Dies ist bei Ihrer Novelle nichtder Fall. Deswegen fordern wir entsprechende grundle-gende Nachbesserungen.
Ich erteile das Wort
Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr ge-ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Ruck und Herr Dr. Paziorek, ich bin etwas erstauntdarüber, dass Sie hier immer wieder behaupten, wir wür-den Gräben aufreißen und für Konfrontation sorgen. Viel-leicht ist es Ihnen ja entgangen, dass die Koalitionsfrak-tionen in Vorbereitung der jetzt vorliegenden Novelleanderthalb Jahre lang in einem einmaligen Prozess Ge-spräche mit allen Naturschutzverbänden und Nutzerver-bänden geführt haben, von den Bauernverbänden über dieVerbände der Jäger bis hin zu denen der Reiter, also mitallen, auf die sich das Gesetz auswirken könnte. Von ei-nem Gegeneinander oder von einer Konfrontation kannüberhaupt keine Rede sein.
Wir haben die Argumente dieser Gruppen wohl vernom-men und sie finden sich auch in diesem Gesetzentwurfwieder. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen – das sageich ausdrücklich in Ihre Richtung – ist einfach zu wichtig,um in einem solchen Parteiengezänk und in solchenBrandreden unterzugehen.
Ich möchte mich beim Umweltministerium ausdrück-lich bedanken, dass es diesen Gesetzentwurf auf den Weggebracht hat. Trotz mancher Verbesserungswünsche, dieauch ich habe – sie werden im parlamentarischen Verfah-ren mit Sicherheit noch zu besprechen sein –, ist diesesGesetz tatsächlich ein Meilenstein. Es wird den Weg zueinem neuen, modernen Naturschutz in Deutschland öff-nen. Wir brauchen diesen Naturschutz. Er ist dringenderdenn je, denn – das haben Sie selbst konstatiert – unsereNatur befindet sich in einem Besorgnis erregenden Zu-stand.Frau Sehn, ich war echt erschüttert. Vielleicht dämmertder F.D.P. eines Tages die Erkenntnis
– vielleicht; man soll die Hoffnung nicht aufgeben –, dassLandwirtschaft auch vom Wirken von Insekten abhängtoder dass Feuchtbiotope auch für Industriestandortewichtig sind. Ich sage das nur, um Ihrer Polemik einmaletwas entgegenzusetzen.
Wer die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ernstnimmt, dem muss es bei der Lösung von Interessenkon-flikten darum gehen, den Stellenwert des Naturschutzesendlich zu erhöhen. Das tun wir mit dieser Gesetzesno-velle. Die CDU könnte einmal eine andere SOS-Kampa-gne starten: statt SOS Tourismus SOS Naturschutz. Daswäre endlich etwas Neues und brächte viel Erfolg.
Ich möchte auf den Biotopverbund eingehen, weildiese Regelung einer der wichtigsten Bestandteile diesesGesetzentwurfs ist. Herr Paziorek, wir haben – das solleine Verpflichtung sein – „mindestens 10 Prozent der Lan-desfläche“ festgelegt. Die Länder unseres föderalen Staa-tes sind aufgerufen, diese 10 Prozent oder mehr Landes-fläche dafür auszuweisen. Das dient uns allen; Herr Ruckhat eben so schön geschildert, warum. Wie Sie wissen, istunsere Verantwortung auch eine internationale, Stichwort„Natura 2000“. Wir tragen zum Beispiel für wanderndeVogelarten, die auch in Deutschland Rast- und Nahrungs-plätze brauchen, Verantwortung.Es ist unerträglich, dass sich F.D.P. und CDU/CSU hierzum Hüter der Interessen der Eigentümer und der Land-wirte hochstilisieren. Ich kann es nicht mehr hören! Im End-effekt haben alle die Verantwortung für den Erhalt unsererNatur und unserer Lebensgrundlagen zu tragen. Land-schafts- und Naturschutz können nur gelingen, wenn mansie – über das Eintreten für die Belange von Schutzgebie-ten hinaus – als essenzielle Grundlagen bei allen entspre-chenden Entscheidungsfindungen, ob in diesem Hause, inden Ressorts, in den Ausschüssen, auf Landes-, Kreis- undKommunalebene, berücksichtigt. Es darf nicht so sein, wiees Herr Methling aus Mecklenburg vorhin schon sagte, dassLandschafts- und Naturschutz in vielen Fällen gewogenund für zu leicht befunden werden. Wie Sie selbst wissen,ist der Vertragsnaturschutz auch für uns weiterhin einwichtiges Instrument zum Schutz der Natur.
Herr Paziorek, ich möchte Ihnen noch etwas zu denAusgleichszahlungen sagen. Die von Ihnen eingeführtenAusgleichszahlungen haben eine Belastung der Länderhervorgerufen. Außerdem haben sie dazu geführt – daswar dann Ihr Erfolg –, dass immer weniger für Natur-schutz ausgegeben wurde und dass in Deutschland immerweniger neue Schutzflächen geschaffen wurden. Vor die-sem Hintergrund von einem Erfolg im Hinblick auf denNaturschutz zu sprechen, ist ja wohl das Letzte.
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Dr. Christian Ruck17558
Ich bin mir sicher – das wurde schon vorhin angespro-chen –, dass wir auch Regelungen für den Meeresnatur-schutz finden werden. Es ist ebenfalls hervorzuheben,dass wir Neuerungen, auch bei den Schutzkategorienvornehmen. Diese Neuerungen dienen aber keineswegseiner Überregulierung; vielmehr führen sie einfach dazu,dass wir zum Beispiel unsere Nationalparke rechtlichdeutlich besser absichern.Die Koalition hat Wort gehalten: Wir machen den Wegwirklich frei für einen verbesserten Naturschutz. Ichmöchte nicht, dass Sie sich sagen: „Wir müssen kräftigdagegenhalten“, nur weil Sie es seinerzeit nicht geschaffthaben. Wir modernisieren den Naturschutz in Deutsch-land zum Wohle aller in Deutschland. Es geht auch darum,zu der Erkenntnis zurückzukehren, dass wir die Natur zurLebensgrundlage brauchen. Menschen, die sich der Naturentfremden, werden hart und gefühlskalt. Ich möchte hierein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry vortragen:Wenn du ein Schiff bauen willst, lehre die Menschendie Sehnsucht nach dem weiten Meer.Wenn wir ein solches Gesetz „bauen“, dann müssen wirdie Sehnsucht nach Natur in allen Ministern und in allenKollegen erwecken.
– Es ist schön, dass Sie Sehnsucht nach den Grünen ha-ben, besser wäre es, Sie hätten sie auch nach dem Grü-nen. – In unserer immer technischeren, immer hektische-ren Welt treibt die Sehnsucht nach Wildnis und nachNaturerleben immer mehr Deutsche in die Ferne. Wir indiesem dicht besiedelten Land haben gegenüber unserenKindern und unseren Enkeln eine große Verantwortung,ihnen zum Leben Kulturlandschaften, reichhaltige Naturund Wildnis zu hinterlassen.Deswegen müssen wir den Naturschutz wieder zurHerzensangelegenheit machen. Wir müssen für die Kost-barkeiten unserer Heimat begeistern. Das ist eine Auf-gabe, die untrennbar mit dem Gesetz, das wir jetzt auf denWeg bringen, verbunden ist. Ich erwarte von Ihnen einekonstruktive Mitarbeit.
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Cajus Caesar von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Die CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion kann diesem vorgelegten Gesetzentwurf kei-nesfalls zustimmen,
weil er bürokratisch, unseriös, nicht zukunftsweisend unddeshalb zum Scheitern verurteilt ist.
Die CDU/CSU-Fraktion kann sich mit dem, was sie inder Vergangenheit vorgelegt hat, sehen lassen. Wir habennicht geredet, sondern gehandelt und Dinge vorgelegt, dieauch praktikabel waren und noch sind.
Was hat denn die Regierung Schröder/Trittin bisher indiesem Bereich auf den Weg gebracht?
Wie in vielen anderen Bereichen wurden Versprechungengemacht, die nicht gehalten wurden. Das ist in der Wirt-schafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber insbesondere in derUmweltpolitik so. Meine Fraktion hätte sich gewünscht,dass die Kurve auch einmal nach oben zeigt. Aber das istauch hier nicht der Fall.
Herr Minister, Sie haben hier ausführlich die nachhal-tige Land- und Forstwirtschaft angesprochen. Offensicht-lich jedoch haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf nichtgelesen. Denn in diesem Gesetzentwurf fehlt die Veranke-rung der nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft. Sie soll-ten noch einmal genau nachsehen. Vielleicht können Sieja den Passus wieder einfügen, der in der bisherigen Rege-lung verankert ist.
Ich meine, man sollte sich auch Gedanken darüber ma-chen, wie man Natur- und Umweltschutz auf großerFläche verankert. Dazu ist es natürlich erforderlich, dassman auch europaweite Lösungen vorantreibt. Das istallerdings nur möglich, wenn man einen starken Minister,eine starke Regierung hat. Hier ist bisher jedoch wenig ge-schehen. Deshalb hat diese Regierung bislang auch imBereich des Naturschutzes wenig vorzuweisen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, wenn wir uns den Gesetzentwurfansehen, dann stellen wir einen Definitions- und Formu-lierungsdschungel fest. Sie haben ja schon eine ganzeReihe von Gesetzentwürfen hier vorgelegt und viel Papierbeschrieben. Dadurch ist es jedoch nicht zu einer Qua-litätssteigerung gekommen. Vielleicht haben Sie aber da-durch zur Waldpflege, nämlich durch Papierverbrauch,beigetragen. Das gestehe ich Ihnen an dieser Stelle zu.Schaut man sich die Regelungen, insbesondere zumBeispiel zur flächendeckenden Landschaftsplanung, an,dann stellt man fest, dass man sich hin zu mehr Bürokratieund Personal und vor allem zur Verankerung von Kostenin Verwaltung und Personal bewegt. Das zeigt ja auch IhrHaushalt. Ihr Umwelthaushalt entwickelt sich hin zu mehrVerwaltungsausgaben. Derzeit beträgt der prozentualeAnteil der Verwaltungsausgaben im Umweltbereich52 Prozent.
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Sylvia Voß17559
Das soll Ihrer Meinung nach einen praktischen Umwelt-und Naturschutz darstellen?
Diese Novelle lässt viele Fragen offen. Sie geht hin zumehr Dirigismus und Verwaltung. Deshalb können wireine solche Vorgehensweise – Ähnliches haben wir beider letzten Haushaltsberatung festgestellt; als Beispielnenne ich die Kürzungen beim Verband des BHU, der imBereich der Heimatvereine praktischen Naturschutz vo-ranbringt – nicht mittragen.Wir finden es auch schade, dass Ansätze guter Rege-lungen, beispielsweise im Bereich des Ökokontos, wie-der zurückgefahren worden sind. Wir hatten gedacht, dassMinister Trittin hier vorangeht. Leider aber sind gute An-sätze wieder einmal vernachlässigt worden.Die CDU/CSU-Fraktion will den Naturschutz voran-bringen, um unseren Kindern und den zukünftigen Gene-rationen eine intakte Umwelt zu übergeben.
Wir wollen das aber im Miteinander mit den betroffenenMenschen und mit denen, die vor Ort wirtschaften. Dasist nur möglich, wenn auch die Rahmenverträge oder dieeinzelvertraglichen Regelungen entsprechend ausgestal-tet sind. Um Naturschutz praktisch umzusetzen, darf mannicht nur Papier voll schreiben. Naturschutz umsetzen,das ist unser Ziel. Erhalten, schützen, pflegen, ent-wickeln und wieder herstellen, das muss Naturschutzpo-litik sein.
Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergan-genheit eine ganze Reihe von Vorschlägen insbesonderezum Bereich des Naturschutzes eingebracht. Ich hätte mirgewünscht, dass Sie zum Beispiel unserem Vorschlag, Pa-tenschaften für Naturschutzverbände zu ermöglichen,gefolgt wären. Dort besteht die Möglichkeit, am Objektmit tätig zu werden; das ist ehrenamtlicher Naturschutz.Das wäre ein Zeichen hin zu den Naturschutzverbändenund zu ehrenamtlichem Naturschutz gewesen.
Vielmehr haben Sie unseren Antrag, 6 Millionen DMmehr für vertragliche Vereinbarungen bereitzustellen, ab-gelehnt. Das zeigt doch, was die Regierung wirklich will.Will sie tatsächlich Vertragsnaturschutz oder will sie ihnnicht?
Nein, sie will ihn nicht, sie hat unseren Antrag abgelehnt.Meine Damen und Herren, stattdessen finden wir un-seriöse Kostenberechnungen vor. Bei Kostenberechnun-gen mit zehn Prozent Wertminderung und zehn ProzentErtragsminderung im Schutzgebiet für die Betroffenensage ich: Das kann doch nicht wahr sein! Darüber schüt-teln alle Experten den Kopf. Solche Zahlen nimmt keinerals wahr hin. So kann man wirklich keinen Naturschutzim Miteinander mit den Betroffenen machen.
Sie sagen, 100 DM kostet die Pflege auf reduzierterFläche, das heißt, Sie wollen alle zehn Jahre 100 DM proHektar in Schutzgebieten für Pflege ausgeben. Das ist anjeder Realität vorbei, das muss man ganz deutlich nocheinmal einbringen.
Wenn Sie die gute fachliche Praxis betrachten, HerrMinister, dann müssen Sie doch sagen, dass es zwei we-sentliche Bereiche gibt. Es gibt Bereiche, in denen mandie Formulierung so unterschreiben kann, und es gibt Be-reiche, die unseriös und bürokratisch sind, zum Beispieldie schlagspezifische Dokumentation, gar nicht zu redenvon dem absoluten Kahlschlagverbot, das weit über Na-turschutzverordnungen hinausgeht und wieder die Besit-zer kleiner Wälder trifft. Es trifft nicht so sehr, aber auchden großen Privatwald und den öffentlichen Wald, son-dern den kleinen Mann und die kleine Frau vor Ort. Des-halb ist das, was Sie hier einbringen, so misslich.Durch diese Formulierungen zur guten fachlichen Pra-xis tragen Sie insbesondere dazu bei, dass die Förderungdurch die EU gefährdet wird. Wir können durchaus daseine oder andere, wie zum Beispiel die Extensivierung imGrünland oder das Verbot des Grünlandumbruchs in be-stimmten Fällen, unterschreiben, aber das muss über ver-tragliche Vereinbarungen gehen und darf nicht auf demRücken der Betroffenen ausgetragen werden, indem Aus-gleichszahlungen nicht mehr geleistet und EU-Mittelnicht mehr in Anspruch genommen werden. Sie solltenschon das nationale Interesse vertreten und in der Tat auchhier dafür sorgen, dass wir die Mittel, die wir aus demKulturlandschaftspflegeprogramm der EU für Deutsch-land und für die Bundesländer in Anspruch nehmen kön-nen, auch bekommen und dass nicht letztendlich die vorOrt Wirtschaftenden die Zeche zahlen müssen. DieseMöglichkeiten müssen ausgeschöpft werden. Sie haben jaRecht, Sie sollten mehr tun, das gebe ich gerne zu. Das sa-gen auch die Stellungnahmen von BDI, von DIHK, vomDeutschen Landkreistag, vom Deutschen Städte- und Ge-meindebund und auch vom DBV aus,
die unsere Argumente gleichfalls unterstützen.
– Das sind nicht, wie Sie zwischengerufen haben, ein-zelne Verbandsvertreter, sondern es findet eine breite Ba-sis in den Verbänden und auch bei den Bürgern. Daswollte ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen.Sie haben auch im Detail gelesen, dass von Natur-schutz mit Ausschließlichkeitsanspruch oder von der Ab-kehr von der Agenda 21 die Rede ist, auch davon, dass Siedie Menschen im ländlichen Raum mitnehmen sollten. Esist aber auch die Rede von viel Bürokratie und von den
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Cajus Caesar17560
fehlenden vertraglichen Vereinbarungen. Ich habe einigePunkte hier angesprochen und dazu auch Beispiele ge-nannt.Wir wollen ein Miteinander von Ökologie, Ökonomieund sozialer Komponente im Sinne einer ökologischenund sozialen Marktwirtschaft handeln. Wir wollen des-halb die Abwägungsklausel, die bisher in § 1 Abs. 2 desGesetzes verankert ist, beibehalten, damit das Miteinan-der von wirtschaftlicher Betätigung und Umweltschutzgewährleistet ist.Wir wollen Naturschutz! Wir wollen Natur auch um ih-rer selbst Willen schützen, zugleich wollen wir aber denMenschen dabei mitnehmen. Deshalb finde ich es schade,dass Sie die Formulierungen zu den Lebensgrundlagendes Menschen einfach aus dem Gesetz gestrichen haben.Das kann nicht im Sinne des Miteinanders von Menschund Naturschutz sein.Ich darf Sie bitten: Seien Sie aufgeschlossen gegenüberunseren Ideen und unseren stichhaltigen Argumenten.Das wird der Natur und uns allen gut tun, wenn Sie unsereguten Vorschläge auch entsprechend mit einbringen.
Miteinander hat, Herr Hermann, auch etwas mit dem Ein-binden der Länder zu tun. Wenn Sie über die Hälfte derrund 60 Regelungen, von denen in diesem Gesetzentwurfdie Länder betroffen sind, verändern und zudem den Län-dern noch Aufgaben bei den Klein- und Saumstrukturenaufbürden, dann sollten Sie auch so fair sein, die Länderbei den Beratungen so mit einzubinden, wie es sich ge-hört. Diese müssen nämlich nachher diese Gesetzesno-velle umsetzen. Wenn ich zunächst gegen die Länder redeund handle und sie nicht in die Beratungen einbinde, HerrHermann,
dann wird es nicht gelingen, im Sinne des Naturschutzeszu guten und vernünftigen Umsetzungen zu kommen.Denken Sie einfach noch einmal darüber nach, ob Sie dasnicht vielleicht doch tun sollten.Wir jedenfalls sind für ein Miteinander. Wir wolleneine ökologische und soziale Marktwirtschaft; wir wollenden Schutz der Kernzonen. Dafür sind natürlich auch ho-heitliche Maßnahmen erforderlich. Wir wollen auch dieBiotopvernetzung, wollen sie aber nicht durch irgend-welche beliebig angesetzten Prozentzahlen, die man insGesetz schreibt, sondern durch tatsächlichen Schutz si-cherstellen. Dazu muss Vertrauen zu den Betroffenen auf-gebaut werden; das gelingt nicht dadurch, indem verlangtwird, dass auch die an Biotope angrenzenden Gebiete ent-sprechend bei der Bewirtschaftung Berücksichtigung fin-den müssen. Da weiß der Betroffene nicht, was an Verbo-ten und Geboten auf ihn zukommt.Sie sollten im Vertrauen mit den Betroffenen vor Ortdie Dinge angehen, das heißt, Biotopvernetzung in denfachlich begründeten und schützenswerten Gebietskulis-sen sicherstellen, so wurde es auch EU-weit formuliert.Sie sollten vor allen Dingen durch langfristige vertragli-che Vereinbarungen Naturschutz voranbringen. Dannwird es uns gelingen, Artenvielfalt zu sichern, die ländli-chen Räume mitzunehmen und dort die Chancen auf Ar-beit und wirtschaftliche Teilhabe zu verbessern. Wir wol-len Kooperation statt Konfrontation.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christel Deichmann, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Prä-sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrRuck, Sie haben die DBU angesprochen; ich denke, es istIhnen nicht entgangen, dass der Stiftungsrat der DBU dieStiftung für den Naturschutz geöffnet hat. Sicherlich gibtes dadurch jetzt noch eine ganze Menge an weiteren Mög-lichkeiten. Darüber haben wir, wie ich denke, uns alle ge-meinsam gefreut.
Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und dieBewahrung der Vielfalt des Lebens auch für künftige Ge-nerationen – das wurde hier wiederholt betont; auch ichmöchte das noch einmal unterstreichen – zählen zu dengroßen Herausforderungen unserer Zeit. Somit gehörtauch die Modernisierung des Bundesnaturschutzgesetzes,dessen Novellierung wir heute in erster Lesung beraten,zu unseren zentralen umweltpolitischen Vorhaben in die-ser Legislaturperiode. Im Gegensatz zur gescheitertendritten Novelle steht nun mit dem vorliegenden Gesetz-entwurf eine Diskussionsgrundlage zur Verfügung, dieden Ansprüchen einer modernen Naturschutzpolitik ge-recht wird.Herr Caesar, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Natur-schutz brauche Akzeptanz. Die Koalitionsfraktionen ha-ben darum seit Beginn dieser Legislaturperiode diesesThema intensiv mit Naturschutzverbänden, mit denBundesländern, mit Sportverbänden, mit Nutzerverbän-den, auch mit dem Deutschen Bauernverband, mit demAbL und der AGÖL, mit Landschaftsplanern und vielenanderen mehr erörtert. Wir konnten neue Anregungen auf-nehmen und im Vorfeld auch einige Konfliktpunkteklären. Ob es uns gelungen ist, Verständnis für unsere Po-sitionen zu erreichen, werden wir dann feststellen.Worum geht es jetzt? Unsere Novelle integriert denVorsorgegrundsatz und den Schutz der natürlichen Le-bensgrundlagen auch für die nachkommenden Generatio-nen. Das können Sie einfach zur Kenntnis nehmen.
Ein Kernpunkt der Novelle – das ist hier wiederholt an-gesprochen worden – ist der Biotopverbund, der – dasmöchte ich noch einmal unterstreichen – keine neue
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Cajus Caesar17561
Schutzkategorie schafft, sondern dafür sorgt, dass das,was schützenswert ist, sinnvoll miteinander verbundenwerden soll. Nach den vorliegenden wissenschaftlichenErkenntnissen stellt der Flächenanteil von „mindestens10 Prozent“, der hier wiederholt kritisiert wurde, einenMinimalwert für den Biotopverbund dar. Es gibt alsodurchaus begründete wissenschaftliche Erkenntnisse fürdiese Zahl. Es darf – das sagt das Wort „mindestens“ –durchaus auch mehr sein.
Wie gesagt, die Verbindungsflächen zwischen deneinzelnen Kernelementen müssen nicht zwingend alsSchutzgebiete ausgewiesen werden. Wenn man aber be-denkt, dass bereits 8 Prozent der Landesfläche fachlichfür einen Biotopverbund geeignet sind, haben wir hierwohl ein realistisches Ziel formuliert. Ich bin sicher,dass es auch in einem überschaubaren Zeitraum erreichtwird.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der hier ebenfalls bereitsangesprochen wurde, ist nach unserer Auffassung, dass wiruns intensiver als in der Vergangenheit mit dem Meeres-schutz befassen müssen. Das war bei unseren Diskussio-nen, die ich erwähnt habe, ein zentrales Thema. Es hat sichim Verlauf der Diskussionen gezeigt, dass hier noch sehrviele Fragen offen sind.Die stetig zunehmende intensive Nutzung unsererMeeresumwelt ist bisher mit keinerlei raumordnerischenKriterien unterlegt. Es mag komisch klingen, doch aufdem Meer vor unseren Küsten wird es sehr eng. See-schifffahrt, Fischerei, Tourismus, Kiesabbau, Überseeka-bel, Ölplattformen, Übungszonen für die Bundeswehrund anderes mehr konkurrieren auf immer enger werden-dem Raum miteinander. Neuerdings meldet auch derDenkmalschutz in den Gewässern vor unseren KüstenAnsprüche an.Wo bleibt da noch Platz für die marine Fauna und Floraoder gar für deren Schutz? Wie können wir einen geeig-neten Weg finden, um unsere sensiblen Meeresökosys-teme langfristig zu erhalten und zu schützen? Wir habenim Gesetz einen Weg aufgezeigt. Ich denke, wir müssendiesen Punkt noch sehr intensiv diskutieren, weil wir vonunserer Fraktion aus da noch Verbesserungsbedarf sehen.Die Offshore-Anlagen und die Windenergie wurden an-gesprochen. Dies hat auch etwas mit Rechtssicherheit fürdie Investoren zu tun. Ich denke, das sind wir den ent-sprechenden Unternehmen schuldig.Ich verweise an dieser Stelle auch auf internationaleVerpflichtungen, die Deutschland im marinen Bereicheingegangen ist und die mit dieser Gesetzesnovelle wei-ter in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Ichnenne nur das OSPAR-Abkommen aus dem Jahr 1992.Ich erwähne die Jahreszahl bewusst; das ist also keinerot-grüne Erfindung. Das Abkommen wurde 1998 umNaturschutzregelungen im marinen Bereich erweitert.Da gibt es das Seerechtsübereinkommen der VereintenNationen, das dem „Schutz und der Bewahrung der Mee-resumwelt“ einen eigenen Teil widmet. Auch hier hat dieBundesrepublik sich verpflichtet, die Meeresumwelt zuschützen und zu bewahren und besondere Maßnahmen zuergreifen, um dieses Ziel durchzusetzen. Die Europä-ische Gemeinschaft hat 1992 das fünfte umweltpolitischeAktionsprogramm beschlossen, das in den Punkten 5.3und 5.4 dem Naturschutz besondere Aufmerksamkeitwidmet.An den Jahreszahlen der Vereinbarungen ist zu erken-nen, dass Deutschland sich schon lange zu entsprechen-den Maßnahmen verpflichtet hat; nur mit der Umsetzung,zumindest im Meeresbereich, hapert es noch. Darumrichte ich auch an dieser Stelle noch einmal die Auffor-derung an die CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion:Blockieren Sie nicht, bauen Sie keinen Popanz auf, son-dern unterstützen Sie uns bei der Umsetzung dieser Ver-pflichtungen, die die Bundesrepublik zu Recht eingegan-gen ist!
Ich muss zugeben: Ein wirklich komplexes undschwieriges Thema in der anstehenden Novelle ist dieFrage der Eingriffsregelung. Zu kaum einem anderenAbschnitt gibt und gab es gegenteiligere Meinungsäuße-rungen. Bei all der Diskussion um dieses Thema ist klar-zustellen: Die Vermeidung von Eingriffen ist oberstesGebot. Wir halten also an der Entscheidungskaskade Ver-meiden – Ausgleich – Ersatz fest. Übrigens ist die Rege-lung, die wir Ihnen vorschlagen, näher an der Verwal-tungspraxis orientiert. Wir gehen davon aus, dass damitdann auch Zustimmung gefunden werden kann.Wir haben mit den Regelungen, wie sie vorgeschlagensind, die Naturalkompensation gestärkt, sodass auchhier der Entwicklung in der Praxis Rechnung getragenwurde. Von der Möglichkeit der Kompensation durch Er-satzzahlungen ist erst nach dem Abwägungsprozess, dasheißt deutlich hinter Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen,Gebrauch zu machen, wenngleich man auch Ersatzzah-lungen in dem einen oder anderen Ausnahmefall einfachnicht von der Hand weisen kann.Wichtig ist auch die Sicherung und Kontrolle der Aus-gleichs- und Ersatzmaßnahmen. Dies obliegt dem Ge-staltungsspielraum der Länder. Auch das ist an der Praxisorientiert. Da kann man zum Beispiel an ein Flächenka-taster der Dokumentation und auch der besseren Über-sichtlichkeit halber denken. Auch andere Maßnahmensind durchaus vorstellbar.Die häufig geäußerten Bedenken zur Verbandsklagekann ich ebenfalls nicht teilen. Hier wird kein neues Son-dervetorecht für die Naturschutzverbände geschaffen,sondern lediglich das Recht, ein deutsches Verwaltungs-gericht zur objektiven Überprüfung der Rechtmäßigkeiteiner Behördenentscheidung anzurufen.
– Richtig.Bei der Diskussion um die Belange der Land- undForstwirtschaft wird uns immer vorgeworfen, dass dervorliegende Entwurf zulasten der Flächennutzer gehe. Ich
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Christel Deichmann17562
habe den vielen Vorwürfen, die hier so pauschal erhobenwurden, kein einziges substanzielles Argument entneh-men können. Ich hoffe doch, dass Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen, uns unterstützen werden, damit wir im Be-reich der Vermittlung naturschutzfachlicher Kriterienauch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft und der Fi-schereiwirtschaft ein Stück weiter kommen.
Gegenwärtig prüft das Verbraucherschutzministerium,ob im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ Ausgleichs-zahlungen für besondere – ich unterstreiche: besondere –Naturschutzleistungen möglich sind. Sie sehen also, dasswir hier einen Instrumentenmix anbieten können, um demNaturschutz und auch den Landwirten in die richtigeRichtung zu helfen.Schließlich wollen wir Naturschutz mit den Men-schen in der Kulturlandschaft. Aus diesem Grunde habenwir den Schutzgebietsteil modernisiert. Das Entwick-lungsprinzip wird durchgehend gestärkt, und der Prozess-schutzgedanke wird rechtlich abgesichert.Ein weiteres Element der Novellierung ist die Ein-führung der Umweltbeobachtung als eine Aufgabe fürBund und Länder im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständig-keiten. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragenhat schon 1990 in einem Sondergutachten eine entspre-chende gesetzliche Regelung gefordert. Zweck dieser Be-stimmung ist es, die zahlreichen, leider nur sektorspezifi-schen Beobachtungsprogramme und Datenbanken für dieBereiche Luft, Wasser und Boden zusammenzuführen undim Hinblick auf komplexe umweltpolitische Fragestellun-gen besser nutzbar zu machen. Also: Effizienz durch Har-monisierung und Verknüpfung, und keine neuen Verwal-tungseinheiten, wie Sie hier immer aufzeigen. Da könnenSie uns, denke ich, nur unterstützen. Ausdrücklich wird indem Gesetzentwurf unterstrichen, dass die Vorschriftenüber Geheimhaltung und Datenschutz unberührt bleiben.Ich meine, auch da ist umsichtig gehandelt worden.
Ich bin zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, dass auf der Basis des vorliegenden Gesetzentwurfseine effektive Neuregelung des Verhältnisses zwischenNaturschutz und den Belangen anderer Interessengruppenformuliert werden kann. Dafür brauchen wir auf allen Sei-ten Augenmaß und auch Kompromissbereitschaft. Wirhaben einen moderaten Entwurf vorgelegt – das gebe ichzu – und laden alle Interessierten hiermit ein, im weiterenVerfahren konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten. Wirhaben daher am Mittwoch im Umweltausschuss den Be-schluss gefasst, am 24. September in einer ganztägigenAnhörung den genannten Themenkomplex mit Expertenzu erörtern, und das ist gut so.Die Natur braucht den Menschen nicht, aber derMensch braucht die Natur. So stellt die Natur insgesamteinen wichtigen Beitrag für unsere Lebensqualität dar.Biologische Vielfalt ist Lebensgrundlage, sie ist aber auchBasis für ökonomische Wertschöpfung. Unterstützen Sieuns mit konstruktiven Beiträgen, wenn es bei dem disku-tierten Gesetzesvorhaben um die Sicherung unserer natür-lichen Lebensgrundlagen geht!Vielen Dank.
Ich erteile dem Kolle-
gen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerSchutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine dergroßen politischen Aufgaben der Gegenwart. Naturschutzhat viel mit Lebensqualität zu tun, denn dort, wo Land-schaften schön sind, wo die Tier- und Pflanzenwelt reich-haltig ist, lässt es sich besser leben und lässt es sich bes-ser erholen. Frau Kollegin Sehn, bei allem Respekt –
es geht nicht um die Frage „Feuchtbiotop oder Industrie-standort“, sondern es geht darum, wirtschaftliche Ent-wicklung und landschaftliche Vielfalt zu haben; beidesgehört zusammen.
Zweitens: Naturschutz hat viel mit Kultur zu tun, auchviel mit Kulturpolitik,
denn die meisten Landschaften, die uns ans Herz gewach-sen sind, sind Kulturlandschaften, von Menschenhand ge-schaffen oder beeinflusst. Naturzerstörung ist deshalb im-mer auch Kulturverlust.Naturschutz hat viel mit – ich drücke es einmal so aus –„harter Ökologie“ zu tun, denn die Diversitätsforschunghat uns gezeigt, wie engmaschig das Netz des Lebens ge-knüpft ist, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Nocheinmal, Frau Kollegin Sehn – Sie haben sich so ein biss-chen über die Insekten lustig gemacht –:
Sie wissen doch vielleicht – ich hoffe das –, wie wichtigdie Insektenbestäubung und die Windbestäubung für dieProduktivität der Landwirtschaft sind.
Immerhin haben Sie es ja geschafft, nur gegen die Insek-ten zu polemisieren und nicht gegen den Wind, denn derweht ja bekanntermaßen, wo er will.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Christel Deichmann17563
– Der Vergleich war schon zutreffend.Naturschutz hat auch viel mit Respekt vor der nichtmenschlichen Kreatur zu tun. Deshalb müssen wir auchRaum für die freie Entfaltung der Natur lassen und nichtalles muss dem Denken von Nutzen und Nützlichkeit un-terworfen werden.
Wenn man von dieser Einschätzung ausgeht, dass Na-turschutz eine Kulturaufgabe ist, dass er eine umweltpo-litische Aufgabe ist und dass er eine Zukunftsaufgabe ist,dann stellt sich die Frage: Was bedeutet das für ein zeit-gemäßes Naturschutzgesetz? Diese Frage ist es ja, die unsheute hier zusammenführt. Nach meiner Meinung bedeu-tet das vor allen Dingen dreierlei:Erstens müssen wir von dem alten Denken wegkom-men, dass Naturschutz und Naturnutzung unvereinbarsind. Es geht vielmehr darum, Naturschutzziele durcheine nachhaltige und sensible Naturnutzung zu erreichen.Die Menschen sollen nicht ausgesperrt werden, sondernsie sollen in ihrem Handeln Verantwortung für die Naturübernehmen. Dafür brauchen wir Regeln, insbesonderefür die Landnutzung, also die Landwirtschaft, die Forst-wirtschaft, die Fischereiwirtschaft und auch für denschnell wachsenden Sektor der Freizeit- und Tourismus-aktivitäten. Dies ist keine Bürokratie, sondern es istZukunftsvorsorge.
Zweitens: Sicherlich ist der Zaun nicht mehr das ge-eignete Symbol für den Naturschutz – darin sind wir unsalle einig –, aber es muss selbstverständlich Gebiete ge-ben, in denen der Naturschutz Vorrang genießt, in denenNutzungsinteressen zurücktreten müssen.
Solche Räume haben wir bislang viel zu wenig; es sindzwei Prozent der Landesfläche. Wir streben zehn Prozentan, wie Sie wissen. Von solchen Räumen haben wir vielzu wenige, und sie sind nicht selten viel zu klein; sie sindsehr häufig kleine Inseln in einem Ozean der Naturzer-störung.
Dort können Arten nicht überleben. Deswegen brauchenwir hinreichend große und vor allen Dingen vernetzte Le-bensräume für Tiere und Pflanzen; deshalb sind die Bio-topverbundsysteme für den Artenschutz auch unerläss-lich.
Drittens: Wir müssen diejenigen gesellschaftlichenGruppen, die sich für Naturschutzziele einsetzen, stärken.Wir müssen ihnen Informationsrechte, Beteiligungs-rechte und auch Klagerechte einräumen. Ich nehme an,im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich sage: Wirkönnen froh darüber sein, dass sich in Deutschland soviele Menschen in den Umweltverbänden einsetzen. Siesind Anwälte der Natur und ich möchte mich an dieserStelle für ihr Engagement ausdrücklich bedanken.
Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen heutevorlegen, geht von diesen Orientierungspunkten, die ichgenannt habe, aus. Erstmals werden im Naturschutzgesetzklare qualitative Kriterien für die gute fachliche Praxisin der Landwirtschaft und Nutzungsregeln für die Forst-wirtschaft bestimmt. Ich glaube, man kann sagen: Das istein qualitativer Sprung in der Naturschutzpolitik und einewichtige Ergänzung der neuen Agrarpolitik. DasUmweltministerium und das Landwirtschaftsministerium– das ist wichtig – haben nicht gegeneinander gearbeitet,sondern miteinander. Das war nicht immer so. Bei Ihnenvon der Opposition standen Herr Töpfer und Frau Merkelim Regen. Das hat sich jetzt fundamental geändert. Erst-mals wird im Naturschutzgesetz das Ziel formuliert, aufzehn Prozent der Landesfläche ein Biotopverbundsystemzu schaffen. Hier sind nun die Länder gefordert, geeigneteFlächen auszuweisen und durch geeignete Maßnahmenabzusichern. Es muss aber, das will ich gerne zugeben, si-chergestellt werden, dass das nicht nur einfach durchUmdeklarierungen vorhandener Schutzgebietskategorienstattfindet, sondern dass wirklich neue Qualitäten hinzu-kommen.Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Erst-mals wird den Umweltverbänden im Naturschutzgesetzein Klagerecht eingeräumt, das ihnen faire Chancen inder Auseinandersetzung vor Gericht gibt. Damit wird aufBundesebene endlich das realisiert, was in den meistenBundesländern längst möglich ist. Bei der Anerkennungdessen, was als Naturschutzverband gilt, müssen aller-dings strenge Kriterien angelegt werden, weil sonst demMissbrauch Tür und Tor geöffnet wird.Ich fasse zusammen: Nach einem Jahrzehnt der politi-schen Abstinenz in Sachen Naturschutz wird mit demneuen Gesetz ein klares Signal gegeben. Naturschutz hatin Deutschland eine Zukunft, und zwar nicht gegen dieMenschen, sondern mit ihnen.Danke schön.
Ich schließe die Aus-sprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-wurf auf Drucksache 14/6378 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu an-derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitauf Drucksache 14/4572 zu dem Antrag der Fraktion derF.D.P. mit dem Titel „Eigentumsrechte nicht durch falscheNaturschutzpolitik aushöhlen“. Der Ausschuss empfiehlt,
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Dr. Reinhard Loske17564
den Antrag auf Drucksache 14/1113 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen undPDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-nommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 h sowie dieZusatzpunkte 3 und 4 auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Birgit Homburger, Jürgen W. Möllemann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Verbesserung der internationalen Attraktivitätund Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstand-ortes Deutschland– Drucksache 14/3339 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Birgit Homburger, Ulrike Flach, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Bildungsschecks für mehr Qualität und Wett-bewerb an Hochschulen in Deutschland– Drucksache 14/3518 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Naturwissenschaftlicher Wettbewerb an deut-schen Schulen– Drucksache 14/4270 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länderd) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Ökonomische Komponente in der Lehreraus-bildung entschieden ausbauen– Drucksache 14/4271 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologiee) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. HelmutHaussmann, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.Bessere Rahmenbedingungen für ausländischeStudierende in Deutschland– Drucksache 14/5250 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Kultur und Medienf) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung zudem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,Ulrike Flach, Horst Friedrich , weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Sonderprogramm zur Sicherung und Er-höhung des Niveaus der Landes- und Hoch-schulbibliotheken am Wissenschafts- und For-schungsstandort Deutschland– Drucksachen 14/5105, 14/6195 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter EckardtNorbert Hauser
Dr. Reinhard LoskeCornelia PieperMaritta Böttcherg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ErnstDieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, KlausBarthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Dr. ReinhardLoske, Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENDie Internationale Attraktivität und Leistungs-fähigkeit des Wissenschafts- und Forschungs-standortes Deutschland für ausländische Studie-rende und junge Wissenschaftlerinnen stärken– Drucksache 14/6209 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Kultur und Medienh) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarittaBöttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt,Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDSBericht über die Erfahrungen bei der Anwen-dungen des Hochschulzeitvertragsgesetzes– Drucksache 14/6212 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
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Präsident Wolfgang Thierse17565
InnenausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten NorbertHauser , Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. GerhardFriedrich , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU„Stiftung Bildungstest“ – Qulität und Effizienzfür den wachsenden Bildungsmarkt– Drucksache 14/6437 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaftAusschuss für Arbeit und SozialordnungHaushaltsausschussZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Ulrike Flach, Horst Friedrich ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- undWirtschaftsstandorts Deutschland durch Aus-bildung hoch qualifizierter Fachkräfte– Drucksache 14/6445 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieAussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei dieF.D.P. 15 Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Cornelia Pieper von der F.D.P.–Fraktion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Wissen ist der Rohstoff der Zukunft.Globaler Wettbewerb, demographischer Wandel und tech-nische Revolution stellen uns vor große Herausforderun-gen. Wir erleben eine Kulturrevolution wie zu Zeiten derErfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg –die Wende von der klassischen Industriegesellschaft zurWissens- und Informationsgesellschaft.Meine Damen und Herren, in der Gesellschaft der Zu-kunft werden mehr Menschen mit der Informationsver-arbeitung und Dienstleistung beschäftigt sein als in derIndustrie. Lebensentwürfe werden im 21. Jahrhundertdurchbrochen sein und nicht mehr mit einer einmaligenAusbildung enden. Lebenslanges Lernen und die Bereit-schaft, sich ständig weiterzuentwickeln, werden dieInnovationsfähigkeit einer Gesellschaft bestimmen.Das alte Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lerntHans nimmermehr“
ist heute umzukehren in „Hänschen weiß heute schon,dass er als Hans weiter lernen muss“. Das wird das Prin-zip der Zukunft.
Die Gesellschaft wird stärker von selbstständigenExistenzen und Beschäftigten geprägt sein. Darauf musssich unser Ausbildungssystem insgesamt einstellen. EineKultur der Selbstständigkeit ist gefordert; dies muss inden Lehrplänen vermittelt werden. Der Selbstständigeoder der Unternehmer hat wohl weltweit kein so schlech-tes Image wie in Deutschland, meine Damen und Herren.Auch das muss sich ändern.
Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regie-rungskoalition, diese geistige Wende bzw. dieses geistigeUmdenken nicht erkennen, ist für dieses Land bezeich-nend.Wir haben Bildungsreformen verschleppt.
Wir brauchen aber dringend Bildungsreformen, und zwarinhaltliche Reformen.Sie sind gefordert. Sie sind in der Landesverantwor-tung. Sie sind in Ihren Landesregierungen dazu aufgefor-dert, dieses Thema aufzugreifen und auch umzusetzen.Das haben Sie nämlich in der Vergangenheit nicht getan.
Der Direktor des Medieninstituts in St. Gallen, Profes-sor Glotz, den Sie als ehemaligen Kollegen kennen müss-ten und nicht kritisieren sollten, spricht sogar von der di-gitalen Ökonomie in der Zukunft.
20 Prozent der Bevölkerung werden zukünftig damit be-schäftigt sein, Informationen in Wissen zu verarbeiten.
Ist Deutschland fit für das neue Zeitalter der Wissens-gesellschaft? Sind Schulen und Hochschulen ausreichendauf die Informationsgesellschaft vorbereitet? Sicher sinddeutsche Hochschulen besser als ihr Ruf,
aber jüngst veröffentlichte internationale Studien und Ver-gleiche machen deutlich: Deutschland liegt eher im Mit-telfeld oder ganz hinten, meine Damen und Herren.
Seit Jahrzehnten liegt die Bundesrepublik beim Verhältnisder staatlichen Bildungsausgaben zum Bruttoinlands-produkt unterhalb des OECD-Mittelwerts mit 5,5 ProzentBildungsausgaben. Die Bund-Länder-Kommission pro-
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Präsident Wolfgang Thierse17566
gnostizierte in ihrem jüngsten Bericht einen enormen Ar-beitskräftemangel und forderte zusätzliche Bildungsin-vestitionen. Doch die Bundesländer selbst setzen unter-schiedliche Prioritäten bei den Bildungsausgaben.Während beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern8 bis 9 Prozent ihres gesamten Budgets für Bildungsaus-gaben vorsehen, wenden Hamburg und Nordrhein-West-falen für ihre Bildungsetats wesentlich weniger auf.
Nicht nur diese falsche Prioritätensetzung, sondernauch eine zu starre und ideologisierte Bildungspolitik ha-ben uns im internationalen Wettbewerb zurückgeworfen.
Meine Damen und Herren, die Grünen hatten noch 1986in ihrem Programm den Computerboykott stehen. Ichglaube, wenn man das berücksichtigt, kann man deutlicherkennen, dass in Deutschland mit einer solchen Pro-grammatik keine Bildungsreformen auf den Weg zu brin-gen sind.
Auch die internationale TIMSS-Studie – die Ihnen ge-wiss bekannt ist: eine Vergleichsstudie mathematisch-na-turwissenschaftlichen Unterrichts – ist niederschmet-ternd. Nur noch 8 Prozent deutscher Schüler wählen in derSchule das Fach Physik als Leistungskurs, und das nichtnur wegen Desinteresses, nein, sondern weil Fachlehrerfehlen. Die Bundesrepublik liegt mit einer Studienquotevon 28,2 Prozent im unteren Mittelfeld der europäischenStaaten.
Der Anteil der berufstätigen Bevölkerung mit Hoch-schulabschluss liegt mit 13 Prozent im internationalenMittelfeld. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehrStudenten in Deutschland, meine Damen und Herren.
Wir brauchen in Deutschland eine gezielte Hochbegab-tenförderung, die frühzeitig, nämlich in der Grundschule,beginnt. Hochbegabtenförderprogramme für Studierendesind, gleich ob über private oder öffentliche Stiftungen, zuverstärken und auszubauen.
Meine Damen und Herren, die Gründe für den Bil-dungsrückstand und die Defizite liegen auf der Hand:ein zu hohes Einschulungsalter, zu lange Schul- und Stu-dienzeiten – Stichwort 13. Schuljahr –, Wehrpflicht undvor allem Qualitätsdefizite in der Schulausbildung. Wis-sen Sie, manchmal habe ich den Eindruck, für einige derrot-grünen Landesregierungen sei das 13. Schuljahr ei-gentlich eine Art Glaubensbekenntnis, wobei sie total ausden Augen verloren haben, wohin sich die Bildungspoli-tik und der internationale Wettbewerb bewegen.Die Auffassung meiner Fraktion, der F.D.P., ist seit lan-gem: Das 12. Schuljahr bis zum Abitur hätte mit der deut-schen Einheit gesamtdeutsch eingeführt werden müssen,meine Damen und Herren.
Glaubenskämpfe um die Köpfe der Kinder haben das Bil-dungssystem in ein Durcheinander halbherziger Konzeptegestürzt. Das Ergebnis in Deutschland sind herunterge-kommene Schulen – Schulwracks –, Gesamtschulen, andenen Chancen ausgleichende Erziehung an die Stelle vonLeistungsforderungen tritt.
Im Bildungssystem in Deutschland wird viel zu sehr aufGleichmacherei denn auf Leistungsorientierung, Verant-wortungsbereitschaft und Differenzierung gesetzt.
Hauptschulen wurden zu Restschulen degradiert. Dabeiist die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss inDeutschland mit 14 Prozent alarmierend. Es ist Sozialpo-litik, die wir mit einer qualitätsorientierten Bildungspoli-tik in Deutschland machen können, und darauf kommt esuns an.
Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. DieZahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung der Bundesanstalt für Arbeit sprechen eine klareSprache: Je weniger jemand gelernt hat, desto größer istdie Gefahr der Arbeitslosigkeit. Bildung ist eineZukunftsinvestition. Deutschland ist auf seine wichtigsteRessource, das Humankapital, angewiesen.Deshalb brauchen wir nach den ideologischen Debat-ten in Deutschland endlich ein Umdenken. RomanHerzog, der ehemalige Bundespräsident, hat es in seinerberühmten Bildungsrede auf den Punkt gebracht: Entlas-sen wir unsere Bildungseinrichtungen endlich in die Frei-heit!
Wir brauchen mehr Eigenverantwortung für Schulenund Hochschulen. Schulen und Hochschulen müssenzukünftig ihre Lehrer bzw. Hochschullehrer selbst aus-wählen und einstellen können.
Wir sollten den Wettbewerb stärker fördern, indemSchulbezirke aufgehoben werden, freie Träger die glei-chen Chancen haben wie staatliche Bildungsein-richtungen. Durch eine erweiterte Hochschulautonomiesollte den Hochschulen bzw. Universitäten das Recht ein-geräumt werden, Leistungsstrukturen nach eigenen Be-dürfnissen und Erfahrungen zu bestimmen. Schluss mitder Studentenlandverschickung im digitalen Zeitalter, in
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dem sich jeder junge Mensch im Internet an einer Hoch-schule bewerben kann!
Das Zeitalter der Zentralstelle für die Vergabe von Studien-plätzen ist vorbei! Die ZVS gehört abgeschafft!
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Ende mei-
ner Rede, Herr Präsident. – Bildung im 21. Jahrhundert ist
ein Freiheitsthema für die Freien Demokraten. Aber es
gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Statt in Indus-
trien von gestern müssen wir in kluge Köpfe von morgen
investieren.
Deswegen werden wir das bei den bevorstehenden Haus-
haltsberatungen zum Thema machen. Lassen Sie uns die
Steinkohlesubventionen kürzen!
Lassen Sie uns diese Subventionen für Zukunftsinvesti-
tionen in die junge Generation verwenden!
Vielen Dank.
Für die
Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin
Edelgard Buhlman.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Frau Pieper, die Statistiken,
die Daten, die Sie hier vorgetragen haben, stimmen leider.
Der OECD-Bericht besagt leider ganz klar, dass wir in
Deutschland nicht an der Spitze liegen, sondern im Mit-
telfeld, teilweise sogar schlechter. Was Sie allerdings ver-
schwiegen haben, ist, dass der OECD-Bericht die Ent-
wicklung bis 1998 darstellt.
Bei allem Respekt: So lange liegt das Jahr 1998 noch nicht
zurück.
Das, womit wir uns heute auseinander setzen müssen,
ist in hohem Maße das Ergebnis der Untätigkeit der letz-
ten Bundesregierung über 16 Jahre hinweg.
Frau Bun-
desminister Bulmahn – –
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Eine zweite Anmerkung: Frau Pieper, ich
würde mir wünschen, dass die F.D.P. in den Bundeslän-
dern, in denen sie die Regierungsverantwortung mitträgt,
all das tut, was Sie hier gefordert haben.
Dort können Sie es nämlich tun. Dort sollten Sie es ma-
chen. Das betrifft isbesondere die Schulpolitik. Sie wis-
sen, dass wir im Deutschen Bundestag kein Jota an der
Schulpolitik ändern können. Dies ist eine klare Länder-
aufgabe und deshalb wünsche ich mir, dass die jeweiligen
Regierungsparteien ihre Verantwortung in den Ländern
wahrnehmen.
Sie sind in mehreren Ländern an der Regierung beteiligt.
Tun Sie etwas und sprechen Sie nicht nur darüber!
Frau
Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich stelle zurzeit fest – –
Frau
Minister, –
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich will dies noch ganz kurz ergänzen.
Dann lasse ich die Frage zu und dann antworte ich.
– ich be-stimme hier, wer spricht. Ich frage Sie, ob Sie eine Zwi-schenfrage der Kollegin Pieper zulassen wollen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Ich lasse Zwischenfragen immer zu. Daswissen doch die Kolleginnen und Kollegen.
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Cornelia Pieper17568
Sie lassen
also eine Zwischenfrage zu?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu.
Bitte
schön, Frau Pieper.
Frau Ministerin, ist Ihnenaufgefallen, dass ich in meiner Rede bewusst auch auf dieEntwicklung der Schulpolitik in den vergangenen Jahrenhingewiesen habe, insbesondere auf die Schulpolitik inden Ländern, in denen Rot oder Grün regiert, beispiels-weise in Niedersachsen, und ist Ihnen bekannt, dass diehessische Landesregierung unter Beteiligung der F.D.P.2 500 neue Personalstellen für Lehrer geschaffen hat bzw.dass die rheinland-pfälzische Regierung nach der letztenRegierungsbildung, an der auch Ihre Partei beteiligt ist,drei staatliche Eliteschulen ins Leben gerufen hat?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Frau Pieper, erstens habe ich als Ministe-rin die Initiative ergriffen, weil ich nach den langjährigenDiskussionen über dieses Thema im Bundestag erkannthabe, dass es nicht ausreicht, nur über andere zu reden,sondern dass es notwendig ist, mit den Ländern und den-jenigen, die in den Bildungseinrichtungen arbeiten, ge-meinsam daran zu gehen, die Situation zu verbessern. Esist das Forum Bildung, in dem wir gemeinsam mit denLändern – unabhängig von Parteizugehörigkeiten –, mitWissenschaftsorganisationen, Jugendlichen und Sozial-partnern wichtige Empfehlungen für die Schulpolitik er-arbeitet haben.
Ich stelle zweitens fest, dass inzwischen gerade dieSPD-regierten Länder – dazu gehört das Land Rheinland-Pfalz; die jetzige Bildungsministerin ist Sozialdemokratinund ihr Vorgänger war ebenso Sozialdemokrat – wirklichvorangegangen sind.
In den sozialdemokratisch regierten Ländern wurde in-zwischen erheblich mehr in Bildung investiert. In den90er-Jahren ist der Zuwachs bei den Investitionen in Bil-dung allein von den Ländern geleistet worden. Man mussdas einfach zur Kenntnis nehmen. Der Bund hat seine Bil-dungsausgaben in den 90er-Jahren – Sie wissen das sehrgut, denn Sie haben damals mitentschieden – um 4,7 Pro-zent gekürzt.In dem Land, aus dem ich komme, haben wir 2 000neue Lehrerstellen geschaffen. Wir haben das Angebot anGanztagsschulen ausgebaut, weil Kinder und Jugendlicheheute mehr lernen müssen und dafür mehr Zeit brauchen.Wir haben ein breit gefächertes Bildungsangebot unter-schiedlicher Typen. Wenn Sie fordern, die Ideologie bei-seite zu legen, empfehle ich, diese Forderung an die ei-gene Adresse zu richten, denn die Ideologie, die Ihre Po-litik der 90er-Jahre geprägt hat – Kürzungen in derBildung und kein Engagement des Staates –, ist falsch.Der Staat muss sich engagieren, er muss gestalten und da-mit den Bildungseinrichtungen die notwendigen Ent-scheidungsfreiheiten geben. Gerade die SPD hat das seitvielen Jahren gefordert und setzt das auch um. Das ist derentscheidende Punkt.
Das Ergebnis einer 16-jährigen Untätigkeit, das vieleMenschen in unserem Land beunruhigt und umtreibt, istparadox: Wir haben auf der einen Seite Unterbeschäfti-gung, während auf der anderen Seite immer mehr Unter-nehmen – inzwischen jedes zehnte – ihre offenen Stellennicht mehr besetzen können, weil die notwendigen Fach-kräfte fehlen. Diese paradoxe Situation ist Ergebnis derPolitik des letzten Jahrzehnts und nicht der letzten zweiJahre. Das muss man leider so feststellen.
Zu Recht wird deshalb in der Öffentlichkeit darüberdiskutiert, was getan werden muss, um die Bildungsein-richtungen zu verbessern und den jungen Menschen bes-sere Bildungsmöglichkeiten zu geben. Der eigentliche Pa-radigmenwechsel ist nämlich nicht der zu einerInformationsgesellschaft, sondern der von der Industrie-gesellschaft zu einer Bildungs- und Wissensgesellschaft.
Tatsache ist, dass wir schon heute einen weltweitenWettbewerb um hoch qualifizierte Fachkräfte – Ingeni-eure, Informatiker, begabte Studierende und Wissen-schaftler – haben. Dafür gibt es zwei Ursachen. Die eineUrsache ist der demographische Wandel; es gibt wenigerJugendliche. Die zweite Ursache ist in den eklatanten Ver-säumnissen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik der90er-Jahre zu sehen, die sich jetzt auswirken.
Wir brauchen mehr Hochschulabsolventen, die außer-dem besser ausgebildet sind. Es war ein fataler Fehler, inden 90er-Jahren an die Jugendlichen das Signal zu geben,dass weniger Hochschulabsolventen gebraucht würden.
Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen mehr Hoch-schulabsolventen, die besser und anders ausgebildet sind.
Die Tatsache, dass sich in unserem Lande nur 28 Prozentder Jugendlichen für ein Studium entscheiden – in Finn-land sind es 58 Prozent und in Israel 49 Prozent –, ist dasErgebnis der falschen Signale der 90er-Jahre.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17569
Wir brauchen auch mehr internationalen Austausch.Dabei geht es nicht nur darum, kurzfristig Engpässe aufdem Arbeitsmarkt zu überbrücken.
Es geht darum, dass hoch qualifizierte ausländische Wis-senschaftler gute Ideen mitbringen, Kontakte erleichternund die besten Botschafter für unser Land sind, wenn siein ihr eigenes Land zurückkehren.Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen und die Situ-ation in einem anderen Land schildern: Die amerika-nische Forschung verdankt ihre Spitzenstellung heute zueinem ganz wesentlichen Teil ausländischen Wissen-schaftlern. In den Vereinigten Staaten kommen 21 Prozentdes wissenschaftlichen Hochschulpersonals aus anderenLändern. Bei den Postdoktoranden beträgt der Ausländer-anteil sogar mehr als 50 Prozent. Ein Viertel aller Hoch-schulprofessoren in den natur- und ingenieurwissen-schaftlichen Fachbereichen kommt aus anderen Ländern.Deutschland gehört im Übrigen zu den wichtigsten Ent-sendeländern. Volkswirtschaftlich betrachtet subventio-nieren wir also – und zwar nicht unbeträchtlich – die ame-rikanische Forschung.
Der Grund dafür ist offensichtlich: Deutsche Hoch-schulen haben ihren Absolventen in den letzten Jahrenhervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb uminteressante Stellen in anderen Ländern geschaffen undgeboten, aber es gab zu wenig interessante Arbeitsplätzehier im eigenen Land. Hier haben sich die fatalen Mittel-kürzungen durch die alte Bundesregierung verheerendausgewirkt. Hier hat sich auch – das sage ich auch ganzdeutlich – Ihre mangelnde Kraft zur Gestaltung und Re-formierung des deutschen Hochschulsystems ausgewirkt.
Dieser jahrelange Stillstand, den wir in der Bildungs- undForschungspolitik unter Ihrer Regierungsverantwortunghatten, war in Wirklichkeit ein Rückschritt, der uns vielefähige Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-wissenschaftler gekostet hat.
Bei meinem Besuch in Palo Alto Anfang dieses Jahreshabe ich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissen-schaftler, die in den USA geblieben sind oder bleiben wol-len, gefragt, was sie in Deutschland vermissen, wo aus ih-rer Sicht Reformbedarf liegt, welche Änderungen sie fürnotwendig halten. Die deutschen Wissenschaftler kriti-sieren einhellig, dass es in Deutschland in den 90er-Jahrenkeine oder nicht ausreichende Stellen für eigenständigeForschung gab. Diese zu schaffen ist Aufgabe des Bundes.
Sie kritisieren das bestehende Ordinariensystem. Auch dasind wir gefragt. Sie kritisieren den Mangel an Internatio-nalität im deutschen Hochschulsystem. Dies sind allesPunkte, wo wir, nämlich der Bund, wirklich handeln kön-nen und wo diese Bundesregierung auch handelt.
Im Zentrum der Kritik steht im Übrigen immer wiederdas Habilitationsverfahren. Von jungen und erfolgrei-chen Wissenschaftlern, auch zum Beispiel von Nobel-preisträgern, wird kritisiert, dass es zu langwierig undintransparent sei, dass es hierarchische Strukturen zemen-tiere. Genau an diesen Kritikpunkten setzt das Reformpa-ket an, das diese Bundesregierung nach dem Regierungs-wechsel in Angriff genommen hat.Wir stärken Bildung und Forschung finanziell. So wer-den wir im kommenden Jahr 16,4 Milliarden DM in For-schung und Bildung investieren. Das sind 15,5 Prozentmehr als im Jahre 1998, dem letzten Jahr Ihrer Regie-rungsverantwortung.
Zugleich aber schaffen wir durch die notwendigen Refor-men und Strukturinnovationen die Voraussetzungen da-für, dass diese Mittel gut eingesetzt werden. Auch das istnotwendig.Wir haben das BAföG reformiert und damit echteChancengleichheit hergestellt. Niemand muss mehr ausfinanziellen Gründen auf ein Studium verzichten, imÜbrigen auch nicht im Ausland. Wir stärken die Förde-rung von Nachwuchswissenschaftlern erheblich. Ausmeinem Haushalt werden in diesem Jahr 1,4 Milli-arden DM in die Förderung der Nachwuchswissenschaft-ler investiert. Das ist eine Bestenförderung. Es gilt: Nichtdarüber reden, sondern handeln! Das tun wir.
Wir haben neue Stipendiensysteme geschaffen. Dies istkeine Zukunftsmusik, denn wir haben dies bereits einge-leitet bzw. eingeführt. Wir haben die Dienstrechtsreformauf den Weg gebracht, die ebenfalls die frühe Eigen-ständigkeit gerade der jungen Nachwuchswissenschaftlerunterstützt.
Ich würde mich freuen, Herr Rachel, wenn auch alleCDU-regierten Länder hierbei engagiert mitmachen wür-den,
damit wir es nun, nachdem Sie 16 Jahre lang dieses Pro-blem vor sich hergeschoben haben, endlich wie angekün-digt in dieser Legislaturperiode hinbekommen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn17570
Wir verfolgen ein ehrgeiziges Programm zur Frauen-förderung. Wir stärken Forschung und Entwicklung zumBeispiel durch den Aufbau von Forschungszentren andeutschen Hochschulen oder durch Unterstützung desvirtuellen Studiums, mit dem wir die weltweite Vernet-zung der deutschen Hochschulen erreichen wollen.Wir fördern die Internationalisierung der deutschenHochschullandschaft, wir werben offensiv um Studie-rende und Lehrende aus anderen Ländern
und wir verbessern die Zusammenarbeit zwischen Hoch-schulen und Wirtschaft, damit eine schnellere Umsetzungvon neuen Ideen in Produkte und Verfahren gelingt.Um Deutschland, meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen, zum bevorzugten internationalen Wissen-schaftsstandort zu machen, richten wir auch mehr Stu-diengänge international aus. Auch das ist ein Teil, einwichtiger Teil des kulturellen Wandels in Deutschland.Wir betreiben die gegenseitige Anerkennung von Stu-dienabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängenund schaffen damit internationale Vergleichbarkeit.
– Nein, sorry! – Wir kommen dabei in großen Schrittenvoran. Wir haben jetzt nämlich 1 044 Bachelor- und Mas-terstudiengänge, die hier angeboten werden.
Ein zentrales Reformprojekt ist die Dienstrechtsre-form, die Anfang 2002 in Kraft treten soll. Damit wollenwir zum einen die Qualität von Lehre und Forschung ver-bessern und zum anderen dafür sorgen, dass die bestenKöpfe in unserem Land bleiben oder dass die bestenKöpfe auch wieder in unser Land zurückkommen.Meine Damen und Herren, zeigen Sie Mut und Courage!
Lassen Sie uns den alten Zopf der Habilitation abschneidenund es mit der Juniorprofessur den jungen Wissenschaft-lern ermöglichen, in Zukunft durchschnittlich zehn Jahrefrüher, als das jetzt der Fall ist, eine Professur zu überneh-men, eigenständige Forschung und Lehre zu betreiben!
Und zeigen Sie auch Courage, mit dem Dienstrecht eineweitere wesentliche Erneuerung herbeizuführen, nämlicheine Erneuerung, die Leistung in Lehre und Forschunghonoriert! Ein Besoldungssystem, das so aussieht, dassvor allem nach Lebensalter besoldet wird, passt nichtmehr in unsere heutige Wissenschaftslandschaft.
Deshalb zögern Sie nicht, sondern machen Sie mit!
Mein Ziel, meine sehr geehrten Damen und Herren, istes, deutsche Hochschulen wieder dauerhaft attraktiver fürausländische Spitzenkräfte zu machen und den gegen-wärtigen Anteil von 6 bis 7 Prozent ausländischer Studie-render deutlich zu erhöhen. Eine Erhöhung dieses Anteilsum 50 Prozent ist ein Ziel, das wir auf jeden Fall erreichenmüssten.
Frau Kol-
legin Bulmahn, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Flach?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.
Frau
Flach, bitte schön.
Danke schön, Frau Bulmahn. –Ich möchte Ihnen einfach die rein praktische Frage stellen:Sie wissen, dass die F.D.P. beim Hochschuldienstrechtselbstverständlich mitziehen will. Das ist eine Reform, diedringend notwendig ist. Nur, ich überlege mir, wie werdenSie mit der Mehrheit Ihrer Landesminister fertig, die natür-lich nicht mitziehen werden und genau die Crux nicht be-seitigen werden, mit der wir zurzeit kämpfen müssen, dassnämlich das Geld für die nötigen Fachkräfte nicht vorhan-den ist? Ihre Antwort darauf würde mich interessieren.Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung: Am Ende des Jahres werden Sie feststel-len, dass die sozialdemokratischen Landesregierungenund Landesminister diese Reform nicht nur mitmachen,sondern dass sie sie wollen und dass sie sich auch sehrengagiert dafür einsetzen, dass diese Reform gelingt.
Wenn Sie sich die Vorbereitungen für die Änderungender Landeshochschulgesetze anschauen, werden Sie zumBeispiel feststellen, dass die Juniorprofessur im geplantenniedersächsischen Landeshochschulgesetz bereits aufge-nommen worden ist. Sie werden das im Übrigen auch beianderen Ländern feststellen. Ich stelle gerade bei sozial-demokratisch regierten Landesregierungen eine großeNachfrage nach diesen Juniorprofessuren fest und wirwerden sie mit den Stimmen unserer Länder auch durch-setzen. Ich wünsche mir aber – das sage ich auch ganzklar –, dass diese Möglichkeit nicht nur in den sozial-demokratisch regierten Ländern genutzt wird, sondern inallen Bundesländern,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Bundesministerin Edelgard Bulmahn17571
weil ich davon überzeugt bin, dass sie für alle Hochschu-len, egal, in welchem Bundesland sie liegen, eine guteChance darstellt.Wir verbessern die Strukturen, wir nutzen die UMTS-Zinserträge, um unseren Hochschulen einen kräftigenSchub in diese Richtung der Internationalisierung zu ge-ben, weil das nicht nur ein Defizit und ein Mangel ist, denunsere jungen Wissenschaftler im Ausland beschreiben,sondern es ist ein Mangel, den auch viele beschreiben, dieheute an den Hochschulen in Deutschland tätig sind. Wirstellen – zusätzlich zu den Ausgaben, die wir sowieso täti-gen – für die Zukunftsinitiative Hochschule rund 1 Mil-liarde DM bereit, davon 210 Millionen DM, um unterdem Stichwort „Braingain“ die Anziehungskraft unsererHochschulen im Ausland zu erhöhen. Wir gewinnen soüber die Programme Spitzenwissenschaftlerinnen und-wissenschaftler und exzellente Nachwuchswissenschaft-ler aus dem Ausland und wir gewinnen sie teilweise auchwieder zurück. Die Resonanz, die ich jetzt schon, nach guteinem halben Jahr, auf diese Programme feststelle, ist ein-fach herausragend, sie ist toll und zeigt, dass diese Pro-gramme genau richtig waren und dass wir damit auch ge-nau einen Schwachpunkt getroffen haben.
Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang aus-drücklich bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung unddem Deutschen Akademischen Austauschdienst, die mitsehr großem Engagement diese Programme umsetzen undeinfach eine hervorragende Arbeit leisten.
Wir können durch diese Programme ein Zweites er-reichen – auch darüber haben wir schon jahrelang disku-tiert –: Der DAAD kann nun Hochschulverbünde aus demvon uns finanzierten Programm fördern und mit dem Pro-gramm „Export deutscher Studiengänge“ erstmals deut-sche Studiengänge im Ausland anbieten. Das heißt, wirdiskutieren nicht mehr über Offshore-Ausgründung deut-scher Hochschulen im Ausland, sondern die Offshore-Ausgründungen deutscher Hochschulen sind bereits inVorbereitung. Auch das ist mir ein wichtiges Anliegen,weil ich der Auffassung bin, dass wir exzellente Hoch-schulen haben. Ich will, dass diese exzellenten Hoch-schulen auch international ihre Angebote machen und iminternationalen Wettbewerb hervorragend dastehen kön-nen.
Wichtig sind dabei nicht nur die Strukturreformen unddie Internationalisierung unserer Hochschulen, sondernauch ein gezieltes Marketing für den Hochschul-und Wissenschaftsstandort Deutschland. Deutschland hatnämlich vielen Forscherinnen und Forschern, Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Länderndurchaus eine ganze Menge zu bieten. Die meisten unse-rer Hochschulen sind leider noch nicht so bekannt wie ei-nige amerikanische Eliteuniversitäten. Aber die meistendeutschen Hochschulen sind weit besser als der Großteilder amerikanischen Hochschulen.
Die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Ge-sellschaft haben auch international einen hervorragendenRuf. Die Forschungsleistung der deutschen Industrie istebenfalls weltweit anerkannt. Wir können uns also welt-weit durchaus sehen lassen. Aber wir tun es zu wenig. Un-sere Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind bisherim Ausland eher eigene Wege als gemeinsame Wege ge-gangen. Ich bin davon überzeugt, dass beides notwendigist: dass wir den gemeinsamen Weg genauso wie die Dar-stellung der eigenen Leistungsfähigkeit brauchen.
Deshalb hat die Bundesregierung am vergangenenFreitag mit den Ländern und den Hochschulen – über80 Hochschulen machen schon mit – sowie mit denForschungsorganisationen und -einrichtungen und denAußenhandelskammern ein übergreifendes Marketing-konzept beschlossen,
mit dem wir gemeinsam für den Bildungs- und For-schungsstandort werben wollen
sowie die wissenschaftliche Qualität, die kulturellen Vor-züge und die Lebensqualität unseres Landes im Auslanddarstellen wollen.
Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, war wirk-lich überfällig. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt wirklich of-fensiv arbeiten.Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg die-ses Konzeptes ist allerdings – auch das lassen Sie michganz klar sagen –, dass unser Land für Menschen aus an-deren Ländern offen ist. Die konzertierte Aktion setzt sichdeshalb für ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht ein, mitdem auch bei uns im Vergleich zu anderen Ländern wett-bewerbsfähige Bedingungen geschaffen werden.
Dies bedeutet, dass wir Ausländern mit deutschem Hoch-schulabschluss eine Perspektive zum Bleiben bieten müs-sen und dass Menschen mit einem ausländischen Pass,aber einem deutschen Hochschulabschluss bei uns arbei-ten, lehren und forschen können, und zwar nicht nur ander Hochschule oder in einer Forschungseinrichtung.
Dies bedeutet auch, dass wir erheblich bessere Zu-zugsmöglichkeiten für Ausländer insgesamt bieten müs-
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Bundesministerin Edelgard Bulmahn17572
sen, etwa für hervorragende Wissenschaftler. Wir müssenferner Erwerbsmöglichkeiten für ihre Familienangehö-rigen anbieten; denn wir können ihnen nicht sagen: Dubitte ja, aber deine Ehefrau bitte nicht. Das wäre keinüberzeugendes Konzept.Dazu gehört auch, dass wir ausländischen Studieren-den attraktive Rahmenbedingungen bieten: eine bessereBetreuung, Beratung und Unterbringung. Dafür habenwir ein Betreuungsprogramm gestartet und es von 3 auf11 Millionen DM aufgestockt, damit dies nicht nur einAppell bleibt, sondern wir diese konkrete Arbeit auchwirklich leisten können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies alles sindMaßnahmen, die entscheidend dazu beitragen – die Wir-kungen spürt man schon –, dass wir inzwischen Schwungbekommen haben. Es liegt an uns, diesen Schwung zunutzen und weiterzutragen. Dabei dürfen wir eines nichtvergessen: Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte und re-nommierte Wissenschaftler, die aus der ganzen Welt zuuns kommen, nicht nur für die Sicherung unseres künfti-gen Wohlstands. Sie sind auch kulturell und menschlicheine Bereicherung. Ich bin sicher, wenn wir es schaffen,ihnen das Gefühl, dass sie für uns eine Bereicherung sind,zu vermitteln, dann kann und wird Deutschland einer dergefragtesten Wissenschaftsstandorte auch weltweit wer-den.Vielen Dank.
Als
nächster Redner hat der Kollege Thomas Rachel von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen SieGünter Grass? – Na klar, den Träger des Nobelpreises fürLiteratur von 1999 kennt jeder. Doch kennen Sie auchGünter Blobel? – Der deutschstämmige Molekularbio-loge Günter Blobel bekam, ebenfalls 1999, den Nobel-preis für Physiologie und Medizin. Doch während der Va-ter der „Blechtrommel“ in Deutschland gefeiert wurde,blieb Günter Blobel die öffentliche Anerkennung in seinerHeimat weitgehend verwehrt. Der Grund für seine hiesigeAnonymität dürfte sein, dass Blobel seit gut drei Jahr-zehnten an der US-amerikanischen Rockefeller Univer-sity in New York lehrt. Damit sind wir bereits mitten inden Problemen des Hochschul- und Wissenschaftsstand-ortes Deutschland im 21. Jahrhundert: Das Hochtechno-logieland Deutschland verliert seine Koryphäen regel-mäßig an ausländische Konkurrenten. Außerdem hatDeutschland gerade in letzter Zeit Schwierigkeiten, dengeeigneten akademischen Nachwuchs, aber auch ausrei-chend qualifizierte Fachkräfte aus den eigenen Reihenhervorzubringen.Gerade hat EU-Forschungskommissar Busquin in ei-ner Studie belegt, dass der EU „in den Schlüsseltechnolo-gien jährlich rund 50 000 Forscher und Wissenschaftlerfehlen“. Im Jahr 2010 wird es in der EU rund eine halbeMillion Spitzenforscher zu wenig geben. Bei der jährli-chen Zuwachsrate an Forschern belegt Deutschland, FrauBulmahn, den vorletzten Rang in der EU. Das sind dieFakten.Woran liegt das? – Lassen wir einmal die Nobel-preisträger außen vor und kümmern uns um deren poten-zielle Nachfolger. Dann scheint die Sache klar zu sein: Esfehlt an geeignetem akademischen Nachwuchs inDeutschland. Dies ist eine alarmierende Diagnose; denndie Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeiteines Landes hängen entscheidend vom Potenzial an hochqualifizierten Arbeitskräften ab.
Frau Bulmahn, Deutschland droht an dieser Herausforde-rung einer wissensbasierten Industriegesellschaft zuscheitern.Die Mängel des deutschen Bildungssystems begin-nen früh. Nach einer Umfrage des Instituts der deutschenWirtschaft von 1999 hat jeder fünfte Abiturient deutlicheSchwächen im Rechnen. Bei den Realschülern sind es30 Prozent, bei den Hauptschülern bereits 60 Prozent.Eine Vergleichsstudie der BASF über die Grundkennt-nisse von Ausbildungsplatzbewerbern im Rechnen undSchreiben hat ergeben, dass über die Jahrzehnte das ver-mittelte schulische Ausbildungsniveau ständig gesunkenist. In Deutschland, immerhin das Land, in dem der Ver-brennungs- und der Dieselmotor, aber auch die Fotozelleund das Elektronenmikroskop erfunden wurden, wählenderzeit nur 9 Prozent der Abiturienten das Fach Chemieund nur 11 Prozent das Fach Physik als Leistungskurs.Weil vielen Abiturienten das erforderliche Fundamentfehlt, studieren auch zu wenige diese Fächer.Von 1988 bis 2001 konnte die stark juristisch und geis-teswissenschaftlich geprägte Kölner Universität eine Zu-nahme der Zahl ihrer Studenten von 38 000 auf 62 000 ver-buchen. Im gleichen Zeitraum sank die Studentenzahlder Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule inAachen von 38 000 auf 26 000. Dieser Rückgang bei tech-nischen und naturwissenschaftlichen Hochschulen drohtzu einer gefährlichen Wachstumsbremse für die deutscheWirtschaft zu werden. Dagegen müssen wir gemeinsametwas tun.
Die Reform des Bildungssystems wird darüber ent-scheiden, ob Deutschland in der globalisierten Welt des21. Jahrhunderts international wettbewerbsfähig seinwird. Das Ausland hält uns kritisch den Spiegel vor Au-gen. Aus US-Sicht verfügt Deutschland zurzeit, Frau Mi-nisterin, über keine einzige Universität von Weltrang. DasProblem wird so beschrieben: Es gibt eine breite Grund-lage und eine solide Mitte; aber es fehlt eine Spitze. – Mit
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anderen Worten: Deutschland braucht Spitzenuniversitä-ten im Weltmaßstab als Ergänzung und als leistungssti-mulierendes Vorbild.
Auch die deutsche Hochschulpolitik muss sich endlichzu dem Ziel bekennen, Leistungseliten in Deutschlandheranzubilden.
Niemand stört sich zum Beispiel an Eliten im Sport. ImGegenteil: Alles wird dafür getan, um neben dem Brei-tensport den Spitzensport zu fördern. Auch das Hoch-schulsystem muss das Spannungsverhältnis zwischen derFörderung der Breitenausbildung und der Förderung dergeistigen Eliten aushalten und fair organisieren. Die Zu-gehörigkeit zur Elite beruht dabei auf individueller Leis-tung, nicht etwa auf Herkunft oder Besitz. Wichtig ist da-bei die Durchlässigkeit; neue Aufstiegsgelegenheitenmüssen angeboten werden. Lösungsvorschläge müssensich vor allem auf das bestehende Hochschulsystem be-ziehen.Gut ist in Deutschland, dass unsere Absolventen in derRegel fachlich gut ausgebildet sind und im Vergleich zuanderen Ländern ein besser trainiertes Denk- und Urteils-vermögen besitzen. Nicht gut ist, dass unsere Absolven-ten meist zu alt sind, wenn sie in das Berufsleben eintre-ten. Zu wenige von ihnen haben im Ausland studiert. DieSelbstständigkeit wird zu spät trainiert und nicht positivgenug bewertet. Nicht ausreichend sind die Betreuungs-relationen zwischen Lernenden und Lehrenden in vielenFächern unserer Hochschulen sowie der Zustand von Ge-bäuden, Labors und Bibliotheken.Die Hochschulen brauchen mehr Eigenverantwortung.Künftige Studierende sollen ihre Hochschulen und dieHochschulen sollen ihre Studierenden selbst auswählenkönnen.
Die ZVS ist ein Anachronismus. Ich begrüße deshalb dieInitiative des neuen Wissenschaftsministers des LandesBaden-Württemberg, Professor Frankenberg, der ent-schieden hat, aus dem bestehenden Staatsvertrag über dieZVS auszusteigen. Richtig so, Herr Minister!
Die Bundesregierung darf dem Braindrain nach Ame-rika nicht länger tatenlos zuschauen. Im Gegenteil: Es istan der Zeit, Deutschland als Hochschul- und Forschungs-standort für die akademischen Eliten Europas, Asiens undLateinamerikas auszubauen. Deutschland ist auf dem glo-balen Bildungsmarkt unterrepräsentiert. Das ist ein Feh-ler. Führen Sie sich vor Augen, dass die USA auf dem in-ternationalen Bildungsmarkt einen Erlös von 12 bis18 Milliarden US-Dollar pro Jahr erwirtschaften! DieserErlös ist höher als der der amerikanischen Filmindustrie.
Die letzte unionsgeführte Bundesregierung hat bereitsentscheidende Weichenstellungen auf dem Weg zur In-ternationalisierung der Hochschullandschaft vorge-nommen.
Mit der Novelle zum Hochschulrahmengesetz wurden dieinternational anerkannten Abschlüsse Bachelor und Mas-ter eingeführt. Sie persönlich, Frau Ministerin, Rote undGrüne haben damals versucht, die Reform zu kippen. Gottsei Dank fehlte Ihnen damals die Mehrheit dazu.
Sie haben den Gesetzentwurf im Bundestag und im Bun-desrat abgelehnt. Wäre dieser Gesetzentwurf nicht verab-schiedet worden, dann hätte das einen Stillstand von dreiJahren nach sich gezogen.Seit 1998, als wir diesen Gesetzentwurf verabschiedethaben, haben die deutschen Universitäten und Fachhoch-schulen bereits 400 neue Bachelor- und Masterstudien-gänge eingeführt. Dies ist der Erfolg einer Politik, dieChristdemokraten und Liberale in der vergangenen Le-gislaturperiode gemeinsam betrieben haben.
Wir waren es, die den Aufbau international ausgerichteterStudiengänge auf den Weg gebracht haben. Das ist eingroßer Erfolg. Die Regierung setzt unser Programm fort;aber die finanzielle Ausstattung stagniert.
Das sind die Realitäten rot-grüner Bildungspolitik. Es isteine Schande, dass Sie die deutschen Schulen im Auslandkaputtsparen, obwohl sie die Attraktivität der deutschenSprache und den Studienplatz Deutschland fördern undunterstützen.
Der Hochschulstandort Deutschland muss internatio-naler werden. Der Anteil der ausländischen Studieren-den liegt bei 7 Prozent. Diejenigen Ausländer, die heutein Deutschland studieren, sind Freunde und Botschafterunseres Landes von morgen. 50 Prozent der Graduiertenund Postgraduierten in den technischen Fächern der US-Hochschulen sind keine Amerikaner, sondern Ausländer;darunter sind viele Deutsche. Frau Bulmahn, es darf dieBundesregierung nicht zufrieden stellen, dass deutscheHochschulabsolventen mit öffentlichen Mitteln ihreGrundausbildung in Deutschland erhalten, aber im End-ergebnis für die USA forschen und lehren. Das geht aufdie Dauer so nicht!
Wir müssen deshalb für die deutschen, aber auch fürdie ausländischen Studenten besser werden. Nicht Ab-wehr und Provinzialismus sind gefragt. Wir brauchen inDeutschland eine neue Offenheit für qualifizierte Nach-wuchskräfte und die besten Köpfe aus dem Ausland. Des-
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Thomas Rachel17574
halb müssen bestehende Barrieren im Aufenthalts- undArbeitsrecht beseitigt werden.
Viele Bildungsausländer brauchen die Chance, ihren Le-bensunterhalt in Deutschland zu finanzieren. Deshalbmüssen wir die so genannte 90-Tage-Frist verändern unddie so genannte Vorrangprüfung zumindest bei stu-diennahen Tätigkeiten beseitigen.
Ausländische Studenten sollen in Zukunft nach ihremStudium in Deutschland bleiben dürfen. Sie brauchen eineArbeitserlaubnis, damit sie in Deutschland Berufserfah-rung sammeln können. Es macht keinen Sinn, dass hochqualifizierte Akademiker das Land verlassen müssen,wenn Deutschland in den gleichen Bereichen mit seineneigenen Fachkräften den Bedarf nicht decken kann.
Der Nachzug und die Erwerbsmöglichkeiten der Ehe-gatten von Wissenschaftlern an Hochschulen und For-schungseinrichtungen müssen ebenfalls verbessert wer-den. Welcher Wissenschaftler will nach Deutschlandkommen und dort forschen, wenn sein Ehepartner nichtgleich eine Arbeitserlaubnis bekommt? Nur so werdenwir zeigen, dass Deutschland ein offener und modernerWissenschaftsstandort ist.
Sehr geehrte Damen und Herren, gut ist nicht mehr gutgenug. Deshalb hat der bayerische WissenschaftsministerZehetmair mit Recht gesagt:Wer sich dem Wandel verschließt, verliert. Wer nichtdanach strebt, besser zu werden, hört auf, gut zu sein.Lassen Sie uns also gemeinsam die notwendigen Refor-men anpacken.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort
hat nun die Zweite Bürgermeisterin der Freien und Han-
sestadt Hamburg, Krista Sager.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zuerst eineBemerkung in eigener Sache.
Frau Pieper, Ihre Zahlen waren nicht nur in Bezug auf dieBundesebene, sondern auch in Bezug auf Hamburgfalsch. Hamburg hat in dieser Legislaturperiode den An-teil des Wissenschaftsetats am Gesamtetat von 6,5 Pro-zent auf 8 Prozent erhöht. Kein Land gibt pro Schüler soviel Geld aus wie Hamburg.
Wir haben den Etat auch insgesamt gesteigert. Alleinbei den Investitionen haben wir in dieser Legislaturpe-riode eine Steigerung um 16 Prozent zu verzeichnen, undzwar auch dank der Politik der rot-grünen Bundesregie-rung, die das möglich gemacht hat.
Frau Pieper, ich möchte noch einen kleinen Beitrag zurBildung leisten.
Sie haben ja vorhin über Hamburg gesprochen. Vor eini-gen Tagen haben Sie ausgeführt, dass Sie sich elbaufwärtsbewegen müssten, wenn Sie von Dresden nach Hamburgkommen wollten. Das ist leider falsch. Sie müssten sichelbabwärts bewegen.
– Mal so und mal so, und dann der Spruch: Was Hänschennicht lernt, lernt Hans nimmermehr. – Ich habe das ver-standen.
Meine Damen und Herren, die Bundesländer und dieHochschulen haben in den vergangenen Jahren Erhebli-ches geleistet, um Deutschland als internationalenHochschulstandort attraktiver zu machen. Ich meine,wenn einige Rednerinnen und Redner so tun, als müsstensie vom Deutschen Bundestag aus den HochschulenNachhilfe erteilen, dann wissen sie nicht, was in den ver-gangenen Jahren in den Hochschulen in Deutschland ge-schehen ist. Sie tragen damit Eulen nach Athen.Ich bedanke mich bei der Bundesministerin, die dieseAnstrengungen in den Hochschulen und in den Bundes-ländern ausgesprochen tatkräftig unterstützt hat und diedurch ihren Einsatz, und zwar sowohl durch dieDienstrechtsreform als auch durch die Steigerung der fi-nanziellen Mittel, dafür gesorgt hat, dass wir endlich dieRahmenbedingungen haben, um die Reformen voranzu-bringen.
Meine Damen und Herren, ich möchte eines ganz deut-lich sagen: Die erfolgreiche Arbeit in den Ländern und in
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Thomas Rachel17575
den Hochschulen droht jedoch in Bezug auf die Interna-tionalisierung dann im Sande zu versickern, wenn es nichtgelingt, schnell zu Verbesserungen bei den arbeits- undausländerrechtlichen Rahmenbedingungen zu kom-men.
Wir brauchen für die ausländischen Studierenden und dieWissenschaftler schnell Veränderungen, sonst sind wir indiesem Bereich mit den USA und mit Kanada nicht kon-kurrenzfähig.
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass die Wissen-schaftsminister der Länder, die Bundeswissenschaftsmi-nisterin und die Regierungsfraktionen in diesem Punkt aneinem Strang ziehen. Aber als Landesministerin bin ichfrei und sage eines ganz offen: Hier müssen auch der Bun-desinnenminister und der Bundesarbeitsminister mitzie-hen. Sonst wird es nicht gehen.Sie von der F.D.P. und von der Union müssen sich andieser Stelle fragen lassen, warum Sie es zugelassen ha-ben, dass Parteifreunde aus Ihren Reihen jahrelang in die-sem Land ein Klima aufgebaut haben, das eine sachlicheDiskussion über Arbeits- und Ausländerrecht überhauptnicht mehr zuließ.
Dazu erhoffe ich mir in der Tat manchmal auch von denMinisterpräsidenten und nicht nur von den Bildungsmi-nistern klare Aussagen.Die Hochschulenmachen eine ganze Menge, das kannich von Hamburg aus tatsächlich beurteilen. Internatio-nale Bachelor- und Masterabschlüsse werden breit ange-boten. Credit Point Systems werden ausgebaut. Es wirdintensiv mit internationalen Hochschulpartnern zusam-mengearbeitet. Englischsprachige Studienangebote wer-den ausgebaut. Es gibt Sonderprogramme für die Betreu-ung ausländischer Studierender. Es gibt Public PrivatePartnership zwischen staatlichen Hochschulen und priva-ten Einrichtungen mit Zusatzangeboten für ausländischeStudierende. Es gibt auch eigens entwickelte und zum Teilpreisgekrönte Marketingkonzepte unserer Hochschulen.Inzwischen haben wir auf Basis der englischsprachi-gen Masterprogramme zum Beispiel an der TechnischenUniversität in Hamburg einen Anteil von ausländischenStudierenden von 17 Prozent erreicht, liegen also über dergenannten Marge. Jetzt müssen wir feststellen, dass diebesten Absolventen nicht in ihre Heimatländer zurück-kehren, sondern in die USAoder nach Kanada gehen. Hiermüssen wir in der Tat schnell handeln. Diese Absolventenbrauchen nicht nur eine Arbeitserlaubnis, sie braucheneine dauerhafte Bleibeperspektive für sich und ihre Fami-lien, wenn sie hier bleiben sollen. Da appelliere ich an Sie.Es geht nicht, dass wir beim Thema Bildung Sonntags-reden zur Internationalisierung halten und am nächstenTag in unserem Wahlkreis mit den Ängsten der Bevölke-rung Schindluder treiben.
Das geht nicht. Wenn in der nächsten Woche die Ergeb-nisse der Zuwanderungskommission vorgelegt werden,erwarte ich, dass wir genauso dahinter stehen wie in denwissenschaftspolitischen Debatten und dass die Vor-schläge dann auch umgesetzt werden.
Wir brauchen nicht nur Verbesserungen bei der Hand-habe der so genannten 90-Tage-Regelung bei der geneh-migungsfreien Teilzeitarbeit,wir brauchen auch den Ver-zicht auf die so genannte Vorrangprüfung. Ich habe selbsterlebt, wie Studierende aus dem Ausland, die teilweisesogar aus gut situierten Familien kamen, plötzlich ihr Stu-dium in Gefahr sahen, wenn in ihren Ländern Währungs-krisen auftraten. Deswegen ist es wichtig, dass dieseStudierenden die Möglichkeit bekommen, neben ihremStudium eine ordentliche Teilzeittätigkeit anzunehmen.
Frau Bür-
germeisterin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Dirk Niebel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, selbstver-
ständlich.
Bitte
schön, Herr Niebel.
Frau Bürgermeisterin, Sie habengerade – wie ich finde, nicht zu Unrecht – gefordert, dassausländische Studierende hier auch die Möglichkeit ha-ben müssen zu arbeiten. Die F.D.P.-Bundestagsfraktionhat 1999 beantragt, die Arbeitsgenehmigungspflicht ab-zuschaffen, was abschließend im März 2000 in diesemHaus abgelehnt worden ist.
Die Roten haben ihre Ablehnung mit dem Argument begrün-det, man würde Lohndumping fördern. Die Schwarzen habensie mit dem Argument begründet, man würde Zuwanderungfördern. Die Grünen haben sie – sinngemäß – mit dem Ar-gument begründet: Der Antrag ist ja nicht schlecht, aber erkommt von der F.D.P. und der trauen wir nicht.
Würden Sie vor diesem Hintergrund Ihr politisches Han-deln in diesem Haus mit den Forderungen, die Sie jetztaufstellen, als nicht kongruent bezeichnen?
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Senatorin Krista Sager
17576
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordne-
ter, es mag sein, dass ich mich an vieles nicht mehr so ge-
nau erinnere. Wenn ich mich aber nicht arg täusche, ist es
nicht so furchtbar lange her, dass Sie in diesem Land mit-
regiert haben. Oder sehe ich das falsch?
Ich frage mich in der Tat: Warum haben Sie in der Zeit, in
der Sie handeln konnten, dies nicht getan und halten statt-
dessen jetzt nur Volksreden? Das ist doch die Frage.
Die Grünen treten seit langem für diese Position ein.
Sie wissen, dass ich die Grünen im Hamburger Senat ver-
trete. Ich weiß mich mit der Bundesministerin in dieser
Frage völlig einig und unterstütze sie.
Frau Bür-
germeisterin, erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage des
Kollegen Dirk Niebel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Fraktion
hier sagt jetzt Nein.
Frau
Sager, das haben Sie alleine zu entscheiden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie dürfen.
Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Bürgermeis-
terin. Sie haben gerade eben gesagt, Ihre Fraktion und
Ihre Partei träten seit langem für diese Forderung ein.
Warum haben die Grünen unseren Antrag dann abge-
lehnt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wo haben wir ihn
denn abgelehnt?
– Moment, Sie wissen ganz genau, dass die Grünen schon
seit langem für diese Position eintreten. Ich sage Ihnen:
Wir werden sie auch durchsetzen,
und zwar gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der
Länder, mit der Bundesministerin und mit den Regie-
rungsfraktionen, die sich hier klar positioniert haben.
Darin unterscheiden wir uns von Ihnen.
Ich bin sehr gespannt, ob Sie sich noch an Ihre schönen
Reden erinnern, wenn die Voten der Zuwanderungskom-
mission vorliegen.
Zum Abschluss möchte ich noch eines sagen: Solche
Debatten über Internationalisierung sind immer sehr
weihevoll. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Wenn
wir es mit der Internationalisierung ernst nehmen, muss
für uns gelten: Jedes Herumzündeln am Thema Auslän-
der- und Fremdenfeindlichkeit ist Gift für die Internatio-
nalisierung.
Verschonen Sie uns in Zukunft bitte mit jeder „Kinder
statt Inder“-Debatte und mit jeder Unterschriftensamm-
lung wie in Hessen. Unterstützen Sie uns ernsthaft, wenn
es um die Internationalisierung geht.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher von der PDS-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Der Zustand von Bildung und For-schung an vielen deutschen Hochschulen ist katastrophal.Statt sich aber der Misere ernsthaft zu stellen, rüsten sichdie Regierungsparteien für den Wahlkampf. Eine Reihevon brennenden Problemen bleibt auf der Strecke.Alle reden von der Internationalisierung der Hoch-schulen, aber – hier möchte ich wirklich noch einmalnachlegen – das deutsche Ausländerrecht legt Studieren-den und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausdem Ausland nach wie vor systematisch Steine in denWeg. Es fängt damit an, dass Studierende aus Nicht-EU-Ländern häufig gar keine Chance haben, sich an einerdeutschen Hochschule einzuschreiben. Sie müssen denBehörden im Einzelnen nachweisen, dass Sie für ein Jahrüber Mittel in Höhe des BAföG-Regelsatzes verfügen.Hat ein Student dann endlich doch eine Aufenthaltsge-nehmigung erhalten, wird ihm eine studienbegleitendeErwerbstätigkeit untersagt. Ihm darf eine Arbeit – bei-spielsweise als studentische Hilfskraft – in seinem Stu-dienfach nur vermittelt werden, wenn nachweislich
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17577
niemand mit deutschem oder EU-Pass zur Verfügungsteht. Das sonst so hochgehaltene Leistungsprinzip ist beidieser systematischen Diskriminierung von Ausländerin-nen und Ausländern außer Kraft gesetzt.
Es ist traurig aber wahr: „Arbeit zuerst für Deutsche“ istdas Leitmotiv dieser Regelung im Sozialgesetzbuch.Auch nach ihrem Studium an einer deutschen Hoch-schule erhalten ausländische Hochschulabsolventin-nen und -absolventen nicht einmal eine zeitlich befris-tete Aufenthaltsgenehmigung zur Aufnahme einerBeschäftigung. Sie werden in ihr Heimatland zurückge-schickt, um Jahre später womöglich als verzweifelt ge-suchte Fachkräfte via Green Card wieder angeworben zuwerden.
Das, meine Damen und Herren von der Regierung, müs-sen Sie wirklich einmal erklären. Ich jedenfalls finde esabsurd.
Die Bundesregierung betreibt eine janusköpfige Poli-tik. Auch wenn Frau Bulmahns Blick demonstrativ nachvorn gerichtet ist, Otto Schily blickt stur rückwärts.
Die Regierungspolitik könnte zumindest in dieser Frageetwas weniger Schily und eine Prise mehr Bulmahn ver-tragen.
Abgesehen davon, dass alle demokratischen Kräftehierzulande gegen Rechtsextremismus und Fremden-feindlichkeit kämpfen müssen, muss dieses Thema selbst-verständlich auch an deutschen Hochschulen auf derAgenda stehen. Aber Studentinnen und Studenten, dieeine solche kritische Auseinandersetzung offensiv führenwollen, wird es nicht leicht gemacht. Es gehört zum All-tag, dass demokratisch gewählte Studierendenvertretun-gen für antirassistische Aktivitäten vor Gericht zitiertwerden: wegen Wahrnehmung des so genannten allge-mein-politischen Mandats.Die Studierenden erwarten vom Deutschen Bundestagdaher zu Recht eine Absicherung ihrer Politik- und Mei-nungsfreiheit im Hochschulrahmengesetz.
Im Herbst soll es zwar novelliert werden, doch die Inte-ressen der Studentinnen und Studenten kommen im Ge-setzentwurf der Bundesregierung nicht vor. Wenn Sie beidieser Abwehrhaltung bleiben, müssen Sie mit einemheißen Herbst rechnen. Studierende fallen nicht unter dieHundehalterordnung; sie lassen sich keinen Maulkorbaufsetzen.
Die PDS hat einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt.Stimmen Sie doch einfach zu.
Bei den vergessenen Interessen der Studierenden fälltmir gleich noch der marode Zustand der Studienfinan-zierung ein. Die verabschiedete BAföG-Novelle wolltenSie uns mit einem Heiligenschein verkaufen; aber dieLeuchtkraft ist viel zu schwach, als dass sich davon je-mand blenden ließe. Allen Beteiligten, vom DeutschenStudentenwerk bis hin zur organisierten Regierungsju-gend, ist klar: Eine wirklich durchgreifende Verbesserungder sozialen Lage von Studierenden haben Sie damit nochnicht geschafft, sondern allenfalls einen überfälligenSchritt gemacht.Studiengebühren schweben wie ein Damoklesschwertüber den Köpfen von Studierenden. Liebe Kolleginnenund Kollegen von der F.D.P.-Fraktion: Studiengebührenbleiben Studiengebühren, egal, ob Sie sie beim Namennennen oder in „Bildungsschecks“ umbenennen.
Viele sind verunsichert und entscheiden sich von vorn-herein gegen ein Studium, dessen Kosten sie nicht kalku-lieren können. Im internationalen Vergleich liegt Deutsch-land weit zurück, was den Zugang junger Menschen zuHochschulen betrifft. Wenn das Hochschulstudium at-traktiver werden soll, muss es vor allem für die Studie-renden finanzierbar werden. Wir bleiben daher bei unse-rer Forderung nach einer strukturellen Erneuerung derAusbildungsförderung und nach einem Ausschluss vonStudiengebühren ohne Wenn und Aber.
Die PDS hat bereits vor einem Jahr als erste Bundes-tagsfraktion ein geschlossenes Reformkonzept vorgelegt.Kernpunkt: die verknöcherte Personalstruktur an deut-schen Hochschulen.Die Dienstrechtsreform der Bundes-regierung ist im Wesentlichen eine Reform der Besol-dungsstrukturen sowie der Laufbahn von Professorinnenund Professoren. Ich bestreite nicht, dass diese Reformnotwendig ist und grundsätzlich auch in die richtige Rich-tung geht. Aber Sie sind drauf und dran, neben den Inte-ressen der Studierenden auch die des akademischen Mit-telbaus schlicht zu vergessen.1985 hat die Regierung Kohl das Hochschulzeitver-tragsgesetz durchgesetzt, gegen den Widerstand der Ge-werkschaften und der damaligen OppositionsfraktionenSPD und Grüne. Damit wurden befristete Arbeitsverträgevon wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternlegalisiert. Um die Wogen etwas zu glätten, hat der Bun-destag wenig später beschlossen, dass die Bundesregierungeinen Bericht über die ersten Erfahrungen vorlegen muss.Nach ihrer Auswertung sollte entschieden werden, ob sichdas Zeitvertragsgesetz bewährt hat oder nicht.Heute möchte die Bundesregierung in ihrer Dienst-rechtsreform das Zeitvertragsgesetz von 1985 mit einigenkleinen Änderungen nahezu unverändert fortschreiben.Den vom Bundestag geforderten Bericht bleibt sie unsschuldig. Das werden wir nicht akzeptieren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Maritta Böttcher17578
Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf,ihrer Berichtspflicht endlich nachzukommen.Die PDS will eine ergebnisoffene Diskussion über dieBefristungsregelungen des Hochschulrahmengesetzes.Sie reden viel vom Deregulieren, haben aber an der ent-scheidenden Stelle nicht den Mut dazu.Wir meinen, besser als Regierung und Parlament kön-nen die Tarifparteien über die Modalitäten entscheiden.Auch aus diesem Grund ist der Beamtenstatus ein Fremd-körper in einer modernen Hochschulpersonalstruktur.
Fazit: In den vergangenen drei Jahren hat die PDS alsdie entscheidende Triebkraft für eine strukturelle Erneue-rung des Hochschulwesens gekämpft.
Teilweise hat die Regierung unsere Impulse in verwässer-ter Form aufgegriffen, zum Beispiel bei der Dienstrechts-reform, teilweise widersetzt sie sich bis heute, so zumBeispiel beim Studiengebührenverbot. – Ich versteheschon, dass bei so viel Reformkraft ein bisschen Neid auf-kommt!
– Lassen Sie doch die alten Kamellen von SED oder nichtSED. Ich spreche heute hier für die PDS und das werdeich auch bis zum Schluss tun. Das ist gut so.Allerdings dürfen wir die notwendige Erneuerung desHochschulwesens nicht mit deren schrittweiser Zerschla-gung verwechseln. Wir demokratischen Sozialisten sagenJa zur Innovation in Bildung und Wissenschaft und durchBildung und Wissenschaft. Wir meinen damit aber aus-drücklich auch Innovation durch Chancengleichheit undDemokratie.Studierende sind keine Kunden, Bildung ist keineWare, Hochschulen sind keine Supermärkte. Wenn wirdas berücksichtigen, werden wir wirklich eine fortschritt-liche Hochschulpolitik betreiben.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Da-men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauPieper, Quantität ersetzt noch keine Qualität. Deshalbwollen wir gern in Bezug auf die Fülle der F.D.P.-Anträgesagen: Weniger wäre mehr gewesen. Sie hätten sich einbisschen mehr konzentrieren sollen.Wir möchten uns gerne auf das Thema konzentrieren,das wir eingebracht haben, das wir gemeinsam ausgestal-ten möchten, nämlich auf die Stärkung der internationalenAttraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschafts-und Forschungsstandortes Deutschland. Wir tun das des-halb, weil wir hier nicht nur ein Schlüsselproblem für diegesellschaftliche Entwicklung und unsere Standortqua-lität sehen, sondern weil wir das auch als eine Chance be-greifen, dass dies trotz der vielen Streitigkeiten mitSchlagworten, die hier ausgetragen werden, die wir in die-sem Parlament beobachten, vielleicht ein gemeinsamesAnliegen werden kann, das in der Sache etwas bewegt,das die Bildungspolitik insgesamt nach vorne bringt, wo-bei sich mit der Regierung und dem ganzen Parlamenteine neue Kraft herausbildet.
Es ist ja richtig: Zur weltweiten Konkurrenz um Roh-stoffe, Produktionsstandorte und Absatzmärkte tritt einglobaler Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräftean den Universitäten, in Wissenschaft und Forschung.Mehr internationale Attraktivität ist dabei unabdingbarauch für die künftige wirtschaftliche Stellung Deutsch-lands in der Welt, für den Wohlstand und die soziale Si-cherheit in unserem Land. Nur, dieses vollkommen be-rechtigte Eigeninteresse kann nicht alles sein. Es muss unsbei der Bewältigung der globalen Aufgaben zur Sicherungvon Prosperität, Emanzipation, von Chancengleichheitund ökologischer Nachhaltigkeit auch immer um die ge-meinsamen Gestaltungsmöglichkeiten mit anderen Län-dern gehen. Denn sonst passiert Folgendes: Das, was wirgegenwärtig in manchem als negativ im Verhältnis zuAmerika erleben, erleben unter Umständen jetzt schonosteuropäische Staaten als negativ im Verhältnis zuDeutschland und zu den Industriestaaten, den hoch ent-wickelten Gesellschaften in Europa.Wir sollten angesichts unseres Wunsches, nicht zu vielzu verlieren, auch den Wunsch der anderen erkennen unddeshalb immer beides zusammen sehen. Die Chance, übermehr Qualifizierung und mehr Internationalität zur Eigen-entwicklung in unserem Land beizutragen, muss immermit der Chance in Zusammenhang gestellt werden, dassdaraus auch ein Rückfluss, eine Kooperation mit anderenLändern erwachsen kann. Sonst produzieren wir Spannun-gen, die am Ende die Internationalität insgesamt zerstören.Dieses Ansinnen haben wir, und wir setzen die Hoffnungdarauf, hier zu einem Konsens zu kommen, der inDeutschland eine Chance haben sollte.Weil es hier auch manche Polemik gab, lassen Sie michzur F.D.P., vor allem aber zur CDU/CSU sagen: Wenn wiruns jetzt in unserem Land zusammen darum bemühen,mehr ausländische Studenten und Nachwuchswissen-schaftler nach Deutschland zu holen und auch mehr jungedeutsche Studenten und Nachwuchswissenschaftler insAusland zu vermitteln, dann ist das gut. Aber die Situa-tion, wie wir sie vorfinden, ist auch aus dem Zusammen-hang von zwei politischen Lebenslügen der konservativenSeite heraus zu erklären, nämlich der ersten Lebenslüge,wir hätten in Deutschland zu viele Studenten, und derzweiten Lebenslüge, wir bräuchten keine Zuwanderungund wir hätten keine Zuwanderung.
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Maritta Böttcher17579
Natürlich erkennen wir es an, wenn ein Minister wieHerr Zehetmair in Bayern dies ebenfalls ausdrücklichselbstkritisch sagt. Es ist gut, wenn dies aus der Spitze he-raus gesagt wird. Aber die Lebenswirklichkeit von Stu-dentinnen und Studenten, das, was sie, wenn sie aus demAusland zu uns kommen, in Hochschulstädten – kleinerenoder größeren – erfahren, wird natürlich nicht durch HerrnZehetmair wesentlich mitgeprägt. Das wird vielmehr da-durch mitgeprägt, wie sich der Kaufmann an dem Studien-standort verhält, wie sich dort Reinmachefrauen verhalten,wie Dienstleister, Pförtner, Busfahrer und andere sich ver-halten. An dieser Stelle haben wir alle zusammen die Auf-gabe, uns von Lebenslügen zu verabschieden und daranmitzuwirken, ein anderes Klima zu schaffen. Da haben Sieals Volkspartei eine große Verantwortung. Wir glauben,dass Sie sich in dieser Verantwortung bewähren können,und möchten dies dann auch ausdrücklich anerkennen.Denn das würde uns nach vorne bringen.
Die vier Zahlen, die wir jetzt in diesem Bereich vorfin-den – 7 Prozent ausländische Studenten, 5 Prozent aus-ländische Professoren, 5 Prozent ausländische Doktoran-den und nur 10 Prozent deutsche Studenten, dieAuslandserfahrung haben –, sind zu gering. Wenn wir unsdiese vier Zahlen im Parlament auch parteiübergreifendmerken, dann hat die Opposition das Recht, nach einigerZeit zu fragen: Haben sich diese Zahlen verbessert? Aberwir alle zusammen haben die Pflicht, mit diesen Zahlen inder Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, welchegroßen Reserven dort für uns erschlossen werden müssen.
Selbstgenügsamkeit und Verharren im eigenen Umfeldsind nicht mehr angesagt. Statt der nationalen Wagenburg,in der sich manche von ihrer Mentalität her noch finden,brauchen wir als Leitbild für die Zukunft einen internatio-nalen Bildungsmarktplatz mit breiten, fairen Zugängen,mit Vielsprachigkeit und kultureller Vielfalt, mit Spitzen-leistungen und hervorragender Grundqualifikation. FrauMinisterin Bulmahn hat ja mit Recht darauf verwiesen,dass in einer längeren Linie schon deutliche Entwicklun-gen eingeleitet worden sind. Aber der politischen Gerech-tigkeit halber darf man wohl doch sagen: Unter der neuenRegierung ist eben ein anderer Zug eingetreten; Bildungund Forschung haben wieder den notwendigen Stellen-wert erhalten, den sie unter dem damaligen Bun-deskanzler Kohl leider nicht hatten.
Die Diskussion um die Green Card hat der Gesellschaftdie Augen geöffnet, wo es vorher an Mut gefehlt hat. Esgibt eben auch wieder deutlich mehr Geld für Hochschu-len und Forschung durch den Bund. Während bei Rüttgersdie Mittel um 700 Millionen DM nach unten gegangensind, sind sie bei Frau Bulmahn um 2,4 Milliarden DMnach oben gegangen. Das dürfen wir wohl doch noch sa-gen, und zwar selbstbewusst und freudig sagen.
– Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie sich doch mitfreuen, Herr Hirche.
Wenn Sie im Übrigen diese Zahl nicht hören mögen,will ich dem Parlament gerne von dem Erlebnis berichten,das wir neulich mit dem DAAD-Vizepräsidenten, Pro-fessor Huber, im Ausschuss hatten, der von den neuenfinanziellen Ressourcen ganz begeistert war. Sein Kol-lege von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Profes-sor Frühwald, hat sogar gesagt, man müsse sich Mühe ge-ben, die Mittel, die jetzt diesen Institutionen zugeflossensind, überhaupt seriös auszugeben. Diese Zahl mag sichdas ganze Parlament merken: Die Mittel für die Interna-tionalisierung der Lehre und Forschung sind von 1998 bis2002 um 140 Prozent gewachsen – eine wirklich ein-drucksvolle Zahl.
Die Fachprogramme sind im Übrigen dabei, sich in derinternationalen Hochschul- und Forschungswelt einenguten Namen zu machen, vom Graduierten-Kolleg überdas Emmy-Noether-Programm bis zu international ausge-richteten Studiengängen und auch dem neuen Testsystemfür Deutsch als Fremdsprache. Dass die „Zukunftsinitia-tive Hochschule“ darüber hinaus noch zusätzlich 170Mil-lionen DM für Exzellentenförderung erhalten hat, darfman hier ebenfalls erwähnen. Nicht zu vergessen dieBAföG-Reform, mit der wir ja die Schwächen des euro-päischen Erasmus-Programms ausgleichen.Unser Ziel muss immer ein doppeltes Ziel sein: mehrausländische Studenten und Nachwuchswissenschaft-ler nach Deutschland zu holen und mehr deutsche Stu-denten und Nachwuchswissenschaftler ins Ausland zuschicken. Wir haben uns für die nächsten Jahre 20 Prozentals Zielgröße gesetzt. Im Übrigen muss diese Verdoppe-lung nicht nur die Uni-Absolventen erreichen, sondernauch die Fachhochschulen, denn bei den Fachhochschu-len haben wir im Unterschied zu den Universitäten einenum den Faktor 3 geringeren Austausch. Wir müssen beideHochschularten zusammen betrachten.
Wenn ich mir an dieser Stelle eine Nebenbemerkungerlauben darf: Internationalität wird gelernt. Sie mussschon an den Schulen mit der Hinführung zu Fremdspra-chen in der Grundschule, mit Mehrsprachigkeit, mit Aus-bau von Schüleraustausch, mit internationalen Prakti-kumsplätzen vorbereitet werden.
Rund 20 000 deutsche Schüler mit Auslandserfahrung imJahr sind uns noch nicht genug.
Der französische Ministerpräsident Jospin hat in sei-ner großen Rede über Europa einen, wie ich meine, be-merkenswerten Gedanken geäußert. Er hat die Europäeraufgerufen, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler in Eu-
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ropa die Chance bekommt, einmal in seinem Schullebenvier Wochen im europäischen Ausland Erfahrungensammeln zu können. Das kann auch als Aufforderung anuns gelten.
Auch Frau Süssmuth – ohne die Parteien damit behaf-ten zu wollen – ist ausdrücklich darin zuzustimmen, dasswir – wie sie kürzlich im „Forum Bildung“ gefordert hat –mehr ausländische Lehrer an unseren Schulen brauchen.Gegenwärtig unterrichtet hier nur eine minimale Zahl.Das Leitbild für die Zukunft sollte im Übrigen der Eu-ropa-Lehrer sein; denn – auch wenn Sie eben sagten, daswüssten wir doch alle schon, dürfen wir dies doch auchgemeinsam öffentlich feststellen – wir dürfen uns sichersein: Wo Schülerinternationalität in den Schulen schonpraktisch und persönlich erlebt wurde, wächst auch dieBereitschaft, sich in Studium und Berufsausbildung inter-national zu orientieren.
Auf der anderen Seite unterstreichen wir ausdrücklich, wasFrau Ministerin Bulmahn und auch Herr Zehetmair kürz-lich geäußert haben, nämlich dass die Zahl der ausländi-schen Studenten um 50 Prozent gesteigert werden soll.In Deutschland zeigt das zweite Aktionsprogramm desDAAD zur Stärkung der internationalen Wettbewerbs-fähigkeit vom Juni 2000 ein hoch differenziertes und qua-lifiziertes Handlungsprogramm auf. Wir wünschen uns,dass viele Punkte daraus in die politische Agenda aller Be-teiligten Einzug halten. Denn unsere gemeinsame Arbeitmuss langfristig, kooperativ und auch gleichzeitig kom-plex angelegt sein. Damit ist gemeint, dass wir viergleichwertige Handlungsfelder beschreiben: Hochschul-reform im Zeichen von Internationalität, Verknüpfungvon Förderprogrammen und Stipendien mit besseren Ar-beits- und Erwerbsmöglichkeiten, soziale Maßnahmenfür ausländische Studenten und auch das internationaleHochschulmarketing.Weshalb vier gleichwertige Handlungsfelder? Es nütztdoch nichts, die Strukturen an den Hochschulen zu inter-nationalisieren, wenn die Studenten nicht hierher kom-men können, weil sie keine soziale Unterstützung be-kommen und keine Arbeit haben.
Es reicht auch nicht, ein umfangreiches Marketing auf-zubauen, wenn die entsprechenden Strukturen an dendeutschen Universitäten nicht ermöglichen, Hochschul-systeme kompatibel zu gestalten.Wenn deutlich mehr ausländische Studenten zu unskommen sollen, müssten sie hier auch entsprechende fi-nanzielle Möglichkeiten bzw. Arbeitsmöglichkeiten inden Hochschulen selbst vorfinden. Deshalb betone ichnoch einmal ausdrücklich: Man kann sich nicht auf eineskonzentrieren, sondern es muss gleichwertig in vielenverschiedenen kleinen Schritten wachsen.Ich möchte abschließend zu den vier angesprochenenHandlungsfeldern jeweils eine kurze Bemerkung machen.Wir unterstützen es erstens, wenn die deutschen Hoch-schulen in die Gründung von Außenstellen und Außen-studiengängen eintreten. Wir wünschen uns, dass dieseOffshore-Hochschulen dann auch die nötige Offenheitund Zugänglichkeit aufbringen und sich eben nicht alsElitehochschulen abschotten. Wir sehen große Chancender Internationalisierung vor allem auch darin, dass dasbreite Netz von qualifizierten Hochschulen bei uns in eineverstärkte Kooperation, was die Abschlüsse angeht, ein-tritt. Damit besteht dann ein anderes Fundament als nurmit Offshore-Gründungen allein.Zweitens. Weshalb verknüpfen wir die Forderung nachdem Ausbau von Stipendien für ausländische Studentenmit der Veränderung bei den Arbeitsmöglichkeiten? Pro-fessor Huber hat uns kürzlich im Ausschuss dargelegt,dass sich im Gespräch mit ausländischen Studenten jededritte Frage auf die Arbeitsmöglichkeiten in Deutschlandbezieht. Dies darf uns auch deshalb nicht wundern, weilnur jeder vierte ausländische Student über ein Stipendiumverfügt und fast 60 Prozent der Studenten aus wirtschaft-lich schwächeren Ländern angeben, das Studium durcheigenen Verdienst zu bestreiten.Von diesen Zahlen ausgehend ist es doch klar, dass nurder bessere Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit und zurstudienbegleitenden Arbeit zusätzliche Studentinnen undStudenten ausländischer Herkunft zu uns führen wird. DieInitiative der Ministerin wird von uns ausdrücklich be-grüßt. Wir wünschen uns, dass nach der Vorlage desSüssmuth-Berichtes schnell und einvernehmlich eine ge-meinsame Initiative im Parlament zustande kommt, weilsie auch wegbereitend für andere Fragen sein könnte.Drittens. Wenn wir die Zahl ausländischer Studenten inDeutschland um 50 Prozent steigern wollen, müssen wirbesonders bei den sozialen Maßnahmen treffsicher han-deln. Ich möchte einen wichtigen Aspekt herausgreifen:50 Prozent der ausländischen Studenten wohnen in Wohn-heimen. Das ist natürlich ein Vielfaches mehr als beideutschen Studenten. Wir brauchen einen Ausbau derWohnheimkapazitäten, und zwar in Integrationsform.Außerdem brauchen wir insgesamt mehr Tutorenpro-gramme in diesen Wohnanlagen.
Gleichgültigkeit und Distanz der Deutschen bis hin zuAusländerfeindlichkeit sind leider auch an unseren Hoch-schulen nicht ausgeschlossen. Der DAAD-Generalse-kretär Bode musste kürzlich vermelden, dass immerhin anfast einem Drittel der Hochschulen in Ostdeutschlandausländische Studenten die Situation als bedrohlich emp-finden. Gemeinsame kulturelle Initiativen, gemeinsameLerngruppen, Mentorenprogramme wie auch persönlicheHilfen in allen Lebenslagen setzen hiergegen notwendigeZeichen. Beispielhaft steht hier eine Initiative der Hum-boldt-Universität in Berlin – „With a little help from myfriends“ –, mit der sich diese Hochschule ihres großenNamensgebers würdig erweist.
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Dr. Ernst Dieter Rossmann17581
Viertens. Dass dieses soziale Netzwerk notwendig ist,wird man bei dem erfolgreich gestarteten Programm„Hochschulmarketing, Werbung für den Hochschul- undWissenschaftsstandort Deutschland“ nie vergessen dür-fen. Ich sagte schon: Was nützt die beste Präsentation derleistungsfähigen deutschen Hochschulen im Ausland,wenn dadurch geworbene Studenten aus Afrika, aus In-dien, aus China oder aus anderen Ländern Asiens undSüdamerikas – die dann im Unterschied zu englischen,polnischen oder italienischen Studenten in Deutschlandauch erkennbar sind als ausländische Studenten – nichtdie soziale, die mentale, die geistige Unterstützung erfah-ren? Wenn Deutschland die Botschaft aussendet, wir sindein weltoffenes deutsches Hochschul- und Forschungs-land, dann darf das eben nicht nur Marketing sein, son-dern es muss Substanz dahinter stecken.
In diesem Sinne meine Schlussbemerkung. Frau Mi-nisterin, Sie haben in diesem Jahr an der Stanford-Uni-versity in Amerika die Vision ausgegeben: Die Hoch-schulen in Deutschland werden in den nächsten zehnJahren in doppelter Hinsicht eine integrative Funktion ha-ben, indem sie Menschen aus aller Welt bei uns zu For-schung und Lehre versammeln und uns zugleich mit allerWelt verbinden. Wir sollten vom Deutschen Bundestagaus – und dies möglichst gemeinsam – alles tun, um ausdieser Vision Wirklichkeit werden zu lassen.Danke schön.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Norbert Hauser von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident!Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, an-ders als ich es vorgesehen hatte, Frau Sager ansprechen.Frau Sager, das, was Sie hier über Kollegen der Union ge-sagt haben, war eine Unverschämtheit.
Sie haben behauptet, Kollegen unserer Parteien hätten inDeutschland ein Klima geschaffen, in dem man über Ar-beitsmarkt- und Ausländerpolitik nicht mehr in Ruhe habereden können.
Frau Sager, Sie wissen, dass dies nichts mit der Wirklich-keit zu tun hat.
Das ist Hamburger Wahlkampf. Damit wären Sie besserin Hamburg geblieben. Damit haben Sie hier keinen kon-struktiven Beitrag geleistet.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Koaliti-onsfraktionen, Sie müssen sich langsam einmal entschei-den, was Sie denn nun wollen: Entweder Sie wollenDinge verändern oder sich permanent auf 16 Jahre Regie-rungszeit berufen. Aber hier Anträge abzulehnen – wiedas von der F.D.P. zu Recht dargestellt worden ist – undals Begründung zu sagen, es sei ja 16 Jahre lang auch sogewesen, das reicht nicht mehr aus.
Sie wollten Verantwortung und haben Verantwortung be-kommen. Nehmen Sie diese wahr. Versuchen Sie nicht,sich permanent hinter anderen zu verstecken. Das funk-tioniert nicht mehr.
Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, inaller Ruhe ein paar Sachpunkte anzusprechen. Wie ver-fahren die Situation bei mangelnder Vorausschau in derBildungspolitik sein kann – wir haben das in den letztenzwei Jahren gemerkt–, sieht man am bestehenden Fach-kräftemangel. Bereits 1995/1996 hatte man festgestellt,dass im Bereich der Ingenieurwissenschaften etwa 10 000Fachkräfte fehlen.
– Ja, Herr Kollege Tauss, etwas Ähnliches habe ich er-wartet. Die Antwort des damaligen niedersächsischen Mi-nisterpräsidenten, Gerhard Schröder, darauf war, den Stu-diengang Informatik an der Fachhochschule Hildesheimzu schließen.Da sollten Sie also ganz vorsichtig sein.
Wir haben aber festzustellen, dass dieser Fachkräfte-mangel nicht nur hier in der Bundesrepublik Deutschlandbesteht, sondern dass er auch ein europäisches Phänomenist. Deshalb reicht es nicht aus, einmal schnell zum Nach-barn zu gehen und sich ein paar Fachkräfte herüberzuholen.
Die Green Card, Herr Kollege, war unter diesem Aspekttatsächlich nicht mehr als ein Marketinggag von GerhardSchröder. Wir haben das dann gemerkt.
– Eine Lösung der Probleme hat sie zumindest nicht dar-gestellt.
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Dr. Ernst Dieter Rossmann17582
Deshalb möchten wir Ihnen einen Vorschlag machenund mit Ihnen über diesen diskutieren. Um in Zukunftnicht in die totale Fachkräftefalle zu geraten, benötigenwir eine fundierte Vorausschau. Wir müssen darübernachdenken, wie sich die Märkte in Zukunft entwickelnwerden und welchen Fachkräftebedarf wir haben werden.Wir müssen feststellen, dass die Institutionen, die sich mitdiesen Fragen auseinander setzen – wenn sie bisher über-haupt in diese Richtung geforscht und Untersuchungendurchgeführt haben –, nicht zu Ergebnissen gekommensind, die uns wirklich weiterhelfen.Deshalb schlagen wir Ihnen ein Gremium vor, das sichunabhängig von Interessengruppen damit auseinandersetzt, wie die Bildungslandschaft in den nächsten Jahr-zehnten gestaltet werden muss. Wir schlagen Ihnen einenSachverständigenrat Bildung vor. Aufgabe der Bil-dungsweisen – so will ich sie einmal nennen – in diesemSachverständigenrat soll die Analyse und Bewertung vonBildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungstrends mitBlick auf langfristige Entwicklungen einerseits und ei-nem Abgleich mit staatlichen und gewerblich gesetztenZielen andererseits sein.
Ähnlich wie wir es schon von den fünf Wirtschaftsweisenkennen, sollten von diesem Gremium Gutachten erstelltwerden, in denen Zukunftstrends beschrieben und Struk-turempfehlungen gegeben werden. Damit könnte dieserSachverständigenrat in unserem Bildungs- und Ausbil-dungssystem eine Art Frühwarnsystem darstellen.Wir müssen feststellen, dass sich der Fach-kräftemangel auch nicht kurzfristig beheben lässt. Wirwerden aus Ausbildungsgründen und auch aus demogra-phischen Gründen kurzfristig nicht genügend junge Leuteauf dem Arbeitsmarkt haben. Das heißt, wir müssen ver-stärkt auf die Weiterbildung achten. Nun könnte man fra-gen: Wird denn dort genügend investiert? Pro Jahr werden80 Milliarden DM investiert. Auf dem Sektor Weiterbil-dung gibt es 35 000 Anbieter. Man kann also nicht sagen,da gibt es zu wenig Angebote, zu wenige, die sich damitbefassen. Das Problem ist eher die fehlende Transparenz.Man weiß nicht, welche Angebote es auf diesem Marktgibt. Es existiert keine unabhängige inhaltliche Qualitäts-kontrolle. Aufgrund fehlender Transparenz kann es aufdiesem Sektor natürlich keinen fairen Wettbewerb geben.
Deshalb haben wir einen Antrag zur Gründung einer„Stiftung Bildungstest“ vorgelegt, die Weiterbildungs-angebote bewerten und vergleichen, Qualitätsstandardserarbeiten und festlegen und auf den Kunden ausgerichtetsein soll, also nicht auf die Anbieter, sondern umgekehrtauf die, die Angebote abfragen. Sie soll kundenorientiertsein und die Möglichkeit bieten, festzustellen: Wo ist fürmich das richtige Programm, der richtige Anbieter, in denich meine Zeit, mein Geld und letztlich auch meine Hoff-nungen investieren will? Nur so wird es möglich sein,Qualität und Effizienz auf dem Bildungsmarkt zu ge-währleisten.
Wir meinen, eine „Stiftung Bildungstest“ müsste ei-genständig sein. Sie sollte nicht in einem vielfältigen Wa-renkorb bei der Stiftung Warentest angesiedelt sein, in derman sich neben Windeln und Waschmitteln auch ein biss-chen um Weiterbildung kümmert. Der Bedeutung von Bil-dung und Weiterbildung am Standort BundesrepublikDeutschland wird nur dann Rechnung getragen, wenn essich tatsächlich um eine eigenständige „Stiftung Bil-dungstest“ handelt.
Wir wissen, dass die „Stiftung Bildungstest“ in einemAntrag, den Sie vorgelegt, aber heute leider nicht zur De-batte gestellt haben, von Ihnen gefordert wird. Das lässthoffen, hier zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.
Zu dem Antrag bezüglich der Weiterbildung noch einWort. Getreu typisch rot-grünen Strukturen scheint Sie,ebenso wie in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik,auch in der Bildungspolitik die Regelungswut nicht ver-lassen zu haben.
Sie suchen Ihr Heil in neuen Vorschriften und Paragra-phen. Sie sollten sich eines merken: Deregulierung heißtdas Stichwort. Auch Weiterbildung kann nur erfolgreichsein, wenn man ihr die Luft zum Atmen lässt.
Ich möchte Sie zum Abschluss – speziell Sie, HerrTauss – mit einem Zitat aus der „Berliner Zeitung“ erfreuen:Die Launigkeit Schröders und die KnauserigkeitEichels wären aber nicht möglich, gäbe es nicht eineDritte im Bund der Reformschwächlinge: Bildungs-ministerin Bulmahn. Sie macht nicht überzeugendund nicht laut genug Werbung für die Wissenschaft,sucht sich keine starken Bündnispartner und scheutKonflikte.Dem ist nichts hinzuzufügen.
Herzlichen Dank für Ihr aktives Mithören.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrKollege Hauser, ich hatte eigentlich in dieser Debattenicht vor, Sie anzusprechen. Nachdem Sie aber meineParteifreundin Krista Sager angesprochen haben, möchteich auf zwei Punkte Ihres Beitrags direkt eingehen.
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Norbert Hauser
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Erstens. Wenn ich mir vor Augen führe, was Sie mit Ih-rer Kampagne „Kinder statt Inder“ in Nordrhein-West-falen sowie mit dieser billigen und sehr gefährlichen Un-terschriftenaktion in Hessen gemacht haben, und ich mirweiter vor Augen führe, wie eine Person wie Frau Profes-sor Süssmuth in Ihren eigenen Reihen an den Rand ge-drängt wird, kann ich nur sagen: Frau Sager hat auf derganzen Linie Recht.
Zweitens. Sie sprachen davon, wir würden uns heraus-reden, nur über die vergangenen 16 Jahre reden und soll-ten lieber über die Zukunft sprechen. Dazu will ich Fol-gendes sagen: Wenn wir uns unsere Bilanz nachzweieinhalb Jahren ansehen, haben wir, glaube ich, allenGrund zum Selbstvertrauen:
BAföG – bei Ihnen runter, bei uns rauf –,
Forschungsmittel – bei Ihnen runter, bei uns rauf –, Mit-tel für das Auslandsstudium – bei Ihnen konstant, bei unsverdoppelt –
und Dienstrechtsreform – bei Ihnen Stillstand, wir packenes an.Wenn ich alles zusammenfasse, kann ich nur sagen:Wir haben allen Grund zum Selbstvertrauen. Aber – ichkomme auf Ihre Ausführungen zurück – wenn Sie Statis-tiken aus den Jahren 1998, 1999 heranziehen, um zu be-legen, wir würden bildungspolitisch nichts bringen, ist derHinweis erlaubt, dass die Ergebnisse der Statistik alleinauf Ihre Kappe gehen.
Wir sollten versuchen, weil wir in bildungspolitischenFragen – zumindest zwischen den Bildungspolitikerin-nen und Bildungspolitikern – mehr oder minder an einemStrang ziehen, auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen.Eine Gemeinsamkeit – ich habe das heute Morgen er-kannt – besteht darin, dass wir alle der Meinung sind,dass die Internationalisierung des HochschulstandortesDeutschland vorangetrieben werden muss. Ich glaube,das ist ein bemerkenswerter Konsens, den wir festhaltensollten.Drei Themenkreise sollten in das Zentrum der Be-trachtung rücken: zum einen die internationale Ver-gleichbarkeit von internationalen Studien- und Prüfungs-leistungen – also die Frage, ob hierzulande erworbeneAbschlüsse und Leistungen im Ausland anerkannt wer-den und Respekt genießen –, zweitens die Frage nach denaufenthalts- und arbeitsrechtlichen Regelungen für aus-ländische Studierende – letztlich die Frage, ob für sie einsoziales Umfeld geschaffen wird, in dem sich gut studie-ren, leben und arbeiten lässt; es ist wichtig, dass sie dasSignal bekommen, sie sind hier willkommen – und drit-tens die Attraktivität der deutschen Hochschulen für aus-ländische Lehrende, also die Frage, ob ausländische Wis-senschaftler hier eher als Konkurrenz oder eher alsBereicherung gesehen werden.Ich komme zum ersten Thema, der internationalenVergleichbarkeit von Abschlüssen. Ich glaube, dass mitden Bachelor- und Masterstudiengängen und den zuneh-menden international ausgerichteten Graduiertenkollegsein guter Anfang gemacht worden ist. Wir sollten uns po-litisch vornehmen, vielleicht im Jahre 2003 Bilanz zu zie-hen. Die Ministerin sprach davon, dass wir mittlerweilemehr als 1 000 solcher Studiengänge haben. Wir sollten ineinigen Jahren schauen, wie die Bilanz aussieht, und unsdann die Frage stellen, ob wir dauerhaft Doppelstruk-turen – also B.A. und M.A. auf der einen und Diplom aufder anderen Seite – wollen oder ob wir uns auf Dauer füreinen der beiden Wege entscheiden. Ich selbst habe michhier noch nicht festgelegt. Ich möchte an dieser Stelle abereines sagen: Wir sollten hier nicht auf eine bloße Kopiedes angelsächsischen Modells setzen; denn das deutscheSystem hat durchaus Vorzüge, die es wert sind, erhaltenund weiterentwickelt zu werden.
Arbeiten müssen wir vor allen Dingen noch an der zu-nehmenden Modularisierung von Studiengängen, dasses also Exit-Optionen gibt, dass man aber trotzdem amEnde dieser Periode ein vernünftiges Testat in der Handhat, und an der Weiterentwicklung der Credit-Point-Sys-teme.Ich glaube, dass Europa nun einmal der Kontinent derVielfalt ist. Dies schlägt sich selbstverständlich auch imBildungssystem nieder. Es kann nicht darum gehen, in Eu-ropa Vielfalt durch Homogenität zu ersetzen. Es geht viel-mehr darum, einen europäischen Hochschulraum zu schaf-fen, in dem Studienleistungen wechselseitig anerkanntwerden. Mein Ziel ist, dass eine Studentin, die ihr Grund-studium in Köln und ihr Hauptstudium in Amsterdam undLondon absolviert, nach neun bis zehn Semestern fertigsein kann. Dann hätten wir sehr viel erreicht. Dafür müs-sen wir politisch arbeiten.
Über die Schaffung von Rahmenbedingungen für dieFörderung ausländischer Studierender ist schon viel ge-sagt worden. Ich glaube, es ist wirklich sehr gut, dass sichdie Bildungspolitiker hinsichtlich der aufenthalts- und ar-beitsrechtlichen Regelungen fraktionsübergreifend einigsind. Es kann nämlich nicht sein, dass wir einerseitssagen, Deutschland solle für Studentinnen und Studentenaus aller Welt interessant werden, dass wir ihnen aber an-dererseits im außeruniversitären Bereich alle nur denk-baren Knüppel zwischen die Beine werfen. Das gehtnicht.
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Dr. Reinhard Loske17584
Es ist gut und richtig – auch darauf wurde hinge-wiesen –, dass die Bundesregierung zusammen mit denLändern und den Hochschulen eine internationale Mar-ketingoffensive für das Studium in Deutschland ge-startet hat. Aber die beste Werbung für den Hochschul-standort Deutschland wäre, wenn diejenigen, die hierstudiert haben, zu Hause erzählen: In Deutschland kannman nicht nur gut studieren, sondern auch gut leben. Da-rauf sollten wir größten Wert legen.
Wir sollen dies auch – hier will ich an die Ausführun-gen des Kollegen Rachel anknüpfen – durchaus aus öko-nomischem Eigeninteresse machen. Dies ist völlig legi-tim. Der globale Markt für Bildungsdienstleistungen istschon heute sehr groß und wird noch enorm wachsen.Wenn wir auf diesem rasant wachsenden Markt mit großerKonkurrenz dabei sein wollen, ist neben den objektivenBedingungen, über die wir hier schon geredet haben odernoch reden werden, die Gastfreundschaft sicherlich nichtdie unwichtigste Voraussetzung.
Hinsichtlich der Stellen würde ich noch gerne auf einenPunkt verweisen: Ich würde mich freuen, wenn die Inter-nationalität auch im Bereich der Hochschullehrer Platzgreifen würde und beispielsweise mehr Ausschreibungenim „Economist“ zu lesen wären, wie das bei anderen Uni-versitäten längst üblich ist. Bei uns ist es immer noch dieAusnahme. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen,dass Voraussetzung dafür wohl die Dienstrechtsreform inDeutschland ist. Hier sind wir auf dem besten Wege. Wirwerden nach den Parlamentsferien darüber diskutieren.Es ist nun einmal schlicht und einfach so: Ein Land, indem man durchschnittlich 42 Jahre alt sein muss, um Pro-fessorin oder Professor zu werden, ist für viele junge Wis-senschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Auslandnur sehr bedingt attraktiv.
Ich möchte noch kurz auf einen Aspekt der Internatio-nalität eingehen, der bislang noch nicht angesprochenwurde. Es war hier viel vom Braingain die Rede. Die Mi-nisterin und auch viele Kollegen haben es angesprochen.Man muss natürlich berücksichtigen, dass dem Braingainbei uns ein Braindrain, also ein Verlust an potenzieller in-tellektueller Kapazität, auf der Seite der Entwicklungs-länder gegenübersteht. Dies ist ein ernst zu nehmendesArgument, das man immer häufiger hört.Daraus darf aber ganz sicher nicht – wie das manchetun – der Schluss gezogen werden, Menschen aus Ent-wicklungsländern seien restriktiver zu behandeln als bei-spielsweise Menschen aus Nordamerika. Ich glaube, ge-rade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus denEntwicklungsländern wollen erst einmal hierher kom-men, eine Zeit lang hier leben und eine eigene wirtschaft-liche Existenz aufbauen. Die Alternativen für sie heißenmeistens nicht, entweder hier zu bleiben oder in ihr Hei-matland zurückzukehren, sondern sie heißen, entwederhier zu bleiben oder nach Nordamerika zu gehen. Ichglaube, unsere Antwort sollte klar sein.
Ich komme zum Schluss. In den F.D.P.-Anträgen sindviele Themen angesprochen worden, die man nicht alle ineinem Redebeitrag abdecken kann. Aber auf eines will ichnoch hinweisen: Die Misere, die wir hier haben und dieanzugehen wir gemeinsam willens und bereit sind, wur-zelt vor allen Dingen in den 90er-Jahren. In den 90er-Jah-ren wurde ein systematisches „cooling out“ betrieben, wiees der Publizist Reinhard Kahl genannt hat. Wir haben nurdarüber geredet: Muss das denn mit dem Studieren sein?Wir haben zu viele Studierende. Die Seminare und Hör-säle quellen über. – Das hat natürlich im Ergebnis dazu ge-führt, dass viele potenzielle Studentinnen und Studentenabgeschreckt worden sind. Das kann nicht die Perspektivesein.Insofern müssen wir das Problem, das wir auch mitdem Gerede von zu vielen Studentinnen und Studentenselbst verschuldet haben, jetzt gemeinsam bearbeiten. Ichglaube, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir stehenallerdings erst am Anfang.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, als gingenwir wirklich mit sehr unterschiedlichen Wahrnehmungenan diese Debatte heran. Herr Dr. Rossmann, Sie haben unsin wunderschönen himmelblauen Farben erzählt, wie seit1998 die Forschungslandschaft in diesem Lande aussieht.Seit zwei Tagen haben wir Zahlen auf dem Tisch liegen,die deutlich beweisen, dass Deutschland in Europaden vorletzten Platz – übrigens vor Italien – in der For-schungslandschaft einnimmt. Das sind neue Zahlen,keine alten.
Sie belegen, was wir ja eigentlich auch tagtäglich bei derDebatte über Stammzellen erleben: dass es eben keineforschungsfreundliche und keine forschungsoffene Land-schaft ist, mit der wir hier zu tun haben.
Deutschland ist übrigens weder das Forschungsland,das Sie uns hier aufgezeigt haben, noch das Bildungslanddes europäischen Kontinents und es sieht auch nicht soaus, als würden wir es in nächster Zukunft wieder soschnell werden. Die Anzahl der Studierwilligen stagniert,
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Dr. Reinhard Loske17585
Frau Bulmahn – übrigens auch seit 1998. Darauf hinzu-weisen, dass man mit alten Zahlen hantiere, ist – ehrlichgesagt – zu leicht. Hinzu kommen auch noch ganz neueZahlen. Denken Sie daran: Nur 16 Prozent der Deutschenschaffen einen Studienabschluss. Die Abbrecherquoten inden Naturwissenschaften belaufen sich auf mehr als60 Prozent. Gerade hier haben wir einen dramatischenNachwuchsmangel. Frau Bulmahn, das sind keine Zah-len, auf denen man sich ausruhen kann.
Da ist es auch nur wenig beruhigend, dass das Phä-nomen des Fachkräftemangels keine rein deutsche Erfin-dung ist. In den USA– das wissen wir alle – geht seit Jah-ren die Zahl der eigenen Studierenden ebenfalls zurück.Aber dieses Land hat bei den Post Docs bereits einen An-teil von 60 Prozent Ausländern. Wir haben diese Leutenicht.Rund 600 indische Studenten sind derzeit an deut-schen Hochschulen eingeschrieben. In den USA sind es35 000. Es ist deshalb richtig, Frau Bulmahn – Sie habendabei unsere ausdrückliche Unterstützung –, dass Sieaußerhalb Deutschlands für das Produkt „deutsche Hoch-schulstandorte“ werben. Es ist gut, dass Sie zu diesemZweck einen Kurztrip in die USA gemacht haben; abernoch besser wäre es gewesen, wenn Sie und Ihre Leutewesentlich früher in Asien und in Osteuropa unterwegsgewesen wären. Am allerbesten wäre es gewesen, wennSie mit Ihren Kollegen Fischer und Schily ein ernsthaftesWort gesprochen und sich auch einmal durchgesetzt hät-ten.
Werbung ist gut, aber aktives Regierungshandeln istbesser. Weder das Schließen von Goethe-Instituten nochdas Sparen bei deutschen Schulen im Ausland,
noch das ungelöste Problem, wie man ausländische Spe-zialisten nach dem Examen im Land halten kann, trägtdazu bei, Menschen auf die Vorzüge unseres Standortesaufmerksam zu machen.Ich mache das einfach einmal am Beispiel Texas klar.In diesem Staat der USA, der den größten deutschstäm-migen Anteil aufweist, machen Sie die Goethe-Institutezu. Was ist daran für diesen Standort werbewirksam, FrauBulmahn?
Ich will aber auch ganz klar sagen: Sie ackern sich ab,während sich Ihre beiden Kollegen ganz offensichtlich alsBremsfallschirme in dieser Regierung erweisen.
Ich bin sicher, Sie persönlich werden den Anträgen derF.D.P. in vielen Punkten folgen können.
Ich bin umso sicherer, als Ihre Anträge unseren Anträgen,die seit einem Jahr in diesem Plenum schmoren, fast aufden Punkt genau ähneln.
Wo aber hakt es? Seit Monaten diskutieren wir die Not-wendigkeit, ausländische Spezialisten nach dem Stu-dium hier zu halten. Immer wieder geben Sie, FrauBulmahn, Interviews zu dringend erforderlichen Ände-rungen des Ausländerrechts. Nur, bewirkt haben Sienichts. Herr Kollege Niebel hat eben sehr deutlich ge-macht, dass es selbst im Plenum zu Ablehnungen kam.Die Zögerlichkeit der Regierungskoalition, wenn es da-rum geht, endlich ein modernes Zuwanderungsgesetz aufden Weg zu bringen, lässt Ihre höchstpersönlichen An-strengungen als Flickwerk erscheinen.
Ich wünsche Ihnen – auch Ihnen, Herr Kollege Tauss –,dass dieses Gezaudere in der nächsten Woche endlich einEnde findet. Sie können sicher sein, dass wir als die Frak-tion, die seit langem mit einem Zuwanderungsantrag imPlenum vertreten ist, Ihre Vorschläge mit großem Ernstund sehr zielorientiert begleiten werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auchetwas zu dem sagen, was wir alle gemeinsam stärken undwerbewirksam für unser Land einsetzen wollen: die deut-sche Hochschullandschaft. Es ist in den letzten Jahren vielgeschehen. Unsere Hochschulen haben die Herausfor-derung zur Innovation angenommen, und dies trotz einerklaren Unterfinanzierung. Um international zu bestehen,reicht es aber trotzdem noch lang nicht aus. Wir alle, diewir hier darüber debattieren, wissen das. Es gibt immernoch einen deutlichen Bruch zwischen dem, was Sie, FrauBulmahn, über die Hochschule der Zukunft sagen, undder Realität an Universitäten und Fachhochschulen.An der Uni Potsdam – lassen Sie mich das an diesemBeispiel festmachen – soll im Wintersemester nicht mehrgeheizt werden. Die Mittel der internationalen Europa-Universität Viadrina – darüber reden wir heute den ganzenMorgen – werden massiv gekürzt.
Wir registrieren einen katastrophalen Zustand der Lan-des- und Hochschulbibliotheken. Hier zeigt sich ganzklar der Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit imBildungsbereich. Frau Bulmahn, es muss Sie doch gera-dezu erschrecken, wenn Sie in Amerika in eine Bibliothekkommen und dort feststellen, dass sie 24 Stunden am Tag,sieben Tage in der Woche geöffnet ist, und dann, wenn Sienach Hause kommen, an den Bibliotheken Schilder mitder schönen Aufschrift „Öffnungszeiten: 10 bis 16 Uhr“vorfinden. Das ist der Zustand in Deutschland.
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Ulrike Flach17586
Hier brauchen die Unis massive Hilfe. Hier muss derBund ein Signal setzen, und zwar trotz der Länderminis-terien, hinter denen Sie sich immer sehr gerne versteckenund die nicht mitziehen wollen.
Meine Damen und Herren, die deutschen Hochschulensind nach wie vor unterfinanziert. Es ist auch zukünftigmehr Geld nötig. Aber wenn Effizienz fehlt – das ist heutewiederholt aufgezeigt worden –, ist Geld nicht alles. DieStrukturreform der deutschen Hochschulen muss von denkleinen Trippelschritten endlich in den Galopp kommen.Das aber heißt – Frau Bulmahn, da hätten Sie sicherlichdie Unterstützung des ganzen Hauses –: Raus aus derUmklammerung der Länderminister! Mehr Wettbewerbder Hochschulen! Volle Autonomie bei Haushalt, Perso-nal, Tarif und Organisation!
Nicht die Kultusbürokratie soll entscheiden, wer einge-stellt und was angeboten wird, sondern die Hochschulenin eigener Verantwortung.Dazu gehört die konsequente Entrümpelung des Hoch-schulrahmengesetzes. Was Hochschulen selbst regelnkönnen, sollten sie tatsächlich selbst regeln. Ich hoffe,Frau Bulmahn, dass das Hochschulrahmengesetz auch beiIhnen noch auf der Agenda steht.
In diesen Bereich fällt selbstverständlich auch das leidigeThema „Abschaffung der ZVS“. Baden-Württemberg steigtauf Druck der F.D.P. aus dem Staatsvertrag aus.
Dies müssen die anderen Bundesländer endlich ebenfallstun. Die Hochschulen müssen sich ihre Bewerber zukünf-tig selber aussuchen können, und zwar nach Qualifikationund Motivation, nicht nach bürokratischen Verteilungs-riten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, „qualified in Ger-many“ muss ein Markenzeichen werden wie „made inGermany“. Die gegenwärtigen Maßnahmen der Bundes-regierung sind aus Sicht der F.D.P. ein sehr kleiner Schrittnach vorn; aber sie reichen nicht aus. Wir haben mit un-seren Anträgen zahlreiche Vorschläge vorgelegt. Ich binda ganz anderer Meinung als Herr Rossmann: Sie warendringend erforderlich.
Eine Zustimmung zu diesen Anträgen wäre ein gutesSignal für die Bildung in Deutschland, ein gutes Signalfür mehr Leistung und Wettbewerb.Frau Bulmahn, kommen Sie mit uns – raus aus derKreisklasse, rein in die Champions League!
Herr
Tauss, wenn Sie fertig sind, würde ich gerne den nächsten
Redner aufrufen.
Herr Kollege Peter Eckardt von der SPD-Fraktion hat
das Wort.
Nein, will er nicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Zu der Aufforderung der Kollegin Flach, den siebenvon der F.D.P.-Fraktion vorgelegten Anträgen zuzustim-men, möchte ich Folgendes sagen: Wenn Sie zum Beispielin einem Antrag schreiben, dass die Juniorprofessurennicht zielführend seien und die Hochschuldienstrechts-reform nicht geeignet sei, die Probleme an unseren Uni-versitäten zu lösen, Sie aber heute in einer Zwischenfragesagen, Sie könnten sich trotzdem damit einverstanden er-klären, dann habe ich natürlich große Probleme, zu be-greifen, was Sie eigentlich meinen, ob nun das, was in Ih-ren Anträgen steht, gilt oder das, was Sie sagen.
Ich neige nicht dazu, eine Debatte über die Hochschul-politik ausschließlich zur Vergangenheitsbewältigung zunutzen. Es ist zwar sinnvoller, über die Zukunft und dieAufgaben, die vor uns liegen, zu sprechen. Aber ich mussauf ein paar Punkte eingehen, die Sie vorhin angespro-chen haben. Sie interpretieren die in der OECD- und derTIMSS-Studie, auf die immer verwiesen wird, aufgeliste-ten Probleme so, als ob diese allgemein gültig seien, undtun so, als ob erst Sie auf diese Probleme in Ihren heutevorliegenden Anträgen aufmerksam gemacht hätten undals ob diese Schwierigkeiten nur entsprechend Ihren Vor-stellungen gelöst werden könnten.Wenn Sie zum Beispiel die von Ihnen zitierten Nobel-preisträger in den USA und die Hunderte von Wissen-schaftlern befragen, wann sie denn die Bundesrepublikverlassen haben, dann werden Sie feststellen, dass sienicht erst seit 1998, seitdem die Sozialdemokraten die Bil-dungsministerin stellen, sondern schon in den 80er- und90er-Jahren in Richtung Ausland verschwunden sind. Ichweiß aus eigener familiärer Erfahrung, wie schwer es ist,jemanden aus den USA zurückzuholen und ihn darum zubitten, hier zu bleiben. Das Argument, die meisten Wis-senschaftler absolvierten in Deutschland Grundstudienund verschwänden dann in die USA, um dort zu arbeiten,ist zwar völlig richtig. Aber wir haben ein Interesse daran,
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Ulrike Flach17587
dass Wissenschaftler, die im Ausland Grundstudien ab-solviert haben, in die Bundesrepublik kommen und dassdie auf dem internationalen Arbeitsmarkt verfügbarenSpitzenwissenschaftler nicht nur in einem Land, sondernin mehreren Ländern gearbeitet haben.Ich bin dem Kollegen Loske für seinen Hinweis sehrdankbar, dass sich ein Land wie Südafrika darüber be-klagt, dass nicht nur Neuseeland, Australien, die USAundKanada, sondern jetzt auch Deutschland um die dort vor-handenen etwa 350 postgradualen Studierenden konkur-riert und dass es dadurch Probleme bekommt.
Herr Kol-
lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?
Aber ja.
Danke, Herr Kollege Eckardt.
Ich habe eben deutlich gemacht, dass die F.D.P. der
Hochschuldienstrechtsreform selbstverständlich sehr po-
sitiv gegenübersteht. Aber Juniorprofessur und Kosten-
limit sind genau die Knackpunkte, die in unserem Antrag
angesprochen werden. Deswegen meine Frage an Sie:
Teilen Sie meine Einschätzung, dass mit dem von Bun-
desregierung und Landesregierungen bisher festgelegten
Kostenlimit eine echte und für alle produktiv wirkende
Hochschuldienstrechtsreform überhaupt keine Chance
hat?
An den Hochschulen, die
ich in letzter Zeit besucht habe, konnte ich beobachten,
wie sich die Hochschulleitungen darum bemühten, sich
um die Teilnahme an einem Modellprojekt für Juniorpro-
fessuren zu bewerben. Das erweckt bei mir den Eindruck,
dass es an den Hochschulen sehr viel Zustimmung zu un-
serem Vorhaben gibt.
– Es ist doch nichts Ehrenrühriges, wenn die Universitä-
ten mit Sondergeldern ausgestattet werden, um ein neues
Verfahren zu etablieren, das jungen Wissenschaftlern die
Möglichkeit bietet, zu lehren.
Frau Kollegin, die Länder haben Spielraum – den Be-
griff „Kostenneutralität“ haben Sie ja nicht benutzt, ob-
wohl Sie ihn eigentlich meinten – und können über das,
was vorgeschlagen worden ist, weit hinausgehen. Kein
Land wird daran gehindert, seinen Professoren mehr zu
bezahlen, als im Hochschulrahmengesetz vorgesehen
ist. Ich habe gehört, dass zum Beispiel 25 Prozent der Kol-
leginnen und Kollegen in München, die nach C 4 bezahlt
werden – meistens sind es Kollegen –, schon jetzt von der
Ausnahmeregelung des Beamtengesetzes, Bezahlungen
bis B 10 zu ermöglichen, profitieren. Damit wird in den
Konkurrenzkampf zwischen Nord und Süd um Professo-
ren ganz erheblich eingegriffen.
Herr Kol-
lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Flach?
Bitte.
Bitte
schön, Frau Flach.
Herr Kollege Eckardt, Sie ha-
ben mich natürlich neugierig gemacht. Könnten Sie mir
bitte sagen, welche sozialdemokratisch bzw. rot-grün
regierten Länder bereit sind, die Kostenneutralität aufzu-
heben und entschieden mehr Geld für die Professoren aus-
zugeben?
Frau Kollegin, Sie wissen,dass in den nächsten Jahren über 60 Prozent des wissen-schaftlichen Personals in der Bundesrepublik Deutsch-land in den Ruhestand treten werden, weswegen dieLänder nach Professoren und nach wissenschaftlichenMitarbeitern suchen werden. Wie Sie beschrieben haben,unterliegt man der internationalen Konkurrenz auf demMarkt.Meiner Ansicht nach – ich kenne die Universität voninnen – werden die Länder alle Anstrengungen unterneh-men, die notwendigen Finanzmittel für den Wis-senschaftsbetrieb, also für Forschung und Lehre, bereit-zustellen. Wer das nicht tut, der wird in der Auseinander-setzung der Bundesländer den Kürzeren ziehen. Auch dieso genannten ärmeren Länder müssen wissen, dass sie,was die Auseinandersetzung mit den so genannten reiche-ren Ländern angeht, in noch größere Schwierigkeiten ge-raten, wenn sie ihre entsprechenden Etats nicht auf-stocken. Ich bin optimistisch, dass auch diejenigen, diejetzt pokern und sagen, dass sie so viel nicht geben wol-len, nachher mehr zahlen werden. Wenn das geschieht,dann wird es eine Chance geben, die Kolleginnen undKollegen in diesem Bereich ganz gut zu besolden.
Dass die Universität Hildesheim – übrigens, HerrHauser, es war die Universität – einen Informatiklehrstuhlgestrichen hat, hat nichts damit zu tun, dass es in Nieder-sachsen keine Informatik mehr gibt; vielmehr ist die An-zahl der Bewerber so dramatisch gesunken, dass das Landkeinen Bedarf mehr für diesen Lehrstuhl sah. Der DIHT,die Arbeitgeberverbände, Siemens, Bosch, Mercedes unddie damalige Regierung haben gesagt: Eigentlich brau-chen wir gar keine Akademiker. Macht lieber eine Be-rufsausbildung! Ich habe noch das Wort eines Kanzlers imOhr:
1,8 Millionen Studierende sind zu viel; wir brauchen we-sentlich mehr als 1,8MillionenAuszubildende. Man mussbedenken, was für eine Motivation das auf die Schüler inden 10. und 11. Klassen ausübt. Es ist doch notwendig,über die Vergangenheit zu reden. Bildungsprozesse kann
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Dr. Peter Eckardt17588
man nicht kurzfristig verändern; vielmehr handelt es sichum Prozesse, die über einen Zeitraum von zehn bis15 Jahren andauern. Jetzt haben wir die Folgen davon,dass in den 80er- und 90-er Jahren so eine Motivation ge-herrscht hat – und ich denke, das ist nicht richtig.
Der Kollege hat die Stiftung Warentest – ich erinnerean Babynahrung und Windeln – angesprochen. Sie solltendiese Stiftung und ihre Zeitschrift einmal etwas besser un-ter die Lupe nehmen. Es handelt sich im Wesentlichen umeine Stiftung, die die gesamte Angebotsbandbreite,einschließlich Weiterbildungseinrichtungen und Akade-mien, untersucht. Es ist nicht besonders sinnvoll, sichüber diese Einrichtung kritisch zu äußern.
Ich habe in dieser Debatte gelernt, dass wir für die Uni-versitäten, die Fachhochschulen und die akademischeAusbildung insgesamt mehr tun müssen. Ich glaube, dieseAuffassung ist hier weit verbreitet. Die in dieser Debattesichtbar gewordenen Differenzen sind vielleicht wenigergroß, als es scheint.Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Ich fandes – auch gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen anden Hochschulen – nicht gut, dass hier unwidersprochengesagt wurde, es gebe keine deutschen Spitzenuniversitä-ten. Das ist mitnichten der Fall.
Da ich aus der Nähe von Hannover komme, möchte ichauf Folgendes hinweisen: Forschungseinrichtungen derUniversität Hannover und auch der Medizinischen Hoch-schule Hannover können in hohem Maße mit internatio-nalen Universitäten, zum Beispiel mit solchen in Ame-rika, Schritt halten.Frau Kollegin Flach, Sie haben zu Recht gesagt: Esgibt im Bildungsbereich nichts, was man nicht noch bes-ser machen kann. Die Ministerin und die Koalitionsfrak-tionen befinden sich auf einem ganz guten Wege.Schönen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem
Hause unbestritten, dass Deutschland ein großes Interesse
daran hat, dass mehr junge Ausländer in Deutschland
studieren. Die Worte zur Begründung sind bereits gesagt
worden; ich möchte sie nicht wiederholen. Es ist auch
schon vieles darüber gesagt worden, wie wir Anreize da-
für schaffen können. Von daher möchte ich jetzt nur noch
auf einige Punkte eingehen.
Das wichtigste Kriterium für junge Leute aus dem Aus-
land, in Deutschland zu studieren, ist die Qualität der Aus-
bildung.
Am Beispiel amerikanischer Eliteuniversitäten kann man
feststellen, wie junge Leute aus Amerika und aus dem
Ausland in diese Universitäten hineindrängen. Dabei ist
es kein Hindernis, dass diese Universitäten zum Teil sehr
hohe Studiengebühren verlangen. Ich bin der Meinung,
dass der Ansatz der SPD, ein Verbot von Studiengebühren
auszusprechen, absolut falsch ist,
weil dies die Schaffung von Eliteuniversitäten und neuen
Ausbildungsformen in Deutschland behindert.
Jedenfalls werden Sie mit dem Verbot von Studienge-
bühren keinen einzigen zusätzlichen Studenten aus dem
Ausland nach Deutschland holen.
Die Australier sind im Übrigen so verwegen, dass sie
glauben, mit Studenten aus dem asiatischen Raum viel
Geld verdienen zu können. In Deutschland würde ein sol-
ches Vorgehen von den Linken sofort als Kommerziali-
sierung diffamiert. Ich sage dazu: Es ist zwar sehr schwer,
mit Hochschulausbildung Geld zu verdienen. Es ist aber
nicht unanständig, mit Bildung Geld zu verdienen.
Herr Kol-
lege Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Tauss?
Ja.
Bitte
schön, Herr Tauss.
Lieber Herr Kollege Mayer, ich
habe gerade mit großem Interesse Ihre Bemerkungen und
Anmerkungen zum Thema Studiengebühren zur Kenntnis
genommen. Darf ich aus dem, was Sie gesagt haben,
schließen, dass CDU und CSU in Abweichung von dem,
was beispielsweise beim letzten CDU-Bundesparteitag
diskutiert worden ist, nun für die Einführung von Stu-
diengebühren sind?
Siedürfen aus meinen Äußerungen schließen, dass es sowohlin der CDU als auch in der CSU Leute gibt – ich gehöredazu –,
die Studiengebühren nicht für völlig falsch halten. Jeden-falls sind wir strikt gegen ein Verbot von Studienge-bühren,
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Dr. Peter Eckardt17589
weil es die Handlungsfreiheit der Länder und der Hoch-schulen einengt.
Mit wachsenden Möglichkeiten, Bildungsinhalte überdas Internet zu vermitteln, wird sich das Angebot vonAus- und Weiterbildung zu einem wichtigen Wirtschafts-faktor entwickeln. Fachleute sprechen von einem Billio-nenmarkt. Die deutschen Hochschulen müssen sich dortrechtzeitig positionieren.Für die Frage, ob man in einem anderen Land studiert,spielt natürlich auch die Stimmung eine große Rolle. Indiesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass dieHälfte der japanischen Studenten, die in Deutschlandstudieren, Musik studiert. Warum studieren nicht mehrIngenieur- und Naturwissenschaften? Hat das etwa mitdem geistigen Klima in Deutschland zu tun? Wer möchteschon in einem Land Biotechnik studieren, in dem es einegroße politische Gruppe gibt, die die Biotechnik verteu-felt?
Ich möchte Ihnen nun mitteilen, was mir eine jungeFrau, die in Amerika einen Graduiertenstudiengang ab-solviert hat, gesagt hat: Wenn man in Amerika auf einerParty sagt, man studiere oder arbeite im Bereich Biome-dizin und Biotechnik, dann sagen die Leute: Great, das istgroßartig. In Deutschland aber wenden sie sich dann ab.Dafür, dass diese Stimmung entstanden ist, tragen auchSie Verantwortung.
Wir fragen uns, warum wir in den 90er-Jahren undauch jetzt noch in Deutschland fast keine ausländischenStudenten im Fach Informatik haben. Ich frage Sie: Wermöchte denn in einem Land studieren, in dem es einebreite Gruppe gibt, von den Gewerkschaften bis zu denLinken, die in den 90er-Jahren bezüglich Chip undComputer in erster Linie vom Jobkiller gesprochen ha-ben?
Wo ist denn in Deutschland Begeisterung für die Mög-lichkeiten der bemannten Raumfahrt, für die Möglichkei-ten der Forschung mit der Neutronenquelle, für den Trans-rapid oder für die Kernfusionsforschung, die Energie fürdie nächste Hälfte des Jahrhunderts liefern kann, zuspüren?
Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grü-nen und von Teilen der SPD, Ihre Technikfeindlichkeitzerstört die Faszination, die junge Menschen brauchen,um in diesen Bereichen zu studieren.
Den Linken dieses Hauses sei deshalb gesagt: Wenn Siewollen, dass sich mehr Studenten den Natur- und Inge-nieurwissenschaften zuwenden und dass mehr ausländi-sche Studenten nach Deutschland kommen, dann hörenSie auf, bestimmte Techniken schlecht zu machen undwecken Sie mit uns gemeinsam Begeisterung und eineAufbruchstimmung.
Ich gebe
dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon vor län-gerer Zeit, als wir diese Fragen auf einem Bildungskon-gress der Deutschen Stiftung für internationale Entwick-lung diskutierten, fragte ich einen chilenischen Freund:Sag mal, Eduardo, wohin schickst du deine Kinder zumStudium? Die spontane Antwort war natürlich: Der Erstegeht in die Vereinigten Staaten, der Zweite bleibt in Latein-amerika. – In unserer Arroganz haben wir manchmal ver-gessen, dass es auch in Lateinamerika hervorragende wis-senschaftliche Institute gibt. – Weiter sagte er: Der Drittegeht nach Europa, vielleicht nach Deutschland. Danngrinste er ein bisschen und sagte: Ich habe aber nur zwei.
Das berührt ein wenig das Problem, dass Europa unddamit auch Deutschland für viele Ausländer zu wenig at-traktiv ist.
Selbst für die deutschen Minderheiten in vielen Länderndieser Erde, zum Beispiel in Lateinamerika, die noch inden 60er- und 70er-Jahren wie selbstverständlich ihreKinder nach Europa und nach Deutschland zum Studiumoder zur Ausbildung schickten – übrigens nicht nur zumStudium, sondern auch zu einer normalen Ausbildung –,ist dies heute keine Selbstverständlichkeit mehr. – Vordiesem Hintergrund, Frau Ministerin, ist es eben keineBagatelle, wenn zum Beispiel im Haushaltsentwurf fürdas Jahr 2002 im Etat des Auswärtigen Amtes für die aus-wärtige Kulturpolitik rund 50 Millionen DM für die deut-schen Auslandsschulen gestrichen werden.
Natürlich muss man bei manchen Zahlen in den Statis-tiken vorsichtig sein. So darf man bei den OECD-Zahlen,auf die vorhin Frau Pieper, glaube ich, hingewiesen hat,
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Dr. Martin Mayer
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eine gewisse Skepsis anmelden. Eine andere Organisationder Vereinten Nationen, die UNDP, hat vor vier Jahreneinmal eine Darstellung über die unterschiedlichen Be-wertungen von Ländern veröffentlicht. Darin wurde zumBeispiel das berufsbildende Schulwesen in den Vereinig-ten Staaten als besser dargestellt als das in Deutschland.Daran kann man auch einmal sehen, wie problematischsolche internationalen Vergleiche sind.
Wer sich übrigens ein wenig mit dem College-System inden Vereinigten Staaten beschäftigt hat,
weiß, dass man gegenüber den bloßen Zahlen ein wenigskeptisch sein sollte.
Der Kollege Eckardt hat vorhin auf das Beispiel derSchließung des Informatikstudienganges in Hildesheim,über das wir uns ja schon des Öfteren unterhalten haben,hingewiesen. Wir führen dieses Beispiel doch nicht an,weil wir bezweifeln, dass man möglicherweise aus Spar-samkeitsgründen Dinge zusammenlegen muss, sondernvor dem Hintergrund, dass der damals zuständige Minis-terpräsident des Landes Niedersachsen, der Ihnen ja nichtvöllig unbekannt sein dürfte, später in einer anderen poli-tischen Funktion beklagt hat, dass wir zu wenig Informa-tiker ausbildeten. Als er noch Verantwortung als Mi-nisterpräsident trug, hat er dazu beigetragen, dass dieserInformatikstudiengang geschlossen wurde. Um diesenPunkt ging es uns in diesem Zusammenhang.
– Ein bisschen kenne ich mich in Niedersachsen dochnoch aus. Sie können beruhigt sein.
– Manchmal muss man ja Dinge wiederholen, weil es soschwer fällt, sie wirklich richtig zu inhalieren.Frau Ministerin, Sie haben dann auf die letzten16 Jahre verwiesen. Ich kann das ja verstehen; das gehörtalles zum politischen Geschäft.
Sie können sich darauf verlassen, wenn wir nächstes Jahrwieder an die Regierung kommen,
werden auch wir immer wieder auf die hinter uns liegen-den vier Jahre verweisen. Das gehört ja zum Spiel undzum Geschäft dazu.
Sie sagten in diesem Zusammenhang, dass wir nichtsunternommen hätten, um zum Beispiel die internationaleAttraktivität der deutschen Universitäten zu erhöhen.Ich kann Ihnen dazu aus einem Aufgabenbereich berich-ten, für den ich früher einmal mitverantwortlich war, näm-lich dem der entwicklungspolitischen Kooperation. Wirhaben damals ein Programm zur stärkeren Kooperationzwischen deutschen Universitäten mit ingenieurwissen-schaftlichem Bereich und den entsprechenden sechs indi-schen ingenieurwissenschaftlichen Instituten auf den Weggebracht. Ausgerechnet dieses Programm haben Sie imersten Jahr Ihrer Regierungszeit gekürzt.
Dieses geschah, obwohl zum Beispiel ständig gefor-dert wird, wir müssten mehr indische Ingenieure nachDeutschland holen – Indien war ja der Aufhänger. Siewussten dabei aber nicht, dass tatsächlich schon längstKooperationsmodelle zwischen deutschen und indischenUniversitäten speziell im ingenieurwissenschaftlichenBereich auf den Weg gebracht worden waren.
– Nein, so war es und so ist es. Die Mittelkürzung habenSie immer noch nicht zurückgenommen.Der Kollege Loske – ihn möchte ich jetzt für einen Au-genblick kurz ansprechen – hat ja darauf verwiesen, dasswir stärker in internationale Kooperation einsteigenmüssten und dafür Mittel zur Verfügung stellen sollten.
Schauen Sie sich einmal den Etat der Entwicklungshil-feministerin für Bildung an! Sie kürzen diesen Etat umsage und schreibe 400 Millionen DM – das sind 5,3 Pro-zent –, beklagen aber zum gleichen Zeitpunkt die Reduk-tion im Bereich der internationalen Kooperation.
Wenn ich übrigens gewusst hätte – ich hätte es wenigstensahnen können –, Kollege Loske, dass Sie dieses Themahier ansprechen, hätte ich Zitate aus dem Interview derentwicklungspolitischen Sprecherin Ihrer Fraktion mitge-bracht. Sie sagt zu den Kürzungen in diesem Einzeletat:eine klare Verletzung der Prinzipien internationaler Soli-darität. Das haben Sie mit zu verantworten.
Meine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kol-legen: Ich glaube, es ist trotz allen Streites unstrittig, dasses eine Übereinstimmung darüber gibt, dass Deutschlanddaran interessiert sein muss – ich will es einmal ein wenigpathetisch formulieren –, dass es von den Besten dieserWelt für attraktiv gehalten wird, nach Deutschland zukommen, hier zu studieren und zu arbeiten. Hierzu sindwir gemeinsam verpflichtet.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Klaus-Jürgen Hedrich17591
Ich schließedie Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 14/3339, 14/3518, 14/4270, 14/4271und 14/5250 an die in der Tagesordnung aufgeführtenAusschüsse vorgeschlagen. – Damit ist das Haus einver-standen. Dann ist so beschlossen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-zung auf Drucksache 14/6195 zu dem Antrag der Fraktionder F.D.P. zu einem Sonderprogramm zur Sicherung undErhöhung des Niveaus der Landes- und Hochschulbiblio-theken am Wissenschafts- und ForschungsstandortDeutschland. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 14/5105 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPDund Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen vonCDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.Zu Tagesordnungspunkt 4 g und h sowie Zusatzpunkt 3und 4 wird interfraktionell Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 14/6209, 14/6212, 14/6437 und14/6445 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-schüsse vorgeschlagen. – Auch damit ist das Haus einver-standen. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis h sowie dieZusatzpunkte 5 a bis d auf:Überweisungen im vereinfachten Verfahren29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini-gung von Kostenregelungen auf dem Gebiet desgeistigen Eigentums– Drucksachen 14/6203, 14/6449 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medienb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967zur Errichtung derWeltorganisation für geisti-ges Eigentum– Drucksache 14/6260 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medienc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurFamilienförderung– Drucksachen 14/6411, 14/6452 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzungSonderausschuss Maßstäbe-/FinanzausgleichsgesetzHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurNeurege-lung der Krankenkassenwahlrechte– Drucksache 14/6409 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schafte) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-führung des Wohnortprinzips bei Honorarver-einbarungen für Ärzte und Zahnärzte– Drucksachen 14/6410, 14/6450 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länderf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-sung der Regelungen über die Festsetzung vonFestbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen
– Drucksachen 14/6408, 14/6451 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologieg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen Nr. 182 der InternationalenArbeitsorganisation vom 17. Juli 1999 über dasVerbot und unverzügliche Maßnahmen zur Be-seitigung der schlimmsten Formen der Kinder-arbeit– Drucksache 14/6107 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für Tourismush) Beratung des Antrags der Abgeordneten InaLenke, Carl-Ludwig Thiele, Klaus Haupt, weitererAbgeordneter und der Fraktion der F.D.P.Verbesserung der Familienförderung– Drucksache 14/6372 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-zungHaushaltsausschuss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117592
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten IrisGleicke, Hans-Günter Bruckmann, Dr. PeterDanckert, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion der SPD sowie den Abgeordneten AlbertSchmidt , Franziska Eichstädt-Bohlig,Helmut Wilhelm , weiteren Abgeordne-ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Personenbeförderungsgeset-zes
– Drucksache 14/6434 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
SportausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Tourismusb) Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstKüchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, DorisBarnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Dr. ReinhardLoske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENWeiterbildung im Bildungssystem verankern –Chancengleichheit stärken– Drucksache 14/6435 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnungc) Beratung des Antrags der Abgeordneten TobiasMarhold, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack,Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller ,Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENWissenschafts- und Hochschulkooperationenmit Entwicklungs- und Transformationsländern– Drucksache 14/6442 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzungd) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungNationaler Aktionsplan zur Bekämpfung vonArmut und sozialer Ausgrenzung– Drucksache 14/6134 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an diein der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-weisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist so beschlossen.Bei den Tagesordnungspunkten 30 b bis g und 27 han-delt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denenkeine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 30 b:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen unddes Finanzverwaltungsgesetzes sowie zur Umrech-nung zoll- und verbrauchsteuerrechtlicher Euro-
– Drucksache 14/6143 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 14/6458 –Berichterstattung:Abgeordnete Horst SchildHansgeorg Hauser
Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenmöchten, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. DerGesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 30 c:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionender SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS einge-brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Errichtung einerStiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-kunft“– Drucksache 14/6370 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 14/6465 –Berichterstattung:Abgeordnete Bernd ReuterMartin HohmannVolker Beck
Dr. Max StadlerUlla Jelpke
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17593
Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 14/6465, den Gesetz-entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer demGesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möch-te, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiterBeratung einstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt derAusschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmigangenommen.Tagesordnungspunkt 30 d:d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-nung zu den Unterrichtungendurch die Bundesregierung– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Ungarn andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 675 endg.; Ratsdok. 05234/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Polen andererseits eingesetz-ten Assoziationsrat zur Annahme von Vor-schriften zur Koordinierung der Systemeder sozialen SicherheitKOM 676 endg.; Ratsdok. 05235/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Bulgarien andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 677 endg.; Ratsdok. 05236/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Estland andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 678 endg.; Ratsdok. 05237/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Slowakischen Republik andererseitseingesetzten Assoziationsrat zur Annahmevon Vorschriften zur Koordinierung derSysteme der sozialen SicherheitKOM 684 endg.; Ratsdok. 05238/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undderRepublik Rumänien andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 683 endg.; Ratsdok. 05239/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Slowenien andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 682 endg.; Ratsdok. 05240/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Republik Litauen andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 681 endg.; Ratsdok. 05241/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits undder Tschechischen Republik andererseitseingesetzten Assoziationsrat zur Annahmevon Vorschriften zur Koordinierung derSysteme der sozialen SicherheitKOM 679 endg.; Ratsdok. 05242/00– Vorschlag für einen Beschluss des Ratesüber den Standpunkt der Gemeinschaft indem durch die Europa-Abkommen zwi-schen den Europäischen Gemeinschaftenund ihren Mitgliedstaaten einerseits und
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17594
der Republik Lettland andererseits einge-setzten Assoziationsrat zur Annahme vonVorschriften zur Koordinierung der Sys-teme der sozialen SicherheitKOM 680 endg.; Ratsdok. 05243/00– Drucksachen 14/3146 Nr. 2.9 bis 2.18, 14/6312 –Berichterstattung:Abgeordneter Johannes SinghammerDer Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6312, inKenntnis der Unterrichtungen eine Entschließung anzu-nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist einstimmig angenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-tionsausschusses.Tagesordnungspunkt 30 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 277 zu Petitionen– Drucksache 14/6363 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 277 ist mit den Stimmendes Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 30 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 278 zu Petition– Drucksache 14/6364 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 278 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 30 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 279 zu Petition– Drucksache 14/6365 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 279 ist mit den Stimmendes Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.Tagesordnungspunkt 27:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurUmsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom-mission vom 26. Juli 2000 zur Änderung derRichtlinie 80/723/EWG über die Transparenz derfinanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied-staaten und den öffentlichen Unternehmen
– Drucksache 14/5956 –
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG derKommission vom 26. Juli 2000 zur Änderung derRichtlinie 80/723/EWG über die Transparenz derfinanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied-staaten und den öffentlichen Unternehmen
– Drucksache 14/6280 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-ausschusses
– Drucksache 14/6460 –Berichterstattung:Abgeordnete Lothar Binding
Otto BernhardtDer Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 14/6460, die Gesetzentwürfe aufden Drucksachen 14/5956 und 14/6280 als Transparenz-richtlinie-Gesetz in der Ausschussfassung anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hau-ses bei Enthaltung der PDS angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnenund Kollegen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen?– Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie inder zweiten Beratung angenommen.Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 6 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zur Welle derBeitragssatzerhöhungen in der gesetzlichenKrankenversicherungIch eröffne die Aussprache und gebe für die Antrag-stellerin zunächst dem Kollegen Wolfgang Lohmann dasWort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es je einen wirk-lich wichtigen Grund für eine Aktuelle Stunde gegebenhätte, dann diesen, den wir heute zu besprechen haben. Ichkönnte die Aktuelle Stunde allein damit bestreiten, IhnenBalkenüberschriften aus den unterschiedlichen Presseor-ganen vorzulesen. Dann wüssten Sie schon, was mit die-ser Regierung los ist. Ich will Ihnen das aber nicht antunund mich auf einige wenige Ausschnitte beschränken:„Sozialdemokraten erhöhen Druck auf SPD-MinisterinSchmidt“, „Nur noch das Nötigste von der Kasse?“, „DerDruck auf die Gesundheitsministerin Schmidt wächst“,„Arbeitspapier scheucht Gesundheitspolitiker auf“.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17595
Das Arbeitspapier stammt aus dem Bundeskanzleramt;der Kanzler droht jetzt anscheinend damit, dieses Themazur Chefsache zu machen.
Bisher war die Drohung, etwas zur Chefsache zu machen,mehr an die Beteiligten gerichtet; denn dann gab es meis-tens nichts. Jetzt habe ich die Befürchtung, Frau Ministe-rin, dass die Drohung mehr gegen Sie gerichtet ist; dennoffensichtlich sind Sie nicht mehr in der Lage, das Ganzeim Griff zu behalten.Ich lese Ihnen weitere Überschriften vor:„Uns droht der Kollaps der Krankenkassen“, „Stück-werk“.
– Frau Schmidt-Zadel, Sie hören das nicht gern; das ist klar.Aber da Sie gerne lachen, möchte ich noch die „FrankfurterRundschau“ zitieren. Dort steht unter der Überschrift „Aus-gelacht“: „Die Offensive des Lächelns ... ist gescheitert.“Meine Damen und Herren, allen Ablenkungsmanövernzum Trotz: Die aktuellen Beitragssatzerhöhungen geheneinzig und allein auf Ihren rot-grünen Murks zurück.
Es stellt sich wirklich die Frage, ob man diese Dreistigkeitbewundern, die Ignoranz beklagen oder – man muss eseinfach sagen – die Dummheit aufseiten der Koalition be-dauern soll,
nun auch noch herzugehen und den ehemaligen Gesund-heitsminister Seehofer für den heutigen Zustand verant-wortlich zu machen.
Sagen Sie jetzt bitte nicht, das hätte die Frau Ministe-rin nicht getan. Noch am Montag dieser Woche sagte sieim „Focus“ – das müssen Sie nachlesen; das ist sehr in-teressant –:... aber ich habe die Probleme auch nicht geschaffen,sondern von der Vorgängerregierung übernommen.
Wissen Sie, was Sie 1998 von der Vorgängerregierungübernommen haben?
Herr Präsident, die Koalition versucht jetzt, mich diesewichtige Nachricht nicht übermitteln zu lassen. Ichmöchte darum bitten, das nicht zuzulassen.Wissen Sie, was Sie übernommen haben?
Sie haben erstens von 1993 bis 1998 – sogar bis in dasJahr 1999 hinein – eine Beitragssatzstabilität von 13,4Prozent übernommen.
Zweitens haben Sie von 1997 und 1998 einen Überschussin der gesetzlichen Krankenversicherung von jeweils über1 Milliarde DM übernommen.
Und Sie haben versprochen: Wir werden nicht alles an-ders, aber vieles besser machen. Was bei dem Vieles-bes-ser-Machen herausgekommen ist, sehen wir jetzt.
Wodurch ist das gekommen? Sie haben sich bemüßigtgefühlt, nach der Wahl erst einmal Wahlgeschenke zu ver-teilen.
Damit haben Sie der gesetzlichen KrankenversicherungEntlastungen, die sie hatte, genommen. Sie haben der ge-setzlichen Krankenversicherung durch das Solidaritäts-stärkungsgesetz neue Lasten aufgebürdet. – Ich könnte siealle aufzählen, aber die fünf Minuten Redezeit, die man ineiner Aktuellen Stunde bekanntlich hat, reichen dafürnicht aus. – Und Sie haben es verstanden, den Wählern– und vor allen Dingen den Versicherten – einzureden,man könne weiterhin alles haben, ohne dabei einmal dasWort Eigenverantwortung in den Mund nehmen zu müs-sen.Nun sind wir in folgender Situation: Plötzlich war ges-tern in der „Süddeutschen Zeitung“ von einem Papier dieRede, das die Ministerin anscheinend nicht kennt.Zunächst hat das Kanzleramt dies dementiert, dass esüberhaupt ein Papier gebe. – Ähnliche Informationen sindübrigens schon einmal vor einigen Wochen in einer Zei-tung erschienen; dies wurde damals ebenfalls dementiert. –Vor dieser Debatte aber habe ich gelesen: Das Kanzleramtbestätigt,
dass es dieses Papier gibt. Heute morgen um 8.45 Uhr wa-ren Frau Wester, Ihre stellvertretende Fraktionsvorsit-zende, und ich noch zusammen bei einem „Phoenix“-In-terview, in dem sie danach gefragt wurde. Sie hat gesagt:Ich kenne das Papier nicht.
Ich kann ihr helfen; ich kenne das Papier natürlich undhabe es. Sie können es gern von mir haben. Aber, mankennt ja kein Papier.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Frak-tion, Herr Schmidt, sagte gestern, die Frau Ministerin oder
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Wolfgang Lohmann
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das Ministerium arbeite an einer grundlegenden Reform– hört, hört! –, es sei nur noch nicht klar, wann Details be-kannt würden, ob vor oder nach der Wahl. So haben wirnicht gewettet, meine Damen und Herren!
Frau Ministerin, ich muss Sie jetzt einmal ganz per-sönlich ansprechen: Sie haben am 7. Mai den ersten Run-den Tisch veranstaltet. Danach haben Sie beim Ärztetag,wo ich mich auf der Seite der Zuhörer befand, ein freund-liches Grußwort ausgesprochen. Darin haben Sie unter an-derem – auch so ein bisschen mit Blick auf mich – gesagt:Entgegen allen anders lautenden Meldungen sage ich hiernoch einmal, dass im Ministerium nicht an einem „Konzept2003“ gearbeitet wird. Na klar, das mussten Sie ja sagen;was sollen die Teilnehmer sonst am Runden Tisch, wenn imMinisterium ohnehin etwas anderes erarbeitet wird.Nun wird im Kanzleramt noch etwas anderes erarbei-tet, was hinsichtlich der möglichen Eingriffe teilweise dieVorstellungskraft übersteigt. Da wird dann natürlich überEinkaufsmodelle gefaselt –
Herr Kol-
lege Lohmann, Sie haben Ihre Redezeit schon überschrit-
ten.
– mein letzter Satz! –, da wird den Leuten höchstwahr-
scheinlich das Recht der freien Arztwahl genommen.
Machen Sie sich Gedanken! Wir werden es Ihnen nicht
durchgehen lassen, dass Sie zwischen Runden Tischen
und lächelnden Grußworten Friede, Freude, Eierkuchen
verbreiten nach dem Motto: Wir werden es schon hinkrie-
gen. Nein, wir wollen ein Konzept sehen – und zwar vor
der Wahl, meine Damen und Herren.
Das Wort
hat nunmehr die Parlamentarische Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Gesundheit, Kollegin Gudrun
Schaich-Walch.
G
Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr KollegeLohmann, ich bin doch beruhigt, dass Sie noch so viel Zeitzum Zeitunglesen haben und es immer wieder schaffen,einige Dinge zu diesem Thema zu sammeln und zusam-menzustellen. Ich bin hierher gekommen, um Ihnen einpaar Fakten ins Gedächtnis zu rufen.Unter unserer Regierung sind die Beitragssätze bislangseit 1998 bei im Durchschnitt 13,6 Prozent geblieben.
– Die Leistungen haben wir verbessert.
Wir haben die Zuzahlungen zurückgenommen, mit de-nen Sie ganz einseitig nur eines getan haben, nämlichchronisch Kranke drangsaliert.
Sie waren diejenigen, die den jungen Menschen nicht ein-mal mehr Zahnersatz zugestehen wollten. Wir haben dieswieder eingeführt. Es ist kein Fehler, wenn man Men-schen in gesundheitlicher Bedrängnis hilft. Wir haben dasalles durch die Mehreinnahmen aus den 630-DM-Be-schäftigungsverhältnissen finanziert.
Was haben wir von Ihnen übernommen?
Wir haben von Ihnen Ostkrankenkassen mit einer un-glaublichen Verschuldungssumme übernommen. Mit denSchulden hätten die Kassen, wenn sie sie hätten abtragenwollen, die Versorgung im Osten nicht mehr gewährleis-ten können. Weil Sie uns das überlassen haben, haben wirden Risikostrukturausgleich so angepasst, dass wir nachzehn Jahren endlich einen gemeinsamen Rechtskreis ha-ben
und dass von den Westkrankenkassen Mittel an die Ost-krankenkassen transferiert werden,
was, wie uns klar ist, für die jeweilige Kasse nicht unbe-dingt einfach ist.
Sie sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass dieeinzelnen Kassen eine unterschiedliche Politik betreiben.
Es gibt Kassen, die so kalkuliert haben, dass sie ihre Bei-tragssätze nicht erhöhen müssen. Es gibt aber auch Kas-sen, die die Beitragserhöhungen, die sie eigentlich hättenvornehmen müssen, nicht vorgenommen haben und sichjetzt in der Situation sehen, die Beiträge drastisch erhöhenzu müssen. Damit müssen wir uns auseinander setzen.Aber eine drastische Beitragserhöhung aller Kassen wirdes nicht geben.
Das aktuelle Problem der Entwicklung der Beitrags-sätze ist die Arzneimittelversorgung. Sie waren es dochimmer, die sich gewünscht haben, der Selbstverwaltung
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Wolfgang Lohmann
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Vorfahrt zu gewähren. Wir gehen dies jetzt an, währendsie mit Ihrem Wunsch nach mehr Vorfahrt für die Selbst-verwaltung nicht einmal aus der Garage herausgekom-men sind; Sie sind am Garagentor geendet.
Es gibt in diesem System durchaus Wirtschaftlich-keitsreserven. – Die gibt es in allen Bereichen und ganzbesonders im Arzneimittelbereich. – Wir werden adäquatdamit umgehen.Wir werden mit dem neuen Gesetz erreichen, dass aufder jeweiligen Ebene die Menschen sehen können, wel-cher Versorgungsbedarf tatsächlich besteht und womitdieser Bedarf gedeckt wird.
Wenn man das gut macht, nämlich durch eine ordentlicheBeratung von Ärztinnen und Ärzten, werden wir alleineim Bereich der Me-too-Präparate ein Einsparvolumen inHöhe von 1 Milliarde DM erzielen. Das haben mir erstdiese Woche einige KV-Vorsitzende bestätigt.Wir sorgen ferner mit dem Gesetzentwurf über dieFestbeträge im Arzneimittelbereich, der sich auch in derBeratung befindet, dafür, dass die Preise nicht überbordenund die Krankenversicherungen durch die Reduzierungder Preise auch einen Teil bekommen. Wir haben esdurchgesetzt; es wird die Festbeträge geben. Es werdenverloren geglaubte Mittel eingestellt. Letztendlich wirdauch die Positivliste, die Sie nicht mögen, was uns be-kannt ist, vor allem die Qualität verbessern. Wenn Sie auf-merksam lesen, wie sich die Ärzteschaft dazu verhält,dann wissen Sie, dass die Ärzte darauf warten, dieses qua-litätssichernde Instrument für ihre Arbeit zur Verfügungzu bekommen.
Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung ist es mei-ner Meinung nach absolut unangemessen, nun mit Hektikzu reagieren.
Was dabei herauskommt, wenn man mit Hektik reagiert,sollten Sie doch noch wissen. Sie haben im Reha-Bereichvon heute auf morgen Kürzungen in Milliardenhöhe vor-genommen und damit ganze Ortschaften im Kur- undReha-Bereich ruiniert. Sie haben damals Menschen in dieArbeitslosigkeit getrieben.
Was Sie damals nicht erreicht haben, ist Folgendes: Siehaben keine Verbesserung der Struktur erzielt. Aber diestrukturellen Veränderungen sind doch das Problem.
Das, was jetzt kurzfristig an Maßnahmen ergriffenwerden kann, ist in Vorbereitung; das ist geplant. Dazugehören die Neuordnung im Arzneimittelbereich, dieFestbeträge, aber auch der Risikostrukturausgleich, derdazu beitragen wird, dass Patienten besser versorgt undLasten zwischen den Kassen besser ausgeglichen werden.
Langfristige Konzepte, wie wir sie haben, müssen aus-gewogen sein und die Beteiligten einbeziehen. Es wirdauch sehr wichtig sein, das in einem Gesamtkonsens zusehen: die Versorgung kranker Menschen, aber auch dieKalkulierbarkeit der im Gesundheitswesen vorhandenenArbeitsplätze.
Was Sie uns damals vorgemacht haben, war uns eineabsolute Lehre. Wir werden nicht mit Schnellschüssen Ar-beitslosigkeit produzieren, wie Sie es getan haben, son-dern wir werden sehr konsequent arbeiten. Auf dem Bo-den der solidarischen Krankenversicherung wird es inZukunft um mehr Qualität – denn daran mangelt es uns –und um mehr Effizienz in dem gesamten Bereich gehen.Wenn wir das hinbekommen haben, dann haben wir einganzes Stück Wirtschaftlichkeit erzielt und die Zukunfts-sicherung unseres Systems gestärkt.
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae.
Herr Präsident! MeineDamen und Herren! Wenn man Sie von der Regierungs-koalition so hört, hat man den Eindruck, sie machen einetolle Politik. Eigentlich hätte die Ministerin heute eine Re-gierungserklärung abgeben müssen
angesichts der Tatsache, dass die Beiträge nicht nur vonder einen oder anderen Krankenkasse, sondern – wie wirsehen werden – in den nächsten Wochen und Monaten ge-nerell erhöht werden. Die Ankündigungen stehen imRaum. Also: Die Charmeoffensive der Ministerin ist zu-sammengebrochen.Man muss eindeutig feststellen: Man kann ihr nicht al-les ankreiden; vieles muss man der Vorgängerin, den Grü-nen,
ankreiden, weil sie keine vernünftige Reform eingeleitethaben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch17598
Wenn ich jetzt, in dieser aktuellen Situation, die Vor-schläge der Grünen höre, dann kann ich nur staunen, dasssie dies nicht organisiert haben, als sie die Ministerin ge-stellt haben.Auch jetzt wird nur hier und da an den Schrauben ge-dreht und das hilft unserem Gesundheitssystem nicht. DieMinisterin müsste eigentlich eine echte Reform auf denWeg bringen. Das aber, meine Damen und Herren, kön-nen Sie nicht, dafür sind Sie viel zu kraftlos, und das wol-len Sie anscheinend auch nicht.
Sie sollten sich einmal Folgendes anhören: Wenn dasKanzleramt jetzt eine Konzeption erarbeitet, in der zwi-schen Regel- und Wahlleistungen unterschieden wird, er-tönt ein großer Aufschrei: „Da tut sich nichts!“ Wir inRheinland-Pfalz dagegen haben mit der SPD in der Koa-litionsvereinbarung für den Bereich der Gesundheitspoli-tik definiert – ich war dabei! –:
In Zukunft wird es gewisse Bereiche geben, die solida-risch finanziert werden.
Daneben aber wird es auch einen Bereich geben, der vomArbeitnehmer allein finanziert wird.
Eine solche Regelung unterschreibt in Rheinland-PfalzMinisterpräsident Beck.
Und angesichts dessen wollen Sie uns erzählen, das seikein Thema, eine solche Diskussion gebe es nicht? Nein,Sie sind zu feige, dem Bürger zu sagen, wohin der Zug geht.
Das ist unangenehm, aber es wird so kommen. Ich sagefür die F.D.P.: Wir wollen in diese Richtung gehen, aberwir wollen gleichzeitig – das betone ich – eine vernünf-tige Steuerreform, durch die der Bürger entlastet wird, da-mit er auch finanziell in der Lage ist, sich für diese Wahl-oder Zusatztarife zu entscheiden. Das sind zwei Punkte,die zusammengehören.
Dann hören wir, die Ministerin wolle einiges verän-dern, der Traum vom Mindestbeitrag werde nicht Realität –und dennoch geht das Gesetz zum Risokostrukturaus-gleich auf den Weg. Wenn dies der Fall sein sollte, wer-den die Ausgleichsmechanismen dafür sorgen, dass wirfast bei der Einheitsversicherung landen.
Von einem Wettbewerb kann überhaupt nicht mehr dieRede sein.
Schauen Sie sich einmal an, wie schizophren das mit Ih-rer Gesetzgebung ist. Wir sind alle für ein vernünftiges Di-sease Management. Meinen Sie tatsächlich, das sei einvernünftig organisiertes System, wenn der Präsident desBundesversicherungsamtes sagt, er brauche mindestens 70bis 90 neue Mitarbeiter, um allein das Disease-Manage-ment-Programm für die bundesweiten Kassen zu überwa-chen?
Das ist Bürokratie hoch zwei.
Ich rede doch gar nicht davon, was Sie in den einzelnenLändern machen. Sie müssen den Apparat weiter aus-bauen, um solche Disease-Management-Programme or-ganisieren zu können. Sagen Sie einmal: Warum wollenSie immer stärker zur Bürokratie, zur Planwirtschaft über-gehen? Geben Sie doch den Versicherungen die Chanceeiner vernünftigen Vertragsfreiheit, um Wettbewerb dortzu etablieren, wo es sinnvoll ist!
Ich füge hinzu: Die sozial Schwachen müssen geschütztwerden. Darüber kann es überhaupt keine Diskussion ge-ben. Aber dort, wo es sinnvoll ist, muss Wettbewerb ein-geführt werden. Das tun Sie nicht!
Von daher stelle ich fest: Wir werden Ihre Gesetzge-bung, die jetzt auf den Weg gebracht wird, nicht unter-stützen können. Legen Sie noch in dieser Wahlperiode einGesamtkonzept auf den Tisch! Dann können wir mitei-nander diskutieren. Dann wissen wir, was Sie wirklichwollen. Sie selber wissen es bisher nicht. Wenn Sie keinKonzept auf den Weg bringen und wenn Sie den Bürgernnicht die Wahrheit sagen, werden Sie mit Ihrer Gesund-heitspolitik scheitern. Heute stehen wir vor dem ChaosIhrer Politik.
Herr Kol-lege Thomae, Sie haben Ihr Redemanuskript vergessen.Oder wollten Sie es für Ihre Nachfolgerin liegen lassen?
Ich gebe jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünender Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort.
Herr Thomae, es hätte keine Gefahr bestanden; ich hätteIhr Redemanuskript nicht verwendet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Dieter Thomae17599
Dies hätte ich auch deshalb nicht getan, weil ich glaube,dass der Charme, den Sie in Richtung Wettbewerb ausge-streut haben, vor allen Dingen eines ist: das Aus für dieSolidarität, und zwar zulasten der sozial Schwachen.
Denn die F.D.P.-Position ist nichts anderes als Freiheitohne Verantwortung. Das wird mit dieser Bundesregie-rung nicht zu machen sein.
Schauen wir uns die Situation einmal realistisch an:
Wenn wir schon über die Lohnnebenkosten sprechen – Siewissen, dass das für uns und für die Bundesregierung nachwie vor ein zentrales Thema ist –, dann würde ich gerneeinmal in das Jahr 1998 und in die Jahre davor zurück-schauen.
Wenn Sie sich die Kurven der Beitragsentwicklung in dergesetzlichen Krankenversicherung ansehen, dann stellenSie fest, dass die Beiträge bis zum Jahr 1998 angestiegensind
und dass erst durch die Übernahme der Regierung durchRot-Grün Stabilität erreicht werden konnte. Die Stabilitätder Beitragssätze ab dem Jahr 1998 ist für die Politik, diewir in dieser Regierung gemacht haben, ganz zentral ge-wesen. Das ist ein Erfolg für Rot-Grün und ein Erfolg derdamaligen Ministerin Fischer. Herr Lohmann, wir könnenuns gut daran erinnern, wie Sie die Budgetpolitik der rot-grünen Bundesregierung gegeißelt haben und wie SieAndrea Fischer dafür angegangen sind. Angesichts dessenkann ich nicht verstehen, dass Sie, wenn wir einen ande-ren Weg einzuschlagen versuchen, diese Politik genausogeißeln. Sie sollten sich einmal ernsthaft entscheiden, woSie überhaupt hinwollen.
Schauen wir uns einmal die Situation in Deutschlandan: Wir haben weltweit die zweithöchsten Ausgaben imGesundheitssystem. Im Hinblick auf die Versorgung ha-ben wir bei weitem noch nicht einen Standard erreicht, derdies vermuten ließe. 10 Prozent des Bruttoinlandspro-duktes fließen in die Gesundheitskosten.Sie sollten den Menschen nichts vormachen. Natürlichgibt es im Gesundheitssystem Einsparmöglichkeiten.Wenn wir doppelt so oft geröntgt werden wie die anderenEuropäer, wenn wir einerseits viel mehr Pillen schluckenund die Menschen trotzdem nicht gesünder sind und an-dererseits beispielsweise im Bereich der Krebs- und derDiabetestherapie Unterversorgung besteht, dann bedarf esnatürlich weiterer Strukturänderungen des Gesundheits-systems.Bei der Beantwortung der Frage, wie wir weitere Än-derungen des Systems erzielen können, möchte ich Siebitten, sich einmal an die eigene Nase zu packen. Wer hatdenn die Gesundheitsreform 2000 im Bundesrat ge-stoppt? Das waren die unionsregierten Länder.
Die haben verhindert, dass gerade im Krankenhausbereichentsprechende Reformen angegangen werden können.
Die haben eine vernünftige Verzahnung des ambulantenmit dem stationären Sektor verhindert. Die haben verhin-dert, dass eine ganze Reihe von Vorschlägen, deren Um-setzung wir für eine umfassende Strukturreform dringendgebraucht hätten, umgesetzt worden ist.
Dafür tragen Sie die Verantwortung und sonst niemand!So!
– Ich glaube nicht, dass das gut so ist. Vielleicht gefällt Ih-nen das. Ich denke aber, das wird die Qualität der Versor-gung in Deutschland nicht verbessern und vor allem wei-tere Auswirkungen auf die Beitragshöhe haben.Was brauchen wir an weiteren Reformschritten undwas ist möglich, um die auf den Weg gebrachte Gesund-heitsreform umzusetzen?
Ich sage Ja – und zwar ein ganz klares Ja – zur Wahlfrei-heit für die Versicherten. Auf der anderen Seite aber mussdie medizinisch notwendige Versorgung solidarisch fi-nanziert bleiben. Wir haben in dieser Woche im Ausschussüber den Armutsbericht der Bundesregierung diskutiertund übereinstimmend festgestellt, dass Arme in Deutsch-land kränker sind.
Ergebnis einer Reform, die wir in weiteren Schritten an-gehen müssen, darf nicht sein, dass Armut zu Krankheitführt. Dafür steht, Herr Kollege Thomae, diese Koalitionnicht; dafür stehen Sie vielleicht mit Ihren Vorschlägenfür eine Grundversorgung, bei der das medizinisch Not-wendige nicht für alle zur Verfügung steht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Katrin Göring-Eckardt17600
Was brauchen wir weiter? Wir brauchen eine Positiv-liste, die zur Transparenz in der Versorgung führt. Wirbrauchen eine Stärkung des Hausarztsystems, was Siegerne blockieren wollen, und wir brauchen ein ganzheit-liche Versorgung, die ihre Schwerpunkte auf Zusammen-arbeit im System – Vorsorge, Behandlung und Reha – legt.Dafür sind Sie – gerade in den Ländern – in der Verant-wortung. Wir brauchen ein System, das die Patienten zumMittelpunkt der Versorgung macht und auf Augenhöhemit den Leistungserbringern hebt.
Wenn Sie sich hier hinstellen und nach Ihrem Kon-junkturprogramm im Umfang von 92 Milliarden DM, dasSie nicht gegenfinanziert haben, auch noch Vorschlägemachen, die die Kosten im Gesundheitswesen weiter indie Höhe treiben, ohne einen einzigen Beitrag zu Struk-turveränderungen zu leisten,
muss ich Ihnen sagen: Sie machen es sich zu einfach, undzwar auf Kosten der Versicherten und Patienten. Das wer-den wir nicht mitmachen.Vielen Dank.
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Werter Kollege Lohmann, wer so tut, alsseien die Ursachen für die heutigen Beitragserhöhungenerst in den letzten Monaten entstanden, belügt die Öffent-lichkeit.
Zur Wahrheit gehört: Sie sind das Ergebnis der Politikvon Jahren, und zwar einschließlich Ihrer Regierungszeit.Es ist eigentlich völlig egal, wer regiert.
Aufgabe einer vorausschauenden Gesundheitspolitik istes immer, solche Erhöhungen möglichst zu vermeiden,denn sie treffen die Arbeitnehmer und Rentner ebenso wiedie Arbeitgeber.Allerdings – das vergessen alle – darf man die Ge-sundheitspolitik nicht isoliert betrachten. Gesundheitspo-litik ist auch auf eine entsprechende Haushalts- und Fi-nanzpolitik angewiesen. Beitragserhöhungen könnenschon dadurch vermieden werden,
dass Regierung und Mehrheitsfraktionen dieses Hausesdie Einnahmen, die einzig und allein der gesetzlichenKrankenversicherung zustehen, nicht ständig zweckent-fremden,
um unter eklatantem Missbrauch der Gesetzgebungskom-petenz den Bundeshaushalt zu entlasten.Am stärksten wirken sich die Folgen der Rentenreformvon 1993 aus. Damals wurden die Krankenversicherungs-beiträge aus Lohnersatzleistungen auf 80 Prozent desbisherigen Arbeitsentgeltes gesenkt. Die Kassen wiederummüssen höhere Beiträge aus Krankengeld an andere Sozial-versicherungsträger bezahlen. Seit 1996 belastet das dieGKV jährlich – ich betone: jährlich – mit rund 6 Milliar-den DM. Gegen diese Politik der so genannten Verschiebe-bahnhöfe haben SPD und Grüne bis 1998 gekämpft und fürjedermann hörbar eine Änderung gefordert. Kaum an derRegierung, hatte auch Rot-Grün alles vergessen, und wirerleben die gleichen Taschenspielertricks.So mussten 1999 zunächst die Pflegekassen durch diegesetzliche Begrenzung der Beiträge aus Arbeitslosen-hilfe Einnahmeausfälle von rund 400 Millionen DM hin-nehmen. Nur ein Jahr später erfolgte der Zugriff auf dieVersichertenbeiträge der GKV. Seitdem fehlen bei derGKVweitere 1,2Milliarden DM jährlich. Dafür haben Fi-nanzminister Eichel und Arbeitsminister Riester ihreHaushalte erfolgreich entlastet. Es gibt noch weitere Ent-scheidungen von Regierung und Koalition mit ähnlicherWirkung, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht eingehenkann.Meine Damen und Herren – und hiermit meine ich allein diesem Hohen Hause –, eines finde ich unglaublichmies: Auf der einen Seite wird der Öffentlichkeit eineKostenexplosion im Gesundheitswesen vorgegaukelt, diees so eigentlich gar nicht gibt, und auf der anderen Seiteredet kaum jemand davon, dass dieser Beitragsklau seitMitte der 90er-Jahre in der Summe den geradezu un-glaublichen Umfang von über 50 Milliarden DM ange-nommen hat.
Wir fordern, endlich diese verantwortungslose Politikzu beenden und der Versichertengemeinschaft das will-kürlich abgezweigte Geld Schritt für Schritt zurückzuge-ben. Denn sein legitimer Verwendungszweck besteht ein-zig und allein in der gesundheitlichen Versorgung derVersicherten.Meine Damen und Herren von der Koalition, niemandvon uns leugnet, dass der Abbau bestehender Unwirt-schaftlichkeiten im Gesundheitswesen eine ständige undwichtige Aufgabe ist. Auch wir sagen: Niemand hat dasRecht, die Versichertengelder unnötig auszugeben odergar zu verschwenden. Allerdings hat die Gesundheitsre-form 2000 erneut gezeigt, dass ein solches Vorhaben Zeitbenötigt und nicht im ständigen Konflikt bewältigt wer-den kann.Das Bestreben, die Einnahmeseite der GKVzu stärken,dürfen Sie aus Ihrer Politik nicht herauslassen. Dafür gibtes noch weitere Instrumente, und zwar außerhalb von
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Katrin Göring-Eckardt17601
Zuzahlung oder Wahlleistung. Dies nämlich sind Instru-mente, die beide zusätzlich privat, ohne Arbeitgeberan-teil, von den Versicherten getragen werden müssen.Vorschläge, wie das strikt am Solidargedanken orien-tiert geschehen kann, liegen seit langem auf dem Tisch;von uns genauso wie von Ihnen seinerzeit in der Oppo-sition.Jetzt sind Sie als Regierung gefordert, nicht nur verbaleVersprechen abzugeben. Notwendig ist eine gezielte Stär-kung der Solidargemeinschaft. Damit würde auch denOppositionsparteien auf der rechten Seite des Hauseseine – wie die heutige Debatte zeigt – äußerst demago-gisch gehandhabte Angriffsmöglichkeit genommen.Eines muss noch gesagt werden: Das Auftreten derUnion ist unverfroren, um nicht zu sagen: heuchlerisch.
Erstens ist sie für die heutige Situation mitverantwortlichund zweitens werden ihre Rezepte für ein zunehmendmarktgesteuertes Gesundheitswesen noch viel teurer –siehe USA.
Die Gesamtbelastung der Menschen, die dann aus gesetz-lichen und privaten Beiträgen besteht, würde noch vielgrößer werden.
Ich denke, die jetzigen Beitragserhöhungen sind für dieUnion nicht mehr und nicht weniger als ein gefundenerAnlass, um davon abzulenken, dass sie eigentlich überkeine eigene und schon gar nicht über eine an den Inte-ressen der Menschen orientierte Gesundheitspolitik ver-fügt.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile
dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Fraktion der
SPD das Wort.
Herr Präsi-dent! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung punk-tueller Beitragssatzerhöhungen
fordert uns als Sozialdemokraten natürlich auch heraus.Es ist nicht so, dass wir diese Herausforderung nicht se-hen. Wenn ich mir aber die Behandlungskonzepte der Op-position, und zwar vor allem der CDU/CSU und derF.D.P., anschaue,
kann ich nur feststellen: falsche Diagnose und falschesRezept. Man könnte fast meinen, es wäre ganz gut, Ihneneinmal ein Qualitätssicherungsprogramm zu empfehlen.
Die Onkel-Dagobert-Methode, nämlich immer mehrGeld ins Gesundheitssystem zu stecken, führt nicht zudem gewünschten Erfolg. Es ist das falsche Konzept.Denn mehr Geld macht nicht gesünder. Dies sieht man da-ran, dass wir mit unseren Gesamtausgaben, gemessen amBruttosozialprodukt, in Europa an der Spitze stehen. Ichdenke, wir können den Menschen in Deutschland nichtmehr zumuten, noch mehr Geld auszugeben, aber weni-ger Leistungen dafür zu erhalten.
Wir müssen umgekehrt Verantwortung für das Versi-chertengeld und die Beiträge übernehmen.
Wir müssen sorgfältig und erfolgsorientiert damit umge-hen.Wie eine solche Erfolgsorientierung aussehen kann,wird doch am besten anhand der Feststellungen des Sach-verständigenrats sichtbar. Professor Wille hat das ja sehrschön bildlich dargestellt: Wir bezahlen in Deutschlandim Gesundheitswesen für einen 500er-Mercedes und be-kommen als Gegenleistung einen 200er.
– Nein!Genau diese Diskrepanz werden wir angehen müssen;denn das ist das Problem, das uns letztlich herausfordert.Wo wir stehen, sehen wir doch an den Leistungen: Dies-bezüglich sind wir in Europa überall Mittelfeld, sei es ge-messen an der Lebenserwartung, den Sterblichkeitsraten,den Krebserkrankungen, den Herzinfarkten, den Kreis-lauferkrankungen.Es geht also nicht mehr darum, mehr Geld in das Sys-tem zu geben, sondern es geht darum, dafür zu sorgen,dass wir über ein entsprechendes Qualitätsmanagementdie entscheidende Leistungsverbesserung erreichen.Wir müssen auch deutlich sehen: Wenn wir Grund- undWahlleistungen vornehmen und den Menschen mehr Geldabnehmen, so bedeutet dies eine Zementierung der über-kommenen Strukturen, aber keine echte Reform.
Ich will an einem Beispiel darlegen, dass es momentannicht an den Maßnahmen hängt, sondern an der Ge-schwindigkeit. Sie von der Opposition könnten natürlichsehr viel dazu beitragen, die Geschwindigkeit der Re-formgesetze und deren Umsetzung zu erhöhen, sodass die
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Dr. Ruth Fuchs17602
Krankenkassen die Entlastungsmomente zeitnah erfah-ren, und damit eine Erhöhung der Beträge vermiedenwird.
Gucken wir uns das am Beispiel der Arzneimittel an: Indieser Woche haben wir in der Anhörung zu Zielverein-barungen neuer Lösungen anstelle von Budgets die Vor-stellungen der Wissenschaftler gehört: Wir könnten inDeutschland durch den Einsatz von Analogpräparatenselbst unter Berücksichtigung des Substitutionseffektes1,8 Milliarden DM einsparen. Die Ärzteschaft will – sohaben wir es gehört – entschlossen daran mitwirken, dasswir diesen Einsparungseffekt erzielen.Wir haben mit dem Gesetzentwurf zu den Festbeträgenfür Arzneimittel die Chance, mindestens 650 Milli-onen DM zu sparen und das Ganze effektiver zu gestalten.Mit der Positivliste werden wir nicht nur nachhaltig dieQualität in Deutschland verbessern,
sondern auch wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen.Wenn man das zusammen nimmt, stehen rund 4 Milli-arden DM zusätzlich zur Verfügung,
die, wirtschaftlich eingesetzt, zu einer Versorgung führen,die dem Patienten ein Mehr an Qualität und Effizienz ga-rantiert. Das ist, glaube ich, der Weg, auf den wir uns be-geben müssen. Da halte ich es mit Professor Schwartz,dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats: „Das deut-sche Gesundheitswesen kann mehr, als es leistet.“ Wirmüssen auf Leistung achten, auf Leistung im gesamtenGesundheitswesen.
Für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Horst Seehofer das
Wort.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche Gesund-heitswesen befindet sich in einer Krise und die Verant-wortung dafür trägt allein
die Bundesregierung.
Drei Kardinalfehler haben zu dieser Lage geführt. Ers-ter Kardinalfehler: Sie haben die gesetzliche Krankenver-sicherung 1998 in einer guten Verfassung übernommen,mit Milliardenüberschüssen in den Jahren 1997 und 1998.
Der Versicherungsbeitrag in der gesetzlichen Kranken-versicherung ist zwischen dem 1. Januar 1993 und demEnde unserer Regierungszeit im September 1998 unver-ändert geblieben.
Wenn Sie nicht unsere Gesundheitsreform zunächst imWahlkampf attackiert und dann nach der Wahl in ihrenKernelementen zurückgenommen hätten, hätten Sie jetztnicht die Probleme im deutschen Gesundheitswesen.
Zweiter Kardinalfehler: Mit großem Pomp wurde dieGesundheitsreform 2000 angekündigt – im einen Teilrückwärts gewandt, im anderen Teil wirkungslos. Die Re-form war rückwärts gewandt, weil Sie wieder auf die Bud-gets gesetzt haben. Sie müssen jetzt unter dem Druck derVerhältnisse – weil die chronisch Kranken die notwendigemedizinische Versorgung nicht mehr bekommen – dieseBudgets Stück für Stück aufgeben. Sie sind mit dieserBudgetpolitik völlig gescheitert.
Alle anderen Kernelemente der Gesundheitsreform2000 – das war die Reform mit Pleiten, Pech und Pannen,über die wir hier im Deutschen Bundestag in einer Fas-sung abgestimmt haben, die gar nicht dem Willen der Re-gierung entsprach,
weil die Seiten in der Nacht ausgewechselt wurden –
sind wirkungslos geblieben, waren Makulatur.Das Einzige, was jetzt noch in der Selbstverwaltungvollzogen wird, sind die Fallpauschalen bei den Kranken-häusern.
Frau Schmidt, ich prophezeie Ihnen, dass das Datum1. Januar 2003 für die Einführung der Fallpauschalennicht zu halten sein wird und dass Sie noch in dieser Le-gislaturperiode den Termin verändern werden.
Den dritten Kardinalfehler haben Sie, Frau Schmidt,persönlich zu verantworten, weil Sie ihn gemacht haben.Sie haben sich zu Beginn Ihrer Amtszeit in völliger Ver-kennung der realen Lage entschieden, eine Gesundheits-reform erst nach der Bundestagswahl zu machen. Auchheute haben Sie wieder geäußert, man brauche Zeit. Manbrauche Zeit bis zum Jahre 2003.Man muss sich einmal vorstellen, wie ein Mittelständ-ler, ein Handwerker, ein Arbeitnehmer darauf reagiert,wenn jemand fast drei Jahre an der Regierung ist undnichts getan hat, sondern nur Schaden angerichtet hat unddann zur Reparatur des Schadens sagt: Ich brauche noch
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Horst Schmidbauer
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zwei Jahre. Meine Damen und Herren, das ist der Inbe-griff der Unfähigkeit.
Nicht Frau Schmidt, die ein halbes Jahr im Amt ist,sondern Sie, Rot-Grün, sind in Ihrer Gesundheitspolitikauf der ganzen Linie gescheitert.
Was wir brauchen, ist ein völliger Neuanfang in der Ge-sundheitspolitik.
Ich fordere Sie auf, noch vor der Sommerpause ein So-fortprogramm vorzulegen,
weil sonst die Flut von Beitragserhöhungen nicht zu stop-pen ist. Wir stehen auch für Sondersitzungen in der Som-merpause zur Verfügung, wenn das Zeitargument kom-men sollte. Dieses Sofortprogramm muss drei Elementebeinhalten:Erstens. Wir brauchen in der Tat mehr Qualität im deut-schen Gesundheitswesen. Das heißt, wir müssen die Me-dizinerausbildung reformieren. Frau Schmidt, sorgen Siedeshalb dafür, dass die von uns bereits erarbeitete Appro-bationsordnung für Ärzte, die im Bundesrat liegt, verab-schiedet wird!
In dieser Angelegenheit ist in den zweieinhalb Jahrennichts geschehen. Sie hat im Bundesrat geschlummert.Qualität ist nicht nur für die Patienten von Nutzen. Viel-mehr führt Qualität im Gesundheitswesen auch zu mehrWirtschaftlichkeit.Zweitens. Befreien Sie die Beteiligten im Gesund-heitswesen von all den Fesseln der Reglementierung undder Listenmedizin! Die Positivliste, von der wir hier jah-relang gehört haben, hat keinen positiven Effekt. Jetztwird sie als Mittel zur Lösung der Probleme in der ge-setzlichen Krankenversicherung angeboten.
Befreien Sie die Beteiligten von den Budgets! GebenSie Ärzten, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen und Pati-enten die Freiheit, vor Ort mit Verträgen, mit Organisati-onsmodellen die bestmögliche Form der Versorgung un-serer Patienten zu finden! Nicht Budgets, sondern Freiheitist die Antwort.
Drittens: mehr Selbstbestimmungsrecht für die Patien-ten. Sie sollen in Zukunft selber über die Höhe ihrerBeiträge und über den Leistungsumfang entscheiden kön-nen. Nicht die Funktionäre im Gesundheitswesen müssengestärkt werden, sondern die Patienten und die Versicher-ten.
Sie, die Sie das alles noch weit wegschieben, werdenerleben, dass die Realität Sie überholt.
Ich prophezeie Ihnen:
Spätestens nach dem Befehl aus dem Kanzleramt fallenSie wie Dominosteine um.
Sie werden schweigend – wie SPD und Grüne in den letz-ten Jahren in vielen Fällen ihre Seele verkauft haben – dieBefehle des Kanzleramtes erfüllen.Frau Schmidt, handeln Sie jetzt! Sonst werden Sie per-sönlich verantwortlich für das, was in den nächsten Mo-naten in der Krankenversicherung geschieht.
Ich erteile
das Wort nunmehr der Bundesministerin für Gesundheit,
der Kollegin Ulla Schmidt.
HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol-lege Seehofer, ich habe den Vorteil, dass ich ein Ministe-rium übernommen habe, das Sie einmal geleitet haben,und daher stehen mir alle Zahlen aus Ihrer Amtszeit zurVerfügung. Sie und Herr Kollege Lohmann haben geradebehauptet, dass die Krankenkassen Milliardenüber-schüsse aufgewiesen hätten
und dass Beitragsstabilität geherrscht hätte.
Ich möchte Sie einmal mit folgenden Zahlen konfrontie-ren: In der Zeit von Horst Seehofer stieg der durch-schnittliche allgemeine Beitragssatz von 12,3 Prozent auf13,6 Prozent.
Die jetzige Bundesregierung hat seit 1998, als wir die Re-gierung übernommen haben, dafür gesorgt, dass sich derdurchschnittliche Beitragssatz bei 13,6 Prozent stabili-
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Horst Seehofer17604
siert hat. Herr Kollege Seehofer, die Erhöhungen bis 1998gehen zu Ihren Lasten.
Zu Ihrer Behauptung, dass die Krankenkassen Milliar-denüberschüsse aufgewiesen hätten, bevor wir die Regie-rung übernommen haben, möchte ich Folgendes sagen:Die AOK Hessen oder die AOK Baden-Württemberg zumBeispiel befinden sich schon seit 1996/97 in einerprekären Finanzsituation. Sie haben immer wieder ver-sucht, die Aufsichtsbehörden hinzuhalten, und zwar er-folgreich; denn die Aufsichtsbehörden sind selbst dannnicht eingeschritten, als diese Krankenkassen ein Minusaufwiesen und nicht mehr über die gesetzlich festgelegteMindestreserve verfügten.
Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem Beitragserhöhungenunumgänglich sind. Damit die Zahlen, über die wir reden,relativiert werden, möchte ich Folgendes sagen: Selbst-verständlich muss es uns Sorgen machen, wenn die Bei-tragssätze der Krankenkassen ansteigen. Aber alles, wasderzeit angekündigt ist bzw. bereits beschlossen wordenist, macht bundesweit nicht einmal 0,09 Prozent aus. Des-halb bitte ich, die Zahlen genau anzuschauen, über die wirhier reden, und nicht so zu tun, wie es einer Ihrer Kolle-gen gemacht hat, als würden die Beitragssätze der Kran-kenkassen um 5 Prozent in den nächsten Jahren ansteigen.Die bisherigen Planungen würden nicht einmal einen An-stieg der Beitragssätze um 0,1 Prozent rechtfertigen. Ur-sache ist also nicht, dass man mit der Gesundheitsreformbis 2003 wartet. Sie wissen doch ganz genau, dass eineMenge an Schritten notwendig ist, um eine Gesundheits-reform durchzuführen.Ich möchte jetzt auf das Arznei- und Heilmittelbudgetzu sprechen kommen. Die Ausgaben im Arzneimittelbe-reich sind von 1993 bis 1999 – das betrifft noch Ihre Re-gierungszeit – um 41 Prozent gestiegen, und zwar trotzBudget und Kollektivregress.
Wir wissen doch, dass es dort Einsparpotenziale gibt. Ichhabe deswegen in der vorigen Woche eine Neuordnungdes Arznei- und Heilmittelbudgets auf den Weg gebracht;denn ich bin der Meinung, dass eine Deckelung alleinnichts bringt.
– Das war Ihre Politik und wir haben sie fortgesetzt. Aberman muss auch aus Fehlern lernen.Es stimmt zwar, dass die Zahl der Verschreibungenzurückgeht. Aber offensichtlich sind die Ärztinnen undÄrzte falsch beraten, weil sie viel zu wenig Analogpro-dukte verschreiben. Ich bin ja dafür, dass die Patientinnenund Patienten wirklich innovative Arzneimittel erhaltenund dass diese dann bezahlt werden. Aber immer dann,wenn es analoge Präparate gibt, die wirkstoff- und wir-kungsgleich sind, müssen die Patientinnen und Patienten– das kann man verlangen – die günstigeren Medikamentenehmen. Die Krankenkassen werden dann keine anderenPräparate bezahlen müssen. Die AOK Berlin, die großeProbleme im Arznei- und Heilmittelbereich hat, hat heutemit der KV Berlin den ersten Vertrag auf der Grundlagedieser Vereinbarung geschlossen und hat versprochen:Wir werden die Ärztinnen und Ärzte schon in diesem Jahr– im Vorgriff auf das im nächsten Jahr geltende Gesetz –beraten. Wir werden die Ärzte persönlich haftbar machen,wenn sie die Wirtschaftlichkeitsreserven nicht ausschöp-fen. Wir wollen allgemein über Arzneimittel und darüberinformieren, welche Analogpräparate und gleichwertigenBilligprodukte es gibt. Wir informieren über wirkliche In-novationen.
Es wird folgendes Anreizsystem geschaffen: Diejeni-gen, denen es gelingt, die Kosten der verschriebenen Arz-neimittel unter Einhaltung der Versorgungsziele Wirt-schaftlichkeit und Qualität zu reduzieren, erhalten einenBonus.
– Das ist nicht unethisch, Herr Kollege.
– Herr Kollege, schreien Sie nicht so!Der sozialmedizinische Berater der AOK, Dr. PeterSchwoerer,
er hat entsprechende Beratungen bereits durchgeführt– jeder weiß, was er im Arzneimittelbereich in Südbadengemacht hat –, hat gesagt, die Patienten könnten ohneEinbußen und bei gleicher oder sogar besserer Therapie-qualität versorgt werden. Wir werden Einsparungen vor-nehmen und wir werden die Einsparpotenziale in Milliar-denhöhe, die auf dem Gebiet der Analogpräparatevorhanden sind, nutzen.Ich weiß, dass derzeit Pressekonferenzen stattfinden,auf denen die Ärzte zum Ausdruck bringen, dass sie dieFreiheit der Verhandlung wollen und dass sie selbst mitdafür sorgen werden, dass die Ärztinnen und Ärzte in diePflicht genommen werden, damit es zu Fortschrittenkommt.
Herr Kollege Seehofer hat die chronisch Kranken an-gesprochen. Wir werden nachher den Risikostrukturaus-gleich beraten. Das Kernstück unserer Änderung des Ri-sikostrukturausgleichs ist, dass endlich ein Wettbewerbum die bestmögliche Versorgung der Patienten stattfindenkann
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Bundesministerin Ulla Schmidt17605
und dass die bestmögliche Versorgung von chronischkranken Menschen Einsparpotenziale in der gesetzlichenKrankenkasse mit sich bringt. Durch den von uns be-schrittenen Weg fühlen sich die Menschen nicht nur bes-ser, weil wir die Versorgung Multimorbider verbessern,vielmehr sinken auch die Kosten um bis zu 30 Prozent.
Diesen Weg können Sie mitgehen. Das, was wir machen,ist etwas anderes als das, was Sie gemacht haben, HerrKollege Seehofer. Sie haben die gesetzliche Krankenkassedadurch zu sanieren versucht, dass Sie den chronischKranken immer mehr Belastungen und Zuzahlungen auf-gebürdet haben, anstatt ihre Versorgung zu verbessern.
Ich komme – Sie haben das angesprochen – zur Medi-zinerausbildung. Sie haben Recht: Die Elemente für mehrWirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sind mehr Steue-rung, Transparenz, mehr Freiheit in der Verhandlung – dagebe ich Ihnen Recht – und eine Steigerung der Qualität.
Um das Ziel der Qualitätssteigerung zu erreichen, brauchenwir auch eine neue Approbationsordnung. Herr KollegeSeehofer, Sie sind nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit.
– Nein. – Die Vorlage zur Änderung der Approbations-ordnung liegt beim Bundesrat. Ich habe mit den Vertreternder Bundesländer, auch mit denen, die von Ihnen regiertwerden, verhandelt. Ich habe mit den Kultusministern derLänder zusammengesessen
– nein, die Kultusminister waren nicht dafür, sondern dieGesundheitsminister; das ist der Unterschied – und wir ha-ben einen Kompromiss gefunden, den wir auf der Gesund-heitsministerkonferenz letzte Woche beschlossen haben.Dieser Kompromiss – ihm haben sich auch dieVertreter der Kultusministerien der B-Länder angeschlos-sen – wird dazu führen, dass die Änderung der Approbati-onsordnung auf den Weg kommt. Ich lade Sie zu unserergroßen Veranstaltung am Montag in Berlin ein. Wir werdenunser Ziel hoffentlich bis zum Ende der Legislaturperiodeerreicht haben. Es geht darum, dass diejenigen Ärzte, diedie Wirtschaftlichkeitsreserven in zehn Jahren erschließensollen, heute dementsprechend ausgebildet werden.Vielen Dank.
Ich gebenunmehr dem Kollegen Ulf Fink für die Fraktion derCDU/CSU das Wort.Ulf Fink (von Abgeordneten derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, anden Tatsachen führt kein Weg vorbei: Die Menschen müs-sen für das Gesundheitswesen heute drastisch mehr be-zahlen und bekommen weniger Leistung.
Das Schlimme daran ist, dass kein Konzept der Regierungerkennbar ist, wie dem Einhalt geboten werden soll.
Wahr ist auch, dass es entgegen den Aussagen, die Sieim Wahlkampf 1998 gemacht haben – Sie sagten, dass Siesich für eine sozialgerechte Gesundheitspolitik einsetzenwollen –, dazu gekommen ist, dass unter Ihrer Verant-wortung zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre-publik Deutschland für die Menschen der Begriff „Zwei-klassenmedizin“ grausame Wirklichkeit geworden ist.
Krebskranke Menschen haben wegen des Arzneimit-telbudgets die notwendigen Lymphdrainagen nicht be-kommen. Diabeteskranke haben die Teststreifen nichtmehr bekommen.
Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen wordensind und auf ein bestimmtes Medikament eingestellt wa-ren, sind in ambulanter Praxis diese Medikamente ver-weigert worden. Wahrheit ist weiterhin, dass moderneMedikamente nicht mehr verschrieben worden sind, weilsie teurer als konventionelle Medikamente waren. Diesgilt insbesondere für Medikamente bei Schizophrenie,Epilepsie und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dazu ist esunter Ihrer Regierungsverantwortung gekommen.
Wenn Sie gegen die maßvollen Selbstbeteiligungsele-mente, die wir eingeführt haben, polemisieren, dann sageich Ihnen: Die von Ihnen eingeführte Budgetierung ist diebrutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich über-haupt vorstellen kann.
Es gibt keine Härtefallklausel und keine Überforderungs-klausel, sondern die Menschen müssen unabhängig vonder Höhe ihres Einkommens die gesamten Kosten für Me-dikamente übernehmen, weil es keine entsprechendeRegelung gibt. Das ist soziale Ungerechtigkeit bis zumgeht nicht mehr. Dafür sind Sie verantwortlich.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Bundesministerin Ulla Schmidt17606
Ich sage Ihnen noch ein Weiteres: Das deutsche Ge-sundheitswesen, das in der Welt einen guten Klang hat, istein Weg zwischen Staat und Markt. Die Frage ist: In wel-che Richtung soll man ein solches Gesundheitswesenweiterentwickeln, in Richtung auf mehr Markt oder inRichtung auf mehr Staat? – Wir haben im Jahre 1998maßvolle zusätzliche Wettbewerbs- und Marktelementeeingeführt. Sie hatten jedoch nichts Eiligeres zu tun ge-habt, als diese maßvollen Wettbewerbs- und Marktele-mente, zum Beispiel Beitragsrückgewähr und Selbstbe-teiligung, einzukassieren. Sie sind den Weg in Richtungmehr Bürokratie, mehr Staat
und weniger Leistung gegangen.
Das ist der falsche Weg. Es hat aber gar keinen Sinn– das sage ich auch in Richtung meines geschätzten Kol-legen Professor Pfaff –, wenn man nicht Elemente ein-setzt, die den Versicherten, die Versicherung und dieAnbieter von Leistungen dazu drängen, mit den Leis-tungen sparsam umzugehen und auf möglichst hoheQualität zu setzen. Auf einen brodelnden Kessel könnenSie keinen Deckel, kein Budget, mehr setzen. Nein, Siemüssen das Feuer wegnehmen. Sie müssen dafür sorgen,dass die Menschen an mehr Qualität, mehr Wettbewerbund mehr Eigenverantwortung interessiert sind. Dannbrodelt der Kessel nicht so sehr. In diese Richtung mussman gehen.
Frau Fuchs, das lassen wir uns wirklich nicht bieten.Ich war in Berlin Gesundheitssenator und weiß, dass wirMedikamente am Tempelhofer Flughafen für Ostdeutscheausgegeben haben. Die Menschen waren froh, wenn sieälter als 65 Jahre waren, weil sie dann in den Westen kom-men konnten und ordentliche Medikamente bekommenhaben. Für diesen Zustand hatten Sie doch die Verant-wortung!
Wir brauchen ein Konzept für eine umfassende Ge-sundheitsreform. Auf der Grundlage der Solidarität müs-sen wir den Weg hin zu mehr Eigenverantwortung, mehrWettbewerb und mehr Transparenz gehen. Das ist der ein-zig richtige Weg.
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Professor
Dr. Martin Pfaff.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Herr Seehofer, ich kann ja – dasmuss ich zugestehen – nachvollziehen, dass Sie eine Ak-tuelle Stunde zu einem Themenbereich anberaumen wol-len, von dem Sie meinen mehr zu wissen. Ich gesteheneidlos ein: Wenn es um die Anhebung von Beitragssät-zen geht, haben Sie mehr Erfahrung als wir, da wissen Siemehr. Raten Sie einmal, wie oft in Ihrer Regierungszeitdie durchschnittlichen Beitragssätze der gesetzlichenKrankenversicherung eines Jahres gegenüber dem Vor-jahr angehoben worden sind!
Zweimal, dreimal, viermal? Nein, zwölfmal in 16 Jahrenhat die vorherige Bundesregierung erleben müssen, dassdie Beitragssätze gestiegen sind.
Nach Ihrer eigenen Diktion, Herr Seehofer, war das Ge-sundheitswesen während Ihrer Zeit in der Dauerkrise.
Demnach sind Sie in keiner Weise eine moralische Auto-rität, wenn es um Beitragssatzanhebungen in der GKVgeht.
Wie war es denn mit den Beiträgen? Sie mussten dieBeiträge in einer Zeit, die weniger schwierig war alsheute, um zwei Beitragssatzpunkte anheben. Und was ha-ben Sie getan? Sie haben immer wieder die Zuzahlungenerhöht.
Allein in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwor-tung haben Sie die Zuzahlungen bei Arzneimitteln von3 DM, 5 DM und 7 DM je nach Packungsgröße erhöht.
– Am Anfang waren wir dabei. Sie haben aber die Zuzah-lungen im Jahr 1997 auf 4 DM, 6 DM und 8 DM und dannnochmals auf 9 DM, 11 DM und 13 DM angehoben!
Und Sie haben die Erhöhung der Zuzahlungen dann nochan Beitragssatzerhöhungen gekoppelt. Wenn es nach Ih-nen gegangen wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen von
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Ulf Fink17607
der CDU/CSU und F.D.P., lägen die Zuzahlungen derAOK Hessen heute bei 14 DM, 16 DM und 18 DM undwären nicht so, wie sie heute sind. Deshalb sage ich: Werversucht, den Druck aus dem Kessel zu nehmen, indem erLeistungen kürzt oder Zuzahlungen erhöht, liefert keinBeispiel für Regierungskunst im Bereich der Gesund-heitspolitik.
Sie waren Weltmeister, wenn es um Verschiebebahn-höfe ging. Allein seit 1995 haben Sie Maßnahmen auf denWeg gebracht, die in ihrer Summe 49 Milliarden DM Zu-satzbelastungen bis zum Jahr 2000 verursacht haben.
Deshalb sage ich: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahr-lich nicht mit Steinen werfen.
Sie haben uns einen Schuldenberg von 1,5 Billio-nen DM hinterlassen. Sie haben Defizite bei den Ostkas-sen hinterlassen, das wurde schon gesagt. Die Situationwar keineswegs so, wie Sie sie geschildert haben.Wenn sich die Absenkung der Zuzahlungen und dieEntlastung der chronisch kranken Menschen
auf die Beiträge auswirken, hat das eine ganz andere so-ziale und gesundheitspolitische Qualität, als wenn feh-lende Strukturreformen und fehlende Steuerungsmaß-nahmen dies tun.
Sie, Herr Kollege Seehofer, haben zeitliche Verzöge-rungen moniert. Ich erinnere: 1992 haben wir in Lahnsteindie Fallpauschalen im Krankenhaus beschlossen. Das Ge-setz trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Jahre danach wurdenin Ihrer Regierungszeit die Fallpauschalen auf nur 25 Pro-zent des Leistungsgeschehens angewandt, Sonderentgelteauf 5 Prozent.
Wer solche Verzögerungen zu verantworten hat, darfwahrlich nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Dasmüssen Sie wissen.Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist doch selbstverständlich! – BirgitSchnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie wolltendoch alles besser machen!)Dass Sie die Budgetierung hier immer kritisieren, findeich wirklich erstaunlich. Eine Forderung im Gesundheits-reformgesetz von Norbert Blüm war die Beitragssatzsta-bilität, im Gesundheitsstrukturgesetz, Herr Seehofer,ebenfalls. Wie erreichen Sie denn, um Himmels willen,Beitragssatzstabilität, wenn Sie nicht sichern können,dass die Gesamtausgaben nicht stärker steigen dürfen alsdie Einnahmen und die Grundlöhne?
Das ist exakt dasselbe in einem anderen Gewand. Deshalbist es wirklich heuchlerisch, wenn Sie die Budgetierungals Maßstab nehmen.
Wir haben eine Reihe von Ansatzpunkten zur Verbes-serung der Situation begonnen, über eine weitere Reihegilt es zu diskutieren. Es gibt die Garantie der Bundes-regierung zur Entlastung der GKV als Ausgleich fürBelastungen durch das Rentengesetz über 250 Milli-onen DM. Es gibt auch die Zusage, dass Belastungen derGKV, die durch die jüngsten Entscheidungen der Gerichteentstehen, aufgefangen werden.Sicher wird man auch über die Frage der Halbierungdes Mehrwertsteuersatzes diskutieren müssen.
Ich sage das, wir haben es noch nicht getan. Sicher wirdman auch darüber diskutieren müssen, ob gesamtgesell-schaftliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversi-cherung nicht über Steuern finanziert werden.
Das sind weitere Möglichkeiten, die es aber sorgfältig ab-zuwägen gilt.
Sicher wird man darüber diskutieren müssen, ob nicht dieBeitragsbemessungsgrenze und/oder die Versicherungs-pflichtgrenzen an die Rentenversicherung angepasst wer-den müssen.
Es ist für mich in keiner Weise einsichtig, warum die-jenigen, die breite Schultern haben, diese Zusatzbelastun-gen nicht tragen sollten, wohingegen die Kranken immerhöhere Zuzahlungen zu tragen haben.
Im Übrigen: Natürlich wird die Frage der Finanzie-rungsreform ein Thema sein. Wir werden es diskutieren.Schon im Herbst diesen Jahres wird es öffentliche Veran-
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Dr. Martin Pfaff17608
staltungen geben, in denen unter maßgeblicher Beteili-gung aller hier über die Perspektiven der Weiterentwick-lung diskutiert wird. Ein Thema wird dabei die Finanzie-rung sein. Hier wird man eine Evaluation vornehmenmüssen.Ich komme zum Schluss: Für mich ist es nicht einsichtig,
warum wir uns, als wir arm waren, also in den 50er- und60er-Jahren, die Solidarität in Deutschland leisten konn-ten, jetzt aber, da unsere Gesellschaft reicher wird, dieseSolidarität nicht mehr möglich sein sollte.
Ich sage deshalb: Ein solidarisches Gesundheitswesen istallemal kosteneffektiver und verteilungsgerechter. DiePrivatisierung ist keine Perspektive für die Zukunft dergesetzlichen Krankenversicherung.
Ich gebe das
Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz für die Frak-
tion der CDU/CSU.
Herr Präsi-dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr ProfessorPfaff, wenn all das, was Sie gerade geschildert haben, zu-träfe, müssten am heutigen Tag, an dem eindeutige Über-schriften in den großen Medien zu lesen sind, draußen vorder Tür Hunderttausende von Menschen stehen, die Solida-ritätsbekundungen für diese Bundesregierung abgeben, weilsich die Versorgung der chronisch Kranken in unserem Landin den letzten zweieinhalb Jahren so dramatisch verbesserthabe. Ich vermisse diese. Das, was Sie hier beschreiben,kann also nicht die Folge Ihrer Politik gewesen sein.
Rot-Grün ist sich über den Kurs in der Regierungspo-litik, was die Gesundheitsfragen angeht, uneins.
Von Ihren eigenen Beratern wird Ihnen mittlerweile Ori-entierungslosigkeit, Ratlosigkeit und Konzeptlosigkeit at-testiert. Sie haben kein Gesamtkonzept. Sie tun so, als seialles wunderbar. Warum haben Sie denn dann FrauFischer aus dem Amt gejagt?Nachdem Frau Schmidt Gesundheitsministerin wurde,begann eine Hypnosephase. Sie startete mit einerCharme-Offensive, bunten Trostpflästerchen und Beruhi-gungspillen.
Sie ist aber kläglich gescheitert. Frau Schmidt, der Sturmlässt sich nicht dadurch verhindern, dass man einfach nurauf das Barometer starrt und es beschwört. Ihre Politik istso wechselhaft wie das Wetter: Gestern war ein Mindest-beitrag von 12,5 Prozent im Gespräch, heute sagen Sie,das sei das Geschwätz von gestern. Die Beiträge sollennicht steigen und das Sonderkündigungsrecht bei Bei-tragserhöhungen soll, wie wir hören, ersatzlos gestrichenwerden. Die Beiträge steigen aber doch und die Kassen-wechsler sollen im schlimmsten Fall 18 Monate lang andie höheren Beiträge gebunden sein.
Frau Schmidt, letzte Woche sagten Sie, dass es eineDifferenzierung in Grund- und Wahlleistungen mit Ihnennicht gebe. Gestern lesen wir in dem Strategiepapier ausdem Kanzleramt, dass eine radikale GesundheitsreformEinsparpotenziale von 30 bis 33 Prozent biete, heute solldieses nur noch ein unverbindliches Arbeitspapier sein.Fallen die Dementis zu heftig aus, wachsen die Zweifel ander Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen.
Wie wir aus New York vernehmen konnten, sprechenSie mittlerweile auch von dynamischen Leistungskatalo-gen. Wir erleben eine Politik aus dem Tollhaus. Die Ge-schwister Chaos und Murks herrschen in dieser Regie-rung. All das, was sich auch in dieser Debatte abspielt,sind panische Reaktionen auf das gesundheitspolitischeChaos und der Beweis für eine von Anfang an falsche Po-litik. Ob die Beitragssätze steigen, interessiert die Men-schen heute; daran entscheidet sich, ob sie im nächstenJahr die Möglichkeit haben, Ausgaben tätigen zu können.Diese Möglichkeit haben Sie beschnitten.
Die AOK Hessen erhöht ihre Beiträge um 1 Prozent.Selbst die AOK Baden-Württemberg muss ihre Beiträgeum 0,7 Prozent erhöhen. Die anderen Kassen werdennachlegen. Auch bei den Ersatz- und Betriebskrankenkas-sen wird es zu Erhöhungen kommen. Es ist nicht der An-fang, sondern die Fortsetzung der chaotischen rot-grünenGesundheitspolitik, die zur Folge hat, dass der GKV dasWasser bis zum Hals steht.
Sie haben von uns stabile Beitragssätze und Über-schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung durchHorst Seehofer übernommen. Jetzt, in 2001 und in denkommenden Jahren, gibt es Milliardenverluste. Diesesind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben hausge-machte Gründe. Die Verschiebebahnhöfe hat selbst dieKollegin von der PDS genannt. Der gesamtdeutscheFinanzausgleich kommt hinzu.Es ist interessant, Sie einmal an dem zu messen, wasSie in der Koalitionsvereinbarung geschrieben haben.Diese Vereinbarung ist mittlerweile ein Katalog der ge-brochenen Versprechen geworden: Arbeitsplätze wurdenversprochen, Beitragssatzstabilität wurde versprochen,Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent wurden
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Dr. Martin Pfaff17609
versprochen. Aber Ihre Versprechen haben kurze Beine.Die Konjunktur schwächelt, die Arbeitslosigkeit sinktnicht, die Inflation beträgt 3,5 Prozent,
die Lohnnebenkosten steigen auf über 40 Prozent,
die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld undbekommen schlechtere oder weniger Leistungen. Das istdie logische Folge politischer Fehlentscheidungen in Ih-rer Regierungszeit.
Ich sage Ihnen eines: Wirtschaftliche Zwänge kennennicht die Opportunität von politischen Terminen. Bis zurBundestagswahl 2002 kann in der gesetzlichen Kranken-versicherung nicht mehr gewartet werden. Deshalb kom-men Sie doch heraus mit Ihren Vorstellungen!
Herr Pfaff, Sie waren doch schon recht konkret. Warumbringen Sie Ihre Vorstellungen nicht hier in diesem Hauseein? Es ist notwendig. Täuschen Sie die Menschen nichtvor der Bundestagswahl,
um ihnen nach der Bundestagswahl noch tiefer in die Ta-schen zu greifen, ohne ein schlüssiges Konzept zu haben.
Wenn Sie sagen, mit den Maßnahmen, die Sie jetzt aufden Weg bringen, würde die finanzielle Krise bewältigt,kann ich nur feststellen: Nein, Sie verschärfen sie sogarteilweise noch. Sie erzählen uns immer nur, wie Sie dieArzneimittelausgaben beschränken, aber Sie erzählen denMenschen nicht, dass Sie auch den Kollektivregresszurücknehmen und damit wieder Mindereinnahmen inder gesetzlichen Krankenversicherung haben.So kann man mit den Menschen in unserem Land nichtumgehen. Die Situation ist ernst. Sie haben die Dingeschleifen lassen und versäumt, rechtzeitig schlüssige Re-formen auf den Weg zu bringen.
Die wirklichen Probleme werden weder angepackt nochgelöst. Dies ist für unsere Versicherten, die Menschen inunserem Land, eine Zumutung. Ändern Sie endlich radi-kal den Kurs; es ist notwendig!
Ich erteile
das Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfinde es schon richtig, dass hier immer wieder angemerktwird, dass wir über weitere Schritte einer qualifiziertenForm des Gesundheitswesens diskutieren müssen undinsbesondere darüber, wie es uns gelingt, auch weiterhinden Trend der sinkenden Beiträge
für die Sozialversicherung, das heißt für die Lohnneben-kosten insgesamt, abzusichern.Aber ich finde, Herr Kollege Fink, Herr KollegeSeehofer oder Herr Kollege Lohmann, das sollten wirdann doch auf der Basis der Tatsachen tun. Dann solltenSie zum Beispiel nicht, wie Sie das hier getan haben,verschweigen, dass Sie die Gesundheitsreform 2000 inganz wesentlichen Punkten gekippt haben,
die notwendig gewesen wären, um weitere Reform-schritte im Gesundheitswesen voranzubringen.Sie sollten sich auch nicht hier hinstellen und davon re-den, dass Sie das Gesundheitswesen und insbesondere dieBeiträge in einer stabilen Situation hinterlassen haben.Das ist definitiv die Unwahrheit; das ist falsch.
Weil das falsch ist, möchte ich Ihnen doch die nüchternenZahlen noch einmal nennen.In den 90er-Jahren
sind die Beiträge zu den Sozialversicherungen galoppie-rend gestiegen. Wir haben diesen Galopp beendet. Wirhaben eine Trendwende eingeleitet.
Wir hatten in den Jahren 1990 bis 1998 eine Steigerungder Lohnnebenkosten, der Sozialversicherungsbeiträge,von 35,8 Prozent auf 42,1 Prozent. Wir hatten in dieserZeit eine Steigerung der Krankenversicherungsbeiträgevon 12,8 Prozent auf 13,6 Prozent. Auch im letzten Jahrvor der Regierungsübernahme, von 1997 auf 1998, gab es
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Annette Widmann-Mauz17610
noch einmal eine Steigerung der Krankenversiche-rungsbeiträge um 0,3 Prozentpunkte.Und da stellen Sie sich hier hin und behaupten imErnst, Sie hätten eine stabile Beitragsentwicklung hinter-lassen. Das ist definitiv nicht richtig!
Wir haben heute ein Niveau der Nebenkosten von40,8 Prozent. Sie haben 42,1 Prozent hinterlassen. Dergrößte Beitrag zu dieser Senkung ist durch die Renten-reform,
ist durch die Beiträge zur Rentenversicherung – Sie habenRecht, durch die Ökosteuer – erzielt worden. Wir habenim gleichen Zeitraum die Beiträge zur gesetzlichen Kran-kenversicherung stabil gehalten. Das ist vor dem Hinter-grund der schwierigen Situation gerade in der Kranken-versicherung eine wirklich gute Leistung gewesen. Undwir haben die Beiträge in der Arbeitslosenversicherungstabil gehalten.Meine Damen und Herren, was die Ernsthaftigkeit, denWillen, die Beitragsentwicklung zu stabilisieren, undzwar in allen Sozialversicherungssystemen, in der Kran-kenversicherung, in der Rentenversicherung, in der Ar-beitslosenversicherung, anbelangt, können Sie uns nunwirklich nichts vormachen. Wir haben nicht geredet, son-dern in diesen Bereichen gehandelt. Ich sage Ihnen: Wirwerden diese Politik fortsetzen!
In der aktuellen Situation ist es ganz sicher so, dass dienotwendigen Reformschritte auch im Gesundheitswesendie Beitragsstabilisierung garantieren müssen und garan-tieren können.
In der aktuellen Situation ist es so, dass ein zusätzlicherBeitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten allerdingsüber die Arbeitslosenversicherung erbracht werden kannund erbracht werden muss. Wir haben in den letzten Jah-ren mit dieser Politik der Beitragssenkung, der Senkungder Sozialabgaben und der Steuern positive Beiträgezur Beschäftigungsentwicklung geleistet. Diese Beiträgewerden sich in den nächsten Jahren weiter auszahlen. Wirhaben aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung – sinkendeArbeitslosenzahlen, steigende Beschäftigtenzahlen – Luft.Auch wenn sich der Trend abschwächt, haben wir diesepositiven Daten.Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: In der Kran-kenversicherung können wir die Beiträge stabilisieren.Das ist unser politischer Beitrag. In der Arbeitslosenver-sicherung können wir im nächsten Jahr mit den Beiträgenheruntergehen. Das wäre die Umsetzung dessen, was wiran beschäftigungspolitischer Entspannung schon erreichthaben.Danke schön.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang Zöller.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich kurz aufeinen einmaligen Vorgang von gestern zurückkommen,damit man die Art und Weise des Umgangs mit dem Par-lament erkennt.
40 Minuten vor der Regierungsbefragung teilt man unsmit, dass man das Thema wechseln möchte. Es sollte stattüber den Länderfinanzausgleich über die gesetzlicheKrankenversicherung gesprochen werden, obwohl dasBundeskanzleramt eigentlich wissen musste, dass a) dieMinisterin zu diesem Zeitpunkt in Amerika war undb) zum gleichen Zeitpunkt der Gesundheitsausschuss imRoten Rathaus tagte. Da bedurfte es einer Geschäftsord-nungsdebatte, um dieses unsinnige Vorgehen zu verhin-dern.Meine Damen und Herren, wenn sich dann noch IhrParlamentarischer Geschäftsführer hier hinstellt und sagt,warum regt ihr euch überhaupt auf, ihr wolltet doch schonimmer über Gesundheit reden, erkennt man: Die Macht-arroganz ist wirklich nicht mehr zu überbieten!
Nun zu Ihnen, Frau Ministerin: Sie versuchen, sich im-mer wieder mit der Behauptung herauszureden, dass diejetzige kritische Situation der gesetzlichen Krankenver-sicherung eine Erblast von Horst Seehofer sei. Dass dieseÄußerung falsch ist, kann Ihnen jeder seriöse Fachkennerbeweisen und vorrechnen.Rot-Grün bekam ein Gesundheitssystem übergeben, indem die Beitragssätze über sechs Jahre stabil waren. Es istdoch unredlich, wie Sie mit Zahlen umgehen. Wir haben1992 gemeinsam mit der SPD eine Reform beschlossen,und 1993, 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 waren dieBeiträge stabil. Das ist nachzulesen!
Man sollte wenigstens die Zahlen zur Kenntnis nehmen.Hinzu kommt – das sage ich, wenn Sie uns vorhalten,auch wir hätten Fehler gemacht, weil wir Umschichtun-gen mit versicherungsfremden Leistungen vorgenommenhaben –: Trotz dieser Umschichtungen gab es in der ge-setzlichen Krankenversicherung, als sie übergeben wur-de, einen Überschuss. Mit anderen Worten: Trotz dieserMaßnahmen gab es einen Überschuss und über sechs, sie-ben Jahre hinweg stabile Beiträge.
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Dr. Thea Dückert17611
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es wäre wesentlich sinnvoller gewesen, diese finanziellstabile Zeit zu nutzen, um mit allen Beteiligten an einerwirksamen Reform zu arbeiten. Rot-Grün hat diese großeChance vertan.Sie haben sich anscheinend auch viel mehr damitbeschäftigen müssen, ständig neue Ministerinnen einzu-arbeiten, neue Staatssekretäre und Abteilungsleiter zu be-nennen, statt sich um die tatsächlichen Probleme zu küm-mern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Kran-kenkassen jetzt gezwungen sind, die Beiträge sehr dras-tisch zu erhöhen – zum Teil um 7,25 Prozent –, ist aus-schließlich auf Fehlleistungen und Fehlentscheidungenvon Rot-Grün zurückzuführen. Ich nenne jetzt nur einigeBeispiele, die Rot-Grün allein zu verantworten hat.Erstens. Sie haben den Krankenkassen zusätzlich dieInstandhaltungskosten für die Krankenhäuser aufgebür-det.
Zweitens. Sie haben die Beitragsbemessungsgrundla-gen für Arbeitslose gesenkt – Geschenk an Riester zulas-ten der Versicherten!Drittens. Sie haben die Beiträge für den Bezug von Ar-beitslosenhilfe gesenkt – Geschenk an Riester zulastender Versicherten!Viertens. Die Minderung der Beiträge für Rentnerdurch Ihre willkürliche Absenkung des Rentenniveausgeht wiederum zulasten der gesetzlichen Krankenver-sicherung.Sie verschlechtern massiv die Einnahmeseite und wun-dern sich dann, dass die Beiträge steigen.Ihr Meisterstück, sehr geehrte Frau Ministerin, waraber die Ankündigung der Arzneimittelbudgetaufhebung,ohne vorher wirksame Alternativen festzulegen, die eineKostensteigerung verhindert hätten.Neuerdings kann man in der Presse von Plänen desKanzleramts lesen, dass die Bürger für ihre Gesundheitmehr zahlen müssten – allerdings erst nach der Bundes-tagswahl 2002. Ich habe eine ganz große Bitte: Seien Sieehrlich und sagen Sie endlich der Bevölkerung vor derWahl, was Sie vorhaben. Sonst müsste man wie der „Köl-ner Express“ zu der Meinung kommen – mit diesem Zitatmöchte ich schließen –:Mal spricht Gesundheitsministerin Schmidt vonMindestbeitrag. Dann ist das wieder „Geschwätz vongestern“. Nein, die Beiträge sollen nicht steigen.Dann steigen sie doch, weil die Arzneimittelbudgetskippen sollen. Mal gibt’s bei der Bundesregierung
„unverbindliches Arbeitspapier“. Dann spricht dieMinisterin von „dynamischen Leistungskatalogen“,die immer wieder überprüft werden sollen. Alles po-litische Leerformeln. Keiner blickt mehr durch. So,Frau Ministerin, verspielt man Vertrauen in dieGesundheitspolitik.
Als letzter
Rednerin in dieser Aktuellen Stunde gebe ich der Kolle-
gin Marga Elser für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Kollegin-nen und Kollegen! Es ist eben nicht richtig, was Sie sagen,denn wir hatten an Beitragssätzen in der Krankenver-sicherung – wir brauchen uns nur die Zahlen genau anzu-gucken – 1995 13,15 Prozent, 1996 13,48 Prozent, 199713,58 Prozent und 1998 13,62 Prozent.
Im Gegensatz dazu senkt diese Koalition die Lohnneben-kosten
und das ist nach wie vor richtig. Im Gesundheitsbereichhaben wir ja – das ist etwas anders als bei der Rentenver-sicherung; das ist völlig richtig – ein Zusammenspiel vonvielen Kräften.
Das sind alles Leute, die auch mit entscheiden. Es gibtdie Krankenversicherung, die Patienten, die Selbstver-waltung, die Ärzte, die Krankenhäuser, die Pharmain-dustrie und die Beschäftigten. Insofern muss man schonsehen, dass Sie hier etwas verbreiten, das einfach nichtstimmt.Natürlich ist es so, dass uns die Situation steigenderBeitragszahlungen nicht passt. Dass wir für die Senkungder Lohnnebenkosten eigentlich eher eine Minderung ge-wollt hätten, ist auch richtig. Aber auf der anderen Seitesage ich Ihnen, dass Sie keinen Grund haben, uns dieseBeitragssatzerhöhung anzukreiden.
Wir liegen mit den Lohnnebenkosten immer noch besserals Sie,
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Wolfgang Zöller17612
und gleichzeitig werden wir natürlich alles dafür tun,diese Beitragssatzerhöhung so bald wie möglich obsoletzu machen.
Ich möchte nur noch einmal daran erinnern – dabeigehe ich gar nicht vor das Jahr 1998 zurück, weil ich da-mals noch nicht hier war –, was Sie beispielsweise inIhrem Antrag zum Pflege-Leistungsverbesserungsgesetzvorgeschlagen haben. Sie wollten 1,5 Milliarden DM ausder gesetzlichen Krankenversicherung für die Pflege De-menzkranker verwenden.
– Ja, gut. Aber die Krankenkassen haben es natürlich ab-gelehnt, dass die Behandlungspflege durch die GKV be-zahlt werden soll.
– Sie haben mit ungedeckten Schecks etwas Gutes tunwollen.
Alles, was Sie bisher an GKV-relevanten Maßnahmenvorschlagen, würde grundsätzlich zur Erhöhung derBeiträge führen.
Was gesundheitspolitisch Ihre einzige große Leistungist, ist der Vorschlag der Grundversorgung, bei der die Pa-tienten tief in die eigene Tasche greifen müssten.
Wir wollen, dass es eine gute medizinische Versorgungaller Patienten in Deutschland gibt. Wir sind auch derMeinung, dass die Krankenkassenbeiträge insgesamtnicht steigen werden. Dafür tun wir auch einiges; das istschon mehrmals gesagt worden.Aber wir wollen natürlich auch die Positivliste. Wirbrauchen auch mehr Kontrolle und eine gesicherte Daten-lage. Erhebliche Einsparmöglichkeiten gibt es bei denMedikamenten. Gerade bei den Medikamenten, dieschließlich ein Grund dafür sind, dass die Kosten so starkgestiegen sind, müssen wir genau nachschauen, was ver-ordnet wurde. Ich meine, dass es sich oft um Pseudoinno-vationen oder um umstrittene Arzneimittel handelt, für diesehr viel Geld ausgegeben wird. Wir merken eben, dass esPräparate gibt, die nicht besser sind als andere, die aberbeispielsweise 70-mal mehr als andere, gleich viel werteMedikamente kosten. Hier erwarten wir auch ein Handelnder Selbstverwaltung. Da muss etwas kommen!
Ich meine, dass wir eine Medizin brauchen, die für diePatienten das ausgibt, was diese brauchen, aber nicht fürumstrittene Arzneimittel. Ich appelliere in diesem Zusam-menhang natürlich auch an die Krankenkassen, aber auchan die Kassenärztliche Vereinigung, dass wir auf diesemSektor zusammenarbeiten. Dann können wir auch dieseEinsparungen erzielen.
Die Wirtschaftlichkeit ist gerade in diesem großen Ge-sundheitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherungunendlich wichtig. Man kann nicht so, wie Sie es machen,auf der einen Seite alles fordern, was lieb und teuer ist,und auf der anderen Seite versuchen, uns vorzuführen,weil die Krankenversicherungsbeiträge erhöht werdensollen. Dies ist kein fairer Wettbewerb.
Die AktuelleStunde ist beendet. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungs-punkte 5 a bis 5 e sowie den Zusatzpunkt 7 auf:5 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertragvon Nizza vom 26. Februar 2001– Drucksache 14/6146 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussb) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Beschluss des Rates vom 29. September2000 über das System der Eigenmittel der Eu-ropäischen Gemeinschaft– Drucksache 14/6142 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion
– Drucksache 14/6464 –Berichterstattung:Abgeordnete Rainer FornahlUrsula HeinenChristian SterzingDr. Helmut HaussmannUwe Hikschc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung Bericht der Bundesregierung über die
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Marga Elser17613
Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberi-schen Befugnisse des Europäischen Parlaments2000– Drucksache 14/5221 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-ordnungAuswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussd) Beratung der Beschlussempfehlung und Berichtdes Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union zu dem Antragder Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch,Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und derFraktion der PDSFür eine verbindliche und erweiterbare Eu-ropäische Charta der Grundrechte– Drucksachen 14/4654, 14/5379 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer
Peter AltmaierClaudia Roth
Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerUwe Hiksche) Beratung der Beschlussempfehlung und Berichtdes Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union
– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-neten Günter Gloser, Hans-Werner Bertl,Hans Büttner , weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-geordneten Christian Sterzing, Claudia Roth
, Ulrike Höfken, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion des BÜNDIS-SES 90/DIE GRÜNENzurAbgabe einer Erklärung der Bundesre-gierung zum bevorstehenden EuropäischenRat in Nizza am 7./8. Dezember 2000– zu dem Antrag der Abgeordneten PeterHintze, Peter Altmaier, Rente Blank, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUDer Europäische Rat von Nizza muss zumErfolg für Europa werden– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-neten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Dr. GregorGysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder PDSzurAbgabe einer Erklärung der Bundesre-gierung zum bevorstehenden EuropäischenRat in Nizza vom 7. bis 9. Dezember 2000– zu dem Antrag der Abgeordneten WolfgangGehrcke, Dr. Gregor Gysi, Uwe Hiksch, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der PDSDie Europäische Union als Zivilmacht aus-bauen– Drucksachen 14/4733, 14/4732, 14/4666,14/4653, 14/5386 –Berichterstattung:Abgeordnete Michael Roth
Peter HintzeChristian SterzingErnst BurgbacherUwe HikschZP 7 Beratung des Antrag der Abgeordneten UweHiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und derFraktion der PDSVertrag von Nizza nachverhandeln– Drucksache 14/6443 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger AusschussRechtsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wortfür die SPD-Fraktion dem Kollegen Günter Gloser.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Was ist nicht alles über dieRegierungskonferenz von Nizza und deren Ergebnissegeschrieben worden! Was ist nicht alles kritisiert worden!In einer Reihe von Debatten haben wir deutlich gemacht:Wir haben uns mehr erwartet. In einigen Punkten wärenin der Tat weiter gehende Änderungen notwendig gewe-sen.
Aber bei aller Kritik dürfen wir doch nicht das große Zielaus den Augen verlieren. Es geht um die Einigung unse-res Kontinents in Frieden und Demokratie. WelchePerspektive für diesen Kontinent! Welche Perspektive fürseine Menschen! Welche Perspektive aber auch für unserLand!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Maas-tricht und in Amsterdam standen die institutionellen Re-formen bereits auf der Tagesordnung. Diese Regierungs-konferenzen haben darauf keine Antworten gefunden; siesind daran gescheitert. In Nizza haben die Staats- und Re-gierungschefs eine Lösung gefunden. Schon deshalb istNizza bei aller sicher berechtigten Kritik ein Erfolg. SechsMonate nach Nizza ist es an der Zeit, eine nüchterne Bi-lanz zu ziehen. Dies wird offensichtlich auch dem Euro-päischen Parlament immer bewusster und wenn ich das
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17614
richtig verstanden habe, ist sogar die F.D.P. dabei, ihrebislang ablehnende Haltung zu überdenken. Grundsätz-lich gilt: Wir brauchen den Vertrag. Ohne ihn können wirdie Erweiterung nicht vollziehen.In Berlin hat die Europäische Union unter deutscherRatspräsidentschaft den finanziellen Rahmen für die Er-weiterung beschlossen.
In Nizza wurden die institutionellen Voraussetzungen fürdie Erweiterung geschaffen.
Damit hat die Europäische Union die beiden zentralen Be-dingungen für ihre Erweiterungsfähigkeit erfüllt.
– Herr Müller, ich weiß, an der Stelle sind Sie nicht lern-fähig. Deshalb sind Ihre Zwischenrufe ohne Belang.
Das sehen die Beitrittsländer genauso. Deren Reak-tion auf Nizza, Herr Müller, sollten Sie entsprechend be-werten. Deshalb fällt deren Bewertung der Ergebnissevon Nizza uneingeschränkt positiv aus. Im Unterschiedzur umfassenden Medienkritik an den Ergebnissen vonNizza haben unsere Partner aus den Beitrittsländern dieBotschaft von Nizza sehr wohl verstanden.
In Nizza haben die Staats- und Regierungschefs aucheinen Fahrplan für den Verhandlungsprozess vereinbart.In Göteborg haben sie den Fahrplan präzisiert. Sie wollendie Verhandlungen mit den am besten vorbereiteten Bei-trittskandidaten bis Ende 2002 abschließen. Wohl wahr,das ist eine ehrgeizige Zielvorgabe, aber wir wollen es ge-meinsam schaffen.Aber auch für die europäische Integration bringt derVertrag Fortschritte. Dies darf nicht darüber hinwegtäu-schen, dass der Vertrag die Handlungsfähigkeit der Euro-päischen Union nicht so weit gestärkt hat, wie wir – ichdenke, fraktionsübergreifend – bis vor Nizza geforderthatten. Der Übergang zur qualifizierten Mehrheit konntein vielen politischen, sensiblen Bereichen nicht erreichtwerden. Dafür muss man Gründe nennen: Ausschlagge-bend war das Beharren auf nationalen Interessen. WennEuropa vorankommen will, muss hier ein Umdenkenstattfinden. Wer für mehr Integration eintritt, muss beisich zu Hause – also auch wir bei uns hier – dafür dieVoraussetzungen schaffen. Die Regierungskonferenz inNizza war deshalb so schwierig, weil es auch um die Neu-verteilung institutioneller Macht ging. Daraus müssen wirdie Lehre ziehen, dass das Machtgleichgewicht zwischengroßen und kleineren Mitgliedstaaten eine elementare Vo-raussetzung für das Funktionieren der EuropäischenUnion ist. Deshalb konnten und wollten zum Beispiel diekleineren Mitgliedstaaten nicht auf einen eigenen Kom-missar verzichten.Aus deutscher Sicht bleibt festzuhalten, dass die de-mokratische Legitimation der Ratsbeschlüsse in Nizzagestärkt wurde. Das gilt vor allem für das Prinzip der dop-pelten Mehrheit.Der Vertrag von Nizza darf insgesamt nicht als einRückschritt betrachtet werden. Er ist vielmehr ein wichti-ger Schritt auf dem Wege zu einem vereinten Europa.
Wir dürfen auch nicht übersehen, dass mit dem Vertragvon Nizza trotz allem die Integrationsqualität gestiegenist: Die Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit imRat wurden auf weitere Bereiche ausgedehnt. Die ver-stärkte Zusammenarbeit ist entschlackt worden. Die euro-päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmtdeutliche Konturen an. Die Verabschiedung der Grund-rechtecharta ist ein Fundament auf dem Weg zu einer Ver-fassung der Europäischen Union.Unsere Aufgabe ist es nun, den Vertrag von Nizza zuratifizieren. Bundesregierung und Bundesrat haben be-reits ihre Standpunkte bezogen. Die Stellungnahmen zei-gen, dass beide Verfassungsorgane an ihren unterschied-lichen Rechtsstandpunkten festhalten. Der Bundesratbesteht auf einer Ratifizierung des Vertrages von Nizzamit verfassungsändernder Mehrheit.
Die Bundesregierung hält eine Ratifizierung mit einfa-cher Mehrheit für ausreichend.
Unser politisches Ziel sollte es sein, die Ratifizierungrechtlich unanfechtbar und rechtzeitig vor dem Europä-ischen Rat in Laeken im Dezember 2001 abzuschließen.
– Für uns steht die politische Bedeutung des Vertrages,lieber Herr Kollege Müller, im Vordergrund.
Deshalb sind wir der Auffassung, dass sich der Bun-destag im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens par-teiübergreifend auf die Ratifizierung des Vertrages von Niz-za mit verfassungsändernder Mehrheit verständigen sollte.
Damit wäre eine zügige Ratifizierung des Vertragesvon Nizza gewährleistet und damit erreichen wirRechtssicherheit in Bezug auf den Bundesrat. Diese
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Günter Gloser17615
Rechtssicherheit im Hinblick auf den Vertrag von Nizzaist von deutschem, aber auch von europäischem Interesse.
Bei einer umfassenden Würdigung der Ergebnisse vonNizza darf die Erklärung zur Zukunft der Europä-ischen Union nicht fehlen. Mit dieser Erklärung habendie Staats- und Regierungschefs den Beginn eines verfas-sunggebenden Prozesses für die Europäische Union ein-geleitet. Ich will hier ganz deutlich sagen: Diese zu-kunftsweisende Erklärung hätte es ohne die intensiveÜberzeugungsarbeit von Bundeskanzler Schröder undAußenminister Fischer bei unseren Partnern und ohne dieintensive Zusammenarbeit mit der damaligen ita-lienischen Regierung nicht gegeben. Deshalb sollten wirdem Bundeskanzler und auch Ihnen, sehr geehrter HerrAußenminister, ganz herzlich dafür danken.
Wo stünden wir denn heute, wenn wir diese Erklärungnicht hätten? Wo stünden wir heute, wenn wir keine De-batten über die besten Konzepte für Europa, keine Debatteüber eine Verfassung hätten? Die Erklärung zur Zukunftder Europäischen Union ist ein schlagender Beweis dafür,dass die Bundesregierung ihr europapolitisches Hand-werk versteht.Besonders wichtig ist, dass es vor der nächsten Regie-rungskonferenz eine breite öffentliche Debatte über dieReform der Europäischen Union gibt. Wir stellen unsdamit dem Befund, dass die Zustimmung der Bürgerinnenund Bürger zum europäischen Projekt in den letzten Jah-ren ziemlich stetig gesunken ist. Europa ist in die Schlag-zeilen geraten – und das nicht nur, seit es BSE oder MKS,sprich: die Maul- und Klauenseuche, gibt.
Viele Bürgerinnen und Bürger verstehen Europa nichtmehr. – Manche verstehen davon aber vielleicht mehr alsSie, Herr Müller. – Sie haben eben nicht das Gefühl, dasses auf ihre Stimme ankommt. Brüssel, die europäischenInstitutionen haben für sie kein Gesicht.Mit der Regierungskonferenz 2004 haben wir dieChance, Europa den Bürgerinnen und Bürgern zurückzu-geben. Kurz: Wir wollen die demokratische Legitimationin der Europäischen Union stärken. Darum brauchen wireine Parlamentarisierung und Demokratisierung dereuropäischen Institutionen.Worum muss es also im Jahre 2004 und vor allem da-vor gehen?Erstens. Wenn jeder Bürger im Prinzip verstehen soll,wie die Europäische Union funktioniert, müssen die eu-ropäischen Verträge lesbarer werden.Zweitens. Verständlich kann die Europäische Unionfür die Bürgerinnen und Bürger aber nur dann werden,wenn klar ist, wer wofür verantwortlich ist.
Die Aufgabenverteilung zwischen der nationalen und dereuropäischen Ebene muss deshalb auf den Prüfstand.
Drittens. Die demokratische Legitimation auf der eu-ropäischen Ebene kann auf absehbare Zeit nicht auf dieArt und Weise erfolgen, wie dies in den Mitgliedstaatenmöglich ist. Deshalb ist es richtig, dass wir uns währenddes Reformprozesses auf dem Weg zur Regierungskonfe-renz 2004 mit der Frage befassen, wie die Rolle der na-tionalen Parlamente gestärkt werden kann.
Viertens. Wir müssen klären – da gibt es für uns ei-gentlich gar keinen großen Klärungszwang –, wie dieGrundrechtecharta in die Verträge integriert und rechts-verbindlich werden kann.Ich will eine weitere Aufgabe nennen: Wir müssen unsder Frage stellen, wie das Verhältnis der europäischen In-stitutionen zueinander weiterentwickelt werden soll. Wol-len wir einen immer stärker werdenden Rat auf Kosten derEuropäischen Kommission, das heißt, wollen wir in Rich-tung auf eine Zusammenarbeit der Regierungen gehen,oder wollen wir mehr einen Integrationsansatz, das heißt,die Vergemeinschaftung stärken und damit neben dem Ratdas Gewicht der Europäischen Kommission und des Eu-ropäischen Parlaments ausbauen? Dies ist sicherlich vonunserer Seite zu befürworten.Parlamentarisierung heißt aber auch, dass wir die eu-ropäischen Verträge nicht mehr so wie bisher reformierenkönnen. Das Instrument der Regierungskonferenz ist anseine Grenze gestoßen. Deshalb treten wir mit Nachdruckdafür ein, für die Reform 2004 ein Gremium, ähnlich demKonvent für die Formulierung der Grundrechtecharta,einzusetzen. In Anlehnung an die Aussage von WillyBrandt „Mehr Demokratie wagen“ sage ich: Wir müssenin Europa mehr Parlament wagen.Aber ich muss dazu sagen: Der Konvent wird kein All-heilmittel für all die vielen Schwierigkeiten sein, die es aufdem Weg zu einer europäischen Integration immer nochgibt und auch künftig geben wird. Wer Europa voranbrin-gen will, muss im Zweifel nationale Interessen hintanstel-len und für das europäische Interesse eintreten. Das ist diewichtigste Lehre, die wir aus Nizza ziehen müssen. Wennwir diese Lehre verstanden hätten, wäre mir um die Zu-kunft Europas nicht bange.Vielen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Hintze.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Nizza istdurch das Nein der irischen Bevölkerung neu in denBlickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Viele Bürger inEuropa empfinden angesichts der Kompliziertheit undUndurchschaubarkeit der Brüsseler Entscheidungs-
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Günter Gloser17616
prozesse Unbehagen. Herr Außenminister, der Vertragvon Nizza hat dieses Problem leider eher verschärft. Siepräsentieren uns heute ein ausgesprochen schwaches Er-gebnis zur Ratifizierung.
Europa in der Hand der Regierungen ist weit weg vonden Menschen. Deswegen müssen wir Europa den Bür-gern wieder zurückgeben. Das ist die zentrale Aufgabe,die im europäischen Verfassungsprozess gelöst werdenmuss. Wir wollen die Europäische Union so weiterent-wickeln, dass sich die Bürger beteiligt fühlen, sie ein ech-tes Wahlrecht bekommen, das faktisch auch ein Recht zurWahl und Abwahl der Kommission, der europäischenExekutive, beinhaltet. Das Europäische Parlament sollder zentrale Ort für wichtige Entscheidungen werden. Eu-ropa käme dann den Bürgern viel näher. Nicht zuletzt eineklar gegliederte Kompetenzabgrenzung trägt dazu bei,dass Europäische Union und Bürgernähe keine Ge-gensätze mehr sind.
Der Vertrag von Nizza muss in allen 15 Mitgliedstaa-ten ratifiziert werden. Nun haben die Iren Nein gesagt. Esstellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Ist der Vertragvon Nizza mit dem irischen Nein tot? Ich sehe für Europanoch eine gute Chance, die Ratifikation auch in Irland zuschaffen, wenn die Art und Weise, wie der Vertrag vonNizza in den anderen europäischen Mitgliedstaaten bera-ten wird, wie die Ratifizierung dort abläuft und wie diePerspektiven für die Zukunft sind, die irische Bevölke-rung überzeugt.Ich will eines sagen – Herr Kollege Gloser hat es zag-haft angesprochen –: Deutschland ist jetzt an der Reihe.Unverständlicherweise hat sich die Bundesregierung dazuentschlossen, die Ratifizierung auf einer Art „low-level“durchzuführen, das heißt, auf der niedrigst möglichenEbene, nach dem Motto, es reiche, wenn Parlament undBundesrat mit einfacher Mehrheit zustimmten.Nun kann man im Hinblick auf die dürftigen Ergeb-nisse von Nizza politisch zu dem Schluss kommen, dasseine einfache Mehrheit vielleicht reicht. Integrationspoli-tisch, Herr Außenminister, halte ich es aber für einenschweren Fehler der Regierung, so zu verfahren. Die iri-sche Regierung hört auf ihre Bevölkerung, unser Bundes-kanzler Schröder dagegen hört nicht einmal auf seine ei-gene Fraktion.
Ich bedaure, dass er heute nicht hier ist. Ausnahmsweisemüssen wir den Außenminister für etwas kritisieren, fürdas er zwar als Regierungsmitglied Verantwortung trägt,das aber nicht aus der Tiefe seines Herzens gekommen ist.
Im Europaausschuss herrscht unter allen Abgeordneteneine breite Übereinstimmung darüber, dass das Ratifizie-rungsgesetz zum Nizza-Vertrag mit einer Zweidrittel-mehrheit ausgestattet werden sollte. Ich stehe nicht an zusagen: Ich freue mich, dass sich der Kollege Gloser ebenhier hingestellt und gesagt hat, dass diese Überzeugungauch weiterhin gilt. Ich finde es sehr anständig, dass er dasgetan hat.
In Kenntnis der Stellungnahme des Bundesrates, von15 Ministerpräsidenten, 15 Justizministern und 15 Europa-ministern und in Kenntnis der Stellungnahme der Frak-tionen des Deutschen Bundestages sagt die Bundesregie-rung trotzig: Einfache Mehrheit soll es sein. – Was ist das?Ist das Angst vor dem Parlament oder Ignoranz?
Was steckt dahinter? Der Bundeskanzler sagt: Basta, ein-fache Mehrheit, und das ist gut so.
Ich erinnere mich noch an die Ratifizierung des Ams-terdamer Vertrages. Hier im Haus sitzen einige, die dasauch noch in Erinnerung haben. Die damalige Bundes-regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl hatte ur-sprünglich die Absicht, den Amsterdamer Vertrag nachArt. 23Abs. 1 Satz 2 hier zur Ratifizierung vorzulegen. Eswaren die Vertreter der Grünen – ich glaube, Herr Fischerwar damals Sprecher der Grünen –
und die Vertreter der SPD, die an die Regierung herange-treten sind und gesagt haben: Lasst uns alle juristischenFallstricke und Unsicherheiten ausräumen und dies alseine gemeinsame Aufgabe verstehen. Die Bundesregie-rung hat das damals aufgegriffen und das Ganze entspre-chend eingebracht. Es gab dann eine Zweidrittelmehrheitfür die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages.
Deshalb finde ich es einerseits schön, dass sich die Re-gierungsfraktionen daran erinnern – das erleben wir hierim Parlament nicht immer; dies ist endlich einmal einFortschritt –, andererseits aber schade, dass der Bundes-kanzler, der die Ratifizierung des Vertrages von Nizza fürnicht wichtig genug hält, um hier im Parlament zu sein,anders entschieden hat. Auch wenn wir das Angebot derSozialdemokraten aufgreifen, die Sache zu heilen, wärees korrekter und sicherer, die Bundesregierung würde die-sen falschen Gesetzentwurf zurückziehen und dem Parla-ment einen neuen Gesetzentwurf mit einer geändertenEingangsformel zuleiten.
Ich möchte noch etwas sagen: Trotz der in der Sacheunbefriedigenden Ergebnisse besteht eine breite Überein-stimmung, diesen Vertrag wegen der grundlegenden Wir-kung für die Osterweiterung, die wir als die große histo-rische und politische Aufgabe verstehen, zu ratifizieren.
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Peter Hintze17617
Es ist mir ein völliges Rätsel, wie es eine Regierungschafft, eine im Parlament vorhandene Zweidrittelmehr-heit, die bereit ist, einen solchen Vertrag zu tragen, durchreine Rechthaberei in Gefahr zu bringen.
Wenn die Opposition gebeten wird, europapolitisch be-deutsame Dinge mitzutragen und nicht aus taktischenGründen Schwierigkeiten zu schaffen, wie wir das in un-serer Regierungszeit mit Ihnen bei manchen Themen er-lebt haben, muss man mit ihr fair umgehen.
Es spricht für das Funktionieren des Parlamentarismus,dass der Kollege Gloser von der SPD erklärt hat, dass Siedie Auffassung, die Sie im Europaausschuss vertreten ha-ben, trotz des gegenteiligen Votums der Bundesregierungauch hier im Parlament vertreten. Dies ist ein Zeichen fürdie Unabhängigkeit des Parlaments; dies wird unseremAuftrag gerecht. Insofern halte ich das für eine positiveSache.
Der Nizza-Vertrag selbst ist leider ein Beitrag zur Stei-gerung der Unübersichtlichkeit und zur Absenkung derdemokratischen Kontrolle in Europa. Die Verträge sindunübersichtlicher geworden. Wir hatten uns eine Verein-fachung gewünscht und es ist eine Komplizierung he-rausgekommen. Ich bitte den Außenminister, nicht nurkräftig zu gähnen, was möglicherweise auf Sauerstoff-mangel beruht, sondern uns auch dazu ein Wort zu sagen.
Die parlamentarische Demokratie und die Gewalten-teilung sind auf ziemlich niedrigem Niveau stecken ge-blieben. Es ist sogar geschafft worden, im Rat für vieleDinge eine Mehrheitsentscheidung zu beschließen undgleichwohl das Europäische Parlament an einer Mit-entscheidung zu hindern. Dies gilt selbst für ein Kern-element des Parlamentarismus wie das der Haushaltsord-nung. Ich habe das Gefühl, dass manche Regierungen dasParlament als Störenfried ansehen. Insofern wollen wirunsererseits als Parlament etwas stören, weil wir der Auf-fassung sind, dass die zentralen Entscheidungen in denParlamenten getroffen werden sollten. Das gilt für die na-tionalen Parlamente wie auch für das Europäische Parla-ment.
Das Treffen von Entscheidungen im Ministerrat wirdschwieriger und komplizierter. Man hat es geschafft, dassin Zukunft, wenn die Erweiterung durchgeführt ist, selbstbei einfachsten Fragen 74 Prozent der gewichteten Stim-men nötig sind, um überhaupt zu einer Entscheidung zukommen. Zusätzlich zu den zwei Hürden hat man einedritte Hürde errichtet. Entscheidungen zu treffen wirdnoch schwieriger, gerade wenn wir im größeren Kreisbeieinander sind.Ein ganz bedauerliches Ergebnis dieser Regierungs-konferenz ist, dass wir die neuen Partner Tschechien undUngarn bei der Sitzverteilung im Europäischen Parlamentdiskriminieren und ihnen weniger Sitze geben als Belgienund Portugal, obwohl sie mehr Einwohner haben. So kannPartnerschaft in Europa nicht aussehen. Deswegen fordernwir als CDU/CSU-Fraktion, dass das in den Beitrittsver-trägen mit Tschechien und Ungarn korrigiert wird und dieEuropäischen Verträge entsprechend geändert werden.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktionwird dem Nizza-Vertrag zustimmen, weil er der Schlüsselfür die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union ist.
Das ist eine große und bedeutende Aufgabe, der wir unsselbstverständlich stellen wollen. Wir weisen dabei daraufhin, dass auch der Kommissionspräsident, Herr Prodi, un-sere Unterstützung hat, der gesagt hat, dass die Dinge, diemit der Erweiterung verbunden sind, notfalls im Rahmender Beitrittsverträge geregelt werden müssten, und die an-deren Dinge im Rahmen des Verfassungsvertrages, wennes beim irischen Nein bleibt. Wir können die historischeAufgabe der Osterweiterung nicht auf Gedeih und Verderballein an den Vertrag von Nizza binden. Sie muss auch po-litisch weitergeführt werden, notfalls über den Weg derBeitrittsverträge mit den Einzelregelungen oder des Ver-fassungsvertrags mit den grundlegenden Regelungen.Eines ist allerdings deutlich geworden – dafür hat dieKonferenz in Nizza ein eindrucksvolles Beispiel gelie-fert –: Die Methode Regierungskonferenz hat sich er-schöpft. Wir brauchen ein neues, kreatives Verfahren. Fürdie Erarbeitung des Verfassungsvertrags brauchen wireine vorbereitende Versammlung aus Mitgliedern der na-tionalen Parlamente und des Europäischen Parlaments,der nationalen Regierungen und der Europäischen Kom-mission, die gleichberechtigt einen Entwurf erarbeiten,der dann im Rahmen der üblichen Vertragsabwicklungdurch eine Regierungskonferenz beschlossen und in denNationalstaaten ratifiziert wird. Dadurch ist man in derLage, für die Erarbeitung mehr Kreativität aufzubringenund mehr Konsens herzustellen, als das mit der üblichenMethode der Regierungskonferenz bisher der Fall war.Ich wünsche mir, dass wir dieses umfassende Projekt,die Weiterentwicklung der Europäischen Union, die Ge-staltung eines Verfassungsvertrages mit einer horizon-talen und einer vertikalen Kompetenzabgrenzung und dieErweiterung der Europäischen Union, als die große Auf-gabe im beginnenden 21. Jahrhundert angehen. Die CDU/CSU bietet der Regierung an, sie in den Grundfragen zuunterstützen. Wir bitten aber die Regierung, ihrerseits dasParlament und auch uns zu würdigen und diese Themenin einem fairen Verfahren zu besprechen und auf den Wegzu bringen, damit der europapolitische Konsens auch in-tegrationspolitisch von der Regierung gestützt wird.Schönen Dank.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Peter Hintze17618
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Sterzing.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir müssen zunächst ein Missverständnis ausräu-
men. Herr Kollege Hintze, ob der Nizza-Vertrag mit einer
Zweidrittelmehrheit oder einer einfachen Mehrheit verab-
schiedet wird, hat nichts mit der politischen Bedeutung
dieses Vertrags als solchem zu tun. Es gibt, wie beim
Amsterdamer Vertrag, eine juristische Auseinander-
setzung über die Frage, ob eine Zweidrittelmehrheit not-
wendig ist oder nicht; das hängt mit unklaren Artikeln im
Grundgesetz zusammen. Darüber kann man juristisch
streiten. Aber die Tatsache, dass die Bundesregierung hier
den Vorschlag macht, das Gesetz mit einer einfachen
Mehrheit durch das Parlament und den Bundesrat zu brin-
gen, lässt nun wirklich nicht den Rückschluss zu, dass die
Bundesregierung oder irgendeine der Regierungsfrak-
tionen der Meinung ist, dass der Vertrag von Nizza ohne
europa- oder integrationspolitische Bedeutung sei. Ich
glaube, es steht vollkommen außer Zweifel, dass Nizza
ein wichtiger Schritt im europäischen Integrationsprozess
ist.
Wenn Sie jetzt auf die Notwendigkeit einer Zweidrit-
telmehrheit hinweisen, für die vieles spricht, dann trifft
das deutsche Sprichwort zu, das heute schon einmal er-
wähnt worden ist: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit
Steinen werfen. Vor ein paar Monaten hat auch die CDU-
Opposition hier im Hause noch die Meinung vertreten,
eine Zweidrittelmehrheit sei nicht erforderlich. Dann gab
es Briefe aus dem Süden der Republik, die bestimmte
Überlegungsprozesse beschleunigten. Das kann ganz hilf-
reich sein. Insofern sollte man mit Häme vorsichtig sein.
Wir haben hier einen Dissens zwischen großen Teilen
des Parlaments und der Bundesregierung. Das haben wir
in den letzten Tagen deutlich besprochen. Da wir uns hier
aber in einer ganz großen Mehrheit einig sind, dass Nizza
ratifiziert werden soll, gerade auch aufgrund seiner inte-
grationspolitischen Bedeutung, bin ich davon überzeugt,
dass wir einen Weg aus dem augenblicklichen Dilemma
finden
und den Nizza-Vertrag politisch und juristisch sattelfest
ratifizieren werden.
Die Frage, ob Nizza es angesichts der Kritik, die in den
letzten Monaten an diesem Vertrag immer wieder geübt
worden ist, wert ist, ratifiziert zu werden, sollte nicht zu
parteipolitischen Spielchen verführen. Insofern hoffe ich
sehr, dass sich gerade die F.D.P. noch bewegt und von ih-
rer ursprünglich ablehnenden Haltung Abstand nimmt.
Das ist nicht ganz einfach.
Ich erinnere daran, dass gerade die F.D.P. in der Euro-
papolitik in den letzten Jahren immer das Hohelied auf die
Notwendigkeit der kleinen Schritte gesungen hat. Ich er-
innere daran, dass gerade gestern Herr Möllemann sich
sehr besorgt über die Position der F.D.P. geäußert hat. Er
hat gesagt, es wäre ein Treppenwitz, wenn jene Partei, die
sich immer für eine Politik der kleinen Schritte ausge-
sprochen habe, jetzt sagte, die in Nizza erreichten Schritte
seien nicht groß genug.
Insofern stellt sich doch die Frage: Sind in Nizza Fort-
schritte gemacht worden? Das ist zweifellos der Fall. In
vielen Bereichen sind Fortschritte gemacht worden. Die
Schritte sind nicht groß genug.
Wir konnten uns immer vorstellen, in Nizza größere
Schritte zu machen, mit größerer Entschlossenheit das
eine oder andere Reformvorhaben anzupacken. Das hat
auch die Regierung nie verschwiegen.
Die Tatsache, dass einige der Schritte sehr klein ge-
blieben sind,
führt nicht dazu, dass der Vertrag in Gänze abgelehnt wer-
den sollte. Denn eine solche Ablehnung wäre nur ge-
rechtfertigt, wenn Schritte unternommen worden wären,
die in die falsche Richtung gehen. Das kann ich wirklich
nicht sehen. Insofern müsste sich jeder, der diesen Vertrag
ablehnt, fragen lassen, was er damit auslöst, welche Steine
er damit dem Integrationsprozess in den Weg legt.
Diese Steine sind, glaube ich, offensichtlich. Ihr Kol-
lege Möllemann spricht das sehr deutlich aus. Er klagt
eine eindeutigere Position Ihrer Partei zur geplanten EU-
Osterweiterung ein. Er erinnert damit an ein ganz ent-
scheidendes, wenn nicht das entscheidende politische
Signal von Nizza, nämlich das grüne Signal für die Ost-
erweiterung. Sie und auch die PDS müssen sich klar wer-
den: Wer Nizza ablehnt, wer hier Nachbesserungen ver-
langt, der zerstört dieses Signal, der setzt den Fahrplan für
die Osterweiterung aufs Spiel. Das können wir uns poli-
tisch auf keinen Fall leisten.
Der zweite Punkt: Nizza ist – dies wurde schon er-
wähnt – ein wichtiger Schritt auf dem Reformweg der
Europäischen Union. Wir sprechen heute fast schon mehr
über den Post-Nizza-Prozess als über Nizza.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Sterzing, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger?
Ja.
Herr Sterzing, können Sie sich noch an Ihren Antrag erin-nern, den Sie am 4. März 1998 zu den Beratungen desVertrages von Amsterdam in den Bundestag eingebrachthaben? Ich sage nicht, dass ich die darin vertretene Auf-fassung teile. Aber Sie sagen dort:
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Angesichts der unzureichenden Ergebnisse derRegierungskonferenz, die nicht zuletzt auf diefalschen politischen Zielsetzungen zurückzuführensind, ist die Ratifizierung des Amsterdamer Vertragespolitisch abzulehnen.Weil es aber immerhin integrationspolitische Fortschrittein Teilbereichen gebe, wollten Sie sich damals – das ha-ben Sie dann auch getan – bei der Abstimmung über denAmsterdamer Vertrag enthalten. Das war Ihre Position zueinem Vertrag, der eindeutig einen größeren Schritt für dieIntegration der Europäischen Union bedeutet hat als derVertrag von Nizza. Wie bewerten Sie, Herr Sterzing, Ihredamalige Position aus heutiger Sicht? Ich finde Ihr Ver-halten, Herr Sterzing, widersprüchlich.
Ich empfehle Ihnen, meine ganze Rede zu lesen, die ich
damals gehalten habe.
Es muss, glaube ich, zwischen der Frage, ob es große oder
kleine Schritte in die richtige Richtung sind – das ist die
Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist; darüber
kann man politisch streiten –, und der Frage, ob Schritte
überhaupt in die richtige Richtung gemacht werden, un-
terschieden werden. Damals waren wir der Meinung, dass
einige der in Amsterdam beschlossenen Schritte – das
habe ich in meiner damaligen Rede auch ausgeführt – in
die falsche Richtung gehen. Diese Beurteilung des Ams-
terdamer Vertrages hat damals zu unserer Enthaltung ge-
führt.
Nun müssten Sie mir erklären, ob in Nizza ein Schritt
in die falsche Richtung gemacht worden ist, der eine voll-
ständige Ablehnung des Vertrages rechtfertigt. Dazu habe
ich von Ihnen bislang nichts gehört. Sie beklagen zwar,
dass zu wenige Reformschritte auf den Weg gebracht wor-
den seien. Aber Sie haben nicht gesagt, dass diese voll-
kommen falsch seien oder in die falsche Richtung gingen.
Ich glaube, wir müssen uns schon der Mühe unterziehen,
die einzelnen Vertragswerke, zu denen das Parlament lei-
der nur Ja oder Nein sagen kann, tatsächlich in ihrer Kom-
plexität zu beurteilen und daraus politische Schlüsse zu
ziehen.
Wenn man den Vertrag von Nizza ablehnt, dann signa-
lisiert man auch, dass man die Osterweiterung ablehnt.
Das darf auf keinen Fall geschehen. Des Weiteren ist mit
dem, was man als Post-Nizza-Prozess bezeichnet, eine
neue Reforminitiative angestoßen worden, gerade auch
durch die Bundesregierung. Wer gegen den Vertrag von
Nizza stimmt, muss auch erklären, was aus der Reform-
initiative, die gerade durch den Gipfel von Nizza auf den
Weg gebracht worden ist, werden soll. Darüber debattie-
ren wir bereits. Ich glaube, die Ablehnung des Vertrages
von Nizza wäre für den Reformprozess schädlich und
würde die Debatte über Reformen behindern.
Sicherlich gibt es gute Gründe, den Vertrag von Nizza
zu kritisieren. Aber es gibt bei allen Unzulänglichkeiten
auch gute Gründe, den Vertrag von Nizza zu ratifizieren;
denn damit fördert man sowohl den Erweiterungsprozess
als auch den weiteren Integrations- und Reformprozess in
der EU.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Es hat schon größereeuropäische Vertragswerke gegeben als den Vertragvon Nizza, an denen Redner hätten festmachen können,ob man ein Bewusstsein für Europa hat oder nicht.Amsterdam war jedenfalls ein größerer qualitativerSprung als Nizza. Damit hat meine Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger wirklich Recht.Meine Fraktion möchte zwar aus ganz grundsätzlichenErwägungen heraus dem Nizza-Prozess keine Steine inden Weg legen. Aber der Vertrag von Nizza ist im Ver-gleich zu anderen europäischen Verträgen nun wirklichkein großer Wurf. Niemand kann allen Ernstes das Ge-genteil behaupten. Es hat sicherlich schon stärkere undschwächere Gipfel gegeben. Aber die letzten europä-ischen Gipfel – die einzige Ausnahme ist der couragierteBeschluss von Göteborg, die Osterweiterung bis zurnächsten Wahl des Europaparlaments voranzubringen –haben keine wirklichen Spitzenleistungen hervorge-bracht.
Das muss hier auch gesagt werden. Es begann mit demBerliner Gipfel, auf dem die finanziellen Voraussetzun-gen für die Aufnahme der osteuropäischen Staaten ge-schaffen werden sollten. Tatsächlich wurden auf diesemGipfel die alte Agrarpolitik fortgesetzt und die Erhöhungder Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds fürWesteuropa beschlossen, sodass nur noch 30 Prozent derMittel für die Osterweiterung zur Verfügung standen. Daswar unter dem Gesichtspunkt der Nachbarschaft mit denosteuropäischen Staaten nicht fair. Das war das Ergebnisdes Berliner Gipfels.
Danach fanden weitere Treffen auf europäischer Ebenestatt. In Porto hat sich die Europäische Union aufge-macht, zu erklären, sie sei einer der größten Globalplay-ers, sie gehe jetzt entschieden nach vorne, sie privatisieredie Märkte, sie bringe die Forschung und die Entwicklungnach vorne, man müsse sie ernst nehmen, sie sei ein star-ker Wettbewerber. Als man sich in Stockholm traf, ist estrotz vieler vorbereitender deutsch-französischer Essennicht dazu gekommen, dass Märkte wirklich geöffnetworden sind, dass die Energieversorgung privatisiert wor-den ist und dass die Verbraucher als die entscheidende
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger17620
wirtschaftliche Macht gesehen worden sind. Man bliebgenau da stecken, wo wirtschaftliche Dynamik hätte ent-faltet werden können.
Dann folgte Nizza. Jeder in diesem Hause weiß, dassNizza gemessen an dem, was es hätte leisten sollen, einFehlschlag war. Alle, die von Nizza zurückkamen, sagten:Wir mussten zwar verhandeln, es blieb uns nichts anderesübrig – solche Stimmen gab es auch aus der deutschen De-legation –; aber es war nicht mehr herauszuholen. Wennman ein solches, etwas schwächliches Verhandlungser-gebnis zu kommentieren hat, dann muss man an diesemRednerpult aber nicht dreimal Halleluja schreien. Nizzaund Berlin sind, gemessen an dem notwendigerweise ehr-geizigen Ziel der Osterweiterung der EuropäischenUnion, Fehlschläge gewesen.
Man kann uns gerne fragen, ob man hätte ratifizierenmüssen oder ob es eine Alternative gab. Herr Bundes-außenminister, ich wäre schon dankbar, wenn der Ratifi-zierungsprozess in diesem Hause mit ruhiger Hand, wiees beim Bundeskanzler Mode geworden ist, durchgeführtwürde. Das gäbe uns vielleicht ein Stück mehr Hoffnungauf die belgische Präsidentschaft. Der belgische Premier-minister, unser liberaler Kollege, hat in diesen Tagen völ-lig zu Recht die Bezeichnung „Identitätskrise“ benutzt.Zwar haben Sie, Herr Bundesaußenminister – ich erinnerean Ihren Vortrag in der Humboldt-Universität –, der Bun-deskanzler und auch Herr Jospin wichtige Reden gehalten;aber zusammen haben Sie das Entscheidende nicht gesagt.
So sollte Europa nicht enden. Die Kette der Gipfel der letz-ten Jahre war hinsichtlich der Erweiterung nicht erfolg-reich.Dem Kollegen von den Grünen, der gesagt hat, dasssich an der Haltung gegenüber Nizza festmachen lasse, obman entschieden für die Erweiterung sei, entgegne ich:Wenn es nach dem Willen aller Abgeordneten der F.D.P.-Fraktion gegangen wäre, dann hätten wir die Erweiterungschon haben können, bedenkt man, mit welcher Zöger-lichkeit die Bundesregierung in die Erweiterungsver-handlungen gestartet ist.
Dieser Vorhalt erscheint besonders witzig, wenn manbedenkt, dass dieselbe Bundesregierung die Auffassungvertritt, man müsse doch die Erweiterung wollen. Dasmüssen Sie uns gar nicht vorhalten; denn es ist für uns eu-ropäische Verpflichtung und ein Stück Inhalt unsererPolitik, es ist unser Credo. Es ist ein Treppenwitz derWeltgeschichte, dass diese Bundesregierung, ohne ihreHausaufgaben zu machen, über Übergangsfristen vonsieben Jahren verhandelt.
Herr Bundesaußenminister, mir ist erst jetzt klar gewor-den, warum Sie eine Übergangsfrist von sieben Jahrenbrauchen: weil Ihre Anhänger tatenlos zusehen, wie beiVW5 000 Stellen – diese Stellen wären ein Erfolg der Be-schäftigungspolitik in Deutschland – nicht zustande kom-men.
Daran wird deutlich, welch krasses Missverhältnis zwi-schen Ihrer Beschwörung Europas und Ihrer Politik be-steht. Die Übergangsfristen im Hinblick auf die Erweite-rung der Europäischen Union nach Osteuropa in dieserDimension sind überhaupt nicht motivierend. Diese Fris-ten sind schlicht der Ausfluss mangelnder innenpoliti-scher Reformfähigkeit dieser Bundesregierung im Hin-blick auf den deutschen Arbeitsmarkt.
Wir haben in diesen Fragen keinen Nachhilfeunterrichtnötig.Kern des Problems ist, ob wir überhaupt wieder dieFähigkeit entwickeln, den Menschen zu vermitteln, worindie Dimension und die Notwendigkeit europäischer Auf-gaben besteht. Mir erscheint es so, dass die Menschennach der Katastrophe der deutschen Geschichte davonnoch wussten. Eine solche Kette von Gipfelveranstaltun-gen hat allmählich dazu beigetragen, dass die Menschendas völlig vergessen haben. Dem irischen Votum liegt fürmich keine Beliebigkeit zugrunde; vielmehr ist es einganz ernsthafter Hinweis, dass die Fortsetzung dieser Artvon Gipfelpolitik ein Bewusstsein für Europa überhauptnicht mehr wecken kann.
Vor der Herausforderung, dieses Bewusstsein erneut zuschaffen, stehen wir.Es wäre gut, wenn wir uns anlässlich der Beratungenüber die in Nizza gefassten Beschlüsse darüber klar wür-den, dass dort etwas mehr verlangt worden ist, als nur zufragen, ob derjenige, der Nizza schon heute zustimmt undErklärungen abgibt, ein guter Europäer ist und ob derje-nige, der heute sagt: „So kann es einfach nicht weiterge-hen“, ein schlechter Europäer ist. Jedes Mitglied unsererFraktion weiß, dass es zur Politik gehört, manchmal Ent-scheidungen hinzunehmen, die etwas kümmerlich sind,um überhaupt weiterzukommen. Wenn Sie Nizza in dieseRubrik einordnen, dann können Sie mit unserer Fraktionreden; denn auch wir wissen, was geschichtliche Verant-wortung gegenüber europäischen Vertragswerken ist.Aber unterlassen Sie es, uns Nizza glorios wie einGemälde zu beschreiben.Die Gipfelveranstaltungen der vergangenen Jahre,auch die in der Verantwortung dieser Bundesregierungdurchgeführten, verdienen diese Bezeichnung nicht.
– Herr Kollege, ich muss mich fragen, ob der Euro– das war eine der psychologisch bedeutsamsten
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Dr. Wolfgang Gerhardt17621
Entscheidungen – überhaupt zustande gekommen wäre,wenn die Gipfelvorbereitungen so ausgesehen hätten wiedie dieser Bundesregierung, die die letzten Gipfelveran-staltungen vorbereitet hat.
Meine Damen und Herren, für meine Fraktion lege ichWert auf ein klares, zeitlich nicht beschränktes, jedenfallsnicht zu schnelles Ratifizierungsverfahren, das auch dieHürde der Mehrheiten klärt. Wir möchten einen weiterenFortgang im Rahmen der belgischen Präsidentschaft. Eswäre gut, wenn Signale über Nizza hinausgingen. Dasmacht eine Ratifizierung einfacher. Ich habe die Hoff-nung, dass, wenn im Herbst eine Entscheidung über Niz-za gefällt wird, wir sagen können: Wir nehmen das hin. Eswar nicht einer der glanzvollsten Gipfel. Aber wir sindfroh, dass es in der belgischen Präsidentschaft weitergeht.– Es obliegt der Bundesregierung, das Ratifizierungsver-fahren mit Offenheit und strategischer Klugheit zu führen.Dann stellen sich auch hier ausreichende Mehrheiten he-raus. Das gehört auch dazu.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Uwe Hiksch.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Diskussionzu einem Gesetzentwurf zum Vertrag von Nizza, dieeigentlich nur unter Vorbehalt stattfindet.
Denn zwei Verfassungsorgane haben eindeutig klarge-macht, dass sie der festen Überzeugung sind, dass dieserGesetzentwurf mit Zweidrittelmehrheit verabschiedetwerden muss. Sowohl der Bundesrat als auch alleFraktionen im Deutschen Bundestag haben dies deutlichausgesprochen. Die Bundesregierung, das dritte Verfas-sungsorgan, tut jedoch so, als ob sie das nicht interessie-ren muss. Herr Außenminister, dieses verfassungsrecht-lich äußerst bedenkliche Vorgehen ist zum eineneuropaschädlich und zum anderen vor allem ein Zeichendafür, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das Eu-ropa, so wie es heute dargestellt wird, nämlich ein Europa,das nur von den Regierungen diskutiert wird, das für dieMenschen nicht mehr fassbar ist und in dem nicht mehrdie zentralen Themen, zum Beispiel Arbeitslosigkeit,Strukturpolitik und Entwicklung der Sozialpolitik, imMittelpunkt stehen, von den Menschen – wie jetzt in Ir-land – nicht akzeptiert wird?Wir erleben in der Bundesrepublik, dass die Bundesre-gierung verfassungsrechtliche Bedenken zur Seiteschiebt, weil sie von innenpolitischen Problemen ablen-ken möchte. Deshalb, sehr geehrter Herr Außenminister,fordere ich Sie im Namen der PDS-Bundestagsfraktionausdrücklich auf, alles dafür zu tun, dass nicht nachträg-lich Menschen, die Probleme mit dem Nizza-Vertrag ha-ben, die Möglichkeit bekommen, verfassungsrechtlichgegen die jetzige von der Bundesregierung an den Taggelegte Art und Weise vorzugehen, sodass eventuell Siedie Schuld daran tragen, dass Deutschland zu einemBremser bei der Ratifizierung des Vertrages von Nizzawird.
Wir fordern Sie auf: Legen Sie einen neuen Gesetzent-wurf vor. Nehmen Sie die Bedenken von Bundesrat undBundestag auf und machen Sie deutlich, dass die Zwei-drittelmehrheit eine Grundvoraussetzung dafür ist, dassalle Bedenken ausgeräumt sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Eu-ropa, das sich weiterentwickelt. Wir brauchen ein Europa,das deutlich macht, dass die Demokratisierung aller eu-ropäischen Strukturen im Zentrum weiterer europäischerPolitik stehen muss und dass Transparenz von Entschei-dungen und dass Mitbekommenkönnen, warum Gesetz-entwürfe und Richtlinien verabschiedet werden, zumZentrum aller politischen Entwicklungen werden müssen.Wir alle müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Eu-ropamüdigkeit – zum Teil ist es sogar Europafeindlichkeit –in immer mehr Staaten zunimmt.Auf der einen Seite treten wir für die Durchsetzungplebiszitärer Elemente und für direkte Demokratie undVolksabstimmungen ein. Auf der anderen Seite könnenwir aber doch nicht über eine in Irland durchgeführteVolksabstimmung über ein Europa der Regierungen, einEuropa, das die soziale Dimension vergisst und ein rei-nes Binnenmarktprojekt werden kann, ein Europa, dasnicht die demokratische Dimension in den Mittelpunktstellt, sondern Regierungsgemauschel in internen Gre-mien für wichtiger hält, hinweggehen und so tun, alshätte es sie nicht gegeben. Deshalb bitte ich Sie alle:Nehmen Sie das irische Votum ernst. Nehmen Sie ernst,dass die Menschen ein anderes Europa wollen, und set-zen Sie sich dafür ein.Ich sage Ihnen, Herr Sterzing: Wenn die PDS-Bundes-tagsfraktion dafür eintritt, dass der Nizza-Vertrag nach-verhandelt werden muss, tut sie das im europapolitischenInteresse. Wir wissen, dass ein Europa der 28, das sichweiterentwickelt als heute, ein Europa, das zu einemBinnenmarktprojekt werden wird ohne jegliche poli-tische, demokratische Legitimierung, ein Europa, das sichStrukturen schafft, die nicht mehr in der Lage sind, über-haupt noch für die Menschen nachvollziehbar zu handeln,ein Europa sein wird, in dem die Gefahr des Scheiternsund übrigens auch des Nationalismus wesentlich größersein wird, wenn wir uns heute nicht gemeinsam dazu ent-schließen, deutlich zu machen, dass wir Europa weiter-entwickeln müssen. Der Deutsche Bundestag muss deut-lich machen: Nizza muss nachgebessert werden.
Deshalb ist die Forderung der PDS-Bundestagsfraktionnach einer Weiterentwicklung des Nizza-Vertrages nichteuropafeindlich. Das kann man nur behaupten, wenn man
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Wolfgang Gerhardt17622
sich nur noch im Regierungseuropa bewegt. Wir fordern,dass wir gemeinsam wieder dafür eintreten, dass Europadie zivilgesellschaftliche Gegenmacht gegen das reineBinnenmarktprojekt werden muss, dass Europa die zivil-gesellschaftliche Gegenmacht gegen ein Europa werdenmuss, in dem Finanz- und Kapitalströme undemokratischfließen können, in dem sich die demokratisch legitimier-ten Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Europä-ischen Parlament, im Deutschen Bundestag und auch inden Landtagen für Entscheidungen rechtfertigen müssen,die sie teilweise selbst nicht mehr vertreten können.Deshalb lautet die Forderung der PDS-Bundestags-fraktion: Lasst uns Nizza nachverhandeln. Sie ist ein Auf-ruf, Europa für die Menschen demokratischer zu gestalten.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr
Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rati-fizierung des Nizza-Vertrages ist von überaus großer Be-deutung. Zu Recht haben wir in verschiedenen Debatten– mit „wir“ meine ich die Rednerinnen und Redner na-hezu aller Fraktionen im Haus – immer wieder darauf hin-gewiesen, dass es sich nach dem Ende des Kalten Kriegesbei der Osterweiterung der Europäischen Union – jetztüber zehn Jahre nach dem Fall der Mauer – in der Tat umein historisches Projekt des Zusammenwachsens Europashandelt. Die Voraussetzungen dafür, dass die EU beitritts-fähig ist, wurden in Nizza gelegt. Deswegen hat die Rati-fizierung eine überaus große Bedeutung.Wenn all diejenigen, die – aus welchen Gründen auchimmer – verlangen, der Nizza-Vertrag solle nachverhan-delt werden, diese Forderung nicht als rein innenpoli-tische und letztendlich unter den Gesichtspunkten prak-tischer Veränderungen belanglose Forderung aufstellen,sondern das ernst meinen, bedeutet dies im Klartext eineVerschiebung der Osterweiterung der EuropäischenUnion. Dies hielte ich für grundfalsch.
Insofern möchte ich mich bei allen Rednerinnen und Red-nern, vor allem auch bei denen der Oppositionsfraktionen,bedanken, die signalisiert haben, dass sie zustimmen.Ganz besonders möchte ich mich bei dem Redner derF.D.P.-Fraktion bedanken, in der es eine beeindruckendeFortentwicklung der Position hin zu einer Ratifizierunggibt. Ich finde das eine überaus vernünftige Position.Allerdings möchte ich einige Anmerkungen zum Kol-legen Gerhardt machen. Wenn Sie Nizza und Berlin alsFehlschläge bezeichnen, Kollege Gerhardt, kann ich Ih-nen nun weiß Gott nicht folgen.
Sie haben wirklich kein Argument gebracht, warum dieErweiterung etwa durch die Finanzvereinbarung derAgenda 2000, die wir hier in Berlin geschlossen haben,behindert würde.
Ich kann Ihnen nur sagen: Bis 2006 – der Finanz-rahmen reicht von 2000 bis 2006 – steht die Erweiterungauf einer soliden Finanzierungsgrundlage.
Für die Zeit ab 2006 hat diese Bundesregierung in derAuseinandersetzung mit einem anderen wichtigen Mit-gliedsland Festlegungen abgewehrt, damit nicht der Falleintritt, den wir alle nicht wollen, dass nämlich in einervergrößerten, erweiterten Union die Strukturmittel nochan die kleine, an die alte Union gebunden werden. Das ge-nau hat diese Bundesregierung abgewehrt. Insofern ver-dienen wir hier nicht Ihren Tadel, sondern müssten ei-gentlich Ihr Lob bekommen. Aber das wäre wohl zu vielder Erwartung.
Uns zu unterstellen, Kollege Gerhardt, wir seien schulddaran, dass die Erweiterung noch nicht weiter sei, findeich angesichts dessen, was wir vorgefunden haben, einstarkes Stück.
Da kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben von der vorhe-rigen Bundesregierung die Verantwortung für Verspre-chungen übernehmen müssen, nach denen Polen bereits imJahre 2000 Mitglied der Europäischen Union sein sollte.
Das Jahr 2000 ist herum. Es lag nicht an der rot-grünenBundesregierung und Bundeskanzler Schröder, dass die-ses nicht realisiert werden konnte, da erst unter der öster-reichischen Präsidentschaft, ein halbes Jahr vor der vonuns dann auszufüllenden Präsidentschaft nach der Bun-destagswahl, der konkrete Verhandlungsprozess begann.
Das heißt, acht Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegesging es erst konkret voran, vorher gab es nur visionäreVersprechungen. Dafür müssen Sie, Herr KollegeGerhardt, schon selbst die Verantwortung übernehmen.
– Weiß Gott, doch.
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Uwe Hiksch17623
Ich kann Ihnen versichern – im Europaausschuss sindwir uns darin ja völlig einig –, dass wir alles tun, um dieseErweiterung möglichst schnell Wirklichkeit werden zulassen. Ich verstehe zwar, dass die Liberalen in Fragen derMarktöffnung eine andere Position vertreten, aber dieRegelungen, die die Kommission jetzt in ihren Vorschlagübernommen hat, hindern niemand daran, seinen Arbeits-markt sofort zu öffnen.
– Ich will Ihnen sagen, warum: weil wir die Zustimmungder Menschen brauchen und es Sorgen in den Grenz-regionen gibt. Ich habe mittlerweile an vier oder fünfBürgerversammlungen in den Grenzregionen teilgenom-men; deswegen kann ich Ihnen sagen: Es geht ganz ent-scheidend darum, dass wir die Menschen mitnehmen.Bundeskanzler Schröder hat in seiner Weidener Redezu Recht vorgeschlagen, eine Übergangsfrist von siebenJahren einzurichten, diese aber flexibel zu gestalten: Nachzwei Jahren wird es die erste Überprüfung geben, nachfünf Jahren kann die Frist verlängert werden.
Das heißt im Klartext, dass wir die Erfahrungen, die wirbei der Süderweiterung der Europäischen Union gemachthaben, aufgreifen. Die luxemburgische Kollegin – übri-gens eine Liberale – hat das dargestellt: Zehn Jahre Über-gangsfrist wurden damals beim Beitritt Portugals bean-tragt, nach fünf Jahren hat Luxemburg darauf verzichtetund gesagt, diese sei nicht mehr notwendig. Ich geheheute fest davon aus, dass wir mit dieser flexiblen Rege-lung ähnliche Erfahrungen machen werden.
Nur dieser Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde nichtalles tun, um die Osterweiterung Realität werden zu las-sen, geht an der Wirklichkeit nun weiß Gott vorbei.
Der Vertrag von Nizza wird die Osterweiterung er-möglichen. Ich halte überhaupt nichts davon, wie es hierteilweise getan wird, ihn herunterzureden. Im Gegenteil:Es waren sehr schwierige Verhandlungen, aber es sindentscheidende Überbleibsel der Amsterdamer Verhand-lungsrunde beseitigt worden. Dieser Vertrag beinhaltetvor allen Dingen – das hat diese Bundesregierung durch-gesetzt –, dass wir mit der Perspektive 2004 bei der Ver-tiefung vorangehen, das heißt Demokratisierung, Schaf-fung von Transparenz und verfassungsmäßige Gestaltungeiner sich erweiternden Europäischen Union. Das ist ei-nes der Ergebnisse von Nizza und für die Zukunft derEuropäischen Union von zentraler Bedeutung.
Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Verfahrens-frage. Aus den Äußerungen der PDS bin ich nicht ganzschlau geworden. Sie wollen ablehnen, fordern aber zu-gleich eine Zweidrittelmehrheit für die Annahme.
Sie tun ja gerade so, als wenn die einfache Mehrheit imParlament antidemokratisch oder undemokratisch wäreund die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren ab-schaffen wollte. Sie tun ja gerade so – das halte ich in derTat für bedenklich –, als wäre Europa ein Europa der Re-gierungen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Der Europä-ische Rat ist eine demokratisch legitimierte Institution,dessen Fortentwicklung wir uns wünschen. Ihn aber des-wegen populistisch in die Ecke zu stellen und zu sagen, ersei demokratisch nicht legitimiert, geht nicht.Man muss wissen, was man tut. Hierbei handelt es sichum einen entscheidenden Anker des europäischen Inte-grationsprozesses. Das trifft genauso auf das EuropäischeParlament, die Kommission und die nationalen Parla-mente zu. In diesem institutionellen Quadrat wird sich dieinstitutionelle Zukunft der europäischen Entwicklungvollziehen müssen. Hier liegt die entscheidende Frage fürdie horizontale Kompetenzklärung. Ebenso müssen wireine vertikale Kompetenzklärung bezüglich der inhalt-lichen Frage vornehmen, wer, was, wo zu entscheiden hat.Ich möchte noch einmal klar darauf zu sprechen kom-men: Bezüglich einer verfassungsrechtlichen Prüfungmag man höchst unterschiedlicher Meinung sein und zuhöchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Hier istaber keine Kulanz angebracht. Das wäre falsch. Die Frageist, ob eine Zweidrittelmehrheit für Souveränitätsübertra-gungen da, wo sie unverzichtbar sind, notwendig ist.Wenn dieses nicht der Fall ist, bitte ich gerade die Kolle-gen, von denen ich weiß, dass sie nachdrücklich für mehrIntegration eintreten, doch sehr sorgsam darauf zu achten,dass nicht an falscher Stelle Präjudize geschaffen werden,die uns an anderer Stelle große Probleme bereiten werden.
– Das ist doch keine Angst vor dem Parlament; das hatdoch mit dem Parlament nichts zu tun! Mir geht es darum,dass wir hier meines Erachtens eine klare Stellungnahmeder Bundesregierung haben. Auch das Parlament hat sichheute geäußert. Ich denke, es wird ein vernünftiges Ver-fahren geben, sodass wir, ohne dass es hier zu einer Blo-ckade kommt – das ist das Interesse des Außenministers –,zügig und auf breiter Grundlage – ich würde mir wün-schen, weit über die Zweidrittelmehrheit hinaus – die Ra-tifizierung vollziehen können.Ich bedanke mich.
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Bundesminister Joseph Fischer17624
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Redner ist
der Kollege Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fischer,ich würde es Ihnen gerne noch einmal erklären und wäredankbar, wenn Sie zuhörten.
Wir befinden uns jetzt in der Phase der Ratifizierung desNizza-Vertrages vom Februar dieses Jahres. Wir habendiesen Vertrag in diesem Haus schon beraten und wir ken-nen die inhaltlichen Mängel dieses Vertrages. Wir kennendas gescheiterte Referendum in Irland. Als ob dies nichtschon genug Probleme im Zusammenhang mit diesemwichtigen Vertrag wären – der ratifiziert werden muss unddem wir natürlich zustimmen werden, wie ich hier wie-derholen will –, machen die Bundesregierung und das ein-bringende Ministerium, Herr Fischer, völlig ohne Not einneues Problemfeld auf. Dies ist nicht so nebenbei zu be-handeln, weil es nämlich im schlimmsten Fall zum Schei-tern der Ratifizierung und zum Scheitern des rechtzeiti-gen In-Kraft-Tretens dieses Vertrags führen kann.
Deshalb müssen wir über das Thema hier in diesem Hausreden.
Ich möchte daran erinnern: Der Bundesrat hat einstim-mig, einschließlich aller SPD-Ministerpräsidenten, in-haltlich und politisch seine Auffassung dargetan, dassdieser Vertrag mit Zweidrittelmehrheit, also mit ver-fassungsändernder Mehrheit, umgesetzt werden muss.Auch der Bundestag ist mit allen Fraktionen der Meinung,dass dieser Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheitumgesetzt werden muss. Aber Sie, Herr Bundesminister,kratzt das überhaupt nicht. Sie fahren in einfältiger Stur-heit Ihren Stiefel weiter
und beschwören im Wesentlichen drei problematischeAuswirkungen herauf, auf die ich jetzt eingehen möchte.Sie missachten den Bundestag, einschließlich IhrerKoalitionsfraktionen, als Verfassungsorgan. Ich könnteals Abgeordneter der Opposition notfalls damit leben,dass die Bundesregierung die Koalitionsfraktionen zurOpposition macht. Aber in diesem sensiblen Bereich derEuropapolitik, die für die Zukunft unserer Kinder undKindeskinder entscheidend sein wird, ist das ein falschesSignal.
Das wirklich gravierendste Problem in dieser Ange-legenheit: Durch diese Art der Einbringung durch dieBundesregierung, die juristisch nicht klar ist, wird dieRatifizierung des Vertrages möglicherweise endgültiggefährdet. Ich erinnere daran: Die Ratifizierung desMaastrichter Vertrages 1991 landete vor dem Bundesver-fassungsgericht. Es war notwendig, verfassungsrechtlichzu klären, ob der damals eingeschlagene Weg der europä-ischen Integration verfassungskonform war. Dieses Ver-fahren hat dazu geführt, dass die Bundesrepublik Deutsch-land das letzte Land war, das die Ratifizierungsurkunde inBrüssel hinterlegen konnte. Jetzt wird völlig ohne Not– denn die verfassungsrechtliche Klärung ist vollzogen –riskiert, dass dieses Gesetz wieder vor dem Verfas-sungsgericht landet und im günstigsten Fall die Hinterle-gung unserer Urkunde erneut lang verzögert wird.Beim Vertrag von Amsterdam war es in der Tat so, dassdie alte Bundesregierung zunächst der Meinung war, dasseine Ratifizierung mit einfacher Mehrheit ausreicht. Wirhaben uns damals – ich erinnere an die nachhaltige For-derung der Grünen mit ihrem damaligen Fraktions-sprecher, Herrn Fischer, und der SPD – darauf geeinigt,dass es, wenn nicht eindeutig ausgeräumt werden kann,dass eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein könnte, dasUnschädlichste ist, den Vertrag mit Zweidrittelmehrheitumzusetzen; denn mit einer größeren Mehrheit darf manes machen, eine geringere könnte zum Scheitern der Ra-tifizierung führen.Jetzt haben wir folgende Situation – da sind wir uns mitden Fraktionen dieses Hauses wieder einig –: Wir werdenals Parlament versuchen, diesen Fehler zu beheben undden Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit zu be-schließen. Nur ist im Moment juristisch nicht eindeutigfeststellbar, ob dieses Verfahren überhaupt möglich ist.Ich sage voraus – das ist so sicher wie das Amen in derKirche –: Irgendjemand wird sich finden und diese Fragein Karlsruhe stellen. Dann kann es im schlimmsten Fallpassieren, dass Sie mit der gesamten Nizza-Ratifizierungan die Wand klatschen. Dann haben wir ein solches The-ater, dass sich kein Mensch mehr an das gescheiterteirische Referendum erinnern wird. Dies steht in der Ver-antwortung von Ihnen, Herr Fischer. Ich wäre Ihnen wirk-lich dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen, auch wennsie Ihnen nicht gefallen, ein bisschen genauer folgen wür-den. Ich habe Ihnen vorhin auch zugehört.Das dritte fatale Signal ist auch ganz eindeutig; ichmöchte nur kurz darauf hinweisen. Wir haben mit der sogenannten Europamüdigkeit, Europaskepsis in der Bevöl-kerung zu kämpfen. Es wird immer lauter gesagt: Wir ha-ben über die Europawahl hinaus nicht genug Einfluss aufdie europäische Politik. Dort wird Politik gemacht vonRegierungschefs und Beamten. In dieser Zeit signalisie-ren Sie, dass Sie in dieser Frage nicht einmal Rücksichtauf den Bundesrat und auf den Bundestag nehmen – einfatales Signal, das nicht zur Verbesserung des Vertrauensder Bevölkerung führen wird.
Noch eine Anmerkung zum Vertrag selber. HerrFischer, Sie haben behauptet, mit dem Nizza-Vertrag hät-ten Sie die Finanzierungssicherheit auch für die Ost-erweiterung geschaffen.
– Mit Berlin – das gebe ich zu – haben wir die Finanzie-rungssicherheit geschaffen. Aber mit Nizza gefährden Sie
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diese wieder. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Fak-tisch ist es so, dass die Entscheidung über die finanzielleVorausschau bis einschließlich 2013 einstimmig getroffenwerden muss. Herr Fischer, Sie wissen doch ganz genau,was 2005 passieren wird, wenn die nächste finanzielleVorausschau 2006 bis 2013 beraten werden wird und ein-stimmig verabschiedet werden muss. Da wir natürlich dieErweiterungspolitik nicht scheitern lassen können, wirdes zwangsläufig so kommen, dass die EU-Finanzmittelmassiv ausgeweitet werden müssen. Da Sie es – im Ge-gensatz zur Vorbereitung der Erweiterung – in Berlin1999 nicht geschafft haben, die deutsche Nettozahlerpo-sition substanziell abzubauen, wird die BundesrepublikDeutschland in diesem Prozess, der dann notwendig seinwird, weil anders die Einstimmigkeit nicht zu erreichenist, wieder das meiste Geld zahlen müssen, was zu einerweiteren Verstärkung der Unpopularität der – auch fürDeutschland – wichtigen Europapolitik führen wird. Diesist eine gefährliche Zeitbombe, die da tickt. Ich sehe imMoment überhaupt nicht, wie Sie versuchen wollen, diesin irgendeiner Weise zu verändern.Auf einen Punkt will ich noch kurz hinweisen. AlleFraktionen dieses Hauses hatten für Nizza gefordert, dassdie Politikbereiche der Mehrheitsabstimmung deutlichausgeweitet werden, also der Politikbereiche, in denenmit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Dies istpassiert. Aber ich weiß nicht, ob das unserem Bundes-kanzler in den Nachtstunden der Verhandlungen über denVertrag nicht aufgefallen ist. Auf der einen Seite werdendie Politikbereiche mit qualifizierter Zustimmung ausge-weitet, auf der anderen Seite wird die Sperrminorität dras-tisch gesenkt, sodass mit In-Kraft-Treten dieses Vertragesdie Blockadewahrscheinlichkeit in der EuropäischenUnion bei qualifizierten Mehrheitsabstimmungen zuneh-men wird. Ich sehe auch hier die Gefahr, dass wir mit die-ser eigentlich substanziellen Verbesserung – durch Ent-scheidungen mit qualifizierten Mehrheiten mehrFlexibilität in der europäischen Politik zu erreichen –nicht vorankommen, weil sich die Wahrscheinlichkeit derBlockade durch wenige Länder in der erweiterten Euro-päischen Union verstärken wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich noch kurz auf einen Punkt eingehen, der in Nizzawirklich hervorragend geregelt worden ist, wo aber imMoment die Gefahr besteht, dass die Europäische Kom-mission ihn vermasselt. Die Staats- und Regierungschefshaben sich in Nizza geeinigt, die Kommission aufzu-fordern, ein so genanntes Grenzgürtelförderprogrammaufzulegen. Wir haben in den letzten Monaten viel davongehört – vollmundige Erklärungen von Herrn Verheugen –und wir wissen jetzt, dass das Programm der Kommissionam 25. Juli dieses Jahres vorgelegt werden soll. FrauSchreyer, die deutsche Kommissarin, erklärt allerdings, eswerde auf gar keinen Fall zusätzliche Finanzmittel für die-ses Programm geben, sodass wir leider jetzt schon davonausgehen können, dass dieses Programm nicht mit zusätz-lichen Finanzmitteln zur Lösung der ernsthaften, gravie-renden Probleme der Grenzregionen Deutschlands undÖsterreichs, aber auch Italiens und Griechenlands ausge-stattet wird. Wenn das so ist, dann wird dieses Programmweiße Salbe. Es wird überhaupt nichts bringen.Ich fordere Sie, Herr Fischer, und die Bundesregierungauf, sich dafür einzusetzen, dass dieses Grenzgürtelför-derprogramm ein substanzielles Programm mit zusätz-lichen Finanzmitteln wird.
Es muss ein Programm werden, das Planungssicherheitüber einen längeren Zeitraum schafft, zum Beispiel sechsJahre, und es muss mit ausreichenden zusätzlichen Finanz-mitteln umgesetzt werden. Mein Vorschlag ist, einen Ver-gleich mit den realen Mitteln anzustellen, die in den 80er-Jahren für das integrierte Mittelmeerprogramm eingesetztworden sind, etwa in der Größenordnung von 1 MilliardeEuro. Wenn die Kommission nicht den Schneid hat, dies inwenigen Wochen vorzulegen, dann muss – diesmal aus-nahmsweise erfolgreich – die Bundesregierung dieses Pro-gramm auf europäischer Ebene umsetzen. Denn unsereGrenzregionen brauchen dringend diese Unterstützung.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anläss-
lich der Ausführungen des Außenministers und auch der
von Herrn Stübgen möchte ich in meiner Kurzintervention
eine Bemerkung zu den verfassungsrechtlichen Fragen
machen, nämlich zu der Frage, welche Mehrheit bei der
Ratifizierung des Vertrags von Nizza zu wünschen wäre.
In derselben Situation, in der sich Bundesregierung
und Bundestag jetzt befinden, befand sich die Bundes-
regierung auch 1997.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, könnten Sie Ihre Ausfüh-
rungen kurz unterbrechen? – Herr Außenminister, diese
Kurzintervention bezieht sich auf Ihre Rede.
Bei der Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam be-fanden wir uns in der vergleichbaren Situation. Damalswurde im Zusammenhang mit der Einleitungsformel desGesetzentwurfs zur Ratifizierung im Bundestag gemein-sam darum gerungen, wie man es am besten macht. Ichhabe mir die damalige Einlassung der heutigen Ministerinfür wirtschaftliche Zusammenarbeit und damaligen Spre-cherin im Europaausschuss, Frau Wieczorek-Zeul, heraus-gesucht, die in ihrer Rede im Bundestag nach Einbringungdes Gesetzentwurfs zur Ratifizierung des Vertrags sagte:Wir freuen uns, dass die Bundesregierung endlichakzeptiert hat ... , dass die Ratifizierung dieses Ver-trages– von Amsterdam –
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Michael Stübgen17626
in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheiterfolgen muss.
Die Begründung dafür war damals , dass es um Fragen derMitentscheidung des Parlamentes und um Fragen der qua-lifizierten Mehrheitsentscheidung gehe.
Beide Elemente spielen heute auch im Vertrag von Niz-za eine Rolle. Wir kritisieren ja, dass das nicht genug ist,aber es hat in einigen Punkten entsprechende Verände-rungen gegeben. Bei allen notwendigen politischen Über-legungen, wie man den Ratifizierungsprozess von Nizzabei allen beteiligten Verfassungsorganen zu einem Erfolgmachen kann, ist es sehr schade und in meinen Augenauch ein Mangel des Verfahrensprozesses zur Ratifizie-rung des Vertrages, wenn wir in diesem Prozess mit mög-lichen offenen verfassungsrechtlichen Fragen rechnenmüssen, durch die dann, falls sich nachher die Zweidrit-telmehrheit als notwendig herausstellt, möglicherweisedenjenigen Vorschub geleistet wird, die vielleicht ausganz anderen Gründen ebenfalls Rechtsmittel ergreifenwollen, um den Integrationsprozess in Europa insgesamtzu stoppen.Ich denke, dass wir uns in dieser Frage sehr wohl be-sinnen sollten. Ich hätte es gut gefunden, wenn man dasnoch vor der heutigen Debatte versucht hätte und die De-batte selbst erst in der nächsten Woche hätte stattfindenlassen. Hier geht es nicht um Rechthaberei, sondern eskommt darauf an, den klarsten und besten Weg zu finden,sodass es nachher nur noch um die Inhalte des Vertragesvon Nizza und nicht auch noch um verfassungsrechtlicheVerfahrensfragen geht.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war wieder eine
Punktlandung von drei Minuten.
Herr Außenminister, möchten Sie erwidern? – Das ist
nicht der Fall.
Dann erteile ich jetzt dem letzten Redner in dieser
Runde das Wort. Es ist der Kollege Jürgen Meyer von der
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich wie alle vorangegangenen Rednerzur verfassungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgeset-zes zum Nizza-Vertrag geäußert. Dazu möchte ich noch ein-mal feststellen: Wir werden diese Frage in den bevorstehen-den Beratungen sehr gründlich prüfen. Dabei wird einebesondere Rolle spielen, ob der Verzicht auf das so genannteVetorecht im Rat durch die von uns allen gewollte Mög-lichkeit von Mehrheitsentscheidungen ein Stück Souverä-nitätsverzicht ist. Dies und das Ziel, die Ratifikation mitgroßer Mehrheit durchzuführen, sprechen dafür – wie meinKollege Günter Gloser schon ausgeführt hat –, das Zustim-mungsgesetz als verfassungsänderndes Gesetz zu behan-deln und zu verabschieden.Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus dem „Hand-buch der Rechtsförmlichkeit“, das im Jahr 1999 in zwei-ter Auflage vom Bundesministerium der Justiz herausge-geben worden ist. Darin heißt es:Die Eingangsformel gibt, obwohl Bundestag undBundesrat darüber nicht mit Gesetzeskraft be-schließen, die Möglichkeit, im Laufe des Gesetz-gebungsverfahrens zu erörtern, ob das Gesetz einerbesonderen Mehrheit ... bedarf.Ich gehe davon aus, dass wir Parlamentarier diese Mög-lichkeit nutzen und eine klare Stellungnahme zur verfas-sungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgesetzes ab-geben werden.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem so genann-ten Post-Nizza-Verfahren.Es ist ein großes Verdienst derBundesregierung, dass auf ihre Initiative hin in Nizza dieErklärung der Staats- und Regierungschefs zur Zukunftder Europäischen Union vereinbart worden ist. Das be-deutet, dass sich die Staats- und Regierungschefs darauffestgelegt haben, im Rahmen einer weiteren Re-gierungskonferenz im Jahre 2004 Grundsatzfragen dereuropäischen Integration, ihrer Institutionen und ihrer de-mokratischen Legitimation zu behandeln.Lassen Sie mich dazu feststellen: Ohne die Ratifikationdes Vertrags von Nizza wird es kein Post-Nizza-Verfahrengeben. Das eine baut auf dem anderen auf. Die Ratifika-tion des Nizza-Vertrages ist – wenn nicht die rechtliche, sodoch ohne jeden Zweifel – die politische Voraussetzungfür die von uns allen gewollte Regierungskonferenz 2004.
Die Fragen, um die es dabei geht, sind Verfassungsfra-gen. Ich benutze den Begriff der Verfassung in diesemZusammenhang ohne Einschränkung. Es geht zum Bei-spiel um die Frage, wie die Verteilung der Zuständigkei-ten zwischen der Europäischen Union und ihren Mit-gliedstaaten zukünftig geregelt werden soll, also um das,was der Herr Außenminister zutreffend als vertikale Ge-waltenteilung bezeichnet hat. Es geht auch um die hori-zontale Gewaltenteilung auf der Ebene der EU. Diesnennt man nun einmal Verfassung. Nach der inzwischenfast übereinstimmenden Auffassung der Staatsrechtslehresetzt Verfassung keinen Staat voraus und schon gar keinenSuperstaat.Ob man das Gebilde, von dem wir reden, mit demBundesverfassungsgericht als Staatenverbund oder mitder immer stärker im Vordringen begriffenen Auffassungals Föderation von Nationalstaaten bezeichnet, spielt da-bei keine Rolle. Es geht um die künftige Verfassung derEuropäischen Union und diese verdient eine öffentliche
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger17627
Diskussion. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bun-desregierung – mit unterschiedlichen Vorschlägen desAußenministers und des Bundeskanzlers – und auch Bun-despräsident Johannes Rau diese Debatte angeregt haben.Wir sollten diese Debatte mit Engagement führen.
Diese Debatte, die zu einer Verfassung der EU führt,sollte eine besondere Qualität haben. Eine Verfassungkann nicht von Regierungen entworfen und verabschiedetwerden. Das würde der europäischen Rechtsgeschichtezuwiderlaufen. Es geht also darum – darüber wird die bel-gische Präsidentschaft befinden –, wie wir der bekanntenEuropaverdrossenheit und dem Menetekel des Volksent-scheides von Irland Rechnung tragen und mehr Demo-kratie und damit mehr Europabegeisterung in der Europä-ischen Union wecken können.
In Nizza gab es zwei konkurrierende Verfahren: zumeinen das alte Verfahren, das schließlich zum Vertrag vonNizza mit allen seinen Stärken, aber auch Schwächen ge-führt hat, das aber auch Befremden und Verdrossenheithervorgerufen hat. Es gab bürgerferne Vorverhandlungenhinter verschlossenen Türen durch hoch qualifizierteBürokraten, die kein Mensch kennt. Am Ende standenTexte in einer schwer verständlichen Sprache. Dann gabes die bei solchen Konferenzen so genannte Nacht der lan-gen Messer, in der sich der durchsetzt, der die beste Kon-dition hat, wenn auch nicht unbedingt die besten Argu-mente,
der aber vielleicht auch die größte Hartnäckigkeit hat. Dashat mit Demokratie nichts zu tun. Die Parlamente bleibendabei außen vor.Zum anderen gab es mit dem Verfahren zur Erarbei-tung der in Nizza verkündeten EU-Grundrechtecharta einkonkurrierendes Verfahren, das nun allseits gelobt wird.
Die Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta erfolgte durchein Gremium, das zu drei Vierteln aus gewählten Parla-mentariern bestand, in dem öffentlich verhandelt wurde,in dem jede Initiative über das Internet bekannt gemachtwurde mit der Möglichkeit, jedem Delegierten auch überdas Internet Anträge mitzuteilen, und in dem die Zivilge-sellschaft, die Nichtregierungsorganisationen in Brüsselund auf nationaler Ebene ausführlich angehört und derenVorstellungen auch berücksichtigt worden sind.
Ich sage ja nicht, dass der Konvent schon die ideale Lö-sung sei.
Aber, verehrter Kollege, es ist das Verdienst der Bundes-regierung, den Konvent auf der Regierungskonferenz imJuni 1999 unter deutscher Präsidentschaft durchgesetzt zuhaben. Das sollten wir einmal lobend erwähnen.
Aber man kann da einiges verbessern. Zum Beispiel– das ist in Nizza vorgeschlagen worden – brauchen wireine intensivere öffentliche Debatte. Ich finde es groß-artig, dass unsere französischen Nachbarn mit dem, wassie „grand débat“ nennen, unter Leitung von GuyBraibant, dem Vizepräsidenten des ersten Konvents, be-reits begonnen haben. Eine solche öffentliche Debatte, diemehr Verständnis für Europa weckt, müssten doch auchwir hinbekommen.
Auch die Behandlung der Beitrittskandidaten solltebesser sein als im ersten Konvent. Ich finde es nicht gut,dass die Kandidatenländer, in denen die Verfassung ja ein-mal gelten soll, nur Beobachterstatus haben. Ich halte esauch für unzureichend, wenn sie nur eine beratende Stimmehaben; denn der Konvent wäre ja nur ein Beratungsgre-mium. Und in einem Beratungsgremium eine beratendeStimme zu haben ist schlechterdings unzureichend
und respektiert nicht genug das, was die Beitrittskandida-ten, mit denen Verhandlungen aufgenommen wordensind, wollen. Man sollte ihnen Gelegenheit geben, sich zuäußern.Ich möchte einen weiteren Vorschlag machen, der nachdieser Sitzung hoffentlich ein Vorschlag aller Fraktionensein und in einen Beschluss münden wird, der dann auchdie Bundesregierung über Art. 23 binden wird.
Der Vorschlag geht dahin, den Wunsch des ersten Kon-vents, auch über alternative Lösungen abzustimmen, zuberücksichtigen. Es sollte abgestimmt werden können,damit klar ist, für welche Alternative eine Mehrheit, fürwelche aber auch eine – vielleicht beachtliche – Minder-heit ist. Dieser Vorschlag würde dem Wunsch der Regie-rung, den der Herr Außenminister gelegentlich vorgetra-gen hat, Rechnung tragen, dass nämlich die Regierungennicht nur ein Gesamtwerk nach dem Motto „Friss, Vogel,oder stirb!“ vorgelegt bekommen – was offenbar gewisseFrustrationen hervorgerufen hat –, sondern dass den Re-gierungen ein Entwurf mit alternativen Lösungsvorschlä-gen präsentiert wird. Aber es muss klar sein: Das sindkeine Optionen, die unverbindlich und gleichrangig ne-beneinander stehen;
sondern: für den einen Vorschlag ist eine – sogar große –Mehrheit des Konvents und für den Gegenvorschlag nureine Minderheit. – Das müsste den Regierungen dannauch mitgeteilt werden.
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Dr. Jürgen Meyer
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Ich halte das für ganz wichtig. Ich halte es für völlig in-diskutabel, dass vonseiten der – so will ich einmal pole-misch formulieren – alten Strippenzieher, die die früherenRegierungskonferenzen vorbereitet haben, der Vorschlaggemacht wird, den Konvent durch eine „steering com-mission“ zu bevormunden, also ein Gremium, das demKonvent sagt: „Jetzt prüft ihr das einmal“, „Der Vorschlagist inakzeptabel“ und „Hier bekommt ihr eure Schulauf-gaben zurück“. Das darf es nicht geben.
Das entspricht nicht dem Selbstbewusstsein und demSelbstverständnis von Parlamentariern. Die Lenkung desKonvents darf nur durch das aus seiner Mitte gebildeteLeitungsgremium, das heißt: das Präsidium, erfolgen.Dies ist für uns Voraussetzung dafür, dass man das neueGremium, das nun allenthalben schon Konvent heißt,überhaupt so nennen kann. Ein bevormundeter Konventwürde schon von seiner Zusammensetzung her
und der Bereitschaft, darin mitzuarbeiten, ein drittklassi-ges Gremium sein. Das kann niemand wollen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Änderungengegenüber dem ersten Konvent werden, so denke ich, ineiner gemeinsamen Entschließung des Europaausschus-ses mit Zustimmung der anderen, mitberatenden Aus-schüsse ohne Befassung des Plenums in den nächstenTagen festgelegt werden. Ich wünsche, dass sich die Bun-desregierung in dieser Richtung engagiert. Sie hat sich jabisher um die Einsetzung des Konvents und um mehr De-mokratie in Europa Verdienste erworben. Deshalb kannnicht nur die Koalition, sondern können alle Fraktionender Bundesregierung für die Fortsetzung ihrer Initiativenfür mehr Demokratie in Europa allen Erfolg wünschen.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor wir zu den Ab-
stimmungen kommen, erteile ich jetzt noch dem Kollegen
Friedbert Pflüger das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Vorsitzen-
der des Europaausschusses möchte ich noch einmal an die
Bundesregierung den Appell richten – ich glaube, im Na-
men aller Kollegen –, den Verfahrensstreit, den wir der-
zeit haben, durch eine entsprechende, dem Parlament
Rechnung tragende Entscheidung schnell zu beenden,
und zwar aus folgendem Grund: Wir müssen uns der his-
torischen Bedeutung bewusst sein, welche gerade die
Staaten Mittel- und Osteuropas diesem Vertrag und dem,
was daraus folgt, nämlich der Vereinigung Europas, bei-
messen. Die Staaten in Mittel- und Osteuropa haben in
den letzten Jahren ungeheuer viel geleistet, um ihre Ge-
sellschaften zu verändern. Sie sehen zum Beispiel jetzt in
Irland, dass ein Referendum den ganzen Vertrag von Niz-
za infrage stellen kann. Sie haben große Angst, wenn sie
hören, dass wir uns hier mit einem Verfahrensstreit abge-
ben, anstatt uns mit den großen historischen Aufgaben zu
beschäftigen.
Ich glaube, es ist ganz wichtig, festzuhalten, dass wir in
diesem Haus einen breiten europapolitischen Konsens ha-
ben. Wir haben ihn unter Helmut Kohl gehabt und wir ha-
ben ihn jetzt. Es gibt zwar in vielen Einzelthemen Streit;
aber in den Grundfragen sind wir uns einig. Selbst die
F.D.P., die sich mit dem Vertrag von Nizza am schwersten
tut, hat heute signalisiert, dass sie mit sich reden lässt.
Es wäre sehr schade, wenn das deutliche Signal des
Parlaments, den Vertrag von Nizza trotz mancher Beden-
ken zu unterstützen, unbeantwortet bliebe und Verfah-
rensfragen fortgesetzt im Mittelpunkt unserer Debatten
stünden. Deshalb meine Bitte an den Herrn Außenminis-
ter, den Bundeskanzler zu überzeugen, eine andere Posi-
tion einzunehmen.
Ich möchte dem Kollegen Professor Meyer und dem
Kollegen Gloser für ihre couragierten Reden herzlich
danken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung der
Bundesaußenminister Fischer, bitte.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das ist heute die erste Lesung. Damit wird das Vertrags-
werk an die Ausschüsse überwiesen. Es liegt jetzt in den
Händen des Bundestages.
Die Bundesregierung hat nach mehrfacher sorgfältigs-
ter Prüfung – das hat auch die letzte Erörterung im Kabi-
nett ergeben – ihre Position gefunden. Diese stößt auf den
Widerspruch eines anderen Verfassungsorgans, auf den
des Bundesgesetzgebers, und zwar quer durch alle Frak-
tionen. Dies werde ich dem Bundeskanzler übermitteln.
Aber ich denke, was zählt, ist die breite Bereitschaft zu ra-
tifizieren. Unbeschadet der verfassungsrechtlichen Posi-
tion, die die Verfassungsorgane haben, können Wege ge-
funden werden, um dem Begehr Rechnung zu tragen.
Als Mitglied der Bundesregierung habe ich selbstver-
ständlich dem Bundesgesetzgeber und dessen Ausschüs-
sen weder Vorschriften zu machen noch Hinweise zu ge-
ben. Ich möchte mich für die breite Bekundung zu
ratifizieren recht herzlich bedanken. Ich denke, dass der
Bundesgesetzgeber mit seiner wirklich sehr weit gehen-
den Erfahrung und umfassenden Kompetenz und getra-
gen von der breiten Unterstützung der Fraktionen einen
Weg finden wird. Die Bundesregierung hält an ihrer
Rechtsauffassung fest und wird sich ansonsten sehr ko-
operativ verhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Jürgen Meyer
17629
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfes auf Drucksache 14/6146 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es an-derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann istdie Überweisung so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu demBeschluss des Rates vom 29. September 2000 über dasSystem der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaf-ten auf Drucksache 14/6142. Der Ausschuss für die An-gelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt aufDrucksache 14/6464, den Gesetzentwurf anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurfist bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/5221 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlos-sen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union aufDrucksache 14/5379 zu dem Antrag der Fraktion der PDSmit dem Titel „Für eine verbindliche und erweiterbare Eu-ropäische Charta der Grundrechte“. Der Ausschuss emp-fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4654 abzulehnen.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istgegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.Als Nächstes kommen wir zur Beschlussempfehlungdes Ausschusses für die Angelegenheiten der Europä-ischen Union auf Drucksache 14/5386. Der Ausschussempfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An-nahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der SPDund des Bündnisses 90/Die Grünen zur Abgabe einer Er-klärung der Bundesregierung zum Europäischen Rat inNizza auf Drucksache 14/4733. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen derFraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS ange-nommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desAntrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-che 14/4732 mit dem Titel „Der Europäische Rat von Niz-za muss zum Erfolg für Europa werden“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmender Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angenom-men.Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desEntschließungsantrags der Fraktion der PDS zur Abgabeeiner Erklärung der Bundesregierung zum EuropäischenRat in Nizza auf Drucksache 14/4666. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmender PDS-Fraktion angenommen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion der PDS auf Drucksache 14/4653 mit dem Titel„Die Europäische Union als Zivilmacht ausbauen“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ge-gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 14/6443 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Paul Breuer, Ulrich Adam, Sylvia Bonitz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUzu der Abgabe einer Erklärung der Bundes-regierungDie Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla-nung und Stationierung– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion derPDSzu der Abgabe einer Erklärung der Bundes-regierungDie Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla-nung und Stationierung– Drucksachen 14/5220, 14/5236, 14/6396 –Berichterstattung:Abgeordnete Peter ZumkleyPaul Breuerb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Friedrich Nolting, Ina Albowitz, HildebrechtBraun , weiterer Abgeordneter und derFraktion der F.D.P.Hilfe durch den Bund für die von Reduzierungund Schließung betroffenen Bundeswehrstand-orte ist unverzichtbar– Drucksachen 14/5467, 14/6397 –Berichterstattung:Abgeordnete Kurt PalisKurt J. RossmanithNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieDebatte eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss17630
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für dieSPD-Fraktion ist die Kollegin Ursula Mogg.Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saalverlassen wollen, dieses möglichst schnell zu tun, damitdie Rednerin der SPD-Fraktion entsprechende Aufmerk-samkeit erhält.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Wir leben in einer schnelllebigenZeit. Deshalb ist es sicher hilfreich, in einer Debatte wieder heutigen einen kurzen Blick darauf zu werfen, wel-chen Herausforderungen sich die Regierung Schröder seitihrem Regierungsantritt vor drei Jahren im Verteidi-gungsbereich gestellt hat und mit welcher Systematik,Konsequenz und Zielgenauigkeit der Verteidigungsminis-ter eine Reform angepackt hat, die in ihrer Dimension fürdie Bundeswehr ohne Beispiel ist.
– Sie werden sehen, wie gut das wird.Die von niemandem bestrittene Notwendigkeit der Re-form, der Umbau der Bundeswehr zu einer Armee, diesich im Rahmen internationaler Verpflichtungen der Bun-desrepublik Deutschland neuen Aufgaben stellt, wurdezügig angepackt. Stichworte sind: Bestandsaufnahme,Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaft-lichkeit in der Bundeswehr“, Bericht der Weizsäcker-Kommission, Eckwertepapier, Grobausplanung und Fein-ausplanung, um nur einige wichtige Schritte darzustellen.
– Wir haben in diesem Punkt sehr unterschiedliche Auf-fassungen, Frau Kollegin.Diese Vorgehensweise und die damit verbundenen Re-formansätze finden die volle Unterstützung der SPD-Fraktion. Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Ein Blick auf die Diskussionen der Opposition, Herr Kol-lege, zeigt zudem überdeutlich, dass die Reform alternativ-los ist. Wer sich mit den vorliegenden Anträgen befasst,stellt fest: Offensichtlich ist die Opposition bemüht, eineReihe von Interessen hundertprozentig zu vertreten, obwohlsie zum Teil in direktem Widerspruch zueinander stehen.
Nicht nur die Lebenserfahrung lehrt, dass dies nicht ge-lingen kann. Ein Beispiel dafür ist, Herr Kollege, dass Sieeinerseits wissen, dass die Bundeswehr verkleinert wer-den muss, andererseits aber die Erhaltung von Standortenfordern. Das passt nicht zusammen.
Die Koalition setzt Prioritäten. Einige der wichtigstensind die Sozialverträglichkeit der Verkleinerung und dieInvestitionen in Menschen und ihre Fähigkeiten.
Wir wollen, dass die Bundeswehr der Zukunft für Solda-tinnen und Soldaten sowie für die zivilen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter attraktiv ist.
Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen beiden Modernisierungsmaßnahmen unterstreicht in einzig-artiger Weise, wie ernst die Bundesregierung ihre Verant-wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nimmt.Darauf sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialde-mokraten sehr stolz. Verdi bewertet den Tarifvertrag fürdie zivilen Beschäftigten als – Originalzitat –wesentlichen Schritt zur sozialverträglichen Bewäl-tigung der anstehenden, politisch gewollten Struk-turveränderungen in der Bundeswehr.
Die Angebote alternativer Arbeitsplätze und kosten-freier Qualifizierung, Einkommenssicherung sowie dieGewährung von Altersteilzeit und Vorruhestand sindAusdruck des Willens, die Reform mit den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern und nicht gegen sie zu verwirk-lichen.
– Das weiß ich besser, Herr Kollege.
Wir wissen, dass die Bundeswehr der Zukunft im in-ternationalen Wettbewerb nur erfolgreich sein kann, wennsie in die Qualifikation des Zivilpersonals und der Solda-tinnen und Soldaten investiert. Nur der moderne, attrak-tive Arbeitsplatz ruft das Interesse junger Menschen beiihrer Berufsorientierung hervor. Wir wollen die Besten fürdie Bundeswehr. Ein Netzwerk von Aus-, Fort- und Wei-terbildungskooperationen wird länger dienenden Zeitsol-daten den Erwerb zivilberuflicher Qualifikation ermögli-chen. Beispielhaft dafür sind die Vereinbarungen mit denIndustrie- und Handelskammern sowie den Handwerks-kammern.Die Handwerkskammer Koblenz verweist stolz darauf,dass im Rahmen ihres Pilotprojekts „Beratungszen-trum Bundeswehr-Handwerk“ seit Beginn des Projek-tes vor knapp zwei Jahren 60 Prozent der Auszubildendendas Beratungsangebot der Bundeswehr angenommen ha-ben, 350 individuelle Beratungen von Zeitsoldaten statt-gefunden haben und zwölf Existenzgründer gefundenworden sind. Das Angebot ist seit dem 1. Mai 2001 auchim Internet abrufbar.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss17631
Die SPD-Fraktion wird diese Aktivitäten strategischund politisch unterstützen sowie die aus dem Pilotprojekterwachsenen Vorschläge positiv aufnehmen.
– Vielleicht.
– Es ist schön, wenn wir über die Pilotprojekte sprechen.Diese Pilotprojekte, wie etwa die Existenzgründungspro-gramme, sind gute Ansätze der Bundesregierung.An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Bundes-wehrreform im Kontext der Modernisierung unserer Ge-sellschaft insgesamt und speziell des Bildungssystems zusehen ist. Wir wissen: Ein attraktiver Arbeitsplatz defi-niert sich nicht nur über solide Ausbildung und interes-sante berufliche Perspektiven, sondern auch über die Ent-lohnung. Wir wissen, dass die Kritik an der Regierung indiesem Punkt nachvollziehbar ist. Deshalb werden wir alsFraktion alles tun, damit wir die entsprechenden Geset-zesvorhaben sehr bald parlamentarisch beraten können.Wir sind sehr optimistisch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu-sammenfassend feststellen: Wir haben uns der Verant-wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derBundeswehr und für die Infrastruktur der Regionen ge-stellt.
Wir haben gleichzeitig ein Modernisierungskonzept aufden Weg gebracht, das eine deutliche Effektivierung derStrukturen und Abläufe bewirkt. Der Fortbestand derBundeswehr in der Fläche und der Erhalt der Wehrpflichtmachen deutlich, dass die Bundeswehr auch in Zukunfteine Armee bleibt, die in der Mitte der Gesellschaft steht.Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg.
– Herr Kollege, wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigthaben, dann wissen Sie doch, dass die Bundeswehr mitden vorliegenden Papieren auf eine halbe Milliarde DMan Effizienzgewinnen zugunsten der Konversion und derStandorte verzichtet hat. Das ist doch bekannt!
– Nein, das kenne nicht nur ich; das kennen wir alle imParlament, die wir uns ausführlich mit diesem Thema be-schäftigen.Wir werden die Herausforderungen meistern.
Denen, die gerne etwas schneller zum Ziel gelangenmöchten, sage ich: Der Zug wird weiter deutlich an Fahrtaufnehmen. Ich werbe ein wenig, wenn es Verzögerungengibt: Die besonderen Herausforderungen der Reform be-stehen auch darin, dass die Bundeswehr zeitgleich imUmbau und im Einsatz ist. Denjenigen, die mit großemEngagement und Einsatz an der einzigartigen Aufgabespeziell im Verteidigungsministerium, aber auch in vielenanderen Dienststellen arbeiten, sage ich von dieser Stelleein aufrichtiges Dankeschön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Frau Kollegin Mogg, ich stimme mitIhnen überein, dass die Bundeswehr ein wichtiger Arbeit-geber ist und dass die Sicherheit der Arbeitsplätze und dieQualität der Arbeitsbedingungen sehr wesentlich sind. Eswird Ihnen aber nicht gelingen, bei diesem Thema über-zeugend zu argumentieren, wenn es Ihnen nicht gelingt,deutlich zu machen, dass die Bundeswehr ein wichtigerFaktor der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist,den man nicht verludern lassen kann.
Allerdings besteht in der Bundeswehr selbst, aber auchbei unseren Bündnispartnern der Eindruck, dass genaudieses geschieht.
Wir sollten uns vergegenwärtigen, in welcher histori-schen Phase das passiert: In den letzten zehn Jahren hatDeutschland eine Zeit der Umorientierung in der Sicher-heits- und Verteidigungspolitik hinter sich gebracht.
Deutschland war 1990 ein geteilter Frontstaat mitten inunserem geteilten Kontinent. Heute sind wir das wieder-vereinigte Deutschland, das wirtschaftlich stärkste undbevölkerungsreichste Land in der Mitte Europas. Verbun-den mit diesen Veränderungen haben wir Deutsche einengroßen Sicherheitsgewinn erhalten, den wir im Wesentli-chen auch der Solidarität unserer Partner in NATO undEuropäischer Union verdanken.
Parallel zu dieser Entwicklung – Herr Kollege, ichgehe damit auf Ihren Zuruf ein – haben wir allerdingsmehr Verantwortung für den Frieden in Europa überneh-men müssen, weil nicht nur Europa selbst – das sehen wiraktuell auf dem Balkan –, sondern die Peripherie Europasund diese Welt voller Gefahren sind. Ihr Vorschlag, dannkönnten wir ja abrüsten, ist sehr kurzsichtig. Wir müssenheute darauf achten, dass wir Deutschen entsprechend un-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Ursula Mogg17632
serer ökonomischen Potenz für die Sicherheit Europasund des nordatlantischen Raumes einen angemessenenund geschätzten Beitrag leisten.
Die CDU/CSU- und F.D.P.-geführte Bundesregierunghatte schon begonnen, sich dem neuen Szenario durch denAufbau der Krisenreaktionskräfte anzupassen. Damalsmusste diese Aufgabe der Krisenreaktionskräfte, die Be-teiligung Deutschlands an Auslandseinsätzen, im deut-schen Parlament in einer tiefen Auseinandersetzung ins-besondere gegen große Teile der Sozialdemokratie undder Grünen durchgefochten werden. Dass uns dieser Bei-trag zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gelun-gen ist, darauf sind wir stolz.
Meine Damen und Herren, wir müssen heute einen we-sentlichen Beitrag zur multilateralen Krisenvorsorgeund Konfliktbewältigung leisten. Dabei muss auch ge-sagt werden, dass wir dies vor dem Hintergrund unsererVerfassung tun, die uns zunächst einmal dazu verpflich-tet – das ist nach wie vor das vorrangige Ziel –, die Lan-desverteidigung im Rahmen der Bündnisverteidigung zusichern. Wir wollen bündnissolidarisch sein.Herr Kollege Zumkley, ich nehme Ihren Zwischenrufauf, wir verließen das Ziel, das wir gehabt haben. Bünd-nissolidarität und Bündnisfähigkeit erweisen sich nichtdarin, bei allen möglichen Einsätzen im Deutschen Bun-destag Mehrheiten zu gewährleisten, sondern darin, dieBundeswehr im Alltag im Hinblick auf Ausrüstung, psy-chische Stabilität und Nachwuchsgewinnung ordentlichauszustatten. Sie aber machen derzeit aus der Bundeswehrein Abbruchunternehmen.
Grundlage muss eine solide Finanzierung sein. Nur sokönnen die von der Bundesregierung beim NATO-Gipfelin Washington und im Rahmen der europäischen Zielset-zungen, der so genannten European Headline Goals,eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden. Bündnis-treue und Verlässlichkeit bei den Partnern ist gerade unsvon der CDU/CSU nicht nur bei Einsatzbeschlüssen imDeutschen Bundestag, wie ich gerade sagte, sondern vorallem im Alltag der Bundeswehr unverzichtbar.Wegen unserer Verpflichtungen gegenüber dem Bünd-nis und den Partnern muss Deutschland in der nahen Zu-kunft erhebliche Investitionen in Personal und Materialinnerhalb der Bundeswehr vornehmen.
Umfangreiche Kapazitäten beim Lufttransport müssenneu geschaffen werden. Neue Präzisions- und Abstands-waffen, Kommunikations- und Aufklärungstechnologiewerden benötigt. Darüber gibt es eigentlich keinen Dis-sens. Der Konsens ist aber deshalb gefährdet, Herr Kol-lege Zumkley, weil es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre ei-gene Fraktion und Ihren Koalitionspartner, die Grünen,von der Notwendigkeit dieser Investitionen und ihrer Be-rechenbarkeit zu überzeugen.
Wenn Sie sagen, dies entspreche nicht der Realität,dann halte ich Ihnen entgegen, Herr Kollege Zumkley:Die Bundeswehr ist dramatisch unterfinanziert. Dem wer-den Sie nicht widersprechen können. Wenn Sie dem je-doch widersprechen wollen, dann
erinnere ich Sie an eine Aussage von Herrn Scharping ausdem Jahre 1999, also aus der Zeit, als ihm deutlich wurde,dass er innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung etwa20 Milliarden DM für die Bundeswehr verlieren würde.Zum damaligen Zeitpunkt hat Herr Scharping laut „Stutt-garter Zeitung“ vom 27. Juni 1999 ausgeführt:Kritik der Union, die Bundeswehr sei bereits unter-finanziert, sei keine oppositionelle Attitüde, sonderndie schlichte Wahrheit.Seitdem hat die Bundeswehr mehrere Milliarden verlo-ren. Wenn sie heute dramatisch unterfinanziert ist, dannist das wohl auch die Meinung von Herrn Scharping, so-fern er das, was er damals sagte, heute noch ernst nimmt.
Meine Damen und Herren, die Forderung nach mehrGeld für die Bundeswehr ist also kein Selbstzweck, son-dern eine sicherheits- und verteidigungspolitische Not-wendigkeit. Deutschland darf nicht zum Unsicherheits-faktor in der europäischen und nordatlantischen Ver-teidigung werden.Wir sind uns alle einig, dass es jetzt an der Zeit ist, mitder Umstrukturierung der Bundeswehr zu beginnen
und mit ihr fortzufahren. Aber wir müssen uns darin einigsein, dass wir nicht nur große Sprüche klopfen und begeis-tert davon reden dürfen, wie weit man gekommen sei, son-dern die Realität zur Kenntnis nehmen und endlich etwastun müssen, damit die Reformen ordentlich angegangenwerden, die wir von den Grundzielen her teilen, die aller-dings so, wie sie umgesetzt werden, in einer Katastropheenden und die Bundeswehr zu einer Reformruine führenwerden. Der Reformprozess muss an Dynamik gewinnen.Das aber schaffen Sie nicht. Scharping führt die Bundes-wehr in die schlimmste Krise, die diese deutsche Armee je-mals erlebt hat.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Paul Breuer17633
Nach dem Beschluss des Bundeskabinetts vom ver-gangenen Jahr zur Bundeswehrreform musste HerrnScharping in der Woche darauf bei der Feststellung desHaushaltsentwurfs durch das Kabinett eigentlich schonklar geworden sein, dass das, was er 1999 vorausgesagthatte, Wirklichkeit würde.
Er hat in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ am25. Juli 1999 Folgendes gesagt:Niemand sollte übersehen: Deutschland liegt heuteauf dem 17. Platz, wenn wir unsere Verteidigungs-aufwendungen in Relation zum Bruttoinlandspro-dukt der NATO-Mitglieder betrachten. Man kannnicht dauerhaft außenpolitisch Weltliga spielen,wenn man sicherheitspolitisch in Richtung zweiteLiga rutscht.Seitdem weist der Verteidigungsetat ein Minus von meh-reren Milliarden DM auf. Es stellt sich also die Frage: Inwelcher Liga spielen wir eigentlich?
Das sollten Sie ernst nehmen, meine Damen und HerrenKollegen von der SPD-Fraktion, aber auch von der Frak-tion der Grünen. Innerhalb der NATO – das ist außeror-dentlich bedauernswert; glauben Sie nicht, dass uns dasfreut – ist der Stellenwert Deutschlands in den letzten Jah-ren dramatisch gesunken.
Minister Scharping hat es nicht geschafft, die SPD-Fraktion und den Koalitionspartner, die Grünen, für seineZiele zu gewinnen. Er hat die Vorschläge der von ihmselbst eingesetzten Weizsäcker-Kommission genau wiedie Planungen des ehemaligen Generalinspekteurs Gene-ral von Kirchbach in den Wind geschlagen und stattdes-sen ein eigenes Konzept vorgelegt. Er muss jetzt für die-ses Konzept geradestehen und seine Ansprüche an derRealität messen lassen.
Die Realität, Frau Kollegin Mogg, sieht nicht so aus, wieSie sie vorhin in Ihrer Rede dargestellt haben.Minister Scharping wollte der Öffentlichkeit, aberauch diesem Parlament weismachen, dass ihm die so ge-nannte Reform der Bundeswehr insbesondere deshalb ge-lingen könnte, weil durch Veräußerungen, Einsparungenund Steigerung der Effizienz zusätzliche Einnahmen inHöhe von – das hat er in diesem Hohen Hause verspro-chen – 1 Milliarde DM für die Bundeswehr zuerwirtschaften seien. Der Bundesfinanzminister quittiertdieses Versprechen mit einem Vorschuss von 100 Milli-onen DM. So groß ist das Vertrauen des Bundes-finanzministers in die Ankündigungen des Bundesvertei-digungsministers. Das ist dramatisch. Sie sollten das zurKenntnis nehmen.Die Finanzen der Bundeswehr, deren VerstetigungHerr Scharping nach der Bundestagswahl einzuleitenversucht hat – es ist zu bezweifeln, ob sie überhauptkommt –, reichen bei Licht betrachtet noch nicht einmalaus, um künftige Tarifsteigerungen zu finanzieren. Eine„normale“ Tarifsteigerung kostet die Bundeswehr etwa500 Millionen DM. Bisher hat der Bundesfinanzministerkeinen einzigen Beitrag zur Finanzierung solcher Tarif-steigerungen geleistet. Folge: Die Bundeswehr zehrt sichvon Tag zu Tag mehr aus. Die Situation ist dramatisch.Bundespräsident Rau hat vor wenigen Tagen erklärt,dass sich die Deutschen der internationalen Verantwor-tung der Bundeswehr zu wenig bewusst seien. Ich bin da-von überzeugt, dass der Bundespräsident Recht hat.
Aber man sollte noch hinzufügen: Insbesondere sind sichdie Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions-fraktionen der Verantwortung der Bundeswehr und damitder Verantwortung Deutschlands zu wenig bewusst.
Ändern Sie dies; sonst ist der Schaden erheblich.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin
Angelika Beer.
FrauPräsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch inder heutigen Debatte, die ja nicht die erste über die Re-form der Bundeswehr ist,
ist wieder deutlich geworden – das sage ich im Hinblickauf den Beitrag des Kollegen Breuer von der CDU/CSU-Fraktion –, dass Sie sich jenseits jedes Reformansatzesbewegen, das heißt, Sie klagen im Grunde ein, dass unsereKoalition die defizitäre Politik der Vergangenheit weiter-betreiben soll. Herr Kollege Breuer, dafür werden Siekeinerlei Zustimmung von den Grünen oder der SPD be-kommen.
Ihrem Antrag fehlt jegliche zeitgemäße und zukunfts-weisende politische Einbettung. In Ihrem Antrag befindetsich keinerlei Reformperspektive; Ihre einzige Schluss-folgerung ist: Wir brauchen mehr Geld. Ihr grundlegenderFehler ist meines Erachtens auch dadurch zu erklären,dass Sie Sicherheitspolitik primär militärisch begründenund die Einbindung von Sicherheitspolitik in ein außen-politisches Konzept nicht nur außen vor lassen, sondernoffensichtlich noch nicht einmal in Erwägung gezogenhaben.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Paul Breuer17634
Das Ziel unserer Regierung ist die Verhinderung vonGewalt; deswegen versuchen wir, die Sicherheitspolitik ineine präventive Außen- und Sicherheitspolitik einzubin-den. Wir wissen, dass man mit militärischen Mitteln alleinnicht in der Lage ist, schwierige politische Konflikte zulösen.
Wir haben uns mit unseren Partnern im Rahmen interna-tionaler Bündnisse abgestimmt, die diplomatischen Mit-tel verstärkt und den Umbau der Bundeswehr begonnen.Einige NATO-Partner sind ähnlich vorgegangen. WennSie noch an der Regierung wären, dann wäre die Perso-nalstärke der Bundeswehr wahrscheinlich unverändertund die Kannibalisierung würde andauern.
Wir sehen die Reform der Bundeswehr als einen sehrkomplexen Prozess in diesem Umfeld an.
Weil dieser Prozess so komplex ist, kann er nicht statischsein und bedarf der Nachsteuerung und keiner platten Pa-rolen.
Im Namen der Grünen sage ich: Unsere Reformvorstel-lungen reichen weiter. Wir glauben nach wie vor, dass derVorschlag der Weizsäcker-Kommission eine in dieserGesellschaft konsensfähige Orientierung für die zukünf-tige Entwicklung liefern wird. Vonseiten der Oppositionbedarf es zumindest der Bereitschaft, sich dem Gedankender Reform zu öffnen. Kritisieren Sie doch einzelne Re-formschritte, statt immer nur Nein zu sagen! Diese Hal-tung ist eine Art Sackgasse, die es so schwierig macht,hier produktive Debatten zu führen. Dennoch werden wirdie Reform der Bundeswehr voranbringen.
Herr Kollege Breuer, Herr Kossendey – ich kann ihnim Moment nicht sehen –, erzählen Sie uns doch einmal,wie Sie Ihre Vorstellungen von der zukünftigen Bundes-wehr – ich erinnere an die von Ihnen geforderte Personal-stärke von 300 000 – zeitgleich mit der durchaus zuge-standenen notwendigen Modernisierung finanzierenwollen.
– Ihr Konzept besteht aus Wunschvorstellungen und Träu-mereien. Das ist keine Grundlage für eine solide Außen-und Sicherheitspolitik.Ihre Kritik an den Standortschließungen ist zwar Ih-rer Logik immanent; aber dadurch wird sie nicht richtiger.Jede Reform, die eine Reduzierung anstrebt – die Kolle-gin Mogg hat das ausgeführt –, bedeutet, dass wir die An-zahl der Standorte verringern müssen.
Sicherheitspolitik ist nun einmal nicht nur Strukturpolitik,wiewohl sie strukturpolitische Folgen hat. Wir sind natür-lich für die Sorgen, die Nöte und die Diskussionen in denKommunen – ich denke an die Familien, die schon wie-der umziehen müssen – offen.
In Bezug auf die Eckwerte wollen wir Planungssicherheitschaffen. Wir setzen uns in den Ländern mit den Betrof-fenen zusammen, um unsere Vorstellungen von Verant-wortung auch im Bereich der Konversion umzusetzen.Wir gestehen zu, dass das ein schwieriger Prozess ist.Während wir diesen Prozess vorantreiben, wollen Sie ste-hen bleiben.Verehrte Kolleginnen und Kollegen – nach Ihrer Redemöchte ich das ansprechen, Herr Breuer –, es ist weder imHinblick auf die Außenpolitik noch auf die innenpoliti-sche Bedeutung der Bundeswehr hilfreich, Themen, diewenig miteinander zu tun haben, beliebig zu vermischen.Wenn Sie in jeder Debatte über einen Einsatz der Bun-deswehr die Erhöhung des Bundeswehretats um 3 Milli-arden DM bis 5 Milliarden DM fordern, dann behindernSie eine rationale Diskussion über schwierige außenpoli-tische Fragestellungen und über notwendige Entschei-dungen unseres Parlaments.
Natürlich müssen Sie uns kritisieren. Ich wünsche mirnur, dass Ihre Kritik sachbezogen und logisch ist.
Wir sind kritik- und konfliktfähig.
Kritik und Konflikt bringen einen weiter. Ihre Kritik be-steht allerdings darin, einen Popanz aufzubauen und unszu unterstellen, Auffassungen zu vertreten, die keiner vonuns jemals geteilt hat.
An dem von Ihnen aufgebauten Popanz arbeiten Sie sichdann ab.Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzierung sagen.Die Bundeswehr hat eine Anschubfinanzierung bekom-men. Sie hat aus dem Einzelplan 60 Mittel bekommen, dieauch in die Reform einfließen. Wir nehmen zur Kenntnis– Sie können das nicht –, dass durch die Gründung der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Angelika Beer17635
GEBB – der Reformprozess ist zum Teil auch Wirt-schaftspolitik – Rationalisierungsgewinne, Verkaufs-erlöse usw. wirklich eine neue Bundeswehrstruktur ge-stalten. Die Bundesregierung hat uns im Hinblick auf dieGEBB zugesagt, dass sie sich innerhalb des verfassungs-rechtlichen Rahmens bewegt. Dieser Zusage der Regie-rung vertrauen wir.
Zu den Finanzen möchte ich noch etwas anderes sagen.Wir stellen heute eine weit geöffnete Schere zwischen denMitteln, die wir für Präventionen und Krisenmoderationzur Verfügung stellen, und dem Ansatz für das Militärfest. Wir wollen den Abstand der Scherenflügel verklei-nern, indem wir sicherheitspolitische Grundsätze, einge-bettet in die präventive Außenpolitik, so verlagern, dasswir zukünftig sagen können: Wir können Konflikte früh-zeitig moderieren, ohne Militär einzusetzen. Damit kön-nen wir die Ansätze in den Haushalten ein Stück weit zu-sammenführen. Dies ist auch im Interesse unsererSoldaten, die nicht unnötigerweise in den Einsatz ge-schickt werden sollen.
Ich möchte jetzt noch etwas zu einer Aussage des Ge-neralinspekteurs hinsichtlich des Reformprozesses undder Beschleunigung sagen. Der Generalinspekteur hatneulich gesagt, dass er sich aufgrund der jetzigen finanzi-ellen Situation – auch er hat deutlich mehr Geld verlangt –eine lineare zeitliche Verschiebung des Reformprozessesvorstellen könnte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,ich sage ganz ehrlich: Ein Schieben, Strecken und Strei-chen halten wir für falsch.
Wir haben eine andere Vorstellung von Nachsteuerun-gen. Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr indem Prozess der Modernisierung weiter reduziert werdenkann.
Natürlich werden wir sehr sachlich und politisch verant-wortlich die personelle Reduzierung weiter diskutieren.Es wird Ihnen nicht gelingen, Rot und Grün ge-geneinander aufzuhetzen. Wir werden die gesellschaftli-che Debatte über die Wehrpflicht, die zurzeit stattfindet,insbesondere vor dem Hintergrund, dass jetzt die Frauenfreiwillig ihren Dienst verrichten können, produktiv wei-terführen. Dies werden wir im Hinblick auf die zu erwar-tende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtestun; das weiß unser Koalitionspartner.
– Nein, das ist die Berücksichtigung von gesellschaftli-chen und politischen Prozessen.Wenn Sie bereit sind, über gesellschaftliche Verände-rungen in unserem Land zu diskutieren, werden wir mitFreude auch mit der Opposition eine sachgerechte undzukunftsgerichtete Diskussion führen. Dann sind wir aneinem Punkt, an dem wir sagen können, dass das Parla-ment im Interesse der Gesellschaft, der Soldaten und inder Verantwortung, die Soldaten für internationale Aufga-ben, die sie im Moment hervorragend erfüllen, entspre-chend auszustatten, die Dinge weiter vorantreibt.
Sie verbreiten Panik, stellen infrage und fahren die Stra-tegie der Verunsicherung auf dem Rücken von Leuten, diewohl mehr davon hätten, wenn dieses Parlament zu einergemeinsamen Positionierung käme. Dazu müssten Sie sichaber bewegen. Deswegen lehnen wir Ihre Anträge heute ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
der Kollege Günther Friedrich Nolting von der F.D.P.-
Fraktion.
Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, dieF.D.P. hat rechtzeitig ein Konzept zur Bundeswehrreformvorgelegt.
Diese rot-grüne Regierung peitscht jedoch ihre Vorstel-lungen durch, ohne auf die F.D.P. zuzugehen. Die rot-grüne Regierung handelt am Parlament vorbei. Das Par-lament ist ihr lästig.
Gerade in der vergangenen Woche haben wir die Äuße-rungen von Bundesaußenminister Fischer vor dem Bun-desverfassungsgericht zur Kenntnis nehmen müssen.
Frau Kollegin Beer, vielleicht sollten Sie dies an IhrenAußenminister weiterleiten
– ich hoffe, dass er zuhört –: Die Bundeswehr ist nach wievor eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee.Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass es dabeibleibt.
Ein Minister ist nämlich schnell zurückgetreten und gibtdamit die Verantwortung ab. Das Parlament aber bleibtund trägt auch weiterhin die Verantwortung.Frau Kollegin Beer, das, was Sie zur Reform der Bun-deswehr gesagt haben, und die Tatsache, dass Sie sich alsRetterin der Bundeswehr aufspielen, ist doch nahezu un-glaubwürdig. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Angelika Beer17636
Reden, die Sie bis September 1998 gehalten haben, als Sienoch in der Opposition waren.
Frau Kollegin Mogg, zu Ihrem Beitrag zur Bundes-wehrreform kann ich für die F.D.P.-Bundestagsfraktionnur feststellen: Wir haben eine schlecht laufende Bundes-wehrreform. Das, was Sie heute gemacht haben, warSchönreden wider besseres Wissen.
Ich sage Ihnen: Die Bundeswehrreform wird den nächs-ten Wahltag nicht überleben.
Wir haben eine unausgewogene Personalstruktur, wirhaben eine unbefriedigende Nachwuchslage, wir habeneine den neuen Aufträgen nicht mehr gerechte Material-lage und wir haben unmittelbar bevorstehende Kon-versionsmaßnahmen. Das ist die Realität, aber darauf sindSie nicht eingegangen.
Zur Konversion haben Sie heute nicht ein einziges Wortgesagt.
Ich denke, die betroffenen Kommunen haben ein Rechtdarauf, hierzu etwas zu hören.
Ich sage für die F.D.P.-Bundestagsfraktion, dass der Um-bau der Bundeswehr und die damit einhergehende Um-strukturierung von Standorten eine Bundesaufgabe ist undGeld kostet.
Umso unglaubwürdiger ist die Politik dieser Bundesregie-rung, da sie diesen Zusammenhang zwar sieht und einge-steht – ich hoffe, dass der Staatssekretär darauf gleich nocheingeht –, in der Ausstattung des Haushalts aber nicht um-setzt. Der vorgelegte Haushaltsentwurf mit 23,6 Milliar-den Euro für die Verteidigung ist unzureichend. Herr Kol-lege Zumkley, das wissen Sie auch; Sie haben sich in derÖffentlichkeit entsprechend geäußert. Ich kann für dieF.D.P.-Bundestagsfraktion deshalb nur feststellen: DieBundesregierung misst der Bundeswehr und ihrem Umbauund damit der Sicherheitspolitik insgesamt ganz offen-sichtlich einen äußerst geringen Stellenwert bei.
Es gibt ständig neue Aufgaben für die Bundeswehr, aberimmer weniger Geld. Das müssen Sie einmal der stau-nenden Öffentlichkeit erklären.Mit einem nominal sinkenden Verteidigungsetat istdie Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet. Mit ei-nem nominal sinkenden Verteidigungsetat kann keineLiegenschaft der Bundeswehr so zurückgebaut oder sa-niert werden, dass sie verkauft werden kann. Personal-maßnahmen können nicht sozialverträglich umgesetztwerden, geschweige denn, dass etwa ein Sonderpro-gramm für die von Schließungen und Verkleinerungen be-sonders betroffenen Kommunen eingeleitet werden kann.Es gibt einen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, derbesonders hart betroffen ist.
– Nein, ich will jetzt auf Stavenhagen eingehen, KollegeBreuer. Hier werden 1 240 Dienstposten ersatzlos gestri-chen. Der Bürgermeister der Stadt sagt dazu: Es gibt eineReihe von Ideen und Vorschlägen, aber wir brauchen zu-nächst eine Machbarkeitsstudie. Die kostet etwa150 000 DM, die wir mit Unterstützung des Verteidi-gungsministeriums auftreiben wollen. – Jetzt kommt derentscheidende Satz: Leider versuchen wir seit Monatenerfolglos, einen Kontakt zum Büro von Herrn Scharpingherzustellen.
Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Bundesregierungaus ihrer Verantwortung für die rund 100 Standorte stiehlt,
die von einer Schließung oder einer Reduzierung be-troffen sind. Deshalb, Herr Kollege Zumkley, solltenSie mit dafür Sorge tragen, dass für Reorganisations-maßnahmen im Bundeshaushalt entsprechend viel Geldvorgesehen wird. Das ist auch Ihre Aufgabe als Regie-rungskoalition.
Es ist festzustellen – und hier frage ich den Staatssekre-tär –, ob es für die betroffenen Kommunen klare finanzi-elle Hilfen zur Konversion geben wird.
Herr Staatssekretär, die F.D.P.-Fraktion appelliert anSie: Fordern Sie beim Bundeskanzler die für die Bundes-wehr überlebenswichtige deutliche Erhöhung des Vertei-digungshaushaltes ein und setzen Sie beim Bundeskanz-ler eine Anschubfinanzierung und ein Konversions-programm durch, damit viele der von Schließung und Re-duzierung betroffenen Bundeswehrstandorte überhaupteine Überlebenschance haben.
Wir brauchen ein Sonderprogramm. Wir brauchen einüberregionales Ausgleichskonzept. Wir brauchen einenHärtefallfonds.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Günther Friedrich Nolting17637
Frau Mogg, hier sind die Verträge bezüglich des Ab-baus der Stellen von zivilen Mitarbeitern angesprochenworden. Diese Verträge kommen sehr spät, aber sie sindimmerhin da. Eines fehlt aber noch: Diese Verträge müs-sen jetzt auch mit Leben erfüllt werden und die Betroffe-nen müssen endlich wissen, was auf sie zukommt. Wirmüssen mit dafür Sorge tragen, dass den betroffenen zivi-len Mitarbeitern Ängste und Sorgen genommen werden.Auch da sind Sie und die Regierung gefordert. HerrStaatssekretär, ich hoffe, dass Sie auch dazu Stellung neh-men werden.Wir haben einen Antrag zur Konversion vorgelegt. Ichbitte Sie um Unterstützung, damit die betroffenen Regio-nen und Kommunen endlich Hilfe bekommen. Darauf ha-ben sie Anspruch.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Kollegin Heidi
Lippmann spricht jetzt für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Die vorliegenden drei Anträge derOppositionsfraktionen sind Ausdruck der fehlenden Mitbe-stimmung des Parlaments bei der so genannten Bundes-wehrreform. Der Antrag der PDS unterscheidet sich von derStationierungsplanung der Regierung und den Positionenvon CDU/CSU und F.D.P. allerdings in einem ganz zentra-len Punkt: Im Gegensatz zu Ihnen lehnen wir den Umbauder Bundeswehr zu einer Interventionsarmee strikt ab.
Ihre Planung hat mit Abrüstung und Rüstungskonversionnichts zu tun, sondern ist Ausdruck von Umrüstung undRüstungsmodernisierung.Die PDS tritt dafür ein, die Bundeswehr drastisch zureduzieren. Daran halten wir auch fest. Die damit einher-gehenden Einschnitte für die betroffenen Soldaten und Zi-vilbeschäftigten müssen sozialverträglich ausgestaltetwerden. Natürlich muss es entsprechende Unterstützun-gen für die betroffenen Regionen geben. Wir fordern da-her die Einrichtung eines Amtes für Abrüstung undKonversion, um die institutionellen Bedingungen eineswirtschafts- und sozialverträglichen Umstellungsprozes-ses zu gewährleisten.Ausgehend von diesem grundlegenden Unterschiedfordern wir in unserem Antrag, die Pläne zur Feinauspla-nung und Stationierung der Bundeswehr abzulehnen undstattdessen ein Abrüstungs- und Konversionskonzeptvorzulegen, das den notwendigen Abbau der Streitkräftemit Maßnahmen gezielter regionaler Wirtschaftsförde-rung verbindet. In diesem Punkt hat die F.D.P. unserenAntrag abgeschrieben, sodass wir uns bei eurem Antragenthalten werden.
Dies betrifft insbesondere Standortschließungen in denneuen Bundesländern, wie zum Beispiel in Eggesin, einerder strukturschwächsten Regionen in diesem Land. Wirdürfen die von Standortschließungen betroffenen Men-schen, Gemeinden und Regionen nicht alleine lassen, son-dern müssen ihnen wirtschaftliche Perspektiven bieten.Herr Zumkley, dazu bedarf es Strukturfördermittel desBundes, die in einen Konversionsfonds eingebettet seinmüssen, der im kommenden Haushaltsjahr mindestens500 Millionen DM umfassen sollte.Sie fragten, wie das finanziert werden soll.
Sie sind bereit, in den nächsten zehn bis 15 Jahren für dieAufrüstung und den Umbau der Bundeswehr zur Inter-ventionsarmee rund 210 bis 220 Milliarden DM zu inve-stieren.
Sie sind aber nicht bereit, die 500 Millionen DM, die fürden Bereich der Konversionsplanung erforderlich sind, zufinanzieren.
Die Freigabe von Liegenschaften und die Aufgabe mi-litärischer Flächennutzung können aber auch neue Ent-wicklungschancen eröffnen. So können Liegenschaftenim Rahmen regionaler und lokaler Beschäftigungs- undQualifizierungsprogramme genutzt werden. Bisher durchLärm- und Umweltbeeinträchtigungen gebeutelte Regio-nen können für Tourismus- und Freizeitangebote er-schlossen werden. Ich erinnere nur einmal an das Ver-sprechen von Herrn Scharping, der 1994 in Wittstockgesagt hat, dass das Bombodrom geschlossen werdensolle. Was glauben Sie, wie dankbar Ihnen die Wittstockerund die Leute in der Region wären, wenn Sie dort endlichKonversion betreiben würden?
In Ballungsräumen kann auf freien Liegenschaftenneuer Wohnraum geschaffen werden und es können Ge-werbeflächen-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen ent-stehen, alles natürlich unter der Voraussetzung, dass derBund die Länder und die rund 100 von den Standortredu-zierungen bzw. -schließungen betroffenen Gemeindennicht im Regen stehen lässt, sondern sie hinsichtlich derökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen undder Nachnutzungsoptionen unterstützt.Wir haben in unserem Antrag diverse konkrete Ange-bote gemacht. Immerhin hat er das Lob der Grünen ge-funden.Wie unseriös die gesamte Planung um den so genann-ten Umbau der Bundeswehr ist, wird am Beispiel derGEBB deutlich, die Herr Scharping eingerichtet hat. Insi-der gehen sogar so weit, die GEBB als größte Luftnum-mer zu bezeichnen, die ein Verteidigungsminister jemalszur Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erfun-den hat. Das ist ein Zitat von der Hardthöhe. Sollte es sich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Günther Friedrich Nolting17638
bewahrheiten, dass die GEBB, wie die „Welt“ gestern be-richtet hat, tatsächlich Haushaltsmittel in Wertpapierenangelegt hat, so sollte dies nicht nur rechtliche, sondernauch politische Konsequenzen haben.Abschließend möchte ich noch einmal deutlich ma-chen: Jetzt und auf absehbare Zeit gibt es keine militäri-sche Bedrohung für Deutschland und Europa. Selbst imRahmen der Vorsorge in Bezug auf Landesverteidigungund den Eventualfall Bündnisverteidigung reicht einedrastisch reduzierte Bundeswehr aus. Keine internatio-nale Verpflichtung zwingt die Bundesrepublik, die Bun-deswehr zu einer Interventionsarmee umzubauen. Dazu,wie unverbindlich die neue NATO-Strategie hinsichtlichBündnisverpflichtungen ist, haben der Außen- und derVerteidigungsminister sich letzte Woche wortreich vordem Bundesverfassungsgericht verteidigt.Nehmen Sie Ihre eigenen Kriterien zur nicht militäri-schen Friedenssicherung, Frau Beer, als Maßstab! Ver-zichten Sie auf fragwürdige, rechtswidrige Interventionenund entsprechende strukturelle Maßnahmen! Wir fordernSie auf: Schaffen Sie ein Amt für Abrüstung und Konver-sion, gehen Sie ernsthaft mit den Problemen in den Re-gionen um und nehmen Sie Abstand von dem Umbau zurInterventionsarmee! Dann gewinnen Sie nicht nur dasVertrauen der Bundeswehrangehörigen zurück, sondernauch das Vertrauen der betroffenen Menschen in den Re-gionen und Gemeinden.Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Walter Kolbow.
W
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Die bisherigen Einlassungen derOpposition in dieser Debatte können nichts daran ändern,dass wir mit der Neuausrichtung der Bundeswehr die seitJahren überfälligen und richtigen Antworten auf dieneuen internationalen Anforderungen geben und Ver-säumnisse Ihrer Regierungszeit in den Jahren 1990 bis1998 wieder gutmachen.
Ihre bisherigen Einlassungen können nichts daran än-dern, dass wir durch den bislang tiefgehendsten Umbauder Bundeswehr mit bündnis- und partnerfähigen Streit-kräften einen gewichtigen Beitrag zu einem Deutschlandleisten, das in einem handlungsfähigen Europa Verant-wortung trägt. Ihre Einlassungen konnten und könnenauch nichts daran ändern, dass wir durch unsere politi-schen Entscheidungen mit unseren transatlantischenFreunden Frieden und Freiheit in einer Welt der Globali-sierung mit ihren neuen Herausforderungen und Chancenstärken.Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie in Ihrer Oppo-sitionsnot mit Wortschöpfungen überzeichnen. Aber Siesollten, Herr Kollege Breuer, sehr vorsichtig sein, wennSie unsere ausländischen Partner hier im deutschen Parla-ment als Zeugen anrufen und sagen, dass auch diese sichäußerten, wir würden mit der Bundeswehr Schindludertreiben oder sie, wie Sie sich hier ausgedrückt haben, ver-ludern lassen.
Wir waren gestern mit den niederländischen Kollegin-nen und Kollegen zusammen. Ich hatte heute noch einmalGelegenheit, mit ihnen zu sprechen. Von solchen Vorwür-fen war keine Rede; stattdessen gab es Aufmerksamkeit fürunseren Weg, Aufmerksamkeit natürlich auch für dieSchwierigkeiten einer so grundlegenden Reform. Werwollte das leugnen? Wir packen es an; Sie konnten es nicht.
Sie sollten auch bei der Wahl Ihrer Worte darüber, inwelcher Liga wir nun spielen, wenn Sie die Soldatinnenund Soldaten und ihre Leistungsfähigkeit mit einbezie-hen,
sehr vorsichtig sein.
Überzeugen Sie sich davon, was unsere Marine jüngstin belgischen Gewässern bei einem NATO-Wettbewerbgeleistet hat: erster Platz! Überzeugen Sie sich davon, wasunser Heer nach wie vor leistet, nicht nur im Einsatz, son-dern auch bei den internationalen Übungen, zum Beispielbei „Partnerschaft für den Frieden“:
immer erste Plätze, immer im ersten Drittel! Das wirdnicht verhindert durch unsere Politik, nein, es wird geför-dert, weil wir die Soldaten unterstützen.
Ich sage Ihnen in dieser Auseinandersetzung auf IhreAnträge hin, die Anspruch haben, sorgfältig gelesen undbewertet zu werden – keine Frage –, auch, dass wir dieseReform unter nicht einfachen Bedingungen der Konsoli-dierung der Staatsfinanzen ermöglichen. Sie haben unsBerge an Schulden in Billionenhöhe überlassen, die unsZinslasten pro Jahr in fast doppelter Höhe des Verteidi-gungshaushaltes beschert haben.
Sie wissen genau, was in Ihrer Regierungszeit – auchdaran haben Sie zu tragen; das muss ich Ihnen immer
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Heidi Lippmann17639
wieder vorhalten – dem Verteidigungsetat an Mitteln unddamit an Investitionskraft und Betriebsfähigkeit entzogenworden ist.Wir haben die Entscheidungen für diese neue Bundes-wehr, für einsatzfähige und für ihre Aufgaben optimierteStreitkräfte trotz des hohen Entscheidungstempos mit ge-botener Sorgfalt getroffen. Dies gilt auch und gerade fürdie in den Anträgen immer wieder angesprochene Statio-nierungsfrage.
Die Beurteilung von Standorten erfolgte auf derGrundlage eines ausgewogenen Kriterienkataloges undeines inneren militärischen Strukturzusammenhangs.Überdies haben wir, Herr Kollege Nolting, bei den Sta-tionierungsentscheidungen den Belangen der Länder undder Kommunen sehr stark Rechnung getragen. Wie ernstes uns damit war, ergibt sich schon allein daraus, dass inder neuen Struktur mehr als 93 Prozent aller Standorte– Frau Kollegin Mogg hat darauf hingewiesen – erhaltengeblieben sind. Das ist deutlich mehr – ich muss es nocheinmal herausstellen –, als allein nach militärischen undwirtschaftlichen Aspekten vorgeschlagen wurde. Dies istunser volkswirtschaftlicher Beitrag – wenn Sie so wollen:das Sonderprogramm des Bundesministers der Verteidi-gung für die Regionen jenseits des militärischen Optimie-rens.
So leisten wir einen Beitrag zur Erhaltung der Wirt-schaftskraft in strukturschwachen Gebieten und so haltenwir die Bundeswehr auch künftig in der Fläche umfassendpräsent.
Erinnern Sie sich doch daran, was Sie bei Ihren Refor-men 1994/95 gemacht haben: auf Teufel komm raus in derFläche geschlossen! Und jetzt halten Sie uns vor, dass wirauf der Basis der von Ihnen getroffenen Entscheidungenzu wenig täten. Sehen Sie diese Reformen auch einmal imZusammenhang, berücksichtigen Sie, welche Standortegeschlossen worden sind und fassen Sie sich unter Wür-digung der Texte Ihrer Anträge an Ihre eigene politischeNase, meine Damen und Herren!
Auch wenn die Bewältigung des durch die Standort-konversion ausgelösten Strukturwandels in erster Linie inder Verantwortung der Länder und Regionen liegt, wasja auch anhand des F.D.P.-Antrages schon diskutiert wor-den ist
– es ist gut, Herr Nolting! –, wirkt der Bund gleichwohlüber ein breit gefächertes strukturpolitisches Instrumenta-rium an der regionalen Entwicklung mit, um die Folgenstruktureller Probleme zu mildern. So wirken zum Bei-spiel die Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,aber auch die Programme der Städtebauförderung, derAgrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung, die Mittel-standsförderprogramme sowie natürlich auch – das ist zukonstatieren – entsprechende Landesprogramme unter-stützend. Wir sind mit den Ländern im Dialog. Mit Bay-ern haben schon – Herr Kollege Rossmanith, Sie kommenja gleich dran, nehmen Sie es bitte auf und würdigen Siees – Gespräche stattgefunden. Der Wirtschaftsministerund die politische Leitung des Bundesministeriums derVerteidigung sind im Gespräch. Es sind ruhige, es sindsachliche, es sind konstruktive Gespräche, an denen auchder Städtebund und der Landkreisbund beteiligt sind. Mit-hilfe der Bundes- und der Länderprogramme werden wirzu vernünftigen Lösungen kommen. Wir werden auch be-lastbare Zeitpläne mitteilen.
Ich darf darauf hinweisen, dass diese Bundeswehr-reform von spürbaren Maßnahmen zur Steigerung derAttraktivität begleitet wird. Hierzu zählen die Besol-dungsverbesserungen, die in den Entwurf des sechstenBesoldungsänderungsgesetzes aufgenommen werden.Sie wissen von den Neuordnungen der Laufbahnen sowiedem Bestreben, den einvernehmlichen Abbau von Perso-nalüberhängen bei den Soldaten durch ein Personalan-passungsgesetz zu ermöglichen. Wir wollen diese Re-form mit den Soldatinnen und Soldaten, mit den zivilenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen, nicht gegensie.
Sie werden nach der Sommerpause Gelegenheit haben,sich hier parlamentarisch mit dem diesbezüglichen Ge-setzesvorhaben zu befassen. Auf weitere wegweisendeÄnderungen wie die Öffnung der Bundeswehr für Frauenin allen Laufbahnen und Laufbahngruppen sowie die Ein-führung eines abschnittsweisen Grundwehrdienstes darfich im Zusammenhang mit der Vollständigkeit der Re-form hinweisen.Es ist hier auch darauf hingewiesen worden, dass derTarifvertrag möglicherweise unzulänglich und nicht zu fi-nanzieren sei. Das wird nicht der Fall sein.Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von derOpposition, sollten vor Ort und hier im Hause aber auchnicht mit gespaltener Zunge auftreten. Ich habe – der Kol-lege Laumann ist leider gegangen – mit großer Betroffen-heit davon gelesen, dass trotz richtiger Information imVerteidigungsausschuss, bei dem der Partner der Presse-konferenz von Herrn Laumann, Herr Breuer, offensicht-lich dabei gewesen sein muss, gesagt worden ist, mankönne den Tarifvertrag noch nicht rechtsverbindlich un-terzeichnen, weil der Bundesminister der Verteidigungnicht so weit sei. Es ist ganz anders: Verdi ist noch nichtaufgestellt, noch nicht rechtsfähig; deswegen können wir
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Parl. StaatssekretärWalter Kolbow17640
erst am 18. Juli den Tarifvertrag zugunsten der Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter unterzeichnen.
Ich rufe Sie zu Redlichkeit in der politischen Auseinan-dersetzung auf, meine Damen und Herren.
– An mich jederzeit, das wissen Sie. So ein Zwischenruf,Herr Kollege Siemann, trifft mich in diesem Zusammen-hang überhaupt nicht. Wir können das auch vor Ort aus-tragen.Somit darf ich sagen: Diese Reform ist auf dem Weg.Der Zug fährt; er wird an Geschwindigkeit aufnehmen
und er wird trotz Ihrer Unkenrufe am Ziel angelangen –im Interesse unserer Bundeswehr als innenpolitisch undaußenpolitisch wichtiges konstitutives Element unseresLandes. Ich kann Sie nur einladen, hier nicht nur – aberdas ist Ihre Farbe – schwarz zu malen, sondern der Re-form auch politische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Ich danke für Ihre Geduld.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith.
Kurt J. Rossmanith (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege
Walter Kolbow, sie haben hier ein Bild gemalt. Das ein-
zige, was Sie dabei konstruktiv rübergebracht haben, war,
dass Sie wieder versucht haben, auf die Vergangenheit zu
kommen und vermeintliche Sünden der damaligen Regie-
rung aus CDU/CSU und F.D.P. im Bereich der Sicher-
heitspolitik und unserer Streitkräfte anzuprangern. Nur,
da sind Sie, wie Sie das seit 1998 schon machen, wieder
in die gleiche Falle gerannt; denn die Zahlen – ich könnte
Sie Ihnen jetzt vorlegen, aber Sie kennen sie ja – sprechen
eine ganz andere Sprache. Leider Gottes ist es eine Tatsa-
che, dass die Lage der Bundeswehr in der Zwischenzeit
dramatisch geworden ist.
Die sich zuspitzende Lage in Mazedonien zeigt
schließlich – nicht, dass wir sagen, unsere Soldaten seien
schlecht ausgebildet oder ausgerüstet –,
dass wir auf dem Weg dahin sind. Im internationalen Ver-
gleich sind wir natürlich stolz auf unsere Soldaten. Aber
fragen Sie doch die Soldaten selbst: Wir sind doch auf
dem besten Weg dahin. Das Geleistete ist doch nur noch
möglich, weil man Material zusammensammelt und die
Soldaten mit den letzten Gerätschaften, die einigermaßen
funktionieren, ausstattet. Deshalb können Sie momentan
noch so erfolgreich sein.
Nein, Herr Staatssekretär, die von Ihnen immer wieder
beschworene Bundeswehrreform verdient diese Bezeich-
nung schlicht und einfach nicht; denn es ist keine Reform,
sondern ein reines Finanzdiktat des Bundesministers der
Finanzen und des Bundeskanzlers zulasten unserer Solda-
ten, unserer Bundeswehr und unserer Sicherheitspolitik.
Leider Gottes hat sich dieses sicherheitspolitische
Fiasko schneller eingestellt, als wir selbst dies zunächst
befürchtet hatten. Knapp ein Jahr nach dem Kabinettsbe-
schluss zur so genannten Bundeswehrreform hat der
Generalinspekteur der Bundeswehr erklären müssen, dass
die Bundeswehr ihre Verpflichtungen gegenüber der
NATO und der Europäischen Union wegen der fehlenden
Finanzmittel kaum mehr erfüllen kann.
Knapp ein Jahr nach dem Beginn der so genannten
Bundeswehrreform sind unsere Streitkräfte nicht mehr in
der Lage, sich an einem begrenzten Einsatz der NATO zur
Entwaffnung albanischer Rebellen in Mazedonien zu
beteiligen.
– Ich komme noch darauf zu sprechen.
Bereits bei der Verlängerung des KFOR-Mandats ha-
ben wir klargestellt, dass wir einer weiteren Ausweitung
des Mandats auf dem Balkan nur dann zustimmen kön-
nen, wenn die Bundeswehr hierfür auch die zusätzlich
erforderlichen Finanzmittel erhält. Wir werden – damit
Sie sich keinen falschen Hoffnungen hingeben – an dieser
Vorgabe auch festhalten. Wir sind das unseren Soldaten
schlicht und einfach schuldig, die in diesen Krisenregio-
nen ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, um den si-
cherheitspolitischen Auftrag, den wir ihnen erteilt haben,
zu erfüllen und um einen Beitrag zu Frieden und Stabilität
in dieser Region zu leisten.
Es kann nicht angehen, dass unsere Soldaten immer
neue Aufgaben von dieser Bundesregierung und den sie
tragenden Parteien erhalten und der Finanzminister
gleichzeitig diesen Streitkräften die Mittel entzieht. Es
eh
Geben Sie sich im Finanzministeriumendlich einen Ruck und geben Sie Ihrem Kollegen, Ver-teidigungsminister Scharping – sprich: unseren Streit-kräften –, das, was nötig ist, um unsere gemeinsame Si-cherheitspolitik, zu der wir immer gestanden haben, auchumsetzen zu können!
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Parl. StaatssekretärWalter Kolbow17641
Bundeskanzler Schröder erklärt nun, dass er sich die-sem NATO-Einsatz in Mazedonien nicht entziehen will.Ich will ihn aber schon darauf hinweisen, dass die inter-nationalen Verpflichtungen Deutschlands auch haushalts-politisch abgesichert sein müssen. Er hat heute gesagt,natürlich werde er dafür zusätzliche Mittel bereitstellen.Wörtlich ist heute der Presse zu entnehmen: „Darauf kannsich der Verteidigungsminister verlassen.“ Bundesminis-ter Scharping wird diese Zusicherung sicherlich mit ge-mischten Gefühlen und großer Skepsis zur Kenntnis ge-nommen haben. Dafür hätte ich auch volles Verständnis;denn der Verteidigungsminister hat schließlich in der Ver-gangenheit seine eigenen negativen Erfahrungen mit denZusagen des Kanzlers machen müssen.Ich erinnere daran, dass Bundeskanzler Schröder nochsehr lange nach Beginn seiner Amtszeit vollmundige Ver-sprechungen zur finanziellen Ausstattung der Bundes-wehr abgegeben hat. Ich finde es schon erstaunlich, meinesehr verehrten Damen und Herren, mit welcher Gleich-gültigkeit und Ignoranz der Bundeskanzler heute auf dieHilferufe der Bundeswehr reagiert und dass er dem Fi-nanzminister bei seinen Streichungen, Kürzungen undReduzierungen auch weiterhin tatenlos zusieht und ihngewähren lässt. Es ist ganz sicher, dass die Sicherheitspo-litik bei diesem Bundeskanzler keinen allzu hohen Stel-lenwert besitzt
und die Probleme der Bundeswehr ihn im Endeffekt völ-lig kalt lassen.Ich bin der Meinung, es ist allerhöchste Zeit, dass beider gesamten Bundesregierung ein grundsätzliches Um-denken einsetzt. Wir stehen nämlich in der Gefahr – wiees der Kollege Breuer schon gesagt hat –, unsere Glaub-würdigkeit auf internationaler Ebene, insbesondere im si-cherheitspolitischen Bereich, zu verlieren. Gerade heute– um auch das einmal mit anzusprechen – hat der ameri-kanische Präsident Bush erklärt, der amerikanische Ver-teidigungshaushalt werde im nächsten Jahr um 18,6 Mil-liarden US-Dollar ansteigen. Das ist ein Anstieg von rund6 Prozent. Wir hingegen rangieren mit unserem Wehretatinzwischen an letzter Stelle der NATO-Partner, das heißt,noch hinter Luxemburg.Lassen Sie mich einen weiteren Punkt mit ansprechen,der in den Anträgen enthalten ist: Der Bundesverteidi-gungsminister und auch Sie, Herr Staatssekretär Kolbow,haben in der Vergangenheit – wider besseres Wissen,muss ich heute sagen – erklärt, dass die Bundeswehr auchnach der Reduzierung in der Fläche präsent bleibenwerde. Das Gegenteil dessen ist eingetreten: Weite Land-striche, vor allem in Bayern, muss man heute bedauer-licherweise als „bundeswehrfrei“ bezeichnen.
Und dabei wird es ja nicht bleiben: Sollte es bei der der-zeitigen Finanzplanung bleiben, so ist – schon aus reinerGeldnot – die Schließung weiterer Standorte so gut wie si-cher.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit allerEmotion sagen: Wir haben vorgestern – das hat mich sehrberührt und berührt mich immer noch, lieber Herr Staats-sekretär Kolbow – in Garmisch-Partenkirchen die dortigeGebirgsdivision im wahrsten Sinne des Wortes zu Grabegetragen. Das Gebirgsmusikkorps musste seinen eigenenTrauermarsch spielen. Eine leistungsfähige, hoch moti-vierte und traditionsreiche Division, die nicht nur eineenorme sicherheitspolitische Bedeutung hatte, sonderndarüber hinaus in der Bevölkerung fest verwurzelt war,wird mit einem Federstrich ausgelöscht.
Wir erleben hier die schmerzhafte Konsequenz einer sinn-losen Kahlschlagpolitik, die auch auf gewachsene Struk-turen, die traditionelle Verankerung der Bundeswehr inden Regionen, keinerlei Rücksicht nimmt. Deshalb kön-nen Sie, die Bundesregierung und die sie tragenden Par-teien, sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
Zu den Standortschließungen: Es ist ja gut, dass Siejetzt endlich, nachdem Sie bisher alle unsere Anträge ab-gelehnt haben, einmal Gespräche führen wollen. Nur, wirwollen Fakten sehen. Der Kollege Nolting und der Kol-lege Breuer haben ja Beispiele gebracht – ich sage nur:Stavenhagen –, wo Handeln geboten ist: Ich erinnere andie vielen Frauen, die in den Küchen der Bundeswehr ar-beiten, die nicht die Möglichkeit haben, von diesem Pro-zess, den Sie angesprochen haben, zu profitieren, weil sieauf ihre Region angewiesen sind. Diese wird es besonderstreffen.Auf das Argument, das die Bundesregierung immerwieder geltend macht, dass die Länder seit 1993 einen um2 Prozent höheren Anteil an der Mehrwertsteuer erhalten,will ich nicht weiter eingehen. Das wird zwar von Ihnen,Herr Staatssekretär Kolbow, landauf, landab verkündet,aber das ist völliger Unfug. Sie wissen, wie es sich seiner-zeit damit verhielt: dass hier ein Gesamtpaket geschnürtwurde, dass die Konversion in dem Zusammenhang nurein nebensächliches Faktum war und dass der damaligeMinisterpräsident von Niedersachsen, Gerhard Schröder,das Gesamtpaket aus diesem Grunde mit abgelehnt hat.Damals ging es um die Kosten für die deutsche Einheitoder, besser gesagt, um die Kosten für die Überwindungder Hinterlassenschaft des Sozialismus.Es ist noch nicht zu spät. Wir werden im Herbst mit denBeratungen für den Bundeshaushalt 2002 beginnen. Be-sinnen Sie sich wieder! Der Bundeskanzler, die Bundes-regierung und die sie tragenden Parteien, die ab Septem-ber die Haushaltsberatungen anführen, weil sie sowohl imHaushaltsausschuss als auch im Parlament mehrheitlichvertreten sind, sollten diese Korrektur aufgrund der Hin-terlassenschaft, die der Finanzminister in Bezug auf denBundeshaushalt angerichtet hat, wirklich vornehmen.
Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Rainer Arnold.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Kurt J. Rossmanith17642
Frau Präsidentin! Werte Kolle-
ginnen! Werte Kollegen! Es waren schon ziemlich starke
Worte, die Sie, Herr Breuer, heute hier gewählt haben:
zum Beispiel „verludern“ und „Abbruchunternehmen
Bundeswehr“. Glauben Sie eigentlich, dass Ihr Heiligen-
schein umso heller leuchtet, je scheinheiliger Ihre Argu-
mente sind? Sie kennen sich beim Thema Bundeswehr gut
aus; auch Herr Rühe, der sich in den letzten Wochen ge-
legentlich wieder zu Wort meldet. Zu Ihrer Zeit ist doch
die Bundeswehr ausgeblutet! Sie haben die Investitionen
auf 21,1 Prozent der Gesamtinvestitionen herunterge-
fahren. Sie wissen, dass wir wieder Richtung 25 Prozent
kommen.
Sie wissen auch, dass wir gerade in den nächsten Wochen
eine ganze Reihe von wichtigen Investitionsvorhaben im
IT- und Kommunikationsbereich auf den Tisch legen und
positiv entscheiden werden. Dies werden wir im Gegen-
satz zu Ihnen umsetzen.
Die Bugwelle an Mängeln, die wir bei der Material-
unterhaltung vor uns herschieben, ist natürlich 1994 auf-
gebaut worden und nicht in den letzten Jahren. Auch das
Wort „Kannibalisierung“ haben nicht wir erfunden. Das
stammt vielmehr aus der Zeit, in der Sie Verantwortung
tragen.
– Herr Rossmanith, bevor Sie hier dazwischenschreien,
ist festzustellen: Sie haben von einer Parlamentsarmee
gesprochen. Dann verhalten Sie sich doch bitte in Zukunft
entsprechend!
Übernehmen Sie als Parlamentarier Mitverantwortung für
die Reform dieser Parlamentsarmee!
Es ist schon spannend: Herr Rossmanith sagt, er wisse
gar nicht, was das solle, das sei gar keine Reform.
Herr Breuer sagte vorhin – ich zitiere –: „Die Eckpunkte
dieser Reform sind eigentlich richtig.“
Was ist nun Sache? Sprechen Sie sich zwischen CDU und
CSU doch einmal ab, wie Sie sich eine Reform überhaupt
vorstellen!
Das Dilemma ist doch jedem aufmerksamen Beobach-
ter offenkundig: Wir haben derzeit 320 000 Soldaten.
Wenn es die Bundeswehr aber nur mit großer Anstren-
gung und großer Mühe schafft, von diesen 320 000 Sol-
daten 7 500 für einen Auslandseinsatz bereitzustellen,
dann merken wir doch, wie überfällig eine Reform
tatsächlich ist.
Alle Experten, auch der von Ihnen zitierte Richard von
Weizsäcker, sind der Meinung: Wir werden in Zukunft
– um den Aufgaben gerecht zu werden – 150 000 einsatz-
fähige Soldaten und einen entsprechenden logistischen
Unterbau brauchen. Genau dies werden wir im Laufe der
nächsten Jahre aufgrund der jetzt vorgesehenen Reform
erreichen.
Wo bleiben Sie? Die CDU/CSU sagt nach wie vor:
330 000 Soldaten sind notwendig. – Wo ist Ihre sicher-
heitspolitische Analyse, um zu solch einer Zahl zu kom-
men? Ich habe auch angesichts der von Ihnen geführten
Diskussion im Rahmen der Schließung von Standorten
den Eindruck: Teile von Ihnen haben überhaupt noch
nicht kapiert, dass die Bundeswehr kein Selbstzweck ist,
sondern dass sie den politischen Rahmen ausfüllt, den wir
ihr in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Landes-
und Bündnisverteidigung, im Hinblick auf unsere europä-
ischen Aufgaben und unsere Zusagen gegenüber den Ver-
einten Nationen geben.
Dies scheint bei Ihnen noch nicht angekommen zu
sein. Sie sprechen stattdessen fast immer nur – egal, wel-
che Vorlage wir zurzeit haben – über das Geld.
– Sie sagen genau das Richtige: weil es nicht da ist. Sie
haben nicht Unrecht.
Angesichts unserer leeren Kassen ist eine Reform der
Bundeswehr – das wissen wir natürlich – in der Tat nicht
einfach. Doch auch die Bundeswehr muss ihren Beitrag
zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten. Glauben
Sie wirklich – ich bitte Sie, einmal darüber nachzuden-
ken –, dass eine Bundeswehrreform, die auf neuen Schul-
den aufgebaut wird, unserer Bundeswehr bzw. den Solda-
tinnen und Soldaten langfristig hilft?
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Rossmanith?
Ich möchte meinen Gedankenkurz zu Ende bringen. – Die großen Investitionsvorhabenbei den Streitkräften standen exakt Ende der 90er-Jahrean. Wenn wir es nicht schaffen, den Trend im Bundes-haushalt umzukehren, das heißt, weniger Schulden zu ma-chen und am Ende zu einem ausgeglichenen Haushalt zukommen, muss ich mich fragen: Wie soll die uns nachfol-gende Politikergeneration die Weichen richtig stellen und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17643
die neuen Herausforderungen für die Bundeswehr bewäl-tigen können? Letztlich versündigen Sie sich nicht nur ander Zukunft der jungen Generation, sondern auch an derZukunft der Bundeswehr, wenn Sie sagen: Wir gebenmehr Geld aus und nehmen dabei eine höhere Verschul-dung in Kauf. Sie haben das viele Jahre so gemacht, aberdas ist völlig unsolide.
Herr Kollege, sind
Sie der Meinung, dass wir eine Sicherheitspolitik nur nach
Kassenlage machen können? Sind Sie weiter der Mei-
nung, dass Anhebungen in anderen Bereichen des Bun-
deshaushalts durchaus ihre Berechtigung haben, wir aber
den Haushalt des Bundesministers der Verteidigung, zu-
lasten unserer Streitkräfte, überproportional kürzen müs-
sen?
Herr Kollege, Ihr Reden voneiner „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“ ist – auf gutbayerisch – ein richtiger Schmarren. Die Sicherheitspo-litik dieser Koalition orientiert sich an den neu erkann-ten Aufgaben sowie an dem, was der Außenminister undder Bundeskanzler den Partnern unseres Landes zugesi-chert haben. Mit einem Betrag von 46,2 Milliarden DMim Haushalt und den zusätzlichen Effizienz- und Ver-äußerungsgewinnen können wir in den nächsten Jahrenauf einen Gesamtbetrag von 48 Milliarden DM kom-men.
Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass wir vonIhrer Forderung gar nicht mehr so weit weg sind.
– Ich weiß natürlich, dass Sie permanent Zweifel daranschüren, ob wir es tatsächlich schaffen, die Erträge aus ei-ner Effizienzsteigerung in die Scheuer zu fahren.Natürlich ist es nicht einfach, einen so großen Appa-rat wie die Bundeswehr zu modernisieren. Es gibt viele,die diesem Vorhaben Steine in den Weg legen. Es istaber richtig: Die Kooperation mit der Wirtschaft, dieGründung der Gesellschaft für Entwicklung, Be-schaffung und Betrieb, ist ein neuer und wichtiger An-satz. Gelegentliche Widerstände sind für mich ehernormal. Ich versuche, sie mit guten Argumenten aus-zuräumen, sage allerdings dazu: Wenn das Beharrungs-vermögen von Kollegen bzw. des einen oder anderen inder Beamtenschaft gelegentlich zu stark ist, muss esdurchbrochen werden. Deshalb ist es sehr gut und eindeutliches Zeichen, dass sich mit dieser Frage in denvergangenen Wochen nicht nur der Verteidigungs- undder Finanzminister, sondern auch der Bundeskanzlerbefasst hat. Sie werden sehen: Auch Ihre Zweifel wer-den in den nächsten Tagen, vielleicht sogar Stunden,deutlich ausgeräumt.
Wir sollten den Weg der GEBB konsequent zu Endedenken. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Gesellschaftzukünftig von unnötigen Fesseln befreien. Ich wünschemir diese Eigentümergesellschaft und ich wünsche mir,dass die GEBB am Kapitalmarkt aktiv werden kann, umeine Brücke für nötige Neuinvestitionen und Sanierungender Liegenschaften zu bauen.
Dies ist vor allem für den Zeitraum wichtig, bis wir die Er-löse aus der Veräußerung der Liegenschaften haben. Al-leine in Bayern werden sich – Sie wissen das doch – ausGrundstücksverkäufen 300 Millionen DM erzielen las-sen; aber das braucht Zeit.Die GEBB kommt voran, die Ausschreibungen sindvorbereitet, die GEBB hat in den Bereichen Flottenma-nagement, Bekleidung, Liegenschaften und Kommunika-tionstechnik Prioritäten gesetzt. Wir werden nächste Wo-che im Ausschuss feststellen können: Schritt für Schrittwird dieses Projekt erfolgreich.
Alles in allem: Die Reform ist auf einem guten Weg. Sieumzusetzen ist ziemlich schwer, das ist klar. Aber deshalbsind wir gewählt worden, weil Sie mit derart schwerenHerausforderungen in der Vergangenheit eben nicht fertiggeworden sind. Am Ende dieses Prozesses steht eine neuausgerichtete Bundeswehr. Sie wird mobil und im gesam-ten Einsatzspektrum durchhaltefähiger sein. Sie wird übereine technisch aktuelle Ausrüstung sowie ein qualifiziertesund weiterhin hoch motiviertes Personal verfügen.Meine Beobachtung bei meinen gelegentlichen Stand-ortbesuchen ist: Die Soldatinnen und Soldaten sind imPrinzip viel ideenreicher, viel mutiger und sehen dieNeuausrichtung der Bundeswehr – im Gegensatz zu Ihnenvon der CDU/CSU – eher als Chance.
Vielleicht sollten Sie bei Ihren Standortbesuchen inden nächsten Wochen ein bisschen sorgfältiger zuhören,anstatt immer wieder zu versuchen, die betroffenen Sol-daten und auch die Zivilbeschäftigten in Ihrem ganz of-fensichtlich vordergründigen parteipolitischen Interessein Stellung zu bringen.
Das ist nicht gut für die Bundeswehr und es ist nicht gutfür ein gedeihliches Zusammenführen der gemeinsamenVerantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik, dieein Stück Markenzeichen in den letzten 40 Jahren in die-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
RainerArnold17644
ser Republik war. Sie sind dabei, diesen wichtigen Kon-sens – das wiegt angesichts der kommenden schwierigenDebatten besonders schwer – Stück für Stück zu zerstören.Herzlichen Dank.
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses auf Drucksache 14/6396. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/5220 zur Abgabe einer
Erklärung der Bundesregierung mit dem Titel „Die Bun-
deswehr der Zukunft, Feinausplanung und Stationie-
rung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen wor-
den.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5236 zu der oben ge-
nannten Regierungserklärung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS
angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses auf Drucksache 14/6397 zu dem An-
trag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Hilfe durch den
Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffe-
nen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5467 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes
– Drucksachen 14/6121, 14/6261 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/6325 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär Siegmar Mosdorf das
Wort.
S
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Es passiert mir ganz sel-
ten, dass, wenn ich aufgerufen werde, der Saal sich leert.
Dieses Mal ist es offensichtlich der Fall.
Nehmen Sie es
nicht persönlich. Ich glaube, es war nicht so gemeint.
S
Danke schön,Frau Präsidentin, Sie machen mir Mut.Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dieGelegenheit nutzen, den Prozess noch einmal darzustel-len, den wir seit der Privatisierung der Deutschen Post imJahre 1995 durchlaufen haben. Es war ein schwieriger, einwichtiger Weg, der uns gleichzeitig in die Lage versetzthat, diesen wichtigen Sektor, der in vielen Ländern nochstaatlich organisiert ist, in Deutschland in eine moderneForm zu bringen.Lassen Sie mich zu Beginn ein herzliches Dankeschönan die Arbeitnehmer sagen, die diesen Prozess des aktivenStrukturwandels mitgetragen haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es wichtigist, dass wir jetzt versuchen, diesen Prozess weiter zu be-gleiten. Wenn wir uns die Globalisierung, die sich aufdem Postmarkt, auf dem Logistikmarkt abspielt, einiger-maßen realistisch betrachten, dann wissen wir, dass dieserMarkt schwer umkämpft ist und einem massiven Wettbe-werb unterliegt. Deshalb müssen die Unternehmen auchstark sein, um in diesem Wettbewerb bestehen und sichentsprechend behaupten zu können. Ich glaube, dass derSektor, den man klassisch Post nennt, in Zukunft der ent-scheidende Transport- und Logistikmarkt sein wird. Eswird für moderne Volkswirtschaften eine Schlüsselfragesein, wie sie auf diesem Markt weltweit aufgestellt sind.Ich danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen,die sich im Unterausschuss mit diesem Thema sehr inten-siv beschäftigen.Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, im Tele-kommunikationsministerrat den Kurs der weiteren Libe-ralisierung auch in Europa unterstützt und nachdrücklichdarauf gedrängt; ich selber habe das bei mehreren Tele-kommunikationsministerräten für die Bundesregierungtun dürfen. Die einhellige Antwort der südeuropäischenLänder darauf war immer – das wissen natürlich auch Sie,Herr Müller –, dass sie dargestellt haben, dass sie großeProbleme damit haben, und gesagt haben: Wenn ihr einengleichmäßigen Liberalisierungsfortschritt in Europa undeine Öffnung der Märkte erreichen wollt, dann sprecht mituns im Jahr 2010, 2011 oder später. Andere Länder,wie Griechenland oder Frankreich, hatten noch andere
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RainerArnold17645
Vorstellungen. Wir haben intensive Diskussionen darübergeführt.Am 22. Dezember 2000 hatten wir, auch das wissenSie, eine Pattsituation im Ministerrat und kamen bei die-ser Entscheidung deshalb nicht voran. Meine persönlicheEinschätzung ist – ich selbst war gestern im Telekommu-nikationsministerrat –, dass das ein langwieriger Prozesssein wird. Es gibt viele Länder, die nach wie vor auf einestaatliche Post Wert legen und nicht bereit sind, diesenWeg, den wir gegangen sind, jetzt schnell nachzuvollzie-hen. Da wir aber dafür eintreten, die Strategie der Markt-öffnung in Europa gemeinsam umzusetzen und nicht nurbei uns durchzuführen, müssen wir in Europa weiter aufdie Liberalisierung drängen. Zugleich müssen wir aberalles tun, um uns selbst auf dem Markt stark zu positio-nieren.Das geschieht gegenwärtig. Für weitere Marktöff-nungsschritte brauchen wir in Europa eine Mehrheit von62 Stimmen von insgesamt 87 Stimmen. Diese Mehrheithaben wir nicht, und sie ist auch nicht absehbar. Deshalbhaben wir uns dazu entschlossen, jetzt die Exklusivlizenzbis zum 31. Dezember 2007 zu verlängern. Damit gebenwir der Deutschen Post AG die Möglichkeit, aktiv inter-national zu agieren, aber gleichzeitig nicht in die Situationzu kommen, wie wir sie von manchen anderen Branchenkennen, wo wir uns bereits in einem liberalisierten Marktbefinden und andere aus Monopolsituationen heraus ver-suchen, sich bei uns die Rosinen herauszupicken. Dasgeht nicht. Wir wollen eine Marktöffnung und wollengleichzeitig einen fairen Wettbewerb. Deshalb haben wirjetzt diese Lösung vorgeschlagen.Ich möchte mich herzlich bei den Kollegen bedanken,die daran mitgewirkt haben, dass wir bei den parlamenta-rischen Beratungen so zügig vorangekommen sind unddass wir im Wirtschafts- und im Rechtsausschuss eineschnelle Entscheidung getroffen haben, um die zweiteund dritte Lesung vorzubereiten.Die Entscheidung der Bundesregierung ist auch des-halb so wichtig, weil damit Klarheit und Sicherheit für dieWettbewerber herrscht. Wer sich ein bisschen in der Bran-che auskennt, der weiß, dass es eine Reihe von Wettbe-werbern und Lizenznehmer gibt, für die der Punkt der Ex-klusivlizenz gar nicht so wichtig ist. Sie haben sich sehrgenau Marktnischen herausgesucht. In diesen Markt-nischen sind sie zum Teil sehr erfolgreich. Weil sie dorterfolgreich sind, wollen sie auch weiterhin dort agieren.Die Deutsche Post AG hat 240 000 Arbeitsplätze. Dassind wichtige Arbeitsplätze. Was den Transport- und Lo-gistikbereich angeht, ist das eine der wichtigsten Zu-kunftsunternehmungen überhaupt für Deutschland. Ichglaube, das Unternehmen Post hat sich gut aufgestellt undorganisiert sich gut. Wenn wir unseren Gesetzentwurf um-setzen und gleichzeitig auf eine signifikante Marktöff-nung in Europa drängen, dann haben wir eine guteChance, diesen Weg weiterzugehen. Wir gehen aber nichtnaiv in ein Rennen, bei dem andere aus Monopolsitua-tionen heraus versuchen, uns in eine schwierige Situationzu bringen.Wir werden deshalb die Verlängerung der Exklusiv-lizenz vornehmen. Ich bitte Sie deshalb, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung und die Beschlussempfehlungdes Ausschusses zu unterstützen, weil das die Vorausset-zung dafür schafft, dass wir auf diesem wichtigen Zu-kunftsmarkt auch in Zukunft erfolgreich sein werden.Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Elmar Müller.
Frau Präsi-dentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Kolleginnenund Kollegen! In diesen Tagen erlebt die BundesrepublikDeutschland einen Pleiterekord ganz besonderer Art: DieArbeitslosenzahlen steigen saisonbereinigt und die Ver-braucherpreise steigen in einem Maße, dass es dem Bür-ger schwindlig wird, wenn er in seinen Geldbeutel schaut.Man sollte meinen, dass die rot-grüne Bundesregierung ineiner solchen Zeit Entscheidungen trifft, die der wirt-schaftspolitischen Vernunft entsprechen. Aber sie tut dasGegenteil, indem sie zum gleichen Zeitpunkt das Be-triebsverfassungsgesetz verschärft, unverdrossen weiteran der Erhöhung der Ökosteuer festhält und jetzt den Bür-gern sogar beichten muss, dass trotz höherer Steuern nichtmit einer Senkung der Abgabenquote im sozialen Systemgerechnet werden dürfe und nicht einmal mit einem Still-stand, sondern sogar mit einer Abgabenerhöhung zu rech-nen sei.In dieser wirtschafts- und arbeitsmarktspolitisch kriti-schen Zeit wird mit an den Haaren herbeigezogenen Ar-gumenten das Postgesetz geändert, das bisher das Aus-laufen des Postmonopols zum Ende des nächsten Jahresvorsieht. Dieses von uns beschlossene Ende des Postmo-nopols sollte dem Verbraucher günstigere Posttarife brin-gen; der Markt sollte mit mehr und qualitativ höherwer-tigen Produkten ähnlich wie in der Telekommunikationeine neue Dynamik erhalten und es sollten vor allem neueArbeitsplätze geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen dreiJahren haben sich mehr als 800 Firmen auf diese Chancevorbereitet. Obwohl sie nur in einem engen Bereich re-servierter Postdienste arbeiten durften, haben sie bei ei-nem Marktanteil von nur 1,5 Prozent 30 000 Arbeitsplätzegeschaffen.Die Verlängerung des Postmonopols um weitere fünfJahre, die die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Än-derung des Postgesetzes beabsichtigt, muss man zumin-dest einen gravierenden Vertrauensbruch nennen. Et-liche der betroffenen Firmen und vor allem vieleArbeitnehmer in diesen Firmen nennen es inzwischen so-gar einen Betrug.
In den vergangenen Jahren hat die Regulierungs-behörde für Telekommunikation und Post insgesamt906 Unternehmen Lizenzen für die Beförderung von
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Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf17646
Briefsendungen erteilt. Rund 600 Unternehmen davonsind heute am Markt tätig, der überwiegende Teil im Be-reich qualitativ höherwertiger Dienstleistungen, also inden Bereichen, in denen es Produkte ohne diese Unter-nehmen gar nicht gäbe, weil sie von der Post überhauptnicht oder nur unzureichend angeboten werden.Der Kurs der Postaktie ist seit der Erstausgabe um20 Prozent gefallen, wie wir nach der gestrigen erstenHauptversammlung heute den Zeitungen entnehmenkönnen. Der erste Grund dafür ist, dass, wie die Deut-sche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagt, diepolitische Situation über das Briefmonopol der Aktieschade. Der zweite Grund ist die Absicht des Bundes,im nächsten Jahr weitere Aktienanteile der Post zu ver-kaufen. Dann wurde in der gestrigen Hauptversamm-lung die Frage gestellt, wer denn diese Aktie überhauptnoch kaufen solle. Das schlechte wirtschaftspolitischeImage, das diese Regierung inzwischen hat, wird sogarauf die Post übertragen. Das hat die Post wirklich nichtverdient.
Meine Damen und Herren, auch die ständig vorgetra-gene Kritik der SPD und der Gewerkschaften, wonach dieneuen Wettbewerber der Post Arbeitnehmer beschäftig-ten, die völlig ohne Arbeitnehmerrechte seien, ist ledig-lich bösartig und durch die Praxis längst widerlegt. DieRegulierungsbehörde hat bei bisher 450 der insgesamt600 am Markt tätigen Unternehmen Überprüfungen vorOrt durchgeführt. Diese Regelüberprüfungen haben ins-gesamt ein positives Bild ergeben. Offensichtliche Ver-stöße gegen die Lizenzbestimmungen wurden in diesemBereich bisher nicht festgestellt. Bei den 450 bisher über-prüften Lizenznehmern sind rund 19 000 Arbeitskräfte be-schäftigt, davon 2 550 im Vollzeitbereich und 4 500 Teil-zeitkräfte; von den rund 10 500 geringfügig Beschäftigtenstehen immerhin 9 000 in einem sozialversicherungs-pflichtigen Arbeitsverhältnis. Damit werden – gemessenan der Gesamtarbeitszeit – 95 Prozent der lizenz-pflichtigen Tätigkeiten in sozialpflichtigen Arbeitsver-hältnissen erbracht.Noch immer gibt es – auch das muss gesagt werden –rund 500Klagen der PostAG gegen die Erteilung von Li-zenzen an Unternehmen für höherwertige Dienstleistun-gen, wobei ein Großteil der verklagten Firmen inzwischenvom Markt verschwunden ist, weil sie wegen der hohenAnwaltskosten die Segel gestrichen haben. Es handeltsich um Lizenznehmer, die in der taggleichen Zustellungeine Rolle gespielt haben, also die Post wirklich nicht tan-giert hätten. Das klingt zwar salopp. Aber dahinter stehteine ganze Reihe von Entlassungen in die Arbeitslosig-keit.Der AZD, der Alternative Zustelldienst, rechnet damit,dass ihm durch die Verlängerung des Briefmonopols, wiesie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenist, allein in den neuen Bundesländern 5 000Arbeitsplätzeverloren gehen. Das alles interessiert diese Regierung ausrot-grünen Genossen nicht im Geringsten. Zumindesthabe ich bisher keinerlei Proteste gehört, weder vom Ar-beitsminister noch vom Beauftragten der Bundesregie-rung für die neuen Bundesländer, Herrn StaatsministerSchwanitz, der sich eigentlich aufregen müsste, dass rund5 000 Arbeitsplätze allein in den neuen Bundesländern,für die er zuständig ist, in den nächsten Monaten verlorengehen werden.
Es ist offensichtlich etwas anderes, ob IBM nach Ar-beitskräften aus dem Ausland ruft, die Firma Holzmannvor dem Konkurs steht oder ob kleine und mittelständi-sche Unternehmen Arbeitsplätze abbauen müssen. DieseRegierung mag die Worte „Wettbewerb“ und „Mittel-stand“ noch so oft als Propagandaworte in ihren Sonn-tagsreden in den Mund nehmen: Am praktischen Beispiel,wenn es darum geht, konkret etwas für den Mittelstand zutun, versagt das Wirtschaftsministerium und nicken dieAbgeordneten der rot-grünen Koalition ergebenst undhuldvoll das nur noch ab, was die Regierung ihnen abver-langt.
Wo sind denn Ihr Abgeordnetenverständnis und Ihre Sor-gen um die Arbeitsplätze geblieben?Die Beiträge der Grünen in dieser Frage kann man imÜbrigen nur noch als humoristische Einlagen bezeichnen.Frau Hustedt, ich bin überzeugt, Sie meinen es ernst,wenn Sie sagen, dass Sie gegen die Verlängerung desPostmonopols oder gegen die verhinderte Senkung derBeförderungspreise seien. Aber irgendwann müssen Siedoch einmal beweisen, dass Ihr Wort in der Koalition et-was gilt und dass Sie etwas bewegen können. Wenn demnicht so ist, dann sollten Sie Ihre gut gemeinten Beiträgekünftig einfach bleiben lassen.
Sie wissen es doch selbst: Opfer der Entscheidung, dieSie jetzt zu treffen beabsichtigen, wären zudem die neugegründeten mittelständischen Firmen im Briefmarkt, dieSie in Existenznöte bringen werden. Diese hatten im Ver-trauen auf die im Postgesetz für Ende nächsten Jahres vor-gesehene Beendigung des Briefmonopols in den privatenZustellmarkt investiert. Alle privaten Zustellunternehmenmüssen als Folge der Verlängerung des Briefmonopolsum ihre wirtschaftliche Basis fürchten. Für sie stellt sichdie Änderung des Postgesetzes als enteignungsgleicherEingriff dar. Ohne Wettbewerbsalternative sind Wirt-schaft und Handel dem Preisdiktat der Deutschen Postausgesetzt.Das Briefmonopol wurde der Post für einen Über-gangszeitraum verliehen, in der sich das Unternehmen aufden Wettbewerb vorbereiten sollte. Das hat die Post,denke ich, in ausreichendem Maße getan. Im Vertrauenauf das gesetzlich festgelegte Enddatum des Briefmono-pols haben die privaten Briefdienste erhebliche Vorleis-tungen erbracht, Strukturen aufgebaut und ein neues Qua-litätsbewusstsein im Briefdienst geschaffen. Vollendsunverständlich ist daher die dafür gegebene Begründung– die auch der Herr Staatssekretär vorhin angeführt hat –,dass es – angeblich – Liberalisierungsdefizite auf europä-ischer Ebene gäbe.Sie, Herr Staatssekretär, mögen sich ja in einigen Run-den um die Liberalisierung der europäischen Postmärkte
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Elmar Müller
17647
bemüht haben. Aber die Tatsache, dass der Wirtschafts-minister sein Engagement darauf beschränkt hat, demEU-Kommissar Bolkenstein einen Brief zu schreiben,diesen darin zu bitten, er möge in dieser Frage tätig wer-den, und ihm mitzuteilen, er stünde hinter allem, ist dasEingeständnis, dass der Wirtschaftsminister nichts tunwollte. Ich erinnere daran, dass der ehemalige Postminis-ter Bötsch – die Situation war so, dass wir vor den letztenEU-Verhandlungen über eine einheitliche Regelung stan-den – innerhalb von zehn Tagen alle Hauptstädte der Eu-ropäischen Union abgefahren hat. Er erzielte am Endeeine Lösung – 350 Gramm –, die keiner für möglich ge-halten hätte. Ein ähnliches Engagement hätte ich von die-sem Bundesminister erwartet.
Ich möchte daran erinnern, dass der EU-Kommissarfür Wettbewerb, Monti, einen Tag, bevor der MinisterEnde Mai in der „Welt am Sonntag“ seine Begründung fürdie Monopolverlängerung gegeben hat, in der „Welt“ ge-schrieben hat:Sich dafür zu rächen – dass es keine einheitliche eu-ropäische Lösung gibt – ist aber kein guter Weg in dieZukunft. Ich warne davor.Wenn dieser Minister dieses Gesetz nun großzügig ver-ändern will, dann nimmt er den Mittelständlern und vorallem den Arbeitnehmern eine Chance, die wir ihneneröffnen wollten. Ich möchte in diesem Zusammenhangabschließend sagen, dass die Unionsfraktionen wegen derschlecht vorbereiteten Gesetzesberatungen und auch we-gen der wirklich schlampig vorbereiteten Anhörung letzteWoche für Montag nächster Woche nochmals diejenigenFirmen eingeladen haben, die jetzt wahrscheinlich vordem Konkurs stehen, um ihnen die Gelegenheit zu geben,ihre Sorgen vorzutragen. In der letzten Sitzung des Wirt-schaftsausschusses haben wir einige Anträge eingebracht,die im Hinblick auf die Folgegesetzgebung ein Vermitt-lungsverfahren vorbereiten. Das Gleiche hat die hessischeLandesregierung getan.
Herr Kollege,
denken Sie jetzt bitte an die Zeit.
Deshalb
stimmen wir gegen die Verlängerung des Postmonopols.
Ich denke, dass ich ausreichend begründet habe, weshalb
wir das tun.
Danke schön.
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung hat sich auf europäischer Ebene sehr inten-siv darum bemüht, dass im Postbereich weiter liberalisiertund auch im Hinblick auf die Postdienstleistungen eineinheitlicher Wettbewerbsrahmen geschaffen wird. Siewissen sehr wohl, dass sich die Bundesregierung trotz ih-rer Bemühungen auf europäischer Ebene nicht hat durch-setzen können. Die Bundesregierung hat sich entschie-den, nicht einseitig vorzupreschen, sondern zu versuchen,dafür zu sorgen, dass Europa zumindest ein Stück weit imGleichschritt vorangeht.Dazu, dass die Opposition als Reaktion darauf sozusa-gen die Backen aufbläst, sage ich Folgendes: Als wir überdiese Frage hier das letzte Mal debattiert haben, habe ichsehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich die Ent-scheidung im Bundesrat sehr genau beobachten werde.Das habe ich getan. Der Bundesrat hat keinen Beschlussgegen die Verlängerung des Briefmonopols gefasst. Ob-wohl Sie im Bundesrat über eine Mehrheit verfügen, ha-ben Sie sich anscheinend nicht durchsetzen können. Dasheißt, Sie haben für die Position, die Sie hier vertreten, beiden Ländern keine Mehrheit finden können.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie hier nicht so dieBacken aufblasen, sondern zumindest versuchen, die Ar-gumente, die die Bundesregierung zu diesem Schritt be-wogen haben, zu verstehen.
Bedenken Sie, dass auch ich persönlich in dieser Angele-genheit eine eher skeptische Haltung habe.Wir haben uns mit der SPD-Fraktion zusammengesetztund einen gemeinsamen Entschließungsantrag erarbeitet,in dem wir auf bestimmte Begleitumstände der Verlänge-rung des Monopols besonders hingewiesen haben.
Wir bringen in diesem Antrag zum Beispiel sehr deutlichzum Ausdruck – dazu haben Sie eben nichts gesagt –, dasswir durchaus Spielräume für Portosenkungen in diesemBereich sehen. Wie wir alle wissen, sind Portosenkungeneine Aufgabe der Regulierungsbehörde und nicht desStaates. Nach Angaben der Post entfällt zwar nur rund einDrittel des Umsatzes auf den Briefbereich, er trägt aber zudrei Vierteln des Betriebsergebnisses bei.Im Briefbereich wurden im vergangenen Jahr Ge-winne erzielt. Die Gewinne haben sich innerhalb einesJahres verdoppelt. Das wird unter anderem mit den nichtmehr notwendigen Pensionszahlungen begründet. Es istaber auch egal, warum. Es gibt eine Verdopplung der Be-triebsrendite. Deswegen sehe ich sehr wohl – auch wennHerr Zumwinkel dazu öffentlich eine andere Position ver-tritt –, dass Spielräume für Portosenkungen gegeben sind.Das wird auch in unserem Entschließungsantrag sehrdeutlich zum Ausdruck gebracht.
– Ich rede von dem Entschließungsantrag der Fraktionen.
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Elmar Müller
17648
Ein Weiteres ist – auch dies wird im Entschließungs-antrag der Fraktionen sehr deutlich zum Ausdruck ge-bracht –: Wenn man auf der einen Seite Monopolberei-che – wie wir sie in den nächsten Jahren noch vorfindenwerden – und auf der anderen Seite Bereiche hat, die imWettbewerb stehen, dann muss man verhindern, dass es zueiner Quersubventionierung kommt und dass die Postim Monopolbereich Gewinne einfährt, die sie dafür ein-setzt, mit Dumpingpreisen in anderen Bereichen die wei-teren Wettbewerbsteilnehmer kaputtzumachen. Im Post-gesetz gibt es hiergegen schon gute Vorkehrungen. Auchdie EU hat entsprechende Beschlüsse gefasst. Die EUwird also sehr stark darauf achten. Wir sagen nunmehrsehr deutlich, dass für die Regulierungsbehörde und fürdas Wirtschaftsministerium eine große Aufgabe darin be-steht, die buchhalterische Trennung von Wettbewerbs-und Monopolbereichen durchzusetzen.Zum Schluss möchte ich etwas aufgreifen, von dem ichglaube, dass ich hierzu Ihre Zustimmung bekommenwerde. Der Bundesrat hat in seinem kleinen Beschlüssleinangemahnt – das finde ich richtig –, dass einige Bereiche,die mit der Verlängerung der Lizenzen zusammenhängen,zum Beispiel die Postdienstleistungsverordnung, nach-träglich geändert werden müssen. Ich meine, es ist denBürgern nicht zu vermitteln, dass man einerseits das Mo-nopol verlängert und andererseits – das hört man vonsei-ten der Post – den Service verringern will. Dies ist wohlnicht zu akzeptieren. Ich hoffe, hierfür werden wir imnachfolgenden Verfahren Ihre Zustimmung bekommen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Postgesetzes wird von uns entschieden
abgelehnt. Ich garantiere Ihnen: Nach der nächsten
Bundestagswahl wird die Zahl 2007 unverzüglich in 2003
geändert werden.
– Uns wird nicht passieren, was Ihnen passiert ist, näm-
lich voll einzuknicken. Das sage ich Ihnen schon jetzt.
Allein die Vorgehensweise der Bundesregierung, näm-
lich den Gesetzentwurf im Hauruckverfahren vor der
Sommerpause durchzupeitschen, ist in unseren Augen un-
akzeptabel und bestätigt wieder einmal mehr, dass sich
unser Wirtschaftsminister nicht von ausgewogener Sach-
kompetenz, sondern vielmehr von einseitigen Gewerk-
schaftsinteressen leiten, ich sollte vielleicht besser sagen:
verleiten lässt.
– Natürlich glaube ich das, Herr Kollege. – Denn es wa-
ren ausschließlich die Gewerkschaften, die das Postmo-
nopol verlängert haben wollten. Selbst Ihr Wirt-
schaftsminister wollte – im Übrigen im Einvernehmen
mit seinem Staatssekretär Mosdorf – diese Änderungen
nicht. Auch Sie und Ihre Bundestagsfraktion – genauso
wie Frau Hustedt – sind noch lange herumgeeiert.
Anschließend haben Sie sich auf Druck der Gewerkschaf-
ten dazu entschieden. Das ist doch überhaupt keine Frage.
Eine Verlängerung des Postmonopols über das
Jahr 2000 hinaus ist nicht nur aus wettbewerbspolitischen
Gründen inakzeptabel. Auch ordnungspolitisch ist eine
solche Entscheidung nicht tragbar. Das hat – das ist auch
in der Anhörung sehr deutlich geworden – überhaupt
nichts mit Europa zu tun. Sowohl aus europarechtlichen
als auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ist eine
Verlängerung der Exklusivlizenz nicht notwendig.
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es die SPD ge-
wesen ist, die die Postreform II mit Art. 87 f in Verbindung
mit Art. 143 b des Grundgesetzes auf den Weg gebracht
hat, wo ausdrücklich steht, dass die Postdienstleistungen
im Wettbewerb zu erbringen sind. Die SPD hat dem mit zu-
gestimmt, und bei der Beratung des Postgesetzes im Ver-
mittlungsausschuss haben Sie unter Federführung von
Herrn Bury diesem Datum 2002 zugestimmt. Was soll man
da noch sagen? Wenn man für die Post ist – und diese Post
agiert gut am Markt, das ist überhaupt keine Frage –, aber
gleichzeitig auch die Verbraucherinteressen vertritt, muss
man sagen: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Lassen Sie mich die Gelegenheit nut-zen, meine Besuchergruppe auf der Tribüne zu begrüßen.Man erlebt die Situation hier im Plenum ja selten. Sie ha-ben in Nordthüringen sicher auch schon gehört, wie starkdas Plenum bei solchen Spitzenthemen besetzt ist. Siewollen ja eine andere Regelung haben, aber viel Unter-stützung haben Sie in diesem Bundestag nicht.
Die PDS-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bun-desregierung zur Verlängerung der Exklusivlizenz zu-stimmen. Wenn wir trotzdem einige Bauchschmerzen da-bei haben, dann deshalb, weil die Motive unsererZustimmung völlig andere sind als die von der Bundesre-gierung mit dem Gesetzentwurf verfolgte Absicht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Michaele Hustedt17649
Der Bundesregierung geht es vor allem um Standort-gründe. Sie will Wettbewerbsvorteile einiger großer Kon-kurrenten der Deutschen Post in Ländern, die es mit derLiberalisierung nicht so eilig haben, verhindern. Was sichin dieser Debatte als großer Konflikt zwischen CDU/CSUund F.D.P einerseits und der Regierungskoalition ande-rerseits darstellt, sind in Wirklichkeit marginale Mei-nungsverschiedenheiten.Einig sind und waren Sie sich Mitte der 90er-Jahre da-rüber, dass das Dienstleistungsprinzip der Post, also einvon Angestellten des Bundes in geschützten Arbeitsver-hältnissen zu erbringendes breites Leistungsangebot,schnellstmöglich durch das Verwertungsprinzip zu erset-zen ist.Auf der Strecke blieben bei dieser konzertierten Aktion150 000 Arbeitsplätze, sozialverträglich abgebaut, wie esheißt, weil niemand betriebsbedingt entlassen wurde. Dasist zwar richtig, aber die Arbeitsplätze sind trotzdem einfür alle Mal vernichtet. Zehntausende weitere Arbeits-plätze wurden in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umge-wandelt, teils bei den Konkurrenten der Post, teils auchbei den posteigenen Tochterfirmen. Übrigens sind vonden 30 000 bei den Konkurrenten entstandenen Arbeits-plätzen weit mehr als die Hälfte lediglich Arbeitsplätzefür geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungs-pflicht; das nur zur Richtigstellung, weil dazu ja beson-ders bei der CDU/CSU ganz abenteuerliche Zahlen kur-sieren.
Auf der Strecke blieb aber nicht nur das Beschäfti-gungsniveau, sondern auch das Leistungsniveau der Post.Zehntausende Filialen wurden geschlossen und durch sogenannte Postagenturen ersetzt, bei denen jetzt auchschon wieder das Massensterben einsetzt, weil sie sich an-geblich nicht rechnen.Diese Probleme werden sich naturgemäß mit zuneh-mender Liberalisierung, auch wenn sie heute ein bisschengebremst werden, weiter verschärfen. Der Brief von derHallig ins Alpendorf rechnet sich natürlich auch nicht undwird irgendwann deshalb so teuer sein, dass ihn niemandmehr abschickt.Schon heute ist absehbar, dass der Universaldienst, der jaschon heute nur einen ganz und gar unzureichenden Kata-log postalischer Mindestleistungen darstellt, nach 2007weiter ausgedünnt werden wird. Wir werden das konse-quent bekämpfen und wenden uns deshalb schon heutemit aller Entschiedenheit gegen die Ankündigung derBundesregierung, noch in diesem Jahr ein Gesetz auf denWeg zu bringen, das die Aufgabe der Kapitalmehrheit ander Deutschen Post AG ermöglicht.Solange dieses Unternehmen den Universaldienst zuerbringen hat, so lange muss nach unserer Auffassungauch der Bund die Kapitalmehrheit behalten, schon des-halb, weil er nach Art. 87 f des Grundgesetzes verpflich-tet ist, flächendeckend angemessene und ausreichendeDienstleistungen im Bereich des Postwesens zu gewähr-leisten. Schon heute funktioniert das nicht mehr; ich habedazu einiges gesagt.Wenn der Bund nun aber seine Einflussmöglichkeitenals Eigentümer der Deutschen Post AG verliert, die erzwar schon heute bei der Beantwortung Kleiner Anfragenregelmäßig bestreitet, aber dennoch hat, würde das denAbbau bei den postalischen Leistungen und bei der Qua-lität der Arbeitsplätze im Postbereich, den wir mit der heu-tigen Entscheidung ein wenig abbremsen können, erneutbeschleunigen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Barthel.
Sehr geehrte FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heutevollziehen wir einen entscheidenden Schritt
zu mehr Berechenbarkeit und Klarheit auf dem deutschenPostmarkt. Wir beenden damit das unverantwortliche Ge-tue von Union und F.D.P., dass es nicht sinnvoll, nicht not-wendig und nicht möglich wäre, die Exklusivlizenz fürdie Deutsche Post AG zu verlängern. Seit einigen Wochentun Sie so, als wollten oder könnten Sie diesen Schritttatsächlich noch aufhalten oder verhindern. Sie machendas aber nicht mit Argumenten, sondern mit gezielterDesinformation über die vorher im Ausschuss verabrede-ten parlamentarischen Vorgehensweisen. Sie haben sichin einen Widerspruch verwickelt: Sie reden von Vertrau-ensschutz und Planungssicherheit für die Unternehmen,aber gleichzeitig sprechen sich führende Vertreter derUnion auch in der Sache für und gegen die Verlängerungder Exklusivlizenz aus. Sie desinformieren die Medienüber das Beratungsverfahren.Jetzt legt auch noch das Land Hessen ein so genanntesKompromissangebot vor. All dies dient nur dem Zweckder Verzögerung und der eigenen Profilierung in der Öf-fentlichkeit. Sie tun damit nichts anderes, als die, die Siezu schützen vorgeben, an der Nase herumzuführen. HörenSie endlich auf, der Öffentlichkeit und den Marktteilneh-mern vorzugaukeln, Sie könnten in der Sache noch etwasändern! Wir werden heute Klarheit schaffen. Das tun wirauch, um die den Ländern gegebene Zusage, die Folgeän-derungen zeitnah auf den Weg zu bringen, einzuhalten.
Im Übrigen lohnt sich die Debatte über den hessischenVorschlag schon deswegen nicht, weil er per se einen wei-teren Kahlschlag bei den Filialstandorten und einen wei-teren Arbeitsplatzabbau beinhaltet. Er bezieht sich außer-dem auf Vorschläge der EU-Kommission, die eindeutig,sowohl im Ministerrat als auch im EU-Parlament, keineChance auf eine Mehrheit hatten und deswegen abgelehntwurden. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Bundes-rat im Interesse der Klarheit den Weg für ein verkürztesVerfahren und für die notwendigen Folgeänderungennoch vor der Sommerpause freigemacht hat.
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Gerhard Jüttemann17650
Wir halten fest: Die Verfassungsrechtler haben in derAnhörung gesagt, dass sowohl bei der Verfassungsände-rung 1994 als auch beim Vermittlungsverfahren zum Post-gesetz 1997 gezielt und bewusst offen gelassen wurde,wann die Exklusivlizenz endgültig ausläuft. Außerdemgeht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsdahin, dass Vertrauensschutz schon ab der Ankündigungeiner Gesetzesänderung durch einen Minister nicht mehrreklamiert werden kann. Von daher ist es aberwitzig, zu be-haupten, die Arbeitsplätze und Existenzen von Lizenzneh-mern auf dem Postmarkt seien gefährdet. Die Lizenzen be-ziehen sich doch ausdrücklich nicht auf den reserviertenBereich. Sie wurden an Nischenunternehmen vergeben,die niemals vorhatten und niemals die Kapitalkraft hatten,sich in einem total liberalisierten Markt zu behaupten.Es gibt auch Unternehmer, die das ganz offen ausspre-chen, indem sie sagen, dass ihre Existenz bei einer sofor-tigen Marktöffnung gefährdet ist. Es gibt auch Unterneh-mer, die ganz offen sagen, dass sie aufgegeben haben,weil sie, als sie eigentlich auf ein Nischenprodukt setzten,von der Nachfrage überrollt wurden und gar nicht genugKapital hatten, um entsprechend zu investieren. Deswe-gen sollten sich alle, die Post von der Aktion „Mehr Farbeim Postmarkt“ bekommen oder von deren Veranstaltun-gen hören, einmal erkundigen, wer diese Aktion steuertund finanziert. Man wird dann sehr schnell bei einer ein-zigen Farbe landen.
Ich möchte auch noch einmal festhalten: Wir habenüberhaupt nichts gegen starke ausländische Wettbewerberauf dem Postmarkt. Diese belegen genauso wie auch dieDirektinvestitionen anderer die Attraktivität des vonUnion und F.D.P. ständig schlecht geredeten StandortDeutschland. Ich frage mich nur, warum sie nicht den Muthaben, offen aufzutreten und zu sagen, wer sie sind undwas sie wollen. Klar, emotional gefärbtes, verquastesMittelstandsgerede mag sich besser anhören,
aber man wird doch schon einmal fragen dürfen, warumdie kleinen und mittleren Unternehmen mehr Angst vorder Post AG als vor den Globalplayern mit Quasimono-polen im Stammland und ihren Töchtern in Deutschlandhaben sollen.
Ihre Beispiele Schweden und Finnland sprechen die-selbe Sprache, nicht nur, weil die Exmonopolisten dortnoch 95 oder sogar 100 Prozent Marktanteil haben. Derschwedische Hauptkonkurrent City Mail zum Beispielgehört mehrheitlich der britischen Post und teilt sich dieAktivitäten schiedlich-friedlich mit der schwedischenStaatspost. In Finnland müssen die Wettbewerber 20 Pro-zent ihres Umsatzes als Universaldienstabgabe bezahlen.Ich bin gespannt, ob die Propagandisten des finnischenVorbildes auch diesen Teil des Modells in der Bundesre-publik übernehmen wollen.Damit sind wir beim Universaldienst. Den fordern dieUnion und die CDU- und CSU-Länder zwar, aber siedrücken sich konsequent um die Frage, wer das bezahlensoll. In nahezu allen Ländern der Welt geschieht das über re-servierte Bereiche. Andere Modelle funktionieren nicht; dashat auch unsere Anhörung gezeigt. Aber vielleicht gilt hierja ebenfalls das Merz-Merkel-Modell des Zehnpunktepro-gramms: heute bestellen, die Rechnung jetzt offen lassenund die Nachfolger beschimpfen, wenn sie das bezahlenmüssen.
Dann sind wir beim nächsten Widerspruch der Union, denArbeitsplätzen. Elmar Müller hat auch heute wieder zu Pro-tokoll gegeben, dass durch unser Vorhaben 30000 sozialver-sicherungspflichtige Arbeitsplätze bei den Post-Wettbewer-bern zerstört würden. Diese sozialversicherungspflichtigenArbeitsplätze sind eben nicht von der Exklusivlizenzverlän-gerung bedroht, sondern vom Zehnpunkteprogramm derCDU/CSU. Dort wird nämlich ausdrücklich die Abschaf-fung der 630-Mark-Regelung gefordert. Wenn das geschähe,fiele die Sozialversicherungspflicht für über 20 000 dieserArbeitsplätze auf einen Schlag weg, weil nämlich nur8 000 dieser 30 000 Arbeitsplätze normale Teilzeit- oderVollzeitstellen sind.
Das bedeutet also 22 000 ungeschützte Arbeitsverhält-nisse nach dem Zehnpunkteprogramm der Union.Dann profilieren Sie sich als Panikmacher. Das Schei-tern von einzelnen Unternehmen wird zur Branchenkriseumstilisiert. Die Zahlen und Fakten belegen aber eineganz andere Rechnung. In den letzten drei Jahren habensich die Umsätze der Lizenznehmer im Briefbereich von151 Millionen DM auf 385 Millionen DM mehr als ver-doppelt. Die Zahl der Lizenzanträge und Lizenzvergabensteigt kontinuierlich an.Auch in der Postpolitik stimmen also bei der Union undbei der F.D.P. Realität und Wahrnehmung nicht überein.Dem stellen wir ein Gesamtkonzept gegenüber, das Sie inunserem Entschließungsantrag nachlesen können. Wir sa-gen auch ganz klar, wo unsere Sorgen liegen. Wir schauenes uns nicht mehr an, dass wieder eine Welle von Agen-turschließungen durchs Land rollt und die LeistungenQualitätsverschlechterungen erfahren,
sondern wir werden, auch mit einer Verlängerung der Uni-versaldienstauflagen, Sorge dafür tragen, dass die Qua-lität gesichert wird und die Folgeänderungen auf den Weggebracht werden.All dies steht in unserem Entschließungsantrag. Eslohnt sich, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Dann kann auchnicht hinterher wieder irgendjemand sagen, er habe nichtsdavon gewusst und irgendeine Entwicklung komme völ-lig überraschend und breche den Vertrauensschutz.
Ich schließe da-mit die Aussprache.
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Klaus Barthel
17651
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderungdes Postgesetzes, Drucksachen 14/6121, 14/6261 und14/6325. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologieempfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, denGesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istdamit in dritter Lesung mit dem eben festgestelltenStimmverhältnis angenommen worden.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt derAusschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionenund der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU undF.D.P. angenommen worden.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform desRisikostrukturausgleichs in der gesetzlichenKrankenversicherung– Drucksache 14/6432 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheitb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBericht der Bundesregierung über die Untersu-chung zu den Wirkungen des Risikostruktur-ausgleiches in der gesetzlichen Krankenver-sicherung– Drucksache 14/5681 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Angelegenheiten der neuen LänderNach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt kei-nen Widerspruch; dann haben wir so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst dieParlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch. Bitte, Sie haben das Wort.G
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierungorientiert ihre Gesundheitspolitik an drei Zielen. Das isteinmal der Ausbau der Prävention, das ist zum anderen dieSteigerung der Qualität der Versorgung, und das istschließlich der effiziente Mitteleinsatz durch mehr Wett-bewerb, das aber bei Beibehaltung des Prinzips der Soli-darität. Deshalb muss die Devise auch lauten: Wettbe-werb zwischen den Krankenkassen: Ja, aber nur unterfairen Bedingungen. Das heißt Wettbewerb um die bestenVersorgungskonzepte. Das heißt nicht Wettbewerb aus-schließlich um gesunde Versicherte. Deshalb müssen wirden Wettbewerb neu regeln.Wir haben den Risikostrukturausgleich, um den esheute geht, 1992 fraktionsübergreifend geschaffen. Wirhaben es damals gemacht, um Risikoselektion zu vermei-den. Jetzt müssen wir feststellen, dass das, was wir unsdamals vorgenommen hatten, so nicht hinreichend funk-tioniert hat. Deshalb müssen wir den Risikostrukturaus-gleich um weitere Elemente ergänzen. Ich glaube, wirsind uns ziemlich einig darüber, dass das notwendig ist.Ich hoffe sehr, dass es uns im Laufe der Beratungen ge-lingt, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die, wiedamals 1992 beim Risikostrukturausgleich, auch diesmaldie Opposition mittragen kann.
Es kann doch einfach nicht sein, dass Marketingpro-gramme für Gesunde finanziert werden und ein hoch qua-litatives Versorgungsmanagement nicht zu dem Bereichgehört, der für die Kassen ohne Risiko einsetzbar ist.Wir haben als Grundlage die Wechsler-Analysen undwissen, dass unter den 1,2 Millionen Kassenwechslern imletzten Jahr nur etwa 800 chronisch kranke Menschen wa-ren. Das ist der Punkt, von dem ich einfach glaube, dasswir ihn verändern müssen. Solidarität zwischen Kran-ken und Gesunden lebt – davon bin ich fest überzeugt –vom Ausgleich. Es kann nicht funktionieren, wenn in ei-nem Teil der Kassen immer mehr Alte und Kranke und ineinem anderen Kassenbereich immer mehr Junge und Ge-sunde sind.Deshalb werden wir den Wettbewerb verändern. Wirwerden kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ele-mente einführen. Zu den kurzfristigen Elementen gehört,dass wir in 2002 mit Disease-Management-Program-men starten wollen. Bei diesen Disease-Management-Programmen ist vorgesehen, dass man sich auf sie einigt,dass sie inhaltlich ausgefüllt werden – dabei wird uns derneu eingerichtete Koordinierungsausschuss hilfreich sein –und dass die Kassen dann, wenn sie diese Programmedurchführen, einen Ausgleich von anderen Kassen fürdiese Programme bekommen.Ein zweiter Punkt, um wieder zu mehr Solidarität imWettbewerb zu kommen, ist die Einrichtung des Risiko-pools. Bei dem Risikopool haben wir vorgesehen, dassdie Kassen das Krankheitsrisiko bei einzelnen Versicher-ten bis 40 000 DM bezahlen, dass dann aber, wenn dieKosten darüber liegen, die Versichertengemeinschaft ei-nen Ausgleich zahlt, und zwar in Höhe von 60 Prozent derKosten, die entstehen.Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Einsatz dieser Ele-mente – es kann durchaus sein, dass im Laufe der An-
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer17652
hörung noch ein weiteres Element hinzukommt – kurz-und mittelfristig die Weichen gut stellen können.Auf dieser Basis werden wir dann das Ziel in den Blicknehmen können. Das Ziel, das wir ansteuern müssen, ist– das haben auch alle Gutachten der Wissenschaftler ge-sagt – die Morbiditätsorientierung im Risikostruktur-ausgleich. Das heißt, die Verteilung der Mittel muss sichdaran ausrichten, wie viele kranke und gesunde Patientin-nen und Patienten eine Kasse hat und wie sie diese zu ver-sorgen hat. Wenn wir dieses Ziel dann im Jahre 2007 er-reicht haben, werden wir das eine Instrument, denRisikopool in Höhe von 40 000 DM, wohl in einen Hoch-risikopool umwandeln können – das wird vertretbar sein –,wovon die Krankenkassen und ebenso die Kranken mitKrankheiten, die sehr viel teurer sind, profitieren.In dieser Woche und in der vorigen Woche hat es eineheftige Debatte darum gegeben, wie es mit dem einenElement aussieht, das weggefallen ist. Herr Lohmann, ichhabe bei Ihnen noch einmal nachgeschaut – auch bei derF.D.P. –: Es war eine unglaubliche Kritik.
Es wurde behauptet, es seien 12,5 Prozent Mindest-beitrag. Dabei war dieser Beitrag als Solidarbeitrag vonAnfang an auf zwei Jahre festgelegt und nicht als ein Dau-ersatz geplant.
– Nun, das sage ich Ihnen jetzt gleich. Sie sollten sichdoch einfach einmal freuen.
– Sehen Sie, da bin ich Ihnen richtig dankbar, Herr Wolf.
Sie wissen doch genau, dass Freude, Gelassenheit und einbefreiendes Lachen sehr zur Gesunderhaltung beitragen.
Ich möchte von Ihnen gern einmal wissen, mit wie vielenGesetzentwürfen Sie in Ihrer Zeit gestartet sind, die dannam Ende nicht so aussahen, wie Sie sie ursprünglich an-gedacht hatten.
Wir haben kein Gesetz geändert; wir haben nicht einmaleinen Gesetzentwurf geändert. Wir haben die Überlegun-gen zu einem Entwurf geändert, und die haben wir nacheingehender und reiflicher Debatte innerhalb unsererFraktion und mit den Kolleginnen und Kollegen aus derKoalition geändert.Wenn man jetzt die Entwicklungen betrachtet, siehtman, dass das ein vertretbarer Schritt ist. Aber nach mei-ner Überzeugung macht auch die Tatsache, dass wir die-ses Element für den Gesetzentwurf nicht beibehalten ha-ben, sehr deutlich, dass wir gemeinsam die anderen Ele-mente, die wir in den Gesetzentwurf aufgenommenhaben, kurz- und mittelfristig sehr schnell und sehr kon-sequent zur Anwendung bringen müssen, um mit Hilfedieser Elemente den Ausgleich zwischen den Kassen her-beizuführen.Es ist schwierig, einen solchen Konsens zu finden. DieMinisterin hat versucht, diesen Konsens zu finden, umauch die Kassengemeinschaft beieinander zu halten unddie verschiedenen Ausgangssituationen und Problem-situationen der einzelnen Kassen zu würdigen. Wir stehenjetzt mit dem Ergebnis: Disease-Management, Risiko-pool, Morbiditätsausgleich in der Debatte; wir sind bereit,Anregungen, die in der Debatte gemacht werden – wie dasüblich ist –, aufzunehmen und sie gemeinsam zu disku-tieren. Ich hoffe sehr, dass wir auch für diesen Bereicheine gemeinsame und tragfähige Lösung finden, wie esuns 1992 gelungen ist.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich,Frau Schaich-Walch, hier heute schon wieder stehen undden Versuch machen zu können, einen Teil Ihrer Gesund-heitspolitik zu würdigen. Wenn ich das tue, sage ich zu-nächst einmal: Die Wirkung der von mir etwas flapsig sogenannten „Beruhigungspille Ulla Schmidt“ ist verpufft.Bürgerinnen und Bürger, Journalisten, Ärzte, Kranken-kassen sprechen auf diese Beruhigungspille nicht mehran. Die Krankenkassen haben in der vergangenen Wochebegonnen, ihre Beiträge auf breiter Front zu erhöhen.Viele werden in den nächsten Monaten – vor allen Dingenauch im Wahljahr 2002 – folgen.Auch in der Ärzteschaft, die die Ministerin unmittelbarnach ihrem Amtsantritt in die Arme geschlossen hatte,wächst das Misstrauen. Ursache für das Abrücken von derMinisterin ist die Konzeptionslosigkeit ihrer Gesund-heitspolitik.Frau Ministerin Schmidt – es ist gut, dass es zeitlich ge-rade so passte, dass Sie dazugekommen sind –, es sindeben kein Konzept und keine klare Linie zu erkennen. Da-ran liegt es.
Sie lassen, um das heutige Thema zu nehmen, von Be-teiligten Konzepte erarbeiten und übernehmen diese dannals eigenes Konzept. Das gilt für die Festsetzung der Fest-beträge, bei der die pharmazeutische Industrie und dieKrankenkassen den Kompromiss geschmiedet haben, undes gilt auch heute für die Neuregelung des Finanzaus-gleichs – so kann man ihn auch nennen – der Kranken-kassen, nämlich den Risikostrukturausgleich.
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Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch17653
Statt nun mit einem eigenen Konzept aufzuwarten,übernehmen Sie den Kompromiss, den die Krankenkassenunter Ihrer Beteiligung geschlossen haben – einige würdensagen: zu dem Sie sie gezwungen haben; ich würde zurück-haltender sagen: zu dem Sie die Krankenkassen überredethaben. Nun holen Sie, Frau Schmidt, Ihr mangelnder Ge-staltungswille und die Substanzlosigkeit rot-grüner Politik– jedenfalls in diesem Bereich – ein. Der von Ihnen einge-brachte Gesetzentwurf zur Abschaffung des Arzneimittel-budgets wird von der Bundesregierung infrage gestellt, be-vor er überhaupt verabschiedet worden ist.Patienten, vor allem die chronisch Kranken, die in denvergangenen zwei Jahren die Folgen der Rationierung dermedizinischen Leistungen doch wirklich zu spüren beka-men, verstehen die Welt nicht mehr. Auch die Ärzte wis-sen nicht mehr, woran sie bei Ulla Schmidt sind.Der Risikostrukturausgleich und vor allem der Min-destbeitragssatz – den Sie, Frau Staatssekretärin, ebennoch einmal genannt haben – sollten zur Finanzierung derDisease-Management-Programme, also der Versorgungs-und Managementprogramme für chronische Erkrankun-gen, dienen. Er ist noch vor einer guten Woche als Kern-stück bezeichnet worden. Da darf man sich – zumal wirvon Anfang an gegen die Lösung eines Mindestbeitrags inHöhe von 12,5 Prozent waren – wohl einerseits darüberfreuen, dass er nun weggefallen ist, aber man kann sichandererseits nicht darüber freuen, dass nun der Rest ohnedas Kernstück – ich fühle mich fast an die Gentechnik-Diskussion mit der Frage, was ist Anfang und was istEnde, erinnert – alles zum Guten richten soll.Um nicht missverstanden zu werden: Wir halten denWegfall des Mindestbeitrags, der letztlich wettbewerbs-widrig ist, für richtig, aber mit dem übrigen Teil könnenwir uns nur sehr schwer anfreunden. Es ist deswegen auchnicht verwunderlich, dass nun auch die Kassen wieder imClinch liegen; denn auch sie – das war schließlich nichtunsere Feststellung – haben in dem Kompromiss, den Siein Gesetzessprache umgesetzt haben, geschrieben: Diesist ein Gesamtkonzept, und wenn nur ein Element heraus-genommen oder hinzugefügt wird, dann wird das Ge-samtkonzept von uns nicht mehr mitgetragen. – So genauist das dort beschrieben.Nun haben Sie – nicht Sie persönlich, sondern die Re-gierung – offensichtlich inzwischen die Orientierung in-sofern verloren, als Sie nicht mehr genau wissen, was derRisikostrukturausgleich eigentlich soll und welche Auf-gaben er von Anfang an hatte, die ihm eigentlich auchwieder zuerkannt werden müssten, wenn man ihn ent-sprechend reformiert.Besinnen Sie sich doch bitte darauf, dass der Risiko-strukturausgleich, dieser Finanzausgleich, unter allenUmständen nachrangig zu Versichertenwahlrechten ge-ordnet werden muss. Er dient dazu, bei der Inanspruch-nahme des Versichertenwahlrechts unerwünschte Er-scheinungen zu neutralisieren, aber nicht dazu, dieWahlrechte abzusprechen, um damit die Unzulänglichkeitdes Risikostrukturausgleichs zu kaschieren. Das ist nichtder Sinn der Sache. Das haben Ihnen auch hochmögendeProfessoren in der öffentlichen Anhörung gesagt. Daraufmüsste das Ganze wieder zurückgeführt werden.Das heißt, wenn ich Erscheinungen beobachte, derenWirkungen in der gesetzlichen Krankenversicherungnicht so sind, wie ich mir das wünsche, und die mögli-cherweise bald neutralisiert werden müssen, um denWettbewerb auch fair zu gestalten, dann muss ich den Ri-sikostrukturausgleich entsprechend regeln, aber ich darfnicht den Versicherten Rechte absprechen, wie Sie es ge-tan haben. Das haben Sie, Frau Staatssekretärin, ja vor-hin außer Acht gelassen; das haben Sie nicht erwähnt. Zudiesem RSA-Paket gehört im Grunde genommen auchdas Paket hinsichtlich der Veränderung der Kassenwahl-rechte, das Sie ja bereits eingebracht haben. Das gehörtja mit dazu. Insofern nehmen Sie den Versicherten nundie Möglichkeit, zum 30. September zu kündigen. Sienehmen den Versicherten auch das Sonderkündigungs-recht. Das alles gehört mit hier hinein. Das Einzige, wasdann noch bleibt, ist im Bereich der Kassenwahlrechteder Vorschlag, dafür häufiger als bisher, beispielsweisesechs Wochen zum Quartalsschluss, eine Kündigung aus-sprechen zu können.Wir sehen – das habe ich heute Nachmittag in einemanderen Zusammenhang schon gesagt; ich will die Zitatejetzt nicht noch einmal bringen –, es ist offensichtlichFeuer unter dem Dach des „Hauses der GKV“, aber auchim Ministerium. Sie sind dazu da, diesen Brand zu lö-schen. Wenn sogar Professor Rürup, der Berater derBundesregierung, heute in der „Berliner Zeitung“ sagt:„Jede Woche, die die Reform früher beginnt, ist eine ge-wonnene Woche“, dann hat er nicht den RSA, die Kas-senwahlrechte oder andere Kleinigkeiten, wie das Wohn-ortprinzip und viele andere Dinge, mit denen dieÖffentlichkeit nichts anfangen kann, gemeint, sondern erbringt zum Ausdruck: Bringen Sie endlich ein in sich ge-schlossenes und mit Perspektiven versehenes Konzept. –An diesem Konzept könnte man sich dann mit unseren Ar-gumenten messen.
Der Präsident des Bundesversicherungsamtes – alsojener Herr, der der durchführenden Behörde für die Wei-terentwicklung dieses Monstrums vorsteht – äußert, derRisikostrukturausgleich werde mit der Verbindung vonChroniker-Bonus und Einschreibung in ein akkreditiertesProgramm mit gesundheitspolitischen Steuerungsaufga-ben überfrachtet. Das haben wir bei anderer Gelegenheitauch gesagt. Selbstverständlich ist es richtig, wenn sich– möglichst mehr als weniger – Krankenkassen mit derFrage der Disease-Management-Programme, also derSonderregelungen und umfänglicher qualitätsorientierterRegelungen für chronisch Kranke, befassen und diese be-sondere Leistung ihren Mitgliedern anbieten. Aber diesgehört eben nicht in den Risikostrukturausgleich, sonderndas ist eine Aufgabe, die die Kassen wahrzunehmen ha-ben und die man durchaus fördern kann, auch über Son-derregelungen oder Modellvorhaben.Wir sind der Auffassung, dass es beim Risikostruktur-ausgleich – in dem schon heute sage und schreibe 23 Mil-liarden DM umverteilt werden, und etwa 20 Milliar-den DM, also der größte Teil davon, entfallen auf dieAOK – nicht verwunderlich ist, dass die AOK in beson-derem Maße daran interessiert ist – Sie sagten: darauf an-
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Wolfgang Lohmann
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gewiesen ist –, diese Beträge noch weiter zu erhöhen. Wirmeinen, das ist nicht der richtige Weg für uns alle.
Denn der Risikostrukturausgleich droht im Grunde ge-nommen einer weit zurückliegenden, noch vor 1992 gel-tenden Regelung wieder nahe zu kommen: dass er nichtmehr und nicht weniger als ein primitiver Ausgabenaus-gleich ist. Genau das sollte der Risikostrukturausgleichnach den Erfahrungen der Jahre 1992/1993, also nach derEinführung, seinerzeit gemeinsam mit der SPD-Fraktion,nicht sein und nicht wieder werden.
Meine Damen und Herren, nun soll bald – am nächstenMittwoch – die Sachverständigenanhörung sein, nach-dem man eineinhalb Jahre nichts getan hat, die Vorschlägevon Herrn Seehofer nicht akzeptiert und die Auftragsver-gabe an die Sachverständigen wieder zurückgenommenhat. Jetzt wird es plötzlich unheimlich eilig, wie wir auchan der Entwicklung des Beitragssatzes und Ähnlichemsehen. Ich prophezeie Ihnen bereits jetzt, dass die Sach-verständigenanhörung zeigen wird, dass Ihr Vorhabennicht durchführbar ist. Das politische Kalkül von Rot-Grün, diese Neuregelung des Finanzausgleiches der Kas-sen als Verbesserung für chronisch Kranke zu verkaufen,wird nach meiner Auffassung nicht aufgehen.Nun fragen sich Krebskranke, Alzheimerpatienten,MS-Kranke, Diabetiker usw., was das eigentlich soll. Siesollten aufhören, den Leuten insofern etwas vorzuma-chen, als Sie beispielsweise die Abschaffung der Budge-tierung der Arznei- und Heilmittelausgaben ankündigen,aber die Abschaffung gleichzeitig wieder infrage stellen.Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Schwerstkranke,Patienten und Versicherte Ihnen bei Ihrem Schlingerkursnoch abnehmen, dass ausgerechnet die Neugestaltung desFinanzausgleiches der Kassen chronisch Kranken und Pa-tienten eine Wohltat bringen soll. Das wird nicht der Fallsein.Wir fordern noch einmal von Ihnen – wie heute schonbei anderer Gelegenheit – eine konsequente Politik, wirfordern, vom Lächeln und Überspielen Abstand zu neh-men, ein Konzept vorzulegen und dann weiter zu disku-tieren und mit dem Kurieren an Symptomen aufzuhören.
Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt.
legen! Herr Lohmann, Sie haben gerade den Risi-kostrukturausgleich als Kleinigkeit bezeichnet.
– Doch, Herr Lohmann, Sie haben vom „Risikostruktur-ausgleich und anderen Kleinigkeiten“ gesprochen. Siesollten das noch einmal im Protokoll nachlesen. Ichglaube, der Risikostrukturausgleich ist keine Kleinigkeit.Aber wenn Sie mir da zustimmen, dann brauchen wirnicht weiter darüber zu streiten.„Was lange währt, wird endlich gut“, könnte man fastsagen.
Beim RSA kann man das aus meiner Sicht mit Fug undRecht sagen, insbesondere deswegen, weil wir jetzt eineLangzeitperspektive haben, aufgrund derer der Finanz-ausgleich zwischen den Kassen bis zum Jahr 2007 tatsäch-lich geregelt wird. Sie haben darauf verwiesen, dass auchdie Union hier Änderungsbedarf sieht. Ich hoffe, dass wirdiesen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens in Formvon Vorlagen konkret auf den Tisch bekommen und wirtatsächlich, so wie das die Staatssekretärin hier angebotenhat, zu einer gemeinsamen Lösung kommen.Die Situation innerhalb der Krankenkassen, vor der wirheute stehen, ist ja alles andere als erfreulich. Besondersdie großen Kassen sind es, die darunter zu leiden haben,dass sie einerseits viele Versicherte haben, die wegen ge-ringer Verdienste nur niedrige Beiträge leisten können,und dass sie andererseits viele ältere Menschen und Men-schen mit hohen Risiken, zum Beispiel chronisch Kranke,die hohe Kosten verursachen, versichern.Nun ist es aus meiner Sicht richtig, dass Kassen unter-schiedliche Angebote machen können, was Service, Ge-schäftsstellen und Beratung angeht. Ich glaube, dass es denVersicherten überlassen bleiben muss, ob sie sich persön-lich in einer Geschäftsstelle beraten lassen oder ob sie sichim Zweifelsfalle über das Internet informieren. Den Kassenmuss es ebenfalls in bestimmten Grenzen überlassen blei-ben, wie sie ihre Verwaltung organisieren. Auch auf dieserEbene sollte aus meiner Sicht Wettbewerb stattfinden.
Wettbewerb ist es auch, die Versorgung der Versicher-ten – hier gerade im präventiven Bereich – und die der Pa-tienten optimal zu gewährleisten. Der Wettbewerb um diebeste Versorgung muss das Ziel eines fairen Finanzaus-gleichs zwischen den Kassen sein. Ich glaube, wir könnengemeinsam unterschreiben: Es geht nicht um den Wettbe-werb um die niedrigsten Beiträge.Genau das ist es, was wir mit dem vorliegenden Ge-setzentwurf auf den Weg bringen wollen. Dort, wo Pro-gramme der Qualitätssicherung durchgeführt werden sol-len, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist, geht es umechte Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten.Der Ausgleich zwischen den Kassen muss auch dafür sor-gen, dass es sich nicht mehr lohnt, um die Patienten mitden niedrigsten Risiken zu werben. Auch das soll mit die-sem Gesetzentwurf der Koalition auf den Weg gebrachtwerden. Ich kann nur hoffen, dass wir dieses Problem ge-meinsam lösen werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Wolfgang Lohmann
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Ein erster Schritt ist die Einrichtung eines Risikopoolsfür solche Versicherten, die bei den Kosten mit mehr als40 000 DM zu Buche schlagen. Mit der Regelung, 40 vomHundert durch die Krankenkassen tragen zu lassen und60 vom Hundert durch den gemeinsamen Risikopool, be-steht, so glaube ich, auch hier eine gute Chance für einenechten Ausgleich. Ich bin auf die entsprechenden An-hörungen und Diskussionen gerade über diese Frage imGesundheitsausschuss gespannt.Dennoch bleibt langfristig die Notwendigkeit, verwert-bare Daten zur Morbidität zu erheben. Die Staatssekretä-rin hat dazu, wie sich die Auswertung dieser Daten auf denAusgleich zwischen den Kassen auswirken soll, Ausfüh-rungen gemacht. Ich persönlich glaube, dass solche Daten-erhebungen dazu beitragen können, tatsächlich zu einerumfassenden Gesundheitsberichterstattung zu kommen,die ganz neue Möglichkeiten der Vorsorge und der Ge-sundheitsförderung eröffnet. Gerade in Regionen, in denenwir es zum Beispiel mit hoher Arbeitslosigkeit oder an-deren Faktoren, die die Gesundheit beeinträchtigen, zu tunhaben, kann das Grundlage für Handlungsoptionen sein,bei denen es tatsächlich um die Erhaltung von Gesundheitund nicht erst um die Bewältigung von Krankheit geht.Das kann ein sinnvoller und guter Nebeneffekt der Erhe-bung solcher Daten sein, den ich für sehr wünschenswerthalte.Natürlich wollen wir in den Anhörungen für weitereOptionen eines kurzfristigen Ausgleiches offen bleiben,zum Beispiel was die Verpflichtung kleiner Kassen, auchdie der BKKen, angeht, Disease-Management-Pro-gramme aufzulegen.Wir halten und hielten – Sie wissen das – den Min-destbeitrag nicht für ein wirksames Instrument. HerrLohmann, Sie haben sich darüber ausgelassen, dass – –
– Nein, so meine ich das nicht.Sie haben darüber gesprochen, die Regierung wandlenur noch Papiere externer Experten in Gesetzestext um.Ich halte das für eine Unterstellung, die in keiner Weisegerechtfertigt ist. Ich glaube, wir haben sowohl an dieserStelle als auch anderswo deutlich gemacht: Es ist Aufgabeder Fraktionen, Gesetzentwürfe miteinander zu beraten.Dabei ist es sehr sinnvoll, sich mit allen Beteiligten vor-her an den Tisch zu setzen und abzuwägen, welche Mög-lichkeiten bestehen.
– Auch in der eigenen Fraktion, Herr Kollege.Ich kann Ihnen von diesem Pult aus mitteilen: Der Ge-setzentwurf ist in der Form, wie er jetzt vorliegt, einstim-mig in meiner Fraktion verabschiedet worden.
Ich will an dieser Stelle auch betonen, dass es bei derFrage des Mindestbeitrags darum ging, ein Instrument zufinden; es ging nicht um die Zielstellung. Bei der Frageder Zielstellung waren wir uns in der Fraktion von Anfangan einig. Natürlich ist es so, dass der Abstand zwischenKassen mit hohen Beiträgen und dem beabsichtigtenMindestbeitrag so groß geblieben wäre, dass Versicherteaus meiner Sicht nicht von einem Kassenwechsel abge-halten worden wären. Auch aus dem Blickwinkel der Bei-tragszahler ist es richtig, auf die Einführung eines Min-destbeitrags zu verzichten.Nicht verzichten können wir aber – dabei bleibt es –auf das grundlegende Ziel, zu einem Ausgleich zu kom-men, der den Wettbewerb um junge, gesunde Versichertebeendet. Es geht um die beste Versorgung und um Wirt-schaftlichkeit, auch bei den Krankenkassen. HerrLohmann, ich hoffe, dass es auch um Ihre konkreten Vor-schläge geht, um den Risikostrukturausgleich miteinan-der zu beraten und auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dasswir in dieser Frage die Unterstützung des ganzen Hauseshaben. Dieses Projekt ist für die solidarische Versorgungin der Krankenversicherung langfristig zu wichtig, alsdass wir uns mit parteipolitischem Geplänkel aufhaltensollten.
Vielen Dank.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Frau Ministerin, ich habe Ihrer grünen Vor-gängerin zweimal ein Zitat Robert Musils vorgehalten,das die damalige gesundheitspolitische Einstellung derBundesregierung zutreffend beschrieb: „Wir irren vor-wärts“.Mit Ihrem Amtsantritt verband sich die Hoffnung aufein Ende dieses Irrwegs. Sie war trügerisch. Auch Sie ha-ben trotz manch akzeptabler Ansätze den konsequentrichtigen Weg noch nicht gefunden. Auch Sie irren weitervorwärts – orientierungslos und ohne ein schlüssiges Ge-samtkonzept.Ihre Staatssekretärin hat heute Morgen das Bild einerGarage bemüht und uns vorgeworfen, wir seien bei unse-ren Bemühungen nur bis zum Garagentor gekommen,während Sie herausgefahren seien. Wer aber beim Vor-wärtsfahren immer wieder den Rückwärtsgang einlegt,darf sich nicht wundern, dass Getriebeschäden eintreten.Sie bleiben auf der Strecke liegen, und genau das istIhnen heute passiert.
Wie können wir das Gefährt wieder flott machen? WirLiberalen predigen es seit Jahr und Tag: Wir müssen dasSystem wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir brau-chen mehr Eigenverantwortung, mehr Wahlfreiheiten,mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Die Bundesre-gierung tut sich mit diesen Grundregeln schwer.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Katrin Göring-Eckardt17656
Stichwort „Wettbewerb“: Über Wochen hinweg hießes, die großen so genannten Versorgerkassen könntenohne einen Mindestbeitrag in der gesetzlichen Kranken-versicherung nicht leben. Dieser Teil des Kompromissessei deshalb unverzichtbar. Nun soll es doch ohne den Min-destbeitrag gehen. Es ist gut, dass er gestrichen wordenist; er war von Anfang an ein Missgriff und war mit demGedanken des Wettbewerbs unvereinbar.Frau Schmidt-Zadel, ich frage mich, ob jetzt wirklichdas eintritt, wovor Sie vor ein paar Tagen gewarnt haben,nämlich, dass dieser Schritt das Ansehen der Koalition be-schädigt. Ist das eigentlich Ihre einzige Sorge? Die Kon-zeptionslosigkeit dieser Koalition beschädigt ganz andereDinge, zum Beispiel das Ziel der Bundesregierung, dieSozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent zu drücken.Den Gesundheitsmarkt mit seinem großen Arbeitsmarkt-potenzial in Schwung zu bringen, davon sind wir weit ent-fernt.Meine Damen und Herren, das, was von der Reform desRisikostrukturausgleichs übrig geblieben ist und was imZusammenhang mit dem bereits eingebrachten Gesetzent-wurf zur Neuordnung der Kassenwahlrechte zu sehen ist,ist aus unserer Sicht ein buntes Sammelsurium unter-schiedlichster Ideen zur Eindämmung des Wettbewerbsund der Wahlfreiheit.Sie haben zwar die Möglichkeit der Kündigung auf daslaufende Jahr erweitert, legen aber gleichzeitig eine Bin-dung an eine solche Entscheidung auf eineinhalb Jahrefest. Sie lassen das besondere Kündigungsrecht bei Bei-tragssatzerhöhungen wegfallen. Eine solche Möglichkeitist in allen anderen Bereichen der Versicherungswirt-schaft selbstverständlich.Die erhöhte Zuschreibung standardisierter Ausgabenfür Krankenkassen mit speziellen Programmen für chro-nisch Kranke gehört ebenfalls zu dieser Aufzählung. Inder Begründung dazu heißt es:Damit wird erstmals Sorge dafür getragen, dass denKrankenkassen, die sich um eine gezielte Verbesse-rung der Versorgung ihrer chronisch Krankenbemühen, kein finanzieller Nachteil entsteht, son-dern sie im Vergleich zum Status quo deutlich bessergestellt werden.
Das ist doch nur dann, Frau Schmidt-Zadel, der Fall,wenn die standardisierten Ausgaben, die für chronischKranke gezahlt werden, den tatsächlichen Ausgaben ent-sprechen. Anderenfalls ist es für die Krankenkasse immernoch von Vorteil, sich um gesunde Versicherte zu küm-mern und diese aufzunehmen. Es ist richtig, wenn manden Risikostrukturausgleich will, auch Anreize zu schaf-fen, zum Beispiel chronisch kranke Menschen zu versi-chern. Wenn jedoch der bürokratische Aufwand so großwird, dass die Kosten in keiner Relation mehr zum zu er-zielenden Nutzen stehen – so sehen wir es –, ist dieses Zielschwerlich zu erreichen. Sie müssten nämlich, wenn Siein dieser Richtung konsequent weiterdenken, bei der Er-fassung der Erkrankungen immer stärker differenzieren.Ein Diabetes-Patient, der frühzeitig zum Arzt geht undeine große Bereitschaft zur Mitarbeit mitbringt, verur-sacht wesentlich weniger Kosten als der Diabetiker, derseine Krankheit verschleppt und nicht einsieht, dass aucher zur Stabilisierung seiner Gesundheit beitragen muss.Das, was Sie sich von dieser höchst aufwendigen Maß-nahme versprechen, indem Sie die standardisierten Aus-gaben erstatten, wird also nicht eintreten oder nur dann,Frau Schmidt-Zadel, wenn Sie sich zu einer Neudefinitionvon solidarisch finanzierten Kernleistungen wie diesendurchringen und Wahlleistungen zulassen.Ich appelliere deshalb an Sie: Geben Sie den Gedankenauf, eine Optimierung der Versorgung mit dem Risiko-strukturausgleich verknüpfen zu wollen. Das wird nichtgelingen.
Oder es wird nur um den Preis eines gigantischen Ver-waltungsapparates gelingen.
Das Geld, das wir dafür ausgeben müssten, können wiranderswo sinnvoller einsetzen. Unsere Meinung ist: Wirbrauchen nicht mehr, sondern weniger Risikostrukturaus-gleich.
Irgendwann muss Schluss damit sein, dass ein immergrößeres Geldvolumen umverteilt wird. Einige Kranken-kassen müssen bereits jetzt spürbar mehr als die Hälfte ih-rer Beitragseinnahmen zur Subventionierung andererKassen – ihrer Mitbewerber nämlich! – abführen. StellenSie sich einmal vor, BMW müsste von jeder verdientenMark 50 Pfennig an Daimler-Chrysler abführen.
Das würde jeder für völlig absurd halten. Bei den Kran-kenkassen ist es Realität.
Zu schützen sind unserer Meinung nach, Frau Fuchs,nicht die Krankenkassen, sondern die Versicherten.Es istnachvollziehbar, dass die Manager der von Abwanderungbetroffenen Krankenkassen das anders sehen. Gleichwohlbleibt festzuhalten: Die Versicherten sind durch Wahlfrei-heit und Kontrahierungszwang ausreichend geschützt.Niemand ist gezwungen, bei einer Krankenkasse mithöherem Beitragssatz versichert zu bleiben. Niemand– auch nicht die schwer und chronisch Kranken – ist ge-hindert, sich schlau zu machen und andere Angebote zunutzen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Detlef Parr17657
Glauben diejenigen, die einer Ausweitung des RSA dasWort reden, im Ernst, in unserer Gesellschaft könnte sichder Versuch auszahlen, kranke Versicherte an den Pforteneiner gesetzlichen Krankenversicherung abzuweisen?Das wäre doch am nächsten Tag eine Seite-Eins-Meldungin Boulevardzeitungen. Das wird sich niemand erlaubenkönnen. Ich bin davon überzeugt: Bewusste und aktiveRisikoselektion hat auch ohne RSA keine Chance.Eine letzte Bemerkung zum ab 1. Januar 2003 vorge-sehenen Risikopool: Die dahinter stehende Idee ist ansich sinnvoll. Ob ein solcher Ausgleich allerdings tatsäch-lich kassenartenübergreifend erfolgen muss oder ob esnicht sinnvoller wäre, den schon heute existierenden kas-senarteninternen Finanzausgleich verbindlicher zu gestal-ten, wird in der Anhörung und den weiteren Beratungenzu klären sein. Wir freuen uns auf diese Beratungen.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Das Kassenwahlrecht 1992 für alle Mitglie-
der – freiwillig Versicherte, Angestellte und Arbeiter – ein-
zuführen war ein politischer Fortschritt. Der damit verbun-
dene Wettbewerb um Mitglieder sollte die Kassen zu mehr
Wirtschaftlichkeit und besserem Service anregen. Ein guter
Vorsatz, aber klar war, dass dieser Wettbewerb auch zu Ri-
sikoentmischung und Entsolidarisierung führen könnte.
Um das zu verhindern, wurde der Risikostrukturaus-
gleich eingeführt. Er sollte Nachteile beseitigen, die sich
für die Kassen aus unterdurchschnittlichen Einnahmen
und ungleicher Risikostruktur ergeben. Das ist aber nicht
erreicht worden. Obwohl über den RSA etwa 25 Milliar-
den DM jährlich umverteilt werden, ist es für eine Kasse
vorteilhaft, möglichst viele junge, gesunde und gut ver-
dienende Mitglieder zu gewinnen. Siehe die so genannten
virtuellen Betriebskrankenkassen. Die sich so ergebenden
Beitragsunterschiede haben nichts mit wirtschaftlichem
Handeln zu tun. Sie gehen in erster Linie zulasten der vie-
len AOKn und großer Ersatzkassen. Besonders benach-
teiligt sind die AOKn in Ostdeutschland, weil sie eine ex-
trem ungünstige Risikostruktur aufweisen.
Im Ergebnis eines solchen Wettbewerbs können Kas-
sen mit niedrigen Beiträgen diese sogar weiter absenken
und Kassen mit hohen Beitragssätzen müssen noch mehr
zulegen. Zugleich werden dem Gesundheitssystem zu-
nehmend Mittel entzogen. Das kann keiner wollen. Ein
sozial gerechtes Gesundheitswesen ist so nicht aufrecht
zu erhalten.
Wir begrüßen es, dass die Regierung mit der Reform
des RSA dieser Entwicklung Einhalt gebieten will. Der
vorliegende Gesetzentwurf ist aber nicht überzeugend. So
ist auf der Einnahmenseite noch immer kein vollständiger
Risikoausgleich vorgesehen. Unberücksichtigt bleiben
die erheblichen Aufwendungen der Kassen, die diese bei
Härtefällen und chronisch Kranken anstelle der Zuzah-
lung der Versicherten aufbringen müssen.
Aber auch die Härtefälle sind in hohem Maße ungleich
verteilt, was wiederum die AOKn in Ostdeutschland be-
sonders trifft. Wir halten es für richtig, dass die entspre-
chenden Mehraufwendungen dieser Kassen von ihren
Beitragseinnahmen abgezogen werden.
Ein weiterer Kritikpunkt. Richtig ist, die so genannten
Risikofälle gesondert auszugleichen. Aber die Schwel-
lenwerte der Aufwendungen für die Versicherten und die
Selbstbehalte der Kassen dürfen auf keinen Fall zu hoch
sein, wenn die gewünschten finanziellen Qualitätswir-
kungen eintreten sollen.
Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, das Gesetz folgt
einer richtigen Grundidee und es ist dringend notwendig.
Vieles ist aber noch nicht zu Ende gedacht und die Debatte
über die sachgerechtesten Lösungen muss noch gründlich
geführt werden.
Leider haben die Grünen mit der Streichung des Min-
destbeitrages kräftig dazu beigetragen, das ganze Paket
infrage zu stellen. Verheerend ist, dass sie diese Strei-
chung deshalb verlangt haben, um den Kassenwettbewerb
nicht zu behindern.
Werte Kollegin Göring-Eckardt, Sie sagen zwar, es
handele sich nur um ein Instrument, aber anscheinend se-
hen Sie nicht mehr – oder Sie wollen es einfach nicht mehr
sehen –, dass Sie damit den Vorteil und die Freiheit der
Starken auf Kosten der Schwachen verteidigen. Sie mer-
ken nicht einmal, dass der Beifall von der verkehrten Seite
kommt und Sie das Solidarsystem damit zum Abbau frei-
geben. Mit uns jedenfalls wird das nicht zu machen sein.
Wir vertreten die Auffassung, dass bei allen Entschei-
dungen zum Risikostrukturausgleich dem Schutz und der
Stärkung des Solidargedankens höchste Priorität zukom-
men muss.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Seit der Einführung des RSA 1992haben eine Reihe von Beteiligten immer wieder die Auf-fassung vertreten, dass der Risikostrukturausgleich nurein Übergangsinstrument für einige Jahre sei und dannzurückgeführt werden könne oder gar ganz abgeschafftgehöre. Diese Stimmen sind jetzt, nach zehn Jahren, fastganz verstummt.
– Bis auf Herrn Parr. Ja, ich habe das zur Kenntnis ge-nommen.
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Detlef Parr17658
Der damalige Bundesgesundheitsminister HorstSeehofer hat einmal gesagt, es gebe nur wenige, die denRisikostrukturausgleich in Gänze und mit seinen ganzenWirkmechanismen verstünden.
Das hat auch immer wieder dazu geführt, dass man inihm ein reines Subventionsinstrument für Not leidendeKassen gesehen hat oder sogar ein gnädiges Brot reicherKassen für arme Kassen.Aber, meine Damen und Herren, gerade die zahlrei-chen Gutachten und Stellungnahmen vieler Akteure imGesundheitswesen der letzten Monate, aber auch der letz-ten zwei Jahre haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Sämt-liche Gutachten, sämtliche Experten – auch diejenigen,die vor Jahren noch die Abschaffung des Risikostruktur-ausgleichs gefordert haben – sind sich heute einig, dass erin einer wettbewerblich ausgerichteten Krankenversiche-rung zwingend notwendig ist.
Diese Einschätzungen nehmen wir sehr ernst und legennun – nach zehn Jahren – einen Gesetzentwurf vor, der dieveränderten Bedingungen berücksichtigt. Wir haben ge-sehen, dass der heutige Risikostrukturausgleich immernoch zu viele Anreize bietet, sich nicht um die Versorgungder kranken Menschen zu kümmern. Es ist für eine Kran-kenkasse einfacher und finanziell attraktiver, gesunde undjunge Mitglieder anzuwerben, als in die bessere Versorgungder kranken Versicherten zu investieren. Genau hier müssenwir ansetzen und haben das im vorliegenden Entwurf auchgetan. Wir richten den Risikostrukturausgleich zukünftig soaus, dass die jeweilige Krankheit mit dem entsprechendenSchweregrad genauer im RSA abgebildet wird.Gegen diesen Weg, die so genannte Morbidität stärkerzu berücksichtigen, sehe ich keinen ernst zu nehmendenWiderstand. Wenn alle Beteiligten die Notwendigkeit se-hen, die Versorgung und auch die Vergütung im ärztlichenBereich und im Krankenhaus viel stärker an den tatsäch-lichen Krankheitsbildern auszurichten, dann ist nicht nurfolgerichtig, sondern geradezu zwingend, auch den RSAzukünftig darauf auszurichten. Deshalb haben wir klareSchritte im Gesetz definiert, bis zum Jahre 2007 einenmorbiditätsorientierten RSA zu erreichen. Bis dahin ha-ben wir vorgesehen – das wurde schon mehrfach ange-sprochen –, einen Ausgleich besonders teurer Behand-lungsfälle zwischen den Krankenkassen durch einenRisikopool vorzunehmen.Mit dem dritten Instrument im Gesetzentwurf, den Di-sease-Management-Programmen, schaffen wir Anreizefür die Krankenkassen, sich mehr als bisher um die Qua-lität und Effizienz der Versorgung chronisch Kranker zukümmern. Bisher wurden Kassen für dieses Engagementoft bestraft, jetzt setzen wir Anreize, dass Qualität auchbelohnt wird.Das sind die drei Kernelemente des neuen RSA undnicht der Mindestbeitrag, Herr Lohmann.
Es war auch nicht so gedacht, dass diese Programmedurch den Mindestbeitrag finanziert werden sollen, son-dern sie sollten aus dem RSA finanziert werden. Das wirdin Zukunft auch so geschehen.
Weiterhin halte ich Ihre fundamentale Kritik und IhreRufe nach einer Gesamtkonzeption in dieser Debatte fürverfehlt. Eine Weiterentwicklung des RSAmacht die Dis-kussion um die Weiterentwicklung der Gesundheitspoli-tik nicht überflüssig.
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, eineDiskussion um die Weiterentwicklung der Gesundheits-politik ohne eine zeitnahe Weiterentwicklung des RSAmacht erstere vielleicht überflüssig; denn dann wollen Sieden radikalen Weg der Marktwirtschaft gehen und die Pri-vatisierung von Risiken in der gesetzlichen Krankenver-sicherung zulassen. Diesen Weg gehen wir Sozialdemo-kraten nicht mit.
– Sie bemühen jetzt wieder das Papier aus dem Kanzler-amt. Solange ich es offiziell noch nicht gesehen habe, istes für mich ein nicht existentes Papier.
– Ich spreche für die SPD-Fraktion. Die Haltung der SPD-Fraktion habe ich gerade dargestellt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch mit ei-ner Mär aufräumen: Es wird immer wieder gesagt, dassdas so genannte Transfervolumen, also die Summe, dieim RSA bewegt wird, ständig steige und der RSA damitseine Steuerungswirkung verfehle. Genau das Gegenteilist der Fall: Die gestiegenen Transferzahlungen zeigen ge-rade, dass eine Weiterentwicklung zwingend notwendigist; denn je höher das Volumen ist, desto ungleicher ist dieVerteilung der Risiken auf die Krankenkassen. Das ist ei-gentlich eine ganz einfache Rechnung, die auch Sie ver-stehen müssten.
Um es noch einmal klar zu sagen: Unser Ziel ist nicht dieErhöhung der Transferzahlungen. Unser Ziel ist es, sinnvolleAnreize im RSA zu setzen, sich um die bessere Versorgungder chronisch und schwerkranken Menschen zu kümmern.Mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschla-genen Instrumenten sind wir auf dem richtigen Weg.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Hildegard Wester17659
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Aribert Wolf.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Das, was Rot-Grün inder Gesundheitspolitik vorzuweisen hat, ist insgesamtkläglich, dürftig und bedauerlich. Ich bräuchte das an die-ser Stelle auch gar nicht weiter auszuführen;
denn die Menschen draußen im Land können das Tag fürTag in den Zeitungen lesen. Sie spüren, wenn sie sich inden Arztpraxen und Krankenhäusern behandeln lassen,was Ihre Gesundheitspolitik angerichtet hat. Künftig kön-nen sie auf ihren Lohnzetteln schwarz auf weiß nachlesen,was Ihre Gesundheitspolitik bewirkt hat.
Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass Sie einesolche Minireform wie die Neuregelung des Finanzaus-gleichs zwischen den Krankenkassen als rettenden Stroh-halm feiern wollen, wenngleich ich ehrlicherweise sagenmuss: Ein bisschen mehr Leidenschaft wäre bei diesemThema auch nicht schlecht gewesen.
– Sie vermissen bei mir Leidenschaft? Keine Sorge, diekommt noch.Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die von Ihnenjetzt vorgelegte Reform des Finanzausgleichs etwas ander Versorgungslage chronisch Kranker, der schlechtenFinanzlage der großen Versorgerkassen und der Jagd derKrankenkassen vorwiegend nach Jungen und Gesundenin den nächsten ein bis zwei Jahren ändern wird. Ich rateIhnen: Haben Sie einmal den Mut, den Realitäten insAuge zu sehen! Dann werden Sie feststellen, dass Ihre Re-form den großen Versorgerkassen in den nächsten Jahrengar nichts bringen wird. Man wird feststellen – das sageich voraus und gebe ich gerne zu Protokoll –, dass nachwie vor fast nur Junge und Gesunde trotz Ihres neuen Ge-setzes im nächsten und im übernächsten Jahr die Mög-lichkeit nutzen werden, die Krankenkasse zu wechseln.Ich gebe zwar zu, dass ich dem inzwischen von Ihnenaufgegebenen Vorhaben, einen Mindestbeitragssatz von12,5 Prozent einzuführen, in keiner Weise nachtrauere;denn ein solcher Mindestbeitragssatz hätte nur dazu ge-führt, dass junge Leute scharenweise zu den privatenKrankenversicherungen abgewandert wären und dass dersolidarischen gesetzlichen Krankenversicherung dadurchMilliarden an Einnahmen verloren gegangen wären. Abermich erstaunt schon ein bisschen das Tempo, in dem dieMinisterin den noch gestern so hoch und heilig beschwo-renen Mindestbeitragssatz plötzlich gekippt hat. Daraufmöchte ich näher eingehen.Frau Ministerin, Sie haben in einem Interview mit der„Ärztezeitung“ am 27. April 2001 Folgendes gesagt:Für die Übergangsfrist muss eine Lösungsmöglich-keit geschaffen werden. Dies ist der Solidarbeitragvon 12,5 Prozent.Wenn dieser nicht käme, so haben Sie, Frau Ministerin,weiter ausgeführt,können wir uns über vieles unterhalten, aber nichtmehr darüber, wie dieses Gesundheitswesen zu an-nehmbaren Preisen funktioniert.Auf den Tag genau zwei Monate später, am 27. Juni2001, zitiert dieselbe Zeitung das Bundesgesundheits-ministerium mit folgenden Ausführungen: Für dieses Zielsei die Einführung eines Mindestbeitragssatzes, der amWiderstand der Bündnisgrünen gescheitert sei, „völlig un-wichtig“. Wer so Politik betreibt, verspielt Glaubwürdig-keit und macht deutlich – das ist noch viel schockieren-der –, dass diese Regierung kein Konzept und keinenKompass hat, nach dem gesegelt wird.
Das Schiff „Gesundheitswesen“ ist in stürmische Seegeraten und beginnt zu schlingern. Die Beitragssatzwel-len klatschen nur so aufs Deck.
Ich verweise nur auf Bayern, Hamburg, Hessen und Ba-den-Württemberg. Ich sage Ihnen, meine Damen und Her-ren von Rot-Grün, voraus, dass trotz Ihres Gesetzes zurNeuregelung des Risikostrukturausgleichs noch kräfti-gere Wellen an Bord aufschlagen werden, wenn erst diegroßen Ersatzkrankenkassen ihre Beitragssätze erhöhen.Diese haben schon lauthals mitgeteilt, dass ihnen dasWasser bis zum Hals stehe. Ihre Politik stößt ja bei diesenKassen auf heftige Kritik. Dieser Bundesregierung fehltes an Orientierung. Ihr fehlt ein Plan, wie das Schiff Ge-sundheitswesen an das rettende Ufer gebracht werdenkann.Es mag sein, dass das Kippen des Mindestbeitragssat-zes nur ein Racheakt der Grünen war – manche munkelndas –, weil der Kanzler die grüne Ministerin nicht geradegentlemanlike entlassen hat.
Das mag glauben, wer will. Ich glaube, das Hauptproblemist, dass Sie keinen Plan haben, wie das Gesundheitswe-sen wieder auf die wesentlichen gesundheitspolitischenZiele hin ausgerichtet werden kann. Sie wissen überhauptnicht, wie Sie die Finanzierung, die angesichts der demo-graphischen Probleme in unserem Land eine immer dra-matischere Herausforderung darstellt, sichern und wie Siebreiten Bevölkerungsschichten den medizinischen Fort-schritt noch zugänglich machen wollen. Allein eine Re-form des Risikostrukturausgleichs wird diese Probleme inkeiner Weise lösen.
Das Gebäude Gesundheitswesen wird immer baufäl-liger; seine Risse werden immer größer und immer deut-licher. Wenn Sie jetzt nicht darangehen, die dringend nöti-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117660
gen Reparaturarbeiten durchzuführen, dann werden Sieerkennen: Sie werden das Gebäude nicht retten, indem Siedie Fassade immer wieder mit neuer Farbe anstreichen.Die Ministerin hat trotz aller Freundlichkeiten und trotzaller Beruhigungspillen vergessen, ihren Job zu machen.Auf Geheiß des Kanzlers lässt sie die Dinge treiben. Dievon Rot-Grün vertändelte Zeit kommt die Bundesbürgerdamit teuer zu stehen; das kann jeder am eigenen Geld-beutel nachprüfen.Wer die Verwerfungen im Gesundheitswesen nichtrechtzeitig und tatkräftig anpackt, der wird nicht für Ruhesorgen, sondern er produziert täglich neue Hiobsbot-schaften für Patienten, Beitragszahler und für Leistungs-erbringer. Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie endlichauf, mit Minireformen an die Probleme im Gesundheits-wesen heranzugehen!Frau Ministerin, machen Sie endlich Ihren Job, damitunser Gesundheitswesen wieder auf die richtige Bahnkommt! Dazu brauchen Sie aber als Erstes ein Konzept.Wir sind gespannt, ob Sie den Mut haben, ein solchesKonzept den Menschen noch vor der Wahl zu präsentie-ren, oder ob Sie glauben, Sie könnten sich bis nach derWahl mit internen Diskussionen, mit Strategiepapieren– der eine erzählt etwas, der andere widerspricht und derNächste erzählt das Gegenteil – über die Runden retten.
Lesen Sie nur einmal, was alle rot-grünen Gesundheits-politiker der Reihe nach erzählt haben. Sie werden sichwundern und Sie werden keine gemeinsame Linie fest-stellen. Das ist schade.
Jetzt hat der Ab-
geordnete Martin Pfaff das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Herr Kollege Wolf, ich kann mirnicht verkneifen, Folgendes zu sagen: Sie haben unsererMinisterin doch gerade in beredten Worten Lernfähigkeitbescheinigt. Ich denke, man kann Schlimmeres über Men-schen sagen, vor allen Dingen dann, wenn sie für einen soschwierigen Bereich wie das Gesundheitswesen Verant-wortung tragen. Ich kann nur sagen: Danke, machen Sieweiter so! Wir jedenfalls sind mit unserer Ministerin sehrzufrieden und wir sind gerne bereit, sie zu verteidigen.
Die Wellen, die Sie angesprochen haben, schreckenuns nicht. Als langjähriger passionierter Segler weiß ich:Die Wellen tun dem Schiff nichts, solange der Kursstimmt. Wir wissen, dass der Kurs in der Gesundheits-politik stimmt.
Es ist wichtig, einiges über die Funktionsweise, dieInstrumente und die Wirkungen des Risikostrukturaus-gleichs zu sagen. Herr Kollege Lohmann, Sie haben einKonzept, eine klare Linie vermisst. Wir verfolgen meh-rere Ziele gleichzeitig. Wenn man mehrere Ziele gleich-zeitig verfolgt, dann braucht man mindestens so vieleInstrumente wie Ziele. Dass das Gesetz ein Bündel vonMaßnahmen enthält, ist die logische Konsequenz dessen,was wir wollen.Es gibt mehrere Missverständnisse. Das erste Missver-ständnis besteht darin, dass man glaubt, der Risikostruk-turausgleich habe allein die Funktion, Chancengleich-heit im Wettbewerb herzustellen.
Das ist in der Tat eine Zielsetzung. Es ist richtig, dass wirursprünglich nicht angetreten sind, um den Risikostruk-turausgleich zu reformieren oder für Chancengleichheitim Wettbewerb zu sorgen, sondern um den Arbeitern undden Angestellten gleiche Chancen bei der Kassenwahl zuverschaffen.
Wir wollten endlich die Situation beenden, dass Arbeiterin Kassen mit geringeren Grundlöhnen mit demselbenVersicherungsanspruch wie Angestellte versichert waren– sie hatten weniger Kassenwahlchancen –, gleichzeitigaber höhere Beiträge zahlen mussten. Das war ungerechtund entsprach nicht einem modernen gesellschaftspoliti-schen Leitbild.
Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen war unsere ge-sellschaftspolitische Zielsetzung. Die Ausweitung derKassenwahlrechte war eine Konsequenz. Der Risiko-strukturausgleich war ein Ergebnis der Ausweitung desWettbewerbs.Unser zweites Ziel – das möchte ich ganz deutlich be-tonen – war und ist die Ausweitung der Solidarität derStarken gegenüber den Schwachen. Der Risikostruktur-ausgleich hat den Effekt, dass Gesunde für Kranke, Jungefür Alte, Männer für Frauen und, sofern Frauen erwerbs-tätig sind, umgekehrt, Kinderlose für Paare mit Kindernund Menschen mit breiteren wirtschaftlichen Schulternfür solche mit schmaleren Schultern einstehen.
Das ist das Herzstück dessen, was man als Sozialstaat be-zeichnet. Das ist das Herzstück dessen, was sozialeMarktwirtschaft ist.Das zweite Missverständnis lautet, dass der Risiko-strukturausgleich nur auf Zeit und übergangsweise erfor-derlich ist. Mit Ihren eigenen Worten haben Sie gesagt,dass dieser Ausgleich Faktoren neutralisieren soll, die dieeinzelne Kasse mit eigener Kraft nicht verändern kann,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Aribert Wolf17661
nämlich zum Beispiel die Altersstruktur, die Geschlechts-struktur, die Zahl der Mitversicherten und die Grund-löhne. Vor dem Hintergrund, dass man diese nicht kurz-fristig verändern kann, kann man auch nicht fordern, dassder Risikostrukturausgleich nur übergangsweise stattfin-det. Stellen wir uns doch einmal vor, wir hätten in denvergangenen Jahren keinen Risikostrukturausgleich ge-habt. Die Gutachter haben gesagt, dass dann die Beitrags-satzspanne zwischen 7 Prozent und 21 Prozent liegenwürde. Wir hätten eine Risikoentmischung in einem Um-fang, die das ganze System gefährden würde.Ich komme nun zum dritten Missverständnis. Herr Parr,Sie sagen, wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Risi-kostrukturausgleich. Andere sagen wiederum, dass diedurch den Risikostrukturausgleich bewegte Summe inHöhe von 23 Milliarden DM zu hoch sei. Hier handelt essich um eine klassische Verwechslung von Ursache undWirkung. Wenn Sie eine perfekte Risikomischung habenund keine private Krankenversicherung – –
– Nein, ich rede über Risikomischung und nicht überStrukturen.
Selbst eine private Krankenversicherung könnte niemalsüberleben, wenn sie nicht gute und schlechte Risikenhätte. Wie hoch ist denn das Finanzvolumen des Risiko-strukturausgleichs, wenn man eine perfekte Risikomi-schung hat?
– Das beträgt null, genau. Deshalb ist der Anstieg derTransferzahlungen ein Reflex der Tatsache, dass eine Ent-solidarisierungswelle und eine Risikoentmischung statt-finden. Der Risikostrukturausgleich funktioniert wie einStabilisator, ein Stoßdämpfer.
Je unebener die Straße ist, desto mehr bewegt er sich.Herr Parr, die Forderung, den Risikostrukturausgleichzurückzuführen oder abzuschaffen, ist ungefähr genausointelligent – Entschuldigung, das ist nicht persönlich,sondern fachlich gemeint – wie der Ausbau derStoßdämpfer, wenn man in eine Region mit schlechtenStraßen kommt, um diese zu schonen.
Das vierte Missverständnis lautet: Die bestehendenAusgleichsfaktoren wie zum Beispiel Alter und Ge-schlecht reichen aus, um einen für alle Gruppen chancen-gleichen Wettbewerb zu sichern. Wir haben festgestellt,dass dies eben nicht ausreicht. Es gab zwei Fehlentwick-lungen, und zwar zum einen die Diskriminierung derchronisch Kranken und zum anderen die Entsolidarisie-rung durch Polarisierung, nämlich Kassen für Junge undGesunde mit niedrigen Beitragssätzen und Versorgungs-kassen für Alte und Kranke mit höheren Beitragssätzen.Ich frage Sie: Wie lange könnte eine solche Entwicklungdauern, bis das System zusammenbricht? Was ist gewon-nen, wenn das System zusammenbricht? Die Menschenbleiben doch.
Wir haben in Lahnstein den Risikostrukturausgleichgemeinsam eingeführt.
Auch das GKV-Finanzstärkungsgesetz zugunsten derOstkassen haben wir gemeinsam durchgesetzt. Wir tragengemeinsam die Verantwortung für die Fehlentwicklun-gen. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns in denAnhörungen Anregungen aufnehmen und diese umsetzen.
Ich bin fest davon überzeugt, liebe Kolleginnen undKollegen von der Opposition: Die großen Stunden des Par-laments kommen nicht dann, wenn man sich in Parteien-streit ergeht. Die großen Stunden des Parlaments kommendann, wenn zugunsten der Menschen in unserem Landeeine Gemeinsamkeit über Parteien hinweg stattfindet.
Ich schließe da-mit die Aussprache zu diesem Tagungsordnungspunkt.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 14/6432 und 14/5681 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damitsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richtes des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-nität und Geschäftsordnung zu demAntrag der Fraktion der CDU/CSUÄnderung der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestages
– Drucksachen 14/542, 14/2007 –Berichterstattung:Abgeordnete Jörg van EssenJoachim HörsterDr. Uwe KüsterNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es hier-gegen Widerspruch? – Nein. Dann ist das so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Martin Pfaff17662
Sind Sie damit einverstanden, dass wir die Rede derAbgeordneten Heidi Knake-Werner zu Protokoll neh-men? – Das ist der Fall.1)Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst derAbgeordnete Uwe Küster.
Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Es geht um einen Antragder CDU/CSU-Fraktion aus dem Frühjahr 1999. Der An-trag ist somit über zwei Jahre alt. Das ist für den politi-schen Bereich eine sehr lange Zeit. Ich glaube daher, dassich den wesentlichen Inhalt kurz darstellen sollte.Die CDU/CSU möchte zusätzlich zu den bestehendendrei Möglichkeiten zur Durchführung einer AktuellenStunde eine vierte einführen. Nach ihrem Willen soll esmöglich sein, im Anschluss an die 30-minütige Befragungder Bundesregierung in eine allgemeine Aussprache desDeutschen Bundestages nach den Regeln für eine Aktu-elle Stunde einzutreten. Damit wäre einer Fraktion dieMöglichkeit gegeben, aus der zeitlich und thematisch inder Regel sehr eng begrenzten Regierungsbefragung un-mittelbar eine zeitlich und thematisch ausufernde Debattezu entwickeln.Es wird sofort klar: Dieser Antrag ist ein typischer Op-positionsantrag.
Grund des Antrags ist nicht etwa die Erweiterung desRechts der Opposition und der Öffentlichkeit auf Infor-mation und Transparenz. Nein, das Gegenteil ist der Fall.Hier wird versucht, das Parlament zu einem schon in derSache fragwürdigen Schlagabtausch über den Regie-rungsalltag zu nutzen.
Der Parlamentsablauf würde hierdurch unberechenbar.Ich vermag in diesem Versuch keinen konstruktiven par-lamentarischen Gedanken zu erkennen. Im Gegenteil: Mitdiesem Antrag leistet die Union einem transparenten undoffenen Parlamentarismus einen Bärendienst.Lassen Sie mich dies begründen. Bereits jetzt stellt dieGeschäftsordnung des Deutschen Bundestages drei Mög-lichkeiten bereit, Aktuelle Stunden herbeizuführen. Aktu-elle Stunden dienen dazu, den notwendigerweise langfris-tig geplanten Plenarablauf sehr kurzfristig aktuell gestaltenzu können. Die Debatte soll hierdurch lebhafter und inte-ressanter werden. Der Öffentlichkeit soll deutlich gemachtwerden, dass die Themen, die sie beschäftigen, auch vonder Volksvertretung beraten werden.Eine Aktuelle Stunde ist notwendig. Andernfallskönnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dassdas Parlament seine Debatten unbeeinflusst von den aktu-ellen Themen der unmittelbaren Gegenwart führt. DasInstrument der Aktuellen Stunde ist daher – dies möchteich als Parlamentarier selbstkritisch anmerken – auch einTribut an ein schnelllebiges Medienzeitalter. Auch dasParlament muss auf aktuelle gesellschaftliche Themenschnell reagieren können. Sonst bestünde die Gefahr, dasssich zu wichtigen Themen zwar die Bundesregierung, dieParteien, Fachleute aller Art und letztlich auch noch dieFeuilletonisten äußern, aber nicht die demokratisch legi-timierte Vertretung des Volkes.Wird ein wichtiges Thema in der Öffentlichkeit kon-trovers behandelt, muss das Parlament zeitnah hierzuStellung beziehen können. Dass von diesem Instrumentnaturgemäß die Oppositionsfraktionen mehr Gebrauchmachen als die Regierungsfraktionen, ist nur allzu ver-ständlich. Schließlich hat die Opposition keine Regie-rungsmitglieder, die ihre Politik erläutern könnten. In Be-zug auf die Union möchte ich sagen: Und das ist auch gutso. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die von Ihnen be-antragten Aktuellen Stunden regelmäßig zu einem zusätz-lichen Forum für die überzeugende Darstellung unsererRegierungspolitik werden.
Ich bin ganz und gar nicht gegen eine Vielzahl von Aktu-ellen Stunden.
Sie nützen schließlich unserer und nicht Ihrer Politik.Ich wende mich nicht gegen das Instrument der Aktu-ellen Stunde. Ich wende mich aber ganz entschieden ge-gen den Versuch, diese gute parlamentarische Einrichtungzu einem Exerzierfeld von taktischen Spielchen zu ma-chen.
Genau dies ist die Stoßrichtung Ihres Antrags.Es besteht keine Notwendigkeit für eine AktuelleStunde im Anschluss an die Befragung der Bundesregie-rung. Sie wäre auch nicht sinnvoll. Die gegenwärtig inAnlage 5 der Geschäftsordnung geregelten Tatbeständeüber Aktuelle Stunden sind völlig ausreichend. Dass Siedas auch so sehen, Herr von Klaeden, zeigt sich bereits da-ran, dass Sie die Beratung Ihres Antrags zwei Jahre langnicht vermisst haben.
Die Entbehrlichkeit Ihres Antrags wird augenfällig, wennman sieht, wie oft überhaupt von der Möglichkeit einerAktuellen Stunde im Anschluss an eine FragestundeGebrauch gemacht wird. Das ist nämlich nur sehr seltender Fall. In der gesamten bisherigen Wahlperiode wurdenbisher insgesamt nur zehn Aktuelle Stunden aus der Fra-gestunde heraus entwickelt.
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer17663
1) Anlage 2Eine Dringliche Frage war sogar – darauf komme ichnoch zurück – in nur einem einzigen Fall Anlass; und diesbei bisher insgesamt 57 Sitzungswochen mit insgesamt108 Aktuellen Stunden.
– Im Gegenteil. Diese Zahlen belegen nicht gerade dasdringende Bedürfnis nach der Einführung neuer Tat-bestände. Vielmehr zeigen sie, dass die Entwicklung einerAktuellen Stunde aus der Fragestunde heraus nicht geradeder Regelfall ist. Es handelt sich hierbei um Ausnahme-fälle.Wieso wird nur so selten eine Aktuelle Stunde auf die-sem Wege beantragt? Die Antwort ist sehr einfach: Wiralle wollen unsere Themen aktuell, aber auch fundiert be-raten sehen. Dies gilt für uns ebenso wie für dieOppositionsfraktionen. Daher ist es Vorschrift, die The-men der gewünschten Aktuellen Stunde einen Tag zuvorbeim Präsidenten einzureichen. Nach guter parlamenta-rischer Übung hat jede Fraktion Gelegenheit, ein von ihrgewünschtes Thema auf die Tagesordnung zu setzen.Die wirklich bedeutenden Themen – ich nenne hier alsBeispiel die Rentenreform – sind keine Eintagsfliegen.Sie behalten für eine längere Zeit ihre Aktualität. Möchteeine Fraktion ein solches Thema in herausgehobener Artund Weise angesprochen haben, kann sie dies zumindesteinen Tag vorher wissen. Ich glaube nicht, dass die Fristvon einem Tag unzumutbar ist.Diese Regelung hat aus meiner Sicht einen entschei-denden Vorteil: Die Fraktionen und die Bundesregierungkönnen die Debatte seriös vorbereiten. Die Öffentlichkeitbekommt ein präzises Bild der politischen Standpunktevermittelt. Dies ist nach meinem Verständnis ein wesent-licher Sinn von Plenardebatten. Das können Spontan-debatten – so lebhaft und notwendig sie auch sind – nichtleisten.Die Analyse trifft, wenn auch eingeschränkt, auch aufdie Aktuellen Stunden zu, die sich aus der Fragestundeentwickeln. Sie werden naturgemäß von der Oppositionbeantragt. Die Opposition macht dies, um ein Thema ausder Fragestunde heraus aufzublähen. Meine Damen undHerren von der Opposition, die Erfahrung zeigt, dass IhreBemühungen an dieser Stelle vergeblich sind. Ich habevon den bisher von Ihnen beantragten Aktuellen Stundenim Anschluss an eine Fragestunde keine einzige mehr alswesentlich in Erinnerung. Auch dies zeigt, dass kurz-fristig und inhaltlich eng angelegte Debatten nicht dasleisten können, was eine Aktuelle Stunde leisten soll: ak-tuelle Themen in einem transparenten Verfahren umfas-send zu beraten.Im Übrigen: Das Verfahren garantiert bereits einHöchstmaß an Aktualität. Ein bis 12 Uhr am Vortag ein-gereichtes Verlangen auf Aufsetzung einer AktuellenStunde auf die Tagesordnung des Folgetages reicht bereitsaus. Darüber hinaus kann sich eine Aktuelle Stunde auchaus einer Dringlichen Frage im Anschluss an die Frage-stunde ergeben. Man sieht hier die verschiedenen ge-schäftsordnungsrechtlichen Möglichkeiten, flexibel aufaktuelle Fragestellungen zu reagieren.Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist aufgrund seinerAnknüpfung an die Befragung der Bundesregierungbedenklich. Die Befragung der Bundesregierung ist vor-rangig dazu da, Erkenntnisse aus der vorangegangenenKabinettssitzung zu gewinnen. So soll der Oppositionzum Beispiel die Möglichkeit gegeben werden, Einzel-heiten über Kabinettsbeschlüsse zu erfahren. Im Regelfallist der hierfür vorgesehene Zeitraum von 30 Minuten völ-lig ausreichend. Bei Bedarf kann der amtierende Präsidentdie Debattenzeit über diese Zeit hinaus verlängern.Sie argumentieren nun, dass es aufgrund der mündlichgegebenen Antworten der Bundesregierung oftmals „dasdringende und unaufschiebbare Bedürfnis“ gebe, die er-teilten Auskünfte zu debattieren. Weitere Sachaufklärungkann dies aber nicht bringen. Aber das wollen Sie auch garnicht. Sie wollen in der Sache gar keine Aktuelle Stundemit dem Ziel der Information der Öffentlichkeit. Sie wol-len die Bundesregierung aus rein taktischen Gründen informale Schwierigkeiten bringen.
Inhaltlich möchten Sie nicht diskutieren. Auch Siebräuchten ja eine Vorbereitungszeit für Ihre inhaltlichenAnliegen. Oder wissen Sie die richtigen Antworten bereitsim Voraus?
Das ist natürlich nicht so. Sie wollen vielmehr die Mög-lichkeit haben, gleichsam ein bisschen aus der Hüfte zuschießen.
Sie suchen den kurzfristigen, schnellen Erfolg im For-malen. Das Parlament soll in eine unvorbereitete Debatteüber offensichtlich herbeigeredete Themen hineingehetztwerden.
Ein Bezug zu einer öffentlichen Diskussion erscheint ent-behrlich. Seriöse parlamentarische Arbeit kann so nichtgeleistet werden. Ich kann nicht ausschließen, dass Siedas auch so wollen. Ich jedenfalls erkenne in Ihrem An-trag keine inhaltlichen Anliegen. Sie wollen nur taktieren.
Sie wollen Opposition um des Opponierens willen betrei-ben. Dies lehnen wir ab.
Lassen Sie mich zuletzt noch auf einen weiteren Grundeingehen, der die Ablehnung Ihres Antrags schon für sichgenommen nötig macht. Wir müssen uns bei jeder Ände-rung der Geschäftsordnung fragen, welche Auswirkungsie für die Arbeit des gesamten Parlamentes hat. Diehier vorgeschlagene Änderung würde bei ihrer Verwirk-lichung zu einer Zerfaserung der Sitzungswoche führen;denn die Durchführung einer Aktuellen Stunde im direk-ten Anschluss an die Befragung der Bundesregierung
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Dr. Uwe Küster17664
hätte eine Verlegung der meist an die Fragestunde an-schließenden Aktuellen Stunde zur Folge.
Diese Notwendigkeit ist zwar schon heute manchmalgegeben, doch wäre die Ausweitung dieser Konfliktfälleder Öffentlichkeit wenig vermittelbar. Es könnten danngleich drei Aktuelle Stunden miteinander konkurrieren,wobei die eine die andere verdrängen würde.
Die nachfolgende Aktuelle Stunde soll dann weniger ak-tuell sein? Sie müssten erklären, warum durch diesen Me-chanismus plötzlich etwas Aktuelles verdrängt wird. Daskann so nicht richtig sein.Die Aktuellen Stunden würden im Übrigen die Pla-nungen hinsichtlich der weiteren Debatten zusätzlich be-lasten. Der ohnehin übervolle Plenardonnerstag wäredann weniger planbar. Sie würden die Qualität der Debat-ten mindern und die Belastung der Parlamentarier er-höhen. Das alles wollen wir nicht.Ich möchte jedoch keinen falschen Eindruck aufkom-men lassen. Meine Fraktion hat sich in der Vergangenheitniemals dem Wunsch verschlossen – das wissen Sie, Herrvan Essen, Herr von Klaeden –, vereinbarte Debatten zuaktuellen Themen durchzuführen. Wir haben uns auchund gerade gegenüber den Wünschen der Minderheitenimmer aufgeschlossen gezeigt. Wir werden das auch inZukunft so kooperativ handhaben.Aber wir wollen hochwertige und aktuelle Debatten.Wir begrüßen die Durchführung von Aktuellen Stundenganz ausdrücklich. Wir wollen die Debattenkultur stärkenund die Plenardebatten lebhaft gestalten. Der Vorschlagder CDU/CSU-Fraktion zur Änderung der Geschäftsord-nung widerspricht unseren Bemühungen. Er ist nicht hilf-reich, er ist unnötig und stellt für die Debattenkultur indiesem Hohen Hause einen Rückschritt dar.Wir teilen das ablehnende Votum des Geschäftsord-nungsausschusses zu diesem Antrag. Meine Fraktionlehnt den Antrag daher ab.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Küster,dass Sie unseren Antrag ablehnen, erstaunt mich nicht.Mich enttäuscht allerdings ein wenig, dass Sie das nichtwenigstens mit einem kleinen Augenzwinkern tun; denneinerseits malen Sie hier das Szenario an die Wand, dassdie parlamentarischen Beratungen durch die Ausei-nandersetzung in der Aktuellen Stunde unberechenbarwerden würden, und andererseits wollen Sie gleichzeitigdie freie Rede und die Debattenkultur hochhalten. Ich binerstaunt, welch gestörtes Verhältnis zur politischen Aus-einandersetzung und zur parlamentarischen Debatte undwelche Angst Sie letztlich vor der freien Rede und deroffenen Auseinandersetzung hier zum Ausdruck bringen.
– Ich kann nicht gegen Sie anschreien, meine Damen undHerren von der SPD; ich bin etwas erkältet. Deswegenbitte ich Sie, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.
Wenn Sie zum Beispiel meinen, Herr Kollege Küster,der Regierung sei es nicht möglich, sich auf eine AktuelleStunde, die sich aus der Regierungsbefragung entwickle,seriös vorzubereiten
– das hat doch der Kollege Küster gerade ausgeführt –, sowill ich Sie doch wenigstens darauf hinweisen, dass dasThema der Regierungsbefragung von der Regierung sel-ber festgelegt wird. Die Vorstellung, dass die Regierungunvorbereitet in eine Aktuelle Stunde hineingehen müsstebei einem Thema, das sie selber für die Regierungsbefra-gung ausgewählt hat, finde ich doch reichlich absurd.Wir alle führen immer wieder Klage über den angeb-lichen oder tatsächlichen Verlust der Bedeutung des Par-laments. Wir haben im aktuellen „Focus“ auf dem Fotoder Woche einen kaum besetzten Plenarsaal bei derRegierungsbefragung gesehen. Ihnen, Herr Küster, willich wenigstens zugestehen, dass Sie einer von den beidenAbgeordneten der SPD waren, die bei den Ausführungendes Bundesfinanzministers anwesend waren. Allein die-ses Foto zeigt doch, dass wir uns alle darüber Gedankenmachen müssen, wie wir die Regierungsbefragung inte-ressanter und abwechslungsreicher gestalten können;denn dass von Ihrer Seite nur zwei Kollegen anwesendwaren, zeigt doch, dass das auch für Sie kein Ort der ver-nünftigen politischen Auseinandersetzung ist.
Deswegen wollen wir in einer ganz dezenten Art undWeise die Möglichkeit der politischen Auseinanderset-zung erweitern. Ich wünschte mir, dass Sie sich als Abge-ordnete der Mehrheit und nicht nur als Erfüllungsgehilfender Regierung verstehen, und sich auch der Frage widme-ten, ob nicht auch ab und zu mit der Regierung eine Frageim Parlament kontrovers diskutiert werden kann.
Wenn Sie weiterhin die Sorge haben, dass die politi-sche Auseinandersetzung im Wesentlichen nur den Zweckhat, unsachlich zu sein, die Bevölkerung zu verwirren
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Dr. Uwe Küster17665
und die sachliche Auseinandersetzung zu vernebeln, dannsagt das mehr über Ihr Parlamentarismusverständnis alsüber unseren Antrag aus.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Möglichkeitschaffen, aus der Regierungsbefragung eine AktuelleStunde zu entwickeln. Die Aktuelle Stunde wurde einmaleingeführt, um den Abgeordneten, die mit einer Antwortder Regierung in der Fragestunde nicht zufrieden waren,die Gelegenheit zur weiteren Bewertung und Diskussioneines politischen Sachverhalts zu geben. Schließlichkommt es häufig vor, dass die Bundesregierung auf An-fragen erkennbar nicht vollständig und nicht zutreffendantwortet.
Bislang kann eine Aktuelle Stunde nur zu einer münd-lichen Antwort der Bundesregierung in der Fragestundeverlangt werden, nicht jedoch zu der mündlichen Antwortauf eine Frage in der Regierungsbefragung. Die Parla-mentspraxis zeigt, dass es immer häufiger vorkommt,dass sich aus der Regierungsbefragung ein Bedarf nacheiner Aussprache ergibt, der dringend und nicht auf-schiebbar ist. Es ist schlicht nicht einzusehen, dass derAntragsteller für eine Aktuelle Stunde nach der geltendenRechtslage auf das allgemeine Antragsrecht verwiesenwerden muss, was zur Folge hat, dass die Aktuelle Stundezu diesem Thema dann, wenn überhaupt, erst amübernächsten Tag stattfinden könnte, sofern nicht der An-trag einer anderen Fraktion vorgeht. – Dies als ersterPunkt zur Begründung unseres Antrages.Der zweite Punkt: Die Einreichung einer mündlichenAnfrage liegt zeitlich immer viel weiter zurück als dieaktuelle Kabinettssitzung vom Vormittag oder andereaktuelle Meldungen über Beratungen der Bundesregie-rung, zu denen dann auch nachgefragt werden kann. DieThemen der Regierungsbefragung sind also mindestens soaktuell, häufig noch aktueller als die mündlichen Anfragen,zu denen nach der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stundebeantragt werden kann. Deshalb wäre es doch nur folge-richtig, dem allgemeinen aktuellen Interesse an einer Aus-sprache im Anschluss an eine Regierungsbefragung nocham selben Tag, am Mittag oder Nachmittag, zu folgen unddie Gelegenheit zu geben, dazu eine Aktuelle Stunde zu be-antragen. Die Regierung selber betont ja die Wichtigkeitund die Aktualität des Themas dadurch, dass sie diesesThema für die Regierungsbefragung ausgesucht hat.
Wenn wir als Parlament aktuell und zeitnah zu den Ent-scheidungen der Bundesregierung handeln und unsereKontrollfunktion auch wahrnehmen wollen, halte ich esgeradezu für zwingend, dass wir unsere Möglichkeiten,aktuell zu sein, auch wirklich wahrnehmen und sie dort er-weitern, wo es nötig ist. Deshalb möchte ich alle Fraktio-nen ausdrücklich auffordern, unserem Antrag zu folgen.Schließlich müssen wir doch mit Sorge die Entwicklungbeobachten, dass die aktuellen politischen Auseinander-setzungen immer weiter weg vom Parlament und immermehr hinein in Fernsehtalkrunden verlegt werden.
Das Bedürfnis nach Aktuellen Stunden aus den Reihender Abgeordneten wird übrigens immer größer. Aus den25 Fragestunden im ersten Halbjahr 2001 wurden vier Ak-tuelle Stunden entwickelt. 1999 gab es – auf das ganzeJahr gerechnet – nur zwei Aktuelle Stunden aus Frage-stunden. Wäre es möglich, eine Aktuelle Stunde aus derRegierungsbefragung zu verlangen, gäbe es – so meinePrognose – einige Aktuelle Stunden mehr. Zudem könntedas Verlangen zur Durchführung einer Aktuellen Stundeauch auf unzureichende Antworten derRegierung in derRegierungsbefragung gestützt werden.Ich will für diese unzureichende Beantwortung vonFragen bzw. die unzureichende Vorbereitung darauf nurein Beispiel nennen – eines von vielen –, nämlich denAuftritt der Staatssekretärin Hendricks am 5. Juli 2000 inder Regierungsbefragung im Bundestag, zu der sie vonHerrn Bundesminister Eichel geschickt wurde, um vonder vorangegangenen Kabinettssitzung zu berichten.Durch unsere Frage an sie kam heraus, dass sie an der Be-ratung des Kabinetts zu dem in der Regierungsbefragunggenannten Thema überhaupt nicht teilgenommen hatte.Es ist nicht nur peinlich, wenn man zugeben muss, übereine Kabinettssitzung zu berichten, bei der man nicht ein-mal zugegen war. Dies zeigt auch, wie ernst die Bundes-regierung ihre parlamentarischen Pflichten nimmt.Zu beklagen ist auch immer wieder, dass die Bundes-regierung auf schriftliche Fragen nicht in der vorge-schriebenen Wochenfrist antwortet und häufig nicht ein-mal den Grund mitteilt, warum die Frist immer wiederund immer mehr nach hinten gezogen wird. Besonderskrass fallen da das Auswärtige Amt und das Verteidi-gungsministerium auf. Die krassesten Fälle, die wir indiesen Wochen haben erleben müssen, betreffen Frist-überschreitungen um fünf, vier und drei Wochen. Ichmeine, dass das nicht sein darf und wir uns Gedanken da-rüber machen müssen, wie wir auch zu aktuellen Themendie Debatte erleichtern und bereichern können.
Deswegen darf ich Sie herzlich bitten, diesem Antragzuzustimmen. Wenn Sie schon Ihr Kritikvermögen be-züglich der Regierungspolitik an der Mehrheitspforte ab-gegeben haben, so will ich doch wenigstens den einenoder anderen von Ihnen – insbesondere die KolleginRennebach, die sich ja gerade durch außerordentlich qua-lifizierte Zwischenrufe ausgezeichnet hat,
von denen ich hoffe, dass sie alle ins Protokoll gelangtsind –, an die Initiativen Ihrer Fraktion zur Änderung derGeschäftsordnung in der letzten Legislaturperiode erin-
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Eckart von Klaeden17666
nern. Vielleicht wahren Sie ja in diesem Falle – wenn Siesich schon bei den großen Themen nicht an Ihre eigenenAnträge erinnern – eine gewisse Kontinuität und tun das,was Sie vor der Wahl versprochen haben.In diesem Sinne darf ich Sie bitten: Stimmen Sie unse-rem Antrag zu!
Gehen Sie
milde mit dem Kollegen von Klaeden um; er hat zweiein-
halb Stunden Redezeit eingespart.
– Was habe ich gesagt?
– Zweieinhalb Stunden? Nein, das wäre wirklich zu viel.
Aber immerhin zweieinhalb Minuten!
Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
HerrPräsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich hoffe, da-raus wird dann nicht der nächste Geschäftsordnungsantrag,die Redezeit der CDU generell auf zweieinhalb Stundenauszudehnen.Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt den Ge-schäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ab. Ichmöchte diese Ablehnung auch begründen:Sie haben vorgetragen, dass es ein dringendes Bedürf-nis Ihrer Abgeodneten für eine Erweiterung der Möglich-keit, Aktuellen Stunden im Deutschen Bundestag durch-zuführen, gibt. Nun möchte ich nicht in Abrede stellen,dass wir im Parlament gemeinsam immer wieder disku-tieren und nach Möglichkeiten suchen sollten, unsere ei-gene Arbeit hinsichtlich Transparenz, Bürgerfreundlich-keit, auch der Herstellung von Öffentlichkeit vonDebatten und natürlich auch von Aktualität zu verbessern.Aber wenn Ihr Antrag, Herr von Klaeden, bereits vor zweiJahren hier im Plenum in das Verfahren eingebracht wor-den ist – und dies auch noch auf den dringenden Wunschder Abgeordneten Ihrer Fraktion hin –, dann frage ichmich, worin die Aktualität des Themas besteht.
– Nein, nein; es geht auch um die Aktualität von Anträ-gen, die wir hier im Plenum behandeln, und ich fragemich, ob dieser Antrag Ihrer Fraktion auf Änderung derGeschäftsordnung dadurch eine neue Aktualität bekom-men hat, dass der Wahlkampf für den nächsten Bundestagvor der Tür steht.
Meine zweite Begründung für die Ablehnung diesesAntrages beruht auf meiner Befürchtung, dass wir durchdiese Möglichkeit eine Verschlechterung der Qualitätder Debatten bewirken. Wenn ich mir anschaue, wie sichdie Fragestunden hier im Parlament – und teilweise auchdie Aktuellen Stunden – in der Vergangenheit entwickelthaben, dann glaube ich nicht, dass es gerade dies ist, wasdie Bürger manchmal an der politischen Arbeit stört, näm-lich dass zu wenig Debatten dieser Art geführt werden, dieeinen kurzfristigen aktuellen Schlagabtausch ermögli-chen. Mein Eindruck bei der Arbeit vor Ort, wenn ich mitden Bürgern darüber diskutiere, ist vielmehr, dass sie sichmehr vertiefende, grundsätzliche Debatten, die manchmalauch von ein bisschen mehr Nachdenklichkeit geprägtsind – wie beispielsweise beim Thema Gentechnik –, undnicht das oftmals doch etwas stark auf den politischenSchlagabtausch zielende Debattieren in den AktuellenStunden wünschen.
Die Kurzfristigkeit, die mit der Debattenform, die Siehier vorschlagen, verbunden ist, impliziert, dass sich dieAbgeordneten auf diese Art von Debatten nicht ausrei-chend vorbereiten können. Das unterscheidet die Möglich-keit, eine Aktuelle Stunde aus der Regierungsbefragung he-raus zu entwickeln, von der Möglichkeit, eine AktuelleStunde aus der Fragestunde heraus zu entwickeln. In denFällen ist natürlich die Vorbereitungszeit für die Abgeord-neten vorhanden. Man führt in der Regel eine Recherchedurch, um eine Frage einzubringen. Auch bei dringlichenFragen habe zumindest ich das bisher immer getan.
Hierfür ist eine Vorbereitung notwendig, die die Abge-ordneten bei der Form, die Sie vorschlagen, nicht mehrleisten müssten. Diese mangelnden Recherchen und Vor-bereitungen würden zu einem relativ flachen Niveau indiesen Debatten führen.Ein weiterer Grund, den ich anführen möchte, ist, dassdie Möglichkeit der Entwicklung von Aktuellen Stundenaus der Fragestunde heraus bisher überhaupt nicht ausge-schöpft worden ist. Der Kollege Küster hat Ihnen die ent-sprechenden Zahlen genannt; ich möchte sie nicht wie-derholen. Es gab sehr wenige Aktuelle Stunden zum einenaus der Fragestunde und zum anderen aus den dringlichenAnfragen heraus.Das ging sogar so weit, Herr von Klaeden, dass Sie beieinem Thema, bei dem Ihre Fraktion sehr viele Fragen fürdie Fragestunde eingereicht hatte und bei dem Sie auch inder Fragestunde immer wieder insistiert hatten, die Regie-rung würde nicht ausreichend oder ausweichend antwor-ten und Ihnen würden die Antworten nicht gefallen, mitdieser Begründung sehr wohl die Möglichkeit gehabt hät-ten, eine Aktuelle Stunde anzuschließen. Ihre Geschäfts-führung hat aber bewusst auf diese Möglichkeit verzichtet,
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Eckart von Klaeden17667
weil Ihnen gar nicht an einer Aktuellen Stunde zu diesemThema gelegen war.Von daher meine ich, dass die Geschäftsordnung aus-reichend Möglichkeiten vorsieht, solche Debatten zuführen. Ich plädiere dafür, dass wir unser Augenmerk beider Weiterentwicklung der parlamentarischen Arbeit da-rauf richten, die Debatten in der Qualität und nicht unbe-dingt in der Quantität zu verbessern.Danke.
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Jörg van Essen.
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich habe gerade aufmerksam zu-
gehört
und überlegt, ob es irgendein Argument gegen den Vor-
schlag der CDU/CSU-Fraktion gegeben hat, das wirklich
überzeugt hat. Wenn man das Ganze wertet, muss man
feststellen: Dieses gibt es nicht.
Denn all die Gefahren, die aufgezeigt worden sind
– Missbrauch oder man könne sich nicht vorbereiten –,
sind doch Argumente, die nicht wirklich überzeugen.
Denn die Bundesregierung bestimmt Themen für die Re-
gierungsbefragung, die in der öffentlichen Diskussion ste-
hen. Deshalb gibt die Bundesregierung schließlich be-
stimmte Themen in die Kabinettsberatungen und legt dann
auch Wert darauf, darüber intensiver zu informieren. Daher
erwarte ich von jedem Regierungsmitglied, dass es in der
Lage ist, frei dazu zu reden, wie wir es als Abgeordnete nach
unserer Geschäftsordnung schließlich auch tun müssen.
Deshalb erwarte ich auch, dass die Abgeordneten den
Stoff beherrschen und dazu etwas sagen können. Ich
meine auch nicht, dass die Gefahr eines Missbrauchs
wirklich besteht.
Alle Fraktionen überlegen sich zu Beginn der Woche,
welches Thema sie gegebenenfalls zum Gegenstand einer
Aktuellen Stunde machen. Deshalb wird sehr sorgfältig
überlegt, aus einer Regierungsbefragung eine neue Aktu-
elle Stunde zu entwickeln, die nicht vorgeplant ist. Das
wird nur in Ausnahmefällen geschehen. Das heißt also,
dass für ein solches Vorgehen schon eine vernünftige Be-
gründung dafür vorliegen muss.
Deshalb ist das, was ich als Vertreter der F.D.P.-Frak-
tion im Geschäftsordnungsausschuss vorgeschlagen habe,
nach meiner Auffassung vernünftig: Es hat sich im Bun-
destag immer wieder bewährt, dass wir neue Formen ein-
fach einmal ausprobiert haben.
Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir das machen,
was wir bei vielen anderen Änderungen auch gemacht ha-
ben, nämlich eine Erprobungsphase, einen Zeitraum von
einem halben oder ganzen Jahr, festzulegen und anschlie-
ßend zu entscheiden; ob das gut war bzw. sich nicht be-
währt hat.
Sie alle wissen, dass es Dinge wie die Kurzintervention
gegeben hat, bei denen wir nachher alle der Auffassung
waren, dass sie gut waren, und sie deshalb fortgesetzt ha-
ben.
Es ist interessant, dass es gerade Kollegen von der
SPD-Fraktion waren, zum Beispiel der Kollege Conradi,
die immer wieder für diese Möglichkeit gefochten und
beispielsweise auf die guten Erfahrungen damit in Groß-
britannien hingewiesen haben.
Ich bin dafür, dass wir es auch probieren. Deshalb wer-
den wir gegen die Beschlussempfehlung stimmen, die das
Ganze ablehnt. Wir sind für eine Erprobung neuer Formen
im Deutschen Bundestag.
Es kann uns nur dienen, wenn wir aktuelle Themen auf-
greifen und die Bevölkerung das Gefühl hat, wir diskutie-
ren aktuelle und nicht nur solche Themen, die mögli-
cherweise schon ein paar Mal durchgekaut worden sind.
Es tut uns und vor allen Dingen auch unserem Ansehen
gut, dass wir etwas ausprobieren.
Vielen Dank.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnungzu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Änderungder Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages aufDrucksache 14/2007. Der Ausschuss empfiehlt, den An-trag auf Drucksache 14/542 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenvon SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmenvon CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten HeideMattischeck, Reinhard Weis , Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
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Steffi Lemke17668
Winfried Hermann, Marieluise Beck ,Volker Beck , weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90 /DIE GRÜNENFahr Rad – für ein fahrradfreundlichesDeutschland– Drucksache 14/6441 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
InnenausschussSportausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussFür die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-legin Heide Mattischeck für die Fraktion der SPD das Wort.
Herr Präsident! LiebeKollegen! Liebe Kolleginnen! Meine Herren und Damen!Ich möchte ganz kurz auf den Aufruf des Tagesordnungs-punktes durch den Herrn Präsidenten eingehen. Der Titeldes Antrags heißt bewusst nicht „Fahrrad – für ein fahr-radfreundliches Deutschland“, sondern „Fahr Rad – fürein fahrradfreundliches Deutschland“. Das hat einenGrund. Das soll keine Kritik an Ihnen sein, Herr Präsi-dent. Ich wollte nur darauf hinweisen.Die Entwicklung des Fahrrades von dem hölzernenLaufrad des Karl Friedrich Drais Freiherr von Sauerbronnaus dem Jahre 1817 über den normalen Drahtesel hin zueinem Hightechverkehrsmittel ist gerade in den letztenJahren und Jahrzehnten rasant vorangegangen. Wir habenleider nicht entdecken können, dass dem Fahrrad als Ver-kehrsmittel und gerade als Alltagsverkehrsmittel dieAnerkennung zuteil wird, die es eigentlich verdient. Seitder Durchsetzung des Autos als Massenverkehrsmittelstand das Fahrrad immer weiter in dessen Schatten.Während der Autoverkehr unsere Städte immer mehrverstopfte und die Atmosphäre durch die Abgase schä-digte, hat es die Politik auf allen Ebenen, jedenfalls zumgrößten Teil, viel zu lange vernachlässigt, das Fahrrad alsAlternative zum Auto entsprechend zu fördern. Dabeistellt das Fahrrad, wie wir alle aus Statistiken und zumTeil aus eigener Erfahrung wissen, in vielerlei Hinsichtauf kurzen Strecken ein ideales Verkehrsmittel dar. Esschützt die Umwelt und das Klima, weil es keine Abgaseund kein CO2 freisetzt. Außerdem stinkt es nicht, wie diesdie Autos immer noch tun.
Es schützt die Menschen, weil es keinen Lärm macht. Esmacht unsere Städte lebenswerter, weil es unnötigenFlächenverbrauch durch parkende Autos verhindert.
– Herr Goldmann, das können Sie alles nachher erzählen.Ich höre Ihre Stimme ausgesprochen gern, aber vielleichtkann ich Sie besser verstehen, wenn Sie nachher von hiervorn sprechen.Es nützt – wir waren vorhin gerade bei dem wichtigenThema Gesundheit – der Gesundheit, weil es ein Mittelgegen den Bewegungsmangel ist. Ich denke mir, das istein Problem, das gerade uns als Abgeordnete besondersbetrifft, die wir den ganzen Tag sitzen. Das Fahrrad ent-lastet damit auch die Krankenkassen. Es nützt im Übrigen– das wird viel zu selten beachtet – auch der Wirtschaft;denn Fahrradherstellung und -handel sind wachsendeBranchen mit überwiegend mittelständischen Strukturen.Nicht zuletzt profitiert vom Radfahren auch noch der Tou-rismus in Deutschland, weil ganz Deutschland ein attrak-tives Gebiet für den Radtourismus ist.
– Genau, da sind wir uns ja alle einig. Das finde ich ganzprima.Alle dieses Vorteile sind in der Vergangenheit durch diePolitik bedauerlicherweise sträflich vernachlässigt wor-den, gerade weil sich die Aufmerksamkeit so stark auf dasAuto konzentrierte.Seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998 hat es hiereinen deutlichen Wandel hin zu einer Verkehrspolitik ge-geben, das Potenzial des Fahrrades stärker auszuschöp-fen. Ein erster Schritt auf diesem Weg war der noch in deralten Legislaturperiode beschlossene und dann nach demAmtsantritt der rot-grünen Bundesregierung bereits imMärz 1999 veröffentlichte 1. Fahrradbericht einer deut-schen Regierung. Im Mai 2000 wurde dieser Bericht imKabinett verabschiedet und hier im Plenum beraten.Ebenfalls eine Premiere in diesem Zusammenhang wardie am 24. Januar dieses Jahres durchgeführte Anhörungim Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Ge-rade auf dieser Anhörung haben wir von den Fachleutenund von den Verbänden wichtige Informationen erhalten.An dieser Stelle möchte ich mich besonders herzlich beimADFC bedanken, der sich sehr stark daran beteiligt undsehr viele Anregungen gegeben hat, die wir künftig um-setzen werden.
Im Zentrum der Forderungen praktisch aller anwesen-den Expertinnen und Experten stand die Verabschiedungeines nationalen Radverkehrsplanes. Auch unser Bun-desminister hat sich inzwischen sehr stark hinter diese Sa-che gestellt. Ich denke, dass wir zusammen eine ganzeMenge in diesem Bereich erreichen werden.Wir haben das Anliegen der Experten aufgegriffen undin unserem Antrag konkretisiert. Er stellt damit einen ers-ten – und nicht den letzten – Höhepunkt – das kann ich Ih-nen versprechen – in den Bemühungen der Koalition zurStärkung des Verkehrsmittels Fahrrad dar. Ich will in die-sem Zusammenhang erwähnen, dass auch die CDU/CSU
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17669
einen Antrag vorgelegt hat; allerdings leider schon vor derAnhörung, Herr Börnsen. Aber nach nochmaligemDurchlesen habe ich festgestellt, dass es sehr viele Ge-meinsamkeiten und Berührungspunkte gibt, sodass wirhier sicherlich gemeinsam weiterarbeiten können.Im Fahrradverkehr stecken sehr große Wachstumspo-tenziale. Diese sind unübersehbar. Wir müssen gar nichtweit über unsere Grenzen blicken, um zu sehen, wasschon heute in unseren Nachbarländern möglich ist: ZumBeispiel in den Niederlanden deckt das Fahrrad mehr alsein Viertel des gesamten Verkehrsaufkommens ab. InDeutschland sind es gerade einmal 12 Prozent. Währenddie Fahrradhochburgen Münster und Borken mit einemFahrradanteil von etwa 40 Prozent mit den fahrradfreund-lichen niederländischen Städten beinahe mithalten kön-nen, liegt der Fahrradanteil in vielen deutschen Großstäd-ten zwischen 5 und 10 Prozent. Ich meine, das ist in einemsehr starken Maße ausbaufähig.
Selbst eine ausgewiesene Fahrradstadt wie die StadtErlangen, aus der ich komme, hat mit einem Fahrradanteilvon 28 Prozent – für die man allerdings auch etwas tunmusste – noch deutliche Entwicklungsspielräume, vor al-lem wenn man bedenkt, dass dort im Berufsverkehr nochmehr als die Hälfte aller Fahrten unter vier Kilometern mitdem PKW zurückgelegt wird.
– Ich kann Ihren Zuruf leider nicht beantworten. MeldenSie sich zu einer Zwischenfrage! Dann antworte ich Ihnengerne.
Wir haben also ein ideales Verkehrsmittel, das nichtnur emissionsfrei, sondern auf kurzen Strecken im Stadt-verkehr auch noch wesentlich schneller ist als die Kon-kurrenz, das Auto. Das zeigt die Erfahrung. Es bestehenin Bezug auf dieses Verkehrsmittel unübersehbare Poten-ziale und auch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein derBürgerinnen und Bürger, das wir nutzen und an dem wiransetzen sollten.
Jetzt muss die Politik in diesem Bereich einen Durch-bruch schaffen und alle gesetzlichen, technischen, stadt-planerischen und nicht zuletzt auch psychologischen Hin-dernisse aus dem Weg räumen, die uns von einer besserenNutzung dieses Verkehrsmittels trennen. Genau das sollunser Antrag und vor allem der darin geforderte „Master-plan Fahr Rad“ erreichen.Einen Vorzug des Fahrradfahrens habe ich in meinerAufzählung vorhin noch nicht erwähnt; denn er ist ei-gentlich gar kein gesellschaftlicher, sondern ein indivi-dueller. Wer es noch nicht entdeckt haben sollte: Fahrradfahren macht ausgesprochen Spaß.
Es ist auch viel kommunikativer als jede andere Art derFortbewegung.Aber ich muss das einschränken: Fahrrad fahren machtnur dann Spaß, wenn auf allen politischen Ebenen Maß-nahmen ergriffen werden, die das Fahrradfahren sicher,bequem und unkompliziert machen, was man beispiels-weise von der Umgebung des Reichstages nun wahrlichnicht behaupten kann. Trotzdem sehe ich hier immer wie-der eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen mit demFahrrad. Es ist nicht ganz ohne Abenteuer, was sich hiermanchmal abspielt.Um die Attraktivität des Fahrradfahrens in Deutsch-land zu steigern, braucht es einen Qualitätssprung – sowill ich das nennen – im Hinblick auf die Infrastruktur.Eine funktionstüchtige Fahrradinfrastruktur muss dieSicherheit und die Mobilität der Fahrradfahrerinnen undFahrradfahrer gewährleisten und unnötige Umwege ver-meiden. Vor allem im Vergleich mit anderen Verkehrs-mitteln erfordert die Infrastruktur für das Fahrrad keinegroßen Investitionen; auch das sollte man betonen. Mankann hier mit sehr wenig Geld eine Menge tun. In vielenFällen ist es mit einigen Linien auf der Straße und einerbesseren Ausschilderung getan. Eine generelle Trennungdes Fahrradverkehrs vom motorisierten Verkehr ist häufignicht notwendig. Das gilt zum Beispiel für Tempo-30-Zo-nen oder auf wenig befahrenen Straßen. Überhaupt ist einMischverkehr sinnvoll.Wer gestern die „Berliner Zeitung“ gelesen hat, konntedarin einen Artikel über die Sicherheit des Fahrradver-kehrs finden. Durch vielerlei Untersuchungen ist statis-tisch erwiesen, dass gerade Radwege unter Umständeneine Sicherheit vortäuschen, die nicht besteht. Geradebeim Abbiegen von den Radwegen auf die Straße passie-ren eine Menge Unfälle, die vermeidbar sind, wenn derRadfahrer auf der Straße fährt und er dabei mit den Auto-fahrern kommunizieren kann.Ein wesentlicher Punkt ist für uns eine Änderung desGemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Es geht hiernicht um mehr Geld, sondern darum, die vorhandenenMittel anders zu verteilen. Das Gesetz müsste in Bezugauf die Bedürfnisse der Fahrradfahrer einfacher handhab-bar werden. Heute werden sinnvolle Verkehrsinfrastruk-turprojekte häufig durch Bagatellgrenzen und die Ver-knüpfung von Radwegebau und Straßenbau blockiert.Grundlage jeder Förderung durch das Gemeindever-kehrsfinanzierungsgesetz müssen nach unseren Vorstel-lungen künftig aktuelle Radverkehrsbedarfspläne sein.Die Förderung darf auch nicht bei den Radwegen Haltmachen, denn zur Radinfrastruktur gehören auch Fahr-radstationen, sichere Fahrradabstellplätze und Ähnlichesmehr. Diese Aufzählung könnte ich beliebig fortsetzen.Gemeinsam – der Bund kann und will bei diesemThema nicht alleine handeln – mit den Ländern und Kom-munen wollen wir darüber hinaus die Möglichkeiten einesSonderprogramms im Rahmen des „Masterplans FahrRad“ prüfen. Auch dieses sollte über das Gemeindever-kehrsfinanzierungsgesetz finanziert werden.Neben diesen wichtigen Maßnahmen, die im Wesentli-chen die Kommunen umsetzen müssen, gibt es auch über-
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regionale Aufgaben, die sich dem Bund stellen. Als tou-ristisches Fernverkehrsmittel hat das Fahrrad eine sehrgroße Bedeutung gewonnen; diese Tatsache bestätigt unsimmer wieder der Tourismusausschuss. In diesem Punktist der Bund gefragt: Er muss für ein nationales Radrou-tennetz sorgen, das an entsprechende Vorarbeiten desADFC für ein Radfernwegenetz Deutschland anknüpft.
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidt?
Ja.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Kollegin Mattischeck, würden Sie mir
darin zustimmen, dass es nicht schaden könnte, wenn vor
dem Deutschen Bundestag ein paar Fahrradständer mehr
stehen würden?
Herr Kollege Schmidt, ich
stimme Ihnen voll und ganz zu. Diese Sache ist eines von
den schlechten Dingen, die ich vorhin nannte. Ich möchte
daran erinnern – ich setze große Hoffnungen auf das, was
jetzt in Berlin passieren soll –: Wir haben uns vor fünf Jah-
ren gemeinsam für ein fahrradfreundliches Regierungs-
viertel eingesetzt und sehr viele Vorschläge gemacht, wie
man den so genannten Binnenverkehr im Regierungsvier-
tel fahrradfreundlicher gestalten kann. Leider sind wir da-
mals weder beim Bund noch bei der Landesregierung auf
offene Ohren gestoßen.
Ich gehe davon aus, dass wir die Situation in den nächs-
ten Monaten – ich habe vorhin schon entsprechende Ge-
spräche geführt – stark verbessern können.
Es geht bei dem Radfernwegenetz Deutschland um
die Verknüpfung bestehender regionaler und touristischer
Radrouten. Wenn man im Urlaub mit dem Fahrrad unter-
wegs ist, erlebt man es oft, dass es in einem Landkreis
wunderbare Fahrradwege gibt, aber keine entsprechenden
Verbindungen mit dem Netz anderer Landkreise vorhan-
den sind. Oft fehlen auch nur entsprechende Hinweise.
Hier ist großer Handlungsbedarf vorhanden. Unser Ziel
ist der Ausbau von mindestens zwölf nationalen Fahr-
radrouten mit etwa 8 000 Kilometern Streckenlänge bis
zum Jahre 2010.
Weitere Schritte sind bei der Erhöhung der Sicherheit
des Radverkehrs zu gehen. Hier gibt es noch eine ganze
Menge zu tun wie zum Beispiel die bestehende Straßen-
verkehrsordnung anzupassen. Auch das ist Bestandteil
unseres Antrags.
Eines will ich noch erwähnen: Was ich im Moment be-
sonders ärgerlich finde, ist das Verhalten der Bahn, was
den Transport von Fahrrädern im Fernverkehr angeht. Im
Nahverkehr kommt man einigermaßen zurecht, aber was
die Fernverkehrsstrecken betrifft, ist die Situation ganz
miserabel.
Auch hierzu haben wir uns in unserem Antrag geäußert.
Wir wissen, dass wir diesbezüglich auf Gespräche und
anderes angewiesen sind. So könnte man beispielsweise
über eine Ausdehnung der Beförderungspflicht von Per-
sonen und Reisegepäck auf Fahrräder reden. Ich hoffe,
dass die Bahn durch diesen Hinweis zu einer vernünftigen
Lösung zu bewegen ist; denn auch sie müsste langsam er-
kennen, dass Personen, die ihr Fahrrad in den Urlaub mit-
nehmen – auch dies kann man statistisch belegen –, häu-
figer Bahn fahren als andere und auch die potenteren
Geldausgeber sind. Das haben inzwischen auch Hotels
und Gasthäuser zur Kenntnis genommen, die früher nicht
gern Radler aufnahmen, inzwischen jedoch wissen, dass
diese Menschen auch ganz gern Geld ausgeben.
Wir haben auch etwas zur Imagepflege gesagt und auf-
gezeigt, wo wir noch eine ganze Menge tun müssen. In Zu-
sammenarbeit von Bund, Land und Kommunen sowie al-
len beteiligten Verbänden werden wir in den nächsten
Jahren einen ganz großen Schritt im Sinne der Gesundheit,
der Umwelt und auch des Spaßhabens vorankommen.
Herzlichen Dank.
Nun kommtein Radfahrer von der Küste. Ich gebe dem KollegenWolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.Wolfgang Börnsen (CDU/CSU) (von derCDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meineverehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe etwasmitgebracht, was der jetzige Verkehrsminister, KurtBodewig, und der frühere Verkehrsminister, MatthiasWissmann, in der Öffentlichkeit zu tragen propagiert ha-ben, was ich anerkennenswert finde, nämlich einen Fahr-radhelm.
Dies sollte vor allen Dingen den Radrennfahrern einmalunter die Haut gehen – sie sind für die Kids oft Vorbil-der –, die bei den Rennen nicht den Helm benutzen. Wiralle sollten dazu beitragen, bei allen Radfahrern stärkerfür die Helmpflicht zu werben.
Meine charmante Kollegin Heide Mattischeck hat auf-gezeigt, wie viele Gemeinsamkeiten es im Radverkehr
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gibt. Das ist richtig; nur, diese Politik, auf die sie mit derFrage des Radverkehrs abgestellt hat, ist nicht 1998 er-funden worden. Den Drahtesel gab es vorher schon.
Heute geht es ums Rad, aber auch – nun wird es erns-ter – um die Produktpiraterie. Vor genau zwölf Monatenhaben wir von der Union einen Antrag mit dem Titel „Fürein fahrradfreundliches Deutschland“ gestellt. DessenEckpunkte waren: Realisierung eines nationalen Radver-kehrswegeplanes, Schaffung eines Fahrradforums inDeutschland, Verbesserung der Steuergesetzgebung zurBeförderung des Umsteigens auf das Fahrrad, Anhebungder Mittel nach dem Bundesfernstraßengesetz auf denStand von 1999, um mehr Radwege bauen zu können, An-hebung der GVFG-Mittel auf die Höhe der 90er-Jahre, ummehr Ländern und Gemeinden zu mehr Radwegen zu ver-helfen, Verdoppelung der Bundesradtouren, Erweiterungder Fahrradmitnahme bei der Bahn auch bei Schnellzü-gen, Optimierung der Verkehrssicherheitsmaßnahmen fürRadfahrer, Vernetzung von Radwegen und ein besseresDienstleistungsangebot der DB auf den Bahnhöfen mit ei-nem gesonderten Service fürs Rad.
Herr Kol-
lege Börnsen, geben Sie Ihrer niedersächsischen Kollegin
die Chance zu einer Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege Börnsen, wäre es
nicht möglich, da auch Abgeordnete leicht stürzen kön-
nen, dass Sie Ihre Rede heute mit dem Helm auf dem Kopf
halten?
Ver-ehrte Kollegin, ich bedanke mich für die Frage. Aber wirhaben hier kein Kabarett. Bei Kopfverletzungen hört derSpaß auf. Der Helm ist nicht dazu da, etwas zu karikieren.Mir wäre lieber, wenn Sie als Vertreterin der früheren Op-position, die die Helmpflicht gefordert hat, jetzt auch dazustehen würden. Von der Helmpflicht findet sich in IhremKonzept überhaupt nichts mehr.
Ich habe Ihnen eben das Zehn-Punkte-Konzept derUnion vorgetragen.
Dadurch sollte die Attraktivität des Fahrradverkehrs ge-fördert, die Renaissance des Rades verstärkt, zu einemUmstieg auf das Fahrrad beigetragen, die Umwelt ge-schont, die Gesundheit gefördert und der Nahverkehr ent-lastet werden. Aber mit der Mehrheit von Sozialdemokra-ten und Grünen ist dieser wirklich fundierte Antrag vorzwölf Monaten abgelehnt worden.
Man hat die Diskussion einer Thematik verhindert, die zuforcieren wichtig ist. Die Mehrheit beider Fraktionen hatdazu beigetragen, dass ein Jahr für die Arbeit, zu mehrFahrradförderung zu kommen, verstrichen ist.
Man war Bremser, aber nicht Forcierer.Zwölf Monate später legen beide Fraktionen selbst ei-nen Antrag vor; er war zwar noch nicht in einem Aus-schuss, aber dafür in der Presse. Die Parlamentsprozedurinteressiert wenig, allein die öffentliche Wirkung. DerTitel des Antrages ist besonders bemerkenswert: „FahrRad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“. DieÜberschrift unseres Antrages vor zwölf Monaten lautete:„Für ein fahrradfreundliches Deutschland“.
Aber nicht nur die Schlagzeile wurde kopiert, auch die In-halte sind fast wortwörtlich übernommen. Das nennt manProduktpiraterie.
Doch es ist hier wie in der Schule: Abgeschrieben wirdstets bei Besseren. Wenn es der Sache dient, okay. Wir las-sen mit uns reden.Aber ich muss mich korrigieren: Nicht alles ist abge-schrieben. Von unseren zehn Punkten fehlen die, bei de-nen es konkret wird, die Geld kosten. Da beugt man sichdem Diktat des Finanzministers.
Für Radfahrer wird seit der Regierungsübernahme durchSPD und Grüne weniger Geld ausgegeben als in den 90er-Jahren. Es werden auch weniger Radwege gebaut. Da-mals wurden 350 Kilometer Fahrradwege an Bundes-straßen gebaut, heute nur noch 300 Kilometer. Damalswurden die GVFG-Mittel für den Radverkehr in Gemein-den und Ländern konstant bei 3,28 Milliarden DM stabi-lisiert. Dieses Niveau ist seit dem Regierungswechselnicht mehr erreicht worden.
Man fordert Vernetzung, aber kürzt die Mittel. Das nenneich Bürgertäuschung.Auch aus den UMTS-Milliarden ist kein Sonderfondsfür den Radwegebau geschaffen worden, obwohl die Rad-fahrverbände dafür plädierten. Auch hier Fehlanzeige beimehr Radförderung.Das gilt auch für die Entfernungspauschale.Auf un-serer von Heide Mattischeck vorgestellten öffentlichenAnhörung zum Fahrradverkehr rechnete ein Repräsentantder Fahrradklubs unwidersprochen vor, dass man täglich
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43 Kilometer Rad fahren muss, um in den Genuss derSegnungen der Entfernungspauschale zu kommen.
Herr Kol-
lege Börnsen, die Kollegin Iwersen möchte eine Frage
stellen.
Ichmöchte jetzt erst einmal im Zusammenhang vortragen.Auch die Forderung des ADFC, statt 300 Kilometerjährlich 600 Kilometer Radwege zu bauen und 3 Prozentder Mittel des Verkehrshaushalts für den Radverkehr vor-zusehen, findet im Haushalt keinen Niederschlag. Nichtein Boom für mehr Fahrrad wird angestoßen, sondern eswird ein Bluff produziert.
Als Radfahrer würde ich anmerken: Plattfuß prägt derzeitdie Fahrradpolitik der Bundesregierung. Wir erwarten,dass man mit den Bürgern ehrlich umgeht.Neue Radstreifen obligatorisch auf den Fahrbahnen zuschaffen stellt sich wie eine Strafaktion gegen Autofahrerdar. Eine Fahrbahnverengung presst den Verkehr durchein Nadelöhr und dient weder der Sicherheit der Rad-fahrer noch dem Verkehrsfluss. Mehr Stress für alle ent-steht.
Wir müssen das Verkehrsrisiko für Radfahrer weiter sen-ken, so wie es in den 90er-Jahren praktiziert wurde. DieZahl der Unfälle ist von 74 000 am Anfang des Jahrzehntsauf 68 000 gesunken – trotz einer Zunahme des Radver-kehrs. Das war eine richtige und vernünftige Radver-kehrspolitik.Radfahrer haben keine Knautschzone. Ihre Sicherheitmuss unser oberstes Gebot sein. Dennoch haben Sozial-demokraten und Grüne die Mittel für die Verkehrssicher-heit gegenüber 1999 um 4 Millionen DM gekürzt. Dasnenne ich unverantwortlich.
Zu wenig berücksichtigt bleibt auch der Tatbestand,dass das Unfallrisiko von Radfahrern mehr als doppelt sohoch ist wie das von PKW-Fahrern und Fußgängern. Jemehr wir die Sicherheit verbessern, umso größer ist dieBereitschaft, auf das Rad umzusteigen. Deshalb benöti-gen wir nicht weniger, sondern mehr Mittel für die Ver-kehrssicherheit.
Doch auch die passive Sicherheit von Radfahrernmuss gewährleistet sein. Bei der Konstruktion von PKW-und LKW-Karosserien ist dem Schutz der schwächerenVerkehrsteilnehmer, insbesondere dem von Kindern,mehr Gewicht zu geben. Das gilt vor allem für die ge-fürchteten „Kuhfänger“. Doch die Bundesregierung lehntes derzeit ab zu handeln: National soll nichts getan wer-den; man will auf die EU warten. Das nenne ich unver-antwortlich.12 Prozent beträgt der Anteil des Radverkehrs am Ver-kehrsaufkommen bei uns in Deutschland. Das ist einegute Zahl; gemessen aber an den Niederlanden, wo derAnteil bei 27 Prozent liegt, ist es immer noch zu wenig.Seit der Zeit der unionsgeführten Bundesregierung giltfür die DBAG die Regelmitnahme für Fahrräder. Das ha-ben wir erreicht.
Gut 2,5 Millionen Fahrgäste haben im vergangenen Jahrdas Angebot angenommen. Es sollte aber auch aufSchnellzüge ausgedehnt werden.Völlig unberücksichtigt bleibt bei der Regierung derSachverhalt, dass es circa 420 000 Fahrraddiebstählepro Jahr in unserem Land gibt.
Die Aufklärungsquote beträgt 9 Prozent, der Versiche-rungsschaden, den wir alle zu tragen haben, etwa 130Mil-lionen DM, legt man einen Wert von nur 300 DM proFahrrad zugrunde.
Wenn Jahr für Jahr fast eine halbe Million Menschen bit-tere Erfahrungen mit dem Fahrradklau macht, fördert dasnicht die Attraktivität dieses Verkehrsmittels. Wir brau-chen eine verbesserte Diebstahlsicherheit fürs Fahrrad.
Aufwärts geht es nicht nur mit den Fahrraddiebstählen,sondern auch, was erfreulicher ist, mit dem Fahrradtou-rismus. Ernst Hinsken und andere engagieren sich starkauf diesem Gebiet. Schleswig-Holstein, mein Heimat-land, hat beim Fahrradtourismus einen Marktanteil von11 Prozent. Es führt damit in Europa noch vor den Nie-derlanden mit 10 Prozent und Spanien mit 7,5 Prozent. Estut uns allen gut und es ist prima, dass so etwas passiert.Wenn mehr als 2 Millionen Deutsche im vergangenenJahr Radurlaub gemacht haben, ist das unterstützenswertund förderungswürdig; denn das hat zu einem Umsatz von8 Milliarden DM und zur Schaffung vieler neuer Arbeits-plätze geführt.Arbeitsplätze werden auch in der Industrie geschaf-fen; das wird immer wieder ignoriert. Die Radproduktionin Deutschland stieg von 2,82 Millionen im Jahr 1997 auf3,4 Millionen im Jahr 2000 an. 30 000 Arbeitsplätze gibtes allein in der Fahrradindustrie.Die Bundesregierung trägt dieser Entwicklung noch zuwenig Rechnung. Selbst nach der jüngsten Steuerreformlohnt sich das Umsteigen auf das Rad nicht. TrotzAngleichung des Freibetrages muss ein Radfahrernach Berechnungen von Steuerexperten täglich mindes-tens 15,65 Kilometer zur Arbeit zurücklegen, um den
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Freibetrag überhaupt geltend machen zu können – eineEntfernung, die die Ausnahme, aber nicht die Regel ist.Das ist kein Anstoß zum Umstieg aufs Rad.Doch gerade mehr Radnutzung sollte unser gemeinsa-mes Ziel sein; da stimme ich meiner Vorrednerin zu. In derPraxis haben wir, die Union, eine Pro-Fahrrad-Politik anden Tag gelegt. Sie fing nicht erst 1998 an, sondern siekonnte sich schon die ganzen 90er-Jahre über sehen las-sen. Der erste – viel gelobte – Fahrradbericht der Bun-desregierung war kein sozialdemokratischer und keingrüner Bericht, sondern ist in der Zeit der Union und derF.D.P. entstanden. Dieses Erstgeburtsrecht werden wiruns auch nicht wegnehmen lassen.
Das gilt auch für den Ausbau von 15 000 Kilometern Rad-wegen an Bundesstraßen. Diese Leistung der früherenKoalition kann sich wirklich sehen lassen. Das gilt fernerfür eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung undauch für die Vernetzung von Schiene und Rad.Alle Fraktionen haben in den 90er-Jahren mächtigDruck für mehr Radpolitik gemacht. Wir, die Union, blei-ben dieser Ausrichtung treu. Wir erwarten, dass die Bun-desregierung das weiterführt, was in den 90er-Jahren ver-nünftig, reell und seriös begonnen wurde. Doch dazu sindmehr Mittel notwendig. Deshalb appellieren wir von die-ser Stelle aus noch einmal an die Bundesregierung, dieUMTS-Milliarden auch für einen Sonderfonds für dieFörderung des Radverkehrs zu verwenden. 60 MillionenRadfahrer in Deutschland wollen Taten und keine Trug-bilder.Danke schön.
Jetzt spricht
der Kollege Winfried Hermann für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr KollegeBörnsen, herzlichen Dank für Ihre Rede. Sie werdenjetzt von mir sicherlich keinen Schlagabtausch erwarten.Ich finde, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht,dass es in diesem Hause eigentlich keine Parteien gibt,sondern nur noch Radfahrer und Nichtradfahrer. Wirsind uns einig, dass Radfahren lange Zeit politisch, undzwar von allen Parteien, in seinen Möglichkeiten unter-schätzt wurde.
– Auch Sie haben das Radfahren unterschätzt. Sie habenIhren ambitionierten Antrag in der Opposition gestelltund ihn jetzt wieder hervorgeholt, weil Sie stolz daraufsind, die Ersten zu sein, die einen solchen Antrag einge-bracht haben. Aber wenn Sie sich die Anträge der Oppo-sitionsfraktionen aus der letzten Legislaturperiode an-schauen, dann werden Sie feststellen, dass diese schonviele Ihrer Ideen, die angeblich so originell sind, enthal-ten haben.
Das wird uns nicht weiter führen.Ich bin froh, dass heute alle Fraktionen sagen: DasFördern des Radfahrens ist wichtig. Es muss mehr getanwerden; bisher war es zu wenig. – Keine Frage, das ist gutso. Alle Fraktionen fordern ein ambitioniertes politischesProgramm für das Fahrrad, einen Masterplan „Fahr Rad“.Aus meiner Sicht sind bei einem solchen Masterplan fol-gende Eckpunkte von absoluter Bedeutung: Wenn wir dasRadfahren nach vorne bringen wollen, dann dürfen wirnicht nur vom Radfahren reden, sondern müssen die In-frastruktur entsprechend verbessern. Keine Frage, wirbrauchen mehr, bessere und vor allen Dingen breitereRadwege. Das ist wichtig, damit mehr Menschen Rad fah-ren können.
Die Kommunen, die Länder und auch der Bund müssenRadwege bauen. Alle müssen mehr tun.
Wir brauchen keine teuren Radwege auf schmalenGehwegen, wodurch womöglich Konflikte mit denFußgängern geschaffen werden. An den Stellen, wo es aufdem Gehweg zu eng ist, um einen Radweg einzurichten,muss auf die Straße ausgewichen werden. Ich bin derMeinung, dass am einfachsten durch einen Pinselstrichauf der Straße eine Spur für die Radfahrer geschaffen wer-den kann, wie man es aus der Schweiz und anderen Län-dern kennt.
Das sind preiswerte und schnelle Lösungen, die dem Rad-fahren dienen.In Tempo-30-Zonen, in denen der Verkehr langsam ist,ist ein Mischverkehr ohne weiteres möglich. Dort müssengar keine Radwege eingerichtet werden. Aber das gilt nur– das sage ich ganz klar – für den langsamen Verkehr.Überall dort, wo der Verkehr schnell ist, sind Radwegenotwendig.Wir müssen natürlich auch durch geeignete Maßnah-men die Infrastruktur für das Fahrrad verbessern. MeinKollege aus Münster sagt mir immer: Schau dir unsereRadstationen am Bahnhof an, dann weißt du, warum beiuns so viele Menschen Rad fahren. Das ist wahr: Je bes-ser die Infrastruktur ist und je besser zum Beispiel dieMöglichkeiten sind, Fahrräder sicher abzustellen, umsomehr Menschen fahren Rad, weil sie keine Angst mehr
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Wolfgang Börnsen
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haben müssen, dass ihr Fahrrad gestohlen wird. Das soll-ten wir politisch unterstützen.
Wenn wir fordern, dass der Bund eine Initiative fürdas Fahrrad starten soll, dann ist uns völlig klar, dass derBund keine zentrale Radfahrpolitik machen kann. Aberder Bund soll initiieren, koordinieren und moderieren, da-mit die verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten, sodasszum Beispiel Lücken im Fahrradwegenetz geschlossenwerden können. Oft werden die schönsten Fahrradwegeauf einer Strecke von zehn Kilometern unterbrochen. Dasverhindert, dass mehr Menschen Fahrrad fahren. Es wärewichtig, die bestehenden Lücken im Fahrradwegenetz zuschließen.Außerdem müssen Verbindungen zu anderen Ver-kehrsmitteln hergestellt werden. Es ist einfach ärgerlich– meine Kollegin hat es schon angesprochen –, wenn dieBahn das Fahrrad im Fernverkehr im Prinzip „hinaus-schmeißt“. Das ist nicht akzeptabel.
Die Bahn und alle anderen Träger der öffentlichen Ver-kehrsmittel müssen dafür sorgen, dass Räder genauso wieKinderwagen problemlos mitgenommen werden könnenund dass man ungehindert einsteigen kann. Alle Fahrrad-zuwege der Bahn, die ich kenne, sind so, dass man nurschlecht mit dem Fahrrad einsteigen kann.Wir brauchen auch solche Einrichtungen wie „Call abike“ an den Bahnhöfen, damit man Bahn- und Radfahrenmiteinander kombinieren kann. Es gibt also schon guteIdeen und Konzepte.Sie haben zu Recht gesagt: Ohne Moos nix los; manmuss mehr tun! Wir sagen klipp und klar: Wir wollen inden nächsten Jahren den Radwegeausbau nicht nur for-dern, sondern auch fördern. Die Mittel dafür sollen in re-lativ kurzer Zeit prozentual verdoppelt werden, nämlichvon 1,2 auf 2,4 Prozent. Wir wollen, dass der Bau vonRadwegen zukünftig unabhängig vom Vorhandensein ei-ner Bundesstraße möglich ist. Endlose Diskussionen überden – am Ende oft nicht stattfindenden – Bau von Straßen
sind für die Schaffung von Radwegen häufig eineBlockade.
Auch wenn Sie immer dazwischenreden: Ich erkenne,dass Sie zumindest eine gewisse Sympathie für eine rad-freundliche Politik haben. Rot-Grün nimmt das Rad-fahren ernst. Ich hoffe auch, dass die rot-grüne Regierungin Berlin die Defizite im Regierungsviertel der letztenJahre endlich beseitigt.
Mit dem Rad in Berlin-Mitte unterwegs zu sein ist näm-lich wirklich grauenhaft.Unser Antrag heißt: „Fahr Rad – für ein fahrradfreund-liches Deutschland“. An alle Politiker ist die Auffor-derung gerichtet, regelmäßig Rad zu fahren. Das habenheute circa 50 Abgeordnete getan, um damit deutlich zumachen: Wir fahren Rad, auch hierhin, durch das Regie-rungsviertel auf dem Weg zum Bundestag. Ich hoffe, Sietun das Gleiche und fahren in Ihrem Wahlkreis bzw. an-derswo mit dem Rad. In diesem Punkt sind wir auch alsVorbilder gefragt. Es ist wichtig, dass Menschen, die An-zug und Krawatte tragen und von denen man daher nichtglaubt, dass sie Rad fahren, im Alltag das Fahrrad benut-zen, damit auf diese Art und Weise deutlich gemacht wird:Das Rad ist nicht nur ein Freizeit-, sondern auch ein All-tagstransportmittel.
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Hans-Michael
Goldmann, Emsland.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit das klar ist: Ich
rede von etwas, wovon ich richtig Ahnung habe. Ich bin
eigentlich an jedem Wochenende mit dem Fahrrad unter-
wegs. Spätestens sonnabends zeige ich mich damit dem
Volk.
– Jawohl. – Es geht mir zwar nicht ganz so wie dem Kol-
legen von der PDS; aber auch ich bin mit der Resonanz
durchaus zufrieden.
– Sie haben Recht: Die haben wir. Wenn Sie wüssten, wel-
che Wahlergebnisse ich vor Ort erzielt habe, dann würden
Sie blass werden.
Herr Kol-
lege Goldmann, Sie haben etwas mehr Redezeit als Pro-
zente.
Nein, das stimmtnicht, Herr Präsident; da sind Sie im Irrtum. Im Übrigenfinde ich das nicht besonders witzig; aber jeder kann hierseinen eigenen Beitrag leisten.Keine Frage: Fahrradfahren ist eine sehr intelligenteund gesunde Art des Sichfortbewegens. Hier ist auchschon davon gesprochen worden, dass Fahrradfahrenrichtig Spaß macht. Ich hatte schon deutlich gemacht,dass ich mir diesen Spaß am Wochenende gönne. Ich haltees für besonders bemerkenswert, dass sich unheimlichviele Menschen in unserer Region diesen Spaß aus touris-
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tischen Gründen verschaffen und dass wir damit einenenormen wirtschaftlichen Erfolg erzielen.Auf einer ernst zu nehmenden Fahrradkarte vonDeutschland kann man feststellen, dass unsere Region da-rauf mit vier Fernradwegen vertreten ist. Liebe Kollegen,diese Wege sind nicht von Ihnen gebaut worden; sie sindvielmehr den Anstrengungen der Kommunen vor Ort zuverdanken. Die alte Bundesregierung hat die Bereitstel-lung der Mittel auf den Weg gebracht.
– Frau Iwersen, Sie wissen es besser; deswegen gehe ichauf Ihre Zwischenbemerkung nicht ein.Sie wissen ganz genau, dass die alte Bundesregierungin diesem Bereich hervorragende Weichenstellungen vor-genommen hat.
Die Straßenverkehrsordnung ist 1997 novelliert worden.Die Radfahrstraßen sind geschaffen worden. Außerdemsind die Einbahnstraßenregelung und die Radwegebenut-zungspflicht eingeführt worden. Wir haben für den Rad-wegebau wirklich etwas getan, was man von Ihnenschlicht und ergreifend nicht sagen kann.
Herr Hermann, es stimmt nicht, dass der AllgemeineDeutsche Fahrrad-Club – auch ich schätze diesen Verbandsehr – Sie lobt. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Clubhat in einer Presseerklärung, die sicherlich auch Ihnenvorliegt, erklärt, dass Sie 1,5 Milliarden DM fordern.
– Herr Hermann, es ist eher witzig, wenn Sie erst im Deut-schen Bundestag einen entsprechenden Antrag stellen unddann im Hinblick auf alle politischen Ebenen 1,5 Milli-arden DM fordern, wobei Sie mit 50 Millionen DM odermit 20 Millionen DM – wie viel wollen Sie zur Verfügungstellen? – dabei sind. Diese Bemerkung kann doch nichtIhr Ernst sein.Außerdem fordern Sie, nehme ich an, zusätzlich dieUnterstützung der Kommunen. Sie versuchen, in dieKommunen hineinzuregieren, indem Sie den Kommunenvorschreiben, auf der Straße einen Strich zu ziehen,
um den Autoverkehr vom Fahrradverkehr zu trennen.Herr Hermann, ich als Verkehrsteilnehmer halte das, wasSie hier fordern, für aberwitzig, für brandgefährlich undfür überhaupt nicht erfolgreich.
Sie kennen doch die Ergebnisse: In Bonn sind diese Dingeauf den Weg gebracht worden und in Bonn sind auch un-ter diesem Gesichtspunkt die damals führenden Persön-lichkeiten und Parteien abgewählt worden.
Das Modell, das Sie vorschlagen, taugt nicht; das wis-sen Sie ganz genau. Deswegen sind die Forderungen, dieSie in Ihrem Antrag stellen, für mich – das habe ich schongesagt – ein geistiger bzw. ein fahrradpolitischer Plattfuß.Es steht nichts Inhaltliches drin. Die Hinweise auf die Fi-nanzausstattung sind mit heißer Nadel gestrickt. Das istklar; denn in Hamburg und Berlin stehen Wahlen an. Siefahren – es waren weniger als 50Abgeordnete; ich war da-bei – klingelnd durch die Gegend und erklären: Hurra,endlich haben wir eine fahrradpolitische Botschaft. Dasist nicht der Fall.Bei der Anhörung – das war eine gute Anhörung – ha-ben Sie von allen Beteiligten gehört, dass wir uns auf denWeg zum Masterplan „Fahr Rad“ machen müssen. Das istüberhaupt keine Frage; ich kenne diese Idee. Sie ist abge-leitet von dem Masterplan „Fiets“ aus den Niederlanden.Ich bin dafür. Aber dafür braucht man ein ganzheitlichesKonzept. Es reicht nicht aus, ein bisschen in der Gegendherumzupinseln. Dafür muss man Geld bereitstellen undman sollte nicht den Kommunen vor das Schienbein tre-ten; denn sie sind die entscheidenden Weichensteller fürdie besseren Verkehre, nämlich für Radfahrer in den In-nenstädten.Ich finde, wir sollten über diesen Antrag ausführlichreden und ihn in den Fachberatungen gründlich über-arbeiten. Dazu sind wir bereit. In der jetzigen Form leh-nen wir ihn entschieden ab.
Der nächste
Kollege ist besonders dafür prädestiniert, zu diesem
Thema zu sprechen. Ich gebe das Wort dem Kollegen
Gustav-Adolf Schur von der PDS-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen und Kollegen! Bei mir kommt auch ein freu-diges Gefühl auf, insbesondere in diesem Hause, wenn ichans Radfahren denke. Ich muss Ihnen sagen: Bei diesemThema ist Ernst wirklich angesagt. Stellen wir uns einmalvor, wir fahren wie Hunderttausende unserer Bürger tag-täglich bei jedem Wetter herum, rumpeln über Uneben-heiten, uns stehen Abfalltonnen im Weg und uns laufenLeute über den Weg. Beim Fahrradfahren werden Leis-tungen vollbracht, die gleichzeitig der Gesundheit unse-res Volkes zugute kommen. Wenn hier über Autos disku-tiert würde, wären alle mucksmäuschenstill. Es ist einUnterschied, in einem Auto zu sitzen und in Sicherheit zusein oder auf einem Fahrrad zu sitzen und aufgrund derAutos mit breiten Reifen Angst um sein Leben zu haben.Aus diesem Grunde sage ich: Wir müssen uns wirklichernste Sorgen machen und uns ernsthaft für den Fahrrad-sport einsetzen,
aber nicht im Sinne von „nach oben buckeln und nach un-ten treten“, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Hans-Michael Goldmann17676
Vor acht Monaten habe ich hier schon einmal für einfahrradfreundliches Deutschland plädiert. Ich bekräftigeheute, was ich das letzte Mal gesagt habe. Wir sind selbst-verständlich für alle Anträge, die den Benutzern vonFahrrädern Vorteile sichern. Ich konnte sogar schon in ei-nigen ICEs erleben, dass Fahrräder mitgeführt werdendürfen, aber – wie gesagt – nur in einigen. Viel Neues hatsich also nicht getan, abgesehen von zwei Fakten.Den ersten Fakt lieferte der Kölner MedizinerProfessor Uhlenbruck, der nachwies, dass Fahrradfahren– wie alle Langzeitausdauersportarten – das Risiko vonHerzinfarkten, Schlaganfällen, Diabetes und – so dieneuesten Erkenntnisse – sogar Krebs reduziert. Ich habeschon als Student an der legendären, aber leider abge-wickelten Deutschen Hochschule für Körperkultur inLeipzig vor Jahrzehnten von den Sportmedizinern in Vor-lesungen und Seminaren erfahren, wie wertvoll es für dieallgemeine Volksgesundheit ist, möglichst viele Men-schen für das Fahrradfahren zu begeistern, bei dem be-kanntlich auch die Überlastung des Stützapparates ver-mieden wird.
Der zweite Fakt, der mir diskutabel erscheint, sind dieFinanzierungsvorschläge der Antragsteller, deren Um-setzung zu wünschen ist. Ich befürchte aber, der Finanz-minister wird die 100 Millionen DM für den Radwegebauwohl nicht mehr erhöhen, höchstens reduzieren können.Ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier auf persönlicheErfahrungen verweise, die man prinzipiell ablehnen kann,die aber unglaublicherweise hin und wieder sehr nützlichsind. Damals hat man die Kommunen mobilisiert undnicht unbedingt darauf bestanden, dass die Fahrradwegenach der jetzt gültigen Norm installiert werden.
Ein Fahrrad ist robust und auf Sandwegen wird der Kreis-lauf noch intensiver belastet als auf Asphalt- oder Pflas-terwegen.Mein Vorschlag: Nicht unbedingt eine Norm, das einetun und das andere nicht lassen. Die berühmtesten Profi-rennfahrer der Welt stampfen jedes Jahr in Frankreichdurch die „Hölle des Nordens“ über hartes Kopfstein-pflaster. Das ist für sie eine Herausforderung. Ich plädierenicht für Kopfsteinpflasterstraßen für die Rad- und Renn-fahrer, aber für Einfallsreichtum. Lieber einmal ein kur-zes Stück Knüppelweg fahren, wo notwendig und Naturund Umwelt zuliebe, als absteigen und schieben müssen.
Übrigens: Als fahrradfreundliche Städte mit hohemRadverkehrsanteil werden im Antrag die Städte Münster,Borken, Erlangen, Freiburg und Troisdorf genannt.Dessau im Land Sachsen-Anhalt ist auch eine.Ich bedanke mich.
Ich schließe
die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/6441 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Export-
politik für konventionelle Rüstungsgüter im
Jahr 1999
– Drucksachen 14/4179, 14/5671 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Transparenz und parlamentarische Kontrolle
bei Rüstungsexporten
– Drucksachen 14/4349, 14/5810 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt
Ursprünglich war eine halbe Stunde für die Aussprache
vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Ditmar
Staffelt, SPD, Erich G. Fritz, CDU/CSU, Angelika Beer,
Bündnis 90/Die Grünen, Hildebrecht Braun, F.D.P. und
der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf aus
dem Ministerium für Wirtschaft und Technologie geben
ihre Reden zu Protokoll.1)
Ich gebe das Wort der Kollegin Heidi Lippmann für die
Fraktion der PDS.
Herr Präsident! Kollegenund Kolleginnen! Dass Sie in einer so wichtigen Debatteüber Rüstungsexporte jetzt alle Ihre Reden zu Protokollgeben, spricht für sich.
Der letzte Rüstungsexportbericht wurde für das Jahr1999 herausgegeben. Der Bericht für das Jahr 2000 liegtnoch nicht vor. Von daher können wir nicht darüberverhandeln. Der letzte Bericht wurde im September desvergangenen Jahres vorgelegt, ist also noch gar nicht soalt. Unser Antrag zur Transparenz und für eine demokra-tische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungenstammt aus dem Herbst vergangenen Jahres, liebe FrauKollegin.Wenn Sie aber überfordert sind, zum Thema Rüstungsex-porte überhaupt etwas zu sagen, ist das ein Armutszeugnis
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Gustav-Adolf Schur17677
1) Anlage 3und ein Beweis dafür, wie unwichtig der rot-grünen Bun-desregierung der Bereich der Rüstungsexporte ist.
In Karlsruhe hat der Bundesaußenminister in der ver-gangenen Woche das Bundesverfassungsgericht ganznachdrücklich gewarnt, der PDS-Klage wegen der fehlen-den parlamentarischen Mitbestimmung bei der neu-en NATO-Strategie stattzugeben. Die Begründung desAußenministers lautete, ein zu großes Mitspracherecht desParlaments in der Außen- und Sicherheitspolitik schränkedie Handlungsspielräume auf internationaler Ebene ein.
Herr Rupert Scholz ging als Vertreter der vier Bundes-tagsfraktionen sogar noch einen Schritt weiter und erklärte,das Parlament sei hemmungslos überfordert, wenn es insolche weit reichenden Entscheidungen einbezogen würde.
Ihre heutige Entscheidung, sich zu weigern, über Rüs-tungsexportentscheidungen und eine parlamentarischeBeteiligung daran überhaupt zu diskutieren
– ich danke Ihnen, Frau Kollegin, für Ihre verbalen Aus-fälle –, zeigt ganz deutlich, dass Sie sich scheinbar über-fordert fühlen, über dieses Thema zu sprechen.Wir haben lediglich beantragt, die Ausschüsse, die sichmit zentralen Fragen von Krieg und Frieden, Außen- undSicherheitspolitik, Menschenrechten und Entwicklungs-politik befassen, an der Debatte zu beteiligen. Wir fordernlediglich eine Mitberatung, eine Information in den Aus-schüssen, noch nicht einmal ein Entscheidungsrecht.
Damit sind Sie überfordert. Das zeigt, welchen Stellen-wert demokratische Beteiligung und parlamentarischeKontrolle für Sie haben.Wir halten an unserem Antrag fest und appellieren anSie, ihn zu unterstützen, unabhängig von Ihrer Fraktions-zugehörigkeit,
weil Sie dadurch die Chance haben, die Regierung zu kon-trollieren, Entscheidungen herbeizuführen bzw. Entschei-dungen zu überprüfen, die im Zusammenhang mit demKriegswaffenkontrollgesetz stehen, und insbesondere derFriedenspflicht, die im Grundgesetz verankert ist, denentsprechenden Nachdruck zu verleihen.
Kollegen und Kolleginnen, Rüstungsexporte findennach wie vor statt,
zum Beispiel in die Vereinigten Arabischen Emirate. Ato-mar bestückbare Boote werden nach Israel geliefert,Kleinwaffen in nahezu alle Länder und bürgerkriegs-gefährdeten Regionen dieser Welt, Munitionsfabriken indie Türkei und vieles mehr. Wenn Sie weiterhin daranfesthalten, dass Sie davon nichts wissen wollen, und le-diglich im Nachhinein durch den nächsten Rüstungsex-portbericht dokumentieren, dass das Volumen der Rüs-tungsexporte unter Rot-Grün wieder gestiegen ist – wiedas wahrscheinlich der Fall sein wird –, dann, muss ich sa-gen, entmachten und entmündigen Sie sich als Parlamen-tarier und kommen dem vom Wähler erteilten Auftragnicht mehr nach.
Ich schließedie Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie zum Rüstungsexport-bericht 1999 der Bundesregierung auf Drucksache14/5671. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Be-richts auf Drucksache 14/4179, eine Entschließunganzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen vonCDU/CSU und F.D.P. angenommen.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache14/5810 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zu Transpa-renz und parlamentarischer Kontrolle bei Rüstungsexpor-ten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache14/4349 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegendie Stimmen der PDS angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung der Insolvenzordnung und ande-rer Gesetze– Drucksache 14/5680 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz,Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungder Insolvenzordnung
– Drucksache 14/2496 –
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Heidi Lippmann17678
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 14/6468 –Berichterstattung:Abgeordnete Alfred HartenbachDr. Wolfgang Freiherr von StettenVolker Beck
Rainer FunkeDr. Evelyn KenzlerZum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-schließungsantrag der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlos-sen.Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Be-richterstatter, dem Kollegen Alfred Hartenbach, das Wort.
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der
Rechtsausschuss hat in seiner 90. Sitzung am 27. Juni
2001 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der In-
solvenzordnung beschlossen. Bestandteil dieser Ab-
stimmung war eine Synopse, die in der richtigen Fas-
sung vorlag. Bei Umsetzung dieser Synopse in
Beschlussempfehlung und Bericht ist ein Kopierfehler
aufgetreten. In Art. 1 ist zwischen den Ziffern 18 und 20
die Ziffer 19 entfallen. Ich bitte daher, bei den Beratun-
gen zu berücksichtigen, dass es auf der linken Seite,
Entwurf, heißt: „19. § 300 Abs. 3 Satz 2 wird aufgeho-
ben“. Auf der rechten Seite der Synopse bitte ich aufzu-
nehmen: „19. unverändert“.
Dies war eine offensichtliche Unrichtigkeit, ein Fehler.
Ich bitte, dies heute mit zu berücksichtigen. Ich darf Ih-
nen, dem Präsidium, den Wortlaut vorlegen.
Danke
schön, Herr Kollege Hartenbach.
Wir treten in die Aussprache ein. Ich gebe zunächst
dem Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Profes-
sor Dr. Eckhart Pick, das Wort.
D
Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierungden ersten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. ZumThema Überschuldung finden Sie dort die folgende zen-trale Aussage:In dem Maße, in dem private Haushalte durch Über-schuldung an wirtschaftlicher und personaler Hand-lungsfähigkeit einbüßen und Prozesse einer zuneh-menden Verarmung erleben, ergibt sich politischerHandlungsbedarf. Vor dem Hintergrund von knapp2,8 Millionen überschuldeten Haushalten liegt es da-her im gesellschaftlichen Interesse, Überschuldungs-prozessen präventiv entgegenzuwirken und eingetre-tene Überschuldung als Ausdruck einer Armutskriseaktiv überwinden zu helfen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die Bundes-regierung diesem Handlungsbedarf Rechnung getragen.Ich darf hinzufügen, dass Überschuldung sicher einerechtliche Seite hat, mit der wir uns heute beschäftigen.Überschuldung hat unterschiedliche Ursachen und auchzum Teil sehr einschneidende Auswirkungen im subjekti-ven, personellen Bereich, in der Familie und im Kontaktmit anderen Menschen. Insofern ist hier ein genereller An-satz notwendig. Die Möglichkeit, diesem Phänomenrechtlich entgegenzutreten, ist zwar eine wichtige, aber si-cher nicht die einzige oder wesentlichste. Vor diesem Hin-tergrund sollten wir auch diese Debatte führen.Aus justizpolitischer Sicht sind das Verbraucherinsol-venzverfahren und die Restschuldbefreiung wesentlicheAnsätze, um eingetretene Überschuldungen zu beseitigen.Insofern war es ein erster wichtiger Schritt, dass derGesetzgeber mit der im Jahre 1999 in Kraft getretenen In-solvenzordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen füreinen wirtschaftlichen Neuanfang geschaffen hat. Aller-dings ist in der Zwischenzeit eine ganz entscheidendeFrage aufgetreten: Was nützt das ausgefeilteste Verfahren,wenn es denjenigen, für die es eigentlich bestimmt ist,verschlossen bleibt, weil sie die Verfahrenskosten nichtaufbringen können? Erst mit der im vorliegenden Gesetz-entwurf geregelten Stundung der Insolvenzkosten werdendie Vorschriften über die Restschuldbefreiung abge-schlossen und das Verfahren praktikabel ausgestaltet.Ich bedaure es, dass gegen die im Gesetzentwurf kon-zipierte Stundungslösung polemisiert wird und man be-hauptet, sie sei rein fiskalisch begründet. Ich weiß, dasswir bei der Verabschiedung der Insolvenzordnung alle ge-meinsam von der Vorstellung ausgegangen sind, dass imInsolvenzverfahren selbstverständlich Prozesskostenhilfegewährt werden kann, da das Verfahren eigentlich für die-jenigen gedacht ist, die die wenigsten Mittel zur Verfü-gung haben. Wir haben uns geirrt. Die Rechtsprechunghat die einzelnen Verfahrensabschnitte sehr unterschied-lich beurteilt. Deswegen muss der Gesetzgeber korrigie-rend eingreifen.Ich wiederhole noch einmal das, was ich im Rechts-ausschuss gesagt habe: Die Insolvenzordnung erfüllt, soglaube ich, ansonsten durchaus die Erwartungen, die manan sie setzt bzw. gesetzt hat. Wir korrigieren hier in einemTeilbereich. Deswegen bitte ich, dass wir gerade dieseStundungslösung mit entsprechender Aufmerksamkeitbegleiten.Mit der Stundungslösungwird eine Maßnahme zulas-ten der Länder durchgeführt; das ist klar. Das wäre aberauch bei der Prozesskostenhilfe in ihrer reinen Form sogewesen. Der Unterschied besteht darin, dass der Staat– ich sage: theoretisch – die Chance hat, die gestundetenProzesskosten eines Tages zurückzubekommen. Natür-lich sind die Berechnungen, wie hoch der Rückfluss beiden Ländern ist, ausgesprochen unsicher; sie sind nur ge-griffen. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die
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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters17679
Länder auf einem Großteil dieser gestundeten Kosten sit-zen bleiben. Deswegen ist es uns natürlich darum gegan-gen, mit den Ländern zu einem Kompromiss zu kommen.Ich gebe zu, dass die gefundene Lösung möglicherweisenur die zweitbeste ist. Im Interesse der Länder ist sie aberzu vertreten.Mit dieser Insolvenzkostenhilfe steht nun ein effekti-ves Instrument zur Verfügung, das nahtlos in das Ver-braucherinsolvenzverfahren und die Restschuldbefreiungeingepasst wurde. Mit einer bloßen Verweisung auf die§§ 114 ff. ZPO wären mit Sicherheit zahlreiche Zweifels-fragen geblieben, wie sie zum Beispiel die Rechtspre-chung aufgeworfen hat: Für welche Verfahrensabschnittewird die Prozesskostenhilfe gewährt? Wann besteht hin-reichende Aussicht auf Erfolg? Welche Obliegenheitenhat der Schuldner zu erfüllen? Es gibt also eine ganzeReihe von Fragen, die nicht durch eine bloße Verweisungauf die Prozesskostenhilfevorschriften hätten beantwortetwerden können. Insofern wären wir wahrscheinlich jahre-lang in einer Phase der Rechtsunsicherheit geblieben.
Ich bin sicher! Zudem begrüße ich es, dass es im Ge-setzgebungsverfahren gelungen ist, auch bezüglich derWohlverhaltensperiode zu einer Verbesserung zu kom-men. Ich finde, wir haben durch die Verkürzung um einJahr dem entsprochen, was uns insbesondere auch dieSchuldnerberatungsstellen gesagt haben, nämlich dassdiese siebenjährige Wohlverhaltensperiode allzu lang ist.Wir haben auch eine durchaus fundierte Grundlage; denndurch das Gutachten, das das Ministerium eingeholt hat,ist klar, dass die ökonomischen Folgekosten doch erheb-lich geringer sind, als man das annehmen konnte. Deswe-gen halten wir eine Verkürzung der Wohlverhaltenspe-riode für möglich und im Sinne der Betroffenen. Wir tunein Übriges, indem wir die Dauer dieser Periode zuguns-ten der Schuldnerinnen und Schuldner dadurch verkür-zen, dass wir den Beginn der Laufzeit auf den Termin derVerfahrenseröffnung vorverlegen.Natürlich mussten wir auch die Lohnabtretungsfrageentsprechend regeln; denn es kann nicht sein, dass der un-gesicherte Gläubiger künftig noch weniger zu erwartenhätte als bei der jetzigen Regelung.In diesem Sinne, so meine ich, haben wir einen gutenSchritt nach vorne getan und im Interesse der überschul-deten Menschen eine Möglichkeit eröffnet, tatsächlichin das Verbraucherinsolvenzverfahren hineinzukommenund sich letztlich ihrer Schulden zu entledigen.Vielen Dank.
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Freiherr von
Stetten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Aktuell in diese Debatte über die Änderung der Insolvenz-
ordnung fiel in dieser Woche die Meldung, dass im ersten
Quartal dieses Jahres ein Negativrekord an Insolvenzen
aufgestellt wurde, der höchste Stand seit sieben Jahren.
Zehntausende von Arbeitsplätzen wurden dadurch ver-
nichtet.
Das war natürlich nicht der Grund für die Regierung,
einen Gesetzentwurf zur Änderung der Insolvenzordnung
vorzulegen, aber es zeigt – ich will das einmal so deutlich
sagen –, wie leichtsinnig diese Regierung mit Wirtschaft
und Preisstabilität umgeht und wie schnell die guten Rah-
menbedingungen, die die Regierung aus CDU/CSU und
F.D.P. hinterlassen hat, ins Negative gekehrt werden.
Wir werden im Jahr 2001 nicht nur die höchste Zahl an
Insolvenzfällen haben, sondern wir werden auch die
höchsten Inflationsraten seit Anfang der 90er-Jahre und
die niedrigsten Wachstumswerte der letzten Jahre haben.
Dies sollte nicht verschwiegen werden bei einem Gesetz,
durch das man wirtschaftlich gestrandete Menschen wie-
der in den normalen Wirtschaftskreislauf zurückholen
will.
Die Insolvenzordnung, die wir in diesem Hohen Hause
gemeinsam verabschiedet haben, hatte eine lange Vor-
laufzeit und dennoch ist die Restschuldbefreiung von
Privatpersonen nicht so richtig ins Laufen gekommen.
Insbesondere fiel die von den Ländern befürchtete Rest-
schuldbefreiungslawine aus. Die Schuldnerberatungsstel-
len haben uns wertvolle Anregungen gegeben. Die Kos-
ten, die durch das neue Gesetz auf die Länder zukamen,
sind wesentlich geringer als prognostiziert; wir hätten das
Gesetz viel früher in Kraft treten lassen können.
Ein Mangel des bisherigen Gesetzes war, dass mittel-
lose Schuldner nicht die Verfahrenskosten aufbringen
konnten und deshalb sehr häufig die Verfahrenseröff-
nung wegen fehlender Kostendeckung abgelehnt wurde.
Einige Oberlandesgerichte haben diesen Mangel pragma-
tisch behoben und die in der ZPO vorgesehene, wohl
durchdachte Prozesskostenhilfe gewährt. Andere haben
dies, wie Herr Staatssekretär Pick ausführte, nicht getan,
meiner Ansicht nach aus nicht überzeugenden Gründen,
nämlich mit Hinweis auf die Dogmatik.
Nun
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Es gelten die Bestimmun-gen der Prozesskostenhilfe.“ Gegebenenfalls auftretendeZweifelsfragen hätten wir einfach mit einem weiteren Ab-satz beseitigen können. Dies ist keine Polemik; ich finde,wir hätten dies wahrlich tun sollen.Dies war, wie ich in der Diskussion festgestellt habe,eigentlich Konsens, aber die Kostenlamentiererei derLänder hat diese vernünftige Lösung verhindert. Sokommt es zu einer verkrampften Lösung der Stundung derVerfahrenskosten, die allein wegen ihrer neuen Bestim-mungen durchführende Gerichte und Rechtspfleger unddamit Beauftragte unnötig belastet. Genauso wenig wiedie Kostenlawine wegen befürchteter zehntausendfacher
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Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick17680
Verbraucherinsolvenzen auf die Länder zukam, wäre eszu einer Kostenlawine gekommen, wenn wir die vernünf-tige Lösung der Prozesskostenhilfe übernommen hätten.Man kann über die Verbraucherinsolvenz streiten, da-rüber, ob sie sinnvoll ist oder nicht, aber der Gesetzgeberhat meines Erachtens zu Recht beschlossen, jedem, derüberschuldet ist – ob verschuldet oder unverschuldet; esgibt relativ wenige, die nicht zumindest ein Mitverschul-den trifft –, die Chance zu geben, erneut von vorn anzu-fangen. Wenn dieser Weg aufgezeigt wird, sollte er nichtzu steinig sein, damit er auch beschritten werden kann.Ausgenommen sind richtigerweise Verschuldungen we-gen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen, wo-bei die Hinweispflicht des Gerichts, die neu aufgenom-men wurde, sicherlich sehr nützlich sein kann.Wir hatten seinerzeit eine Wohlverhaltensperiodevon sieben Jahren für richtig gehalten, die sich aber durchdie Länge der Verfahrensdauer bis zur Eröffnung des Ver-fahrens auf acht, neun oder sogar zehn Jahre verlängerteund sich nunmehr durch die vorgesehene Stundungslö-sung sogar auf zehn bis zwölf Jahre hätte verlängern kön-nen. Dies ist eine finanzielle Bevormundung über eine zulange Zeit, als dass jemand motiviert würde, in ein solchesVerfahren einzutreten und es letztlich auch durchzuhalten.Über die Fälle des Durchhaltens haben wir noch keineZahlen, weil die Zeit dafür bisher zu kurz ist. Aber es wirdinteressant sein, zu erfahren, wie viele Schuldner dieselange Zeit letztlich durchhalten.Deswegen bin ich froh, dass unsere Anträge, sozusagenfast in letzter Minute, noch die Zustimmung der Koali-tionsparteien gefunden haben
und die Wohlverhaltensfrist ab Antragstellung und nichterst ab Verfahrenseröffnung gilt – das ist schon ganz wich-tig; das sind ein Jahr oder zwei Jahre – und zudem aufsechs Jahre verkürzt wird. So dauert in Zukunft einVerfahren ohne Stundungsmodell etwas über sechs Jahre,mit Stundung acht, maximal neun Jahre. Dadurch ist mei-nes Erachtens ein Anreiz geschaffen worden, in das per-sönlich unangenehme Verfahren einzutreten.Für einen Schuldner ist es ja nicht gerade angenehm,sich der Öffentlichkeit zu stellen. Deswegen ist es bedau-erlich, dass sich die Koalitionsmehrheit nicht dazu durch-ringen konnte, die Veröffentlichung ausschließlich insInternet zu verlegen, weil für viele Schuldner die Veröf-fentlichung des Insolvenz- und Schuldnerbefreiungsver-fahrens in der örtlichen Presse eine gesellschaftlich tödli-che Wirkung haben kann und der Schuldner gelegentlichdeswegen nicht in ein solches Verfahren eintritt. Lieberlässt man geschäftliche Tätigkeiten weiterhin über Frau,Kinder oder Freunde laufen, um nach außen nicht als Plei-tier dazustehen.Es gibt im Übrigen nur wenige – deswegen teile ichdiese Sorge nicht –, die im Internet surfen, um Konkurs-und Insolvenzverfahren zu erkunden. Dagegen werdendie Veröffentlichungen in der Ortspresse über Insolven-zen höchst fleißig gelesen und bilden das Tagesgespräch.Deswegen reicht die Änderung des § 9 nicht aus undzeigt der heute hier eingebrachte Entschließungsantragder SPD und der Grünen ein bisschen – lassen Sie es michso ausdrücken – das schlechte Gewissen der Koalition:Man fordert die Regierung auf, zu prüfen, zu eruieren undVorschläge zu machen. Es ist in gewissem Sinne schon einArmutszeugnis, heute ein Gesetz zu verabschieden undsogleich einen Entschließungsantrag hinterherzujagen,damit dieses Gesetz möglichst bald wieder korrigiertwird.
– Doch, er hat Ahnung, lieber Kollege Hartenbach, er hatviel Ahnung.Ich teile auch nicht die Sorge, dass nach Beendigungeines Insolvenzverfahrens die Daten nicht rechtzeitiggelöscht werden können, genauso wenig wie die Sorgeum den Missbrauch von im Internet bereitgestellten Da-ten. Denn ebenso wäre es jederzeit möglich, das Registereinzusehen oder Zeitungsveröffentlichungen zu kopieren,aufzuheben und später zu verschicken.Auch die übertriebene Sorge um den Datenschutz teileich nicht; denn wenn wir dieses Gesetz schon mit derMaßgabe verabschiedet hätten, dass nur im Internet ver-öffentlicht wird, wären wir frühestens in sechs oder sie-ben Jahren gefordert gewesen, die notwendigen Lö-schungssicherungen erreicht zu haben, gegebenenfallsauch mit gesetzlichen Vorschriften. Bei der jetzigen Rege-lung werden wir jahrelang an Lösungen arbeiten, auf Be-denkenträger aller Art hören, aber die Schuldner weiter-hin einer Prangerwirkung aussetzen.Ich denke natürlich auch an die Gläubiger, die ihr Geld– oder Teile ihres Geldes – endgültig verlieren. Aber beider derzeitigen, regelmäßig fast 30-jährigen Lösung miteinem gerichtlichen Titel haben die Gläubiger durchwegnicht mehr bekommen; denn nur relativ selten hat einSchuldner nachträglich so viel Geld verdient, dass er dieVerbindlichkeiten zahlen konnte.Einem Schuldner mit früher selbstständiger Tätigkeitwird das Schuldnerbefreiungsverfahren dann ermöglicht,wenn er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens wenigerals 20 Gläubiger hat und keine Forderungen aus Arbeits-verhältnissen bestehen. Hier ist der Gesetzentwurf wohlzu kurz gesprungen, denn 20 Gläubiger sind schon im Be-reich des täglichen Lebens nicht übermäßig viel.Wir werden die Entwicklung abwarten und die Schuld-nerberatungsstellen um Informationen bitten; gegebenen-falls müsste hier eine andere Lösung gefunden werden.Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, auchweil wir der Meinung sind, dass er eine partielle Verbes-serung bedeutet. Aber der ganz große Wurf ist ausgeblie-ben, Herr Hartenbach.Auch Ihrem Entschließungsantrag werden wir zustim-men. Wir hätten die Regelung zwar lieber gleich mit die-sem Gesetzentwurf verabschiedet, aber wir hoffen, dasseine vernünftige Lösung dabei herauskommt.Danke schön.
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Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten17681
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den heu-tigen Tag haben viele überschuldete Menschen in unse-rem Land gewartet. Mit der rot-grünen Reform derInsolvenzordnung erleichtern wir ihnen endlich den Wegaus der Schuldenfalle.Wir schaffen die gesetzlichen Bedingungen dafür, dassviele der rund 2,8 Millionen verschuldeten Haushalte inDeutschland auf einen Neuanfang hoffen können. Wir er-leichtern ihnen den Einstieg in das Verbraucherinsolvenz-verfahren. Zugleich verkürzen wir die Dauer des Verfah-rens erheblich. Die Reparatur des Insolvenzrechtes wardringend erforderlich. Das ursprüngliche Ziel des Gesetz-gebers, den Betroffenen nach rund sieben Jahren einenschuldenfreien Neuanfang über eine Restschuldbefreiungzu ermöglichen, ließ sich mit der alten Regelung nicht er-reichen.Für viele Schuldner scheiterte der Weg aus der Schul-denfalle schon an der Hürde der hohen Verfahrenskosten.Die Gerichte bewilligten in der Mehrzahl keine Prozess-kostenhilfe. Es entstand eine absurde Situation: Das Ver-braucherinsolvenzverfahren, das gerade den Menschen,die über keine Mittel verfügen, helfen sollte, blieb diesenMenschen deshalb versperrt, weil sie über keine Mittelverfügen. Das war, meine Damen und Herren, die Qua-dratur des Kreises.Wir haben diesen Missstand, wie ich meine, jetzt mitdem Stundungsmodell gut gelöst, obwohl – daraus ma-che ich keinen Hehl – auch meiner Fraktion eine klarstel-lende Regelung über die Gewährung von Prozesskosten-hilfe lieber gewesen wäre. In diesem Punkt aber war, wiewir alle wissen, Herr Kollege von Stetten, der Widerstandder Länder – und zwar der A- wie der B-Länder – zu groß.Mit ihnen war das schlichtweg nicht zu machen.
Ich bedauere das. Aber wer hier die Backen aufbläst, musserst einmal seine Länderstimmen auf den Tisch des Hau-ses legen, bevor er hier so tun kann, als ob Rot-Grün nichtgekämpft hätte.
Ein weiteres Dilemma der alten Rechtslage war dietatsächliche Dauer bis zur Entschuldung. De facto warenes nicht sieben, sondern manchmal sogar mehr als zehnJahre, die es bis zur Schuldenfreiheit gebraucht hätte.Auch in diesem Punkt haben wir Abhilfe geschaffen. Wirhaben die bislang siebenjährige Wohlverhaltensperiode,in der verpfändbares Einkommen abgetreten werdenmuss, auf sechs Jahre verkürzt. Wir haben auch den Be-ginn dieser Periode vorverlegt. Allein dies kann zu einerVerkürzung des Gesamtverfahrens um zwei bis drei Jahreführen.Vor allem für den letzten Punkt hat meine Fraktion vonden Schuldnerberatungsstellen Lob erfahren. Wir habendarauf gedrängt, in puncto Verfahrensdauer nachzubes-sern. Ich bin auch sehr zufrieden darüber, dass es gelun-gen ist, so eine erhebliche Verbesserung des einge-brachten Gesetzentwurfs zu erreichen.In den alten Bundesländern sind konstant etwa 1,9Mil-lionen Privathaushalte überschuldet. In den neuen Län-dern sind es rund 800 000; dort ist die Tendenz steigend.Diese Zahlen sind umso alarmierender, wenn man be-denkt, dass jeder dritte überschuldete Haushalt sogar mitmehr als 50 000 DM in der Kreide steht. Für viele Men-schen sind solche Beträge keine Peanuts.Überschuldung kann die unterschiedlichsten Ursachenhaben: Arbeitslosigkeit, aber auch plötzliche Schicksals-schläge wie Unfälle, Krankheit, Tod eines Partners, dasScheitern einer Beziehung und auch – darauf haben dieSchuldnerberatungsverbände vor einigen Tagen zu Rechthingewiesen – die Unerfahrenheit und Naivität der Ver-braucher gegenüber so manchen verlockenden unverant-wortlichen Kredit- und Konsumangeboten.Wenn in der Nachbarschaft ein großes Versandhauswöchentlich anliefert und dieselben Mieter eines Tagesausziehen müssen, weil sie nicht mehr in der Lage sind,ihre Wohnungsmiete zu bezahlen, dann hat der bunte Ka-talog den Geldbeutel gesprengt. Mit anderen Worten:Nicht nur bei den Essgewohnheiten müssen wir anschei-nend viele Bürgerinnen und Bürger noch von einem an-deren Konsumverhalten überzeugen.
Verantwortlich für ihre Misere sind aber keineswegsimmer die Betroffenen selbst. Auch Kredithaie, die dieNotlage der Betroffenen ausnutzen, um über horrendeZinsen abzukassieren, sind oft Ursache der Verschuldung.Und auch die Banken müssen sich einmal fragen, ob sienicht vielleicht künftig weniger aggressiv mit vermeint-lich problemlosen Konsumentenkrediten werben sollten,wenn doch der Verdacht nahe liegt, dass viele der Kredit-nehmer das Geld später nicht zurückzahlen können.Meine Damen und Herren, die Arbeitsgemeinschaftder Schuldnerberatungsverbände hat die Koalition vonAnfang an in ihrem Vorhaben bestärkt und hat diese Re-form der Insolvenzordnung begrüßt. Zu Recht: Für vieleMenschen bietet diese Reform eine wirkliche Chancezum Neuanfang: Sie ermöglicht ihnen eine Rückkehr insWirtschafts- und Arbeitsleben. Das ist ein enormer gesell-schaftlicher und sozialer Gewinn; denn Überschuldung istfür Menschen nicht nur eine erhebliche psychische Belas-tung. Sie verhindert auch die Wiedereingliederung in dasErwerbsleben und zementiert den Bezug von Sozialleis-tungen.Herr Kollege von Stetten, Sie haben die Internetveröf-fentlichung angesprochen. Dies ist zu Recht ein großesProblem. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen diesen Ent-schließungsantrag einbringen. Aber das ist ein Problem,dem nicht nur im Zusammenhang mit der Veröffentlichungdieser Daten im Internet eine Bedeutung zukommt. Wir ha-ben es auch in vergleichbaren Bereichen durch die Mög-
Metadaten/Kopzeile:
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lichkeit des Internets oftmals erlebt, dass solche Daten all-gemein verfügbar sind, dass sie eine Prangerfunktion habenund dass sich bei Spiegelung oder Einscannung dieser Da-ten aus den gedruckten Exemplaren der Veröffentlichungendas Problem ergibt, dass sie in den gespiegelten Dateiennicht gelöscht werden, auch wenn sie im Verzeichnisgelöscht worden sind.
Nach Ansicht unserer Fraktion brauchen wir –
– lassen Sie mich meinen Satz bitte beenden –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Beck,
Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.
– eine Bußgeldvorschrift, die untersagt, dass diese Daten
nach der Löschung in der Quelldatei von Dritten weiter-
verwendet werden dürfen, damit diese Prangerfunktion
entfällt, weil diese verhindert, dass diese Menschen einen
wirtschaftlichen und sozialen Neustart bekommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Die zugrunde liegende Insolvenzord-nung ist 1993 mit den Stimmen aller Mitglieder diesesHauses – ich glaube, mit einer Ausnahme – beschlossenworden. Ich bin froh darüber gewesen, dass wir diese Ein-helligkeit haben feststellen können; denn bei der Insol-venzordnung – darauf hat der Kollege Beck hingewie-sen – handelt es sich um eine wesentliche gesellschafts-politische Tat, die wir 1993, damals allerdings noch,glaube ich, inAbwesenheit derGrünen, beschlossenhaben.
Wir hätten gern auch der Novellierung der Insolvenzord-nung zugestimmt. Hierzu sehen wir uns leider nicht in derLage. Ich will das kurz begründen. Wir werden uns derStimme enthalten.
Die F.D.P.-Fraktion lehnt das neu erfundene Stun-dungsverfahren für die Kosten des Insolvenzverfahrensstatt des üblichen Prozesskostenhilfeverfahrens ab. Eswar stets Auffassung aller Bundestagsfraktionen, auch1993, dass das bewährte – –
– Herr Kollege Beck, ich weiß nicht, ob es Ihrer Auf-merksamkeit entgangen ist: Wir sind hier im DeutschenBundestag und der Deutsche Bundestag hat immer wiedergroßen Wert darauf gelegt, seine Meinung eigenständig zuäußern.
Wir haben das Prozesskostenhilfeverfahren damals, 1993,als richtig angesehen. Später sind die Urteile einigerOberlandesgerichte nicht zu demselben Ergebnis gekom-men, aber einige haben dieser Auffassung des Bundesta-ges Rechnung getragen.Jetzt aber dafür ein Stundungsverfahren einzuführen,das viel komplizierter ist als das Prozesskostenhilfever-fahren, vermag ich nicht als Fortschritt zu erkennen.
Hier werden wir neue Schwierigkeiten haben, insbeson-dere in der Umsetzung. Der Kollege von Stetten hat da-rauf aufmerksam gemacht.Eines der Prinzipien – das ist der zweite Grund, ausdem wir nicht zustimmen können – der neuen Insolvenz-ordnung war die verstärkte Gläubigerautonomie.Die nunmehr gefundene Lösung bei der Abwahl eines In-solvenzverwalters durchbricht dieses Prinzip der Gläubi-gerautonomie.Meine Damen und Herren, ich will betonen, dass ichfür die sachliche und vernünftige Art der Beratung imRechtsausschuss und auch im Rahmen der Berichterstat-tergespräche dankbar bin. Aber ich will eines deutlichmachen: Nach Abschluss der Beratungen unter den Be-richterstattern und nach den Anhörungen sind zwei grund-legende Änderungen vorgenommen worden, ohne dassdiese mit Sachverständigen oder mit den Berichterstatternin Ruhe und Gelassenheit hätten beraten werden können.Es handelt sich dabei erstens um die Verkürzung der in§ 114 Abs. 1 ZPO enthaltenen Frist, wonach Dienstbe-züge bislang für drei Jahre abgetreten werden können.Jetzt wird eine Verkürzung auf zwei Jahre vorgenommen.Das klingt ganz harmlos. Herr Beck hat das zwar sehr nett,aber, wie ich meine, aus wirtschaftlicher Sicht völlig ver-dreht dargestellt. Denn beispielsweise junge Eheleute, diefür die Haushaltsgründung ein Darlehen aufnehmen wol-len, oder junge Start-up-Unternehmer, die von einer Bankbzw. der Sparkasse ein Darlehen benötigen, müssen Kre-ditsicherheiten geben. Diese sind nun einmal gerade injungen Jahren die Dienstbezüge. Indem ich die Abtretbar-keit von drei Jahren auf zwei Jahre senke, senke ichgleichzeitig das Kreditvolumen auf zwei Drittel – und daskann doch nicht im Sinne zum Beispiel junger Eheleutesein, die einen Kredit aufnehmen wollen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Volker Beck
17683
Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, was hieran sozial odergar sozialdemokratisch sein soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Funke, auch Sie
muss ich jetzt ermahnen, was die Redezeit betrifft.
Wenn ich noch zwei Sätze sa-
gen darf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die dürfen nur nicht
von Thomas Mann sein.
Mit Sicherheit nicht! Das ist
auch nicht meine Art.
Die zweite Änderung betrifft die Verkürzung der
Wohlverhaltensperiode von sieben auf sechs Jahre. Wir
hätten dieser Änderung zugestimmt. Das ist gar keine
Frage; das habe ich immer erklärt. Aber diese Änderung
erst in der Nacht vor der endgültigen Beratung nachzu-
schieben, halte ich für einen schlechten parlamentari-
schen Stil, und dafür sind Sie, Herr Beck, verantwortlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Angesichts der in den letztenzehn Jahren dramatisch ansteigenden Zahl von über-schuldeten Haushalten und der massiven Probleme beider praktischen Handhabung der Verbraucherinsolvenz inden letzten zweieinhalb Jahren ist es höchste Zeit, dasswir uns heute in zweiter und dritter Lesung mit der Ände-rung der Insolvenzordnung befassen.Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die PDS-Fraktion bereits vor anderthalb Jahren einen Entwurf ei-nes Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung einge-bracht hat,
unter anderem mit klarstellenden Regelungen zur Prozess-kostenhilfe, zur Absenkung der Wohlverhaltensperiodeund zur Aufnahme des Vollstreckungsschutzes für dasVerfahren der außergerichtlichen Einigung.Mit Befriedigung habe ich deshalb festgestellt, dass ei-nige unserer Vorschläge auf durchaus fruchtbaren Bodengefallen sind,
denn die Bundesregierung geht mit ihrem Entwurf zumTeil in die gleiche Richtung. Das betrifft zum einen dieAbsenkung der Wohlverhaltensperiode von sieben aufsechs Jahre. Wir hatten eine Absenkung von sieben auffünf Jahre vorgeschlagen. Das betrifft zum anderen dieAusdehnung des Vollstreckungsschutzes auf das Verfah-ren der außergerichtlichen Einigung, das heißt die Rück-schlagsperre für drei Monate. Wir hatten hier eine ausgie-bigere Regelung vorgeschlagen, die sich leider nicht indiesem Umfang wiederfindet. Aber immerhin, im vorge-schlagenen § 765 a Abs. 4 ZPO sind sogar einige Formu-lierungen zu finden, die unseren Vorschlägen zumindestnahe kommen. Das freut mich ebenfalls.
– Sie loben uns ja nicht; dann muss ich es selber tun.
Der Regierungsentwurf enthält weitere begrüßens-werte Vorschläge: so zum einen die Einführung eines fa-kultativen gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrensund zum anderen die Senkung der Kosten, beispielsweisedie für die Internetnutzung, die Verringerung der Zahl derzuzustellenden Unterlagen oder auch die Einführungeiner Notfrist von einem Monat für Gläubigerstellung-nahmen.Aber bei zwei Punkten haben wir ernsthafte Probleme.Das betrifft zum einen die Finanzierung der Kosten desInsolvenzverfahrens über das Stundungsmodell. In die-sem Fall favorisieren wir das von uns vorgeschlagenePKH-Modell, so wie es im ursprünglichen Insolvenzver-fahren vorgesehen ist. Unbestritten ist, dass die Stundungmöglich ist. Das erweiterte Berichterstattergespräch hataber gezeigt, dass im Grunde genommen alle Fraktionendie Finanzierung über die Prozesskostenhilfe für besserund einfacher als das jetzt vorgeschlagene kompliziertereStundungsmodell halten.
Lediglich die Länder sind leider aus Kostengründendagegen. Ob es tatsächlich eine Ersparnis geben wird,wage ich in Anbetracht der vielen mittellosen Schuldnerzu bezweifeln. Auf jeden Fall wird es bei nicht wenigenSchuldnern zu einer Verlängerung der Phase bis zur ent-gültigen Entschuldung auf mehr als zehn Jahre kommen.Zum anderen haben wir Probleme hinsichtlich des An-wendungsbereichs des § 304 der Insolvenzordnung. Diebeabsichtigte Änderung hat zur Folge, dass viele wirt-schaftlich Selbstständige, das heißt Kleinunternehmer,durch die engeren Anwendungsgrenzen weitgehend ausder Verbraucherinsolvenz herausfallen und mit deutlichhöheren Kosten konfrontiert werden.
– Ich komme auch zum Schluss.Wir werden uns deshalb enthalten. Wir lehnen den Ent-wurf nicht ab, da er in die Richtung geht, in die wir eben-
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Rainer Funke17684
falls gehen wollen. Eine Zustimmung ist aber aus den bei-den genannten Gründen leider nicht möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner für die
SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe von 1985 bis 1994als Amtsrichter die Aufgabe gehabt, Konkursverfahrendurchzuführen und war dabei auch für die Fragen derZwangsvollstreckung zuständig. Verehrter Kollege vonStetten, diejenigen, die damals die politischen Rahmen-bedingungen gesetzt haben, haben in meinem Registerimmer dafür gesorgt, dass sowohl die Anzahl der Zwangs-vollstreckungsverfahren – Steigerungsraten von 10 Pro-zent pro Jahr – als auch die Anzahl der Konkursverfahren,die heute „Insolvenzverfahren“ heißen, von Jahr zu Jahrzunahmen.Ich finde es daher ein bisschen billig, wenn Sie meinenin Ihrem Entrée zu Ihrer Rede sagen zu müssen, die wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen seien Schuld daran,dass wir 2,8 Millionen überschuldete Haushalte haben.Ich finde es dramatisch, dass wir so viele überschuldeteHaushalte haben, und wir sollten uns alle als politisch Ver-antwortliche an die Nase fassen und erkennen, dass hieretwas geändert werden muss.
– Mensch, Norbert, halte doch einmal den Mund!
Ich will mit aller Deutlichkeit sagen: Nachdem Sie inder 12. Legislaturperiode mit dem Insolvenzverfahrenund der Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz ein wirk-lich gutes Gesetz gemacht haben, haben wir heute die Ge-legenheit, dieses Gesetz zu verbessern. Sie selbst habengesehen, dass das Gesetz unvollständig ist und nicht sogegriffen hat, wie Sie sich das vorgestellt haben. Wenn Siedamals der Meinung gewesen sind, dass es besser ist, dasInsolvenzverfahren mit den Vorschriften der Prozesskos-tenhilfe zu koppeln, dann hätten Sie das ja tun können.
Dann würden wir heute dieses Thema nicht angehen müs-sen.
– Ich habe dich doch eben um etwas gebeten.
Nun müssen wir das heute korrigieren und ich denke,dass dies fast unbemerkt von der Öffentlichkeit geschieht.Wir beraten heute über einen Entwurf, den ich zu denwirklich guten Entwürfen zähle, denn wir geben durch dieUmsetzung dieses Entwurfs vielen Menschen die Mög-lichkeit, nach einer kurzen Zeit wieder in das Wirt-schaftsleben zurückzukehren, anstatt zu wissen, dass sie,wie bisher, alles, was sie über den pfändungsfreien Betraghinaus verdienen, über einen Zeitraum von 30 Jahren anihre Gläubiger abführen müssen.Wir wissen auch – Herr von Stetten und Herr Funkehaben es erwähnt –, dass die Gläubiger in aller Regelkeine Befriedigung gefunden haben. Wir wissen alle, dassdie meisten Menschen, die überschuldet waren, die ge-pfändet wurden, die Konkurs anmelden mussten, kein In-teresse mehr daran hatten, wieder am Wirtschaftslebenteilzunehmen. Dies ist einer der wesentlichen Punkte: beidiesen Menschen wieder Interesse zu wecken, am Wirt-schaftsleben teilzunehmen.Davon haben die Menschen etwas; denn es steigert ihrSelbstwertgefühl. Die Kinder dieser Menschen haben et-was davon; denn es ist, glaube ich, eine der schlimmstenErfahrungen, wenn man als Kind in Armut, in einem über-schuldeten Haushalt aufwachsen muss. Die Städte undKommunen haben etwas davon, weil sie weniger Sozial-hilfe zahlen müssen. Die Länder und der Bund haben auchetwas davon, weil wieder Steuern eingenommen werden.Also haben wir hier ein rundherum vernünftiges Gesetzgeschaffen.
Wir kommen den Menschen noch weiter entgegen, in-dem wir – ich bin froh, dass sich das aus den Beratungen,die wir mit Experten geführt haben, ergeben hat – dieWohlverhaltensphase abkürzen und einen festen Zeit-punkt festsetzen, der sicher bestimmbar ist, ab dem dieWohlverhaltensphase beginnt.Nun haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nebenanderen Problemen auch das der so genannten Kleinge-werbetreibenden. Sicherlich ist die Zahl – ob 10, 20 oder30 Gläubiger – gegriffen, aber wir wissen, dass wir eineZahl greifen mussten; denn das Verbraucherinsolvenzver-fahren soll – insbesondere für die zuständigen Stellen, dieSchuldnerberatungsstellen – überschaubar sein. Es sollschnell gehen. Die Menschen sollen schnell in die Wohl-verhaltensphase kommen. Je höher die Zahl der Gläubi-ger wird, desto geringer ist die Chance, dass es zu einerEinigung kommt, desto geringer ist die Chance, dass dieRestschuldbefreiung erteilt wird.Wir haben auch – und das ist richtig so – die modernenMedien für Veröffentlichungen genutzt. Aber wir musstenauch erkennen – ich bin dem Bundesbeauftragten für denDatenschutz dankbar dafür, dass er uns darauf hingewie-sen hat –, dass die neuen Medien datenschutzrechtlicheProbleme in sich bergen. Wir alle wissen, wie schwer mansich immer wieder tut, vernünftige, griffige und vor allenDingen verständliche datenschutzrechtliche Regelungenzu finden. Uns ging es – darum finde ich die Kritik nichtangebracht – darum, über das Thema „Stundungsmodell“und das Thema „Verkürzung der Restschuldbefreiung“so schnell wie möglich das Verfahren der Verbraucher-insolvenz für viele Menschen zu eröffnen. Daher ging esnicht an, noch lange darüber reden, wie man dies daten-schutzrechtlich abklären kann. Daher haben wir die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Evelyn Kenzler17685
Verordnungsermächtigung in den Gesetzentwurf aufge-nommen und unseren Entschließungsantrag eingebracht.Wir bitten, hier eine vernünftige Regelung zu finden.Ich denke, kurz vor der Sommerpause sollte man hierversöhnliche Töne finden, nachdem wir gerade bei die-sem – ich sage es noch einmal – so wichtigen Gesetz gutzusammengearbeitet haben. Lassen Sie mich Ihnen für dieArt der Beratung, für den Umgang miteinander danken.Wir haben gemeinsam etwas Gutes geschaffen und ichwürde mich freuen, wenn Sie alle zustimmen würden.Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen, Herr Profes-sor Pick, und Ihrem Hause, dem Bundesjustizministe-rium, bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für dieguten Beratungen. Ich darf hier die Länder mit ein-schließen, von denen einige sicherlich über ihren Schat-ten gesprungen sind.Bei Ihnen, Frau Präsidentin, bedanke ich mich für dieGroßmut hinsichtlich der Überziehung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die galt in dieser De-
batte nun wirklich allen. Da war ich sehr neutral.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
der Insolvenzverordnung und anderer Gesetze auf Druck-
sache 14/5680. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6468 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung mit der vom Bericht-
erstatter vorgetragenen Korrektur zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der PDS an-
genommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der
PDS angenommen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/6473. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Änderung der Insolvenzordnung
auf Drucksache 14/2496. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6468, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Hermann Bachmaier, Doris Barnett,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Volker Beck ,
Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der vertraglichen Stellung von
Urhebern und ausübenden Künstlern
– Drucksache 14/6433 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich ver-
künde aber jetzt schon, dass die Kolleginnen und Kolle-
gen Dirk Manzewski, Dr. Antje Vollmer1), Rainer Funke
und die Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin1)
ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.
Ich eröffne die Aussprache für die restlichen Rednerin-
nen und Redner und erteile zunächst dem Kollegen
Dr. Norbert Röttgen das Wort.
Frau Präsidentin!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat sich in dem letzten halben Jahr, in den ver-gangenen Monaten intensiv mit dem Urheberrecht undder Reform des Urhebervertragsrechts beschäftigt. Wirhaben das getan, weil das Urheberrecht eine entschei-dende Rahmenbedingung für das kulturelle Leben in un-serem Land bildet, für seine Vielfalt, für die Chancen, fürdie Entfaltungsmöglichkeiten, die Künstler in unseremLand haben, für seine internationale Ausstrahlung, aberauch für die Chancen der Kulturwirtschaft in Deutsch-land.
Auch die Bundesregierung und die Bundesjustizminis-terin weisen diesem Vorhaben einen hohen Stellenwert zu.Darum bitte ich Sie, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ichmein Unverständnis darüber äußere, dass die Bundesju-stizministerin dieses Projekt in der Öffentlichkeit propa-giert, hier im Plenum des Deutschen Bundestages aber we-der die Bundesregierung noch die Bundesjustizministerinnoch der Parlamentarische Staatssekretär noch ein Abge-ordneter oder eine Abgeordnete der Koalition zu diesemProjekt das Wort ergreift, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Alfred Hartenbach17686
1) Anlage 6Ich finde es einen unmöglichen Stil, in der Öffentlichkeitwichtige Projekte zu propagieren und jetzt im Bundes-tag – auch wenn es spät ist, verehrte Kolleginnen und Kol-legen von den Koalitionsfraktionen und auch von den an-deren Fraktionen – nicht mehr Stellung zu beziehen.Unsere Fraktion hat nicht dafür plädiert, dass wir die-ses wichtige Projekt noch in letzter Minute in dieser vor-letzten Sitzungswoche platzieren. Wir sind nicht dafürund halten es dem Stellenwert dieses Themas nicht für an-gemessen, dass wir es um halb zehn in einer halbstündi-gen Debatte mehr oder weniger abhaken. Das entsprichtauch nicht dem Stellenwert, den Sie diesem Thema öf-fentlich einräumen.Ich komme gerade von einer Veranstaltung des Börsen-vereins des Deutschen Buchhandels. Wir erkennen in die-sem Thema leider auch ein Muster rot-grüner Rechtspoli-tik. Wie bei der Schuldrechtsreform, die bei dem größtenTeil der Rechtswissenschaft wie der Wirtschaft auf großeAblehnung stößt, wie bei der Ziviljustizreform, die auf er-bitterten Widerstand der Richterschaft, der Anwaltschaftgestoßen ist, die am Ende auch erfolgreich Widerstand ge-leistet hat, findet auch dieses Vorhaben absolut geschlos-senen Widerstand bei der betroffenen Kulturwirtschaft.Die Verlage – ob es Zeitungsverlage sind, Zeitschrif-tenverlage, Buchverlage, Musikverlage –, Filmwirtschaft,Fernsehen: Alle sind geschlossen gegen dieses Projekt,meine Damen und Herren. Und Sie – ich begrüße Ihre jetztlaufenden Konsultationen – halten es nicht für nötig, hierim Bundestag dieses Projekt, das die betroffene Wirtschaftmit Empörung ablehnt, zu verteidigen. Diesen Stil emp-finde ich als nicht in Ordnung. Das ist der Grund, warumich hier das Wort ergreife, meine Damen und Herren.
Bevor ich zur Sachkritik im Einzelnen komme, betoneich, dass die CDU/CSU-Fraktion selbstverständlich auchin dieser rechtspolitischen Frage zur konstruktiven Mit-arbeit bereit ist und diese anbietet. Ich sehe den Sinn die-ser Debatte am heutigen – etwas späteren – Abend im We-sentlichen in der Bitte, uns mitzuteilen, ob dieses Angebotvon der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionenangenommen wird. Sind Sie zu einem konstruktiven Dia-log mit uns und den Beteiligten in dieser Sache bereit, umam Ende zu einem gemeinsamen Vorschlag zu kommen?Wenn Sie unser Angebot annehmen, dann können wirnicht hopplahopp nach der Sommerpause zur zweiten unddritten Lesung kommen und dieses Gesetz verabschieden,sondern dann müssen wir miteinander intensiv beraten.Ich komme zum Gesetzentwurf.
– Die Bemerkungen zuvor waren angemessen. Im Übri-gen bitte ich Sie, wenn Sie zu meinen Ausführungen Stel-lung nehmen wollen, sich auf die Abgeordnetenbank zubegeben. Auch das ist eine Stilfrage, wie sich die Mitglie-der der Bundesregierung gegenüber dem Parlament be-nehmen.
– Herr Kollege Bachmaier, wenn Sie dieses Stilempfindennicht teilen, sagt das mehr über Sie als über mich aus.Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, dass esim Bereich des Urheberrechts einen punktuellen Hand-lungsbedarf gibt: dass es Einzelbereiche gibt, bei denenwir durch die Verbesserung der Rechtsstellung die wirt-schaftliche Situation von Künstlern verbessern müssen.Aber es gibt eben nur punktuellen Handlungsbedarf. Dergrundlegende Strickfehler Ihres Gesetzentwurfs liegtdarin, dass Sie diesem punktuellen Handlungsbedarf nichtmit punktuellen Regelungen entsprechen, sondern dassSie alles reglementieren wollen, jedenfalls mehr, als re-guliert werden muss. Das führt zwangsläufig dazu, dassSie mit diesem Gesetzentwurf viel mehr Probleme schaf-fen – selbst dort, wo es noch gar keine gibt –, als Sie über-haupt lösen können.Der rote Faden, der sich durch diesen Gesetzentwurfzieht, ist die konsequente Beschneidung der Vertrags-freiheit als Ausdruck privater und gesellschaftlicher Le-bensgestaltung. Es ist ein freiheitsfeindlicher Gesetzent-wurf; Sie setzen auf staatliche oder kollektive Regle-mentierung von Vertragsverhältnissen. Das ist verfas-sungsrechtlich hoch problematisch. Die Instrumente sindaltmodisch. Für die Vielzahl der kleinen und mittleren Be-triebe, die die deutsche Kulturwirtschaft prägen, ist eswirtschaftlich existenzbedrohend und es ist internationalnicht wettbewerbsfähig.Ich komme zu einigen wenigen Einzelbestimmungen,die im Zentrum der Kritik stehen. An erster Stelle ist dervorgeschlagene § 32 des Urheberrechtsgesetzes zu nen-nen, der gesetzliche Anspruch auf angemessene Vergü-tung. Das ist staatliche Preisfestsetzung: Nicht der Markt,nicht Angebot und Nachfrage sollen entscheiden, es sollauch nicht nur eine Preisaufsicht, eine Missbrauchskon-trolle geben, sondern Gerichte sollen den Preis festsetzen.Das ist unserer Auffassung nach ordnungspolitisch ver-fehlt und beruht auf einer Fiktion: Was ist denn der ange-messene Preis für ein Drehbuch, für einen Beitrag in einerZeitung? Wie soll das Gericht das erkennen und diesenPreis festsetzen, wenn es sich um einen kleinen Verlaghandelt, der in zehn junge, noch unbekannte Autoren in-vestiert, von denen neun keinen Erfolg haben, währendder zehnte erfolgreich ist? Also muss doch aus den Ge-winnen dieses zehnten Autors die Investition in die neunanderen Autoren, denen eine Chance gegeben wurde, be-zahlt werden. Diese Mischkalkulation muss ein Verlags-unternehmen anstellen können.Wie sollen Gerichte also den angemessenen Preis fest-legen?Die gesetzliche Festlegung eines Anspruchs auf ange-messene Vergütung führt zu einer existenzbedrohendenRechtsunsicherheit. Das ist ein Damoklesschwert, dasüber jedem Vertrag schwebt. Es sollen sogar rückwirkend,bis zu 20 Jahre vor In-Kraft-Treten des jetzt vorliegendenGesetzes, Verträge erfasst werden. Damit besteht auchRechtsunsicherheit für jeden Werknutzer, also für jedenLizenznehmer. Sie bringen eine totale Rechtsunsicherheitin die gesamte Kulturbranche, insbesondere in die Ver-lagsbranche, hinein, die gerade für kleinere und mittlere
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Norbert Röttgen17687
Betriebe existenzbedrohend sein kann, weil sie ihre kal-kulatorische Basis für Investitionen verlieren.
Sie wollen in § 32 Abs. 5 des Urheberrechtsgesetzesbeiden vertragsschließenden Seiten das Recht einräumen,nach mehr als 30 Jahren zu kündigen. Die Verleger derMusikbranche, insbesondere diejenigen, die ernste Musikverlegen, sagen, dass ihre Investitionszyklen 30 bis60 Jahre umfassen; denn so lange kann es dauern, bis einStück der ernsten Musik erfolgreich ist. Aber Sie habenvorgeschlagen, dass der Urheber schon nach 30 Jahrenkündigen kann. Das wird dazu führen, dass kleinere Ver-lage investieren, dass aber dann, wenn sich ein Erfolgnach 30 oder 40 Jahren einstellt, große Verlage die erfolg-reichen Produkte kaufen werden und die kleinen Verlageauf ihren nicht erfolgreichen Investitionen sitzen bleibenwerden. Das, was Sie betreiben, ist mittelstandsfeindlich.Das wird von den kleinen Verlagen ganz nüchtern auch sovorgetragen.
Die in § 39 Abs. 3 vorgesehene Gestattungsbedürftig-keit jeder Änderung und die Widerruflichkeit von Ände-rungen bringen Rechtsunsicherheit mit sich, die insbe-sondere für die Filmwirtschaft, aber auch für die Verlagesehr problematisch ist. Ein Film zum Beispiel setzt sichaus vielen Werken zusammen. Wenn jede Änderung ge-stattungsbedürftig und widerruflich ist, dann könnenFilme praktisch gar nicht mehr hergestellt werden.Ich möchte auf einen letzten sehr problematischenPunkt eingehen, nämlich § 36, der verbindliche Vergü-tungsregeln vorsieht. Das sind kollektivistische Rege-lungen. Das ist schon im Ansatz falsch, weil allgemeine,abstrakte Regelungen der die deutsche Kulturlandschaftprägenden Vielfalt nicht gerecht werden können. Einekollektive Regelung ist das falsche Instrument, weil sienicht einzelfallgerecht sein kann. Besonders abstrus ist,dass die Verbände der Verwerter nicht gezwungen sind,Vergütungsregeln miteinander zu vereinbaren, zugleichaber die Verbände der Urheber einzelne Unternehmen zurAnnahme solcher Vergütungsregeln zwingen können.Wenn die Unternehmen dazu nicht bereit sind, muss eineSchiedsstelle, also wieder eine staatliche Einrichtung,entscheiden. Sollte keine Einigung möglich sein, danngeht der Fall an die Oberlandesgerichte. Die von Ihnenvorgeschlagene kollektive Reglementierung endet also ingerichtlicher Festsetzung von vertraglichen Inhalten, dieeigentlich individuell geregelt werden müssten. Das kannnur schief gehen.
Eine solche Regelung ist auch verfassungsrechtlich sehrproblematisch.Das, was Sie vorhaben –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Röttgen,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
– ich komme zum
Schluss –, ist nicht nur zum Schaden der Kulturwirtschaft
sowie der kleinen und mittleren Verlage, sondern auch der
Urheber. Ich möchte zuletzt den Börsenverein des Deut-
schen Buchhandels zitieren:
Auch den Urhebern ist nicht damit gedient, wenn die
Entwertung geschlossener Verträge bewerkstelligt
wird. Der vorliegende Entwurf verbessert die Situ-
ation der Urheber nicht, sondern er gefährdet sie
durch die von ihm ausgelöste rechtliche und wirt-
schaftliche Erosion der Arbeitsbasis der Verlage.
Seine Umsetzung würde gravierende negative Fol-
gen für den Medienstandort Deutschland haben.
Das ist die Dimension, um die es geht.
Wir appellieren an Sie, zu einem konstruktiven Dialog
in dieser Sache zurückzukehren, damit ein vernünftiger
Gesetzentwurf zustande kommt.
Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, in der Zwischenzeit haben sich alle Kolle-
ginnen und Kollegen, die ursprünglich ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben hatten, entschieden, von ihrem parlamen-
tarischen Rederecht Gebrauch zu machen.
Ich erteile zunächst das Wort zu einer Kurzintervention
der Kollegin Steffi Lemke.
HerrKollege Röttgen, Sie haben intensiv darauf Bezug ge-nommen, dass sich einige Redner entschlossen haben,ihre Reden zu Protokoll zu geben.Erstens. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die De-battenzeiten an den Freitagen und auch an den Donners-tagen zurzeit in der Regel sehr lang sind und dass heute– außer den von Ihnen genannten – noch andere wichtigePunkte auf der Tagesordnung stehen, zu denen ebenfallsReden zu Protokoll gegeben werden. Es besteht unter denFraktionen – auch mit der Ihren – die Vereinbarung, die-ses parlamentarische Verfahren anzuwenden. DiesesVerfahren ist also üblich und nichts Außergewöhnliches.Es sagt nichts darüber aus, ob eine Debattenrednerin, einDebattenredner oder eine Fraktion ein Thema hochschätzt oder nicht.
Zweitens. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich Sie im Ple-num nicht sehr oft sehe; das gilt insbesondere für dieAbendstunden. Ich finde deshalb, dass es gegenüber denKollegen absolut unkollegial ist, wie Sie Ihren Debatten-beitrag strukturiert haben.Drittens. Wenn Sie sich damit nicht so lange aufgehal-ten hätten, dann hätten Sie Ihre Redezeit vielleicht einge-halten und nicht überzogen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Norbert Röttgen17688
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Röttgen,
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/
CSU-Fraktion hat nicht darauf gedrängt, dass dieses Thema
noch in der vorletzten Sitzungswoche vor der Sommerpau-
se debattiert wird. Auch halte ich dieses Thema nicht für das
wichtigste, das es auf der politischen Agenda gibt.
Der Vorlauf sieht aus meiner Sicht folgendermaßen
aus: Die Bundesregierung will ein – nach ihrer eigenen
Einschätzung – wichtiges Thema unbedingt noch in das
parlamentarische Verfahren einbringen und die Koali-
tionsfraktionen haben deshalb den Gesetzentwurf der
Bundesregierung unverändert übernommen, damit er
noch im Plenum diskutiert werden kann. Wenn die Bun-
desregierung, um deren Vorhaben es sich schließlich han-
delt, vor diesem Hintergrund nicht dazu bereit ist – ich
verweise darauf, dass nur der Parlamentarische Staats-
sekretär, aber nicht die Bundesjustizministerin anwesend
ist –, dieses Vorhaben – zunächst hat man darauf gedrängt,
dass es behandelt wird – im Parlament mündlich zu ver-
treten, dann finde ich das enttäuschend. Wenn nicht nur
kein Vertreter der Bundesregierung, sondern auch kein
Vertreter der Koalitionsfraktionen dazu Stellung nimmt,
dann finde ich das ebenfalls enttäuschend.
Das habe ich zum Ausdruck gebracht. Meine Erwar-
tung ist, dass Sie, wenn Sie Wert auf eine parlamenta-
rische Debatte legen, diese auch führen. Das und nichts
weiter war mein Petitum.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Bundesregie-
rung erteile ich nun dem Parlamentarischen Staatssekre-
tär Dr. Eckhart Pick das Wort.
D
Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Herr Röttgen, ich finde es in der Tat ausgespro-chen ungewöhnlich, sich ohne Kenntnis der Fakten überdie Nichtanwesenheit der Bundesministerin der Justizzu mokieren. Sie ist davon ausgegangen, dass die Reden– auch die der Ministerin – zu Protokoll gegeben werden.In einem solchen Fall ist es nicht üblich, dass derParlamentarische Staatssekretär im Plenum spricht. Daserklärt, warum nur ich anwesend bin. Ihr Angriff geht insLeere. Auch Ihre Kurzintervention hat die Angelegenheitnicht besser gemacht.
Aufgrund Ihrer Philippika müsste man eigentlich denEindruck haben, dass Sie mit diesem Gesetzentwurfüberhaupt nichts anfangen können. Es stellt sich daher dieFrage, ob Sie Ihr Angebot, mit der Bundesregierung undmit den Koalitionsfraktionen über dieses Projekt zu reden,überhaupt ernst gemeint haben. Es wäre in der Tat wich-tig, dass sich alle Fraktionen mit diesem Thema beschäf-tigen. Herr Röttgen, es genügt nicht, in Sonntagsredenvon der Bedeutung der Kreativen in diesem Land zu spre-chen, ohne dass man bereit ist, ihnen eine angemesseneVergütung zuzubilligen.
Mit diesem Entwurf geschieht nichts anderes, als dasszum ersten Mal festgehalten wird, dass Urheberinnen undUrheber einen Anspruch auf eine angemessene Vergü-tung haben. Ich kann nichts finden, was die Angemessen-heit irgendwie infrage stellt. Eine angemessene Vergütungist doch das Minimum, was man für ein Werk fordernkann. Sie wissen auch, dass mit diesem Gesetzentwurfnicht der Versuch unternommen wird, den Begriff der An-gemessenheit zu definieren. Es ist nämlich das, was manunter Angemessenheit versteht, je nach Branche und Si-tuation äußerst unterschiedlich. Deshalb haben wir dieFlexibilität dieses Begriffs auch in diesem Gesetzentwurfdurchweg gewahrt.Sie haben von kollektivistischen Vereinbarungen ge-sprochen. Es gibt solche Vereinbarungen bereits, zumBeispiel bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.Dort werden die ständigen freien Mitarbeiter durchaus indie Tarifverträge einbezogen. Das kann ein Muster seinund die Vermutung erhärten, dass es sich um angemesseneRegeln handelt. Im Übrigen nimmt der Gesetzentwurf aufdie Besonderheiten, zum Beispiel der kleinen Verlage,durchaus Rücksicht.Herr Röttgen, es ist normal, dass in einem Bereich, indem auch wirtschaftliche Interessen verfolgt werden, dieBetroffenen gegebenenfalls Einbußen haben. Wieso solles aber eine Einbuße sein, wenn jemand eine angemes-sene Vergütung zu zahlen hat? Wo ist denn da prima facieein Eingriff zum Beispiel in den Gewerbebetrieb? Ichfinde, hier wird eine Selbstverständlichkeit ausgedrückt,ohne dass sich der Staat anmaßt, etwa die Frage derAngemessenheit zu konkretisieren.Ich möchte Ihnen, Herr Röttgen, noch etwas sagen. Esist doch blauäugig, zu glauben, dass wir hier auf beidenSeiten in jeder Situation strukturell gleichwertige Partnerhätten. Denken Sie an den Verlag, dem ein Autor ein Ma-nuskript anbietet. Insbesondere dann, wenn der Autor un-bekannt ist, ist er doch völlig dem ausgeliefert, was dieserVerlag ihm anbietet. Wir wissen, wie schwierig es ist, ab-gesehen vom Fall des selten vorkommenden Bestsellers– diese Vorschrift gibt es ja –, später zu einer angemes-senen Vergütung zu kommen, wenn sich die Publikationals Erfolg herausstellt. Hier besteht also eine – das kennenwir auch sonst im bürgerlichen Leben – in vielen Be-reichen gestörte Vertragsparität. Ich meine, dass diesder Gesetzgeber berücksichtigen muss.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17689
Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle, insbeson-dere die CDU/CSU-Fraktion, ein, sich an diesem wich-tigen Thema zu beteiligen. Wir werden noch genügendZeit haben, uns mit diesen Fragen zu beschäftigen. Wirhaben übrigens bereits mit den Verbänden gesprochen. Alldenjenigen, die das heute nicht mehr so ganz wahrhabenwollen, sage ich: Die Ministerin hat sogar in Gegenwartdes Kanzlers mit den Verbänden gesprochen. Insofernsind die Verbände ausführlich und umfassend beteiligtworden. Wir wollen eine flexible Regelung treffen, diealle Bereiche umfasst, den Urhebern aber genügend Raumlässt, eigenverantwortlich entsprechende Regelungen zutreffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Ministerin hat vor gut einem Jahr zu
dem so genannten Professorenentwurf Ja und Amen ge-
sagt. Sie hat gesagt: Wir können den Entwurf der Profes-
soren eigentlich wortgleich übernehmen und unterschrei-
ben. Anschließend hat sie aber doch ein gutes Jahr
benötigt, um zu erkennen, dass das, was sie so gelobt
hatte, doch nicht das Gelbe vom Ei war. Daraufhin hat sie
den Entwurf für die Novelle des Urhebervertragsrechts
ins Kabinett eingebracht. Damit das Vorhaben etwas be-
schleunigt wird und es nicht so auffällt, dass man im Mi-
nisterium relativ lange benötigt hatte, um dieses Urheber-
vertragsrecht zu gestalten, hat sie den Gesetzentwurf über
die Fraktion eingebracht. Das ist ihr gutes Recht. Aber
man sollte dann auch ganz offen sagen, dass es sich hier
um komplexe Materien handelt, die nicht ganz einfach
sind.
Wir sind froh, dass die Ministerin mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf dem Professorenentwurf die we-
sentlichen Giftzähne gezogen hat. Die F.D.P. ist als Partei
des privaten Eigentums bekannt und freut sich natürlich,
dass auch die Interessenlagen der Urheber, deren Situ-
ation nicht mit der Situation der Verlage vergleichbar ist
und die nicht auf gleicher Augenhöhe verhandeln, ge-
schützt werden sollen. Über den Begriff der Ange-
messenheit der Vergütung, wie er in § 32 aufgeführt ist,
kann man aber in der Tat diskutieren. Warum nimmt man
zum Beispiel nicht die Formulierung der üblichen Ver-
gütung aus dem BGB? Darüber müssen wir diskutieren.
Wir müssen auch über § 36 diskutieren, über die Frage,
ob kollektivrechtliche Lösungen, wie Sie sie vorgeschla-
gen haben, das Gelbe vom Ei sind. Wir sollten dort eher
eine vertragliche Lösung vorsehen. Genauso haben wir
darüber nachzudenken, ob die Kündigungsfrist nach § 30
richtig ist.
Darüber müssen wir wirklich noch sehr intensiv mitei-
nander diskutieren. Wir müssen Anhörungen durch-
führen. Ich möchte die Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen bitten, uns Gelegenheit zu geben, dieses
Urhebervertragsrecht gründlich miteinander zu beraten,
und hier einmal von der üblichen Art des Durchpeitschens
von Gesetzen Abstand zu nehmen.
Wir sollten versuchen, eine sachgerechte Lösung zu
finden. Die F.D.P. wird daran mitwirken, weil wir Urhe-
berrechte eben auch als Eigentumsrechte empfinden.
Diese Rechte der Urheber müssen natürlich geschützt
werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dirk Manzewski.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Kollege Röttgen, Sie haben mich amAnfang Ihrer Rede angegriffen. Das finde ich ziemlichunkollegial. Wie Sie sehen, bin ich mit meinem Rede-manuskript hier. Mir zumindest ist suggeriert worden, dieGeschäftsführer hätten sich darauf geeinigt, dass wir dieReden zu Protokoll geben.
Es kann durchaus sein – das bleibt Ihnen völlig unbe-nommen –, dass Sie als Berichterstatter der Union sagen:Mit mir ist nicht gesprochen worden und ich rede. Damithabe ich keine Probleme. Aber die anderen Kollegen, diesich auf diese Vereinbarung verlassen haben, hier öffent-lich anzugreifen, ist eine Schweinerei.
Wir beide, Herr Kollege, sind doch bislang immer ganzgut klar gekommen. Ich habe Sie ziemlich hoch geschätzt.
Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was Sie heutehier gebracht haben, hat mich ziemlich enttäuscht. Ei-gentlich erwarte ich von Ihnen intern noch eine Entschul-digung. Ich hoffe, dass sie kommt.
Zur Sache: Meine Damen und Herren, es geht – unddas ist längst überfällig – um die Stärkung der vertragli-chen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern.Es handelt sich hierbei um ein seit langem gefordertes Ge-setzesvorhaben. Bereits bei der amtlichen Begründungdes Urheberrechtsgesetzes im Jahre 1965 wurde aufdie Notwendigkeit eines ergänzenden Urhebervertrags-gesetzes hingewiesen, und dies nicht ohne Grund.Das Schaffen der Kreativen ist sowohl für die Kulturselbst wie auch für die daraus resultierende Kulturwirt-schaft in unserem Land unverzichtbar. Die Kulturwirt-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick17690
schaft hat in den letzten Jahren – nicht nur aufgrund desdigitalen Zeitalters – immer mehr Bedeutung erlangt. Ins-besondere Medienunternehmen haben sich zu einem be-deutenden und zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor ent-wickelt. Ich halte es daher nur für recht und billig, liebeKolleginnen und Kollegen, wenn die Urheber entspre-chend ihrer Leistung auch an deren finanzieller Ver-wertung gerecht partizipieren. Nichts anderes will der Ge-setzentwurf.
Urheber und ausübende Künstler sollen künftig ange-messen am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit beteiligtwerden. Leider ist dies in der Praxis, Kollege Röttgen,heutzutage häufig noch nicht der Fall. Dies gilt vor allemfür den Bereich der Freiberufler. Freiberufler sind zwarrechtlich gesehen selbstständige Unternehmer, tatsächlichsind sie aber eher mit lohnabhängigen Arbeitnehmernvergleichbar. Das liegt vor allem daran, dass den Kreati-ven bei Vertragsschluss immer stärker werdende Unter-nehmen der Kultur- und Medienwirtschaft gegenüber-stehen. Von gleich starken Vertragspartnern, die Verträgenoch aushandeln, wie wir es verstehen, kann da keineRede mehr sein. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmennutzen vielmehr oft die schlechte rechtliche Stellung derUrheber aus, um Vergütungen und Kosten zu drücken.Diese sind dann vielfach aus ihrer finanziellen Situationheraus geradezu gezwungen, sich und ihr Werk unter Wertzu verkaufen.Dies geht in der Regel sogar so weit, meine Damenund Herren, dass nicht nur das Werk an sich, sondernauch dessen mehrstufige Vermarktung gleich mitübertragen wird. Das heißt, dem Roman im Originalfolgt die Übersetzung, dann kommt die Auswertung alsDrehbuch. Der Kinoauswertung folgt die Fernsehaus-wertung, danach der Verkauf oder die Vermietung als Vi-deo usw. Den Vermarktungsmöglichkeiten stehen heut-zutage in unserer globalisierten Welt Tür und Tor offen.Viele profitieren davon. Die Urheber gehören leider nurselten dazu.Natürlich gibt es auch Künstler – da gebe ich Ihnenvollkommen Recht –, die aufgrund ihrer Stellung gut ver-dienen und Bedingungen stellen können. Hierauf wirdvon Verwerterseite auch immer hingewiesen. Der Kreisdieser Branchenstars ist aber nur sehr klein. Es heißeneben nicht alle Kreativen Grass oder Walser. Dabei findeich es im Übrigen anerkennenswert, dass sich gerade vielevon denjenigen, denen es gut geht, für ihre Kolleginnenund Kollegen engagieren.
Ich will auch nicht verkennen, dass es Teilbereichegibt, in denen eine zufrieden stellende Vergütung gewährtwird. Dies ist vor allem dort der Fall, wo zwischen denVertragspartnern Tarifverträge bestehen oder Vergütun-gen bezahlt werden, die auf so genannten urheberrecht-lichen Normverträgen oder Vergütungsregelungen derVerbände aufbauen. Für diese Fälle, Kollege Röttgen,wird der Gesetzentwurf überhaupt nichts Neues bringen.Genau hier setzt vielmehr die angedachte Reform an. DieStärkung der Rechtsstellung der Urheber und ausübendenKünstler als regelmäßig schwächere Parteien soll vor al-lem durch die Verankerung des gesetzlichen Anspruchsauf angemessene Vergütung und eben – das ist wichtig –der Regelung gemeinsamer Vergütungsregeln erfolgen.Damit soll ein Ordnungsrahmen geschaffen werden– mehr nicht –, der es den Parteien erlaubt, eigenverant-wortlich zu angemessenen Vereinbarungen zu kommen,wobei selbstverständlich insbesondere in Bezug auf dieKleinverlage die unterschiedlichen Strukturen – da willich Ihnen völlig Recht geben – berücksichtigt werdenmüssen.Wer solche Vergütungsregelungen vereinbart, erhöhtim Übrigen die eigene Rechtssicherheit. Die Belastungendieser Unternehmen werden sich nämlich zukünftig nichterhöhen. Da sich solche Regelungen zwischen Verbändenvon Autoren und Künstlern einerseits und den Verwerternandererseits bewährt haben, dienen sie vielmehr der Be-stimmung der Angemessenheit als Vorbild. Das, KollegeRöttgen, ist das Entscheidende. Dadurch, dass wir dies sofestgelegt haben, dass wir also ganz klar sagen, dass das,was momentan im Bereich der Tarifverträge gezahlt wird,von uns als angemessen angesehen wird, haben die Ge-richte – ganz anders als Sie es hier dargelegt haben –überhaupt keine Probleme, im Einzelfall eine gerechteEntscheidung zu treffen.Deshalb handelt es sich hier um einen relativ schlan-ken Gesetzentwurf, über den wir hier heute diskutieren,der den Parteien in einem vorgegebenen Rahmen Spiel-räume lässt.
Mit minimalem gesetzgeberischen Einsatz, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, wird meiner Auffassung nach einHöchstmaß an ausgleichender Wirkung und an Hand-lungsspielraum zwischen Urheber und Verwerter erreicht.Allein durch eine geringfügige Umgestaltung des so ge-nannten Bestsellerparagraphen und unverbindliche Ver-bandsempfehlungen wäre dieses Bestreben dieses Ge-setzentwurfes nicht zu erreichen gewesen. Hierdurchließe sich nur in wenigen Fällen eine Korrektur vorneh-men. Insbesondere dem so genannten Bestsellerparagra-phen fehlt es insoweit an Durchschlagskraft. Die großeAnzahl der in der alltäglichen Praxis vorkommendenFälle von unangemessener Vergütung würde hiervonnicht erfasst.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Handeln tut also Not.Mit der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfes hierim Deutschen Bundestag ist der erste Schritt hierzu getan.In den folgenden Wochen nach der Sommerpause erwarteich zu diesem Thema eine interessante Diskussion. Ichwürde mich freuen, wenn Sie das Gesetzesvorhaben kon-struktiv begleiten würden.Ich danke Ihnen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dirk Manzewski17691
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden das
Wort.
Herr Kollege
Manzewski, ich will der guten Ordnung halber nur darauf
hinweisen, dass sowohl Ihre Fraktion als auch die ande-
ren Fraktionen zu keinem Zeitpunkt Anlass hatten, anzu-
nehmen, dass der Kollege Röttgen nicht reden würde.
– Nein, es ist kein Mist gemacht worden, sondern die Ge-
schäftsführer der Union haben gegenüber dem Präsi-
dium – das ist dieser Kopie ja auch zu entnehmen – im-
mer wieder festgestellt, dass der Kollege Röttgen reden
wird. Ich möchte das nur der guten Ordnung halber hier
gesagt haben, damit nicht der Eindruck entsteht, wir hät-
ten die anderen Kollegen getäuscht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner dieser
Debatte ist der Kollege Dr. Heinrich Fink für die PDS-
Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nach jahr-
zehntelanger Debatte um die Reform des Urheberver-
tragsrechtes liegt nun endlich ein Gesetzentwurf vor. Das
Reformwerk war lange überfällig. Den Entwurf halte ich
in den Grundzügen für gelungen. Er sollte nach den not-
wendigen Beratungen so bald wie möglich verabschiedet
werden.
Ziel der Neuregelung ist, die Rechte der Kreativen zu
stärken. Insbesondere der nunmehr festgelegte gesetz-
liche Anspruch auf angemessene Vergütung und die Er-
stellung gemeinsamerVergütungsregeln sind geeignete
Wege, diese Zielstellung auch zu erreichen. Dass die Be-
teiligten in einem konsensorientierten Verfahren selbst
darüber bestimmen können, was in ihrer Branche jeweils
angemessen ist, halte ich für sinnvoll. Damit kann den
Unterschieden in der Größe und Art der Unternehmen und
der Verlage Rechnung getragen werden. Die Vorschläge
können zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit für alle
Beteiligten beitragen. Sie helfen, gerechtere Verwer-
tungsbedingungen im Interesse der Urheber, der in der
Regel schwächeren Partner, durchzusetzen. Erstmals
eröffnet sich die Möglichkeit, dass alle Urheber, also auch
die Freischaffenden und die ausübenden Künstler, in den
Genuss schützender und auf Ausgleich bedachter Rege-
lungen kommen.
Die Umsetzung dieses Gesetzentwurfes bietet eine
Möglichkeit, die Arbeits- und Lebensbedingungen der
Kreativen zu verbessern. Fazit der Anhörung unserer
Fraktion im Dezember vergangenen Jahres zur Situation
der freiberuflich Tätigen ist: Die Mehrzahl befindet sich
in einer prekären sozialen Situation. Besonderer Hand-
lungsbedarf besteht in den neuen Bundesländern. Die
PDS wird sich also schon aus Gründen der sozialen Ge-
rechtigkeit für diesen Entwurf einsetzen.
Dies ist aber nicht der alleinige Grund. Entscheidender
ist wohl, dass damit Regularien geschaffen werden, die
kreatives Schaffen befördern. Kreativität muss sich in die-
sem Lande wieder lohnen. Der Legende, dass Armut krea-
tiv macht, wird hier wohl keiner aufsitzen. Insofern han-
delt es sich nicht primär um eine Sozialmaßnahme,
sondern um eine wesentliche kulturelle Frage. Ich teile die
geäußerten Befürchtungen jener nicht, welche die kultu-
relle Vielfalt und den Kulturwirtschaftsstandort
Deutschland bedroht sehen. Ich denke vielmehr, dass
dieses Gesetz auch zur Stärkung der Kulturwirtschaft im
internationalen Wettbewerb beitragen kann.
In einzelnen Punkten halten wir Nachbesserungen
durchaus für notwendig. In der Kürze der Zeit kann ich
hier nur einen Kritikpunkt nennen: Im Entwurf ist eine
Befristung der Rückwirkung vorgesehen. Die Frist von
20 Jahren vor In-Kraft-Treten des Gesetzes erscheint uns
willkürlich gewählt und sachlich nicht gerechtfertigt.
Im Filmbereich, im Fotojournalismus, im Rundfunk,
vor allem aber im Fernsehen finden in großem Umfang
Nutzungen von Werken statt, deren vertragliche Grund-
lagen vor mehr als 20 Jahren gelegt wurden. Wir plä-
dieren deshalb dafür, diesen Passus aus dem Gesetz zu
streichen.
Dennoch: Unsere Bewertung ist grundsätzlich positiv.
Es ist zwar nicht die so genannte große Lösung im Urhe-
berrecht, aber ein wichtiger Reformschritt zugunsten der
Kreativen. Sicherlich sollte man noch darüber reden; aber
es muss gerade im Urhebervertragsrecht endlich zu einer
Lösung kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/6433 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinenWiderspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Erste Beratung des von Bundesregierung einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie-
– Drucksache 14/6390 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
VerteidigungsausschussHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117692
Der Kollege Max Stadler, F.D.P., hat seine Rede zuProtokoll gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ichhoffe, dass die vorherige Aussprache diesbezüglich eineAusnahme war, wir respektieren, dass ein solches Instru-ment hier im Parlament, insbesondere zu später Stunde,genutzt wird, und es keinerlei Diffamierungen der ent-sprechenden Kolleginnen und Kollegen gibt.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierungspricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär FritzRudolf Körper.F
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Dieser Gesetzentwurf ist eines der Leitpro-jekte dieser Bundesregierung zum Thema „ModernerStaat – Moderne Verwaltung“. Es ist ein wichtiges Geset-zesvorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode auf denWeg bringen. Der Staat muss sich ebenso wie die Wirt-schaft wettbewerbsfähig machen und einen entsprechen-den Beitrag leisten. Dazu ist es notwendig, die Verwal-tung zu modernisieren. Dazu gehört auch die Gestaltungder Bezahlungssysteme und deren leistungsorientierteAusrichtung; denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes öffentlichen Dienstes sind die wichtigste Ressourcezur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Ohne die Förderungder Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter kann eine wirklich zukunftsfähige Reform der öf-fentlichen Verwaltung nicht gelingen.Bereits 1997 gab es im Zuge des Dienstrechtsreform-gesetzes eine vorsichtige Lockerung der bis dahin starrenBesoldungsstrukturen. Wir hatten Leistungsstufen undLeistungszulagen eingeführt, und ich sage ausdrücklich,auch wir in der Opposition haben dies damals mitgetra-gen. Mit dem vorliegenden Entwurf will die Bundesre-gierung diese Leistungsausrichtung der Bezahlung im öf-fentlichen Dienst fortsetzen. Deswegen enthält dieserEntwurf ein Bündel von Regelungen zur Flexibilisierungdes Besoldungsrechts.Ich möchte mich jetzt auf zwei Elemente des Gesetz-entwurfs konzentrieren, nämlich die Einführung von Be-zahlungsbandbreiten im gehobenen und höheren Dienstsowie die Regelungen zur Modernisierung des Familien-zuschlags.Es ist vorgesehen, Bezahlungsbandbreiten über dreiBesoldungsgruppen im Eingangsamt und im erstenBeförderungsamt des gehobenen und höheren Diensteseinzuführen. Dies bedeutet eine vorsichtige Öffnung derEinstiegsebenen dieser Laufbahngruppen für variableBewertungen und Einstufungen. Künftig soll die Ein-gangsbezahlung nach Aufgabe und nach Anforderung dif-ferenziert werden können. Damit schaffen diese Bezah-lungsbandbreiten Gestaltungsspielräume für individuelleLeistungsprofile einerseits und die Berücksichtigung all-gemeiner arbeitsmarktpolitischer Gesichtspunkte ande-rerseits. Es entspricht nach unserer Auffassung dem Leit-bild des aktivierenden Staates, dass diejenigen, die Perso-nalverantwortung tragen – übrigens auch die Gemeindenund die Gemeindeverbände –, nicht unnötig durch bun-des- oder auch landeseinheitliche Vorschriften gegängeltwerden. Es gilt vielmehr, eine individuell richtige undleistungsorientierte Bewertung auch im Interesse der Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter möglich zu machen. Dieshaben auch die kommunalen Spitzenverbände im Vorfeldder parlamentarischen Beratung zu Recht deutlich ge-macht.Ich bedaure es, dass der Bundesrat zu dieser zentralenRegelung des Entwurfs mit knapper Mehrheit ablehnendStellung genommen hat. Hinter der ablehnenden Haltungdes Bundesrates verbirgt sich offensichtlich die Furchtvor einem Wettlauf unter den einzelnen Dienstherren umdie besten Bewerber. Ich meine, dass wir dies noch ein-mal aufgreifen müssen. Ich meinerseits teile diese Furchtnicht. Die vorhandenen Ressourcen, also die für dieBesoldung der Beamtinnen und Beamten vorhandenenHaushaltsmittel und Planstellen, werden nämlich durchdas Besoldungsstrukturgesetz überhaupt nicht angetastet.Der Kuchen wird weder größer noch kleiner. Durch dasInstrumentarium des Besoldungsstrukturgesetzes erhal-ten die Dienstherren jedoch die Möglichkeit an die Hand,die vorhandenen Mittel sinnvoller und gerechter zu ver-teilen.Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzentwurfs ist dieModernisierung des Familienzuschlags. Zwingender ge-setzgeberischer Handlungsbedarf besteht bei den kinder-bezogenen Anteilen für die dritten und weiteren Kindervon Beamtinnen und Beamten. Es ist erforderlich – daswill ich mit Nachdruck sagen –, die Entscheidung desBundesverfassungsgerichts vom November 1998 nun-mehr dauerhaft umzusetzen. Die Erhöhungsbeträge neh-men damit zukünftig auch an allen Dynamisierungen derBesoldung teil. Hierüber besteht zwischen Bund und Län-dern Einvernehmen.Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, dassdie Regelungen zum Familienzuschlag vor dem Hinter-grund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse insge-samt auf den Prüfstand gehören. Dies gilt insbesonderefür den so genannten Verheiratetenzuschlag, den bisheralle verheirateten Beamten, Richter und Soldaten erhal-ten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Sie, Herr Belle,1997 in der Union dazu auch Vorschläge gemacht haben,die Sie aber offensichtlich innerhalb Ihrer Koalition nichtdurchsetzen konnten. Die Frage ist erlaubt, welchen Sinnes machen soll, diese Förderung in einem besonderen Be-zahlungssystem vorzunehmen, das nur eine bestimmtegesellschaftliche Gruppe begünstigt. Die Förderung vonEhe und vor allem von Familien mit Kindern ist vielmehreine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit der Steuer-reform 2000 haben wir das größte Steuersenkungspro-gramm der deutschen Nachkriegsgeschichte umgesetztund, wie ich meine, insbesondere auch Familien mit Kin-dern ganz entscheidend geholfen.Der Antrag Sachsens im Bundesrat – alles kann beimAlten bleiben – vertritt keine Haltung und weist auchnicht in die Zukunft; denn wir müssen wissen, dass dann
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss17693
1) Anlage 4die Erhöhungsbeträge für das dritte Kind und weitere Kin-der in Höhe von fast 300 Millionen DM jährlich ohne Ge-genfinanzierung blieben. Im Klartext bedeutet dies: Aufdie öffentlichen Haushalte vor allem in den Ländern kä-men erhebliche Zusatzkosten zu.Ich möchte aber deutlich machen, dass die Bundesre-gierung gern bereit ist, noch während des Gesetzge-bungsverfahrens konkrete Festlegungen zur Verwendungdieser Mittel im Besoldungssystem vorzulegen. Deswe-gen beraten wir, und ich denke, dass wir in dieser Hinsichteine gute Entscheidung finden können.Schönen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kol-legen! Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nach21 Uhr nicht mehr im Plenum des Bundestages zu reden,weil zu dieser Zeit die Aufmerksamkeit doch generell sehrzu wünschen übrig lässt. Darum haben wir als Besol-dungs- und Dienstrechtspolitiker in den letzten beidenRunden zum Dienstrecht und zum Besoldungsrecht un-sere Reden alle zu Protokoll gegeben. Aber, meine Damenund Herren, als Opposition kann man und darf man die-sen Gesetzentwurf auch nach 21 Uhr in erster Lesungnicht unkommentiert durchgehen lassen, Herr Staatsse-kretär Körper.
„Mit dem Kopf durch die Wand!“ An diese Redewen-dung musste ich unwillkürlich denken, als ich das ersteMal diesen Gesetzentwurf nebst Stellungnahme des Bun-desrates und Gegenäußerung der Bundesregierung über-flogen hatte. Da werden die wesentlichen Bestimmungendieses Entwurfs von einer nicht zu knappen Mehrheit derBundesländer – gleichgültig, ob SPD- oder CDU- bzw.CSU-geführt – generell abgelehnt.
Zum Teil werden verfassungsrechtliche Bedenken erho-ben. Aber dieses Gesetz bedarf – wie Sie sehr wohl wis-sen – der Zustimmung des Bundesrates. Trotzdem wirddieser Gesetzentwurf eingebracht und soll heute in ersterLesung beraten werden. Da frage ich mich: Was soll das?Am Rande sei noch vermerkt, dass der Entwurf natür-lich auch vom Beamtenbund und von den Beamtenge-werkschaften des DGB in den wichtigsten Bestimmungenabgelehnt wird. Unter diesen Umständen und bei dieserAusgangslage können wir als CDU/CSU-Fraktion diesemGesetzentwurf nicht zustimmen; denn ohne die Zustim-mung des Bundesrates fehlt es an einer wesentlichenGrundvoraussetzung.Ich will aber ganz kurz – ich werde meine Redezeitheute Abend sicherlich nicht in vollem Umfange in An-spruch nehmen – noch auf einige bedeutsame inhaltlicheEinzelheiten eingehen.Zur beabsichtigten Einführung von Bandbreiten imhöheren und gehobenen Dienst sollen die Eingangsämterum je eine Stufe nach oben und nach unten gespreizt wer-den. Kriterien für diese Bandbreiteneinstufung sollenFunktionsanforderung, fachliche Qualifikation, aber auch– jetzt kommt es – die Haushaltslage sein, Herr Staatsse-kretär. Das haben Sie vorhin nicht erwähnt. Wir wissenaber, dass die Haushaltslage überall bei Bund und Län-dern ziemlich klamm ist. Dies wird sich also nach unsererMeinung fast ausschließlich als reine Sparmaßnahme aus-wirken, die von uns so nicht mitgetragen werden kann.Außerdem ist die Zersplitterung des Besoldungsrechtszu befürchten; der Wechsel von Beamten zwischenreichen und armen Bundesländern wird erschwert. Einederartige Regelung ist natürlich auch politisch miss-brauchsanfällig; die Patronage politisch genehmer Beam-ter ist nicht ausgeschlossen. Die Einheitlichkeit der Be-soldung im Bundesgebiet und auch innerhalb einzelnerLänder ist damit nicht mehr gewährleistet.Übrigens ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße-rung auf die insoweit vorgebrachten verfassungsrechtli-chen Bedenken des Bundesrates nicht eingegangen.Zur Streichung des Verheiratetenzuschlages. Künftigsollen verheiratete Beamte keinen Familienzuschlag mehrerhalten. An heute bereits Verheiratete wird er „eingefro-ren“ weitergezahlt.Meine Damen und Herren, da ist mir heute zufällig einePresseerklärung, ein Zitat auf den Tisch geflattert, in demes so schön heißt – wenn ich das einmal zitieren darf –:Wer den Verheiratetenzuschlag streicht, um denKinderzuschlag aufzustocken, nimmt den Beamten-familien aus der linken Tasche, was er in die rechteTasche steckt.Zitat eines DGB-Vorstandsmitglieds – hier in Berlin heuteam Donnerstag veröffentlicht. Dem ist eigentlich nichtsmehr hinzuzufügen.
Auch dieser Vorschlag wird daher von uns abgelehnt.Die Streichung ist sozial unausgewogen und kleineBeamte werden relativ stark belastet. Diese Streichung istaber auch deshalb unvertretbar, weil – das ist dasEntscheidende – im Tarifbereich weiterhin ein solcher Zu-schlag gezahlt wird. Das war auch der Grund, Herr Staats-sekretär, warum wir damals die Sache nicht weiterverfolgthaben. Aber auch hier ist die Bundesregierung in ihrer Ge-genäußerung nicht auf die verfassungsrechtlichen Beden-ken des Bundesrats eingegangen.Des Weiteren wird eine Zulage für Wahrnehmungenbefristeter Funktionen vorgesehen. Die oberste Dienst-behörde soll also entscheiden können, dass für herausge-hobene Funktionen eine Zulage gezahlt werden kann. Wirlehnen diese neue Zulage ab, weil Zulagen abgebaut undnicht neu eingeführt werden sollten – wie wir es im Übri-gen auch im Dienstrechtsreformgesetz in der vorherigenLegislaturperiode realisiert haben –,
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper17694
weil bereits jetzt nach § 46 Zulagen für die Wahrnehmungeines höherwertigen Amtes gezahlt werden können, weildas Budgetrecht des Parlaments zugunsten der personal-verwaltenden Stellen unterhöhlt wird und weil diese Zu-lage bereits heute als „Pressesprecherzulage“ betiteltwird, weil sie zwangsläufig missbraucht werden kann.Meine Damen und Herren, wie mit diesem Gesetz denMitarbeitern neue Perspektiven eröffnet und ihr Leis-tungswille gefördert werden soll – so ist es in den Ziel-vorstellungen des Gesetzentwurfs formuliert –, muss derFantasie der Verfasser überlassen bleiben. Ich kann Ihnenauf jeden Fall bereits heute prophezeien: Sie werden mitdiesem Gesetz eher das Gegenteil erreichen. Mit solchenEntwürfen werden Sie Ihr Programm „Moderner Staat –Moderne Verwaltung“ mit Sicherheit nicht realisierenkönnen. Wir werden den Gesetzentwurf daher ablehnen.Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Helmut
Wilhelm.
Helmut Wilhelm (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute wird ein weiteres Mosaikstück auf dem
Weg zur Verwirklichung des Programms „Moderner Staat
– Moderne Verwaltung“ auf seinen parlamentarischen
Weg gebracht.
Dem Anliegen, unseren Staat effizienter und bürger-
freundlicher zu gestalten und damit von einem rein ver-
waltenden zu einem aktivierenden Staatsleitbild zu gelan-
gen, kommen wir durch das Anpacken der herrschenden
starren Besoldungsstruktur einen großen Schritt näher.
Damit wird der entsprechenden Koalitionsvereinbarung
Rechnung getragen. Denn der vorliegende Gesetzent-
wurf, mit dem der Einrichtung variabler Besol-
dungsbandbreiten – im ersten Schritt für die Einstiegs-
ebenen im gehobenen und höheren Dienst – der Weg
bereitet wird, schafft für die jeweiligen Dienstherren in
Bund und Ländern Gestaltungsspielräume, um gezielter,
marktgerechter und flexibler auf arbeitsmarkt- und be-
schäftigungspolitische Situationen reagieren zu können.
Durch diesen entscheidenden Beitrag zur Flexibilisie-
rung wird für diesen Bereich ein zentralistisches Einstu-
fungssystem abgelöst, das nicht mehr in die von Rot-Grün
geplante moderne und aktivierende Verwaltung hinein-
passt. Denn die grundsätzlich bundeseinheitliche Zu-
ordnung der Ämter zu einer einzigen Besoldungsgruppe
lässt für aufgaben- und anforderungsbezogene Diffe-
renzierungen keinen Raum.
Zu viele unterschiedliche Kriterien werden in einer Be-
soldungsgruppe angeglichen und damit nivelliert. Darum
soll zukünftig die Einstufungskompetenz innerhalb einer
vorgegebenen Bandbreite von drei Besoldungsgruppen
für den gehobenen und höheren Dienst dem jeweiligen
Dienstherren zufallen. Regional-, berufsgruppen-, aufga-
ben- oder dienstherrenspezifische Differenzierungen sol-
len damit zukünftig möglich sein.
Meine Damen und Herren, diese Art der flexiblen Be-
soldung beinhaltet auch eine Öffnung nach oben. Die
Dienstherren können ihren Mitarbeitern und Mitarbeite-
rinnen Perspektiven bieten und dadurch deren Motiva-
tion, leistungsorientiert, kreativ und eigenverantwortlich
tätig zu sein, enorm fördern. Als Anreiz kommt der Be-
soldungsgruppenaufstieg ohne Funktionswechsel und das
Überspringen von Besoldungsgruppen in Betracht. Dies
trägt den Geist „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“
direkt in den Beamtenapparat hinein. Das wiederum wird
der Schlüssel zur Verwirklichung dieses Programms sein.
Die Motivation der Beschäftigten muss mit allen Mitteln
gestärkt werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist die
zeitgemäße Anpassung der Besoldung an die veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse. Darum
wird auch der Familienzuschlag modernisiert.
Meine Damen und Herren, dies haben wir Grüne schon
immer gefordert. Dem modernen Familienbegriff, der
sich an der Existenz von Kindern und nicht etwa an der
standesamtlichen Trauung orientiert, wird zukünftig
durch die entsprechende Verbesserung der kinderbezoge-
nen Leistungen Rechnung getragen. Der so genannte Ver-
heiratetenanteil wird zurückgedrängt und zur Finanzie-
rung für die Erhöhung des Familienzuschlages für dritte
und weitere Kinder verwendet. Langfristig führt das sogar
zu einer Überkompensierung und damit zu Einsparungen.
Hier sollte man allerdings vielleicht nochmals nachden-
ken, ob nicht eine weitere Stärkung der Familienkompo-
nente sinnvoll wäre.
Mit der Erhöhung des kinderbezogenen Anteils im Fa-
milienzuschlag für dritte und weitere Kinder um jeweils
200 DM monatlich werden auch die Forderungen des Be-
schlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. No-
vember 1998 umgesetzt.
Ich meine, der Entwurf der Bundesregierung mit sei-
nen durchaus zukunftsweisenden Regelungen kann sich
sehen lassen.
Danke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Heidemarie Ehlert für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Es ist ganz erstaunlich, wie Gesetz-entwürfe Chamäleons gleichen. Ziel des vorliegendenEntwurfes soll sein, das Programm „Moderner Staat– Moderne Verwaltung“ umzusetzen. Was immer manauch darunter versteht – es klingt zunächst gut. EineDienstrechtsreform steht schon lange ins Haus, die Büro-kratie muss entrümpelt und dringend bürgernäher gestal-tet werden. Das Anliegen der Schaffung einer modernenVerwaltung ist begrüßenswert.
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Meinrad Belle17695
Schaut man sich den Entwurf dann aber näher an, somuss man feststellen: Der Regierung geht es erst in zwei-ter Linie um eine moderne Verwaltung, in erster Liniegeht es knallhart ums Geld, das gespart werden soll.Nehmen wir nur den geplanten § 24 a, das Bandbrei-tenmodell. Mit diesem Modell will die Bundesregierungeine Flexibilisierung der Bezahlung im Eingangs- und imersten Beförderungsamt des gehobenen und höherenDienstes erzielen. Das individuelle Leistungsprinzip sollstärker berücksichtigt werden. Das klingt alles ganz toll;damit könnte ich umgehen. Aber auch die Arbeitsmarkt-lage und die finanzielle Situation der jeweiligen Dienst-herren könnten für eine entsprechende Einstufung in diejeweilige Besoldungsgruppe ausschlaggebend sein. Beiden gegenwärtigen Arbeitslosenzahlen könnte – der Wegist frei – diesbezüglich ein „Niedriglohnsektor“ im öf-fentlichen Dienst vorprogrammiert sein.
Fachspezialisten – ich nenne nur das Stichwort IT –, diein einer modernen Verwaltung gebraucht würden, werdengleich in die Wirtschaft gehen. Einige Länder könntenalso aufgrund der Arbeitsmarktlage oder aufgrund ihrerleeren Kassen dann versuchen, die Gehälter abzubauen.Reiche Länder könnten sich dann hoch qualifiziertes Per-sonal leisten, andere nicht. Nicht umsonst plädiert Hessenim Bundesrat für die genannte Bandbreitenregelung. Ge-rade die Auseinandersetzungen um die Abwerbung derLehrer und Lehrerinnen hat doch gezeigt, dass es ebennicht egal ist, wie viel verdient wird. Ausgehend davonhat die Bundesregierung nun die Lehrer und Lehrerinnendes gehobenen Dienstes aus dem Bandbreitenmodell her-ausgenommen. Aber was machen wir mit den Gymnasial-und Berufsschullehrern und -lehrerinnen?Wir stimmen mit dem Bundesrat und den Gewerk-schaften völlig überein: Das Bandbreitenmodell sollte er-satzlos gestrichen werden.
Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, derschon durch die unterschiedliche Vergütung Ost/West ge-brochen ist, sollte nicht mit einer Einteilung in arme undreiche Länder endgültig aufgehoben werden.
Neben dem Bandbreitenmodell gibt es noch eine ganzeReihe weiterer Streitpunkte, die darzulegen ich im Mo-ment keine Zeit mehr habe.Ob mögliche Kompromisslösungen, Herr Staatssekre-tär, aber den vorliegenden Gesetzentwurf besser machenwürden, stelle ich hiermit in Frage. Eine grundlegendeDienstrechtsreform wird gebraucht und die liegt leidernicht vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Peter Kemper für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Modernisie-rung der Besoldungsstruktur ist richtig und wichtig. Ermusste vorgelegt werden. Im Übrigen, Herr Belle, wirwollen nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Regie-rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen greifenvielmehr Dinge auf, die Ihre Regierung, die Vorgängerre-gierung, in Details bereits in Angriff genommen hat unddie richtig waren, die aber in Ansätzen stecken gebliebensind. Das damalige Vorhaben setzen wir fort und verbes-sern es.Im Rahmen des Programms „Aktivierender Staat“ solldas Besoldungsrecht flexibler gestaltet und mit deutlichenAnreizen versehen werden. Das fehlt jetzt. Der Grundsatz„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist zwar richtig; aberim öffentlichen Dienst wird nicht die gleiche Arbeit ge-leistet. Diejenigen, die sich der Verantwortung stellen unddie besonderen Belastungen unterworfen sind, sollenauch besonders bezahlt werden.
Das muss in engem Einvernehmen mit den Ländern undden Kommunen erfolgen. Denn das sind diejenigen, diedie meisten Beamten beschäftigen.Ich will nun auf die Hauptpunkte eingehen, die hiermehrfach angesprochen worden sind: Das ist zum einendie Einführung von Bezahlungsbandbreiten. Das jetzigeBezahlungssystem wird überwiegend durch Ämter, durchBeförderungen und Besoldungsordnungen, bestimmt. DieEingangsämter sind im Regelfall einer einzigen Besol-dungsgruppe zugeordnet. Herr Belle, Sie haben im Übri-gen schon einmal im Jahre 1997 damit begonnen, Leis-tungsanreize und Leistungskomponenten im Rahmen derDienstaltersstufen einzuführen.
Das war vernünftig, wenngleich die Zulagen und die Leis-tungsprämien einige Webfehler hatten, sodass das einigeLänder nicht umgesetzt haben. Da bestanden sehr großeUngerechtigkeiten.Die Besoldung der Eingangsämter im gehobenenDienst und im höheren Dienst soll über drei Gruppen ge-spreizt werden. Das eröffnet den Behörden die Möglich-keit, aus einer Vielzahl von qualifizierten Bewerbern denBesten herauszusuchen und ihm im Hinblick auf die Ein-stufung entsprechende Angebote zu machen. Das warvorher nicht möglich.Ich kenne allerdings die Sorgen und Ängste, die mitdiesem Verfahren einhergehen; ich will dies gar nicht be-streiten. Die Berufsvertretungen befürchten, dass diesesInstrument als Sparinstrument missbraucht wird. Dieneuen Bundesländer befürchten, dass ihnen die alten Bun-desländer aufgrund des neuen Angebotes, das dann mög-lich ist, die qualifiziertesten Mitarbeiter abwerben unddass nur die mittelmäßig und die gering qualifizierten inden neuen Bundesländern bleiben.Der Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Bundeslän-dern um die Lehrer, den wir in letzter Zeit erlebt haben,war ein ungutes Beispiel. Ich denke, über diese Einzel-
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Heidemarie Ehlert17696
heiten muss noch einmal gesprochen werden. Verände-rungen im Detail hat der Staatssekretär angekündigt;Kompromisse sind möglich. Darüber werden wir nocheinmal sprechen. Vielleicht kann man bestimmte Berufs-gruppen aus dieser Regelung herausnehmen.Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags ist proble-matisch – das zu bestreiten wäre völlig unehrlich –, wenn-gleich es überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass dasgesamte Zulagenwesen oder -unwesen einmal durchfors-tet und durchschaubarer, vergleichbarer und schlanker ge-macht werden muss.
Außerdem soll nicht in erster Linie das Verheiratetsein un-terstützt werden, sondern das Kinderhaben, die Familie.
Das ist aber nur ein Grund. Zur Ehrlichkeit gehört: DieUmsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils für dasdritte und folgende Kind eines Beamten kostet Geld. Dasmuss innerhalb des Systems erwirtschaftet werden. Auchdeswegen kommt es zu dieser Regelung.Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags führt bei denBeamten im Endergebnis zu Gehaltseinbußen von rund180 DM pro Monat. Selbst eine großzügige Vertrauens-schutzregelung, die den Ländern im Übrigen viel zu weitgeht – über die muss man sicherlich auch noch sprechen –,ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Man muss sich vorAugen führen – ich bleibe einmal in meinem Bereich –,dass bei Polizisten, die nach A 7 besoldet werden, die inBallungszentren versetzt werden und deren Ehefrau ausirgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist zu arbeiten,fast das gesamte Gehalt für die Miete gebraucht wird. Ichdenke, wir werden sehr darauf achten müssen, dass es ge-rade im Bereich des einfachen und mittleren Dienstes zusozialen Abfederungen kommt und dass das Alimenta-tionsprinzip, das grundgesetzlich geschützt ist, nicht aus-gehebelt wird.
Ich will zu den Planstellenobergrenzen noch ein paarWorte verlieren: Es ist richtig, die Entscheidungskompe-tenzen über die Planstellenobergrenzen dorthin zu verla-gern, wo die Entscheidungen konkret getroffen werden.Das ist eine vernünftige Geschichte; denn je weiter manvom Geschehen entfernt ist, desto schwieriger wird dieEinschätzung.Auf die Fragen der Zulagenregelung will ich nur kurzeingehen: Ich denke, es ist richtig, von entsprechendenLeistungsbreiten auszugehen, das heißt, Zulagen bis zurdritten folgenden Besoldungsgruppe zu gewähren. Auchim öffentlichen Dienst muss gelten: Wer sich besonderseinsetzt und viel Verantwortung trägt, muss eine entspre-chende Vergütung erhalten.Ich kenne es aus eigener Erfahrung: Von den Kollegin-nen und Kollegen auf der Dienststelle haben sich einigeaufgerieben, während andere faul waren. Es gab nichtsSchlimmeres für die Motivation, als wenn alle gleich be-handelt wurden. Es muss daher Differenzierungsmöglich-keiten geben. Der öffentliche Dienst muss leistungsorien-tierter ausgerichtet werden; darüber sind wir uns völlig ei-nig. Das muss unter Beachtung sozialer Aspektegeschehen; auch darüber sind wir uns einig.Im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf spreche ich mitmeinem Fraktionsvorsitzenden, Peter Struck: Nur in denseltensten Fällen ist ein Gesetzentwurf so aus dem Ver-fahren herausgekommen, wie er hineingegangen ist.Möglicherweise gilt das auch für diesen Entwurf.
Ich bin aber auch sicher, dass es unsere Regierung undunsere Koalitionsfraktionen nicht zulassen werden, dassder öffentliche Dienst das Sparschwein der Nation wirdund die Beamten die Prügelknaben der Gesellschaft wer-den. Darauf werden wir achten, wir werden das nicht zu-lassen.
Ich bin mir aber auch sicher, dass sich der öffentlicheDienst in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche dennotwendigen Veränderungen nicht verschließen wird. Vondaher ist mein Vertrauen in den öffentlichen Dienst rela-tiv groß. Ich denke, wir werden zu einer vernünftigen Lö-sung kommen.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-sprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/6390 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe Ein-verständnis im gesamten Hause. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu-satzpunkt 8 auf:16. Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenDr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Dr. RuthFuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derPDSReform des Familienlastenausgleichs– Drucksachen 14/4983, 14/6230 –ZP 8 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Heidema-rie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder PDSExistenzminimum realitätsnah ermitteln– Drucksache 14/6444 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
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Hans-Peter Kemper17697
Ausschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussDie Kolleginnen Ingrid Arndt-Brauer, Elke Wülfing,Christine Scheel und Ina Lenke haben ihre Reden zu Pro-tokoll gegeben.1)Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsiden-tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dassSie so lange ausgeharrt haben und ich die Möglichkeit er-halte, zur Beantwortung der Großen Anfrage der PDS zurReform des Familienlastenausgleichs zu sprechen.Wir befinden uns in einer langen Diskussion über dieNeugestaltung des Familienlastenausgleichs. Die PDS-Fraktion hat deshalb der Regierung einen Fragenkatalogmit 76 Fragen vorgelegt. Wir dachten, dass es möglichwird, eine bessere Datenbasis und eine gesichertereGrundlage zu gewinnen, um uns, aber auch den anderenKolleginnen und Kollegen des Hauses, mehr Möglichkei-ten für eine politische Antwort geben zu können.Allerdings lässt sich die Antwort der Bundesregierungauf unsere Große Anfrage sehr ernüchternd in einem Satzzusammenfassen: Sie ist flach, feige, widersprüchlich undkonzeptionslos. Um das zu verdeutlichen, greife ich dieFrage 27 auf:Inwieweit– ein deutsches Wort mit einem sehr konkreten Inhalt –deckt der Betreuungsfreibetrag einen „erwerbsbe-dingten“ Betreuungsbedarf und inwieweit deckt ereinen „allgemeinen“ – nicht durch die Erwerbsarbeitveranlassten – Betreuungsbedarf ab?Es war sogar eine zweigeteilte Frage. Die Antwort lautet:Der Betreuungsfreibetrag deckt den Betreuungsbe-darf eines Kindes ab.Ich denke, diese oberflächliche Antwort sagt schon sehrviel aus.Wir haben mit dem Urteil des Bundesverfassungsge-richts zur Regelung des Familienlastenausgleichs von1998 eine Entscheidung bekommen, bei der sich alle da-rüber einig sind, dass sie – um es vorsichtig zu formulie-ren – im Vergleich zu früheren Entscheidungen nichtganz widerspruchsfrei ist und dass sie auslegungsbedürf-tig und auslegungsfähig ist. Ich denke aber, der konkreteGesetzentwurf der Bundesregierung zeigt: Für einen kri-tischen und konstruktiven Umgang mit diesen Beschlüs-sen fehlt der Bundesregierung der Mut. Vor allem fehlenihr eigene Vorstellungen über die Richtung ihrer Famili-enpolitik.Da die Freistellung des Existenzminimums von Kin-dern von der Besteuerung vonseiten des Staates Zielstel-lung ist, muss man sehr konkret darüber sprechen, was dasExistenzminimum eines Kindes ist. Was ist das sächlicheExistenzminimum und was ist der – vom Bundesverfas-sungsgericht festgestellte – darüber hinaus bestehendeexistenzielle Betreuungs- und Erziehungsbedarf? Es istnatürlich schwierig, den vom Bundesverfassungsgerichtrichtig erkannten Bedarf – wobei nicht zu leugnen ist, dasser auch Kosten verursacht – im Einkommensteuerrecht zuverankern; denn ein imaginärer Bedarf lässt sich schwerin Zahlen ausdrücken.
Es sind eben kaum konkret bezifferbare Aufwendungen.Das Bundesverfassungsgericht nennt eine Zahl von5 000 DM. Die Bundesregierung spricht von 3 000 oder4 000 DM. Warum diese Beträge vorgeschlagen werden,ist nirgends zu erfahren. Auf unsere konkreten Fragen ge-ben Sie keine Antwort. Der Hintergrund ist wahrschein-lich, dass genau dieser Freibetrag eine der Hauptursachenfür die völlig ungerechte, unsoziale Ausgestaltung des Fa-milienlastenausgleichs – leider auch vonseiten der rot-grü-nen Regierung – ist.
Denn zusammen mit dem Kinderfreibetrag beträgt dieSteuererstattung für Familien mit sehr hohem Einkom-men monatlich 459 DM pro Kind, während sie bei Fami-lien mit mittlerem und niedrigem Einkommen dadurch,dass diese beiden Freibeträge oftmals gar nicht greifen,nur 300 DM betragen wird – so wir in der nächsten Wo-che die Erhöhung des Kindergeldes für das erste undzweite Kind um je 30 DM beschließen werden.Sie sagen selbst, dass sich die Bestimmung der Min-desthöhe des Betreuungsfreibetrages nicht aus derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt.Was außer ihrer eigenen Feigheit, frage ich mich, hindertdie Bundesregierung nun daran, den Betreuungsfreibe-trag, der ohnehin nur einigen Spitzenverdienern nutzt,abzusenken und dafür das Kindergeld um 10, 20 oder30 DM zu erhöhen und die Kinderbetreuungskosten stär-ker als geplant unter anderem dadurch zu berücksich-tigen,
dass man bereits die erste Mark der Kinderbetreuungskos-ten wieder steuerlich geltend machen kann? Damit wäredas Gesetz zur Förderung von Familien zwar noch immerkeine Familienförderung, aber zumindest um eine Unge-rechtigkeit ärmer.Dieser Freibetrag, der ja nun in Betreuungs-, Erzie-hungs- und Ausbildungsfreibetrag umbenannt werdensoll, soll den Kinderfreibetrag ergänzen. Der Kinderfrei-betrag soll das sächliche Existenzminimum sicherstel-len. Dieses – Essen, Kleidung, Wohnen – lässt sich in Kor-relation zur Sozialhilfe bestimmen. Ihr Vorschlag jedoch,den wir nächste Woche hier annehmen sollen, ihn auf7 135 DM zu erhöhen, ist meines Erachtens etwas sehrvoreilig. Die Bundesregierung muss alle zwei Jahre einenBericht über das Existenzminimum vorlegen.
Auf diesen Bericht warten wir jetzt; wir haben ihn nochnicht. Trotzdem müssen Sie Ihr Gesetz zur so genannten
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Vizepräsidentin Petra Bläss17698
1) Anlage 5Familienförderung – was es eben nicht ist – schnell imBundestag durchbringen. Warum wohl? – Weil sich dannzeigen wird, dass Ihre Zahlen viel zu niedrig sind. Daswill ich noch einmal deutlich sagen.SPD, Grüne und PDS sind sich einig darüber, dass das,was die alte Bundesregierung getan hat, auch weit hinterden Erfordernissen zurückgeblieben ist.
Vergleichen wir einmal die Zahlen: 1994 hatte diese Re-gierung noch ein Existenzminimum von monatlich613 DM pro Kind ermittelt. Im Jahre 2001 kommt die ge-genwärtige Bundesregierung zu einen Betrag von564 DM, und das, obwohl wir inzwischen eine Steigerungder Lebenshaltungskosten um 8,6 Prozent haben. Da zeigtsich schon ganz klar, dass Sie uns die Zahlen bewusst ver-schweigen, weil Sie sonst handeln müssten. Das würdeGeld kosten,
welches Sie nur für ertragsstarke Unternehmen, für diegroßen Monopole haben, aber nicht für Kinder und Fami-lien. Das ist ein großer Nachteil Ihrer Familienpolitik.Es ist erschreckend, dass Sie sich immer weiter von derZielstellung, von der vom Bundesverfassungsgericht ge-forderten steuerlichen Freistellung des Existenzmini-mums – sie ist ohnehin notwendig – entfernen und versu-chen, der Öffentlichkeit etwas anderes darzubringen. VonFamilienförderung allerdings kann erst dann gesprochenwerden, wenn man über die Freistellung des Existenzmi-nimums hinausgeht.Wir fordern Sie auf: Legen Sie endlich einen Berichtüber das tatsächliche Existenzminimum vor. Darüberwerden wir dann im Rahmen der Erörterung unseres Ent-schließungsantrages im Ausschuss beraten. Ich hoffe,dass Sie dann auf dieser Grundlage doch bereit sind, dieRealitäten wahrzunehmen und auch entsprechend in derFamilienpolitik umzusetzen.Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-
lage auf Drucksache 14/6444 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe im
Saal keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R.
Werner Schuster, Reinhold Hemker, Horst
Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian
Ströbele, Kerstin Müller , Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nut-
zung angepasster, erneuerbarer Energien in
den Entwicklungsländern
– Drucksache 14/5486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Adler, Dr. Ralf
Brauksiepe, Dr. Angelika Köster-Loßack, Joachim
Günther und Carsten Hübner haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben1). – Ich sehe Einverständnis im gesamten
Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5486 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hier sehe ich
Einverständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ist es so weit:
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages ein auf morgen, Freitag, den 29. Juni 2001, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.