Protokoll:
14179

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 179

  • date_rangeDatum: 28. Juni 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:36 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Christa Lörcher . . . . . . . . . . . . . . . . . 17543 A Bestimmung des Abgeordneten Klaus Brandner als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungs- ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17543 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 17543 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 14, 23, 24, 26 und 30 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17544 B Umstellung und Erweiterung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17544 B Geänderte bzw. nachträgliche Ausschussüber- weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17544 B Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Rechts des Na- turschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvor- schriften (BNatSchGNeuregG) (Drucksache 14/6378) . . . . . . . . . . . . . . . 17544 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigentumsrechte nicht durch falsche Na- turschutzpolitik aushöhlen (Drucksachen 14/1113, 14/4572) . . . . . . . 17544 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 17545 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17546 D Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17549 A Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17550 D Dr. Wolfgang Methling, Minister (Mecklen- burg-Vorpommern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17553 A Karsten Schönfeld SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17554 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17556 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 17558 A Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17559 B Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17561 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17563 C Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der F.D.P.: Verbesserung der internationalen At- traktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutsch- land (Drucksache 14/3339) . . . . . . . . . . . . . 17565 A b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Bildungsschecks für mehr Qualität und Wettbewerb an Hoch- schulen in Deutschland (Drucksache 14/3518) . . . . . . . . . . . . . 17565 A Plenarprotokoll 14/179 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 179. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 I n h a l t : c) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Naturwis- senschaftlicher Wettbewerb an deut- schen Schulen (Drucksache 14/4270) . . . . . . . . . . . . . 17565 B d) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Ökonomi- sche Komponente in der Lehreraus- bildung entschieden ausbauen (Drucksache 14/4271) . . . . . . . . . . . . . 17565 B e) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Bessere Rahmenbedingungen für aus- ländische Studierende in Deutschland (Drucksache 14/5250) . . . . . . . . . . . . . 17565 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sonderpro- gramm zur Sicherung und Erhöhung des Niveaus der Landes- und Hoch- schulbibliotheken am Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland (Drucksachen 14/5105, 14/6195) . . . . 17565 C g) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die internationale Attraktivität und Leis- tungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland für ausländische Studierende und junge Wissenschaftlerinnen stärken (Drucksache 14/6209) . . . . . . . . . . . . . 17565 D h) Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Bericht über die Erfahrungen bei der Anwendung des Hochschul- zeitvertragsgesetzes (Drucksache 14/6212) . . . . . . . . . . . . . 17565 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser (Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: „Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizienz für den wachsenden Bil- dungsmarkt (Drucksache 14/6437) . . . . . . . . . . . . . . . 17566 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- und Wirt- schaftsstandorts Deutschland durch Aus- bildung hoch qualifizierter Fachkräfte (Drucksache 14/6445) . . . . . . . . . . . . . . . 17566 A Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17566 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMFB 17568 B Cornelia Pieper F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 17569 A Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17571 C Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17573 B Krista Sager, Senatorin (Hamburg) . . . . . . . . 17575 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17576 D Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17577 D Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 17579 B Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 17582 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17583 D Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17585 D Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17587 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17588 A Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU 17589 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17589 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 17590 C Tagesordnungspunkt 29: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von Kos- tenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (Drucksachen 14/6203, 14/6449) . . . . 17592 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Überein- kommens vom 14. Juli 1967 zur Er- richtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Drucksache 14/6260) . . . . . . . . . . . . . 17592 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001II c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Zweiten Gesetzes zur Familien- förderung (Drucksachen 14/6411, 14/6452) . . . . 17592 B d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte (Drucksache 14/6409) . . . . . . . . . . . . 17592 C e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Wohn- ortprinzips bei Honorarvereinbarun- gen für Ärzte und Zahnärzte (Drucksachen 14/6410, 14/6450) . . . . 17592 C f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Anpassung der Re- gelungen über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung (Festbetrags-Anpassungsgesetz) (Drucksachen 14/6408, 14/6451) . . . . 17592 C g) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsor- ganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnah- men zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Drucksache 14/6107) . . . . . . . . . . . . 17592 D h) Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der F.D.P.: Ver- besserung der Familienförderung (Drucksache 14/6372) . . . . . . . . . . . . 17592 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 29) a) Erste Beratung des von den Abge- ordneten Iris Gleicke, Hans-Günter Bruckmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzho- fen), Franziska Eichstädt-Bohlig, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeför- derungsgesetzes (PBefG) (Drucksache 14/6434) . . . . . . . . . . . . 17593 A b) Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbil- dung im Bildungssystem verankern – Chancengleichheit stärken (Drucksache 14/6435) . . . . . . . . . . . . 17593 A c) Antrag der Abgeordneten Tobias Marhold, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- geordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts- und Hochschulkooperationen mit Ent- wicklungs- und Transformationslän- dern (Drucksache 14/6442) . . . . . . . . . . . . 17593 B d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (Drucksache 14/6134) . . . . . . . . . . . . 17593 B Tagesordnungspunkt 30: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen und des Finanzverwaltungsgesetzes sowie zur Umrechnung zoll- und ver- brauchsteuerrechtlicher Euro-Beträ- ge (Zwölftes Euro-Einführungsge- setz) (Drucksachen 14/6143, 14/6458) . . . . 17593 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errich- tung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksachen 14/6370, 14/6465) . . . . 17593 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 III die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und derRepublik Ungarn andererseits eingesetzten Assozia- tionsrat zur Annahme von Vor- schriften zur Koodinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Polen andererseits eingesetzten Assozia- tionsrat zur Annahme von Vor- schriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Bulga- rien andererseits eingesetzten Assoziationsrat zurAnnahme von Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und derRepublik Estland andererseits eingesetzten Assozia- tionsrat zur Annahme von Vor- schriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Slowakischen Republik andererseits eingesetz- ten Assoziationsrat zur Annahme von Vorschriften zur Koordinie- rung der Systeme der sozialen Si- cherheit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Rumä- nien andererseits eingesetzten Assoziationsrat zurAnnahme von Vorschriften zur Koodinierung der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Slowe- nien andererseits eingesetzten Assoziationsrat zurAnnahme von Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Li- tauen andererseits eingesetzten Assoziationsrat zurAnnahme von Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Tschechischen Republik andererseits eingesetz- ten Assoziationsrat zur Annahme von Vorschriften zur Koordinie- rung der Systeme der sozialen Si- cherheit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Lett- land andererseits eingesetzten Assoziationsrat zurAnnahme von Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher- heit (Drucksachen 14/3146 Nr. 2.9 bis 2.18, 14/6312) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17594 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001IV e) – g) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 277, 278, 279 zu Petitionen (Drucksachen 14/6363, 14/6364, 14/6365) 17595 A Tagesordnungspunkt 27: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kommission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der Richtlinie 80/723/ EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentli- chen Unternehmen (Transparenz- richtlinie-Gesetz) (Drucksachen 14/5956, 14/6460) . . . . 17595 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom- mission vom 26. Juli 2000 zur Ände- rung der Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziel- len Beziehungen zwischen den Mit- gliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (Transparenzricht- linie-Gesetz) (Drucksachen 14/6280, 14/6460) . . . . 17595 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zurWelle derBeitragssatz- erhöhungen in der gesetzlichen Kran- kenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17595 D Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 17595 D Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17597 B Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 17598 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17599 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17601 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 17602 B Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17603 B Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 17604 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17606 C Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17607 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 17609 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17610 C Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17611 C Marga Elser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17612 C Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zum Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 (Drucksache 14/6146) . . . . . . . . . . . . 17613 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Be- schluss des Rates vom 29. September 2000 über das System derEigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (Drucksachen 14/6142, 14/6464) . . . . 17613 D c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäischen Parlaments 2000 (Drucksache 14/5221 [neu]) . . . . . . . . 17613 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Für eine verbindliche und erweiterbare Euro- päische Charta der Grundrechte (Drucksachen 14/4654, 14/5379) . . . . 17614 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Günter Gloser, Hans-Werner Bertl, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Christian Sterzing, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum bevorstehenden Europä- ischen Rat in Nizza am 7./8. De- zember 2000 – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Peter Altmaier, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Der Europäische Rat von Nizza muss zum Erfolg für Europa werden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 V – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS zur Abgabe einer Erklärung der Bun- desregierung zum bevorstehen- den Europäischen Rat in Nizza vom 7. bis 9. Dezember 2000 – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der PDS: Die Europäische Union als Zivilmacht ausbauen (Drucksachen 14/4733, 14/4732, 14/4666, 14/4653, 14/5386) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17614 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Vertrag von Nizza nachverhandeln (Drucksache 14/6443) . . . . . . . . . . . . . . . 17614 C Günter Gloser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17614 D Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17616 D Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17619 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 17619 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . . . . . . . . . . 17620 C Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17622 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 17623 A Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 17625 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 17626 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . . 17627 B Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 17629 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 17629 C Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Breuer, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Abgabe einer Erklärung der Bun- desregierung: Die Bundeswehr der Zukunft, Feinausplanung und Stationierung – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der PDS zu derAbgabe ei- ner Erklärung der Bundesregie- rung: Die Bundeswehr der Zu- kunft, Feinausplanung und Sta- tionierung (Drucksachen 14/5220, 14/5236, 14/6396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17630 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Ina Albowitz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung und Schließung be- troffenen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar (Drucksachen 14/5467, 14/6397) . . . . 17630 D Ursula Mogg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17631 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17632 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17634 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . . 17636 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17638 A Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg 17639 B Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17641 B Rainer Arnold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17643 A Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . 17644 A Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Drucksachen 14/6121, 14/6261, 14/6325) 17645 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17645 C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 17646 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17648 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17649 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17649 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 17650 C Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Risi- kostrukturausgleichs in der gesetzli- chen Krankenversicherung (Drucksache 14/6432) . . . . . . . . . . . . . 17652 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001VI b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung zu den Wir- kungen des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversiche- rung (Drucksache 14/5681) . . . . . . . . . . . . 17652 B Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17652 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 17653 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17655 B Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17656 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17658 A Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17658 D Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17660 A Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17661 B Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun- destages (Drucksachen 14/542, 14/2007) . . . . . . . . 17662 D Dr. Uwe Küster SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17663 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17665 B Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17667 A Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17668 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: FahrRad – für ein fahrradfreundliches Deutschland (Drucksache 14/6441) . . . . . . . . . . . . . . . 17668 D Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17669 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17671 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 17671 D Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17672 B Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17674 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 17675 C Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 17676 D Tagesordnungspunkt 11: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundes- regierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999) (Drucksachen 14/4179, 14/5671) . . . . 17677 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Transparenz und parlamentarische Kontrolle bei Rüstungsexporten (Drucksachen 14/4349, 14/5810) . . . . 17677 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17677 D Tagesordnungspunkt 12: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (Drucksachen 14/5680, 14/6468) . . . . 17678 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung (InsOÄndG) (Drucksachen 14/2496, 14/6468) . . . . 17678 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17679 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 17679 B Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 17680 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17682 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17683 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 17684 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17685 A Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern (Drucksache 14/6433) . . . . . . . . . . . . . . . 17686 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 VII Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17686 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17688 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17689 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 17689 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17690 A Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17690 C Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17692 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17692 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung der Besoldungs- struktur (Besoldungsstrukturgesetz) (Drucksache 14/6390) . . . . . . . . . . . . . . . 17692 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 17693 A Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17694 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17695 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17695 D Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17696 C Tagesordnungspunkt 16: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Reform des Familienlastenausgleichs (Drucksachen 14/4983, 14/6230) . . . . . . . 17697 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: Exis- tenzminimum realitätsnah ermitteln (Drucksache 14/6444) . . . . . . . . . . . . . . . 17697 D Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17698 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Reinhold Hemker, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster- Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Sonderpro- gramm zur breitenwirksamen Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern (Drucksache 14/5486) . . . . . . . . . . . . . . . 17699 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17699 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17701 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Ände- rung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . . 17701 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 17701 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu der Unterrichtung: Bericht der Bundes- regierung über ihre Exportpolitik für kon- ventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999) – zu dem Antrag: Transparenz und parlamen- tarische Kontrolle bei Rüstungsexporten (Tagesordnungspunkt 11 a und b) . . . . . . . . . . 17702 A Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17702 B Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17703 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17704 C Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 17705 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17706 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Besoldungsstruktur (Besoldungs- strukturgesetz – BesStruktG) (Tagesordnungs- punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17707 B Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17707 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Großen Anfrage: Reform des Familien- lastenausgleichs – des Antrags: Existenzminimum realitäts- nah ermitteln (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17707 D Ingrid Arndt-Brauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17707 D Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17709 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17710 C Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17711 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001VIII Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und aus- übenden Künstlern (Tagesordnungspunkt 17) 17712 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17712 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ 17713 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sonderprogramm zur breitenwirksa- men Nutzung angepasster, erneuerbarer Ener- gien in den Entwicklungsländern (Tagesord- nungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17715 D Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17715 D Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17716 D Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17718 A Joachim Günther (Plauen) F.D.P. . . . . . . . . . 17718 D Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17719 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 IX Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 Dr. Barbara Höll 17699 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17701 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 28.06.2001* Behrendt, Wolfgang SPD 28.06.2001* Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 28.06.2001** Bindig, Rudolf SPD 28.06.2001* Prof. Dr. Blank, CDU/CSU 28.06.2001** Joseph-Theodor Bodewig, Kurt SPD 28.06.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 28.06.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 28.06.2001* Catenhusen, SPD 28.06.2001 Wolf-Michael Friedrich (Altenburg), SPD 28.06.2001 Peter Griefahn, Monika SPD 28.06.2001 Haack (Extertal), SPD 28.06.2001* Karl-Hermann Hempel, Frank SPD 28.06.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 28.06.2001 DIE GRÜNEN Hoffmann (Chemnitz), SPD 28.06.2001 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 28.06.2001* Karl-Heinz Jäger, Renate SPD 28.06.2001* Janssen, Jann-Peter SPD 28.06.2001 Kasparick, Ulrich SPD 28.06.2001 Klappert, Marianne SPD 28.06.2001 Dr. Leonhard, Elke SPD 28.06.2001 Lintner, Eduard CDU/CSU 28.06.2001* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 28.06.2001* DIE GRÜNEN Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 28.06.2001 Klaus W. Lörcher, Christa SPD 28.06.2001* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 28.06.2001* Erich Michels, Meinolf CDU/CSU 28.06.2001* Moosbauer, Christoph SPD 28.06.2001 Neumann (Gotha), SPD 28.06.2001* Gerhard von Renesse, Margot SPD 28.06.2001 Sauer, Thomas SPD 28.06.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.06.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 28.06.2001* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 28.06.2001* Schultz (Everswinkel), SPD 28.06.2001 Reinhard Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 28.06.2001 Christian Uldall, Gunnar CDU/CSU 28.06.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28.06.2001 Wilhelm (Mainz), CDU/CSU 28.06.2001 Hans-Otto Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 28.06.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 28.06.2001* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichtes: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (betr. Regierungsanfra- gen) (Tagesordnungspunkt 9) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Mehr Spontanität und mehr Aktualität täte uns Abgeordneten und dem Parlament sicher gut. Insofern lohnt es sich, jeden Vor- schlag zu prüfen, der dazu was Sinnvolles beitragen kann. Wir finden die Überlegung der CDU, auch aus der Re- gierungsbefragung eine Aktuelle Stunde entwickeln zu können, interessant und werden deshalb zustimmen. Ich will ein paar Argumente nennen, die unsere Zu- stimmung unterstreichen. Ich denke, mit einer weiteren aktuellen Debatte gerade auch etwa zeitgleich mit Kabi- nettsbeschlüssen werden die Aktivitäten des Parlaments erweitert und seine Handlungsmöglichkeiten gegenüber der Bundesregierung erhöht. Wie oft ist es uns in der Ver- gangenheit passiert, dass wir uns hier im Parlament mit ein paar dürftigen Antworten zu Entscheidungen der entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Regierung abspeisen lassen mussten, während gleichzei- tig dieselben Entscheidungen breit in den Medien disku- tiert werden und Kabinettsmitglieder jedem Journalisten mehr erzählen als dem Parlament. Wenn wir das Thema dann endlich im Parlament haben, ist nicht selten die Ak- tualität und das öffentliche Interesse mindestens stark ein- geschränkt. Noch häufiger haben wir mit dem Fakt zu tun, dass es zu wichtigen Regierungsvorhaben gar nicht in Parla- mentsdebatten kommt, sondern diese gleich in Konsens- runden verschwinden und dort unter Ausschluss der Öf- fentlichkeit und des Parlaments abstimmungsreif ausge- kungelt werden. Das alles schränkt die Möglichkeiten be- sonders der Opposition ein – das wollen wir nicht. Der heutige Antrag kann dazu beitragen, das zu ändern. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts – zu der Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbe- richt 1999) – zu dem Antrag: Transparenz und parlamentarische Kontrolle bei Rüstungsexporten (Tagesordnungspunkt 11 a und b) Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Ich freue mich über das große Interesse der Opposition, den Rüstungsexportbe- richt 1999 der Bundesregierung ein zweites Mal im Ple- num zu debattieren. Wir hätten uns auch vorstellen kön- nen, auf den aktuellen Bericht für das Jahr 2000 im Sommer zu warten und dann auf der Basis der aktuellen Daten hier zu diskutieren. Aber wir respektieren den Auf- setzungswunsch. Schließlich ist es wirklich erstmalig, dass eine Bundesregierung eine detaillierte Aufschlüsse- lung der Rüstungsexporte vorlegt. Und diese Debatte kann ja der Transparenz ebenfalls dienen. Ich will nicht auf die einzelnen Daten des Berichtes eingehen, er liegt ihnen vor und wir haben die Einzelheiten schon bei der letzten Debatte im November besprochen. In dem Bericht werden in aller Offenheit das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgüter, die Auswirkungen von Abrüstungsverein- barungen auf die Exportkontrolle, die deutsche Rüstungs- exportkontrollpolitik im multilateralen Rahmen sowie die Exporte von Rüstungsgütern im Jahr 1999 dargestellt. Ich will mich daher schwerpunktmäßig mit dem PDS-Antragbeschäftigen.Geradeangesichtsdeserstmali- gen Vorlegens eines Rüstungsexportberichtes ist es schon merkwürdig, dass die PDS mehr Transparenz und parla- mentarische Kontrolle bei Rüstungsexporten fordert. Of- fensichtlichhatdiePDSnichtmitbekommen,dassdieBun- desregierung mit der Verabschiedung der „Politischen Grundsätze über den Export vonKriegswaffen und sonsti- gen Rüstungsgütern“ erheblich zu einer verbesserten Transparenz derRüstungsexportpolitik beigetragen hat. In diesen neuen Grundsätzen hat die Bundesregierung klar und eindeutig zusätzliche Richtlinien festgelegt, die nicht nur restriktiver sind, sondern auch zu wesentlich mehr Transparenz führen. Ich will der PDS daher an die- ser Stelle noch einmal kurz die wichtigsten Punkte nen- nen: Erstens. Die Beachtung der Menschenrechte ist für jede Exportentscheidung von besonderer Bedeutung, un- abhängig davon, um welches Empfängerland es sich han- delt. Die Grundsätze gehen weit über diejenigen des EU- Verhaltenskodex hinaus, der besagt, dass erst bei einem eindeutigen Risiko keine Ausfuhrgenehmigung erteilt werden soll. Neben dem Menschenrechtskriterium wer- den ausdrücklich weitere Kriterien wie die „nachhaltige Entwicklung“ sowie das Verhalten gegenüber der interna- tionalen Gemeinschaft berücksichtigt. Zweitens. Es wird klargestellt, dass bei NATO-, EU- und diesen gleichgestellten Ländern wie Schweiz oder Australien, Genehmigungen die Regel sind und Ableh- nung die Ausnahme. Bei Drittstaaten sollen Genehmigun- gen wie bisher zurückhaltend erteilt werden. Drittens. Die Sicherstellung des Endverbleibs erhält ein größeres Gewicht als bisher. Viertens. Der EU-Verhaltenskodex wird zum integra- len Bestandteil der Grundsätze. Fünftens. Die Bundesregierung verpflichtet sich, jähr- lich dem Bundestag einen Rüstungsexportbericht über die Entwicklungen des jeweils abgelaufenen Kalenderjahres vorzulegen. Nach einem Beschluss des Wirtschaftsausschusses vom 7. Februar 2001 sollen folgende Rüstungsexportbe- richte noch weiter gehende Informationen haben: Wir prüfen, inwieweit auch mehr Informationen über den Export von Dual-use-Gütern aufgenommen werden können. Wir werden auch militärische Ausrüstungsbeihilfen aufnehmen und die Strafverfolgungsstatistik. Der zukünf- tige Bericht wird eine Übersicht über neu abgeschlossene internationale Rüstungskooperationsprogramme mit deutscher Beteiligung aufzeigen und zum Thema Her- mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter wird zukünftig zusätzlich auch der Wirtschaftsausschuss infor- miert werden. Mit diesen Informationspflichten stehen wir weltweit an der Spitze. Wir haben gleichzeitig auch Verantwortung für die deutsche Exportindustrie bewiesen. Wer noch mehr Transparenz will, gefährdet damit Arbeitsplätze in der Wirtschaft. Ich will der PDS einmal aufzeigen, welche Konse- quenzen ihre Forderungen hätten. Sie fordern eine Rege- lung, wonach vor jeder Entscheidung der Bundesregie- rung bzw. des Bundessicherheitsrates über die Ausfuhr von Rüstungsgütern die Auffassungen bestimmter Parla- mentsausschüsse einzuholen und zu berücksichtigen sind. Sie können doch wohl nicht im Ernst fordern, vor jeder Entscheidung ein derart langwieriges Verfahren in Gang zu setzen. Wer auch nur etwas von Wirtschaft versteht, der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117702 (C) (D) (A) (B) weiß, dass es bei internationalen Ausschreibungen um Fristen, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit geht. Diese wichtigen Voraussetzungen wären bei dem von ihnen vorgeschlagenen Verfahren nicht gegeben. Im Gegenteil, ein solches Verfahren würde die deutschen Anbieter zu einer völligen Offenlegung ihrer Geschäftsvorhaben zwingen, wovon andere Wettbewerber aus dem In- und Ausland profitieren würden. Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse der beteiligten Unternehmen kommen bei dem Antrag der PDS überhaupt nicht zu Worte. Unter den von der PDS vorgeschlagenen Bedingungen braucht sich ein deutsches Unternehmen wegen Aussichtslosigkeit erst gar nicht mehr an internationalen Rüstungsexportausschrei- bungen beteiligen. Von daher sollte die PDS doch besser gleich sagen, was sie wirklich will, nämlich die Verhin- derung deutscher Rüstungsexporte und damit die Ab- schaffung der deutschen Rüstungswirtschaft schlechthin. Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien eine optimale Balance in diesem sicher nicht einfachen Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es gelun- gen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzli- che politische Kriterien anzupassen und dabei die Wett- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrecht- zuhalten. Die Richtlinien haben sich schon jetzt bewährt: Mehr Transparenz und klare Kriterien sind ein guter Ver- trauensschutz für die deutsche Wirtschaft auch hinsicht- lich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unterneh- men in einer stark zusammenwachsenden internationalen Rüstungswirtschaft. Die Entscheidungen über Exportvorhaben werden maßgeblich unter außen-, sicherheits- und bündnispoliti- schen Interessen, unter Beachtung der Menschenrechte aber auch unter Beachtung der ökonomischen Interessen getroffen. Bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Be- deutung sind, wird sich der Bundessicherheitsrat befas- sen. Zusätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertre- tenen Ressorts nimmt nun auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hieran teil, um be- sonderen entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu tragen. Ich will es noch einmal sagen: Mit den neuen Leit- linien aus diesem Jahr lässt es sich gut arbeiten. Für wei- tere Verfahrensänderungen sehe ich keinen Handlungsbe- darf. Wir lehnen daher den Antrag der PDS ab. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Mehr Transparenz, noch mehr Berichte sind die Forderungen der vorliegenden An- träge. Tatsächlich ist aber nicht ein Mangel an Informa- tion das entscheidende Problem, sondern die Unfähigkeit der Bundesregierung zu einer schlüssigen und kohärenten Rüstungsexportpolitik. Die Frage, wie der Bericht zu- künftig aussehen soll, steht auch nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte, sondern vielmehr gibt es Anfragen an Regierung und Koalitionsfraktionen zum Umgehen mit diesem Thema unter außen- und sicherheitspoliti- schen wie europa- und bündnispolitischen, entwicklungs- und menschenrechtspolitischen, vor allem aber auch wirt- schafts- und technologiepolitischen Aspekten. Die Bundesregierung hat ihren Rüstungsexportbericht 1999 vorgelegt. Das darin verzeichnete Exportvolumen zeigt, dass Deutschland mit einem Weltmarktanteil von 5 Prozent der viertgrößte Waffenexporteur der Welt ist. Auf diesem Platz stehen wir gemeinsam mit Großbritan- nien. Die USA haben 50 Prozent, Russland und Frank- reich je 10 Prozent. Der Rüstungsexportbericht zeigt, dass sich die Zahl der Genehmigungen unter der rot-grünen Bundesregierung mehr als verdoppelt hat. 1999 wurden Rüstungsgüter für 6,6 Milliarden DM exportiert. Das entsprach einem Zu- wachs von 1,2 Milliarden DM im Vergleich zu 1998. Bei 9 373 Einzelanträgen, ohne die Sammelgenehmigungen also, die mit einer Genehmigung mehrere Ausfuhren er- möglichen, gab es 85 abgelehnte Anträge. Das wichtigste Empfängerland im Jahr 1999 war die Türkei mit einem Exportumfang von circa 2 Milliar- den DM und da reibt man sich doch die Augen. Die Tür- kei an der ersten Stelle mit 288 Genehmigungen für fast 2 Milliarden DM! Ist die Türkei jetzt für Rot-Grün doch einfach nur NATO-Partner? Stimmt alles, was Sie in den vergangenen Jahren gesagt haben, seit dem Regierungs- wechsel nicht mehr? Da erinnern wir uns doch an die Dis- kussion über die Lieferung eines Leopard-Panzers zu Probezwecken und eine eventuelle Lieferung im größeren Umfange auf der einen Seite und die Zustimmung zur Lie- ferung einer Munitionsfabrik auf der anderen Seite. War das alles nur Show und liefert in Wirklichkeit diese Bun- desregierung Waffen jeder Art an die Türkei? Für Frau Kollegin Beer ist das grüne Dialektik. Es gehe nicht nur um Qualität, sagt sie, sondern um Quantität. Immerhin habe man ja die Richtlinien geändert. Dass sich da in Deutschland mancher, der große Hoffnungen in die neue Regierung gesetzt hatte, enttäuscht sieht, ist nur zu ver- ständlich. Tatsächlich hatte zu Oppositionszeiten unter anderem Rudolf Scharping unmissverständlich erklärt, er verstehe nicht, dass die Bundesregierung Waffen in die Türkei lie- fere, von denen man ja nicht ausschließen könne, dass mit ihrer Hilfe Frauen und Kinder zusammengeschossen wür- den. Er sagte damals: Das ist eine gottserbärmliche Poli- tik. Wir sind der Auffassung, dass die Waffenexporte ein- gestellt werden sollten und dass es eine absolut restriktive Handhabung geben muss. – Ist im Rüstungsexportbericht etwa die Fortsetzung einer „gottserbärmlichen Politik“ do- kumentiert oder ist der Umgang mit Rüstungsexporten einfach viel schwieriger und komplexer, als Sie das früher im Wolkenkuckucksheim geglaubt haben? Jürgen Grässlin, der Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, der inzwischen unter Protest aus der grünen Partei ausgetreten ist, sagt zu dieser Politik: Heute stehen die Grünen auf der Seite derer, die ihrerseits mit Rüstungsexporten in die Türkei aktive Beihilfe zum Völ- kermord leisten. Verlogener kann Menschenrechtspolitik nicht sein. Ich stimme ihm in seiner Beurteilung nicht zu, ich er- wähne das nur, um zu zeigen, welchen Weg Grüne und SPD gegangen sind. Da erinnern wir uns doch daran, dass es noch nicht lange her ist, dass SPD- und Grünen-Politiker Völker- mordanzeigen gegen die damalige CDU/F.D.P.-Regierung unterstützt haben, um Exporte in die Türkei zu stoppen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17703 (C) (D) (A) (B) Ich kann an dem Exportbericht der Bundesregierung gar nicht viel Skandalöses finden – damit Sie das nicht falsch verstehen –: Das Schwergewicht der Exporte liegt im NATO-Bereich oder im Bereich von Staaten, die wir mit gutem Recht der NATO gleichstellen können. Aber der Kammerton, mit dem Sie früher das Hohelied gegen Rüstungsexporte gesungen haben, ist doch mittlerweile zum Krächzen verkommen. Die Koalitionsvereinbarung und viele Äußerungen aus Koalitionskreisen haben Er- wartungen bei den Bürgern geweckt, die jetzt enttäuscht werden. Das klang ja nach Exportstopp. Sie haben völlig falsche Erwartungen geweckt. Diese Erwartungen haben Sie bei der Änderung der Exportrichtlinien noch einmal erhöht. Jetzt weiß man, dass die „taz“ zu Recht schreibt, es handele sich bei den rüstungsexportpolitischen Richt- linien um ein Placebo für die grüne Seele, das im Härte- test der Koalition nicht greife. Jetzt höre ich öfter, die Richtlinien seien noch zu frisch, aber das kann ja kein wirkliches Argument sein. Sie hät- ten sich schon vor deren Verabschiedung an den europä- ischen Verhaltenskodex halten können, von dem Sie ja behaupten, dass er durch die Grundsätze in deutsches Recht übertragen werden soll. Sie haben mit Ihrer bisherigen Rüstungsexportpolitik nur Flurschaden angerichtet. Diejenigen, die gegen Waf- fenexporte per se oder für Waffenexporte nur in sehr en- gen Grenzen sind, sind enttäuscht. Unsere Partner in Eu- ropa und in den USA betrachten Ihre Politik mit großem Misstrauen. Sie erzeugen Probleme für die Bündnisfähig- keit und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa. Andererseits gibt es klammheimliche Freude über die schwindende Kooperationsfähigkeit der deut- schen Rüstungswirtschaft. Das wiederum bringt den deut- schen Unternehmen und Beschäftigten Probleme. Vor allem aber verringert diese Entwicklung die außenpoliti- schen und sicherheitspolitischen Spielräume der Bundes- regierung. Die SPD-Verteidigungspolitikerin Frau Wohlleben hat vor einigen Monaten in der „Welt“ einen Gastkommentar mit der Überschrift: „Rüstungsexport ist gut“ veröffent- licht. So weit würde ich nicht gehen, aber Frau Wohlleben hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die wehrtechni- sche Industrie in einem klassischen Sinne eine strategi- sche Industriesparte ist und dass man sorgsam damit um- gehen muss, wenn man auf Dauer im Konzert der europäischen Länder und innerhalb der NATO seinen technologischen und politischen Einfluss nicht verlieren will. Was rüstungsexportpolitisch richtig ist, sieht aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion so aus: Es muss eine verantwor- tungsvolle Politik sein. Deshalb haben wir immer eine res- triktive Exportpolitik mit Kriegswaffen betrieben. Wenn jetzt seit 1999 die Exporte steigen und in 2000 vermutlich noch einmal explosionsartig zulegen, dann muss und wird von uns genau hingesehen werden, ob das verantwortlich ist. Rüstungsexportpolitik muss sich einem differenzier- ten, tatsächlich nicht einfachen Abwägungsprozess stel- len. Dabei muss die gemeinsame europäische Politik und die gemeinsame Politik im Bündnis absoluten Vorrang vor anderen Überlegungen haben. Sonderwege sind für Deutschland nicht sinnvoll. Auch der Eindruck von Son- derwegen ist schädlich. Sagen Sie ja und stehen Sie zu ei- nem gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa und im Bündnis. Sagen Sie ja zu transnationalen wirtschaftlichen Strukturen in der Rüstungswirtschaft, zur Anpassung der Kapazitäten an die neuen Verhältnisse in Europa und sor- gen Sie dafür, den Exportdruck in Entwicklungsländer und Partnerländer zu verringern. Sorgen Sie aber genauso gut dafür, dass in diesem gemeinsamen Rüstungsmarkt die deutsche Rüstungswirtschaft eine bedeutende Rolle spielen kann und dass nicht etwa durch die verschärften Endverbleibsregelungen Zusammenarbeit mit den Unter- nehmen anderer Länder gar nicht mehr infrage kommt. Reden und Handeln sind bei dieser Regierung nicht das Gleiche. Ihre Rüstungsexportpolitik ist auf kurzfristige öffentliche Effekte aus. Sie ist kaum europatauglich, in- dustriepolitisch falsch und nimmt keine Rücksicht auf die Bündnisfähigkeit Deutschlands. Wir dürfen auf den Be- richt des Exportjahres 2000 gespannt sein, der eigentlich schon vorgelegt sein sollte. Dann werden wir von Frau Beer wieder zirkusreife Verrenkungen geboten be- kommen. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Rüstungsexportbericht 1999 ist uns ein erster Schritt in Richtung Transparenz gelungen. Wir haben damit eine alte Forderung der Grünen, die wir mit unserem Partner in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, um- gesetzt. Sicher ist der Bericht noch nicht perfekt. Deshalb wollen wir ihn von Ausgabe zu Ausgabe verbessern. In der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses werden bereits einige Verbesserungen vorgeschlagen. Wir werden überprüfen, wie sich dies im in Kürze zu erwar- tenden Bericht für das Jahr 2000 niederschlägt. Aus grüner Sicht muss ich feststellen, dass wir mit den Zahlen des Berichtes für 1999 nicht zufrieden sind, auch wenn es sich bei den Exporten zum Teil noch um Altlas- ten der konservativliberalen Koalition handelt. Die Stei- gerung der Exporte sind insgesamt ernüchternd und be- stätigen die Notwendigkeit des Berichtes, um mehr Transparenz sowie die Umsteuerung der deutschen Rüs- tungsexportpolitik zu erreichen. Allerdings muss man die Ergebnisse im Einzelnen auch ausgewogen betrachten. Es ist sicher ein Fortschritt, dass die Exporte in Nicht-NATO- Länder zurückgegangen sind. Dies ist gut so, ich will aber noch keine Entwarnung geben. Mit den Rüstungsexportrichtlinien hat die rot-grüne Koalition ein brauchbares Instrument geschaffen, um eine restriktive Rüstungsexportpolitik durchzuführen. Wir ha- ben die Bedeutung der Menschenrechte betont. Als wei- tere Kriterien haben wir im Sinne präventiver Politik Sta- bilität und nachhaltige Entwicklung mit aufgenommen. Darüber hinaus hat das Problem des Endverbleibs eine herausgehobene Stellung erhalten. Die Umsetzung der Exportrichtlinien allerdings lässt zu wünschen übrig. Wir erinnern uns noch an den Bau ei- ner Munitionsfabrik in der Türkei durch die Firma Fritz Werner. Der Abschluss der Vereinbarung ging letzten Sommer durch die Medien. Dies war ein Signal in die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117704 (C) (D) (A) (B) falsche Richtung. Ich will auf das Problem der Kleinwaf- fen hinweisen. Vom Wert her klingt das auf den ersten Blick nicht so dramatisch. Dass Kleinwaffen schwer kon- trollierbar sind und in Bürgerkriegen und innerstaatlichen Auseinandersetzungen zum Einsatz mit grausamen Fol- gen kommen können, ist aber bekannt. Ich bin mir nicht sicher, ob der Geist der Richtlinien wie auch die Notwendigkeit einer öffentlichen Transpa- renz auf allen Arbeitsebenen der zuständigen Behörden und Ministerien schon angekommen ist. Rüstungsexporte sind keine nationale Angelegenheit mehr. Auf der inter- nationalen Ebene geschieht sehr viel, sowohl im Bereich der Rüstungskooperation wie bei der Rüstungsexportkon- trolle. Wir haben den europäischen Verhaltenskodex zu Rüstungsexporten, es gibt Kontrollregime. Zugegebener- maßen sind die internationalen Regularien noch nicht wirksam genug. Aber in einzelnen Staaten, gerade auch bei unseren Partnern, entwickeln sich Praktiken, die sich gut gegenseitig ergänzen können. Daher sollten wir ver- suchen, orientiert an der Auswertung von Berichten in an- deren Ländern, unseren Exportbericht weiterzuent- wickeln. Es gibt aber auch das Rahmenabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritan- nien, Italien, Spanien und Schweden über Rüstungsko- operation, in dem auch die Frage des Exportes angespro- chen ist. Meine Fraktion wird sehr genau beobachten, welche Auswirkungen die Umsetzung dieses Abkommens auf Rüstungsexporte aus Deutschland haben wird. Ich möchte eines feststellen, gerade wenn Ex-Regie- rungsparteien sich hier plötzlich als Sachwalter der Moral hinstellen: Ich kann mich nicht erinnern, dass sich die frühere Regierungsparteien, insbesondere die F.D.P., in vergleichbarer Weise der öffentlichen Kritik gestellt ha- ben, wie unsere Regierung das gerade auch mit der Vor- lage dieses Rüstungsexportberichtes macht. Die Bundeswehr wird aufgrund der Reform einiges an Materialien ausmustern. Wir dürfen hier nicht die Fehler der Vorgängerregierung wiederholen. Insbesondere das Problem des Endverbleibs spielt hier eine wesentliche Rolle. Es darf nicht passieren, dass Länder, die Altmate- rialien der Bundeswehr bekommen, diese wiederum an unsichere Staaten weitergeben. Darüber hinaus sollte auf jeden Fall überprüft werden, welche Materialien der EU im Rahmen der zivilen und polizeilichen Präventionspo- litik zur Verfügung gestellt werden können. Dies wäre ein positives Signal vonseiten der Bundesrepublik für die Stärkung der Prävention. Rüstungsexportpolitik ist Außenpolitik. Auch wenn die Exekutive dafür zuständig ist, so leitet sich daraus unser Anspruch ab, dass Rüstungsexporte die ganze Gesell- schaft und das Parlament angehen. Es handelt sich dabei zu Recht um hochpolitisierte Fragen, denn es betrifft mo- ralische Probleme wie die Menschenrechte, sicherheits- politische Fragen wie Gewaltverhinderung und Stabilität und entwicklungspolitische Fragen wie das Verhältnis von Militärausgaben zum Haushalt. Sie betreffen sowohl unsere Wertvorstellungen wie unsere Interessen an Frie- den und Stabilität. Ein zentraler Punkt für die weitere Entwicklung ist die Transparenz, denn nur wenn es ausreichende Transparenz gibt, kann die parlamentarische und die öffentliche Kon- trolle funktionieren. Insofern unterstütze ich das Anliegen des Antrages der PDS. Er schießt aber weit über das Ziel hinaus; deswegen kann ich ihm nicht zustimmen. Im Mo- ment kommt es darauf an, sich die nächsten, praktischen Schritte zu überlegen. Damit befasst sich gegenwärtig meine Fraktion. Wir wollen die Praxis unserer Partner im Hinblick auf Brauchbarkeit für uns überprüfen. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Vor einem Jahr hat die Bundesregierung neue Richtlinien für den Ex- port von Rüstungsgütern beschlossen. Sie hat eine eigent- lich ziemlich klare Rechtslage, die durch die Rüstungsex- portrichtlinien von 1982, durch die Richtlinien der OSZE von 1993 und den EU-Verhaltenskodex von 1998 gege- ben war, um ein weiteres Dokument angereichert. Der da- malige Beschluss war in der Sache nicht nötig. Hierauf komme ich später zu sprechen. Allerdings enthält er eine Bestimmung, die wir begrüßen, nämlich dass jährlich ein Rüstungsexportbericht durch die Bundesregierung vorzu- legen sei. Wir diskutieren heute über den ersten Bericht. Er zeigt, dass hier nichts zu verstecken ist. Transparenz muss gerade in den besonders sensiblen Bereichen der Wirtschaft und der Politik oberstes Gebot sein. Jedermann kann sich die- sen Bericht aus dem Internet holen. Er wird dann zu ähn- lichen Feststellungen kommen wie ich: Der Bericht be- steht zum größten Teil aus einer Aneinanderreihung von Rechtsgrundlagen – aus der Ausfuhrliste, die einen ge- nauen Überblick über all das gibt, was für kriegsführende Parteien von Interesse sein könnte, – aus der Kriegswaf- fenliste und – besonders interessant – aus der Liste der be- stehenden Waffenembargos, die in großer Zahl durch die Vereinten Nationen angeordnet wurden. Der größte Teil wiederum enthält stichwortartig die Information, was in welche Länder für welchen Wert geliefert wurde. Ich wünschte mir, dass der eigentliche Bericht, der nur fünf Seiten erfasst, davon wieder zwei Seiten als Tabellen, ausführlicher wäre. Insbesondere fehlt mir eine Einord- nung der verschiedenen Fakten in die Entwicklung der letzten Jahre. Nur diese Information würde den Leser dazu befähigen, auch zu zutreffenden Bewertungen zu kommen. Ich wüsste schon gern, ob wirklich unter Rot- Grün mehr Rüstungsgüter exportiert wurden als früher. Ich will einige Aspekte herausstellten: Die Rüstungs- exporte machen nur einen sehr geringen Anteil des deut- schen Exports aus, nämlich 0,7 Prozent. Auf Kriegswaf- fen entfallen 0,3 Prozent. Der wirtschaftspolitische Aspekt des Rüstungsexports ist daher nicht groß. Sehr viel wichtiger sind die Aspekte der Außen- und Sicherheitspo- litik, auch der Entwicklungspolitik und der Menschen- rechtspolitik. Wichtig ist die Information, dass Kriegs- waffen sowohl eine Genehmigung nach dem Kriegswaffen-Kontrollgesetz, sowie eine Ausfuhrgeneh- migung nach dem Außenwirtschaftsgesetz benötigen. Al- les muss genehmigt werden, die Herstellung, der Erwerb, die Überlassung, die Beförderung, ja sogar die Vermitt- lung derartiger Geräte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17705 (C) (D) (A) (B) Das neu aufgenommene Kriterium, dass die Men- schenrechtssituation im Empfängerland in jedem Einzel- fall zu prüfen sei, gibt zum einen nur die Praxis wieder, die auch die früheren Bundesregierungen angewandt ha- ben; denn der zuständige Bundessicherheitsrat, der bis 1999 immer einstimmig abgestimmt hat, hat in den vielen Jahrzehnten, in denen die F.D.P. über den Außenminister und den Wirtschaftsminister bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen genommen hat, durchwegs für eine äußerst zurückhaltende Rüstungsexportpolitik gesorgt. Die Türkei ist mit großem Abstand der größte Abneh- mer von Rüstungsgütern. Die USA liegen an zweiter Stelle. Dort wird die Menschenrechtslage offensichtlich gar nicht geprüft, obwohl wir große Bedenken gegen die indiskutablen Todesurteile haben, die ja sogar gegen Ju- gendliche und psychisch Kranke ausgesprochen und voll- streckt werden. Nichts anderes kann für Japan gelten. Bei Kriegswaffen steht Israel an der Spitze, ein Land, das ebenfalls Probleme mit der Einhaltung der Men- schenrechte hat. Dennoch ist es richtig, wenn Deutsch- land zum Schutz Israels auch durch die Lieferung von Kriegswaffen beiträgt. In den neuen Richtlinien der Bundesregierung heißt es in Abschnitt 3 Ziffer 5, dass Ausfuhren nicht genehmigt werden in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzun- gen verwickelt sind oder wo solche drohen. Ich weiß nicht, ob die Mütter und Väter dieser Richtlinien diesen Punkt ausreichend bedacht haben. Sollen wir wirklich wieder – wie vor sechs und sieben Jahren in Bosnien ge- schehen – abseits stehen, wenn eine Bevölkerungsgruppe von einer anderen übermächtigen überfallen wird, wenn Frauen zu Tausenden vergewaltigt und Männer ermordet werden, weil sich Völker gegen andere mangels geeigne- ter Waffen nicht verteidigen können. Erinnern sie sich noch daran, wie eine sehr gut ausgerüstete serbische Streitmacht über Städte und Dörfer von moslemischen Bosniern hergefallen ist, die zum Teil keine Schusswaffen zur Verteidigung hatten, sondern mit Sensen, Beilen und Spaten ihre Familien und Dörfer verteidigt haben? Wenn Deutschland und die NATO damals schon glaubten, nicht mit militärischen Mitteln helfen zu müssen, wäre es nicht wenigstens richtig gewesen, der geschundenen überfalle- nen Bevölkerung die Waffen zur nötigen Selbstverteidi- gung zur Verfügung zu stellen? Ich will heute nicht über die Inkonsequenz der rot-grü- nen Bundesregierung sprechen, die den Ersatz der türki- schen Leoparden 1 durch den Leo 2 nicht genehmigen will, aber die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Tür- kei ermöglicht hat. Ich will aber festhalten, dass die F.D.P. nach wie vor für eine restriktive Rüstungsexportpolitik eintritt, dass die F.D.P. aber großen Wert darauf legt, dass die Kernfähigkeiten der deutschen Rüstungsindustrie im Interesse unserer Sicherheit, aber auch im Interesse des Wissenschaftsstandorts Deutschland erhalten werden, und dass der deutschen wehrtechnischen Industrie Ko- operationsfähigkeit und Vertragsfähigkeit erhalten wer- den müssen. Natürlich ist die Frage des Erhalts von Arbeitsplätzen auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Argument; es kann aber nicht das allein entscheidende Argument sein. Kriegswaffen sind eben nicht normale Güter. Sie können Menschen töten. Sie können aber auch Menschen retten. Sie können den Frieden beschädigen. Sie können aber auch Frieden möglich machen. Wer Kriegsgerät pro- duziert, vermittelt und exportiert trägt auch Verantwor- tung für das, was mit dem Gerät passiert. Es muss daher bei den Kontrollmechanismen verbleiben, die aber nur wirksam sind, wenn sie zumindest europaweit in gleicher Weise gelten. Alle Waffen können töten. Eine Waffengattung ist ganz besonders heimtückisch und problematisch. Ich spreche von den Minen. Mit dem Vertrag von Ottawa haben sich die meisten Staaten dieser Erde verpflichtet, Anti-Perso- nen-Minen weder herzustellen noch zu verkaufen noch zu verwenden. Nur: Die Vertragsstaaten verfügten nur über 10 Prozent der Bestände an Minen insgesamt. Wir müssen alles tun, damit Produzenten und Lieferanten wie Russ- land, Nordkorea, China, Vietnam, Indien, Pakistan die- sem Vertrag beitreten. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Panzerminen, die sich nicht selbst zerstören oder ab- schalten, weltweit verboten werden. Es steht der Bundes- republik Deutschland gut an, wenn sie in solchen Fragen an der Spitze der Bewegung steht und nicht auf die Initia- tive anderer Länder wartet. Wir von der F.D.P. haben eine entsprechende Initiative ergriffen. Ich hoffe sehr, dass der Bundestag sich diesem Vorhaben bald anschließen wird. Siegmar Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:Mit dem Rüstungsexportbericht 1999 ist von der Bundesre- gierung dem Deutschen Bundestag erstmalig eine detail- lierte Aufschlüsselung der Rüstungsexporte des Vorjahres vorgelegt worden. Der Rüstungsexportbericht 1999 be- ruhte auf einer Zusage in der Koalitionsvereinbarung und der Selbstverpflichtung der Bundesregierung in Abschnitt V der im Januar 2000 verabschiedeten neuen rüstungs- exportpolitischen Grundsätze. Ziel dieses Berichts und des in Vorbereitung befindli- chen Berichts über das Jahr 2000 ist die Verbesserung der Transparenz unserer Rüstungsexportpolitik. Die Berichte gehen hierbei so weit, wie wir unter Wah- rung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betei- ligten Unternehmen gehen können. Dabei müssen wir auch die Kooperationsfähigkeit unserer Unternehmen in einer immer stärker zusammenwachsenden europäischen Rüstungswirtschaft beachten. Die Bundesregierung hat – wie ich meine – mit dem Rüstungsexportbericht 1999 einen guten Ausgleich zwi- schen dem Transparenzinteresse einerseits und den Ver- traulichkeitsgebot andererseits gefunden. Bei der Trans- parenz von Rüstungsexporten stehen wir damit auch im internationalen Vergleich sicherlich mit in der ersten Reihe. Der Bericht ist auch außerhalb des Parlaments in der interessierten Öffentlichkeit auf lebhaftes Interesse und – wie ich glaube – ganz überwiegende positive Resonanz gestoßen. Auch vonseiten der in diesem Bereich enga- gierten Nichtregierungsorganisationen ist grundsätzlich nicht infrage gestellt worden, dass der Rüstungsexportbe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117706 (C) (D) (A) (B) richt 1999 ein entscheidender Durchbruch bei den Trans- parenzbemühungen in diesem sensiblen Bereich darstellt. Trotzdem können weitere Verbesserungen an den Rüs- tungsexportberichten vorgenommen werden. Die Be- schlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses ist inso- weit begrüßenswert. Die Bundesregierung wird die Emp- fehlungen schon im Rüstungsexportbericht 2000 soweit wie möglich berücksichtigen. Hierzu im Einzelnen folgende Bemerkungen: Dual-use-Güter: Wie für 1999 wird das Bundeswirt- schaftsministerium den Ausschüssen für Wirtschaft und Technologie, Auswärtiges und Haushalt Exportzahlen zur Ausfuhr von Dual-use-Gütern vorlegen. Weiter wird dem Wirtschaftsausschuss ein Bericht zum Ergebnis der Prü- fung vorgelegt, ob Dual-use-Güter künftig in Rüstungs- exportberichte aufgenommen werden. Hierbei wird ins- besondere die Frage zu beantworten sein, ob dies wegen des unterschiedlichen Warencharakters sinnvoll ist. Künftig wird im Rüstungsexportbericht auf gewährte militärische Ausrüstungshilfen eingegangen. Außerdem werden die Strafverfolgungsstatistik sowie Ermittlungs- verfahren nach AWG/KWKG berücksichtigt. Weiter wird über neu abgeschlossene regierungsamtli- che Kooperationen im Berichtsjahr nach Unterrichtung der Partnerländer berichtet werden. Schließlich werden künftig auch die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie über Her- mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter vertrau- lich unterrichtet. Damit wird der Wirtschaftsausschuss über sensible Hermes-Deckungsentscheidungen so gut unterrichtet wie bisher schon der Haushaltsausschuss. Die Bundesregierung geht in ihren Berichten über die Rüstungsexporte so weit, wie sie unter Wahrung der Be- triebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unter- nehmen gehen kann. Eine Vorabunterrichtung des Parla- ments oder seiner Ausschüsse über aktuelle, zur Ent- scheidung anstehende Einzelfälle des Rüstungsexports würde die bestehenden rechtlichen Grenzen überschrei- ten. Eine wie auch immer geartete Bindung der Bundes- regierung an Voten von Parlamentsausschüssen zu einzel- nen Rüstungsexportfällen würde darüber hinaus auch auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Der PDS-Antrag ,,Transparenz und parlamentarische Kontrolle bei Rüs- tungsexporten“ ist deswegen in allen zuständigen Aus- schüssen abgelehnt worden. Ich schließe mich der Emp- fehlung auf Ablehnung an. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Besoldungsstruktur (Besol- dungsstrukturgesetz – BesStruktG) (Tagesord- nungspunkt 15) Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die F.D.P. lehnt den vorlie- genden Gesetzentwurf ab. Rot-Grün geht es hier nicht da- rum, das Beamtenrecht weiter zu modernisieren. Was uns hier vorgelegt wird, ist ein reines Spargesetz: nicht eine Spur von Innovation, nur weitere Kürzungen im Besol- dungssystem. Wir lehnen den Entwurf insbesondere aus folgenden Gründen ab: Erstens. Die Einführung einer Bezahlungsbandbreite im Eingangsamt wird de facto zu einer Absenkung der Be- soldung im Bereich des gehobenen und höheren Dienstes führen. Zweitens. Die Umwandlung des Verheiratetenzu- schlags in den Familienzuschlag ist zwar eine „alte“ F.D.P.-Forderung. Nach unseren Vorstellungen muss der Familienzuschlag aber bereits ab dem ersten Kind ge- währt werden, insbesondere dann, wenn die Ehefrau nicht berufstätig ist. Der von der Bundesregierung vorgeschla- gene Weg, den „modernisierten“ Familienzuschlag erst ab dem dritten Kind zu gewähren, ist eine Mogelpackung. Denn angesichts der Bevölkerungsentwicklung – 1,3 Kin- der pro Familie – wird der Änderungsvorschlag in der Praxis kaum zum Tragen kommen. Drittens. Mit dem Gesetz soll außerdem die Rege- lungskompetenz für Stellenobergrenzen auf die Länder verlagert werden. Nachdem diese bereits in der vergange- nen Legislaturperiode einen entsprechenden Vorstoß der damaligen Bundesregierung abgelehnt haben, bleibt de- ren jetzige Reaktion abzuwarten. Aus unserer Sicht ist da- gegen wenig einzuwenden. Viertens. Im Rahmen der Gesetzesänderung soll zu- dem eine neuer § 36 a Bundesbeamtengesetz eingeführt werden. Die Bundesregierung will sich damit die Mög- lichkeit verschaffen, parteipolitisch missliebige Beamte der Besoldungsgruppe B 3, die zwar keine politischen Be- amten sind, aber wichtige Positionen innehaben, aus ihren Ämtern entfernen und durch eigene Leute ersetzen zu können. Die Bundesregierung will damit gezielt Perso- nalpolitik zu ihren Gunsten betreiben – aus unserer Sicht ein Skandal. Ich habe hier nur unsere Hauptkritikpunkte angespro- chen. Aus Sicht der Liberalen genügen allein diese, den Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Großen Anfrage: Reform des Familienlasten- ausgleichs – des Antrags: Existenzminimum realitätsnah ermit- teln (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- nungspunkt 8) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Seit der Amtsübernahme der rot-grünen Koalition ist Familienpolitik ein wesentli- cher Schwerpunkt unserer Arbeit. Vor allen Dingen galt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17707 (C) (D) (A) (B) es, die höchstrichterlich festgestellten Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Aufgabe, ein familien- freundlicheres Steuersystem zu schaffen, war angesichts der Staatsverschuldung mit enormen Schwierigkeiten verbunden. Umso stolzer können wir nun auf das Er- reichte zurückblicken. Das geplante Gesetz stellt zwei- felsohne einen Meilenstein auf diesem langen Weg dar. Die reinen Zahlen verdeutlichen das: So hat das Volu- men familienpolitischer Leistungen, an denen der Bund finanziell beteiligt ist, seit 1998 von 78,6 Milliarden DM um 20 Prozent auf 95 Milliarden DM zugenommen. Hinzu kommen noch die Leistungen von Ländern und Kommunen. Angesichts der Haushaltslage beim Bund und den übrigen Gebietskörperschaften haben wir den vorhandenen Spielraum bis auf das Äußerste ausgenutzt. Mehr ist zurzeit nicht möglich! Diese Tatsache sollten Sie sich, meine verehrten Kol- leginnen und Kollegen von der PDS, vergegenwärtigen. Finanziellen Spielraum für weitergehende Forderungen gibt es derzeit leider nicht – auch wenn das durchaus wün- schenswert wäre. Sie können sich sicher sein, dass wir in Zukunft weitere Verbesserungen bei der Familienförde- rung anstreben. Ich bin der Überzeugung, dass der fi- nanzpolitische Kurs von Hans Eichel dafür die Grundla- gen schaffen wird. Die Experten-Anhörung ergab eine breite Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. Mit diesem hat die Regierungsko- alition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Vorga- ben des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteue- rung zugunsten der Familien – insbesondere derer mit kleinen und mittleren Einkommen – wirkungsvoll umge- setzt. Die Sachverständigen lobten vor allem, dass erst- malig im deutschen Steuerrecht der Abzug von Kinderbe- treuungskosten zugelassen wird, die wegen Erwerbs- tätigkeit der Eltern entstehen. Von der neuen Abzugsmög- lichkeit werden insbesondere Frauen profitieren, denen die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermög- licht wird. Als weitere Verbesserungen sind vorgesehen: Das Kin- dergeld für erste und zweite Kinder wird nochmals spür- bar um 30 DM auf 300 DM je Kind und Monat angeho- ben. Von vielen Sachverständigen wurde anerkannt, dass die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung mit der Kindergelderhöhung zu vereinbaren sein muss. Im Jahr 1998 betrug das Kindergeld noch 220 DM. Der Freibetrag für das sächliche Existenzminimum ei- nes Kindes wird aufgrund der Steigerung der Lebenshal- tungskosten von 6 912 Mark auf 7 128 Mark angehoben. Der bisherige Betreuungsfreibetrag von 3 024 DM wird zur Berücksichtigung der Kosten für Erziehung und Ausbildung auf insgesamt 4 212 DM erhöht. Die Alters- grenze wird von 16 auf 27 Jahre angehoben. Bei volljährigen Kindern, die sich in Berufsausbildung befinden und auswärtig untergebracht sind, kann ein zu- sätzlicher Freibetrag von 1 800 Mark abgezogen werden. Auch die Steuerreform entlastet Familien und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. So wird eine Familie mit zwei Kindern und Durchschnittseinkommen in die- sem Jahr wegen der Steuerentlastung 1 730 DM mehr im Portemonnaie haben. Das sind rund 145 DM, die jeden Monat zusätzlich zur Verfügung stehen. Die „Schere“ zwischen der Entlastung durch den Kinderfreibetrag und durch das Kindergeld wird sich bis zum Jahr 2005 durch den sinkenden Spitzensteuersatz deutlich verringern. Diese – noch nicht einmal vollständige – Aufzählung familienpolitischer Maßnahmen kann sich durchaus se- hen lassen! Unsere Regierung hat erkannt, dass sich Fa- milienförderung nicht ausschließlich auf die finanzielle, sprich steuerliche Unterstützung der Familien beschrän- ken darf. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu zu glauben, dass eine alleinige Erhöhung des Kin- dergeldes Menschen dazu bewegen kann, mehr Kinder zu bekommen! Vorschläge zur Zahlung eines Familiengel- des – wie sie von der CDU/CSU vorgebracht wurden – greifen daher viel zu kurz und werden den Bedürfnissen der meisten Menschen nicht gerecht. Nicht bezahlbare Transfer-/Kindergeldzahlungen von mehr als 1 000 DM führen nur dazu, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Die Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von El- ternpaaren und Alleinerziehenden sieht anders aus. Um Missverständnissen vorzubeugen: Familien brau- chen eine bessere finanzielle Unterstützung des Staates. Der Denkansatz unserer Regierung geht aber über die fi- nanziellen Bedingungen hinaus. Familienpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sich die Rahmenbedingungen für Familien insgesamt verbessern. Hierzu haben wir bereits erste viel versprechende Schritte eingeleitet. Ich darf in Erinnerung rufen: Die Ausbildung von Kindern wird besser finanziell ge- fördert. Durch die Reform des BAföG beziehen mehr Schüler und Studenten finanzielle Unterstützung. Denn die Einkommensgrenzen sind deutlich angehoben wor- den. Gleichzeitig. wurde der Förderhöchstbetrag auf 1 140 DM erhöht. Die durchschnittliche Förderung liegt jetzt bei 730 DM pro Kind im Monat und ist damit um circa 90 DM pro Monat gestiegen. Deutliche Entlastungen für Familien bringt auch die zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Reform des Wohn- geldes. 400 000 zusätzliche Haushalte können aufgrund der Anhebung der Einkommensgrenzen Wohngeld bezie- hen, viele davon Familienhaushalte. Daneben wird das Wohngeld erhöht. Für Haushalte mit vier und mehr Per- sonen gibt es durchschnittlich 118 DM mehr im Monat. All diese Maßnahmen haben zu einer spürbaren finan- ziellen Entlastung der Familien geführt. Doch Familien- politik bedeutet für die rot-grüne Koalition weit mehr, als nur die finanzielle Situation von Familien zu verbessern. Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und ein gewaltfreies Zuhause. Deshalb haben wir durch eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs die gewaltfreie Kindererziehung zum Leitbild erhoben. Gleichzeitig ha- ben wir den Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt ge- gen Frauen beschlossen. Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ha- ben wir die Elternzeit, früher Erziehungsurlaub, flexibili- siert. Seit dem 1. Januar 2001 können Väter und Mütter gleichzeitig Elternzeit nehmen. Außerdem können sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117708 (C) (D) (A) (B) schon während der Elternzeit bis zu 30 Stunden arbeiten und gleichzeitig Erziehungsgeld beziehen. Darüber hi- naus haben alle Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, sofern sie in Betrieben mit mehr als 15 Be- schäftigten arbeiten. Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eines unserer wesentlichen politischen Ziele. Durch das Sofort- programm gegen Jugendarbeitslosigkeit JUMP konnte die Jugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden. Diese bereits realisierten Projekte zeigen eines ganz klar: Mit unserer Familienpolitik sorgen wir für Gerech- tigkeit und Bildungsbeteiligung für Familien mit niedri- gem und mittlerem Einkommen sowie für Chancen- gleichheit von Frauen und Männern. Wir haben in der relativ kurzen Zeit unserer Regie- rungsverantwortung schon viel geschafft. Doch wir haben noch ehrgeizige Ziele und werden deshalb weitere Maß- nahmen zur Entlastung von Familien verabschieden, so- bald die notwendigen Finanzen verfügbar sind. Bis dahin möchte ich Sie um etwas Geduld bitten und Sie auffor- dern, uns bei der Bewältigung der zukünftigen Aufgaben konstruktiv zu unterstützen. Elke Wülfing (CDU/CSU): „Armutsrisiko Kinder“, so titelt die Rheinische Post gestern und fügt hinzu: „Kin- der sind für viele Familien in Deutschland das Armutsri- siko Nummer eins.“ Die Kinderarmut wächst dramatisch. Das zeigt der Bericht der Nationalen Armutskonferenz. Heute leben rund 1,1 Millionen Kinder von der Sozial- hilfe, 1994 waren es „nur“ etwa 700 000. Die stellvertre- tende Vorsitzende der Nationalen Armutskonferenz, Erika Biehn, stellte sogar fest, die Situation der Kinder hat sich unter Rot-Grün verschlechtert. Gerade Familien mit drei und mehr Kindern sowie Alleinerziehende seien gefähr- det. Vor diesem Hintergrund nimmt sich das zurzeit im Fi- nanzausschuss in der Beratung befindliche so genannte Familienförderungsgesetz ziemlich mickerig aus. Familien sind das Fundament und Kinder sind die Zu- kunft unserer Gesellschaft. Ohne sie ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen. Deshalb gehören Fami- lien mit Kindern ins Zentrum einer modernen zukunfts- orientierten Gesellschaftspolitik. Dazu gehört vor allem, dass unsere Gesellschaft die Leistungen von Familien mit Kindern stärker als bisher anerkennt und honoriert. Ich zi- tiere dazu die Rede der Ministerpräsidentin von Schles- wig-Holstein, Heide Simonis, im Bundesrat am Freitag voriger Woche: „Auf Dauer werden wir nicht daran vor- beikommen, stärker als bisher zugunsten von Familien mit Kindern umzuschichten. Das 4,6-Milliarden-DM-Pa- ket, das zum 1. Januar 2002 in Kraft treten soll, ist nur ein erster Schritt auf einem sehr langen Weg.“ Ich kann dazu nur sagen, Frau Ministerpräsidentin: Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Beschlussfassung des CDU-Bundesvorstandes sowie der CDU-Bundestags- fraktion, die zum Ziel hat, die derzeitige Förderung Schritt für Schritt zu einem echten Familiengeld aufzu- werten.AlleFamilien sollenproKindmonatlich1200 DM bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erhalten, bis zum 18. Lebensjahr dann 600 DM monatlich und vom 18. bis zum 27. Lebensjahr 350 DM. Die CDU/CSU-re- gierten Bundesländer halten dies für möglich und wir ebenfalls, weil wir uns in Politik und Gesellschaft wirk- lich ernsthaft um eine dringend erforderliche Prioritäten- setzung zugunsten von Familien mit Kindern bemühen müssen. Alle, sowohl Bund, Länder wie auch Gemeinden und Arbeitgeber, sind aufgefordert, den politischen Wil- len und die politische Kraft zur Gestaltung einer wirklich kinderfreundlichen Gesellschaft aufzubringen. Wenn ein Drittel aller Frauen und die Hälfte aller Aka- demikerinnen heute schon kinderlos bleiben, dann ist dies eine gesellschaftliche Herausforderung erstes Ranges. Diese demographische Entwicklung, die sich auf die So- zialversicherungen ebenso negativ auswirkt wie auf das Arbeitskräftepotenzial und die Steuerkraft, muss uns alle aufrütteln. Deswegen bin ich der Meinung, dass sich die finanzielle Situation der Familien mit Kindern verbessern muss, dass aber zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade die Länder und Gemeinden gefordert sind, bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Vorschulalter wie auch im Schulalter zu schaffen. Es ist eindeutig feststellbar, dass es in Ländern wie Frankreich, England, Italien, Spanien, USA, wo mehr Ganztagsbe- treuungsmöglichkeiten für Kinder existieren, mehr Kin- der gibt, dass Kinder früher geboren werden und die Er- werbstätigkeit von Frauen eine wesentlich höhere Quote aufweist als in Deutschland. Deshalb kann ich die Initia- tive der CDU-Landtagsfraktion NRW nur nachdrücklich unterstützen, die in der vorigen Woche einen Antrag auf Ganztagsbetreuung an den Schulen in den Landtag einge- bracht hat. Derartige Aktivitäten wünsche ich mir in allen Bundesländern. Kommen wir aber zurück zur Bundesebene. Ein paar Bemerkungen zur derzeitigen Diskussion um das so ge- nannte zweite Familienförderungsgesetz werden Sie mir gestatten. Wie schon das erste Gesetz zur Familienförde- rung vom 22. Dezember 1999 trägt auch der vorliegende Entwurf diese Bezeichnung zu Unrecht. In der Sprachre- gelung des Einkommensteuergesetzes wird bekanntlich nur jener Teil des Kindergeldes als der Familienförderung dienend bezeichnet, der die Steuererstattung übersteigt. Deshalb wäre wohl der Begriff „Steuerrückerstattungs- gesetz“ eher sachgerecht. Aber nicht nur die Bezeichnung ist aus familienpoliti- scher Sicht unzutreffend. Vor dem Hintergrund der eben dargestellten demographischen Entwicklung ist vor allem sein Inhalt unzureichend und sozial unausgewogen. Die Chance auf eine konzeptionelle Neugestaltung oder we- nigstens auf eine deutliche Erweiterung der familienpoli- tischen Leistungen ist leider ungenutzt geblieben. Die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM für das erste und zweite Kind ist fraglos besser als nichts, aber leider werden 40 Prozent des Entlastungsvolumens von 7,5 Milliarden DM durch familienpolitische Einsparun- gen in Höhe von 2,9 Milliarden DM gegenfinanziert. Da- mit ist das Hauptziel des Gesetzentwurfes gekennzeich- net: eine möglichst billige Umsetzung der Urteile des Verfassungsgerichts. Die Anhebung des Kindergeldes von 270 auf 300 DM bedeutet de facto nicht mehr als den Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten bei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17709 (C) (D) (A) (B) einer Inflationsrate von 3,5 Prozent, die Ihre Regierung durch schlechte Wirtschaftspolitik und Ökosteuer inzwi- schen verursacht hat. Außerdem beschränkt sich das rot-grüne Trippel- schritte-Gesetz zum zweiten Mal nur auf die Kindergeld- erhöhung für die ersten beiden Kinder. Familien mit drei oder mehr Kindern sind also erneut benachteiligt. Dabei hat die Nationale Armutskonferenz festgestellt, dass es gerade kinderreiche Familien mit einem Normaleinkom- men sind, die an den Rand der Existenzkrise oder unter die Sozialhilferichtsätze geraten. Deshalb kann ich nur an Sie appellieren: Stimmen Sie unserem Antrag auf Er- höhung des Kindergeldes für dritte und weitere Kinder um 30 DM zu. Die CDU/CSU-regierten Bundesländer haben im Bundesrat diesen Antrag auch schon gestellt. Ich möchte auch gern noch einmal die Gelegenheit nut- zen, zum Sonderausgabenabzug für Haushaltshilfen Stel- lung zu nehmen. Da Frau Kressl mich im Finanzausschuss verkürzt zitiert hat, möchte ich hier doch noch einmal da- rauf hinweisen, für wie wichtig ich den Erhalt dieses Son- derausgabenabzugs aus arbeitsmarktpolitischen Gründen wie auch aus Familienfördergründen halte. Die eben schon zitierte Ministerpräsidentin Heide Simonis, SPD, hat im Bundesrat ja sehr deutlich festgestellt, dass auch sie der Meinung ist, dass die Bundesregierung einen Fehler macht, wenn sie die knapp 40 000 versicherungspflichti- gen Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten mit der Streichung des Sonderausgabenabzugs vernichtet. Ich habe in meiner letzten Rede dazu ausgeführt, dass nicht die Streichung, sondern die Ausdehnung auf Dienst- leistungszentren und Dienstleistungsagenturen notwen- dig ist. Fast 94 Prozent aller Erwerbstätigen in privaten Haushalten sind Frauen. In der Anhörung zum so genann- ten zweiten Familienfördergesetz haben uns die Dienst- leistungszentren und Dienstleistungsagenturen dringend davor gewarnt, diese steuerliche Förderung auszusetzen und damit Beschäftigung in privaten Haushalten wieder in die Schwarzarbeit abzudrängen. Im Interesse dieser Frauen, bei denen es sich oft um Langzeitarbeitslose oder um Sozialhilfeempfängerinnen handelt, kann ich Sie nur dringend bitten, die Streichung des Sonderausgabenab- zugs in Ihrem Gesetz wieder rückgängig zu machen. Nur durch die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit mit Schwarzarbeitsentgelten durch steuerliche Förderung können Sie verhindern, dass diese Frauen im Alter statt Rente Sozialhilfe beziehen müssen. Die von Ihnen im Gesetz vorgesehene Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten von 3 000 DM im Monat ist im Vergleich absolut lächerlich, denn bei einem Stunden- satz von 20 DM – und das ist noch nicht allzu viel – kom- men genau drei Stunden pro Woche dabei heraus. Weitere drei Stunden dürfen dann nur berufstätige Eltern geltend machen. Dies halten wir für zu wenig und zu einseitig auf Berufstätige ausgerichtet und deswegen kleinkariert. Ich wäre sehr zufrieden, wenn Sie nicht nur unsere Än- derungsanträge annähmen, sondern wenn Sie sich auch daran halten würden, was der Bundesvorsitzende der SPD Schröder vor einigen Tagen in der „Welt“ veröffentlicht hat. Er wollte doch den Zustand überwinden, dass die Zu- kunftschancen unserer Kinder und die Entfaltung ihrer Begabungen vom Geldbeutel der Eltern abhängig sind. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nehmen Sie sich selber ernst. Nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenzen wahr und tun Sie das, was der SPD-Bundesvorsitzende Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS zur Reform des Familienlastenausgleichs dokumen- tiert die Notwendigkeit, das Kindergeld und die Freibe- träge für das sachliche Existenzminimum weiter zu er- höhen sowie die Freibeträge für Betreuung, Erziehung und Ausbildung zusammenzufassen. Die rot-grüne Koalition hat in dieser Legislaturperiode schon viel getan, um Familien besser zu fördern. So ha- ben wir das Kindergeld für das erste und zweite Kind um jeweils 50 DM von 220 DM auf 270 DM im Monat er- höht. Aktuell haben wir in dieser Woche das zweite Gesetz zur Familienförderung im Finanzausschuss weiter bera- ten. Mit diesem Gesetz wird das Kindergeld noch einmal um rund 30 DM pro erstem und zweitem Kind angehoben. Mit den rund 300 DM Kindergeld im Monat ist dann ein wichtiges Wahlversprechen von Bündnis 90/Die Grünen eingelöst. Insgesamt haben Familien dann pro Kind im Jahr 960 DM allein an Kindergeld mehr zur Verfügung. Für das Kindergeld werden im Jahr 2002 dann rund 66 Milli- arden DM ausgegeben. Davon verursacht die für 2002 vorgesehene Erhöhung um rund 16 Euro (31,20 DM), von 138 Euro auf 154 Euro, allein Ausgaben in Höhe von 6 Milliarden DM. Für alle familienpolitischen Leistungen zusammen ge- nommen – neben Kindergeld und Freibeträgen zählen dazu Erziehungsgeld, BAföG, die Kinderkomponente in der Eigenheimförderung und die Erziehungskomponente in der Rentenversicherung – werden im Jahr 2001 rund 98 Milliarden DM für familienpolitische Leistungen aus- gegeben. Dies sind rund 20 Milliarden DM mehr als zu Anfang der Legislaturperiode im Jahr 1998. Damit hat die rot-grüne Koalition den Hauptteil ihrer finanzpolitischen Reformen in der Kinder- und Ausbildungspolitik in dieser Legislaturperiode erfolgreich verwirklicht. Trotz dieser erheblichen Anstrengungen, die negativen Hinterlassenschaften der Regierung Kohl abzuräumen und den Vorgaben von Urteilen des Bundesverfassungs- gerichts nachzukommen, bleibt aber noch viel zu tun. Wie sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ergibt, ist die Zahl von Kindern und Jugendli- chen, die von Sozialhilfe leben, ständig gestiegen. Heute leben mehr als 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche von Sozialhilfe. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei Kindern unter sieben Jahren bei Alleinerziehenden. Noch 1994 lebten 218 000 dieser Kinder von der Sozialhilfe. Im Jahr 1999 waren es bereits 263 558 Kinder. Die Zahlen sprechen für sich: Das Armutsrisiko trifft immer häufiger Frauen mit Kindern. Und das nicht ohne Grund: Häufig ist es ihnen unmöglich, Berufstätigkeit und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Denn fehlende oder unzurei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117710 (C) (D) (A) (B) chende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, zu geringe Aus- bildungsförderung und mangelnde Weiterbildungsange- bote sind die Realität für viele Alleinerziehende. Aus diesem Grunde kommt der steuerlichen Absetz- barkeit von Kinderbetreuungskosten im laufenden Ge- setzgebungsverfahren des zweiten Familienlastenaus- gleichsgesetzes eine besondere Bedeutung zu. Wie kann ein Anreiz geschaffen werden bzw. wie können die Chan- cen verbessert werden, auch mit Kind erwerbstätig zu werden oder zu bleiben, wenn gewährleistet ist, dass mein Kind qualifiziert entsprechend meinen zeitlichen Not- wendigkeiten betreut wird? Die Kosten für erwerbsbedingte Kinderbetreuung müssen deshalb ab der ersten Mark absetzbar werden. Nur so wird gewährleistet, dass Alleinerziehende mit geringen bis mittleren Erwerbseinkünften überhaupt einen Steuer- vorteil bekommen. So, wie es bislang im Gesetzentwurf steht, bekommen gerade diese nämlich keinen Anreiz zur Aufnahme einer Berufstätigkeit. Laut Entwurf können die Betreuungskosten erst abgesetzt werden, wenn sie bei Verheirateten 3 024 DM im Jahr übersteigen und sind dann auf 3 000 DM begrenzt. Alleinerziehende könnten Kosten erst oberhalb von 1 512 DM und dann bis zu 1 500 DMabsetzen.DieseSteuerentlastungerreicht höhere Einkommensschichten und nicht den Personenkreis, der sich aus der Sozialhilfeabhängigkeit heraus bewegen will. Hinzu kommt, dass durch die Vorgabe des Bundesver- fassungsgerichts der Abbau des Haushaltsfreibetrages im Familienförderungsgesetz steht. Durch das allmähliche Abschmelzen werden die Auswirkungen zwar gemildert, trotzdem kann es in den Jahren 2003 und 2005 zu finan- ziellen Belastungen für Alleinerziehende, insbesondere im unteren und mittleren Einkommensbereich, kommen. Dies können wir als Bündnis 90/Die Grünen nicht vertre- ten, da gerade dieser Personenkreis häufig armutsbetrof- fen ist. Wir wollen mit der Absetzbarkeit der erwerbsbeding- ten Kinderbetreuungskosten ab der ersten Mark erreichen, dass diesen verteilungspolitisch problematischen Effek- ten entgegengewirkt wird. Dies wollen wir jetzt stufen- weise umsetzen, sodass dieser wichtige Punkt für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht aus haushaltspolitischen Gründen scheitert. Für die nächste Legislaturperiode werden die Armuts- bekämpfung und die besseren Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter Gegen- stand der politischen Gestaltung bleiben. Bündnis 90/Die Grünen haben mit ihrem Konzept der Kindergrundsiche- rung eine realisierbare Vision der aktiven Armuts- bekämpfung vorgelegt und finanzpolitisch durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung begutachten lassen. Wir wollen Familien mit niedrigen Einkommen durch einen Zuschlag zum Kindergeld von 200 DM pro Kind aus der „Sozialhilfe von Kindes wegen“ heraus holen. Unsere Grundsicherung würde etwa 5 Millionen Kindern und ihren Eltern helfen, aus der Sozialhilfe herauszukom- men. Denn durch die nur teilweise Berücksichtigung von selbst erarbeitetem Mehreinkommen entsteht, anders als beim „Fallbeileffekt“ der Sozialhilfe, ein wirksamer An- reiz eine Tätigkeit aufzunehmen. Keine Familie soll mehr von Sozialhilfe abhängig wer- den, nur weil Kinder dort leben. Dieses Ziel ist es uns auch wert, an den Grundfesten der „Alleinverdiener-Ehe“ zu rütteln. Wir wollen zur Finanzierung der Kindergrundsi- cherung das Ehegattensplitting im oberen Einkommens- bereich kappen. In der Konsequenz würde dann ein Spit- zenverdiener vom Ehegattensplitting nicht mehr stärker profitieren als ein Durchschnittsverdiener. Für die Allein- verdiener-Ehe bis 90 000 DM Jahreseinkommen ändert sich nichts. Dieses Projekt wollen wir in der nächsten Le- gislaturperiode angehen. Die Zahlen sind vom DIW durchgerechnet und sie sprechen für sich: Unser Kindergrundsicherungsmodell schafft mehr soziale Gerechtigkeit. Ina Lenke (F.D.P.): Die Große Anfrage zur Reform des Familienlastenausgleichs beinhaltet erstens Aussagen zum Zusammenleben von Familien und Alleinerziehen- den mit Kindern und die Entwicklung der letzten Jahre, zweitens die Steuerbelastung bzw. -entlastung in Abhän- gigkeit vom Familienstand und der Steuerprogression bei der Einkommensteuer und drittens die derzeitige steuerli- che Belastung von Lebenspartnerschaften – also gleich- geschlechtlichen Partnerschaften bei der Einkommen- und Erbschaftsteuer. Die Vielfalt von Verantwortungsgemeinschaften, die sich in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlich- sten Gründen neben der Ehe entwickelt hat, zwingen den Gesetzgeber, seine Steuergesetze einer Prüfung zu unter- ziehen. Maßstab ist dabei die Gleichheit der Besteuerung. Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass zum Bei- spiel bei der Sozialhilfe im Rahmen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt die Gruppe der Menschen, die staat- liche Hilfe benötigen, gestiegen ist. Die Zahl der Allein- erziehenden mit Kindern unter 18 Jahren, die im Rahmen dieser Hilfe einen Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2 BSHG erhalten, hat sich zwischen 1994 und 1999, also in- nerhalb von 5 Jahren, von 163 000 auf 249 000 Personen erhöht – also um ein Drittel! Ich will zwei Punkte herausgreifen: Erstens. Die Regierung schafft den Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende ab. 2005 wird er auf 0,00 DM ge- setzt. Zweitens. Die Bundesregierung beachtet zu wenig, dass für Alleinerziehende staatliche Rahmenbedingun- gen, wie zum Beispiel ein zeitlich breiteres Angebot von Kinderbetreuungseinrichtungen und eine deutliche steu- erliche Entlastung für entstehende Kinderbetreuungskos- ten, äußerst wichtig sind. Sie zitiert lediglich das Bundes- verfassungsgericht, das sich dafür ausgesprochen hat, den Betreuungsbedarf eines Kindes bei der Steuerbelastung stets zu verschonen. Hier drückt sich die Bundesregierung vor einer klaren Aussage, wie die Entlastung der Familien konkret aussehen soll. Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten als Werbungs- kosten oder Betriebsausgaben bei Berufstätigkeit des Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17711 (C) (D) (A) (B) erziehenden Elternteils von der Einkommen- und Lohn- steuer abzugsfähig machen. Nun ist Rot-Grün recht zö- gerlich der F.D.P.-Forderung gefolgt. Es wurde ein Frei- betrag von 3 000 DM im Jahr eingeführt. Das ist wirklich nicht genug! Ein Freibetrag, begrenzt auf 3 000 DM jähr- lich, bedeutet bei einem Steuersatz von 30 Prozent eine jährliche Entlastung für die Eltern von real nur 900 DM, also monatlich 75 DM. Bei Kosten für einen Kitaplatz von monatlich 500 bis 700 DM also nur eine Entlastung von 75 DM. Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten, wie zum Beispiel Kitagebühren oder Kosten für eine Tagesmutter, grundsätzlich steuerfrei stellen denn ohne Kinderbetreu- ung ist eine Berufstätigkeit nicht möglich! Die ausführlichen Steuertabellen in der Großen An- frage zeigen deutlich die gravierenden unterschiedlichen Steuerbelastungen, unterteilt nach den verschiedenen For- men des Zusammenlebens. Das hängt natürlich auch am Ehegattensplitting-Vorteil von Ehepaaren. Ein Vorteil er- gibt sich jedoch nur, wenn die Ehefrau nicht arbeitet. Ich kritisiere, dass die PDS immer wieder beim Ein- kommensteuerrecht eine Neidkampagne führt. Die PDS verkennt, dass bei hoher Steuerbelastung des Einkom- mens durch Freibeträge auch eine entsprechende Steuer- entlastung erfolgen muss. Hierin ähnelt sie den Gewerk- schaften, deren Funktionäre – von Sachkenntnis unge- trübt – fälschlicherweise die Abschaffung des Kindergel- des für Leistungsträger in unserer Gesellschaft fordern. Noch eine Bemerkung zur Erbschaftsteuer im Ver- gleich von Verheirateten und Lebenspartnerschaften. Die F.D.P. fordert bei auf Dauer angelegten gleichgeschlecht- lichen Lebenspartnerschaften auch angemessene Steuer- freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Wir haben dazu im Bundestag unsere Vorschläge vorgelegt. Ich komme zum Schluss. Die Antworten der Bundes- regierung auf die Große Anfrage zeigen, dass sie ihre Hausaufgaben beim Familienlastenausgleich nicht befrie- digend erledigt hat. Besonders deutlich wird es, wenn wir sie an ihren Wahlkampfforderungen und Wahlkampfver- sprechungen messen. Der Antrag der PDS zu einer realistischen Berechnung des Existenzminimums kam zu spät, um hier noch darauf eingehen zu können. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat aber bereits im Deutschen Bundestag beantragt, dass bei der Berechnung des Existenzminimums für Kinder – ana- log zum Existenzminimum für Erwachsene – eine dyna- mische Anpassung erfolgt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhe- bern und ausübenden Künstlern (Tagesord- nungspunkt 17) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass Kreative bisher sehr oft nicht von ihrer Kunst leben konnten, nahm man einfach hin. Der Autor oder Künstler ist bis heute bei Vertragsverhandlungen mit den Verwer- tern seiner Werke in einer extrem schlechten Position. Denn die Konkurrenz ist groß und die Verwerter sind mächtig. Für freie Berufe wie den des Anwalts oder Ar- chitekten gibt es Honorar- und Gebührenordnungen, die eine bodenlose gegenseitige Unterbietung im Preis ver- hindern. Für 98,5 Prozent der freien Kulturschaffenden aber, die nicht zu den Branchenstars zählen, bleibt kein großer Spielraum für finanzielle Forderungen. Spektakuläre Beispiele illustrieren diese unzumutbare Lage. Man denke nur an den Fall der Übersetzerin der Asterix-Comics, die – wie üblich – eine Pauschale von 1 500 DM pro Band erhalten hat. Später, als sich heraus- stellte, dass der Verlag mit den übersetzten Exemplaren Umsätze von rund einer halben Milliarde machte, ver- suchte sie auf dem bisher üblichen Weg über den Bestsel- lerparagraphen eine Beteiligung des Gewinns zu erreichen. Aber die Prozesskosten fraßen die gerichtlich erstrittenen Beträge auf. Oder die Übersetzerin der Werke des italienischen Schriftstellers Alessandro Baricco, dessen Roman „Novi- cento“ in Deutschland zum Bestseller wurde: Ihre Über- setzungen wurden bei ihrer Nachforderung schlicht vom Markt genommen und durch billigere ersetzt. Bisher also haben sich Urheber bei Forderungen nach angemessener Vergütung nur selbst schaden können. Als der Gesetzgeber 1965 das Urheberrecht erließ, wies er in der Begründung darauf hin, dass die vertragli- che Stellung der Urheber noch weiterer Regelung bedarf. Erst der vorliegende Gesetzentwurf kommt dieser Forde- rung endlich nach. Erstmalig soll den Urhebern und aus- übenden Künstlern gesetzlich eine angemessene Min- destvergütung zugesichert werden. Die Reaktionen der Verwerter auf diesen Kernpunkt des Gesetzentwurfes zeigt, wie wenig angemessen die Vergütung bisher gewe- sen sein muss. Denn die großen Verbände warnen vor dem Ruin durch die erwarteten immensen Nachforderungen. In der Praxis wird es aber wohl kaum zu einer unüber- schaubaren Zahl von solchen Forderungen kommen, denn die angemessenen Beträge werden Mindestbeträge sein. Die Differenz zur tatsächlichen Entlohnung wird in den meisten Fällen zu gering für eine neue Aushandlung oder gar einen Rechtsstreit sein. Auch die zweite Säule des Urhebervertragsgesetzes löst bei den Interessengruppen der Verwerter starke Re- aktionen aus. Was „angemessen“ heißt, sollen sie nämlich selbst bestimmen, und zwar in direkter Verhandlung mit den Verbänden der Urheber. Auf diese Weise ist gewähr- leistet, dass die Betroffenen, die sich in ihren diversen Branchen am besten auskennen, das Maß der Vergütung selbst bestimmen. Durch diese zwei Regelungen allein wird die vertragliche Stellung der freien Urheber und aus- übenden Künstler erstmals echt gestärkt. In seinen Ent- scheidungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Stellung von Ver- tragspartnern nicht zu ungleichgewichtig sein darf, denn die Vertragsfreiheit setzt Freiheit auf beiden Seiten des Verhandlungstisches voraus. Die Regelung über die gemeinsamen Vereinbarungen zur angemessenen Vergütung darüber hinaus – und dies Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117712 (C) (D) (A) (B) war ein besonderes Anliegen von Bündnis 90/Die Grü- nen – dafür, dass das Gleichgewicht in den Verhandlun- gen nicht in der Form umkippt, dass kleine Verwerter ihren Platz am Markt verlieren. Im Gegenteil heißt es aus- drücklich, dass bei der Vereinbarung der Vergütungsre- geln Interessen und Gesamtumstände der beteiligten Par- teien berücksichtigt werden müssen. Das Gesetz wird hier auch dem Anspruch gerecht, die Anliegen aller Urheber und ausübenden Künstler berück- sichtigen zu können. Denn die unterschiedlichen Gruppen von Urhebern können individuelle Vereinbarungen mit ihren Verwertern treffen. Die oft geäußerten Bedenken, dass mit einem Gesetz unmöglich allen Urhebern – vom Schriftsteller über den Übersetzer bis hin zum Filmschau- spieler – gerecht werden könne, sind also ganz unbegrün- det. Können oder wollen sich die Parteien gar nicht einigen, wird die Entscheidung über eine angemessene Vergütung in einem unabhängigen Schiedsgerichtsverfahren getrof- fen, das dann die angemessene Vergütung festsetzt. Der Anreiz, die Vereinbarungen in den Verhandlungen der beiden Parteien außergerichtlich zu führen, ist somit sehr hoch. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus auch vor, dass Autoren bereits nach 30 Jahren, statt der bisher 70, ihr Verhältnis zum Verleger aufkündigen können, wenn die Bedingungen stark unangemessen sind. Das ist ein weiteres Gewicht auf der Waagschale der Urheber. Grundsätzlich ausgeschlossen wird mit dem Urheber- vertragsgesetz die bisherige Praxis der Buy-out-Verträge. Es ist danach nicht mehr möglich, seine Rechte komplett an einen Verwerter zu überschreiben, ohne an Folgever- wertungen beteiligt zu werden. Weder der Verzicht auf sämtliche Rechte an einem Werk noch auf die finanzielle Beteiligung an Folgenutzungen kann nunmehr im Vertrag festgeschrieben werden. Dieser Punkt ist besonders im Hinblick auf die Möglichkeiten des Internets und anderer Multimediaanwendungen interessant. Bisher wurden so zum Beispiel freie Journalisten selten extra vergütet, wenn ihre Beiträge zusätzlich zur Nutzung in den kon- ventionellen Medien auch noch ins Netz gestellt oder in Form einer CD-ROM auf den Markt gebracht wurden. Der Gesetzentwurf hat schon eine eigene Geschichte der Entwicklung und Veränderungen hinter sich. Der Pro- zess der Verbesserung ist sicherlich noch nicht abge- schlossen, denn manche Einwände gegen ihn müssen noch überprüft werden. Wir unterstützen das Urheberver- tragsrecht aber schon in dieser vorliegenden Fassung, denn es schafft es, eine schon historische Ungerechtigkeit mit wenigen, aber sehr klugen Regelungen auszuräumen. Mit dem Urhebervertragsgesetz kann die Bundesrepublik zu einem Kreativstandort werden. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Der vorgelegte Gesetzentwurf „zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern“ soll die Lage vor allem der selbstständigen Kreativen verbessern. Wir sind davon überzeugt, dass das Schaffen der Schriftsteller, Journalisten und Übersetzer, der Komponisten und Musiker, der Schauspieler, Regis- seure und Kameraleute, der bildenden Künstler und Foto- grafen und aller anderen Kreativen für die Kultur unseres Landes, aber auch für die Kulturwirtschaft unverzichtbar ist. Sie ist längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Es ist klar: Den Urhebern und ausübenden Künstlern steht selbstverständlich ein angemessener Anteil an der Verwertung ihrer Werke zu. Dieser Grundsatz findet sich längst in zahlreichen Gerichtsurteilen. Auch die neue EU- Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“, die jetzt veröffentlicht wurde und die wir zügig in deutsches Recht umsetzen müssen, geht ausdrücklich davon aus. Gesetzlich verankert allerdings ist dieser selbstver- ständliche Anspruch bisher nicht. Deshalb räumt der vor- liegende Gesetzentwurf den Kreativen jetzt diesen ge- setzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung ausdrücklich ein. Gemeinsam – durch die Branche zu ver- einbarende Vergütungsregeln sollen selbst festlegen, was redlicherweise branchenüblich, also angemessen ist; diese Festlegung gilt dann als gesetzliche Vermutung. Mit dieser Festlegung verwirklichen wir den Auftrag unseres Grundgesetzes, Kunst und Kultur und auch das geistige Eigentum angemessen zu schützen. Schon seit Jahrzehnten ist gerade den freiberuflichen Urhebern in unserem Land diese Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung versprochen worden. Allerdings ist die Reform des Urhebervertragsrechts von den früheren Regierungen nie angepackt worden. Unter anderem we- gen dieser Versäumnisse finden wir im Bereich der gerade in den letzten Jahren sehr viel größer und mächtiger ge- wordenen Kultur- und Medienwirtschaft ein außerordent- lich unterschiedliches Bild. Zum einen gibt es Verlage oder auch andere Medien- unternehmen, die längst verstanden haben, dass sie mit den kreativ Schaffenden in Kultur und Medien kooperie- ren müssen, wenn sie weiter erfolgreich sein wollen. In diesen Bereichen werden angemessene Vertragsbedin- gungen auch für die freien Urheber meist auf der Grund- lage von Normvereinbarungen längst verwirklicht. Auch die Verwertung der Werke in zusätzlichen Bereichen wie Internet, CD oder sonstigen Möglichkeiten wird vergütet. Solche Bereiche sind vorbildlich und damit auch Vor- bild für den Gesetzgeber. Daneben aber stehen Bereiche, in denen die strukturelle Ungleichgewichtigkeit zwischen dem einzelnen freien Kreativen und dem Verwerter – durch die zunehmende Konzentration in der letzten Zeit sind das meist immer größere Unternehmen mit immer größerer Wirtschaftsmacht – zu regelrechten Ausnut- zungsverhältnissen führt. Gerade für diese Bereiche drängt die Reform. Einige Beispiele: Fotograf X ist ein anerkannter, re- nommierter Theaterfotograf und liefert regelmäßig Bilder als freier Mitarbeiter für eine große Tageszeitung, für ein bescheidenes Honorar von 100,- DM pro Bild. Der Verlag verwertet die Fotos seit einiger Zeit auch über das Inter- net. Als unser freier Fotograf über eine angemessene Vergütung für diese neue Nutzungsart sprechen will, setzt ihn der Verlag sofort auf die „schwarze Liste“: Es gibt keine Aufträge mehr, Fotograf X kann seinen Beruf als Theaterfotograf nicht mehr ausüben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17713 (C) (D) (A) (B) Ein zweites Beispiel wirft ein Schlaglicht auf die Zu- stände im Bereich der Bedingungen für freiberufliche Übersetzerinnen und Übersetzer. Selbst literarische Über- setzer und ausgewiesene Könner ihres Fachs können als Einzelne angemessene Honorare nicht durchsetzen. Ihre Arbeit wird letztlich gerade mit ein paar Pfennigen ver- gütet, wenn es für eine Buchseite nur fünfundzwanzig bis vierzig Mark gibt. Drittes Beispiel: Die Zeilenhonorare gerade der freien Journalisten stagnieren seit Jahren oder sind sogar rück- läufig. Gleichzeitig werden Texte mehrfach verwertet, insbesondere über die neuen Medien und das Internet. Kos- tenpflichtige Datenbanken der Wirtschaftsverlage zum Beispiel nehmen erkleckliche Beträge ein, ohne die Ur- heber hieran zu beteiligen. Das liest sich dann etwa in Nutzungsverträgen mit freien Journalisten wie folgt: Der Verlag hat das einfache, zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte Recht, die Beiträge im In- und Ausland in körperlicher und unkörperlicher Form digital und analog zu nutzen, und zwar insbe- sondere in Printmedien, Tele- und Mediendiensten, Internet, Film, Rundfunk, Video, in und aus Daten- banken, Telekommunikations-, Mobilfunk-, Breit- band- und Datennetzen sowie auf und von Datenträ- gern, ungeachtet der Übertragungs-, Träger- und Speichertechniken. Mit anderen Worten: in solchen „Buyout-Verträgen“ überträgt der Kreative für eine einmalige, meist geringe Pauschale sämtliche denkbaren Rechte. Lassen Sie mich wiederholen: Natürlich gibt es auch heute schon viele Branchen der Kulturwirtschaft, wo Ur- heber und Kreative zu angemessenen Verträgen kommen. Das gilt besonders für viele angestellte Journalisten und andere Kreative, die tarifvertraglich abgesichert sind. Hier verhandeln die Gewerkschaften einerseits und vor allem Verlage und Sender andererseits auf gleicher Au- genhöhe. Diesen Bereich tasten wir nicht an. Und jene Bereiche, in denen Verträge zwischen Verwertern und freien Urhe- bern auf der Grundlage von gemeinsamen Normverein- barungen geschlossen werden, die sehen wir als Vorbild an. Wie nötig die gesetzlichen Regelungen für die selbst- ständigen Urheber sind, zeigt ein Blick auf die Wirklich- keit in unserem Land: Heute arbeiten circa 250 000 Krea- tive selbstständig. Und bis auf die vorbildlichen Bereiche und einige Spitzenstars sind sie von der existierenden strukturellen Übermacht der Verwerter betroffen. Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert. Deshalb setzen sich auch großartige Künstler und Dichter, Autoren oder Kamera-Spitzenleute wie Günter Grass, Martin Walser, Bernhard Schlinck, Felix Huby oder Fred Breinersdorfer und Jost Vacano oder auch viele andere, die selbst solche Regelungen nicht nötig haben, für ihre weniger bekann- ten Kolleginnen und Kollegen und für diese Regelung ein. Und, meine Damen und Herren: Mit unserem Gesetz- entwurf sagen wir Ja zur Vertragsfreiheit, die im Zivil- recht einen hohen Stellenwert hat. Vertragsfreiheit ist wichtig, aber nur dann wirklich vorhanden, wenn ver- gleichbar Starke miteinander verhandeln. Sie führt nur dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn die Parteien auf gleicher Augenhöhe verhandeln können. Dafür sorgen wir mit der Reform des Urhebervertragsrechts. Sie ruht auf zwei Eckpfeilern: Wir schaffen einerseits einen unverzichtbaren gesetzli- chen Anspruch auf angemessene Vergütung für die Ur- heber, das steht in dem neuen § 32. Der gesetzliche An- spruch ist unverzichtbar, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass er über das Kleingedruckte im diktierten Vertrag gleich wieder entwertet werden würde. Er ist ge- setzlich, weil er ergänzend zur Anwendung kommt, wenn die vertragliche Honorarvereinbarung nicht angemessen ausgestaltet ist. Der Anspruch auf angemessene Vergütung ist bei vie- len anderen Freiberuflern selbstverständlich. Teilweise ist er sogar gesetzlich geregelt, wie etwa bei Rechtsanwälten, Ärzten oder Architekten. Wir meinen, dass im Bereich der Kulturwirtschaft ein staatliches Tarifsystem nicht passt; dafür ist die kulturelle Produktion zu vielfältig. Deshalb überlassen wir es den Verbänden der Urheber einerseits und der Verwerter andererseits, sich in gemeinsamen Ver- gütungsregeln auf das zu einigen, was redlicherweise branchenüblich, also angemessen sein soll. Übrigens wollen wir gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in der Kultur- und Medienwirtschaft beson- ders schützen und auf ihre Interessen Bedacht nehmen. Deshalb haben wir den neuen § 36, der an die Stelle des wirkungslosgebliebenen„Bestsellerparagraphen“trittund die zweite Säule der Reform bildet, bewusst mit Rück- sicht auf die kleinen und mittleren Unternehmen gefasst. Nochmals: Mit den gemeinsamen Vergütungsregeln machen wir uns die Erfahrungen zunutze, die in der Kul- turwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt worden sind. So kennen wir schon heute die Tarifverträge für Arbeitnehmerurheber und arbeitnehmerähnliche freie Mitarbeiter. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Norm- verträgen, die zum Beispiel der Börsenverein des Deut- schen Buchhandels und die IG Medien ausgehandelt ha- ben. Wir geben den beteiligten Kreisen mit den Vergütungsregeln einen Handlungsrahmen, in dem sie zu für beide Seiten akzeptablen Ergebnissen kommen. Die Vergütungsregeln werden zweierlei bewirken: Zum einen prägen sie künftig die Vergütungspraxis der je- weiligen Branche und werden so mittelfristig dafür sor- gen, dass die schwarzen Schafe auf Verwerterseite keine Chance mehr haben. Wenn im Einzelfall dennoch ein un- angemessen niedriges Honorar gezahlt wird, kann sich der Kreative auf die einschlägige Vergütungsregel beru- fen. Wir geben dieser Regel ebenso wie tarifvertraglichen Entgeltvereinbarungen die Wirkung einer gesetzlichen Vermutung. Im Streitfall wird der Richter hiervon nur in Ausnahmefällen abweichen. Damit das Gesetz nicht zum Papiertiger wird, haben wir das Verfahren zur Aufstellung der Vergütungsregeln Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117714 (C) (D) (A) (B) genau geregelt. Kommt es nicht zur Einigung, so gibt es ein Schiedsverfahren, notfalls entscheidet das Gericht. Wir trauen den Verbänden der Urheber einerseits und der Verwerter andererseits aber zu, sehr zielgenau gemein- same Vergütungsregeln für die unterschiedlichsten kreati- ven Leistungen und ihre jeweilige Verwertung aufzustel- len. Das Schiedsverfahren wird also in der Regel nicht benötigt werden. Neben diesen zentralen Reformansätzen sieht der Ge- setzentwurf einige punktuelle Modernisierungen vor: So werden die allgemeinen Vorschriften über die Nutzungs- rechte neu geordnet und das Filmrecht behutsam ange- passt. Ausübende Künstler und Arbeitnehmerurheber werden weitgehend dem allgemeinen Schutz des Urhe- berrechts unterstellt. In Ausnahmefällen gibt es nach 30 Jahren ein Kündigungsrecht für die Kreativen. Der Gesetzentwurf übernimmt Anregungen des so ge- nannten „Professorenentwurfs“, den eine Gruppe von un- abhängigen Urheberrechtsexperten aus Max-Planck-In- stituten, Wissenschaft und Praxis im Mai 2000 vorgelegt hat. Dieser verdienstvolle Entwurf ist im Laufe des letzten Jahres intensiv mit Verbänden und in der Öffentlichkeit diskutiert worden: Insbesondere die Bundesministerin der Justiz hat eine Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der Medienwirtschaft und Verbänden der Kreativen geführt. Die Ergebnisse dieser Gespräche und die Stellungnahmen der Verbände und der Wissenschaft sind bei der Überar- beitung des Entwurfs berücksichtigt worden. Die Bun- desregierung hat den inhaltsgleichen Gesetzentwurf am 30. Mai 2001 beschlossen; gegenwärtig ist der Bundesrat mit den Beratungen des Regierungsentwurfs befasst. Es war zu erwarten, dass die gesetzliche Verankerung des Anspruchs auf angemessene Vergütung gerade die In- teressengruppen auf den Plan ruft. Wer akzeptiert schon gern, jedenfalls wenn er rechtlich und ökonomisch über- legen ist, dass die bisher Schwächeren und Unterlegenen in ihrer Rechtsstellung gestärkt werden. Ich meine jedoch, dass gerade die Kultur- und Me- dienunternehmen sich mit ihren Kreativen kooperierend selbst auf die Festlegung der angemessenen Vergütung einlassen sollten. Den Nutzen werden alle haben, die Kreativen, die Kultur- und Medienlandschaft in unserem Land und gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die anständige und angemessene Vertragsbedingungen vorweisen können: Sie werden künftig nicht mehr von je- ner Konkurrenz bedrängt, die heute die strukturelle Schwäche der einzelnen freiberuflichen Kreativen aus- nutzt, um die Preise zu drücken. Gerade für diese Unter- nehmen wird die größere Rechtssicherheit auch positiv zu Buche schlagen. Hinzu kommt: Ein überzeugendes Alternativkonzept zum jetzt vorgelegten Gesetzentwurf gibt es nicht: Mit einer nur punktuellen Korrektur des Urhebervertrags- rechts – etwa über die Kontrolle von Vertragsklauseln – können wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen den Anspruch auf angemessene Vergütung, um das kreative Potenzial unseres Landes zur Blüte zu bringen. Davon wird die Kulturwirtschaft insgesamt profitieren, also auch die Verlage, Sender, Produktionsfirmen und die anderen Medienunternehmen. Um es noch einmal zu betonen: Un- ternehmen, die schon heute angemessen bezahlen, werden von der Reform nicht berührt. Meine Damen und Herren, es besteht kein Anlass, an- gesichts Globalisierung, Digitalisierung und Internet das Totenlied für das geistige Eigentum anzustimmen. Un- verändert bleibt es die Aufgabe des Urheberrechts, den Urheber an den Früchten teilhaben zu lassen, die andere aus der Verwertung seiner Werke ziehen. Cyberspace be- deutet nicht den Tod des Urheberrechts, sondern im Ge- genteil die Chance, kreative Inhalte verstärkt zu nutzen. Hierzu gehört zweierlei: Das Urheberrecht muss fit ge- macht werden für das digitale Zeitalter. Das leistet die EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesell- schaft“, die im April 2001 beschlossen worden ist und die wir bis Ende Dezember 2002 in das deutsche Recht um- zusetzen haben. Das Bundesministerium der Justiz ist der- zeit mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs befasst. Und in diesem Zusammenhang wird es auch darum gehen müssen, die urheberrechtlichen Interessen der Medien- wirtschaft im Auge zu behalten. Aber es geht auch um den Schutz der Kreativen im di- gitalen Informationszeitalter. Den stärken wir durch den vorliegenden Gesetzentwurf. Meine Damen und Herren, die Aufgabe des Urheber- rechts ist es, die Interessen aller Beteiligten zu einem ver- nünftigen Ausgleich zu bringen: Das Publikum verlangt immer mehr nach hochwertigen, interessanten Inhalten. Die Verwerter werden auf Dauer nur mit qualitativ guten Werken Geld verdienen. Respekt und Schutz verdienen aber vor allem die Kreativen, die diese Leistungen erst hervorbringen und denen deshalb ein angemessener An- teil an den Früchten gebührt, die andere aus ihren Schöp- fungen ziehen. Der „Arme Poet“ von Spitzweg – Sie alle kennen das Bild – ist, nein, kann und darf keine korrekte Beschrei- bung der Lebensumstände der Kreativen im 21. Jahrhun- dert sein. Die überfällige Reform des Urhebervertrags- rechts ist deshalb ein wichtiger Schritt, um die Bedeutung des geistigen Eigentums auch im 21. Jahrhundert zu si- chern. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Antrags: Sonderprogramm zur breitenwirksamenNutzungangepasster, erneuer- barer Energien in den Entwicklungsländern (Ta- gesordnungspunkt 18) Brigitte Adler (SPD): Der Strom kommt doch aus der Steckdose. Nur wie kommt er dahin und wo kommt er her? Ohne Elektrizität können wir uns unser Leben nicht mehr vorstellen. Die Frage aber, um die es uns und welt- weit dabei geht, heißt: Welche Primärenergie setzen wir dafür ein? Holz, Kohle, Öl, Gas, Wasser, angereichertes Uran, Biomasse waren zu Beginn der Industrialisierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17715 (C) (D) (A) (B) bis heute die vorherrschenden Energiearten. Windkraft – Windmühlen sind sicher auch von früher bekannt, aber sehr begrenzt einsetzbar – und die Sonne für Solarenergie kommen als technische Neuerungen unter anderem hinzu. Speicherkapazität in Form von Batterien wurde erfunden. Für die Langzeitspeicherung ist dies aber noch nicht aus- gereift. Methangas und anderes mehr sind auf dem Markt, aber oft noch anfällig, das heißt nicht stabil und dauerhaft einsatzfähig. Heftiger Streit bei uns um die beste Energieart zeigt, dass man sich für verschiedene Primärenergiearten wegen wirtschaftlicher Interessen stark macht. Dabei sollte be- dacht werden, dass der Energiemix die sicherste Form ist. Elektrizität ist heute aus unserem Leben nicht mehr weg- zudenken. Licht, Radio, Fernseher, Telefon, Internet, in- dustrielle Entwicklung überhaupt sind ohne Strom nicht vorstellbar. Wie aber sieht es mit erneuerbaren Energieträgern aus. Sind sie nur für einen Bruchteil des benötigten Stromes verfügbar? Bei uns und weltweit? Noch führen einige da- von ein Schattendasein. Aber immer lauter wird der Ruf nach ihnen. Vernünftige Gründe jedoch sprechen dafür: Verfügbarkeit, effizienter Einsatz durch Forschung ist heute möglich, wirtschaftliche Bedeutung für die Land- wirtschaft, einfache Handhabung und vor allem Umwelt- und Klimaschutz. Wer die Rio-Konferenz von 1992 und ihre Folgekonferenzen ernst nimmt, wird sich dafür ein- setzen, dass erneuerbare Energien gegenüber Energieträ- gern, die „verbraucht“ werden, wie Kohle, Öl, Uran – mit seiner Entsorgungsproblematik – eingesetzt werden soll- ten. Probleme der Abhängigkeit von wenigen Energieträ- gern könnten so gemindert werden. Was für uns gilt, gilt erst recht für die Länder des Sü- dens. Die Kostenexplosion bei der Beschaffung von Rohöl als Primärenergie ist ein Beispiel dafür. Bis 2010 werde der weltweite Energieverbrauch um 50 Prozent steigen, so eine Prognose der Internationalen Energie- Agentur. Damit verbunden wären Emissionssteigerungen, die ebenso hoch wären und somit zum Problem für unser Klima würden. War doch in Kyoto die Reduzierung ein- gefordert worden. Für Deutschland bedeutet dies, dass 25 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2005 auf der Basis von1990 gerechnet abgesenkt werden muss. Wie aber können die Schwellenländer des Südens und die armen und ärmsten Länder mit dieser Problematik fer- tig werden? Unser Antrag „Sonderprogramm zur breitenwirksa- men Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern“ will hier hilfreiche Vorschläge ma- chen. Dies war ein besonderes Anliegen unseres verstor- benen Kollegen Werner Schuster. In den kommenden Jahren wird das BMZE circa 200 Millionen DM zur Förderung von erneuerbaren Energien bereitstellen. Dies begrüßen wir ausdrücklich und unterstützen mit diesem Antrag dieses Anliegen. So verweisen wir auf die länderspezifischen Poten- ziale, die eine effizientere Nutzung vor Ort ermöglichen. Teure Rohstoffimporte könnten damit reduziert werden. Eine eigenständige und dezentrale Energieversorgungs- struktur in den Entwicklungsländern wäre dadurch mög- lich. Dabei könnten „Insellösungen“ für die ländlichen Räume endlich Entwicklungschancen bringen. Städtische Gebiete haben oft die vorhandenen Ressourcen für sich aufgebraucht. Konferenzen, Forschungsergebnisse, Evaluierungen sind nun genug vorhanden. Jetzt muss der Schritt zur Um- setzung getan werden. Handeln ist angesagt. Werben für Konzepte für Biomasse, Windkraft, Solar- und Photovol- taik, Geothermie und Umgebungswärme ist nun nötig. Weltbank, Entwicklungsbanken, bilaterale Finanzhil- fen könnten gezielt Programme auflegen, damit in den Entwicklungsländern mit den Betroffenen für sie zu leis- tende Schritte getan werden können. Strom muss aber auch bezahlbar sein für die Abnehmer. Dass aus Deutschland Hilfe im Auf- und Ausbau ge- leistet werden kann, ist klar. Die mittelständische Indus- trie ist für alternative Konzepte sehr gut gerüstet. Know- how steht hier zur Verfügung, das auch für den Süden in- teressant wäre. Energie ist für die wirtschaftliche Entwicklung unver- zichtbar. Aber die Fehler der Industrieländer sollten ver- mieden werden, auf zum Beispiel Primärenergiearten wie Kernkraft zu setzen, die in die Sackgasse führen. Ange- passte Technologien, die „altes“ Wissen der Menschen vor Ort nutzt, wird auf Akzeptanz stoßen und Fortschritt ermöglichen. Der Handwerker, der im ländlichen Raum jetzt eine Maschine einsetzen kann, wird einen wirt- schaftlich höheren Wert seines Produktes und seiner Dienstleistung erreichen. Die Landwirtschaft wird profi- tieren, da sie durch Anbau und Abfallentsorgung mit da- bei sein wird. Sonnenenergie ist die Zauberformel für den Süden. Unerschöpfliche Energie wäre somit vorhanden. Noch ist sie aber leider zu teuer und ihr Auslastungsgrad noch nicht voll ausgeschöpft. Wenn wir aber für uns und die Ent- wicklungsländer auch 7 Milliarden US-Dollar wie für den Schnellen Brüter und den Hochtemperaturreaktor ausge- ben könnten, so könnte die Forschung und Entwicklung viel erreichen. Internationale Prognosen gehen davon aus, dass bereits auf mittlere Sicht – 2010/2015 – eine kosten- günstige Alternative zu herkömmlichen fossilen Brenn- stoffen die Solarzellen sind. Das Sonderprogramm für erneuerbare Energien in den Entwicklungsländern kann mithelfen, einen wichtigen Schritt für vernünftiges Handeln in der Energieversor- gung zu tun. Zwei Effekte könnte dies haben: zum einen, dass mehr geforscht und auf die Umsetzung der Ergeb- nisse gesetzt wird und, zum anderen, dass die Länder des Südens teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung durch Strom aus der Steckdose. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wir diskutieren heute über ein wichtiges, aber keineswegs neues Thema in der Entwicklungs- und Energiepolitik. Schon die uni- onsgeführte Bundesregierung hat wichtige Initiativen zur Förderung der Nutzung angepasster und erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern gegeben. Wir be- wegen uns hier ja an der Nahtstelle zwischen verschiede- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117716 (C) (D) (A) (B) nen Interessen und den Ländergruppen, die diese Interes- sen artikulieren. Verständlicherweise legen die Entwick- lungsländer besonderen Wert auf die entwicklungspoliti- schen Ziele, während viele Industrieländer auch einen wichtigen Akzent bei den umweltpolitischen Interessen setzen. Gerade auch was die Umweltpolitik angeht, ist für uns als CDU/CSU-Fraktion entscheidend, dass wir einen globalen Ansatz zur Lösung globaler Umweltprobleme wählen. Insofern können wir den Antrag der Koalitionsfraktio- nen im Grundsatz unterstützen, weil er auch von einem solchen globalen Ansatz ausgeht. Wichtig ist allerdings; dass man aus diesem Ansatz auch die richtigen Konse- quenzen zieht. In der nationalen Politik vermissen wir diese Konsequenzen häufig, denn rot-grüne Umweltpoli- tik zeichnet sich doch in der Regel durch den Versuch na- tionaler Alleingänge aus, während auf internationaler Ebene das Motto vertreten wird: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Ein Anspruch, den natürlich an- dere Länder nicht akzeptieren. Ein globaler Ansatz bezogen auf die Energiepolitik be- deutet deshalb beispielsweise, den Einsatz CO2-reduzie-render Technologien bei der Nutzung fossiler Energieträ- ger weltweit zu fördern und regionale Schwerpunkte beim Einsatz fossiler Energieträger dort zu setzen, wo bereits wie bei uns in Deutschland die effizientesten Technolo- gien verfügbar sind. Ebenso bedeutet ein solcher Ansatz in der Tat, die Nutzung erneuerbarer Energieträger dort besonders zu fördern, wo im globalen Maßstab die größ- ten Potenziale für ihre Nutzung sind. Ein 100 000-Dächer- Programm mit hohem Subventionsvolumen in Deutsch- land erscheint gerade vor diesem globalen Hintergrund äußerst fragwürdig. Wichtig ist vielmehr, dass wir die Nutzung insbesondere von Sonnen-, Wind- und Wasser- energie in den Entwicklungsländern fördern und auch fi- nanziell unterstützen, wo die entsprechenden natürlichen Voraussetzungen gegeben sind. CDU und CSU bekennen sich uneingeschränkt zu den Zielen von Rio und Kyoto. Das wird niemanden überra- schen, denn schließlich haben diese Konferenzen nicht nur während unserer Regierungszeit stattgefunden, son- dern sie sind in ihren Inhalten und Beschlüssen auch maß- geblich durch die unionsgeführte Bundesregierung ge- prägt worden. Wir stehen auch zu den darüber hinaus gehenden ehrgeizigen nationalen Zielen, die wir uns ge- meinsam in der Klimapolitik gesetzt haben. Wir bedauern es in diesem Zusammenhang, dass das 25-Prozent Re- duktionsziel im Bereich von CO2 aller Voraussicht nachbis zum Jahr 2005 nicht erreicht werden wird, weil der rot-grünen Bundesregierung auf diesem Feld leider nichts mehr einfällt, nachdem die unionsgeführte Vorgängerre- gierung durch eine Vielzahl nicht ideologisch geprägter, sondern problemorientierter Maßnahmen bereits beacht- liche Erfolge bei der C02-Reduktion erzielt hatte. Bekanntermaßen dürfen Sie ja beispielsweise nicht auf eine Reduzierung des Mineralölverbrauchs hoffen, weil Sie die Einnahmen aus der so genannten Ökosteuer bei der Rentenfinanzierung bereits voll eingeplant haben. Auch für den mittel- und langfristigen Zeitraum ist nicht erkennbar, wie Sie vor dem Hintergrund Ihres Ausstiegs- beschlusses aus der C02-freien Kernenergie nationale undinternationale Klimaschutzziele tatsächlich erreichen wollen. Wer sich wie die rot-grüne Bundesregierung auf diesem Gebiet in einer Vorreiterrolle sieht und diese Vor- reiterrolle auch auf internationalen Konferenzen gern be- tont, der darf sich nicht selbst aus ideologischen Gründen ständig Knüppel zwischen die Beine werfen. Auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten sind alle Maßnahmen, die die Nutzung erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern fördern, grundsätz- lich zu begrüßen. Es gibt unbestreitbar eine besondere Verantwortung der Industrieländer, die Entwicklungslän- der bei einer den internationalen Vereinbarungen entspre- chenden Bewältigung ihres sich in den nächsten 30 Jah- ren voraussichtlich verdoppelnden Energiebedarfs zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund waren schon die Angebote der früheren unionsgeführten Bundesregierung zu sehen, die im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit der Nutzung der Wasserkraft, aber auch der Windkraft ei- nen hohen Stellenwert eingeräumt haben. Wenn die rot- grüne Bundesregierung an diesem Konzept anknüpft, hat sie dabei unsere grundsätzliche Unterstützung. lm Rah- men einer vernünftigen weltwirtschaftlichen Arbeitstei- lung, die die Importabhängigkeit vieler Entwicklungslän- der von fossilen Energieträgern, insbesondere vom Erdöl, reduziert und ihr wirtschaftliches Entwicklungspotenzial ausschöpft, sind solche Maßnahmen notwendig. Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung haben wir aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen von fast drei Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik auch allen Grund zum Misstrauen gegenüber Initiativen, wie sie von Rot-Grün jetzt erneut in diesem Antrag angekün- digt werden. Leider sind verbale entwicklungspolitische Initiativen in der Vergangenheit regelmäßig einhergegan- gen mit Mittelkürzungen im Bereich der Entwicklungs- politik. So hat sich der BMZ-Haushalt seit dem Amtsan- tritt von Rot-Grün schon im Allgemeinen kontinuierlich nach unten entwickelt, und auch im Bereich der Energie- erzeugung und -versorgung im Besonderen sind die Mit- tel der finanziellen und technischen Zusammenarbeit von 316,5 Millionen DM im Jahr 1999 auf 188 Millionen DM im Jahr 2001 drastisch gesunken. Rot-Grün entfernt sich damit immer weiter von den eigenen Ansprüchen und hat auch die energiepolitische Entwicklungszusammenarbeit vom Volumen her an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu verba- len Bekenntnissen zu globaler Verantwortung. Wir werden als CDU/CSU nicht die Hand für Versuche reichen, mit thematischem Aktionismus in Form einer Vielzahl von neuen Aktionsprogrammen und Anträgen die durch drastische Finanzkürzungen hervorgerufene Krise der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu verschleiern. Rücktrittsdrohungen der verantwortlichen Ministerin allein, die mancher im rot-grünen Lager viel- leicht eher als Versprechen denn als Drohung empfindet, helfen nicht weiter. Die rot-grünen Entwicklungspolitiker müssen endlich innerhalb der eigenen Reihen dafür sorgen, dass die Ent- wicklungspolitik aus der Bedeutungslosigkeit wieder herausgeführt wird. Wenn dies gelingt, kann auch die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17717 (C) (D) (A) (B) gemeinsame Suche nach Wegen für eine sinnvolle Ver- knüpfung von Entwicklungs- und Energiepolitik gelin- gen. Dazu werden wir unseren Beitrag leisten. Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern und vor allem in den Schwellenländern ist die große umweltpolitische Heraus- forderung der nächsten Jahre. Die Wirkung einer nach- haltigen Energiepolitik für Milliarden Menschen des Sü- dens reicht über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus und stellt einen unerlässlichen Beitrag zum Klimaschutz dar. Der prognostizierte Energiebedarf für China, Indien oder Brasilien kann das Klimaproblem in extremer Weise ver- schärfen. Deshalb gilt es, den Trampelpfad der Nutzung regenerativer Energien schnellstens zu verlassen und ins Solarzeitalter einzutreten. Gerade in den Entwicklungs- ländern bieten sich dafür günstige natürliche Bedingun- gen. Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer Energien bietet zurzeit die einzige Alternative zu den klimaschädli- chen fossilen Brennstoffen und zur hochriskanten Atom- energie. Deutschland kann bei der Verbreitung erneuerbarer Energien eine wirklich herausragende Rolle spielen. Wir können dies, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht ha- ben: Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz verab- schiedet, wir haben uns auf die verstärkte Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung verständigt und wir haben den Atomausstieg beschlossen. Wir haben in Deutschland zu- kunftsfähige Technologien und wir haben innovative und konkurrenzfähige Unternehmen vor allem im Bereich der Klein- und Mittelindustrie. Gleichzeitig haben wir vor- exerziert, welche institutionellen und rechtlichen Rah- menbedingungen tragfähig sind. Wir haben uns einen Ruf als Standort für regenerative Energien erworben, der eine enorme Außenwirkung hat und eine gute Grundlage bie- tet, um im Ausland tätig zu werden. Wie können wir dazu beitragen, dass erneuerbare Ener- gien breiter in den Entwicklungsländern eingesetzt wer- den? Die technische und technologische Seite ist für den Erfolg neuer Energieoptionen sicher nur eine, aus meiner Sicht gar nicht die entscheidende Seite. Wir brauchen in den Entwicklungsländern vor allem die Stärkung der ins- titutionellen Strukturen, in denen alternative Energiesys- teme zum Einsatz kommen. Wir brauchen entsprechend ausgebildete Techniker und wir brauchen tragfähige rechtliche, administrative und politische Rahmenbedin- gungen vor Ort. Genau hier kommt die Entwicklungszusammenarbeit ins Spiel. Die EZ verfügt über ausgefeilte Instrumente, die einen effizienten Politikdialog, die Beratung und Ausbil- dung, aber auch die Finanzierung von Demonstrations- projekten erlauben. Über Public Private Partnership kann der Wirkungskreis der traditionellen Instrumente gerade in Schwellenländern noch ausgeweitet werden. Das BMZ wird in diesem Jahr circa 200 Millionen DM für erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Im nächs- ten Jahr wird es nach dem jetzigen Stand der Planung noch mehr Geld dafür geben. Es werden Erdwärmekraft- werke, kleine Wasserkraftwerke, Windparks und Solarko- cher gefördert. Vor allem die ländliche Elektrifizierung stellt im Rahmen der Armutsbekämpfung eine große He- rausforderung dar. Mit ihr kann der Raubbau an Feuer- holz, die Verwüstung und die Abwanderung in die Städte bekämpft werden. Für die ländliche Entwicklung sind vor allem dezentrale, nicht netzgebundene Anlagen von Be- deutung. Sie kommen in Schulen, Krankenstationen und in den Privathaushalten zum Einsatz. Die Verfügbarkeit von Solarstrom leistet einen enormen Beitrag zur Stär- kung der ländlichen Wirtschaftsräume und zur Entwick- lung lokaler und kommunaler Strukturen. Dezentralisie- rung zu unterstützen heißt, die Kompetenzen der Kommunen zu stärken und die Partizipation der Bevölke- rung – etwa in energiepolitischen Gruppen oder energie- politischen Beiräten – zu fördern. Gerade dieser breite energiepolitische Ansatz spielt bei der Ausweitung der nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien eine zen- trale Rolle und sollte deshalb im Zentrum der EZ stehen. Eine breitenwirksame Förderung regenerativer Energien benötigt entschiedenes Handeln; dafür ist mehr Geld aber auch eine bedachte Vorgehensweise notwendig. Die EZ kann hier sowohl im Bereich der technischen als auch im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit Großes leisten. In enger Abstimmung mit der Außenwirtschaftsförderung in Form von Investitionsgarantien und Hermesbürgschaften können parallel dazu deutsche Unternehmen in neuen Märkten unterstützt werden. Investition in erneuerbare Energien ist eine Investition in die Zukunft – selten hat eine doch recht abgegriffene Formulierung so viel Gehalt. Die Verbreitung dieser Tech- nologien ist für Fortschritte im Klimaschutz und für die Entwicklung von höchstem Range. Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Von etwa 3,5 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern können nur etwa 1 Milliarde ihren Grundbedarf an Energie durch zentrale Energieversorgungssysteme decken. Die Mehr- heit der Menschen in Entwicklungsländern ist auf tradi- tionelle Energiequellen angewiesen, insbesondere auf Brennholz sowie auf tierische und pflanzliche Abfälle. Je nach Entwicklungsstand macht das bis zu 95 Prozent des Energieverbrauches aus. Der jährliche Waldverlust wird auf 10 bis 20 Millionen Hektar beziffert; das entspricht etwa der halben Fläche der Bundesrepublik. Lediglich 10 Prozent davon werden wieder aufgeforstet. Trotz Rückgangs der natürlichen Waldreserven steigt der Brennholzbedarf ungefähr parallel zum Bevölke- rungswachstum. Um allein das Energiewachstum an Brennstoff von umgerechnet 1 Kilogramm Steinkohle pro Kopf und Tag für 2,5 Milliarden Menschen zu sichern, werden circa 900 Kilogramm Brennholz benötigt. Darüber hinaus verbrauchen Entwicklungsländer jähr- lich 1,6 Milliarden Tonnen konventionelle Energie aus Öl, Gas, Kohle und Wasserkraft. Das entspricht etwa 26 Pro- zent des kommerziellen Weltenergieverbrauchs. Über die Hälfte des Energieverbrauchs der Entwick- lungsländer entfällt auf Öl. Die meisten der rund 100 Öl importierenden Entwicklungsländer sind zu mehr als Dreiviertel auf Ölimporte zur Deckung ihrer binnenwirt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117718 (C) (D) (A) (B) schaftlichen Energienachfrage angewiesen. Jede auch nur leichte Erhöhung des Ölpreises führt zum Teil dramati- schen makroökonomischen Verwerfungen. Das Energieversorgungsproblem der Entwicklungs- länder wird durch die Bevölkerungsentwicklung weiter verschärft. Angesichts der enormen Bedeutung des Energiesektors für die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer und an- gesichts der verheerenden ökologischen Auswirkungen der Nutzung konventioneller Energieträger liegt es auf der Hand, dass sich die deutsche Umwelt- und Entwicklungs- politik vorrangig der Aufgabe einer besseren Nutzung er- neuerbarer Energiequellen in der Entwicklungspolitik widmen muss. Von daher ist der Antrag der Koalitions- fraktionen ausdrücklich zu begrüßen. Er zeigt anderer- seits aber auch, dass es hier ein erhebliches Handlungsde- fizit der Bundesregierung gibt. Wenn die Bundesministerin im Zusammenhang mit der so genannten „Impulskonferenz für die Errichtung ei- ner internationalen Agentur für erneuerbare Energien“ Anfang Juni in Berlin verkündet, das BMZ stelle jährlich 200 Millionen DM für den Ausbau erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern zur Verfügung und Deutsch- land habe sich bisher mit 140 Millionen DM an der För- derung erneuerbarer Energien durch die so genannte glo- bale Umweltfazilität beteiligt, so muss sie sich fragen lassen, wie sie derartige Programme angesichts des an- gekündigten weiteren radikalen Kahlschlages in ihrem Haushalt zukünftig finanzieren will. Bei den bevorste- henden Haushaltsberatungen werden wir jedenfalls pein- lich darauf achten, dass die großen Ankündigungen mit der haushaltspolitischen Realität in Einklang gebracht werden und nicht ein weiteres Mal entwicklungspoliti- sche Dichtung und Wahrheit zum Schaden der deutschen Glaubwürdigkeit in der Welt auseinander klafft. Aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es gelingen sollte, die angekündigten Mittel zur Verfügung zu stellen, so wäre dies noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein der Weltenergieprobleme. Die in dem Koalitionsantrag vollmundig geforderte Verbesserung der Lebensbedingungen in Entwicklungsländern lässt sich hiermit auch nicht nur ansatzweise finanzieren. Auch die ebenfalls geforderte Steigerung der Energie- effizienz in Entwicklungsländern setzt massive Investi- tionen voraus, die nur in einer konzertierten Aktion mul- tilateraler und bilateraler Geberinstitutionen in Angriff genommen werden kann. Deswegen ist es schade, dass dieser Aspekt von dem Antrag vollkommen vernachläs- sigt wird. Dabei wäre gerade der Energiebereich gut ge- eignet für eine gemeinsame entwicklungspolitische Ini- tiative der Europäischen Union. Stattdessen greift der Antrag erneut die noch vor Jah- ren von Rot-Grün verpönte Wunderwaffe der Public Pri- vate Partnerships auf. In der Tat bietet gerade der weltweit wachsende Markt für regenerative Energien eine hervor- ragende Basis für das Zusammenwirken zwischen Ent- wicklungspolitik und Privatwirtschaft. Vor allem der glo- bale Wind- und Solarmarkt weist hohe jährliche Steigerungsraten auf. Auch wenn zwischen den USA und Europa nach wie vor Unstimmigkeit über den richtigen Weg zu einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik besteht und sowohl für die staatlich gesteuerte Umsetzung von Klimaschutzzielen im eigenen Land als auch für die welt- weite Einführung von Energiehandelszertifikaten man- ches spricht, dürfte die Nutzung regenerativer Energie- quellen in jedem Falle ein wichtiger Bestandteil eines Lösungsansatzes sein. Es ist jedoch bedauerlich, dass sich auch hier wieder zu bestätigen scheint, dass auf das Heilmittel PPP zumeist immer nur dann zurückgegriffen wird, wenn die öffentli- chen Kassen leer sind. Die Zusammenarbeit mit der Wirt- schaft darf jedoch genauso wenig wie die in letzter Zeit aus Haushaltsnot propagierte Schwerpunktbildung in der Entwicklungspolitik als Notlösung zum Stopfen von Haushaltslöchern gesehen werden. Bei beiden Ansätzen handelt es sich um zukunftsweisende Konzepte, für deren Umsetzung in einer Anfangsphase auch erhebliches Ka- pital zur Verfügung gestellt werden muss. Hierauf werden wir in den Haushaltsberatungen besonders achten. Carsten Hübner (PDS): Um es gleich vorweg zu sa- gen: Die PDS-Bundestagsfraktion unterstützt den vorge- legten Antrag. Wir sind der festen Überzeugung, dass ein alternatives und zukunftsfähiges globales Entwicklungsmo- dell – und nicht allein im Bereich Umwelt und Energie – nur dann eine wirklich Chance haben wird, wenn wir bereits jetzt alle uns zur Verfügung stehenden Potenziale nutzen, um mit unseren Partnern in den Ländern der so genannten Dritten Welt eine Weichenstellung in Richtung einer re- generativen und nachhaltigen Energieversorgung zu be- fördern. Ökonomie und Infrastruktur sind dort in vielen Bereichen erst im Entstehen, könnten somit von Anbeginn an auf ein nachhaltiges Fundament gestellt werden. Darüber hinaus ermöglichen es regenerative und de- zentrale Energieversorgungskonzepte, sich aus der Ab- hängigkeit – und nicht selten aus dem Würgegriff – inter- nationaler Energiekonzerne schrittweise zu befreien und damit Potenziale für eine eigenständige Entwicklung zu eröffnen. Gleiches gilt für die Einsparungspotenziale, die in diesem Bereich mittel- und langfristig zu erzielen sind und die den Entwicklungsländern die dringend benötigten Handlungsspielräume für eine soziale, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung verschaffen können. In diesem Sinne ist der Antrag ein begrüßenswerter Versuch, das Tor für Entwicklung an einer Stelle aufzustoßen, die Schlüsselcharakter hat. Worauf es jetzt aber ankommt, ist, dem Antrag auch ein angemessenes technologisches und finanzielles Engage- ment folgen zu lassen. Der vorgeschlagene Mix aus technischer Zusammenarbeit – und hier halte ich die PPP- Variante durchaus für sinnvoll – und aus finanzieller Zu- sammenarbeit legt hier einen sinnvollen Grundstein. Doch der konzeptionellen Qualität muss eben auch die fi- nanzielle Quantität folgen. Denn hier geht es nicht um Ni- schenprojekte, hier geht es um elementare Strukturfragen. Und da bleiben mit Blick auf den Etatentwurf des BMZ doch erhebliche Zweifel. Wenn wir den Blick auf die weltweite Klimakatastro- phe richten, auf die übergroße Verantwortung des reichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17719 (C) (D) (A) (B) und entwickelten Nordens für die globalen Emissionen, dann wird allerdings eins deutlich: So wichtig, so unter- stützenswert die Förderung regenerativer Energien in den Entwicklungsländern ist, so unbestreitbar ist auch, dass dieses Engagement nur dann glaubwürdig sein kann, wenn auch der Norden, sowohl im Bereich der Industrie als auch des privaten Lebens, ein radikales Umsteuern einleitet. Und das gilt natürlich auch für die Frage der Außenwirtschaftsförderung. Welches Entwicklungsmo- dell wird von hier aus exportiert, welche Logik, welche Produkte erhalten politische und finanzielle Protektion durch Politik und öffentliche Hand – und welche eben nicht. Ich bin gespannt, wie und ob die Bundesregierung hier die Kohärenz zwischen diesem Antrag und der bis- herigen Wirtschaftspolitik herstellen wird. Zweifel blei- ben mehr als angebracht, wie die unsägliche Praxis der Hermesbürgschaften und die diesbezügliche Reformun- willigkeit zeigen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117720 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Die Kollegin Christa Lörcher feierte am 24. Juni
ihren 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich
nachträglich sehr herzlich.


(Beifall)

Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege

Olaf Scholz als stellvertretendes Mitglied aus dem Ver-
mittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird der
Kollege Klaus Brandner vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
der Kollege Klaus Brandner als stellvertretendes Mit-
glied im Vermittlungsausschuss bestimmt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung
derBundesregierung zur drohenden Auszehrung derBahn-
industrie in Deutschland vor dem Hintergrund einer exis-
tenziellen Gefährdung der Adtranz/Hennigsdorf

2. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

(16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich

Heinrich, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun (Augsburg), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigentums-
rechte nicht durch falsche Naturschutzpolitik aushöhlen
– Drucksachen 14/1113, 14/4572 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mehl
Vera Lengsfeld
Ulrike Höfken
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Hauser

(Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard Friedrich (Erlan-

gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
„Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizienz für den
wachsenden Bildungsmarkt – Drucksache 14/6437 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike
Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.: Sicherung des Wissenschafts-, For-
schungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch
Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte – Drucksache
14/6445 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 29)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Iris Gleicke,

Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge-
ordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm (Amberg), weiteren
Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes

(PbefG) – Drucksache 14/6434 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Küchler,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris Barnett, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbildung im Bildungssys-
tem verankern – Chancengleichheit stärken – Druck-
sache 14/6435 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias Marhold,
Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts-
und Hochschulkooperationen mit Entwicklungs- und
Transformationsländern – Drucksache 14/6442 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (f)


17543


(C)



(D)



(A)



(B)


179. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut
und sozialer Ausgrenzung – Drucksache 14/6134 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zur Welle der Beitragssatz-
erhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus
Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Vertrag von
Nizza nachverhandeln – Drucksache 14/6443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der PDS: Existenzminimum realitätsnah
ermitteln – Drucksache 14/6444 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

9. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Solidarpakt II:
Sichere Zukunft für die neuen Länder

10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Neue Wachstums-
chancen mit durchgreifenden wirtschaftspolitischen
Reformen schaffen – Blitzprogramm für die deutsche Wirt-
schaft – Drucksache 14/6446 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Des Weiteren wurde vereinbart, die Punkte 13 – Airbus
A 3 –, 14 – Datenschutzbericht –, 23 – Asylverfahrensän-
derungsgesetz –, 24 – Spätaussiedlerstatusgesetz –, 26 –
Ausländeränderungsgesetz – sowie 30 a – Neuntes Euro-
Einführungsgesetz – abzusetzen.

Außerdem soll der Tagesordnungspunkt 17 vorgezo-
gen und bereits nach Tagesordnungspunkt 12 beraten wer-
den. Der Tagesordnungspunkt 27 soll bereits heute ohne
Debatte aufgerufen werden.

Weiterhin mache ich auf eine geänderte bzw. eine
nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunkt-
liste aufmerksam:

Der in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr feder-
führend an den Auswärtigen Ausschuss und an den Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,
Ernst Burgbacher, Ina Albowitz, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die deutsch-
französische Beziehungen mit Leben erfüllen

– Drucksache 14/6167 –
überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Der in der 177. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS zur Änderung
des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vor-
schriften – Drucksache 14/6129 –
überwiesen:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatz-
punkt 2 auf:

3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
lung des Rechts des Naturschutzes und der
Landschaftspflege und zur Anpassung anderer
Rechtsvorschriften (BnatSchGNeuregG)

– Drucksache 14/6378 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike
Flach, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.:
Eigentumsrechte nicht durch falsche Natur-
schutzpolitik aushöhlen
– Drucksachen 14/1113, 14/4572 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Mehl
Vera Lengsfeld
Ulrike Höfken
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter




Präsident Wolfgang Thierse
17544


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Seit fast vier Legislaturperioden dis-
kutieren wir über eine Novellierung des Bundesnatur-
schutzgesetzes. Eine solche Novelle legen wir heute vor.
Wir schaffen damit die Grundlagen für den Erhalt der bio-
logischen Vielfalt in einer modernen Industrie- und
Dienstleistungsgesellschaft. Meine Vorgängerin und ihr
Vorgänger sind – ich sage bewusst: leider – an einem sol-
chen Gesetzentwurf, wie er heute dem Bundestag vor-
liegt, gescheitert. Ich denke, wir sind damit heute einen
großen Schritt weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir stärken den Schutz der Natur, um, wie es Richard
von Weizsäcker einmal gesagt hat, ihrer selbst willen.
Störche, Adonisröschen und andere bedrohte Arten sollen
in Deutschland ein Recht auf Überleben haben. Ich sage
immer: Da, wo Störche leben können, ist mit Sicherheit
auch ein guter Platz für Menschen. Wer als Kind Natur
live erlebt und erfahren sowie die Bereicherung durch Na-
tur empfunden hat, der wird sich als Erwachsener mehr
für Natur, aber auch mehr für Naturschutz und gelegent-
lich für die Naturwissenschaften interessieren.

Wir schützen mit dem Bundesnaturschutzgesetz die
Natur nicht gegen die Menschen, sondern mit den Men-
schen. Wir wollen den Naturschutz aus seinem Reservat
herausholen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir berücksichtigen deswegen auch die Interessen der
Jogger, der Kletterer und der Menschen, die Kanu fahren,
weil wir glauben, dass diejenigen, die in ihrem Sport Na-
tur erleben, potenziell auch Bündnispartner für den Na-
turschutz sein können.

Gerade mit der Verpflichtung, Naherholungsgebiete
zu schaffen und zu erhalten, wollen wir dazu beitragen,
dass Menschen – seien es alte Menschen, seien es Men-
schen mit Kindern – eine Chance haben, sich ortsnah zu
erholen. Der Spreewald, das Siebengebirge und die Eifel
sind allesamt ideale Kurzurlaubsorte vor der Haustür.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Den Thüringer Wald haben Sie vergessen!)


– Ich konnte nicht alle aufzählen.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Bodensee fehlt! – Zuruf von der F.D.P.: Und der Hunsrück!)


– Jetzt kommen die ganzen Vorschläge. Sie wissen, was
ich meine. – Wir sind uns einig, dass wir diese Räume er-
halten müssen, anstatt eine Tendenz zu befördern, immer

häufiger, für immer kürzere Zeit und immer weiter in den
Urlaub zu fliegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir versuchen, die Arbeit der Naturschutzverbände
zu stärken. Was wäre denn Naturschutz ohne die Zehn-
tausende von Jugendlichen und Erwachsenen in den Na-
turschutzverbänden? Die Naturschutzverbände sind die
Anwälte der Natur. Wir geben ihnen nunmehr auch bun-
desweit ein Instrument in die Hand, mit dem sie als An-
walt der Natur wirklich tätig werden können. Wir führen
die Verbandsklage ein. Wo auf Auflagen für Schutzge-
biete verzichtet werden soll, wo Planfeststellungsverfah-
ren durchgeführt werden, dort können anerkannte Ver-
bände künftig, wenn sie sich vorher an den Verfahren
beteiligt haben, Klage erheben. Wir ziehen damit die Kon-
sequenz aus den guten Erfahrungen, die wir mit der Ver-
bandsklage in mittlerweile 13 Bundesländern gemacht
haben. Die Bayern und die Baden-Württemberger müssen
in diesem Punkt noch ein bisschen geschoben und nach
vorne gebracht werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die Agrar-
wende und die Neuorientierung der Landwirtschaft, die
Verbraucher ebenso wie Landwirte fordern. Ich will an
dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Ohne landwirt-
schaftliche Tätigkeit, das heißt ohne die Arbeit von Land-
wirten, würde die Kulturlandschaft in Deutschland ver-
öden. Aber umgekehrt gilt auch: Bei einer weiteren
Industrialisierung der Landwirtschaft würden nicht nur
die Landschaft und die Natur unter die Räder kommen,
sondern auch das Höfesterben würde sich weiter be-
schleunigen. Deswegen sage ich mit allem Nachdruck:
Landwirte und Naturschutz haben ein gemeinsames Inte-
resse an einer nachhaltigen Landwirtschaft und an or-
dentlichen ländlichen Räumen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Im Ziel sind wir uns einig! Es kommt darauf an, wie!)


Spätestens dann, wenn ungespritztes Obst, Gemüse und
Fleisch, das von Bioland oder anderen Produzenten er-
zeugt worden ist, für alle bezahlbar wird, merkt jeder:
Nachhaltige Landwirtschaft, Naturschutz schmeckt gut.

Ich will an dieser Stelle noch einige Bemerkungen zu
den Eckpunkten dieses Gesetzentwurfs machen. Wir de-
finieren das Verhältnis von Naturschutz und Land- und
Forstwirtschaft neu. Das heißt, wir führen erstmals Re-
geln für eine gute fachliche Praxis aus der Sicht des Na-
turschutzes ein. Es ist nicht so, wie einige immer be-
fürchten, dass dadurch etwas Schreckliches passiert. Im
Grunde genommen ist es doch selbstverständlich – es sind
die „basics“, Neudeutsch gesagt –, dass Grünland in
Flußauen und an Hängen nicht umgebrochen wird, weil
das zu Erosionen führt. Wir wissen, dass leider nicht da-
nach gehandelt wird; deswegen müssen wir entspre-
chende Vorschriften in das Gesetz aufnehmen.

Höfe sollen künftig im Verhältnis zum Viehbestand
und zur Fläche ausgewogen bewirtschaftet werden. Wir




Präsident Wolfgang Thierse

17545


(C)



(D)



(A)



(B)


wollen, dass in der Forstwirtschaft Kahlschlag untersagt
wird. Wir halten nichts davon, dass überall Fichtenplanta-
gen angelegt werden. Wir wollen vernünftigen Misch-
wald und eine standortgerechte Bewirtschaftung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das haben Sie doch nicht erfunden! Die Waldbauern machen das schon immer so!)


In der Fischereiwirtschaft erhält der Naturschutz Vorrang
vor der Rendite.

Wir geben es den Ländern mit dem Naturschutzgesetz
in die Hand, dieses Gesetz auszugestalten. Wir setzen be-
wusst Rahmen, weil wir der Auffassung sind, dass es je
nach Landschaft, je nach Bundesland unterschiedliche
Bedingungen gibt. Dem muss in einem föderalen Staat
von den Ländern Rechnung getragen werden.

Das gilt gerade im Hinblick auf die Ausgleichsrege-
lung.Wir haben mit der von Ihnen vorgelegten Gesetzes-
novelle, nach der eine Ausgleichspflicht auch dann be-
stand, wenn eine Naturschutzbehörde lediglich zur
Verhinderung von Umweltsünden eine gute fachliche
Praxis durchgesetzt hat, Schluss gemacht. Das kann nicht
ausgleichsfähig sein. Den Ausgleich von Leistungen, die
die Landwirte über die gute fachliche Praxis hinaus für
den Naturschutz erbringen, sollen die Länder regeln. Das
ist unser Ansatz für ein neues Miteinander zwischen Na-
turschutz und Landwirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen, dass die Länder auch eine Gesetzlichkeit
für ein Biotopverbundsystem aufbauen, ein System, in
dem sich unterschiedliche Biotope miteinander verbin-
den. Ich sage an dieser Stelle deutlich, dass es sich hier
nicht um eine Schutzkategorie handelt. Wir haben mit Ab-
sicht nicht festgeschrieben, wie die Länder das machen
sollen, sondern wir gehen davon aus, dass dies aufgrund
der jeweiligen regionalen Bedingungen erfolgt.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass wir die
Eingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes ver-
schärft haben. Künftig gilt die Veränderung des Grund-
wasserspiegels, eines der Hauptprobleme, das wir haben,
als ein Eingriff. Wir haben sie zwar praktikabler gemacht,
aber gleichzeitig den Schutz von Lebensräumen von
streng geschützten Tier- und Pflanzenarten verschärft.
Darüber hinaus wollen wir nicht mehr, dass bei Eingriffen
Ablasshandel betrieben wird. Ausgleichsmaßnahmen
müssen angemessen und hochwertig sein. Die Natural-
kompensation muss im Vordergrund stehen. Die Funktion
des Naturhaushaltes und das Landschaftsbild dürfen nicht
beeinträchtigt werden.

Schließlich sind wir mit dem Naturschutzgesetzent-
wurf einen weiteren Missstand angegangen, nämlich den
Vogeltod an Hochspannungsleitungen.Bestehende Lei-
tungen sollen innerhalb von acht Jahren so umgerüstet
werden, dass zum Beispiel Uhus und Greifvögel gegen
Stromschlaggefahr gesichert sind.

Ich möchte nun eine Bemerkung zu einem Konfliktfeld
machen, das gerade an der Küste eine besondere Rolle
spielt. Wir beobachten eine steigende Investitionstätigkeit
in Bezug auf die Planung und den Bau und von Offshore-
windenergieparks. Als Naturschützer sage ich ganz
deutlich: Wir wollen den Ausbau der Windenergie. Wenn
wir den Klimawandel nicht bekämpfen, wird das gerade
auf die Artenvielfalt, die Biodiversität, Auswirkungen ha-
ben. Es ist und bleibt aber richtig, dass die wirklichen Po-
tenziale für den Ausbau der Windenergie beim Windener-
gieweltmeister Bundesrepublik Deutschland offshore im
Wasser liegen. Das ist der Grund, weswegen wir als für
den Naturschutz zuständiges Ministerium Flächen be-
stimmt haben, auf denen dieser Ausbau möglich ist. Wir
wollten damit ganz bewusst ein Signal setzen, nämlich
den Naturschutz aus der Rolle des Verweigerers und Ver-
hinderers in eine aktive Mitgestaltung bei der Lösung die-
ses Problems bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Außerdem werden wir dafür sorgen, dass innerhalb der
AWZ, der Außenwirtschaftszone, für solche Dinge ent-
sprechende Regeln gelten. Wir verändern die Seeanlagen-
verordnung und wir schaffen die Grundlagen zur Auswei-
sung von FFH- und Vogelschutzgebieten.

Meine Damen und Herren, in einem montäglichen
Magazin habe ich auf dem Titelbild Folgendes gelesen:
„Die abgeschlafften Reformer“.


(Jörg van Essen: Genau so ist es!)

Ich muss Ihnen sagen: Für die Umwelt- und Naturschutz-
politik dieser Regierung kann ich das nicht nachvollzie-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der F.D.P.)


Nach dem Atomkonsens, dem Erneuerbare-Energien-
Gesetz und dem Modernisierungsgesetz für Kraft-
Wärme-Kopplung geht Rot-Grün mit dem Natur-
schutzgesetzentwurf die nächste große Reform an, eine
Reform, an der Sie 16 Jahre lang gescheitert sind. Ich
kann nur sagen: Von Reformmüdigkeit ist zumindest bei
mir keine Spur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Eine sehr mittelmäßige Rede! Ohne Engagement!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Paziorek von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1417900200
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Schutz der Natur ist bei
uns, in Europa und weltweit eine der zentralen Heraus-
forderungen unserer Zeit. Bei der Festlegung der Krite-
rien für die Beantwortung der Frage, wie wir die Natur am
besten schützen können, müssen wir zwar von naturwis-
senschaftlichen Fakten ausgehen; letztlich ist dies aber




Bundesminister Jürgen Trittin
17546


(C)



(D)



(A)



(B)


eine gesellschaftspolitische Frage. Bei ihrer Beantwor-
tung müssen alle Bürger einbezogen werden. Das bedeu-
tet für die CDU/CSU im Gegensatz zur Regierungskoali-
tion: Naturschutz kann nur mit der Bevölkerung und nicht
gegen die Bevölkerung verwirklicht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze in der Natur-
schutzpolitik. Sagen wir es ganz deutlich: Moderner Na-
turschutz bedeutet Schutz der Natur vor negativen
menschlichen Einflüssen, aber auch Schutz und Nutzung
der Natur durch den Menschen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Richtig! Völlig in Ordnung! Da geht unser Gesetz hin!)


Daraus folgt für uns ganz wesentlich: Diese Grund-
frage mit Generationenbedeutung kann nur im Einver-
nehmen mit allen gesellschaftlichen Gruppen gelöst
werden. Das wird nur zu schaffen sein, wenn für die Be-
lange des Naturschutzes ein auf Konsens gerichtetes poli-
tisches Klima erreicht wird. Dieser Anforderung wird Ihr
Gesetzentwurf, Herr Minister, an keiner Stelle gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Voraussetzung für einen Dialog zwischen Naturnut-

zern und Naturschützern und den Willen aller zu einem
Bündnis für die Natur ist, dass es zu einer gerechten Las-
tenverteilung im Rahmen der Naturschutzpolitik kommen
muss. Den Nutzen, den die Allgemeinheit von einer in-
takten Natur hat, dürfen nicht nur wenige, sondern müs-
sen alle bezahlen. Das übersehen Sie – entgegen Ihren
Worten, Herr Minister – eindeutig in Ihrem Gesetzent-
wurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist der

jetzt von Bundesminister Trittin – nach seiner Rede zu ur-
teilen besteht bei ihm doch eine große politische Müdig-
keit – und von den Regierungskoalitionen vorgelegte Ent-
wurf einer Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz eine
herbe Enttäuschung. Er trägt nicht zum Konsens im
Naturschutz bei. Er vertieft vielmehr die Kluft zwischen
den verschiedenen Akteuren, insbesondere zur Land- und
Forstwirtschaft. Diese Kluft haben wir, CDU/CSU und
F.D.P.,


(Ulrike Mehl [SPD]: Geschaffen!)

vor 1998 – da waren Sie, Herr Minister, noch nicht Mit-
glied dieses Bundestages – durch die letzte Novellierung
des Bundesnaturschutzgesetzes erfolgreich überbrücken
können. Sie schrauben das wieder zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie werden diese Kluft mit diesem Gesetzentwurf wieder
aufreißen, und zwar – das sage ich ganz deutlich – zulas-
ten des Naturschutzes in unserem Land.

Wie bei der Rentendiskussion 1998 und bei der Ge-
sundheitsreform Ende 1998 wird jetzt, natürlich verspä-
tet, auch die Naturschutzdiskussion von der rot-grünen
Bundesregierung mit Themen von gestern und vorgestern
eröffnet. Nicht die Lösung von Zukunftsfragen, sondern
das Rückgängigmachen früherer Beschlüsse des Bundes-

tages steht aus rein ideologischen Gründen im Mittel-
punkt dieser Novelle.

Der Entwurf fördert nicht die Lösung von Natur-
schutzfragen im Konsens mit dem Bürger, er stärkt nicht
den Vertragsnaturschutz, sondern er setzt wieder stärker
auf die hoheitliche und damit auch verwaltungsmäßige
Wahrnehmung, teilweise auch gegen den Willen der ört-
lichen Bevölkerung.

Der Entwurf hebt die bundeseinheitliche Verpflichtung
der Bundesländer zum finanziellen Ausgleich für Natur-
schutzauflagen, die über die gute fachliche Praxis hinaus-
gehen, wieder auf und überlässt damit die Regelung der
finanziellen Fragen in Bezug auf die Landwirtschaft
tatsächlich nur den Bundesländern. Es wird nach Ihrem
Gesetzentwurf entgegen Ihren Worten, Herr Minister, kei-
nen gerechten bundeseinheitlichen Lastenausgleich im
Naturschutz mehr geben. Gerade das war ein Erfolg der
letzten Novellierung vor 1998. Sie machen diesen wich-
tigen Erfolg, die Verankerung des Naturschutzes in der
Bevölkerung, wieder zunichte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wer das nicht glauben will, schaue sich nur die Be-

gründung Ihres neuen Gesetzentwurfes an. Ich darf zitie-
ren, Herr Präsident.

Zwar ist es den Ländern unbenommen, Entschädi-
gungen auch für solche Beschränkungen zu zahlen,
die nur unwesentlich über den Standard der guten
fachlichen Praxis hinausgehen. Aber auf der anderen
Seite sind auch reine Härtefallregelungen denkbar,
die bereits an der Grenze der Sozialpflichtigkeit des
Eigentums angesiedelt sein können. In dieser Band-
breite sind die Länder zukünftig frei, Ausgleichszah-
lungen zu treffen.

So die Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist der entschei dende Punkt!)

Dabei wissen wir doch ganz genau, dass gerade diese

frühere Praxis, die Sie jetzt wieder einführen wollen, zu
unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in Deutsch-
land geführt hat.


(Christoph Matschie [SPD]: Das ist Föderalismus!)


Sie war doch gerade ein wesentlicher Grund für die Ab-
nahme der Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen in der
Bevölkerung, insbesondere in der Land- und Forstwirt-
schaft.


(Christoph Matschie [SPD]: Wollten Sie nicht mehr Wettbewerbsföderalismus?)


Es ist ein umweltpolitischer Treppenwitz, dass die Bundes-
regierung diese überholte Praxis, die wir schon längst über-
wunden hatten, jetzt in Deutschland wieder einführen will.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist gar nicht wahr!)


Die Konsequenz daraus wird sein, dass damit unter dem
Diktat leerer öffentlicher Landeskassen Naturschutz




Dr. Peter Paziorek

17547


(C)



(D)



(A)



(B)


künftig wieder zulasten einer Bevölkerungsgruppe betrie-
ben wird, siehe Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Ich muss ganz deutlich sagen: Ich halte es für unehr-
lich, dass bei der Vorstellung des Entwurfs auf frühzeitige
Information und Konsens mit der Bevölkerung hingewie-
sen wird, dass in den konkreten Regelungen aber – das
stellt man fest, wenn man in den Gesetzentwurf hinein-
schaut – vieles von dem, was Sie, Herr Minister, heute
Morgen gesagt haben, vom Gesetzes- und Begründungs-
text leider nicht getragen wird; das waren alles reine Wort-
hülsen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Anhänger des Naturschutzes werden es noch be-

reuen. Das Zurückdrängen des Vertragsnaturschutzes in
Deutschland wird nicht dazu beitragen, das zukünftige
Klima – ich sage es noch einmal ganz deutlich – für not-
wendige Naturschutzmaßnahmen zu verbessern. Man
kann sagen: Der Entwurf hält nicht das, was Sie gerade in
Ihrer Rede versprochen haben.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das weiß er auch! – Zuruf von der CDU/CSU: Auf dem Rücken der Betroffenen!)


Es wird zum Beispiel davon gesprochen, dass ein Bio-
topverbund notwendig sei – dies ist richtig – und dass die
verschiedensten Naturschutzflächen in Deutschland
grundsätzlich 10 Prozent der Landesfläche umfassen sol-
len. Wie kommen Sie auf diese Zahl von 10 Prozent?


(Marita Sehn [F.D.P.]: Es können ja auch 5 oder 15 Prozent sein!)


Warum nicht in dem einen Land 12 oder 15 Prozent und
in einem anderen 7 oder 8 Prozent? Wieso greifen Sie ein-
fach eine Zahl heraus, obwohl Sie ganz genau wissen,
dass Sie diese Zahl in der konkreten Naturschutzdiskus-
sion überhaupt nicht begründen können. Sie wollen nur
Ihre Klientel zufrieden stellen; das ist völlig falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meinen Sie denn wirklich, dass es ein Beitrag zur Bür-

gerinformation und Bürgeröffentlichkeit ist, wenn Sie die
verschiedensten Biotoptypen und -schutzkategorien jetzt
noch weiter anreichern? Sie führen eine Vielzahl von
Schutzgebietskategorien ein. Der Bürger steht verzweifelt
vor Ihrem Gesetzentwurf und fragt sich, was durch die ent-
sprechenden Typen – Naturschutzgebiete, Naturparke, Na-
tionalparke und Biosphärenreservate – geschützt wird, in-
wieweit durch den einen Typ in sein Eigentum eingegriffen
wird und wie er sich bei einem anderen Typ tatsächlich ver-
halten muss. Im Sinne der Entbürokratisierung wäre es ein
Gebot der Stunde, die Schutzkategorien zu vereinfachen,
damit die Bürger wissen, wo es langgeht, und bereit sind,
dort mitzumachen. Das machen Sie leider nicht.


(Christoph Matschie [SPD]: Machen Sie mal einen Vorschlag!)


– Herr Matschie, Sie als Ausschussvorsitzender werden
noch erleben, wie lange die Beratungen im Ausschuss dau-
ern werden. Diesen Zwischenruf werden Sie noch bereuen.


(Lachen bei der SPD – Christoph Matschie [SPD]: Jetzt habe ich aber Angst!)


Sie werden sehen, dass wir gerade diese Punkte im Detail
kritisieren werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein wichtiges Thema ist das von Ihnen angesprochene

Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Naturschutz.
Wir wissen, dass es notwendig ist, Landwirtschafts- und
Naturschutzpolitik zu harmonisieren. Durch neue Aufla-
gen und Verordnungen sowie durch die Abschaffung von
Regelungen zur finanziellen Entschädigung werden Sie in
diesem weiten Politikfeld nicht erfolgreich sein. Auch die
CDU/CSU ist für standortangepasste Landnutzung, artge-
rechte Tierhaltung und naturnahe Bewirtschaftung. Die
Anhebung der Standards, von denen Sie gerade gespro-
chen haben, gehört aber in die einschlägigen Fachgesetze
und nicht in das Bundesnaturschutzgesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Herr Trittin, man merkt, dass Sie ursprünglich nicht in
der Verwaltung tätig gewesen sind: Alle Fachleute sagen
Ihnen, dass die Naturschutzbehörden vor Ort personell
nicht so ausgestattet sind, dass sie die vielen offenen
Punkte im Natur- und Landschaftsschutz regeln und har-
monisieren könnten. Die Verwaltung vor Ort ist überhaupt
nicht entsprechend ausgestattet. Sie befrachten vielmehr
die Naturschutzbehörden mit neuen Aufgaben und wissen
ganz genau, dass die Naturschutzbehörden diese Fragen
vor Ort überhaupt nicht lösen können. Sie werden dadurch
nur große Unsicherheiten und Probleme in der Natur-
schutzpolitik vor Ort herbeiführen.

Deshalb fordere ich ganz deutlich: Hören Sie auf, in
diesen Fragen die so genannte Agrarwende zu betreiben!
Machen Sie das, wenn Sie wollen, in den Fachgesetzen!
Helfen Sie aber mit, dass der Gedanke des Naturschutzes
an dieser Stelle keinen Schaden leidet!

Ich fasse zusammen: Dieser von Rot-Grün vorgelegte
Entwurf einer Novellierung des Bundesnaturschutzgeset-
zes wird die Situation des Naturschutzes in Deutschland
leider nicht verbessern. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt
vor, den bisher eingeschlagenen Weg des Konsenses


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Des Nichtstuns!)


im Naturschutz weiterzugehen. Dazu muss – im Gegen-
satz zu Ihrem Entwurf – der Vertragsnaturschutz gestärkt
und die bundeseinheitlich vorgeschriebene Ausgleichs-
verpflichtung der Bundesländer für Naturschutzauflagen
beibehalten werden. Darüber hinaus ist das Bundesnatur-
schutzrecht mit einer Vereinfachung der Schutzkategorien
und Veränderungen im Artenschutzrecht für den Bürger
transparenter zu gestalten.

Für solche Regelungen bieten wir in den Ausschüssen
unsere Mitarbeit an. Den Entwurf in der jetzigen Fassung
lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber entschieden
ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900300
Ich erteile das Wort
Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.




Dr. Peter Paziorek
17548


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1417900400
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Paziorek, ich konnte eigent-
lich nichts anderes erwarten; aber ein bisschen enttäuscht
es mich schon, dass Sie wieder in das altbekannte Horn
blasen. Den Dissens in der Öffentlichkeit, den Sie bekla-
gen, haben Sie erzeugt, und zwar in der letzten Legis-
laturperiode mit der Diskussion gerade um die Land-
wirtschaft. Einen Konsens erreicht man nicht mit solchen
Reden, wie Sie eben eine gehalten haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe gehofft, dass Sie konstruktiv mitarbeiten wollen.
Aber offensichtlich wollen Sie es nicht; Sie wollen das
Thema vielmehr wieder ausschlachten und schaden damit
gerade dem Bestreben, Naturschutz und Landwirt-
schaft zusammenzubekommen. Sie bringen die Leute auf
die Barrikaden, und das ohne jeden Grund.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wer geht denn auf die Barrikaden?)


– Ich komme dazu gleich noch. Ich kann überhaupt nicht
nachvollziehen, was Sie an Inhalten kritisieren. Aber viel-
leicht kommt später mehr Substanz.

Wir debattieren heute – ich hoffe, zum vorletzten Mal für
geraume Zeit – das Bundesnaturschutzgesetz, das wir weit
über zwölf Jahre intensiv diskutiert haben. Aber bis 1998
gab es nur Gesetzentwürfe der Opposition. Auch der frühere
Umweltminister Töpfer, der das Fehlen einer Novelle als
eine klaffende Wunde in der Umweltpolitik der damaligen
Regierung bezeichnet hat, hatte keinen Gesetzentwurf und
er wusste sehr wohl, warum: Er wollte nämlich keinen
schlechten vorlegen. Stattdessen haben Sie 1998 zwei No-
vellen vorgelegt; die zweite scheiterte. In der dritten haben
Sie dann das geregelt, was Sie in der zweiten nicht durch-
bekommen haben. Alleine das ist schon ein Grund dafür,
dass das Naturschutzgesetz überarbeitet werden muss.

Dass die CDU jetzt im Bundesrat versucht, zu halten,
was zu halten ist, um dem Gesetz einen eigenen Stempel
aufzudrücken, kann ich zwar nachvollziehen; aber ich
sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, dieses Gesetz
zu einem zustimmungspflichtigen Gesetz zu machen und
es damit scheitern zu lassen. Das Gesetz wird diesmal be-
schlossen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Fachwelt ist sich jedenfalls einig, dass, obwohl
schon viele Jahre untätig ins Land gegangen sind, eine
Überarbeitung des Naturschutzgesetzes dringend notwen-
dig ist; denn die Artengefährdung sowie der Lebens-
raumschwund und die Lebensraumverschlechterung hal-
ten ungebremst an. Das kann man in vielen Gutachten, die
in den letzten Jahren erstellt worden sind, nachlesen.

Der Interessenkonflikt zwischen Landwirtschaft und
Naturschutz ist weitgehend unverändert geblieben. Dazu
hat die Diskussion in der letzten Legislaturperiode kräftig
beigetragen. Ich finde das ausgesprochen bedauerlich. Ich
glaube, dass es für die Landwirtschaft eine große Chance
ist, wenn sie von sich aus auf den Naturschutz zugeht.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das macht sie doch!)


Das tut sie ja in weiten Teilen, und zwar auch in der Pra-
xis. Aber mit solchen Reden, wie Sie sie hier halten, tun
Sie das jedenfalls nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden mit dem vorgelegten Gesetzentwurf einen
neuen Anlauf nehmen, um endlich das notwendige ge-
setzliche Fundament für einen wirksamen Naturschutz zu
schaffen. Dieses Gesetz ist im Gegensatz zu dem, was wir
eben gehört haben, eine deutliche Verbesserung gegen-
über dem geltenden Recht. Es orientiert sich an dem Prin-
zip der Nachhaltigkeit, betont nicht mehr so stark die
Interessen der Naturnutzer und berücksichtigt neue wis-
senschaftliche Erkenntnisse aus Naturschutz und Land-
schaftsplanung.

Ich kann in dem Zusammenhang nur begrüßen, dass
die Liste der zu schützenden Biotope erweitert worden ist
und dass beispielsweise auch der Schutz von Gewässern
und Uferzonen als wichtiges Element für ein ökolo-
gisches Netz benannt worden ist.

Ich finde die Neuregelung des Verhältnisses von Na-
turschutz einerseits und Land-, Forst- und Fischerei-
wirtschaft andererseits, wie sie jetzt in den Gesetzent-
wurf aufgenommen worden ist, lobenswert. Die
bestehenden fachrechtlichen Vorschriften für die ord-
nungsgemäße Bewirtschaftung werden durch na-
turschutzfachliche Anforderungen ergänzt. Diese ge-
plante Änderung – das ist der Unterschied zu dem, was
in der letzten Legislaturperiode gelaufen ist – flankiert
die ebenfalls überfällige Agrarwende, die den Weg zu
einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Landwirtschaft
ebnet. Die Novellierung des Bundesnaturschutzgeset-
zes ist also einer der Bausteine bei der Umsetzung der
neuen Agrarpolitik.

§ 5, um den es hier geht, hat schon im Vorfeld zu hef-
tigen Diskussionen geführt. Allerdings ist das eine Dis-
kussion, die wir schon seit zehn Jahren intensiv führen.
Ich kann heute, da der ausformulierte Text vorliegt, die
ablehnenden Argumente vonseiten der Landwirtschaft
noch weniger verstehen als früher. Es ist für mich nicht
nachvollziehbar, warum die Landwirtschaft glaubt, dass
das, was hier formuliert ist, zum Ruin der Landwirtschaft
führt. Dies haben Sie ja eben heraufbeschworen.


(Christoph Matschie [SPD]: Das glauben nur einige Verbandsvertreter!)


Ich glaube, das im Gesetz Formulierte ist das Minimum
dessen, was man von der Landwirtschaft erwarten kann.
Die Bauernverbandsvertreter sagen ja selbst, dass sie das,
was in § 5 des Bundesnaturschutzgesetzes formuliert ist,
ohnehin machen, und zwar seit vielen Jahren. Deswegen
erschließt es sich mir nicht, warum sie mit allen Mitteln
dagegen kämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unter den diversen Gegenargumenten gibt es eines, das
ich gerne bereit bin, im parlamentarischen Beratungsver-
fahren zu untersuchen. In § 5 Abs. 3 Nr. 2 steht, dass die






(C)



(D)



(A)



(B)


erforderlichen Elemente zur Vernetzung von Biotopen in
ausreichender Dichte zu erhalten bzw. wieder herzustel-
len sind. Es wird behauptet, dass dies dazu führen könnte,
dass bestehende Agrarförderprogramme ausgehebelt
würden. Ich glaube nicht, dass dieser Fall eintreten wird,
weil nämlich in dem gleichen Absatz formuliert ist, dass
die Länder die zu erreichende regionale Mindestdichte
hierfür festlegen müssen. Ich bin aber, wie gesagt, gern
bereit, dies zu überprüfen, weil wir natürlich im Interesse
des Naturschutzes eine Bereicherung an Landschaft errei-
chen wollen. Wenn dies über Agrarprogramme geschieht,
dann soll dies auch weiterhin so sein.

Im Übrigen ist in diesem Themenzusammenhang wei-
terhin der Vertragsnaturschutz als wichtiges Element
verankert worden. Ich betone aber noch einmal, dass der
Vertragsnaturschutz eben nur ein Instrument unter ande-
ren ist. Dies ist im Gesetzentwurf auch so formuliert. Der
Vertragsnaturschutz ist ein Instrument, das bei der Um-
setzung vor Ort sehr flexibel angewendet werden kann,
und zwar dort, wo es Sinn macht. Aber was Sinn macht,
an welcher Stelle und unter welchen Voraussetzungen es
Sinn macht, das entscheiden diejenigen, die für den Na-
turschutz und für die Umsetzung zuständig sind, und das
sind die Länder. Im Übrigen sind es auch die Länder, die
das bezahlen müssen. Deswegen halte ich es nach wie vor
für richtig, im Bundesgesetz nicht bindend vorzuschrei-
ben, dass der Vertragsnaturschutz das Instrument ist, das
die Länder als erstes anzuwenden haben, sondern dass
dieses Instrument zur Verfügung gestellt und gesagt wird:
Wendet es dort an, wo ihr meint, dass es das richtige und
flexible Instrument ist. Genau das haben wir jetzt ge-
macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Alles in allem ist festzuhalten: Die Landwirtschaft ist
in die Lage zu versetzen, umweltverträglich zu wirtschaf-
ten. Das ist aber nicht Aufgabe des Naturschutzes, son-
dern Aufgabe der Landwirtschaftspolitik. Genau das wird
die Regierung jetzt mit der Agrarwende tun. Alle über
dieses Maß hinausgehenden Anforderungen und Wün-
sche vonseiten des Naturschutzes gehören in das Aufga-
benfeld des Naturschutzes. Dafür haben wir mit diesem
Gesetz die Grundlagen und die Instrumente geschaffen.

Ein weiterer wichtiger Eckpunkt des Gesetzes ist, dass
die Naturschutzverbände nun endlich durch die Ein-
führung der Vereinsklage auch auf Bundesebene ein
wichtiges Instrument erhalten. Wie wir schon gehört ha-
ben, wenden bereits 13 Bundesländer dieses Instrument
seit Jahren an. Während noch vor zehn Jahren heftig la-
mentiert wurde, dadurch würde der ganze Staat lahm ge-
legt, weil die Umweltverbände auf Teufel komm raus
klagen würden, hat sich genau das Gegenteil herausge-
stellt. Es hat sich herausgestellt, dass die Umweltver-
bände mit diesem Instrument sehr verantwortungsbe-
wusst umgehen. Auf der anderen Seite haben die
Verwaltungen inzwischen festgestellt, dass das die Ver-
fahren eher beschleunigt, als dass es sie verlangsamt, weil
sie nämlich in den Verfahren sehr viel enger und sehr viel
früher zusammenarbeiten. Alle miteinander stellen also
fest: Dies ist ein gutes Instrument. – Das war auf Bundes-

ebene lange überfällig. Wir haben dies ernst genommen
und haben jetzt die Gelegenheit genutzt, es in das Gesetz
aufzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben das Instrument der Landschaftsplanung
gestärkt, indem wir es als flächendeckendes Instrument in
das Gesetz aufgenommen haben. Die Landschaftsplanung
ist die einzige Fachplanung, die die unterschiedlichen
Nutzungsansprüche an Natur und Landschaft koordinie-
ren kann. Deswegen ist sie ein sehr wichtiges Instrument.
Die Länder werden nun die Aufgabe haben, einen ent-
sprechenden Mindeststandard der Landschaftsplanung
festzulegen. In Teilen ist das ja schon geschehen, aber die
Länder werden auch die Aufgabe haben, mit solchen Min-
deststandards der Landschaftsplanung die Bedeutung zu
geben, die sie verdient.

Wir haben außerdem unsere langjährigen Forderungen
nach einem Biotopverbund in diesen Entwurf aufge-
nommen. Auf mindestens zehn Prozent der Fläche eines
Bundeslandes soll es den Vorrang für den Naturschutz ge-
ben. Die Vernetzung der Flächen untereinander setzt nun
endlich schon lange bekannte wissenschaftliche Erkennt-
nisse im Bereich des Naturschutzes um.

Abschließend möchte ich festhalten: Dieses Gesetz ist
eine sehr gute Grundlage zur Verbesserung des Natur-
schutzes. Allerdings bietet auch dieses Gesetz nicht die
Lösung aller Probleme; das sollte jedem klar sein. Das
liegt zum einen daran, dass es sich um ein Rahmengesetz
handelt, zum anderen aber auch daran, dass Naturschutz
eine Querschnittsaufgabe ist, die mit vielen Interessen aus
anderen Ressorts kollidiert. Der Erfolg des Naturschutzes
hängt im Wesentlichen davon ab, dass diese anderen Inte-
ressenfelder dem Naturschutz die Aufgabe zumessen, die
er hat, nämlich die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.

Es gibt sicherlich den einen oder anderen Punkt in die-
sem Gesetzentwurf, der verbesserungswürdig ist. Wir
werden darüber im parlamentarischen Verfahren diskutie-
ren. Das betrifft möglicherweise Regelungen zum
Biotopverbund, zum Thema Meeresnaturschutz und viel-
leicht auch im Zusammenhang mit Offshore-Anlagen, die
vorhin schon angesprochen worden sind. Wir werden da-
rüber eingehend beraten.

Ich freue mich sehr, Herr Paziorek, dass Sie trotz aller
grundsätzlichen undifferenzierten Beschimpfungen, was
dieses Gesetz angeht, erklären, Sie wollten konstruktiv
mitarbeiten und würden im Ausschuss sehr intensive Vor-
lagen dazu einbringen. Ich freue mich darauf und hoffe,
dass Sie dann auch konstruktiv nach außen wirken und
nicht so destruktiv, wie Sie es eben getan haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900500
Ich erteile der Kolle-
gin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1417900600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Welche Vision hat diese Bundesregie-




Ulrike Mehl
17550


(C)



(D)



(A)



(B)


rung eigentlich von oder für Deutschland – Industriestand-
ort oder Feuchtbiotop?


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, oh!)


Naturschutz in einer hoch entwickelten Industriege-
sellschaft, in einem dicht besiedelten Land ist ein dau-
ernder Abwägungsprozess. Auf einem zunehmend enger
werdenden Markt für Fläche ist der Naturschutz neben der
Wirtschaft und dem Wohnungs- und Straßenbau zu einem
weiteren Nachfrager geworden. Da ist es wenig hilfreich,
diesen Abwägungsprozess zu ignorieren und erst einmal
die Abwägungsklausel zu streichen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie

uns schon nicht glauben, dann sollte Ihnen die gemein-
same Erklärung von BDI, DIHK, DBV und den
kommunalen Spitzenverbänden Anlass zum Nachdenken
sein. Wer den Naturschutz aus sich selbst heraus rechtfer-
tigt, geht zumindest den lästigen Fragen der Landwirt-
schaft, der Forstwirtschaft, der Grundeigentümer, der
gesamten Bevölkerung des ländlichen Raumes aus dem
Weg.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Genau so ist es!)


Herr Minister, auch wir haben natürlich ein Herz für den
Storch und für das Adonisröschen.

Nachhaltigkeit – dieses wunderschöne Wort! Kaum
ein Antrag, kaum ein Gesetzentwurf, kaum eine Rede der
Regierung, in denen nicht das Leitbild der Nachhaltigkeit
beschworen wird. Aber was ist denn Nachhaltigkeit,
meine Damen und Herren von der Regierung? Nachhal-
tigkeit umfasst genau das, was Sie mit der Novelle des
Bundesnaturschutzgesetzes verhindern wollen, nämlich
die offene Abwägung von ökonomischen, ökologischen
und sozialen Faktoren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie erklären

Sie es den Landwirten, wenn Sie ihre wirtschaftliche Frei-
heit zunehmend einschränken?


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Leider!)

Wie sagen Sie dem Landwirt, dass seine Existenz weniger
wichtig ist als zum Beispiel die einer bedrohten Insekten-
art? Sie drücken sich vor der Antwort, Herr Schönfeld, in-
dem Sie sagen: Wir schützen die Natur, weil es nun ein-
mal die Natur ist. – Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass
die Betroffenen mit dieser Auskunft sehr zufrieden sein
werden.

Aber die Halbwahrheiten der Regierung gehen noch
weiter. Während Herr Trittin landauf, landab erklärt, dass
der Naturschutz zu einer wichtigen Einkommensquelle
für die Bauern geworden ist, sieht die Wahrheit etwas an-
ders aus. Wohlgemerkt, Herr Trittin: Dies ist die Wahrheit
aus Ihrem eigenen Haus.

Auf meine schriftliche Anfrage an die Bundesregie-
rung vom 7. Juni 2001 habe ich zur Antwort bekommen,
dass der Bundesregierung „keine allgemeinen Erkennt-

nisse über die Einkommens- und Vermögensentwick-
lungen der landwirtschaftlichen Betriebe in den verschie-
denen Schutzgebietstypen bzw. über die finanziellen Aus-
wirkungen von Schutzgebietsausweisungen vorliegen“.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Aha! Er redet, wie es ihm gefällt!)


Woher nimmt dann bitte schön die Koalition die Dreistig-
keit, immer wieder zu behaupten, der Naturschutz sei eine
Einkommensquelle für die Landwirtschaft?

Aber die Antwort auf meine Anfrage enthält ein weite-
res Highlight. Schließlich weist die Bundesregierung
ausdrücklich darauf hin, dass den „durch Auflagen verur-
sachten Kosten jedoch auch Ertragssteigerungen entge-
genstehen können, wenn landwirtschaftliche Erzeugnisse
aus Schutzgebieten zu einer erhöhten Nachfrage und da-
mit Zahlungsbereitschaft führen“. Während die Einnah-
men aus dem Naturschutz also sehr fraglich sind, sind die
Kosten sehr real. Darüber kann man doch nur noch den
Kopf schütteln. Geht es nicht noch etwas praxisfremder?
Wenn man so etwas liest, dann weiß man eines: Herr
Trittin steht mit seiner Novelle mit beiden Beinen fest in
der Luft.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/ CSU – Karsten Schönfeld [SPD]: Welch ein Satz!)


Aber man muss ihm zu seiner Verteidigung zugestehen:
Er hat schließlich niemanden, der es ihm besser erklären
könnte.

Auf meine Frage nach der Anzahl der Fachkräfte mit
landwirtschaftlicher Ausbildung im Bundesumweltminis-
terium antwortete die Bundesregierung: zehn Mitarbeiter
des höheren und gehobenen Dienstes beim BMU und sie-
ben beim Bundesamt für Naturschutz. – Wenn man das in
Relation zu den 770 Mitarbeitern beim BMU und 220
beim Bundesamt für den Naturschutz setzt, dann versteht
man die Befürchtung der Landwirte, wenn sich Herr
Trittin erst einmal an die Definition der guten fachlichen
Praxis macht.

Beim BMU mag diese personelle Schieflage noch hin-
nehmbar sein. Vielleicht hilft Frau Künast Herrn Trittin
bei den Hausaufgaben. Ich vermisse übrigens Vertreter
des Landwirtschaftsministeriums bei einer für die Land-
wirte so wichtigen Debatte.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei dem Bundesamt für Naturschutz habe ich für so et-
was kein Verständnis. Wenn Naturschutz tatsächlich auf
100 Prozent der Fläche stattfinden soll, wie es das BfN
immer wieder fordert, dann sollte doch eigentlich
sichergestellt sein, dass diese Behörde in der Lage ist, die
Sorgen und Nöte der größten Flächennutzer, nämlich der
Landwirtschaft, zu verstehen. 97 Prozent der Mitarbeiter
des BfN haben von Landwirtschaft keine Ahnung. Das ist
etwas wenig Fachkompetenz, um zu verstehen, was auf
55 Prozent der Fläche in Deutschland vor sich geht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Marita Sehn

17551


(C)



(D)



(A)



(B)


Die gesamte Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes
ist deshalb auch ein Beleg für die landwirtschaftliche Ah-
nungslosigkeit des Herrn Trittin. Was können Sie nach der
Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes für den Natur-
schutz tun, was Sie nicht auch heute schon tun können?
Sie wollen einen Biotopverbund auf 10 Prozent der
Fläche. Warum verwirklichen Sie dies nicht gemeinsam
mit den Landwirten über den Vertragsnaturschutz?
Warum brauchen Sie immer gleich ein neues Gesetz?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!)


Ob dieses Gesetz mehr Naturschutz bringt, ist nicht si-
cher. Sicher ist aber, dass auch dieses Gesetz weniger
Freiheit bedeutet – weniger Freiheit für die Land- und
Forstwirtschaft, weniger Freiheit für die Grundbesitzer,
weniger Freiheit für das Handwerk und den Mittelstand
und weniger Freiheit für die Bewohner des ländlichen
Raumes. Es ist interessant, dass die ehemaligen Alternati-
ven heute die fleißigsten Gesetzesstricker sind.

Die F.D.P. setzt gerade beim Naturschutz auf Koopera-
tion. Naturschutz ist ein Anliegen der gesamten Gesell-
schaft. Deshalb ist es nur recht und billig, wenn er auch
von allen mitgetragen wird. Mit dem Vertragsnatur-
schutz – an dem wir übrigens in der vergangenen Legis-
laturperiode einen großen Anteil gehabt haben –


(Zuruf von der F.D.P.: Genauso ist es! Das ist richtig!)


gibt es bereits ein hervorragendes Instrument, Natur-
schutzaspekte auf der einen Seite und die ökonomischen
Belange der Nutzer auf der anderen Seite gleichermaßen
zu berücksichtigen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Für uns Liberale ist der Naturschutz kein von der Rest-

gesellschaft losgelöster Monolith, sondern integraler Be-
standteil. Deshalb muss ein Abwägungsprozess stattfin-
den. Wer Naturschutz will – und wir alle wollen ihn –,
muss auch sagen, was er dafür zu zahlen bereit ist. Natur-
schutz darf nicht per Mehrheitsbeschluss einer Minder-
heit aufs Auge gedrückt werden. Die F.D.P. will, dass
Grundrechte für alle gelten, auch für Minderheiten. Die
Landwirte sind zu einer Minderheit geworden


(Christoph Matschie [SPD]: Das sind jetzt aber schwere Geschütze!)


und die Bundesregierung lässt sie dieses deutlich spüren.
Herr Matschie, ich möchte noch einmal fragen: Wer

vertritt das Landwirtschaftsministerium heute auf der Re-
gierungsbank? Ich kann niemanden sehen. Es tut mir
Leid.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die sind gar nicht da! – Zuruf von der F.D.P.: Die mussten schon die Segel streichen!)


Ich empfinde dies als eine Katastrophe. Es ist ein so wich-
tiges Gesetz, gerade für die Landwirtschaft. Dafür, dann
hier nicht anwesend zu sein, habe ich kein Verständnis.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung will große Politik machen, hat
aber kein Geld. Also müssen die Landwirte die Zeche zah-
len. Vielleicht sollte man Herrn Trittin einmal daran erin-
nern: Die Qualität einer Demokratie zeigt sich an ihrem
Umgang mit Minderheiten.

Das Recht auf Eigentum ist ein Grundrecht. Es muss
auch für die Landwirte gelten. Die Landwirtschaft darf
nicht mit immer neuen Auflagen belastet werden, die ei-
ner schleichenden Enteignung gleichkommen.

Die F.D.P. fühlt sich dem Gedanken der Nachhaltigkeit
verpflichtet, die auch die sozialen und ökonomischen Be-
lange mit in Betracht zieht. Wir Liberale wissen, dass der
Wirtschaftsstandort Deutschland kein Feuchtbiotop ist
und wir neue Konzepte brauchen. Die Realität lässt sich
leider auch nicht per Gesetz wegverordnen. Deshalb brau-
chen wir neue Strategien, die es ermöglichen, Naturschutz
auch in dicht besiedelten Räumen zu verwirklichen.

Die Grünen haben anscheinend ein Problem mit den
Realitäten eines Industrielandes. Ein Industrieland braucht
eine gewisse Infrastruktur. Dazu gehört natürlich auch eine
flächendeckende Energieversorgung. Aber selbst damit
haben Sie ein Problem. Für die toten Vögel an Hochspan-
nungsleitungen haben Sie ein Herz. Aber sind die, welche
von Windrädern erschlagen werden, weniger wert?


(Horst Kubatschka [SPD]: Die gibt es nicht! Sie haben doch wirklich keine Ahnung!)


Was ist übrigens in diesem Zusammenhang mit dem
Landschaftsbild, Herr Kubatschka? Danach muss ich hier
auch einmal fragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im Na-
turschutz brauchen wir eine Verhältnismäßigkeit; wir
brauchen die Abwägung ökonomischer, sozialer und öko-
logischer Faktoren. Viele Aspekte in unserer Gesellschaft
sind nicht unbedingt angenehm und fast jede Form des
Wirtschaftens ist auch mit einem Ge- und Verbrauch von
Umwelt verbunden. Wenn aber das Streichen der Abwä-
gungsklausel im Bundesnaturschutzgesetz alles ist, was
Ihnen dazu einfällt, dann ist das schon etwas mager.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An der Realität ändert sich dadurch überhaupt nichts und
Sie bringen die Gesellschaft damit keinen Deut weiter.

Man möchte Sie manchmal fragen: Wissen Sie eigent-
lich, wo Sie sich befinden? Deutschland ist keine Jäger-
und-Sammler-Gesellschaft mehr.


(Christoph Matschie [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)


Wir leben in einem hoch entwickelten Industrieland mit ei-
ner umfassenden Infrastruktur und dicht besiedelten Räu-
men. Da kann Naturschutz nur in Abwägung mit anderen
Faktoren stattfinden. Die eigentliche Herausforderung im
Naturschutz besteht nicht darin, ein neues Gesetz zu schaf-
fen. Die große Herausforderung im Naturschutz besteht
vielmehr darin, Wege aufzuzeigen, wie Naturschutz auch
in Ballungsgebieten im Konsens mit allen Beteiligten


(Ulrike Mehl [SPD]: Den kriegen Sie nie hin, Frau Kollegin!)





Marita Sehn
17552


(C)



(D)



(A)



(B)


durchgeführt werden kann. Wir Liberale wollen den Na-
turschutz, Frau Mehl, aber wir wollen den Naturschutz
mit den Menschen und für die Menschen und nicht einen
Naturschutz, der über die Bedürfnisse der Menschen hin-
weggeht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900700
Ich erteile das Wort
dem Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpom-
mern, Wolfgang Methling.


(Mecklenburg-Vorpommern)

und Herren Abgeordnete! Zunächst darf ich mich sehr
herzlich für die Gelegenheit bedanken, als PDS-Umwelt-
minister aus Mecklenburg-Vorpommern in diesem Hohen
Hause zu sprechen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie es kurz!)


Die ersten Diskussionsbeiträge, die ich gehört habe, ma-
chen es mir nicht schwer, mich hier ganz wie zu Hause zu
fühlen; denn die Argumente zum Naturschutz, die ich
gehört habe, kenne ich aus ähnlichen Diskussionen in
Mecklenburg-Vorpommern.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der F.D.P.: Dann muss ja etwas Wahres daran sein!)


Es mag übrigens sein, dass 97 Prozent der Mitarbeiter
im BfN von der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Zu-
mindest mir geht es nicht so; denn ich habe noch bis vor
kurzem in der Lehre und in der Forschung für die Land-
wirtschaft gearbeitet. Ich glaube, dass ich die Interessen
der Landwirtschaft sehr gut kenne, und dazu will ich mich
äußern.


(Beifall bei der PDS – Marita Sehn [F.D.P.]: Aber dann verstehe ich den Gesetzentwurf nicht, den die PDS eingebracht hat!)


– Unser Gesetzentwurf ist gut.
Als ich erfahren habe, dass bereits heute die erste Le-

sung der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz erfolgen
würde, war ich, ehrlich gesagt, von dem vorgelegten
Tempo, mit dem der Gesetzentwurf die Ressort-, die Län-
der- und die Verbandsabstimmungen durchlaufen und das
Bundeskabinett passiert hatte, außerordentlich über-
rascht. Denn ich hatte das nicht erwartet. – Herzliche Gra-
tulation an die Bundesregierung, dass sie diesen Entwurf
so schnell vorlegen konnte! – Haben sich doch vorange-
gangene Anläufe zur Novellierung schon mehrfach totge-
laufen. Sie waren am Widerstand der Wirtschaft und auch
an dem der Landwirtschaft gescheitert.

Ich weiß sehr wohl – ich selbst habe das vor kurzem so-
zusagen am eigenen Leibe in Mecklenburg-Vorpommern
anlässlich der Novelle zu unserem Landesnaturschutz-
gesetz erfahren –, dass ein solches Vorhaben von ver-
schiedenster Seite außerordentlich argwöhnisch beäugt
wird und widerstrebende Interessen abgewogen werden

müssen. Dabei den großen Wurf für den Naturschutz zu er-
zielen ist höchst schwierig und nach Einschätzung der PDS
mit dem heutigen Gesetzentwurf noch nicht voll gelungen.

Im Vergleich zum geltenden Bundesnaturschutzgesetz
ist der vorliegende Entwurf ein Fortschritt, wenn auch aus
unserer Sicht nur ein relativ bescheidener. Anders als es
aus naturschutzfachlicher Sicht erforderlich wäre und im
Gegensatz zu den Forderungen der Naturschutzverbände
– das ist Ihnen sicherlich bekannt – stellt er leider nicht
den erhofften großen Schritt nach vorne für den Natur-
schutz dar. Die Fortschritte sind mehr von der Tilgung von
enormen Defiziten – auch das sollte hier einmal erwähnt
werden – des im Kern 25 Jahre alten Gesetzes als von der
konsequenten Umsetzung neuer Ansätze im Naturschutz-
recht bestimmt. Dies lässt sich an mehreren Kernpunkten
der Novelle deutlich machen.


(Beifall bei der PDS)

Zweifellos ist es für den ehrenamtlichen Naturschutz

ein Erfolg, wenn anerkannten Naturschutzverbänden erst-
mals ein Vereinsklagerecht zur Wahrung von Natur-
schutzinteressen zugestanden wird. Allerdings zeugt der
konkrete Regelungsgehalt nicht von großem Vertrauen zu
den Umweltverbänden; das merkt man dieser Novelle
durchaus an. Die Beschränkung auf eine Klagemöglich-
keit bei Planfeststellungsbeschlüssen und Befreiungen
von Verboten und Geboten in Schutzgebieten bleibt deut-
lich hinter dem zurück, was viele Länder bereits durch
Landesrecht geregelt haben.


(Beifall bei der PDS – Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie das das nächste Mal Herrn Schnappauf!)


– Ja, mit Herrn Schnappauf lassen sich dazu besonders gut
Gespräche führen.

Insofern ist es tröstlich, dass die Länder weitergehende
Regelungen getroffen haben. Sie tun dies grundsätzlich
auch deshalb, weil dieses Bundesrecht nur ein „Rahmen-
recht“ ist. Davon hat auch Mecklenburg-Vorpommern
– ich muss sagen: endlich – Gebrauch gemacht, indem es
seinen Gesetzentwurf so gestaltet hat, dass eine Kla-
gemöglichkeit bei Plangenehmigungen, aber auch bei
UVP-pflichtigen Vorhaben außerhalb von Schutzgebieten
vorgesehen ist.

Was die Eingriffsregelung betrifft, finde ich es richtig,
dass die Koalitionsfraktionen auf dem Vorrang des Aus-
gleichs vor Ersatzmaßnahmen bestanden haben. Die Er-
satzzahlung soll weiterhin nur bei nicht ausgleichbaren
und nicht kompensierbaren Eingriffen in Betracht kom-
men und wird der Regelungskompetenz der Länder un-
terworfen. Wir werden dies schon regeln. Dies halte ich
für eine praktikable Lösung.

Gleichwohl wird diese Regelung ebenso wenig wie in
der Vergangenheit Eingriffe in Natur und Landschaft wirk-
lich verhindern können. An der Praxis, dass die Belange
des Naturschutzes bei Bauvorhaben häufig eher „weg“-
als, wie eigentlich erforderlich, abgewogen werden, wird
durch die Novelle wohl nichts geändert. Das ist eine Ein-
schätzung, die natürlich auch für unser Land zutrifft.


(Beifall bei der PDS)





Marita Sehn

17553


(C)



(D)



(A)



(B)


Durch den Gesetzentwurf soll ferner das Verhältnis
von Naturschutz und Landwirtschaft neu geordnet
werden. Das gesellschaftliche Klima dafür ist nach den
Debatten um BSE und MKS so günstig wie nie, obwohl
ich hier sagen möchte, dass diese beiden Krankheiten nun
wahrlich nichts mit Naturschutz zu tun haben. Es ist
selbstverständlich nicht nur im Interesse des Natur-
schutzes, sondern aus meiner Sicht auch im Interesse der
Bauern selbst, wenn sie dieses positive Klima aufgreifen
und nicht blockieren und mit eigenen Vorschlägen ihr
– leider – bei großen Teilen der Bevölkerung beschädig-
tes Ansehen aufwerten würden.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Es steht völlig außer Frage, dass die so genannte ord-

nungsgemäße Landwirtschaft zu einer erheblichen Moor-
degradation geführt hat, die Nährstoffeinträge in die
Gewässer aufgrund der diffusen Austräge aus den land-
wirtschaftlichen Nutzflächen nach wie vor unzulässig
hoch sind und intensive Tierhaltung ohne die entspre-
chenden eigenen Flächen zur Gülleausbringung höchst
problematisch ist. Vor diesem Hintergrund ist das, was in
§ 5 des Entwurfs von dem Landwirt verlangt wird – das
ist meine Meinung –, eher als zaghaft und wenig verbind-
lich zu charakterisieren; denn fast alles, was von ihm ge-
fordert wird, muss er schon aus wirtschaftlichem Eigen-
interesse tun.

Die Anerkennung der in § 5 des Entwurfs genannten
Grundsätze als gute fachliche Praxis ist aus meiner Sicht
eher eine Würdigung als eine Forderung an die Landwirt-
schaft.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Mir ist deshalb die häufig zu hörende Kritik der Bauern-
verbände an dieser Definition völlig unverständlich. In
diesem Punkt möchte ich Frau Mehl und Herrn Minister
Trittin unterstützen. Mir ist unverständlich, wie die An-
erkennung einer guten fachlichen Praxis aus Sicht des Na-
turschutzes für die Bauern ein Problem sein kann; denn
sie sagen ja, sie würden eine gute fachliche Praxis üben.


(Beifall bei der PDS)

Will man eine genauere Definition der guten fachlichen
Praxis haben, so kann ich nur empfehlen, in den Entwurf
der PDS-Fraktion, der sich bereits in der ersten Lesung
befunden hat, zu schauen. In diesem Entwurf wird eine
Orientierung gegeben, da er eine klarere und weiterge-
hende Regelung hinsichtlich der Verantwortung der
Landwirtschaft für den Schutz der Natur enthält.

Ich habe viele Gespräche mit Bauern geführt und weiß
daher, dass viele Bauern durchaus bereit sind, freiwillig
zum Naturschutz beizutragen. Es gibt in der Bauernschaft
nicht nur Feinde des Naturschutzes, sondern auch viele
Verbündete. Darauf können wir bauen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bundesregie-
rung und die Koalitionsfraktionen haben hinsichtlich des
Tempos der Novellierung ein beträchtliches Ergebnis zu-

stande gebracht. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt.
Der Gehalt der Novelle dagegen lässt manche Wünsche
offen. Ein – wenigstens heimlicher – Blick in den Gesetz-
entwurf der PDS-Fraktion vor den Ausschussberatungen
kann sicherlich Anregungen zur Verbesserung des Ent-
wurfs von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geben. Dazu
möchte ich Sie – auch im eigenen Interesse – ermuntern,
denn wenn Sie im Bund höhere Maßstäbe setzen, wird es
mir leichter gemacht, eine weitere Anhebung des Natur-
schutzniveaus in Mecklenburg-Vorpommern zu errei-
chen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417900800
Ich erteile dem Kolle-
gen Karsten Schönfeld, SPD-Fraktion, das Wort.


Karsten Schönfeld (SPD):
Rede ID: ID1417900900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es war eine sozialdemokra-
tisch geführte Bundesregierung, die 1976 das erste Bun-
desnaturschutzgesetz verabschiedet hat. Trotz einiger Än-
derungen in den letzten Jahrzehnten ist das bestehende
Naturschutzrecht heute nicht mehr zeitgemäß. Deshalb le-
gen wir diesen Gesetzentwurf vor.

Natur und Umwelt müssen in einem hoch industriali-
sierten und dicht besiedelten Land – also nicht nur Feucht-
biotope, Frau Kollegin Sehn – wie Deutschland konse-
quent und wirkungsvoll geschützt werden, dies besonders
auch deshalb, um künftigen Generationen eine lebens-
werte Umwelt zu hinterlassen. Man muss kein ausgewie-
sener Umweltpolitiker sein, um das zu erkennen.

In unserem Gesetzentwurf wird die Verantwortung für
die zukünftigen Generationen hervorgehoben und damit
das Nachhaltigkeitsprinzip gestärkt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird sichergestellt, dass bei Naturschutzmaßnahmen
die betroffene und interessierte Öffentlichkeit frühzeitig
und umfangreich informiert wird. Außerdem wird die Ak-
zeptanz von Maßnahmen des Naturschutzes durch eine
verstärkte Einbindung der Betroffenen gefördert.

Naturschutz ist in der grundgesetzlichen Ordnung eine
Angelegenheit der Länder; darauf ist bereits hingewiesen
worden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb als
Rahmengesetz, quasi als Richtschnur, formuliert. Bei sei-
ner Umsetzung spielen die Länder eine entscheidende
Rolle. Gemäß den Regelungen im Grundgesetz sind die
Länder hier in der Verantwortung.

Die Novelle unterstützt die von uns eingeleitete Neu-
orientierung in der Agrarpolitik. Erst vor wenigen Tagen
haben die Umwelt- und Agrarminister der Länder und des
Bundes diese Neuorientierung eingefordert und unter an-
derem einen besseren Schutz von Umwelt und Natur ver-
langt.

Ein wesentliches Anliegen ist uns die Akzeptanz in der
Öffentlichkeit. Es geht darum, das Verständnis für Natur-




Minister Dr. Wolfgang Methling (Mecklenburg-Vorpommern)

17554


(C)



(D)



(A)



(B)


schutz zu verstärken. Der Dialog mit der Land- und
Forstwirtschaft ist mir als Agrarpolitiker dabei ein be-
sonderes Anliegen.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Wo ist Frau Künast?)

Landwirtschaftliche Verbände, aber auch einige Agrar-

minister kritisieren den Entwurf zur Neuregelung des
Bundesnaturschutzgesetzes, weil er – so der Tenor der
Kritik – die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft über
Gebühr belaste und ihre Rolle bei der Pflege der Kultur-
landschaft nicht anerkenne. Diese undifferenzierte Glo-
balkritik trifft so nicht zu,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


auch wenn einige Punkte noch einer eingehenden Prüfung
bedürfen. Die berufsständischen Vertreter kritisieren, die
pauschale Festlegung, dass mindestens 10 Prozent der
Landesfläche als Biotopverbundsystem ausgewiesen wer-
den sollen, berücksichtige regionale Besonderheiten nur
unzureichend. Es besteht die Furcht, dass diese 10 Prozent
Naturschutzfläche auf kleine Regionen oder sogar auf
einzelne Betriebe bezogen wird. Das kann ich dem Ent-
wurf so nicht entnehmen. Vielmehr müssen die Länder
darüber entscheiden, auf welche Weise sie diese Zielvor-
gabe erreichen. Sollte das unklar formuliert sein, werden
wir das in unserem Gesetzentwurf noch konkretisieren.

Schon heute ist von einigen Ländern – Schleswig-
Holstein sei hier genannt – zu hören, dass sie diese Ziel-
vorgabe bereits erreicht haben. In anderen Ländern ist das
schwieriger. Die Zahl 10 dokumentiert aber unseren
festen Willen, ein ökologisch sinnvolles Verbundsystem
zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich dazu einige Zahlen nennen, die – so

denke ich – in diesem Zusammenhang wichtig sind: Etwa
2 Prozent der Landesfläche entfallen bereits heute auf Na-
turschutzgebiete, weitere 2 Prozent auf Nationalparks,
4 Prozent auf Biosphärenreservate, 25 Prozent auf Land-
schaftsschutzgebiete und 19 Prozent auf Naturparke. Si-
cher, die Flächenanteile lassen sich nicht addieren und nur
Teile davon sind auch Bestandteil eines zukünftigen Ver-
bundsystems. Aber es sollte möglich sein, 10 Prozent der
Flächen in einem Verbund zusammenzufassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kritisiert wird außerdem, dass Regelungen zur guten
fachlichen Praxis in der Landwirtschaft in das Bundes-
naturschutzgesetz aufgenommen werden sollen. Es ist
aber nun einmal so, dass die Regelungen zur guten fach-
lichen Praxis im landwirtschaftlichen Fachrecht nicht
ausgereicht haben,


(Marita Sehn [F.D.P.]: Na, na!)

um negative Folgen für Umwelt und Natur in jedem Fall
zu verhindern. Das ist so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Marita Sehn [F.D.P.]: Das stimmt nicht!)


Über die Gründe kann man sicherlich streiten; festzuhal-
ten ist aber, dass eine nachhaltige Land- und Forstwirt-
schaft bereits heute keine Probleme hat, die im Gesetz-
entwurf definierten Anforderungen zu erfüllen.

Die Aufzählung von Pflichten in § 5 des Gesetzent-
wurfes lässt sich auch als positive Darstellung der land-
wirtschaftlichen Tätigkeit in unserem Land lesen: Verant-
wortungsvolle Landwirte wählen schon immer Bewirt-
schaftungsverfahren, die die natürliche Ausstattung der
Nutzfläche nicht über das erforderliche Maß hinaus be-
einträchtigen. Verantwortungsvolle Landwirte erhalten
schon immer die natürliche Ertragsfähigkeit ihres Bo-
dens. Verantwortungsvolle Betriebsleiter unterlassen
schon immer den Grünlandumbruch auf erosionsgefähr-
deten Hängen und schon immer treten verantwortungs-
volle Agrarpolitiker – auch aus Ihren Reihen – für ein re-
gional ausgewogenes Verhältnis zwischen Tierhaltung
und Pflanzenbau ein.


(Beifall bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Selbstverständlich!)


Die neuen Anforderungen an die gute fachliche Praxis
im Gesetz sind so streng nicht. Gute Landwirte wirtschaf-
ten – ich habe es erwähnt – bereits heute so. Trotzdem ist
die Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen, dass
einige der staatlich finanzierten Agrarumweltmaßnahmen
gefährdet sein könnten. Werden sie als neuer gesetzlicher
Standard festgeschrieben, so könnte – das ist eine Sorge –
ihre Förderfähigkeit infrage gestellt sein. Wir wollen die
bisher für die EU-Agrarpolitik verwendeten Mittel in die
zweite Säule umschichten. Modulation ist ein Instrument
dazu. Das heißt, wir verringern die Mittel für Flächen-
und Tierprämien und stellen sie den Landwirten für Um-
weltmaßnahmen auf dem Wege der Kofinanzierung wie-
der zur Verfügung.

Wir werden kein Gesetz verabschieden, das Zahlungen
für Umweltleistungen behindert. Das kann ich unseren
Landwirten von dieser Stelle aus versichern.


(Beifall bei der SPD)

Auch wenn die Ausgestaltung der Vorschriften Ländersa-
che ist, wird unser Bundesgesetz in dieser Frage klar und
eindeutig sein.

Es wird auch bemängelt, dass wir dem Vertragsna-
turschutz keinen Vorrang vor anderen umweltpolitischen
Maßnahmen wie Geboten und Verboten einräumen. Auch
dies ist eine Frage, die die Länder in ihrer Verantwortung
zu lösen haben. Wir Sozialdemokraten sind immer dafür
eingetreten, das bewährte Instrumentarium des Vertrags-
naturschutzes zu nutzen, weil die Akzeptanz für Umwelt-
maßnahmen bei den Landwirten gestärkt wird und ihre
aktive Mitwirkung unterstützt wird – auch durch zusätzli-
che Einkommen. Wir haben uns immer dagegen ausge-
sprochen, in Bundesgesetzen Regelungen festzuschrei-
ben, die dann die Länder zu finanzieren haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die Verbesserung des Naturschutzes darf allerdings

nicht gegen die Landwirtschaft, sondern sie muss im Ein-
vernehmen mit der Landwirtschaft geschehen. Ich bitte
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Sor-
gen Sie mit dafür, dass dieses Einvernehmen hergestellt




Karsten Schönfeld

17555


(C)



(D)



(A)



(B)


wird, und sorgen Sie nicht mit Brandreden, wie wir sie
hier heute schon gehört haben, dafür, dass ein weiterer
Keil zwischen die Politik und die Landwirtschaft getrie-
ben wird!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich scheue mich auch in einer Umweltdebatte nicht,
darauf hinzuweisen, dass in vielen Agrarbetrieben in
Deutschland eine schwierige Einkommenssituation
herrscht. Das haben wir nie bestritten. Deshalb werden
unsere Maßnahmen – in der Form, wie ich sie hier be-
schrieben habe – dazu führen, dass sich die Einkommens-
situation nicht verschlechtert, sondern, im Gegenteil, ver-
bessert werden kann.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das nennt man gesundbeten!)


Wir können keinen Subventionsabbau vornehmen und
von den Landwirten verstärkt unternehmerisches Handeln
fordern, ohne gleichzeitig Wege aufzuzeigen, wie sie zu-
sätzliche Einkommen erzielen können. Und das machen
wir.

Öffentliche Mittel für Leistungen im Bereich der Land-
schaftspflege und im Vertragsnaturschutz sind gut ange-
legtes Geld. Wir helfen damit der Umwelt, sichern zu-
sätzliches Einkommen und schaffen Akzeptanz bei den
Landwirten. Wir sichern außerdem bei den Bürgerinnen
und Bürgern die Akzeptanz für Direktzahlungen an die
Landwirte.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss
und möchte mit einem Zitat enden:

Einen völligen Ausgleich aller Interessen herbeizu-
führen und dabei das große Ziel, den Schutz unserer
Natur, nicht aus den Augen zu verlieren, das ist eine
Aufgabe wie die Quadratur des Kreises. Es gibt
kaum einen Bereich, in dem der Anspruch, sachver-
ständig zu sein, in derartiger Breite geltend gemacht
wird wie im Naturschutz. Zumeist verbergen sich
dahinter ziemlich eigennützige Motive, das Festhal-
ten an vermeintlichen Privilegien, die Eroberung
neuer.

Diesem Zitat aus dem Jahr 1997, meine Damen und
Herren, ist fast nichts hinzuzufügen. Es stammt von Frau
Merkel, aus anscheinend noch glücklicheren Tagen in ih-
rer Zeit als Umweltministerin. Ich kann gut verstehen,
dass Frau Merkel hier heute nicht im Plenum ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn Herr Schröder?)


Dieses Zitat trifft in wunderbarer Weise die Haltung vie-
ler Oppositionspolitiker – wir haben es heute wieder ge-
hört –, die sich hier als Sachwalter von Interessengruppen
aufführen, anstatt gemeinsam mit uns ein gutes Gesetz
zum Schutz der Umwelt zu verabschieden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417901000
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1417901100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bewahrung
der Schöpfung und der Schutz der natürlichen Lebens-
grundlagen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit
und im eigenen Land eine drängende und zunehmend
schwierigere Aufgabe.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern schrump-
fen die Tropenwälder als Zentren der Biodiversität unauf-
haltsam weiter und gehen ganze Regionen der Verwüs-
tung entgegen. In unserem Land kämpfen wir darum, die
Artenvielfalt und die verbliebenen Naturlandschaften mit
unserem Wohlstand in Einklang zu bringen. Natürlich
kommt der Druck auf unsere Natur von der hohen Sied-
lungsdichte, unserem engmaschigen Verkehrsnetz und ei-
ner intensiven Land- und Forstwirtschaft. Aber all dies ist
auch wesentliche Grundlage für unseren hohen Lebens-
standard, auf den wir nicht verzichten wollen.

Die Kunst der Politik besteht darin, die Anforderungen
an eine moderne Industrie- und Technologiegesellschaft
mit unseren Vorstellungen von Natur und Heimat in Ein-
klang zu bringen. Diese Entscheidung findet auf allen po-
litischen Ebenen und auf allen Politikfeldern statt; der Na-
turschutz ist ein solches wichtiges Politikfeld. Seine
Aufgabe ist es, die Schädigungen der Natur zurückzu-
drängen, die vorhandenen Schutzgebiete und die schüt-
zenswerten Flächen abzusichern und einen großräumigen
Biotopverbund herzustellen.

Meine Damen und Herren, die bisherigen Taten von
Rot-Grün im Naturschutz in Bund und Ländern sind aber
kein Grund, sich selbst zu beweihräuchern. Die Vorredner
von der Koalition – insbesondere Sie, Herr Trittin – haben
so getan, als hätten sie den Naturschutz erfunden. Sie ha-
ben zum Beispiel völlig vergessen – das ist allerdings ein
Kunststück –, dass die letzte Novellierung des Natur-
schutzgesetzes 1998 passiert ist, eine Leistung der dama-
ligen Bundesumweltministerin.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In dieser Novellierung haben wir den Konsens mit der
Landwirtschaft gefunden. Es wäre sicherlich besser ge-
wesen, erst einmal Erfahrungen mit dieser Novelle zu
sammeln und deren Umsetzung durch die Länder abzu-
warten, ehe man eine neue Novelle aus dem Ärmel zieht.

Praktischer Naturschutz findet zum Beispiel im
unionsregierten Bayern statt, wo zehnmal mehr für den
Vertragsnaturschutz als im rot-grünen Nordrhein-West-
falen ausgegeben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bayern ist nur noch mit BadenWürttemberg zu vergleichen!)


Das rot-grüne Nordrhein-Westfalen hat es bisher auch
nicht geschafft, einen einzigen Nationalpark auszuwei-
sen. Es war ein CSU-Finanzminister, der die milliarden-
schwere „Bundesstiftung Umwelt“ ins Leben gerufen hat,
die jetzt auch für Naturschutzzwecke geöffnet worden ist.




Karsten Schönfeld
17556


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch war es die letzte Regierung, die den ersten Trup-
penübungsplatz zum Nationalpark erklärt hat, genauso
wie es die Vorgängerregierung war, die den Entwick-
lungshaushalt ökologisierte. Eben diesen Haushalt strei-
chen Sie jetzt aber zusammen. Herr Trittin, der einzige
Haushaltstitel in Ihrem Ministerium, mit dem Sie auf na-
tionaler Ebene wirklich Naturschutz betreiben können,
der Titel für die gesamtstaatlich repräsentativen Flächen,
stammt ebenfalls von uns.

Ihre Naturschutzpolitik ist bisher nichts als heiße Luft
oder – das muss ich jetzt noch einmal sagen – sie bringt
die Leute gegen den Naturschutz auf. Das gilt auch für die
jetzige Novelle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marita Sehn [F.D.P.])


Angesichts der verfassungsmäßigen Kompetenzen ist ein
erfolgreicher Naturschutz nur dann möglich, wenn erstens
die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und
Umweltinstitutionen überlegt und fundiert ist, wenn wir
zweitens ein abgestimmtes Instrumentenbündel aus ho-
heitlichem und vertraglichem Naturschutz haben und
wenn es drittens zu einer vertrauensvollen Zusammen-
arbeit zwischen Staat und Gebietskörperschaft sowie Na-
turschützern und Land- und Forstwirten kommt. Genau
diesen Anforderungen hält Ihre Novelle nicht stand.

Ihre Vorlage führt zu mehr Verwaltungsaufwand und
bürokratischen Kosten – Geld und Personal, das wir an-
derswo im Naturschutz besser einsetzen könnten. Die
dem Entwurf fehlende unmittelbare Geltung der Ziele und
Grundsätze für das ganze Bundesgebiet kann zu einem
Bumerang auch für den Naturschutz werden, wenn ein-
zelne Bundesländer in einen Wettbewerb um die gerings-
ten Naturschutzanforderungen eintreten. Statt Koopera-
tion – das wurde von meinem Kollegen bereits gesagt –
lautet Ihr Motto Konfrontation: Die Verschärfung der
Auforderungen an die gute fachliche Praxis im Natur-
schutz-, anstatt im Landwirtschaftsrecht und dazu die feh-
lende präzise formulierte und ausreichende Ausgleichs-
regelung bei Nutzungsbeschränkungen werden die Forst-
und Landwirtschaft noch mehr gegen den Naturschutz in
Wallung bringen. Wenn man darauf hinweist, so ist das
nicht etwa eine Brandrede, sondern das ist die Wirklich-
keit, wie sie von allen gesehen wird, die sich in der Land-
und Forstwirtschaft auskennen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marita Sehn [F.D.P.])


Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für die Aus-
grenzung der Bundesländer im Entscheidungsprozess.
Nach der Verfassung sind vor allem die Bundesländer für
den Naturschutz verantwortlich. Die Umgehung des Bun-
desrats ist deshalb kein gutes Signal für eine zukünftige
vertrauensvolle Zusammenarbeit.


(Ulrike Mehl [SPD]: Er befasst sich gerade mit dem Gesetz!)


Genauso gilt dies für die fehlende Verpflichtung der Bun-
desbehörden, das jeweilige Landesnaturschutzrecht zu
beachten.

Das sind die Hauptgründe, warum wir den rot-grünen
Entwurf eines neuen Bundesnaturschutzgesetzes in der

jetzigen Form nicht mittragen können, auch wenn er si-
cherlich positive Regelungen wie die Rückholklausel
oder die Jedermannverpflichtung zum Naturschutz bein-
haltet. Aber anstatt die wichtigsten Akteure für eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit bei der Lösung einer
großen Aufgabe zu gewinnen, wird die vorliegende No-
velle, so befürchten wir, mehr teilen statt einen und damit
dem Naturschutz mehr schaden als nützen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Wir werden die Novellierung konstruktiv begleiten. In
ihr müssen aus unserer Sicht folgende Elemente stärker
beachtet werden: Erstens. Die wichtigsten Ziele und
Grundsätze müssen in allen Bundesländern gleicher-
maßen gelten.

Zweitens. Der Bund und seine Einrichtungen müssen
sich stärker engagieren, zum Beispiel auf den bundes-
eigenen Flächen oder im Haushaltstitel des Bundes für
national bedeutsame Naturräume. Außerdem muss die
Öffnung der „Bundesstiftung Umwelt“ für Naturschutz-
zwecke als weiteres Instrument des Bundes verstärkt wer-
den, um den Ländern bei der Absicherung wichtiger Na-
turgebiete zu helfen.

Drittens. Naturschutz muss auch flexibler und effizien-
ter werden, zum Beispiel mit der Aufhebung der unmit-
telbaren räumlichen Verbindung von Ausgleichsfläche
und Eingriff sowie mit der Verwaltung der Kompensati-
onsgelder über einen Naturschutzfonds und deren regio-
nale Verteilung. Wir sind dezidiert für ein Ökokonto, das
man vorausschauend einrichten kann, sowie für steuerli-
che Anreize, wenn Privateigentümer freiwillig auf ihrem
Grundstück ökologische Verbesserungen tätigen.

Viertens. Wir treten dafür ein, dass die staatliche Zu-
sammenarbeit mit den Naturschutzverbänden gestärkt
wird. Dazu gehört auch die Übertragung bestimmter
behördlicher Aufgaben, zum Beispiel bei der Pflege von
Schutzgebieten. Dazu zählen auch Umweltpatenschaften,
in deren Rahmen die Verbände wertvolle Liegenschaften
in einer Mischfinanzierung erwerben, mit staatlicher För-
derung betreuen und auch selbst mit Privateigentümern
privatrechtliche Schutzvereinbarungen schließen können.

Vor allem aber: Offensive für Naturschutz kann nicht
heißen Offensive gegen Bauern, Kommunen und Wald-
besitzer. Natürlich braucht der Naturschutz eine natur-
verträgliche Bodennutzung, aber nicht über eine kalte
Enteignung. Der Forderung nach einer umweltgerechten
Landwirtschaft muss das staatliche Angebot gegenüber-
stehen, naturschützerische Leistungen wie die Schaffung
und die Pflege von Hecken, Feuchtwiesen und Gewässer-
randstreifen angemessen zu honorieren. Ertragsein-
bußen, zum Beispiel durch Verzicht auf Düngung, Grün-
landumbruch oder Pflanzenschutzmittel, sind fair
auszugleichen.

Jedes neue Windkraftwerk, jede Hochspannungslei-
tung und jedes neue Gewerbegebiet auf der grünen Wiese
sind für uns einerseits ein Zuwachs an Wohlstand. Ande-
rerseits kann es auch Verlust an Heimat sein. Wir müssen
dafür werben: Es ist wichtig, dass unsere Kinder noch
wissen, wie ein Laubfrosch oder eine Feldlerche ausse-
hen. Aber wenn wir unsere Heimat bewahren wollen,




Dr. Christian Ruck

17557


(C)



(D)



(A)



(B)


dürfen wir die Kosten dafür nicht einer oder nur wenigen
Berufsgruppen, zum Beispiel den Landwirten, aufbürden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn wir das – wofür wir nachdrücklich eintreten – er-
reichen wollen, dann müssen die Opfer gemeinsam er-
bracht werden. Erfolgreiches Werben für den Naturschutz
braucht ein Miteinander. Dies ist bei Ihrer Novelle nicht
der Fall. Deswegen fordern wir entsprechende grundle-
gende Nachbesserungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417901200
Ich erteile das Wort
Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417901300
Sehr ge-
ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Ruck und Herr Dr. Paziorek, ich bin etwas erstaunt
darüber, dass Sie hier immer wieder behaupten, wir wür-
den Gräben aufreißen und für Konfrontation sorgen. Viel-
leicht ist es Ihnen ja entgangen, dass die Koalitionsfrak-
tionen in Vorbereitung der jetzt vorliegenden Novelle
anderthalb Jahre lang in einem einmaligen Prozess Ge-
spräche mit allen Naturschutzverbänden und Nutzerver-
bänden geführt haben, von den Bauernverbänden über die
Verbände der Jäger bis hin zu denen der Reiter, also mit
allen, auf die sich das Gesetz auswirken könnte. Von ei-
nem Gegeneinander oder von einer Konfrontation kann
überhaupt keine Rede sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben die Argumente dieser Gruppen wohl vernom-
men und sie finden sich auch in diesem Gesetzentwurf
wieder. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen – das sage
ich ausdrücklich in Ihre Richtung – ist einfach zu wichtig,
um in einem solchen Parteiengezänk und in solchen
Brandreden unterzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte mich beim Umweltministerium ausdrück-
lich bedanken, dass es diesen Gesetzentwurf auf den Weg
gebracht hat. Trotz mancher Verbesserungswünsche, die
auch ich habe – sie werden im parlamentarischen Verfah-
ren mit Sicherheit noch zu besprechen sein –, ist dieses
Gesetz tatsächlich ein Meilenstein. Es wird den Weg zu
einem neuen, modernen Naturschutz in Deutschland öff-
nen. Wir brauchen diesen Naturschutz. Er ist dringender
denn je, denn – das haben Sie selbst konstatiert – unsere
Natur befindet sich in einem Besorgnis erregenden Zu-
stand.

Frau Sehn, ich war echt erschüttert. Vielleicht dämmert
der F.D.P. eines Tages die Erkenntnis


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein!)

– vielleicht; man soll die Hoffnung nicht aufgeben –, dass
Landwirtschaft auch vom Wirken von Insekten abhängt
oder dass Feuchtbiotope auch für Industriestandorte

wichtig sind. Ich sage das nur, um Ihrer Polemik einmal
etwas entgegenzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ernst
nimmt, dem muss es bei der Lösung von Interessenkon-
flikten darum gehen, den Stellenwert des Naturschutzes
endlich zu erhöhen. Das tun wir mit dieser Gesetzesno-
velle. Die CDU könnte einmal eine andere SOS-Kampa-
gne starten: statt SOS Tourismus SOS Naturschutz. Das
wäre endlich etwas Neues und brächte viel Erfolg.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: SOS für die Grünen bei der nächsten Wahl! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist doch alles heiße Luft!)


Ich möchte auf den Biotopverbund eingehen, weil
diese Regelung einer der wichtigsten Bestandteile dieses
Gesetzentwurfs ist. Herr Paziorek, wir haben – das soll
eine Verpflichtung sein – „mindestens 10 Prozent der Lan-
desfläche“ festgelegt. Die Länder unseres föderalen Staa-
tes sind aufgerufen, diese 10 Prozent oder mehr Landes-
fläche dafür auszuweisen. Das dient uns allen; Herr Ruck
hat eben so schön geschildert, warum. Wie Sie wissen, ist
unsere Verantwortung auch eine internationale, Stichwort
„Natura 2000“. Wir tragen zum Beispiel für wandernde
Vogelarten, die auch in Deutschland Rast- und Nahrungs-
plätze brauchen, Verantwortung.

Es ist unerträglich, dass sich F.D.P. und CDU/CSU hier
zum Hüter der Interessen der Eigentümer und der Land-
wirte hochstilisieren. Ich kann es nicht mehr hören! Im End-
effekt haben alle die Verantwortung für den Erhalt unserer
Natur und unserer Lebensgrundlagen zu tragen. Land-
schafts- und Naturschutz können nur gelingen, wenn man
sie – über das Eintreten für die Belange von Schutzgebie-
ten hinaus – als essenzielle Grundlagen bei allen entspre-
chenden Entscheidungsfindungen, ob in diesem Hause, in
den Ressorts, in den Ausschüssen, auf Landes-, Kreis- und
Kommunalebene, berücksichtigt. Es darf nicht so sein, wie
es Herr Methling aus Mecklenburg vorhin schon sagte, dass
Landschafts- und Naturschutz in vielen Fällen gewogen
und für zu leicht befunden werden. Wie Sie selbst wissen,
ist der Vertragsnaturschutz auch für uns weiterhin ein
wichtiges Instrument zum Schutz der Natur.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wenn Sie so breite Übereinstimmung haben, warum kriegen Sie das dann nicht mit der Zustimmung des Bundesrats hin?)


Herr Paziorek, ich möchte Ihnen noch etwas zu den
Ausgleichszahlungen sagen. Die von Ihnen eingeführten
Ausgleichszahlungen haben eine Belastung der Länder
hervorgerufen. Außerdem haben sie dazu geführt – das
war dann Ihr Erfolg –, dass immer weniger für Natur-
schutz ausgegeben wurde und dass in Deutschland immer
weniger neue Schutzflächen geschaffen wurden. Vor die-
sem Hintergrund von einem Erfolg im Hinblick auf den
Naturschutz zu sprechen, ist ja wohl das Letzte.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Nur Niedersachsen und Schleswig-Holstein!)





Dr. Christian Ruck
17558


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin mir sicher – das wurde schon vorhin angespro-
chen –, dass wir auch Regelungen für den Meeresnatur-
schutz finden werden. Es ist ebenfalls hervorzuheben,
dass wir Neuerungen, auch bei den Schutzkategorien
vornehmen. Diese Neuerungen dienen aber keineswegs
einer Überregulierung; vielmehr führen sie einfach dazu,
dass wir zum Beispiel unsere Nationalparke rechtlich
deutlich besser absichern.

Die Koalition hat Wort gehalten: Wir machen den Weg
wirklich frei für einen verbesserten Naturschutz. Ich
möchte nicht, dass Sie sich sagen: „Wir müssen kräftig
dagegenhalten“, nur weil Sie es seinerzeit nicht geschafft
haben. Wir modernisieren den Naturschutz in Deutsch-
land zum Wohle aller in Deutschland. Es geht auch darum,
zu der Erkenntnis zurückzukehren, dass wir die Natur zur
Lebensgrundlage brauchen. Menschen, die sich der Natur
entfremden, werden hart und gefühlskalt. Ich möchte hier
ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry vortragen:

Wenn du ein Schiff bauen willst, lehre die Menschen
die Sehnsucht nach dem weiten Meer.

Wenn wir ein solches Gesetz „bauen“, dann müssen wir
die Sehnsucht nach Natur in allen Ministern und in allen
Kollegen erwecken.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehnsucht nach den Grünen haben wir!)


– Es ist schön, dass Sie Sehnsucht nach den Grünen ha-
ben, besser wäre es, Sie hätten sie auch nach dem Grü-
nen. – In unserer immer technischeren, immer hektische-
ren Welt treibt die Sehnsucht nach Wildnis und nach
Naturerleben immer mehr Deutsche in die Ferne. Wir in
diesem dicht besiedelten Land haben gegenüber unseren
Kindern und unseren Enkeln eine große Verantwortung,
ihnen zum Leben Kulturlandschaften, reichhaltige Natur
und Wildnis zu hinterlassen.

Deswegen müssen wir den Naturschutz wieder zur
Herzensangelegenheit machen. Wir müssen für die Kost-
barkeiten unserer Heimat begeistern. Das ist eine Auf-
gabe, die untrennbar mit dem Gesetz, das wir jetzt auf den
Weg bringen, verbunden ist. Ich erwarte von Ihnen eine
konstruktive Mitarbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417901400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Cajus Caesar von der CDU/CSU-Fraktion.


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1417901500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion kann diesem vorgelegten Gesetzentwurf kei-
nesfalls zustimmen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

weil er bürokratisch, unseriös, nicht zukunftsweisend und
deshalb zum Scheitern verurteilt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU-Fraktion kann sich mit dem, was sie in

der Vergangenheit vorgelegt hat, sehen lassen. Wir haben

nicht geredet, sondern gehandelt und Dinge vorgelegt, die
auch praktikabel waren und noch sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Hat nur keiner gemerkt!)


Was hat denn die Regierung Schröder/Trittin bisher in
diesem Bereich auf den Weg gebracht?


(Johannes Kahrs [SPD]: Vieles!)

Wie in vielen anderen Bereichen wurden Versprechungen
gemacht, die nicht gehalten wurden. Das ist in der Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber insbesondere in der
Umweltpolitik so. Meine Fraktion hätte sich gewünscht,
dass die Kurve auch einmal nach oben zeigt. Aber das ist
auch hier nicht der Fall.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Leider ist das so!)


Herr Minister, Sie haben hier ausführlich die nachhal-
tige Land- und Forstwirtschaft angesprochen. Offensicht-
lich jedoch haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht
gelesen. Denn in diesem Gesetzentwurf fehlt die Veranke-
rung der nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft. Sie soll-
ten noch einmal genau nachsehen. Vielleicht können Sie
ja den Passus wieder einfügen, der in der bisherigen Rege-
lung verankert ist.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!)


Ich meine, man sollte sich auch Gedanken darüber ma-
chen, wie man Natur- und Umweltschutz auf großer
Fläche verankert. Dazu ist es natürlich erforderlich, dass
man auch europaweite Lösungen vorantreibt. Das ist
allerdings nur möglich, wenn man einen starken Minister,
eine starke Regierung hat. Hier ist bisher jedoch wenig ge-
schehen. Deshalb hat diese Regierung bislang auch im
Bereich des Naturschutzes wenig vorzuweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-

ginnen und Kollegen, wenn wir uns den Gesetzentwurf
ansehen, dann stellen wir einen Definitions- und Formu-
lierungsdschungel fest. Sie haben ja schon eine ganze
Reihe von Gesetzentwürfen hier vorgelegt und viel Papier
beschrieben. Dadurch ist es jedoch nicht zu einer Qua-
litätssteigerung gekommen. Vielleicht haben Sie aber da-
durch zur Waldpflege, nämlich durch Papierverbrauch,
beigetragen. Das gestehe ich Ihnen an dieser Stelle zu.

Schaut man sich die Regelungen, insbesondere zum
Beispiel zur flächendeckenden Landschaftsplanung, an,
dann stellt man fest, dass man sich hin zu mehr Bürokratie
und Personal und vor allem zur Verankerung von Kosten
in Verwaltung und Personal bewegt. Das zeigt ja auch Ihr
Haushalt. Ihr Umwelthaushalt entwickelt sich hin zu mehr
Verwaltungsausgaben. Derzeit beträgt der prozentuale
Anteil der Verwaltungsausgaben im Umweltbereich
52 Prozent.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Rot-grüne Planwirtschaft! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir brauchen nicht so viel Geld für die Atomwirtschaft!)





Sylvia Voß

17559


(C)



(D)



(A)



(B)


Das soll Ihrer Meinung nach einen praktischen Umwelt-
und Naturschutz darstellen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Novelle lässt viele Fragen offen. Sie geht hin zu

mehr Dirigismus und Verwaltung. Deshalb können wir
eine solche Vorgehensweise – Ähnliches haben wir bei
der letzten Haushaltsberatung festgestellt; als Beispiel
nenne ich die Kürzungen beim Verband des BHU, der im
Bereich der Heimatvereine praktischen Naturschutz vo-
ranbringt – nicht mittragen.

Wir finden es auch schade, dass Ansätze guter Rege-
lungen, beispielsweise im Bereich des Ökokontos, wie-
der zurückgefahren worden sind. Wir hatten gedacht, dass
Minister Trittin hier vorangeht. Leider aber sind gute An-
sätze wieder einmal vernachlässigt worden.

Die CDU/CSU-Fraktion will den Naturschutz voran-
bringen, um unseren Kindern und den zukünftigen Gene-
rationen eine intakte Umwelt zu übergeben.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit solchen Reden wirkt das sehr glaubwürdig!)


Wir wollen das aber im Miteinander mit den betroffenen
Menschen und mit denen, die vor Ort wirtschaften. Das
ist nur möglich, wenn auch die Rahmenverträge oder die
einzelvertraglichen Regelungen entsprechend ausgestal-
tet sind. Um Naturschutz praktisch umzusetzen, darf man
nicht nur Papier voll schreiben. Naturschutz umsetzen,
das ist unser Ziel. Erhalten, schützen, pflegen, ent-
wickeln und wieder herstellen, das muss Naturschutzpo-
litik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergan-

genheit eine ganze Reihe von Vorschlägen insbesondere
zum Bereich des Naturschutzes eingebracht. Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie zum Beispiel unserem Vorschlag, Pa-
tenschaften für Naturschutzverbände zu ermöglichen,
gefolgt wären. Dort besteht die Möglichkeit, am Objekt
mit tätig zu werden; das ist ehrenamtlicher Naturschutz.
Das wäre ein Zeichen hin zu den Naturschutzverbänden
und zu ehrenamtlichem Naturschutz gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielmehr haben Sie unseren Antrag, 6 Millionen DM
mehr für vertragliche Vereinbarungen bereitzustellen, ab-
gelehnt. Das zeigt doch, was die Regierung wirklich will.
Will sie tatsächlich Vertragsnaturschutz oder will sie ihn
nicht?


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Will sie nicht!)


Nein, sie will ihn nicht, sie hat unseren Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, stattdessen finden wir un-

seriöse Kostenberechnungen vor. Bei Kostenberechnun-
gen mit zehn Prozent Wertminderung und zehn Prozent
Ertragsminderung im Schutzgebiet für die Betroffenen
sage ich: Das kann doch nicht wahr sein! Darüber schüt-
teln alle Experten den Kopf. Solche Zahlen nimmt keiner

als wahr hin. So kann man wirklich keinen Naturschutz
im Miteinander mit den Betroffenen machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie sagen, 100 DM kostet die Pflege auf reduzierter

Fläche, das heißt, Sie wollen alle zehn Jahre 100 DM pro
Hektar in Schutzgebieten für Pflege ausgeben. Das ist an
jeder Realität vorbei, das muss man ganz deutlich noch
einmal einbringen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die sollen mal in Sachsen-Anhalt nachfragen!)


Wenn Sie die gute fachliche Praxis betrachten, Herr
Minister, dann müssen Sie doch sagen, dass es zwei we-
sentliche Bereiche gibt. Es gibt Bereiche, in denen man
die Formulierung so unterschreiben kann, und es gibt Be-
reiche, die unseriös und bürokratisch sind, zum Beispiel
die schlagspezifische Dokumentation, gar nicht zu reden
von dem absoluten Kahlschlagverbot, das weit über Na-
turschutzverordnungen hinausgeht und wieder die Besit-
zer kleiner Wälder trifft. Es trifft nicht so sehr, aber auch
den großen Privatwald und den öffentlichen Wald, son-
dern den kleinen Mann und die kleine Frau vor Ort. Des-
halb ist das, was Sie hier einbringen, so misslich.

Durch diese Formulierungen zur guten fachlichen Pra-
xis tragen Sie insbesondere dazu bei, dass die Förderung
durch die EU gefährdet wird. Wir können durchaus das
eine oder andere, wie zum Beispiel die Extensivierung im
Grünland oder das Verbot des Grünlandumbruchs in be-
stimmten Fällen, unterschreiben, aber das muss über ver-
tragliche Vereinbarungen gehen und darf nicht auf dem
Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, indem Aus-
gleichszahlungen nicht mehr geleistet und EU-Mittel
nicht mehr in Anspruch genommen werden. Sie sollten
schon das nationale Interesse vertreten und in der Tat auch
hier dafür sorgen, dass wir die Mittel, die wir aus dem
Kulturlandschaftspflegeprogramm der EU für Deutsch-
land und für die Bundesländer in Anspruch nehmen kön-
nen, auch bekommen und dass nicht letztendlich die vor
Ort Wirtschaftenden die Zeche zahlen müssen. Diese
Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden. Sie haben ja
Recht, Sie sollten mehr tun, das gebe ich gerne zu. Das sa-
gen auch die Stellungnahmen von BDI, von DIHK, vom
Deutschen Landkreistag, vom Deutschen Städte- und Ge-
meindebund und auch vom DBV aus,


(Ulrike Mehl [SPD]: Der BDI ist der größte Naturschutzverband!)


die unsere Argumente gleichfalls unterstützen.

(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen wundert es?)

– Das sind nicht, wie Sie zwischengerufen haben, ein-
zelne Verbandsvertreter, sondern es findet eine breite Ba-
sis in den Verbänden und auch bei den Bürgern. Das
wollte ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen.

Sie haben auch im Detail gelesen, dass von Natur-
schutz mit Ausschließlichkeitsanspruch oder von der Ab-
kehr von der Agenda 21 die Rede ist, auch davon, dass Sie
die Menschen im ländlichen Raum mitnehmen sollten. Es
ist aber auch die Rede von viel Bürokratie und von den




Cajus Caesar
17560


(C)



(D)



(A)



(B)


fehlenden vertraglichen Vereinbarungen. Ich habe einige
Punkte hier angesprochen und dazu auch Beispiele ge-
nannt.

Wir wollen ein Miteinander von Ökologie, Ökonomie
und sozialer Komponente im Sinne einer ökologischen
und sozialen Marktwirtschaft handeln. Wir wollen des-
halb die Abwägungsklausel, die bisher in § 1 Abs. 2 des
Gesetzes verankert ist, beibehalten, damit das Miteinan-
der von wirtschaftlicher Betätigung und Umweltschutz
gewährleistet ist.

Wir wollen Naturschutz! Wir wollen Natur auch um ih-
rer selbst Willen schützen, zugleich wollen wir aber den
Menschen dabei mitnehmen. Deshalb finde ich es schade,
dass Sie die Formulierungen zu den Lebensgrundlagen
des Menschen einfach aus dem Gesetz gestrichen haben.
Das kann nicht im Sinne des Miteinanders von Mensch
und Naturschutz sein.

Ich darf Sie bitten: Seien Sie aufgeschlossen gegenüber
unseren Ideen und unseren stichhaltigen Argumenten.
Das wird der Natur und uns allen gut tun, wenn Sie unsere
guten Vorschläge auch entsprechend mit einbringen.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch einmal die CDULänder von Ihren guten Vorschlägen überzeugen!)


Miteinander hat, Herr Hermann, auch etwas mit dem Ein-
binden der Länder zu tun. Wenn Sie über die Hälfte der
rund 60 Regelungen, von denen in diesem Gesetzentwurf
die Länder betroffen sind, verändern und zudem den Län-
dern noch Aufgaben bei den Klein- und Saumstrukturen
aufbürden, dann sollten Sie auch so fair sein, die Länder
bei den Beratungen so mit einzubinden, wie es sich ge-
hört. Diese müssen nämlich nachher diese Gesetzesno-
velle umsetzen. Wenn ich zunächst gegen die Länder rede
und handle und sie nicht in die Beratungen einbinde, Herr
Hermann,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist reine Arroganz!)


dann wird es nicht gelingen, im Sinne des Naturschutzes
zu guten und vernünftigen Umsetzungen zu kommen.
Denken Sie einfach noch einmal darüber nach, ob Sie das
nicht vielleicht doch tun sollten.

Wir jedenfalls sind für ein Miteinander. Wir wollen
eine ökologische und soziale Marktwirtschaft; wir wollen
den Schutz der Kernzonen. Dafür sind natürlich auch ho-
heitliche Maßnahmen erforderlich. Wir wollen auch die
Biotopvernetzung, wollen sie aber nicht durch irgend-
welche beliebig angesetzten Prozentzahlen, die man ins
Gesetz schreibt, sondern durch tatsächlichen Schutz si-
cherstellen. Dazu muss Vertrauen zu den Betroffenen auf-
gebaut werden; das gelingt nicht dadurch, indem verlangt
wird, dass auch die an Biotope angrenzenden Gebiete ent-
sprechend bei der Bewirtschaftung Berücksichtigung fin-
den müssen. Da weiß der Betroffene nicht, was an Verbo-
ten und Geboten auf ihn zukommt.

Sie sollten im Vertrauen mit den Betroffenen vor Ort
die Dinge angehen, das heißt, Biotopvernetzung in den
fachlich begründeten und schützenswerten Gebietskulis-

sen sicherstellen, so wurde es auch EU-weit formuliert.
Sie sollten vor allen Dingen durch langfristige vertragli-
che Vereinbarungen Naturschutz voranbringen. Dann
wird es uns gelingen, Artenvielfalt zu sichern, die ländli-
chen Räume mitzunehmen und dort die Chancen auf Ar-
beit und wirtschaftliche Teilhabe zu verbessern. Wir wol-
len Kooperation statt Konfrontation.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417901600
Ich erteile das Wort
der Kollegin Christel Deichmann, SPD-Fraktion.


Christel Deichmann (SPD):
Rede ID: ID1417901700
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Ruck, Sie haben die DBU angesprochen; ich denke, es ist
Ihnen nicht entgangen, dass der Stiftungsrat der DBU die
Stiftung für den Naturschutz geöffnet hat. Sicherlich gibt
es dadurch jetzt noch eine ganze Menge an weiteren Mög-
lichkeiten. Darüber haben wir, wie ich denke, uns alle ge-
meinsam gefreut.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachdem das in ihren Fraktionen kein Thema war!)


Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die
Bewahrung der Vielfalt des Lebens auch für künftige Ge-
nerationen – das wurde hier wiederholt betont; auch ich
möchte das noch einmal unterstreichen – zählen zu den
großen Herausforderungen unserer Zeit. Somit gehört
auch die Modernisierung des Bundesnaturschutzgesetzes,
dessen Novellierung wir heute in erster Lesung beraten,
zu unseren zentralen umweltpolitischen Vorhaben in die-
ser Legislaturperiode. Im Gegensatz zur gescheiterten
dritten Novelle steht nun mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf eine Diskussionsgrundlage zur Verfügung, die
den Ansprüchen einer modernen Naturschutzpolitik ge-
recht wird.

Herr Caesar, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Natur-
schutz brauche Akzeptanz. Die Koalitionsfraktionen ha-
ben darum seit Beginn dieser Legislaturperiode dieses
Thema intensiv mit Naturschutzverbänden, mit den
Bundesländern, mit Sportverbänden, mit Nutzerverbän-
den, auch mit dem Deutschen Bauernverband, mit dem
AbL und der AGÖL, mit Landschaftsplanern und vielen
anderen mehr erörtert. Wir konnten neue Anregungen auf-
nehmen und im Vorfeld auch einige Konfliktpunkte
klären. Ob es uns gelungen ist, Verständnis für unsere Po-
sitionen zu erreichen, werden wir dann feststellen.

Worum geht es jetzt? Unsere Novelle integriert den
Vorsorgegrundsatz und den Schutz der natürlichen Le-
bensgrundlagen auch für die nachkommenden Generatio-
nen. Das können Sie einfach zur Kenntnis nehmen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Sehr richtig!)

Ein Kernpunkt der Novelle – das ist hier wiederholt an-

gesprochen worden – ist der Biotopverbund, der – das
möchte ich noch einmal unterstreichen – keine neue




Cajus Caesar

17561


(C)



(D)



(A)



(B)


Schutzkategorie schafft, sondern dafür sorgt, dass das,
was schützenswert ist, sinnvoll miteinander verbunden
werden soll. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen
Erkenntnissen stellt der Flächenanteil von „mindestens
10 Prozent“, der hier wiederholt kritisiert wurde, einen
Minimalwert für den Biotopverbund dar. Es gibt also
durchaus begründete wissenschaftliche Erkenntnisse für
diese Zahl. Es darf – das sagt das Wort „mindestens“ –
durchaus auch mehr sein.


(Beifall bei der SPD)

Wie gesagt, die Verbindungsflächen zwischen den

einzelnen Kernelementen müssen nicht zwingend als
Schutzgebiete ausgewiesen werden. Wenn man aber be-
denkt, dass bereits 8 Prozent der Landesfläche fachlich
für einen Biotopverbund geeignet sind, haben wir hier
wohl ein realistisches Ziel formuliert. Ich bin sicher,
dass es auch in einem überschaubaren Zeitraum erreicht
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer wichtiger Punkt, der hier ebenfalls bereits
angesprochen wurde, ist nach unserer Auffassung, dass wir
uns intensiver als in der Vergangenheit mit dem Meeres-
schutz befassen müssen. Das war bei unseren Diskussio-
nen, die ich erwähnt habe, ein zentrales Thema. Es hat sich
im Verlauf der Diskussionen gezeigt, dass hier noch sehr
viele Fragen offen sind.

Die stetig zunehmende intensive Nutzung unserer
Meeresumwelt ist bisher mit keinerlei raumordnerischen
Kriterien unterlegt. Es mag komisch klingen, doch auf
dem Meer vor unseren Küsten wird es sehr eng. See-
schifffahrt, Fischerei, Tourismus, Kiesabbau, Überseeka-
bel, Ölplattformen, Übungszonen für die Bundeswehr
und anderes mehr konkurrieren auf immer enger werden-
dem Raum miteinander. Neuerdings meldet auch der
Denkmalschutz in den Gewässern vor unseren Küsten
Ansprüche an.

Wo bleibt da noch Platz für die marine Fauna und Flora
oder gar für deren Schutz? Wie können wir einen geeig-
neten Weg finden, um unsere sensiblen Meeresökosys-
teme langfristig zu erhalten und zu schützen? Wir haben
im Gesetz einen Weg aufgezeigt. Ich denke, wir müssen
diesen Punkt noch sehr intensiv diskutieren, weil wir von
unserer Fraktion aus da noch Verbesserungsbedarf sehen.
Die Offshore-Anlagen und die Windenergie wurden an-
gesprochen. Dies hat auch etwas mit Rechtssicherheit für
die Investoren zu tun. Ich denke, das sind wir den ent-
sprechenden Unternehmen schuldig.

Ich verweise an dieser Stelle auch auf internationale
Verpflichtungen, die Deutschland im marinen Bereich
eingegangen ist und die mit dieser Gesetzesnovelle wei-
ter in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Ich
nenne nur das OSPAR-Abkommen aus dem Jahr 1992.
Ich erwähne die Jahreszahl bewusst; das ist also keine
rot-grüne Erfindung. Das Abkommen wurde 1998 um
Naturschutzregelungen im marinen Bereich erweitert.
Da gibt es das Seerechtsübereinkommen der Vereinten
Nationen, das dem „Schutz und der Bewahrung der Mee-
resumwelt“ einen eigenen Teil widmet. Auch hier hat die

Bundesrepublik sich verpflichtet, die Meeresumwelt zu
schützen und zu bewahren und besondere Maßnahmen zu
ergreifen, um dieses Ziel durchzusetzen. Die Europä-
ische Gemeinschaft hat 1992 das fünfte umweltpolitische
Aktionsprogramm beschlossen, das in den Punkten 5.3
und 5.4 dem Naturschutz besondere Aufmerksamkeit
widmet.

An den Jahreszahlen der Vereinbarungen ist zu erken-
nen, dass Deutschland sich schon lange zu entsprechen-
den Maßnahmen verpflichtet hat; nur mit der Umsetzung,
zumindest im Meeresbereich, hapert es noch. Darum
richte ich auch an dieser Stelle noch einmal die Auffor-
derung an die CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion:
Blockieren Sie nicht, bauen Sie keinen Popanz auf, son-
dern unterstützen Sie uns bei der Umsetzung dieser Ver-
pflichtungen, die die Bundesrepublik zu Recht eingegan-
gen ist!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss zugeben: Ein wirklich komplexes und
schwieriges Thema in der anstehenden Novelle ist die
Frage der Eingriffsregelung. Zu kaum einem anderen
Abschnitt gibt und gab es gegenteiligere Meinungsäuße-
rungen. Bei all der Diskussion um dieses Thema ist klar-
zustellen: Die Vermeidung von Eingriffen ist oberstes
Gebot. Wir halten also an der Entscheidungskaskade Ver-
meiden – Ausgleich – Ersatz fest. Übrigens ist die Rege-
lung, die wir Ihnen vorschlagen, näher an der Verwal-
tungspraxis orientiert. Wir gehen davon aus, dass damit
dann auch Zustimmung gefunden werden kann.

Wir haben mit den Regelungen, wie sie vorgeschlagen
sind, die Naturalkompensation gestärkt, sodass auch
hier der Entwicklung in der Praxis Rechnung getragen
wurde. Von der Möglichkeit der Kompensation durch Er-
satzzahlungen ist erst nach dem Abwägungsprozess, das
heißt deutlich hinter Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen,
Gebrauch zu machen, wenngleich man auch Ersatzzah-
lungen in dem einen oder anderen Ausnahmefall einfach
nicht von der Hand weisen kann.

Wichtig ist auch die Sicherung und Kontrolle der Aus-
gleichs- und Ersatzmaßnahmen. Dies obliegt dem Ge-
staltungsspielraum der Länder. Auch das ist an der Praxis
orientiert. Da kann man zum Beispiel an ein Flächenka-
taster der Dokumentation und auch der besseren Über-
sichtlichkeit halber denken. Auch andere Maßnahmen
sind durchaus vorstellbar.

Die häufig geäußerten Bedenken zur Verbandsklage
kann ich ebenfalls nicht teilen. Hier wird kein neues Son-
dervetorecht für die Naturschutzverbände geschaffen,
sondern lediglich das Recht, ein deutsches Verwaltungs-
gericht zur objektiven Überprüfung der Rechtmäßigkeit
einer Behördenentscheidung anzurufen.


(Karsten Schönfeld [SPD]: Das ist vernünftig!)


– Richtig.
Bei der Diskussion um die Belange der Land- und

Forstwirtschaft wird uns immer vorgeworfen, dass der
vorliegende Entwurf zulasten der Flächennutzer gehe. Ich




Christel Deichmann
17562


(C)



(D)



(A)



(B)


habe den vielen Vorwürfen, die hier so pauschal erhoben
wurden, kein einziges substanzielles Argument entneh-
men können. Ich hoffe doch, dass Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, uns unterstützen werden, damit wir im Be-
reich der Vermittlung naturschutzfachlicher Kriterien
auch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft und der Fi-
schereiwirtschaft ein Stück weiter kommen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Da gibt es bereits genügend Regelungen! Sie wollen den Bauern schikanieren!)


Gegenwärtig prüft das Verbraucherschutzministerium,
ob im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ Ausgleichs-
zahlungen für besondere – ich unterstreiche: besondere –
Naturschutzleistungen möglich sind. Sie sehen also, dass
wir hier einen Instrumentenmix anbieten können, um dem
Naturschutz und auch den Landwirten in die richtige
Richtung zu helfen.

Schließlich wollen wir Naturschutz mit den Men-
schen in der Kulturlandschaft. Aus diesem Grunde haben
wir den Schutzgebietsteil modernisiert. Das Entwick-
lungsprinzip wird durchgehend gestärkt, und der Prozess-
schutzgedanke wird rechtlich abgesichert.

Ein weiteres Element der Novellierung ist die Ein-
führung der Umweltbeobachtung als eine Aufgabe für
Bund und Länder im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständig-
keiten. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen
hat schon 1990 in einem Sondergutachten eine entspre-
chende gesetzliche Regelung gefordert. Zweck dieser Be-
stimmung ist es, die zahlreichen, leider nur sektorspezifi-
schen Beobachtungsprogramme und Datenbanken für die
Bereiche Luft, Wasser und Boden zusammenzuführen und
im Hinblick auf komplexe umweltpolitische Fragestellun-
gen besser nutzbar zu machen. Also: Effizienz durch Har-
monisierung und Verknüpfung, und keine neuen Verwal-
tungseinheiten, wie Sie hier immer aufzeigen. Da können
Sie uns, denke ich, nur unterstützen. Ausdrücklich wird in
dem Gesetzentwurf unterstrichen, dass die Vorschriften
über Geheimhaltung und Datenschutz unberührt bleiben.
Ich meine, auch da ist umsichtig gehandelt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass auf der Basis des vorliegenden Gesetzentwurfs
eine effektive Neuregelung des Verhältnisses zwischen
Naturschutz und den Belangen anderer Interessengruppen
formuliert werden kann. Dafür brauchen wir auf allen Sei-
ten Augenmaß und auch Kompromissbereitschaft. Wir
haben einen moderaten Entwurf vorgelegt – das gebe ich
zu – und laden alle Interessierten hiermit ein, im weiteren
Verfahren konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten. Wir
haben daher am Mittwoch im Umweltausschuss den Be-
schluss gefasst, am 24. September in einer ganztägigen
Anhörung den genannten Themenkomplex mit Experten
zu erörtern, und das ist gut so.

Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der
Mensch braucht die Natur. So stellt die Natur insgesamt
einen wichtigen Beitrag für unsere Lebensqualität dar.
Biologische Vielfalt ist Lebensgrundlage, sie ist aber auch

Basis für ökonomische Wertschöpfung. Unterstützen Sie
uns mit konstruktiven Beiträgen, wenn es bei dem disku-
tierten Gesetzesvorhaben um die Sicherung unserer natür-
lichen Lebensgrundlagen geht!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417901800
Ich erteile dem Kolle-
gen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417901900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine der
großen politischen Aufgaben der Gegenwart. Naturschutz
hat viel mit Lebensqualität zu tun, denn dort, wo Land-
schaften schön sind, wo die Tier- und Pflanzenwelt reich-
haltig ist, lässt es sich besser leben und lässt es sich bes-
ser erholen. Frau Kollegin Sehn, bei allem Respekt –


(Marita Sehn [F.D.P.]: Ich komme aus einer solchen Gegend, Herr Loske!)


es geht nicht um die Frage „Feuchtbiotop oder Industrie-
standort“, sondern es geht darum, wirtschaftliche Ent-
wicklung und landschaftliche Vielfalt zu haben; beides
gehört zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Richtig! Da sind wir uns einig!)


Zweitens: Naturschutz hat viel mit Kultur zu tun, auch
viel mit Kulturpolitik,


(Marita Sehn [F.D.P.]: Kommen Sie mal zu uns und schauen Sie sich das an!)


denn die meisten Landschaften, die uns ans Herz gewach-
sen sind, sind Kulturlandschaften, von Menschenhand ge-
schaffen oder beeinflusst. Naturzerstörung ist deshalb im-
mer auch Kulturverlust.

Naturschutz hat viel mit – ich drücke es einmal so aus –
„harter Ökologie“ zu tun, denn die Diversitätsforschung
hat uns gezeigt, wie engmaschig das Netz des Lebens ge-
knüpft ist, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Noch
einmal, Frau Kollegin Sehn – Sie haben sich so ein biss-
chen über die Insekten lustig gemacht –:


(Marita Sehn [F.D.P.]: Nein, ich habe mich gar nicht lustig gemacht!)


Sie wissen doch vielleicht – ich hoffe das –, wie wichtig
die Insektenbestäubung und die Windbestäubung für die
Produktivität der Landwirtschaft sind.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist nicht das Problem!)


Immerhin haben Sie es ja geschafft, nur gegen die Insek-
ten zu polemisieren und nicht gegen den Wind, denn der
weht ja bekanntermaßen, wo er will.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Der Vergleich war aber nicht gut, Herr Loske!)





Christel Deichmann

17563


(C)



(D)



(A)



(B)


– Der Vergleich war schon zutreffend.
Naturschutz hat auch viel mit Respekt vor der nicht

menschlichen Kreatur zu tun. Deshalb müssen wir auch
Raum für die freie Entfaltung der Natur lassen und nicht
alles muss dem Denken von Nutzen und Nützlichkeit un-
terworfen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man von dieser Einschätzung ausgeht, dass Na-
turschutz eine Kulturaufgabe ist, dass er eine umweltpo-
litische Aufgabe ist und dass er eine Zukunftsaufgabe ist,
dann stellt sich die Frage: Was bedeutet das für ein zeit-
gemäßes Naturschutzgesetz? Diese Frage ist es ja, die uns
heute hier zusammenführt. Nach meiner Meinung bedeu-
tet das vor allen Dingen dreierlei:

Erstens müssen wir von dem alten Denken wegkom-
men, dass Naturschutz und Naturnutzung unvereinbar
sind. Es geht vielmehr darum, Naturschutzziele durch
eine nachhaltige und sensible Naturnutzung zu erreichen.
Die Menschen sollen nicht ausgesperrt werden, sondern
sie sollen in ihrem Handeln Verantwortung für die Natur
übernehmen. Dafür brauchen wir Regeln, insbesondere
für die Landnutzung, also die Landwirtschaft, die Forst-
wirtschaft, die Fischereiwirtschaft und auch für den
schnell wachsenden Sektor der Freizeit- und Tourismus-
aktivitäten. Dies ist keine Bürokratie, sondern es ist
Zukunftsvorsorge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens: Sicherlich ist der Zaun nicht mehr das ge-
eignete Symbol für den Naturschutz – darin sind wir uns
alle einig –, aber es muss selbstverständlich Gebiete ge-
ben, in denen der Naturschutz Vorrang genießt, in denen
Nutzungsinteressen zurücktreten müssen.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Die gibt es doch schon! Bei uns in Rheinland-Pfalz gibt es die!)


Solche Räume haben wir bislang viel zu wenig; es sind
zwei Prozent der Landesfläche. Wir streben zehn Prozent
an, wie Sie wissen. Von solchen Räumen haben wir viel
zu wenige, und sie sind nicht selten viel zu klein; sie sind
sehr häufig kleine Inseln in einem Ozean der Naturzer-
störung.


(Marita Sehn [F.D.P.]: In Nordrhein-Westfalen vielleicht, aber nicht in Rheinland-Pfalz!)


Dort können Arten nicht überleben. Deswegen brauchen
wir hinreichend große und vor allen Dingen vernetzte Le-
bensräume für Tiere und Pflanzen; deshalb sind die Bio-
topverbundsysteme für den Artenschutz auch unerläss-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens: Wir müssen diejenigen gesellschaftlichen
Gruppen, die sich für Naturschutzziele einsetzen, stärken.
Wir müssen ihnen Informationsrechte, Beteiligungs-
rechte und auch Klagerechte einräumen. Ich nehme an,
im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich sage: Wir

können froh darüber sein, dass sich in Deutschland so
viele Menschen in den Umweltverbänden einsetzen. Sie
sind Anwälte der Natur und ich möchte mich an dieser
Stelle für ihr Engagement ausdrücklich bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen heute
vorlegen, geht von diesen Orientierungspunkten, die ich
genannt habe, aus. Erstmals werden im Naturschutzgesetz
klare qualitative Kriterien für die gute fachliche Praxis
in der Landwirtschaft und Nutzungsregeln für die Forst-
wirtschaft bestimmt. Ich glaube, man kann sagen: Das ist
ein qualitativer Sprung in der Naturschutzpolitik und eine
wichtige Ergänzung der neuen Agrarpolitik. Das
Umweltministerium und das Landwirtschaftsministerium
– das ist wichtig – haben nicht gegeneinander gearbeitet,
sondern miteinander. Das war nicht immer so. Bei Ihnen
von der Opposition standen Herr Töpfer und Frau Merkel
im Regen. Das hat sich jetzt fundamental geändert. Erst-
mals wird im Naturschutzgesetz das Ziel formuliert, auf
zehn Prozent der Landesfläche ein Biotopverbundsystem
zu schaffen. Hier sind nun die Länder gefordert, geeignete
Flächen auszuweisen und durch geeignete Maßnahmen
abzusichern. Es muss aber, das will ich gerne zugeben, si-
chergestellt werden, dass das nicht nur einfach durch
Umdeklarierungen vorhandener Schutzgebietskategorien
stattfindet, sondern dass wirklich neue Qualitäten hinzu-
kommen.

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Erst-
mals wird den Umweltverbänden im Naturschutzgesetz
ein Klagerecht eingeräumt, das ihnen faire Chancen in
der Auseinandersetzung vor Gericht gibt. Damit wird auf
Bundesebene endlich das realisiert, was in den meisten
Bundesländern längst möglich ist. Bei der Anerkennung
dessen, was als Naturschutzverband gilt, müssen aller-
dings strenge Kriterien angelegt werden, weil sonst dem
Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird.

Ich fasse zusammen: Nach einem Jahrzehnt der politi-
schen Abstinenz in Sachen Naturschutz wird mit dem
neuen Gesetz ein klares Signal gegeben. Naturschutz hat
in Deutschland eine Zukunft, und zwar nicht gegen die
Menschen, sondern mit ihnen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417902000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf Drucksache 14/6378 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 14/4572 zu dem Antrag der Fraktion der
F.D.P. mit dem Titel „Eigentumsrechte nicht durch falsche
Naturschutzpolitik aushöhlen“. Der Ausschuss empfiehlt,




Dr. Reinhard Loske
17564


(C)



(D)



(A)



(B)


den Antrag auf Drucksache 14/1113 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 h sowie die
Zusatzpunkte 3 und 4 auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, Jürgen W. Möllemann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Verbesserung der internationalen Attraktivität
und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstand-
ortes Deutschland
– Drucksache 14/3339 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Bildungsschecks für mehr Qualität und Wett-
bewerb an Hochschulen in Deutschland
– Drucksache 14/3518 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Naturwissenschaftlicher Wettbewerb an deut-
schen Schulen
– Drucksache 14/4270 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Ökonomische Komponente in der Lehreraus-
bildung entschieden ausbauen
– Drucksache 14/4271 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der F.D.P.
Bessere Rahmenbedingungen für ausländische
Studierende in Deutschland
– Drucksache 14/5250 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Sonderprogramm zur Sicherung und Er-
höhung des Niveaus der Landes- und Hoch-
schulbibliotheken am Wissenschafts- und For-
schungsstandort Deutschland
– Drucksachen 14/5105, 14/6195 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Eckardt
Norbert Hauser (Bonn)

Dr. Reinhard Loske
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, Klaus
Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard
Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Die Internationale Attraktivität und Leistungs-
fähigkeit des Wissenschafts- und Forschungs-
standortes Deutschland für ausländische Studie-
rende und junge Wissenschaftlerinnen stärken
– Drucksache 14/6209 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Kultur und Medien

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt,
Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS
Bericht über die Erfahrungen bei der Anwen-
dungen des Hochschulzeitvertragsgesetzes
– Drucksache 14/6212 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)





Präsident Wolfgang Thierse

17565


(C)



(D)



(A)



(B)


Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Hauser (Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard
Friedrich (Erlangen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
„Stiftung Bildungstest“ – Qulität und Effizienz
für den wachsenden Bildungsmarkt
– Drucksache 14/6437 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuss

ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- und
Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Aus-
bildung hoch qualifizierter Fachkräfte
– Drucksache 14/6445 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die
F.D.P. 15 Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Cornelia Pieper von der F.D.P.–Fraktion.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1417902100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Wissen ist der Rohstoff der Zukunft.
Globaler Wettbewerb, demographischer Wandel und tech-
nische Revolution stellen uns vor große Herausforderun-
gen. Wir erleben eine Kulturrevolution wie zu Zeiten der
Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg –
die Wende von der klassischen Industriegesellschaft zur
Wissens- und Informationsgesellschaft.

Meine Damen und Herren, in der Gesellschaft der Zu-
kunft werden mehr Menschen mit der Informationsver-
arbeitung und Dienstleistung beschäftigt sein als in der
Industrie. Lebensentwürfe werden im 21. Jahrhundert
durchbrochen sein und nicht mehr mit einer einmaligen
Ausbildung enden. Lebenslanges Lernen und die Bereit-
schaft, sich ständig weiterzuentwickeln, werden die
Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft bestimmen.

Das alte Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt
Hans nimmermehr“


(Peter Dreßen [SPD]: Das trifft aber voll bei der CDU zu!)


ist heute umzukehren in „Hänschen weiß heute schon,
dass er als Hans weiter lernen muss“. Das wird das Prin-
zip der Zukunft.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Gesellschaft wird stärker von selbstständigen

Existenzen und Beschäftigten geprägt sein. Darauf muss
sich unser Ausbildungssystem insgesamt einstellen. Eine
Kultur der Selbstständigkeit ist gefordert; dies muss in
den Lehrplänen vermittelt werden. Der Selbstständige
oder der Unternehmer hat wohl weltweit kein so schlech-
tes Image wie in Deutschland, meine Damen und Herren.
Auch das muss sich ändern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regie-
rungskoalition, diese geistige Wende bzw. dieses geistige
Umdenken nicht erkennen, ist für dieses Land bezeich-
nend.

Wir haben Bildungsreformen verschleppt.

(Beifall bei der SPD und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Ihr habt verschleppt! Das ist wahr!)


Wir brauchen aber dringend Bildungsreformen, und zwar
inhaltliche Reformen.

Sie sind gefordert. Sie sind in der Landesverantwor-
tung. Sie sind in Ihren Landesregierungen dazu aufgefor-
dert, dieses Thema aufzugreifen und auch umzusetzen.
Das haben Sie nämlich in der Vergangenheit nicht getan.


(Beifall bei der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Wahre Selbstkritik!)


Der Direktor des Medieninstituts in St. Gallen, Profes-
sor Glotz, den Sie als ehemaligen Kollegen kennen müss-
ten und nicht kritisieren sollten, spricht sogar von der di-
gitalen Ökonomie in der Zukunft.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


20 Prozent der Bevölkerung werden zukünftig damit be-
schäftigt sein, Informationen in Wissen zu verarbeiten.


(Zuruf von der SPD: Dafür haben Sie nichts getan!)


Ist Deutschland fit für das neue Zeitalter der Wissens-
gesellschaft? Sind Schulen und Hochschulen ausreichend
auf die Informationsgesellschaft vorbereitet? Sicher sind
deutsche Hochschulen besser als ihr Ruf,


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

aber jüngst veröffentlichte internationale Studien und Ver-
gleiche machen deutlich: Deutschland liegt eher im Mit-
telfeld oder ganz hinten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Traurig, traurig!)


Seit Jahrzehnten liegt die Bundesrepublik beim Verhältnis
der staatlichen Bildungsausgaben zum Bruttoinlands-
produkt unterhalb des OECD-Mittelwerts mit 5,5 Prozent
Bildungsausgaben. Die Bund-Länder-Kommission pro-




Präsident Wolfgang Thierse
17566


(C)



(D)



(A)



(B)


gnostizierte in ihrem jüngsten Bericht einen enormen Ar-
beitskräftemangel und forderte zusätzliche Bildungsin-
vestitionen. Doch die Bundesländer selbst setzen unter-
schiedliche Prioritäten bei den Bildungsausgaben.
Während beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern
8 bis 9 Prozent ihres gesamten Budgets für Bildungsaus-
gaben vorsehen, wenden Hamburg und Nordrhein-West-
falen für ihre Bildungsetats wesentlich weniger auf.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Nicht nur diese falsche Prioritätensetzung, sondern

auch eine zu starre und ideologisierte Bildungspolitik ha-
ben uns im internationalen Wettbewerb zurückgeworfen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Schon wieder Selbstkritik! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie waren doch 16 Jahre lang daran beteiligt!)


Meine Damen und Herren, die Grünen hatten noch 1986
in ihrem Programm den Computerboykott stehen. Ich
glaube, wenn man das berücksichtigt, kann man deutlich
erkennen, dass in Deutschland mit einer solchen Pro-
grammatik keine Bildungsreformen auf den Weg zu brin-
gen sind.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die internationale TIMSS-Studie – die Ihnen ge-
wiss bekannt ist: eine Vergleichsstudie mathematisch-na-
turwissenschaftlichen Unterrichts – ist niederschmet-
ternd. Nur noch 8 Prozent deutscher Schüler wählen in der
Schule das Fach Physik als Leistungskurs, und das nicht
nur wegen Desinteresses, nein, sondern weil Fachlehrer
fehlen. Die Bundesrepublik liegt mit einer Studienquote
von 28,2 Prozent im unteren Mittelfeld der europäischen
Staaten.


(Zuruf von der F.D.P.: Leider wahr!)

Der Anteil der berufstätigen Bevölkerung mit Hoch-
schulabschluss liegt mit 13 Prozent im internationalen
Mittelfeld. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr
Studenten in Deutschland, meine Damen und Herren.


(Jörg Tauss [SPD]: Jawohl!)

Wir brauchen in Deutschland eine gezielte Hochbegab-
tenförderung, die frühzeitig, nämlich in der Grundschule,
beginnt. Hochbegabtenförderprogramme für Studierende
sind, gleich ob über private oder öffentliche Stiftungen, zu
verstärken und auszubauen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, die Gründe für den Bil-

dungsrückstand und die Defizite liegen auf der Hand:
ein zu hohes Einschulungsalter, zu lange Schul- und Stu-
dienzeiten – Stichwort 13. Schuljahr –, Wehrpflicht und
vor allem Qualitätsdefizite in der Schulausbildung. Wis-
sen Sie, manchmal habe ich den Eindruck, für einige der
rot-grünen Landesregierungen sei das 13. Schuljahr ei-
gentlich eine Art Glaubensbekenntnis, wobei sie total aus
den Augen verloren haben, wohin sich die Bildungspoli-
tik und der internationale Wettbewerb bewegen.

Die Auffassung meiner Fraktion, der F.D.P., ist seit lan-
gem: Das 12. Schuljahr bis zum Abitur hätte mit der deut-
schen Einheit gesamtdeutsch eingeführt werden müssen,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Wer hat denn da regiert?)


Glaubenskämpfe um die Köpfe der Kinder haben das Bil-
dungssystem in ein Durcheinander halbherziger Konzepte
gestürzt. Das Ergebnis in Deutschland sind herunterge-
kommene Schulen – Schulwracks –, Gesamtschulen, an
denen Chancen ausgleichende Erziehung an die Stelle von
Leistungsforderungen tritt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der F.D.P.: Genauso ist es! – Jörg Tauss [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!)


Im Bildungssystem in Deutschland wird viel zu sehr auf
Gleichmacherei denn auf Leistungsorientierung, Verant-
wortungsbereitschaft und Differenzierung gesetzt.


(Widerspruch bei der SPD)

Hauptschulen wurden zu Restschulen degradiert. Dabei
ist die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss in
Deutschland mit 14 Prozent alarmierend. Es ist Sozialpo-
litik, die wir mit einer qualitätsorientierten Bildungspoli-
tik in Deutschland machen können, und darauf kommt es
uns an.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Die

Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung der Bundesanstalt für Arbeit sprechen eine klare
Sprache: Je weniger jemand gelernt hat, desto größer ist
die Gefahr der Arbeitslosigkeit. Bildung ist eine
Zukunftsinvestition. Deutschland ist auf seine wichtigste
Ressource, das Humankapital, angewiesen.

Deshalb brauchen wir nach den ideologischen Debat-
ten in Deutschland endlich ein Umdenken. Roman
Herzog, der ehemalige Bundespräsident, hat es in seiner
berühmten Bildungsrede auf den Punkt gebracht: Entlas-
sen wir unsere Bildungseinrichtungen endlich in die Frei-
heit!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wer hat die denn inhaftiert? Wer hat sie denn in die Unfreiheit geführt?)


Wir brauchen mehr Eigenverantwortung für Schulen
und Hochschulen. Schulen und Hochschulen müssen
zukünftig ihre Lehrer bzw. Hochschullehrer selbst aus-
wählen und einstellen können.


(Beifall des Abg. Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU])


Wir sollten den Wettbewerb stärker fördern, indem
Schulbezirke aufgehoben werden, freie Träger die glei-
chen Chancen haben wie staatliche Bildungsein-
richtungen. Durch eine erweiterte Hochschulautonomie
sollte den Hochschulen bzw. Universitäten das Recht ein-
geräumt werden, Leistungsstrukturen nach eigenen Be-
dürfnissen und Erfahrungen zu bestimmen. Schluss mit
der Studentenlandverschickung im digitalen Zeitalter, in




Cornelia Pieper

17567


(C)



(D)



(A)



(B)


dem sich jeder junge Mensch im Internet an einer Hoch-
schule bewerben kann!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Zeitalter der Zentralstelle für die Vergabe von Studien-
plätzen ist vorbei! Die ZVS gehört abgeschafft!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902200
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1417902300
Ich komme zum Ende mei-
ner Rede, Herr Präsident. – Bildung im 21. Jahrhundert ist
ein Freiheitsthema für die Freien Demokraten. Aber es
gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Statt in Indus-
trien von gestern müssen wir in kluge Köpfe von morgen
investieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen werden wir das bei den bevorstehenden Haus-
haltsberatungen zum Thema machen. Lassen Sie uns die
Steinkohlesubventionen kürzen!


(Willi Brase [SPD]: Menschen in die Arbeitslosigkeit schicken ist das! Nichts anderes!)


Lassen Sie uns diese Subventionen für Zukunftsinvesti-
tionen in die junge Generation verwenden!


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das war noch nicht einmal liberal! – Weiterer Zuruf von der SPD: So viele Plattheiten habe ich noch nie gehört!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902400
Für die
Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin
Edelgard Buhlman.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Frau Pieper, die Statistiken,
die Daten, die Sie hier vorgetragen haben, stimmen leider.
Der OECD-Bericht besagt leider ganz klar, dass wir in
Deutschland nicht an der Spitze liegen, sondern im Mit-
telfeld, teilweise sogar schlechter. Was Sie allerdings ver-
schwiegen haben, ist, dass der OECD-Bericht die Ent-
wicklung bis 1998 darstellt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Zuruf von der SPD: Ihre Zeit, Frau Pieper!)


Bei allem Respekt: So lange liegt das Jahr 1998 noch nicht
zurück.


(Willi Brase [SPD]: Alles vergessen, Frau Pieper!)


Das, womit wir uns heute auseinander setzen müssen,
ist in hohem Maße das Ergebnis der Untätigkeit der letz-
ten Bundesregierung über 16 Jahre hinweg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist ja lächerlich! –Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902500
Frau Bun-
desminister Bulmahn – –

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Eine zweite Anmerkung: Frau Pieper, ich
würde mir wünschen, dass die F.D.P. in den Bundeslän-
dern, in denen sie die Regierungsverantwortung mitträgt,
all das tut, was Sie hier gefordert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dort können Sie es nämlich tun. Dort sollten Sie es ma-
chen. Das betrifft isbesondere die Schulpolitik. Sie wis-
sen, dass wir im Deutschen Bundestag kein Jota an der
Schulpolitik ändern können. Dies ist eine klare Länder-
aufgabe und deshalb wünsche ich mir, dass die jeweiligen
Regierungsparteien ihre Verantwortung in den Ländern
wahrnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind in mehreren Ländern an der Regierung beteiligt.
Tun Sie etwas und sprechen Sie nicht nur darüber!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902600
Frau
Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich stelle zurzeit fest – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902700
Frau
Minister, –

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich will dies noch ganz kurz ergänzen.
Dann lasse ich die Frage zu und dann antworte ich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902800
– ich be-
stimme hier, wer spricht. Ich frage Sie, ob Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Pieper zulassen wollen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber das müssen Sie doch nicht mitten in der Rede machen! Was ist das denn für ein Stil! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe da hinten, Herr Schmidt! Der Präsident hat gesprochen!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ich lasse Zwischenfragen immer zu. Das
wissen doch die Kolleginnen und Kollegen.




Cornelia Pieper
17568


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417902900
Sie lassen
also eine Zwischenfrage zu?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903000
Bitte
schön, Frau Pieper.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1417903100
Frau Ministerin, ist Ihnen
aufgefallen, dass ich in meiner Rede bewusst auch auf die
Entwicklung der Schulpolitik in den vergangenen Jahren
hingewiesen habe, insbesondere auf die Schulpolitik in
den Ländern, in denen Rot oder Grün regiert, beispiels-
weise in Niedersachsen, und ist Ihnen bekannt, dass die
hessische Landesregierung unter Beteiligung der F.D.P.
2 500 neue Personalstellen für Lehrer geschaffen hat bzw.
dass die rheinland-pfälzische Regierung nach der letzten
Regierungsbildung, an der auch Ihre Partei beteiligt ist,
drei staatliche Eliteschulen ins Leben gerufen hat?


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es! – Widerspruch bei der SPD und der PDS)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Frau Pieper, erstens habe ich als Ministe-
rin die Initiative ergriffen, weil ich nach den langjährigen
Diskussionen über dieses Thema im Bundestag erkannt
habe, dass es nicht ausreicht, nur über andere zu reden,
sondern dass es notwendig ist, mit den Ländern und den-
jenigen, die in den Bildungseinrichtungen arbeiten, ge-
meinsam daran zu gehen, die Situation zu verbessern. Es
ist das Forum Bildung, in dem wir gemeinsam mit den
Ländern – unabhängig von Parteizugehörigkeiten –, mit
Wissenschaftsorganisationen, Jugendlichen und Sozial-
partnern wichtige Empfehlungen für die Schulpolitik er-
arbeitet haben.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Frau Pieper hat nach Hessen gefragt!)


Ich stelle zweitens fest, dass inzwischen gerade die
SPD-regierten Länder – dazu gehört das Land Rheinland-
Pfalz; die jetzige Bildungsministerin ist Sozialdemokratin
und ihr Vorgänger war ebenso Sozialdemokrat – wirklich
vorangegangen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In den sozialdemokratisch regierten Ländern wurde in-
zwischen erheblich mehr in Bildung investiert. In den
90er-Jahren ist der Zuwachs bei den Investitionen in Bil-
dung allein von den Ländern geleistet worden. Man muss
das einfach zur Kenntnis nehmen. Der Bund hat seine Bil-
dungsausgaben in den 90er-Jahren – Sie wissen das sehr
gut, denn Sie haben damals mitentschieden – um 4,7 Pro-
zent gekürzt.

In dem Land, aus dem ich komme, haben wir 2 000
neue Lehrerstellen geschaffen. Wir haben das Angebot an
Ganztagsschulen ausgebaut, weil Kinder und Jugendliche
heute mehr lernen müssen und dafür mehr Zeit brauchen.
Wir haben ein breit gefächertes Bildungsangebot unter-

schiedlicher Typen. Wenn Sie fordern, die Ideologie bei-
seite zu legen, empfehle ich, diese Forderung an die ei-
gene Adresse zu richten, denn die Ideologie, die Ihre Po-
litik der 90er-Jahre geprägt hat – Kürzungen in der
Bildung und kein Engagement des Staates –, ist falsch.
Der Staat muss sich engagieren, er muss gestalten und da-
mit den Bildungseinrichtungen die notwendigen Ent-
scheidungsfreiheiten geben. Gerade die SPD hat das seit
vielen Jahren gefordert und setzt das auch um. Das ist der
entscheidende Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zu Hessen hat sie kein Wort gesagt!)


Das Ergebnis einer 16-jährigen Untätigkeit, das viele
Menschen in unserem Land beunruhigt und umtreibt, ist
paradox: Wir haben auf der einen Seite Unterbeschäfti-
gung, während auf der anderen Seite immer mehr Unter-
nehmen – inzwischen jedes zehnte – ihre offenen Stellen
nicht mehr besetzen können, weil die notwendigen Fach-
kräfte fehlen. Diese paradoxe Situation ist Ergebnis der
Politik des letzten Jahrzehnts und nicht der letzten zwei
Jahre. Das muss man leider so feststellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu Recht wird deshalb in der Öffentlichkeit darüber
diskutiert, was getan werden muss, um die Bildungsein-
richtungen zu verbessern und den jungen Menschen bes-
sere Bildungsmöglichkeiten zu geben. Der eigentliche Pa-
radigmenwechsel ist nämlich nicht der zu einer
Informationsgesellschaft, sondern der von der Industrie-
gesellschaft zu einer Bildungs- und Wissensgesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Tatsache ist, dass wir schon heute einen weltweiten
Wettbewerb um hoch qualifizierte Fachkräfte – Ingeni-
eure, Informatiker, begabte Studierende und Wissen-
schaftler – haben. Dafür gibt es zwei Ursachen. Die eine
Ursache ist der demographische Wandel; es gibt weniger
Jugendliche. Die zweite Ursache ist in den eklatanten Ver-
säumnissen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik der
90er-Jahre zu sehen, die sich jetzt auswirken.


(Zuruf von der CDU/CSU: In den Ländern!)

Wir brauchen mehr Hochschulabsolventen, die außer-

dem besser ausgebildet sind. Es war ein fataler Fehler, in
den 90er-Jahren an die Jugendlichen das Signal zu geben,
dass weniger Hochschulabsolventen gebraucht würden.


(Jörg Tauss Physiker!)


Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen mehr Hoch-
schulabsolventen, die besser und anders ausgebildet sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Tatsache, dass sich in unserem Lande nur 28 Prozent
der Jugendlichen für ein Studium entscheiden – in Finn-
land sind es 58 Prozent und in Israel 49 Prozent –, ist das
Ergebnis der falschen Signale der 90er-Jahre.






(C)



(D)



(A)



(B)


Wir brauchen auch mehr internationalen Austausch.
Dabei geht es nicht nur darum, kurzfristig Engpässe auf
dem Arbeitsmarkt zu überbrücken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht darum, dass hoch qualifizierte ausländische Wis-
senschaftler gute Ideen mitbringen, Kontakte erleichtern
und die besten Botschafter für unser Land sind, wenn sie
in ihr eigenes Land zurückkehren.

Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen und die Situ-
ation in einem anderen Land schildern: Die amerika-
nische Forschung verdankt ihre Spitzenstellung heute zu
einem ganz wesentlichen Teil ausländischen Wissen-
schaftlern. In den Vereinigten Staaten kommen 21 Prozent
des wissenschaftlichen Hochschulpersonals aus anderen
Ländern. Bei den Postdoktoranden beträgt der Ausländer-
anteil sogar mehr als 50 Prozent. Ein Viertel aller Hoch-
schulprofessoren in den natur- und ingenieurwissen-
schaftlichen Fachbereichen kommt aus anderen Ländern.
Deutschland gehört im Übrigen zu den wichtigsten Ent-
sendeländern. Volkswirtschaftlich betrachtet subventio-
nieren wir also – und zwar nicht unbeträchtlich – die ame-
rikanische Forschung.


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.])

Der Grund dafür ist offensichtlich: Deutsche Hoch-

schulen haben ihren Absolventen in den letzten Jahren
hervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb um
interessante Stellen in anderen Ländern geschaffen und
geboten, aber es gab zu wenig interessante Arbeitsplätze
hier im eigenen Land. Hier haben sich die fatalen Mittel-
kürzungen durch die alte Bundesregierung verheerend
ausgewirkt. Hier hat sich auch – das sage ich auch ganz
deutlich – Ihre mangelnde Kraft zur Gestaltung und Re-
formierung des deutschen Hochschulsystems ausgewirkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Die Bundesländer finanzieren die Hochschulen zu 90 Prozent! Sehen Sie sich einmal die Bundesländer an, in denen die SPD regiert! Das ist ja peinlich!)


Dieser jahrelange Stillstand, den wir in der Bildungs- und
Forschungspolitik unter Ihrer Regierungsverantwortung
hatten, war in Wirklichkeit ein Rückschritt, der uns viele
fähige Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-
wissenschaftler gekostet hat.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Wahrheit! – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Sie sollten langsam rot werden! Es ist ja peinlich!)


Bei meinem Besuch in Palo Alto Anfang dieses Jahres
habe ich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die in den USA geblieben sind oder bleiben wol-
len, gefragt, was sie in Deutschland vermissen, wo aus ih-
rer Sicht Reformbedarf liegt, welche Änderungen sie für
notwendig halten. Die deutschen Wissenschaftler kriti-
sieren einhellig, dass es in Deutschland in den 90er-Jahren
keine oder nicht ausreichende Stellen für eigenständige
Forschung gab. Diese zu schaffen ist Aufgabe des Bundes.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ja!)


Sie kritisieren das bestehende Ordinariensystem. Auch da
sind wir gefragt. Sie kritisieren den Mangel an Internatio-
nalität im deutschen Hochschulsystem. Dies sind alles
Punkte, wo wir, nämlich der Bund, wirklich handeln kön-
nen und wo diese Bundesregierung auch handelt.


(Beifall bei der SPD)

Im Zentrum der Kritik steht im Übrigen immer wieder

das Habilitationsverfahren. Von jungen und erfolgrei-
chen Wissenschaftlern, auch zum Beispiel von Nobel-
preisträgern, wird kritisiert, dass es zu langwierig und
intransparent sei, dass es hierarchische Strukturen zemen-
tiere. Genau an diesen Kritikpunkten setzt das Reformpa-
ket an, das diese Bundesregierung nach dem Regierungs-
wechsel in Angriff genommen hat.

Wir stärken Bildung und Forschung finanziell. So wer-
den wir im kommenden Jahr 16,4 Milliarden DM in For-
schung und Bildung investieren. Das sind 15,5 Prozent
mehr als im Jahre 1998, dem letzten Jahr Ihrer Regie-
rungsverantwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zugleich aber schaffen wir durch die notwendigen Refor-
men und Strukturinnovationen die Voraussetzungen da-
für, dass diese Mittel gut eingesetzt werden. Auch das ist
notwendig.

Wir haben das BAföG reformiert und damit echte
Chancengleichheit hergestellt. Niemand muss mehr aus
finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten, im
Übrigen auch nicht im Ausland. Wir stärken die Förde-
rung von Nachwuchswissenschaftlern erheblich. Aus
meinem Haushalt werden in diesem Jahr 1,4 Milli-
arden DM in die Förderung der Nachwuchswissenschaft-
ler investiert. Das ist eine Bestenförderung. Es gilt: Nicht
darüber reden, sondern handeln! Das tun wir.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Dann handeln Sie einmal!)


Wir haben neue Stipendiensysteme geschaffen. Dies ist
keine Zukunftsmusik, denn wir haben dies bereits einge-
leitet bzw. eingeführt. Wir haben die Dienstrechtsreform
auf den Weg gebracht, die ebenfalls die frühe Eigen-
ständigkeit gerade der jungen Nachwuchswissenschaftler
unterstützt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben noch gar nichts gemacht! Es hat noch nicht einmal die erste Lesung stattgefunden!)


Ich würde mich freuen, Herr Rachel, wenn auch alle
CDU-regierten Länder hierbei engagiert mitmachen wür-
den,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Wir werden die Reform sogar verbessern, Frau Bulmahn! Sie werden staunen!)


damit wir es nun, nachdem Sie 16 Jahre lang dieses Pro-
blem vor sich hergeschoben haben, endlich wie angekün-
digt in dieser Legislaturperiode hinbekommen.




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
17570


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir verfolgen ein ehrgeiziges Programm zur Frauen-
förderung. Wir stärken Forschung und Entwicklung zum
Beispiel durch den Aufbau von Forschungszentren an
deutschen Hochschulen oder durch Unterstützung des
virtuellen Studiums, mit dem wir die weltweite Vernet-
zung der deutschen Hochschulen erreichen wollen.

Wir fördern die Internationalisierung der deutschen
Hochschullandschaft, wir werben offensiv um Studie-
rende und Lehrende aus anderen Ländern


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sparen die deutschen Schulen im Ausland kaputt!)


und wir verbessern die Zusammenarbeit zwischen Hoch-
schulen und Wirtschaft, damit eine schnellere Umsetzung
von neuen Ideen in Produkte und Verfahren gelingt.

Um Deutschland, meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen, zum bevorzugten internationalen Wissen-
schaftsstandort zu machen, richten wir auch mehr Stu-
diengänge international aus. Auch das ist ein Teil, ein
wichtiger Teil des kulturellen Wandels in Deutschland.

Wir betreiben die gegenseitige Anerkennung von Stu-
dienabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängen
und schaffen damit internationale Vergleichbarkeit.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das alles hat die Vorgängerregierung mit Rüttgers schon eingeleitet!)


– Nein, sorry! – Wir kommen dabei in großen Schritten
voran. Wir haben jetzt nämlich 1 044 Bachelor- und Mas-
terstudiengänge, die hier angeboten werden.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hat alles die CDU-geführte Regierung gemacht! Das hat Rüttgers schon realisiert!)


Ein zentrales Reformprojekt ist die Dienstrechtsre-
form, die Anfang 2002 in Kraft treten soll. Damit wollen
wir zum einen die Qualität von Lehre und Forschung ver-
bessern und zum anderen dafür sorgen, dass die besten
Köpfe in unserem Land bleiben oder dass die besten
Köpfe auch wieder in unser Land zurückkommen.

Meine Damen und Herren, zeigen Sie Mut und Courage!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns den alten Zopf der Habilitation abschneiden
und es mit der Juniorprofessur den jungen Wissenschaft-
lern ermöglichen, in Zukunft durchschnittlich zehn Jahre
früher, als das jetzt der Fall ist, eine Professur zu überneh-
men, eigenständige Forschung und Lehre zu betreiben!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Und zeigen Sie auch Courage, mit dem Dienstrecht eine
weitere wesentliche Erneuerung herbeizuführen, nämlich
eine Erneuerung, die Leistung in Lehre und Forschung
honoriert! Ein Besoldungssystem, das so aussieht, dass
vor allem nach Lebensalter besoldet wird, passt nicht
mehr in unsere heutige Wissenschaftslandschaft.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Da haben Sie ausnahmsweise Recht!)


Deshalb zögern Sie nicht, sondern machen Sie mit!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mein Ziel, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist

es, deutsche Hochschulen wieder dauerhaft attraktiver für
ausländische Spitzenkräfte zu machen und den gegen-
wärtigen Anteil von 6 bis 7 Prozent ausländischer Studie-
render deutlich zu erhöhen. Eine Erhöhung dieses Anteils
um 50 Prozent ist ein Ziel, das wir auf jeden Fall erreichen
müssten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903200
Frau Kol-
legin Bulmahn, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Flach?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Ja.


(Jörg Tauss [SPD]: Fragen bildet! Nur zu! Nur Mut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903300
Frau
Flach, bitte schön.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1417903400
Danke schön, Frau Bulmahn. –
Ich möchte Ihnen einfach die rein praktische Frage stellen:
Sie wissen, dass die F.D.P. beim Hochschuldienstrecht
selbstverständlich mitziehen will. Das ist eine Reform, die
dringend notwendig ist. Nur, ich überlege mir, wie werden
Sie mit der Mehrheit Ihrer Landesminister fertig, die natür-
lich nicht mitziehen werden und genau die Crux nicht be-
seitigen werden, mit der wir zurzeit kämpfen müssen, dass
nämlich das Geld für die nötigen Fachkräfte nicht vorhan-
den ist? Ihre Antwort darauf würde mich interessieren.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung: Am Ende des Jahres werden Sie feststel-
len, dass die sozialdemokratischen Landesregierungen
und Landesminister diese Reform nicht nur mitmachen,
sondern dass sie sie wollen und dass sie sich auch sehr
engagiert dafür einsetzen, dass diese Reform gelingt.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das heißt, zurzeit wollen sie sie nicht!)


Wenn Sie sich die Vorbereitungen für die Änderungen
der Landeshochschulgesetze anschauen, werden Sie zum
Beispiel feststellen, dass die Juniorprofessur im geplanten
niedersächsischen Landeshochschulgesetz bereits aufge-
nommen worden ist. Sie werden das im Übrigen auch bei
anderen Ländern feststellen. Ich stelle gerade bei sozial-
demokratisch regierten Landesregierungen eine große
Nachfrage nach diesen Juniorprofessuren fest und wir
werden sie mit den Stimmen unserer Länder auch durch-
setzen. Ich wünsche mir aber – das sage ich auch ganz
klar –, dass diese Möglichkeit nicht nur in den sozial-
demokratisch regierten Ländern genutzt wird, sondern in
allen Bundesländern,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn

17571


(C)



(D)



(A)



(B)


weil ich davon überzeugt bin, dass sie für alle Hochschu-
len, egal, in welchem Bundesland sie liegen, eine gute
Chance darstellt.

Wir verbessern die Strukturen, wir nutzen die UMTS-
Zinserträge, um unseren Hochschulen einen kräftigen
Schub in diese Richtung der Internationalisierung zu ge-
ben, weil das nicht nur ein Defizit und ein Mangel ist, den
unsere jungen Wissenschaftler im Ausland beschreiben,
sondern es ist ein Mangel, den auch viele beschreiben, die
heute an den Hochschulen in Deutschland tätig sind. Wir
stellen – zusätzlich zu den Ausgaben, die wir sowieso täti-
gen – für die Zukunftsinitiative Hochschule rund 1 Mil-
liarde DM bereit, davon 210 Millionen DM, um unter
dem Stichwort „Braingain“ die Anziehungskraft unserer
Hochschulen im Ausland zu erhöhen. Wir gewinnen so
über die Programme Spitzenwissenschaftlerinnen und
-wissenschaftler und exzellente Nachwuchswissenschaft-
ler aus dem Ausland und wir gewinnen sie teilweise auch
wieder zurück. Die Resonanz, die ich jetzt schon, nach gut
einem halben Jahr, auf diese Programme feststelle, ist ein-
fach herausragend, sie ist toll und zeigt, dass diese Pro-
gramme genau richtig waren und dass wir damit auch ge-
nau einen Schwachpunkt getroffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang aus-
drücklich bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und
dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, die mit
sehr großem Engagement diese Programme umsetzen und
einfach eine hervorragende Arbeit leisten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU])


Wir können durch diese Programme ein Zweites er-
reichen – auch darüber haben wir schon jahrelang disku-
tiert –: Der DAAD kann nun Hochschulverbünde aus dem
von uns finanzierten Programm fördern und mit dem Pro-
gramm „Export deutscher Studiengänge“ erstmals deut-
sche Studiengänge im Ausland anbieten. Das heißt, wir
diskutieren nicht mehr über Offshore-Ausgründung deut-
scher Hochschulen im Ausland, sondern die Offshore-
Ausgründungen deutscher Hochschulen sind bereits in
Vorbereitung. Auch das ist mir ein wichtiges Anliegen,
weil ich der Auffassung bin, dass wir exzellente Hoch-
schulen haben. Ich will, dass diese exzellenten Hoch-
schulen auch international ihre Angebote machen und im
internationalen Wettbewerb hervorragend dastehen kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig sind dabei nicht nur die Strukturreformen und
die Internationalisierung unserer Hochschulen, sondern
auch ein gezieltes Marketing für den Hochschul-
und Wissenschaftsstandort Deutschland. Deutschland hat
nämlich vielen Forscherinnen und Forschern, Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Ländern
durchaus eine ganze Menge zu bieten. Die meisten unse-
rer Hochschulen sind leider noch nicht so bekannt wie ei-
nige amerikanische Eliteuniversitäten. Aber die meisten

deutschen Hochschulen sind weit besser als der Großteil
der amerikanischen Hochschulen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)

Die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Ge-

sellschaft haben auch international einen hervorragenden
Ruf. Die Forschungsleistung der deutschen Industrie ist
ebenfalls weltweit anerkannt. Wir können uns also welt-
weit durchaus sehen lassen. Aber wir tun es zu wenig. Un-
sere Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind bisher
im Ausland eher eigene Wege als gemeinsame Wege ge-
gangen. Ich bin davon überzeugt, dass beides notwendig
ist: dass wir den gemeinsamen Weg genauso wie die Dar-
stellung der eigenen Leistungsfähigkeit brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb hat die Bundesregierung am vergangenen
Freitag mit den Ländern und den Hochschulen – über
80 Hochschulen machen schon mit – sowie mit den
Forschungsorganisationen und -einrichtungen und den
Außenhandelskammern ein übergreifendes Marketing-
konzept beschlossen,


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)

mit dem wir gemeinsam für den Bildungs- und For-
schungsstandort werben wollen


(Jörg Tauss [SPD]: Sehen Sie, so sieht Handeln aus! – Gegenruf der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.]: Das war unser Antrag! – Jörg Tauss [SPD]: Aber wir machen es!)


sowie die wissenschaftliche Qualität, die kulturellen Vor-
züge und die Lebensqualität unseres Landes im Ausland
darstellen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, war wirk-
lich überfällig. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt wirklich of-
fensiv arbeiten.

Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg die-
ses Konzeptes ist allerdings – auch das lassen Sie mich
ganz klar sagen –, dass unser Land für Menschen aus an-
deren Ländern offen ist. Die konzertierte Aktion setzt sich
deshalb für ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht ein, mit
dem auch bei uns im Vergleich zu anderen Ländern wett-
bewerbsfähige Bedingungen geschaffen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies bedeutet, dass wir Ausländern mit deutschem Hoch-
schulabschluss eine Perspektive zum Bleiben bieten müs-
sen und dass Menschen mit einem ausländischen Pass,
aber einem deutschen Hochschulabschluss bei uns arbei-
ten, lehren und forschen können, und zwar nicht nur an
der Hochschule oder in einer Forschungseinrichtung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies bedeutet auch, dass wir erheblich bessere Zu-
zugsmöglichkeiten für Ausländer insgesamt bieten müs-




Bundesministerin Edelgard Bulmahn
17572


(C)



(D)



(A)



(B)


sen, etwa für hervorragende Wissenschaftler. Wir müssen
ferner Erwerbsmöglichkeiten für ihre Familienangehö-
rigen anbieten; denn wir können ihnen nicht sagen: Du
bitte ja, aber deine Ehefrau bitte nicht. Das wäre kein
überzeugendes Konzept.

Dazu gehört auch, dass wir ausländischen Studieren-
den attraktive Rahmenbedingungen bieten: eine bessere
Betreuung, Beratung und Unterbringung. Dafür haben
wir ein Betreuungsprogramm gestartet und es von 3 auf
11 Millionen DM aufgestockt, damit dies nicht nur ein
Appell bleibt, sondern wir diese konkrete Arbeit auch
wirklich leisten können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies alles sind
Maßnahmen, die entscheidend dazu beitragen – die Wir-
kungen spürt man schon –, dass wir inzwischen Schwung
bekommen haben. Es liegt an uns, diesen Schwung zu
nutzen und weiterzutragen. Dabei dürfen wir eines nicht
vergessen: Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte und re-
nommierte Wissenschaftler, die aus der ganzen Welt zu
uns kommen, nicht nur für die Sicherung unseres künfti-
gen Wohlstands. Sie sind auch kulturell und menschlich
eine Bereicherung. Ich bin sicher, wenn wir es schaffen,
ihnen das Gefühl, dass sie für uns eine Bereicherung sind,
zu vermitteln, dann kann und wird Deutschland einer der
gefragtesten Wissenschaftsstandorte auch weltweit wer-
den.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903500
Als
nächster Redner hat der Kollege Thomas Rachel von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Jörg Tauss [SPD]: Rachel stimmt jetzt der Dienstrechtsreform zu!)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1417903600
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie
Günter Grass? – Na klar, den Träger des Nobelpreises für
Literatur von 1999 kennt jeder. Doch kennen Sie auch
Günter Blobel? – Der deutschstämmige Molekularbio-
loge Günter Blobel bekam, ebenfalls 1999, den Nobel-
preis für Physiologie und Medizin. Doch während der Va-
ter der „Blechtrommel“ in Deutschland gefeiert wurde,
blieb Günter Blobel die öffentliche Anerkennung in seiner
Heimat weitgehend verwehrt. Der Grund für seine hiesige
Anonymität dürfte sein, dass Blobel seit gut drei Jahr-
zehnten an der US-amerikanischen Rockefeller Univer-
sity in New York lehrt. Damit sind wir bereits mitten in
den Problemen des Hochschul- und Wissenschaftsstand-
ortes Deutschland im 21. Jahrhundert: Das Hochtechno-
logieland Deutschland verliert seine Koryphäen regel-
mäßig an ausländische Konkurrenten. Außerdem hat
Deutschland gerade in letzter Zeit Schwierigkeiten, den

geeigneten akademischen Nachwuchs, aber auch ausrei-
chend qualifizierte Fachkräfte aus den eigenen Reihen
hervorzubringen.

Gerade hat EU-Forschungskommissar Busquin in ei-
ner Studie belegt, dass der EU „in den Schlüsseltechnolo-
gien jährlich rund 50 000 Forscher und Wissenschaftler
fehlen“. Im Jahr 2010 wird es in der EU rund eine halbe
Million Spitzenforscher zu wenig geben. Bei der jährli-
chen Zuwachsrate an Forschern belegt Deutschland, Frau
Bulmahn, den vorletzten Rang in der EU. Das sind die
Fakten.

Woran liegt das? – Lassen wir einmal die Nobel-
preisträger außen vor und kümmern uns um deren poten-
zielle Nachfolger. Dann scheint die Sache klar zu sein: Es
fehlt an geeignetem akademischen Nachwuchs in
Deutschland. Dies ist eine alarmierende Diagnose; denn
die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit
eines Landes hängen entscheidend vom Potenzial an hoch
qualifizierten Arbeitskräften ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Bulmahn, Deutschland droht an dieser Herausforde-
rung einer wissensbasierten Industriegesellschaft zu
scheitern.

Die Mängel des deutschen Bildungssystems begin-
nen früh. Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen
Wirtschaft von 1999 hat jeder fünfte Abiturient deutliche
Schwächen im Rechnen. Bei den Realschülern sind es
30 Prozent, bei den Hauptschülern bereits 60 Prozent.
Eine Vergleichsstudie der BASF über die Grundkennt-
nisse von Ausbildungsplatzbewerbern im Rechnen und
Schreiben hat ergeben, dass über die Jahrzehnte das ver-
mittelte schulische Ausbildungsniveau ständig gesunken
ist. In Deutschland, immerhin das Land, in dem der Ver-
brennungs- und der Dieselmotor, aber auch die Fotozelle
und das Elektronenmikroskop erfunden wurden, wählen
derzeit nur 9 Prozent der Abiturienten das Fach Chemie
und nur 11 Prozent das Fach Physik als Leistungskurs.
Weil vielen Abiturienten das erforderliche Fundament
fehlt, studieren auch zu wenige diese Fächer.

Von 1988 bis 2001 konnte die stark juristisch und geis-
teswissenschaftlich geprägte Kölner Universität eine Zu-
nahme der Zahl ihrer Studenten von 38 000 auf 62 000 ver-
buchen. Im gleichen Zeitraum sank die Studentenzahl
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in
Aachen von 38 000 auf 26 000. Dieser Rückgang bei tech-
nischen und naturwissenschaftlichen Hochschulen droht
zu einer gefährlichen Wachstumsbremse für die deutsche
Wirtschaft zu werden. Dagegen müssen wir gemeinsam
etwas tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Reform des Bildungssystems wird darüber ent-

scheiden, ob Deutschland in der globalisierten Welt des
21. Jahrhunderts international wettbewerbsfähig sein
wird. Das Ausland hält uns kritisch den Spiegel vor Au-
gen. Aus US-Sicht verfügt Deutschland zurzeit, Frau Mi-
nisterin, über keine einzige Universität von Weltrang. Das
Problem wird so beschrieben: Es gibt eine breite Grund-
lage und eine solide Mitte; aber es fehlt eine Spitze. – Mit




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

17573


(C)



(D)



(A)



(B)


anderen Worten: Deutschland braucht Spitzenuniversitä-
ten im Weltmaßstab als Ergänzung und als leistungssti-
mulierendes Vorbild.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch die deutsche Hochschulpolitik muss sich endlich
zu dem Ziel bekennen, Leistungseliten in Deutschland
heranzubilden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Niemand stört sich zum Beispiel an Eliten im Sport. Im
Gegenteil: Alles wird dafür getan, um neben dem Brei-
tensport den Spitzensport zu fördern. Auch das Hoch-
schulsystem muss das Spannungsverhältnis zwischen der
Förderung der Breitenausbildung und der Förderung der
geistigen Eliten aushalten und fair organisieren. Die Zu-
gehörigkeit zur Elite beruht dabei auf individueller Leis-
tung, nicht etwa auf Herkunft oder Besitz. Wichtig ist da-
bei die Durchlässigkeit; neue Aufstiegsgelegenheiten
müssen angeboten werden. Lösungsvorschläge müssen
sich vor allem auf das bestehende Hochschulsystem be-
ziehen.

Gut ist in Deutschland, dass unsere Absolventen in der
Regel fachlich gut ausgebildet sind und im Vergleich zu
anderen Ländern ein besser trainiertes Denk- und Urteils-
vermögen besitzen. Nicht gut ist, dass unsere Absolven-
ten meist zu alt sind, wenn sie in das Berufsleben eintre-
ten. Zu wenige von ihnen haben im Ausland studiert. Die
Selbstständigkeit wird zu spät trainiert und nicht positiv
genug bewertet. Nicht ausreichend sind die Betreuungs-
relationen zwischen Lernenden und Lehrenden in vielen
Fächern unserer Hochschulen sowie der Zustand von Ge-
bäuden, Labors und Bibliotheken.

Die Hochschulen brauchen mehr Eigenverantwortung.
Künftige Studierende sollen ihre Hochschulen und die
Hochschulen sollen ihre Studierenden selbst auswählen
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die ZVS ist ein Anachronismus. Ich begrüße deshalb die
Initiative des neuen Wissenschaftsministers des Landes
Baden-Württemberg, Professor Frankenberg, der ent-
schieden hat, aus dem bestehenden Staatsvertrag über die
ZVS auszusteigen. Richtig so, Herr Minister!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bundesregierung darf dem Braindrain nach Ame-

rika nicht länger tatenlos zuschauen. Im Gegenteil: Es ist
an der Zeit, Deutschland als Hochschul- und Forschungs-
standort für die akademischen Eliten Europas, Asiens und
Lateinamerikas auszubauen. Deutschland ist auf dem glo-
balen Bildungsmarkt unterrepräsentiert. Das ist ein Feh-
ler. Führen Sie sich vor Augen, dass die USA auf dem in-
ternationalen Bildungsmarkt einen Erlös von 12 bis
18 Milliarden US-Dollar pro Jahr erwirtschaften! Dieser
Erlös ist höher als der der amerikanischen Filmindustrie.


(Jörg Tauss [SPD]: Das habe ich dem Herrn Rüttgers mal erklärt! Der hat mich angeguckt wie ein Mondkalb!)


Die letzte unionsgeführte Bundesregierung hat bereits
entscheidende Weichenstellungen auf dem Weg zur In-
ternationalisierung der Hochschullandschaft vorge-
nommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Mit der Novelle zum Hochschulrahmengesetz wurden die
international anerkannten Abschlüsse Bachelor und Mas-
ter eingeführt. Sie persönlich, Frau Ministerin, Rote und
Grüne haben damals versucht, die Reform zu kippen. Gott
sei Dank fehlte Ihnen damals die Mehrheit dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie haben den Gesetzentwurf im Bundestag und im Bun-
desrat abgelehnt. Wäre dieser Gesetzentwurf nicht verab-
schiedet worden, dann hätte das einen Stillstand von drei
Jahren nach sich gezogen.

Seit 1998, als wir diesen Gesetzentwurf verabschiedet
haben, haben die deutschen Universitäten und Fachhoch-
schulen bereits 400 neue Bachelor- und Masterstudien-
gänge eingeführt. Dies ist der Erfolg einer Politik, die
Christdemokraten und Liberale in der vergangenen Le-
gislaturperiode gemeinsam betrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir waren es, die den Aufbau international ausgerichteter
Studiengänge auf den Weg gebracht haben. Das ist ein
großer Erfolg. Die Regierung setzt unser Programm fort;
aber die finanzielle Ausstattung stagniert.


(Willi Brase [SPD]: Das BAföG haben Sie gekürzt!)


Das sind die Realitäten rot-grüner Bildungspolitik. Es ist
eine Schande, dass Sie die deutschen Schulen im Ausland
kaputtsparen, obwohl sie die Attraktivität der deutschen
Sprache und den Studienplatz Deutschland fördern und
unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Hochschulstandort Deutschland muss internatio-

naler werden. Der Anteil der ausländischen Studieren-
den liegt bei 7 Prozent. Diejenigen Ausländer, die heute
in Deutschland studieren, sind Freunde und Botschafter
unseres Landes von morgen. 50 Prozent der Graduierten
und Postgraduierten in den technischen Fächern der US-
Hochschulen sind keine Amerikaner, sondern Ausländer;
darunter sind viele Deutsche. Frau Bulmahn, es darf die
Bundesregierung nicht zufrieden stellen, dass deutsche
Hochschulabsolventen mit öffentlichen Mitteln ihre
Grundausbildung in Deutschland erhalten, aber im End-
ergebnis für die USA forschen und lehren. Das geht auf
die Dauer so nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen deshalb für die deutschen, aber auch für

die ausländischen Studenten besser werden. Nicht Ab-
wehr und Provinzialismus sind gefragt. Wir brauchen in
Deutschland eine neue Offenheit für qualifizierte Nach-
wuchskräfte und die besten Köpfe aus dem Ausland. Des-




Thomas Rachel
17574


(C)



(D)



(A)



(B)


halb müssen bestehende Barrieren im Aufenthalts- und
Arbeitsrecht beseitigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)


Viele Bildungsausländer brauchen die Chance, ihren Le-
bensunterhalt in Deutschland zu finanzieren. Deshalb
müssen wir die so genannte 90-Tage-Frist verändern und
die so genannte Vorrangprüfung zumindest bei stu-
diennahen Tätigkeiten beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Die Süssmuth-Kommission wird es klar sagen!)


Ausländische Studenten sollen in Zukunft nach ihrem
Studium in Deutschland bleiben dürfen. Sie brauchen eine
Arbeitserlaubnis, damit sie in Deutschland Berufserfah-
rung sammeln können. Es macht keinen Sinn, dass hoch
qualifizierte Akademiker das Land verlassen müssen,
wenn Deutschland in den gleichen Bereichen mit seinen
eigenen Fachkräften den Bedarf nicht decken kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Nachzug und die Erwerbsmöglichkeiten der Ehe-
gatten von Wissenschaftlern an Hochschulen und For-
schungseinrichtungen müssen ebenfalls verbessert wer-
den. Welcher Wissenschaftler will nach Deutschland
kommen und dort forschen, wenn sein Ehepartner nicht
gleich eine Arbeitserlaubnis bekommt? Nur so werden
wir zeigen, dass Deutschland ein offener und moderner
Wissenschaftsstandort ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Klären Sie das in Ihrer Fraktion, Herr Rachel! Da sieht die Welt nämlich anders aus!)


Sehr geehrte Damen und Herren, gut ist nicht mehr gut
genug. Deshalb hat der bayerische Wissenschaftsminister
Zehetmair mit Recht gesagt:

Wer sich dem Wandel verschließt, verliert. Wer nicht
danach strebt, besser zu werden, hört auf, gut zu sein.

Lassen Sie uns also gemeinsam die notwendigen Refor-
men anpacken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Eine hervorragende Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903700
Das Wort
hat nun die Zweite Bürgermeisterin der Freien und Han-
sestadt Hamburg, Krista Sager.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampf!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417903800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zuerst eine
Bemerkung in eigener Sache.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Viele Grüße an die Hamburger Wahlkämpfer!)


Frau Pieper, Ihre Zahlen waren nicht nur in Bezug auf die
Bundesebene, sondern auch in Bezug auf Hamburg
falsch. Hamburg hat in dieser Legislaturperiode den An-
teil des Wissenschaftsetats am Gesamtetat von 6,5 Pro-
zent auf 8 Prozent erhöht. Kein Land gibt pro Schüler so
viel Geld aus wie Hamburg.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das war aber auch dringend nötig!)


Wir haben den Etat auch insgesamt gesteigert. Allein
bei den Investitionen haben wir in dieser Legislaturpe-
riode eine Steigerung um 16 Prozent zu verzeichnen, und
zwar auch dank der Politik der rot-grünen Bundesregie-
rung, die das möglich gemacht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD – Zuruf von der SPD: Gute Politik setzt sich durch! – Zurufe von der F.D.P.)


Frau Pieper, ich möchte noch einen kleinen Beitrag zur
Bildung leisten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Arroganz ist das auch nicht!)


Sie haben ja vorhin über Hamburg gesprochen. Vor eini-
gen Tagen haben Sie ausgeführt, dass Sie sich elbaufwärts
bewegen müssten, wenn Sie von Dresden nach Hamburg
kommen wollten. Das ist leider falsch. Sie müssten sich
elbabwärts bewegen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist liberal, mal so und mal so! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Lehrerin!)


– Mal so und mal so, und dann der Spruch: Was Hänschen
nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. – Ich habe das ver-
standen.


(Zurufe von der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, die Bundesländer und die

Hochschulen haben in den vergangenen Jahren Erhebli-
ches geleistet, um Deutschland als internationalen
Hochschulstandort attraktiver zu machen. Ich meine,
wenn einige Rednerinnen und Redner so tun, als müssten
sie vom Deutschen Bundestag aus den Hochschulen
Nachhilfe erteilen, dann wissen sie nicht, was in den ver-
gangenen Jahren in den Hochschulen in Deutschland ge-
schehen ist. Sie tragen damit Eulen nach Athen.

Ich bedanke mich bei der Bundesministerin, die diese
Anstrengungen in den Hochschulen und in den Bundes-
ländern ausgesprochen tatkräftig unterstützt hat und die
durch ihren Einsatz, und zwar sowohl durch die
Dienstrechtsreform als auch durch die Steigerung der fi-
nanziellen Mittel, dafür gesorgt hat, dass wir endlich die
Rahmenbedingungen haben, um die Reformen voranzu-
bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gibt es doch noch gar nicht! Ist doch noch gar nicht beschlossen!)


Meine Damen und Herren, ich möchte eines ganz deut-
lich sagen: Die erfolgreiche Arbeit in den Ländern und in




Thomas Rachel

17575


(C)



(D)



(A)



(B)


den Hochschulen droht jedoch in Bezug auf die Interna-
tionalisierung dann im Sande zu versickern, wenn es nicht
gelingt, schnell zu Verbesserungen bei den arbeits- und
ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen zu kom-
men.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Unsere Anträge sind von der Koalition abgelehnt worden!)


Wir brauchen für die ausländischen Studierenden und die
Wissenschaftler schnell Veränderungen, sonst sind wir in
diesem Bereich mit den USA und mit Kanada nicht kon-
kurrenzfähig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das hätten Sie vor zwei Jahren haben können!)


Meine Damen und Herren, ich weiß, dass die Wissen-
schaftsminister der Länder, die Bundeswissenschaftsmi-
nisterin und die Regierungsfraktionen in diesem Punkt an
einem Strang ziehen. Aber als Landesministerin bin ich
frei und sage eines ganz offen: Hier müssen auch der Bun-
desinnenminister und der Bundesarbeitsminister mitzie-
hen. Sonst wird es nicht gehen.

Sie von der F.D.P. und von der Union müssen sich an
dieser Stelle fragen lassen, warum Sie es zugelassen ha-
ben, dass Parteifreunde aus Ihren Reihen jahrelang in die-
sem Land ein Klima aufgebaut haben, das eine sachliche
Diskussion über Arbeits- und Ausländerrecht überhaupt
nicht mehr zuließ.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Willi Brase [SPD]: Die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los!)


Dazu erhoffe ich mir in der Tat manchmal auch von den
Ministerpräsidenten und nicht nur von den Bildungsmi-
nistern klare Aussagen.

Die Hochschulenmachen eine ganze Menge, das kann
ich von Hamburg aus tatsächlich beurteilen. Internatio-
nale Bachelor- und Masterabschlüsse werden breit ange-
boten. Credit Point Systems werden ausgebaut. Es wird
intensiv mit internationalen Hochschulpartnern zusam-
mengearbeitet. Englischsprachige Studienangebote wer-
den ausgebaut. Es gibt Sonderprogramme für die Betreu-
ung ausländischer Studierender. Es gibt Public Private
Partnership zwischen staatlichen Hochschulen und priva-
ten Einrichtungen mit Zusatzangeboten für ausländische
Studierende. Es gibt auch eigens entwickelte und zum Teil
preisgekrönte Marketingkonzepte unserer Hochschulen.

Inzwischen haben wir auf Basis der englischsprachi-
gen Masterprogramme zum Beispiel an der Technischen
Universität in Hamburg einen Anteil von ausländischen
Studierenden von 17 Prozent erreicht, liegen also über der
genannten Marge. Jetzt müssen wir feststellen, dass die
besten Absolventen nicht in ihre Heimatländer zurück-
kehren, sondern in die USAoder nach Kanada gehen. Hier
müssen wir in der Tat schnell handeln. Diese Absolventen
brauchen nicht nur eine Arbeitserlaubnis, sie brauchen
eine dauerhafte Bleibeperspektive für sich und ihre Fami-
lien, wenn sie hier bleiben sollen. Da appelliere ich an Sie.
Es geht nicht, dass wir beim Thema Bildung Sonntags-
reden zur Internationalisierung halten und am nächsten

Tag in unserem Wahlkreis mit den Ängsten der Bevölke-
rung Schindluder treiben.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir nicht, die!)

Das geht nicht. Wenn in der nächsten Woche die Ergeb-
nisse der Zuwanderungskommission vorgelegt werden,
erwarte ich, dass wir genauso dahinter stehen wie in den
wissenschaftspolitischen Debatten und dass die Vor-
schläge dann auch umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?)


Wir brauchen nicht nur Verbesserungen bei der Hand-
habe der so genannten 90-Tage-Regelung bei der geneh-
migungsfreien Teilzeitarbeit,wir brauchen auch den Ver-
zicht auf die so genannte Vorrangprüfung. Ich habe selbst
erlebt, wie Studierende aus dem Ausland, die teilweise
sogar aus gut situierten Familien kamen, plötzlich ihr Stu-
dium in Gefahr sahen, wenn in ihren Ländern Währungs-
krisen auftraten. Deswegen ist es wichtig, dass diese
Studierenden die Möglichkeit bekommen, neben ihrem
Studium eine ordentliche Teilzeittätigkeit anzunehmen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417903900
Frau Bür-
germeisterin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Dirk Niebel?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417904000
Ja, selbstver-
ständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417904100
Bitte
schön, Herr Niebel.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1417904200
Frau Bürgermeisterin, Sie haben
gerade – wie ich finde, nicht zu Unrecht – gefordert, dass
ausländische Studierende hier auch die Möglichkeit ha-
ben müssen zu arbeiten. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion
hat 1999 beantragt, die Arbeitsgenehmigungspflicht ab-
zuschaffen, was abschließend im März 2000 in diesem
Haus abgelehnt worden ist.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hatte 16 Jahre Zeit, das in der Regierung umzusetzen! Warum hat sie das nicht gemacht?)


Die Roten haben ihre Ablehnung mit dem Argument begrün-
det, man würde Lohndumping fördern. Die Schwarzen haben
sie mit dem Argument begründet, man würde Zuwanderung
fördern. Die Grünen haben sie – sinngemäß – mit dem Ar-
gument begründet: Der Antrag ist ja nicht schlecht, aber er
kommt von der F.D.P. und der trauen wir nicht.


(Willi Brase [SPD]: Berechtigt!)

Würden Sie vor diesem Hintergrund Ihr politisches Han-
deln in diesem Haus mit den Forderungen, die Sie jetzt
aufstellen, als nicht kongruent bezeichnen?


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hatten doch jahrzehntelang Zeit! Warum haben Sie es denn nicht gemacht?)





Senatorin Krista Sager (Hamburg)

17576


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417904300
Herr Abgeordne-
ter, es mag sein, dass ich mich an vieles nicht mehr so ge-
nau erinnere. Wenn ich mich aber nicht arg täusche, ist es
nicht so furchtbar lange her, dass Sie in diesem Land mit-
regiert haben. Oder sehe ich das falsch?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich frage mich in der Tat: Warum haben Sie in der Zeit, in
der Sie handeln konnten, dies nicht getan und halten statt-
dessen jetzt nur Volksreden? Das ist doch die Frage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Da war Herr Kanther vor! – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Besser machen!)


Die Grünen treten seit langem für diese Position ein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Aber nur mündlich!)

Sie wissen, dass ich die Grünen im Hamburger Senat ver-
trete. Ich weiß mich mit der Bundesministerin in dieser
Frage völlig einig und unterstütze sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Im Bundestag sind sie nur Neinsager!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417904400
Frau Bür-
germeisterin, erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage des
Kollegen Dirk Niebel?


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417904500
Meine Fraktion
hier sagt jetzt Nein.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417904600
Frau
Sager, das haben Sie alleine zu entscheiden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417904700
Sie dürfen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417904800
Bitte
schön.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1417904900
Vielen Dank, Frau Bürgermeis-
terin. Sie haben gerade eben gesagt, Ihre Fraktion und
Ihre Partei träten seit langem für diese Forderung ein.
Warum haben die Grünen unseren Antrag dann abge-
lehnt?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417905000
Wo haben wir ihn
denn abgelehnt?


(Walter Hirche [F.D.P.]: Hier im Bundestag! Die Neinsager kommen von den Grünen!)


– Moment, Sie wissen ganz genau, dass die Grünen schon
seit langem für diese Position eintreten. Ich sage Ihnen:
Wir werden sie auch durchsetzen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Gemeinsam!)


und zwar gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der
Länder, mit der Bundesministerin und mit den Regie-
rungsfraktionen, die sich hier klar positioniert haben.
Darin unterscheiden wir uns von Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin sehr gespannt, ob Sie sich noch an Ihre schönen
Reden erinnern, wenn die Voten der Zuwanderungskom-
mission vorliegen.

Zum Abschluss möchte ich noch eines sagen: Solche
Debatten über Internationalisierung sind immer sehr
weihevoll. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Wenn
wir es mit der Internationalisierung ernst nehmen, muss
für uns gelten: Jedes Herumzündeln am Thema Auslän-
der- und Fremdenfeindlichkeit ist Gift für die Internatio-
nalisierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Verschonen Sie uns in Zukunft bitte mit jeder „Kinder
statt Inder“-Debatte und mit jeder Unterschriftensamm-
lung wie in Hessen. Unterstützen Sie uns ernsthaft, wenn
es um die Internationalisierung geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417905100
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher von der PDS-Frak-
tion.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1417905200
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Zustand von Bildung und For-
schung an vielen deutschen Hochschulen ist katastrophal.
Statt sich aber der Misere ernsthaft zu stellen, rüsten sich
die Regierungsparteien für den Wahlkampf. Eine Reihe
von brennenden Problemen bleibt auf der Strecke.

Alle reden von der Internationalisierung der Hoch-
schulen, aber – hier möchte ich wirklich noch einmal
nachlegen – das deutsche Ausländerrecht legt Studieren-
den und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus
dem Ausland nach wie vor systematisch Steine in den
Weg. Es fängt damit an, dass Studierende aus Nicht-EU-
Ländern häufig gar keine Chance haben, sich an einer
deutschen Hochschule einzuschreiben. Sie müssen den
Behörden im Einzelnen nachweisen, dass Sie für ein Jahr
über Mittel in Höhe des BAföG-Regelsatzes verfügen.
Hat ein Student dann endlich doch eine Aufenthaltsge-
nehmigung erhalten, wird ihm eine studienbegleitende
Erwerbstätigkeit untersagt. Ihm darf eine Arbeit – bei-
spielsweise als studentische Hilfskraft – in seinem Stu-
dienfach nur vermittelt werden, wenn nachweislich






(C)



(D)



(A)



(B)


niemand mit deutschem oder EU-Pass zur Verfügung
steht. Das sonst so hochgehaltene Leistungsprinzip ist bei
dieser systematischen Diskriminierung von Ausländerin-
nen und Ausländern außer Kraft gesetzt.


(Beifall bei der PDS)

Es ist traurig aber wahr: „Arbeit zuerst für Deutsche“ ist
das Leitmotiv dieser Regelung im Sozialgesetzbuch.

Auch nach ihrem Studium an einer deutschen Hoch-
schule erhalten ausländische Hochschulabsolventin-
nen und -absolventen nicht einmal eine zeitlich befris-
tete Aufenthaltsgenehmigung zur Aufnahme einer
Beschäftigung. Sie werden in ihr Heimatland zurückge-
schickt, um Jahre später womöglich als verzweifelt ge-
suchte Fachkräfte via Green Card wieder angeworben zu
werden.


(Beifall bei der PDS)

Das, meine Damen und Herren von der Regierung, müs-
sen Sie wirklich einmal erklären. Ich jedenfalls finde es
absurd.


(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung betreibt eine janusköpfige Poli-

tik. Auch wenn Frau Bulmahns Blick demonstrativ nach
vorn gerichtet ist, Otto Schily blickt stur rückwärts.


(Beifall bei der PDS)

Die Regierungspolitik könnte zumindest in dieser Frage
etwas weniger Schily und eine Prise mehr Bulmahn ver-
tragen.


(Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Wir brauchen beide!)


Abgesehen davon, dass alle demokratischen Kräfte
hierzulande gegen Rechtsextremismus und Fremden-
feindlichkeit kämpfen müssen, muss dieses Thema selbst-
verständlich auch an deutschen Hochschulen auf der
Agenda stehen. Aber Studentinnen und Studenten, die
eine solche kritische Auseinandersetzung offensiv führen
wollen, wird es nicht leicht gemacht. Es gehört zum All-
tag, dass demokratisch gewählte Studierendenvertretun-
gen für antirassistische Aktivitäten vor Gericht zitiert
werden: wegen Wahrnehmung des so genannten allge-
mein-politischen Mandats.

Die Studierenden erwarten vom Deutschen Bundestag
daher zu Recht eine Absicherung ihrer Politik- und Mei-
nungsfreiheit im Hochschulrahmengesetz.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [F.D.P.]: Keine öffentliche Körperschaft hat ein politisches Mandat!)


Im Herbst soll es zwar novelliert werden, doch die Inte-
ressen der Studentinnen und Studenten kommen im Ge-
setzentwurf der Bundesregierung nicht vor. Wenn Sie bei
dieser Abwehrhaltung bleiben, müssen Sie mit einem
heißen Herbst rechnen. Studierende fallen nicht unter die
Hundehalterordnung; sie lassen sich keinen Maulkorb
aufsetzen.


(Beifall bei der PDS)


Die PDS hat einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt.
Stimmen Sie doch einfach zu.


(Beifall bei der PDS)

Bei den vergessenen Interessen der Studierenden fällt

mir gleich noch der marode Zustand der Studienfinan-
zierung ein. Die verabschiedete BAföG-Novelle wollten
Sie uns mit einem Heiligenschein verkaufen; aber die
Leuchtkraft ist viel zu schwach, als dass sich davon je-
mand blenden ließe. Allen Beteiligten, vom Deutschen
Studentenwerk bis hin zur organisierten Regierungsju-
gend, ist klar: Eine wirklich durchgreifende Verbesserung
der sozialen Lage von Studierenden haben Sie damit noch
nicht geschafft, sondern allenfalls einen überfälligen
Schritt gemacht.

Studiengebühren schweben wie ein Damoklesschwert
über den Köpfen von Studierenden. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P.-Fraktion: Studiengebühren
bleiben Studiengebühren, egal, ob Sie sie beim Namen
nennen oder in „Bildungsschecks“ umbenennen.


(Beifall bei der PDS)

Viele sind verunsichert und entscheiden sich von vorn-

herein gegen ein Studium, dessen Kosten sie nicht kalku-
lieren können. Im internationalen Vergleich liegt Deutsch-
land weit zurück, was den Zugang junger Menschen zu
Hochschulen betrifft. Wenn das Hochschulstudium at-
traktiver werden soll, muss es vor allem für die Studie-
renden finanzierbar werden. Wir bleiben daher bei unse-
rer Forderung nach einer strukturellen Erneuerung der
Ausbildungsförderung und nach einem Ausschluss von
Studiengebühren ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS hat bereits vor einem Jahr als erste Bundes-

tagsfraktion ein geschlossenes Reformkonzept vorgelegt.
Kernpunkt: die verknöcherte Personalstruktur an deut-
schen Hochschulen.Die Dienstrechtsreform der Bundes-
regierung ist im Wesentlichen eine Reform der Besol-
dungsstrukturen sowie der Laufbahn von Professorinnen
und Professoren. Ich bestreite nicht, dass diese Reform
notwendig ist und grundsätzlich auch in die richtige Rich-
tung geht. Aber Sie sind drauf und dran, neben den Inte-
ressen der Studierenden auch die des akademischen Mit-
telbaus schlicht zu vergessen.

1985 hat die Regierung Kohl das Hochschulzeitver-
tragsgesetz durchgesetzt, gegen den Widerstand der Ge-
werkschaften und der damaligen Oppositionsfraktionen
SPD und Grüne. Damit wurden befristete Arbeitsverträge
von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
legalisiert. Um die Wogen etwas zu glätten, hat der Bun-
destag wenig später beschlossen, dass die Bundesregierung
einen Bericht über die ersten Erfahrungen vorlegen muss.
Nach ihrer Auswertung sollte entschieden werden, ob sich
das Zeitvertragsgesetz bewährt hat oder nicht.

Heute möchte die Bundesregierung in ihrer Dienst-
rechtsreform das Zeitvertragsgesetz von 1985 mit einigen
kleinen Änderungen nahezu unverändert fortschreiben.
Den vom Bundestag geforderten Bericht bleibt sie uns
schuldig. Das werden wir nicht akzeptieren.


(Beifall bei der PDS)





Maritta Böttcher
17578


(C)



(D)



(A)



(B)


Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf,
ihrer Berichtspflicht endlich nachzukommen.

Die PDS will eine ergebnisoffene Diskussion über die
Befristungsregelungen des Hochschulrahmengesetzes.
Sie reden viel vom Deregulieren, haben aber an der ent-
scheidenden Stelle nicht den Mut dazu.

Wir meinen, besser als Regierung und Parlament kön-
nen die Tarifparteien über die Modalitäten entscheiden.
Auch aus diesem Grund ist der Beamtenstatus ein Fremd-
körper in einer modernen Hochschulpersonalstruktur.


(Ulrike Flach [F.D.P.]: So ist es!)

Fazit: In den vergangenen drei Jahren hat die PDS als

die entscheidende Triebkraft für eine strukturelle Erneue-
rung des Hochschulwesens gekämpft.


(Widerspruch bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Da müssen Sie ja selber lachen!)


Teilweise hat die Regierung unsere Impulse in verwässer-
ter Form aufgegriffen, zum Beispiel bei der Dienstrechts-
reform, teilweise widersetzt sie sich bis heute, so zum
Beispiel beim Studiengebührenverbot. – Ich verstehe
schon, dass bei so viel Reformkraft ein bisschen Neid auf-
kommt!


(Beifall bei der PDS – Lachen bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Selbstüberschätzung war ihr Name! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Lassen Sie doch die alten Kamellen von SED oder nicht
SED. Ich spreche heute hier für die PDS und das werde
ich auch bis zum Schluss tun. Das ist gut so.

Allerdings dürfen wir die notwendige Erneuerung des
Hochschulwesens nicht mit deren schrittweiser Zerschla-
gung verwechseln. Wir demokratischen Sozialisten sagen
Ja zur Innovation in Bildung und Wissenschaft und durch
Bildung und Wissenschaft. Wir meinen damit aber aus-
drücklich auch Innovation durch Chancengleichheit und
Demokratie.

Studierende sind keine Kunden, Bildung ist keine
Ware, Hochschulen sind keine Supermärkte. Wenn wir
das berücksichtigen, werden wir wirklich eine fortschritt-
liche Hochschulpolitik betreiben.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417905300
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1417905400
Sehr geehrte Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Pieper, Quantität ersetzt noch keine Qualität. Deshalb
wollen wir gern in Bezug auf die Fülle der F.D.P.-Anträge
sagen: Weniger wäre mehr gewesen. Sie hätten sich ein
bisschen mehr konzentrieren sollen.

Wir möchten uns gerne auf das Thema konzentrieren,
das wir eingebracht haben, das wir gemeinsam ausgestal-

ten möchten, nämlich auf die Stärkung der internationalen
Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschafts-
und Forschungsstandortes Deutschland. Wir tun das des-
halb, weil wir hier nicht nur ein Schlüsselproblem für die
gesellschaftliche Entwicklung und unsere Standortqua-
lität sehen, sondern weil wir das auch als eine Chance be-
greifen, dass dies trotz der vielen Streitigkeiten mit
Schlagworten, die hier ausgetragen werden, die wir in die-
sem Parlament beobachten, vielleicht ein gemeinsames
Anliegen werden kann, das in der Sache etwas bewegt,
das die Bildungspolitik insgesamt nach vorne bringt, wo-
bei sich mit der Regierung und dem ganzen Parlament
eine neue Kraft herausbildet.


(Beifall bei der SPD)

Es ist ja richtig: Zur weltweiten Konkurrenz um Roh-

stoffe, Produktionsstandorte und Absatzmärkte tritt ein
globaler Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte
an den Universitäten, in Wissenschaft und Forschung.
Mehr internationale Attraktivität ist dabei unabdingbar
auch für die künftige wirtschaftliche Stellung Deutsch-
lands in der Welt, für den Wohlstand und die soziale Si-
cherheit in unserem Land. Nur, dieses vollkommen be-
rechtigte Eigeninteresse kann nicht alles sein. Es muss uns
bei der Bewältigung der globalen Aufgaben zur Sicherung
von Prosperität, Emanzipation, von Chancengleichheit
und ökologischer Nachhaltigkeit auch immer um die ge-
meinsamen Gestaltungsmöglichkeiten mit anderen Län-
dern gehen. Denn sonst passiert Folgendes: Das, was wir
gegenwärtig in manchem als negativ im Verhältnis zu
Amerika erleben, erleben unter Umständen jetzt schon
osteuropäische Staaten als negativ im Verhältnis zu
Deutschland und zu den Industriestaaten, den hoch ent-
wickelten Gesellschaften in Europa.

Wir sollten angesichts unseres Wunsches, nicht zu viel
zu verlieren, auch den Wunsch der anderen erkennen und
deshalb immer beides zusammen sehen. Die Chance, über
mehr Qualifizierung und mehr Internationalität zur Eigen-
entwicklung in unserem Land beizutragen, muss immer
mit der Chance in Zusammenhang gestellt werden, dass
daraus auch ein Rückfluss, eine Kooperation mit anderen
Ländern erwachsen kann. Sonst produzieren wir Spannun-
gen, die am Ende die Internationalität insgesamt zerstören.
Dieses Ansinnen haben wir, und wir setzen die Hoffnung
darauf, hier zu einem Konsens zu kommen, der in
Deutschland eine Chance haben sollte.

Weil es hier auch manche Polemik gab, lassen Sie mich
zur F.D.P., vor allem aber zur CDU/CSU sagen: Wenn wir
uns jetzt in unserem Land zusammen darum bemühen,
mehr ausländische Studenten und Nachwuchswissen-
schaftler nach Deutschland zu holen und auch mehr junge
deutsche Studenten und Nachwuchswissenschaftler ins
Ausland zu vermitteln, dann ist das gut. Aber die Situa-
tion, wie wir sie vorfinden, ist auch aus dem Zusammen-
hang von zwei politischen Lebenslügen der konservativen
Seite heraus zu erklären, nämlich der ersten Lebenslüge,
wir hätten in Deutschland zu viele Studenten, und der
zweiten Lebenslüge, wir bräuchten keine Zuwanderung
und wir hätten keine Zuwanderung.


(Beifall bei der SPD)





Maritta Böttcher

17579


(C)



(D)



(A)



(B)


Natürlich erkennen wir es an, wenn ein Minister wie
Herr Zehetmair in Bayern dies ebenfalls ausdrücklich
selbstkritisch sagt. Es ist gut, wenn dies aus der Spitze he-
raus gesagt wird. Aber die Lebenswirklichkeit von Stu-
dentinnen und Studenten, das, was sie, wenn sie aus dem
Ausland zu uns kommen, in Hochschulstädten – kleineren
oder größeren – erfahren, wird natürlich nicht durch Herrn
Zehetmair wesentlich mitgeprägt. Das wird vielmehr da-
durch mitgeprägt, wie sich der Kaufmann an dem Studien-
standort verhält, wie sich dort Reinmachefrauen verhalten,
wie Dienstleister, Pförtner, Busfahrer und andere sich ver-
halten. An dieser Stelle haben wir alle zusammen die Auf-
gabe, uns von Lebenslügen zu verabschieden und daran
mitzuwirken, ein anderes Klima zu schaffen. Da haben Sie
als Volkspartei eine große Verantwortung. Wir glauben,
dass Sie sich in dieser Verantwortung bewähren können,
und möchten dies dann auch ausdrücklich anerkennen.
Denn das würde uns nach vorne bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die vier Zahlen, die wir jetzt in diesem Bereich vorfin-
den – 7 Prozent ausländische Studenten, 5 Prozent aus-
ländische Professoren, 5 Prozent ausländische Doktoran-
den und nur 10 Prozent deutsche Studenten, die
Auslandserfahrung haben –, sind zu gering. Wenn wir uns
diese vier Zahlen im Parlament auch parteiübergreifend
merken, dann hat die Opposition das Recht, nach einiger
Zeit zu fragen: Haben sich diese Zahlen verbessert? Aber
wir alle zusammen haben die Pflicht, mit diesen Zahlen in
der Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, welche
großen Reserven dort für uns erschlossen werden müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Selbstgenügsamkeit und Verharren im eigenen Umfeld
sind nicht mehr angesagt. Statt der nationalen Wagenburg,
in der sich manche von ihrer Mentalität her noch finden,
brauchen wir als Leitbild für die Zukunft einen internatio-
nalen Bildungsmarktplatz mit breiten, fairen Zugängen,
mit Vielsprachigkeit und kultureller Vielfalt, mit Spitzen-
leistungen und hervorragender Grundqualifikation. Frau
Ministerin Bulmahn hat ja mit Recht darauf verwiesen,
dass in einer längeren Linie schon deutliche Entwicklun-
gen eingeleitet worden sind. Aber der politischen Gerech-
tigkeit halber darf man wohl doch sagen: Unter der neuen
Regierung ist eben ein anderer Zug eingetreten; Bildung
und Forschung haben wieder den notwendigen Stellen-
wert erhalten, den sie unter dem damaligen Bun-
deskanzler Kohl leider nicht hatten.


(Beifall bei der SPD)

Die Diskussion um die Green Card hat der Gesellschaft

die Augen geöffnet, wo es vorher an Mut gefehlt hat. Es
gibt eben auch wieder deutlich mehr Geld für Hochschu-
len und Forschung durch den Bund. Während bei Rüttgers
die Mittel um 700 Millionen DM nach unten gegangen
sind, sind sie bei Frau Bulmahn um 2,4 Milliarden DM
nach oben gegangen. Das dürfen wir wohl doch noch sa-
gen, und zwar selbstbewusst und freudig sagen.


(Jörg Tauss [SPD]: Freut euch! – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie sehen nicht sehr freudig aus; das muss man sagen!)


– Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie sich doch mit
freuen, Herr Hirche.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie im Übrigen diese Zahl nicht hören mögen,

will ich dem Parlament gerne von dem Erlebnis berichten,
das wir neulich mit dem DAAD-Vizepräsidenten, Pro-
fessor Huber, im Ausschuss hatten, der von den neuen
finanziellen Ressourcen ganz begeistert war. Sein Kol-
lege von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Profes-
sor Frühwald, hat sogar gesagt, man müsse sich Mühe ge-
ben, die Mittel, die jetzt diesen Institutionen zugeflossen
sind, überhaupt seriös auszugeben. Diese Zahl mag sich
das ganze Parlament merken: Die Mittel für die Interna-
tionalisierung der Lehre und Forschung sind von 1998 bis
2002 um 140 Prozent gewachsen – eine wirklich ein-
drucksvolle Zahl.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fachprogramme sind im Übrigen dabei, sich in der
internationalen Hochschul- und Forschungswelt einen
guten Namen zu machen, vom Graduierten-Kolleg über
das Emmy-Noether-Programm bis zu international ausge-
richteten Studiengängen und auch dem neuen Testsystem
für Deutsch als Fremdsprache. Dass die „Zukunftsinitia-
tive Hochschule“ darüber hinaus noch zusätzlich 170Mil-
lionen DM für Exzellentenförderung erhalten hat, darf
man hier ebenfalls erwähnen. Nicht zu vergessen die
BAföG-Reform, mit der wir ja die Schwächen des euro-
päischen Erasmus-Programms ausgleichen.

Unser Ziel muss immer ein doppeltes Ziel sein: mehr
ausländische Studenten und Nachwuchswissenschaft-
ler nach Deutschland zu holen und mehr deutsche Stu-
denten und Nachwuchswissenschaftler ins Ausland zu
schicken. Wir haben uns für die nächsten Jahre 20 Prozent
als Zielgröße gesetzt. Im Übrigen muss diese Verdoppe-
lung nicht nur die Uni-Absolventen erreichen, sondern
auch die Fachhochschulen, denn bei den Fachhochschu-
len haben wir im Unterschied zu den Universitäten einen
um den Faktor 3 geringeren Austausch. Wir müssen beide
Hochschularten zusammen betrachten.


(Beifall bei der SPD)

Wenn ich mir an dieser Stelle eine Nebenbemerkung

erlauben darf: Internationalität wird gelernt. Sie muss
schon an den Schulen mit der Hinführung zu Fremdspra-
chen in der Grundschule, mit Mehrsprachigkeit, mit Aus-
bau von Schüleraustausch, mit internationalen Prakti-
kumsplätzen vorbereitet werden.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Richtig! Das wissen wir schon alles!)


Rund 20 000 deutsche Schüler mit Auslandserfahrung im
Jahr sind uns noch nicht genug.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Richtig!)


Der französische Ministerpräsident Jospin hat in sei-
ner großen Rede über Europa einen, wie ich meine, be-
merkenswerten Gedanken geäußert. Er hat die Europäer
aufgerufen, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler in Eu-




Dr. Ernst Dieter Rossmann
17580


(C)



(D)



(A)



(B)


ropa die Chance bekommt, einmal in seinem Schulleben
vier Wochen im europäischen Ausland Erfahrungen
sammeln zu können. Das kann auch als Aufforderung an
uns gelten.


(Beifall bei der SPD)

Auch Frau Süssmuth – ohne die Parteien damit behaf-

ten zu wollen – ist ausdrücklich darin zuzustimmen, dass
wir – wie sie kürzlich im „Forum Bildung“ gefordert hat –
mehr ausländische Lehrer an unseren Schulen brauchen.
Gegenwärtig unterrichtet hier nur eine minimale Zahl.
Das Leitbild für die Zukunft sollte im Übrigen der Eu-
ropa-Lehrer sein; denn – auch wenn Sie eben sagten, das
wüssten wir doch alle schon, dürfen wir dies doch auch
gemeinsam öffentlich feststellen – wir dürfen uns sicher
sein: Wo Schülerinternationalität in den Schulen schon
praktisch und persönlich erlebt wurde, wächst auch die
Bereitschaft, sich in Studium und Berufsausbildung inter-
national zu orientieren.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Auf der anderen Seite unterstreichen wir ausdrücklich, was
Frau Ministerin Bulmahn und auch Herr Zehetmair kürz-
lich geäußert haben, nämlich dass die Zahl der ausländi-
schen Studenten um 50 Prozent gesteigert werden soll.

In Deutschland zeigt das zweite Aktionsprogramm des
DAAD zur Stärkung der internationalen Wettbewerbs-
fähigkeit vom Juni 2000 ein hoch differenziertes und qua-
lifiziertes Handlungsprogramm auf. Wir wünschen uns,
dass viele Punkte daraus in die politische Agenda aller Be-
teiligten Einzug halten. Denn unsere gemeinsame Arbeit
muss langfristig, kooperativ und auch gleichzeitig kom-
plex angelegt sein. Damit ist gemeint, dass wir vier
gleichwertige Handlungsfelder beschreiben: Hochschul-
reform im Zeichen von Internationalität, Verknüpfung
von Förderprogrammen und Stipendien mit besseren Ar-
beits- und Erwerbsmöglichkeiten, soziale Maßnahmen
für ausländische Studenten und auch das internationale
Hochschulmarketing.

Weshalb vier gleichwertige Handlungsfelder? Es nützt
doch nichts, die Strukturen an den Hochschulen zu inter-
nationalisieren, wenn die Studenten nicht hierher kom-
men können, weil sie keine soziale Unterstützung be-
kommen und keine Arbeit haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es reicht auch nicht, ein umfangreiches Marketing auf-
zubauen, wenn die entsprechenden Strukturen an den
deutschen Universitäten nicht ermöglichen, Hochschul-
systeme kompatibel zu gestalten.

Wenn deutlich mehr ausländische Studenten zu uns
kommen sollen, müssten sie hier auch entsprechende fi-
nanzielle Möglichkeiten bzw. Arbeitsmöglichkeiten in
den Hochschulen selbst vorfinden. Deshalb betone ich
noch einmal ausdrücklich: Man kann sich nicht auf eines
konzentrieren, sondern es muss gleichwertig in vielen
verschiedenen kleinen Schritten wachsen.

Ich möchte abschließend zu den vier angesprochenen
Handlungsfeldern jeweils eine kurze Bemerkung machen.

Wir unterstützen es erstens, wenn die deutschen Hoch-
schulen in die Gründung von Außenstellen und Außen-
studiengängen eintreten. Wir wünschen uns, dass diese
Offshore-Hochschulen dann auch die nötige Offenheit
und Zugänglichkeit aufbringen und sich eben nicht als
Elitehochschulen abschotten. Wir sehen große Chancen
der Internationalisierung vor allem auch darin, dass das
breite Netz von qualifizierten Hochschulen bei uns in eine
verstärkte Kooperation, was die Abschlüsse angeht, ein-
tritt. Damit besteht dann ein anderes Fundament als nur
mit Offshore-Gründungen allein.

Zweitens. Weshalb verknüpfen wir die Forderung nach
dem Ausbau von Stipendien für ausländische Studenten
mit der Veränderung bei den Arbeitsmöglichkeiten? Pro-
fessor Huber hat uns kürzlich im Ausschuss dargelegt,
dass sich im Gespräch mit ausländischen Studenten jede
dritte Frage auf die Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland
bezieht. Dies darf uns auch deshalb nicht wundern, weil
nur jeder vierte ausländische Student über ein Stipendium
verfügt und fast 60 Prozent der Studenten aus wirtschaft-
lich schwächeren Ländern angeben, das Studium durch
eigenen Verdienst zu bestreiten.

Von diesen Zahlen ausgehend ist es doch klar, dass nur
der bessere Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit und zur
studienbegleitenden Arbeit zusätzliche Studentinnen und
Studenten ausländischer Herkunft zu uns führen wird. Die
Initiative der Ministerin wird von uns ausdrücklich be-
grüßt. Wir wünschen uns, dass nach der Vorlage des
Süssmuth-Berichtes schnell und einvernehmlich eine ge-
meinsame Initiative im Parlament zustande kommt, weil
sie auch wegbereitend für andere Fragen sein könnte.

Drittens. Wenn wir die Zahl ausländischer Studenten in
Deutschland um 50 Prozent steigern wollen, müssen wir
besonders bei den sozialen Maßnahmen treffsicher han-
deln. Ich möchte einen wichtigen Aspekt herausgreifen:
50 Prozent der ausländischen Studenten wohnen in Wohn-
heimen. Das ist natürlich ein Vielfaches mehr als bei
deutschen Studenten. Wir brauchen einen Ausbau der
Wohnheimkapazitäten, und zwar in Integrationsform.
Außerdem brauchen wir insgesamt mehr Tutorenpro-
gramme in diesen Wohnanlagen.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Das ist sehr richtig!)


Gleichgültigkeit und Distanz der Deutschen bis hin zu
Ausländerfeindlichkeit sind leider auch an unseren Hoch-
schulen nicht ausgeschlossen. Der DAAD-Generalse-
kretär Bode musste kürzlich vermelden, dass immerhin an
fast einem Drittel der Hochschulen in Ostdeutschland
ausländische Studenten die Situation als bedrohlich emp-
finden. Gemeinsame kulturelle Initiativen, gemeinsame
Lerngruppen, Mentorenprogramme wie auch persönliche
Hilfen in allen Lebenslagen setzen hiergegen notwendige
Zeichen. Beispielhaft steht hier eine Initiative der Hum-
boldt-Universität in Berlin – „With a little help from my
friends“ –, mit der sich diese Hochschule ihres großen
Namensgebers würdig erweist.




Dr. Ernst Dieter Rossmann

17581


(C)



(D)



(A)



(B)


Viertens. Dass dieses soziale Netzwerk notwendig ist,
wird man bei dem erfolgreich gestarteten Programm
„Hochschulmarketing, Werbung für den Hochschul- und
Wissenschaftsstandort Deutschland“ nie vergessen dür-
fen. Ich sagte schon: Was nützt die beste Präsentation der
leistungsfähigen deutschen Hochschulen im Ausland,
wenn dadurch geworbene Studenten aus Afrika, aus In-
dien, aus China oder aus anderen Ländern Asiens und
Südamerikas – die dann im Unterschied zu englischen,
polnischen oder italienischen Studenten in Deutschland
auch erkennbar sind als ausländische Studenten – nicht
die soziale, die mentale, die geistige Unterstützung erfah-
ren? Wenn Deutschland die Botschaft aussendet, wir sind
ein weltoffenes deutsches Hochschul- und Forschungs-
land, dann darf das eben nicht nur Marketing sein, son-
dern es muss Substanz dahinter stecken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne meine Schlussbemerkung. Frau Mi-
nisterin, Sie haben in diesem Jahr an der Stanford-Uni-
versity in Amerika die Vision ausgegeben: Die Hoch-
schulen in Deutschland werden in den nächsten zehn
Jahren in doppelter Hinsicht eine integrative Funktion ha-
ben, indem sie Menschen aus aller Welt bei uns zu For-
schung und Lehre versammeln und uns zugleich mit aller
Welt verbinden. Wir sollten vom Deutschen Bundestag
aus – und dies möglichst gemeinsam – alles tun, um aus
dieser Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417905500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Norbert Hauser von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommt wieder das Kontrastprogramm!)



Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1417905600
Herr Präsident!
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, an-
ders als ich es vorgesehen hatte, Frau Sager ansprechen.
Frau Sager, das, was Sie hier über Kollegen der Union ge-
sagt haben, war eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben behauptet, Kollegen unserer Parteien hätten in
Deutschland ein Klima geschaffen, in dem man über Ar-
beitsmarkt- und Ausländerpolitik nicht mehr in Ruhe habe
reden können.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, das habt ihr doch! Unterschriftensammlung! – Willi Brase [SPD]: Das ist die Wahrheit!)


Frau Sager, Sie wissen, dass dies nichts mit der Wirklich-
keit zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Das ist Hamburger Wahlkampf. Damit wären Sie besser
in Hamburg geblieben. Damit haben Sie hier keinen kon-
struktiven Beitrag geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Der hessische Wahlkampf war das, nicht der Hamburger! „Kinder statt Inder!“, mein lieber Mann!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Koaliti-
onsfraktionen, Sie müssen sich langsam einmal entschei-
den, was Sie denn nun wollen: Entweder Sie wollen
Dinge verändern oder sich permanent auf 16 Jahre Regie-
rungszeit berufen. Aber hier Anträge abzulehnen – wie
das von der F.D.P. zu Recht dargestellt worden ist – und
als Begründung zu sagen, es sei ja 16 Jahre lang auch so
gewesen, das reicht nicht mehr aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wollten Verantwortung und haben Verantwortung be-
kommen. Nehmen Sie diese wahr. Versuchen Sie nicht,
sich permanent hinter anderen zu verstecken. Das funk-
tioniert nicht mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, in

aller Ruhe ein paar Sachpunkte anzusprechen. Wie ver-
fahren die Situation bei mangelnder Vorausschau in der
Bildungspolitik sein kann – wir haben das in den letzten
zwei Jahren gemerkt–, sieht man am bestehenden Fach-
kräftemangel. Bereits 1995/1996 hatte man festgestellt,
dass im Bereich der Ingenieurwissenschaften etwa 10 000
Fachkräfte fehlen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, es war ein ganzes Semester von Maschinenbauern arbeitslos!)


– Ja, Herr Kollege Tauss, etwas Ähnliches habe ich er-
wartet. Die Antwort des damaligen niedersächsischen Mi-
nisterpräsidenten, Gerhard Schröder, darauf war, den Stu-
diengang Informatik an der Fachhochschule Hildesheim
zu schließen.
Da sollten Sie also ganz vorsichtig sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Da müssen Sie sich informieren! – Willi Brase [SPD]: Alte Kamelle! Das ist an die Universität gegangen!)


Wir haben aber festzustellen, dass dieser Fachkräfte-
mangel nicht nur hier in der Bundesrepublik Deutschland
besteht, sondern dass er auch ein europäisches Phänomen
ist. Deshalb reicht es nicht aus, einmal schnell zum Nach-
barn zu gehen und sich ein paar Fachkräfte herüberzuholen.


(Willi Brase [SPD]: Aha!)

Die Green Card, Herr Kollege, war unter diesem Aspekt
tatsächlich nicht mehr als ein Marketinggag von Gerhard
Schröder. Wir haben das dann gemerkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Jagoda sagt, das läuft sehr gut! Weit über 8 000!)


– Eine Lösung der Probleme hat sie zumindest nicht dar-
gestellt.




Dr. Ernst Dieter Rossmann
17582


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb möchten wir Ihnen einen Vorschlag machen
und mit Ihnen über diesen diskutieren. Um in Zukunft
nicht in die totale Fachkräftefalle zu geraten, benötigen
wir eine fundierte Vorausschau. Wir müssen darüber
nachdenken, wie sich die Märkte in Zukunft entwickeln
werden und welchen Fachkräftebedarf wir haben werden.
Wir müssen feststellen, dass die Institutionen, die sich mit
diesen Fragen auseinander setzen – wenn sie bisher über-
haupt in diese Richtung geforscht und Untersuchungen
durchgeführt haben –, nicht zu Ergebnissen gekommen
sind, die uns wirklich weiterhelfen.

Deshalb schlagen wir Ihnen ein Gremium vor, das sich
unabhängig von Interessengruppen damit auseinander
setzt, wie die Bildungslandschaft in den nächsten Jahr-
zehnten gestaltet werden muss. Wir schlagen Ihnen einen
Sachverständigenrat Bildung vor. Aufgabe der Bil-
dungsweisen – so will ich sie einmal nennen – in diesem
Sachverständigenrat soll die Analyse und Bewertung von
Bildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungstrends mit
Blick auf langfristige Entwicklungen einerseits und ei-
nem Abgleich mit staatlichen und gewerblich gesetzten
Zielen andererseits sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ähnlich wie wir es schon von den fünf Wirtschaftsweisen
kennen, sollten von diesem Gremium Gutachten erstellt
werden, in denen Zukunftstrends beschrieben und Struk-
turempfehlungen gegeben werden. Damit könnte dieser
Sachverständigenrat in unserem Bildungs- und Ausbil-
dungssystem eine Art Frühwarnsystem darstellen.

Wir müssen feststellen, dass sich der Fach-
kräftemangel auch nicht kurzfristig beheben lässt. Wir
werden aus Ausbildungsgründen und auch aus demogra-
phischen Gründen kurzfristig nicht genügend junge Leute
auf dem Arbeitsmarkt haben. Das heißt, wir müssen ver-
stärkt auf die Weiterbildung achten. Nun könnte man fra-
gen: Wird denn dort genügend investiert? Pro Jahr werden
80 Milliarden DM investiert. Auf dem Sektor Weiterbil-
dung gibt es 35 000 Anbieter. Man kann also nicht sagen,
da gibt es zu wenig Angebote, zu wenige, die sich damit
befassen. Das Problem ist eher die fehlende Transparenz.
Man weiß nicht, welche Angebote es auf diesem Markt
gibt. Es existiert keine unabhängige inhaltliche Qualitäts-
kontrolle. Aufgrund fehlender Transparenz kann es auf
diesem Sektor natürlich keinen fairen Wettbewerb geben.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Deshalb haben wir einen Antrag zur Gründung einer

„Stiftung Bildungstest“ vorgelegt, die Weiterbildungs-
angebote bewerten und vergleichen, Qualitätsstandards
erarbeiten und festlegen und auf den Kunden ausgerichtet
sein soll, also nicht auf die Anbieter, sondern umgekehrt
auf die, die Angebote abfragen. Sie soll kundenorientiert
sein und die Möglichkeit bieten, festzustellen: Wo ist für
mich das richtige Programm, der richtige Anbieter, in den
ich meine Zeit, mein Geld und letztlich auch meine Hoff-
nungen investieren will? Nur so wird es möglich sein,
Qualität und Effizienz auf dem Bildungsmarkt zu ge-
währleisten.


(Jörg Tauss [SPD]: Auch das ist auf dem Weg!)


Wir meinen, eine „Stiftung Bildungstest“ müsste ei-
genständig sein. Sie sollte nicht in einem vielfältigen Wa-
renkorb bei der Stiftung Warentest angesiedelt sein, in der
man sich neben Windeln und Waschmitteln auch ein biss-
chen um Weiterbildung kümmert. Der Bedeutung von Bil-
dung und Weiterbildung am Standort Bundesrepublik
Deutschland wird nur dann Rechnung getragen, wenn es
sich tatsächlich um eine eigenständige „Stiftung Bil-
dungstest“ handelt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wissen, dass die „Stiftung Bildungstest“ in einem

Antrag, den Sie vorgelegt, aber heute leider nicht zur De-
batte gestellt haben, von Ihnen gefordert wird. Das lässt
hoffen, hier zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.


(Jörg Tauss [SPD]: Auch das wird gemacht!)

Zu dem Antrag bezüglich der Weiterbildung noch ein

Wort. Getreu typisch rot-grünen Strukturen scheint Sie,
ebenso wie in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik,
auch in der Bildungspolitik die Regelungswut nicht ver-
lassen zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Ach du lieber Himmel!)


Sie suchen Ihr Heil in neuen Vorschriften und Paragra-
phen. Sie sollten sich eines merken: Deregulierung heißt
das Stichwort. Auch Weiterbildung kann nur erfolgreich
sein, wenn man ihr die Luft zum Atmen lässt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte Sie zum Abschluss – speziell Sie, Herr
Tauss – mit einem Zitat aus der „Berliner Zeitung“ erfreuen:

Die Launigkeit Schröders und die Knauserigkeit
Eichels wären aber nicht möglich, gäbe es nicht eine
Dritte im Bund der Reformschwächlinge: Bildungs-
ministerin Bulmahn. Sie macht nicht überzeugend
und nicht laut genug Werbung für die Wissenschaft,
sucht sich keine starken Bündnispartner und scheut
Konflikte.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Jörg Tauss [SPD]: Deshalb hat sie den Erfolg, den Ihr nicht hattet!)

Herzlichen Dank für Ihr aktives Mithören.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wissen wir, welche Zeitung er liest!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417905700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417905800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Kollege Hauser, ich hatte eigentlich in dieser Debatte
nicht vor, Sie anzusprechen. Nachdem Sie aber meine
Parteifreundin Krista Sager angesprochen haben, möchte
ich auf zwei Punkte Ihres Beitrags direkt eingehen.




Norbert Hauser (Bonn)


17583


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Wenn ich mir vor Augen führe, was Sie mit Ih-
rer Kampagne „Kinder statt Inder“ in Nordrhein-West-
falen sowie mit dieser billigen und sehr gefährlichen Un-
terschriftenaktion in Hessen gemacht haben, und ich mir
weiter vor Augen führe, wie eine Person wie Frau Profes-
sor Süssmuth in Ihren eigenen Reihen an den Rand ge-
drängt wird, kann ich nur sagen: Frau Sager hat auf der
ganzen Linie Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Unsäglich!)


Zweitens. Sie sprachen davon, wir würden uns heraus-
reden, nur über die vergangenen 16 Jahre reden und soll-
ten lieber über die Zukunft sprechen. Dazu will ich Fol-
gendes sagen: Wenn wir uns unsere Bilanz nach
zweieinhalb Jahren ansehen, haben wir, glaube ich, allen
Grund zum Selbstvertrauen:


(Lachen bei der CDU/CSU)

BAföG – bei Ihnen runter, bei uns rauf –,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Forschungsmittel – bei Ihnen runter, bei uns rauf –, Mit-
tel für das Auslandsstudium – bei Ihnen konstant, bei uns
verdoppelt –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und Dienstrechtsreform – bei Ihnen Stillstand, wir packen
es an.

Wenn ich alles zusammenfasse, kann ich nur sagen:
Wir haben allen Grund zum Selbstvertrauen. Aber – ich
komme auf Ihre Ausführungen zurück – wenn Sie Statis-
tiken aus den Jahren 1998, 1999 heranziehen, um zu be-
legen, wir würden bildungspolitisch nichts bringen, ist der
Hinweis erlaubt, dass die Ergebnisse der Statistik allein
auf Ihre Kappe gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sollten versuchen, weil wir in bildungspolitischen
Fragen – zumindest zwischen den Bildungspolitikerin-
nen und Bildungspolitikern – mehr oder minder an einem
Strang ziehen, auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen.
Eine Gemeinsamkeit – ich habe das heute Morgen er-
kannt – besteht darin, dass wir alle der Meinung sind,
dass die Internationalisierung des Hochschulstandortes
Deutschland vorangetrieben werden muss. Ich glaube,
das ist ein bemerkenswerter Konsens, den wir festhalten
sollten.

Drei Themenkreise sollten in das Zentrum der Be-
trachtung rücken: zum einen die internationale Ver-
gleichbarkeit von internationalen Studien- und Prüfungs-
leistungen – also die Frage, ob hierzulande erworbene
Abschlüsse und Leistungen im Ausland anerkannt wer-
den und Respekt genießen –, zweitens die Frage nach den
aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Regelungen für aus-
ländische Studierende – letztlich die Frage, ob für sie ein
soziales Umfeld geschaffen wird, in dem sich gut studie-

ren, leben und arbeiten lässt; es ist wichtig, dass sie das
Signal bekommen, sie sind hier willkommen – und drit-
tens die Attraktivität der deutschen Hochschulen für aus-
ländische Lehrende, also die Frage, ob ausländische Wis-
senschaftler hier eher als Konkurrenz oder eher als
Bereicherung gesehen werden.

Ich komme zum ersten Thema, der internationalen
Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Ich glaube, dass mit
den Bachelor- und Masterstudiengängen und den zuneh-
menden international ausgerichteten Graduiertenkollegs
ein guter Anfang gemacht worden ist. Wir sollten uns po-
litisch vornehmen, vielleicht im Jahre 2003 Bilanz zu zie-
hen. Die Ministerin sprach davon, dass wir mittlerweile
mehr als 1 000 solcher Studiengänge haben. Wir sollten in
einigen Jahren schauen, wie die Bilanz aussieht, und uns
dann die Frage stellen, ob wir dauerhaft Doppelstruk-
turen – also B.A. und M.A. auf der einen und Diplom auf
der anderen Seite – wollen oder ob wir uns auf Dauer für
einen der beiden Wege entscheiden. Ich selbst habe mich
hier noch nicht festgelegt. Ich möchte an dieser Stelle aber
eines sagen: Wir sollten hier nicht auf eine bloße Kopie
des angelsächsischen Modells setzen; denn das deutsche
System hat durchaus Vorzüge, die es wert sind, erhalten
und weiterentwickelt zu werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Arbeiten müssen wir vor allen Dingen noch an der zu-
nehmenden Modularisierung von Studiengängen, dass
es also Exit-Optionen gibt, dass man aber trotzdem am
Ende dieser Periode ein vernünftiges Testat in der Hand
hat, und an der Weiterentwicklung der Credit-Point-Sys-
teme.

Ich glaube, dass Europa nun einmal der Kontinent der
Vielfalt ist. Dies schlägt sich selbstverständlich auch im
Bildungssystem nieder. Es kann nicht darum gehen, in Eu-
ropa Vielfalt durch Homogenität zu ersetzen. Es geht viel-
mehr darum, einen europäischen Hochschulraum zu schaf-
fen, in dem Studienleistungen wechselseitig anerkannt
werden. Mein Ziel ist, dass eine Studentin, die ihr Grund-
studium in Köln und ihr Hauptstudium in Amsterdam und
London absolviert, nach neun bis zehn Semestern fertig
sein kann. Dann hätten wir sehr viel erreicht. Dafür müs-
sen wir politisch arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Über die Schaffung von Rahmenbedingungen für die
Förderung ausländischer Studierender ist schon viel ge-
sagt worden. Ich glaube, es ist wirklich sehr gut, dass sich
die Bildungspolitiker hinsichtlich der aufenthalts- und ar-
beitsrechtlichen Regelungen fraktionsübergreifend einig
sind. Es kann nämlich nicht sein, dass wir einerseits
sagen, Deutschland solle für Studentinnen und Studenten
aus aller Welt interessant werden, dass wir ihnen aber an-
dererseits im außeruniversitären Bereich alle nur denk-
baren Knüppel zwischen die Beine werfen. Das geht
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)





Dr. Reinhard Loske
17584


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist gut und richtig – auch darauf wurde hinge-
wiesen –, dass die Bundesregierung zusammen mit den
Ländern und den Hochschulen eine internationale Mar-
ketingoffensive für das Studium in Deutschland ge-
startet hat. Aber die beste Werbung für den Hochschul-
standort Deutschland wäre, wenn diejenigen, die hier
studiert haben, zu Hause erzählen: In Deutschland kann
man nicht nur gut studieren, sondern auch gut leben. Da-
rauf sollten wir größten Wert legen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])


Wir sollen dies auch – hier will ich an die Ausführun-
gen des Kollegen Rachel anknüpfen – durchaus aus öko-
nomischem Eigeninteresse machen. Dies ist völlig legi-
tim. Der globale Markt für Bildungsdienstleistungen ist
schon heute sehr groß und wird noch enorm wachsen.
Wenn wir auf diesem rasant wachsenden Markt mit großer
Konkurrenz dabei sein wollen, ist neben den objektiven
Bedingungen, über die wir hier schon geredet haben oder
noch reden werden, die Gastfreundschaft sicherlich nicht
die unwichtigste Voraussetzung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Hinsichtlich der Stellen würde ich noch gerne auf einen
Punkt verweisen: Ich würde mich freuen, wenn die Inter-
nationalität auch im Bereich der Hochschullehrer Platz
greifen würde und beispielsweise mehr Ausschreibungen
im „Economist“ zu lesen wären, wie das bei anderen Uni-
versitäten längst üblich ist. Bei uns ist es immer noch die
Ausnahme. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen,
dass Voraussetzung dafür wohl die Dienstrechtsreform in
Deutschland ist. Hier sind wir auf dem besten Wege. Wir
werden nach den Parlamentsferien darüber diskutieren.

Es ist nun einmal schlicht und einfach so: Ein Land, in
dem man durchschnittlich 42 Jahre alt sein muss, um Pro-
fessorin oder Professor zu werden, ist für viele junge Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland
nur sehr bedingt attraktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Es gibt auch ganz viele Gegenbeispiele!)


Ich möchte noch kurz auf einen Aspekt der Internatio-
nalität eingehen, der bislang noch nicht angesprochen
wurde. Es war hier viel vom Braingain die Rede. Die Mi-
nisterin und auch viele Kollegen haben es angesprochen.
Man muss natürlich berücksichtigen, dass dem Braingain
bei uns ein Braindrain, also ein Verlust an potenzieller in-
tellektueller Kapazität, auf der Seite der Entwicklungs-
länder gegenübersteht. Dies ist ein ernst zu nehmendes
Argument, das man immer häufiger hört.

Daraus darf aber ganz sicher nicht – wie das manche
tun – der Schluss gezogen werden, Menschen aus Ent-
wicklungsländern seien restriktiver zu behandeln als bei-
spielsweise Menschen aus Nordamerika. Ich glaube, ge-
rade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den
Entwicklungsländern wollen erst einmal hierher kom-
men, eine Zeit lang hier leben und eine eigene wirtschaft-

liche Existenz aufbauen. Die Alternativen für sie heißen
meistens nicht, entweder hier zu bleiben oder in ihr Hei-
matland zurückzukehren, sondern sie heißen, entweder
hier zu bleiben oder nach Nordamerika zu gehen. Ich
glaube, unsere Antwort sollte klar sein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich komme zum Schluss. In den F.D.P.-Anträgen sind
viele Themen angesprochen worden, die man nicht alle in
einem Redebeitrag abdecken kann. Aber auf eines will ich
noch hinweisen: Die Misere, die wir hier haben und die
anzugehen wir gemeinsam willens und bereit sind, wur-
zelt vor allen Dingen in den 90er-Jahren. In den 90er-Jah-
ren wurde ein systematisches „cooling out“ betrieben, wie
es der Publizist Reinhard Kahl genannt hat. Wir haben nur
darüber geredet: Muss das denn mit dem Studieren sein?
Wir haben zu viele Studierende. Die Seminare und Hör-
säle quellen über. – Das hat natürlich im Ergebnis dazu ge-
führt, dass viele potenzielle Studentinnen und Studenten
abgeschreckt worden sind. Das kann nicht die Perspektive
sein.

Insofern müssen wir das Problem, das wir auch mit
dem Gerede von zu vielen Studentinnen und Studenten
selbst verschuldet haben, jetzt gemeinsam bearbeiten. Ich
glaube, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir stehen
allerdings erst am Anfang.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417905900
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Frak-
tion.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1417906000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, als gingen
wir wirklich mit sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen
an diese Debatte heran. Herr Dr. Rossmann, Sie haben uns
in wunderschönen himmelblauen Farben erzählt, wie seit
1998 die Forschungslandschaft in diesem Lande aussieht.
Seit zwei Tagen haben wir Zahlen auf dem Tisch liegen,
die deutlich beweisen, dass Deutschland in Europa
den vorletzten Platz – übrigens vor Italien – in der For-
schungslandschaft einnimmt. Das sind neue Zahlen,
keine alten.


(Jörg Tauss [SPD]: Von wem?)

Sie belegen, was wir ja eigentlich auch tagtäglich bei der
Debatte über Stammzellen erleben: dass es eben keine
forschungsfreundliche und keine forschungsoffene Land-
schaft ist, mit der wir hier zu tun haben.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Leider wahr!)


Deutschland ist übrigens weder das Forschungsland,
das Sie uns hier aufgezeigt haben, noch das Bildungsland
des europäischen Kontinents und es sieht auch nicht so
aus, als würden wir es in nächster Zukunft wieder so
schnell werden. Die Anzahl der Studierwilligen stagniert,




Dr. Reinhard Loske

17585


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Bulmahn – übrigens auch seit 1998. Darauf hinzu-
weisen, dass man mit alten Zahlen hantiere, ist – ehrlich
gesagt – zu leicht. Hinzu kommen auch noch ganz neue
Zahlen. Denken Sie daran: Nur 16 Prozent der Deutschen
schaffen einen Studienabschluss. Die Abbrecherquoten in
den Naturwissenschaften belaufen sich auf mehr als
60 Prozent. Gerade hier haben wir einen dramatischen
Nachwuchsmangel. Frau Bulmahn, das sind keine Zah-
len, auf denen man sich ausruhen kann.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das hat auch niemand behauptet, Frau Flach!)


Da ist es auch nur wenig beruhigend, dass das Phä-
nomen des Fachkräftemangels keine rein deutsche Erfin-
dung ist. In den USA– das wissen wir alle – geht seit Jah-
ren die Zahl der eigenen Studierenden ebenfalls zurück.
Aber dieses Land hat bei den Post Docs bereits einen An-
teil von 60 Prozent Ausländern. Wir haben diese Leute
nicht.

Rund 600 indische Studenten sind derzeit an deut-
schen Hochschulen eingeschrieben. In den USA sind es
35 000. Es ist deshalb richtig, Frau Bulmahn – Sie haben
dabei unsere ausdrückliche Unterstützung –, dass Sie
außerhalb Deutschlands für das Produkt „deutsche Hoch-
schulstandorte“ werben. Es ist gut, dass Sie zu diesem
Zweck einen Kurztrip in die USA gemacht haben; aber
noch besser wäre es gewesen, wenn Sie und Ihre Leute
wesentlich früher in Asien und in Osteuropa unterwegs
gewesen wären. Am allerbesten wäre es gewesen, wenn
Sie mit Ihren Kollegen Fischer und Schily ein ernsthaftes
Wort gesprochen und sich auch einmal durchgesetzt hät-
ten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Werbung ist gut, aber aktives Regierungshandeln ist

besser. Weder das Schließen von Goethe-Instituten noch
das Sparen bei deutschen Schulen im Ausland,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Skandalös!)

noch das ungelöste Problem, wie man ausländische Spe-
zialisten nach dem Examen im Land halten kann, trägt
dazu bei, Menschen auf die Vorzüge unseres Standortes
aufmerksam zu machen.

Ich mache das einfach einmal am Beispiel Texas klar.
In diesem Staat der USA, der den größten deutschstäm-
migen Anteil aufweist, machen Sie die Goethe-Institute
zu. Was ist daran für diesen Standort werbewirksam, Frau
Bulmahn?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ein einziger Skandal!)


Ich will aber auch ganz klar sagen: Sie ackern sich ab,
während sich Ihre beiden Kollegen ganz offensichtlich als
Bremsfallschirme in dieser Regierung erweisen.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Dilettanten!)

Ich bin sicher, Sie persönlich werden den Anträgen der

F.D.P. in vielen Punkten folgen können.

(Jörg Tauss [SPD]: Wie Herr Kanther damals!)


Ich bin umso sicherer, als Ihre Anträge unseren Anträgen,
die seit einem Jahr in diesem Plenum schmoren, fast auf
den Punkt genau ähneln.


(Jörg Tauss [SPD]: Im Schreiben von Anträgen seid ihr gut! Das geben wir zu!)


Wo aber hakt es? Seit Monaten diskutieren wir die Not-
wendigkeit, ausländische Spezialisten nach dem Stu-
dium hier zu halten. Immer wieder geben Sie, Frau
Bulmahn, Interviews zu dringend erforderlichen Ände-
rungen des Ausländerrechts. Nur, bewirkt haben Sie
nichts. Herr Kollege Niebel hat eben sehr deutlich ge-
macht, dass es selbst im Plenum zu Ablehnungen kam.
Die Zögerlichkeit der Regierungskoalition, wenn es da-
rum geht, endlich ein modernes Zuwanderungsgesetz auf
den Weg zu bringen, lässt Ihre höchstpersönlichen An-
strengungen als Flickwerk erscheinen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Setzen Sie mal den Koch in Hessen ab! Dann haben Sie einen guten Beitrag geleistet!)


Ich wünsche Ihnen – auch Ihnen, Herr Kollege Tauss –,
dass dieses Gezaudere in der nächsten Woche endlich ein
Ende findet. Sie können sicher sein, dass wir als die Frak-
tion, die seit langem mit einem Zuwanderungsantrag im
Plenum vertreten ist, Ihre Vorschläge mit großem Ernst
und sehr zielorientiert begleiten werden.


(Beifall bei der F.D.P. – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Nur gibt es die Vorschläge der SPD nicht!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch
etwas zu dem sagen, was wir alle gemeinsam stärken und
werbewirksam für unser Land einsetzen wollen: die deut-
sche Hochschullandschaft. Es ist in den letzten Jahren viel
geschehen. Unsere Hochschulen haben die Herausfor-
derung zur Innovation angenommen, und dies trotz einer
klaren Unterfinanzierung. Um international zu bestehen,
reicht es aber trotzdem noch lang nicht aus. Wir alle, die
wir hier darüber debattieren, wissen das. Es gibt immer
noch einen deutlichen Bruch zwischen dem, was Sie, Frau
Bulmahn, über die Hochschule der Zukunft sagen, und
der Realität an Universitäten und Fachhochschulen.

An der Uni Potsdam – lassen Sie mich das an diesem
Beispiel festmachen – soll im Wintersemester nicht mehr
geheizt werden. Die Mittel der internationalen Europa-
Universität Viadrina – darüber reden wir heute den ganzen
Morgen – werden massiv gekürzt.


(Zurufe von der F.D.P. und der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Wir registrieren einen katastrophalen Zustand der Lan-
des- und Hochschulbibliotheken. Hier zeigt sich ganz
klar der Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit im
Bildungsbereich. Frau Bulmahn, es muss Sie doch gera-
dezu erschrecken, wenn Sie in Amerika in eine Bibliothek
kommen und dort feststellen, dass sie 24 Stunden am Tag,
sieben Tage in der Woche geöffnet ist, und dann, wenn Sie
nach Hause kommen, an den Bibliotheken Schilder mit
der schönen Aufschrift „Öffnungszeiten: 10 bis 16 Uhr“
vorfinden. Das ist der Zustand in Deutschland.




Ulrike Flach
17586


(C)



(D)



(A)



(B)



(Beifall des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Dann machen Sie mal in Baden-Württemberg auf!)


Hier brauchen die Unis massive Hilfe. Hier muss der
Bund ein Signal setzen, und zwar trotz der Länderminis-
terien, hinter denen Sie sich immer sehr gerne verstecken
und die nicht mitziehen wollen.


(Zuruf von der SPD: Setzen Sie das mal in den Landesregierungen durch!)


Meine Damen und Herren, die deutschen Hochschulen
sind nach wie vor unterfinanziert. Es ist auch zukünftig
mehr Geld nötig. Aber wenn Effizienz fehlt – das ist heute
wiederholt aufgezeigt worden –, ist Geld nicht alles. Die
Strukturreform der deutschen Hochschulen muss von den
kleinen Trippelschritten endlich in den Galopp kommen.
Das aber heißt – Frau Bulmahn, da hätten Sie sicherlich
die Unterstützung des ganzen Hauses –: Raus aus der
Umklammerung der Länderminister! Mehr Wettbewerb
der Hochschulen! Volle Autonomie bei Haushalt, Perso-
nal, Tarif und Organisation!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicht die Kultusbürokratie soll entscheiden, wer einge-
stellt und was angeboten wird, sondern die Hochschulen
in eigener Verantwortung.

Dazu gehört die konsequente Entrümpelung des Hoch-
schulrahmengesetzes. Was Hochschulen selbst regeln
können, sollten sie tatsächlich selbst regeln. Ich hoffe,
Frau Bulmahn, dass das Hochschulrahmengesetz auch bei
Ihnen noch auf der Agenda steht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Schauen Sie mal nach Niedersachsen! Da ist das gemacht worden!)


In diesen Bereich fällt selbstverständlich auch das leidige
Thema „Abschaffung der ZVS“. Baden-Württemberg steigt
auf Druck der F.D.P. aus dem Staatsvertrag aus.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies müssen die anderen Bundesländer endlich ebenfalls
tun. Die Hochschulen müssen sich ihre Bewerber zukünf-
tig selber aussuchen können, und zwar nach Qualifikation
und Motivation, nicht nach bürokratischen Verteilungs-
riten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „qualified in Ger-
many“ muss ein Markenzeichen werden wie „made in
Germany“. Die gegenwärtigen Maßnahmen der Bundes-
regierung sind aus Sicht der F.D.P. ein sehr kleiner Schritt
nach vorn; aber sie reichen nicht aus. Wir haben mit un-
seren Anträgen zahlreiche Vorschläge vorgelegt. Ich bin
da ganz anderer Meinung als Herr Rossmann: Sie waren
dringend erforderlich.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein! – Jörg Tauss [SPD]: Na ja!)


Eine Zustimmung zu diesen Anträgen wäre ein gutes
Signal für die Bildung in Deutschland, ein gutes Signal
für mehr Leistung und Wettbewerb.

Frau Bulmahn, kommen Sie mit uns – raus aus der
Kreisklasse, rein in die Champions League!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war flach! – Jörg Tauss [SPD]: Ihr bleibt in der Kreisklasse und wir in der Bundesliga! Dann ist es okay!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417906100
Herr
Tauss, wenn Sie fertig sind, würde ich gerne den nächsten
Redner aufrufen.

Herr Kollege Peter Eckardt von der SPD-Fraktion hat
das Wort.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Vielleicht will er den Herrn Tauss reden lassen!)



Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1417906200
Nein, will er nicht.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist auch richtig so, Herr Kollege!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Zu der Aufforderung der Kollegin Flach, den sieben
von der F.D.P.-Fraktion vorgelegten Anträgen zuzustim-
men, möchte ich Folgendes sagen: Wenn Sie zum Beispiel
in einem Antrag schreiben, dass die Juniorprofessuren
nicht zielführend seien und die Hochschuldienstrechts-
reform nicht geeignet sei, die Probleme an unseren Uni-
versitäten zu lösen, Sie aber heute in einer Zwischenfrage
sagen, Sie könnten sich trotzdem damit einverstanden er-
klären, dann habe ich natürlich große Probleme, zu be-
greifen, was Sie eigentlich meinen, ob nun das, was in Ih-
ren Anträgen steht, gilt oder das, was Sie sagen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich neige nicht dazu, eine Debatte über die Hochschul-
politik ausschließlich zur Vergangenheitsbewältigung zu
nutzen. Es ist zwar sinnvoller, über die Zukunft und die
Aufgaben, die vor uns liegen, zu sprechen. Aber ich muss
auf ein paar Punkte eingehen, die Sie vorhin angespro-
chen haben. Sie interpretieren die in der OECD- und der
TIMSS-Studie, auf die immer verwiesen wird, aufgeliste-
ten Probleme so, als ob diese allgemein gültig seien, und
tun so, als ob erst Sie auf diese Probleme in Ihren heute
vorliegenden Anträgen aufmerksam gemacht hätten und
als ob diese Schwierigkeiten nur entsprechend Ihren Vor-
stellungen gelöst werden könnten.

Wenn Sie zum Beispiel die von Ihnen zitierten Nobel-
preisträger in den USA und die Hunderte von Wissen-
schaftlern befragen, wann sie denn die Bundesrepublik
verlassen haben, dann werden Sie feststellen, dass sie
nicht erst seit 1998, seitdem die Sozialdemokraten die Bil-
dungsministerin stellen, sondern schon in den 80er- und
90er-Jahren in Richtung Ausland verschwunden sind. Ich
weiß aus eigener familiärer Erfahrung, wie schwer es ist,
jemanden aus den USA zurückzuholen und ihn darum zu
bitten, hier zu bleiben. Das Argument, die meisten Wis-
senschaftler absolvierten in Deutschland Grundstudien
und verschwänden dann in die USA, um dort zu arbeiten,
ist zwar völlig richtig. Aber wir haben ein Interesse daran,




Ulrike Flach

17587


(C)



(D)



(A)



(B)


dass Wissenschaftler, die im Ausland Grundstudien ab-
solviert haben, in die Bundesrepublik kommen und dass
die auf dem internationalen Arbeitsmarkt verfügbaren
Spitzenwissenschaftler nicht nur in einem Land, sondern
in mehreren Ländern gearbeitet haben.

Ich bin dem Kollegen Loske für seinen Hinweis sehr
dankbar, dass sich ein Land wie Südafrika darüber be-
klagt, dass nicht nur Neuseeland, Australien, die USAund
Kanada, sondern jetzt auch Deutschland um die dort vor-
handenen etwa 350 postgradualen Studierenden konkur-
riert und dass es dadurch Probleme bekommt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417906300
Herr Kol-
lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Flach?


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1417906400
Aber ja.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1417906500
Danke, Herr Kollege Eckardt.
Ich habe eben deutlich gemacht, dass die F.D.P. der

Hochschuldienstrechtsreform selbstverständlich sehr po-
sitiv gegenübersteht. Aber Juniorprofessur und Kosten-
limit sind genau die Knackpunkte, die in unserem Antrag
angesprochen werden. Deswegen meine Frage an Sie:
Teilen Sie meine Einschätzung, dass mit dem von Bun-
desregierung und Landesregierungen bisher festgelegten
Kostenlimit eine echte und für alle produktiv wirkende
Hochschuldienstrechtsreform überhaupt keine Chance
hat?


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1417906600
An den Hochschulen, die
ich in letzter Zeit besucht habe, konnte ich beobachten,
wie sich die Hochschulleitungen darum bemühten, sich
um die Teilnahme an einem Modellprojekt für Juniorpro-
fessuren zu bewerben. Das erweckt bei mir den Eindruck,
dass es an den Hochschulen sehr viel Zustimmung zu un-
serem Vorhaben gibt.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Weil es bei diesen Modellprojekten Sondergelder gibt!)


– Es ist doch nichts Ehrenrühriges, wenn die Universitä-
ten mit Sondergeldern ausgestattet werden, um ein neues
Verfahren zu etablieren, das jungen Wissenschaftlern die
Möglichkeit bietet, zu lehren.

Frau Kollegin, die Länder haben Spielraum – den Be-
griff „Kostenneutralität“ haben Sie ja nicht benutzt, ob-
wohl Sie ihn eigentlich meinten – und können über das,
was vorgeschlagen worden ist, weit hinausgehen. Kein
Land wird daran gehindert, seinen Professoren mehr zu
bezahlen, als im Hochschulrahmengesetz vorgesehen
ist. Ich habe gehört, dass zum Beispiel 25 Prozent der Kol-
leginnen und Kollegen in München, die nach C 4 bezahlt
werden – meistens sind es Kollegen –, schon jetzt von der
Ausnahmeregelung des Beamtengesetzes, Bezahlungen
bis B 10 zu ermöglichen, profitieren. Damit wird in den
Konkurrenzkampf zwischen Nord und Süd um Professo-
ren ganz erheblich eingegriffen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417906700
Herr Kol-
lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Flach?


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1417906800
Bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417906900
Bitte
schön, Frau Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1417907000
Herr Kollege Eckardt, Sie ha-
ben mich natürlich neugierig gemacht. Könnten Sie mir
bitte sagen, welche sozialdemokratisch bzw. rot-grün
regierten Länder bereit sind, die Kostenneutralität aufzu-
heben und entschieden mehr Geld für die Professoren aus-
zugeben?


Dr. Peter Eckardt (SPD):
Rede ID: ID1417907100
Frau Kollegin, Sie wissen,
dass in den nächsten Jahren über 60 Prozent des wissen-
schaftlichen Personals in der Bundesrepublik Deutsch-
land in den Ruhestand treten werden, weswegen die
Länder nach Professoren und nach wissenschaftlichen
Mitarbeitern suchen werden. Wie Sie beschrieben haben,
unterliegt man der internationalen Konkurrenz auf dem
Markt.

Meiner Ansicht nach – ich kenne die Universität von
innen – werden die Länder alle Anstrengungen unterneh-
men, die notwendigen Finanzmittel für den Wis-
senschaftsbetrieb, also für Forschung und Lehre, bereit-
zustellen. Wer das nicht tut, der wird in der Auseinander-
setzung der Bundesländer den Kürzeren ziehen. Auch die
so genannten ärmeren Länder müssen wissen, dass sie,
was die Auseinandersetzung mit den so genannten reiche-
ren Ländern angeht, in noch größere Schwierigkeiten ge-
raten, wenn sie ihre entsprechenden Etats nicht auf-
stocken. Ich bin optimistisch, dass auch diejenigen, die
jetzt pokern und sagen, dass sie so viel nicht geben wol-
len, nachher mehr zahlen werden. Wenn das geschieht,
dann wird es eine Chance geben, die Kolleginnen und
Kollegen in diesem Bereich ganz gut zu besolden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass die Universität Hildesheim – übrigens, Herr
Hauser, es war die Universität – einen Informatiklehrstuhl
gestrichen hat, hat nichts damit zu tun, dass es in Nieder-
sachsen keine Informatik mehr gibt; vielmehr ist die An-
zahl der Bewerber so dramatisch gesunken, dass das Land
keinen Bedarf mehr für diesen Lehrstuhl sah. Der DIHT,
die Arbeitgeberverbände, Siemens, Bosch, Mercedes und
die damalige Regierung haben gesagt: Eigentlich brau-
chen wir gar keine Akademiker. Macht lieber eine Be-
rufsausbildung! Ich habe noch das Wort eines Kanzlers im
Ohr:


(Jörg Tauss [SPD]: Kohl hieß der, glaube ich!)

1,8 Millionen Studierende sind zu viel; wir brauchen we-
sentlich mehr als 1,8MillionenAuszubildende. Man muss
bedenken, was für eine Motivation das auf die Schüler in
den 10. und 11. Klassen ausübt. Es ist doch notwendig,
über die Vergangenheit zu reden. Bildungsprozesse kann




Dr. Peter Eckardt
17588


(C)



(D)



(A)



(B)


man nicht kurzfristig verändern; vielmehr handelt es sich
um Prozesse, die über einen Zeitraum von zehn bis
15 Jahren andauern. Jetzt haben wir die Folgen davon,
dass in den 80er- und 90-er Jahren so eine Motivation ge-
herrscht hat – und ich denke, das ist nicht richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege hat die Stiftung Warentest – ich erinnere

an Babynahrung und Windeln – angesprochen. Sie sollten
diese Stiftung und ihre Zeitschrift einmal etwas besser un-
ter die Lupe nehmen. Es handelt sich im Wesentlichen um
eine Stiftung, die die gesamte Angebotsbandbreite,
einschließlich Weiterbildungseinrichtungen und Akade-
mien, untersucht. Es ist nicht besonders sinnvoll, sich
über diese Einrichtung kritisch zu äußern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe in dieser Debatte gelernt, dass wir für die Uni-
versitäten, die Fachhochschulen und die akademische
Ausbildung insgesamt mehr tun müssen. Ich glaube, diese
Auffassung ist hier weit verbreitet. Die in dieser Debatte
sichtbar gewordenen Differenzen sind vielleicht weniger
groß, als es scheint.

Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Ich fand
es – auch gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen an
den Hochschulen – nicht gut, dass hier unwidersprochen
gesagt wurde, es gebe keine deutschen Spitzenuniversitä-
ten. Das ist mitnichten der Fall.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Da ich aus der Nähe von Hannover komme, möchte ich
auf Folgendes hinweisen: Forschungseinrichtungen der
Universität Hannover und auch der Medizinischen Hoch-
schule Hannover können in hohem Maße mit internatio-
nalen Universitäten, zum Beispiel mit solchen in Ame-
rika, Schritt halten.

Frau Kollegin Flach, Sie haben zu Recht gesagt: Es
gibt im Bildungsbereich nichts, was man nicht noch bes-
ser machen kann. Die Ministerin und die Koalitionsfrak-
tionen befinden sich auf einem ganz guten Wege.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417907200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer von der
CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1417907300
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem
Hause unbestritten, dass Deutschland ein großes Interesse
daran hat, dass mehr junge Ausländer in Deutschland
studieren. Die Worte zur Begründung sind bereits gesagt
worden; ich möchte sie nicht wiederholen. Es ist auch
schon vieles darüber gesagt worden, wie wir Anreize da-
für schaffen können. Von daher möchte ich jetzt nur noch
auf einige Punkte eingehen.

Das wichtigste Kriterium für junge Leute aus dem Aus-
land, in Deutschland zu studieren, ist die Qualität der Aus-
bildung.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Am Beispiel amerikanischer Eliteuniversitäten kann man
feststellen, wie junge Leute aus Amerika und aus dem
Ausland in diese Universitäten hineindrängen. Dabei ist
es kein Hindernis, dass diese Universitäten zum Teil sehr
hohe Studiengebühren verlangen. Ich bin der Meinung,
dass der Ansatz der SPD, ein Verbot von Studiengebühren
auszusprechen, absolut falsch ist,


(Zuruf von der SPD: Für das Erststudium!)

weil dies die Schaffung von Eliteuniversitäten und neuen
Ausbildungsformen in Deutschland behindert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jedenfalls werden Sie mit dem Verbot von Studienge-
bühren keinen einzigen zusätzlichen Studenten aus dem
Ausland nach Deutschland holen.


(Zuruf von der SPD: Wir haben aber auch deutsche Studenten! Das ist nicht unwichtig!)


Die Australier sind im Übrigen so verwegen, dass sie
glauben, mit Studenten aus dem asiatischen Raum viel
Geld verdienen zu können. In Deutschland würde ein sol-
ches Vorgehen von den Linken sofort als Kommerziali-
sierung diffamiert. Ich sage dazu: Es ist zwar sehr schwer,
mit Hochschulausbildung Geld zu verdienen. Es ist aber
nicht unanständig, mit Bildung Geld zu verdienen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417907400
Herr Kol-
lege Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Tauss?


Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1417907500
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417907600
Bitte
schön, Herr Tauss.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1417907700
Lieber Herr Kollege Mayer, ich
habe gerade mit großem Interesse Ihre Bemerkungen und
Anmerkungen zum Thema Studiengebühren zur Kenntnis
genommen. Darf ich aus dem, was Sie gesagt haben,
schließen, dass CDU und CSU in Abweichung von dem,
was beispielsweise beim letzten CDU-Bundesparteitag
diskutiert worden ist, nun für die Einführung von Stu-
diengebühren sind?


Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1417907800
Sie
dürfen aus meinen Äußerungen schließen, dass es sowohl
in der CDU als auch in der CSU Leute gibt – ich gehöre
dazu –,


(Jörg Tauss [SPD]: Ich rede von Mehrheiten!)

die Studiengebühren nicht für völlig falsch halten. Jeden-
falls sind wir strikt gegen ein Verbot von Studienge-
bühren,


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)





Dr. Peter Eckardt

17589


(C)



(D)



(A)



(B)


weil es die Handlungsfreiheit der Länder und der Hoch-
schulen einengt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Walter Hirche [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Mit wachsenden Möglichkeiten, Bildungsinhalte über
das Internet zu vermitteln, wird sich das Angebot von
Aus- und Weiterbildung zu einem wichtigen Wirtschafts-
faktor entwickeln. Fachleute sprechen von einem Billio-
nenmarkt. Die deutschen Hochschulen müssen sich dort
rechtzeitig positionieren.

Für die Frage, ob man in einem anderen Land studiert,
spielt natürlich auch die Stimmung eine große Rolle. In
diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die
Hälfte der japanischen Studenten, die in Deutschland
studieren, Musik studiert. Warum studieren nicht mehr
Ingenieur- und Naturwissenschaften? Hat das etwa mit
dem geistigen Klima in Deutschland zu tun? Wer möchte
schon in einem Land Biotechnik studieren, in dem es eine
große politische Gruppe gibt, die die Biotechnik verteu-
felt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Jörg Tauss [SPD]: Haftstrafen haben Sie gefordert! – Zuruf von der SPD: Meinen Sie Stoiber?)


Ich möchte Ihnen nun mitteilen, was mir eine junge
Frau, die in Amerika einen Graduiertenstudiengang ab-
solviert hat, gesagt hat: Wenn man in Amerika auf einer
Party sagt, man studiere oder arbeite im Bereich Biome-
dizin und Biotechnik, dann sagen die Leute: Great, das ist
großartig. In Deutschland aber wenden sie sich dann ab.
Dafür, dass diese Stimmung entstanden ist, tragen auch
Sie Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wir fragen uns, warum wir in den 90er-Jahren und
auch jetzt noch in Deutschland fast keine ausländischen
Studenten im Fach Informatik haben. Ich frage Sie: Wer
möchte denn in einem Land studieren, in dem es eine
breite Gruppe gibt, von den Gewerkschaften bis zu den
Linken, die in den 90er-Jahren bezüglich Chip und
Computer in erster Linie vom Jobkiller gesprochen ha-
ben?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Oh, Herr Mayer! – Zuruf von der SPD: Das ist ein Mickymaus-Vortrag, den Sie da halten!)


Wo ist denn in Deutschland Begeisterung für die Mög-
lichkeiten der bemannten Raumfahrt, für die Möglichkei-
ten der Forschung mit der Neutronenquelle, für den Trans-
rapid oder für die Kernfusionsforschung, die Energie für
die nächste Hälfte des Jahrhunderts liefern kann, zu
spüren?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grü-
nen und von Teilen der SPD, Ihre Technikfeindlichkeit

zerstört die Faszination, die junge Menschen brauchen,
um in diesen Bereichen zu studieren.


(Beifall des Abg. Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU])



(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Den Linken dieses Hauses sei deshalb gesagt: Wenn Sie
wollen, dass sich mehr Studenten den Natur- und Inge-
nieurwissenschaften zuwenden und dass mehr ausländi-
sche Studenten nach Deutschland kommen, dann hören
Sie auf, bestimmte Techniken schlecht zu machen und
wecken Sie mit uns gemeinsam Begeisterung und eine
Aufbruchstimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417907900
Ich gebe
dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1417908000
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon vor län-
gerer Zeit, als wir diese Fragen auf einem Bildungskon-
gress der Deutschen Stiftung für internationale Entwick-
lung diskutierten, fragte ich einen chilenischen Freund:
Sag mal, Eduardo, wohin schickst du deine Kinder zum
Studium? Die spontane Antwort war natürlich: Der Erste
geht in die Vereinigten Staaten, der Zweite bleibt in Latein-
amerika. – In unserer Arroganz haben wir manchmal ver-
gessen, dass es auch in Lateinamerika hervorragende wis-
senschaftliche Institute gibt. – Weiter sagte er: Der Dritte
geht nach Europa, vielleicht nach Deutschland. Dann
grinste er ein bisschen und sagte: Ich habe aber nur zwei.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das berührt ein wenig das Problem, dass Europa und

damit auch Deutschland für viele Ausländer zu wenig at-
traktiv ist.


(Erika Lotz [SPD]: Wir können auch darüber reden, warum!)


Selbst für die deutschen Minderheiten in vielen Ländern
dieser Erde, zum Beispiel in Lateinamerika, die noch in
den 60er- und 70er-Jahren wie selbstverständlich ihre
Kinder nach Europa und nach Deutschland zum Studium
oder zur Ausbildung schickten – übrigens nicht nur zum
Studium, sondern auch zu einer normalen Ausbildung –,
ist dies heute keine Selbstverständlichkeit mehr. – Vor
diesem Hintergrund, Frau Ministerin, ist es eben keine
Bagatelle, wenn zum Beispiel im Haushaltsentwurf für
das Jahr 2002 im Etat des Auswärtigen Amtes für die aus-
wärtige Kulturpolitik rund 50 Millionen DM für die deut-
schen Auslandsschulen gestrichen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt sind Sie aber in der verkehrten Veranstaltung!)


Natürlich muss man bei manchen Zahlen in den Statis-
tiken vorsichtig sein. So darf man bei den OECD-Zahlen,
auf die vorhin Frau Pieper, glaube ich, hingewiesen hat,




Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

17590


(C)



(D)



(A)



(B)


eine gewisse Skepsis anmelden. Eine andere Organisation
der Vereinten Nationen, die UNDP, hat vor vier Jahren
einmal eine Darstellung über die unterschiedlichen Be-
wertungen von Ländern veröffentlicht. Darin wurde zum
Beispiel das berufsbildende Schulwesen in den Vereinig-
ten Staaten als besser dargestellt als das in Deutschland.
Daran kann man auch einmal sehen, wie problematisch
solche internationalen Vergleiche sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Was wollt ihr denn jetzt?)

Wer sich übrigens ein wenig mit dem College-System in
den Vereinigten Staaten beschäftigt hat,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sind Spitzenuniversitäten!)


weiß, dass man gegenüber den bloßen Zahlen ein wenig
skeptisch sein sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Kollege Eckardt hat vorhin auf das Beispiel der
Schließung des Informatikstudienganges in Hildesheim,
über das wir uns ja schon des Öfteren unterhalten haben,
hingewiesen. Wir führen dieses Beispiel doch nicht an,
weil wir bezweifeln, dass man möglicherweise aus Spar-
samkeitsgründen Dinge zusammenlegen muss, sondern
vor dem Hintergrund, dass der damals zuständige Minis-
terpräsident des Landes Niedersachsen, der Ihnen ja nicht
völlig unbekannt sein dürfte, später in einer anderen poli-
tischen Funktion beklagt hat, dass wir zu wenig Informa-
tiker ausbildeten. Als er noch Verantwortung als Mi-
nisterpräsident trug, hat er dazu beigetragen, dass dieser
Informatikstudiengang geschlossen wurde. Um diesen
Punkt ging es uns in diesem Zusammenhang.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Das ist sehr verkürzt! Durch fünfmaliges Wiederholen wird es auch nicht besser!)


– Ein bisschen kenne ich mich in Niedersachsen doch
noch aus. Sie können beruhigt sein.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Falsches wird dadurch nicht richtiger, Herr Hedrich!)


– Manchmal muss man ja Dinge wiederholen, weil es so
schwer fällt, sie wirklich richtig zu inhalieren.

Frau Ministerin, Sie haben dann auf die letzten
16 Jahre verwiesen. Ich kann das ja verstehen; das gehört
alles zum politischen Geschäft.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Genauso verstehen wir das!)


Sie können sich darauf verlassen, wenn wir nächstes Jahr
wieder an die Regierung kommen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


werden auch wir immer wieder auf die hinter uns liegen-
den vier Jahre verweisen. Das gehört ja zum Spiel und
zum Geschäft dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Dann kürzt ihr wieder oder was?)


Sie sagten in diesem Zusammenhang, dass wir nichts
unternommen hätten, um zum Beispiel die internationale
Attraktivität der deutschen Universitäten zu erhöhen.
Ich kann Ihnen dazu aus einem Aufgabenbereich berich-
ten, für den ich früher einmal mitverantwortlich war, näm-
lich dem der entwicklungspolitischen Kooperation. Wir
haben damals ein Programm zur stärkeren Kooperation
zwischen deutschen Universitäten mit ingenieurwissen-
schaftlichem Bereich und den entsprechenden sechs indi-
schen ingenieurwissenschaftlichen Instituten auf den Weg
gebracht. Ausgerechnet dieses Programm haben Sie im
ersten Jahr Ihrer Regierungszeit gekürzt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört, hört!)

Dieses geschah, obwohl zum Beispiel ständig gefor-
dert wird, wir müssten mehr indische Ingenieure nach
Deutschland holen – Indien war ja der Aufhänger. Sie
wussten dabei aber nicht, dass tatsächlich schon längst
Kooperationsmodelle zwischen deutschen und indischen
Universitäten speziell im ingenieurwissenschaftlichen
Bereich auf den Weg gebracht worden waren.


(Jörg Tauss [SPD]: Was Sie hier vortragen, ist arrogant!)


– Nein, so war es und so ist es. Die Mittelkürzung haben
Sie immer noch nicht zurückgenommen.

Der Kollege Loske – ihn möchte ich jetzt für einen Au-
genblick kurz ansprechen – hat ja darauf verwiesen, dass
wir stärker in internationale Kooperation einsteigen
müssten und dafür Mittel zur Verfügung stellen sollten.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Tun wir ja!)


Schauen Sie sich einmal den Etat der Entwicklungshil-
feministerin für Bildung an! Sie kürzen diesen Etat um
sage und schreibe 400 Millionen DM – das sind 5,3 Pro-
zent –, beklagen aber zum gleichen Zeitpunkt die Reduk-
tion im Bereich der internationalen Kooperation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])


Wenn ich übrigens gewusst hätte – ich hätte es wenigstens
ahnen können –, Kollege Loske, dass Sie dieses Thema
hier ansprechen, hätte ich Zitate aus dem Interview der
entwicklungspolitischen Sprecherin Ihrer Fraktion mitge-
bracht. Sie sagt zu den Kürzungen in diesem Einzeletat:
eine klare Verletzung der Prinzipien internationaler Soli-
darität. Das haben Sie mit zu verantworten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da sagt jeder etwas anderes!)


Meine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kol-
legen: Ich glaube, es ist trotz allen Streites unstrittig, dass
es eine Übereinstimmung darüber gibt, dass Deutschland
daran interessiert sein muss – ich will es einmal ein wenig
pathetisch formulieren –, dass es von den Besten dieser
Welt für attraktiv gehalten wird, nach Deutschland zu
kommen, hier zu studieren und zu arbeiten. Hierzu sind
wir gemeinsam verpflichtet.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)





Klaus-Jürgen Hedrich

17591


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417908100
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/3339, 14/3518, 14/4270, 14/4271
und 14/5250 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit ist das Haus einver-
standen. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung auf Drucksache 14/6195 zu dem Antrag der Fraktion
der F.D.P. zu einem Sonderprogramm zur Sicherung und
Erhöhung des Niveaus der Landes- und Hochschulbiblio-
theken am Wissenschafts- und Forschungsstandort
Deutschland. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5105 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Zu Tagesordnungspunkt 4 g und h sowie Zusatzpunkt 3
und 4 wird interfraktionell Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6209, 14/6212, 14/6437 und
14/6445 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. – Auch damit ist das Haus einver-
standen. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis h sowie die
Zusatzpunkte 5 a bis d auf:

Überweisungen im vereinfachten Verfahren
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini-
gung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des
geistigen Eigentums
– Drucksachen 14/6203, 14/6449 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967
zur Errichtung derWeltorganisation für geisti-
ges Eigentum
– Drucksache 14/6260 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Familienförderung
– Drucksachen 14/6411, 14/6452 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung

Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurNeurege-
lung der Krankenkassenwahlrechte
– Drucksache 14/6409 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
führung des Wohnortprinzips bei Honorarver-
einbarungen für Ärzte und Zahnärzte
– Drucksachen 14/6410, 14/6450 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung der Regelungen über die Festsetzung von
Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen

(Festbetrags-Anpassungsgesetz – FBAG)

– Drucksachen 14/6408, 14/6451 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen
Arbeitsorganisation vom 17. Juli 1999 über das
Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Be-
seitigung der schlimmsten Formen der Kinder-
arbeit
– Drucksache 14/6107 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina
Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Klaus Haupt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Verbesserung der Familienförderung
– Drucksache 14/6372 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Haushaltsausschuss






(C)



(D)



(A)



(B)


ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren (Ergänzung zu TOP 29.)


a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Iris
Gleicke, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der SPD sowie den Abgeordneten Albert
Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Helmut Wilhelm (Amberg), weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Personenbeförderungsgeset-
zes (PbefG)

– Drucksache 14/6434 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard
Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Weiterbildung im Bildungssystem verankern –
Chancengleichheit stärken
– Drucksache 14/6435 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias
Marhold, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack,
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Wissenschafts- und Hochschulkooperationen
mit Entwicklungs- und Transformationsländern
– Drucksache 14/6442 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung
– Drucksache 14/6134 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Bei den Tagesordnungspunkten 30 b bis g und 27 han-
delt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen und
des Finanzverwaltungsgesetzes sowie zur Umrech-
nung zoll- und verbrauchsteuerrechtlicher Euro-

(Zwölftes Euro-Einführungsgesetz – 12. EuroEG)

– Drucksache 14/6143 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6458 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
möchten, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 c:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-
kunft“
– Drucksache 14/6370 –

(Erste Beratung 177. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/6465 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernd Reuter
Martin Hohmann
Volker Beck (Köln)

Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17593


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/6465, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möch-
te, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 d:
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu den Unterrichtungen
durch die Bundesregierung
– Vorschlag für einen Beschluss des Rates

über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Republik Ungarn andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 675 endg.; Ratsdok. 05234/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Republik Polen andererseits eingesetz-
ten Assoziationsrat zur Annahme von Vor-
schriften zur Koordinierung der Systeme
der sozialen Sicherheit
KOM (99) 676 endg.; Ratsdok. 05235/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Republik Bulgarien andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 677 endg.; Ratsdok. 05236/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und

der Republik Estland andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 678 endg.; Ratsdok. 05237/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Slowakischen Republik andererseits
eingesetzten Assoziationsrat zur Annahme
von Vorschriften zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 684 endg.; Ratsdok. 05238/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
derRepublik Rumänien andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 683 endg.; Ratsdok. 05239/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Republik Slowenien andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 682 endg.; Ratsdok. 05240/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Republik Litauen andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 681 endg.; Ratsdok. 05241/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und
der Tschechischen Republik andererseits
eingesetzten Assoziationsrat zur Annahme
von Vorschriften zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 679 endg.; Ratsdok. 05242/00

– Vorschlag für einen Beschluss des Rates
über den Standpunkt der Gemeinschaft in
dem durch die Europa-Abkommen zwi-
schen den Europäischen Gemeinschaften
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17594


(C)



(D)



(A)



(B)


der Republik Lettland andererseits einge-
setzten Assoziationsrat zur Annahme von
Vorschriften zur Koordinierung der Sys-
teme der sozialen Sicherheit
KOM (99) 680 endg.; Ratsdok. 05243/00

– Drucksachen 14/3146 Nr. 2.9 bis 2.18, 14/6312 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Singhammer

Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6312, in
Kenntnis der Unterrichtungen eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 30 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 277 zu Petitionen
– Drucksache 14/6363 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 277 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 278 zu Petition
– Drucksache 14/6364 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 278 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 30 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 279 zu Petition
– Drucksache 14/6365 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 279 ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 27:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom-
mission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der
Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der
finanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied-
staaten und den öffentlichen Unternehmen

(Transparenzrichtlinie-Gesetz – TranspRLG)

– Drucksache 14/5956 –

(Erste Beratung 167. Sitzung)


Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der
Kommission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der
Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der
finanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied-
staaten und den öffentlichen Unternehmen

(Transparenzrichtlinie-Gesetz – TranspRLG)

– Drucksache 14/6280 –

(Erste Beratung 176. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6460 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg)

Otto Bernhardt

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/6460, die Gesetzentwürfe auf
den Drucksachen 14/5956 und 14/6280 als Transparenz-
richtlinie-Gesetz in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hau-
ses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen
und Kollegen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen?
– Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in
der zweiten Beratung angenommen.

Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Welle der
Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen
Krankenversicherung

Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Antrag-
stellerin zunächst dem Kollegen Wolfgang Lohmann das
Wort.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1417908200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es je einen wirk-
lich wichtigen Grund für eine Aktuelle Stunde gegeben
hätte, dann diesen, den wir heute zu besprechen haben. Ich
könnte die Aktuelle Stunde allein damit bestreiten, Ihnen
Balkenüberschriften aus den unterschiedlichen Presseor-
ganen vorzulesen. Dann wüssten Sie schon, was mit die-
ser Regierung los ist. Ich will Ihnen das aber nicht antun
und mich auf einige wenige Ausschnitte beschränken:
„Sozialdemokraten erhöhen Druck auf SPD-Ministerin
Schmidt“, „Nur noch das Nötigste von der Kasse?“, „Der
Druck auf die Gesundheitsministerin Schmidt wächst“,
„Arbeitspapier scheucht Gesundheitspolitiker auf“.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17595


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Arbeitspapier stammt aus dem Bundeskanzleramt;
der Kanzler droht jetzt anscheinend damit, dieses Thema
zur Chefsache zu machen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann wird es ja noch schlimmer!)


Bisher war die Drohung, etwas zur Chefsache zu machen,
mehr an die Beteiligten gerichtet; denn dann gab es meis-
tens nichts. Jetzt habe ich die Befürchtung, Frau Ministe-
rin, dass die Drohung mehr gegen Sie gerichtet ist; denn
offensichtlich sind Sie nicht mehr in der Lage, das Ganze
im Griff zu behalten.

Ich lese Ihnen weitere Überschriften vor:
„Uns droht der Kollaps der Krankenkassen“, „Stück-
werk“.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Lohmann, fragen Sie einmal nach Ihrem damaligen Kanzler!)


– Frau Schmidt-Zadel, Sie hören das nicht gern; das ist klar.
Aber da Sie gerne lachen, möchte ich noch die „Frankfurter
Rundschau“ zitieren. Dort steht unter der Überschrift „Aus-
gelacht“: „Die Offensive des Lächelns ... ist gescheitert.“

Meine Damen und Herren, allen Ablenkungsmanövern
zum Trotz: Die aktuellen Beitragssatzerhöhungen gehen
einzig und allein auf Ihren rot-grünen Murks zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es stellt sich wirklich die Frage, ob man diese Dreistigkeit
bewundern, die Ignoranz beklagen oder – man muss es
einfach sagen – die Dummheit aufseiten der Koalition be-
dauern soll,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist jenseits jeder Seriosität!)


nun auch noch herzugehen und den ehemaligen Gesund-
heitsminister Seehofer für den heutigen Zustand verant-
wortlich zu machen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wen sonst?)

Sagen Sie jetzt bitte nicht, das hätte die Frau Ministe-

rin nicht getan. Noch am Montag dieser Woche sagte sie
im „Focus“ – das müssen Sie nachlesen; das ist sehr in-
teressant –:

... aber ich habe die Probleme auch nicht geschaffen,
sondern von der Vorgängerregierung übernommen.

(Zuruf von der SPD: Richtig! – Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wissen Sie, was Sie 1998 von der Vorgängerregierung
übernommen haben?


(Zurufe von der SPD: Schulden!)

Herr Präsident, die Koalition versucht jetzt, mich diese

wichtige Nachricht nicht übermitteln zu lassen. Ich
möchte darum bitten, das nicht zuzulassen.

Wissen Sie, was Sie übernommen haben?

(Zurufe von der SPD: Schulden! –Weiterer Zuruf von der SPD: Das Spielchen können wir noch länger machen!)


Sie haben erstens von 1993 bis 1998 – sogar bis in das
Jahr 1999 hinein – eine Beitragssatzstabilität von 13,4
Prozent übernommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN –Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist doch lächerlich!)


Zweitens haben Sie von 1997 und 1998 einen Überschuss
in der gesetzlichen Krankenversicherung von jeweils über
1 Milliarde DM übernommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Und Sie haben versprochen: Wir werden nicht alles an-
ders, aber vieles besser machen. Was bei dem Vieles-bes-
ser-Machen herausgekommen ist, sehen wir jetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wodurch ist das gekommen? Sie haben sich bemüßigt

gefühlt, nach der Wahl erst einmal Wahlgeschenke zu ver-
teilen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir halten Zusagen ein!)


Damit haben Sie der gesetzlichen Krankenversicherung
Entlastungen, die sie hatte, genommen. Sie haben der ge-
setzlichen Krankenversicherung durch das Solidaritäts-
stärkungsgesetz neue Lasten aufgebürdet. – Ich könnte sie
alle aufzählen, aber die fünf Minuten Redezeit, die man in
einer Aktuellen Stunde bekanntlich hat, reichen dafür
nicht aus. – Und Sie haben es verstanden, den Wählern
– und vor allen Dingen den Versicherten – einzureden,
man könne weiterhin alles haben, ohne dabei einmal das
Wort Eigenverantwortung in den Mund nehmen zu müs-
sen.

Nun sind wir in folgender Situation: Plötzlich war ges-
tern in der „Süddeutschen Zeitung“ von einem Papier die
Rede, das die Ministerin anscheinend nicht kennt.
Zunächst hat das Kanzleramt dies dementiert, dass es
überhaupt ein Papier gebe. – Ähnliche Informationen sind
übrigens schon einmal vor einigen Wochen in einer Zei-
tung erschienen; dies wurde damals ebenfalls dementiert. –
Vor dieser Debatte aber habe ich gelesen: Das Kanzleramt
bestätigt,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee!)

dass es dieses Papier gibt. Heute morgen um 8.45 Uhr wa-
ren Frau Wester, Ihre stellvertretende Fraktionsvorsit-
zende, und ich noch zusammen bei einem „Phoenix“-In-
terview, in dem sie danach gefragt wurde. Sie hat gesagt:
Ich kenne das Papier nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich kann ihr helfen; ich kenne das Papier natürlich und
habe es. Sie können es gern von mir haben. Aber, man
kennt ja kein Papier.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist ein Sauhaufen!)


Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Frak-
tion, Herr Schmidt, sagte gestern, die Frau Ministerin oder




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

17596


(C)



(D)



(A)



(B)


das Ministerium arbeite an einer grundlegenden Reform
– hört, hört! –, es sei nur noch nicht klar, wann Details be-
kannt würden, ob vor oder nach der Wahl. So haben wir
nicht gewettet, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Ministerin, ich muss Sie jetzt einmal ganz per-

sönlich ansprechen: Sie haben am 7. Mai den ersten Run-
den Tisch veranstaltet. Danach haben Sie beim Ärztetag,
wo ich mich auf der Seite der Zuhörer befand, ein freund-
liches Grußwort ausgesprochen. Darin haben Sie unter an-
derem – auch so ein bisschen mit Blick auf mich – gesagt:
Entgegen allen anders lautenden Meldungen sage ich hier
noch einmal, dass im Ministerium nicht an einem „Konzept
2003“ gearbeitet wird. Na klar, das mussten Sie ja sagen;
was sollen die Teilnehmer sonst am Runden Tisch, wenn im
Ministerium ohnehin etwas anderes erarbeitet wird.

Nun wird im Kanzleramt noch etwas anderes erarbei-
tet, was hinsichtlich der möglichen Eingriffe teilweise die
Vorstellungskraft übersteigt. Da wird dann natürlich über
Einkaufsmodelle gefaselt –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417908300
Herr Kol-
lege Lohmann, Sie haben Ihre Redezeit schon überschrit-
ten.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1417908400

– mein letzter Satz! –, da wird den Leuten höchstwahr-
scheinlich das Recht der freien Arztwahl genommen.

Machen Sie sich Gedanken! Wir werden es Ihnen nicht
durchgehen lassen, dass Sie zwischen Runden Tischen
und lächelnden Grußworten Friede, Freude, Eierkuchen
verbreiten nach dem Motto: Wir werden es schon hinkrie-
gen. Nein, wir wollen ein Konzept sehen – und zwar vor
der Wahl, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417908500
Das Wort
hat nunmehr die Parlamentarische Staatssekretärin bei der
Bundesministerin für Gesundheit, Kollegin Gudrun
Schaich-Walch.

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1417908600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Lohmann, ich bin doch beruhigt, dass Sie noch so viel Zeit
zum Zeitunglesen haben und es immer wieder schaffen,
einige Dinge zu diesem Thema zu sammeln und zusam-
menzustellen. Ich bin hierher gekommen, um Ihnen ein
paar Fakten ins Gedächtnis zu rufen.

Unter unserer Regierung sind die Beitragssätze bislang
seit 1998 bei im Durchschnitt 13,6 Prozent geblieben.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Und die Leistungen?)

– Die Leistungen haben wir verbessert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Schön wär’s! – Detlef Parr [F.D.P.]: Wo denn?)


Wir haben die Zuzahlungen zurückgenommen, mit de-
nen Sie ganz einseitig nur eines getan haben, nämlich
chronisch Kranke drangsaliert.


(Beifall bei der SPD)

Sie waren diejenigen, die den jungen Menschen nicht ein-
mal mehr Zahnersatz zugestehen wollten. Wir haben dies
wieder eingeführt. Es ist kein Fehler, wenn man Men-
schen in gesundheitlicher Bedrängnis hilft. Wir haben das
alles durch die Mehreinnahmen aus den 630-DM-Be-
schäftigungsverhältnissen finanziert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Und jetzt ist das Geld alle!)


Was haben wir von Ihnen übernommen?

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ein Plus!)


Wir haben von Ihnen Ostkrankenkassen mit einer un-
glaublichen Verschuldungssumme übernommen. Mit den
Schulden hätten die Kassen, wenn sie sie hätten abtragen
wollen, die Versorgung im Osten nicht mehr gewährleis-
ten können. Weil Sie uns das überlassen haben, haben wir
den Risikostrukturausgleich so angepasst, dass wir nach
zehn Jahren endlich einen gemeinsamen Rechtskreis ha-
ben


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, ja! Immer Geld schaufeln!)


und dass von den Westkrankenkassen Mittel an die Ost-
krankenkassen transferiert werden,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und die AOK Sachsen weiß nicht mehr, wohin mit dem Geld!)


was, wie uns klar ist, für die jeweilige Kasse nicht unbe-
dingt einfach ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die
einzelnen Kassen eine unterschiedliche Politik betreiben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee! – Zurufe von der CDU/CSU)


Es gibt Kassen, die so kalkuliert haben, dass sie ihre Bei-
tragssätze nicht erhöhen müssen. Es gibt aber auch Kas-
sen, die die Beitragserhöhungen, die sie eigentlich hätten
vornehmen müssen, nicht vorgenommen haben und sich
jetzt in der Situation sehen, die Beiträge drastisch erhöhen
zu müssen. Damit müssen wir uns auseinander setzen.
Aber eine drastische Beitragserhöhung aller Kassen wird
es nicht geben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie werden sich wundern! Sie werden nicht über 14 Prozent kommen! Wollen wir das festhalten?)


Das aktuelle Problem der Entwicklung der Beitrags-
sätze ist die Arzneimittelversorgung. Sie waren es doch
immer, die sich gewünscht haben, der Selbstverwaltung




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


17597


(C)



(D)



(A)



(B)


Vorfahrt zu gewähren. Wir gehen dies jetzt an, während
sie mit Ihrem Wunsch nach mehr Vorfahrt für die Selbst-
verwaltung nicht einmal aus der Garage herausgekom-
men sind; Sie sind am Garagentor geendet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt in diesem System durchaus Wirtschaftlich-
keitsreserven. – Die gibt es in allen Bereichen und ganz
besonders im Arzneimittelbereich. – Wir werden adäquat
damit umgehen.

Wir werden mit dem neuen Gesetz erreichen, dass auf
der jeweiligen Ebene die Menschen sehen können, wel-
cher Versorgungsbedarf tatsächlich besteht und womit
dieser Bedarf gedeckt wird.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Und wann ist der Blick zu Ende?)


Wenn man das gut macht, nämlich durch eine ordentliche
Beratung von Ärztinnen und Ärzten, werden wir alleine
im Bereich der Me-too-Präparate ein Einsparvolumen in
Höhe von 1 Milliarde DM erzielen. Das haben mir erst
diese Woche einige KV-Vorsitzende bestätigt.

Wir sorgen ferner mit dem Gesetzentwurf über die
Festbeträge im Arzneimittelbereich, der sich auch in der
Beratung befindet, dafür, dass die Preise nicht überborden
und die Krankenversicherungen durch die Reduzierung
der Preise auch einen Teil bekommen. Wir haben es
durchgesetzt; es wird die Festbeträge geben. Es werden
verloren geglaubte Mittel eingestellt. Letztendlich wird
auch die Positivliste, die Sie nicht mögen, was uns be-
kannt ist, vor allem die Qualität verbessern. Wenn Sie auf-
merksam lesen, wie sich die Ärzteschaft dazu verhält,
dann wissen Sie, dass die Ärzte darauf warten, dieses qua-
litätssichernde Instrument für ihre Arbeit zur Verfügung
zu bekommen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Qualität bekomme ich über die Zulassung und nicht über eine zusätzliche Liste!)


Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung ist es mei-
ner Meinung nach absolut unangemessen, nun mit Hektik
zu reagieren.


(Lachen bei der CDU/CSU –Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Panik wäre der bessere Begriff!)


Was dabei herauskommt, wenn man mit Hektik reagiert,
sollten Sie doch noch wissen. Sie haben im Reha-Bereich
von heute auf morgen Kürzungen in Milliardenhöhe vor-
genommen und damit ganze Ortschaften im Kur- und
Reha-Bereich ruiniert. Sie haben damals Menschen in die
Arbeitslosigkeit getrieben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir sind ja in die Nachkriegszeit zurückgeworfen worden!)


Was Sie damals nicht erreicht haben, ist Folgendes: Sie
haben keine Verbesserung der Struktur erzielt. Aber die
strukturellen Veränderungen sind doch das Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was jetzt kurzfristig an Maßnahmen ergriffen
werden kann, ist in Vorbereitung; das ist geplant. Dazu
gehören die Neuordnung im Arzneimittelbereich, die
Festbeträge, aber auch der Risikostrukturausgleich, der
dazu beitragen wird, dass Patienten besser versorgt und
Lasten zwischen den Kassen besser ausgeglichen werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Bisher haben Sie denen die Leistungen vorenthalten und sie müssen trotzdem mehr bezahlen!)


Langfristige Konzepte, wie wir sie haben, müssen aus-
gewogen sein und die Beteiligten einbeziehen. Es wird
auch sehr wichtig sein, das in einem Gesamtkonsens zu
sehen: die Versorgung kranker Menschen, aber auch die
Kalkulierbarkeit der im Gesundheitswesen vorhandenen
Arbeitsplätze.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie haben doch angeblich eine großartige Reform gemacht! Das verstehe ich gar nicht!)


Was Sie uns damals vorgemacht haben, war uns eine
absolute Lehre. Wir werden nicht mit Schnellschüssen Ar-
beitslosigkeit produzieren, wie Sie es getan haben, son-
dern wir werden sehr konsequent arbeiten. Auf dem Bo-
den der solidarischen Krankenversicherung wird es in
Zukunft um mehr Qualität – denn daran mangelt es uns –
und um mehr Effizienz in dem gesamten Bereich gehen.
Wenn wir das hinbekommen haben, dann haben wir ein
ganzes Stück Wirtschaftlichkeit erzielt und die Zukunfts-
sicherung unseres Systems gestärkt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417908700
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1417908800
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wenn man Sie von der Regierungs-
koalition so hört, hat man den Eindruck, sie machen eine
tolle Politik. Eigentlich hätte die Ministerin heute eine Re-
gierungserklärung abgeben müssen


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

angesichts der Tatsache, dass die Beiträge nicht nur von
der einen oder anderen Krankenkasse, sondern – wie wir
sehen werden – in den nächsten Wochen und Monaten ge-
nerell erhöht werden. Die Ankündigungen stehen im
Raum. Also: Die Charmeoffensive der Ministerin ist zu-
sammengebrochen.

Man muss eindeutig feststellen: Man kann ihr nicht al-
les ankreiden; vieles muss man der Vorgängerin, den Grü-
nen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber das war nicht die Vorgängerregierung!)


ankreiden, weil sie keine vernünftige Reform eingeleitet
haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
17598


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn ich jetzt, in dieser aktuellen Situation, die Vor-
schläge der Grünen höre, dann kann ich nur staunen, dass
sie dies nicht organisiert haben, als sie die Ministerin ge-
stellt haben.

Auch jetzt wird nur hier und da an den Schrauben ge-
dreht und das hilft unserem Gesundheitssystem nicht. Die
Ministerin müsste eigentlich eine echte Reform auf den
Weg bringen. Das aber, meine Damen und Herren, kön-
nen Sie nicht, dafür sind Sie viel zu kraftlos, und das wol-
len Sie anscheinend auch nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlef Parr [F.D.P.]: Feige! – Widerspruch bei der SPD)


Sie sollten sich einmal Folgendes anhören: Wenn das
Kanzleramt jetzt eine Konzeption erarbeitet, in der zwi-
schen Regel- und Wahlleistungen unterschieden wird, er-
tönt ein großer Aufschrei: „Da tut sich nichts!“ Wir in
Rheinland-Pfalz dagegen haben mit der SPD in der Koa-
litionsvereinbarung für den Bereich der Gesundheitspoli-
tik definiert – ich war dabei! –:


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Da kann man einmal sehen, was daraus geworden ist!)


In Zukunft wird es gewisse Bereiche geben, die solida-
risch finanziert werden.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Richtig!)

Daneben aber wird es auch einen Bereich geben, der vom
Arbeitnehmer allein finanziert wird.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Auch richtig!)

Eine solche Regelung unterschreibt in Rheinland-Pfalz
Ministerpräsident Beck.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie das einmal wiederholen, Herr Thomae?)


Und angesichts dessen wollen Sie uns erzählen, das sei
kein Thema, eine solche Diskussion gebe es nicht? Nein,
Sie sind zu feige, dem Bürger zu sagen, wohin der Zug geht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist unangenehm, aber es wird so kommen. Ich sage
für die F.D.P.: Wir wollen in diese Richtung gehen, aber
wir wollen gleichzeitig – das betone ich – eine vernünf-
tige Steuerreform, durch die der Bürger entlastet wird, da-
mit er auch finanziell in der Lage ist, sich für diese Wahl-
oder Zusatztarife zu entscheiden. Das sind zwei Punkte,
die zusammengehören.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dann hören wir, die Ministerin wolle einiges verän-

dern, der Traum vom Mindestbeitrag werde nicht Realität –
und dennoch geht das Gesetz zum Risokostrukturaus-
gleich auf den Weg. Wenn dies der Fall sein sollte, wer-
den die Ausgleichsmechanismen dafür sorgen, dass wir
fast bei der Einheitsversicherung landen.


(Detlef Parr [F.D.P.]: So ist es!)

Von einem Wettbewerb kann überhaupt nicht mehr die
Rede sein.


(Beifall bei der F.D.P.)


Schauen Sie sich einmal an, wie schizophren das mit Ih-
rer Gesetzgebung ist. Wir sind alle für ein vernünftiges Di-
sease Management. Meinen Sie tatsächlich, das sei ein
vernünftig organisiertes System, wenn der Präsident des
Bundesversicherungsamtes sagt, er brauche mindestens 70
bis 90 neue Mitarbeiter, um allein das Disease-Manage-
ment-Programm für die bundesweiten Kassen zu überwa-
chen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, so werden Arbeitsplätze bei ihnen geschaffen!)


Das ist Bürokratie hoch zwei.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich rede doch gar nicht davon, was Sie in den einzelnen
Ländern machen. Sie müssen den Apparat weiter aus-
bauen, um solche Disease-Management-Programme or-
ganisieren zu können. Sagen Sie einmal: Warum wollen
Sie immer stärker zur Bürokratie, zur Planwirtschaft über-
gehen? Geben Sie doch den Versicherungen die Chance
einer vernünftigen Vertragsfreiheit, um Wettbewerb dort
zu etablieren, wo es sinnvoll ist!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich füge hinzu: Die sozial Schwachen müssen geschützt
werden. Darüber kann es überhaupt keine Diskussion ge-
ben. Aber dort, wo es sinnvoll ist, muss Wettbewerb ein-
geführt werden. Das tun Sie nicht!


(Beifall bei der F.D.P.)

Von daher stelle ich fest: Wir werden Ihre Gesetzge-

bung, die jetzt auf den Weg gebracht wird, nicht unter-
stützen können. Legen Sie noch in dieser Wahlperiode ein
Gesamtkonzept auf den Tisch! Dann können wir mitei-
nander diskutieren. Dann wissen wir, was Sie wirklich
wollen. Sie selber wissen es bisher nicht. Wenn Sie kein
Konzept auf den Weg bringen und wenn Sie den Bürgern
nicht die Wahrheit sagen, werden Sie mit Ihrer Gesund-
heitspolitik scheitern. Heute stehen wir vor dem Chaos
Ihrer Politik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417908900
Herr Kol-
lege Thomae, Sie haben Ihr Redemanuskript vergessen.
Oder wollten Sie es für Ihre Nachfolgerin liegen lassen?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir haben die Rede nicht vergessen! Die war gut!)


Ich gebe jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Thomae, es hätte keine Gefahr bestanden; ich hätte
Ihr Redemanuskript nicht verwendet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wäre ein Highlight gewesen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wäre die Steigerung gewesen!)





Dr. Dieter Thomae

17599


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies hätte ich auch deshalb nicht getan, weil ich glaube,
dass der Charme, den Sie in Richtung Wettbewerb ausge-
streut haben, vor allen Dingen eines ist: das Aus für die
Solidarität, und zwar zulasten der sozial Schwachen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach, hören Sie doch auf!)


Denn die F.D.P.-Position ist nichts anderes als Freiheit
ohne Verantwortung. Das wird mit dieser Bundesregie-
rung nicht zu machen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Schauen wir uns die Situation einmal realistisch an:

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hören Sie auf!)


Wenn wir schon über die Lohnnebenkosten sprechen – Sie
wissen, dass das für uns und für die Bundesregierung nach
wie vor ein zentrales Thema ist –, dann würde ich gerne
einmal in das Jahr 1998 und in die Jahre davor zurück-
schauen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Vor allen Dingen 1993 bis 1998!)


Wenn Sie sich die Kurven der Beitragsentwicklung in der
gesetzlichen Krankenversicherung ansehen, dann stellen
Sie fest, dass die Beiträge bis zum Jahr 1998 angestiegen
sind


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eindeutig falsch! Gedächtnislücke! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ein Witz! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


und dass erst durch die Übernahme der Regierung durch
Rot-Grün Stabilität erreicht werden konnte. Die Stabilität
der Beitragssätze ab dem Jahr 1998 ist für die Politik, die
wir in dieser Regierung gemacht haben, ganz zentral ge-
wesen. Das ist ein Erfolg für Rot-Grün und ein Erfolg der
damaligen Ministerin Fischer. Herr Lohmann, wir können
uns gut daran erinnern, wie Sie die Budgetpolitik der rot-
grünen Bundesregierung gegeißelt haben und wie Sie
Andrea Fischer dafür angegangen sind. Angesichts dessen
kann ich nicht verstehen, dass Sie, wenn wir einen ande-
ren Weg einzuschlagen versuchen, diese Politik genauso
geißeln. Sie sollten sich einmal ernsthaft entscheiden, wo
Sie überhaupt hinwollen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Es müssen doch Sinn und Ziel da sein! Nicht jeden Tag an einem neuen Schräubchen drehen!)


Schauen wir uns einmal die Situation in Deutschland
an: Wir haben weltweit die zweithöchsten Ausgaben im
Gesundheitssystem. Im Hinblick auf die Versorgung ha-
ben wir bei weitem noch nicht einen Standard erreicht, der
dies vermuten ließe. 10 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes fließen in die Gesundheitskosten.

Sie sollten den Menschen nichts vormachen. Natürlich
gibt es im Gesundheitssystem Einsparmöglichkeiten.
Wenn wir doppelt so oft geröntgt werden wie die anderen
Europäer, wenn wir einerseits viel mehr Pillen schlucken
und die Menschen trotzdem nicht gesünder sind und an-

dererseits beispielsweise im Bereich der Krebs- und der
Diabetestherapie Unterversorgung besteht, dann bedarf es
natürlich weiterer Strukturänderungen des Gesundheits-
systems.

Bei der Beantwortung der Frage, wie wir weitere Än-
derungen des Systems erzielen können, möchte ich Sie
bitten, sich einmal an die eigene Nase zu packen. Wer hat
denn die Gesundheitsreform 2000 im Bundesrat ge-
stoppt? Das waren die unionsregierten Länder.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wollen Sie behaupten, beim Globalbudget wäre es anders gewesen?)


Die haben verhindert, dass gerade im Krankenhausbereich
entsprechende Reformen angegangen werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die haben eine vernünftige Verzahnung des ambulanten
mit dem stationären Sektor verhindert. Die haben verhin-
dert, dass eine ganze Reihe von Vorschlägen, deren Um-
setzung wir für eine umfassende Strukturreform dringend
gebraucht hätten, umgesetzt worden ist.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nennen Sie ein Beispiel!)


Dafür tragen Sie die Verantwortung und sonst niemand!
So!


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: „So!“ Das ist gut so!)


– Ich glaube nicht, dass das gut so ist. Vielleicht gefällt Ih-
nen das. Ich denke aber, das wird die Qualität der Versor-
gung in Deutschland nicht verbessern und vor allem wei-
tere Auswirkungen auf die Beitragshöhe haben.

Was brauchen wir an weiteren Reformschritten und
was ist möglich, um die auf den Weg gebrachte Gesund-
heitsreform umzusetzen?


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Grünen haben doch gar keine Position!)


Ich sage Ja – und zwar ein ganz klares Ja – zur Wahlfrei-
heit für die Versicherten. Auf der anderen Seite aber muss
die medizinisch notwendige Versorgung solidarisch fi-
nanziert bleiben. Wir haben in dieser Woche im Ausschuss
über den Armutsbericht der Bundesregierung diskutiert
und übereinstimmend festgestellt, dass Arme in Deutsch-
land kränker sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nicht ablenken!)


Ergebnis einer Reform, die wir in weiteren Schritten an-
gehen müssen, darf nicht sein, dass Armut zu Krankheit
führt. Dafür steht, Herr Kollege Thomae, diese Koalition
nicht; dafür stehen Sie vielleicht mit Ihren Vorschlägen
für eine Grundversorgung, bei der das medizinisch Not-
wendige nicht für alle zur Verfügung steht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Armen müssen aber nichts dazuzahlen! Die Armen bekommen alles, ohne eine müde Mark!)





Katrin Göring-Eckardt
17600


(C)



(D)



(A)



(B)


Was brauchen wir weiter? Wir brauchen eine Positiv-
liste, die zur Transparenz in der Versorgung führt. Wir
brauchen eine Stärkung des Hausarztsystems, was Sie
gerne blockieren wollen, und wir brauchen ein ganzheit-
liche Versorgung, die ihre Schwerpunkte auf Zusammen-
arbeit im System – Vorsorge, Behandlung und Reha – legt.
Dafür sind Sie – gerade in den Ländern – in der Verant-
wortung. Wir brauchen ein System, das die Patienten zum
Mittelpunkt der Versorgung macht und auf Augenhöhe
mit den Leistungserbringern hebt.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die halten zu jedem Thema die gleiche Rede!)


Wenn Sie sich hier hinstellen und nach Ihrem Kon-
junkturprogramm im Umfang von 92 Milliarden DM, das
Sie nicht gegenfinanziert haben, auch noch Vorschläge
machen, die die Kosten im Gesundheitswesen weiter in
die Höhe treiben, ohne einen einzigen Beitrag zu Struk-
turveränderungen zu leisten,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie regieren doch! Jedenfalls noch!)


muss ich Ihnen sagen: Sie machen es sich zu einfach, und
zwar auf Kosten der Versicherten und Patienten. Das wer-
den wir nicht mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie machen es sich zu einfach!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417909000
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1417909100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Werter Kollege Lohmann, wer so tut, als
seien die Ursachen für die heutigen Beitragserhöhungen
erst in den letzten Monaten entstanden, belügt die Öffent-
lichkeit.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Seit 1998!)


Zur Wahrheit gehört: Sie sind das Ergebnis der Politik
von Jahren, und zwar einschließlich Ihrer Regierungszeit.
Es ist eigentlich völlig egal, wer regiert.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das könnte Ihnen so passen!)


Aufgabe einer vorausschauenden Gesundheitspolitik ist
es immer, solche Erhöhungen möglichst zu vermeiden,
denn sie treffen die Arbeitnehmer und Rentner ebenso wie
die Arbeitgeber.

Allerdings – das vergessen alle – darf man die Ge-
sundheitspolitik nicht isoliert betrachten. Gesundheitspo-
litik ist auch auf eine entsprechende Haushalts- und Fi-
nanzpolitik angewiesen. Beitragserhöhungen können
schon dadurch vermieden werden,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Indem man die Ökosteuer einführt!)


dass Regierung und Mehrheitsfraktionen dieses Hauses
die Einnahmen, die einzig und allein der gesetzlichen
Krankenversicherung zustehen, nicht ständig zweckent-
fremden,


(Beifall bei der PDS)

um unter eklatantem Missbrauch der Gesetzgebungskom-
petenz den Bundeshaushalt zu entlasten.

Am stärksten wirken sich die Folgen der Rentenreform
von 1993 aus. Damals wurden die Krankenversicherungs-
beiträge aus Lohnersatzleistungen auf 80 Prozent des
bisherigen Arbeitsentgeltes gesenkt. Die Kassen wiederum
müssen höhere Beiträge aus Krankengeld an andere Sozial-
versicherungsträger bezahlen. Seit 1996 belastet das die
GKV jährlich – ich betone: jährlich – mit rund 6 Milliar-
den DM. Gegen diese Politik der so genannten Verschiebe-
bahnhöfe haben SPD und Grüne bis 1998 gekämpft und für
jedermann hörbar eine Änderung gefordert. Kaum an der
Regierung, hatte auch Rot-Grün alles vergessen, und wir
erleben die gleichen Taschenspielertricks.

So mussten 1999 zunächst die Pflegekassen durch die
gesetzliche Begrenzung der Beiträge aus Arbeitslosen-
hilfe Einnahmeausfälle von rund 400 Millionen DM hin-
nehmen. Nur ein Jahr später erfolgte der Zugriff auf die
Versichertenbeiträge der GKV. Seitdem fehlen bei der
GKVweitere 1,2Milliarden DM jährlich. Dafür haben Fi-
nanzminister Eichel und Arbeitsminister Riester ihre
Haushalte erfolgreich entlastet. Es gibt noch weitere Ent-
scheidungen von Regierung und Koalition mit ähnlicher
Wirkung, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht eingehen
kann.

Meine Damen und Herren – und hiermit meine ich alle
in diesem Hohen Hause –, eines finde ich unglaublich
mies: Auf der einen Seite wird der Öffentlichkeit eine
Kostenexplosion im Gesundheitswesen vorgegaukelt, die
es so eigentlich gar nicht gibt, und auf der anderen Seite
redet kaum jemand davon, dass dieser Beitragsklau seit
Mitte der 90er-Jahre in der Summe den geradezu un-
glaublichen Umfang von über 50 Milliarden DM ange-
nommen hat.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern, endlich diese verantwortungslose Politik

zu beenden und der Versichertengemeinschaft das will-
kürlich abgezweigte Geld Schritt für Schritt zurückzuge-
ben. Denn sein legitimer Verwendungszweck besteht ein-
zig und allein in der gesundheitlichen Versorgung der
Versicherten.

Meine Damen und Herren von der Koalition, niemand
von uns leugnet, dass der Abbau bestehender Unwirt-
schaftlichkeiten im Gesundheitswesen eine ständige und
wichtige Aufgabe ist. Auch wir sagen: Niemand hat das
Recht, die Versichertengelder unnötig auszugeben oder
gar zu verschwenden. Allerdings hat die Gesundheitsre-
form 2000 erneut gezeigt, dass ein solches Vorhaben Zeit
benötigt und nicht im ständigen Konflikt bewältigt wer-
den kann.

Das Bestreben, die Einnahmeseite der GKVzu stärken,
dürfen Sie aus Ihrer Politik nicht herauslassen. Dafür gibt
es noch weitere Instrumente, und zwar außerhalb von




Katrin Göring-Eckardt

17601


(C)



(D)



(A)



(B)


Zuzahlung oder Wahlleistung. Dies nämlich sind Instru-
mente, die beide zusätzlich privat, ohne Arbeitgeberan-
teil, von den Versicherten getragen werden müssen.
Vorschläge, wie das strikt am Solidargedanken orien-
tiert geschehen kann, liegen seit langem auf dem Tisch;
von uns genauso wie von Ihnen seinerzeit in der Oppo-
sition.

Jetzt sind Sie als Regierung gefordert, nicht nur verbale
Versprechen abzugeben. Notwendig ist eine gezielte Stär-
kung der Solidargemeinschaft. Damit würde auch den
Oppositionsparteien auf der rechten Seite des Hauses
eine – wie die heutige Debatte zeigt – äußerst demago-
gisch gehandhabte Angriffsmöglichkeit genommen.

Eines muss noch gesagt werden: Das Auftreten der
Union ist unverfroren, um nicht zu sagen: heuchlerisch.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Frau Dr. Fuchs, jetzt aber Vorsicht! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und das von der PDS!)


Erstens ist sie für die heutige Situation mitverantwortlich
und zweitens werden ihre Rezepte für ein zunehmend
marktgesteuertes Gesundheitswesen noch viel teurer –
siehe USA.


(Beifall bei der PDS)

Die Gesamtbelastung der Menschen, die dann aus gesetz-
lichen und privaten Beiträgen besteht, würde noch viel
größer werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Also Enteignung! Vergesellschaftung!)


Ich denke, die jetzigen Beitragserhöhungen sind für die
Union nicht mehr und nicht weniger als ein gefundener
Anlass, um davon abzulenken, dass sie eigentlich über
keine eigene und schon gar nicht über eine an den Inte-
ressen der Menschen orientierte Gesundheitspolitik ver-
fügt.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Doch! Wir haben ein Konzept!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417909200
Ich erteile
dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Fraktion der
SPD das Wort.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1417909300
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung punk-
tueller Beitragssatzerhöhungen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Punktuell?)

fordert uns als Sozialdemokraten natürlich auch heraus.
Es ist nicht so, dass wir diese Herausforderung nicht se-
hen. Wenn ich mir aber die Behandlungskonzepte der Op-
position, und zwar vor allem der CDU/CSU und der
F.D.P., anschaue,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gut, oder?)


kann ich nur feststellen: falsche Diagnose und falsches
Rezept. Man könnte fast meinen, es wäre ganz gut, Ihnen
einmal ein Qualitätssicherungsprogramm zu empfehlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die Onkel-Dagobert-Methode, nämlich immer mehr
Geld ins Gesundheitssystem zu stecken, führt nicht zu
dem gewünschten Erfolg. Es ist das falsche Konzept.
Denn mehr Geld macht nicht gesünder. Dies sieht man da-
ran, dass wir mit unseren Gesamtausgaben, gemessen am
Bruttosozialprodukt, in Europa an der Spitze stehen. Ich
denke, wir können den Menschen in Deutschland nicht
mehr zumuten, noch mehr Geld auszugeben, aber weni-
ger Leistungen dafür zu erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist doch das Thema heute!)


Wir müssen umgekehrt Verantwortung für das Versi-
chertengeld und die Beiträge übernehmen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das habt ihr doch seit drei Jahren!)


Wir müssen sorgfältig und erfolgsorientiert damit umge-
hen.

Wie eine solche Erfolgsorientierung aussehen kann,
wird doch am besten anhand der Feststellungen des Sach-
verständigenrats sichtbar. Professor Wille hat das ja sehr
schön bildlich dargestellt: Wir bezahlen in Deutschland
im Gesundheitswesen für einen 500er-Mercedes und be-
kommen als Gegenleistung einen 200er.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war nicht Wille, sondern Lauterbach! Das war euer Berater!)


– Nein!
Genau diese Diskrepanz werden wir angehen müssen;

denn das ist das Problem, das uns letztlich herausfordert.
Wo wir stehen, sehen wir doch an den Leistungen: Dies-
bezüglich sind wir in Europa überall Mittelfeld, sei es ge-
messen an der Lebenserwartung, den Sterblichkeitsraten,
den Krebserkrankungen, den Herzinfarkten, den Kreis-
lauferkrankungen.

Es geht also nicht mehr darum, mehr Geld in das Sys-
tem zu geben, sondern es geht darum, dafür zu sorgen,
dass wir über ein entsprechendes Qualitätsmanagement
die entscheidende Leistungsverbesserung erreichen.

Wir müssen auch deutlich sehen: Wenn wir Grund- und
Wahlleistungen vornehmen und den Menschen mehr Geld
abnehmen, so bedeutet dies eine Zementierung der über-
kommenen Strukturen, aber keine echte Reform.


(Beifall bei der SPD)

Ich will an einem Beispiel darlegen, dass es momentan

nicht an den Maßnahmen hängt, sondern an der Ge-
schwindigkeit. Sie von der Opposition könnten natürlich
sehr viel dazu beitragen, die Geschwindigkeit der Re-
formgesetze und deren Umsetzung zu erhöhen, sodass die




Dr. Ruth Fuchs
17602


(C)



(D)



(A)



(B)


Krankenkassen die Entlastungsmomente zeitnah erfah-
ren, und damit eine Erhöhung der Beträge vermieden
wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Gucken wir uns das am Beispiel der Arzneimittel an: In

dieser Woche haben wir in der Anhörung zu Zielverein-
barungen neuer Lösungen anstelle von Budgets die Vor-
stellungen der Wissenschaftler gehört: Wir könnten in
Deutschland durch den Einsatz von Analogpräparaten
selbst unter Berücksichtigung des Substitutionseffektes
1,8 Milliarden DM einsparen. Die Ärzteschaft will – so
haben wir es gehört – entschlossen daran mitwirken, dass
wir diesen Einsparungseffekt erzielen.

Wir haben mit dem Gesetzentwurf zu den Festbeträgen
für Arzneimittel die Chance, mindestens 650 Milli-
onen DM zu sparen und das Ganze effektiver zu gestalten.
Mit der Positivliste werden wir nicht nur nachhaltig die
Qualität in Deutschland verbessern,


(Zuruf von der CDU/CSU)

sondern auch wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen.

Wenn man das zusammen nimmt, stehen rund 4 Milli-
arden DM zusätzlich zur Verfügung,


(Zuruf von der F.D.P.: Warte mal ab!)

die, wirtschaftlich eingesetzt, zu einer Versorgung führen,
die dem Patienten ein Mehr an Qualität und Effizienz ga-
rantiert. Das ist, glaube ich, der Weg, auf den wir uns be-
geben müssen. Da halte ich es mit Professor Schwartz,
dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats: „Das deut-
sche Gesundheitswesen kann mehr, als es leistet.“ Wir
müssen auf Leistung achten, auf Leistung im gesamten
Gesundheitswesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417909400
Für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Horst Seehofer das
Wort.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1417909500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche Gesund-
heitswesen befindet sich in einer Krise und die Verant-
wortung dafür trägt allein


(Zuruf von der SPD: Herr Seehofer!)

die Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das sagt ausgerechnet der Seehofer!)


Drei Kardinalfehler haben zu dieser Lage geführt. Ers-
ter Kardinalfehler: Sie haben die gesetzliche Krankenver-
sicherung 1998 in einer guten Verfassung übernommen,
mit Milliardenüberschüssen in den Jahren 1997 und 1998.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Der Versicherungsbeitrag in der gesetzlichen Kranken-
versicherung ist zwischen dem 1. Januar 1993 und dem
Ende unserer Regierungszeit im September 1998 unver-
ändert geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Wenn Sie nicht unsere Gesundheitsreform zunächst im
Wahlkampf attackiert und dann nach der Wahl in ihren
Kernelementen zurückgenommen hätten, hätten Sie jetzt
nicht die Probleme im deutschen Gesundheitswesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweiter Kardinalfehler: Mit großem Pomp wurde die

Gesundheitsreform 2000 angekündigt – im einen Teil
rückwärts gewandt, im anderen Teil wirkungslos. Die Re-
form war rückwärts gewandt, weil Sie wieder auf die Bud-
gets gesetzt haben. Sie müssen jetzt unter dem Druck der
Verhältnisse – weil die chronisch Kranken die notwendige
medizinische Versorgung nicht mehr bekommen – diese
Budgets Stück für Stück aufgeben. Sie sind mit dieser
Budgetpolitik völlig gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Alle anderen Kernelemente der Gesundheitsreform

2000 – das war die Reform mit Pleiten, Pech und Pannen,
über die wir hier im Deutschen Bundestag in einer Fas-
sung abgestimmt haben, die gar nicht dem Willen der Re-
gierung entsprach,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Weil die Seiten fehlten!)


weil die Seiten in der Nacht ausgewechselt wurden –

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Murks war das!)

sind wirkungslos geblieben, waren Makulatur.

Das Einzige, was jetzt noch in der Selbstverwaltung
vollzogen wird, sind die Fallpauschalen bei den Kranken-
häusern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das geht auch daneben!)


Frau Schmidt, ich prophezeie Ihnen, dass das Datum
1. Januar 2003 für die Einführung der Fallpauschalen
nicht zu halten sein wird und dass Sie noch in dieser Le-
gislaturperiode den Termin verändern werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Den dritten Kardinalfehler haben Sie, Frau Schmidt,

persönlich zu verantworten, weil Sie ihn gemacht haben.
Sie haben sich zu Beginn Ihrer Amtszeit in völliger Ver-
kennung der realen Lage entschieden, eine Gesundheits-
reform erst nach der Bundestagswahl zu machen. Auch
heute haben Sie wieder geäußert, man brauche Zeit. Man
brauche Zeit bis zum Jahre 2003.

Man muss sich einmal vorstellen, wie ein Mittelständ-
ler, ein Handwerker, ein Arbeitnehmer darauf reagiert,
wenn jemand fast drei Jahre an der Regierung ist und
nichts getan hat, sondern nur Schaden angerichtet hat und
dann zur Reparatur des Schadens sagt: Ich brauche noch




Horst Schmidbauer (Nürnberg)


17603


(C)



(D)



(A)



(B)


zwei Jahre. Meine Damen und Herren, das ist der Inbe-
griff der Unfähigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Seehofer, Sie waren für dieses Chaos verantwortlich! Totengräber des Gesundheitswesens! – Regina SchmidtZadel [SPD]: Er hat dieses Chaos hinterlassen!)


Nicht Frau Schmidt, die ein halbes Jahr im Amt ist,
sondern Sie, Rot-Grün, sind in Ihrer Gesundheitspolitik
auf der ganzen Linie gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Sie sind gescheitert – bei der Bundestagswahl!)


Was wir brauchen, ist ein völliger Neuanfang in der Ge-
sundheitspolitik.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Ausgerechnet Sie! Gescheiterter Minister!)


Ich fordere Sie auf, noch vor der Sommerpause ein So-
fortprogramm vorzulegen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie sind doch zu schwach!)


weil sonst die Flut von Beitragserhöhungen nicht zu stop-
pen ist. Wir stehen auch für Sondersitzungen in der Som-
merpause zur Verfügung, wenn das Zeitargument kom-
men sollte. Dieses Sofortprogramm muss drei Elemente
beinhalten:

Erstens. Wir brauchen in der Tat mehr Qualität im deut-
schen Gesundheitswesen. Das heißt, wir müssen die Me-
dizinerausbildung reformieren. Frau Schmidt, sorgen Sie
deshalb dafür, dass die von uns bereits erarbeitete Appro-
bationsordnung für Ärzte, die im Bundesrat liegt, verab-
schiedet wird!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In dieser Angelegenheit ist in den zweieinhalb Jahren
nichts geschehen. Sie hat im Bundesrat geschlummert.
Qualität ist nicht nur für die Patienten von Nutzen. Viel-
mehr führt Qualität im Gesundheitswesen auch zu mehr
Wirtschaftlichkeit.

Zweitens. Befreien Sie die Beteiligten im Gesund-
heitswesen von all den Fesseln der Reglementierung und
der Listenmedizin! Die Positivliste, von der wir hier jah-
relang gehört haben, hat keinen positiven Effekt. Jetzt
wird sie als Mittel zur Lösung der Probleme in der ge-
setzlichen Krankenversicherung angeboten.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Schwachsinn!)

Befreien Sie die Beteiligten von den Budgets! Geben

Sie Ärzten, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen und Pati-
enten die Freiheit, vor Ort mit Verträgen, mit Organisati-
onsmodellen die bestmögliche Form der Versorgung un-
serer Patienten zu finden! Nicht Budgets, sondern Freiheit
ist die Antwort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Drittens: mehr Selbstbestimmungsrecht für die Patien-

ten. Sie sollen in Zukunft selber über die Höhe ihrer

Beiträge und über den Leistungsumfang entscheiden kön-
nen. Nicht die Funktionäre im Gesundheitswesen müssen
gestärkt werden, sondern die Patienten und die Versicher-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie, die Sie das alles noch weit wegschieben, werden

erleben, dass die Realität Sie überholt.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie werden es machen müssen!)

Ich prophezeie Ihnen:


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Jetzt kommt’s!)


Spätestens nach dem Befehl aus dem Kanzleramt fallen
Sie wie Dominosteine um.


(Susanne Kastner [SPD]: Machen Sie sich mal über uns keine Gedanken!)


Sie werden schweigend – wie SPD und Grüne in den letz-
ten Jahren in vielen Fällen ihre Seele verkauft haben – die
Befehle des Kanzleramtes erfüllen.

Frau Schmidt, handeln Sie jetzt! Sonst werden Sie per-
sönlich verantwortlich für das, was in den nächsten Mo-
naten in der Krankenversicherung geschieht.


(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417909600
Ich erteile
das Wort nunmehr der Bundesministerin für Gesundheit,
der Kollegin Ulla Schmidt.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1417909700
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol-
lege Seehofer, ich habe den Vorteil, dass ich ein Ministe-
rium übernommen habe, das Sie einmal geleitet haben,
und daher stehen mir alle Zahlen aus Ihrer Amtszeit zur
Verfügung. Sie und Herr Kollege Lohmann haben gerade
behauptet, dass die Krankenkassen Milliardenüber-
schüsse aufgewiesen hätten


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: 1,1 Milliarden DM!)


und dass Beitragsstabilität geherrscht hätte.

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU])

Ich möchte Sie einmal mit folgenden Zahlen konfrontie-
ren: In der Zeit von Horst Seehofer stieg der durch-
schnittliche allgemeine Beitragssatz von 12,3 Prozent auf
13,6 Prozent.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: 1993, da ging es um die Reform, die wir gemeinsam gemacht haben! Statistikmanipulation!)


Die jetzige Bundesregierung hat seit 1998, als wir die Re-
gierung übernommen haben, dafür gesorgt, dass sich der
durchschnittliche Beitragssatz bei 13,6 Prozent stabili-




Horst Seehofer
17604


(C)



(D)



(A)



(B)


siert hat. Herr Kollege Seehofer, die Erhöhungen bis 1998
gehen zu Ihren Lasten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Weitere Zuzahlungen!)


Zu Ihrer Behauptung, dass die Krankenkassen Milliar-
denüberschüsse aufgewiesen hätten, bevor wir die Regie-
rung übernommen haben, möchte ich Folgendes sagen:
Die AOK Hessen oder die AOK Baden-Württemberg zum
Beispiel befinden sich schon seit 1996/97 in einer
prekären Finanzsituation. Sie haben immer wieder ver-
sucht, die Aufsichtsbehörden hinzuhalten, und zwar er-
folgreich; denn die Aufsichtsbehörden sind selbst dann
nicht eingeschritten, als diese Krankenkassen ein Minus
aufwiesen und nicht mehr über die gesetzlich festgelegte
Mindestreserve verfügten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem Beitragserhöhungen

unumgänglich sind. Damit die Zahlen, über die wir reden,
relativiert werden, möchte ich Folgendes sagen: Selbst-
verständlich muss es uns Sorgen machen, wenn die Bei-
tragssätze der Krankenkassen ansteigen. Aber alles, was
derzeit angekündigt ist bzw. bereits beschlossen worden
ist, macht bundesweit nicht einmal 0,09 Prozent aus. Des-
halb bitte ich, die Zahlen genau anzuschauen, über die wir
hier reden, und nicht so zu tun, wie es einer Ihrer Kolle-
gen gemacht hat, als würden die Beitragssätze der Kran-
kenkassen um 5 Prozent in den nächsten Jahren ansteigen.
Die bisherigen Planungen würden nicht einmal einen An-
stieg der Beitragssätze um 0,1 Prozent rechtfertigen. Ur-
sache ist also nicht, dass man mit der Gesundheitsreform
bis 2003 wartet. Sie wissen doch ganz genau, dass eine
Menge an Schritten notwendig ist, um eine Gesundheits-
reform durchzuführen.

Ich möchte jetzt auf das Arznei- und Heilmittelbudget
zu sprechen kommen. Die Ausgaben im Arzneimittelbe-
reich sind von 1993 bis 1999 – das betrifft noch Ihre Re-
gierungszeit – um 41 Prozent gestiegen, und zwar trotz
Budget und Kollektivregress.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen doch, dass es dort Einsparpotenziale gibt. Ich
habe deswegen in der vorigen Woche eine Neuordnung
des Arznei- und Heilmittelbudgets auf den Weg gebracht;
denn ich bin der Meinung, dass eine Deckelung allein
nichts bringt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war doch die ganze Politik!)


– Das war Ihre Politik und wir haben sie fortgesetzt. Aber
man muss auch aus Fehlern lernen.

Es stimmt zwar, dass die Zahl der Verschreibungen
zurückgeht. Aber offensichtlich sind die Ärztinnen und
Ärzte falsch beraten, weil sie viel zu wenig Analogpro-
dukte verschreiben. Ich bin ja dafür, dass die Patientinnen
und Patienten wirklich innovative Arzneimittel erhalten
und dass diese dann bezahlt werden. Aber immer dann,
wenn es analoge Präparate gibt, die wirkstoff- und wir-
kungsgleich sind, müssen die Patientinnen und Patienten
– das kann man verlangen – die günstigeren Medikamente
nehmen. Die Krankenkassen werden dann keine anderen

Präparate bezahlen müssen. Die AOK Berlin, die große
Probleme im Arznei- und Heilmittelbereich hat, hat heute
mit der KV Berlin den ersten Vertrag auf der Grundlage
dieser Vereinbarung geschlossen und hat versprochen:
Wir werden die Ärztinnen und Ärzte schon in diesem Jahr
– im Vorgriff auf das im nächsten Jahr geltende Gesetz –
beraten. Wir werden die Ärzte persönlich haftbar machen,
wenn sie die Wirtschaftlichkeitsreserven nicht ausschöp-
fen. Wir wollen allgemein über Arzneimittel und darüber
informieren, welche Analogpräparate und gleichwertigen
Billigprodukte es gibt. Wir informieren über wirkliche In-
novationen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssen die Beiträge sinken statt steigen!)


Es wird folgendes Anreizsystem geschaffen: Diejeni-
gen, denen es gelingt, die Kosten der verschriebenen Arz-
neimittel unter Einhaltung der Versorgungsziele Wirt-
schaftlichkeit und Qualität zu reduzieren, erhalten einen
Bonus.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das wurde bisher als „unethisch“ bezeichnet! Auf einmal!)


– Das ist nicht unethisch, Herr Kollege.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn ihr es vorschlagt, ist es nicht unethisch!)

– Herr Kollege, schreien Sie nicht so!

Der sozialmedizinische Berater der AOK, Dr. Peter
Schwoerer,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Er war früher mal bei der Kassenärztlichen Vereinigung!)


er hat entsprechende Beratungen bereits durchgeführt
– jeder weiß, was er im Arzneimittelbereich in Südbaden
gemacht hat –, hat gesagt, die Patienten könnten ohne
Einbußen und bei gleicher oder sogar besserer Therapie-
qualität versorgt werden. Wir werden Einsparungen vor-
nehmen und wir werden die Einsparpotenziale in Milliar-
denhöhe, die auf dem Gebiet der Analogpräparate
vorhanden sind, nutzen.

Ich weiß, dass derzeit Pressekonferenzen stattfinden,
auf denen die Ärzte zum Ausdruck bringen, dass sie die
Freiheit der Verhandlung wollen und dass sie selbst mit
dafür sorgen werden, dass die Ärztinnen und Ärzte in die
Pflicht genommen werden, damit es zu Fortschritten
kommt.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hätte schon früher geschehen können! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Unser Gesetz hat das alles gewährleistet!)


Herr Kollege Seehofer hat die chronisch Kranken an-
gesprochen. Wir werden nachher den Risikostrukturaus-
gleich beraten. Das Kernstück unserer Änderung des Ri-
sikostrukturausgleichs ist, dass endlich ein Wettbewerb
um die bestmögliche Versorgung der Patienten stattfinden
kann


(Beifall bei der SPD)





Bundesministerin Ulla Schmidt

17605


(C)



(D)



(A)



(B)


und dass die bestmögliche Versorgung von chronisch
kranken Menschen Einsparpotenziale in der gesetzlichen
Krankenkasse mit sich bringt. Durch den von uns be-
schrittenen Weg fühlen sich die Menschen nicht nur bes-
ser, weil wir die Versorgung Multimorbider verbessern,
vielmehr sinken auch die Kosten um bis zu 30 Prozent.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diesen Weg können Sie mitgehen. Das, was wir machen,
ist etwas anderes als das, was Sie gemacht haben, Herr
Kollege Seehofer. Sie haben die gesetzliche Krankenkasse
dadurch zu sanieren versucht, dass Sie den chronisch
Kranken immer mehr Belastungen und Zuzahlungen auf-
gebürdet haben, anstatt ihre Versorgung zu verbessern.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zurückgegangen sind sie!)


Ich komme – Sie haben das angesprochen – zur Medi-
zinerausbildung. Sie haben Recht: Die Elemente für mehr
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sind mehr Steue-
rung, Transparenz, mehr Freiheit in der Verhandlung – da
gebe ich Ihnen Recht – und eine Steigerung der Qualität.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ja ein F.D.P.-Programm!)


Um das Ziel der Qualitätssteigerung zu erreichen, brauchen
wir auch eine neue Approbationsordnung. Herr Kollege
Seehofer, Sie sind nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die SPD-Länder haben es verhindert!)


– Nein. – Die Vorlage zur Änderung der Approbations-
ordnung liegt beim Bundesrat. Ich habe mit den Vertretern
der Bundesländer, auch mit denen, die von Ihnen regiert
werden, verhandelt. Ich habe mit den Kultusministern der
Länder zusammengesessen


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die waren ja dafür!)


– nein, die Kultusminister waren nicht dafür, sondern die
Gesundheitsminister; das ist der Unterschied – und wir ha-
ben einen Kompromiss gefunden, den wir auf der Gesund-
heitsministerkonferenz letzte Woche beschlossen haben.
Dieser Kompromiss – ihm haben sich auch die
Vertreter der Kultusministerien der B-Länder angeschlos-
sen – wird dazu führen, dass die Änderung der Approbati-
onsordnung auf den Weg kommt. Ich lade Sie zu unserer
großen Veranstaltung am Montag in Berlin ein. Wir werden
unser Ziel hoffentlich bis zum Ende der Legislaturperiode
erreicht haben. Es geht darum, dass diejenigen Ärzte, die
die Wirtschaftlichkeitsreserven in zehn Jahren erschließen
sollen, heute dementsprechend ausgebildet werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Der Kanzler wird sich freuen, was Sie alles versprochen haben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417909800
Ich gebe
nunmehr dem Kollegen Ulf Fink für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.

Ulf Fink (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, an
den Tatsachen führt kein Weg vorbei: Die Menschen müs-
sen für das Gesundheitswesen heute drastisch mehr be-
zahlen und bekommen weniger Leistung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)


Das Schlimme daran ist, dass kein Konzept der Regierung
erkennbar ist, wie dem Einhalt geboten werden soll.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Wahr ist auch, dass es entgegen den Aussagen, die Sie

im Wahlkampf 1998 gemacht haben – Sie sagten, dass Sie
sich für eine sozialgerechte Gesundheitspolitik einsetzen
wollen –, dazu gekommen ist, dass unter Ihrer Verant-
wortung zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland für die Menschen der Begriff „Zwei-
klassenmedizin“ grausame Wirklichkeit geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Krebskranke Menschen haben wegen des Arzneimit-
telbudgets die notwendigen Lymphdrainagen nicht be-
kommen. Diabeteskranke haben die Teststreifen nicht
mehr bekommen.


(Widerspruch bei der SPD)

Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen worden
sind und auf ein bestimmtes Medikament eingestellt wa-
ren, sind in ambulanter Praxis diese Medikamente ver-
weigert worden. Wahrheit ist weiterhin, dass moderne
Medikamente nicht mehr verschrieben worden sind, weil
sie teurer als konventionelle Medikamente waren. Dies
gilt insbesondere für Medikamente bei Schizophrenie,
Epilepsie und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dazu ist es
unter Ihrer Regierungsverantwortung gekommen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Haben Sie gehört, was die Krankenkassen dazu gesagt haben? Gerade bei psychisch Kranken!)


Wenn Sie gegen die maßvollen Selbstbeteiligungsele-
mente, die wir eingeführt haben, polemisieren, dann sage
ich Ihnen: Die von Ihnen eingeführte Budgetierung ist die
brutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich über-
haupt vorstellen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Von der CDU/CSU eingeführt!)


Es gibt keine Härtefallklausel und keine Überforderungs-
klausel, sondern die Menschen müssen unabhängig von
der Höhe ihres Einkommens die gesamten Kosten für Me-
dikamente übernehmen, weil es keine entsprechende
Regelung gibt. Das ist soziale Ungerechtigkeit bis zum
geht nicht mehr. Dafür sind Sie verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Bundesministerin Ulla Schmidt
17606


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage Ihnen noch ein Weiteres: Das deutsche Ge-
sundheitswesen, das in der Welt einen guten Klang hat, ist
ein Weg zwischen Staat und Markt. Die Frage ist: In wel-
che Richtung soll man ein solches Gesundheitswesen
weiterentwickeln, in Richtung auf mehr Markt oder in
Richtung auf mehr Staat? – Wir haben im Jahre 1998
maßvolle zusätzliche Wettbewerbs- und Marktelemente
eingeführt. Sie hatten jedoch nichts Eiligeres zu tun ge-
habt, als diese maßvollen Wettbewerbs- und Marktele-
mente, zum Beispiel Beitragsrückgewähr und Selbstbe-
teiligung, einzukassieren. Sie sind den Weg in Richtung
mehr Bürokratie, mehr Staat


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und weniger Leistung!)


und weniger Leistung gegangen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist der falsche Weg. Es hat aber gar keinen Sinn

– das sage ich auch in Richtung meines geschätzten Kol-
legen Professor Pfaff –, wenn man nicht Elemente ein-
setzt, die den Versicherten, die Versicherung und die
Anbieter von Leistungen dazu drängen, mit den Leis-
tungen sparsam umzugehen und auf möglichst hohe
Qualität zu setzen. Auf einen brodelnden Kessel können
Sie keinen Deckel, kein Budget, mehr setzen. Nein, Sie
müssen das Feuer wegnehmen. Sie müssen dafür sorgen,
dass die Menschen an mehr Qualität, mehr Wettbewerb
und mehr Eigenverantwortung interessiert sind. Dann
brodelt der Kessel nicht so sehr. In diese Richtung muss
man gehen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wettbewerb um die billigste Krankheit, oder was? – Frau Fuchs, es ist unverständlich, dass Sie es wagen, der Christlich Demokratischen Union irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Sie haben in der DDR ein System gehabt, bei dem insbesondere die Allerärmsten, also diejenigen, die sich selber nicht helfen konnten, nicht die nötigen Medikamente bekommen haben. Das lag in Ihrer Verantwortung, und Sie wagen es, uns Vorhaltungen zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Jetzt erzählen Sie doch Stuss! Keine Ahnung!)


Frau Fuchs, das lassen wir uns wirklich nicht bieten.
Ich war in Berlin Gesundheitssenator und weiß, dass wir
Medikamente am Tempelhofer Flughafen für Ostdeutsche
ausgegeben haben. Die Menschen waren froh, wenn sie
älter als 65 Jahre waren, weil sie dann in den Westen kom-
men konnten und ordentliche Medikamente bekommen
haben. Für diesen Zustand hatten Sie doch die Verant-
wortung!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Genau! Die haben nur Wasser und Brot gekriegt!)


Wir brauchen ein Konzept für eine umfassende Ge-
sundheitsreform. Auf der Grundlage der Solidarität müs-
sen wir den Weg hin zu mehr Eigenverantwortung, mehr

Wettbewerb und mehr Transparenz gehen. Das ist der ein-
zig richtige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417909900
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Professor
Dr. Martin Pfaff.


Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1417910000
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Seehofer, ich kann ja – das
muss ich zugestehen – nachvollziehen, dass Sie eine Ak-
tuelle Stunde zu einem Themenbereich anberaumen wol-
len, von dem Sie meinen mehr zu wissen. Ich gestehe
neidlos ein: Wenn es um die Anhebung von Beitragssät-
zen geht, haben Sie mehr Erfahrung als wir, da wissen Sie
mehr. Raten Sie einmal, wie oft in Ihrer Regierungszeit
die durchschnittlichen Beitragssätze der gesetzlichen
Krankenversicherung eines Jahres gegenüber dem Vor-
jahr angehoben worden sind!


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Meinst du die letzten 50 Jahre?)


Zweimal, dreimal, viermal? Nein, zwölfmal in 16 Jahren
hat die vorherige Bundesregierung erleben müssen, dass
die Beitragssätze gestiegen sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Seit 1993 nicht mehr!)


Nach Ihrer eigenen Diktion, Herr Seehofer, war das Ge-
sundheitswesen während Ihrer Zeit in der Dauerkrise.


(Beifall bei der SPD)

Demnach sind Sie in keiner Weise eine moralische Auto-
rität, wenn es um Beitragssatzanhebungen in der GKV
geht.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ganz genau!)

Wie war es denn mit den Beiträgen? Sie mussten die

Beiträge in einer Zeit, die weniger schwierig war als
heute, um zwei Beitragssatzpunkte anheben. Und was ha-
ben Sie getan? Sie haben immer wieder die Zuzahlungen
erhöht.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber die Patienten haben die Leistung bekommen!)


Allein in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwor-
tung haben Sie die Zuzahlungen bei Arzneimitteln von
3 DM, 5 DM und 7 DM je nach Packungsgröße erhöht.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Jetzt bezahlen sie teilweise 100 Prozent! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie waren mit dabei!)


– Am Anfang waren wir dabei. Sie haben aber die Zuzah-
lungen im Jahr 1997 auf 4 DM, 6 DM und 8 DM und dann
nochmals auf 9 DM, 11 DM und 13 DM angehoben!


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber sie bekamen die Leistung!)


Und Sie haben die Erhöhung der Zuzahlungen dann noch
an Beitragssatzerhöhungen gekoppelt. Wenn es nach Ih-
nen gegangen wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen von




Ulf Fink

17607


(C)



(D)



(A)



(B)


der CDU/CSU und F.D.P., lägen die Zuzahlungen der
AOK Hessen heute bei 14 DM, 16 DM und 18 DM und
wären nicht so, wie sie heute sind. Deshalb sage ich: Wer
versucht, den Druck aus dem Kessel zu nehmen, indem er
Leistungen kürzt oder Zuzahlungen erhöht, liefert kein
Beispiel für Regierungskunst im Bereich der Gesund-
heitspolitik.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und was sagt ihr?)


Sie waren Weltmeister, wenn es um Verschiebebahn-
höfe ging. Allein seit 1995 haben Sie Maßnahmen auf den
Weg gebracht, die in ihrer Summe 49 Milliarden DM Zu-
satzbelastungen bis zum Jahr 2000 verursacht haben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Gehen Sie doch bis 1933 zurück, dann haben Sie noch mehr!)


Deshalb sage ich: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahr-
lich nicht mit Steinen werfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Trotz dieser Mehrbelastung hatten wir aber einen Überschuss! Das ist ein gravierender Unterschied!)


Sie haben uns einen Schuldenberg von 1,5 Billio-
nen DM hinterlassen. Sie haben Defizite bei den Ostkas-
sen hinterlassen, das wurde schon gesagt. Die Situation
war keineswegs so, wie Sie sie geschildert haben.

Wenn sich die Absenkung der Zuzahlungen und die
Entlastung der chronisch kranken Menschen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die chronisch Kranken sind ja gar nicht entlastet worden!)


auf die Beiträge auswirken, hat das eine ganz andere so-
ziale und gesundheitspolitische Qualität, als wenn feh-
lende Strukturreformen und fehlende Steuerungsmaß-
nahmen dies tun.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Also dann darf der Beitrag erhöht werden!)


Sie, Herr Kollege Seehofer, haben zeitliche Verzöge-
rungen moniert. Ich erinnere: 1992 haben wir in Lahnstein
die Fallpauschalen im Krankenhaus beschlossen. Das Ge-
setz trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Jahre danach wurden
in Ihrer Regierungszeit die Fallpauschalen auf nur 25 Pro-
zent des Leistungsgeschehens angewandt, Sonderentgelte
auf 5 Prozent.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber vernünftig und wohl überlegt!)


Wer solche Verzögerungen zu verantworten hat, darf
wahrlich nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Das
müssen Sie wissen.

Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/
CSU]: Das ist doch selbstverständlich! – Birgit
Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie wollten
doch alles besser machen!)

Dass Sie die Budgetierung hier immer kritisieren, finde
ich wirklich erstaunlich. Eine Forderung im Gesundheits-

reformgesetz von Norbert Blüm war die Beitragssatzsta-
bilität, im Gesundheitsstrukturgesetz, Herr Seehofer,
ebenfalls. Wie erreichen Sie denn, um Himmels willen,
Beitragssatzstabilität, wenn Sie nicht sichern können,
dass die Gesamtausgaben nicht stärker steigen dürfen als
die Einnahmen und die Grundlöhne?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann darf man aber auch die Einnahmeseite nicht verschlechtern!)


Das ist exakt dasselbe in einem anderen Gewand. Deshalb
ist es wirklich heuchlerisch, wenn Sie die Budgetierung
als Maßstab nehmen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Herr Professor, jetzt aber Vorsicht!)


Wir haben eine Reihe von Ansatzpunkten zur Verbes-
serung der Situation begonnen, über eine weitere Reihe
gilt es zu diskutieren. Es gibt die Garantie der Bundes-
regierung zur Entlastung der GKV als Ausgleich für
Belastungen durch das Rentengesetz über 250 Milli-
onen DM. Es gibt auch die Zusage, dass Belastungen der
GKV, die durch die jüngsten Entscheidungen der Gerichte
entstehen, aufgefangen werden.

Sicher wird man auch über die Frage der Halbierung
des Mehrwertsteuersatzes diskutieren müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da sind wir aber gespannt!)


Ich sage das, wir haben es noch nicht getan. Sicher wird
man auch darüber diskutieren müssen, ob gesamtgesell-
schaftliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversi-
cherung nicht über Steuern finanziert werden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Für Fremdleistungen!)


Das sind weitere Möglichkeiten, die es aber sorgfältig ab-
zuwägen gilt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles gute Ansätze, Herr Professor! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das können wir gemeinsam machen!)


Sicher wird man darüber diskutieren müssen, ob nicht die
Beitragsbemessungsgrenze und/oder die Versicherungs-
pflichtgrenzen an die Rentenversicherung angepasst wer-
den müssen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alte Kamellen!)

Es ist für mich in keiner Weise einsichtig, warum die-

jenigen, die breite Schultern haben, diese Zusatzbelastun-
gen nicht tragen sollten, wohingegen die Kranken immer
höhere Zuzahlungen zu tragen haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Herr Professor, Kreativität ist gefragt! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist Sozialismus, was Sie jetzt sagen! – Gegenruf der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Steht in Ihrem Grundgesetz!)


Im Übrigen: Natürlich wird die Frage der Finanzie-
rungsreform ein Thema sein. Wir werden es diskutieren.
Schon im Herbst diesen Jahres wird es öffentliche Veran-




Dr. Martin Pfaff
17608


(C)



(D)



(A)



(B)


staltungen geben, in denen unter maßgeblicher Beteili-
gung aller hier über die Perspektiven der Weiterentwick-
lung diskutiert wird. Ein Thema wird dabei die Finanzie-
rung sein. Hier wird man eine Evaluation vornehmen
müssen.

Ich komme zum Schluss: Für mich ist es nicht einsichtig,

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wo ist das Kon zept?)

warum wir uns, als wir arm waren, also in den 50er- und
60er-Jahren, die Solidarität in Deutschland leisten konn-
ten, jetzt aber, da unsere Gesellschaft reicher wird, diese
Solidarität nicht mehr möglich sein sollte.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da gingen die Wachstumsraten rasant nach oben!)


Ich sage deshalb: Ein solidarisches Gesundheitswesen ist
allemal kosteneffektiver und verteilungsgerechter. Die
Privatisierung ist keine Perspektive für die Zukunft der
gesetzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417910100
Ich gebe das
Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz für die Frak-
tion der CDU/CSU.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417910200
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Professor
Pfaff, wenn all das, was Sie gerade geschildert haben, zu-
träfe, müssten am heutigen Tag, an dem eindeutige Über-
schriften in den großen Medien zu lesen sind, draußen vor
der Tür Hunderttausende von Menschen stehen, die Solida-
ritätsbekundungen für diese Bundesregierung abgeben, weil
sich die Versorgung der chronisch Kranken in unserem Land
in den letzten zweieinhalb Jahren so dramatisch verbessert
habe. Ich vermisse diese. Das, was Sie hier beschreiben,
kann also nicht die Folge Ihrer Politik gewesen sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Was soll denn der Quatsch hier!)


Rot-Grün ist sich über den Kurs in der Regierungspo-
litik, was die Gesundheitsfragen angeht, uneins.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist das Problem von Rot-Grün!)


Von Ihren eigenen Beratern wird Ihnen mittlerweile Ori-
entierungslosigkeit, Ratlosigkeit und Konzeptlosigkeit at-
testiert. Sie haben kein Gesamtkonzept. Sie tun so, als sei
alles wunderbar. Warum haben Sie denn dann Frau
Fischer aus dem Amt gejagt?

Nachdem Frau Schmidt Gesundheitsministerin wurde,
begann eine Hypnosephase. Sie startete mit einer
Charme-Offensive, bunten Trostpflästerchen und Beruhi-
gungspillen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hat Sie aber geärgert!)


Sie ist aber kläglich gescheitert. Frau Schmidt, der Sturm
lässt sich nicht dadurch verhindern, dass man einfach nur
auf das Barometer starrt und es beschwört. Ihre Politik ist
so wechselhaft wie das Wetter: Gestern war ein Mindest-
beitrag von 12,5 Prozent im Gespräch, heute sagen Sie,
das sei das Geschwätz von gestern. Die Beiträge sollen
nicht steigen und das Sonderkündigungsrecht bei Bei-
tragserhöhungen soll, wie wir hören, ersatzlos gestrichen
werden. Die Beiträge steigen aber doch und die Kassen-
wechsler sollen im schlimmsten Fall 18 Monate lang an
die höheren Beiträge gebunden sein.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist Freiheit!)

Frau Schmidt, letzte Woche sagten Sie, dass es eine

Differenzierung in Grund- und Wahlleistungen mit Ihnen
nicht gebe. Gestern lesen wir in dem Strategiepapier aus
dem Kanzleramt, dass eine radikale Gesundheitsreform
Einsparpotenziale von 30 bis 33 Prozent biete, heute soll
dieses nur noch ein unverbindliches Arbeitspapier sein.
Fallen die Dementis zu heftig aus, wachsen die Zweifel an
der Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Was bauen Sie für einen Popanz auf!)


Wie wir aus New York vernehmen konnten, sprechen
Sie mittlerweile auch von dynamischen Leistungskatalo-
gen. Wir erleben eine Politik aus dem Tollhaus. Die Ge-
schwister Chaos und Murks herrschen in dieser Regie-
rung. All das, was sich auch in dieser Debatte abspielt,
sind panische Reaktionen auf das gesundheitspolitische
Chaos und der Beweis für eine von Anfang an falsche Po-
litik. Ob die Beitragssätze steigen, interessiert die Men-
schen heute; daran entscheidet sich, ob sie im nächsten
Jahr die Möglichkeit haben, Ausgaben tätigen zu können.
Diese Möglichkeit haben Sie beschnitten.


(Susanne Kastner [SPD]: Was Sie nicht sagen!)


Die AOK Hessen erhöht ihre Beiträge um 1 Prozent.
Selbst die AOK Baden-Württemberg muss ihre Beiträge
um 0,7 Prozent erhöhen. Die anderen Kassen werden
nachlegen. Auch bei den Ersatz- und Betriebskrankenkas-
sen wird es zu Erhöhungen kommen. Es ist nicht der An-
fang, sondern die Fortsetzung der chaotischen rot-grünen
Gesundheitspolitik, die zur Folge hat, dass der GKV das
Wasser bis zum Hals steht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben von uns stabile Beitragssätze und Über-

schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung durch
Horst Seehofer übernommen. Jetzt, in 2001 und in den
kommenden Jahren, gibt es Milliardenverluste. Diese
sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben hausge-
machte Gründe. Die Verschiebebahnhöfe hat selbst die
Kollegin von der PDS genannt. Der gesamtdeutsche
Finanzausgleich kommt hinzu.

Es ist interessant, Sie einmal an dem zu messen, was
Sie in der Koalitionsvereinbarung geschrieben haben.
Diese Vereinbarung ist mittlerweile ein Katalog der ge-
brochenen Versprechen geworden: Arbeitsplätze wurden
versprochen, Beitragssatzstabilität wurde versprochen,
Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent wurden




Dr. Martin Pfaff

17609


(C)



(D)



(A)



(B)


versprochen. Aber Ihre Versprechen haben kurze Beine.
Die Konjunktur schwächelt, die Arbeitslosigkeit sinkt
nicht, die Inflation beträgt 3,5 Prozent,


(Susanne Kastner [SPD]: Ein Glück, dass Sie nicht mehr an der Regierung sind!)


die Lohnnebenkosten steigen auf über 40 Prozent,

(Susanne Kastner [SPD]: Ach, Unsinn!)


die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld und
bekommen schlechtere oder weniger Leistungen. Das ist
die logische Folge politischer Fehlentscheidungen in Ih-
rer Regierungszeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: In welcher Zeit leben Sie eigentlich?)


Ich sage Ihnen eines: Wirtschaftliche Zwänge kennen
nicht die Opportunität von politischen Terminen. Bis zur
Bundestagswahl 2002 kann in der gesetzlichen Kranken-
versicherung nicht mehr gewartet werden. Deshalb kom-
men Sie doch heraus mit Ihren Vorstellungen!


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die haben doch keine!)


Herr Pfaff, Sie waren doch schon recht konkret. Warum
bringen Sie Ihre Vorstellungen nicht hier in diesem Hause
ein? Es ist notwendig. Täuschen Sie die Menschen nicht
vor der Bundestagswahl,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

um ihnen nach der Bundestagswahl noch tiefer in die Ta-
schen zu greifen, ohne ein schlüssiges Konzept zu haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie bei der Rente!)


Wenn Sie sagen, mit den Maßnahmen, die Sie jetzt auf
den Weg bringen, würde die finanzielle Krise bewältigt,
kann ich nur feststellen: Nein, Sie verschärfen sie sogar
teilweise noch. Sie erzählen uns immer nur, wie Sie die
Arzneimittelausgaben beschränken, aber Sie erzählen den
Menschen nicht, dass Sie auch den Kollektivregress
zurücknehmen und damit wieder Mindereinnahmen in
der gesetzlichen Krankenversicherung haben.

So kann man mit den Menschen in unserem Land nicht
umgehen. Die Situation ist ernst. Sie haben die Dinge
schleifen lassen und versäumt, rechtzeitig schlüssige Re-
formen auf den Weg zu bringen.


(Susanne Kastner [SPD]: Nun ist aber die Klagerei zu Ende!)


Die wirklichen Probleme werden weder angepackt noch
gelöst. Dies ist für unsere Versicherten, die Menschen in
unserem Land, eine Zumutung. Ändern Sie endlich radi-
kal den Kurs; es ist notwendig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Fünf Minuten können sehr lang sein, wenn Sie sprechen, Frau Widmann-Mauz!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417910300
Ich erteile
das Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Uns fehlt die Frau Knoche!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417910400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde es schon richtig, dass hier immer wieder angemerkt
wird, dass wir über weitere Schritte einer qualifizierten
Form des Gesundheitswesens diskutieren müssen und
insbesondere darüber, wie es uns gelingt, auch weiterhin
den Trend der sinkenden Beiträge


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: „Den Trend der sinkenden Beiträge“?)


für die Sozialversicherung, das heißt für die Lohnneben-
kosten insgesamt, abzusichern.

Aber ich finde, Herr Kollege Fink, Herr Kollege
Seehofer oder Herr Kollege Lohmann, das sollten wir
dann doch auf der Basis der Tatsachen tun. Dann sollten
Sie zum Beispiel nicht, wie Sie das hier getan haben,
verschweigen, dass Sie die Gesundheitsreform 2000 in
ganz wesentlichen Punkten gekippt haben,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nur Stichwort Globalbudget! Alles andere ist durchgelaufen! Jetzt nicht rausreden!)


die notwendig gewesen wären, um weitere Reform-
schritte im Gesundheitswesen voranzubringen.

Sie sollten sich auch nicht hier hinstellen und davon re-
den, dass Sie das Gesundheitswesen und insbesondere die
Beiträge in einer stabilen Situation hinterlassen haben.
Das ist definitiv die Unwahrheit; das ist falsch.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist wahr! Das ist doch nicht zu fassen!)


Weil das falsch ist, möchte ich Ihnen doch die nüchternen
Zahlen noch einmal nennen.

In den 90er-Jahren

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein! Ich habe gesagt, 1993 bis 1998!)


sind die Beiträge zu den Sozialversicherungen galoppie-
rend gestiegen. Wir haben diesen Galopp beendet. Wir
haben eine Trendwende eingeleitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wann?)


Wir hatten in den Jahren 1990 bis 1998 eine Steigerung
der Lohnnebenkosten, der Sozialversicherungsbeiträge,
von 35,8 Prozent auf 42,1 Prozent. Wir hatten in dieser
Zeit eine Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge
von 12,8 Prozent auf 13,6 Prozent. Auch im letzten Jahr
vor der Regierungsübernahme, von 1997 auf 1998, gab es




Annette Widmann-Mauz
17610


(C)



(D)



(A)



(B)


noch einmal eine Steigerung der Krankenversiche-
rungsbeiträge um 0,3 Prozentpunkte.

Und da stellen Sie sich hier hin und behaupten im
Ernst, Sie hätten eine stabile Beitragsentwicklung hinter-
lassen. Das ist definitiv nicht richtig!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Dummes Gemauschel war das!)


Wir haben heute ein Niveau der Nebenkosten von
40,8 Prozent. Sie haben 42,1 Prozent hinterlassen. Der
größte Beitrag zu dieser Senkung ist durch die Renten-
reform,


(Zuruf von der F.D.P.: Ökosteuer!)

ist durch die Beiträge zur Rentenversicherung – Sie haben
Recht, durch die Ökosteuer – erzielt worden. Wir haben
im gleichen Zeitraum die Beiträge zur gesetzlichen Kran-
kenversicherung stabil gehalten. Das ist vor dem Hinter-
grund der schwierigen Situation gerade in der Kranken-
versicherung eine wirklich gute Leistung gewesen. Und
wir haben die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung
stabil gehalten.

Meine Damen und Herren, was die Ernsthaftigkeit, den
Willen, die Beitragsentwicklung zu stabilisieren, und
zwar in allen Sozialversicherungssystemen, in der Kran-
kenversicherung, in der Rentenversicherung, in der Ar-
beitslosenversicherung, anbelangt, können Sie uns nun
wirklich nichts vormachen. Wir haben nicht geredet, son-
dern in diesen Bereichen gehandelt. Ich sage Ihnen: Wir
werden diese Politik fortsetzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Jetzt aber keine Drohung!)


In der aktuellen Situation ist es ganz sicher so, dass die
notwendigen Reformschritte auch im Gesundheitswesen
die Beitragsstabilisierung garantieren müssen und garan-
tieren können.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was hat Ihre Ministerin gemacht?)


In der aktuellen Situation ist es so, dass ein zusätzlicher
Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten allerdings
über die Arbeitslosenversicherung erbracht werden kann
und erbracht werden muss. Wir haben in den letzten Jah-
ren mit dieser Politik der Beitragssenkung, der Senkung
der Sozialabgaben und der Steuern positive Beiträge
zur Beschäftigungsentwicklung geleistet. Diese Beiträge
werden sich in den nächsten Jahren weiter auszahlen. Wir
haben aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung – sinkende
Arbeitslosenzahlen, steigende Beschäftigtenzahlen – Luft.
Auch wenn sich der Trend abschwächt, haben wir diese
positiven Daten.

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: In der Kran-
kenversicherung können wir die Beiträge stabilisieren.
Das ist unser politischer Beitrag. In der Arbeitslosenver-
sicherung können wir im nächsten Jahr mit den Beiträgen
heruntergehen. Das wäre die Umsetzung dessen, was wir

an beschäftigungspolitischer Entspannung schon erreicht
haben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417910500
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang Zöller.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1417910600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich kurz auf
einen einmaligen Vorgang von gestern zurückkommen,
damit man die Art und Weise des Umgangs mit dem Par-
lament erkennt.


(Zuruf von der F.D.P.: Das war ein starkes Stück!)


40 Minuten vor der Regierungsbefragung teilt man uns
mit, dass man das Thema wechseln möchte. Es sollte statt
über den Länderfinanzausgleich über die gesetzliche
Krankenversicherung gesprochen werden, obwohl das
Bundeskanzleramt eigentlich wissen musste, dass a) die
Ministerin zu diesem Zeitpunkt in Amerika war und
b) zum gleichen Zeitpunkt der Gesundheitsausschuss im
Roten Rathaus tagte. Da bedurfte es einer Geschäftsord-
nungsdebatte, um dieses unsinnige Vorgehen zu verhin-
dern.

Meine Damen und Herren, wenn sich dann noch Ihr
Parlamentarischer Geschäftsführer hier hinstellt und sagt,
warum regt ihr euch überhaupt auf, ihr wolltet doch schon
immer über Gesundheit reden, erkennt man: Die Macht-
arroganz ist wirklich nicht mehr zu überbieten!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun zu Ihnen, Frau Ministerin: Sie versuchen, sich im-

mer wieder mit der Behauptung herauszureden, dass die
jetzige kritische Situation der gesetzlichen Krankenver-
sicherung eine Erblast von Horst Seehofer sei. Dass diese
Äußerung falsch ist, kann Ihnen jeder seriöse Fachkenner
beweisen und vorrechnen.

Rot-Grün bekam ein Gesundheitssystem übergeben, in
dem die Beitragssätze über sechs Jahre stabil waren. Es ist
doch unredlich, wie Sie mit Zahlen umgehen. Wir haben
1992 gemeinsam mit der SPD eine Reform beschlossen,
und 1993, 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 waren die
Beiträge stabil. Das ist nachzulesen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man sollte wenigstens die Zahlen zur Kenntnis nehmen.

Hinzu kommt – das sage ich, wenn Sie uns vorhalten,
auch wir hätten Fehler gemacht, weil wir Umschichtun-
gen mit versicherungsfremden Leistungen vorgenommen
haben –: Trotz dieser Umschichtungen gab es in der ge-
setzlichen Krankenversicherung, als sie übergeben wur-
de, einen Überschuss. Mit anderen Worten: Trotz dieser
Maßnahmen gab es einen Überschuss und über sechs, sie-
ben Jahre hinweg stabile Beiträge.


(Klaus Kirschner [SPD]: Aber nur durch Selbstbeteiligungserhöhungen!)





Dr. Thea Dückert

17611


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Zuruf von der SPD: Sie haben nach 16 Jahren zusätzlicher Belastung 2 Milliarden DM Überschuss gehabt!)


es wäre wesentlich sinnvoller gewesen, diese finanziell
stabile Zeit zu nutzen, um mit allen Beteiligten an einer
wirksamen Reform zu arbeiten. Rot-Grün hat diese große
Chance vertan.

Sie haben sich anscheinend auch viel mehr damit
beschäftigen müssen, ständig neue Ministerinnen einzu-
arbeiten, neue Staatssekretäre und Abteilungsleiter zu be-
nennen, statt sich um die tatsächlichen Probleme zu küm-
mern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat eine Menge gekostet!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Kran-
kenkassen jetzt gezwungen sind, die Beiträge sehr dras-
tisch zu erhöhen – zum Teil um 7,25 Prozent –, ist aus-
schließlich auf Fehlleistungen und Fehlentscheidungen
von Rot-Grün zurückzuführen. Ich nenne jetzt nur einige
Beispiele, die Rot-Grün allein zu verantworten hat.

Erstens. Sie haben den Krankenkassen zusätzlich die
Instandhaltungskosten für die Krankenhäuser aufgebür-
det.


(Zuruf von der F.D.P.: Das sollte man einmal schriftlich festhalten!)


Zweitens. Sie haben die Beitragsbemessungsgrundla-
gen für Arbeitslose gesenkt – Geschenk an Riester zulas-
ten der Versicherten!

Drittens. Sie haben die Beiträge für den Bezug von Ar-
beitslosenhilfe gesenkt – Geschenk an Riester zulasten
der Versicherten!

Viertens. Die Minderung der Beiträge für Rentner
durch Ihre willkürliche Absenkung des Rentenniveaus
geht wiederum zulasten der gesetzlichen Krankenver-
sicherung.

Sie verschlechtern massiv die Einnahmeseite und wun-
dern sich dann, dass die Beiträge steigen.

Ihr Meisterstück, sehr geehrte Frau Ministerin, war
aber die Ankündigung der Arzneimittelbudgetaufhebung,
ohne vorher wirksame Alternativen festzulegen, die eine
Kostensteigerung verhindert hätten.

Neuerdings kann man in der Presse von Plänen des
Kanzleramts lesen, dass die Bürger für ihre Gesundheit
mehr zahlen müssten – allerdings erst nach der Bundes-
tagswahl 2002. Ich habe eine ganz große Bitte: Seien Sie
ehrlich und sagen Sie endlich der Bevölkerung vor der
Wahl, was Sie vorhaben. Sonst müsste man wie der „Köl-
ner Express“ zu der Meinung kommen – mit diesem Zitat
möchte ich schließen –:

Mal spricht Gesundheitsministerin Schmidt von
Mindestbeitrag. Dann ist das wieder „Geschwätz von
gestern“. Nein, die Beiträge sollen nicht steigen.
Dann steigen sie doch, weil die Arzneimittelbudgets
kippen sollen. Mal gibt’s bei der Bundesregierung


(zulasten der Patienten)

„unverbindliches Arbeitspapier“. Dann spricht die
Ministerin von „dynamischen Leistungskatalogen“,
die immer wieder überprüft werden sollen. Alles po-
litische Leerformeln. Keiner blickt mehr durch. So,
Frau Ministerin, verspielt man Vertrauen in die
Gesundheitspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu ruf von der F.D.P.: Die Gesundheitslüge!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417910700
Als letzter
Rednerin in dieser Aktuellen Stunde gebe ich der Kolle-
gin Marga Elser für die SPD-Fraktion das Wort.


Marga Elser (SPD):
Rede ID: ID1417910800
Herr Präsident! Meine Kollegin-
nen und Kollegen! Es ist eben nicht richtig, was Sie sagen,
denn wir hatten an Beitragssätzen in der Krankenver-
sicherung – wir brauchen uns nur die Zahlen genau anzu-
gucken – 1995 13,15 Prozent, 1996 13,48 Prozent, 1997
13,58 Prozent und 1998 13,62 Prozent.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was war 1993? Sie müssen einmal 1993 dazu nehmen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen mit 1993 und 1994 anfangen!)


Im Gegensatz dazu senkt diese Koalition die Lohnneben-
kosten


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Ja, ja! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Und kassiert an den Tankstellen!)


und das ist nach wie vor richtig. Im Gesundheitsbereich
haben wir ja – das ist etwas anders als bei der Rentenver-
sicherung; das ist völlig richtig – ein Zusammenspiel von
vielen Kräften.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ja, es wogt hin und her, vor und zurück!)


Das sind alles Leute, die auch mit entscheiden. Es gibt
die Krankenversicherung, die Patienten, die Selbstver-
waltung, die Ärzte, die Krankenhäuser, die Pharmain-
dustrie und die Beschäftigten. Insofern muss man schon
sehen, dass Sie hier etwas verbreiten, das einfach nicht
stimmt.

Natürlich ist es so, dass uns die Situation steigender
Beitragszahlungen nicht passt. Dass wir für die Senkung
der Lohnnebenkosten eigentlich eher eine Minderung ge-
wollt hätten, ist auch richtig. Aber auf der anderen Seite
sage ich Ihnen, dass Sie keinen Grund haben, uns diese
Beitragssatzerhöhung anzukreiden.


(Beifall bei der SPD)

Wir liegen mit den Lohnnebenkosten immer noch besser
als Sie,


(Zuruf von der SPD: Wir sind sowieso besser!)





Wolfgang Zöller
17612


(C)



(D)



(A)



(B)


und gleichzeitig werden wir natürlich alles dafür tun,
diese Beitragssatzerhöhung so bald wie möglich obsolet
zu machen.


(Zuruf von der SPD: Marga, da hast du Recht!)


Ich möchte nur noch einmal daran erinnern – dabei
gehe ich gar nicht vor das Jahr 1998 zurück, weil ich da-
mals noch nicht hier war –, was Sie beispielsweise in
Ihrem Antrag zum Pflege-Leistungsverbesserungsgesetz
vorgeschlagen haben. Sie wollten 1,5 Milliarden DM aus
der gesetzlichen Krankenversicherung für die Pflege De-
menzkranker verwenden.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Behandlungspflege, das gehört da rein!)


– Ja, gut. Aber die Krankenkassen haben es natürlich ab-
gelehnt, dass die Behandlungspflege durch die GKV be-
zahlt werden soll.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir haben einen Finanzierungsvorschlag gemacht!)


– Sie haben mit ungedeckten Schecks etwas Gutes tun
wollen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!)


Alles, was Sie bisher an GKV-relevanten Maßnahmen
vorschlagen, würde grundsätzlich zur Erhöhung der
Beiträge führen.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Ich werde Ihnen das noch einmal zeigen beim Finanzierungsvorschlag!)


Was gesundheitspolitisch Ihre einzige große Leistung
ist, ist der Vorschlag der Grundversorgung, bei der die Pa-
tienten tief in die eigene Tasche greifen müssten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Siehe Kanzleramt! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ist ja unmöglich, was der Herr Schröder alles vorhat! Den würde ich abwählen! – Lachen bei der SPD!)


Wir wollen, dass es eine gute medizinische Versorgung
aller Patienten in Deutschland gibt. Wir sind auch der
Meinung, dass die Krankenkassenbeiträge insgesamt
nicht steigen werden. Dafür tun wir auch einiges; das ist
schon mehrmals gesagt worden.

Aber wir wollen natürlich auch die Positivliste. Wir
brauchen auch mehr Kontrolle und eine gesicherte Daten-
lage. Erhebliche Einsparmöglichkeiten gibt es bei den
Medikamenten. Gerade bei den Medikamenten, die
schließlich ein Grund dafür sind, dass die Kosten so stark
gestiegen sind, müssen wir genau nachschauen, was ver-
ordnet wurde. Ich meine, dass es sich oft um Pseudoinno-
vationen oder um umstrittene Arzneimittel handelt, für die
sehr viel Geld ausgegeben wird. Wir merken eben, dass es
Präparate gibt, die nicht besser sind als andere, die aber
beispielsweise 70-mal mehr als andere, gleich viel werte

Medikamente kosten. Hier erwarten wir auch ein Handeln
der Selbstverwaltung. Da muss etwas kommen!


(Beifall bei der SPD)

Ich meine, dass wir eine Medizin brauchen, die für die

Patienten das ausgibt, was diese brauchen, aber nicht für
umstrittene Arzneimittel. Ich appelliere in diesem Zusam-
menhang natürlich auch an die Krankenkassen, aber auch
an die Kassenärztliche Vereinigung, dass wir auf diesem
Sektor zusammenarbeiten. Dann können wir auch diese
Einsparungen erzielen.


(Beifall bei der SPD)

Die Wirtschaftlichkeit ist gerade in diesem großen Ge-

sundheitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung
unendlich wichtig. Man kann nicht so, wie Sie es machen,
auf der einen Seite alles fordern, was lieb und teuer ist,
und auf der anderen Seite versuchen, uns vorzuführen,
weil die Krankenversicherungsbeiträge erhöht werden
sollen. Dies ist kein fairer Wettbewerb.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417910900
Die Aktuelle
Stunde ist beendet. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungs-
punkte 5 a bis 5 e sowie den Zusatzpunkt 7 auf:
5 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag
von Nizza vom 26. Februar 2001
– Drucksache 14/6146 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Beschluss des Rates vom 29. September
2000 über das System der Eigenmittel der Eu-
ropäischen Gemeinschaft
– Drucksache 14/6142 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (22. Ausschuss)

– Drucksache 14/6464 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Fornahl
Ursula Heinen
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Uwe Hiksch

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung Bericht der Bundesregierung über die




Marga Elser

17613


(C)



(D)



(A)



(B)


Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberi-
schen Befugnisse des Europäischen Parlaments
2000
– Drucksache 14/5221 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss

d) Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union (22. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Für eine verbindliche und erweiterbare Eu-
ropäische Charta der Grundrechte
– Drucksachen 14/4654, 14/5379 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Peter Altmaier
Claudia Roth (Augsburg)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Uwe Hiksch

e) Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union (22. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-

neten Günter Gloser, Hans-Werner Bertl,
Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-
geordneten Christian Sterzing, Claudia Roth

(Augsburg), Ulrike Höfken, weiterer Abge-

ordneter und der Fraktion des BÜNDIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
zurAbgabe einer Erklärung der Bundesre-
gierung zum bevorstehenden Europäischen
Rat in Nizza am 7./8. Dezember 2000

– zu dem Antrag der Abgeordneten Peter
Hintze, Peter Altmaier, Rente Blank, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Der Europäische Rat von Nizza muss zum
Erfolg für Europa werden

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-
neten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Dr. Gregor
Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
zurAbgabe einer Erklärung der Bundesre-
gierung zum bevorstehenden Europäischen
Rat in Nizza vom 7. bis 9. Dezember 2000

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Dr. Gregor Gysi, Uwe Hiksch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Die Europäische Union als Zivilmacht aus-
bauen
– Drucksachen 14/4733, 14/4732, 14/4666,
14/4653, 14/5386 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Hintze
Christian Sterzing
Ernst Burgbacher
Uwe Hiksch

ZP 7 Beratung des Antrag der Abgeordneten Uwe
Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der
Fraktion der PDS
Vertrag von Nizza nachverhandeln
– Drucksache 14/6443 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
für die SPD-Fraktion dem Kollegen Günter Gloser.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1417911000
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Was ist nicht alles über die
Regierungskonferenz von Nizza und deren Ergebnisse
geschrieben worden! Was ist nicht alles kritisiert worden!
In einer Reihe von Debatten haben wir deutlich gemacht:
Wir haben uns mehr erwartet. In einigen Punkten wären
in der Tat weiter gehende Änderungen notwendig gewe-
sen.


(Zuruf von der F.D.P.: Ja!)

Aber bei aller Kritik dürfen wir doch nicht das große Ziel
aus den Augen verlieren. Es geht um die Einigung unse-
res Kontinents in Frieden und Demokratie. Welche
Perspektive für diesen Kontinent! Welche Perspektive für
seine Menschen! Welche Perspektive aber auch für unser
Land!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Maas-
tricht und in Amsterdam standen die institutionellen Re-
formen bereits auf der Tagesordnung. Diese Regierungs-
konferenzen haben darauf keine Antworten gefunden; sie
sind daran gescheitert. In Nizza haben die Staats- und Re-
gierungschefs eine Lösung gefunden. Schon deshalb ist
Nizza bei aller sicher berechtigten Kritik ein Erfolg. Sechs
Monate nach Nizza ist es an der Zeit, eine nüchterne Bi-
lanz zu ziehen. Dies wird offensichtlich auch dem Euro-
päischen Parlament immer bewusster und wenn ich das




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17614


(C)



(D)



(A)



(B)


richtig verstanden habe, ist sogar die F.D.P. dabei, ihre
bislang ablehnende Haltung zu überdenken. Grundsätz-
lich gilt: Wir brauchen den Vertrag. Ohne ihn können wir
die Erweiterung nicht vollziehen.

In Berlin hat die Europäische Union unter deutscher
Ratspräsidentschaft den finanziellen Rahmen für die Er-
weiterung beschlossen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nicht beschlossen!)


In Nizza wurden die institutionellen Voraussetzungen für
die Erweiterung geschaffen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nicht geschaffen!)


Damit hat die Europäische Union die beiden zentralen Be-
dingungen für ihre Erweiterungsfähigkeit erfüllt.


(Weitere Zurufe des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])


– Herr Müller, ich weiß, an der Stelle sind Sie nicht lern-
fähig. Deshalb sind Ihre Zwischenrufe ohne Belang.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sehen die Beitrittsländer genauso. Deren Reak-
tion auf Nizza, Herr Müller, sollten Sie entsprechend be-
werten. Deshalb fällt deren Bewertung der Ergebnisse
von Nizza uneingeschränkt positiv aus. Im Unterschied
zur umfassenden Medienkritik an den Ergebnissen von
Nizza haben unsere Partner aus den Beitrittsländern die
Botschaft von Nizza sehr wohl verstanden.


(Zuruf von der F.D.P.: Sind Sie aber bescheiden!)


In Nizza haben die Staats- und Regierungschefs auch
einen Fahrplan für den Verhandlungsprozess vereinbart.
In Göteborg haben sie den Fahrplan präzisiert. Sie wollen
die Verhandlungen mit den am besten vorbereiteten Bei-
trittskandidaten bis Ende 2002 abschließen. Wohl wahr,
das ist eine ehrgeizige Zielvorgabe, aber wir wollen es ge-
meinsam schaffen.

Aber auch für die europäische Integration bringt der
Vertrag Fortschritte. Dies darf nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass der Vertrag die Handlungsfähigkeit der Euro-
päischen Union nicht so weit gestärkt hat, wie wir – ich
denke, fraktionsübergreifend – bis vor Nizza gefordert
hatten. Der Übergang zur qualifizierten Mehrheit konnte
in vielen politischen, sensiblen Bereichen nicht erreicht
werden. Dafür muss man Gründe nennen: Ausschlagge-
bend war das Beharren auf nationalen Interessen. Wenn
Europa vorankommen will, muss hier ein Umdenken
stattfinden. Wer für mehr Integration eintritt, muss bei
sich zu Hause – also auch wir bei uns hier – dafür die
Voraussetzungen schaffen. Die Regierungskonferenz in
Nizza war deshalb so schwierig, weil es auch um die Neu-
verteilung institutioneller Macht ging. Daraus müssen wir
die Lehre ziehen, dass das Machtgleichgewicht zwischen
großen und kleineren Mitgliedstaaten eine elementare Vo-
raussetzung für das Funktionieren der Europäischen
Union ist. Deshalb konnten und wollten zum Beispiel die

kleineren Mitgliedstaaten nicht auf einen eigenen Kom-
missar verzichten.

Aus deutscher Sicht bleibt festzuhalten, dass die de-
mokratische Legitimation der Ratsbeschlüsse in Nizza
gestärkt wurde. Das gilt vor allem für das Prinzip der dop-
pelten Mehrheit.

Der Vertrag von Nizza darf insgesamt nicht als ein
Rückschritt betrachtet werden. Er ist vielmehr ein wichti-
ger Schritt auf dem Wege zu einem vereinten Europa.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Seitwärtsbewegung!)


Wir dürfen auch nicht übersehen, dass mit dem Vertrag
von Nizza trotz allem die Integrationsqualität gestiegen
ist: Die Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im
Rat wurden auf weitere Bereiche ausgedehnt. Die ver-
stärkte Zusammenarbeit ist entschlackt worden. Die euro-
päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmt
deutliche Konturen an. Die Verabschiedung der Grund-
rechtecharta ist ein Fundament auf dem Weg zu einer Ver-
fassung der Europäischen Union.

Unsere Aufgabe ist es nun, den Vertrag von Nizza zu
ratifizieren. Bundesregierung und Bundesrat haben be-
reits ihre Standpunkte bezogen. Die Stellungnahmen zei-
gen, dass beide Verfassungsorgane an ihren unterschied-
lichen Rechtsstandpunkten festhalten. Der Bundesrat
besteht auf einer Ratifizierung des Vertrages von Nizza
mit verfassungsändernder Mehrheit.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Recht hat er!)

Die Bundesregierung hält eine Ratifizierung mit einfa-
cher Mehrheit für ausreichend.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Jede Minute denken die anders!)


Unser politisches Ziel sollte es sein, die Ratifizierung
rechtlich unanfechtbar und rechtzeitig vor dem Europä-
ischen Rat in Laeken im Dezember 2001 abzuschließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Wovor hat man denn Angst, wenn man nicht einmal eine breite Mehrheit im Parlament will? Diese Geheimdiplomaten!)


– Für uns steht die politische Bedeutung des Vertrages,
lieber Herr Kollege Müller, im Vordergrund.


(Uwe Hiksch [PDS]: Dann müssen Sie sich anders verhalten!)


Deshalb sind wir der Auffassung, dass sich der Bun-
destag im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens par-
teiübergreifend auf die Ratifizierung des Vertrages von Niz-
za mit verfassungsändernder Mehrheit verständigen sollte.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr gut! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Gut! – Uwe Hiksch [PDS]: Das müssen Sie aber Ihrer Regierung noch beibringen!)


Damit wäre eine zügige Ratifizierung des Vertrages
von Nizza gewährleistet und damit erreichen wir
Rechtssicherheit in Bezug auf den Bundesrat. Diese




Günter Gloser

17615


(C)



(D)



(A)



(B)


Rechtssicherheit im Hinblick auf den Vertrag von Nizza
ist von deutschem, aber auch von europäischem Interesse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei einer umfassenden Würdigung der Ergebnisse von
Nizza darf die Erklärung zur Zukunft der Europä-
ischen Union nicht fehlen. Mit dieser Erklärung haben
die Staats- und Regierungschefs den Beginn eines verfas-
sunggebenden Prozesses für die Europäische Union ein-
geleitet. Ich will hier ganz deutlich sagen: Diese zu-
kunftsweisende Erklärung hätte es ohne die intensive
Überzeugungsarbeit von Bundeskanzler Schröder und
Außenminister Fischer bei unseren Partnern und ohne die
intensive Zusammenarbeit mit der damaligen ita-
lienischen Regierung nicht gegeben. Deshalb sollten wir
dem Bundeskanzler und auch Ihnen, sehr geehrter Herr
Außenminister, ganz herzlich dafür danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wo stünden wir denn heute, wenn wir diese Erklärung
nicht hätten? Wo stünden wir heute, wenn wir keine De-
batten über die besten Konzepte für Europa, keine Debatte
über eine Verfassung hätten? Die Erklärung zur Zukunft
der Europäischen Union ist ein schlagender Beweis dafür,
dass die Bundesregierung ihr europapolitisches Hand-
werk versteht.

Besonders wichtig ist, dass es vor der nächsten Regie-
rungskonferenz eine breite öffentliche Debatte über die
Reform der Europäischen Union gibt. Wir stellen uns
damit dem Befund, dass die Zustimmung der Bürgerinnen
und Bürger zum europäischen Projekt in den letzten Jah-
ren ziemlich stetig gesunken ist. Europa ist in die Schlag-
zeilen geraten – und das nicht nur, seit es BSE oder MKS,
sprich: die Maul- und Klauenseuche, gibt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Seit Österreich und Berlusconi!)


Viele Bürgerinnen und Bürger verstehen Europa nicht
mehr. – Manche verstehen davon aber vielleicht mehr als
Sie, Herr Müller. – Sie haben eben nicht das Gefühl, dass
es auf ihre Stimme ankommt. Brüssel, die europäischen
Institutionen haben für sie kein Gesicht.

Mit der Regierungskonferenz 2004 haben wir die
Chance, Europa den Bürgerinnen und Bürgern zurückzu-
geben. Kurz: Wir wollen die demokratische Legitimation
in der Europäischen Union stärken. Darum brauchen wir
eine Parlamentarisierung und Demokratisierung der
europäischen Institutionen.

Worum muss es also im Jahre 2004 und vor allem da-
vor gehen?

Erstens. Wenn jeder Bürger im Prinzip verstehen soll,
wie die Europäische Union funktioniert, müssen die eu-
ropäischen Verträge lesbarer werden.

Zweitens. Verständlich kann die Europäische Union
für die Bürgerinnen und Bürger aber nur dann werden,
wenn klar ist, wer wofür verantwortlich ist.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Aufgabenverteilung zwischen der nationalen und der
europäischen Ebene muss deshalb auf den Prüfstand.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Richtig!)

Drittens. Die demokratische Legitimation auf der eu-

ropäischen Ebene kann auf absehbare Zeit nicht auf die
Art und Weise erfolgen, wie dies in den Mitgliedstaaten
möglich ist. Deshalb ist es richtig, dass wir uns während
des Reformprozesses auf dem Weg zur Regierungskonfe-
renz 2004 mit der Frage befassen, wie die Rolle der na-
tionalen Parlamente gestärkt werden kann.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Viertens. Wir müssen klären – da gibt es für uns ei-

gentlich gar keinen großen Klärungszwang –, wie die
Grundrechtecharta in die Verträge integriert und rechts-
verbindlich werden kann.

Ich will eine weitere Aufgabe nennen: Wir müssen uns
der Frage stellen, wie das Verhältnis der europäischen In-
stitutionen zueinander weiterentwickelt werden soll. Wol-
len wir einen immer stärker werdenden Rat auf Kosten der
Europäischen Kommission, das heißt, wollen wir in Rich-
tung auf eine Zusammenarbeit der Regierungen gehen,
oder wollen wir mehr einen Integrationsansatz, das heißt,
die Vergemeinschaftung stärken und damit neben dem Rat
das Gewicht der Europäischen Kommission und des Eu-
ropäischen Parlaments ausbauen? Dies ist sicherlich von
unserer Seite zu befürworten.

Parlamentarisierung heißt aber auch, dass wir die eu-
ropäischen Verträge nicht mehr so wie bisher reformieren
können. Das Instrument der Regierungskonferenz ist an
seine Grenze gestoßen. Deshalb treten wir mit Nachdruck
dafür ein, für die Reform 2004 ein Gremium, ähnlich dem
Konvent für die Formulierung der Grundrechtecharta,
einzusetzen. In Anlehnung an die Aussage von Willy
Brandt „Mehr Demokratie wagen“ sage ich: Wir müssen
in Europa mehr Parlament wagen.

Aber ich muss dazu sagen: Der Konvent wird kein All-
heilmittel für all die vielen Schwierigkeiten sein, die es auf
dem Weg zu einer europäischen Integration immer noch
gibt und auch künftig geben wird. Wer Europa voranbrin-
gen will, muss im Zweifel nationale Interessen hintanstel-
len und für das europäische Interesse eintreten. Das ist die
wichtigste Lehre, die wir aus Nizza ziehen müssen. Wenn
wir diese Lehre verstanden hätten, wäre mir um die Zu-
kunft Europas nicht bange.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417911100
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Hintze.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1417911200
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Nizza ist
durch das Nein der irischen Bevölkerung neu in den
Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Viele Bürger in
Europa empfinden angesichts der Kompliziertheit und
Undurchschaubarkeit der Brüsseler Entscheidungs-




Günter Gloser
17616


(C)



(D)



(A)



(B)


prozesse Unbehagen. Herr Außenminister, der Vertrag
von Nizza hat dieses Problem leider eher verschärft. Sie
präsentieren uns heute ein ausgesprochen schwaches Er-
gebnis zur Ratifizierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Europa in der Hand der Regierungen ist weit weg von
den Menschen. Deswegen müssen wir Europa den Bür-
gern wieder zurückgeben. Das ist die zentrale Aufgabe,
die im europäischen Verfassungsprozess gelöst werden
muss. Wir wollen die Europäische Union so weiterent-
wickeln, dass sich die Bürger beteiligt fühlen, sie ein ech-
tes Wahlrecht bekommen, das faktisch auch ein Recht zur
Wahl und Abwahl der Kommission, der europäischen
Exekutive, beinhaltet. Das Europäische Parlament soll
der zentrale Ort für wichtige Entscheidungen werden. Eu-
ropa käme dann den Bürgern viel näher. Nicht zuletzt eine
klar gegliederte Kompetenzabgrenzung trägt dazu bei,
dass Europäische Union und Bürgernähe keine Ge-
gensätze mehr sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Vertrag von Nizza muss in allen 15 Mitgliedstaa-

ten ratifiziert werden. Nun haben die Iren Nein gesagt. Es
stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Ist der Vertrag
von Nizza mit dem irischen Nein tot? Ich sehe für Europa
noch eine gute Chance, die Ratifikation auch in Irland zu
schaffen, wenn die Art und Weise, wie der Vertrag von
Nizza in den anderen europäischen Mitgliedstaaten bera-
ten wird, wie die Ratifizierung dort abläuft und wie die
Perspektiven für die Zukunft sind, die irische Bevölke-
rung überzeugt.

Ich will eines sagen – Herr Kollege Gloser hat es zag-
haft angesprochen –: Deutschland ist jetzt an der Reihe.
Unverständlicherweise hat sich die Bundesregierung dazu
entschlossen, die Ratifizierung auf einer Art „low-level“
durchzuführen, das heißt, auf der niedrigst möglichen
Ebene, nach dem Motto, es reiche, wenn Parlament und
Bundesrat mit einfacher Mehrheit zustimmten.

Nun kann man im Hinblick auf die dürftigen Ergeb-
nisse von Nizza politisch zu dem Schluss kommen, dass
eine einfache Mehrheit vielleicht reicht. Integrationspoli-
tisch, Herr Außenminister, halte ich es aber für einen
schweren Fehler der Regierung, so zu verfahren. Die iri-
sche Regierung hört auf ihre Bevölkerung, unser Bundes-
kanzler Schröder dagegen hört nicht einmal auf seine ei-
gene Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Was Sie alles wissen!)


Ich bedaure, dass er heute nicht hier ist. Ausnahmsweise
müssen wir den Außenminister für etwas kritisieren, für
das er zwar als Regierungsmitglied Verantwortung trägt,
das aber nicht aus der Tiefe seines Herzens gekommen ist.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)

Im Europaausschuss herrscht unter allen Abgeordneten

eine breite Übereinstimmung darüber, dass das Ratifizie-
rungsgesetz zum Nizza-Vertrag mit einer Zweidrittel-
mehrheit ausgestattet werden sollte. Ich stehe nicht an zu

sagen: Ich freue mich, dass sich der Kollege Gloser eben
hier hingestellt und gesagt hat, dass diese Überzeugung
auch weiterhin gilt. Ich finde es sehr anständig, dass er das
getan hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In Kenntnis der Stellungnahme des Bundesrates, von
15 Ministerpräsidenten, 15 Justizministern und 15 Europa-
ministern und in Kenntnis der Stellungnahme der Frak-
tionen des Deutschen Bundestages sagt die Bundesregie-
rung trotzig: Einfache Mehrheit soll es sein. – Was ist das?
Ist das Angst vor dem Parlament oder Ignoranz?


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Arroganz!)

Was steckt dahinter? Der Bundeskanzler sagt: Basta, ein-
fache Mehrheit, und das ist gut so.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich erinnere mich noch an die Ratifizierung des Ams-

terdamer Vertrages. Hier im Haus sitzen einige, die das
auch noch in Erinnerung haben. Die damalige Bundes-
regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl hatte ur-
sprünglich die Absicht, den Amsterdamer Vertrag nach
Art. 23Abs. 1 Satz 2 hier zur Ratifizierung vorzulegen. Es
waren die Vertreter der Grünen – ich glaube, Herr Fischer
war damals Sprecher der Grünen –


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Er war auch einmal Parlamentarier!)


und die Vertreter der SPD, die an die Regierung herange-
treten sind und gesagt haben: Lasst uns alle juristischen
Fallstricke und Unsicherheiten ausräumen und dies als
eine gemeinsame Aufgabe verstehen. Die Bundesregie-
rung hat das damals aufgegriffen und das Ganze entspre-
chend eingebracht. Es gab dann eine Zweidrittelmehrheit
für die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das hat er vergessen!)

Deshalb finde ich es einerseits schön, dass sich die Re-

gierungsfraktionen daran erinnern – das erleben wir hier
im Parlament nicht immer; dies ist endlich einmal ein
Fortschritt –, andererseits aber schade, dass der Bundes-
kanzler, der die Ratifizierung des Vertrages von Nizza für
nicht wichtig genug hält, um hier im Parlament zu sein,
anders entschieden hat. Auch wenn wir das Angebot der
Sozialdemokraten aufgreifen, die Sache zu heilen, wäre
es korrekter und sicherer, die Bundesregierung würde die-
sen falschen Gesetzentwurf zurückziehen und dem Parla-
ment einen neuen Gesetzentwurf mit einer geänderten
Eingangsformel zuleiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich möchte noch etwas sagen: Trotz der in der Sache
unbefriedigenden Ergebnisse besteht eine breite Überein-
stimmung, diesen Vertrag wegen der grundlegenden Wir-
kung für die Osterweiterung, die wir als die große histo-
rische und politische Aufgabe verstehen, zu ratifizieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Peter Hintze

17617


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist mir ein völliges Rätsel, wie es eine Regierung
schafft, eine im Parlament vorhandene Zweidrittelmehr-
heit, die bereit ist, einen solchen Vertrag zu tragen, durch
reine Rechthaberei in Gefahr zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn die Opposition gebeten wird, europapolitisch be-
deutsame Dinge mitzutragen und nicht aus taktischen
Gründen Schwierigkeiten zu schaffen, wie wir das in un-
serer Regierungszeit mit Ihnen bei manchen Themen er-
lebt haben, muss man mit ihr fair umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Es spricht für das Funktionieren des Parlamentarismus,
dass der Kollege Gloser von der SPD erklärt hat, dass Sie
die Auffassung, die Sie im Europaausschuss vertreten ha-
ben, trotz des gegenteiligen Votums der Bundesregierung
auch hier im Parlament vertreten. Dies ist ein Zeichen für
die Unabhängigkeit des Parlaments; dies wird unserem
Auftrag gerecht. Insofern halte ich das für eine positive
Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Der Nizza-Vertrag selbst ist leider ein Beitrag zur Stei-
gerung der Unübersichtlichkeit und zur Absenkung der
demokratischen Kontrolle in Europa. Die Verträge sind
unübersichtlicher geworden. Wir hatten uns eine Verein-
fachung gewünscht und es ist eine Komplizierung he-
rausgekommen. Ich bitte den Außenminister, nicht nur
kräftig zu gähnen, was möglicherweise auf Sauerstoff-
mangel beruht, sondern uns auch dazu ein Wort zu sagen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Er gähnt immer, wenn es unangenehm wird!)


Die parlamentarische Demokratie und die Gewalten-
teilung sind auf ziemlich niedrigem Niveau stecken ge-
blieben. Es ist sogar geschafft worden, im Rat für viele
Dinge eine Mehrheitsentscheidung zu beschließen und
gleichwohl das Europäische Parlament an einer Mit-
entscheidung zu hindern. Dies gilt selbst für ein Kern-
element des Parlamentarismus wie das der Haushaltsord-
nung. Ich habe das Gefühl, dass manche Regierungen das
Parlament als Störenfried ansehen. Insofern wollen wir
unsererseits als Parlament etwas stören, weil wir der Auf-
fassung sind, dass die zentralen Entscheidungen in den
Parlamenten getroffen werden sollten. Das gilt für die na-
tionalen Parlamente wie auch für das Europäische Parla-
ment.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS)


Das Treffen von Entscheidungen im Ministerrat wird
schwieriger und komplizierter. Man hat es geschafft, dass
in Zukunft, wenn die Erweiterung durchgeführt ist, selbst
bei einfachsten Fragen 74 Prozent der gewichteten Stim-
men nötig sind, um überhaupt zu einer Entscheidung zu
kommen. Zusätzlich zu den zwei Hürden hat man eine
dritte Hürde errichtet. Entscheidungen zu treffen wird
noch schwieriger, gerade wenn wir im größeren Kreis
beieinander sind.

Ein ganz bedauerliches Ergebnis dieser Regierungs-
konferenz ist, dass wir die neuen Partner Tschechien und
Ungarn bei der Sitzverteilung im Europäischen Parlament
diskriminieren und ihnen weniger Sitze geben als Belgien
und Portugal, obwohl sie mehr Einwohner haben. So kann
Partnerschaft in Europa nicht aussehen. Deswegen fordern
wir als CDU/CSU-Fraktion, dass das in den Beitrittsver-
trägen mit Tschechien und Ungarn korrigiert wird und die
Europäischen Verträge entsprechend geändert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS)


Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion
wird dem Nizza-Vertrag zustimmen, weil er der Schlüssel
für die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union ist.


(Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])


Das ist eine große und bedeutende Aufgabe, der wir uns
selbstverständlich stellen wollen. Wir weisen dabei darauf
hin, dass auch der Kommissionspräsident, Herr Prodi, un-
sere Unterstützung hat, der gesagt hat, dass die Dinge, die
mit der Erweiterung verbunden sind, notfalls im Rahmen
der Beitrittsverträge geregelt werden müssten, und die an-
deren Dinge im Rahmen des Verfassungsvertrages, wenn
es beim irischen Nein bleibt. Wir können die historische
Aufgabe der Osterweiterung nicht auf Gedeih und Verderb
allein an den Vertrag von Nizza binden. Sie muss auch po-
litisch weitergeführt werden, notfalls über den Weg der
Beitrittsverträge mit den Einzelregelungen oder des Ver-
fassungsvertrags mit den grundlegenden Regelungen.

Eines ist allerdings deutlich geworden – dafür hat die
Konferenz in Nizza ein eindrucksvolles Beispiel gelie-
fert –: Die Methode Regierungskonferenz hat sich er-
schöpft. Wir brauchen ein neues, kreatives Verfahren. Für
die Erarbeitung des Verfassungsvertrags brauchen wir
eine vorbereitende Versammlung aus Mitgliedern der na-
tionalen Parlamente und des Europäischen Parlaments,
der nationalen Regierungen und der Europäischen Kom-
mission, die gleichberechtigt einen Entwurf erarbeiten,
der dann im Rahmen der üblichen Vertragsabwicklung
durch eine Regierungskonferenz beschlossen und in den
Nationalstaaten ratifiziert wird. Dadurch ist man in der
Lage, für die Erarbeitung mehr Kreativität aufzubringen
und mehr Konsens herzustellen, als das mit der üblichen
Methode der Regierungskonferenz bisher der Fall war.

Ich wünsche mir, dass wir dieses umfassende Projekt,
die Weiterentwicklung der Europäischen Union, die Ge-
staltung eines Verfassungsvertrages mit einer horizon-
talen und einer vertikalen Kompetenzabgrenzung und die
Erweiterung der Europäischen Union, als die große Auf-
gabe im beginnenden 21. Jahrhundert angehen. Die CDU/
CSU bietet der Regierung an, sie in den Grundfragen zu
unterstützen. Wir bitten aber die Regierung, ihrerseits das
Parlament und auch uns zu würdigen und diese Themen
in einem fairen Verfahren zu besprechen und auf den Weg
zu bringen, damit der europapolitische Konsens auch in-
tegrationspolitisch von der Regierung gestützt wird.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)





Peter Hintze
17618


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417911300
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Sterzing.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417911400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, wir müssen zunächst ein Missverständnis ausräu-
men. Herr Kollege Hintze, ob der Nizza-Vertrag mit einer
Zweidrittelmehrheit oder einer einfachen Mehrheit verab-
schiedet wird, hat nichts mit der politischen Bedeutung
dieses Vertrags als solchem zu tun. Es gibt, wie beim
Amsterdamer Vertrag, eine juristische Auseinander-
setzung über die Frage, ob eine Zweidrittelmehrheit not-
wendig ist oder nicht; das hängt mit unklaren Artikeln im
Grundgesetz zusammen. Darüber kann man juristisch
streiten. Aber die Tatsache, dass die Bundesregierung hier
den Vorschlag macht, das Gesetz mit einer einfachen
Mehrheit durch das Parlament und den Bundesrat zu brin-
gen, lässt nun wirklich nicht den Rückschluss zu, dass die
Bundesregierung oder irgendeine der Regierungsfrak-
tionen der Meinung ist, dass der Vertrag von Nizza ohne
europa- oder integrationspolitische Bedeutung sei. Ich
glaube, es steht vollkommen außer Zweifel, dass Nizza
ein wichtiger Schritt im europäischen Integrationsprozess
ist.

Wenn Sie jetzt auf die Notwendigkeit einer Zweidrit-
telmehrheit hinweisen, für die vieles spricht, dann trifft
das deutsche Sprichwort zu, das heute schon einmal er-
wähnt worden ist: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit
Steinen werfen. Vor ein paar Monaten hat auch die CDU-
Opposition hier im Hause noch die Meinung vertreten,
eine Zweidrittelmehrheit sei nicht erforderlich. Dann gab
es Briefe aus dem Süden der Republik, die bestimmte
Überlegungsprozesse beschleunigten. Das kann ganz hilf-
reich sein. Insofern sollte man mit Häme vorsichtig sein.

Wir haben hier einen Dissens zwischen großen Teilen
des Parlaments und der Bundesregierung. Das haben wir
in den letzten Tagen deutlich besprochen. Da wir uns hier
aber in einer ganz großen Mehrheit einig sind, dass Nizza
ratifiziert werden soll, gerade auch aufgrund seiner inte-
grationspolitischen Bedeutung, bin ich davon überzeugt,
dass wir einen Weg aus dem augenblicklichen Dilemma
finden


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das müssen wir!)


und den Nizza-Vertrag politisch und juristisch sattelfest
ratifizieren werden.

Die Frage, ob Nizza es angesichts der Kritik, die in den
letzten Monaten an diesem Vertrag immer wieder geübt
worden ist, wert ist, ratifiziert zu werden, sollte nicht zu
parteipolitischen Spielchen verführen. Insofern hoffe ich
sehr, dass sich gerade die F.D.P. noch bewegt und von ih-
rer ursprünglich ablehnenden Haltung Abstand nimmt.
Das ist nicht ganz einfach.

Ich erinnere daran, dass gerade die F.D.P. in der Euro-
papolitik in den letzten Jahren immer das Hohelied auf die
Notwendigkeit der kleinen Schritte gesungen hat. Ich er-
innere daran, dass gerade gestern Herr Möllemann sich
sehr besorgt über die Position der F.D.P. geäußert hat. Er

hat gesagt, es wäre ein Treppenwitz, wenn jene Partei, die
sich immer für eine Politik der kleinen Schritte ausge-
sprochen habe, jetzt sagte, die in Nizza erreichten Schritte
seien nicht groß genug.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Die Schritte dürfen nicht zu klein werden!)


Insofern stellt sich doch die Frage: Sind in Nizza Fort-
schritte gemacht worden? Das ist zweifellos der Fall. In
vielen Bereichen sind Fortschritte gemacht worden. Die
Schritte sind nicht groß genug.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehen Sie!)

Wir konnten uns immer vorstellen, in Nizza größere
Schritte zu machen, mit größerer Entschlossenheit das
eine oder andere Reformvorhaben anzupacken. Das hat
auch die Regierung nie verschwiegen.

Die Tatsache, dass einige der Schritte sehr klein ge-
blieben sind,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Mini!)

führt nicht dazu, dass der Vertrag in Gänze abgelehnt wer-
den sollte. Denn eine solche Ablehnung wäre nur ge-
rechtfertigt, wenn Schritte unternommen worden wären,
die in die falsche Richtung gehen. Das kann ich wirklich
nicht sehen. Insofern müsste sich jeder, der diesen Vertrag
ablehnt, fragen lassen, was er damit auslöst, welche Steine
er damit dem Integrationsprozess in den Weg legt.

Diese Steine sind, glaube ich, offensichtlich. Ihr Kol-
lege Möllemann spricht das sehr deutlich aus. Er klagt
eine eindeutigere Position Ihrer Partei zur geplanten EU-
Osterweiterung ein. Er erinnert damit an ein ganz ent-
scheidendes, wenn nicht das entscheidende politische
Signal von Nizza, nämlich das grüne Signal für die Ost-
erweiterung. Sie und auch die PDS müssen sich klar wer-
den: Wer Nizza ablehnt, wer hier Nachbesserungen ver-
langt, der zerstört dieses Signal, der setzt den Fahrplan für
die Osterweiterung aufs Spiel. Das können wir uns poli-
tisch auf keinen Fall leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der zweite Punkt: Nizza ist – dies wurde schon er-
wähnt – ein wichtiger Schritt auf dem Reformweg der
Europäischen Union. Wir sprechen heute fast schon mehr
über den Post-Nizza-Prozess als über Nizza.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417911500
Kollege Sterzing, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger?


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417911600

Ja.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1417911700

Herr Sterzing, können Sie sich noch an Ihren Antrag erin-
nern, den Sie am 4. März 1998 zu den Beratungen des
Vertrages von Amsterdam in den Bundestag eingebracht
haben? Ich sage nicht, dass ich die darin vertretene Auf-
fassung teile. Aber Sie sagen dort:






(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts der unzureichenden Ergebnisse der
Regierungskonferenz, die nicht zuletzt auf die
falschen politischen Zielsetzungen zurückzuführen
sind, ist die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages
politisch abzulehnen.

Weil es aber immerhin integrationspolitische Fortschritte
in Teilbereichen gebe, wollten Sie sich damals – das ha-
ben Sie dann auch getan – bei der Abstimmung über den
Amsterdamer Vertrag enthalten. Das war Ihre Position zu
einem Vertrag, der eindeutig einen größeren Schritt für die
Integration der Europäischen Union bedeutet hat als der
Vertrag von Nizza. Wie bewerten Sie, Herr Sterzing, Ihre
damalige Position aus heutiger Sicht? Ich finde Ihr Ver-
halten, Herr Sterzing, widersprüchlich.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)



Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417911800

Ich empfehle Ihnen, meine ganze Rede zu lesen, die ich
damals gehalten habe.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Das war ein Antrag Ihrer Fraktion!)


Es muss, glaube ich, zwischen der Frage, ob es große oder
kleine Schritte in die richtige Richtung sind – das ist die
Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist; darüber
kann man politisch streiten –, und der Frage, ob Schritte
überhaupt in die richtige Richtung gemacht werden, un-
terschieden werden. Damals waren wir der Meinung, dass
einige der in Amsterdam beschlossenen Schritte – das
habe ich in meiner damaligen Rede auch ausgeführt – in
die falsche Richtung gehen. Diese Beurteilung des Ams-
terdamer Vertrages hat damals zu unserer Enthaltung ge-
führt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der Unterschied ist, dass Fischer jetzt Minister ist!)


Nun müssten Sie mir erklären, ob in Nizza ein Schritt
in die falsche Richtung gemacht worden ist, der eine voll-
ständige Ablehnung des Vertrages rechtfertigt. Dazu habe
ich von Ihnen bislang nichts gehört. Sie beklagen zwar,
dass zu wenige Reformschritte auf den Weg gebracht wor-
den seien. Aber Sie haben nicht gesagt, dass diese voll-
kommen falsch seien oder in die falsche Richtung gingen.
Ich glaube, wir müssen uns schon der Mühe unterziehen,
die einzelnen Vertragswerke, zu denen das Parlament lei-
der nur Ja oder Nein sagen kann, tatsächlich in ihrer Kom-
plexität zu beurteilen und daraus politische Schlüsse zu
ziehen.

Wenn man den Vertrag von Nizza ablehnt, dann signa-
lisiert man auch, dass man die Osterweiterung ablehnt.
Das darf auf keinen Fall geschehen. Des Weiteren ist mit
dem, was man als Post-Nizza-Prozess bezeichnet, eine
neue Reforminitiative angestoßen worden, gerade auch
durch die Bundesregierung. Wer gegen den Vertrag von
Nizza stimmt, muss auch erklären, was aus der Reform-
initiative, die gerade durch den Gipfel von Nizza auf den
Weg gebracht worden ist, werden soll. Darüber debattie-
ren wir bereits. Ich glaube, die Ablehnung des Vertrages
von Nizza wäre für den Reformprozess schädlich und
würde die Debatte über Reformen behindern.

Sicherlich gibt es gute Gründe, den Vertrag von Nizza
zu kritisieren. Aber es gibt bei allen Unzulänglichkeiten
auch gute Gründe, den Vertrag von Nizza zu ratifizieren;
denn damit fördert man sowohl den Erweiterungsprozess
als auch den weiteren Integrations- und Reformprozess in
der EU.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417911900
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1417912000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es hat schon größere
europäische Vertragswerke gegeben als den Vertrag
von Nizza, an denen Redner hätten festmachen können,
ob man ein Bewusstsein für Europa hat oder nicht.
Amsterdam war jedenfalls ein größerer qualitativer
Sprung als Nizza. Damit hat meine Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger wirklich Recht.

Meine Fraktion möchte zwar aus ganz grundsätzlichen
Erwägungen heraus dem Nizza-Prozess keine Steine in
den Weg legen. Aber der Vertrag von Nizza ist im Ver-
gleich zu anderen europäischen Verträgen nun wirklich
kein großer Wurf. Niemand kann allen Ernstes das Ge-
genteil behaupten. Es hat sicherlich schon stärkere und
schwächere Gipfel gegeben. Aber die letzten europä-
ischen Gipfel – die einzige Ausnahme ist der couragierte
Beschluss von Göteborg, die Osterweiterung bis zur
nächsten Wahl des Europaparlaments voranzubringen –
haben keine wirklichen Spitzenleistungen hervorge-
bracht.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Kläglich! Das sagt auch Helmut Schmidt!)


Das muss hier auch gesagt werden. Es begann mit dem
Berliner Gipfel, auf dem die finanziellen Voraussetzun-
gen für die Aufnahme der osteuropäischen Staaten ge-
schaffen werden sollten. Tatsächlich wurden auf diesem
Gipfel die alte Agrarpolitik fortgesetzt und die Erhöhung
der Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds für
Westeuropa beschlossen, sodass nur noch 30 Prozent der
Mittel für die Osterweiterung zur Verfügung standen. Das
war unter dem Gesichtspunkt der Nachbarschaft mit den
osteuropäischen Staaten nicht fair. Das war das Ergebnis
des Berliner Gipfels.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Danach fanden weitere Treffen auf europäischer Ebene

statt. In Porto hat sich die Europäische Union aufge-
macht, zu erklären, sie sei einer der größten Globalplay-
ers, sie gehe jetzt entschieden nach vorne, sie privatisiere
die Märkte, sie bringe die Forschung und die Entwicklung
nach vorne, man müsse sie ernst nehmen, sie sei ein star-
ker Wettbewerber. Als man sich in Stockholm traf, ist es
trotz vieler vorbereitender deutsch-französischer Essen
nicht dazu gekommen, dass Märkte wirklich geöffnet
worden sind, dass die Energieversorgung privatisiert wor-
den ist und dass die Verbraucher als die entscheidende




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
17620


(C)



(D)



(A)



(B)


wirtschaftliche Macht gesehen worden sind. Man blieb
genau da stecken, wo wirtschaftliche Dynamik hätte ent-
faltet werden können.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann folgte Nizza. Jeder in diesem Hause weiß, dass
Nizza gemessen an dem, was es hätte leisten sollen, ein
Fehlschlag war. Alle, die von Nizza zurückkamen, sagten:
Wir mussten zwar verhandeln, es blieb uns nichts anderes
übrig – solche Stimmen gab es auch aus der deutschen De-
legation –; aber es war nicht mehr herauszuholen. Wenn
man ein solches, etwas schwächliches Verhandlungser-
gebnis zu kommentieren hat, dann muss man an diesem
Rednerpult aber nicht dreimal Halleluja schreien. Nizza
und Berlin sind, gemessen an dem notwendigerweise ehr-
geizigen Ziel der Osterweiterung der Europäischen
Union, Fehlschläge gewesen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann uns gerne fragen, ob man hätte ratifizieren
müssen oder ob es eine Alternative gab. Herr Bundes-
außenminister, ich wäre schon dankbar, wenn der Ratifi-
zierungsprozess in diesem Hause mit ruhiger Hand, wie
es beim Bundeskanzler Mode geworden ist, durchgeführt
würde. Das gäbe uns vielleicht ein Stück mehr Hoffnung
auf die belgische Präsidentschaft. Der belgische Premier-
minister, unser liberaler Kollege, hat in diesen Tagen völ-
lig zu Recht die Bezeichnung „Identitätskrise“ benutzt.
Zwar haben Sie, Herr Bundesaußenminister – ich erinnere
an Ihren Vortrag in der Humboldt-Universität –, der Bun-
deskanzler und auch Herr Jospin wichtige Reden gehalten;
aber zusammen haben Sie das Entscheidende nicht gesagt.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Führung fehlt! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen sie im Chor singen, oder was?)


So sollte Europa nicht enden. Die Kette der Gipfel der letz-
ten Jahre war hinsichtlich der Erweiterung nicht erfolg-
reich.

Dem Kollegen von den Grünen, der gesagt hat, dass
sich an der Haltung gegenüber Nizza festmachen lasse, ob
man entschieden für die Erweiterung sei, entgegne ich:
Wenn es nach dem Willen aller Abgeordneten der F.D.P.-
Fraktion gegangen wäre, dann hätten wir die Erweiterung
schon haben können, bedenkt man, mit welcher Zöger-
lichkeit die Bundesregierung in die Erweiterungsver-
handlungen gestartet ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Dieser Vorhalt erscheint besonders witzig, wenn man

bedenkt, dass dieselbe Bundesregierung die Auffassung
vertritt, man müsse doch die Erweiterung wollen. Das
müssen Sie uns gar nicht vorhalten; denn es ist für uns eu-
ropäische Verpflichtung und ein Stück Inhalt unserer
Politik, es ist unser Credo. Es ist ein Treppenwitz der
Weltgeschichte, dass diese Bundesregierung, ohne ihre
Hausaufgaben zu machen, über Übergangsfristen von
sieben Jahren verhandelt.


(Beifall bei der F.D.P.)


Herr Bundesaußenminister, mir ist erst jetzt klar gewor-
den, warum Sie eine Übergangsfrist von sieben Jahren
brauchen: weil Ihre Anhänger tatenlos zusehen, wie bei
VW5 000 Stellen – diese Stellen wären ein Erfolg der Be-
schäftigungspolitik in Deutschland – nicht zustande kom-
men.


(Beifall bei der F.D.P.)

Daran wird deutlich, welch krasses Missverhältnis zwi-
schen Ihrer Beschwörung Europas und Ihrer Politik be-
steht. Die Übergangsfristen im Hinblick auf die Erweite-
rung der Europäischen Union nach Osteuropa in dieser
Dimension sind überhaupt nicht motivierend. Diese Fris-
ten sind schlicht der Ausfluss mangelnder innenpoliti-
scher Reformfähigkeit dieser Bundesregierung im Hin-
blick auf den deutschen Arbeitsmarkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben in diesen Fragen keinen Nachhilfeunterricht
nötig.

Kern des Problems ist, ob wir überhaupt wieder die
Fähigkeit entwickeln, den Menschen zu vermitteln, worin
die Dimension und die Notwendigkeit europäischer Auf-
gaben besteht. Mir erscheint es so, dass die Menschen
nach der Katastrophe der deutschen Geschichte davon
noch wussten. Eine solche Kette von Gipfelveranstaltun-
gen hat allmählich dazu beigetragen, dass die Menschen
das völlig vergessen haben. Dem irischen Votum liegt für
mich keine Beliebigkeit zugrunde; vielmehr ist es ein
ganz ernsthafter Hinweis, dass die Fortsetzung dieser Art
von Gipfelpolitik ein Bewusstsein für Europa überhaupt
nicht mehr wecken kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Vor der Herausforderung, dieses Bewusstsein erneut zu
schaffen, stehen wir.

Es wäre gut, wenn wir uns anlässlich der Beratungen
über die in Nizza gefassten Beschlüsse darüber klar wür-
den, dass dort etwas mehr verlangt worden ist, als nur zu
fragen, ob derjenige, der Nizza schon heute zustimmt und
Erklärungen abgibt, ein guter Europäer ist und ob derje-
nige, der heute sagt: „So kann es einfach nicht weiterge-
hen“, ein schlechter Europäer ist. Jedes Mitglied unserer
Fraktion weiß, dass es zur Politik gehört, manchmal Ent-
scheidungen hinzunehmen, die etwas kümmerlich sind,
um überhaupt weiterzukommen. Wenn Sie Nizza in diese
Rubrik einordnen, dann können Sie mit unserer Fraktion
reden; denn auch wir wissen, was geschichtliche Verant-
wortung gegenüber europäischen Vertragswerken ist.
Aber unterlassen Sie es, uns Nizza glorios wie ein
Gemälde zu beschreiben.

Die Gipfelveranstaltungen der vergangenen Jahre,
auch die in der Verantwortung dieser Bundesregierung
durchgeführten, verdienen diese Bezeichnung nicht.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Sie nicht mehr dabei sind!)


– Herr Kollege, ich muss mich fragen, ob der Euro
– das war eine der psychologisch bedeutsamsten




Dr. Wolfgang Gerhardt

17621


(C)



(D)



(A)



(B)


Entscheidungen – überhaupt zustande gekommen wäre,
wenn die Gipfelvorbereitungen so ausgesehen hätten wie
die dieser Bundesregierung, die die letzten Gipfelveran-
staltungen vorbereitet hat.


(Beifall bei der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blick zurück in Nostalgie!)


Meine Damen und Herren, für meine Fraktion lege ich
Wert auf ein klares, zeitlich nicht beschränktes, jedenfalls
nicht zu schnelles Ratifizierungsverfahren, das auch die
Hürde der Mehrheiten klärt. Wir möchten einen weiteren
Fortgang im Rahmen der belgischen Präsidentschaft. Es
wäre gut, wenn Signale über Nizza hinausgingen. Das
macht eine Ratifizierung einfacher. Ich habe die Hoff-
nung, dass, wenn im Herbst eine Entscheidung über Niz-
za gefällt wird, wir sagen können: Wir nehmen das hin. Es
war nicht einer der glanzvollsten Gipfel. Aber wir sind
froh, dass es in der belgischen Präsidentschaft weitergeht.
– Es obliegt der Bundesregierung, das Ratifizierungsver-
fahren mit Offenheit und strategischer Klugheit zu führen.
Dann stellen sich auch hier ausreichende Mehrheiten he-
raus. Das gehört auch dazu.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf einen Irish Coffee!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417912100
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Uwe Hiksch.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1417912200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Diskussion
zu einem Gesetzentwurf zum Vertrag von Nizza, die
eigentlich nur unter Vorbehalt stattfindet.


(Beifall bei der PDS)

Denn zwei Verfassungsorgane haben eindeutig klarge-
macht, dass sie der festen Überzeugung sind, dass dieser
Gesetzentwurf mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet
werden muss. Sowohl der Bundesrat als auch alle
Fraktionen im Deutschen Bundestag haben dies deutlich
ausgesprochen. Die Bundesregierung, das dritte Verfas-
sungsorgan, tut jedoch so, als ob sie das nicht interessie-
ren muss. Herr Außenminister, dieses verfassungsrecht-
lich äußerst bedenkliche Vorgehen ist zum einen
europaschädlich und zum anderen vor allem ein Zeichen
dafür, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben.
Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das Eu-
ropa, so wie es heute dargestellt wird, nämlich ein Europa,
das nur von den Regierungen diskutiert wird, das für die
Menschen nicht mehr fassbar ist und in dem nicht mehr
die zentralen Themen, zum Beispiel Arbeitslosigkeit,
Strukturpolitik und Entwicklung der Sozialpolitik, im
Mittelpunkt stehen, von den Menschen – wie jetzt in Ir-
land – nicht akzeptiert wird?

Wir erleben in der Bundesrepublik, dass die Bundesre-
gierung verfassungsrechtliche Bedenken zur Seite
schiebt, weil sie von innenpolitischen Problemen ablen-
ken möchte. Deshalb, sehr geehrter Herr Außenminister,

fordere ich Sie im Namen der PDS-Bundestagsfraktion
ausdrücklich auf, alles dafür zu tun, dass nicht nachträg-
lich Menschen, die Probleme mit dem Nizza-Vertrag ha-
ben, die Möglichkeit bekommen, verfassungsrechtlich
gegen die jetzige von der Bundesregierung an den Tag
gelegte Art und Weise vorzugehen, sodass eventuell Sie
die Schuld daran tragen, dass Deutschland zu einem
Bremser bei der Ratifizierung des Vertrages von Nizza
wird.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern Sie auf: Legen Sie einen neuen Gesetzent-

wurf vor. Nehmen Sie die Bedenken von Bundesrat und
Bundestag auf und machen Sie deutlich, dass die Zwei-
drittelmehrheit eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass
alle Bedenken ausgeräumt sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Eu-
ropa, das sich weiterentwickelt. Wir brauchen ein Europa,
das deutlich macht, dass die Demokratisierung aller eu-
ropäischen Strukturen im Zentrum weiterer europäischer
Politik stehen muss und dass Transparenz von Entschei-
dungen und dass Mitbekommenkönnen, warum Gesetz-
entwürfe und Richtlinien verabschiedet werden, zum
Zentrum aller politischen Entwicklungen werden müssen.
Wir alle müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Eu-
ropamüdigkeit – zum Teil ist es sogar Europafeindlichkeit –
in immer mehr Staaten zunimmt.

Auf der einen Seite treten wir für die Durchsetzung
plebiszitärer Elemente und für direkte Demokratie und
Volksabstimmungen ein. Auf der anderen Seite können
wir aber doch nicht über eine in Irland durchgeführte
Volksabstimmung über ein Europa der Regierungen, ein
Europa, das die soziale Dimension vergisst und ein rei-
nes Binnenmarktprojekt werden kann, ein Europa, das
nicht die demokratische Dimension in den Mittelpunkt
stellt, sondern Regierungsgemauschel in internen Gre-
mien für wichtiger hält, hinweggehen und so tun, als
hätte es sie nicht gegeben. Deshalb bitte ich Sie alle:
Nehmen Sie das irische Votum ernst. Nehmen Sie ernst,
dass die Menschen ein anderes Europa wollen, und set-
zen Sie sich dafür ein.

Ich sage Ihnen, Herr Sterzing: Wenn die PDS-Bundes-
tagsfraktion dafür eintritt, dass der Nizza-Vertrag nach-
verhandelt werden muss, tut sie das im europapolitischen
Interesse. Wir wissen, dass ein Europa der 28, das sich
weiterentwickelt als heute, ein Europa, das zu einem
Binnenmarktprojekt werden wird ohne jegliche poli-
tische, demokratische Legitimierung, ein Europa, das sich
Strukturen schafft, die nicht mehr in der Lage sind, über-
haupt noch für die Menschen nachvollziehbar zu handeln,
ein Europa sein wird, in dem die Gefahr des Scheiterns
und übrigens auch des Nationalismus wesentlich größer
sein wird, wenn wir uns heute nicht gemeinsam dazu ent-
schließen, deutlich zu machen, dass wir Europa weiter-
entwickeln müssen. Der Deutsche Bundestag muss deut-
lich machen: Nizza muss nachgebessert werden.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb ist die Forderung der PDS-Bundestagsfraktion

nach einer Weiterentwicklung des Nizza-Vertrages nicht
europafeindlich. Das kann man nur behaupten, wenn man




Dr. Wolfgang Gerhardt
17622


(C)



(D)



(A)



(B)


sich nur noch im Regierungseuropa bewegt. Wir fordern,
dass wir gemeinsam wieder dafür eintreten, dass Europa
die zivilgesellschaftliche Gegenmacht gegen das reine
Binnenmarktprojekt werden muss, dass Europa die zivil-
gesellschaftliche Gegenmacht gegen ein Europa werden
muss, in dem Finanz- und Kapitalströme undemokratisch
fließen können, in dem sich die demokratisch legitimier-
ten Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Europä-
ischen Parlament, im Deutschen Bundestag und auch in
den Landtagen für Entscheidungen rechtfertigen müssen,
die sie teilweise selbst nicht mehr vertreten können.

Deshalb lautet die Forderung der PDS-Bundestags-
fraktion: Lasst uns Nizza nachverhandeln. Sie ist ein Auf-
ruf, Europa für die Menschen demokratischer zu gestalten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417912300
Das Wort hat der Herr
Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Jetzt wollen wir mal hören!)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417912400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rati-
fizierung des Nizza-Vertrages ist von überaus großer Be-
deutung. Zu Recht haben wir in verschiedenen Debatten
– mit „wir“ meine ich die Rednerinnen und Redner na-
hezu aller Fraktionen im Haus – immer wieder darauf hin-
gewiesen, dass es sich nach dem Ende des Kalten Krieges
bei der Osterweiterung der Europäischen Union – jetzt
über zehn Jahre nach dem Fall der Mauer – in der Tat um
ein historisches Projekt des Zusammenwachsens Europas
handelt. Die Voraussetzungen dafür, dass die EU beitritts-
fähig ist, wurden in Nizza gelegt. Deswegen hat die Rati-
fizierung eine überaus große Bedeutung.

Wenn all diejenigen, die – aus welchen Gründen auch
immer – verlangen, der Nizza-Vertrag solle nachverhan-
delt werden, diese Forderung nicht als rein innenpoli-
tische und letztendlich unter den Gesichtspunkten prak-
tischer Veränderungen belanglose Forderung aufstellen,
sondern das ernst meinen, bedeutet dies im Klartext eine
Verschiebung der Osterweiterung der Europäischen
Union. Dies hielte ich für grundfalsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Hiksch [PDS]: Das stimmt doch nicht! Sie haben doch Prodi gehört, Herr Außenminister!)


Insofern möchte ich mich bei allen Rednerinnen und Red-
nern, vor allem auch bei denen der Oppositionsfraktionen,
bedanken, die signalisiert haben, dass sie zustimmen.
Ganz besonders möchte ich mich bei dem Redner der
F.D.P.-Fraktion bedanken, in der es eine beeindruckende
Fortentwicklung der Position hin zu einer Ratifizierung
gibt. Ich finde das eine überaus vernünftige Position.

Allerdings möchte ich einige Anmerkungen zum Kol-
legen Gerhardt machen. Wenn Sie Nizza und Berlin als

Fehlschläge bezeichnen, Kollege Gerhardt, kann ich Ih-
nen nun weiß Gott nicht folgen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Damit habe ich auch nicht gerechnet!)


Sie haben wirklich kein Argument gebracht, warum die
Erweiterung etwa durch die Finanzvereinbarung der
Agenda 2000, die wir hier in Berlin geschlossen haben,
behindert würde.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist nicht fair!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Bis 2006 – der Finanz-
rahmen reicht von 2000 bis 2006 – steht die Erweiterung
auf einer soliden Finanzierungsgrundlage.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Märchenstunde! Das glaubt Ihnen niemand!)


Für die Zeit ab 2006 hat diese Bundesregierung in der
Auseinandersetzung mit einem anderen wichtigen Mit-
gliedsland Festlegungen abgewehrt, damit nicht der Fall
eintritt, den wir alle nicht wollen, dass nämlich in einer
vergrößerten, erweiterten Union die Strukturmittel noch
an die kleine, an die alte Union gebunden werden. Das ge-
nau hat diese Bundesregierung abgewehrt. Insofern ver-
dienen wir hier nicht Ihren Tadel, sondern müssten ei-
gentlich Ihr Lob bekommen. Aber das wäre wohl zu viel
der Erwartung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Uns zu unterstellen, Kollege Gerhardt, wir seien schuld
daran, dass die Erweiterung noch nicht weiter sei, finde
ich angesichts dessen, was wir vorgefunden haben, ein
starkes Stück.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich kenne Ihr zögerliches Verhalten am Anfang!)


Da kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben von der vorhe-
rigen Bundesregierung die Verantwortung für Verspre-
chungen übernehmen müssen, nach denen Polen bereits im
Jahre 2000 Mitglied der Europäischen Union sein sollte.


(Günter Gloser [SPD]: Hören Sie zu, Herr Gerhardt!)


Das Jahr 2000 ist herum. Es lag nicht an der rot-grünen
Bundesregierung und Bundeskanzler Schröder, dass die-
ses nicht realisiert werden konnte, da erst unter der öster-
reichischen Präsidentschaft, ein halbes Jahr vor der von
uns dann auszufüllenden Präsidentschaft nach der Bun-
destagswahl, der konkrete Verhandlungsprozess begann.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Stimmt so nicht!)


Das heißt, acht Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges
ging es erst konkret voran, vorher gab es nur visionäre
Versprechungen. Dafür müssen Sie, Herr Kollege
Gerhardt, schon selbst die Verantwortung übernehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Nein!)


– Weiß Gott, doch.




Uwe Hiksch

17623


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kann Ihnen versichern – im Europaausschuss sind
wir uns darin ja völlig einig –, dass wir alles tun, um diese
Erweiterung möglichst schnell Wirklichkeit werden zu
lassen. Ich verstehe zwar, dass die Liberalen in Fragen der
Marktöffnung eine andere Position vertreten, aber die
Regelungen, die die Kommission jetzt in ihren Vorschlag
übernommen hat, hindern niemand daran, seinen Arbeits-
markt sofort zu öffnen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich weiß es ja! Aber warum brauchen Sie denn so lange?)


– Ich will Ihnen sagen, warum: weil wir die Zustimmung
der Menschen brauchen und es Sorgen in den Grenz-
regionen gibt. Ich habe mittlerweile an vier oder fünf
Bürgerversammlungen in den Grenzregionen teilgenom-
men; deswegen kann ich Ihnen sagen: Es geht ganz ent-
scheidend darum, dass wir die Menschen mitnehmen.

Bundeskanzler Schröder hat in seiner Weidener Rede
zu Recht vorgeschlagen, eine Übergangsfrist von sieben
Jahren einzurichten, diese aber flexibel zu gestalten: Nach
zwei Jahren wird es die erste Überprüfung geben, nach
fünf Jahren kann die Frist verlängert werden.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Er hat angekündigt: nach der Bundestagswahl!)


Das heißt im Klartext, dass wir die Erfahrungen, die wir
bei der Süderweiterung der Europäischen Union gemacht
haben, aufgreifen. Die luxemburgische Kollegin – übri-
gens eine Liberale – hat das dargestellt: Zehn Jahre Über-
gangsfrist wurden damals beim Beitritt Portugals bean-
tragt, nach fünf Jahren hat Luxemburg darauf verzichtet
und gesagt, diese sei nicht mehr notwendig. Ich gehe
heute fest davon aus, dass wir mit dieser flexiblen Rege-
lung ähnliche Erfahrungen machen werden.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Übergang reicht nicht!)


Nur dieser Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde nicht
alles tun, um die Osterweiterung Realität werden zu las-
sen, geht an der Wirklichkeit nun weiß Gott vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie bereiten die Menschen im Inland nicht vor!)


Der Vertrag von Nizza wird die Osterweiterung er-
möglichen. Ich halte überhaupt nichts davon, wie es hier
teilweise getan wird, ihn herunterzureden. Im Gegenteil:
Es waren sehr schwierige Verhandlungen, aber es sind
entscheidende Überbleibsel der Amsterdamer Verhand-
lungsrunde beseitigt worden. Dieser Vertrag beinhaltet
vor allen Dingen – das hat diese Bundesregierung durch-
gesetzt –, dass wir mit der Perspektive 2004 bei der Ver-
tiefung vorangehen, das heißt Demokratisierung, Schaf-
fung von Transparenz und verfassungsmäßige Gestaltung
einer sich erweiternden Europäischen Union. Das ist ei-
nes der Ergebnisse von Nizza und für die Zukunft der
Europäischen Union von zentraler Bedeutung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Länder wurden dazu gezwungen!)


Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Verfahrens-
frage. Aus den Äußerungen der PDS bin ich nicht ganz
schlau geworden. Sie wollen ablehnen, fordern aber zu-
gleich eine Zweidrittelmehrheit für die Annahme.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Haben wir nicht gesagt!)


Sie tun ja gerade so, als wenn die einfache Mehrheit im
Parlament antidemokratisch oder undemokratisch wäre
und die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren ab-
schaffen wollte. Sie tun ja gerade so – das halte ich in der
Tat für bedenklich –, als wäre Europa ein Europa der Re-
gierungen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Der Europä-
ische Rat ist eine demokratisch legitimierte Institution,
dessen Fortentwicklung wir uns wünschen. Ihn aber des-
wegen populistisch in die Ecke zu stellen und zu sagen, er
sei demokratisch nicht legitimiert, geht nicht.

Man muss wissen, was man tut. Hierbei handelt es sich
um einen entscheidenden Anker des europäischen Inte-
grationsprozesses. Das trifft genauso auf das Europäische
Parlament, die Kommission und die nationalen Parla-
mente zu. In diesem institutionellen Quadrat wird sich die
institutionelle Zukunft der europäischen Entwicklung
vollziehen müssen. Hier liegt die entscheidende Frage für
die horizontale Kompetenzklärung. Ebenso müssen wir
eine vertikale Kompetenzklärung bezüglich der inhalt-
lichen Frage vornehmen, wer, was, wo zu entscheiden hat.

Ich möchte noch einmal klar darauf zu sprechen kom-
men: Bezüglich einer verfassungsrechtlichen Prüfung
mag man höchst unterschiedlicher Meinung sein und zu
höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Hier ist
aber keine Kulanz angebracht. Das wäre falsch. Die Frage
ist, ob eine Zweidrittelmehrheit für Souveränitätsübertra-
gungen da, wo sie unverzichtbar sind, notwendig ist.
Wenn dieses nicht der Fall ist, bitte ich gerade die Kolle-
gen, von denen ich weiß, dass sie nachdrücklich für mehr
Integration eintreten, doch sehr sorgsam darauf zu achten,
dass nicht an falscher Stelle Präjudize geschaffen werden,
die uns an anderer Stelle große Probleme bereiten werden.


(Uwe Hiksch [PDS]: Sie haben Angst vor dem Parlament, Herr Außenminister!)


– Das ist doch keine Angst vor dem Parlament; das hat
doch mit dem Parlament nichts zu tun! Mir geht es darum,
dass wir hier meines Erachtens eine klare Stellungnahme
der Bundesregierung haben. Auch das Parlament hat sich
heute geäußert. Ich denke, es wird ein vernünftiges Ver-
fahren geben, sodass wir, ohne dass es hier zu einer Blo-
ckade kommt – das ist das Interesse des Außenministers –,
zügig und auf breiter Grundlage – ich würde mir wün-
schen, weit über die Zweidrittelmehrheit hinaus – die Ra-
tifizierung vollziehen können.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Dann können Sie es ja mit einer Zweidrittelmehrheit machen! – Dr. Gerd Müller [CDU/ CSU]: Bei diesem Pfusch wissen wir, warum Sie in Europa nichts erreichen!)





Bundesminister Joseph Fischer
17624


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417912500
Nächster Redner ist
der Kollege Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1417912600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fischer,
ich würde es Ihnen gerne noch einmal erklären und wäre
dankbar, wenn Sie zuhörten.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das macht er doch nie!)


Wir befinden uns jetzt in der Phase der Ratifizierung des
Nizza-Vertrages vom Februar dieses Jahres. Wir haben
diesen Vertrag in diesem Haus schon beraten und wir ken-
nen die inhaltlichen Mängel dieses Vertrages. Wir kennen
das gescheiterte Referendum in Irland. Als ob dies nicht
schon genug Probleme im Zusammenhang mit diesem
wichtigen Vertrag wären – der ratifiziert werden muss und
dem wir natürlich zustimmen werden, wie ich hier wie-
derholen will –, machen die Bundesregierung und das ein-
bringende Ministerium, Herr Fischer, völlig ohne Not ein
neues Problemfeld auf. Dies ist nicht so nebenbei zu be-
handeln, weil es nämlich im schlimmsten Fall zum Schei-
tern der Ratifizierung und zum Scheitern des rechtzeiti-
gen In-Kraft-Tretens dieses Vertrags führen kann.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb müssen wir über das Thema hier in diesem Haus
reden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte daran erinnern: Der Bundesrat hat einstim-

mig, einschließlich aller SPD-Ministerpräsidenten, in-
haltlich und politisch seine Auffassung dargetan, dass
dieser Vertrag mit Zweidrittelmehrheit, also mit ver-
fassungsändernder Mehrheit, umgesetzt werden muss.
Auch der Bundestag ist mit allen Fraktionen der Meinung,
dass dieser Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit
umgesetzt werden muss. Aber Sie, Herr Bundesminister,
kratzt das überhaupt nicht. Sie fahren in einfältiger Stur-
heit Ihren Stiefel weiter


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und beschwören im Wesentlichen drei problematische
Auswirkungen herauf, auf die ich jetzt eingehen möchte.

Sie missachten den Bundestag, einschließlich Ihrer
Koalitionsfraktionen, als Verfassungsorgan. Ich könnte
als Abgeordneter der Opposition notfalls damit leben,
dass die Bundesregierung die Koalitionsfraktionen zur
Opposition macht. Aber in diesem sensiblen Bereich der
Europapolitik, die für die Zukunft unserer Kinder und
Kindeskinder entscheidend sein wird, ist das ein falsches
Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS)

Das wirklich gravierendste Problem in dieser Ange-

legenheit: Durch diese Art der Einbringung durch die
Bundesregierung, die juristisch nicht klar ist, wird die
Ratifizierung des Vertrages möglicherweise endgültig
gefährdet. Ich erinnere daran: Die Ratifizierung des
Maastrichter Vertrages 1991 landete vor dem Bundesver-

fassungsgericht. Es war notwendig, verfassungsrechtlich
zu klären, ob der damals eingeschlagene Weg der europä-
ischen Integration verfassungskonform war. Dieses Ver-
fahren hat dazu geführt, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land das letzte Land war, das die Ratifizierungsurkunde in
Brüssel hinterlegen konnte. Jetzt wird völlig ohne Not
– denn die verfassungsrechtliche Klärung ist vollzogen –
riskiert, dass dieses Gesetz wieder vor dem Verfas-
sungsgericht landet und im günstigsten Fall die Hinterle-
gung unserer Urkunde erneut lang verzögert wird.

Beim Vertrag von Amsterdam war es in der Tat so, dass
die alte Bundesregierung zunächst der Meinung war, dass
eine Ratifizierung mit einfacher Mehrheit ausreicht. Wir
haben uns damals – ich erinnere an die nachhaltige For-
derung der Grünen mit ihrem damaligen Fraktions-
sprecher, Herrn Fischer, und der SPD – darauf geeinigt,
dass es, wenn nicht eindeutig ausgeräumt werden kann,
dass eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein könnte, das
Unschädlichste ist, den Vertrag mit Zweidrittelmehrheit
umzusetzen; denn mit einer größeren Mehrheit darf man
es machen, eine geringere könnte zum Scheitern der Ra-
tifizierung führen.

Jetzt haben wir folgende Situation – da sind wir uns mit
den Fraktionen dieses Hauses wieder einig –: Wir werden
als Parlament versuchen, diesen Fehler zu beheben und
den Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit zu be-
schließen. Nur ist im Moment juristisch nicht eindeutig
feststellbar, ob dieses Verfahren überhaupt möglich ist.
Ich sage voraus – das ist so sicher wie das Amen in der
Kirche –: Irgendjemand wird sich finden und diese Frage
in Karlsruhe stellen. Dann kann es im schlimmsten Fall
passieren, dass Sie mit der gesamten Nizza-Ratifizierung
an die Wand klatschen. Dann haben wir ein solches The-
ater, dass sich kein Mensch mehr an das gescheiterte
irische Referendum erinnern wird. Dies steht in der Ver-
antwortung von Ihnen, Herr Fischer. Ich wäre Ihnen wirk-
lich dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen, auch wenn
sie Ihnen nicht gefallen, ein bisschen genauer folgen wür-
den. Ich habe Ihnen vorhin auch zugehört.

Das dritte fatale Signal ist auch ganz eindeutig; ich
möchte nur kurz darauf hinweisen. Wir haben mit der so
genannten Europamüdigkeit, Europaskepsis in der Bevöl-
kerung zu kämpfen. Es wird immer lauter gesagt: Wir ha-
ben über die Europawahl hinaus nicht genug Einfluss auf
die europäische Politik. Dort wird Politik gemacht von
Regierungschefs und Beamten. In dieser Zeit signalisie-
ren Sie, dass Sie in dieser Frage nicht einmal Rücksicht
auf den Bundesrat und auf den Bundestag nehmen – ein
fatales Signal, das nicht zur Verbesserung des Vertrauens
der Bevölkerung führen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch eine Anmerkung zum Vertrag selber. Herr

Fischer, Sie haben behauptet, mit dem Nizza-Vertrag hät-
ten Sie die Finanzierungssicherheit auch für die Ost-
erweiterung geschaffen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Nein, mit Berlin, nicht mit dem Nizza-Vertrag!)


– Mit Berlin – das gebe ich zu – haben wir die Finanzie-
rungssicherheit geschaffen. Aber mit Nizza gefährden Sie






(C)



(D)



(A)



(B)


diese wieder. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Fak-
tisch ist es so, dass die Entscheidung über die finanzielle
Vorausschau bis einschließlich 2013 einstimmig getroffen
werden muss. Herr Fischer, Sie wissen doch ganz genau,
was 2005 passieren wird, wenn die nächste finanzielle
Vorausschau 2006 bis 2013 beraten werden wird und ein-
stimmig verabschiedet werden muss. Da wir natürlich die
Erweiterungspolitik nicht scheitern lassen können, wird
es zwangsläufig so kommen, dass die EU-Finanzmittel
massiv ausgeweitet werden müssen. Da Sie es – im Ge-
gensatz zur Vorbereitung der Erweiterung – in Berlin
1999 nicht geschafft haben, die deutsche Nettozahlerpo-
sition substanziell abzubauen, wird die Bundesrepublik
Deutschland in diesem Prozess, der dann notwendig sein
wird, weil anders die Einstimmigkeit nicht zu erreichen
ist, wieder das meiste Geld zahlen müssen, was zu einer
weiteren Verstärkung der Unpopularität der – auch für
Deutschland – wichtigen Europapolitik führen wird. Dies
ist eine gefährliche Zeitbombe, die da tickt. Ich sehe im
Moment überhaupt nicht, wie Sie versuchen wollen, dies
in irgendeiner Weise zu verändern.

Auf einen Punkt will ich noch kurz hinweisen. Alle
Fraktionen dieses Hauses hatten für Nizza gefordert, dass
die Politikbereiche der Mehrheitsabstimmung deutlich
ausgeweitet werden, also der Politikbereiche, in denen
mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Dies ist
passiert. Aber ich weiß nicht, ob das unserem Bundes-
kanzler in den Nachtstunden der Verhandlungen über den
Vertrag nicht aufgefallen ist. Auf der einen Seite werden
die Politikbereiche mit qualifizierter Zustimmung ausge-
weitet, auf der anderen Seite wird die Sperrminorität dras-
tisch gesenkt, sodass mit In-Kraft-Treten dieses Vertrages
die Blockadewahrscheinlichkeit in der Europäischen
Union bei qualifizierten Mehrheitsabstimmungen zuneh-
men wird. Ich sehe auch hier die Gefahr, dass wir mit die-
ser eigentlich substanziellen Verbesserung – durch Ent-
scheidungen mit qualifizierten Mehrheiten mehr
Flexibilität in der europäischen Politik zu erreichen –
nicht vorankommen, weil sich die Wahrscheinlichkeit der
Blockade durch wenige Länder in der erweiterten Euro-
päischen Union verstärken wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch kurz auf einen Punkt eingehen, der in Nizza
wirklich hervorragend geregelt worden ist, wo aber im
Moment die Gefahr besteht, dass die Europäische Kom-
mission ihn vermasselt. Die Staats- und Regierungschefs
haben sich in Nizza geeinigt, die Kommission aufzu-
fordern, ein so genanntes Grenzgürtelförderprogramm
aufzulegen. Wir haben in den letzten Monaten viel davon
gehört – vollmundige Erklärungen von Herrn Verheugen –
und wir wissen jetzt, dass das Programm der Kommission
am 25. Juli dieses Jahres vorgelegt werden soll. Frau
Schreyer, die deutsche Kommissarin, erklärt allerdings, es
werde auf gar keinen Fall zusätzliche Finanzmittel für die-
ses Programm geben, sodass wir leider jetzt schon davon
ausgehen können, dass dieses Programm nicht mit zusätz-
lichen Finanzmitteln zur Lösung der ernsthaften, gravie-
renden Probleme der Grenzregionen Deutschlands und
Österreichs, aber auch Italiens und Griechenlands ausge-
stattet wird. Wenn das so ist, dann wird dieses Programm
weiße Salbe. Es wird überhaupt nichts bringen.

Ich fordere Sie, Herr Fischer, und die Bundesregierung
auf, sich dafür einzusetzen, dass dieses Grenzgürtelför-
derprogramm ein substanzielles Programm mit zusätz-
lichen Finanzmitteln wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS)

Es muss ein Programm werden, das Planungssicherheit

über einen längeren Zeitraum schafft, zum Beispiel sechs
Jahre, und es muss mit ausreichenden zusätzlichen Finanz-
mitteln umgesetzt werden. Mein Vorschlag ist, einen Ver-
gleich mit den realen Mitteln anzustellen, die in den 80er-
Jahren für das integrierte Mittelmeerprogramm eingesetzt
worden sind, etwa in der Größenordnung von 1 Milliarde
Euro. Wenn die Kommission nicht den Schneid hat, dies in
wenigen Wochen vorzulegen, dann muss – diesmal aus-
nahmsweise erfolgreich – die Bundesregierung dieses Pro-
gramm auf europäischer Ebene umsetzen. Denn unsere
Grenzregionen brauchen dringend diese Unterstützung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417912700
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt der Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger das Wort.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1417912800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anläss-
lich der Ausführungen des Außenministers und auch der
von Herrn Stübgen möchte ich in meiner Kurzintervention
eine Bemerkung zu den verfassungsrechtlichen Fragen
machen, nämlich zu der Frage, welche Mehrheit bei der
Ratifizierung des Vertrags von Nizza zu wünschen wäre.

In derselben Situation, in der sich Bundesregierung
und Bundestag jetzt befinden, befand sich die Bundes-
regierung auch 1997.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417912900
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, könnten Sie Ihre Ausfüh-
rungen kurz unterbrechen? – Herr Außenminister, diese
Kurzintervention bezieht sich auf Ihre Rede.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Ja, ich verstehe!)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1417913000

Bei der Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam be-
fanden wir uns in der vergleichbaren Situation. Damals
wurde im Zusammenhang mit der Einleitungsformel des
Gesetzentwurfs zur Ratifizierung im Bundestag gemein-
sam darum gerungen, wie man es am besten macht. Ich
habe mir die damalige Einlassung der heutigen Ministerin
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und damaligen Spre-
cherin im Europaausschuss, Frau Wieczorek-Zeul, heraus-
gesucht, die in ihrer Rede im Bundestag nach Einbringung
des Gesetzentwurfs zur Ratifizierung des Vertrags sagte:

Wir freuen uns, dass die Bundesregierung endlich
akzeptiert hat ... , dass die Ratifizierung dieses Ver-
trages

– von Amsterdam –




Michael Stübgen
17626


(C)



(D)



(A)



(B)


in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit
erfolgen muss.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Hört! Hört!)

Die Begründung dafür war damals , dass es um Fragen der
Mitentscheidung des Parlamentes und um Fragen der qua-
lifizierten Mehrheitsentscheidung gehe.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)


Beide Elemente spielen heute auch im Vertrag von Niz-
za eine Rolle. Wir kritisieren ja, dass das nicht genug ist,
aber es hat in einigen Punkten entsprechende Verände-
rungen gegeben. Bei allen notwendigen politischen Über-
legungen, wie man den Ratifizierungsprozess von Nizza
bei allen beteiligten Verfassungsorganen zu einem Erfolg
machen kann, ist es sehr schade und in meinen Augen
auch ein Mangel des Verfahrensprozesses zur Ratifizie-
rung des Vertrages, wenn wir in diesem Prozess mit mög-
lichen offenen verfassungsrechtlichen Fragen rechnen
müssen, durch die dann, falls sich nachher die Zweidrit-
telmehrheit als notwendig herausstellt, möglicherweise
denjenigen Vorschub geleistet wird, die vielleicht aus
ganz anderen Gründen ebenfalls Rechtsmittel ergreifen
wollen, um den Integrationsprozess in Europa insgesamt
zu stoppen.

Ich denke, dass wir uns in dieser Frage sehr wohl be-
sinnen sollten. Ich hätte es gut gefunden, wenn man das
noch vor der heutigen Debatte versucht hätte und die De-
batte selbst erst in der nächsten Woche hätte stattfinden
lassen. Hier geht es nicht um Rechthaberei, sondern es
kommt darauf an, den klarsten und besten Weg zu finden,
sodass es nachher nur noch um die Inhalte des Vertrages
von Nizza und nicht auch noch um verfassungsrechtliche
Verfahrensfragen geht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417913100
Das war wieder eine
Punktlandung von drei Minuten.

Herr Außenminister, möchten Sie erwidern? – Das ist
nicht der Fall.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Er möchte schon, aber er kann nicht!)


Dann erteile ich jetzt dem letzten Redner in dieser
Runde das Wort. Es ist der Kollege Jürgen Meyer von der
SPD-Fraktion.


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1417913200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger hat sich wie alle vorangegangenen Redner
zur verfassungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgeset-
zes zum Nizza-Vertrag geäußert. Dazu möchte ich noch ein-
mal feststellen: Wir werden diese Frage in den bevorstehen-
den Beratungen sehr gründlich prüfen. Dabei wird eine
besondere Rolle spielen, ob der Verzicht auf das so genannte
Vetorecht im Rat durch die von uns allen gewollte Mög-

lichkeit von Mehrheitsentscheidungen ein Stück Souverä-
nitätsverzicht ist. Dies und das Ziel, die Ratifikation mit
großer Mehrheit durchzuführen, sprechen dafür – wie mein
Kollege Günter Gloser schon ausgeführt hat –, das Zustim-
mungsgesetz als verfassungsänderndes Gesetz zu behan-
deln und zu verabschieden.

Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus dem „Hand-
buch der Rechtsförmlichkeit“, das im Jahr 1999 in zwei-
ter Auflage vom Bundesministerium der Justiz herausge-
geben worden ist. Darin heißt es:

Die Eingangsformel gibt, obwohl Bundestag und
Bundesrat darüber nicht mit Gesetzeskraft be-
schließen, die Möglichkeit, im Laufe des Gesetz-
gebungsverfahrens zu erörtern, ob das Gesetz einer
besonderen Mehrheit ... bedarf.

Ich gehe davon aus, dass wir Parlamentarier diese Mög-
lichkeit nutzen und eine klare Stellungnahme zur verfas-
sungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgesetzes ab-
geben werden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem so genann-
ten Post-Nizza-Verfahren.Es ist ein großes Verdienst der
Bundesregierung, dass auf ihre Initiative hin in Nizza die
Erklärung der Staats- und Regierungschefs zur Zukunft
der Europäischen Union vereinbart worden ist. Das be-
deutet, dass sich die Staats- und Regierungschefs darauf
festgelegt haben, im Rahmen einer weiteren Re-
gierungskonferenz im Jahre 2004 Grundsatzfragen der
europäischen Integration, ihrer Institutionen und ihrer de-
mokratischen Legitimation zu behandeln.

Lassen Sie mich dazu feststellen: Ohne die Ratifikation
des Vertrags von Nizza wird es kein Post-Nizza-Verfahren
geben. Das eine baut auf dem anderen auf. Die Ratifika-
tion des Nizza-Vertrages ist – wenn nicht die rechtliche, so
doch ohne jeden Zweifel – die politische Voraussetzung
für die von uns allen gewollte Regierungskonferenz 2004.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Fragen, um die es dabei geht, sind Verfassungsfra-
gen. Ich benutze den Begriff der Verfassung in diesem
Zusammenhang ohne Einschränkung. Es geht zum Bei-
spiel um die Frage, wie die Verteilung der Zuständigkei-
ten zwischen der Europäischen Union und ihren Mit-
gliedstaaten zukünftig geregelt werden soll, also um das,
was der Herr Außenminister zutreffend als vertikale Ge-
waltenteilung bezeichnet hat. Es geht auch um die hori-
zontale Gewaltenteilung auf der Ebene der EU. Dies
nennt man nun einmal Verfassung. Nach der inzwischen
fast übereinstimmenden Auffassung der Staatsrechtslehre
setzt Verfassung keinen Staat voraus und schon gar keinen
Superstaat.

Ob man das Gebilde, von dem wir reden, mit dem
Bundesverfassungsgericht als Staatenverbund oder mit
der immer stärker im Vordringen begriffenen Auffassung
als Föderation von Nationalstaaten bezeichnet, spielt da-
bei keine Rolle. Es geht um die künftige Verfassung der
Europäischen Union und diese verdient eine öffentliche




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

17627


(C)



(D)



(A)



(B)


Diskussion. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bun-
desregierung – mit unterschiedlichen Vorschlägen des
Außenministers und des Bundeskanzlers – und auch Bun-
despräsident Johannes Rau diese Debatte angeregt haben.
Wir sollten diese Debatte mit Engagement führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Debatte, die zu einer Verfassung der EU führt,
sollte eine besondere Qualität haben. Eine Verfassung
kann nicht von Regierungen entworfen und verabschiedet
werden. Das würde der europäischen Rechtsgeschichte
zuwiderlaufen. Es geht also darum – darüber wird die bel-
gische Präsidentschaft befinden –, wie wir der bekannten
Europaverdrossenheit und dem Menetekel des Volksent-
scheides von Irland Rechnung tragen und mehr Demo-
kratie und damit mehr Europabegeisterung in der Europä-
ischen Union wecken können.


(Beifall bei der PDS)

In Nizza gab es zwei konkurrierende Verfahren: zum

einen das alte Verfahren, das schließlich zum Vertrag von
Nizza mit allen seinen Stärken, aber auch Schwächen ge-
führt hat, das aber auch Befremden und Verdrossenheit
hervorgerufen hat. Es gab bürgerferne Vorverhandlungen
hinter verschlossenen Türen durch hoch qualifizierte
Bürokraten, die kein Mensch kennt. Am Ende standen
Texte in einer schwer verständlichen Sprache. Dann gab
es die bei solchen Konferenzen so genannte Nacht der lan-
gen Messer, in der sich der durchsetzt, der die beste Kon-
dition hat, wenn auch nicht unbedingt die besten Argu-
mente,


(Joseph Fischer, Bundesminister: Wir haben beides!)


der aber vielleicht auch die größte Hartnäckigkeit hat. Das
hat mit Demokratie nichts zu tun. Die Parlamente bleiben
dabei außen vor.

Zum anderen gab es mit dem Verfahren zur Erarbei-
tung der in Nizza verkündeten EU-Grundrechtecharta ein
konkurrierendes Verfahren, das nun allseits gelobt wird.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Die Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta erfolgte durch
ein Gremium, das zu drei Vierteln aus gewählten Parla-
mentariern bestand, in dem öffentlich verhandelt wurde,
in dem jede Initiative über das Internet bekannt gemacht
wurde mit der Möglichkeit, jedem Delegierten auch über
das Internet Anträge mitzuteilen, und in dem die Zivilge-
sellschaft, die Nichtregierungsorganisationen in Brüssel
und auf nationaler Ebene ausführlich angehört und deren
Vorstellungen auch berücksichtigt worden sind.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dann können wir aber den Fischer abschaffen! Das ist die Alternative, dass wir die Regierung abschaffen!)


Ich sage ja nicht, dass der Konvent schon die ideale Lö-
sung sei.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist die Alternative!)


Aber, verehrter Kollege, es ist das Verdienst der Bundes-
regierung, den Konvent auf der Regierungskonferenz im
Juni 1999 unter deutscher Präsidentschaft durchgesetzt zu
haben. Das sollten wir einmal lobend erwähnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber man kann da einiges verbessern. Zum Beispiel
– das ist in Nizza vorgeschlagen worden – brauchen wir
eine intensivere öffentliche Debatte. Ich finde es groß-
artig, dass unsere französischen Nachbarn mit dem, was
sie „grand débat“ nennen, unter Leitung von Guy
Braibant, dem Vizepräsidenten des ersten Konvents, be-
reits begonnen haben. Eine solche öffentliche Debatte, die
mehr Verständnis für Europa weckt, müssten doch auch
wir hinbekommen.


(Beifall bei der PDS)

Auch die Behandlung der Beitrittskandidaten sollte

besser sein als im ersten Konvent. Ich finde es nicht gut,
dass die Kandidatenländer, in denen die Verfassung ja ein-
mal gelten soll, nur Beobachterstatus haben. Ich halte es
auch für unzureichend, wenn sie nur eine beratende Stimme
haben; denn der Konvent wäre ja nur ein Beratungsgre-
mium. Und in einem Beratungsgremium eine beratende
Stimme zu haben ist schlechterdings unzureichend


(Beifall bei der SPD und der PDS)

und respektiert nicht genug das, was die Beitrittskandida-
ten, mit denen Verhandlungen aufgenommen worden
sind, wollen. Man sollte ihnen Gelegenheit geben, sich zu
äußern.

Ich möchte einen weiteren Vorschlag machen, der nach
dieser Sitzung hoffentlich ein Vorschlag aller Fraktionen
sein und in einen Beschluss münden wird, der dann auch
die Bundesregierung über Art. 23 binden wird.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das halte ich für unwahrscheinlich!)


Der Vorschlag geht dahin, den Wunsch des ersten Kon-
vents, auch über alternative Lösungen abzustimmen, zu
berücksichtigen. Es sollte abgestimmt werden können,
damit klar ist, für welche Alternative eine Mehrheit, für
welche aber auch eine – vielleicht beachtliche – Minder-
heit ist. Dieser Vorschlag würde dem Wunsch der Regie-
rung, den der Herr Außenminister gelegentlich vorgetra-
gen hat, Rechnung tragen, dass nämlich die Regierungen
nicht nur ein Gesamtwerk nach dem Motto „Friss, Vogel,
oder stirb!“ vorgelegt bekommen – was offenbar gewisse
Frustrationen hervorgerufen hat –, sondern dass den Re-
gierungen ein Entwurf mit alternativen Lösungsvorschlä-
gen präsentiert wird. Aber es muss klar sein: Das sind
keine Optionen, die unverbindlich und gleichrangig ne-
beneinander stehen;


(Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])


sondern: für den einen Vorschlag ist eine – sogar große –
Mehrheit des Konvents und für den Gegenvorschlag nur
eine Minderheit. – Das müsste den Regierungen dann
auch mitgeteilt werden.


(Beifall bei der SPD)





Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

17628


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich halte das für ganz wichtig. Ich halte es für völlig in-
diskutabel, dass vonseiten der – so will ich einmal pole-
misch formulieren – alten Strippenzieher, die die früheren
Regierungskonferenzen vorbereitet haben, der Vorschlag
gemacht wird, den Konvent durch eine „steering com-
mission“ zu bevormunden, also ein Gremium, das dem
Konvent sagt: „Jetzt prüft ihr das einmal“, „Der Vorschlag
ist inakzeptabel“ und „Hier bekommt ihr eure Schulauf-
gaben zurück“. Das darf es nicht geben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Das entspricht nicht dem Selbstbewusstsein und dem
Selbstverständnis von Parlamentariern. Die Lenkung des
Konvents darf nur durch das aus seiner Mitte gebildete
Leitungsgremium, das heißt: das Präsidium, erfolgen.
Dies ist für uns Voraussetzung dafür, dass man das neue
Gremium, das nun allenthalben schon Konvent heißt,
überhaupt so nennen kann. Ein bevormundeter Konvent
würde schon von seiner Zusammensetzung her


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Welche Rolle soll denn der Außenminister dort spielen?)


und der Bereitschaft, darin mitzuarbeiten, ein drittklassi-
ges Gremium sein. Das kann niemand wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Änderungen
gegenüber dem ersten Konvent werden, so denke ich, in
einer gemeinsamen Entschließung des Europaausschus-
ses mit Zustimmung der anderen, mitberatenden Aus-
schüsse ohne Befassung des Plenums in den nächsten
Tagen festgelegt werden. Ich wünsche, dass sich die Bun-
desregierung in dieser Richtung engagiert. Sie hat sich ja
bisher um die Einsetzung des Konvents und um mehr De-
mokratie in Europa Verdienste erworben. Deshalb kann
nicht nur die Koalition, sondern können alle Fraktionen
der Bundesregierung für die Fortsetzung ihrer Initiativen
für mehr Demokratie in Europa allen Erfolg wünschen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417913300
Bevor wir zu den Ab-
stimmungen kommen, erteile ich jetzt noch dem Kollegen
Friedbert Pflüger das Wort zu einer Kurzintervention.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1417913400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Vorsitzen-
der des Europaausschusses möchte ich noch einmal an die
Bundesregierung den Appell richten – ich glaube, im Na-
men aller Kollegen –, den Verfahrensstreit, den wir der-
zeit haben, durch eine entsprechende, dem Parlament
Rechnung tragende Entscheidung schnell zu beenden,
und zwar aus folgendem Grund: Wir müssen uns der his-
torischen Bedeutung bewusst sein, welche gerade die
Staaten Mittel- und Osteuropas diesem Vertrag und dem,
was daraus folgt, nämlich der Vereinigung Europas, bei-
messen. Die Staaten in Mittel- und Osteuropa haben in
den letzten Jahren ungeheuer viel geleistet, um ihre Ge-
sellschaften zu verändern. Sie sehen zum Beispiel jetzt in

Irland, dass ein Referendum den ganzen Vertrag von Niz-
za infrage stellen kann. Sie haben große Angst, wenn sie
hören, dass wir uns hier mit einem Verfahrensstreit abge-
ben, anstatt uns mit den großen historischen Aufgaben zu
beschäftigen.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, festzuhalten, dass wir in
diesem Haus einen breiten europapolitischen Konsens ha-
ben. Wir haben ihn unter Helmut Kohl gehabt und wir ha-
ben ihn jetzt. Es gibt zwar in vielen Einzelthemen Streit;
aber in den Grundfragen sind wir uns einig. Selbst die
F.D.P., die sich mit dem Vertrag von Nizza am schwersten
tut, hat heute signalisiert, dass sie mit sich reden lässt.

Es wäre sehr schade, wenn das deutliche Signal des
Parlaments, den Vertrag von Nizza trotz mancher Beden-
ken zu unterstützen, unbeantwortet bliebe und Verfah-
rensfragen fortgesetzt im Mittelpunkt unserer Debatten
stünden. Deshalb meine Bitte an den Herrn Außenminis-
ter, den Bundeskanzler zu überzeugen, eine andere Posi-
tion einzunehmen.

Ich möchte dem Kollegen Professor Meyer und dem
Kollegen Gloser für ihre couragierten Reden herzlich
danken.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417913500
Zur Erwiderung der
Bundesaußenminister Fischer, bitte.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417913600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das ist heute die erste Lesung. Damit wird das Vertrags-
werk an die Ausschüsse überwiesen. Es liegt jetzt in den
Händen des Bundestages.

Die Bundesregierung hat nach mehrfacher sorgfältigs-
ter Prüfung – das hat auch die letzte Erörterung im Kabi-
nett ergeben – ihre Position gefunden. Diese stößt auf den
Widerspruch eines anderen Verfassungsorgans, auf den
des Bundesgesetzgebers, und zwar quer durch alle Frak-
tionen. Dies werde ich dem Bundeskanzler übermitteln.
Aber ich denke, was zählt, ist die breite Bereitschaft zu ra-
tifizieren. Unbeschadet der verfassungsrechtlichen Posi-
tion, die die Verfassungsorgane haben, können Wege ge-
funden werden, um dem Begehr Rechnung zu tragen.

Als Mitglied der Bundesregierung habe ich selbstver-
ständlich dem Bundesgesetzgeber und dessen Ausschüs-
sen weder Vorschriften zu machen noch Hinweise zu ge-
ben. Ich möchte mich für die breite Bekundung zu
ratifizieren recht herzlich bedanken. Ich denke, dass der
Bundesgesetzgeber mit seiner wirklich sehr weit gehen-
den Erfahrung und umfassenden Kompetenz und getra-
gen von der breiten Unterstützung der Fraktionen einen
Weg finden wird. Die Bundesregierung hält an ihrer
Rechtsauffassung fest und wird sich ansonsten sehr ko-
operativ verhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417913700
Ich schließe die Aus-
sprache.




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


17629


(C)



(D)



(A)



(B)


Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 14/6146 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Beschluss des Rates vom 29. September 2000 über das
System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaf-
ten auf Drucksache 14/6142. Der Ausschuss für die An-
gelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt auf
Drucksache 14/6464, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5221 (neu) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf
Drucksache 14/5379 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Für eine verbindliche und erweiterbare Eu-
ropäische Charta der Grundrechte“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4654 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Als Nächstes kommen wir zur Beschlussempfehlung
des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europä-
ischen Union auf Drucksache 14/5386. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Abgabe einer Er-
klärung der Bundesregierung zum Europäischen Rat in
Nizza auf Drucksache 14/4733. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/4732 mit dem Titel „Der Europäische Rat von Niz-
za muss zum Erfolg für Europa werden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angenom-
men.

Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Entschließungsantrags der Fraktion der PDS zur Abgabe
einer Erklärung der Bundesregierung zum Europäischen

Rat in Nizza auf Drucksache 14/4666. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4653 mit dem Titel
„Die Europäische Union als Zivilmacht ausbauen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6443 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(12. Ausschuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-

ten Paul Breuer, Ulrich Adam, Sylvia Bonitz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
zu der Abgabe einer Erklärung der Bundes-
regierung
Die Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla-
nung und Stationierung

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS
zu der Abgabe einer Erklärung der Bundes-
regierung
Die Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla-
nung und Stationierung

– Drucksachen 14/5220, 14/5236, 14/6396 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Zumkley
Paul Breuer

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

Friedrich Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung
und Schließung betroffenen Bundeswehrstand-
orte ist unverzichtbar
– Drucksachen 14/5467, 14/6397 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Palis
Kurt J. Rossmanith

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so beschlossen.




Vizepräsidentin Petra Bläss
17630


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Ursula Mogg.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal
verlassen wollen, dieses möglichst schnell zu tun, damit
die Rednerin der SPD-Fraktion entsprechende Aufmerk-
samkeit erhält.


Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1417913800
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir leben in einer schnelllebigen
Zeit. Deshalb ist es sicher hilfreich, in einer Debatte wie
der heutigen einen kurzen Blick darauf zu werfen, wel-
chen Herausforderungen sich die Regierung Schröder seit
ihrem Regierungsantritt vor drei Jahren im Verteidi-
gungsbereich gestellt hat und mit welcher Systematik,
Konsequenz und Zielgenauigkeit der Verteidigungsminis-
ter eine Reform angepackt hat, die in ihrer Dimension für
die Bundeswehr ohne Beispiel ist.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Negativbeispiel! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Andersherum!)


– Sie werden sehen, wie gut das wird.
Die von niemandem bestrittene Notwendigkeit der Re-

form, der Umbau der Bundeswehr zu einer Armee, die
sich im Rahmen internationaler Verpflichtungen der Bun-
desrepublik Deutschland neuen Aufgaben stellt, wurde
zügig angepackt. Stichworte sind: Bestandsaufnahme,
Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaft-
lichkeit in der Bundeswehr“, Bericht der Weizsäcker-
Kommission, Eckwertepapier, Grobausplanung und Fein-
ausplanung, um nur einige wichtige Schritte darzustellen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Ein Bock nach dem anderen!)


– Wir haben in diesem Punkt sehr unterschiedliche Auf-
fassungen, Frau Kollegin.

Diese Vorgehensweise und die damit verbundenen Re-
formansätze finden die volle Unterstützung der SPD-
Fraktion. Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Worte, nichts als Worte!)


Ein Blick auf die Diskussionen der Opposition, Herr Kol-
lege, zeigt zudem überdeutlich, dass die Reform alternativ-
los ist. Wer sich mit den vorliegenden Anträgen befasst,
stellt fest: Offensichtlich ist die Opposition bemüht, eine
Reihe von Interessen hundertprozentig zu vertreten, obwohl
sie zum Teil in direktem Widerspruch zueinander stehen.


(Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Fakten, Frau Kollegin Mogg!)


Nicht nur die Lebenserfahrung lehrt, dass dies nicht ge-
lingen kann. Ein Beispiel dafür ist, Herr Kollege, dass Sie
einerseits wissen, dass die Bundeswehr verkleinert wer-
den muss, andererseits aber die Erhaltung von Standorten
fordern. Das passt nicht zusammen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie waren gegen die Verkleinerung, wenn ich Sie erinnern darf!)


Die Koalition setzt Prioritäten. Einige der wichtigsten
sind die Sozialverträglichkeit der Verkleinerung und die
Investitionen in Menschen und ihre Fähigkeiten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie machen Standorte zu leeren Hüllen!)


Wir wollen, dass die Bundeswehr der Zukunft für Solda-
tinnen und Soldaten sowie für die zivilen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter attraktiv ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bei
den Modernisierungsmaßnahmen unterstreicht in einzig-
artiger Weise, wie ernst die Bundesregierung ihre Verant-
wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nimmt.
Darauf sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten sehr stolz. Verdi bewertet den Tarifvertrag für
die zivilen Beschäftigten als – Originalzitat –

wesentlichen Schritt zur sozialverträglichen Bewäl-
tigung der anstehenden, politisch gewollten Struk-
turveränderungen in der Bundeswehr.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Und was sagt die NATO?)

Die Angebote alternativer Arbeitsplätze und kosten-

freier Qualifizierung, Einkommenssicherung sowie die
Gewährung von Altersteilzeit und Vorruhestand sind
Ausdruck des Willens, die Reform mit den Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern und nicht gegen sie zu verwirk-
lichen.


(Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/ CSU]: Die sind aber alle anderer Meinung!)


– Das weiß ich besser, Herr Kollege.

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Reisen Sie doch mal zu den Standorten!)

Wir wissen, dass die Bundeswehr der Zukunft im in-

ternationalen Wettbewerb nur erfolgreich sein kann, wenn
sie in die Qualifikation des Zivilpersonals und der Solda-
tinnen und Soldaten investiert. Nur der moderne, attrak-
tive Arbeitsplatz ruft das Interesse junger Menschen bei
ihrer Berufsorientierung hervor. Wir wollen die Besten für
die Bundeswehr. Ein Netzwerk von Aus-, Fort- und Wei-
terbildungskooperationen wird länger dienenden Zeitsol-
daten den Erwerb zivilberuflicher Qualifikation ermögli-
chen. Beispielhaft dafür sind die Vereinbarungen mit den
Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerks-
kammern.

Die Handwerkskammer Koblenz verweist stolz darauf,
dass im Rahmen ihres Pilotprojekts „Beratungszen-
trum Bundeswehr-Handwerk“ seit Beginn des Projek-
tes vor knapp zwei Jahren 60 Prozent der Auszubildenden
das Beratungsangebot der Bundeswehr angenommen ha-
ben, 350 individuelle Beratungen von Zeitsoldaten statt-
gefunden haben und zwölf Existenzgründer gefunden
worden sind. Das Angebot ist seit dem 1. Mai 2001 auch
im Internet abrufbar.




Vizepräsidentin Petra Bläss

17631


(C)



(D)



(A)



(B)


Die SPD-Fraktion wird diese Aktivitäten strategisch
und politisch unterstützen sowie die aus dem Pilotprojekt
erwachsenen Vorschläge positiv aufnehmen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Gibt es auch Geld?)


– Vielleicht.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

– Es ist schön, wenn wir über die Pilotprojekte sprechen.
Diese Pilotprojekte, wie etwa die Existenzgründungspro-
gramme, sind gute Ansätze der Bundesregierung.

An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Bundes-
wehrreform im Kontext der Modernisierung unserer Ge-
sellschaft insgesamt und speziell des Bildungssystems zu
sehen ist. Wir wissen: Ein attraktiver Arbeitsplatz defi-
niert sich nicht nur über solide Ausbildung und interes-
sante berufliche Perspektiven, sondern auch über die Ent-
lohnung. Wir wissen, dass die Kritik an der Regierung in
diesem Punkt nachvollziehbar ist. Deshalb werden wir als
Fraktion alles tun, damit wir die entsprechenden Geset-
zesvorhaben sehr bald parlamentarisch beraten können.
Wir sind sehr optimistisch.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Da sind Sie aber die Einzigen, die optimistisch sind!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu-
sammenfassend feststellen: Wir haben uns der Verant-
wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Bundeswehr und für die Infrastruktur der Regionen ge-
stellt.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Konversion?)


Wir haben gleichzeitig ein Modernisierungskonzept auf
den Weg gebracht, das eine deutliche Effektivierung der
Strukturen und Abläufe bewirkt. Der Fortbestand der
Bundeswehr in der Fläche und der Erhalt der Wehrpflicht
machen deutlich, dass die Bundeswehr auch in Zukunft
eine Armee bleibt, die in der Mitte der Gesellschaft steht.
Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber eine Konversion vom Realismus zum Illusionismus!)


– Herr Kollege, wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigt
haben, dann wissen Sie doch, dass die Bundeswehr mit
den vorliegenden Papieren auf eine halbe Milliarde DM
an Effizienzgewinnen zugunsten der Konversion und der
Standorte verzichtet hat. Das ist doch bekannt!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das kennen aber nur Sie!)


– Nein, das kenne nicht nur ich; das kennen wir alle im
Parlament, die wir uns ausführlich mit diesem Thema be-
schäftigen.

Wir werden die Herausforderungen meistern.

(Beifall bei der SPD)


Denen, die gerne etwas schneller zum Ziel gelangen
möchten, sage ich: Der Zug wird weiter deutlich an Fahrt
aufnehmen. Ich werbe ein wenig, wenn es Verzögerungen
gibt: Die besonderen Herausforderungen der Reform be-
stehen auch darin, dass die Bundeswehr zeitgleich im
Umbau und im Einsatz ist. Denjenigen, die mit großem
Engagement und Einsatz an der einzigartigen Aufgabe
speziell im Verteidigungsministerium, aber auch in vielen
anderen Dienststellen arbeiten, sage ich von dieser Stelle
ein aufrichtiges Dankeschön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417913900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Paul Breuer.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1417914000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Frau Kollegin Mogg, ich stimme mit
Ihnen überein, dass die Bundeswehr ein wichtiger Arbeit-
geber ist und dass die Sicherheit der Arbeitsplätze und die
Qualität der Arbeitsbedingungen sehr wesentlich sind. Es
wird Ihnen aber nicht gelingen, bei diesem Thema über-
zeugend zu argumentieren, wenn es Ihnen nicht gelingt,
deutlich zu machen, dass die Bundeswehr ein wichtiger
Faktor der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist,
den man nicht verludern lassen kann.


(Ursula Mogg [SPD]: Wer hat sie denn verludern lassen?)


Allerdings besteht in der Bundeswehr selbst, aber auch
bei unseren Bündnispartnern der Eindruck, dass genau
dieses geschieht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir sollten uns vergegenwärtigen, in welcher histori-
schen Phase das passiert: In den letzten zehn Jahren hat
Deutschland eine Zeit der Umorientierung in der Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik hinter sich gebracht.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union muss es ja wissen!)


Deutschland war 1990 ein geteilter Frontstaat mitten in
unserem geteilten Kontinent. Heute sind wir das wieder-
vereinigte Deutschland, das wirtschaftlich stärkste und
bevölkerungsreichste Land in der Mitte Europas. Verbun-
den mit diesen Veränderungen haben wir Deutsche einen
großen Sicherheitsgewinn erhalten, den wir im Wesentli-
chen auch der Solidarität unserer Partner in NATO und
Europäischer Union verdanken.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wir könnten ja abrüsten, wenn das so ist!)


Parallel zu dieser Entwicklung – Herr Kollege, ich
gehe damit auf Ihren Zuruf ein – haben wir allerdings
mehr Verantwortung für den Frieden in Europa überneh-
men müssen, weil nicht nur Europa selbst – das sehen wir
aktuell auf dem Balkan –, sondern die Peripherie Europas
und diese Welt voller Gefahren sind. Ihr Vorschlag, dann
könnten wir ja abrüsten, ist sehr kurzsichtig. Wir müssen
heute darauf achten, dass wir Deutschen entsprechend un-




Ursula Mogg
17632


(C)



(D)



(A)



(B)


serer ökonomischen Potenz für die Sicherheit Europas
und des nordatlantischen Raumes einen angemessenen
und geschätzten Beitrag leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die CDU/CSU- und F.D.P.-geführte Bundesregierung
hatte schon begonnen, sich dem neuen Szenario durch den
Aufbau der Krisenreaktionskräfte anzupassen. Damals
musste diese Aufgabe der Krisenreaktionskräfte, die Be-
teiligung Deutschlands an Auslandseinsätzen, im deut-
schen Parlament in einer tiefen Auseinandersetzung ins-
besondere gegen große Teile der Sozialdemokratie und
der Grünen durchgefochten werden. Dass uns dieser Bei-
trag zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gelun-
gen ist, darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Den verlasst ihr doch jetzt!)


Meine Damen und Herren, wir müssen heute einen we-
sentlichen Beitrag zur multilateralen Krisenvorsorge
und Konfliktbewältigung leisten. Dabei muss auch ge-
sagt werden, dass wir dies vor dem Hintergrund unserer
Verfassung tun, die uns zunächst einmal dazu verpflich-
tet – das ist nach wie vor das vorrangige Ziel –, die Lan-
desverteidigung im Rahmen der Bündnisverteidigung zu
sichern. Wir wollen bündnissolidarisch sein.

Herr Kollege Zumkley, ich nehme Ihren Zwischenruf
auf, wir verließen das Ziel, das wir gehabt haben. Bünd-
nissolidarität und Bündnisfähigkeit erweisen sich nicht
darin, bei allen möglichen Einsätzen im Deutschen Bun-
destag Mehrheiten zu gewährleisten, sondern darin, die
Bundeswehr im Alltag im Hinblick auf Ausrüstung, psy-
chische Stabilität und Nachwuchsgewinnung ordentlich
auszustatten. Sie aber machen derzeit aus der Bundeswehr
ein Abbruchunternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Zumkley [SPD]: Das stimmt nicht! Genau das Gegenteil ist der Fall!)


Grundlage muss eine solide Finanzierung sein. Nur so
können die von der Bundesregierung beim NATO-Gipfel
in Washington und im Rahmen der europäischen Zielset-
zungen, der so genannten European Headline Goals,
eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden. Bündnis-
treue und Verlässlichkeit bei den Partnern ist gerade uns
von der CDU/CSU nicht nur bei Einsatzbeschlüssen im
Deutschen Bundestag, wie ich gerade sagte, sondern vor
allem im Alltag der Bundeswehr unverzichtbar.

Wegen unserer Verpflichtungen gegenüber dem Bünd-
nis und den Partnern muss Deutschland in der nahen Zu-
kunft erhebliche Investitionen in Personal und Material
innerhalb der Bundeswehr vornehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Umfangreiche Kapazitäten beim Lufttransport müssen
neu geschaffen werden. Neue Präzisions- und Abstands-
waffen, Kommunikations- und Aufklärungstechnologie
werden benötigt. Darüber gibt es eigentlich keinen Dis-
sens. Der Konsens ist aber deshalb gefährdet, Herr Kol-

lege Zumkley, weil es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre ei-
gene Fraktion und Ihren Koalitionspartner, die Grünen,
von der Notwendigkeit dieser Investitionen und ihrer Be-
rechenbarkeit zu überzeugen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch nicht der Fall! Das entspricht doch nicht der Realität!)


Wenn Sie sagen, dies entspreche nicht der Realität,
dann halte ich Ihnen entgegen, Herr Kollege Zumkley:
Die Bundeswehr ist dramatisch unterfinanziert. Dem wer-
den Sie nicht widersprechen können. Wenn Sie dem je-
doch widersprechen wollen, dann


(Manfred Grund [CDU/CSU]: ... kennt die SPD eine andere Bundeswehr als wir!)


erinnere ich Sie an eine Aussage von Herrn Scharping aus
dem Jahre 1999, also aus der Zeit, als ihm deutlich wurde,
dass er innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung etwa
20 Milliarden DM für die Bundeswehr verlieren würde.
Zum damaligen Zeitpunkt hat Herr Scharping laut „Stutt-
garter Zeitung“ vom 27. Juni 1999 ausgeführt:

Kritik der Union, die Bundeswehr sei bereits unter-
finanziert, sei keine oppositionelle Attitüde, sondern
die schlichte Wahrheit.

Seitdem hat die Bundeswehr mehrere Milliarden verlo-
ren. Wenn sie heute dramatisch unterfinanziert ist, dann
ist das wohl auch die Meinung von Herrn Scharping, so-
fern er das, was er damals sagte, heute noch ernst nimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.])


Meine Damen und Herren, die Forderung nach mehr
Geld für die Bundeswehr ist also kein Selbstzweck, son-
dern eine sicherheits- und verteidigungspolitische Not-
wendigkeit. Deutschland darf nicht zum Unsicherheits-
faktor in der europäischen und nordatlantischen Ver-
teidigung werden.

Wir sind uns alle einig, dass es jetzt an der Zeit ist, mit
der Umstrukturierung der Bundeswehr zu beginnen


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir tun das seit zweieinhalb Jahren!)


und mit ihr fortzufahren. Aber wir müssen uns darin einig
sein, dass wir nicht nur große Sprüche klopfen und begeis-
tert davon reden dürfen, wie weit man gekommen sei, son-
dern die Realität zur Kenntnis nehmen und endlich etwas
tun müssen, damit die Reformen ordentlich angegangen
werden, die wir von den Grundzielen her teilen, die aller-
dings so, wie sie umgesetzt werden, in einer Katastrophe
enden und die Bundeswehr zu einer Reformruine führen
werden. Der Reformprozess muss an Dynamik gewinnen.
Das aber schaffen Sie nicht. Scharping führt die Bundes-
wehr in die schlimmste Krise, die diese deutsche Armee je-
mals erlebt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Ohne Begeisterung läuft gar nichts, Herr Kollege! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Leider Gottes ist das wahr!)





Paul Breuer

17633


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach dem Beschluss des Bundeskabinetts vom ver-
gangenen Jahr zur Bundeswehrreform musste Herrn
Scharping in der Woche darauf bei der Feststellung des
Haushaltsentwurfs durch das Kabinett eigentlich schon
klar geworden sein, dass das, was er 1999 vorausgesagt
hatte, Wirklichkeit würde.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: So weit denkt er nicht!)


Er hat in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ am
25. Juli 1999 Folgendes gesagt:

Niemand sollte übersehen: Deutschland liegt heute
auf dem 17. Platz, wenn wir unsere Verteidigungs-
aufwendungen in Relation zum Bruttoinlandspro-
dukt der NATO-Mitglieder betrachten. Man kann
nicht dauerhaft außenpolitisch Weltliga spielen,
wenn man sicherheitspolitisch in Richtung zweite
Liga rutscht.

Seitdem weist der Verteidigungsetat ein Minus von meh-
reren Milliarden DM auf. Es stellt sich also die Frage: In
welcher Liga spielen wir eigentlich?


(Zuruf von der CDU/CSU: Regionalliga!)

Das sollten Sie ernst nehmen, meine Damen und Herren
Kollegen von der SPD-Fraktion, aber auch von der Frak-
tion der Grünen. Innerhalb der NATO – das ist außeror-
dentlich bedauernswert; glauben Sie nicht, dass uns das
freut – ist der Stellenwert Deutschlands in den letzten Jah-
ren dramatisch gesunken.


(Gernot Erler [SPD]: Das kann ich nicht bestätigen!)


Minister Scharping hat es nicht geschafft, die SPD-
Fraktion und den Koalitionspartner, die Grünen, für seine
Ziele zu gewinnen. Er hat die Vorschläge der von ihm
selbst eingesetzten Weizsäcker-Kommission genau wie
die Planungen des ehemaligen Generalinspekteurs Gene-
ral von Kirchbach in den Wind geschlagen und stattdes-
sen ein eigenes Konzept vorgelegt. Er muss jetzt für die-
ses Konzept geradestehen und seine Ansprüche an der
Realität messen lassen.


(Gernot Erler [SPD]: Das machen wir!)

Die Realität, Frau Kollegin Mogg, sieht nicht so aus, wie
Sie sie vorhin in Ihrer Rede dargestellt haben.

Minister Scharping wollte der Öffentlichkeit, aber
auch diesem Parlament weismachen, dass ihm die so ge-
nannte Reform der Bundeswehr insbesondere deshalb ge-
lingen könnte, weil durch Veräußerungen, Einsparungen
und Steigerung der Effizienz zusätzliche Einnahmen in
Höhe von – das hat er in diesem Hohen Hause verspro-
chen – 1 Milliarde DM für die Bundeswehr zu
erwirtschaften seien. Der Bundesfinanzminister quittiert
dieses Versprechen mit einem Vorschuss von 100 Milli-
onen DM. So groß ist das Vertrauen des Bundes-
finanzministers in die Ankündigungen des Bundesvertei-
digungsministers. Das ist dramatisch. Sie sollten das zur
Kenntnis nehmen.

Die Finanzen der Bundeswehr, deren Verstetigung
Herr Scharping nach der Bundestagswahl einzuleiten

versucht hat – es ist zu bezweifeln, ob sie überhaupt
kommt –, reichen bei Licht betrachtet noch nicht einmal
aus, um künftige Tarifsteigerungen zu finanzieren. Eine
„normale“ Tarifsteigerung kostet die Bundeswehr etwa
500 Millionen DM. Bisher hat der Bundesfinanzminister
keinen einzigen Beitrag zur Finanzierung solcher Tarif-
steigerungen geleistet. Folge: Die Bundeswehr zehrt sich
von Tag zu Tag mehr aus. Die Situation ist dramatisch.

Bundespräsident Rau hat vor wenigen Tagen erklärt,
dass sich die Deutschen der internationalen Verantwor-
tung der Bundeswehr zu wenig bewusst seien. Ich bin da-
von überzeugt, dass der Bundespräsident Recht hat.


(Gernot Erler [SPD]: Er hat immer Recht!)

Aber man sollte noch hinzufügen: Insbesondere sind sich
die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions-
fraktionen der Verantwortung der Bundeswehr und damit
der Verantwortung Deutschlands zu wenig bewusst.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ändern Sie dies; sonst ist der Schaden erheblich.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417914100
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin
Angelika Beer.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417914200
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch in
der heutigen Debatte, die ja nicht die erste über die Re-
form der Bundeswehr ist,


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Auch nicht die letzte!)


ist wieder deutlich geworden – das sage ich im Hinblick
auf den Beitrag des Kollegen Breuer von der CDU/CSU-
Fraktion –, dass Sie sich jenseits jedes Reformansatzes
bewegen, das heißt, Sie klagen im Grunde ein, dass unsere
Koalition die defizitäre Politik der Vergangenheit weiter-
betreiben soll. Herr Kollege Breuer, dafür werden Sie
keinerlei Zustimmung von den Grünen oder der SPD be-
kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Angelikas Märchenstunde!)


Ihrem Antrag fehlt jegliche zeitgemäße und zukunfts-
weisende politische Einbettung. In Ihrem Antrag befindet
sich keinerlei Reformperspektive; Ihre einzige Schluss-
folgerung ist: Wir brauchen mehr Geld. Ihr grundlegender
Fehler ist meines Erachtens auch dadurch zu erklären,
dass Sie Sicherheitspolitik primär militärisch begründen
und die Einbindung von Sicherheitspolitik in ein außen-
politisches Konzept nicht nur außen vor lassen, sondern
offensichtlich noch nicht einmal in Erwägung gezogen
haben.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das glauben Sie selbst nicht!)





Paul Breuer
17634


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Ziel unserer Regierung ist die Verhinderung von
Gewalt; deswegen versuchen wir, die Sicherheitspolitik in
eine präventive Außen- und Sicherheitspolitik einzubin-
den. Wir wissen, dass man mit militärischen Mitteln allein
nicht in der Lage ist, schwierige politische Konflikte zu
lösen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das gelingt Ihnen bis Mazedonien hervorragend! – Walter Hirche [F.D.P.]: Deswegen die Ausweitung auf Mazedonien!)


Wir haben uns mit unseren Partnern im Rahmen interna-
tionaler Bündnisse abgestimmt, die diplomatischen Mit-
tel verstärkt und den Umbau der Bundeswehr begonnen.
Einige NATO-Partner sind ähnlich vorgegangen. Wenn
Sie noch an der Regierung wären, dann wäre die Perso-
nalstärke der Bundeswehr wahrscheinlich unverändert
und die Kannibalisierung würde andauern.


(Zuruf von der SPD: Und weniger Geld!)

Wir sehen die Reform der Bundeswehr als einen sehr

komplexen Prozess in diesem Umfeld an.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das hört sich im mer gut an!)

Weil dieser Prozess so komplex ist, kann er nicht statisch
sein und bedarf der Nachsteuerung und keiner platten Pa-
rolen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist verdächtig!)

Im Namen der Grünen sage ich: Unsere Reformvorstel-
lungen reichen weiter. Wir glauben nach wie vor, dass der
Vorschlag der Weizsäcker-Kommission eine in dieser
Gesellschaft konsensfähige Orientierung für die zukünf-
tige Entwicklung liefern wird. Vonseiten der Opposition
bedarf es zumindest der Bereitschaft, sich dem Gedanken
der Reform zu öffnen. Kritisieren Sie doch einzelne Re-
formschritte, statt immer nur Nein zu sagen! Diese Hal-
tung ist eine Art Sackgasse, die es so schwierig macht,
hier produktive Debatten zu führen. Dennoch werden wir
die Reform der Bundeswehr voranbringen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Machen Sie mal eine Reform und nicht nur eine Zusammenstutzung!)


Herr Kollege Breuer, Herr Kossendey – ich kann ihn
im Moment nicht sehen –, erzählen Sie uns doch einmal,
wie Sie Ihre Vorstellungen von der zukünftigen Bundes-
wehr – ich erinnere an die von Ihnen geforderte Personal-
stärke von 300 000 – zeitgleich mit der durchaus zuge-
standenen notwendigen Modernisierung finanzieren
wollen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal das Konzept!)


– Ihr Konzept besteht aus Wunschvorstellungen und Träu-
mereien. Das ist keine Grundlage für eine solide Außen-
und Sicherheitspolitik.

Ihre Kritik an den Standortschließungen ist zwar Ih-
rer Logik immanent; aber dadurch wird sie nicht richtiger.
Jede Reform, die eine Reduzierung anstrebt – die Kolle-

gin Mogg hat das ausgeführt –, bedeutet, dass wir die An-
zahl der Standorte verringern müssen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist die Reform die Abbruchbirne!)


Sicherheitspolitik ist nun einmal nicht nur Strukturpolitik,
wiewohl sie strukturpolitische Folgen hat. Wir sind natür-
lich für die Sorgen, die Nöte und die Diskussionen in den
Kommunen – ich denke an die Familien, die schon wie-
der umziehen müssen – offen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ihr macht doch gar nichts!)


In Bezug auf die Eckwerte wollen wir Planungssicherheit
schaffen. Wir setzen uns in den Ländern mit den Betrof-
fenen zusammen, um unsere Vorstellungen von Verant-
wortung auch im Bereich der Konversion umzusetzen.
Wir gestehen zu, dass das ein schwieriger Prozess ist.
Während wir diesen Prozess vorantreiben, wollen Sie ste-
hen bleiben.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen – nach Ihrer Rede
möchte ich das ansprechen, Herr Breuer –, es ist weder im
Hinblick auf die Außenpolitik noch auf die innenpoliti-
sche Bedeutung der Bundeswehr hilfreich, Themen, die
wenig miteinander zu tun haben, beliebig zu vermischen.
Wenn Sie in jeder Debatte über einen Einsatz der Bun-
deswehr die Erhöhung des Bundeswehretats um 3 Milli-
arden DM bis 5 Milliarden DM fordern, dann behindern
Sie eine rationale Diskussion über schwierige außenpoli-
tische Fragestellungen und über notwendige Entschei-
dungen unseres Parlaments.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ärgert Sie, oder?)


Natürlich müssen Sie uns kritisieren. Ich wünsche mir
nur, dass Ihre Kritik sachbezogen und logisch ist.


(Peter Zumkley [SPD]: Ja, das wünsche ich mir auch!)


Wir sind kritik- und konfliktfähig.

(Werner Siemann [CDU/CSU]: Das habe ich aber noch nicht gemerkt!)

Kritik und Konflikt bringen einen weiter. Ihre Kritik be-
steht allerdings darin, einen Popanz aufzubauen und uns
zu unterstellen, Auffassungen zu vertreten, die keiner von
uns jemals geteilt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Die mangelnde Finanzierung ist doch kein Popanz! – Peter Zumkley [SPD]: Es wird nur noch skandiert! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Aushungern lassen Sie die Soldaten!)


An dem von Ihnen aufgebauten Popanz arbeiten Sie sich
dann ab.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzierung sagen.
Die Bundeswehr hat eine Anschubfinanzierung bekom-
men. Sie hat aus dem Einzelplan 60 Mittel bekommen, die
auch in die Reform einfließen. Wir nehmen zur Kenntnis
– Sie können das nicht –, dass durch die Gründung der




Angelika Beer

17635


(C)



(D)



(A)



(B)


GEBB – der Reformprozess ist zum Teil auch Wirt-
schaftspolitik – Rationalisierungsgewinne, Verkaufs-
erlöse usw. wirklich eine neue Bundeswehrstruktur ge-
stalten. Die Bundesregierung hat uns im Hinblick auf die
GEBB zugesagt, dass sie sich innerhalb des verfassungs-
rechtlichen Rahmens bewegt. Dieser Zusage der Regie-
rung vertrauen wir.


(Zuruf von der F.D.P.: Das wird Sie noch einholen! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Briefkastenfirma! Außer Spesen nichts gewesen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Aber Geld verspekulieren!)


Zu den Finanzen möchte ich noch etwas anderes sagen.
Wir stellen heute eine weit geöffnete Schere zwischen den
Mitteln, die wir für Präventionen und Krisenmoderation
zur Verfügung stellen, und dem Ansatz für das Militär
fest. Wir wollen den Abstand der Scherenflügel verklei-
nern, indem wir sicherheitspolitische Grundsätze, einge-
bettet in die präventive Außenpolitik, so verlagern, dass
wir zukünftig sagen können: Wir können Konflikte früh-
zeitig moderieren, ohne Militär einzusetzen. Damit kön-
nen wir die Ansätze in den Haushalten ein Stück weit zu-
sammenführen. Dies ist auch im Interesse unserer
Soldaten, die nicht unnötigerweise in den Einsatz ge-
schickt werden sollen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Und was ist mit Mazedonien?)


Ich möchte jetzt noch etwas zu einer Aussage des Ge-
neralinspekteurs hinsichtlich des Reformprozesses und
der Beschleunigung sagen. Der Generalinspekteur hat
neulich gesagt, dass er sich aufgrund der jetzigen finanzi-
ellen Situation – auch er hat deutlich mehr Geld verlangt –
eine lineare zeitliche Verschiebung des Reformprozesses
vorstellen könnte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich sage ganz ehrlich: Ein Schieben, Strecken und Strei-
chen halten wir für falsch.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das geschieht doch massiv!)


Wir haben eine andere Vorstellung von Nachsteuerun-
gen. Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr in
dem Prozess der Modernisierung weiter reduziert werden
kann.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie sind nicht von dieser Welt! – Heiterkeit)


Natürlich werden wir sehr sachlich und politisch verant-
wortlich die personelle Reduzierung weiter diskutieren.
Es wird Ihnen nicht gelingen, Rot und Grün ge-
geneinander aufzuhetzen. Wir werden die gesellschaftli-
che Debatte über die Wehrpflicht, die zurzeit stattfindet,
insbesondere vor dem Hintergrund, dass jetzt die Frauen
freiwillig ihren Dienst verrichten können, produktiv wei-
terführen. Dies werden wir im Hinblick auf die zu erwar-
tende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
tun; das weiß unser Koalitionspartner.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber eine Drohung!)


– Nein, das ist die Berücksichtigung von gesellschaftli-
chen und politischen Prozessen.

Wenn Sie bereit sind, über gesellschaftliche Verände-
rungen in unserem Land zu diskutieren, werden wir mit
Freude auch mit der Opposition eine sachgerechte und
zukunftsgerichtete Diskussion führen. Dann sind wir an
einem Punkt, an dem wir sagen können, dass das Parla-
ment im Interesse der Gesellschaft, der Soldaten und in
der Verantwortung, die Soldaten für internationale Aufga-
ben, die sie im Moment hervorragend erfüllen, entspre-
chend auszustatten, die Dinge weiter vorantreibt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eine Blase nach der anderen!)


Sie verbreiten Panik, stellen infrage und fahren die Stra-
tegie der Verunsicherung auf dem Rücken von Leuten, die
wohl mehr davon hätten, wenn dieses Parlament zu einer
gemeinsamen Positionierung käme. Dazu müssten Sie sich
aber bewegen. Deswegen lehnen wir Ihre Anträge heute ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417914300
Der nächste Redner ist
der Kollege Günther Friedrich Nolting von der F.D.P.-
Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1417914400
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, die
F.D.P. hat rechtzeitig ein Konzept zur Bundeswehrreform
vorgelegt.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach dem Beschluss des Kabinetts!)


Diese rot-grüne Regierung peitscht jedoch ihre Vorstel-
lungen durch, ohne auf die F.D.P. zuzugehen. Die rot-
grüne Regierung handelt am Parlament vorbei. Das Par-
lament ist ihr lästig.


(Ursula Mogg [SPD]: Was? Das ist mir neu!)

Gerade in der vergangenen Woche haben wir die Äuße-

rungen von Bundesaußenminister Fischer vor dem Bun-
desverfassungsgericht zur Kenntnis nehmen müssen.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist es!)


Frau Kollegin Beer, vielleicht sollten Sie dies an Ihren
Außenminister weiterleiten


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht hört er Ihnen ja zu!)


– ich hoffe, dass er zuhört –: Die Bundeswehr ist nach wie
vor eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass es dabei
bleibt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ein Minister ist nämlich schnell zurückgetreten und gibt
damit die Verantwortung ab. Das Parlament aber bleibt
und trägt auch weiterhin die Verantwortung.

Frau Kollegin Beer, das, was Sie zur Reform der Bun-
deswehr gesagt haben, und die Tatsache, dass Sie sich als
Retterin der Bundeswehr aufspielen, ist doch nahezu un-
glaubwürdig. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf




Angelika Beer
17636


(C)



(D)



(A)



(B)


Reden, die Sie bis September 1998 gehalten haben, als Sie
noch in der Opposition waren.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie offensichtlich auswendig gelernt haben! Sie zitieren jetzt einige Sätze daraus!)


Frau Kollegin Mogg, zu Ihrem Beitrag zur Bundes-
wehrreform kann ich für die F.D.P.-Bundestagsfraktion
nur feststellen: Wir haben eine schlecht laufende Bundes-
wehrreform. Das, was Sie heute gemacht haben, war
Schönreden wider besseres Wissen.


(Ursula Mogg [SPD]: Das ist falsch!)

Ich sage Ihnen: Die Bundeswehrreform wird den nächs-
ten Wahltag nicht überleben.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Zuruf von der SPD: Wollen wir wetten?)


Wir haben eine unausgewogene Personalstruktur, wir
haben eine unbefriedigende Nachwuchslage, wir haben
eine den neuen Aufträgen nicht mehr gerechte Material-
lage und wir haben unmittelbar bevorstehende Kon-
versionsmaßnahmen. Das ist die Realität, aber darauf sind
Sie nicht eingegangen.


(Ursula Mogg [SPD]: Dann arbeiten Sie doch konstruktiv an der Lösung dieser Probleme mit!)


Zur Konversion haben Sie heute nicht ein einziges Wort
gesagt.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das stimmt doch nicht! Sie hat dazu ausführlich Stellung genommen!)


Ich denke, die betroffenen Kommunen haben ein Recht
darauf, hierzu etwas zu hören.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zugehört!)


Ich sage für die F.D.P.-Bundestagsfraktion, dass der Um-
bau der Bundeswehr und die damit einhergehende Um-
strukturierung von Standorten eine Bundesaufgabe ist und
Geld kostet.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Umso unglaubwürdiger ist die Politik dieser Bundesregie-
rung, da sie diesen Zusammenhang zwar sieht und einge-
steht – ich hoffe, dass der Staatssekretär darauf gleich noch
eingeht –, in der Ausstattung des Haushalts aber nicht um-
setzt. Der vorgelegte Haushaltsentwurf mit 23,6 Milliar-
den Euro für die Verteidigung ist unzureichend. Herr Kol-
lege Zumkley, das wissen Sie auch; Sie haben sich in der
Öffentlichkeit entsprechend geäußert. Ich kann für die
F.D.P.-Bundestagsfraktion deshalb nur feststellen: Die
Bundesregierung misst der Bundeswehr und ihrem Umbau
und damit der Sicherheitspolitik insgesamt ganz offen-
sichtlich einen äußerst geringen Stellenwert bei.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es gibt ständig neue Aufgaben für die Bundeswehr, aber
immer weniger Geld. Das müssen Sie einmal der stau-
nenden Öffentlichkeit erklären.

Mit einem nominal sinkenden Verteidigungsetat ist
die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet. Mit ei-
nem nominal sinkenden Verteidigungsetat kann keine
Liegenschaft der Bundeswehr so zurückgebaut oder sa-
niert werden, dass sie verkauft werden kann. Personal-
maßnahmen können nicht sozialverträglich umgesetzt
werden, geschweige denn, dass etwa ein Sonderpro-
gramm für die von Schließungen und Verkleinerungen be-
sonders betroffenen Kommunen eingeleitet werden kann.

Es gibt einen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, der
besonders hart betroffen ist.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Eggesin?)

– Nein, ich will jetzt auf Stavenhagen eingehen, Kollege
Breuer. Hier werden 1 240 Dienstposten ersatzlos gestri-
chen. Der Bürgermeister der Stadt sagt dazu: Es gibt eine
Reihe von Ideen und Vorschlägen, aber wir brauchen zu-
nächst eine Machbarkeitsstudie. Die kostet etwa
150 000 DM, die wir mit Unterstützung des Verteidi-
gungsministeriums auftreiben wollen. – Jetzt kommt der
entscheidende Satz: Leider versuchen wir seit Monaten
erfolglos, einen Kontakt zum Büro von Herrn Scharping
herzustellen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Hört, hört!)

Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Bundesregierung

aus ihrer Verantwortung für die rund 100 Standorte stiehlt,

(Peter Zumkley [SPD]: Hat er die richtige Te lefonnummer gehabt?)

die von einer Schließung oder einer Reduzierung be-
troffen sind. Deshalb, Herr Kollege Zumkley, sollten
Sie mit dafür Sorge tragen, dass für Reorganisations-
maßnahmen im Bundeshaushalt entsprechend viel Geld
vorgesehen wird. Das ist auch Ihre Aufgabe als Regie-
rungskoalition.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist festzustellen – und hier frage ich den Staatssekre-
tär –, ob es für die betroffenen Kommunen klare finanzi-
elle Hilfen zur Konversion geben wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Antwort lautet Nein! Das wissen wir schon!)


Herr Staatssekretär, die F.D.P.-Fraktion appelliert an
Sie: Fordern Sie beim Bundeskanzler die für die Bundes-
wehr überlebenswichtige deutliche Erhöhung des Vertei-
digungshaushaltes ein und setzen Sie beim Bundeskanz-
ler eine Anschubfinanzierung und ein Konversions-
programm durch, damit viele der von Schließung und Re-
duzierung betroffenen Bundeswehrstandorte überhaupt
eine Überlebenschance haben.


(Zuruf von der SPD: Haben Sie einen Deckungsvorschlag?)


Wir brauchen ein Sonderprogramm. Wir brauchen ein
überregionales Ausgleichskonzept. Wir brauchen einen
Härtefallfonds.


(Ilse Janz [SPD]: Ausweitung, Ausweitung, Ausweitung! – Peter Zumkley [SPD]: Immer mehr Schulden machen!)





Günther Friedrich Nolting

17637


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Mogg, hier sind die Verträge bezüglich des Ab-
baus der Stellen von zivilen Mitarbeitern angesprochen
worden. Diese Verträge kommen sehr spät, aber sie sind
immerhin da. Eines fehlt aber noch: Diese Verträge müs-
sen jetzt auch mit Leben erfüllt werden und die Betroffe-
nen müssen endlich wissen, was auf sie zukommt. Wir
müssen mit dafür Sorge tragen, dass den betroffenen zivi-
len Mitarbeitern Ängste und Sorgen genommen werden.
Auch da sind Sie und die Regierung gefordert. Herr
Staatssekretär, ich hoffe, dass Sie auch dazu Stellung neh-
men werden.

Wir haben einen Antrag zur Konversion vorgelegt. Ich
bitte Sie um Unterstützung, damit die betroffenen Regio-
nen und Kommunen endlich Hilfe bekommen. Darauf ha-
ben sie Anspruch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417914500
Die Kollegin Heidi
Lippmann spricht jetzt für die PDS-Fraktion.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1417914600
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die vorliegenden drei Anträge der
Oppositionsfraktionen sind Ausdruck der fehlenden Mitbe-
stimmung des Parlaments bei der so genannten Bundes-
wehrreform. Der Antrag der PDS unterscheidet sich von der
Stationierungsplanung der Regierung und den Positionen
von CDU/CSU und F.D.P. allerdings in einem ganz zentra-
len Punkt: Im Gegensatz zu Ihnen lehnen wir den Umbau
der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee strikt ab.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Der Begriff ist doch völlig falsch!)


Ihre Planung hat mit Abrüstung und Rüstungskonversion
nichts zu tun, sondern ist Ausdruck von Umrüstung und
Rüstungsmodernisierung.

Die PDS tritt dafür ein, die Bundeswehr drastisch zu
reduzieren. Daran halten wir auch fest. Die damit einher-
gehenden Einschnitte für die betroffenen Soldaten und Zi-
vilbeschäftigten müssen sozialverträglich ausgestaltet
werden. Natürlich muss es entsprechende Unterstützun-
gen für die betroffenen Regionen geben. Wir fordern da-
her die Einrichtung eines Amtes für Abrüstung und
Konversion, um die institutionellen Bedingungen eines
wirtschafts- und sozialverträglichen Umstellungsprozes-
ses zu gewährleisten.

Ausgehend von diesem grundlegenden Unterschied
fordern wir in unserem Antrag, die Pläne zur Feinauspla-
nung und Stationierung der Bundeswehr abzulehnen und
stattdessen ein Abrüstungs- und Konversionskonzept
vorzulegen, das den notwendigen Abbau der Streitkräfte
mit Maßnahmen gezielter regionaler Wirtschaftsförde-
rung verbindet. In diesem Punkt hat die F.D.P. unseren
Antrag abgeschrieben, sodass wir uns bei eurem Antrag
enthalten werden.


(Lachen bei der F.D.P. – Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Was haben wir gemacht? – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die F.D.P. schreibt bei den Kommunisten ab!)


Dies betrifft insbesondere Standortschließungen in den
neuen Bundesländern, wie zum Beispiel in Eggesin, einer
der strukturschwächsten Regionen in diesem Land. Wir
dürfen die von Standortschließungen betroffenen Men-
schen, Gemeinden und Regionen nicht alleine lassen, son-
dern müssen ihnen wirtschaftliche Perspektiven bieten.
Herr Zumkley, dazu bedarf es Strukturfördermittel des
Bundes, die in einen Konversionsfonds eingebettet sein
müssen, der im kommenden Haushaltsjahr mindestens
500 Millionen DM umfassen sollte.

Sie fragten, wie das finanziert werden soll.

(Peter Zumkley [SPD]: Ihre Antwort kenne ich!)

Sie sind bereit, in den nächsten zehn bis 15 Jahren für die
Aufrüstung und den Umbau der Bundeswehr zur Inter-
ventionsarmee rund 210 bis 220 Milliarden DM zu inve-
stieren.


(Peter Zumkley [SPD]: Herr Breuer, hören Sie das?)


Sie sind aber nicht bereit, die 500 Millionen DM, die für
den Bereich der Konversionsplanung erforderlich sind, zu
finanzieren.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das könnt ihr in Berlin mit dem Wowereit machen!)


Die Freigabe von Liegenschaften und die Aufgabe mi-
litärischer Flächennutzung können aber auch neue Ent-
wicklungschancen eröffnen. So können Liegenschaften
im Rahmen regionaler und lokaler Beschäftigungs- und
Qualifizierungsprogramme genutzt werden. Bisher durch
Lärm- und Umweltbeeinträchtigungen gebeutelte Regio-
nen können für Tourismus- und Freizeitangebote er-
schlossen werden. Ich erinnere nur einmal an das Ver-
sprechen von Herrn Scharping, der 1994 in Wittstock
gesagt hat, dass das Bombodrom geschlossen werden
solle. Was glauben Sie, wie dankbar Ihnen die Wittstocker
und die Leute in der Region wären, wenn Sie dort endlich
Konversion betreiben würden?


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

In Ballungsräumen kann auf freien Liegenschaften

neuer Wohnraum geschaffen werden und es können Ge-
werbeflächen-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen ent-
stehen, alles natürlich unter der Voraussetzung, dass der
Bund die Länder und die rund 100 von den Standortredu-
zierungen bzw. -schließungen betroffenen Gemeinden
nicht im Regen stehen lässt, sondern sie hinsichtlich der
ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen und
der Nachnutzungsoptionen unterstützt.

Wir haben in unserem Antrag diverse konkrete Ange-
bote gemacht. Immerhin hat er das Lob der Grünen ge-
funden.

Wie unseriös die gesamte Planung um den so genann-
ten Umbau der Bundeswehr ist, wird am Beispiel der
GEBB deutlich, die Herr Scharping eingerichtet hat. Insi-
der gehen sogar so weit, die GEBB als größte Luftnum-
mer zu bezeichnen, die ein Verteidigungsminister jemals
zur Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erfun-
den hat. Das ist ein Zitat von der Hardthöhe. Sollte es sich




Günther Friedrich Nolting
17638


(C)



(D)



(A)



(B)


bewahrheiten, dass die GEBB, wie die „Welt“ gestern be-
richtet hat, tatsächlich Haushaltsmittel in Wertpapieren
angelegt hat, so sollte dies nicht nur rechtliche, sondern
auch politische Konsequenzen haben.

Abschließend möchte ich noch einmal deutlich ma-
chen: Jetzt und auf absehbare Zeit gibt es keine militäri-
sche Bedrohung für Deutschland und Europa. Selbst im
Rahmen der Vorsorge in Bezug auf Landesverteidigung
und den Eventualfall Bündnisverteidigung reicht eine
drastisch reduzierte Bundeswehr aus. Keine internatio-
nale Verpflichtung zwingt die Bundesrepublik, die Bun-
deswehr zu einer Interventionsarmee umzubauen. Dazu,
wie unverbindlich die neue NATO-Strategie hinsichtlich
Bündnisverpflichtungen ist, haben der Außen- und der
Verteidigungsminister sich letzte Woche wortreich vor
dem Bundesverfassungsgericht verteidigt.

Nehmen Sie Ihre eigenen Kriterien zur nicht militäri-
schen Friedenssicherung, Frau Beer, als Maßstab! Ver-
zichten Sie auf fragwürdige, rechtswidrige Interventionen
und entsprechende strukturelle Maßnahmen! Wir fordern
Sie auf: Schaffen Sie ein Amt für Abrüstung und Konver-
sion, gehen Sie ernsthaft mit den Problemen in den Re-
gionen um und nehmen Sie Abstand von dem Umbau zur
Interventionsarmee! Dann gewinnen Sie nicht nur das
Vertrauen der Bundeswehrangehörigen zurück, sondern
auch das Vertrauen der betroffenen Menschen in den Re-
gionen und Gemeinden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417914700
Das Wort hat der Par-
lamentarische Staatssekretär Walter Kolbow.

W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1417914800
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die bisherigen Einlassungen der
Opposition in dieser Debatte können nichts daran ändern,
dass wir mit der Neuausrichtung der Bundeswehr die seit
Jahren überfälligen und richtigen Antworten auf die
neuen internationalen Anforderungen geben und Ver-
säumnisse Ihrer Regierungszeit in den Jahren 1990 bis
1998 wieder gutmachen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist doch eine alte Leier! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Die Abrechnung kommt!)


Ihre bisherigen Einlassungen können nichts daran än-
dern, dass wir durch den bislang tiefgehendsten Umbau
der Bundeswehr mit bündnis- und partnerfähigen Streit-
kräften einen gewichtigen Beitrag zu einem Deutschland
leisten, das in einem handlungsfähigen Europa Verant-
wortung trägt. Ihre Einlassungen konnten und können
auch nichts daran ändern, dass wir durch unsere politi-
schen Entscheidungen mit unseren transatlantischen
Freunden Frieden und Freiheit in einer Welt der Globali-
sierung mit ihren neuen Herausforderungen und Chancen
stärken.

Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie in Ihrer Oppo-
sitionsnot mit Wortschöpfungen überzeichnen. Aber Sie
sollten, Herr Kollege Breuer, sehr vorsichtig sein, wenn
Sie unsere ausländischen Partner hier im deutschen Parla-
ment als Zeugen anrufen und sagen, dass auch diese sich
äußerten, wir würden mit der Bundeswehr Schindluder
treiben oder sie, wie Sie sich hier ausgedrückt haben, ver-
ludern lassen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Sprache der „Bild“-Zeitung!)


Wir waren gestern mit den niederländischen Kollegin-
nen und Kollegen zusammen. Ich hatte heute noch einmal
Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen. Von solchen Vorwür-
fen war keine Rede; stattdessen gab es Aufmerksamkeit für
unseren Weg, Aufmerksamkeit natürlich auch für die
Schwierigkeiten einer so grundlegenden Reform. Wer
wollte das leugnen? Wir packen es an; Sie konnten es nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sollten auch bei der Wahl Ihrer Worte darüber, in
welcher Liga wir nun spielen, wenn Sie die Soldatinnen
und Soldaten und ihre Leistungsfähigkeit mit einbezie-
hen,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich habe Herrn Scharping zitiert!)


sehr vorsichtig sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Sehr richtig! Das war eine Beleidigung!)


Überzeugen Sie sich davon, was unsere Marine jüngst
in belgischen Gewässern bei einem NATO-Wettbewerb
geleistet hat: erster Platz! Überzeugen Sie sich davon, was
unser Heer nach wie vor leistet, nicht nur im Einsatz, son-
dern auch bei den internationalen Übungen, zum Beispiel
bei „Partnerschaft für den Frieden“:


(Peter Zumkley [SPD]: Oder im Kosovo! – Heidi Lippmann [PDS]: Militärolympiade oder was?)


immer erste Plätze, immer im ersten Drittel! Das wird
nicht verhindert durch unsere Politik, nein, es wird geför-
dert, weil wir die Soldaten unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen in dieser Auseinandersetzung auf Ihre
Anträge hin, die Anspruch haben, sorgfältig gelesen und
bewertet zu werden – keine Frage –, auch, dass wir diese
Reform unter nicht einfachen Bedingungen der Konsoli-
dierung der Staatsfinanzen ermöglichen. Sie haben uns
Berge an Schulden in Billionenhöhe überlassen, die uns
Zinslasten pro Jahr in fast doppelter Höhe des Verteidi-
gungshaushaltes beschert haben.


(Beifall bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: Das ist die Wahrheit!)


Sie wissen genau, was in Ihrer Regierungszeit – auch
daran haben Sie zu tragen; das muss ich Ihnen immer




Heidi Lippmann

17639


(C)



(D)



(A)



(B)


wieder vorhalten – dem Verteidigungsetat an Mitteln und
damit an Investitionskraft und Betriebsfähigkeit entzogen
worden ist.

Wir haben die Entscheidungen für diese neue Bundes-
wehr, für einsatzfähige und für ihre Aufgaben optimierte
Streitkräfte trotz des hohen Entscheidungstempos mit ge-
botener Sorgfalt getroffen. Dies gilt auch und gerade für
die in den Anträgen immer wieder angesprochene Statio-
nierungsfrage.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Die Beurteilung von Standorten erfolgte auf der
Grundlage eines ausgewogenen Kriterienkataloges und
eines inneren militärischen Strukturzusammenhangs.
Überdies haben wir, Herr Kollege Nolting, bei den Sta-
tionierungsentscheidungen den Belangen der Länder und
der Kommunen sehr stark Rechnung getragen. Wie ernst
es uns damit war, ergibt sich schon allein daraus, dass in
der neuen Struktur mehr als 93 Prozent aller Standorte
– Frau Kollegin Mogg hat darauf hingewiesen – erhalten
geblieben sind. Das ist deutlich mehr – ich muss es noch
einmal herausstellen –, als allein nach militärischen und
wirtschaftlichen Aspekten vorgeschlagen wurde. Dies ist
unser volkswirtschaftlicher Beitrag – wenn Sie so wollen:
das Sonderprogramm des Bundesministers der Verteidi-
gung für die Regionen jenseits des militärischen Optimie-
rens.


(Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist wirklich abenteuerlich! – Zuruf von der CDU/CSU: Aber mit welchen Geldern?)


So leisten wir einen Beitrag zur Erhaltung der Wirt-
schaftskraft in strukturschwachen Gebieten und so halten
wir die Bundeswehr auch künftig in der Fläche umfassend
präsent.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Da muss man ja viel Fantasie haben!)


Erinnern Sie sich doch daran, was Sie bei Ihren Refor-
men 1994/95 gemacht haben: auf Teufel komm raus in der
Fläche geschlossen! Und jetzt halten Sie uns vor, dass wir
auf der Basis der von Ihnen getroffenen Entscheidungen
zu wenig täten. Sehen Sie diese Reformen auch einmal im
Zusammenhang, berücksichtigen Sie, welche Standorte
geschlossen worden sind und fassen Sie sich unter Wür-
digung der Texte Ihrer Anträge an Ihre eigene politische
Nase, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch wenn die Bewältigung des durch die Standort-
konversion ausgelösten Strukturwandels in erster Linie in
der Verantwortung der Länder und Regionen liegt, was
ja auch anhand des F.D.P.-Antrages schon diskutiert wor-
den ist


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der ist gut!)


– es ist gut, Herr Nolting! –, wirkt der Bund gleichwohl
über ein breit gefächertes strukturpolitisches Instrumenta-

rium an der regionalen Entwicklung mit, um die Folgen
struktureller Probleme zu mildern. So wirken zum Bei-
spiel die Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
aber auch die Programme der Städtebauförderung, der
Agrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung, die Mittel-
standsförderprogramme sowie natürlich auch – das ist zu
konstatieren – entsprechende Landesprogramme unter-
stützend. Wir sind mit den Ländern im Dialog. Mit Bay-
ern haben schon – Herr Kollege Rossmanith, Sie kommen
ja gleich dran, nehmen Sie es bitte auf und würdigen Sie
es – Gespräche stattgefunden. Der Wirtschaftsminister
und die politische Leitung des Bundesministeriums der
Verteidigung sind im Gespräch. Es sind ruhige, es sind
sachliche, es sind konstruktive Gespräche, an denen auch
der Städtebund und der Landkreisbund beteiligt sind. Mit-
hilfe der Bundes- und der Länderprogramme werden wir
zu vernünftigen Lösungen kommen. Wir werden auch be-
lastbare Zeitpläne mitteilen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was sagen Sie denn dem Bürgermeister von Stavenhagen?)


Ich darf darauf hinweisen, dass diese Bundeswehr-
reform von spürbaren Maßnahmen zur Steigerung der
Attraktivität begleitet wird. Hierzu zählen die Besol-
dungsverbesserungen, die in den Entwurf des sechsten
Besoldungsänderungsgesetzes aufgenommen werden.
Sie wissen von den Neuordnungen der Laufbahnen sowie
dem Bestreben, den einvernehmlichen Abbau von Perso-
nalüberhängen bei den Soldaten durch ein Personalan-
passungsgesetz zu ermöglichen. Wir wollen diese Re-
form mit den Soldatinnen und Soldaten, mit den zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen, nicht gegen
sie.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Die merken das aber gar nicht!)


Sie werden nach der Sommerpause Gelegenheit haben,
sich hier parlamentarisch mit dem diesbezüglichen Ge-
setzesvorhaben zu befassen. Auf weitere wegweisende
Änderungen wie die Öffnung der Bundeswehr für Frauen
in allen Laufbahnen und Laufbahngruppen sowie die Ein-
führung eines abschnittsweisen Grundwehrdienstes darf
ich im Zusammenhang mit der Vollständigkeit der Re-
form hinweisen.

Es ist hier auch darauf hingewiesen worden, dass der
Tarifvertrag möglicherweise unzulänglich und nicht zu fi-
nanzieren sei. Das wird nicht der Fall sein.

Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Opposition, sollten vor Ort und hier im Hause aber auch
nicht mit gespaltener Zunge auftreten. Ich habe – der Kol-
lege Laumann ist leider gegangen – mit großer Betroffen-
heit davon gelesen, dass trotz richtiger Information im
Verteidigungsausschuss, bei dem der Partner der Presse-
konferenz von Herrn Laumann, Herr Breuer, offensicht-
lich dabei gewesen sein muss, gesagt worden ist, man
könne den Tarifvertrag noch nicht rechtsverbindlich un-
terzeichnen, weil der Bundesminister der Verteidigung
nicht so weit sei. Es ist ganz anders: Verdi ist noch nicht
aufgestellt, noch nicht rechtsfähig; deswegen können wir




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow
17640


(C)



(D)



(A)



(B)


erst am 18. Juli den Tarifvertrag zugunsten der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter unterzeichnen.


(Beifall bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: So ist das! Aber das sind die Tricks der Opposition!)


Ich rufe Sie zu Redlichkeit in der politischen Auseinan-
dersetzung auf, meine Damen und Herren.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Schauspieler! – Weiterer Zuruf des Abg. Werner Siemann [CDU/CSU])


– An mich jederzeit, das wissen Sie. So ein Zwischenruf,
Herr Kollege Siemann, trifft mich in diesem Zusammen-
hang überhaupt nicht. Wir können das auch vor Ort aus-
tragen.

Somit darf ich sagen: Diese Reform ist auf dem Weg.
Der Zug fährt; er wird an Geschwindigkeit aufnehmen


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Und entgleisen!)


und er wird trotz Ihrer Unkenrufe am Ziel angelangen –
im Interesse unserer Bundeswehr als innenpolitisch und
außenpolitisch wichtiges konstitutives Element unseres
Landes. Ich kann Sie nur einladen, hier nicht nur – aber
das ist Ihre Farbe – schwarz zu malen, sondern der Re-
form auch politische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überfordert die Kollegen!)


Ich danke für Ihre Geduld.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417914900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege
Walter Kolbow, sie haben hier ein Bild gemalt. Das ein-
zige, was Sie dabei konstruktiv rübergebracht haben, war,
dass Sie wieder versucht haben, auf die Vergangenheit zu
kommen und vermeintliche Sünden der damaligen Regie-
rung aus CDU/CSU und F.D.P. im Bereich der Sicher-
heitspolitik und unserer Streitkräfte anzuprangern. Nur,
da sind Sie, wie Sie das seit 1998 schon machen, wieder
in die gleiche Falle gerannt; denn die Zahlen – ich könnte
Sie Ihnen jetzt vorlegen, aber Sie kennen sie ja – sprechen
eine ganz andere Sprache. Leider Gottes ist es eine Tatsa-
che, dass die Lage der Bundeswehr in der Zwischenzeit
dramatisch geworden ist.

Die sich zuspitzende Lage in Mazedonien zeigt
schließlich – nicht, dass wir sagen, unsere Soldaten seien
schlecht ausgebildet oder ausgerüstet –,


(Peter Zumkley [SPD]: Aha!)

dass wir auf dem Weg dahin sind. Im internationalen Ver-
gleich sind wir natürlich stolz auf unsere Soldaten. Aber
fragen Sie doch die Soldaten selbst: Wir sind doch auf

dem besten Weg dahin. Das Geleistete ist doch nur noch
möglich, weil man Material zusammensammelt und die
Soldaten mit den letzten Gerätschaften, die einigermaßen
funktionieren, ausstattet. Deshalb können Sie momentan
noch so erfolgreich sein.

Nein, Herr Staatssekretär, die von Ihnen immer wieder
beschworene Bundeswehrreform verdient diese Bezeich-
nung schlicht und einfach nicht; denn es ist keine Reform,
sondern ein reines Finanzdiktat des Bundesministers der
Finanzen und des Bundeskanzlers zulasten unserer Solda-
ten, unserer Bundeswehr und unserer Sicherheitspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Leider Gottes hat sich dieses sicherheitspolitische
Fiasko schneller eingestellt, als wir selbst dies zunächst
befürchtet hatten. Knapp ein Jahr nach dem Kabinettsbe-
schluss zur so genannten Bundeswehrreform hat der
Generalinspekteur der Bundeswehr erklären müssen, dass
die Bundeswehr ihre Verpflichtungen gegenüber der
NATO und der Europäischen Union wegen der fehlenden
Finanzmittel kaum mehr erfüllen kann.

Knapp ein Jahr nach dem Beginn der so genannten
Bundeswehrreform sind unsere Streitkräfte nicht mehr in
der Lage, sich an einem begrenzten Einsatz der NATO zur
Entwaffnung albanischer Rebellen in Mazedonien zu
beteiligen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


– Ich komme noch darauf zu sprechen.
Bereits bei der Verlängerung des KFOR-Mandats ha-

ben wir klargestellt, dass wir einer weiteren Ausweitung
des Mandats auf dem Balkan nur dann zustimmen kön-
nen, wenn die Bundeswehr hierfür auch die zusätzlich
erforderlichen Finanzmittel erhält. Wir werden – damit
Sie sich keinen falschen Hoffnungen hingeben – an dieser
Vorgabe auch festhalten. Wir sind das unseren Soldaten
schlicht und einfach schuldig, die in diesen Krisenregio-
nen ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, um den si-
cherheitspolitischen Auftrag, den wir ihnen erteilt haben,
zu erfüllen und um einen Beitrag zu Frieden und Stabilität
in dieser Region zu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es kann nicht angehen, dass unsere Soldaten immer
neue Aufgaben von dieser Bundesregierung und den sie
tragenden Parteien erhalten und der Finanzminister
gleichzeitig diesen Streitkräften die Mittel entzieht. Es
eh
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1417915000
Geben Sie sich im Finanzministerium
endlich einen Ruck und geben Sie Ihrem Kollegen, Ver-
teidigungsminister Scharping – sprich: unseren Streit-
kräften –, das, was nötig ist, um unsere gemeinsame Si-
cherheitspolitik, zu der wir immer gestanden haben, auch
umsetzen zu können!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Parl. StaatssekretärWalter Kolbow

17641


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundeskanzler Schröder erklärt nun, dass er sich die-
sem NATO-Einsatz in Mazedonien nicht entziehen will.
Ich will ihn aber schon darauf hinweisen, dass die inter-
nationalen Verpflichtungen Deutschlands auch haushalts-
politisch abgesichert sein müssen. Er hat heute gesagt,
natürlich werde er dafür zusätzliche Mittel bereitstellen.
Wörtlich ist heute der Presse zu entnehmen: „Darauf kann
sich der Verteidigungsminister verlassen.“ Bundesminis-
ter Scharping wird diese Zusicherung sicherlich mit ge-
mischten Gefühlen und großer Skepsis zur Kenntnis ge-
nommen haben. Dafür hätte ich auch volles Verständnis;
denn der Verteidigungsminister hat schließlich in der Ver-
gangenheit seine eigenen negativen Erfahrungen mit den
Zusagen des Kanzlers machen müssen.

Ich erinnere daran, dass Bundeskanzler Schröder noch
sehr lange nach Beginn seiner Amtszeit vollmundige Ver-
sprechungen zur finanziellen Ausstattung der Bundes-
wehr abgegeben hat. Ich finde es schon erstaunlich, meine
sehr verehrten Damen und Herren, mit welcher Gleich-
gültigkeit und Ignoranz der Bundeskanzler heute auf die
Hilferufe der Bundeswehr reagiert und dass er dem Fi-
nanzminister bei seinen Streichungen, Kürzungen und
Reduzierungen auch weiterhin tatenlos zusieht und ihn
gewähren lässt. Es ist ganz sicher, dass die Sicherheitspo-
litik bei diesem Bundeskanzler keinen allzu hohen Stel-
lenwert besitzt


(Zuruf von der SPD: Na, na!)

und die Probleme der Bundeswehr ihn im Endeffekt völ-
lig kalt lassen.

Ich bin der Meinung, es ist allerhöchste Zeit, dass bei
der gesamten Bundesregierung ein grundsätzliches Um-
denken einsetzt. Wir stehen nämlich in der Gefahr – wie
es der Kollege Breuer schon gesagt hat –, unsere Glaub-
würdigkeit auf internationaler Ebene, insbesondere im si-
cherheitspolitischen Bereich, zu verlieren. Gerade heute
– um auch das einmal mit anzusprechen – hat der ameri-
kanische Präsident Bush erklärt, der amerikanische Ver-
teidigungshaushalt werde im nächsten Jahr um 18,6 Mil-
liarden US-Dollar ansteigen. Das ist ein Anstieg von rund
6 Prozent. Wir hingegen rangieren mit unserem Wehretat
inzwischen an letzter Stelle der NATO-Partner, das heißt,
noch hinter Luxemburg.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt mit ansprechen,
der in den Anträgen enthalten ist: Der Bundesverteidi-
gungsminister und auch Sie, Herr Staatssekretär Kolbow,
haben in der Vergangenheit – wider besseres Wissen,
muss ich heute sagen – erklärt, dass die Bundeswehr auch
nach der Reduzierung in der Fläche präsent bleiben
werde. Das Gegenteil dessen ist eingetreten: Weite Land-
striche, vor allem in Bayern, muss man heute bedauer-
licherweise als „bundeswehrfrei“ bezeichnen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Bravo!)

Und dabei wird es ja nicht bleiben: Sollte es bei der der-
zeitigen Finanzplanung bleiben, so ist – schon aus reiner
Geldnot – die Schließung weiterer Standorte so gut wie si-
cher.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit aller
Emotion sagen: Wir haben vorgestern – das hat mich sehr

berührt und berührt mich immer noch, lieber Herr Staats-
sekretär Kolbow – in Garmisch-Partenkirchen die dortige
Gebirgsdivision im wahrsten Sinne des Wortes zu Grabe
getragen. Das Gebirgsmusikkorps musste seinen eigenen
Trauermarsch spielen. Eine leistungsfähige, hoch moti-
vierte und traditionsreiche Division, die nicht nur eine
enorme sicherheitspolitische Bedeutung hatte, sondern
darüber hinaus in der Bevölkerung fest verwurzelt war,
wird mit einem Federstrich ausgelöscht.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist es! Und die Bayern haben sich nicht genügend dagegen gewehrt, lieber Kollege!)


Wir erleben hier die schmerzhafte Konsequenz einer sinn-
losen Kahlschlagpolitik, die auch auf gewachsene Struk-
turen, die traditionelle Verankerung der Bundeswehr in
den Regionen, keinerlei Rücksicht nimmt. Deshalb kön-
nen Sie, die Bundesregierung und die sie tragenden Par-
teien, sich nicht aus der Verantwortung stehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zu den Standortschließungen: Es ist ja gut, dass Sie

jetzt endlich, nachdem Sie bisher alle unsere Anträge ab-
gelehnt haben, einmal Gespräche führen wollen. Nur, wir
wollen Fakten sehen. Der Kollege Nolting und der Kol-
lege Breuer haben ja Beispiele gebracht – ich sage nur:
Stavenhagen –, wo Handeln geboten ist: Ich erinnere an
die vielen Frauen, die in den Küchen der Bundeswehr ar-
beiten, die nicht die Möglichkeit haben, von diesem Pro-
zess, den Sie angesprochen haben, zu profitieren, weil sie
auf ihre Region angewiesen sind. Diese wird es besonders
treffen.

Auf das Argument, das die Bundesregierung immer
wieder geltend macht, dass die Länder seit 1993 einen um
2 Prozent höheren Anteil an der Mehrwertsteuer erhalten,
will ich nicht weiter eingehen. Das wird zwar von Ihnen,
Herr Staatssekretär Kolbow, landauf, landab verkündet,
aber das ist völliger Unfug. Sie wissen, wie es sich seiner-
zeit damit verhielt: dass hier ein Gesamtpaket geschnürt
wurde, dass die Konversion in dem Zusammenhang nur
ein nebensächliches Faktum war und dass der damalige
Ministerpräsident von Niedersachsen, Gerhard Schröder,
das Gesamtpaket aus diesem Grunde mit abgelehnt hat.
Damals ging es um die Kosten für die deutsche Einheit
oder, besser gesagt, um die Kosten für die Überwindung
der Hinterlassenschaft des Sozialismus.

Es ist noch nicht zu spät. Wir werden im Herbst mit den
Beratungen für den Bundeshaushalt 2002 beginnen. Be-
sinnen Sie sich wieder! Der Bundeskanzler, die Bundes-
regierung und die sie tragenden Parteien, die ab Septem-
ber die Haushaltsberatungen anführen, weil sie sowohl im
Haushaltsausschuss als auch im Parlament mehrheitlich
vertreten sind, sollten diese Korrektur aufgrund der Hin-
terlassenschaft, die der Finanzminister in Bezug auf den
Bundeshaushalt angerichtet hat, wirklich vornehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417915100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Arnold.




Kurt J. Rossmanith
17642


(C)



(D)



(A)



(B)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1417915200
Frau Präsidentin! Werte Kolle-
ginnen! Werte Kollegen! Es waren schon ziemlich starke
Worte, die Sie, Herr Breuer, heute hier gewählt haben:
zum Beispiel „verludern“ und „Abbruchunternehmen
Bundeswehr“. Glauben Sie eigentlich, dass Ihr Heiligen-
schein umso heller leuchtet, je scheinheiliger Ihre Argu-
mente sind? Sie kennen sich beim Thema Bundeswehr gut
aus; auch Herr Rühe, der sich in den letzten Wochen ge-
legentlich wieder zu Wort meldet. Zu Ihrer Zeit ist doch
die Bundeswehr ausgeblutet! Sie haben die Investitionen
auf 21,1 Prozent der Gesamtinvestitionen herunterge-
fahren. Sie wissen, dass wir wieder Richtung 25 Prozent
kommen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal die Bezugsgrößen!)


Sie wissen auch, dass wir gerade in den nächsten Wochen
eine ganze Reihe von wichtigen Investitionsvorhaben im
IT- und Kommunikationsbereich auf den Tisch legen und
positiv entscheiden werden. Dies werden wir im Gegen-
satz zu Ihnen umsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bugwelle an Mängeln, die wir bei der Material-
unterhaltung vor uns herschieben, ist natürlich 1994 auf-
gebaut worden und nicht in den letzten Jahren. Auch das
Wort „Kannibalisierung“ haben nicht wir erfunden. Das
stammt vielmehr aus der Zeit, in der Sie Verantwortung
tragen.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig! – Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU])


– Herr Rossmanith, bevor Sie hier dazwischenschreien,
ist festzustellen: Sie haben von einer Parlamentsarmee
gesprochen. Dann verhalten Sie sich doch bitte in Zukunft
entsprechend!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Übernehmen Sie als Parlamentarier Mitverantwortung für
die Reform dieser Parlamentsarmee!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist schon spannend: Herr Rossmanith sagt, er wisse
gar nicht, was das solle, das sei gar keine Reform.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist ein Bluff!)

Herr Breuer sagte vorhin – ich zitiere –: „Die Eckpunkte
dieser Reform sind eigentlich richtig.“


(Peter Zumkley [SPD]: Da hat er etwas Vernünftiges gesagt! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: die Hauptziele!)


Was ist nun Sache? Sprechen Sie sich zwischen CDU und
CSU doch einmal ab, wie Sie sich eine Reform überhaupt
vorstellen!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Dilemma ist doch jedem aufmerksamen Beobach-

ter offenkundig: Wir haben derzeit 320 000 Soldaten.

Wenn es die Bundeswehr aber nur mit großer Anstren-
gung und großer Mühe schafft, von diesen 320 000 Sol-
daten 7 500 für einen Auslandseinsatz bereitzustellen,
dann merken wir doch, wie überfällig eine Reform
tatsächlich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wenn es nur eine Reform wäre!)


Alle Experten, auch der von Ihnen zitierte Richard von
Weizsäcker, sind der Meinung: Wir werden in Zukunft
– um den Aufgaben gerecht zu werden – 150 000 einsatz-
fähige Soldaten und einen entsprechenden logistischen
Unterbau brauchen. Genau dies werden wir im Laufe der
nächsten Jahre aufgrund der jetzt vorgesehenen Reform
erreichen.

Wo bleiben Sie? Die CDU/CSU sagt nach wie vor:
330 000 Soldaten sind notwendig. – Wo ist Ihre sicher-
heitspolitische Analyse, um zu solch einer Zahl zu kom-
men? Ich habe auch angesichts der von Ihnen geführten
Diskussion im Rahmen der Schließung von Standorten
den Eindruck: Teile von Ihnen haben überhaupt noch
nicht kapiert, dass die Bundeswehr kein Selbstzweck ist,
sondern dass sie den politischen Rahmen ausfüllt, den wir
ihr in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Landes-
und Bündnisverteidigung, im Hinblick auf unsere europä-
ischen Aufgaben und unsere Zusagen gegenüber den Ver-
einten Nationen geben.

Dies scheint bei Ihnen noch nicht angekommen zu
sein. Sie sprechen stattdessen fast immer nur – egal, wel-
che Vorlage wir zurzeit haben – über das Geld.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil es nicht da ist!)


– Sie sagen genau das Richtige: weil es nicht da ist. Sie
haben nicht Unrecht.


(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts unserer leeren Kassen ist eine Reform der
Bundeswehr – das wissen wir natürlich – in der Tat nicht
einfach. Doch auch die Bundeswehr muss ihren Beitrag
zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten. Glauben
Sie wirklich – ich bitte Sie, einmal darüber nachzuden-
ken –, dass eine Bundeswehrreform, die auf neuen Schul-
den aufgebaut wird, unserer Bundeswehr bzw. den Solda-
tinnen und Soldaten langfristig hilft?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417915300
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Rossmanith?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1417915400
Ich möchte meinen Gedanken
kurz zu Ende bringen. – Die großen Investitionsvorhaben
bei den Streitkräften standen exakt Ende der 90er-Jahre
an. Wenn wir es nicht schaffen, den Trend im Bundes-
haushalt umzukehren, das heißt, weniger Schulden zu ma-
chen und am Ende zu einem ausgeglichenen Haushalt zu
kommen, muss ich mich fragen: Wie soll die uns nachfol-
gende Politikergeneration die Weichen richtig stellen und






(C)



(D)



(A)



(B)


die neuen Herausforderungen für die Bundeswehr bewäl-
tigen können? Letztlich versündigen Sie sich nicht nur an
der Zukunft der jungen Generation, sondern auch an der
Zukunft der Bundeswehr, wenn Sie sagen: Wir geben
mehr Geld aus und nehmen dabei eine höhere Verschul-
dung in Kauf. Sie haben das viele Jahre so gemacht, aber
das ist völlig unsolide.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1417915500
Herr Kollege, sind
Sie der Meinung, dass wir eine Sicherheitspolitik nur nach
Kassenlage machen können? Sind Sie weiter der Mei-
nung, dass Anhebungen in anderen Bereichen des Bun-
deshaushalts durchaus ihre Berechtigung haben, wir aber
den Haushalt des Bundesministers der Verteidigung, zu-
lasten unserer Streitkräfte, überproportional kürzen müs-
sen?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1417915600
Herr Kollege, Ihr Reden von
einer „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“ ist – auf gut
bayerisch – ein richtiger Schmarren. Die Sicherheitspo-
litik dieser Koalition orientiert sich an den neu erkann-
ten Aufgaben sowie an dem, was der Außenminister und
der Bundeskanzler den Partnern unseres Landes zugesi-
chert haben. Mit einem Betrag von 46,2 Milliarden DM
im Haushalt und den zusätzlichen Effizienz- und Ver-
äußerungsgewinnen können wir in den nächsten Jahren
auf einen Gesamtbetrag von 48 Milliarden DM kom-
men.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Da reden wir noch drüber!)


Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass wir von
Ihrer Forderung gar nicht mehr so weit weg sind.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Geben Sie uns das schriftlich? – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das steht ja im Protokoll! Das können wir nachlesen!)


– Ich weiß natürlich, dass Sie permanent Zweifel daran
schüren, ob wir es tatsächlich schaffen, die Erträge aus ei-
ner Effizienzsteigerung in die Scheuer zu fahren.

Natürlich ist es nicht einfach, einen so großen Appa-
rat wie die Bundeswehr zu modernisieren. Es gibt viele,
die diesem Vorhaben Steine in den Weg legen. Es ist
aber richtig: Die Kooperation mit der Wirtschaft, die
Gründung der Gesellschaft für Entwicklung, Be-
schaffung und Betrieb, ist ein neuer und wichtiger An-
satz. Gelegentliche Widerstände sind für mich eher
normal. Ich versuche, sie mit guten Argumenten aus-
zuräumen, sage allerdings dazu: Wenn das Beharrungs-
vermögen von Kollegen bzw. des einen oder anderen in
der Beamtenschaft gelegentlich zu stark ist, muss es
durchbrochen werden. Deshalb ist es sehr gut und ein
deutliches Zeichen, dass sich mit dieser Frage in den
vergangenen Wochen nicht nur der Verteidigungs- und
der Finanzminister, sondern auch der Bundeskanzler
befasst hat. Sie werden sehen: Auch Ihre Zweifel wer-

den in den nächsten Tagen, vielleicht sogar Stunden,
deutlich ausgeräumt.


(Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/ CSU]: Sind Sie ganz sicher?)


Wir sollten den Weg der GEBB konsequent zu Ende
denken. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Gesellschaft
zukünftig von unnötigen Fesseln befreien. Ich wünsche
mir diese Eigentümergesellschaft und ich wünsche mir,
dass die GEBB am Kapitalmarkt aktiv werden kann, um
eine Brücke für nötige Neuinvestitionen und Sanierungen
der Liegenschaften zu bauen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Was ist mit dem Bundesrechnungshof?)


Dies ist vor allem für den Zeitraum wichtig, bis wir die Er-
löse aus der Veräußerung der Liegenschaften haben. Al-
leine in Bayern werden sich – Sie wissen das doch – aus
Grundstücksverkäufen 300 Millionen DM erzielen las-
sen; aber das braucht Zeit.

Die GEBB kommt voran, die Ausschreibungen sind
vorbereitet, die GEBB hat in den Bereichen Flottenma-
nagement, Bekleidung, Liegenschaften und Kommunika-
tionstechnik Prioritäten gesetzt. Wir werden nächste Wo-
che im Ausschuss feststellen können: Schritt für Schritt
wird dieses Projekt erfolgreich.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zum Bundesrechnungshof! – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was sagt der Bundesrechnungshof?)


Alles in allem: Die Reform ist auf einem guten Weg. Sie
umzusetzen ist ziemlich schwer, das ist klar. Aber deshalb
sind wir gewählt worden, weil Sie mit derart schweren
Herausforderungen in der Vergangenheit eben nicht fertig
geworden sind. Am Ende dieses Prozesses steht eine neu
ausgerichtete Bundeswehr. Sie wird mobil und im gesam-
ten Einsatzspektrum durchhaltefähiger sein. Sie wird über
eine technisch aktuelle Ausrüstung sowie ein qualifiziertes
und weiterhin hoch motiviertes Personal verfügen.

Meine Beobachtung bei meinen gelegentlichen Stand-
ortbesuchen ist: Die Soldatinnen und Soldaten sind im
Prinzip viel ideenreicher, viel mutiger und sehen die
Neuausrichtung der Bundeswehr – im Gegensatz zu Ihnen
von der CDU/CSU – eher als Chance.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ CSU]: Waren Sie schon mal in einer Kaserne?)


Vielleicht sollten Sie bei Ihren Standortbesuchen in
den nächsten Wochen ein bisschen sorgfältiger zuhören,
anstatt immer wieder zu versuchen, die betroffenen Sol-
daten und auch die Zivilbeschäftigten in Ihrem ganz of-
fensichtlich vordergründigen parteipolitischen Interesse
in Stellung zu bringen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich wünsche Ihnen drei Tage Telefondienst!)


Das ist nicht gut für die Bundeswehr und es ist nicht gut
für ein gedeihliches Zusammenführen der gemeinsamen
Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik, die
ein Stück Markenzeichen in den letzten 40 Jahren in die-




RainerArnold
17644


(C)



(D)



(A)



(B)


ser Republik war. Sie sind dabei, diesen wichtigen Kon-
sens – das wiegt angesichts der kommenden schwierigen
Debatten besonders schwer – Stück für Stück zu zerstören.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417915700
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses auf Drucksache 14/6396. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/5220 zur Abgabe einer
Erklärung der Bundesregierung mit dem Titel „Die Bun-
deswehr der Zukunft, Feinausplanung und Stationie-
rung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des
Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen wor-
den.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5236 zu der oben ge-
nannten Regierungserklärung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS
angenommen worden.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses auf Drucksache 14/6397 zu dem An-
trag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Hilfe durch den
Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffe-
nen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5467 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes
– Drucksachen 14/6121, 14/6261 –

(Erste Beratung 174. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/6325 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Parlamentarischen Staatssekretär Siegmar Mosdorf das
Wort.


(Unruhe)


S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1417915800
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Es passiert mir ganz sel-
ten, dass, wenn ich aufgerufen werde, der Saal sich leert.
Dieses Mal ist es offensichtlich der Fall.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417915900
Nehmen Sie es
nicht persönlich. Ich glaube, es war nicht so gemeint.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1417916000
Danke schön,
Frau Präsidentin, Sie machen mir Mut.

Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die
Gelegenheit nutzen, den Prozess noch einmal darzustel-
len, den wir seit der Privatisierung der Deutschen Post im
Jahre 1995 durchlaufen haben. Es war ein schwieriger, ein
wichtiger Weg, der uns gleichzeitig in die Lage versetzt
hat, diesen wichtigen Sektor, der in vielen Ländern noch
staatlich organisiert ist, in Deutschland in eine moderne
Form zu bringen.

Lassen Sie mich zu Beginn ein herzliches Dankeschön
an die Arbeitnehmer sagen, die diesen Prozess des aktiven
Strukturwandels mitgetragen haben.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es wichtig

ist, dass wir jetzt versuchen, diesen Prozess weiter zu be-
gleiten. Wenn wir uns die Globalisierung, die sich auf
dem Postmarkt, auf dem Logistikmarkt abspielt, einiger-
maßen realistisch betrachten, dann wissen wir, dass dieser
Markt schwer umkämpft ist und einem massiven Wettbe-
werb unterliegt. Deshalb müssen die Unternehmen auch
stark sein, um in diesem Wettbewerb bestehen und sich
entsprechend behaupten zu können. Ich glaube, dass der
Sektor, den man klassisch Post nennt, in Zukunft der ent-
scheidende Transport- und Logistikmarkt sein wird. Es
wird für moderne Volkswirtschaften eine Schlüsselfrage
sein, wie sie auf diesem Markt weltweit aufgestellt sind.
Ich danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen,
die sich im Unterausschuss mit diesem Thema sehr inten-
siv beschäftigen.

Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, im Tele-
kommunikationsministerrat den Kurs der weiteren Libe-
ralisierung auch in Europa unterstützt und nachdrücklich
darauf gedrängt; ich selber habe das bei mehreren Tele-
kommunikationsministerräten für die Bundesregierung
tun dürfen. Die einhellige Antwort der südeuropäischen
Länder darauf war immer – das wissen natürlich auch Sie,
Herr Müller –, dass sie dargestellt haben, dass sie große
Probleme damit haben, und gesagt haben: Wenn ihr einen
gleichmäßigen Liberalisierungsfortschritt in Europa und
eine Öffnung der Märkte erreichen wollt, dann sprecht mit
uns im Jahr 2010, 2011 oder später. Andere Länder,
wie Griechenland oder Frankreich, hatten noch andere




RainerArnold

17645


(C)



(D)



(A)



(B)


Vorstellungen. Wir haben intensive Diskussionen darüber
geführt.

Am 22. Dezember 2000 hatten wir, auch das wissen
Sie, eine Pattsituation im Ministerrat und kamen bei die-
ser Entscheidung deshalb nicht voran. Meine persönliche
Einschätzung ist – ich selbst war gestern im Telekommu-
nikationsministerrat –, dass das ein langwieriger Prozess
sein wird. Es gibt viele Länder, die nach wie vor auf eine
staatliche Post Wert legen und nicht bereit sind, diesen
Weg, den wir gegangen sind, jetzt schnell nachzuvollzie-
hen. Da wir aber dafür eintreten, die Strategie der Markt-
öffnung in Europa gemeinsam umzusetzen und nicht nur
bei uns durchzuführen, müssen wir in Europa weiter auf
die Liberalisierung drängen. Zugleich müssen wir aber
alles tun, um uns selbst auf dem Markt stark zu positio-
nieren.

Das geschieht gegenwärtig. Für weitere Marktöff-
nungsschritte brauchen wir in Europa eine Mehrheit von
62 Stimmen von insgesamt 87 Stimmen. Diese Mehrheit
haben wir nicht, und sie ist auch nicht absehbar. Deshalb
haben wir uns dazu entschlossen, jetzt die Exklusivlizenz
bis zum 31. Dezember 2007 zu verlängern. Damit geben
wir der Deutschen Post AG die Möglichkeit, aktiv inter-
national zu agieren, aber gleichzeitig nicht in die Situation
zu kommen, wie wir sie von manchen anderen Branchen
kennen, wo wir uns bereits in einem liberalisierten Markt
befinden und andere aus Monopolsituationen heraus ver-
suchen, sich bei uns die Rosinen herauszupicken. Das
geht nicht. Wir wollen eine Marktöffnung und wollen
gleichzeitig einen fairen Wettbewerb. Deshalb haben wir
jetzt diese Lösung vorgeschlagen.

Ich möchte mich herzlich bei den Kollegen bedanken,
die daran mitgewirkt haben, dass wir bei den parlamenta-
rischen Beratungen so zügig vorangekommen sind und
dass wir im Wirtschafts- und im Rechtsausschuss eine
schnelle Entscheidung getroffen haben, um die zweite
und dritte Lesung vorzubereiten.

Die Entscheidung der Bundesregierung ist auch des-
halb so wichtig, weil damit Klarheit und Sicherheit für die
Wettbewerber herrscht. Wer sich ein bisschen in der Bran-
che auskennt, der weiß, dass es eine Reihe von Wettbe-
werbern und Lizenznehmer gibt, für die der Punkt der Ex-
klusivlizenz gar nicht so wichtig ist. Sie haben sich sehr
genau Marktnischen herausgesucht. In diesen Markt-
nischen sind sie zum Teil sehr erfolgreich. Weil sie dort
erfolgreich sind, wollen sie auch weiterhin dort agieren.

Die Deutsche Post AG hat 240 000 Arbeitsplätze. Das
sind wichtige Arbeitsplätze. Was den Transport- und Lo-
gistikbereich angeht, ist das eine der wichtigsten Zu-
kunftsunternehmungen überhaupt für Deutschland. Ich
glaube, das Unternehmen Post hat sich gut aufgestellt und
organisiert sich gut. Wenn wir unseren Gesetzentwurf um-
setzen und gleichzeitig auf eine signifikante Marktöff-
nung in Europa drängen, dann haben wir eine gute
Chance, diesen Weg weiterzugehen. Wir gehen aber nicht
naiv in ein Rennen, bei dem andere aus Monopolsitua-
tionen heraus versuchen, uns in eine schwierige Situation
zu bringen.

Wir werden deshalb die Verlängerung der Exklusiv-
lizenz vornehmen. Ich bitte Sie deshalb, den Gesetzent-

wurf der Bundesregierung und die Beschlussempfehlung
des Ausschusses zu unterstützen, weil das die Vorausset-
zung dafür schafft, dass wir auf diesem wichtigen Zu-
kunftsmarkt auch in Zukunft erfolgreich sein werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Elmar Müller.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1417916200
Frau Präsi-
dentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! In diesen Tagen erlebt die Bundesrepublik
Deutschland einen Pleiterekord ganz besonderer Art: Die
Arbeitslosenzahlen steigen saisonbereinigt und die Ver-
braucherpreise steigen in einem Maße, dass es dem Bür-
ger schwindlig wird, wenn er in seinen Geldbeutel schaut.
Man sollte meinen, dass die rot-grüne Bundesregierung in
einer solchen Zeit Entscheidungen trifft, die der wirt-
schaftspolitischen Vernunft entsprechen. Aber sie tut das
Gegenteil, indem sie zum gleichen Zeitpunkt das Be-
triebsverfassungsgesetz verschärft, unverdrossen weiter
an der Erhöhung der Ökosteuer festhält und jetzt den Bür-
gern sogar beichten muss, dass trotz höherer Steuern nicht
mit einer Senkung der Abgabenquote im sozialen System
gerechnet werden dürfe und nicht einmal mit einem Still-
stand, sondern sogar mit einer Abgabenerhöhung zu rech-
nen sei.

In dieser wirtschafts- und arbeitsmarktspolitisch kriti-
schen Zeit wird mit an den Haaren herbeigezogenen Ar-
gumenten das Postgesetz geändert, das bisher das Aus-
laufen des Postmonopols zum Ende des nächsten Jahres
vorsieht. Dieses von uns beschlossene Ende des Postmo-
nopols sollte dem Verbraucher günstigere Posttarife brin-
gen; der Markt sollte mit mehr und qualitativ höherwer-
tigen Produkten ähnlich wie in der Telekommunikation
eine neue Dynamik erhalten und es sollten vor allem neue
Arbeitsplätze geschaffen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, in den vergangenen drei

Jahren haben sich mehr als 800 Firmen auf diese Chance
vorbereitet. Obwohl sie nur in einem engen Bereich re-
servierter Postdienste arbeiten durften, haben sie bei ei-
nem Marktanteil von nur 1,5 Prozent 30 000 Arbeitsplätze
geschaffen.

Die Verlängerung des Postmonopols um weitere fünf
Jahre, die die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Än-
derung des Postgesetzes beabsichtigt, muss man zumin-
dest einen gravierenden Vertrauensbruch nennen. Et-
liche der betroffenen Firmen und vor allem viele
Arbeitnehmer in diesen Firmen nennen es inzwischen so-
gar einen Betrug.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

In den vergangenen Jahren hat die Regulierungs-

behörde für Telekommunikation und Post insgesamt
906 Unternehmen Lizenzen für die Beförderung von




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
17646


(C)



(D)



(A)



(B)


Briefsendungen erteilt. Rund 600 Unternehmen davon
sind heute am Markt tätig, der überwiegende Teil im Be-
reich qualitativ höherwertiger Dienstleistungen, also in
den Bereichen, in denen es Produkte ohne diese Unter-
nehmen gar nicht gäbe, weil sie von der Post überhaupt
nicht oder nur unzureichend angeboten werden.

Der Kurs der Postaktie ist seit der Erstausgabe um
20 Prozent gefallen, wie wir nach der gestrigen ersten
Hauptversammlung heute den Zeitungen entnehmen
können. Der erste Grund dafür ist, dass, wie die Deut-
sche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagt, die
politische Situation über das Briefmonopol der Aktie
schade. Der zweite Grund ist die Absicht des Bundes,
im nächsten Jahr weitere Aktienanteile der Post zu ver-
kaufen. Dann wurde in der gestrigen Hauptversamm-
lung die Frage gestellt, wer denn diese Aktie überhaupt
noch kaufen solle. Das schlechte wirtschaftspolitische
Image, das diese Regierung inzwischen hat, wird sogar
auf die Post übertragen. Das hat die Post wirklich nicht
verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, auch die ständig vorgetra-

gene Kritik der SPD und der Gewerkschaften, wonach die
neuen Wettbewerber der Post Arbeitnehmer beschäftig-
ten, die völlig ohne Arbeitnehmerrechte seien, ist ledig-
lich bösartig und durch die Praxis längst widerlegt. Die
Regulierungsbehörde hat bei bisher 450 der insgesamt
600 am Markt tätigen Unternehmen Überprüfungen vor
Ort durchgeführt. Diese Regelüberprüfungen haben ins-
gesamt ein positives Bild ergeben. Offensichtliche Ver-
stöße gegen die Lizenzbestimmungen wurden in diesem
Bereich bisher nicht festgestellt. Bei den 450 bisher über-
prüften Lizenznehmern sind rund 19 000 Arbeitskräfte be-
schäftigt, davon 2 550 im Vollzeitbereich und 4 500 Teil-
zeitkräfte; von den rund 10 500 geringfügig Beschäftigten
stehen immerhin 9 000 in einem sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitsverhältnis. Damit werden – gemessen
an der Gesamtarbeitszeit – 95 Prozent der lizenz-
pflichtigen Tätigkeiten in sozialpflichtigen Arbeitsver-
hältnissen erbracht.

Noch immer gibt es – auch das muss gesagt werden –
rund 500Klagen der PostAG gegen die Erteilung von Li-
zenzen an Unternehmen für höherwertige Dienstleistun-
gen, wobei ein Großteil der verklagten Firmen inzwischen
vom Markt verschwunden ist, weil sie wegen der hohen
Anwaltskosten die Segel gestrichen haben. Es handelt
sich um Lizenznehmer, die in der taggleichen Zustellung
eine Rolle gespielt haben, also die Post wirklich nicht tan-
giert hätten. Das klingt zwar salopp. Aber dahinter steht
eine ganze Reihe von Entlassungen in die Arbeitslosig-
keit.

Der AZD, der Alternative Zustelldienst, rechnet damit,
dass ihm durch die Verlängerung des Briefmonopols, wie
sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen
ist, allein in den neuen Bundesländern 5 000Arbeitsplätze
verloren gehen. Das alles interessiert diese Regierung aus
rot-grünen Genossen nicht im Geringsten. Zumindest
habe ich bisher keinerlei Proteste gehört, weder vom Ar-
beitsminister noch vom Beauftragten der Bundesregie-
rung für die neuen Bundesländer, Herrn Staatsminister

Schwanitz, der sich eigentlich aufregen müsste, dass rund
5 000 Arbeitsplätze allein in den neuen Bundesländern,
für die er zuständig ist, in den nächsten Monaten verloren
gehen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist offensichtlich etwas anderes, ob IBM nach Ar-

beitskräften aus dem Ausland ruft, die Firma Holzmann
vor dem Konkurs steht oder ob kleine und mittelständi-
sche Unternehmen Arbeitsplätze abbauen müssen. Diese
Regierung mag die Worte „Wettbewerb“ und „Mittel-
stand“ noch so oft als Propagandaworte in ihren Sonn-
tagsreden in den Mund nehmen: Am praktischen Beispiel,
wenn es darum geht, konkret etwas für den Mittelstand zu
tun, versagt das Wirtschaftsministerium und nicken die
Abgeordneten der rot-grünen Koalition ergebenst und
huldvoll das nur noch ab, was die Regierung ihnen abver-
langt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo sind denn Ihr Abgeordnetenverständnis und Ihre Sor-
gen um die Arbeitsplätze geblieben?

Die Beiträge der Grünen in dieser Frage kann man im
Übrigen nur noch als humoristische Einlagen bezeichnen.
Frau Hustedt, ich bin überzeugt, Sie meinen es ernst,
wenn Sie sagen, dass Sie gegen die Verlängerung des
Postmonopols oder gegen die verhinderte Senkung der
Beförderungspreise seien. Aber irgendwann müssen Sie
doch einmal beweisen, dass Ihr Wort in der Koalition et-
was gilt und dass Sie etwas bewegen können. Wenn dem
nicht so ist, dann sollten Sie Ihre gut gemeinten Beiträge
künftig einfach bleiben lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wissen es doch selbst: Opfer der Entscheidung, die

Sie jetzt zu treffen beabsichtigen, wären zudem die neu
gegründeten mittelständischen Firmen im Briefmarkt, die
Sie in Existenznöte bringen werden. Diese hatten im Ver-
trauen auf die im Postgesetz für Ende nächsten Jahres vor-
gesehene Beendigung des Briefmonopols in den privaten
Zustellmarkt investiert. Alle privaten Zustellunternehmen
müssen als Folge der Verlängerung des Briefmonopols
um ihre wirtschaftliche Basis fürchten. Für sie stellt sich
die Änderung des Postgesetzes als enteignungsgleicher
Eingriff dar. Ohne Wettbewerbsalternative sind Wirt-
schaft und Handel dem Preisdiktat der Deutschen Post
ausgesetzt.

Das Briefmonopol wurde der Post für einen Über-
gangszeitraum verliehen, in der sich das Unternehmen auf
den Wettbewerb vorbereiten sollte. Das hat die Post,
denke ich, in ausreichendem Maße getan. Im Vertrauen
auf das gesetzlich festgelegte Enddatum des Briefmono-
pols haben die privaten Briefdienste erhebliche Vorleis-
tungen erbracht, Strukturen aufgebaut und ein neues Qua-
litätsbewusstsein im Briefdienst geschaffen. Vollends
unverständlich ist daher die dafür gegebene Begründung
– die auch der Herr Staatssekretär vorhin angeführt hat –,
dass es – angeblich – Liberalisierungsdefizite auf europä-
ischer Ebene gäbe.

Sie, Herr Staatssekretär, mögen sich ja in einigen Run-
den um die Liberalisierung der europäischen Postmärkte




Elmar Müller (Kirchheim)


17647


(C)



(D)



(A)



(B)


bemüht haben. Aber die Tatsache, dass der Wirtschafts-
minister sein Engagement darauf beschränkt hat, dem
EU-Kommissar Bolkenstein einen Brief zu schreiben,
diesen darin zu bitten, er möge in dieser Frage tätig wer-
den, und ihm mitzuteilen, er stünde hinter allem, ist das
Eingeständnis, dass der Wirtschaftsminister nichts tun
wollte. Ich erinnere daran, dass der ehemalige Postminis-
ter Bötsch – die Situation war so, dass wir vor den letzten
EU-Verhandlungen über eine einheitliche Regelung stan-
den – innerhalb von zehn Tagen alle Hauptstädte der Eu-
ropäischen Union abgefahren hat. Er erzielte am Ende
eine Lösung – 350 Gramm –, die keiner für möglich ge-
halten hätte. Ein ähnliches Engagement hätte ich von die-
sem Bundesminister erwartet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte daran erinnern, dass der EU-Kommissar

für Wettbewerb, Monti, einen Tag, bevor der Minister
Ende Mai in der „Welt am Sonntag“ seine Begründung für
die Monopolverlängerung gegeben hat, in der „Welt“ ge-
schrieben hat:

Sich dafür zu rächen – dass es keine einheitliche eu-
ropäische Lösung gibt – ist aber kein guter Weg in die
Zukunft. Ich warne davor.

Wenn dieser Minister dieses Gesetz nun großzügig ver-
ändern will, dann nimmt er den Mittelständlern und vor
allem den Arbeitnehmern eine Chance, die wir ihnen
eröffnen wollten. Ich möchte in diesem Zusammenhang
abschließend sagen, dass die Unionsfraktionen wegen der
schlecht vorbereiteten Gesetzesberatungen und auch we-
gen der wirklich schlampig vorbereiteten Anhörung letzte
Woche für Montag nächster Woche nochmals diejenigen
Firmen eingeladen haben, die jetzt wahrscheinlich vor
dem Konkurs stehen, um ihnen die Gelegenheit zu geben,
ihre Sorgen vorzutragen. In der letzten Sitzung des Wirt-
schaftsausschusses haben wir einige Anträge eingebracht,
die im Hinblick auf die Folgegesetzgebung ein Vermitt-
lungsverfahren vorbereiten. Das Gleiche hat die hessische
Landesregierung getan.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916300
Herr Kollege,
denken Sie jetzt bitte an die Zeit.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1417916400
Deshalb
stimmen wir gegen die Verlängerung des Postmonopols.
Ich denke, dass ich ausreichend begründet habe, weshalb
wir das tun.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916500
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun-
desregierung hat sich auf europäischer Ebene sehr inten-
siv darum bemüht, dass im Postbereich weiter liberalisiert
und auch im Hinblick auf die Postdienstleistungen ein

einheitlicher Wettbewerbsrahmen geschaffen wird. Sie
wissen sehr wohl, dass sich die Bundesregierung trotz ih-
rer Bemühungen auf europäischer Ebene nicht hat durch-
setzen können. Die Bundesregierung hat sich entschie-
den, nicht einseitig vorzupreschen, sondern zu versuchen,
dafür zu sorgen, dass Europa zumindest ein Stück weit im
Gleichschritt vorangeht.

Dazu, dass die Opposition als Reaktion darauf sozusa-
gen die Backen aufbläst, sage ich Folgendes: Als wir über
diese Frage hier das letzte Mal debattiert haben, habe ich
sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich die Ent-
scheidung im Bundesrat sehr genau beobachten werde.
Das habe ich getan. Der Bundesrat hat keinen Beschluss
gegen die Verlängerung des Briefmonopols gefasst. Ob-
wohl Sie im Bundesrat über eine Mehrheit verfügen, ha-
ben Sie sich anscheinend nicht durchsetzen können. Das
heißt, Sie haben für die Position, die Sie hier vertreten, bei
den Ländern keine Mehrheit finden können.


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Es gab ein Patt im Bundesrat!)


Vor diesem Hintergrund sollten Sie hier nicht so die
Backen aufblasen, sondern zumindest versuchen, die Ar-
gumente, die die Bundesregierung zu diesem Schritt be-
wogen haben, zu verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bedenken Sie, dass auch ich persönlich in dieser Angele-
genheit eine eher skeptische Haltung habe.

Wir haben uns mit der SPD-Fraktion zusammengesetzt
und einen gemeinsamen Entschließungsantrag erarbeitet,
in dem wir auf bestimmte Begleitumstände der Verlänge-
rung des Monopols besonders hingewiesen haben.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Sie sind voll eingeknickt!)


Wir bringen in diesem Antrag zum Beispiel sehr deutlich
zum Ausdruck – dazu haben Sie eben nichts gesagt –, dass
wir durchaus Spielräume für Portosenkungen in diesem
Bereich sehen. Wie wir alle wissen, sind Portosenkungen
eine Aufgabe der Regulierungsbehörde und nicht des
Staates. Nach Angaben der Post entfällt zwar nur rund ein
Drittel des Umsatzes auf den Briefbereich, er trägt aber zu
drei Vierteln des Betriebsergebnisses bei.

Im Briefbereich wurden im vergangenen Jahr Ge-
winne erzielt. Die Gewinne haben sich innerhalb eines
Jahres verdoppelt. Das wird unter anderem mit den nicht
mehr notwendigen Pensionszahlungen begründet. Es ist
aber auch egal, warum. Es gibt eine Verdopplung der Be-
triebsrendite. Deswegen sehe ich sehr wohl – auch wenn
Herr Zumwinkel dazu öffentlich eine andere Position ver-
tritt –, dass Spielräume für Portosenkungen gegeben sind.
Das wird auch in unserem Entschließungsantrag sehr
deutlich zum Ausdruck gebracht.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Aber der Wirtschaftsminister findet auch, dass das nicht geht! – Zuruf von der CDU/CSU: Von welchem Entschließungsantrag reden Sie?)


– Ich rede von dem Entschließungsantrag der Fraktionen.




Elmar Müller (Kirchheim)

17648


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein Weiteres ist – auch dies wird im Entschließungs-
antrag der Fraktionen sehr deutlich zum Ausdruck ge-
bracht –: Wenn man auf der einen Seite Monopolberei-
che – wie wir sie in den nächsten Jahren noch vorfinden
werden – und auf der anderen Seite Bereiche hat, die im
Wettbewerb stehen, dann muss man verhindern, dass es zu
einer Quersubventionierung kommt und dass die Post
im Monopolbereich Gewinne einfährt, die sie dafür ein-
setzt, mit Dumpingpreisen in anderen Bereichen die wei-
teren Wettbewerbsteilnehmer kaputtzumachen. Im Post-
gesetz gibt es hiergegen schon gute Vorkehrungen. Auch
die EU hat entsprechende Beschlüsse gefasst. Die EU
wird also sehr stark darauf achten. Wir sagen nunmehr
sehr deutlich, dass für die Regulierungsbehörde und für
das Wirtschaftsministerium eine große Aufgabe darin be-
steht, die buchhalterische Trennung von Wettbewerbs-
und Monopolbereichen durchzusetzen.

Zum Schluss möchte ich etwas aufgreifen, von dem ich
glaube, dass ich hierzu Ihre Zustimmung bekommen
werde. Der Bundesrat hat in seinem kleinen Beschlüsslein
angemahnt – das finde ich richtig –, dass einige Bereiche,
die mit der Verlängerung der Lizenzen zusammenhängen,
zum Beispiel die Postdienstleistungsverordnung, nach-
träglich geändert werden müssen. Ich meine, es ist den
Bürgern nicht zu vermitteln, dass man einerseits das Mo-
nopol verlängert und andererseits – das hört man vonsei-
ten der Post – den Service verringern will. Dies ist wohl
nicht zu akzeptieren. Ich hoffe, hierfür werden wir im
nachfolgenden Verfahren Ihre Zustimmung bekommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417916800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Postgesetzes wird von uns entschieden
abgelehnt. Ich garantiere Ihnen: Nach der nächsten
Bundestagswahl wird die Zahl 2007 unverzüglich in 2003
geändert werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur wenn Sie dran sind!)


– Uns wird nicht passieren, was Ihnen passiert ist, näm-
lich voll einzuknicken. Das sage ich Ihnen schon jetzt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Allein die Vorgehensweise der Bundesregierung, näm-

lich den Gesetzentwurf im Hauruckverfahren vor der
Sommerpause durchzupeitschen, ist in unseren Augen un-
akzeptabel und bestätigt wieder einmal mehr, dass sich
unser Wirtschaftsminister nicht von ausgewogener Sach-
kompetenz, sondern vielmehr von einseitigen Gewerk-
schaftsinteressen leiten, ich sollte vielleicht besser sagen:
verleiten lässt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber Herr Funke, das glauben Sie doch selber nicht!)


– Natürlich glaube ich das, Herr Kollege. – Denn es wa-
ren ausschließlich die Gewerkschaften, die das Postmo-
nopol verlängert haben wollten. Selbst Ihr Wirt-
schaftsminister wollte – im Übrigen im Einvernehmen
mit seinem Staatssekretär Mosdorf – diese Änderungen
nicht. Auch Sie und Ihre Bundestagsfraktion – genauso
wie Frau Hustedt – sind noch lange herumgeeiert.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Eiern tun wir nicht! Eiern tut die F.D.P. und nicht die SPD!)


Anschließend haben Sie sich auf Druck der Gewerkschaf-
ten dazu entschieden. Das ist doch überhaupt keine Frage.

Eine Verlängerung des Postmonopols über das
Jahr 2000 hinaus ist nicht nur aus wettbewerbspolitischen
Gründen inakzeptabel. Auch ordnungspolitisch ist eine
solche Entscheidung nicht tragbar. Das hat – das ist auch
in der Anhörung sehr deutlich geworden – überhaupt
nichts mit Europa zu tun. Sowohl aus europarechtlichen
als auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ist eine
Verlängerung der Exklusivlizenz nicht notwendig.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es die SPD ge-

wesen ist, die die Postreform II mit Art. 87 f in Verbindung
mit Art. 143 b des Grundgesetzes auf den Weg gebracht
hat, wo ausdrücklich steht, dass die Postdienstleistungen
im Wettbewerb zu erbringen sind. Die SPD hat dem mit zu-
gestimmt, und bei der Beratung des Postgesetzes im Ver-
mittlungsausschuss haben Sie unter Federführung von
Herrn Bury diesem Datum 2002 zugestimmt. Was soll man
da noch sagen? Wenn man für die Post ist – und diese Post
agiert gut am Markt, das ist überhaupt keine Frage –, aber
gleichzeitig auch die Verbraucherinteressen vertritt, muss
man sagen: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: So trifft sich KPD mit F.D.P.!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417916900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1417917000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich die Gelegenheit nut-
zen, meine Besuchergruppe auf der Tribüne zu begrüßen.
Man erlebt die Situation hier im Plenum ja selten. Sie ha-
ben in Nordthüringen sicher auch schon gehört, wie stark
das Plenum bei solchen Spitzenthemen besetzt ist. Sie
wollen ja eine andere Regelung haben, aber viel Unter-
stützung haben Sie in diesem Bundestag nicht.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mein Gott, Sie Pharisäer!)


Die PDS-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zur Verlängerung der Exklusivlizenz zu-
stimmen. Wenn wir trotzdem einige Bauchschmerzen da-
bei haben, dann deshalb, weil die Motive unserer
Zustimmung völlig andere sind als die von der Bundesre-
gierung mit dem Gesetzentwurf verfolgte Absicht.




Michaele Hustedt

17649


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Bundesregierung geht es vor allem um Standort-
gründe. Sie will Wettbewerbsvorteile einiger großer Kon-
kurrenten der Deutschen Post in Ländern, die es mit der
Liberalisierung nicht so eilig haben, verhindern. Was sich
in dieser Debatte als großer Konflikt zwischen CDU/CSU
und F.D.P einerseits und der Regierungskoalition ande-
rerseits darstellt, sind in Wirklichkeit marginale Mei-
nungsverschiedenheiten.

Einig sind und waren Sie sich Mitte der 90er-Jahre da-
rüber, dass das Dienstleistungsprinzip der Post, also ein
von Angestellten des Bundes in geschützten Arbeitsver-
hältnissen zu erbringendes breites Leistungsangebot,
schnellstmöglich durch das Verwertungsprinzip zu erset-
zen ist.

Auf der Strecke blieben bei dieser konzertierten Aktion
150 000 Arbeitsplätze, sozialverträglich abgebaut, wie es
heißt, weil niemand betriebsbedingt entlassen wurde. Das
ist zwar richtig, aber die Arbeitsplätze sind trotzdem ein
für alle Mal vernichtet. Zehntausende weitere Arbeits-
plätze wurden in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umge-
wandelt, teils bei den Konkurrenten der Post, teils auch
bei den posteigenen Tochterfirmen. Übrigens sind von
den 30 000 bei den Konkurrenten entstandenen Arbeits-
plätzen weit mehr als die Hälfte lediglich Arbeitsplätze
für geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungs-
pflicht; das nur zur Richtigstellung, weil dazu ja beson-
ders bei der CDU/CSU ganz abenteuerliche Zahlen kur-
sieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die offiziellen!)


Auf der Strecke blieb aber nicht nur das Beschäfti-
gungsniveau, sondern auch das Leistungsniveau der Post.
Zehntausende Filialen wurden geschlossen und durch so
genannte Postagenturen ersetzt, bei denen jetzt auch
schon wieder das Massensterben einsetzt, weil sie sich an-
geblich nicht rechnen.

Diese Probleme werden sich naturgemäß mit zuneh-
mender Liberalisierung, auch wenn sie heute ein bisschen
gebremst werden, weiter verschärfen. Der Brief von der
Hallig ins Alpendorf rechnet sich natürlich auch nicht und
wird irgendwann deshalb so teuer sein, dass ihn niemand
mehr abschickt.

Schon heute ist absehbar, dass der Universaldienst, der ja
schon heute nur einen ganz und gar unzureichenden Kata-
log postalischer Mindestleistungen darstellt, nach 2007
weiter ausgedünnt werden wird. Wir werden das konse-
quent bekämpfen und wenden uns deshalb schon heute
mit aller Entschiedenheit gegen die Ankündigung der
Bundesregierung, noch in diesem Jahr ein Gesetz auf den
Weg zu bringen, das die Aufgabe der Kapitalmehrheit an
der Deutschen Post AG ermöglicht.

Solange dieses Unternehmen den Universaldienst zu
erbringen hat, so lange muss nach unserer Auffassung
auch der Bund die Kapitalmehrheit behalten, schon des-
halb, weil er nach Art. 87 f des Grundgesetzes verpflich-
tet ist, flächendeckend angemessene und ausreichende
Dienstleistungen im Bereich des Postwesens zu gewähr-
leisten. Schon heute funktioniert das nicht mehr; ich habe
dazu einiges gesagt.

Wenn der Bund nun aber seine Einflussmöglichkeiten
als Eigentümer der Deutschen Post AG verliert, die er
zwar schon heute bei der Beantwortung Kleiner Anfragen
regelmäßig bestreitet, aber dennoch hat, würde das den
Abbau bei den postalischen Leistungen und bei der Qua-
lität der Arbeitsplätze im Postbereich, den wir mit der heu-
tigen Entscheidung ein wenig abbremsen können, erneut
beschleunigen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417917100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Barthel.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1417917200
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute
vollziehen wir einen entscheidenden Schritt


(Rainer Funke [F.D.P.]: Einen Schritt zurück!)

zu mehr Berechenbarkeit und Klarheit auf dem deutschen
Postmarkt. Wir beenden damit das unverantwortliche Ge-
tue von Union und F.D.P., dass es nicht sinnvoll, nicht not-
wendig und nicht möglich wäre, die Exklusivlizenz für
die Deutsche Post AG zu verlängern. Seit einigen Wochen
tun Sie so, als wollten oder könnten Sie diesen Schritt
tatsächlich noch aufhalten oder verhindern. Sie machen
das aber nicht mit Argumenten, sondern mit gezielter
Desinformation über die vorher im Ausschuss verabrede-
ten parlamentarischen Vorgehensweisen. Sie haben sich
in einen Widerspruch verwickelt: Sie reden von Vertrau-
ensschutz und Planungssicherheit für die Unternehmen,
aber gleichzeitig sprechen sich führende Vertreter der
Union auch in der Sache für und gegen die Verlängerung
der Exklusivlizenz aus. Sie desinformieren die Medien
über das Beratungsverfahren.

Jetzt legt auch noch das Land Hessen ein so genanntes
Kompromissangebot vor. All dies dient nur dem Zweck
der Verzögerung und der eigenen Profilierung in der Öf-
fentlichkeit. Sie tun damit nichts anderes, als die, die Sie
zu schützen vorgeben, an der Nase herumzuführen. Hören
Sie endlich auf, der Öffentlichkeit und den Marktteilneh-
mern vorzugaukeln, Sie könnten in der Sache noch etwas
ändern! Wir werden heute Klarheit schaffen. Das tun wir
auch, um die den Ländern gegebene Zusage, die Folgeän-
derungen zeitnah auf den Weg zu bringen, einzuhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])


Im Übrigen lohnt sich die Debatte über den hessischen
Vorschlag schon deswegen nicht, weil er per se einen wei-
teren Kahlschlag bei den Filialstandorten und einen wei-
teren Arbeitsplatzabbau beinhaltet. Er bezieht sich außer-
dem auf Vorschläge der EU-Kommission, die eindeutig,
sowohl im Ministerrat als auch im EU-Parlament, keine
Chance auf eine Mehrheit hatten und deswegen abgelehnt
wurden. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Bundes-
rat im Interesse der Klarheit den Weg für ein verkürztes
Verfahren und für die notwendigen Folgeänderungen
noch vor der Sommerpause freigemacht hat.




Gerhard Jüttemann
17650


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir halten fest: Die Verfassungsrechtler haben in der
Anhörung gesagt, dass sowohl bei der Verfassungsände-
rung 1994 als auch beim Vermittlungsverfahren zum Post-
gesetz 1997 gezielt und bewusst offen gelassen wurde,
wann die Exklusivlizenz endgültig ausläuft. Außerdem
geht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
dahin, dass Vertrauensschutz schon ab der Ankündigung
einer Gesetzesänderung durch einen Minister nicht mehr
reklamiert werden kann. Von daher ist es aberwitzig, zu be-
haupten, die Arbeitsplätze und Existenzen von Lizenzneh-
mern auf dem Postmarkt seien gefährdet. Die Lizenzen be-
ziehen sich doch ausdrücklich nicht auf den reservierten
Bereich. Sie wurden an Nischenunternehmen vergeben,
die niemals vorhatten und niemals die Kapitalkraft hatten,
sich in einem total liberalisierten Markt zu behaupten.

Es gibt auch Unternehmer, die das ganz offen ausspre-
chen, indem sie sagen, dass ihre Existenz bei einer sofor-
tigen Marktöffnung gefährdet ist. Es gibt auch Unterneh-
mer, die ganz offen sagen, dass sie aufgegeben haben,
weil sie, als sie eigentlich auf ein Nischenprodukt setzten,
von der Nachfrage überrollt wurden und gar nicht genug
Kapital hatten, um entsprechend zu investieren. Deswe-
gen sollten sich alle, die Post von der Aktion „Mehr Farbe
im Postmarkt“ bekommen oder von deren Veranstaltun-
gen hören, einmal erkundigen, wer diese Aktion steuert
und finanziert. Man wird dann sehr schnell bei einer ein-
zigen Farbe landen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])


Ich möchte auch noch einmal festhalten: Wir haben
überhaupt nichts gegen starke ausländische Wettbewerber
auf dem Postmarkt. Diese belegen genauso wie auch die
Direktinvestitionen anderer die Attraktivität des von
Union und F.D.P. ständig schlecht geredeten Standort
Deutschland. Ich frage mich nur, warum sie nicht den Mut
haben, offen aufzutreten und zu sagen, wer sie sind und
was sie wollen. Klar, emotional gefärbtes, verquastes
Mittelstandsgerede mag sich besser anhören,


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

aber man wird doch schon einmal fragen dürfen, warum
die kleinen und mittleren Unternehmen mehr Angst vor
der Post AG als vor den Globalplayern mit Quasimono-
polen im Stammland und ihren Töchtern in Deutschland
haben sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ihre Beispiele Schweden und Finnland sprechen die-

selbe Sprache, nicht nur, weil die Exmonopolisten dort
noch 95 oder sogar 100 Prozent Marktanteil haben. Der
schwedische Hauptkonkurrent City Mail zum Beispiel
gehört mehrheitlich der britischen Post und teilt sich die
Aktivitäten schiedlich-friedlich mit der schwedischen
Staatspost. In Finnland müssen die Wettbewerber 20 Pro-
zent ihres Umsatzes als Universaldienstabgabe bezahlen.
Ich bin gespannt, ob die Propagandisten des finnischen
Vorbildes auch diesen Teil des Modells in der Bundesre-
publik übernehmen wollen.

Damit sind wir beim Universaldienst. Den fordern die
Union und die CDU- und CSU-Länder zwar, aber sie

drücken sich konsequent um die Frage, wer das bezahlen
soll. In nahezu allen Ländern der Welt geschieht das über re-
servierte Bereiche. Andere Modelle funktionieren nicht; das
hat auch unsere Anhörung gezeigt. Aber vielleicht gilt hier
ja ebenfalls das Merz-Merkel-Modell des Zehnpunktepro-
gramms: heute bestellen, die Rechnung jetzt offen lassen
und die Nachfolger beschimpfen, wenn sie das bezahlen
müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann sind wir beim nächsten Widerspruch der Union, den
Arbeitsplätzen. Elmar Müller hat auch heute wieder zu Pro-
tokoll gegeben, dass durch unser Vorhaben 30000 sozialver-
sicherungspflichtige Arbeitsplätze bei den Post-Wettbewer-
bern zerstört würden. Diese sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplätze sind eben nicht von der Exklusivlizenzverlän-
gerung bedroht, sondern vom Zehnpunkteprogramm der
CDU/CSU. Dort wird nämlich ausdrücklich die Abschaf-
fung der 630-Mark-Regelung gefordert. Wenn das geschähe,
fiele die Sozialversicherungspflicht für über 20 000 dieser
Arbeitsplätze auf einen Schlag weg, weil nämlich nur
8 000 dieser 30 000 Arbeitsplätze normale Teilzeit- oder
Vollzeitstellen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das bedeutet also 22 000 ungeschützte Arbeitsverhält-
nisse nach dem Zehnpunkteprogramm der Union.

Dann profilieren Sie sich als Panikmacher. Das Schei-
tern von einzelnen Unternehmen wird zur Branchenkrise
umstilisiert. Die Zahlen und Fakten belegen aber eine
ganz andere Rechnung. In den letzten drei Jahren haben
sich die Umsätze der Lizenznehmer im Briefbereich von
151 Millionen DM auf 385 Millionen DM mehr als ver-
doppelt. Die Zahl der Lizenzanträge und Lizenzvergaben
steigt kontinuierlich an.

Auch in der Postpolitik stimmen also bei der Union und
bei der F.D.P. Realität und Wahrnehmung nicht überein.
Dem stellen wir ein Gesamtkonzept gegenüber, das Sie in
unserem Entschließungsantrag nachlesen können. Wir sa-
gen auch ganz klar, wo unsere Sorgen liegen. Wir schauen
es uns nicht mehr an, dass wieder eine Welle von Agen-
turschließungen durchs Land rollt und die Leistungen
Qualitätsverschlechterungen erfahren,


(Beifall bei der SPD)

sondern wir werden, auch mit einer Verlängerung der Uni-
versaldienstauflagen, Sorge dafür tragen, dass die Qua-
lität gesichert wird und die Folgeänderungen auf den Weg
gebracht werden.

All dies steht in unserem Entschließungsantrag. Es
lohnt sich, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Dann kann auch
nicht hinterher wieder irgendjemand sagen, er habe nichts
davon gewusst und irgendeine Entwicklung komme völ-
lig überraschend und breche den Vertrauensschutz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417917300
Ich schließe da-
mit die Aussprache.




Klaus Barthel (Starnberg)


17651


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Postgesetzes, Drucksachen 14/6121, 14/6261 und
14/6325. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmverhältnis angenommen worden.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des
Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen
Krankenversicherung
– Drucksache 14/6432 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung über die Untersu-
chung zu den Wirkungen des Risikostruktur-
ausgleiches in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung
– Drucksache 14/5681 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt kei-
nen Widerspruch; dann haben wir so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-
Walch. Bitte, Sie haben das Wort.

G
Gudrun Schaich-Walch (SPD):
Rede ID: ID1417917400
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung
orientiert ihre Gesundheitspolitik an drei Zielen. Das ist

einmal der Ausbau der Prävention, das ist zum anderen die
Steigerung der Qualität der Versorgung, und das ist
schließlich der effiziente Mitteleinsatz durch mehr Wett-
bewerb, das aber bei Beibehaltung des Prinzips der Soli-
darität. Deshalb muss die Devise auch lauten: Wettbe-
werb zwischen den Krankenkassen: Ja, aber nur unter
fairen Bedingungen. Das heißt Wettbewerb um die besten
Versorgungskonzepte. Das heißt nicht Wettbewerb aus-
schließlich um gesunde Versicherte. Deshalb müssen wir
den Wettbewerb neu regeln.

Wir haben den Risikostrukturausgleich, um den es
heute geht, 1992 fraktionsübergreifend geschaffen. Wir
haben es damals gemacht, um Risikoselektion zu vermei-
den. Jetzt müssen wir feststellen, dass das, was wir uns
damals vorgenommen hatten, so nicht hinreichend funk-
tioniert hat. Deshalb müssen wir den Risikostrukturaus-
gleich um weitere Elemente ergänzen. Ich glaube, wir
sind uns ziemlich einig darüber, dass das notwendig ist.
Ich hoffe sehr, dass es uns im Laufe der Beratungen ge-
lingt, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die, wie
damals 1992 beim Risikostrukturausgleich, auch diesmal
die Opposition mittragen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kann doch einfach nicht sein, dass Marketingpro-
gramme für Gesunde finanziert werden und ein hoch qua-
litatives Versorgungsmanagement nicht zu dem Bereich
gehört, der für die Kassen ohne Risiko einsetzbar ist.

Wir haben als Grundlage die Wechsler-Analysen und
wissen, dass unter den 1,2 Millionen Kassenwechslern im
letzten Jahr nur etwa 800 chronisch kranke Menschen wa-
ren. Das ist der Punkt, von dem ich einfach glaube, dass
wir ihn verändern müssen. Solidarität zwischen Kran-
ken und Gesunden lebt – davon bin ich fest überzeugt –
vom Ausgleich. Es kann nicht funktionieren, wenn in ei-
nem Teil der Kassen immer mehr Alte und Kranke und in
einem anderen Kassenbereich immer mehr Junge und Ge-
sunde sind.

Deshalb werden wir den Wettbewerb verändern. Wir
werden kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ele-
mente einführen. Zu den kurzfristigen Elementen gehört,
dass wir in 2002 mit Disease-Management-Program-
men starten wollen. Bei diesen Disease-Management-
Programmen ist vorgesehen, dass man sich auf sie einigt,
dass sie inhaltlich ausgefüllt werden – dabei wird uns der
neu eingerichtete Koordinierungsausschuss hilfreich sein –
und dass die Kassen dann, wenn sie diese Programme
durchführen, einen Ausgleich von anderen Kassen für
diese Programme bekommen.

Ein zweiter Punkt, um wieder zu mehr Solidarität im
Wettbewerb zu kommen, ist die Einrichtung des Risiko-
pools. Bei dem Risikopool haben wir vorgesehen, dass
die Kassen das Krankheitsrisiko bei einzelnen Versicher-
ten bis 40 000 DM bezahlen, dass dann aber, wenn die
Kosten darüber liegen, die Versichertengemeinschaft ei-
nen Ausgleich zahlt, und zwar in Höhe von 60 Prozent der
Kosten, die entstehen.

Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Einsatz dieser Ele-
mente – es kann durchaus sein, dass im Laufe der An-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
17652


(C)



(D)



(A)



(B)


hörung noch ein weiteres Element hinzukommt – kurz-
und mittelfristig die Weichen gut stellen können.

Auf dieser Basis werden wir dann das Ziel in den Blick
nehmen können. Das Ziel, das wir ansteuern müssen, ist
– das haben auch alle Gutachten der Wissenschaftler ge-
sagt – die Morbiditätsorientierung im Risikostruktur-
ausgleich. Das heißt, die Verteilung der Mittel muss sich
daran ausrichten, wie viele kranke und gesunde Patientin-
nen und Patienten eine Kasse hat und wie sie diese zu ver-
sorgen hat. Wenn wir dieses Ziel dann im Jahre 2007 er-
reicht haben, werden wir das eine Instrument, den
Risikopool in Höhe von 40 000 DM, wohl in einen Hoch-
risikopool umwandeln können – das wird vertretbar sein –,
wovon die Krankenkassen und ebenso die Kranken mit
Krankheiten, die sehr viel teurer sind, profitieren.

In dieser Woche und in der vorigen Woche hat es eine
heftige Debatte darum gegeben, wie es mit dem einen
Element aussieht, das weggefallen ist. Herr Lohmann, ich
habe bei Ihnen noch einmal nachgeschaut – auch bei der
F.D.P. –: Es war eine unglaubliche Kritik.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ja, sicher!)


Es wurde behauptet, es seien 12,5 Prozent Mindest-
beitrag. Dabei war dieser Beitrag als Solidarbeitrag von
Anfang an auf zwei Jahre festgelegt und nicht als ein Dau-
ersatz geplant.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wenn das so toll ist, warum schaffen Sie es dann ab?)


– Nun, das sage ich Ihnen jetzt gleich. Sie sollten sich
doch einfach einmal freuen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ich freue mich täglich über Ihre Gesundheitspolitik; darauf können Sie Gift nehmen!)


– Sehen Sie, da bin ich Ihnen richtig dankbar, Herr Wolf.

(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das bringt uns po litisch wirklich Punkte!)

Sie wissen doch genau, dass Freude, Gelassenheit und ein
befreiendes Lachen sehr zur Gesunderhaltung beitragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlef Parr [F.D.P.]: Das ist wahr! Das ist rote Solidaritätsbekundung!)


Ich möchte von Ihnen gern einmal wissen, mit wie vielen
Gesetzentwürfen Sie in Ihrer Zeit gestartet sind, die dann
am Ende nicht so aussahen, wie Sie sie ursprünglich an-
gedacht hatten.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da müssen Sie den Herrn Lafontaine fragen, im Bundesrat!)


Wir haben kein Gesetz geändert; wir haben nicht einmal
einen Gesetzentwurf geändert. Wir haben die Überlegun-
gen zu einem Entwurf geändert, und die haben wir nach
eingehender und reiflicher Debatte innerhalb unserer
Fraktion und mit den Kolleginnen und Kollegen aus der
Koalition geändert.

Wenn man jetzt die Entwicklungen betrachtet, sieht
man, dass das ein vertretbarer Schritt ist. Aber nach mei-

ner Überzeugung macht auch die Tatsache, dass wir die-
ses Element für den Gesetzentwurf nicht beibehalten ha-
ben, sehr deutlich, dass wir gemeinsam die anderen Ele-
mente, die wir in den Gesetzentwurf aufgenommen
haben, kurz- und mittelfristig sehr schnell und sehr kon-
sequent zur Anwendung bringen müssen, um mit Hilfe
dieser Elemente den Ausgleich zwischen den Kassen her-
beizuführen.

Es ist schwierig, einen solchen Konsens zu finden. Die
Ministerin hat versucht, diesen Konsens zu finden, um
auch die Kassengemeinschaft beieinander zu halten und
die verschiedenen Ausgangssituationen und Problem-
situationen der einzelnen Kassen zu würdigen. Wir stehen
jetzt mit dem Ergebnis: Disease-Management, Risiko-
pool, Morbiditätsausgleich in der Debatte; wir sind bereit,
Anregungen, die in der Debatte gemacht werden – wie das
üblich ist –, aufzunehmen und sie gemeinsam zu disku-
tieren. Ich hoffe sehr, dass wir auch für diesen Bereich
eine gemeinsame und tragfähige Lösung finden, wie es
uns 1992 gelungen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417917500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1417917600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich,
Frau Schaich-Walch, hier heute schon wieder stehen und
den Versuch machen zu können, einen Teil Ihrer Gesund-
heitspolitik zu würdigen. Wenn ich das tue, sage ich zu-
nächst einmal: Die Wirkung der von mir etwas flapsig so
genannten „Beruhigungspille Ulla Schmidt“ ist verpufft.
Bürgerinnen und Bürger, Journalisten, Ärzte, Kranken-
kassen sprechen auf diese Beruhigungspille nicht mehr
an. Die Krankenkassen haben in der vergangenen Woche
begonnen, ihre Beiträge auf breiter Front zu erhöhen.
Viele werden in den nächsten Monaten – vor allen Dingen
auch im Wahljahr 2002 – folgen.

Auch in der Ärzteschaft, die die Ministerin unmittelbar
nach ihrem Amtsantritt in die Arme geschlossen hatte,
wächst das Misstrauen. Ursache für das Abrücken von der
Ministerin ist die Konzeptionslosigkeit ihrer Gesund-
heitspolitik.

Frau Ministerin Schmidt – es ist gut, dass es zeitlich ge-
rade so passte, dass Sie dazugekommen sind –, es sind
eben kein Konzept und keine klare Linie zu erkennen. Da-
ran liegt es.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie lassen, um das heutige Thema zu nehmen, von Be-
teiligten Konzepte erarbeiten und übernehmen diese dann
als eigenes Konzept. Das gilt für die Festsetzung der Fest-
beträge, bei der die pharmazeutische Industrie und die
Krankenkassen den Kompromiss geschmiedet haben, und
es gilt auch heute für die Neuregelung des Finanzaus-
gleichs – so kann man ihn auch nennen – der Kranken-
kassen, nämlich den Risikostrukturausgleich.




Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch

17653


(C)



(D)



(A)



(B)


Statt nun mit einem eigenen Konzept aufzuwarten,
übernehmen Sie den Kompromiss, den die Krankenkassen
unter Ihrer Beteiligung geschlossen haben – einige würden
sagen: zu dem Sie sie gezwungen haben; ich würde zurück-
haltender sagen: zu dem Sie die Krankenkassen überredet
haben. Nun holen Sie, Frau Schmidt, Ihr mangelnder Ge-
staltungswille und die Substanzlosigkeit rot-grüner Politik
– jedenfalls in diesem Bereich – ein. Der von Ihnen einge-
brachte Gesetzentwurf zur Abschaffung des Arzneimittel-
budgets wird von der Bundesregierung infrage gestellt, be-
vor er überhaupt verabschiedet worden ist.

Patienten, vor allem die chronisch Kranken, die in den
vergangenen zwei Jahren die Folgen der Rationierung der
medizinischen Leistungen doch wirklich zu spüren beka-
men, verstehen die Welt nicht mehr. Auch die Ärzte wis-
sen nicht mehr, woran sie bei Ulla Schmidt sind.

Der Risikostrukturausgleich und vor allem der Min-
destbeitragssatz – den Sie, Frau Staatssekretärin, eben
noch einmal genannt haben – sollten zur Finanzierung der
Disease-Management-Programme, also der Versorgungs-
und Managementprogramme für chronische Erkrankun-
gen, dienen. Er ist noch vor einer guten Woche als Kern-
stück bezeichnet worden. Da darf man sich – zumal wir
von Anfang an gegen die Lösung eines Mindestbeitrags in
Höhe von 12,5 Prozent waren – wohl einerseits darüber
freuen, dass er nun weggefallen ist, aber man kann sich
andererseits nicht darüber freuen, dass nun der Rest ohne
das Kernstück – ich fühle mich fast an die Gentechnik-
Diskussion mit der Frage, was ist Anfang und was ist
Ende, erinnert – alles zum Guten richten soll.

Um nicht missverstanden zu werden: Wir halten den
Wegfall des Mindestbeitrags, der letztlich wettbewerbs-
widrig ist, für richtig, aber mit dem übrigen Teil können
wir uns nur sehr schwer anfreunden. Es ist deswegen auch
nicht verwunderlich, dass nun auch die Kassen wieder im
Clinch liegen; denn auch sie – das war schließlich nicht
unsere Feststellung – haben in dem Kompromiss, den Sie
in Gesetzessprache umgesetzt haben, geschrieben: Dies
ist ein Gesamtkonzept, und wenn nur ein Element heraus-
genommen oder hinzugefügt wird, dann wird das Ge-
samtkonzept von uns nicht mehr mitgetragen. – So genau
ist das dort beschrieben.

Nun haben Sie – nicht Sie persönlich, sondern die Re-
gierung – offensichtlich inzwischen die Orientierung in-
sofern verloren, als Sie nicht mehr genau wissen, was der
Risikostrukturausgleich eigentlich soll und welche Auf-
gaben er von Anfang an hatte, die ihm eigentlich auch
wieder zuerkannt werden müssten, wenn man ihn ent-
sprechend reformiert.

Besinnen Sie sich doch bitte darauf, dass der Risiko-
strukturausgleich, dieser Finanzausgleich, unter allen
Umständen nachrangig zu Versichertenwahlrechten ge-
ordnet werden muss. Er dient dazu, bei der Inanspruch-
nahme des Versichertenwahlrechts unerwünschte Er-
scheinungen zu neutralisieren, aber nicht dazu, die
Wahlrechte abzusprechen, um damit die Unzulänglichkeit
des Risikostrukturausgleichs zu kaschieren. Das ist nicht
der Sinn der Sache. Das haben Ihnen auch hochmögende
Professoren in der öffentlichen Anhörung gesagt. Darauf
müsste das Ganze wieder zurückgeführt werden.

Das heißt, wenn ich Erscheinungen beobachte, deren
Wirkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht so sind, wie ich mir das wünsche, und die mögli-
cherweise bald neutralisiert werden müssen, um den
Wettbewerb auch fair zu gestalten, dann muss ich den Ri-
sikostrukturausgleich entsprechend regeln, aber ich darf
nicht den Versicherten Rechte absprechen, wie Sie es ge-
tan haben. Das haben Sie, Frau Staatssekretärin, ja vor-
hin außer Acht gelassen; das haben Sie nicht erwähnt. Zu
diesem RSA-Paket gehört im Grunde genommen auch
das Paket hinsichtlich der Veränderung der Kassenwahl-
rechte, das Sie ja bereits eingebracht haben. Das gehört
ja mit dazu. Insofern nehmen Sie den Versicherten nun
die Möglichkeit, zum 30. September zu kündigen. Sie
nehmen den Versicherten auch das Sonderkündigungs-
recht. Das alles gehört mit hier hinein. Das Einzige, was
dann noch bleibt, ist im Bereich der Kassenwahlrechte
der Vorschlag, dafür häufiger als bisher, beispielsweise
sechs Wochen zum Quartalsschluss, eine Kündigung aus-
sprechen zu können.

Wir sehen – das habe ich heute Nachmittag in einem
anderen Zusammenhang schon gesagt; ich will die Zitate
jetzt nicht noch einmal bringen –, es ist offensichtlich
Feuer unter dem Dach des „Hauses der GKV“, aber auch
im Ministerium. Sie sind dazu da, diesen Brand zu lö-
schen. Wenn sogar Professor Rürup, der Berater der
Bundesregierung, heute in der „Berliner Zeitung“ sagt:
„Jede Woche, die die Reform früher beginnt, ist eine ge-
wonnene Woche“, dann hat er nicht den RSA, die Kas-
senwahlrechte oder andere Kleinigkeiten, wie das Wohn-
ortprinzip und viele andere Dinge, mit denen die
Öffentlichkeit nichts anfangen kann, gemeint, sondern er
bringt zum Ausdruck: Bringen Sie endlich ein in sich ge-
schlossenes und mit Perspektiven versehenes Konzept. –
An diesem Konzept könnte man sich dann mit unseren Ar-
gumenten messen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Präsident des Bundesversicherungsamtes – also

jener Herr, der der durchführenden Behörde für die Wei-
terentwicklung dieses Monstrums vorsteht – äußert, der
Risikostrukturausgleich werde mit der Verbindung von
Chroniker-Bonus und Einschreibung in ein akkreditiertes
Programm mit gesundheitspolitischen Steuerungsaufga-
ben überfrachtet. Das haben wir bei anderer Gelegenheit
auch gesagt. Selbstverständlich ist es richtig, wenn sich
– möglichst mehr als weniger – Krankenkassen mit der
Frage der Disease-Management-Programme, also der
Sonderregelungen und umfänglicher qualitätsorientierter
Regelungen für chronisch Kranke, befassen und diese be-
sondere Leistung ihren Mitgliedern anbieten. Aber dies
gehört eben nicht in den Risikostrukturausgleich, sondern
das ist eine Aufgabe, die die Kassen wahrzunehmen ha-
ben und die man durchaus fördern kann, auch über Son-
derregelungen oder Modellvorhaben.

Wir sind der Auffassung, dass es beim Risikostruktur-
ausgleich – in dem schon heute sage und schreibe 23 Mil-
liarden DM umverteilt werden, und etwa 20 Milliar-
den DM, also der größte Teil davon, entfallen auf die
AOK – nicht verwunderlich ist, dass die AOK in beson-
derem Maße daran interessiert ist – Sie sagten: darauf an-




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

17654


(C)



(D)



(A)



(B)


gewiesen ist –, diese Beträge noch weiter zu erhöhen. Wir
meinen, das ist nicht der richtige Weg für uns alle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Denn der Risikostrukturausgleich droht im Grunde ge-

nommen einer weit zurückliegenden, noch vor 1992 gel-
tenden Regelung wieder nahe zu kommen: dass er nicht
mehr und nicht weniger als ein primitiver Ausgabenaus-
gleich ist. Genau das sollte der Risikostrukturausgleich
nach den Erfahrungen der Jahre 1992/1993, also nach der
Einführung, seinerzeit gemeinsam mit der SPD-Fraktion,
nicht sein und nicht wieder werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nun soll bald – am nächsten

Mittwoch – die Sachverständigenanhörung sein, nach-
dem man eineinhalb Jahre nichts getan hat, die Vorschläge
von Herrn Seehofer nicht akzeptiert und die Auftragsver-
gabe an die Sachverständigen wieder zurückgenommen
hat. Jetzt wird es plötzlich unheimlich eilig, wie wir auch
an der Entwicklung des Beitragssatzes und Ähnlichem
sehen. Ich prophezeie Ihnen bereits jetzt, dass die Sach-
verständigenanhörung zeigen wird, dass Ihr Vorhaben
nicht durchführbar ist. Das politische Kalkül von Rot-
Grün, diese Neuregelung des Finanzausgleiches der Kas-
sen als Verbesserung für chronisch Kranke zu verkaufen,
wird nach meiner Auffassung nicht aufgehen.

Nun fragen sich Krebskranke, Alzheimerpatienten,
MS-Kranke, Diabetiker usw., was das eigentlich soll. Sie
sollten aufhören, den Leuten insofern etwas vorzuma-
chen, als Sie beispielsweise die Abschaffung der Budge-
tierung der Arznei- und Heilmittelausgaben ankündigen,
aber die Abschaffung gleichzeitig wieder infrage stellen.
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Schwerstkranke,
Patienten und Versicherte Ihnen bei Ihrem Schlingerkurs
noch abnehmen, dass ausgerechnet die Neugestaltung des
Finanzausgleiches der Kassen chronisch Kranken und Pa-
tienten eine Wohltat bringen soll. Das wird nicht der Fall
sein.

Wir fordern noch einmal von Ihnen – wie heute schon
bei anderer Gelegenheit – eine konsequente Politik, wir
fordern, vom Lächeln und Überspielen Abstand zu neh-
men, ein Konzept vorzulegen und dann weiter zu disku-
tieren und mit dem Kurieren an Symptomen aufzuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417917700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Herr Lohmann, Sie haben gerade den Risi-
kostrukturausgleich als Kleinigkeit bezeichnet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das werden wir im Protokoll nachlesen! Dann entschuldigen Sie sich bitte!)


– Doch, Herr Lohmann, Sie haben vom „Risikostruktur-
ausgleich und anderen Kleinigkeiten“ gesprochen. Sie

sollten das noch einmal im Protokoll nachlesen. Ich
glaube, der Risikostrukturausgleich ist keine Kleinigkeit.
Aber wenn Sie mir da zustimmen, dann brauchen wir
nicht weiter darüber zu streiten.

„Was lange währt, wird endlich gut“, könnte man fast
sagen.


(Ina Albowitz [F.D.P.]: Das meinen Sie doch nicht im Ernst!)


Beim RSA kann man das aus meiner Sicht mit Fug und
Recht sagen, insbesondere deswegen, weil wir jetzt eine
Langzeitperspektive haben, aufgrund derer der Finanz-
ausgleich zwischen den Kassen bis zum Jahr 2007 tatsäch-
lich geregelt wird. Sie haben darauf verwiesen, dass auch
die Union hier Änderungsbedarf sieht. Ich hoffe, dass wir
diesen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens in Form
von Vorlagen konkret auf den Tisch bekommen und wir
tatsächlich, so wie das die Staatssekretärin hier angeboten
hat, zu einer gemeinsamen Lösung kommen.

Die Situation innerhalb der Krankenkassen, vor der wir
heute stehen, ist ja alles andere als erfreulich. Besonders
die großen Kassen sind es, die darunter zu leiden haben,
dass sie einerseits viele Versicherte haben, die wegen ge-
ringer Verdienste nur niedrige Beiträge leisten können,
und dass sie andererseits viele ältere Menschen und Men-
schen mit hohen Risiken, zum Beispiel chronisch Kranke,
die hohe Kosten verursachen, versichern.

Nun ist es aus meiner Sicht richtig, dass Kassen unter-
schiedliche Angebote machen können, was Service, Ge-
schäftsstellen und Beratung angeht. Ich glaube, dass es den
Versicherten überlassen bleiben muss, ob sie sich persön-
lich in einer Geschäftsstelle beraten lassen oder ob sie sich
im Zweifelsfalle über das Internet informieren. Den Kassen
muss es ebenfalls in bestimmten Grenzen überlassen blei-
ben, wie sie ihre Verwaltung organisieren. Auch auf dieser
Ebene sollte aus meiner Sicht Wettbewerb stattfinden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wettbewerb ist es auch, die Versorgung der Versicher-
ten – hier gerade im präventiven Bereich – und die der Pa-
tienten optimal zu gewährleisten. Der Wettbewerb um die
beste Versorgung muss das Ziel eines fairen Finanzaus-
gleichs zwischen den Kassen sein. Ich glaube, wir können
gemeinsam unterschreiben: Es geht nicht um den Wettbe-
werb um die niedrigsten Beiträge.

Genau das ist es, was wir mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf auf den Weg bringen wollen. Dort, wo Pro-
gramme der Qualitätssicherung durchgeführt werden sol-
len, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist, geht es um
echte Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten.
Der Ausgleich zwischen den Kassen muss auch dafür sor-
gen, dass es sich nicht mehr lohnt, um die Patienten mit
den niedrigsten Risiken zu werben. Auch das soll mit die-
sem Gesetzentwurf der Koalition auf den Weg gebracht
werden. Ich kann nur hoffen, dass wir dieses Problem ge-
meinsam lösen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Darüber unterhalten wir uns noch einmal in drei Jahren!)





Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


17655


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein erster Schritt ist die Einrichtung eines Risikopools
für solche Versicherten, die bei den Kosten mit mehr als
40 000 DM zu Buche schlagen. Mit der Regelung, 40 vom
Hundert durch die Krankenkassen tragen zu lassen und
60 vom Hundert durch den gemeinsamen Risikopool, be-
steht, so glaube ich, auch hier eine gute Chance für einen
echten Ausgleich. Ich bin auf die entsprechenden An-
hörungen und Diskussionen gerade über diese Frage im
Gesundheitsausschuss gespannt.

Dennoch bleibt langfristig die Notwendigkeit, verwert-
bare Daten zur Morbidität zu erheben. Die Staatssekretä-
rin hat dazu, wie sich die Auswertung dieser Daten auf den
Ausgleich zwischen den Kassen auswirken soll, Ausfüh-
rungen gemacht. Ich persönlich glaube, dass solche Daten-
erhebungen dazu beitragen können, tatsächlich zu einer
umfassenden Gesundheitsberichterstattung zu kommen,
die ganz neue Möglichkeiten der Vorsorge und der Ge-
sundheitsförderung eröffnet. Gerade in Regionen, in denen
wir es zum Beispiel mit hoher Arbeitslosigkeit oder an-
deren Faktoren, die die Gesundheit beeinträchtigen, zu tun
haben, kann das Grundlage für Handlungsoptionen sein,
bei denen es tatsächlich um die Erhaltung von Gesundheit
und nicht erst um die Bewältigung von Krankheit geht.
Das kann ein sinnvoller und guter Nebeneffekt der Erhe-
bung solcher Daten sein, den ich für sehr wünschenswert
halte.

Natürlich wollen wir in den Anhörungen für weitere
Optionen eines kurzfristigen Ausgleiches offen bleiben,
zum Beispiel was die Verpflichtung kleiner Kassen, auch
die der BKKen, angeht, Disease-Management-Pro-
gramme aufzulegen.

Wir halten und hielten – Sie wissen das – den Min-
destbeitrag nicht für ein wirksames Instrument. Herr
Lohmann, Sie haben sich darüber ausgelassen, dass – –


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: „Ausgelassen“ ist nicht der passende Ausdruck!)


– Nein, so meine ich das nicht.
Sie haben darüber gesprochen, die Regierung wandle

nur noch Papiere externer Experten in Gesetzestext um.
Ich halte das für eine Unterstellung, die in keiner Weise
gerechtfertigt ist. Ich glaube, wir haben sowohl an dieser
Stelle als auch anderswo deutlich gemacht: Es ist Aufgabe
der Fraktionen, Gesetzentwürfe miteinander zu beraten.
Dabei ist es sehr sinnvoll, sich mit allen Beteiligten vor-
her an den Tisch zu setzen und abzuwägen, welche Mög-
lichkeiten bestehen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sind Sie mit Frau Knoche wieder versöhnt? Auch in der eigenen Fraktion?)


– Auch in der eigenen Fraktion, Herr Kollege.
Ich kann Ihnen von diesem Pult aus mitteilen: Der Ge-

setzentwurf ist in der Form, wie er jetzt vorliegt, einstim-
mig in meiner Fraktion verabschiedet worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will an dieser Stelle auch betonen, dass es bei der

Frage des Mindestbeitrags darum ging, ein Instrument zu
finden; es ging nicht um die Zielstellung. Bei der Frage

der Zielstellung waren wir uns in der Fraktion von Anfang
an einig. Natürlich ist es so, dass der Abstand zwischen
Kassen mit hohen Beiträgen und dem beabsichtigten
Mindestbeitrag so groß geblieben wäre, dass Versicherte
aus meiner Sicht nicht von einem Kassenwechsel abge-
halten worden wären. Auch aus dem Blickwinkel der Bei-
tragszahler ist es richtig, auf die Einführung eines Min-
destbeitrags zu verzichten.

Nicht verzichten können wir aber – dabei bleibt es –
auf das grundlegende Ziel, zu einem Ausgleich zu kom-
men, der den Wettbewerb um junge, gesunde Versicherte
beendet. Es geht um die beste Versorgung und um Wirt-
schaftlichkeit, auch bei den Krankenkassen. Herr
Lohmann, ich hoffe, dass es auch um Ihre konkreten Vor-
schläge geht, um den Risikostrukturausgleich miteinan-
der zu beraten und auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass
wir in dieser Frage die Unterstützung des ganzen Hauses
haben. Dieses Projekt ist für die solidarische Versorgung
in der Krankenversicherung langfristig zu wichtig, als
dass wir uns mit parteipolitischem Geplänkel aufhalten
sollten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So wie am Freitag zwischen Rot-Grün!)


Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417917800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1417917900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Ministerin, ich habe Ihrer grünen Vor-
gängerin zweimal ein Zitat Robert Musils vorgehalten,
das die damalige gesundheitspolitische Einstellung der
Bundesregierung zutreffend beschrieb: „Wir irren vor-
wärts“.

Mit Ihrem Amtsantritt verband sich die Hoffnung auf
ein Ende dieses Irrwegs. Sie war trügerisch. Auch Sie ha-
ben trotz manch akzeptabler Ansätze den konsequent
richtigen Weg noch nicht gefunden. Auch Sie irren weiter
vorwärts – orientierungslos und ohne ein schlüssiges Ge-
samtkonzept.

Ihre Staatssekretärin hat heute Morgen das Bild einer
Garage bemüht und uns vorgeworfen, wir seien bei unse-
ren Bemühungen nur bis zum Garagentor gekommen,
während Sie herausgefahren seien. Wer aber beim Vor-
wärtsfahren immer wieder den Rückwärtsgang einlegt,
darf sich nicht wundern, dass Getriebeschäden eintreten.
Sie bleiben auf der Strecke liegen, und genau das ist
Ihnen heute passiert.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wie können wir das Gefährt wieder flott machen? Wir

Liberalen predigen es seit Jahr und Tag: Wir müssen das
System wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir brau-
chen mehr Eigenverantwortung, mehr Wahlfreiheiten,
mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Die Bundesre-
gierung tut sich mit diesen Grundregeln schwer.




Katrin Göring-Eckardt
17656


(C)



(D)



(A)



(B)


Stichwort „Wettbewerb“: Über Wochen hinweg hieß
es, die großen so genannten Versorgerkassen könnten
ohne einen Mindestbeitrag in der gesetzlichen Kranken-
versicherung nicht leben. Dieser Teil des Kompromisses
sei deshalb unverzichtbar. Nun soll es doch ohne den Min-
destbeitrag gehen. Es ist gut, dass er gestrichen worden
ist; er war von Anfang an ein Missgriff und war mit dem
Gedanken des Wettbewerbs unvereinbar.

Frau Schmidt-Zadel, ich frage mich, ob jetzt wirklich
das eintritt, wovor Sie vor ein paar Tagen gewarnt haben,
nämlich, dass dieser Schritt das Ansehen der Koalition be-
schädigt. Ist das eigentlich Ihre einzige Sorge? Die Kon-
zeptionslosigkeit dieser Koalition beschädigt ganz andere
Dinge, zum Beispiel das Ziel der Bundesregierung, die
Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent zu drücken.
Den Gesundheitsmarkt mit seinem großen Arbeitsmarkt-
potenzial in Schwung zu bringen, davon sind wir weit ent-
fernt.

Meine Damen und Herren, das, was von der Reform des
Risikostrukturausgleichs übrig geblieben ist und was im
Zusammenhang mit dem bereits eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Neuordnung der Kassenwahlrechte zu sehen ist,
ist aus unserer Sicht ein buntes Sammelsurium unter-
schiedlichster Ideen zur Eindämmung des Wettbewerbs
und der Wahlfreiheit.

Sie haben zwar die Möglichkeit der Kündigung auf das
laufende Jahr erweitert, legen aber gleichzeitig eine Bin-
dung an eine solche Entscheidung auf eineinhalb Jahre
fest. Sie lassen das besondere Kündigungsrecht bei Bei-
tragssatzerhöhungen wegfallen. Eine solche Möglichkeit
ist in allen anderen Bereichen der Versicherungswirt-
schaft selbstverständlich.

Die erhöhte Zuschreibung standardisierter Ausgaben
für Krankenkassen mit speziellen Programmen für chro-
nisch Kranke gehört ebenfalls zu dieser Aufzählung. In
der Begründung dazu heißt es:

Damit wird erstmals Sorge dafür getragen, dass den
Krankenkassen, die sich um eine gezielte Verbesse-
rung der Versorgung ihrer chronisch Kranken
bemühen, kein finanzieller Nachteil entsteht, son-
dern sie im Vergleich zum Status quo deutlich besser
gestellt werden.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie können ja sogar lesen!)

Das ist doch nur dann, Frau Schmidt-Zadel, der Fall,

wenn die standardisierten Ausgaben, die für chronisch
Kranke gezahlt werden, den tatsächlichen Ausgaben ent-
sprechen. Anderenfalls ist es für die Krankenkasse immer
noch von Vorteil, sich um gesunde Versicherte zu küm-
mern und diese aufzunehmen. Es ist richtig, wenn man
den Risikostrukturausgleich will, auch Anreize zu schaf-
fen, zum Beispiel chronisch kranke Menschen zu versi-
chern. Wenn jedoch der bürokratische Aufwand so groß
wird, dass die Kosten in keiner Relation mehr zum zu er-
zielenden Nutzen stehen – so sehen wir es –, ist dieses Ziel
schwerlich zu erreichen. Sie müssten nämlich, wenn Sie
in dieser Richtung konsequent weiterdenken, bei der Er-
fassung der Erkrankungen immer stärker differenzieren.

Ein Diabetes-Patient, der frühzeitig zum Arzt geht und
eine große Bereitschaft zur Mitarbeit mitbringt, verur-
sacht wesentlich weniger Kosten als der Diabetiker, der
seine Krankheit verschleppt und nicht einsieht, dass auch
er zur Stabilisierung seiner Gesundheit beitragen muss.
Das, was Sie sich von dieser höchst aufwendigen Maß-
nahme versprechen, indem Sie die standardisierten Aus-
gaben erstatten, wird also nicht eintreten oder nur dann,
Frau Schmidt-Zadel, wenn Sie sich zu einer Neudefinition
von solidarisch finanzierten Kernleistungen wie diesen
durchringen und Wahlleistungen zulassen.

Ich appelliere deshalb an Sie: Geben Sie den Gedanken
auf, eine Optimierung der Versorgung mit dem Risiko-
strukturausgleich verknüpfen zu wollen. Das wird nicht
gelingen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Oder es wird nur um den Preis eines gigantischen Ver-
waltungsapparates gelingen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ach, Herr Parr, lesen Sie das Gesetz doch einmal! Vielleicht verstehen Sie es dann, denn das ist Ihr Problem!)


Das Geld, das wir dafür ausgeben müssten, können wir
anderswo sinnvoller einsetzen. Unsere Meinung ist: Wir
brauchen nicht mehr, sondern weniger Risikostrukturaus-
gleich.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie brauchen weniger Risiko!)


Irgendwann muss Schluss damit sein, dass ein immer
größeres Geldvolumen umverteilt wird. Einige Kranken-
kassen müssen bereits jetzt spürbar mehr als die Hälfte ih-
rer Beitragseinnahmen zur Subventionierung anderer
Kassen – ihrer Mitbewerber nämlich! – abführen. Stellen
Sie sich einmal vor, BMW müsste von jeder verdienten
Mark 50 Pfennig an Daimler-Chrysler abführen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das würden wir in Bayern schon zu verhindern wissen!)


Das würde jeder für völlig absurd halten. Bei den Kran-
kenkassen ist es Realität.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]:Wir sprechen hier nicht von Autos! Wir sprechen von Krankheitsrisiken!)


Zu schützen sind unserer Meinung nach, Frau Fuchs,
nicht die Krankenkassen, sondern die Versicherten.Es ist
nachvollziehbar, dass die Manager der von Abwanderung
betroffenen Krankenkassen das anders sehen. Gleichwohl
bleibt festzuhalten: Die Versicherten sind durch Wahlfrei-
heit und Kontrahierungszwang ausreichend geschützt.
Niemand ist gezwungen, bei einer Krankenkasse mit
höherem Beitragssatz versichert zu bleiben. Niemand
– auch nicht die schwer und chronisch Kranken – ist ge-
hindert, sich schlau zu machen und andere Angebote zu
nutzen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ich erkläre es Ihnen noch einmal!)





Detlef Parr

17657


(C)



(D)



(A)



(B)


Glauben diejenigen, die einer Ausweitung des RSA das
Wort reden, im Ernst, in unserer Gesellschaft könnte sich
der Versuch auszahlen, kranke Versicherte an den Pforten
einer gesetzlichen Krankenversicherung abzuweisen?
Das wäre doch am nächsten Tag eine Seite-Eins-Meldung
in Boulevardzeitungen. Das wird sich niemand erlauben
können. Ich bin davon überzeugt: Bewusste und aktive
Risikoselektion hat auch ohne RSA keine Chance.

Eine letzte Bemerkung zum ab 1. Januar 2003 vorge-
sehenen Risikopool: Die dahinter stehende Idee ist an
sich sinnvoll. Ob ein solcher Ausgleich allerdings tatsäch-
lich kassenartenübergreifend erfolgen muss oder ob es
nicht sinnvoller wäre, den schon heute existierenden kas-
senarteninternen Finanzausgleich verbindlicher zu gestal-
ten, wird in der Anhörung und den weiteren Beratungen
zu klären sein. Wir freuen uns auf diese Beratungen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417918000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1417918100
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Das Kassenwahlrecht 1992 für alle Mitglie-
der – freiwillig Versicherte, Angestellte und Arbeiter – ein-
zuführen war ein politischer Fortschritt. Der damit verbun-
dene Wettbewerb um Mitglieder sollte die Kassen zu mehr
Wirtschaftlichkeit und besserem Service anregen. Ein guter
Vorsatz, aber klar war, dass dieser Wettbewerb auch zu Ri-
sikoentmischung und Entsolidarisierung führen könnte.

Um das zu verhindern, wurde der Risikostrukturaus-
gleich eingeführt. Er sollte Nachteile beseitigen, die sich
für die Kassen aus unterdurchschnittlichen Einnahmen
und ungleicher Risikostruktur ergeben. Das ist aber nicht
erreicht worden. Obwohl über den RSA etwa 25 Milliar-
den DM jährlich umverteilt werden, ist es für eine Kasse
vorteilhaft, möglichst viele junge, gesunde und gut ver-
dienende Mitglieder zu gewinnen. Siehe die so genannten
virtuellen Betriebskrankenkassen. Die sich so ergebenden
Beitragsunterschiede haben nichts mit wirtschaftlichem
Handeln zu tun. Sie gehen in erster Linie zulasten der vie-
len AOKn und großer Ersatzkassen. Besonders benach-
teiligt sind die AOKn in Ostdeutschland, weil sie eine ex-
trem ungünstige Risikostruktur aufweisen.

Im Ergebnis eines solchen Wettbewerbs können Kas-
sen mit niedrigen Beiträgen diese sogar weiter absenken
und Kassen mit hohen Beitragssätzen müssen noch mehr
zulegen. Zugleich werden dem Gesundheitssystem zu-
nehmend Mittel entzogen. Das kann keiner wollen. Ein
sozial gerechtes Gesundheitswesen ist so nicht aufrecht
zu erhalten.

Wir begrüßen es, dass die Regierung mit der Reform
des RSA dieser Entwicklung Einhalt gebieten will. Der
vorliegende Gesetzentwurf ist aber nicht überzeugend. So
ist auf der Einnahmenseite noch immer kein vollständiger
Risikoausgleich vorgesehen. Unberücksichtigt bleiben
die erheblichen Aufwendungen der Kassen, die diese bei

Härtefällen und chronisch Kranken anstelle der Zuzah-
lung der Versicherten aufbringen müssen.

Aber auch die Härtefälle sind in hohem Maße ungleich
verteilt, was wiederum die AOKn in Ostdeutschland be-
sonders trifft. Wir halten es für richtig, dass die entspre-
chenden Mehraufwendungen dieser Kassen von ihren
Beitragseinnahmen abgezogen werden.

Ein weiterer Kritikpunkt. Richtig ist, die so genannten
Risikofälle gesondert auszugleichen. Aber die Schwel-
lenwerte der Aufwendungen für die Versicherten und die
Selbstbehalte der Kassen dürfen auf keinen Fall zu hoch
sein, wenn die gewünschten finanziellen Qualitätswir-
kungen eintreten sollen.

Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, das Gesetz folgt
einer richtigen Grundidee und es ist dringend notwendig.
Vieles ist aber noch nicht zu Ende gedacht und die Debatte
über die sachgerechtesten Lösungen muss noch gründlich
geführt werden.

Leider haben die Grünen mit der Streichung des Min-
destbeitrages kräftig dazu beigetragen, das ganze Paket
infrage zu stellen. Verheerend ist, dass sie diese Strei-
chung deshalb verlangt haben, um den Kassenwettbewerb
nicht zu behindern.

Werte Kollegin Göring-Eckardt, Sie sagen zwar, es
handele sich nur um ein Instrument, aber anscheinend se-
hen Sie nicht mehr – oder Sie wollen es einfach nicht mehr
sehen –, dass Sie damit den Vorteil und die Freiheit der
Starken auf Kosten der Schwachen verteidigen. Sie mer-
ken nicht einmal, dass der Beifall von der verkehrten Seite
kommt und Sie das Solidarsystem damit zum Abbau frei-
geben. Mit uns jedenfalls wird das nicht zu machen sein.


(Beifall bei der PDS)

Wir vertreten die Auffassung, dass bei allen Entschei-

dungen zum Risikostrukturausgleich dem Schutz und der
Stärkung des Solidargedankens höchste Priorität zukom-
men muss.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417918200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.


Hildegard Wester (SPD):
Rede ID: ID1417918300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Seit der Einführung des RSA 1992
haben eine Reihe von Beteiligten immer wieder die Auf-
fassung vertreten, dass der Risikostrukturausgleich nur
ein Übergangsinstrument für einige Jahre sei und dann
zurückgeführt werden könne oder gar ganz abgeschafft
gehöre. Diese Stimmen sind jetzt, nach zehn Jahren, fast
ganz verstummt.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Mit einigen Ausnahmen!)


– Bis auf Herrn Parr. Ja, ich habe das zur Kenntnis ge-
nommen.




Detlef Parr
17658


(C)



(D)



(A)



(B)


Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst
Seehofer hat einmal gesagt, es gebe nur wenige, die den
Risikostrukturausgleich in Gänze und mit seinen ganzen
Wirkmechanismen verstünden.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das stimmt!)


Das hat auch immer wieder dazu geführt, dass man in
ihm ein reines Subventionsinstrument für Not leidende
Kassen gesehen hat oder sogar ein gnädiges Brot reicher
Kassen für arme Kassen.

Aber, meine Damen und Herren, gerade die zahlrei-
chen Gutachten und Stellungnahmen vieler Akteure im
Gesundheitswesen der letzten Monate, aber auch der letz-
ten zwei Jahre haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Sämt-
liche Gutachten, sämtliche Experten – auch diejenigen,
die vor Jahren noch die Abschaffung des Risikostruktur-
ausgleichs gefordert haben – sind sich heute einig, dass er
in einer wettbewerblich ausgerichteten Krankenversiche-
rung zwingend notwendig ist.


(Zustimmung bei der SPD)

Diese Einschätzungen nehmen wir sehr ernst und legen

nun – nach zehn Jahren – einen Gesetzentwurf vor, der die
veränderten Bedingungen berücksichtigt. Wir haben ge-
sehen, dass der heutige Risikostrukturausgleich immer
noch zu viele Anreize bietet, sich nicht um die Versorgung
der kranken Menschen zu kümmern. Es ist für eine Kran-
kenkasse einfacher und finanziell attraktiver, gesunde und
junge Mitglieder anzuwerben, als in die bessere Versorgung
der kranken Versicherten zu investieren. Genau hier müssen
wir ansetzen und haben das im vorliegenden Entwurf auch
getan. Wir richten den Risikostrukturausgleich zukünftig so
aus, dass die jeweilige Krankheit mit dem entsprechenden
Schweregrad genauer im RSA abgebildet wird.

Gegen diesen Weg, die so genannte Morbidität stärker
zu berücksichtigen, sehe ich keinen ernst zu nehmenden
Widerstand. Wenn alle Beteiligten die Notwendigkeit se-
hen, die Versorgung und auch die Vergütung im ärztlichen
Bereich und im Krankenhaus viel stärker an den tatsäch-
lichen Krankheitsbildern auszurichten, dann ist nicht nur
folgerichtig, sondern geradezu zwingend, auch den RSA
zukünftig darauf auszurichten. Deshalb haben wir klare
Schritte im Gesetz definiert, bis zum Jahre 2007 einen
morbiditätsorientierten RSA zu erreichen. Bis dahin ha-
ben wir vorgesehen – das wurde schon mehrfach ange-
sprochen –, einen Ausgleich besonders teurer Behand-
lungsfälle zwischen den Krankenkassen durch einen
Risikopool vorzunehmen.

Mit dem dritten Instrument im Gesetzentwurf, den Di-
sease-Management-Programmen, schaffen wir Anreize
für die Krankenkassen, sich mehr als bisher um die Qua-
lität und Effizienz der Versorgung chronisch Kranker zu
kümmern. Bisher wurden Kassen für dieses Engagement
oft bestraft, jetzt setzen wir Anreize, dass Qualität auch
belohnt wird.

Das sind die drei Kernelemente des neuen RSA und
nicht der Mindestbeitrag, Herr Lohmann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Neuerdings, seit Freitag!)


Es war auch nicht so gedacht, dass diese Programme
durch den Mindestbeitrag finanziert werden sollen, son-
dern sie sollten aus dem RSA finanziert werden. Das wird
in Zukunft auch so geschehen.


(Beifall bei der SPD)

Weiterhin halte ich Ihre fundamentale Kritik und Ihre

Rufe nach einer Gesamtkonzeption in dieser Debatte für
verfehlt. Eine Weiterentwicklung des RSAmacht die Dis-
kussion um die Weiterentwicklung der Gesundheitspoli-
tik nicht überflüssig.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Weiß Gott!)

Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, eine
Diskussion um die Weiterentwicklung der Gesundheits-
politik ohne eine zeitnahe Weiterentwicklung des RSA
macht erstere vielleicht überflüssig; denn dann wollen Sie
den radikalen Weg der Marktwirtschaft gehen und die Pri-
vatisierung von Risiken in der gesetzlichen Krankenver-
sicherung zulassen. Diesen Weg gehen wir Sozialdemo-
kraten nicht mit.


(Beifall bei der SPD –Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Erkundigen Sie sich doch mal im Kanzleramt, was man dort vorhat!)


– Sie bemühen jetzt wieder das Papier aus dem Kanzler-
amt. Solange ich es offiziell noch nicht gesehen habe, ist
es für mich ein nicht existentes Papier.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wir können es Ihnen geben, keine Sorge! Wenn Ihre Leute es Ihnen nicht geben, können Sie es von uns haben! Geben Sie mir Ihre Faxnummer!)


– Ich spreche für die SPD-Fraktion. Die Haltung der SPD-
Fraktion habe ich gerade dargestellt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das wurde gestern im Deutschlandfunk aber anders dargestellt!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch mit ei-
ner Mär aufräumen: Es wird immer wieder gesagt, dass
das so genannte Transfervolumen, also die Summe, die
im RSA bewegt wird, ständig steige und der RSA damit
seine Steuerungswirkung verfehle. Genau das Gegenteil
ist der Fall: Die gestiegenen Transferzahlungen zeigen ge-
rade, dass eine Weiterentwicklung zwingend notwendig
ist; denn je höher das Volumen ist, desto ungleicher ist die
Verteilung der Risiken auf die Krankenkassen. Das ist ei-
gentlich eine ganz einfache Rechnung, die auch Sie ver-
stehen müssten.


(Beifall bei der SPD –Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Frau Wester, Vorsicht!)


Um es noch einmal klar zu sagen: Unser Ziel ist nicht die
Erhöhung der Transferzahlungen. Unser Ziel ist es, sinnvolle
Anreize im RSA zu setzen, sich um die bessere Versorgung
der chronisch und schwerkranken Menschen zu kümmern.
Mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschla-
genen Instrumenten sind wir auf dem richtigen Weg.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Hildegard Wester

17659


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417918400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Aribert Wolf.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Erkläre es ihnen noch einmal, Aribert!)



Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417918500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Rot-Grün in
der Gesundheitspolitik vorzuweisen hat, ist insgesamt
kläglich, dürftig und bedauerlich. Ich bräuchte das an die-
ser Stelle auch gar nicht weiter auszuführen;


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wissen alle!)


denn die Menschen draußen im Land können das Tag für
Tag in den Zeitungen lesen. Sie spüren, wenn sie sich in
den Arztpraxen und Krankenhäusern behandeln lassen,
was Ihre Gesundheitspolitik angerichtet hat. Künftig kön-
nen sie auf ihren Lohnzetteln schwarz auf weiß nachlesen,
was Ihre Gesundheitspolitik bewirkt hat.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass Sie eine
solche Minireform wie die Neuregelung des Finanzaus-
gleichs zwischen den Krankenkassen als rettenden Stroh-
halm feiern wollen, wenngleich ich ehrlicherweise sagen
muss: Ein bisschen mehr Leidenschaft wäre bei diesem
Thema auch nicht schlecht gewesen.


(Susanne Kastner [SPD]: Diese vermisse ich bei Ihnen auch!)


– Sie vermissen bei mir Leidenschaft? Keine Sorge, die
kommt noch.

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die von Ihnen
jetzt vorgelegte Reform des Finanzausgleichs etwas an
der Versorgungslage chronisch Kranker, der schlechten
Finanzlage der großen Versorgerkassen und der Jagd der
Krankenkassen vorwiegend nach Jungen und Gesunden
in den nächsten ein bis zwei Jahren ändern wird. Ich rate
Ihnen: Haben Sie einmal den Mut, den Realitäten ins
Auge zu sehen! Dann werden Sie feststellen, dass Ihre Re-
form den großen Versorgerkassen in den nächsten Jahren
gar nichts bringen wird. Man wird feststellen – das sage
ich voraus und gebe ich gerne zu Protokoll –, dass nach
wie vor fast nur Junge und Gesunde trotz Ihres neuen Ge-
setzes im nächsten und im übernächsten Jahr die Mög-
lichkeit nutzen werden, die Krankenkasse zu wechseln.

Ich gebe zwar zu, dass ich dem inzwischen von Ihnen
aufgegebenen Vorhaben, einen Mindestbeitragssatz von
12,5 Prozent einzuführen, in keiner Weise nachtrauere;
denn ein solcher Mindestbeitragssatz hätte nur dazu ge-
führt, dass junge Leute scharenweise zu den privaten
Krankenversicherungen abgewandert wären und dass der
solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung dadurch
Milliarden an Einnahmen verloren gegangen wären. Aber
mich erstaunt schon ein bisschen das Tempo, in dem die
Ministerin den noch gestern so hoch und heilig beschwo-
renen Mindestbeitragssatz plötzlich gekippt hat. Darauf
möchte ich näher eingehen.

Frau Ministerin, Sie haben in einem Interview mit der
„Ärztezeitung“ am 27. April 2001 Folgendes gesagt:

Für die Übergangsfrist muss eine Lösungsmöglich-
keit geschaffen werden. Dies ist der Solidarbeitrag
von 12,5 Prozent.

Wenn dieser nicht käme, so haben Sie, Frau Ministerin,
weiter ausgeführt,

können wir uns über vieles unterhalten, aber nicht
mehr darüber, wie dieses Gesundheitswesen zu an-
nehmbaren Preisen funktioniert.

Auf den Tag genau zwei Monate später, am 27. Juni
2001, zitiert dieselbe Zeitung das Bundesgesundheits-
ministerium mit folgenden Ausführungen: Für dieses Ziel
sei die Einführung eines Mindestbeitragssatzes, der am
Widerstand der Bündnisgrünen gescheitert sei, „völlig un-
wichtig“. Wer so Politik betreibt, verspielt Glaubwürdig-
keit und macht deutlich – das ist noch viel schockieren-
der –, dass diese Regierung kein Konzept und keinen
Kompass hat, nach dem gesegelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Schiff „Gesundheitswesen“ ist in stürmische See

geraten und beginnt zu schlingern. Die Beitragssatzwel-
len klatschen nur so aufs Deck.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Ladung ist verrutscht!)


Ich verweise nur auf Bayern, Hamburg, Hessen und Ba-
den-Württemberg. Ich sage Ihnen, meine Damen und Her-
ren von Rot-Grün, voraus, dass trotz Ihres Gesetzes zur
Neuregelung des Risikostrukturausgleichs noch kräfti-
gere Wellen an Bord aufschlagen werden, wenn erst die
großen Ersatzkrankenkassen ihre Beitragssätze erhöhen.
Diese haben schon lauthals mitgeteilt, dass ihnen das
Wasser bis zum Hals stehe. Ihre Politik stößt ja bei diesen
Kassen auf heftige Kritik. Dieser Bundesregierung fehlt
es an Orientierung. Ihr fehlt ein Plan, wie das Schiff Ge-
sundheitswesen an das rettende Ufer gebracht werden
kann.

Es mag sein, dass das Kippen des Mindestbeitragssat-
zes nur ein Racheakt der Grünen war – manche munkeln
das –, weil der Kanzler die grüne Ministerin nicht gerade
gentlemanlike entlassen hat.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So war das!)


Das mag glauben, wer will. Ich glaube, das Hauptproblem
ist, dass Sie keinen Plan haben, wie das Gesundheitswe-
sen wieder auf die wesentlichen gesundheitspolitischen
Ziele hin ausgerichtet werden kann. Sie wissen überhaupt
nicht, wie Sie die Finanzierung, die angesichts der demo-
graphischen Probleme in unserem Land eine immer dra-
matischere Herausforderung darstellt, sichern und wie Sie
breiten Bevölkerungsschichten den medizinischen Fort-
schritt noch zugänglich machen wollen. Allein eine Re-
form des Risikostrukturausgleichs wird diese Probleme in
keiner Weise lösen.


(Susanne Kastner [SPD]: Etwas leidenschaftlicher, Herr Wolf!)


Das Gebäude Gesundheitswesen wird immer baufäl-
liger; seine Risse werden immer größer und immer deut-
licher. Wenn Sie jetzt nicht darangehen, die dringend nöti-






(C)



(D)



(A)



(B)


gen Reparaturarbeiten durchzuführen, dann werden Sie
erkennen: Sie werden das Gebäude nicht retten, indem Sie
die Fassade immer wieder mit neuer Farbe anstreichen.
Die Ministerin hat trotz aller Freundlichkeiten und trotz
aller Beruhigungspillen vergessen, ihren Job zu machen.
Auf Geheiß des Kanzlers lässt sie die Dinge treiben. Die
von Rot-Grün vertändelte Zeit kommt die Bundesbürger
damit teuer zu stehen; das kann jeder am eigenen Geld-
beutel nachprüfen.

Wer die Verwerfungen im Gesundheitswesen nicht
rechtzeitig und tatkräftig anpackt, der wird nicht für Ruhe
sorgen, sondern er produziert täglich neue Hiobsbot-
schaften für Patienten, Beitragszahler und für Leistungs-
erbringer. Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie endlich
auf, mit Minireformen an die Probleme im Gesundheits-
wesen heranzugehen!

Frau Ministerin, machen Sie endlich Ihren Job, damit
unser Gesundheitswesen wieder auf die richtige Bahn
kommt! Dazu brauchen Sie aber als Erstes ein Konzept.
Wir sind gespannt, ob Sie den Mut haben, ein solches
Konzept den Menschen noch vor der Wahl zu präsentie-
ren, oder ob Sie glauben, Sie könnten sich bis nach der
Wahl mit internen Diskussionen, mit Strategiepapieren
– der eine erzählt etwas, der andere widerspricht und der
Nächste erzählt das Gegenteil – über die Runden retten.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die SPD ist völlig konzeptlos!)


Lesen Sie nur einmal, was alle rot-grünen Gesundheits-
politiker der Reihe nach erzählt haben. Sie werden sich
wundern und Sie werden keine gemeinsame Linie fest-
stellen. Das ist schade.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: So leidenschaftlich war das auch nicht! – Gegenruf des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU]: Mehr als Ihre Leute schon!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417918600
Jetzt hat der Ab-
geordnete Martin Pfaff das Wort.


Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1417918700
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Kollege Wolf, ich kann mir
nicht verkneifen, Folgendes zu sagen: Sie haben unserer
Ministerin doch gerade in beredten Worten Lernfähigkeit
bescheinigt. Ich denke, man kann Schlimmeres über Men-
schen sagen, vor allen Dingen dann, wenn sie für einen so
schwierigen Bereich wie das Gesundheitswesen Verant-
wortung tragen. Ich kann nur sagen: Danke, machen Sie
weiter so! Wir jedenfalls sind mit unserer Ministerin sehr
zufrieden und wir sind gerne bereit, sie zu verteidigen.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Wir sind auch zufrieden, weil sie uns in erster Linie politische Punkte bringt!)


Die Wellen, die Sie angesprochen haben, schrecken
uns nicht. Als langjähriger passionierter Segler weiß ich:
Die Wellen tun dem Schiff nichts, solange der Kurs
stimmt. Wir wissen, dass der Kurs in der Gesundheits-
politik stimmt.


(Beifall bei der SPD)


Es ist wichtig, einiges über die Funktionsweise, die
Instrumente und die Wirkungen des Risikostrukturaus-
gleichs zu sagen. Herr Kollege Lohmann, Sie haben ein
Konzept, eine klare Linie vermisst. Wir verfolgen meh-
rere Ziele gleichzeitig. Wenn man mehrere Ziele gleich-
zeitig verfolgt, dann braucht man mindestens so viele
Instrumente wie Ziele. Dass das Gesetz ein Bündel von
Maßnahmen enthält, ist die logische Konsequenz dessen,
was wir wollen.

Es gibt mehrere Missverständnisse. Das erste Missver-
ständnis besteht darin, dass man glaubt, der Risikostruk-
turausgleich habe allein die Funktion, Chancengleich-
heit im Wettbewerb herzustellen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ja, so ist das!)


Das ist in der Tat eine Zielsetzung. Es ist richtig, dass wir
ursprünglich nicht angetreten sind, um den Risikostruk-
turausgleich zu reformieren oder für Chancengleichheit
im Wettbewerb zu sorgen, sondern um den Arbeitern und
den Angestellten gleiche Chancen bei der Kassenwahl zu
verschaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Genauso ist das!)


Wir wollten endlich die Situation beenden, dass Arbeiter
in Kassen mit geringeren Grundlöhnen mit demselben
Versicherungsanspruch wie Angestellte versichert waren
– sie hatten weniger Kassenwahlchancen –, gleichzeitig
aber höhere Beiträge zahlen mussten. Das war ungerecht
und entsprach nicht einem modernen gesellschaftspoliti-
schen Leitbild.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Herr Kollege Pfaff, wie hieß denn der Minister, der das auf den Weg gebracht hat?)


Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen war unsere ge-
sellschaftspolitische Zielsetzung. Die Ausweitung der
Kassenwahlrechte war eine Konsequenz. Der Risiko-
strukturausgleich war ein Ergebnis der Ausweitung des
Wettbewerbs.

Unser zweites Ziel – das möchte ich ganz deutlich be-
tonen – war und ist die Ausweitung der Solidarität der
Starken gegenüber den Schwachen. Der Risikostruktur-
ausgleich hat den Effekt, dass Gesunde für Kranke, Junge
für Alte, Männer für Frauen und, sofern Frauen erwerbs-
tätig sind, umgekehrt, Kinderlose für Paare mit Kindern
und Menschen mit breiteren wirtschaftlichen Schultern
für solche mit schmaleren Schultern einstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist das Herzstück dessen, was man als Sozialstaat be-
zeichnet. Das ist das Herzstück dessen, was soziale
Marktwirtschaft ist.

Das zweite Missverständnis lautet, dass der Risiko-
strukturausgleich nur auf Zeit und übergangsweise erfor-
derlich ist. Mit Ihren eigenen Worten haben Sie gesagt,
dass dieser Ausgleich Faktoren neutralisieren soll, die die
einzelne Kasse mit eigener Kraft nicht verändern kann,




Aribert Wolf

17661


(C)



(D)



(A)



(B)


nämlich zum Beispiel die Altersstruktur, die Geschlechts-
struktur, die Zahl der Mitversicherten und die Grund-
löhne. Vor dem Hintergrund, dass man diese nicht kurz-
fristig verändern kann, kann man auch nicht fordern, dass
der Risikostrukturausgleich nur übergangsweise stattfin-
det. Stellen wir uns doch einmal vor, wir hätten in den
vergangenen Jahren keinen Risikostrukturausgleich ge-
habt. Die Gutachter haben gesagt, dass dann die Beitrags-
satzspanne zwischen 7 Prozent und 21 Prozent liegen
würde. Wir hätten eine Risikoentmischung in einem Um-
fang, die das ganze System gefährden würde.

Ich komme nun zum dritten Missverständnis. Herr Parr,
Sie sagen, wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Risi-
kostrukturausgleich. Andere sagen wiederum, dass die
durch den Risikostrukturausgleich bewegte Summe in
Höhe von 23 Milliarden DM zu hoch sei. Hier handelt es
sich um eine klassische Verwechslung von Ursache und
Wirkung. Wenn Sie eine perfekte Risikomischung haben
und keine private Krankenversicherung – –


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann haben Sie eine Einheitsversicherung!)


– Nein, ich rede über Risikomischung und nicht über
Strukturen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Darin sind wir uns doch einig! Das ist nicht das Problem!)


Selbst eine private Krankenversicherung könnte niemals
überleben, wenn sie nicht gute und schlechte Risiken
hätte. Wie hoch ist denn das Finanzvolumen des Risiko-
strukturausgleichs, wenn man eine perfekte Risikomi-
schung hat?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Müsste null sein!)


– Das beträgt null, genau. Deshalb ist der Anstieg der
Transferzahlungen ein Reflex der Tatsache, dass eine Ent-
solidarisierungswelle und eine Risikoentmischung statt-
finden. Der Risikostrukturausgleich funktioniert wie ein
Stabilisator, ein Stoßdämpfer.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist ein guter wissenschaftlicher Vortrag, aber sonst nichts!)


Je unebener die Straße ist, desto mehr bewegt er sich.
Herr Parr, die Forderung, den Risikostrukturausgleich

zurückzuführen oder abzuschaffen, ist ungefähr genauso
intelligent – Entschuldigung, das ist nicht persönlich,
sondern fachlich gemeint – wie der Ausbau der
Stoßdämpfer, wenn man in eine Region mit schlechten
Straßen kommt, um diese zu schonen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das vierte Missverständnis lautet: Die bestehenden
Ausgleichsfaktoren wie zum Beispiel Alter und Ge-
schlecht reichen aus, um einen für alle Gruppen chancen-
gleichen Wettbewerb zu sichern. Wir haben festgestellt,
dass dies eben nicht ausreicht. Es gab zwei Fehlentwick-
lungen, und zwar zum einen die Diskriminierung der

chronisch Kranken und zum anderen die Entsolidarisie-
rung durch Polarisierung, nämlich Kassen für Junge und
Gesunde mit niedrigen Beitragssätzen und Versorgungs-
kassen für Alte und Kranke mit höheren Beitragssätzen.
Ich frage Sie: Wie lange könnte eine solche Entwicklung
dauern, bis das System zusammenbricht? Was ist gewon-
nen, wenn das System zusammenbricht? Die Menschen
bleiben doch.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum brauchen Sie dann bis 2007, bis Sie etwas verändern?)


Wir haben in Lahnstein den Risikostrukturausgleich
gemeinsam eingeführt.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da haben wir vorher zusammengesessen!)


Auch das GKV-Finanzstärkungsgesetz zugunsten der
Ostkassen haben wir gemeinsam durchgesetzt. Wir tragen
gemeinsam die Verantwortung für die Fehlentwicklun-
gen. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns in den
Anhörungen Anregungen aufnehmen und diese umsetzen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wir würden uns freuen, wenn Sie das täten!)


Ich bin fest davon überzeugt, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition: Die großen Stunden des Par-
laments kommen nicht dann, wenn man sich in Parteien-
streit ergeht. Die großen Stunden des Parlaments kommen
dann, wenn zugunsten der Menschen in unserem Lande
eine Gemeinsamkeit über Parteien hinweg stattfindet.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417918800
Ich schließe da-
mit die Aussprache zu diesem Tagungsordnungspunkt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6432 und 14/5681 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richtes des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages

(betr. Regierungsbefragung)

– Drucksachen 14/542, 14/2007 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg van Essen
Joachim Hörster
Dr. Uwe Küster

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es hier-
gegen Widerspruch? – Nein. Dann ist das so beschlossen.




Dr. Martin Pfaff
17662


(C)



(D)



(A)



(B)


Sind Sie damit einverstanden, dass wir die Rede der
Abgeordneten Heidi Knake-Werner zu Protokoll neh-
men? – Das ist der Fall.1)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Uwe Küster.


Dr. Uwe Küster (SPD):
Rede ID: ID1417918900
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es geht um einen Antrag
der CDU/CSU-Fraktion aus dem Frühjahr 1999. Der An-
trag ist somit über zwei Jahre alt. Das ist für den politi-
schen Bereich eine sehr lange Zeit. Ich glaube daher, dass
ich den wesentlichen Inhalt kurz darstellen sollte.

Die CDU/CSU möchte zusätzlich zu den bestehenden
drei Möglichkeiten zur Durchführung einer Aktuellen
Stunde eine vierte einführen. Nach ihrem Willen soll es
möglich sein, im Anschluss an die 30-minütige Befragung
der Bundesregierung in eine allgemeine Aussprache des
Deutschen Bundestages nach den Regeln für eine Aktu-
elle Stunde einzutreten. Damit wäre einer Fraktion die
Möglichkeit gegeben, aus der zeitlich und thematisch in
der Regel sehr eng begrenzten Regierungsbefragung un-
mittelbar eine zeitlich und thematisch ausufernde Debatte
zu entwickeln.

Es wird sofort klar: Dieser Antrag ist ein typischer Op-
positionsantrag.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Deswegen hat die SPD ihn auch früher immer eingebracht, nicht?)


Grund des Antrags ist nicht etwa die Erweiterung des
Rechts der Opposition und der Öffentlichkeit auf Infor-
mation und Transparenz. Nein, das Gegenteil ist der Fall.
Hier wird versucht, das Parlament zu einem schon in der
Sache fragwürdigen Schlagabtausch über den Regie-
rungsalltag zu nutzen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ohne dass man die Sache kennt!)


Der Parlamentsablauf würde hierdurch unberechenbar.
Ich vermag in diesem Versuch keinen konstruktiven par-
lamentarischen Gedanken zu erkennen. Im Gegenteil: Mit
diesem Antrag leistet die Union einem transparenten und
offenen Parlamentarismus einen Bärendienst.

Lassen Sie mich dies begründen. Bereits jetzt stellt die
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages drei Mög-
lichkeiten bereit, Aktuelle Stunden herbeizuführen. Aktu-
elle Stunden dienen dazu, den notwendigerweise langfris-
tig geplanten Plenarablauf sehr kurzfristig aktuell gestalten
zu können. Die Debatte soll hierdurch lebhafter und inte-
ressanter werden. Der Öffentlichkeit soll deutlich gemacht
werden, dass die Themen, die sie beschäftigen, auch von
der Volksvertretung beraten werden.

Eine Aktuelle Stunde ist notwendig. Andernfalls
könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass
das Parlament seine Debatten unbeeinflusst von den aktu-
ellen Themen der unmittelbaren Gegenwart führt. Das
Instrument der Aktuellen Stunde ist daher – dies möchte

ich als Parlamentarier selbstkritisch anmerken – auch ein
Tribut an ein schnelllebiges Medienzeitalter. Auch das
Parlament muss auf aktuelle gesellschaftliche Themen
schnell reagieren können. Sonst bestünde die Gefahr, dass
sich zu wichtigen Themen zwar die Bundesregierung, die
Parteien, Fachleute aller Art und letztlich auch noch die
Feuilletonisten äußern, aber nicht die demokratisch legi-
timierte Vertretung des Volkes.

Wird ein wichtiges Thema in der Öffentlichkeit kon-
trovers behandelt, muss das Parlament zeitnah hierzu
Stellung beziehen können. Dass von diesem Instrument
naturgemäß die Oppositionsfraktionen mehr Gebrauch
machen als die Regierungsfraktionen, ist nur allzu ver-
ständlich. Schließlich hat die Opposition keine Regie-
rungsmitglieder, die ihre Politik erläutern könnten. In Be-
zug auf die Union möchte ich sagen: Und das ist auch gut
so. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die von Ihnen be-
antragten Aktuellen Stunden regelmäßig zu einem zusätz-
lichen Forum für die überzeugende Darstellung unserer
Regierungspolitik werden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Deswegen sind bei Ihnen so viele Minister zurückgetreten?)


Ich bin ganz und gar nicht gegen eine Vielzahl von Aktu-
ellen Stunden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Küster, Sie müssen ja lachen!)


Sie nützen schließlich unserer und nicht Ihrer Politik.
Ich wende mich nicht gegen das Instrument der Aktu-

ellen Stunde. Ich wende mich aber ganz entschieden ge-
gen den Versuch, diese gute parlamentarische Einrichtung
zu einem Exerzierfeld von taktischen Spielchen zu ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau dies ist die Stoßrichtung Ihres Antrags.
Es besteht keine Notwendigkeit für eine Aktuelle

Stunde im Anschluss an die Befragung der Bundesregie-
rung. Sie wäre auch nicht sinnvoll. Die gegenwärtig in
Anlage 5 der Geschäftsordnung geregelten Tatbestände
über Aktuelle Stunden sind völlig ausreichend. Dass Sie
das auch so sehen, Herr von Klaeden, zeigt sich bereits da-
ran, dass Sie die Beratung Ihres Antrags zwei Jahre lang
nicht vermisst haben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Ihre Rede habe ich allerdings bisher nicht vermisst, Herr Küster!)


Die Entbehrlichkeit Ihres Antrags wird augenfällig, wenn
man sieht, wie oft überhaupt von der Möglichkeit einer
Aktuellen Stunde im Anschluss an eine Fragestunde
Gebrauch gemacht wird. Das ist nämlich nur sehr selten
der Fall. In der gesamten bisherigen Wahlperiode wurden
bisher insgesamt nur zehn Aktuelle Stunden aus der Fra-
gestunde heraus entwickelt.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Da sehen Sie mal, wie gering die Gefahr ist, wenn wir das ändern!)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

17663


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Eine Dringliche Frage war sogar – darauf komme ich
noch zurück – in nur einem einzigen Fall Anlass; und dies
bei bisher insgesamt 57 Sitzungswochen mit insgesamt
108 Aktuellen Stunden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Haben Sie so viel Angst davor?)


– Im Gegenteil. Diese Zahlen belegen nicht gerade das
dringende Bedürfnis nach der Einführung neuer Tat-
bestände. Vielmehr zeigen sie, dass die Entwicklung einer
Aktuellen Stunde aus der Fragestunde heraus nicht gerade
der Regelfall ist. Es handelt sich hierbei um Ausnahme-
fälle.

Wieso wird nur so selten eine Aktuelle Stunde auf die-
sem Wege beantragt? Die Antwort ist sehr einfach: Wir
alle wollen unsere Themen aktuell, aber auch fundiert be-
raten sehen. Dies gilt für uns ebenso wie für die
Oppositionsfraktionen. Daher ist es Vorschrift, die The-
men der gewünschten Aktuellen Stunde einen Tag zuvor
beim Präsidenten einzureichen. Nach guter parlamenta-
rischer Übung hat jede Fraktion Gelegenheit, ein von ihr
gewünschtes Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

Die wirklich bedeutenden Themen – ich nenne hier als
Beispiel die Rentenreform – sind keine Eintagsfliegen.
Sie behalten für eine längere Zeit ihre Aktualität. Möchte
eine Fraktion ein solches Thema in herausgehobener Art
und Weise angesprochen haben, kann sie dies zumindest
einen Tag vorher wissen. Ich glaube nicht, dass die Frist
von einem Tag unzumutbar ist.

Diese Regelung hat aus meiner Sicht einen entschei-
denden Vorteil: Die Fraktionen und die Bundesregierung
können die Debatte seriös vorbereiten. Die Öffentlichkeit
bekommt ein präzises Bild der politischen Standpunkte
vermittelt. Dies ist nach meinem Verständnis ein wesent-
licher Sinn von Plenardebatten. Das können Spontan-
debatten – so lebhaft und notwendig sie auch sind – nicht
leisten.

Die Analyse trifft, wenn auch eingeschränkt, auch auf
die Aktuellen Stunden zu, die sich aus der Fragestunde
entwickeln. Sie werden naturgemäß von der Opposition
beantragt. Die Opposition macht dies, um ein Thema aus
der Fragestunde heraus aufzublähen. Meine Damen und
Herren von der Opposition, die Erfahrung zeigt, dass Ihre
Bemühungen an dieser Stelle vergeblich sind. Ich habe
von den bisher von Ihnen beantragten Aktuellen Stunden
im Anschluss an eine Fragestunde keine einzige mehr als
wesentlich in Erinnerung. Auch dies zeigt, dass kurz-
fristig und inhaltlich eng angelegte Debatten nicht das
leisten können, was eine Aktuelle Stunde leisten soll: ak-
tuelle Themen in einem transparenten Verfahren umfas-
send zu beraten.

Im Übrigen: Das Verfahren garantiert bereits ein
Höchstmaß an Aktualität. Ein bis 12 Uhr am Vortag ein-
gereichtes Verlangen auf Aufsetzung einer Aktuellen
Stunde auf die Tagesordnung des Folgetages reicht bereits
aus. Darüber hinaus kann sich eine Aktuelle Stunde auch
aus einer Dringlichen Frage im Anschluss an die Frage-
stunde ergeben. Man sieht hier die verschiedenen ge-
schäftsordnungsrechtlichen Möglichkeiten, flexibel auf
aktuelle Fragestellungen zu reagieren.

Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist aufgrund seiner
Anknüpfung an die Befragung der Bundesregierung
bedenklich. Die Befragung der Bundesregierung ist vor-
rangig dazu da, Erkenntnisse aus der vorangegangenen
Kabinettssitzung zu gewinnen. So soll der Opposition
zum Beispiel die Möglichkeit gegeben werden, Einzel-
heiten über Kabinettsbeschlüsse zu erfahren. Im Regelfall
ist der hierfür vorgesehene Zeitraum von 30 Minuten völ-
lig ausreichend. Bei Bedarf kann der amtierende Präsident
die Debattenzeit über diese Zeit hinaus verlängern.

Sie argumentieren nun, dass es aufgrund der mündlich
gegebenen Antworten der Bundesregierung oftmals „das
dringende und unaufschiebbare Bedürfnis“ gebe, die er-
teilten Auskünfte zu debattieren. Weitere Sachaufklärung
kann dies aber nicht bringen. Aber das wollen Sie auch gar
nicht. Sie wollen in der Sache gar keine Aktuelle Stunde
mit dem Ziel der Information der Öffentlichkeit. Sie wol-
len die Bundesregierung aus rein taktischen Gründen in
formale Schwierigkeiten bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [F.D.P.]: Oh, oh!)


Inhaltlich möchten Sie nicht diskutieren. Auch Sie
bräuchten ja eine Vorbereitungszeit für Ihre inhaltlichen
Anliegen. Oder wissen Sie die richtigen Antworten bereits
im Voraus?


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ja, wir haben vortrefflich gearbeitet!)


Das ist natürlich nicht so. Sie wollen vielmehr die Mög-
lichkeit haben, gleichsam ein bisschen aus der Hüfte zu
schießen.


(Susanne Kastner [SPD]: Jawohl!)

Sie suchen den kurzfristigen, schnellen Erfolg im For-
malen. Das Parlament soll in eine unvorbereitete Debatte
über offensichtlich herbeigeredete Themen hineingehetzt
werden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Mehr Mut, Herr Kollege!)


Ein Bezug zu einer öffentlichen Diskussion erscheint ent-
behrlich. Seriöse parlamentarische Arbeit kann so nicht
geleistet werden. Ich kann nicht ausschließen, dass Sie
das auch so wollen. Ich jedenfalls erkenne in Ihrem An-
trag keine inhaltlichen Anliegen. Sie wollen nur taktieren.


(Beifall bei der SPD)

Sie wollen Opposition um des Opponierens willen betrei-
ben. Dies lehnen wir ab.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie üben ja auch noch!)


Lassen Sie mich zuletzt noch auf einen weiteren Grund
eingehen, der die Ablehnung Ihres Antrags schon für sich
genommen nötig macht. Wir müssen uns bei jeder Ände-
rung der Geschäftsordnung fragen, welche Auswirkung
sie für die Arbeit des gesamten Parlamentes hat. Die
hier vorgeschlagene Änderung würde bei ihrer Verwirk-
lichung zu einer Zerfaserung der Sitzungswoche führen;
denn die Durchführung einer Aktuellen Stunde im direk-
ten Anschluss an die Befragung der Bundesregierung




Dr. Uwe Küster
17664


(C)



(D)



(A)



(B)


hätte eine Verlegung der meist an die Fragestunde an-
schließenden Aktuellen Stunde zur Folge.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das kann doch auch nach der Fragestunde sein!)


Diese Notwendigkeit ist zwar schon heute manchmal
gegeben, doch wäre die Ausweitung dieser Konfliktfälle
der Öffentlichkeit wenig vermittelbar. Es könnten dann
gleich drei Aktuelle Stunden miteinander konkurrieren,
wobei die eine die andere verdrängen würde.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das wäre wirklich schlimm! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das Land wird unregierbar!)


Die nachfolgende Aktuelle Stunde soll dann weniger ak-
tuell sein? Sie müssten erklären, warum durch diesen Me-
chanismus plötzlich etwas Aktuelles verdrängt wird. Das
kann so nicht richtig sein.

Die Aktuellen Stunden würden im Übrigen die Pla-
nungen hinsichtlich der weiteren Debatten zusätzlich be-
lasten. Der ohnehin übervolle Plenardonnerstag wäre
dann weniger planbar. Sie würden die Qualität der Debat-
ten mindern und die Belastung der Parlamentarier er-
höhen. Das alles wollen wir nicht.

Ich möchte jedoch keinen falschen Eindruck aufkom-
men lassen. Meine Fraktion hat sich in der Vergangenheit
niemals dem Wunsch verschlossen – das wissen Sie, Herr
van Essen, Herr von Klaeden –, vereinbarte Debatten zu
aktuellen Themen durchzuführen. Wir haben uns auch
und gerade gegenüber den Wünschen der Minderheiten
immer aufgeschlossen gezeigt. Wir werden das auch in
Zukunft so kooperativ handhaben.

Aber wir wollen hochwertige und aktuelle Debatten.
Wir begrüßen die Durchführung von Aktuellen Stunden
ganz ausdrücklich. Wir wollen die Debattenkultur stärken
und die Plenardebatten lebhaft gestalten. Der Vorschlag
der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung der Geschäftsord-
nung widerspricht unseren Bemühungen. Er ist nicht hilf-
reich, er ist unnötig und stellt für die Debattenkultur in
diesem Hohen Hause einen Rückschritt dar.

Wir teilen das ablehnende Votum des Geschäftsord-
nungsausschusses zu diesem Antrag. Meine Fraktion
lehnt den Antrag daher ab.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417919000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1417919100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Küster,
dass Sie unseren Antrag ablehnen, erstaunt mich nicht.
Mich enttäuscht allerdings ein wenig, dass Sie das nicht
wenigstens mit einem kleinen Augenzwinkern tun; denn
einerseits malen Sie hier das Szenario an die Wand, dass
die parlamentarischen Beratungen durch die Ausei-
nandersetzung in der Aktuellen Stunde unberechenbar
werden würden, und andererseits wollen Sie gleichzeitig

die freie Rede und die Debattenkultur hochhalten. Ich bin
erstaunt, welch gestörtes Verhältnis zur politischen Aus-
einandersetzung und zur parlamentarischen Debatte und
welche Angst Sie letztlich vor der freien Rede und der
offenen Auseinandersetzung hier zum Ausdruck bringen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist das Ihre Schuhgröße? – Susanne Kastner [SPD]: Wenn Ihr Anliegen so groß wäre, wären mehr Leute von Ihnen da! Es gibt nur drei Zuhörende! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ich kann nicht gegen Sie anschreien, meine Damen und
Herren von der SPD; ich bin etwas erkältet. Deswegen
bitte ich Sie, ein bisschen Rücksicht zu nehmen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Dann reden Sie nicht solch einen Unsinn!)


Wenn Sie zum Beispiel meinen, Herr Kollege Küster,
der Regierung sei es nicht möglich, sich auf eine Aktuelle
Stunde, die sich aus der Regierungsbefragung entwickle,
seriös vorzubereiten


(Renate Rennebach [SPD]: Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun!)


– das hat doch der Kollege Küster gerade ausgeführt –, so
will ich Sie doch wenigstens darauf hinweisen, dass das
Thema der Regierungsbefragung von der Regierung sel-
ber festgelegt wird. Die Vorstellung, dass die Regierung
unvorbereitet in eine Aktuelle Stunde hineingehen müsste
bei einem Thema, das sie selber für die Regierungsbefra-
gung ausgewählt hat, finde ich doch reichlich absurd.

Wir alle führen immer wieder Klage über den angeb-
lichen oder tatsächlichen Verlust der Bedeutung des Par-
laments. Wir haben im aktuellen „Focus“ auf dem Foto
der Woche einen kaum besetzten Plenarsaal bei der
Regierungsbefragung gesehen. Ihnen, Herr Küster, will
ich wenigstens zugestehen, dass Sie einer von den beiden
Abgeordneten der SPD waren, die bei den Ausführungen
des Bundesfinanzministers anwesend waren. Allein die-
ses Foto zeigt doch, dass wir uns alle darüber Gedanken
machen müssen, wie wir die Regierungsbefragung inte-
ressanter und abwechslungsreicher gestalten können;
denn dass von Ihrer Seite nur zwei Kollegen anwesend
waren, zeigt doch, dass das auch für Sie kein Ort der ver-
nünftigen politischen Auseinandersetzung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen wollen wir in einer ganz dezenten Art und

Weise die Möglichkeit der politischen Auseinanderset-
zung erweitern. Ich wünschte mir, dass Sie sich als Abge-
ordnete der Mehrheit und nicht nur als Erfüllungsgehilfen
der Regierung verstehen, und sich auch der Frage widme-
ten, ob nicht auch ab und zu mit der Regierung eine Frage
im Parlament kontrovers diskutiert werden kann.


(Zuruf von der SPD: Kann in diesem Haus eigentlich jeder jeden Blödsinn reden?)


Wenn Sie weiterhin die Sorge haben, dass die politi-
sche Auseinandersetzung im Wesentlichen nur den Zweck
hat, unsachlich zu sein, die Bevölkerung zu verwirren


( Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind Zeitdiebe! – Weitere Zurufe von der SPD)





Dr. Uwe Küster

17665


(C)



(D)



(A)



(B)


und die sachliche Auseinandersetzung zu vernebeln, dann
sagt das mehr über Ihr Parlamentarismusverständnis als
über unseren Antrag aus.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Meine Damen und Herren, wir wollen die Möglichkeit
schaffen, aus der Regierungsbefragung eine Aktuelle
Stunde zu entwickeln. Die Aktuelle Stunde wurde einmal
eingeführt, um den Abgeordneten, die mit einer Antwort
der Regierung in der Fragestunde nicht zufrieden waren,
die Gelegenheit zur weiteren Bewertung und Diskussion
eines politischen Sachverhalts zu geben. Schließlich
kommt es häufig vor, dass die Bundesregierung auf An-
fragen erkennbar nicht vollständig und nicht zutreffend
antwortet.


(Susanne Kastner [SPD]: Es kommt auch häufig vor, dass die Opposition dumme Fragen stellt! – Zuruf der Abg. Renate Rennebach [SPD])


Bislang kann eine Aktuelle Stunde nur zu einer münd-
lichen Antwort der Bundesregierung in der Fragestunde
verlangt werden, nicht jedoch zu der mündlichen Antwort
auf eine Frage in der Regierungsbefragung. Die Parla-
mentspraxis zeigt, dass es immer häufiger vorkommt,
dass sich aus der Regierungsbefragung ein Bedarf nach
einer Aussprache ergibt, der dringend und nicht auf-
schiebbar ist. Es ist schlicht nicht einzusehen, dass der
Antragsteller für eine Aktuelle Stunde nach der geltenden
Rechtslage auf das allgemeine Antragsrecht verwiesen
werden muss, was zur Folge hat, dass die Aktuelle Stunde
zu diesem Thema dann, wenn überhaupt, erst am
übernächsten Tag stattfinden könnte, sofern nicht der An-
trag einer anderen Fraktion vorgeht. – Dies als erster
Punkt zur Begründung unseres Antrages.

Der zweite Punkt: Die Einreichung einer mündlichen
Anfrage liegt zeitlich immer viel weiter zurück als die
aktuelle Kabinettssitzung vom Vormittag oder andere
aktuelle Meldungen über Beratungen der Bundesregie-
rung, zu denen dann auch nachgefragt werden kann. Die
Themen der Regierungsbefragung sind also mindestens so
aktuell, häufig noch aktueller als die mündlichen Anfragen,
zu denen nach der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde
beantragt werden kann. Deshalb wäre es doch nur folge-
richtig, dem allgemeinen aktuellen Interesse an einer Aus-
sprache im Anschluss an eine Regierungsbefragung noch
am selben Tag, am Mittag oder Nachmittag, zu folgen und
die Gelegenheit zu geben, dazu eine Aktuelle Stunde zu be-
antragen. Die Regierung selber betont ja die Wichtigkeit
und die Aktualität des Themas dadurch, dass sie dieses
Thema für die Regierungsbefragung ausgesucht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Herr von Klaeden, erklären Sie das doch mal den Zuhörern da oben!)


Wenn wir als Parlament aktuell und zeitnah zu den Ent-
scheidungen der Bundesregierung handeln und unsere
Kontrollfunktion auch wahrnehmen wollen, halte ich es
geradezu für zwingend, dass wir unsere Möglichkeiten,
aktuell zu sein, auch wirklich wahrnehmen und sie dort er-
weitern, wo es nötig ist. Deshalb möchte ich alle Fraktio-
nen ausdrücklich auffordern, unserem Antrag zu folgen.

Schließlich müssen wir doch mit Sorge die Entwicklung
beobachten, dass die aktuellen politischen Auseinander-
setzungen immer weiter weg vom Parlament und immer
mehr hinein in Fernsehtalkrunden verlegt werden.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Dann brauchen wir eine Aktuelle Stunde über Talkrunden! – Zuruf der Abg. Renate Rennebach [SPD])


Das Bedürfnis nach Aktuellen Stunden aus den Reihen
der Abgeordneten wird übrigens immer größer. Aus den
25 Fragestunden im ersten Halbjahr 2001 wurden vier Ak-
tuelle Stunden entwickelt. 1999 gab es – auf das ganze
Jahr gerechnet – nur zwei Aktuelle Stunden aus Frage-
stunden. Wäre es möglich, eine Aktuelle Stunde aus der
Regierungsbefragung zu verlangen, gäbe es – so meine
Prognose – einige Aktuelle Stunden mehr. Zudem könnte
das Verlangen zur Durchführung einer Aktuellen Stunde
auch auf unzureichende Antworten derRegierung in der
Regierungsbefragung gestützt werden.

Ich will für diese unzureichende Beantwortung von
Fragen bzw. die unzureichende Vorbereitung darauf nur
ein Beispiel nennen – eines von vielen –, nämlich den
Auftritt der Staatssekretärin Hendricks am 5. Juli 2000 in
der Regierungsbefragung im Bundestag, zu der sie von
Herrn Bundesminister Eichel geschickt wurde, um von
der vorangegangenen Kabinettssitzung zu berichten.
Durch unsere Frage an sie kam heraus, dass sie an der Be-
ratung des Kabinetts zu dem in der Regierungsbefragung
genannten Thema überhaupt nicht teilgenommen hatte.
Es ist nicht nur peinlich, wenn man zugeben muss, über
eine Kabinettssitzung zu berichten, bei der man nicht ein-
mal zugegen war. Dies zeigt auch, wie ernst die Bundes-
regierung ihre parlamentarischen Pflichten nimmt.

Zu beklagen ist auch immer wieder, dass die Bundes-
regierung auf schriftliche Fragen nicht in der vorge-
schriebenen Wochenfrist antwortet und häufig nicht ein-
mal den Grund mitteilt, warum die Frist immer wieder
und immer mehr nach hinten gezogen wird. Besonders
krass fallen da das Auswärtige Amt und das Verteidi-
gungsministerium auf. Die krassesten Fälle, die wir in
diesen Wochen haben erleben müssen, betreffen Frist-
überschreitungen um fünf, vier und drei Wochen. Ich
meine, dass das nicht sein darf und wir uns Gedanken da-
rüber machen müssen, wie wir auch zu aktuellen Themen
die Debatte erleichtern und bereichern können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen darf ich Sie herzlich bitten, diesem Antrag

zuzustimmen. Wenn Sie schon Ihr Kritikvermögen be-
züglich der Regierungspolitik an der Mehrheitspforte ab-
gegeben haben, so will ich doch wenigstens den einen
oder anderen von Ihnen – insbesondere die Kollegin
Rennebach, die sich ja gerade durch außerordentlich qua-
lifizierte Zwischenrufe ausgezeichnet hat,


(Renate Rennebach [SPD]: Zum Schluss keine solchen Beleidigungen, Herr von Klaeden! Das regt uns auf! So können Sie mit der SPD-Fraktion nicht umgehen!)


von denen ich hoffe, dass sie alle ins Protokoll gelangt
sind –, an die Initiativen Ihrer Fraktion zur Änderung der
Geschäftsordnung in der letzten Legislaturperiode erin-




Eckart von Klaeden
17666


(C)



(D)



(A)



(B)


nern. Vielleicht wahren Sie ja in diesem Falle – wenn Sie
sich schon bei den großen Themen nicht an Ihre eigenen
Anträge erinnern – eine gewisse Kontinuität und tun das,
was Sie vor der Wahl versprochen haben.

In diesem Sinne darf ich Sie bitten: Stimmen Sie unse-
rem Antrag zu!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417919200
Gehen Sie
milde mit dem Kollegen von Klaeden um; er hat zweiein-
halb Stunden Redezeit eingespart.


(Renate Rennebach [SPD]: Zweieinhalb Stunden? – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zweieinhalb Minuten!)


– Was habe ich gesagt?

(Zurufe: Zweieinhalb Stunden! – Heiterkeit)


– Zweieinhalb Stunden? Nein, das wäre wirklich zu viel.
Aber immerhin zweieinhalb Minuten!

Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417919300
Herr
Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich hoffe, da-
raus wird dann nicht der nächste Geschäftsordnungsantrag,
die Redezeit der CDU generell auf zweieinhalb Stunden
auszudehnen.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt den Ge-
schäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ab. Ich
möchte diese Ablehnung auch begründen:

Sie haben vorgetragen, dass es ein dringendes Bedürf-
nis Ihrer Abgeodneten für eine Erweiterung der Möglich-
keit, Aktuellen Stunden im Deutschen Bundestag durch-
zuführen, gibt. Nun möchte ich nicht in Abrede stellen,
dass wir im Parlament gemeinsam immer wieder disku-
tieren und nach Möglichkeiten suchen sollten, unsere ei-
gene Arbeit hinsichtlich Transparenz, Bürgerfreundlich-
keit, auch der Herstellung von Öffentlichkeit von
Debatten und natürlich auch von Aktualität zu verbessern.
Aber wenn Ihr Antrag, Herr von Klaeden, bereits vor zwei
Jahren hier im Plenum in das Verfahren eingebracht wor-
den ist – und dies auch noch auf den dringenden Wunsch
der Abgeordneten Ihrer Fraktion hin –, dann frage ich
mich, worin die Aktualität des Themas besteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es geht um die Geschäftsordnung! – Zuruf von der F.D.P.: Sie haben nicht zugehört!)


– Nein, nein; es geht auch um die Aktualität von Anträ-
gen, die wir hier im Plenum behandeln, und ich frage
mich, ob dieser Antrag Ihrer Fraktion auf Änderung der
Geschäftsordnung dadurch eine neue Aktualität bekom-
men hat, dass der Wahlkampf für den nächsten Bundestag
vor der Tür steht.


(Zuruf von der SPD: Herr von Klaeden hat in der Mottenkiste gewühlt!)


Meine zweite Begründung für die Ablehnung dieses
Antrages beruht auf meiner Befürchtung, dass wir durch
diese Möglichkeit eine Verschlechterung der Qualität
der Debatten bewirken. Wenn ich mir anschaue, wie sich
die Fragestunden hier im Parlament – und teilweise auch
die Aktuellen Stunden – in der Vergangenheit entwickelt
haben, dann glaube ich nicht, dass es gerade dies ist, was
die Bürger manchmal an der politischen Arbeit stört, näm-
lich dass zu wenig Debatten dieser Art geführt werden, die
einen kurzfristigen aktuellen Schlagabtausch ermögli-
chen. Mein Eindruck bei der Arbeit vor Ort, wenn ich mit
den Bürgern darüber diskutiere, ist vielmehr, dass sie sich
mehr vertiefende, grundsätzliche Debatten, die manchmal
auch von ein bisschen mehr Nachdenklichkeit geprägt
sind – wie beispielsweise beim Thema Gentechnik –, und
nicht das oftmals doch etwas stark auf den politischen
Schlagabtausch zielende Debattieren in den Aktuellen
Stunden wünschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das gehört aber ebenfalls zum Parlamentarismus!)


Die Kurzfristigkeit, die mit der Debattenform, die Sie
hier vorschlagen, verbunden ist, impliziert, dass sich die
Abgeordneten auf diese Art von Debatten nicht ausrei-
chend vorbereiten können. Das unterscheidet die Möglich-
keit, eine Aktuelle Stunde aus der Regierungsbefragung he-
raus zu entwickeln, von der Möglichkeit, eine Aktuelle
Stunde aus der Fragestunde heraus zu entwickeln. In den
Fällen ist natürlich die Vorbereitungszeit für die Abgeord-
neten vorhanden. Man führt in der Regel eine Recherche
durch, um eine Frage einzubringen. Auch bei dringlichen
Fragen habe zumindest ich das bisher immer getan.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben Angst vor der freien Rede!)


Hierfür ist eine Vorbereitung notwendig, die die Abge-
ordneten bei der Form, die Sie vorschlagen, nicht mehr
leisten müssten. Diese mangelnden Recherchen und Vor-
bereitungen würden zu einem relativ flachen Niveau in
diesen Debatten führen.

Ein weiterer Grund, den ich anführen möchte, ist, dass
die Möglichkeit der Entwicklung von Aktuellen Stunden
aus der Fragestunde heraus bisher überhaupt nicht ausge-
schöpft worden ist. Der Kollege Küster hat Ihnen die ent-
sprechenden Zahlen genannt; ich möchte sie nicht wie-
derholen. Es gab sehr wenige Aktuelle Stunden zum einen
aus der Fragestunde und zum anderen aus den dringlichen
Anfragen heraus.

Das ging sogar so weit, Herr von Klaeden, dass Sie bei
einem Thema, bei dem Ihre Fraktion sehr viele Fragen für
die Fragestunde eingereicht hatte und bei dem Sie auch in
der Fragestunde immer wieder insistiert hatten, die Regie-
rung würde nicht ausreichend oder ausweichend antwor-
ten und Ihnen würden die Antworten nicht gefallen, mit
dieser Begründung sehr wohl die Möglichkeit gehabt hät-
ten, eine Aktuelle Stunde anzuschließen. Ihre Geschäfts-
führung hat aber bewusst auf diese Möglichkeit verzichtet,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir werden diesen Wünschen in Zukunft nachkommen, Frau Kollegin!)





Eckart von Klaeden

17667


(C)



(D)



(A)



(B)


weil Ihnen gar nicht an einer Aktuellen Stunde zu diesem
Thema gelegen war.

Von daher meine ich, dass die Geschäftsordnung aus-
reichend Möglichkeiten vorsieht, solche Debatten zu
führen. Ich plädiere dafür, dass wir unser Augenmerk bei
der Weiterentwicklung der parlamentarischen Arbeit da-
rauf richten, die Debatten in der Qualität und nicht unbe-
dingt in der Quantität zu verbessern.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417919400
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Jörg van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1417919500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich habe gerade aufmerksam zu-
gehört


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das haben wir unterstellt! – Zuruf von der SPD: Das erste Mal heute!)


und überlegt, ob es irgendein Argument gegen den Vor-
schlag der CDU/CSU-Fraktion gegeben hat, das wirklich
überzeugt hat. Wenn man das Ganze wertet, muss man
feststellen: Dieses gibt es nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Denn all die Gefahren, die aufgezeigt worden sind

– Missbrauch oder man könne sich nicht vorbereiten –,
sind doch Argumente, die nicht wirklich überzeugen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Genau!)

Denn die Bundesregierung bestimmt Themen für die Re-
gierungsbefragung, die in der öffentlichen Diskussion ste-
hen. Deshalb gibt die Bundesregierung schließlich be-
stimmte Themen in die Kabinettsberatungen und legt dann
auch Wert darauf, darüber intensiver zu informieren. Daher
erwarte ich von jedem Regierungsmitglied, dass es in der
Lage ist, frei dazu zu reden, wie wir es als Abgeordnete nach
unserer Geschäftsordnung schließlich auch tun müssen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr von Klaeden aber nicht gemacht!)


Deshalb erwarte ich auch, dass die Abgeordneten den
Stoff beherrschen und dazu etwas sagen können. Ich
meine auch nicht, dass die Gefahr eines Missbrauchs
wirklich besteht.

Alle Fraktionen überlegen sich zu Beginn der Woche,
welches Thema sie gegebenenfalls zum Gegenstand einer
Aktuellen Stunde machen. Deshalb wird sehr sorgfältig
überlegt, aus einer Regierungsbefragung eine neue Aktu-
elle Stunde zu entwickeln, die nicht vorgeplant ist. Das
wird nur in Ausnahmefällen geschehen. Das heißt also,
dass für ein solches Vorgehen schon eine vernünftige Be-
gründung dafür vorliegen muss.

Deshalb ist das, was ich als Vertreter der F.D.P.-Frak-
tion im Geschäftsordnungsausschuss vorgeschlagen habe,

nach meiner Auffassung vernünftig: Es hat sich im Bun-
destag immer wieder bewährt, dass wir neue Formen ein-
fach einmal ausprobiert haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Genau!)


Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir das machen,
was wir bei vielen anderen Änderungen auch gemacht ha-
ben, nämlich eine Erprobungsphase, einen Zeitraum von
einem halben oder ganzen Jahr, festzulegen und anschlie-
ßend zu entscheiden; ob das gut war bzw. sich nicht be-
währt hat.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)


Sie alle wissen, dass es Dinge wie die Kurzintervention
gegeben hat, bei denen wir nachher alle der Auffassung
waren, dass sie gut waren, und sie deshalb fortgesetzt ha-
ben.

Es ist interessant, dass es gerade Kollegen von der
SPD-Fraktion waren, zum Beispiel der Kollege Conradi,
die immer wieder für diese Möglichkeit gefochten und
beispielsweise auf die guten Erfahrungen damit in Groß-
britannien hingewiesen haben.

Ich bin dafür, dass wir es auch probieren. Deshalb wer-
den wir gegen die Beschlussempfehlung stimmen, die das
Ganze ablehnt. Wir sind für eine Erprobung neuer Formen
im Deutschen Bundestag.


(Zuruf von der SPD: Dann ändern Sie doch Ihr Abstimmungsverhalten! – Zuruf von der F.D.P.: Wir sind nicht nur für neue Formen! Wir sind auch für neue Mehrheiten!)


Es kann uns nur dienen, wenn wir aktuelle Themen auf-
greifen und die Bevölkerung das Gefühl hat, wir diskutie-
ren aktuelle und nicht nur solche Themen, die mögli-
cherweise schon ein paar Mal durchgekaut worden sind.
Es tut uns und vor allen Dingen auch unserem Ansehen
gut, dass wir etwas ausprobieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417919600
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung
der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages auf
Drucksache 14/2007. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/542 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide
Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), Hans-
Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten




Steffi Lemke
17668


(C)



(D)



(A)



(B)


Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90 /DIE GRÜNEN
Fahr Rad – für ein fahrradfreundliches
Deutschland
– Drucksache 14/6441 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol-
legin Heide Mattischeck für die Fraktion der SPD das Wort.


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1417919700
Herr Präsident! Liebe
Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine Herren und Damen!
Ich möchte ganz kurz auf den Aufruf des Tagesordnungs-
punktes durch den Herrn Präsidenten eingehen. Der Titel
des Antrags heißt bewusst nicht „Fahrrad – für ein fahr-
radfreundliches Deutschland“, sondern „Fahr Rad – für
ein fahrradfreundliches Deutschland“. Das hat einen
Grund. Das soll keine Kritik an Ihnen sein, Herr Präsi-
dent. Ich wollte nur darauf hinweisen.

Die Entwicklung des Fahrrades von dem hölzernen
Laufrad des Karl Friedrich Drais Freiherr von Sauerbronn
aus dem Jahre 1817 über den normalen Drahtesel hin zu
einem Hightechverkehrsmittel ist gerade in den letzten
Jahren und Jahrzehnten rasant vorangegangen. Wir haben
leider nicht entdecken können, dass dem Fahrrad als Ver-
kehrsmittel und gerade als Alltagsverkehrsmittel die
Anerkennung zuteil wird, die es eigentlich verdient. Seit
der Durchsetzung des Autos als Massenverkehrsmittel
stand das Fahrrad immer weiter in dessen Schatten.

Während der Autoverkehr unsere Städte immer mehr
verstopfte und die Atmosphäre durch die Abgase schä-
digte, hat es die Politik auf allen Ebenen, jedenfalls zum
größten Teil, viel zu lange vernachlässigt, das Fahrrad als
Alternative zum Auto entsprechend zu fördern. Dabei
stellt das Fahrrad, wie wir alle aus Statistiken und zum
Teil aus eigener Erfahrung wissen, in vielerlei Hinsicht
auf kurzen Strecken ein ideales Verkehrsmittel dar. Es
schützt die Umwelt und das Klima, weil es keine Abgase
und kein CO2 freisetzt. Außerdem stinkt es nicht, wie diesdie Autos immer noch tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es schützt die Menschen, weil es keinen Lärm macht. Es
macht unsere Städte lebenswerter, weil es unnötigen
Flächenverbrauch durch parkende Autos verhindert.


(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


– Herr Goldmann, das können Sie alles nachher erzählen.
Ich höre Ihre Stimme ausgesprochen gern, aber vielleicht
kann ich Sie besser verstehen, wenn Sie nachher von hier
vorn sprechen.

Es nützt – wir waren vorhin gerade bei dem wichtigen
Thema Gesundheit – der Gesundheit, weil es ein Mittel
gegen den Bewegungsmangel ist. Ich denke mir, das ist
ein Problem, das gerade uns als Abgeordnete besonders
betrifft, die wir den ganzen Tag sitzen. Das Fahrrad ent-
lastet damit auch die Krankenkassen. Es nützt im Übrigen
– das wird viel zu selten beachtet – auch der Wirtschaft;
denn Fahrradherstellung und -handel sind wachsende
Branchen mit überwiegend mittelständischen Strukturen.
Nicht zuletzt profitiert vom Radfahren auch noch der Tou-
rismus in Deutschland, weil ganz Deutschland ein attrak-
tives Gebiet für den Radtourismus ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich fahre zu Hause immer Fahrrad!)


– Genau, da sind wir uns ja alle einig. Das finde ich ganz
prima.

Alle dieses Vorteile sind in der Vergangenheit durch die
Politik bedauerlicherweise sträflich vernachlässigt wor-
den, gerade weil sich die Aufmerksamkeit so stark auf das
Auto konzentrierte.

Seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998 hat es hier
einen deutlichen Wandel hin zu einer Verkehrspolitik ge-
geben, das Potenzial des Fahrrades stärker auszuschöp-
fen. Ein erster Schritt auf diesem Weg war der noch in der
alten Legislaturperiode beschlossene und dann nach dem
Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung bereits im
März 1999 veröffentlichte 1. Fahrradbericht einer deut-
schen Regierung. Im Mai 2000 wurde dieser Bericht im
Kabinett verabschiedet und hier im Plenum beraten.

Ebenfalls eine Premiere in diesem Zusammenhang war
die am 24. Januar dieses Jahres durchgeführte Anhörung
im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Ge-
rade auf dieser Anhörung haben wir von den Fachleuten
und von den Verbänden wichtige Informationen erhalten.
An dieser Stelle möchte ich mich besonders herzlich beim
ADFC bedanken, der sich sehr stark daran beteiligt und
sehr viele Anregungen gegeben hat, die wir künftig um-
setzen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Im Zentrum der Forderungen praktisch aller anwesen-
den Expertinnen und Experten stand die Verabschiedung
eines nationalen Radverkehrsplanes. Auch unser Bun-
desminister hat sich inzwischen sehr stark hinter diese Sa-
che gestellt. Ich denke, dass wir zusammen eine ganze
Menge in diesem Bereich erreichen werden.

Wir haben das Anliegen der Experten aufgegriffen und
in unserem Antrag konkretisiert. Er stellt damit einen ers-
ten – und nicht den letzten – Höhepunkt – das kann ich Ih-
nen versprechen – in den Bemühungen der Koalition zur
Stärkung des Verkehrsmittels Fahrrad dar. Ich will in die-
sem Zusammenhang erwähnen, dass auch die CDU/CSU




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17669


(C)



(D)



(A)



(B)


einen Antrag vorgelegt hat; allerdings leider schon vor der
Anhörung, Herr Börnsen. Aber nach nochmaligem
Durchlesen habe ich festgestellt, dass es sehr viele Ge-
meinsamkeiten und Berührungspunkte gibt, sodass wir
hier sicherlich gemeinsam weiterarbeiten können.

Im Fahrradverkehr stecken sehr große Wachstumspo-
tenziale. Diese sind unübersehbar. Wir müssen gar nicht
weit über unsere Grenzen blicken, um zu sehen, was
schon heute in unseren Nachbarländern möglich ist: Zum
Beispiel in den Niederlanden deckt das Fahrrad mehr als
ein Viertel des gesamten Verkehrsaufkommens ab. In
Deutschland sind es gerade einmal 12 Prozent. Während
die Fahrradhochburgen Münster und Borken mit einem
Fahrradanteil von etwa 40 Prozent mit den fahrradfreund-
lichen niederländischen Städten beinahe mithalten kön-
nen, liegt der Fahrradanteil in vielen deutschen Großstäd-
ten zwischen 5 und 10 Prozent. Ich meine, das ist in einem
sehr starken Maße ausbaufähig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst eine ausgewiesene Fahrradstadt wie die Stadt

Erlangen, aus der ich komme, hat mit einem Fahrradanteil
von 28 Prozent – für die man allerdings auch etwas tun
musste – noch deutliche Entwicklungsspielräume, vor al-
lem wenn man bedenkt, dass dort im Berufsverkehr noch
mehr als die Hälfte aller Fahrten unter vier Kilometern mit
dem PKW zurückgelegt wird.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Welche Partei stellt denn den Oberbürgermeister?)


– Ich kann Ihren Zuruf leider nicht beantworten. Melden
Sie sich zu einer Zwischenfrage! Dann antworte ich Ihnen
gerne.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das haben Sie doch verstanden! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Welcher Partei gehört der Oberbürgermeister an?)


Wir haben also ein ideales Verkehrsmittel, das nicht
nur emissionsfrei, sondern auf kurzen Strecken im Stadt-
verkehr auch noch wesentlich schneller ist als die Kon-
kurrenz, das Auto. Das zeigt die Erfahrung. Es bestehen
in Bezug auf dieses Verkehrsmittel unübersehbare Poten-
ziale und auch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein der
Bürgerinnen und Bürger, das wir nutzen und an dem wir
ansetzen sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt muss die Politik in diesem Bereich einen Durch-

bruch schaffen und alle gesetzlichen, technischen, stadt-
planerischen und nicht zuletzt auch psychologischen Hin-
dernisse aus dem Weg räumen, die uns von einer besseren
Nutzung dieses Verkehrsmittels trennen. Genau das soll
unser Antrag und vor allem der darin geforderte „Master-
plan Fahr Rad“ erreichen.

Einen Vorzug des Fahrradfahrens habe ich in meiner
Aufzählung vorhin noch nicht erwähnt; denn er ist ei-
gentlich gar kein gesellschaftlicher, sondern ein indivi-
dueller. Wer es noch nicht entdeckt haben sollte: Fahrrad
fahren macht ausgesprochen Spaß.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)


Es ist auch viel kommunikativer als jede andere Art der
Fortbewegung.

Aber ich muss das einschränken: Fahrrad fahren macht
nur dann Spaß, wenn auf allen politischen Ebenen Maß-
nahmen ergriffen werden, die das Fahrradfahren sicher,
bequem und unkompliziert machen, was man beispiels-
weise von der Umgebung des Reichstages nun wahrlich
nicht behaupten kann. Trotzdem sehe ich hier immer wie-
der eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen mit dem
Fahrrad. Es ist nicht ganz ohne Abenteuer, was sich hier
manchmal abspielt.

Um die Attraktivität des Fahrradfahrens in Deutsch-
land zu steigern, braucht es einen Qualitätssprung – so
will ich das nennen – im Hinblick auf die Infrastruktur.
Eine funktionstüchtige Fahrradinfrastruktur muss die
Sicherheit und die Mobilität der Fahrradfahrerinnen und
Fahrradfahrer gewährleisten und unnötige Umwege ver-
meiden. Vor allem im Vergleich mit anderen Verkehrs-
mitteln erfordert die Infrastruktur für das Fahrrad keine
großen Investitionen; auch das sollte man betonen. Man
kann hier mit sehr wenig Geld eine Menge tun. In vielen
Fällen ist es mit einigen Linien auf der Straße und einer
besseren Ausschilderung getan. Eine generelle Trennung
des Fahrradverkehrs vom motorisierten Verkehr ist häufig
nicht notwendig. Das gilt zum Beispiel für Tempo-30-Zo-
nen oder auf wenig befahrenen Straßen. Überhaupt ist ein
Mischverkehr sinnvoll.

Wer gestern die „Berliner Zeitung“ gelesen hat, konnte
darin einen Artikel über die Sicherheit des Fahrradver-
kehrs finden. Durch vielerlei Untersuchungen ist statis-
tisch erwiesen, dass gerade Radwege unter Umständen
eine Sicherheit vortäuschen, die nicht besteht. Gerade
beim Abbiegen von den Radwegen auf die Straße passie-
ren eine Menge Unfälle, die vermeidbar sind, wenn der
Radfahrer auf der Straße fährt und er dabei mit den Auto-
fahrern kommunizieren kann.

Ein wesentlicher Punkt ist für uns eine Änderung des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Es geht hier
nicht um mehr Geld, sondern darum, die vorhandenen
Mittel anders zu verteilen. Das Gesetz müsste in Bezug
auf die Bedürfnisse der Fahrradfahrer einfacher handhab-
bar werden. Heute werden sinnvolle Verkehrsinfrastruk-
turprojekte häufig durch Bagatellgrenzen und die Ver-
knüpfung von Radwegebau und Straßenbau blockiert.

Grundlage jeder Förderung durch das Gemeindever-
kehrsfinanzierungsgesetz müssen nach unseren Vorstel-
lungen künftig aktuelle Radverkehrsbedarfspläne sein.
Die Förderung darf auch nicht bei den Radwegen Halt
machen, denn zur Radinfrastruktur gehören auch Fahr-
radstationen, sichere Fahrradabstellplätze und Ähnliches
mehr. Diese Aufzählung könnte ich beliebig fortsetzen.

Gemeinsam – der Bund kann und will bei diesem
Thema nicht alleine handeln – mit den Ländern und Kom-
munen wollen wir darüber hinaus die Möglichkeiten eines
Sonderprogramms im Rahmen des „Masterplans Fahr
Rad“ prüfen. Auch dieses sollte über das Gemeindever-
kehrsfinanzierungsgesetz finanziert werden.

Neben diesen wichtigen Maßnahmen, die im Wesentli-
chen die Kommunen umsetzen müssen, gibt es auch über-




Heide Mattischeck
17670


(C)



(D)



(A)



(B)


regionale Aufgaben, die sich dem Bund stellen. Als tou-
ristisches Fernverkehrsmittel hat das Fahrrad eine sehr
große Bedeutung gewonnen; diese Tatsache bestätigt uns
immer wieder der Tourismusausschuss. In diesem Punkt
ist der Bund gefragt: Er muss für ein nationales Radrou-
tennetz sorgen, das an entsprechende Vorarbeiten des
ADFC für ein Radfernwegenetz Deutschland anknüpft.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417919800
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidt?


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1417919900
Ja.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Kollegin Mattischeck, würden Sie mir
darin zustimmen, dass es nicht schaden könnte, wenn vor
dem Deutschen Bundestag ein paar Fahrradständer mehr
stehen würden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1417920000
Herr Kollege Schmidt, ich
stimme Ihnen voll und ganz zu. Diese Sache ist eines von
den schlechten Dingen, die ich vorhin nannte. Ich möchte
daran erinnern – ich setze große Hoffnungen auf das, was
jetzt in Berlin passieren soll –: Wir haben uns vor fünf Jah-
ren gemeinsam für ein fahrradfreundliches Regierungs-
viertel eingesetzt und sehr viele Vorschläge gemacht, wie
man den so genannten Binnenverkehr im Regierungsvier-
tel fahrradfreundlicher gestalten kann. Leider sind wir da-
mals weder beim Bund noch bei der Landesregierung auf
offene Ohren gestoßen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich dachte, die SPD sei überall dabei gewesen!)


Ich gehe davon aus, dass wir die Situation in den nächs-
ten Monaten – ich habe vorhin schon entsprechende Ge-
spräche geführt – stark verbessern können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU])


Es geht bei dem Radfernwegenetz Deutschland um
die Verknüpfung bestehender regionaler und touristischer
Radrouten. Wenn man im Urlaub mit dem Fahrrad unter-
wegs ist, erlebt man es oft, dass es in einem Landkreis
wunderbare Fahrradwege gibt, aber keine entsprechenden
Verbindungen mit dem Netz anderer Landkreise vorhan-
den sind. Oft fehlen auch nur entsprechende Hinweise.
Hier ist großer Handlungsbedarf vorhanden. Unser Ziel
ist der Ausbau von mindestens zwölf nationalen Fahr-
radrouten mit etwa 8 000 Kilometern Streckenlänge bis
zum Jahre 2010.

Weitere Schritte sind bei der Erhöhung der Sicherheit
des Radverkehrs zu gehen. Hier gibt es noch eine ganze
Menge zu tun wie zum Beispiel die bestehende Straßen-
verkehrsordnung anzupassen. Auch das ist Bestandteil
unseres Antrags.

Eines will ich noch erwähnen: Was ich im Moment be-
sonders ärgerlich finde, ist das Verhalten der Bahn, was
den Transport von Fahrrädern im Fernverkehr angeht. Im
Nahverkehr kommt man einigermaßen zurecht, aber was
die Fernverkehrsstrecken betrifft, ist die Situation ganz
miserabel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch hierzu haben wir uns in unserem Antrag geäußert.
Wir wissen, dass wir diesbezüglich auf Gespräche und

anderes angewiesen sind. So könnte man beispielsweise
über eine Ausdehnung der Beförderungspflicht von Per-
sonen und Reisegepäck auf Fahrräder reden. Ich hoffe,
dass die Bahn durch diesen Hinweis zu einer vernünftigen
Lösung zu bewegen ist; denn auch sie müsste langsam er-
kennen, dass Personen, die ihr Fahrrad in den Urlaub mit-
nehmen – auch dies kann man statistisch belegen –, häu-
figer Bahn fahren als andere und auch die potenteren
Geldausgeber sind. Das haben inzwischen auch Hotels
und Gasthäuser zur Kenntnis genommen, die früher nicht
gern Radler aufnahmen, inzwischen jedoch wissen, dass
diese Menschen auch ganz gern Geld ausgeben.

Wir haben auch etwas zur Imagepflege gesagt und auf-
gezeigt, wo wir noch eine ganze Menge tun müssen. In Zu-
sammenarbeit von Bund, Land und Kommunen sowie al-
len beteiligten Verbänden werden wir in den nächsten
Jahren einen ganz großen Schritt im Sinne der Gesundheit,
der Umwelt und auch des Spaßhabens vorankommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417920100
Nun kommt
ein Radfahrer von der Küste. Ich gebe dem Kollegen
Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) (von der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe etwas
mitgebracht, was der jetzige Verkehrsminister, Kurt
Bodewig, und der frühere Verkehrsminister, Matthias
Wissmann, in der Öffentlichkeit zu tragen propagiert ha-
ben, was ich anerkennenswert finde, nämlich einen Fahr-
radhelm.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aufsetzen!)


Dies sollte vor allen Dingen den Radrennfahrern einmal
unter die Haut gehen – sie sind für die Kids oft Vorbil-
der –, die bei den Rennen nicht den Helm benutzen. Wir
alle sollten dazu beitragen, bei allen Radfahrern stärker
für die Helmpflicht zu werben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine charmante Kollegin Heide Mattischeck hat auf-
gezeigt, wie viele Gemeinsamkeiten es im Radverkehr




Heide Mattischeck

17671


(C)



(D)



(A)



(B)


gibt. Das ist richtig; nur, diese Politik, auf die sie mit der
Frage des Radverkehrs abgestellt hat, ist nicht 1998 er-
funden worden. Den Drahtesel gab es vorher schon.


(Beifall des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU])

Heute geht es ums Rad, aber auch – nun wird es erns-

ter – um die Produktpiraterie. Vor genau zwölf Monaten
haben wir von der Union einen Antrag mit dem Titel „Für
ein fahrradfreundliches Deutschland“ gestellt. Dessen
Eckpunkte waren: Realisierung eines nationalen Radver-
kehrswegeplanes, Schaffung eines Fahrradforums in
Deutschland, Verbesserung der Steuergesetzgebung zur
Beförderung des Umsteigens auf das Fahrrad, Anhebung
der Mittel nach dem Bundesfernstraßengesetz auf den
Stand von 1999, um mehr Radwege bauen zu können, An-
hebung der GVFG-Mittel auf die Höhe der 90er-Jahre, um
mehr Ländern und Gemeinden zu mehr Radwegen zu ver-
helfen, Verdoppelung der Bundesradtouren, Erweiterung
der Fahrradmitnahme bei der Bahn auch bei Schnellzü-
gen, Optimierung der Verkehrssicherheitsmaßnahmen für
Radfahrer, Vernetzung von Radwegen und ein besseres
Dienstleistungsangebot der DB auf den Bahnhöfen mit ei-
nem gesonderten Service fürs Rad.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht so schlecht für die CDU/ CSU!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417920200
Herr Kol-
lege Börnsen, geben Sie Ihrer niedersächsischen Kollegin
die Chance zu einer Zwischenfrage?


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1417920300
Gerne.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1417920400
Herr Kollege Börnsen, wäre es
nicht möglich, da auch Abgeordnete leicht stürzen kön-
nen, dass Sie Ihre Rede heute mit dem Helm auf dem Kopf
halten?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1417920500
Ver-
ehrte Kollegin, ich bedanke mich für die Frage. Aber wir
haben hier kein Kabarett. Bei Kopfverletzungen hört der
Spaß auf. Der Helm ist nicht dazu da, etwas zu karikieren.
Mir wäre lieber, wenn Sie als Vertreterin der früheren Op-
position, die die Helmpflicht gefordert hat, jetzt auch dazu
stehen würden. Von der Helmpflicht findet sich in Ihrem
Konzept überhaupt nichts mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe Ihnen eben das Zehn-Punkte-Konzept der

Union vorgetragen.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ein sehr gutes Programm!)

Dadurch sollte die Attraktivität des Fahrradverkehrs ge-
fördert, die Renaissance des Rades verstärkt, zu einem
Umstieg auf das Fahrrad beigetragen, die Umwelt ge-
schont, die Gesundheit gefördert und der Nahverkehr ent-

lastet werden. Aber mit der Mehrheit von Sozialdemokra-
ten und Grünen ist dieser wirklich fundierte Antrag vor
zwölf Monaten abgelehnt worden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ja, sehr schade!)

Man hat die Diskussion einer Thematik verhindert, die zu
forcieren wichtig ist. Die Mehrheit beider Fraktionen hat
dazu beigetragen, dass ein Jahr für die Arbeit, zu mehr
Fahrradförderung zu kommen, verstrichen ist.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das nach 16 Jahren CDU/CSU-Regierung!)


Man war Bremser, aber nicht Forcierer.
Zwölf Monate später legen beide Fraktionen selbst ei-

nen Antrag vor; er war zwar noch nicht in einem Aus-
schuss, aber dafür in der Presse. Die Parlamentsprozedur
interessiert wenig, allein die öffentliche Wirkung. Der
Titel des Antrages ist besonders bemerkenswert: „Fahr
Rad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“. Die
Überschrift unseres Antrages vor zwölf Monaten lautete:
„Für ein fahrradfreundliches Deutschland“.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist Produktpiraterie!)


Aber nicht nur die Schlagzeile wurde kopiert, auch die In-
halte sind fast wortwörtlich übernommen. Das nennt man
Produktpiraterie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch es ist hier wie in der Schule: Abgeschrieben wird

stets bei Besseren. Wenn es der Sache dient, okay. Wir las-
sen mit uns reden.

Aber ich muss mich korrigieren: Nicht alles ist abge-
schrieben. Von unseren zehn Punkten fehlen die, bei de-
nen es konkret wird, die Geld kosten. Da beugt man sich
dem Diktat des Finanzministers.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für Radfahrer wird seit der Regierungsübernahme durch
SPD und Grüne weniger Geld ausgegeben als in den 90er-
Jahren. Es werden auch weniger Radwege gebaut. Da-
mals wurden 350 Kilometer Fahrradwege an Bundes-
straßen gebaut, heute nur noch 300 Kilometer. Damals
wurden die GVFG-Mittel für den Radverkehr in Gemein-
den und Ländern konstant bei 3,28 Milliarden DM stabi-
lisiert. Dieses Niveau ist seit dem Regierungswechsel
nicht mehr erreicht worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man fordert Vernetzung, aber kürzt die Mittel. Das nenne
ich Bürgertäuschung.

Auch aus den UMTS-Milliarden ist kein Sonderfonds
für den Radwegebau geschaffen worden, obwohl die Rad-
fahrverbände dafür plädierten. Auch hier Fehlanzeige bei
mehr Radförderung.

Das gilt auch für die Entfernungspauschale.Auf un-
serer von Heide Mattischeck vorgestellten öffentlichen
Anhörung zum Fahrradverkehr rechnete ein Repräsentant
der Fahrradklubs unwidersprochen vor, dass man täglich




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

17672


(C)



(D)



(A)



(B)


43 Kilometer Rad fahren muss, um in den Genuss der
Segnungen der Entfernungspauschale zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417920600
Herr Kol-
lege Börnsen, die Kollegin Iwersen möchte eine Frage
stellen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1417920700
Ich
möchte jetzt erst einmal im Zusammenhang vortragen.

Auch die Forderung des ADFC, statt 300 Kilometer
jährlich 600 Kilometer Radwege zu bauen und 3 Prozent
der Mittel des Verkehrshaushalts für den Radverkehr vor-
zusehen, findet im Haushalt keinen Niederschlag. Nicht
ein Boom für mehr Fahrrad wird angestoßen, sondern es
wird ein Bluff produziert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Als Radfahrer würde ich anmerken: Plattfuß prägt derzeit
die Fahrradpolitik der Bundesregierung. Wir erwarten,
dass man mit den Bürgern ehrlich umgeht.

Neue Radstreifen obligatorisch auf den Fahrbahnen zu
schaffen stellt sich wie eine Strafaktion gegen Autofahrer
dar. Eine Fahrbahnverengung presst den Verkehr durch
ein Nadelöhr und dient weder der Sicherheit der Rad-
fahrer noch dem Verkehrsfluss. Mehr Stress für alle ent-
steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir müssen das Verkehrsrisiko für Radfahrer weiter sen-
ken, so wie es in den 90er-Jahren praktiziert wurde. Die
Zahl der Unfälle ist von 74 000 am Anfang des Jahrzehnts
auf 68 000 gesunken – trotz einer Zunahme des Radver-
kehrs. Das war eine richtige und vernünftige Radver-
kehrspolitik.

Radfahrer haben keine Knautschzone. Ihre Sicherheit
muss unser oberstes Gebot sein. Dennoch haben Sozial-
demokraten und Grüne die Mittel für die Verkehrssicher-
heit gegenüber 1999 um 4 Millionen DM gekürzt. Das
nenne ich unverantwortlich.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Eine große Sauerei ist das! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Unglaublich!)


Zu wenig berücksichtigt bleibt auch der Tatbestand,
dass das Unfallrisiko von Radfahrern mehr als doppelt so
hoch ist wie das von PKW-Fahrern und Fußgängern. Je
mehr wir die Sicherheit verbessern, umso größer ist die
Bereitschaft, auf das Rad umzusteigen. Deshalb benöti-
gen wir nicht weniger, sondern mehr Mittel für die Ver-
kehrssicherheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Doch auch die passive Sicherheit von Radfahrern

muss gewährleistet sein. Bei der Konstruktion von PKW-
und LKW-Karosserien ist dem Schutz der schwächeren
Verkehrsteilnehmer, insbesondere dem von Kindern,
mehr Gewicht zu geben. Das gilt vor allem für die ge-

fürchteten „Kuhfänger“. Doch die Bundesregierung lehnt
es derzeit ab zu handeln: National soll nichts getan wer-
den; man will auf die EU warten. Das nenne ich unver-
antwortlich.

12 Prozent beträgt der Anteil des Radverkehrs am Ver-
kehrsaufkommen bei uns in Deutschland. Das ist eine
gute Zahl; gemessen aber an den Niederlanden, wo der
Anteil bei 27 Prozent liegt, ist es immer noch zu wenig.

Seit der Zeit der unionsgeführten Bundesregierung gilt
für die DBAG die Regelmitnahme für Fahrräder. Das ha-
ben wir erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gut 2,5 Millionen Fahrgäste haben im vergangenen Jahr
das Angebot angenommen. Es sollte aber auch auf
Schnellzüge ausgedehnt werden.

Völlig unberücksichtigt bleibt bei der Regierung der
Sachverhalt, dass es circa 420 000 Fahrraddiebstähle
pro Jahr in unserem Land gibt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das sind zu viele!)


Die Aufklärungsquote beträgt 9 Prozent, der Versiche-
rungsschaden, den wir alle zu tragen haben, etwa 130Mil-
lionen DM, legt man einen Wert von nur 300 DM pro
Fahrrad zugrunde.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Wenn Jahr für Jahr fast eine halbe Million Menschen bit-
tere Erfahrungen mit dem Fahrradklau macht, fördert das
nicht die Attraktivität dieses Verkehrsmittels. Wir brau-
chen eine verbesserte Diebstahlsicherheit fürs Fahrrad.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Aufwärts geht es nicht nur mit den Fahrraddiebstählen,
sondern auch, was erfreulicher ist, mit dem Fahrradtou-
rismus. Ernst Hinsken und andere engagieren sich stark
auf diesem Gebiet. Schleswig-Holstein, mein Heimat-
land, hat beim Fahrradtourismus einen Marktanteil von
11 Prozent. Es führt damit in Europa noch vor den Nie-
derlanden mit 10 Prozent und Spanien mit 7,5 Prozent. Es
tut uns allen gut und es ist prima, dass so etwas passiert.
Wenn mehr als 2 Millionen Deutsche im vergangenen
Jahr Radurlaub gemacht haben, ist das unterstützenswert
und förderungswürdig; denn das hat zu einem Umsatz von
8 Milliarden DM und zur Schaffung vieler neuer Arbeits-
plätze geführt.

Arbeitsplätze werden auch in der Industrie geschaf-
fen; das wird immer wieder ignoriert. Die Radproduktion
in Deutschland stieg von 2,82 Millionen im Jahr 1997 auf
3,4 Millionen im Jahr 2000 an. 30 000 Arbeitsplätze gibt
es allein in der Fahrradindustrie.

Die Bundesregierung trägt dieser Entwicklung noch zu
wenig Rechnung. Selbst nach der jüngsten Steuerreform
lohnt sich das Umsteigen auf das Rad nicht. Trotz
Angleichung des Freibetrages muss ein Radfahrer
nach Berechnungen von Steuerexperten täglich mindes-
tens 15,65 Kilometer zur Arbeit zurücklegen, um den




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


17673


(C)



(D)



(A)



(B)


Freibetrag überhaupt geltend machen zu können – eine
Entfernung, die die Ausnahme, aber nicht die Regel ist.
Das ist kein Anstoß zum Umstieg aufs Rad.

Doch gerade mehr Radnutzung sollte unser gemeinsa-
mes Ziel sein; da stimme ich meiner Vorrednerin zu. In der
Praxis haben wir, die Union, eine Pro-Fahrrad-Politik an
den Tag gelegt. Sie fing nicht erst 1998 an, sondern sie
konnte sich schon die ganzen 90er-Jahre über sehen las-
sen. Der erste – viel gelobte – Fahrradbericht der Bun-
desregierung war kein sozialdemokratischer und kein
grüner Bericht, sondern ist in der Zeit der Union und der
F.D.P. entstanden. Dieses Erstgeburtsrecht werden wir
uns auch nicht wegnehmen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das gilt auch für den Ausbau von 15 000 Kilometern Rad-
wegen an Bundesstraßen. Diese Leistung der früheren
Koalition kann sich wirklich sehen lassen. Das gilt ferner
für eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung und
auch für die Vernetzung von Schiene und Rad.

Alle Fraktionen haben in den 90er-Jahren mächtig
Druck für mehr Radpolitik gemacht. Wir, die Union, blei-
ben dieser Ausrichtung treu. Wir erwarten, dass die Bun-
desregierung das weiterführt, was in den 90er-Jahren ver-
nünftig, reell und seriös begonnen wurde. Doch dazu sind
mehr Mittel notwendig. Deshalb appellieren wir von die-
ser Stelle aus noch einmal an die Bundesregierung, die
UMTS-Milliarden auch für einen Sonderfonds für die
Förderung des Radverkehrs zu verwenden. 60 Millionen
Radfahrer in Deutschland wollen Taten und keine Trug-
bilder.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417920800
Jetzt spricht
der Kollege Winfried Hermann für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417920900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Börnsen, herzlichen Dank für Ihre Rede. Sie werden
jetzt von mir sicherlich keinen Schlagabtausch erwarten.
Ich finde, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht,
dass es in diesem Hause eigentlich keine Parteien gibt,
sondern nur noch Radfahrer und Nichtradfahrer. Wir
sind uns einig, dass Radfahren lange Zeit politisch, und
zwar von allen Parteien, in seinen Möglichkeiten unter-
schätzt wurde.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich bin ein Radfahrer und das ist gut so! – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Wir nicht!)


– Auch Sie haben das Radfahren unterschätzt. Sie haben
Ihren ambitionierten Antrag in der Opposition gestellt
und ihn jetzt wieder hervorgeholt, weil Sie stolz darauf
sind, die Ersten zu sein, die einen solchen Antrag einge-
bracht haben. Aber wenn Sie sich die Anträge der Oppo-
sitionsfraktionen aus der letzten Legislaturperiode an-

schauen, dann werden Sie feststellen, dass diese schon
viele Ihrer Ideen, die angeblich so originell sind, enthal-
ten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wird uns nicht weiter führen.
Ich bin froh, dass heute alle Fraktionen sagen: Das

Fördern des Radfahrens ist wichtig. Es muss mehr getan
werden; bisher war es zu wenig. – Keine Frage, das ist gut
so. Alle Fraktionen fordern ein ambitioniertes politisches
Programm für das Fahrrad, einen Masterplan „Fahr Rad“.
Aus meiner Sicht sind bei einem solchen Masterplan fol-
gende Eckpunkte von absoluter Bedeutung: Wenn wir das
Radfahren nach vorne bringen wollen, dann dürfen wir
nicht nur vom Radfahren reden, sondern müssen die In-
frastruktur entsprechend verbessern. Keine Frage, wir
brauchen mehr, bessere und vor allen Dingen breitere
Radwege. Das ist wichtig, damit mehr Menschen Rad fah-
ren können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch Geld zur Verfügung stellen! Nicht nur reden, sondern auch handeln!)


Die Kommunen, die Länder und auch der Bund müssen
Radwege bauen. Alle müssen mehr tun.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/ CSU)


Wir brauchen keine teuren Radwege auf schmalen
Gehwegen, wodurch womöglich Konflikte mit den
Fußgängern geschaffen werden. An den Stellen, wo es auf
dem Gehweg zu eng ist, um einen Radweg einzurichten,
muss auf die Straße ausgewichen werden. Ich bin der
Meinung, dass am einfachsten durch einen Pinselstrich
auf der Straße eine Spur für die Radfahrer geschaffen wer-
den kann, wie man es aus der Schweiz und anderen Län-
dern kennt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen [F.D.P.]: Nein, das ist zu gefährlich!)


Das sind preiswerte und schnelle Lösungen, die dem Rad-
fahren dienen.

In Tempo-30-Zonen, in denen der Verkehr langsam ist,
ist ein Mischverkehr ohne weiteres möglich. Dort müssen
gar keine Radwege eingerichtet werden. Aber das gilt nur
– das sage ich ganz klar – für den langsamen Verkehr.
Überall dort, wo der Verkehr schnell ist, sind Radwege
notwendig.

Wir müssen natürlich auch durch geeignete Maßnah-
men die Infrastruktur für das Fahrrad verbessern. Mein
Kollege aus Münster sagt mir immer: Schau dir unsere
Radstationen am Bahnhof an, dann weißt du, warum bei
uns so viele Menschen Rad fahren. Das ist wahr: Je bes-
ser die Infrastruktur ist und je besser zum Beispiel die
Möglichkeiten sind, Fahrräder sicher abzustellen, umso
mehr Menschen fahren Rad, weil sie keine Angst mehr




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

17674


(C)



(D)



(A)



(B)


haben müssen, dass ihr Fahrrad gestohlen wird. Das soll-
ten wir politisch unterstützen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir fordern, dass der Bund eine Initiative für
das Fahrrad starten soll, dann ist uns völlig klar, dass der
Bund keine zentrale Radfahrpolitik machen kann. Aber
der Bund soll initiieren, koordinieren und moderieren, da-
mit die verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten, sodass
zum Beispiel Lücken im Fahrradwegenetz geschlossen
werden können. Oft werden die schönsten Fahrradwege
auf einer Strecke von zehn Kilometern unterbrochen. Das
verhindert, dass mehr Menschen Fahrrad fahren. Es wäre
wichtig, die bestehenden Lücken im Fahrradwegenetz zu
schließen.

Außerdem müssen Verbindungen zu anderen Ver-
kehrsmitteln hergestellt werden. Es ist einfach ärgerlich
– meine Kollegin hat es schon angesprochen –, wenn die
Bahn das Fahrrad im Fernverkehr im Prinzip „hinaus-
schmeißt“. Das ist nicht akzeptabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bahn und alle anderen Träger der öffentlichen Ver-
kehrsmittel müssen dafür sorgen, dass Räder genauso wie
Kinderwagen problemlos mitgenommen werden können
und dass man ungehindert einsteigen kann. Alle Fahrrad-
zuwege der Bahn, die ich kenne, sind so, dass man nur
schlecht mit dem Fahrrad einsteigen kann.

Wir brauchen auch solche Einrichtungen wie „Call a
bike“ an den Bahnhöfen, damit man Bahn- und Radfahren
miteinander kombinieren kann. Es gibt also schon gute
Ideen und Konzepte.

Sie haben zu Recht gesagt: Ohne Moos nix los; man
muss mehr tun! Wir sagen klipp und klar: Wir wollen in
den nächsten Jahren den Radwegeausbau nicht nur for-
dern, sondern auch fördern. Die Mittel dafür sollen in re-
lativ kurzer Zeit prozentual verdoppelt werden, nämlich
von 1,2 auf 2,4 Prozent. Wir wollen, dass der Bau von
Radwegen zukünftig unabhängig vom Vorhandensein ei-
ner Bundesstraße möglich ist. Endlose Diskussionen über
den – am Ende oft nicht stattfindenden – Bau von Straßen


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Meistens der Grünen!)


sind für die Schaffung von Radwegen häufig eine
Blockade.


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch wenn Sie immer dazwischenreden: Ich erkenne,

dass Sie zumindest eine gewisse Sympathie für eine rad-
freundliche Politik haben. Rot-Grün nimmt das Rad-
fahren ernst. Ich hoffe auch, dass die rot-grüne Regierung
in Berlin die Defizite im Regierungsviertel der letzten
Jahre endlich beseitigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Rad in Berlin-Mitte unterwegs zu sein ist näm-
lich wirklich grauenhaft.

Unser Antrag heißt: „Fahr Rad – für ein fahrradfreund-
liches Deutschland“. An alle Politiker ist die Auffor-
derung gerichtet, regelmäßig Rad zu fahren. Das haben
heute circa 50 Abgeordnete getan, um damit deutlich zu
machen: Wir fahren Rad, auch hierhin, durch das Regie-
rungsviertel auf dem Weg zum Bundestag. Ich hoffe, Sie
tun das Gleiche und fahren in Ihrem Wahlkreis bzw. an-
derswo mit dem Rad. In diesem Punkt sind wir auch als
Vorbilder gefragt. Es ist wichtig, dass Menschen, die An-
zug und Krawatte tragen und von denen man daher nicht
glaubt, dass sie Rad fahren, im Alltag das Fahrrad benut-
zen, damit auf diese Art und Weise deutlich gemacht wird:
Das Rad ist nicht nur ein Freizeit-, sondern auch ein All-
tagstransportmittel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen [F.D.P.]: Herr Kollege, fangen Sie doch einfach mal mit der Krawatte an!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417921000
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Hans-Michael
Goldmann, Emsland.


(Heiterkeit)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1417921100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit das klar ist: Ich
rede von etwas, wovon ich richtig Ahnung habe. Ich bin
eigentlich an jedem Wochenende mit dem Fahrrad unter-
wegs. Spätestens sonnabends zeige ich mich damit dem
Volk.


(Heiterkeit)

– Jawohl. – Es geht mir zwar nicht ganz so wie dem Kol-
legen von der PDS; aber auch ich bin mit der Resonanz
durchaus zufrieden.


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt hofft die F.D.P. auf grandiose Wahlergebnisse!)


– Sie haben Recht: Die haben wir. Wenn Sie wüssten, wel-
che Wahlergebnisse ich vor Ort erzielt habe, dann würden
Sie blass werden.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417921200
Herr Kol-
lege Goldmann, Sie haben etwas mehr Redezeit als Pro-
zente.


(Heiterkeit)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1417921300
Nein, das stimmt
nicht, Herr Präsident; da sind Sie im Irrtum. Im Übrigen
finde ich das nicht besonders witzig; aber jeder kann hier
seinen eigenen Beitrag leisten.

Keine Frage: Fahrradfahren ist eine sehr intelligente
und gesunde Art des Sichfortbewegens. Hier ist auch
schon davon gesprochen worden, dass Fahrradfahren
richtig Spaß macht. Ich hatte schon deutlich gemacht,
dass ich mir diesen Spaß am Wochenende gönne. Ich halte
es für besonders bemerkenswert, dass sich unheimlich
viele Menschen in unserer Region diesen Spaß aus touris-




Winfried Hermann

17675


(C)



(D)



(A)



(B)


tischen Gründen verschaffen und dass wir damit einen
enormen wirtschaftlichen Erfolg erzielen.

Auf einer ernst zu nehmenden Fahrradkarte von
Deutschland kann man feststellen, dass unsere Region da-
rauf mit vier Fernradwegen vertreten ist. Liebe Kollegen,
diese Wege sind nicht von Ihnen gebaut worden; sie sind
vielmehr den Anstrengungen der Kommunen vor Ort zu
verdanken. Die alte Bundesregierung hat die Bereitstel-
lung der Mittel auf den Weg gebracht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Gabriele Iwersen [SPD])


– Frau Iwersen, Sie wissen es besser; deswegen gehe ich
auf Ihre Zwischenbemerkung nicht ein.

Sie wissen ganz genau, dass die alte Bundesregierung
in diesem Bereich hervorragende Weichenstellungen vor-
genommen hat.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Die Straßenverkehrsordnung ist 1997 novelliert worden.
Die Radfahrstraßen sind geschaffen worden. Außerdem
sind die Einbahnstraßenregelung und die Radwegebenut-
zungspflicht eingeführt worden. Wir haben für den Rad-
wegebau wirklich etwas getan, was man von Ihnen
schlicht und ergreifend nicht sagen kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Hermann, es stimmt nicht, dass der Allgemeine
Deutsche Fahrrad-Club – auch ich schätze diesen Verband
sehr – Sie lobt. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club
hat in einer Presseerklärung, die sicherlich auch Ihnen
vorliegt, erklärt, dass Sie 1,5 Milliarden DM fordern.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt für alle politischen Ebenen zusammen!)


– Herr Hermann, es ist eher witzig, wenn Sie erst im Deut-
schen Bundestag einen entsprechenden Antrag stellen und
dann im Hinblick auf alle politischen Ebenen 1,5 Milli-
arden DM fordern, wobei Sie mit 50 Millionen DM oder
mit 20 Millionen DM – wie viel wollen Sie zur Verfügung
stellen? – dabei sind. Diese Bemerkung kann doch nicht
Ihr Ernst sein.

Außerdem fordern Sie, nehme ich an, zusätzlich die
Unterstützung der Kommunen. Sie versuchen, in die
Kommunen hineinzuregieren, indem Sie den Kommunen
vorschreiben, auf der Straße einen Strich zu ziehen,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können!)


um den Autoverkehr vom Fahrradverkehr zu trennen.
Herr Hermann, ich als Verkehrsteilnehmer halte das, was
Sie hier fordern, für aberwitzig, für brandgefährlich und
für überhaupt nicht erfolgreich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie kennen doch die Ergebnisse: In Bonn sind diese Dinge
auf den Weg gebracht worden und in Bonn sind auch un-

ter diesem Gesichtspunkt die damals führenden Persön-
lichkeiten und Parteien abgewählt worden.


(Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!)

Das Modell, das Sie vorschlagen, taugt nicht; das wis-

sen Sie ganz genau. Deswegen sind die Forderungen, die
Sie in Ihrem Antrag stellen, für mich – das habe ich schon
gesagt – ein geistiger bzw. ein fahrradpolitischer Plattfuß.
Es steht nichts Inhaltliches drin. Die Hinweise auf die Fi-
nanzausstattung sind mit heißer Nadel gestrickt. Das ist
klar; denn in Hamburg und Berlin stehen Wahlen an. Sie
fahren – es waren weniger als 50Abgeordnete; ich war da-
bei – klingelnd durch die Gegend und erklären: Hurra,
endlich haben wir eine fahrradpolitische Botschaft. Das
ist nicht der Fall.

Bei der Anhörung – das war eine gute Anhörung – ha-
ben Sie von allen Beteiligten gehört, dass wir uns auf den
Weg zum Masterplan „Fahr Rad“ machen müssen. Das ist
überhaupt keine Frage; ich kenne diese Idee. Sie ist abge-
leitet von dem Masterplan „Fiets“ aus den Niederlanden.
Ich bin dafür. Aber dafür braucht man ein ganzheitliches
Konzept. Es reicht nicht aus, ein bisschen in der Gegend
herumzupinseln. Dafür muss man Geld bereitstellen und
man sollte nicht den Kommunen vor das Schienbein tre-
ten; denn sie sind die entscheidenden Weichensteller für
die besseren Verkehre, nämlich für Radfahrer in den In-
nenstädten.

Ich finde, wir sollten über diesen Antrag ausführlich
reden und ihn in den Fachberatungen gründlich über-
arbeiten. Dazu sind wir bereit. In der jetzigen Form leh-
nen wir ihn entschieden ab.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417921400
Der nächste
Kollege ist besonders dafür prädestiniert, zu diesem
Thema zu sprechen. Ich gebe das Wort dem Kollegen
Gustav-Adolf Schur von der PDS-Fraktion.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1417921500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bei mir kommt auch ein freu-
diges Gefühl auf, insbesondere in diesem Hause, wenn ich
ans Radfahren denke. Ich muss Ihnen sagen: Bei diesem
Thema ist Ernst wirklich angesagt. Stellen wir uns einmal
vor, wir fahren wie Hunderttausende unserer Bürger tag-
täglich bei jedem Wetter herum, rumpeln über Uneben-
heiten, uns stehen Abfalltonnen im Weg und uns laufen
Leute über den Weg. Beim Fahrradfahren werden Leis-
tungen vollbracht, die gleichzeitig der Gesundheit unse-
res Volkes zugute kommen. Wenn hier über Autos disku-
tiert würde, wären alle mucksmäuschenstill. Es ist ein
Unterschied, in einem Auto zu sitzen und in Sicherheit zu
sein oder auf einem Fahrrad zu sitzen und aufgrund der
Autos mit breiten Reifen Angst um sein Leben zu haben.
Aus diesem Grunde sage ich: Wir müssen uns wirklich
ernste Sorgen machen und uns ernsthaft für den Fahrrad-
sport einsetzen,


(Beifall bei der PDS)

aber nicht im Sinne von „nach oben buckeln und nach un-
ten treten“, liebe Kolleginnen und Kollegen.




Hans-Michael Goldmann
17676


(C)



(D)



(A)



(B)


Vor acht Monaten habe ich hier schon einmal für ein
fahrradfreundliches Deutschland plädiert. Ich bekräftige
heute, was ich das letzte Mal gesagt habe. Wir sind selbst-
verständlich für alle Anträge, die den Benutzern von
Fahrrädern Vorteile sichern. Ich konnte sogar schon in ei-
nigen ICEs erleben, dass Fahrräder mitgeführt werden
dürfen, aber – wie gesagt – nur in einigen. Viel Neues hat
sich also nicht getan, abgesehen von zwei Fakten.

Den ersten Fakt lieferte der Kölner Mediziner
Professor Uhlenbruck, der nachwies, dass Fahrradfahren
– wie alle Langzeitausdauersportarten – das Risiko von
Herzinfarkten, Schlaganfällen, Diabetes und – so die
neuesten Erkenntnisse – sogar Krebs reduziert. Ich habe
schon als Student an der legendären, aber leider abge-
wickelten Deutschen Hochschule für Körperkultur in
Leipzig vor Jahrzehnten von den Sportmedizinern in Vor-
lesungen und Seminaren erfahren, wie wertvoll es für die
allgemeine Volksgesundheit ist, möglichst viele Men-
schen für das Fahrradfahren zu begeistern, bei dem be-
kanntlich auch die Überlastung des Stützapparates ver-
mieden wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er Recht!)

Der zweite Fakt, der mir diskutabel erscheint, sind die

Finanzierungsvorschläge der Antragsteller, deren Um-
setzung zu wünschen ist. Ich befürchte aber, der Finanz-
minister wird die 100 Millionen DM für den Radwegebau
wohl nicht mehr erhöhen, höchstens reduzieren können.

Ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier auf persönliche
Erfahrungen verweise, die man prinzipiell ablehnen kann,
die aber unglaublicherweise hin und wieder sehr nützlich
sind. Damals hat man die Kommunen mobilisiert und
nicht unbedingt darauf bestanden, dass die Fahrradwege
nach der jetzt gültigen Norm installiert werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ein Fahrrad ist robust und auf Sandwegen wird der Kreis-
lauf noch intensiver belastet als auf Asphalt- oder Pflas-
terwegen.

Mein Vorschlag: Nicht unbedingt eine Norm, das eine
tun und das andere nicht lassen. Die berühmtesten Profi-
rennfahrer der Welt stampfen jedes Jahr in Frankreich
durch die „Hölle des Nordens“ über hartes Kopfstein-
pflaster. Das ist für sie eine Herausforderung. Ich plädiere
nicht für Kopfsteinpflasterstraßen für die Rad- und Renn-
fahrer, aber für Einfallsreichtum. Lieber einmal ein kur-
zes Stück Knüppelweg fahren, wo notwendig und Natur
und Umwelt zuliebe, als absteigen und schieben müssen.


(Beifall bei der PDS)

Übrigens: Als fahrradfreundliche Städte mit hohem

Radverkehrsanteil werden im Antrag die Städte Münster,
Borken, Erlangen, Freiburg und Troisdorf genannt.
Dessau im Land Sachsen-Anhalt ist auch eine.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417921600
Ich schließe
die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der

Vorlage auf Drucksache 14/6441 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Export-
politik für konventionelle Rüstungsgüter im
Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999)

– Drucksachen 14/4179, 14/5671 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Transparenz und parlamentarische Kontrolle
bei Rüstungsexporten
– Drucksachen 14/4349, 14/5810 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt

Ursprünglich war eine halbe Stunde für die Aussprache
vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Ditmar
Staffelt, SPD, Erich G. Fritz, CDU/CSU, Angelika Beer,
Bündnis 90/Die Grünen, Hildebrecht Braun, F.D.P. und
der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf aus
dem Ministerium für Wirtschaft und Technologie geben
ihre Reden zu Protokoll.1)

Ich gebe das Wort der Kollegin Heidi Lippmann für die
Fraktion der PDS.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1417921700
Herr Präsident! Kollegen
und Kolleginnen! Dass Sie in einer so wichtigen Debatte
über Rüstungsexporte jetzt alle Ihre Reden zu Protokoll
geben, spricht für sich.


(Susanne Kastner [SPD]: 1999, Frau Lippmann!)


Der letzte Rüstungsexportbericht wurde für das Jahr
1999 herausgegeben. Der Bericht für das Jahr 2000 liegt
noch nicht vor. Von daher können wir nicht darüber
verhandeln. Der letzte Bericht wurde im September des
vergangenen Jahres vorgelegt, ist also noch gar nicht so
alt. Unser Antrag zur Transparenz und für eine demokra-
tische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen
stammt aus dem Herbst vergangenen Jahres, liebe Frau
Kollegin.

Wenn Sie aber überfordert sind, zum Thema Rüstungsex-
porte überhaupt etwas zu sagen, ist das ein Armutszeugnis




Gustav-Adolf Schur

17677


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

und ein Beweis dafür, wie unwichtig der rot-grünen Bun-
desregierung der Bereich der Rüstungsexporte ist.


(Zuruf von der SPD: Hören Sie mal! Wir reden über den 99er-Bericht!)


In Karlsruhe hat der Bundesaußenminister in der ver-
gangenen Woche das Bundesverfassungsgericht ganz
nachdrücklich gewarnt, der PDS-Klage wegen der fehlen-
den parlamentarischen Mitbestimmung bei der neu-
en NATO-Strategie stattzugeben. Die Begründung des
Außenministers lautete, ein zu großes Mitspracherecht des
Parlaments in der Außen- und Sicherheitspolitik schränke
die Handlungsspielräume auf internationaler Ebene ein.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das war sehr bemerkenswert!)


Herr Rupert Scholz ging als Vertreter der vier Bundes-
tagsfraktionen sogar noch einen Schritt weiter und erklärte,
das Parlament sei hemmungslos überfordert, wenn es in
solche weit reichenden Entscheidungen einbezogen würde.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Diese Meinung teilen wir nicht! – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Rupert Scholz ist von Ihnen gar nicht zu beleidigen!)


Ihre heutige Entscheidung, sich zu weigern, über Rüs-
tungsexportentscheidungen und eine parlamentarische
Beteiligung daran überhaupt zu diskutieren


(Susanne Kastner [SPD]: Ist genug! Wir haben verstanden! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt langt’s aber! – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Käse!)


– ich danke Ihnen, Frau Kollegin, für Ihre verbalen Aus-
fälle –, zeigt ganz deutlich, dass Sie sich scheinbar über-
fordert fühlen, über dieses Thema zu sprechen.

Wir haben lediglich beantragt, die Ausschüsse, die sich
mit zentralen Fragen von Krieg und Frieden, Außen- und
Sicherheitspolitik, Menschenrechten und Entwicklungs-
politik befassen, an der Debatte zu beteiligen. Wir fordern
lediglich eine Mitberatung, eine Information in den Aus-
schüssen, noch nicht einmal ein Entscheidungsrecht.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Nun reicht es!)


Damit sind Sie überfordert. Das zeigt, welchen Stellen-
wert demokratische Beteiligung und parlamentarische
Kontrolle für Sie haben.

Wir halten an unserem Antrag fest und appellieren an
Sie, ihn zu unterstützen, unabhängig von Ihrer Fraktions-
zugehörigkeit,


(Susanne Kastner [SPD]: Nein, das wollen wir nicht! Sie haben uns beschimpft!)


weil Sie dadurch die Chance haben, die Regierung zu kon-
trollieren, Entscheidungen herbeizuführen bzw. Entschei-
dungen zu überprüfen, die im Zusammenhang mit dem
Kriegswaffenkontrollgesetz stehen, und insbesondere der
Friedenspflicht, die im Grundgesetz verankert ist, den
entsprechenden Nachdruck zu verleihen.


(Beifall bei der PDS)


Kollegen und Kolleginnen, Rüstungsexporte finden
nach wie vor statt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Zeit ist aber um!)


zum Beispiel in die Vereinigten Arabischen Emirate. Ato-
mar bestückbare Boote werden nach Israel geliefert,
Kleinwaffen in nahezu alle Länder und bürgerkriegs-
gefährdeten Regionen dieser Welt, Munitionsfabriken in
die Türkei und vieles mehr. Wenn Sie weiterhin daran
festhalten, dass Sie davon nichts wissen wollen, und le-
diglich im Nachhinein durch den nächsten Rüstungsex-
portbericht dokumentieren, dass das Volumen der Rüs-
tungsexporte unter Rot-Grün wieder gestiegen ist – wie
das wahrscheinlich der Fall sein wird –, dann, muss ich sa-
gen, entmachten und entmündigen Sie sich als Parlamen-
tarier und kommen dem vom Wähler erteilten Auftrag
nicht mehr nach.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417921800
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zum Rüstungsexport-
bericht 1999 der Bundesregierung auf Drucksache
14/5671. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Be-
richts auf Drucksache 14/4179, eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/5810 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zu Transpa-
renz und parlamentarischer Kontrolle bei Rüstungsexpor-
ten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4349 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen
die Stimmen der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Insolvenzordnung und ande-
rer Gesetze
– Drucksache 14/5680 –

(Erste Beratung 164. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
der Insolvenzordnung (InsOÄndG)

– Drucksache 14/2496 –

(Erste Beratung 88. Sitzung)





Heidi Lippmann
17678


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/6468 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlos-
sen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Be-
richterstatter, dem Kollegen Alfred Hartenbach, das Wort.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1417921900
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der
Rechtsausschuss hat in seiner 90. Sitzung am 27. Juni
2001 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der In-
solvenzordnung beschlossen. Bestandteil dieser Ab-
stimmung war eine Synopse, die in der richtigen Fas-
sung vorlag. Bei Umsetzung dieser Synopse in
Beschlussempfehlung und Bericht ist ein Kopierfehler
aufgetreten. In Art. 1 ist zwischen den Ziffern 18 und 20
die Ziffer 19 entfallen. Ich bitte daher, bei den Beratun-
gen zu berücksichtigen, dass es auf der linken Seite,
Entwurf, heißt: „19. § 300 Abs. 3 Satz 2 wird aufgeho-
ben“. Auf der rechten Seite der Synopse bitte ich aufzu-
nehmen: „19. unverändert“.

Dies war eine offensichtliche Unrichtigkeit, ein Fehler.
Ich bitte, dies heute mit zu berücksichtigen. Ich darf Ih-
nen, dem Präsidium, den Wortlaut vorlegen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417922000
Danke
schön, Herr Kollege Hartenbach.

Wir treten in die Aussprache ein. Ich gebe zunächst
dem Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Profes-
sor Dr. Eckhart Pick, das Wort.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1417922100
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung
den ersten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Zum
Thema Überschuldung finden Sie dort die folgende zen-
trale Aussage:

In dem Maße, in dem private Haushalte durch Über-
schuldung an wirtschaftlicher und personaler Hand-
lungsfähigkeit einbüßen und Prozesse einer zuneh-
menden Verarmung erleben, ergibt sich politischer
Handlungsbedarf. Vor dem Hintergrund von knapp
2,8 Millionen überschuldeten Haushalten liegt es da-
her im gesellschaftlichen Interesse, Überschuldungs-
prozessen präventiv entgegenzuwirken und eingetre-

tene Überschuldung als Ausdruck einer Armutskrise
aktiv überwinden zu helfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die Bundes-

regierung diesem Handlungsbedarf Rechnung getragen.
Ich darf hinzufügen, dass Überschuldung sicher eine
rechtliche Seite hat, mit der wir uns heute beschäftigen.
Überschuldung hat unterschiedliche Ursachen und auch
zum Teil sehr einschneidende Auswirkungen im subjekti-
ven, personellen Bereich, in der Familie und im Kontakt
mit anderen Menschen. Insofern ist hier ein genereller An-
satz notwendig. Die Möglichkeit, diesem Phänomen
rechtlich entgegenzutreten, ist zwar eine wichtige, aber si-
cher nicht die einzige oder wesentlichste. Vor diesem Hin-
tergrund sollten wir auch diese Debatte führen.

Aus justizpolitischer Sicht sind das Verbraucherinsol-
venzverfahren und die Restschuldbefreiung wesentliche
Ansätze, um eingetretene Überschuldungen zu beseitigen.
Insofern war es ein erster wichtiger Schritt, dass der
Gesetzgeber mit der im Jahre 1999 in Kraft getretenen In-
solvenzordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen für
einen wirtschaftlichen Neuanfang geschaffen hat. Aller-
dings ist in der Zwischenzeit eine ganz entscheidende
Frage aufgetreten: Was nützt das ausgefeilteste Verfahren,
wenn es denjenigen, für die es eigentlich bestimmt ist,
verschlossen bleibt, weil sie die Verfahrenskosten nicht
aufbringen können? Erst mit der im vorliegenden Gesetz-
entwurf geregelten Stundung der Insolvenzkosten werden
die Vorschriften über die Restschuldbefreiung abge-
schlossen und das Verfahren praktikabel ausgestaltet.

Ich bedaure es, dass gegen die im Gesetzentwurf kon-
zipierte Stundungslösung polemisiert wird und man be-
hauptet, sie sei rein fiskalisch begründet. Ich weiß, dass
wir bei der Verabschiedung der Insolvenzordnung alle ge-
meinsam von der Vorstellung ausgegangen sind, dass im
Insolvenzverfahren selbstverständlich Prozesskostenhilfe
gewährt werden kann, da das Verfahren eigentlich für die-
jenigen gedacht ist, die die wenigsten Mittel zur Verfü-
gung haben. Wir haben uns geirrt. Die Rechtsprechung
hat die einzelnen Verfahrensabschnitte sehr unterschied-
lich beurteilt. Deswegen muss der Gesetzgeber korrigie-
rend eingreifen.

Ich wiederhole noch einmal das, was ich im Rechts-
ausschuss gesagt habe: Die Insolvenzordnung erfüllt, so
glaube ich, ansonsten durchaus die Erwartungen, die man
an sie setzt bzw. gesetzt hat. Wir korrigieren hier in einem
Teilbereich. Deswegen bitte ich, dass wir gerade diese
Stundungslösung mit entsprechender Aufmerksamkeit
begleiten.

Mit der Stundungslösungwird eine Maßnahme zulas-
ten der Länder durchgeführt; das ist klar. Das wäre aber
auch bei der Prozesskostenhilfe in ihrer reinen Form so
gewesen. Der Unterschied besteht darin, dass der Staat
– ich sage: theoretisch – die Chance hat, die gestundeten
Prozesskosten eines Tages zurückzubekommen. Natür-
lich sind die Berechnungen, wie hoch der Rückfluss bei
den Ländern ist, ausgesprochen unsicher; sie sind nur ge-
griffen. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17679


(C)



(D)



(A)



(B)


Länder auf einem Großteil dieser gestundeten Kosten sit-
zen bleiben. Deswegen ist es uns natürlich darum gegan-
gen, mit den Ländern zu einem Kompromiss zu kommen.
Ich gebe zu, dass die gefundene Lösung möglicherweise
nur die zweitbeste ist. Im Interesse der Länder ist sie aber
zu vertreten.

Mit dieser Insolvenzkostenhilfe steht nun ein effekti-
ves Instrument zur Verfügung, das nahtlos in das Ver-
braucherinsolvenzverfahren und die Restschuldbefreiung
eingepasst wurde. Mit einer bloßen Verweisung auf die
§§ 114 ff. ZPO wären mit Sicherheit zahlreiche Zweifels-
fragen geblieben, wie sie zum Beispiel die Rechtspre-
chung aufgeworfen hat: Für welche Verfahrensabschnitte
wird die Prozesskostenhilfe gewährt? Wann besteht hin-
reichende Aussicht auf Erfolg? Welche Obliegenheiten
hat der Schuldner zu erfüllen? Es gibt also eine ganze
Reihe von Fragen, die nicht durch eine bloße Verweisung
auf die Prozesskostenhilfevorschriften hätten beantwortet
werden können. Insofern wären wir wahrscheinlich jahre-
lang in einer Phase der Rechtsunsicherheit geblieben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das glaube ich nicht!)


Ich bin sicher! Zudem begrüße ich es, dass es im Ge-
setzgebungsverfahren gelungen ist, auch bezüglich der
Wohlverhaltensperiode zu einer Verbesserung zu kom-
men. Ich finde, wir haben durch die Verkürzung um ein
Jahr dem entsprochen, was uns insbesondere auch die
Schuldnerberatungsstellen gesagt haben, nämlich dass
diese siebenjährige Wohlverhaltensperiode allzu lang ist.
Wir haben auch eine durchaus fundierte Grundlage; denn
durch das Gutachten, das das Ministerium eingeholt hat,
ist klar, dass die ökonomischen Folgekosten doch erheb-
lich geringer sind, als man das annehmen konnte. Deswe-
gen halten wir eine Verkürzung der Wohlverhaltenspe-
riode für möglich und im Sinne der Betroffenen. Wir tun
ein Übriges, indem wir die Dauer dieser Periode zuguns-
ten der Schuldnerinnen und Schuldner dadurch verkür-
zen, dass wir den Beginn der Laufzeit auf den Termin der
Verfahrenseröffnung vorverlegen.

Natürlich mussten wir auch die Lohnabtretungsfrage
entsprechend regeln; denn es kann nicht sein, dass der un-
gesicherte Gläubiger künftig noch weniger zu erwarten
hätte als bei der jetzigen Regelung.

In diesem Sinne, so meine ich, haben wir einen guten
Schritt nach vorne getan und im Interesse der überschul-
deten Menschen eine Möglichkeit eröffnet, tatsächlich
in das Verbraucherinsolvenzverfahren hineinzukommen
und sich letztlich ihrer Schulden zu entledigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417922200
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Freiherr von
Stetten.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1417922300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Aktuell in diese Debatte über die Änderung der Insolvenz-
ordnung fiel in dieser Woche die Meldung, dass im ersten
Quartal dieses Jahres ein Negativrekord an Insolvenzen
aufgestellt wurde, der höchste Stand seit sieben Jahren.
Zehntausende von Arbeitsplätzen wurden dadurch ver-
nichtet.

Das war natürlich nicht der Grund für die Regierung,
einen Gesetzentwurf zur Änderung der Insolvenzordnung
vorzulegen, aber es zeigt – ich will das einmal so deutlich
sagen –, wie leichtsinnig diese Regierung mit Wirtschaft
und Preisstabilität umgeht und wie schnell die guten Rah-
menbedingungen, die die Regierung aus CDU/CSU und
F.D.P. hinterlassen hat, ins Negative gekehrt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Solch ein Blödsinn!)


Wir werden im Jahr 2001 nicht nur die höchste Zahl an
Insolvenzfällen haben, sondern wir werden auch die
höchsten Inflationsraten seit Anfang der 90er-Jahre und
die niedrigsten Wachstumswerte der letzten Jahre haben.
Dies sollte nicht verschwiegen werden bei einem Gesetz,
durch das man wirtschaftlich gestrandete Menschen wie-
der in den normalen Wirtschaftskreislauf zurückholen
will.

Die Insolvenzordnung, die wir in diesem Hohen Hause
gemeinsam verabschiedet haben, hatte eine lange Vor-
laufzeit und dennoch ist die Restschuldbefreiung von
Privatpersonen nicht so richtig ins Laufen gekommen.
Insbesondere fiel die von den Ländern befürchtete Rest-
schuldbefreiungslawine aus. Die Schuldnerberatungsstel-
len haben uns wertvolle Anregungen gegeben. Die Kos-
ten, die durch das neue Gesetz auf die Länder zukamen,
sind wesentlich geringer als prognostiziert; wir hätten das
Gesetz viel früher in Kraft treten lassen können.

Ein Mangel des bisherigen Gesetzes war, dass mittel-
lose Schuldner nicht die Verfahrenskosten aufbringen
konnten und deshalb sehr häufig die Verfahrenseröff-
nung wegen fehlender Kostendeckung abgelehnt wurde.
Einige Oberlandesgerichte haben diesen Mangel pragma-
tisch behoben und die in der ZPO vorgesehene, wohl
durchdachte Prozesskostenhilfe gewährt. Andere haben
dies, wie Herr Staatssekretär Pick ausführte, nicht getan,
meiner Ansicht nach aus nicht überzeugenden Gründen,
nämlich mit Hinweis auf die Dogmatik.

Nun
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417922400
„Es gelten die Bestimmun-
gen der Prozesskostenhilfe.“ Gegebenenfalls auftretende
Zweifelsfragen hätten wir einfach mit einem weiteren Ab-
satz beseitigen können. Dies ist keine Polemik; ich finde,
wir hätten dies wahrlich tun sollen.

Dies war, wie ich in der Diskussion festgestellt habe,
eigentlich Konsens, aber die Kostenlamentiererei der
Länder hat diese vernünftige Lösung verhindert. So
kommt es zu einer verkrampften Lösung der Stundung der
Verfahrenskosten, die allein wegen ihrer neuen Bestim-
mungen durchführende Gerichte und Rechtspfleger und
damit Beauftragte unnötig belastet. Genauso wenig wie
die Kostenlawine wegen befürchteter zehntausendfacher




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
17680


(C)



(D)



(A)



(B)


Verbraucherinsolvenzen auf die Länder zukam, wäre es
zu einer Kostenlawine gekommen, wenn wir die vernünf-
tige Lösung der Prozesskostenhilfe übernommen hätten.

Man kann über die Verbraucherinsolvenz streiten, da-
rüber, ob sie sinnvoll ist oder nicht, aber der Gesetzgeber
hat meines Erachtens zu Recht beschlossen, jedem, der
überschuldet ist – ob verschuldet oder unverschuldet; es
gibt relativ wenige, die nicht zumindest ein Mitverschul-
den trifft –, die Chance zu geben, erneut von vorn anzu-
fangen. Wenn dieser Weg aufgezeigt wird, sollte er nicht
zu steinig sein, damit er auch beschritten werden kann.
Ausgenommen sind richtigerweise Verschuldungen we-
gen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen, wo-
bei die Hinweispflicht des Gerichts, die neu aufgenom-
men wurde, sicherlich sehr nützlich sein kann.

Wir hatten seinerzeit eine Wohlverhaltensperiode
von sieben Jahren für richtig gehalten, die sich aber durch
die Länge der Verfahrensdauer bis zur Eröffnung des Ver-
fahrens auf acht, neun oder sogar zehn Jahre verlängerte
und sich nunmehr durch die vorgesehene Stundungslö-
sung sogar auf zehn bis zwölf Jahre hätte verlängern kön-
nen. Dies ist eine finanzielle Bevormundung über eine zu
lange Zeit, als dass jemand motiviert würde, in ein solches
Verfahren einzutreten und es letztlich auch durchzuhalten.
Über die Fälle des Durchhaltens haben wir noch keine
Zahlen, weil die Zeit dafür bisher zu kurz ist. Aber es wird
interessant sein, zu erfahren, wie viele Schuldner diese
lange Zeit letztlich durchhalten.

Deswegen bin ich froh, dass unsere Anträge, sozusagen
fast in letzter Minute, noch die Zustimmung der Koali-
tionsparteien gefunden haben


(Alfred Hartenbach [SPD]: So sind wir eben!)

und die Wohlverhaltensfrist ab Antragstellung und nicht
erst ab Verfahrenseröffnung gilt – das ist schon ganz wich-
tig; das sind ein Jahr oder zwei Jahre – und zudem auf
sechs Jahre verkürzt wird. So dauert in Zukunft ein
Verfahren ohne Stundungsmodell etwas über sechs Jahre,
mit Stundung acht, maximal neun Jahre. Dadurch ist mei-
nes Erachtens ein Anreiz geschaffen worden, in das per-
sönlich unangenehme Verfahren einzutreten.

Für einen Schuldner ist es ja nicht gerade angenehm,
sich der Öffentlichkeit zu stellen. Deswegen ist es bedau-
erlich, dass sich die Koalitionsmehrheit nicht dazu durch-
ringen konnte, die Veröffentlichung ausschließlich ins
Internet zu verlegen, weil für viele Schuldner die Veröf-
fentlichung des Insolvenz- und Schuldnerbefreiungsver-
fahrens in der örtlichen Presse eine gesellschaftlich tödli-
che Wirkung haben kann und der Schuldner gelegentlich
deswegen nicht in ein solches Verfahren eintritt. Lieber
lässt man geschäftliche Tätigkeiten weiterhin über Frau,
Kinder oder Freunde laufen, um nach außen nicht als Plei-
tier dazustehen.

Es gibt im Übrigen nur wenige – deswegen teile ich
diese Sorge nicht –, die im Internet surfen, um Konkurs-
und Insolvenzverfahren zu erkunden. Dagegen werden
die Veröffentlichungen in der Ortspresse über Insolven-
zen höchst fleißig gelesen und bilden das Tagesgespräch.

Deswegen reicht die Änderung des § 9 nicht aus und
zeigt der heute hier eingebrachte Entschließungsantrag

der SPD und der Grünen ein bisschen – lassen Sie es mich
so ausdrücken – das schlechte Gewissen der Koalition:
Man fordert die Regierung auf, zu prüfen, zu eruieren und
Vorschläge zu machen. Es ist in gewissem Sinne schon ein
Armutszeugnis, heute ein Gesetz zu verabschieden und
sogleich einen Entschließungsantrag hinterherzujagen,
damit dieses Gesetz möglichst bald wieder korrigiert
wird.


(Beifall des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/ CSU] – Alfred Hartenbach [SPD]: Der hat keine Ahnung!)


– Doch, er hat Ahnung, lieber Kollege Hartenbach, er hat
viel Ahnung.

Ich teile auch nicht die Sorge, dass nach Beendigung
eines Insolvenzverfahrens die Daten nicht rechtzeitig
gelöscht werden können, genauso wenig wie die Sorge
um den Missbrauch von im Internet bereitgestellten Da-
ten. Denn ebenso wäre es jederzeit möglich, das Register
einzusehen oder Zeitungsveröffentlichungen zu kopieren,
aufzuheben und später zu verschicken.

Auch die übertriebene Sorge um den Datenschutz teile
ich nicht; denn wenn wir dieses Gesetz schon mit der
Maßgabe verabschiedet hätten, dass nur im Internet ver-
öffentlicht wird, wären wir frühestens in sechs oder sie-
ben Jahren gefordert gewesen, die notwendigen Lö-
schungssicherungen erreicht zu haben, gegebenenfalls
auch mit gesetzlichen Vorschriften. Bei der jetzigen Rege-
lung werden wir jahrelang an Lösungen arbeiten, auf Be-
denkenträger aller Art hören, aber die Schuldner weiter-
hin einer Prangerwirkung aussetzen.

Ich denke natürlich auch an die Gläubiger, die ihr Geld
– oder Teile ihres Geldes – endgültig verlieren. Aber bei
der derzeitigen, regelmäßig fast 30-jährigen Lösung mit
einem gerichtlichen Titel haben die Gläubiger durchweg
nicht mehr bekommen; denn nur relativ selten hat ein
Schuldner nachträglich so viel Geld verdient, dass er die
Verbindlichkeiten zahlen konnte.

Einem Schuldner mit früher selbstständiger Tätigkeit
wird das Schuldnerbefreiungsverfahren dann ermöglicht,
wenn er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens weniger
als 20 Gläubiger hat und keine Forderungen aus Arbeits-
verhältnissen bestehen. Hier ist der Gesetzentwurf wohl
zu kurz gesprungen, denn 20 Gläubiger sind schon im Be-
reich des täglichen Lebens nicht übermäßig viel.

Wir werden die Entwicklung abwarten und die Schuld-
nerberatungsstellen um Informationen bitten; gegebenen-
falls müsste hier eine andere Lösung gefunden werden.

Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, auch
weil wir der Meinung sind, dass er eine partielle Verbes-
serung bedeutet. Aber der ganz große Wurf ist ausgeblie-
ben, Herr Hartenbach.

Auch Ihrem Entschließungsantrag werden wir zustim-
men. Wir hätten die Regelung zwar lieber gleich mit die-
sem Gesetzentwurf verabschiedet, aber wir hoffen, dass
eine vernünftige Lösung dabei herauskommt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

17681


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417922500
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417922600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den heu-
tigen Tag haben viele überschuldete Menschen in unse-
rem Land gewartet. Mit der rot-grünen Reform der
Insolvenzordnung erleichtern wir ihnen endlich den Weg
aus der Schuldenfalle.

Wir schaffen die gesetzlichen Bedingungen dafür, dass
viele der rund 2,8 Millionen verschuldeten Haushalte in
Deutschland auf einen Neuanfang hoffen können. Wir er-
leichtern ihnen den Einstieg in das Verbraucherinsolvenz-
verfahren. Zugleich verkürzen wir die Dauer des Verfah-
rens erheblich. Die Reparatur des Insolvenzrechtes war
dringend erforderlich. Das ursprüngliche Ziel des Gesetz-
gebers, den Betroffenen nach rund sieben Jahren einen
schuldenfreien Neuanfang über eine Restschuldbefreiung
zu ermöglichen, ließ sich mit der alten Regelung nicht er-
reichen.

Für viele Schuldner scheiterte der Weg aus der Schul-
denfalle schon an der Hürde der hohen Verfahrenskosten.
Die Gerichte bewilligten in der Mehrzahl keine Prozess-
kostenhilfe. Es entstand eine absurde Situation: Das Ver-
braucherinsolvenzverfahren, das gerade den Menschen,
die über keine Mittel verfügen, helfen sollte, blieb diesen
Menschen deshalb versperrt, weil sie über keine Mittel
verfügen. Das war, meine Damen und Herren, die Qua-
dratur des Kreises.

Wir haben diesen Missstand, wie ich meine, jetzt mit
dem Stundungsmodell gut gelöst, obwohl – daraus ma-
che ich keinen Hehl – auch meiner Fraktion eine klarstel-
lende Regelung über die Gewährung von Prozesskosten-
hilfe lieber gewesen wäre. In diesem Punkt aber war, wie
wir alle wissen, Herr Kollege von Stetten, der Widerstand
der Länder – und zwar der A- wie der B-Länder – zu groß.
Mit ihnen war das schlichtweg nicht zu machen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Bedauerlich!)


Ich bedauere das. Aber wer hier die Backen aufbläst, muss
erst einmal seine Länderstimmen auf den Tisch des Hau-
ses legen, bevor er hier so tun kann, als ob Rot-Grün nicht
gekämpft hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Entschuldigung, was nicht gut ist, ist nicht gut!)


Ein weiteres Dilemma der alten Rechtslage war die
tatsächliche Dauer bis zur Entschuldung. De facto waren
es nicht sieben, sondern manchmal sogar mehr als zehn
Jahre, die es bis zur Schuldenfreiheit gebraucht hätte.
Auch in diesem Punkt haben wir Abhilfe geschaffen. Wir
haben die bislang siebenjährige Wohlverhaltensperiode,
in der verpfändbares Einkommen abgetreten werden
muss, auf sechs Jahre verkürzt. Wir haben auch den Be-
ginn dieser Periode vorverlegt. Allein dies kann zu einer
Verkürzung des Gesamtverfahrens um zwei bis drei Jahre
führen.

Vor allem für den letzten Punkt hat meine Fraktion von
den Schuldnerberatungsstellen Lob erfahren. Wir haben
darauf gedrängt, in puncto Verfahrensdauer nachzubes-
sern. Ich bin auch sehr zufrieden darüber, dass es gelun-
gen ist, so eine erhebliche Verbesserung des einge-
brachten Gesetzentwurfs zu erreichen.

In den alten Bundesländern sind konstant etwa 1,9Mil-
lionen Privathaushalte überschuldet. In den neuen Län-
dern sind es rund 800 000; dort ist die Tendenz steigend.
Diese Zahlen sind umso alarmierender, wenn man be-
denkt, dass jeder dritte überschuldete Haushalt sogar mit
mehr als 50 000 DM in der Kreide steht. Für viele Men-
schen sind solche Beträge keine Peanuts.

Überschuldung kann die unterschiedlichsten Ursachen
haben: Arbeitslosigkeit, aber auch plötzliche Schicksals-
schläge wie Unfälle, Krankheit, Tod eines Partners, das
Scheitern einer Beziehung und auch – darauf haben die
Schuldnerberatungsverbände vor einigen Tagen zu Recht
hingewiesen – die Unerfahrenheit und Naivität der Ver-
braucher gegenüber so manchen verlockenden unverant-
wortlichen Kredit- und Konsumangeboten.

Wenn in der Nachbarschaft ein großes Versandhaus
wöchentlich anliefert und dieselben Mieter eines Tages
ausziehen müssen, weil sie nicht mehr in der Lage sind,
ihre Wohnungsmiete zu bezahlen, dann hat der bunte Ka-
talog den Geldbeutel gesprengt. Mit anderen Worten:
Nicht nur bei den Essgewohnheiten müssen wir anschei-
nend viele Bürgerinnen und Bürger noch von einem an-
deren Konsumverhalten überzeugen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Verantwortlich für ihre Misere sind aber keineswegs

immer die Betroffenen selbst. Auch Kredithaie, die die
Notlage der Betroffenen ausnutzen, um über horrende
Zinsen abzukassieren, sind oft Ursache der Verschuldung.
Und auch die Banken müssen sich einmal fragen, ob sie
nicht vielleicht künftig weniger aggressiv mit vermeint-
lich problemlosen Konsumentenkrediten werben sollten,
wenn doch der Verdacht nahe liegt, dass viele der Kredit-
nehmer das Geld später nicht zurückzahlen können.

Meine Damen und Herren, die Arbeitsgemeinschaft
der Schuldnerberatungsverbände hat die Koalition von
Anfang an in ihrem Vorhaben bestärkt und hat diese Re-
form der Insolvenzordnung begrüßt. Zu Recht: Für viele
Menschen bietet diese Reform eine wirkliche Chance
zum Neuanfang: Sie ermöglicht ihnen eine Rückkehr ins
Wirtschafts- und Arbeitsleben. Das ist ein enormer gesell-
schaftlicher und sozialer Gewinn; denn Überschuldung ist
für Menschen nicht nur eine erhebliche psychische Belas-
tung. Sie verhindert auch die Wiedereingliederung in das
Erwerbsleben und zementiert den Bezug von Sozialleis-
tungen.

Herr Kollege von Stetten, Sie haben die Internetveröf-
fentlichung angesprochen. Dies ist zu Recht ein großes
Problem. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen diesen Ent-
schließungsantrag einbringen. Aber das ist ein Problem,
dem nicht nur im Zusammenhang mit der Veröffentlichung
dieser Daten im Internet eine Bedeutung zukommt. Wir ha-
ben es auch in vergleichbaren Bereichen durch die Mög-






(C)



(D)



(A)



(B)


lichkeit des Internets oftmals erlebt, dass solche Daten all-
gemein verfügbar sind, dass sie eine Prangerfunktion haben
und dass sich bei Spiegelung oder Einscannung dieser Da-
ten aus den gedruckten Exemplaren der Veröffentlichungen
das Problem ergibt, dass sie in den gespiegelten Dateien
nicht gelöscht werden, auch wenn sie im Verzeichnis
gelöscht worden sind.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie haben eine neue Rede begonnen! – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist jetzt eine Zusatzrede!)


Nach Ansicht unserer Fraktion brauchen wir –

(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– lassen Sie mich meinen Satz bitte beenden –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417922700
Herr Kollege Beck,
Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417922800

– eine Bußgeldvorschrift, die untersagt, dass diese Daten
nach der Löschung in der Quelldatei von Dritten weiter-
verwendet werden dürfen, damit diese Prangerfunktion
entfällt, weil diese verhindert, dass diese Menschen einen
wirtschaftlichen und sozialen Neustart bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das hätten die gleich versuchen können!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417922900
Das Wort hat der Kol-
lege Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417923000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die zugrunde liegende Insolvenzord-
nung ist 1993 mit den Stimmen aller Mitglieder dieses
Hauses – ich glaube, mit einer Ausnahme – beschlossen
worden. Ich bin froh darüber gewesen, dass wir diese Ein-
helligkeit haben feststellen können; denn bei der Insol-
venzordnung – darauf hat der Kollege Beck hingewie-
sen – handelt es sich um eine wesentliche gesellschafts-
politische Tat, die wir 1993, damals allerdings noch,
glaube ich, inAbwesenheit derGrünen, beschlossenhaben.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir waren mit acht Kollegen da!)


Wir hätten gern auch der Novellierung der Insolvenzord-
nung zugestimmt. Hierzu sehen wir uns leider nicht in der
Lage. Ich will das kurz begründen. Wir werden uns der
Stimme enthalten.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Also nicht Fisch und nicht Fleisch!)


Die F.D.P.-Fraktion lehnt das neu erfundene Stun-
dungsverfahren für die Kosten des Insolvenzverfahrens
statt des üblichen Prozesskostenhilfeverfahrens ab. Es
war stets Auffassung aller Bundestagsfraktionen, auch
1993, dass das bewährte – –


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das denn mit den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und RheinlandPfalz?)


– Herr Kollege Beck, ich weiß nicht, ob es Ihrer Auf-
merksamkeit entgangen ist: Wir sind hier im Deutschen
Bundestag und der Deutsche Bundestag hat immer wieder
großen Wert darauf gelegt, seine Meinung eigenständig zu
äußern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der F.D.P.: Aus guten Gründen!)


Wir haben das Prozesskostenhilfeverfahren damals, 1993,
als richtig angesehen. Später sind die Urteile einiger
Oberlandesgerichte nicht zu demselben Ergebnis gekom-
men, aber einige haben dieser Auffassung des Bundesta-
ges Rechnung getragen.

Jetzt aber dafür ein Stundungsverfahren einzuführen,
das viel komplizierter ist als das Prozesskostenhilfever-
fahren, vermag ich nicht als Fortschritt zu erkennen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Hier werden wir neue Schwierigkeiten haben, insbeson-
dere in der Umsetzung. Der Kollege von Stetten hat da-
rauf aufmerksam gemacht.

Eines der Prinzipien – das ist der zweite Grund, aus
dem wir nicht zustimmen können – der neuen Insolvenz-
ordnung war die verstärkte Gläubigerautonomie.
Die nunmehr gefundene Lösung bei der Abwahl eines In-
solvenzverwalters durchbricht dieses Prinzip der Gläubi-
gerautonomie.

Meine Damen und Herren, ich will betonen, dass ich
für die sachliche und vernünftige Art der Beratung im
Rechtsausschuss und auch im Rahmen der Berichterstat-
tergespräche dankbar bin. Aber ich will eines deutlich
machen: Nach Abschluss der Beratungen unter den Be-
richterstattern und nach den Anhörungen sind zwei grund-
legende Änderungen vorgenommen worden, ohne dass
diese mit Sachverständigen oder mit den Berichterstattern
in Ruhe und Gelassenheit hätten beraten werden können.

Es handelt sich dabei erstens um die Verkürzung der in
§ 114 Abs. 1 ZPO enthaltenen Frist, wonach Dienstbe-
züge bislang für drei Jahre abgetreten werden können.
Jetzt wird eine Verkürzung auf zwei Jahre vorgenommen.
Das klingt ganz harmlos. Herr Beck hat das zwar sehr nett,
aber, wie ich meine, aus wirtschaftlicher Sicht völlig ver-
dreht dargestellt. Denn beispielsweise junge Eheleute, die
für die Haushaltsgründung ein Darlehen aufnehmen wol-
len, oder junge Start-up-Unternehmer, die von einer Bank
bzw. der Sparkasse ein Darlehen benötigen, müssen Kre-
ditsicherheiten geben. Diese sind nun einmal gerade in
jungen Jahren die Dienstbezüge. Indem ich die Abtretbar-
keit von drei Jahren auf zwei Jahre senke, senke ich
gleichzeitig das Kreditvolumen auf zwei Drittel – und das
kann doch nicht im Sinne zum Beispiel junger Eheleute
sein, die einen Kredit aufnehmen wollen.


(Beifall bei der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist familienunfreundlich!)





Volker Beck (Köln)


17683


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, was hieran sozial oder
gar sozialdemokratisch sein soll.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt ist die Zeit um, lieber Herr Kollege!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417923100
Herr Funke, auch Sie
muss ich jetzt ermahnen, was die Redezeit betrifft.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417923200
Wenn ich noch zwei Sätze sa-
gen darf?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417923300
Die dürfen nur nicht
von Thomas Mann sein.


(Heiterkeit)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417923400
Mit Sicherheit nicht! Das ist
auch nicht meine Art.

Die zweite Änderung betrifft die Verkürzung der
Wohlverhaltensperiode von sieben auf sechs Jahre. Wir
hätten dieser Änderung zugestimmt. Das ist gar keine
Frage; das habe ich immer erklärt. Aber diese Änderung
erst in der Nacht vor der endgültigen Beratung nachzu-
schieben, halte ich für einen schlechten parlamentari-
schen Stil, und dafür sind Sie, Herr Beck, verantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417923500
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1417923600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der in den letzten
zehn Jahren dramatisch ansteigenden Zahl von über-
schuldeten Haushalten und der massiven Probleme bei
der praktischen Handhabung der Verbraucherinsolvenz in
den letzten zweieinhalb Jahren ist es höchste Zeit, dass
wir uns heute in zweiter und dritter Lesung mit der Ände-
rung der Insolvenzordnung befassen.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die PDS-
Fraktion bereits vor anderthalb Jahren einen Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung einge-
bracht hat,


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau!)

unter anderem mit klarstellenden Regelungen zur Prozess-
kostenhilfe, zur Absenkung der Wohlverhaltensperiode
und zur Aufnahme des Vollstreckungsschutzes für das
Verfahren der außergerichtlichen Einigung.

Mit Befriedigung habe ich deshalb festgestellt, dass ei-
nige unserer Vorschläge auf durchaus fruchtbaren Boden
gefallen sind,


(Beifall bei der PDS)

denn die Bundesregierung geht mit ihrem Entwurf zum
Teil in die gleiche Richtung. Das betrifft zum einen die

Absenkung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf
sechs Jahre. Wir hatten eine Absenkung von sieben auf
fünf Jahre vorgeschlagen. Das betrifft zum anderen die
Ausdehnung des Vollstreckungsschutzes auf das Verfah-
ren der außergerichtlichen Einigung, das heißt die Rück-
schlagsperre für drei Monate. Wir hatten hier eine ausgie-
bigere Regelung vorgeschlagen, die sich leider nicht in
diesem Umfang wiederfindet. Aber immerhin, im vorge-
schlagenen § 765 a Abs. 4 ZPO sind sogar einige Formu-
lierungen zu finden, die unseren Vorschlägen zumindest
nahe kommen. Das freut mich ebenfalls.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen aber auch zustimmen, wenn es Sie so freut!)


– Sie loben uns ja nicht; dann muss ich es selber tun.

(Beifall bei der PDS)


Der Regierungsentwurf enthält weitere begrüßens-
werte Vorschläge: so zum einen die Einführung eines fa-
kultativen gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens
und zum anderen die Senkung der Kosten, beispielsweise
die für die Internetnutzung, die Verringerung der Zahl der
zuzustellenden Unterlagen oder auch die Einführung
einer Notfrist von einem Monat für Gläubigerstellung-
nahmen.

Aber bei zwei Punkten haben wir ernsthafte Probleme.
Das betrifft zum einen die Finanzierung der Kosten des
Insolvenzverfahrens über das Stundungsmodell. In die-
sem Fall favorisieren wir das von uns vorgeschlagene
PKH-Modell, so wie es im ursprünglichen Insolvenzver-
fahren vorgesehen ist. Unbestritten ist, dass die Stundung
möglich ist. Das erweiterte Berichterstattergespräch hat
aber gezeigt, dass im Grunde genommen alle Fraktionen
die Finanzierung über die Prozesskostenhilfe für besser
und einfacher als das jetzt vorgeschlagene kompliziertere
Stundungsmodell halten.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt Mecklenburg-Vorpommern?)


Lediglich die Länder sind leider aus Kostengründen
dagegen. Ob es tatsächlich eine Ersparnis geben wird,
wage ich in Anbetracht der vielen mittellosen Schuldner
zu bezweifeln. Auf jeden Fall wird es bei nicht wenigen
Schuldnern zu einer Verlängerung der Phase bis zur ent-
gültigen Entschuldung auf mehr als zehn Jahre kommen.

Zum anderen haben wir Probleme hinsichtlich des An-
wendungsbereichs des § 304 der Insolvenzordnung. Die
beabsichtigte Änderung hat zur Folge, dass viele wirt-
schaftlich Selbstständige, das heißt Kleinunternehmer,
durch die engeren Anwendungsgrenzen weitgehend aus
der Verbraucherinsolvenz herausfallen und mit deutlich
höheren Kosten konfrontiert werden.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Frau Präsidentin, die Redezeit ist doch schon um!)


– Ich komme auch zum Schluss.
Wir werden uns deshalb enthalten. Wir lehnen den Ent-

wurf nicht ab, da er in die Richtung geht, in die wir eben-




Rainer Funke
17684


(C)



(D)



(A)



(B)


falls gehen wollen. Eine Zustimmung ist aber aus den bei-
den genannten Gründen leider nicht möglich.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417923700
Letzter Redner für die
SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1417923800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe von 1985 bis 1994
als Amtsrichter die Aufgabe gehabt, Konkursverfahren
durchzuführen und war dabei auch für die Fragen der
Zwangsvollstreckung zuständig. Verehrter Kollege von
Stetten, diejenigen, die damals die politischen Rahmen-
bedingungen gesetzt haben, haben in meinem Register
immer dafür gesorgt, dass sowohl die Anzahl der Zwangs-
vollstreckungsverfahren – Steigerungsraten von 10 Pro-
zent pro Jahr – als auch die Anzahl der Konkursverfahren,
die heute „Insolvenzverfahren“ heißen, von Jahr zu Jahr
zunahmen.

Ich finde es daher ein bisschen billig, wenn Sie meinen
in Ihrem Entrée zu Ihrer Rede sagen zu müssen, die wirt-
schaftlichen Rahmenbedingungen seien Schuld daran,
dass wir 2,8 Millionen überschuldete Haushalte haben.
Ich finde es dramatisch, dass wir so viele überschuldete
Haushalte haben, und wir sollten uns alle als politisch Ver-
antwortliche an die Nase fassen und erkennen, dass hier
etwas geändert werden muss.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Die Bundesregierung zuallererst!)


– Mensch, Norbert, halte doch einmal den Mund!

(Heiterkeit)


Ich will mit aller Deutlichkeit sagen: Nachdem Sie in
der 12. Legislaturperiode mit dem Insolvenzverfahren
und der Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz ein wirk-
lich gutes Gesetz gemacht haben, haben wir heute die Ge-
legenheit, dieses Gesetz zu verbessern. Sie selbst haben
gesehen, dass das Gesetz unvollständig ist und nicht so
gegriffen hat, wie Sie sich das vorgestellt haben. Wenn Sie
damals der Meinung gewesen sind, dass es besser ist, das
Insolvenzverfahren mit den Vorschriften der Prozesskos-
tenhilfe zu koppeln, dann hätten Sie das ja tun können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben es ja auch nicht getan!)


Dann würden wir heute dieses Thema nicht angehen müs-
sen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum machen wir es dann nicht heute?)


– Ich habe dich doch eben um etwas gebeten.

(Heiterkeit)


Nun müssen wir das heute korrigieren und ich denke,
dass dies fast unbemerkt von der Öffentlichkeit geschieht.
Wir beraten heute über einen Entwurf, den ich zu den
wirklich guten Entwürfen zähle, denn wir geben durch die

Umsetzung dieses Entwurfs vielen Menschen die Mög-
lichkeit, nach einer kurzen Zeit wieder in das Wirt-
schaftsleben zurückzukehren, anstatt zu wissen, dass sie,
wie bisher, alles, was sie über den pfändungsfreien Betrag
hinaus verdienen, über einen Zeitraum von 30 Jahren an
ihre Gläubiger abführen müssen.

Wir wissen auch – Herr von Stetten und Herr Funke
haben es erwähnt –, dass die Gläubiger in aller Regel
keine Befriedigung gefunden haben. Wir wissen alle, dass
die meisten Menschen, die überschuldet waren, die ge-
pfändet wurden, die Konkurs anmelden mussten, kein In-
teresse mehr daran hatten, wieder am Wirtschaftsleben
teilzunehmen. Dies ist einer der wesentlichen Punkte: bei
diesen Menschen wieder Interesse zu wecken, am Wirt-
schaftsleben teilzunehmen.

Davon haben die Menschen etwas; denn es steigert ihr
Selbstwertgefühl. Die Kinder dieser Menschen haben et-
was davon; denn es ist, glaube ich, eine der schlimmsten
Erfahrungen, wenn man als Kind in Armut, in einem über-
schuldeten Haushalt aufwachsen muss. Die Städte und
Kommunen haben etwas davon, weil sie weniger Sozial-
hilfe zahlen müssen. Die Länder und der Bund haben auch
etwas davon, weil wieder Steuern eingenommen werden.
Also haben wir hier ein rundherum vernünftiges Gesetz
geschaffen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht Sie! Schon vor sieben Jahren!)


Wir kommen den Menschen noch weiter entgegen, in-
dem wir – ich bin froh, dass sich das aus den Beratungen,
die wir mit Experten geführt haben, ergeben hat – die
Wohlverhaltensphase abkürzen und einen festen Zeit-
punkt festsetzen, der sicher bestimmbar ist, ab dem die
Wohlverhaltensphase beginnt.

Nun haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, neben
anderen Problemen auch das der so genannten Kleinge-
werbetreibenden. Sicherlich ist die Zahl – ob 10, 20 oder
30 Gläubiger – gegriffen, aber wir wissen, dass wir eine
Zahl greifen mussten; denn das Verbraucherinsolvenzver-
fahren soll – insbesondere für die zuständigen Stellen, die
Schuldnerberatungsstellen – überschaubar sein. Es soll
schnell gehen. Die Menschen sollen schnell in die Wohl-
verhaltensphase kommen. Je höher die Zahl der Gläubi-
ger wird, desto geringer ist die Chance, dass es zu einer
Einigung kommt, desto geringer ist die Chance, dass die
Restschuldbefreiung erteilt wird.

Wir haben auch – und das ist richtig so – die modernen
Medien für Veröffentlichungen genutzt. Aber wir mussten
auch erkennen – ich bin dem Bundesbeauftragten für den
Datenschutz dankbar dafür, dass er uns darauf hingewie-
sen hat –, dass die neuen Medien datenschutzrechtliche
Probleme in sich bergen. Wir alle wissen, wie schwer man
sich immer wieder tut, vernünftige, griffige und vor allen
Dingen verständliche datenschutzrechtliche Regelungen
zu finden. Uns ging es – darum finde ich die Kritik nicht
angebracht – darum, über das Thema „Stundungsmodell“
und das Thema „Verkürzung der Restschuldbefreiung“
so schnell wie möglich das Verfahren der Verbraucher-
insolvenz für viele Menschen zu eröffnen. Daher ging es
nicht an, noch lange darüber reden, wie man dies daten-
schutzrechtlich abklären kann. Daher haben wir die




Dr. Evelyn Kenzler

17685


(C)



(D)



(A)



(B)


Verordnungsermächtigung in den Gesetzentwurf aufge-
nommen und unseren Entschließungsantrag eingebracht.
Wir bitten, hier eine vernünftige Regelung zu finden.

Ich denke, kurz vor der Sommerpause sollte man hier
versöhnliche Töne finden, nachdem wir gerade bei die-
sem – ich sage es noch einmal – so wichtigen Gesetz gut
zusammengearbeitet haben. Lassen Sie mich Ihnen für die
Art der Beratung, für den Umgang miteinander danken.
Wir haben gemeinsam etwas Gutes geschaffen und ich
würde mich freuen, wenn Sie alle zustimmen würden.

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen, Herr Profes-
sor Pick, und Ihrem Hause, dem Bundesjustizministe-
rium, bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die
guten Beratungen. Ich darf hier die Länder mit ein-
schließen, von denen einige sicherlich über ihren Schat-
ten gesprungen sind.

Bei Ihnen, Frau Präsidentin, bedanke ich mich für die
Großmut hinsichtlich der Überziehung.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417923900
Die galt in dieser De-
batte nun wirklich allen. Da war ich sehr neutral.

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-

desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
der Insolvenzverordnung und anderer Gesetze auf Druck-
sache 14/5680. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6468 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus-
schussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung mit der vom Bericht-
erstatter vorgetragenen Korrektur zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der PDS an-
genommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der
PDS angenommen.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Drucksache 14/6473. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der
F.D.P. angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der PDS zur Änderung der Insolvenzordnung
auf Drucksache 14/2496. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6468, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-

hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Hermann Bachmaier, Doris Barnett,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Stärkung der vertraglichen Stellung von
Urhebern und ausübenden Künstlern
– Drucksache 14/6433 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich ver-
künde aber jetzt schon, dass die Kolleginnen und Kolle-
gen Dirk Manzewski, Dr. Antje Vollmer1), Rainer Funke
und die Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin1)
ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.

Ich eröffne die Aussprache für die restlichen Rednerin-
nen und Redner und erteile zunächst dem Kollegen
Dr. Norbert Röttgen das Wort.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1417924000
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-
Fraktion hat sich in dem letzten halben Jahr, in den ver-
gangenen Monaten intensiv mit dem Urheberrecht und
der Reform des Urhebervertragsrechts beschäftigt. Wir
haben das getan, weil das Urheberrecht eine entschei-
dende Rahmenbedingung für das kulturelle Leben in un-
serem Land bildet, für seine Vielfalt, für die Chancen, für
die Entfaltungsmöglichkeiten, die Künstler in unserem
Land haben, für seine internationale Ausstrahlung, aber
auch für die Chancen der Kulturwirtschaft in Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Bundesregierung und die Bundesjustizminis-

terin weisen diesem Vorhaben einen hohen Stellenwert zu.
Darum bitte ich Sie, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich
mein Unverständnis darüber äußere, dass die Bundesju-
stizministerin dieses Projekt in der Öffentlichkeit propa-
giert, hier im Plenum des Deutschen Bundestages aber we-
der die Bundesregierung noch die Bundesjustizministerin
noch der Parlamentarische Staatssekretär noch ein Abge-
ordneter oder eine Abgeordnete der Koalition zu diesem
Projekt das Wort ergreift, meine Damen und Herren.


(Zuruf von der SPD: Das ist eine richtige Sauerei, was Sie hier machen!)





Alfred Hartenbach
17686


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

Ich finde es einen unmöglichen Stil, in der Öffentlichkeit
wichtige Projekte zu propagieren und jetzt im Bundes-
tag – auch wenn es spät ist, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen von den Koalitionsfraktionen und auch von den an-
deren Fraktionen – nicht mehr Stellung zu beziehen.

Unsere Fraktion hat nicht dafür plädiert, dass wir die-
ses wichtige Projekt noch in letzter Minute in dieser vor-
letzten Sitzungswoche platzieren. Wir sind nicht dafür
und halten es dem Stellenwert dieses Themas nicht für an-
gemessen, dass wir es um halb zehn in einer halbstündi-
gen Debatte mehr oder weniger abhaken. Das entspricht
auch nicht dem Stellenwert, den Sie diesem Thema öf-
fentlich einräumen.

Ich komme gerade von einer Veranstaltung des Börsen-
vereins des Deutschen Buchhandels. Wir erkennen in die-
sem Thema leider auch ein Muster rot-grüner Rechtspoli-
tik. Wie bei der Schuldrechtsreform, die bei dem größten
Teil der Rechtswissenschaft wie der Wirtschaft auf große
Ablehnung stößt, wie bei der Ziviljustizreform, die auf er-
bitterten Widerstand der Richterschaft, der Anwaltschaft
gestoßen ist, die am Ende auch erfolgreich Widerstand ge-
leistet hat, findet auch dieses Vorhaben absolut geschlos-
senen Widerstand bei der betroffenen Kulturwirtschaft.

Die Verlage – ob es Zeitungsverlage sind, Zeitschrif-
tenverlage, Buchverlage, Musikverlage –, Filmwirtschaft,
Fernsehen: Alle sind geschlossen gegen dieses Projekt,
meine Damen und Herren. Und Sie – ich begrüße Ihre jetzt
laufenden Konsultationen – halten es nicht für nötig, hier
im Bundestag dieses Projekt, das die betroffene Wirtschaft
mit Empörung ablehnt, zu verteidigen. Diesen Stil emp-
finde ich als nicht in Ordnung. Das ist der Grund, warum
ich hier das Wort ergreife, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bevor ich zur Sachkritik im Einzelnen komme, betone

ich, dass die CDU/CSU-Fraktion selbstverständlich auch
in dieser rechtspolitischen Frage zur konstruktiven Mit-
arbeit bereit ist und diese anbietet. Ich sehe den Sinn die-
ser Debatte am heutigen – etwas späteren – Abend im We-
sentlichen in der Bitte, uns mitzuteilen, ob dieses Angebot
von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen
angenommen wird. Sind Sie zu einem konstruktiven Dia-
log mit uns und den Beteiligten in dieser Sache bereit, um
am Ende zu einem gemeinsamen Vorschlag zu kommen?
Wenn Sie unser Angebot annehmen, dann können wir
nicht hopplahopp nach der Sommerpause zur zweiten und
dritten Lesung kommen und dieses Gesetz verabschieden,
sondern dann müssen wir miteinander intensiv beraten.

Ich komme zum Gesetzentwurf.

(Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär: Das wird auch Zeit!)

– Die Bemerkungen zuvor waren angemessen. Im Übri-
gen bitte ich Sie, wenn Sie zu meinen Ausführungen Stel-
lung nehmen wollen, sich auf die Abgeordnetenbank zu
begeben. Auch das ist eine Stilfrage, wie sich die Mitglie-
der der Bundesregierung gegenüber dem Parlament be-
nehmen.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Sagt der Zeremonienmeister Röttgen!)


– Herr Kollege Bachmaier, wenn Sie dieses Stilempfinden
nicht teilen, sagt das mehr über Sie als über mich aus.

Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, dass es
im Bereich des Urheberrechts einen punktuellen Hand-
lungsbedarf gibt: dass es Einzelbereiche gibt, bei denen
wir durch die Verbesserung der Rechtsstellung die wirt-
schaftliche Situation von Künstlern verbessern müssen.
Aber es gibt eben nur punktuellen Handlungsbedarf. Der
grundlegende Strickfehler Ihres Gesetzentwurfs liegt
darin, dass Sie diesem punktuellen Handlungsbedarf nicht
mit punktuellen Regelungen entsprechen, sondern dass
Sie alles reglementieren wollen, jedenfalls mehr, als re-
guliert werden muss. Das führt zwangsläufig dazu, dass
Sie mit diesem Gesetzentwurf viel mehr Probleme schaf-
fen – selbst dort, wo es noch gar keine gibt –, als Sie über-
haupt lösen können.

Der rote Faden, der sich durch diesen Gesetzentwurf
zieht, ist die konsequente Beschneidung der Vertrags-
freiheit als Ausdruck privater und gesellschaftlicher Le-
bensgestaltung. Es ist ein freiheitsfeindlicher Gesetzent-
wurf; Sie setzen auf staatliche oder kollektive Regle-
mentierung von Vertragsverhältnissen. Das ist verfas-
sungsrechtlich hoch problematisch. Die Instrumente sind
altmodisch. Für die Vielzahl der kleinen und mittleren Be-
triebe, die die deutsche Kulturwirtschaft prägen, ist es
wirtschaftlich existenzbedrohend und es ist international
nicht wettbewerbsfähig.

Ich komme zu einigen wenigen Einzelbestimmungen,
die im Zentrum der Kritik stehen. An erster Stelle ist der
vorgeschlagene § 32 des Urheberrechtsgesetzes zu nen-
nen, der gesetzliche Anspruch auf angemessene Vergü-
tung. Das ist staatliche Preisfestsetzung: Nicht der Markt,
nicht Angebot und Nachfrage sollen entscheiden, es soll
auch nicht nur eine Preisaufsicht, eine Missbrauchskon-
trolle geben, sondern Gerichte sollen den Preis festsetzen.
Das ist unserer Auffassung nach ordnungspolitisch ver-
fehlt und beruht auf einer Fiktion: Was ist denn der ange-
messene Preis für ein Drehbuch, für einen Beitrag in einer
Zeitung? Wie soll das Gericht das erkennen und diesen
Preis festsetzen, wenn es sich um einen kleinen Verlag
handelt, der in zehn junge, noch unbekannte Autoren in-
vestiert, von denen neun keinen Erfolg haben, während
der zehnte erfolgreich ist? Also muss doch aus den Ge-
winnen dieses zehnten Autors die Investition in die neun
anderen Autoren, denen eine Chance gegeben wurde, be-
zahlt werden. Diese Mischkalkulation muss ein Verlags-
unternehmen anstellen können.
Wie sollen Gerichte also den angemessenen Preis fest-
legen?

Die gesetzliche Festlegung eines Anspruchs auf ange-
messene Vergütung führt zu einer existenzbedrohenden
Rechtsunsicherheit. Das ist ein Damoklesschwert, das
über jedem Vertrag schwebt. Es sollen sogar rückwirkend,
bis zu 20 Jahre vor In-Kraft-Treten des jetzt vorliegenden
Gesetzes, Verträge erfasst werden. Damit besteht auch
Rechtsunsicherheit für jeden Werknutzer, also für jeden
Lizenznehmer. Sie bringen eine totale Rechtsunsicherheit
in die gesamte Kulturbranche, insbesondere in die Ver-
lagsbranche, hinein, die gerade für kleinere und mittlere




Dr. Norbert Röttgen

17687


(C)



(D)



(A)



(B)


Betriebe existenzbedrohend sein kann, weil sie ihre kal-
kulatorische Basis für Investitionen verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen in § 32 Abs. 5 des Urheberrechtsgesetzes

beiden vertragsschließenden Seiten das Recht einräumen,
nach mehr als 30 Jahren zu kündigen. Die Verleger der
Musikbranche, insbesondere diejenigen, die ernste Musik
verlegen, sagen, dass ihre Investitionszyklen 30 bis
60 Jahre umfassen; denn so lange kann es dauern, bis ein
Stück der ernsten Musik erfolgreich ist. Aber Sie haben
vorgeschlagen, dass der Urheber schon nach 30 Jahren
kündigen kann. Das wird dazu führen, dass kleinere Ver-
lage investieren, dass aber dann, wenn sich ein Erfolg
nach 30 oder 40 Jahren einstellt, große Verlage die erfolg-
reichen Produkte kaufen werden und die kleinen Verlage
auf ihren nicht erfolgreichen Investitionen sitzen bleiben
werden. Das, was Sie betreiben, ist mittelstandsfeindlich.
Das wird von den kleinen Verlagen ganz nüchtern auch so
vorgetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die in § 39 Abs. 3 vorgesehene Gestattungsbedürftig-

keit jeder Änderung und die Widerruflichkeit von Ände-
rungen bringen Rechtsunsicherheit mit sich, die insbe-
sondere für die Filmwirtschaft, aber auch für die Verlage
sehr problematisch ist. Ein Film zum Beispiel setzt sich
aus vielen Werken zusammen. Wenn jede Änderung ge-
stattungsbedürftig und widerruflich ist, dann können
Filme praktisch gar nicht mehr hergestellt werden.

Ich möchte auf einen letzten sehr problematischen
Punkt eingehen, nämlich § 36, der verbindliche Vergü-
tungsregeln vorsieht. Das sind kollektivistische Rege-
lungen. Das ist schon im Ansatz falsch, weil allgemeine,
abstrakte Regelungen der die deutsche Kulturlandschaft
prägenden Vielfalt nicht gerecht werden können. Eine
kollektive Regelung ist das falsche Instrument, weil sie
nicht einzelfallgerecht sein kann. Besonders abstrus ist,
dass die Verbände der Verwerter nicht gezwungen sind,
Vergütungsregeln miteinander zu vereinbaren, zugleich
aber die Verbände der Urheber einzelne Unternehmen zur
Annahme solcher Vergütungsregeln zwingen können.
Wenn die Unternehmen dazu nicht bereit sind, muss eine
Schiedsstelle, also wieder eine staatliche Einrichtung,
entscheiden. Sollte keine Einigung möglich sein, dann
geht der Fall an die Oberlandesgerichte. Die von Ihnen
vorgeschlagene kollektive Reglementierung endet also in
gerichtlicher Festsetzung von vertraglichen Inhalten, die
eigentlich individuell geregelt werden müssten. Das kann
nur schief gehen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben das nicht verstanden!)


Eine solche Regelung ist auch verfassungsrechtlich sehr
problematisch.

Das, was Sie vorhaben –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417924100
Herr Kollege Röttgen,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1417924200
– ich komme zum
Schluss –, ist nicht nur zum Schaden der Kulturwirtschaft
sowie der kleinen und mittleren Verlage, sondern auch der
Urheber. Ich möchte zuletzt den Börsenverein des Deut-
schen Buchhandels zitieren:

Auch den Urhebern ist nicht damit gedient, wenn die
Entwertung geschlossener Verträge bewerkstelligt
wird. Der vorliegende Entwurf verbessert die Situ-
ation der Urheber nicht, sondern er gefährdet sie
durch die von ihm ausgelöste rechtliche und wirt-
schaftliche Erosion der Arbeitsbasis der Verlage.
Seine Umsetzung würde gravierende negative Fol-
gen für den Medienstandort Deutschland haben.

Das ist die Dimension, um die es geht.
Wir appellieren an Sie, zu einem konstruktiven Dialog

in dieser Sache zurückzukehren, damit ein vernünftiger
Gesetzentwurf zustande kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417924300
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, in der Zwischenzeit haben sich alle Kolle-
ginnen und Kollegen, die ursprünglich ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben hatten, entschieden, von ihrem parlamen-
tarischen Rederecht Gebrauch zu machen.

Ich erteile zunächst das Wort zu einer Kurzintervention
der Kollegin Steffi Lemke.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417924400
Herr
Kollege Röttgen, Sie haben intensiv darauf Bezug ge-
nommen, dass sich einige Redner entschlossen haben,
ihre Reden zu Protokoll zu geben.

Erstens. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die De-
battenzeiten an den Freitagen und auch an den Donners-
tagen zurzeit in der Regel sehr lang sind und dass heute
– außer den von Ihnen genannten – noch andere wichtige
Punkte auf der Tagesordnung stehen, zu denen ebenfalls
Reden zu Protokoll gegeben werden. Es besteht unter den
Fraktionen – auch mit der Ihren – die Vereinbarung, die-
ses parlamentarische Verfahren anzuwenden. Dieses
Verfahren ist also üblich und nichts Außergewöhnliches.
Es sagt nichts darüber aus, ob eine Debattenrednerin, ein
Debattenredner oder eine Fraktion ein Thema hoch
schätzt oder nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. – Jörg van Essen [F.D.P.]: Völlig unsolidarisch! Unglaublich!)


Zweitens. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich Sie im Ple-
num nicht sehr oft sehe; das gilt insbesondere für die
Abendstunden. Ich finde deshalb, dass es gegenüber den
Kollegen absolut unkollegial ist, wie Sie Ihren Debatten-
beitrag strukturiert haben.

Drittens. Wenn Sie sich damit nicht so lange aufgehal-
ten hätten, dann hätten Sie Ihre Redezeit vielleicht einge-
halten und nicht überzogen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)





Dr. Norbert Röttgen
17688


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417924500
Herr Kollege Röttgen,
Sie haben das Wort zur Erwiderung.


(Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Jetzt kommt eine Entschuldigung! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Regierung hat den Mund zu halten!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1417924600
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/
CSU-Fraktion hat nicht darauf gedrängt, dass dieses Thema
noch in der vorletzten Sitzungswoche vor der Sommerpau-
se debattiert wird. Auch halte ich dieses Thema nicht für das
wichtigste, das es auf der politischen Agenda gibt.

Der Vorlauf sieht aus meiner Sicht folgendermaßen
aus: Die Bundesregierung will ein – nach ihrer eigenen
Einschätzung – wichtiges Thema unbedingt noch in das
parlamentarische Verfahren einbringen und die Koali-
tionsfraktionen haben deshalb den Gesetzentwurf der
Bundesregierung unverändert übernommen, damit er
noch im Plenum diskutiert werden kann. Wenn die Bun-
desregierung, um deren Vorhaben es sich schließlich han-
delt, vor diesem Hintergrund nicht dazu bereit ist – ich
verweise darauf, dass nur der Parlamentarische Staats-
sekretär, aber nicht die Bundesjustizministerin anwesend
ist –, dieses Vorhaben – zunächst hat man darauf gedrängt,
dass es behandelt wird – im Parlament mündlich zu ver-
treten, dann finde ich das enttäuschend. Wenn nicht nur
kein Vertreter der Bundesregierung, sondern auch kein
Vertreter der Koalitionsfraktionen dazu Stellung nimmt,
dann finde ich das ebenfalls enttäuschend.

Das habe ich zum Ausdruck gebracht. Meine Erwar-
tung ist, dass Sie, wenn Sie Wert auf eine parlamenta-
rische Debatte legen, diese auch führen. Das und nichts
weiter war mein Petitum.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg van Essen [F.D.P.]: Auch wenn Reden zu Protokoll gegeben werden, ist das eine parlamentarische Beratung! – Zuruf von der SPD: Das war arrogant und unkollegial!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417924700
Für die Bundesregie-
rung erteile ich nun dem Parlamentarischen Staatssekre-
tär Dr. Eckhart Pick das Wort.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1417924800
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Röttgen, ich finde es in der Tat ausgespro-
chen ungewöhnlich, sich ohne Kenntnis der Fakten über
die Nichtanwesenheit der Bundesministerin der Justiz
zu mokieren. Sie ist davon ausgegangen, dass die Reden
– auch die der Ministerin – zu Protokoll gegeben werden.
In einem solchen Fall ist es nicht üblich, dass der
Parlamentarische Staatssekretär im Plenum spricht. Das
erklärt, warum nur ich anwesend bin. Ihr Angriff geht ins
Leere. Auch Ihre Kurzintervention hat die Angelegenheit
nicht besser gemacht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Gustav-Adolf Schur [PDS])


Aufgrund Ihrer Philippika müsste man eigentlich den
Eindruck haben, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf
überhaupt nichts anfangen können. Es stellt sich daher die
Frage, ob Sie Ihr Angebot, mit der Bundesregierung und
mit den Koalitionsfraktionen über dieses Projekt zu reden,
überhaupt ernst gemeint haben. Es wäre in der Tat wich-
tig, dass sich alle Fraktionen mit diesem Thema beschäf-
tigen. Herr Röttgen, es genügt nicht, in Sonntagsreden
von der Bedeutung der Kreativen in diesem Land zu spre-
chen, ohne dass man bereit ist, ihnen eine angemessene
Vergütung zuzubilligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mit diesem Entwurf geschieht nichts anderes, als dass
zum ersten Mal festgehalten wird, dass Urheberinnen und
Urheber einen Anspruch auf eine angemessene Vergü-
tung haben. Ich kann nichts finden, was die Angemessen-
heit irgendwie infrage stellt. Eine angemessene Vergütung
ist doch das Minimum, was man für ein Werk fordern
kann. Sie wissen auch, dass mit diesem Gesetzentwurf
nicht der Versuch unternommen wird, den Begriff der An-
gemessenheit zu definieren. Es ist nämlich das, was man
unter Angemessenheit versteht, je nach Branche und Si-
tuation äußerst unterschiedlich. Deshalb haben wir die
Flexibilität dieses Begriffs auch in diesem Gesetzentwurf
durchweg gewahrt.

Sie haben von kollektivistischen Vereinbarungen ge-
sprochen. Es gibt solche Vereinbarungen bereits, zum
Beispiel bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten.
Dort werden die ständigen freien Mitarbeiter durchaus in
die Tarifverträge einbezogen. Das kann ein Muster sein
und die Vermutung erhärten, dass es sich um angemessene
Regeln handelt. Im Übrigen nimmt der Gesetzentwurf auf
die Besonderheiten, zum Beispiel der kleinen Verlage,
durchaus Rücksicht.

Herr Röttgen, es ist normal, dass in einem Bereich, in
dem auch wirtschaftliche Interessen verfolgt werden, die
Betroffenen gegebenenfalls Einbußen haben. Wieso soll
es aber eine Einbuße sein, wenn jemand eine angemes-
sene Vergütung zu zahlen hat? Wo ist denn da prima facie
ein Eingriff zum Beispiel in den Gewerbebetrieb? Ich
finde, hier wird eine Selbstverständlichkeit ausgedrückt,
ohne dass sich der Staat anmaßt, etwa die Frage der
Angemessenheit zu konkretisieren.

Ich möchte Ihnen, Herr Röttgen, noch etwas sagen. Es
ist doch blauäugig, zu glauben, dass wir hier auf beiden
Seiten in jeder Situation strukturell gleichwertige Partner
hätten. Denken Sie an den Verlag, dem ein Autor ein Ma-
nuskript anbietet. Insbesondere dann, wenn der Autor un-
bekannt ist, ist er doch völlig dem ausgeliefert, was dieser
Verlag ihm anbietet. Wir wissen, wie schwierig es ist, ab-
gesehen vom Fall des selten vorkommenden Bestsellers
– diese Vorschrift gibt es ja –, später zu einer angemes-
senen Vergütung zu kommen, wenn sich die Publikation
als Erfolg herausstellt. Hier besteht also eine – das kennen
wir auch sonst im bürgerlichen Leben – in vielen Be-
reichen gestörte Vertragsparität. Ich meine, dass dies
der Gesetzgeber berücksichtigen muss.






(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle, insbeson-
dere die CDU/CSU-Fraktion, ein, sich an diesem wich-
tigen Thema zu beteiligen. Wir werden noch genügend
Zeit haben, uns mit diesen Fragen zu beschäftigen. Wir
haben übrigens bereits mit den Verbänden gesprochen. All
denjenigen, die das heute nicht mehr so ganz wahrhaben
wollen, sage ich: Die Ministerin hat sogar in Gegenwart
des Kanzlers mit den Verbänden gesprochen. Insofern
sind die Verbände ausführlich und umfassend beteiligt
worden. Wir wollen eine flexible Regelung treffen, die
alle Bereiche umfasst, den Urhebern aber genügend Raum
lässt, eigenverantwortlich entsprechende Regelungen zu
treffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417924900
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417925000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Ministerin hat vor gut einem Jahr zu
dem so genannten Professorenentwurf Ja und Amen ge-
sagt. Sie hat gesagt: Wir können den Entwurf der Profes-
soren eigentlich wortgleich übernehmen und unterschrei-
ben. Anschließend hat sie aber doch ein gutes Jahr
benötigt, um zu erkennen, dass das, was sie so gelobt
hatte, doch nicht das Gelbe vom Ei war. Daraufhin hat sie
den Entwurf für die Novelle des Urhebervertragsrechts
ins Kabinett eingebracht. Damit das Vorhaben etwas be-
schleunigt wird und es nicht so auffällt, dass man im Mi-
nisterium relativ lange benötigt hatte, um dieses Urheber-
vertragsrecht zu gestalten, hat sie den Gesetzentwurf über
die Fraktion eingebracht. Das ist ihr gutes Recht. Aber
man sollte dann auch ganz offen sagen, dass es sich hier
um komplexe Materien handelt, die nicht ganz einfach
sind.

Wir sind froh, dass die Ministerin mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf dem Professorenentwurf die we-
sentlichen Giftzähne gezogen hat. Die F.D.P. ist als Partei
des privaten Eigentums bekannt und freut sich natürlich,
dass auch die Interessenlagen der Urheber, deren Situ-
ation nicht mit der Situation der Verlage vergleichbar ist
und die nicht auf gleicher Augenhöhe verhandeln, ge-
schützt werden sollen. Über den Begriff der Ange-
messenheit der Vergütung, wie er in § 32 aufgeführt ist,
kann man aber in der Tat diskutieren. Warum nimmt man
zum Beispiel nicht die Formulierung der üblichen Ver-
gütung aus dem BGB? Darüber müssen wir diskutieren.

Wir müssen auch über § 36 diskutieren, über die Frage,
ob kollektivrechtliche Lösungen, wie Sie sie vorgeschla-
gen haben, das Gelbe vom Ei sind. Wir sollten dort eher
eine vertragliche Lösung vorsehen. Genauso haben wir
darüber nachzudenken, ob die Kündigungsfrist nach § 30
richtig ist.

Darüber müssen wir wirklich noch sehr intensiv mitei-
nander diskutieren. Wir müssen Anhörungen durch-
führen. Ich möchte die Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen bitten, uns Gelegenheit zu geben, dieses
Urhebervertragsrecht gründlich miteinander zu beraten,

und hier einmal von der üblichen Art des Durchpeitschens
von Gesetzen Abstand zu nehmen.

Wir sollten versuchen, eine sachgerechte Lösung zu
finden. Die F.D.P. wird daran mitwirken, weil wir Urhe-
berrechte eben auch als Eigentumsrechte empfinden.
Diese Rechte der Urheber müssen natürlich geschützt
werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417925100
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dirk Manzewski.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1417925200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Kollege Röttgen, Sie haben mich am
Anfang Ihrer Rede angegriffen. Das finde ich ziemlich
unkollegial. Wie Sie sehen, bin ich mit meinem Rede-
manuskript hier. Mir zumindest ist suggeriert worden, die
Geschäftsführer hätten sich darauf geeinigt, dass wir die
Reden zu Protokoll geben.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es! Genauso war es! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein, das ist nicht wahr!)


Es kann durchaus sein – das bleibt Ihnen völlig unbe-
nommen –, dass Sie als Berichterstatter der Union sagen:
Mit mir ist nicht gesprochen worden und ich rede. Damit
habe ich keine Probleme. Aber die anderen Kollegen, die
sich auf diese Vereinbarung verlassen haben, hier öffent-
lich anzugreifen, ist eine Schweinerei.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. – Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!)


Wir beide, Herr Kollege, sind doch bislang immer ganz
gut klar gekommen. Ich habe Sie ziemlich hoch geschätzt.


(Zuruf von der SPD: Das war eine Fehleinschätzung! So schnell geht das!)


Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was Sie heute
hier gebracht haben, hat mich ziemlich enttäuscht. Ei-
gentlich erwarte ich von Ihnen intern noch eine Entschul-
digung. Ich hoffe, dass sie kommt.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das sind wirklich Sachen, die nicht akzeptabel sind!)


Zur Sache: Meine Damen und Herren, es geht – und
das ist längst überfällig – um die Stärkung der vertragli-
chen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern.
Es handelt sich hierbei um ein seit langem gefordertes Ge-
setzesvorhaben. Bereits bei der amtlichen Begründung
des Urheberrechtsgesetzes im Jahre 1965 wurde auf
die Notwendigkeit eines ergänzenden Urhebervertrags-
gesetzes hingewiesen, und dies nicht ohne Grund.

Das Schaffen der Kreativen ist sowohl für die Kultur
selbst wie auch für die daraus resultierende Kulturwirt-
schaft in unserem Land unverzichtbar. Die Kulturwirt-




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
17690


(C)



(D)



(A)



(B)


schaft hat in den letzten Jahren – nicht nur aufgrund des
digitalen Zeitalters – immer mehr Bedeutung erlangt. Ins-
besondere Medienunternehmen haben sich zu einem be-
deutenden und zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor ent-
wickelt. Ich halte es daher nur für recht und billig, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wenn die Urheber entspre-
chend ihrer Leistung auch an deren finanzieller Ver-
wertung gerecht partizipieren. Nichts anderes will der Ge-
setzentwurf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])


Urheber und ausübende Künstler sollen künftig ange-
messen am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit beteiligt
werden. Leider ist dies in der Praxis, Kollege Röttgen,
heutzutage häufig noch nicht der Fall. Dies gilt vor allem
für den Bereich der Freiberufler. Freiberufler sind zwar
rechtlich gesehen selbstständige Unternehmer, tatsächlich
sind sie aber eher mit lohnabhängigen Arbeitnehmern
vergleichbar. Das liegt vor allem daran, dass den Kreati-
ven bei Vertragsschluss immer stärker werdende Unter-
nehmen der Kultur- und Medienwirtschaft gegenüber-
stehen. Von gleich starken Vertragspartnern, die Verträge
noch aushandeln, wie wir es verstehen, kann da keine
Rede mehr sein. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen
nutzen vielmehr oft die schlechte rechtliche Stellung der
Urheber aus, um Vergütungen und Kosten zu drücken.
Diese sind dann vielfach aus ihrer finanziellen Situation
heraus geradezu gezwungen, sich und ihr Werk unter Wert
zu verkaufen.

Dies geht in der Regel sogar so weit, meine Damen
und Herren, dass nicht nur das Werk an sich, sondern
auch dessen mehrstufige Vermarktung gleich mit
übertragen wird. Das heißt, dem Roman im Original
folgt die Übersetzung, dann kommt die Auswertung als
Drehbuch. Der Kinoauswertung folgt die Fernsehaus-
wertung, danach der Verkauf oder die Vermietung als Vi-
deo usw. Den Vermarktungsmöglichkeiten stehen heut-
zutage in unserer globalisierten Welt Tür und Tor offen.
Viele profitieren davon. Die Urheber gehören leider nur
selten dazu.

Natürlich gibt es auch Künstler – da gebe ich Ihnen
vollkommen Recht –, die aufgrund ihrer Stellung gut ver-
dienen und Bedingungen stellen können. Hierauf wird
von Verwerterseite auch immer hingewiesen. Der Kreis
dieser Branchenstars ist aber nur sehr klein. Es heißen
eben nicht alle Kreativen Grass oder Walser. Dabei finde
ich es im Übrigen anerkennenswert, dass sich gerade viele
von denjenigen, denen es gut geht, für ihre Kolleginnen
und Kollegen engagieren.


(Beifall bei der SPD)

Ich will auch nicht verkennen, dass es Teilbereiche

gibt, in denen eine zufrieden stellende Vergütung gewährt
wird. Dies ist vor allem dort der Fall, wo zwischen den
Vertragspartnern Tarifverträge bestehen oder Vergütun-
gen bezahlt werden, die auf so genannten urheberrecht-
lichen Normverträgen oder Vergütungsregelungen der
Verbände aufbauen. Für diese Fälle, Kollege Röttgen,
wird der Gesetzentwurf überhaupt nichts Neues bringen.
Genau hier setzt vielmehr die angedachte Reform an. Die

Stärkung der Rechtsstellung der Urheber und ausübenden
Künstler als regelmäßig schwächere Parteien soll vor al-
lem durch die Verankerung des gesetzlichen Anspruchs
auf angemessene Vergütung und eben – das ist wichtig –
der Regelung gemeinsamer Vergütungsregeln erfolgen.

Damit soll ein Ordnungsrahmen geschaffen werden
– mehr nicht –, der es den Parteien erlaubt, eigenverant-
wortlich zu angemessenen Vereinbarungen zu kommen,
wobei selbstverständlich insbesondere in Bezug auf die
Kleinverlage die unterschiedlichen Strukturen – da will
ich Ihnen völlig Recht geben – berücksichtigt werden
müssen.

Wer solche Vergütungsregelungen vereinbart, erhöht
im Übrigen die eigene Rechtssicherheit. Die Belastungen
dieser Unternehmen werden sich nämlich zukünftig nicht
erhöhen. Da sich solche Regelungen zwischen Verbänden
von Autoren und Künstlern einerseits und den Verwertern
andererseits bewährt haben, dienen sie vielmehr der Be-
stimmung der Angemessenheit als Vorbild. Das, Kollege
Röttgen, ist das Entscheidende. Dadurch, dass wir dies so
festgelegt haben, dass wir also ganz klar sagen, dass das,
was momentan im Bereich der Tarifverträge gezahlt wird,
von uns als angemessen angesehen wird, haben die Ge-
richte – ganz anders als Sie es hier dargelegt haben –
überhaupt keine Probleme, im Einzelfall eine gerechte
Entscheidung zu treffen.

Deshalb handelt es sich hier um einen relativ schlan-
ken Gesetzentwurf, über den wir hier heute diskutieren,
der den Parteien in einem vorgegebenen Rahmen Spiel-
räume lässt.


(Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt ja nun nicht!)


Mit minimalem gesetzgeberischen Einsatz, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wird meiner Auffassung nach ein
Höchstmaß an ausgleichender Wirkung und an Hand-
lungsspielraum zwischen Urheber und Verwerter erreicht.
Allein durch eine geringfügige Umgestaltung des so ge-
nannten Bestsellerparagraphen und unverbindliche Ver-
bandsempfehlungen wäre dieses Bestreben dieses Ge-
setzentwurfes nicht zu erreichen gewesen. Hierdurch
ließe sich nur in wenigen Fällen eine Korrektur vorneh-
men. Insbesondere dem so genannten Bestsellerparagra-
phen fehlt es insoweit an Durchschlagskraft. Die große
Anzahl der in der alltäglichen Praxis vorkommenden
Fälle von unangemessener Vergütung würde hiervon
nicht erfasst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Handeln tut also Not.
Mit der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfes hier
im Deutschen Bundestag ist der erste Schritt hierzu getan.
In den folgenden Wochen nach der Sommerpause erwarte
ich zu diesem Thema eine interessante Diskussion. Ich
würde mich freuen, wenn Sie das Gesetzesvorhaben kon-
struktiv begleiten würden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dirk Manzewski

17691


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417925300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden das
Wort.


(Zurufe von der SPD: Oh nein! Muss das sein?)



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1417925400
Herr Kollege
Manzewski, ich will der guten Ordnung halber nur darauf
hinweisen, dass sowohl Ihre Fraktion als auch die ande-
ren Fraktionen zu keinem Zeitpunkt Anlass hatten, anzu-
nehmen, dass der Kollege Röttgen nicht reden würde.


(Hans-Peter Kemper [SPD]: Es ist wohl Mist gemacht worden!)


– Nein, es ist kein Mist gemacht worden, sondern die Ge-
schäftsführer der Union haben gegenüber dem Präsi-
dium – das ist dieser Kopie ja auch zu entnehmen – im-
mer wieder festgestellt, dass der Kollege Röttgen reden
wird. Ich möchte das nur der guten Ordnung halber hier
gesagt haben, damit nicht der Eindruck entsteht, wir hät-
ten die anderen Kollegen getäuscht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417925500
Letzter Redner dieser
Debatte ist der Kollege Dr. Heinrich Fink für die PDS-
Fraktion.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Kein bisschen Führungsqualitäten bei euch!)



Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1417925600
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nach jahr-
zehntelanger Debatte um die Reform des Urheberver-
tragsrechtes liegt nun endlich ein Gesetzentwurf vor. Das
Reformwerk war lange überfällig. Den Entwurf halte ich
in den Grundzügen für gelungen. Er sollte nach den not-
wendigen Beratungen so bald wie möglich verabschiedet
werden.

Ziel der Neuregelung ist, die Rechte der Kreativen zu
stärken. Insbesondere der nunmehr festgelegte gesetz-
liche Anspruch auf angemessene Vergütung und die Er-
stellung gemeinsamerVergütungsregeln sind geeignete
Wege, diese Zielstellung auch zu erreichen. Dass die Be-
teiligten in einem konsensorientierten Verfahren selbst
darüber bestimmen können, was in ihrer Branche jeweils
angemessen ist, halte ich für sinnvoll. Damit kann den
Unterschieden in der Größe und Art der Unternehmen und
der Verlage Rechnung getragen werden. Die Vorschläge
können zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit für alle
Beteiligten beitragen. Sie helfen, gerechtere Verwer-
tungsbedingungen im Interesse der Urheber, der in der
Regel schwächeren Partner, durchzusetzen. Erstmals
eröffnet sich die Möglichkeit, dass alle Urheber, also auch
die Freischaffenden und die ausübenden Künstler, in den
Genuss schützender und auf Ausgleich bedachter Rege-
lungen kommen.

Die Umsetzung dieses Gesetzentwurfes bietet eine
Möglichkeit, die Arbeits- und Lebensbedingungen der
Kreativen zu verbessern. Fazit der Anhörung unserer
Fraktion im Dezember vergangenen Jahres zur Situation
der freiberuflich Tätigen ist: Die Mehrzahl befindet sich

in einer prekären sozialen Situation. Besonderer Hand-
lungsbedarf besteht in den neuen Bundesländern. Die
PDS wird sich also schon aus Gründen der sozialen Ge-
rechtigkeit für diesen Entwurf einsetzen.

Dies ist aber nicht der alleinige Grund. Entscheidender
ist wohl, dass damit Regularien geschaffen werden, die
kreatives Schaffen befördern. Kreativität muss sich in die-
sem Lande wieder lohnen. Der Legende, dass Armut krea-
tiv macht, wird hier wohl keiner aufsitzen. Insofern han-
delt es sich nicht primär um eine Sozialmaßnahme,
sondern um eine wesentliche kulturelle Frage. Ich teile die
geäußerten Befürchtungen jener nicht, welche die kultu-
relle Vielfalt und den Kulturwirtschaftsstandort
Deutschland bedroht sehen. Ich denke vielmehr, dass
dieses Gesetz auch zur Stärkung der Kulturwirtschaft im
internationalen Wettbewerb beitragen kann.

In einzelnen Punkten halten wir Nachbesserungen
durchaus für notwendig. In der Kürze der Zeit kann ich
hier nur einen Kritikpunkt nennen: Im Entwurf ist eine
Befristung der Rückwirkung vorgesehen. Die Frist von
20 Jahren vor In-Kraft-Treten des Gesetzes erscheint uns
willkürlich gewählt und sachlich nicht gerechtfertigt.


(Beifall bei der PDS)

Im Filmbereich, im Fotojournalismus, im Rundfunk,
vor allem aber im Fernsehen finden in großem Umfang
Nutzungen von Werken statt, deren vertragliche Grund-
lagen vor mehr als 20 Jahren gelegt wurden. Wir plä-
dieren deshalb dafür, diesen Passus aus dem Gesetz zu
streichen.

Dennoch: Unsere Bewertung ist grundsätzlich positiv.
Es ist zwar nicht die so genannte große Lösung im Urhe-
berrecht, aber ein wichtiger Reformschritt zugunsten der
Kreativen. Sicherlich sollte man noch darüber reden; aber
es muss gerade im Urhebervertragsrecht endlich zu einer
Lösung kommen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417925700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6433 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie-

(Besoldungsstrukturgesetz – BesStruktG)

– Drucksache 14/6390 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Der Kollege Max Stadler, F.D.P., hat seine Rede zu
Protokoll gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
hoffe, dass die vorherige Aussprache diesbezüglich eine
Ausnahme war, wir respektieren, dass ein solches Instru-
ment hier im Parlament, insbesondere zu später Stunde,
genutzt wird, und es keinerlei Diffamierungen der ent-
sprechenden Kolleginnen und Kollegen gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1417925800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist eines der Leitpro-
jekte dieser Bundesregierung zum Thema „Moderner
Staat – Moderne Verwaltung“. Es ist ein wichtiges Geset-
zesvorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode auf den
Weg bringen. Der Staat muss sich ebenso wie die Wirt-
schaft wettbewerbsfähig machen und einen entsprechen-
den Beitrag leisten. Dazu ist es notwendig, die Verwal-
tung zu modernisieren. Dazu gehört auch die Gestaltung
der Bezahlungssysteme und deren leistungsorientierte
Ausrichtung; denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des öffentlichen Dienstes sind die wichtigste Ressource
zur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Ohne die Förderung
der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter kann eine wirklich zukunftsfähige Reform der öf-
fentlichen Verwaltung nicht gelingen.

Bereits 1997 gab es im Zuge des Dienstrechtsreform-
gesetzes eine vorsichtige Lockerung der bis dahin starren
Besoldungsstrukturen. Wir hatten Leistungsstufen und
Leistungszulagen eingeführt, und ich sage ausdrücklich,
auch wir in der Opposition haben dies damals mitgetra-
gen. Mit dem vorliegenden Entwurf will die Bundesre-
gierung diese Leistungsausrichtung der Bezahlung im öf-
fentlichen Dienst fortsetzen. Deswegen enthält dieser
Entwurf ein Bündel von Regelungen zur Flexibilisierung
des Besoldungsrechts.

Ich möchte mich jetzt auf zwei Elemente des Gesetz-
entwurfs konzentrieren, nämlich die Einführung von Be-
zahlungsbandbreiten im gehobenen und höheren Dienst
sowie die Regelungen zur Modernisierung des Familien-
zuschlags.

Es ist vorgesehen, Bezahlungsbandbreiten über drei
Besoldungsgruppen im Eingangsamt und im ersten
Beförderungsamt des gehobenen und höheren Dienstes
einzuführen. Dies bedeutet eine vorsichtige Öffnung der
Einstiegsebenen dieser Laufbahngruppen für variable
Bewertungen und Einstufungen. Künftig soll die Ein-
gangsbezahlung nach Aufgabe und nach Anforderung dif-
ferenziert werden können. Damit schaffen diese Bezah-
lungsbandbreiten Gestaltungsspielräume für individuelle
Leistungsprofile einerseits und die Berücksichtigung all-
gemeiner arbeitsmarktpolitischer Gesichtspunkte ande-

rerseits. Es entspricht nach unserer Auffassung dem Leit-
bild des aktivierenden Staates, dass diejenigen, die Perso-
nalverantwortung tragen – übrigens auch die Gemeinden
und die Gemeindeverbände –, nicht unnötig durch bun-
des- oder auch landeseinheitliche Vorschriften gegängelt
werden. Es gilt vielmehr, eine individuell richtige und
leistungsorientierte Bewertung auch im Interesse der Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter möglich zu machen. Dies
haben auch die kommunalen Spitzenverbände im Vorfeld
der parlamentarischen Beratung zu Recht deutlich ge-
macht.

Ich bedaure es, dass der Bundesrat zu dieser zentralen
Regelung des Entwurfs mit knapper Mehrheit ablehnend
Stellung genommen hat. Hinter der ablehnenden Haltung
des Bundesrates verbirgt sich offensichtlich die Furcht
vor einem Wettlauf unter den einzelnen Dienstherren um
die besten Bewerber. Ich meine, dass wir dies noch ein-
mal aufgreifen müssen. Ich meinerseits teile diese Furcht
nicht. Die vorhandenen Ressourcen, also die für die
Besoldung der Beamtinnen und Beamten vorhandenen
Haushaltsmittel und Planstellen, werden nämlich durch
das Besoldungsstrukturgesetz überhaupt nicht angetastet.
Der Kuchen wird weder größer noch kleiner. Durch das
Instrumentarium des Besoldungsstrukturgesetzes erhal-
ten die Dienstherren jedoch die Möglichkeit an die Hand,
die vorhandenen Mittel sinnvoller und gerechter zu ver-
teilen.

Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzentwurfs ist die
Modernisierung des Familienzuschlags. Zwingender ge-
setzgeberischer Handlungsbedarf besteht bei den kinder-
bezogenen Anteilen für die dritten und weiteren Kinder
von Beamtinnen und Beamten. Es ist erforderlich – das
will ich mit Nachdruck sagen –, die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom November 1998 nun-
mehr dauerhaft umzusetzen. Die Erhöhungsbeträge neh-
men damit zukünftig auch an allen Dynamisierungen der
Besoldung teil. Hierüber besteht zwischen Bund und Län-
dern Einvernehmen.

Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, dass
die Regelungen zum Familienzuschlag vor dem Hinter-
grund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse insge-
samt auf den Prüfstand gehören. Dies gilt insbesondere
für den so genannten Verheiratetenzuschlag, den bisher
alle verheirateten Beamten, Richter und Soldaten erhal-
ten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Sie, Herr Belle,
1997 in der Union dazu auch Vorschläge gemacht haben,
die Sie aber offensichtlich innerhalb Ihrer Koalition nicht
durchsetzen konnten. Die Frage ist erlaubt, welchen Sinn
es machen soll, diese Förderung in einem besonderen Be-
zahlungssystem vorzunehmen, das nur eine bestimmte
gesellschaftliche Gruppe begünstigt. Die Förderung von
Ehe und vor allem von Familien mit Kindern ist vielmehr
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit der Steuer-
reform 2000 haben wir das größte Steuersenkungspro-
gramm der deutschen Nachkriegsgeschichte umgesetzt
und, wie ich meine, insbesondere auch Familien mit Kin-
dern ganz entscheidend geholfen.

Der Antrag Sachsens im Bundesrat – alles kann beim
Alten bleiben – vertritt keine Haltung und weist auch
nicht in die Zukunft; denn wir müssen wissen, dass dann




Vizepräsidentin Petra Bläss

17693


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

die Erhöhungsbeträge für das dritte Kind und weitere Kin-
der in Höhe von fast 300 Millionen DM jährlich ohne Ge-
genfinanzierung blieben. Im Klartext bedeutet dies: Auf
die öffentlichen Haushalte vor allem in den Ländern kä-
men erhebliche Zusatzkosten zu.

Ich möchte aber deutlich machen, dass die Bundesre-
gierung gern bereit ist, noch während des Gesetzge-
bungsverfahrens konkrete Festlegungen zur Verwendung
dieser Mittel im Besoldungssystem vorzulegen. Deswe-
gen beraten wir, und ich denke, dass wir in dieser Hinsicht
eine gute Entscheidung finden können.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417925900
Das Wort hat der Kol-
lege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion.


Meinrad Belle (CDU):
Rede ID: ID1417926000
Frau Präsidentin! Meine
Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kol-
legen! Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nach
21 Uhr nicht mehr im Plenum des Bundestages zu reden,
weil zu dieser Zeit die Aufmerksamkeit doch generell sehr
zu wünschen übrig lässt. Darum haben wir als Besol-
dungs- und Dienstrechtspolitiker in den letzten beiden
Runden zum Dienstrecht und zum Besoldungsrecht un-
sere Reden alle zu Protokoll gegeben. Aber, meine Damen
und Herren, als Opposition kann man und darf man die-
sen Gesetzentwurf auch nach 21 Uhr in erster Lesung
nicht unkommentiert durchgehen lassen, Herr Staatsse-
kretär Körper.


(Beifall bei der CDU/CSU)

„Mit dem Kopf durch die Wand!“ An diese Redewen-

dung musste ich unwillkürlich denken, als ich das erste
Mal diesen Gesetzentwurf nebst Stellungnahme des Bun-
desrates und Gegenäußerung der Bundesregierung über-
flogen hatte. Da werden die wesentlichen Bestimmungen
dieses Entwurfs von einer nicht zu knappen Mehrheit der
Bundesländer – gleichgültig, ob SPD- oder CDU- bzw.
CSU-geführt – generell abgelehnt.


(Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär: Es war knapp!)


Zum Teil werden verfassungsrechtliche Bedenken erho-
ben. Aber dieses Gesetz bedarf – wie Sie sehr wohl wis-
sen – der Zustimmung des Bundesrates. Trotzdem wird
dieser Gesetzentwurf eingebracht und soll heute in erster
Lesung beraten werden. Da frage ich mich: Was soll das?

Am Rande sei noch vermerkt, dass der Entwurf natür-
lich auch vom Beamtenbund und von den Beamtenge-
werkschaften des DGB in den wichtigsten Bestimmungen
abgelehnt wird. Unter diesen Umständen und bei dieser
Ausgangslage können wir als CDU/CSU-Fraktion diesem
Gesetzentwurf nicht zustimmen; denn ohne die Zustim-
mung des Bundesrates fehlt es an einer wesentlichen
Grundvoraussetzung.

Ich will aber ganz kurz – ich werde meine Redezeit
heute Abend sicherlich nicht in vollem Umfange in An-

spruch nehmen – noch auf einige bedeutsame inhaltliche
Einzelheiten eingehen.

Zur beabsichtigten Einführung von Bandbreiten im
höheren und gehobenen Dienst sollen die Eingangsämter
um je eine Stufe nach oben und nach unten gespreizt wer-
den. Kriterien für diese Bandbreiteneinstufung sollen
Funktionsanforderung, fachliche Qualifikation, aber auch
– jetzt kommt es – die Haushaltslage sein, Herr Staatsse-
kretär. Das haben Sie vorhin nicht erwähnt. Wir wissen
aber, dass die Haushaltslage überall bei Bund und Län-
dern ziemlich klamm ist. Dies wird sich also nach unserer
Meinung fast ausschließlich als reine Sparmaßnahme aus-
wirken, die von uns so nicht mitgetragen werden kann.

Außerdem ist die Zersplitterung des Besoldungsrechts
zu befürchten; der Wechsel von Beamten zwischen
reichen und armen Bundesländern wird erschwert. Eine
derartige Regelung ist natürlich auch politisch miss-
brauchsanfällig; die Patronage politisch genehmer Beam-
ter ist nicht ausgeschlossen. Die Einheitlichkeit der Be-
soldung im Bundesgebiet und auch innerhalb einzelner
Länder ist damit nicht mehr gewährleistet.

Übrigens ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße-
rung auf die insoweit vorgebrachten verfassungsrechtli-
chen Bedenken des Bundesrates nicht eingegangen.

Zur Streichung des Verheiratetenzuschlages. Künftig
sollen verheiratete Beamte keinen Familienzuschlag mehr
erhalten. An heute bereits Verheiratete wird er „eingefro-
ren“ weitergezahlt.

Meine Damen und Herren, da ist mir heute zufällig eine
Presseerklärung, ein Zitat auf den Tisch geflattert, in dem
es so schön heißt – wenn ich das einmal zitieren darf –:

Wer den Verheiratetenzuschlag streicht, um den
Kinderzuschlag aufzustocken, nimmt den Beamten-
familien aus der linken Tasche, was er in die rechte
Tasche steckt.

Zitat eines DGB-Vorstandsmitglieds – hier in Berlin heute
am Donnerstag veröffentlicht. Dem ist eigentlich nichts
mehr hinzuzufügen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch dieser Vorschlag wird daher von uns abgelehnt.

Die Streichung ist sozial unausgewogen und kleine
Beamte werden relativ stark belastet. Diese Streichung ist
aber auch deshalb unvertretbar, weil – das ist das
Entscheidende – im Tarifbereich weiterhin ein solcher Zu-
schlag gezahlt wird. Das war auch der Grund, Herr Staats-
sekretär, warum wir damals die Sache nicht weiterverfolgt
haben. Aber auch hier ist die Bundesregierung in ihrer Ge-
genäußerung nicht auf die verfassungsrechtlichen Beden-
ken des Bundesrats eingegangen.

Des Weiteren wird eine Zulage für Wahrnehmungen
befristeter Funktionen vorgesehen. Die oberste Dienst-
behörde soll also entscheiden können, dass für herausge-
hobene Funktionen eine Zulage gezahlt werden kann. Wir
lehnen diese neue Zulage ab, weil Zulagen abgebaut und
nicht neu eingeführt werden sollten – wie wir es im Übri-
gen auch im Dienstrechtsreformgesetz in der vorherigen
Legislaturperiode realisiert haben –,


(Beifall bei der CDU/CSU)





Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
17694


(C)



(D)



(A)



(B)


weil bereits jetzt nach § 46 Zulagen für die Wahrnehmung
eines höherwertigen Amtes gezahlt werden können, weil
das Budgetrecht des Parlaments zugunsten der personal-
verwaltenden Stellen unterhöhlt wird und weil diese Zu-
lage bereits heute als „Pressesprecherzulage“ betitelt
wird, weil sie zwangsläufig missbraucht werden kann.

Meine Damen und Herren, wie mit diesem Gesetz den
Mitarbeitern neue Perspektiven eröffnet und ihr Leis-
tungswille gefördert werden soll – so ist es in den Ziel-
vorstellungen des Gesetzentwurfs formuliert –, muss der
Fantasie der Verfasser überlassen bleiben. Ich kann Ihnen
auf jeden Fall bereits heute prophezeien: Sie werden mit
diesem Gesetz eher das Gegenteil erreichen. Mit solchen
Entwürfen werden Sie Ihr Programm „Moderner Staat –
Moderne Verwaltung“ mit Sicherheit nicht realisieren
können. Wir werden den Gesetzentwurf daher ablehnen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417926100
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Helmut
Wilhelm.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute wird ein weiteres Mosaikstück auf dem
Weg zur Verwirklichung des Programms „Moderner Staat
– Moderne Verwaltung“ auf seinen parlamentarischen
Weg gebracht.

Dem Anliegen, unseren Staat effizienter und bürger-
freundlicher zu gestalten und damit von einem rein ver-
waltenden zu einem aktivierenden Staatsleitbild zu gelan-
gen, kommen wir durch das Anpacken der herrschenden
starren Besoldungsstruktur einen großen Schritt näher.
Damit wird der entsprechenden Koalitionsvereinbarung
Rechnung getragen. Denn der vorliegende Gesetzent-
wurf, mit dem der Einrichtung variabler Besol-
dungsbandbreiten – im ersten Schritt für die Einstiegs-
ebenen im gehobenen und höheren Dienst – der Weg
bereitet wird, schafft für die jeweiligen Dienstherren in
Bund und Ländern Gestaltungsspielräume, um gezielter,
marktgerechter und flexibler auf arbeitsmarkt- und be-
schäftigungspolitische Situationen reagieren zu können.

Durch diesen entscheidenden Beitrag zur Flexibilisie-
rung wird für diesen Bereich ein zentralistisches Einstu-
fungssystem abgelöst, das nicht mehr in die von Rot-Grün
geplante moderne und aktivierende Verwaltung hinein-
passt. Denn die grundsätzlich bundeseinheitliche Zu-
ordnung der Ämter zu einer einzigen Besoldungsgruppe
lässt für aufgaben- und anforderungsbezogene Diffe-
renzierungen keinen Raum.

Zu viele unterschiedliche Kriterien werden in einer Be-
soldungsgruppe angeglichen und damit nivelliert. Darum
soll zukünftig die Einstufungskompetenz innerhalb einer
vorgegebenen Bandbreite von drei Besoldungsgruppen
für den gehobenen und höheren Dienst dem jeweiligen

Dienstherren zufallen. Regional-, berufsgruppen-, aufga-
ben- oder dienstherrenspezifische Differenzierungen sol-
len damit zukünftig möglich sein.

Meine Damen und Herren, diese Art der flexiblen Be-
soldung beinhaltet auch eine Öffnung nach oben. Die
Dienstherren können ihren Mitarbeitern und Mitarbeite-
rinnen Perspektiven bieten und dadurch deren Motiva-
tion, leistungsorientiert, kreativ und eigenverantwortlich
tätig zu sein, enorm fördern. Als Anreiz kommt der Be-
soldungsgruppenaufstieg ohne Funktionswechsel und das
Überspringen von Besoldungsgruppen in Betracht. Dies
trägt den Geist „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“
direkt in den Beamtenapparat hinein. Das wiederum wird
der Schlüssel zur Verwirklichung dieses Programms sein.
Die Motivation der Beschäftigten muss mit allen Mitteln
gestärkt werden.

Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist die
zeitgemäße Anpassung der Besoldung an die veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse. Darum
wird auch der Familienzuschlag modernisiert.

Meine Damen und Herren, dies haben wir Grüne schon
immer gefordert. Dem modernen Familienbegriff, der
sich an der Existenz von Kindern und nicht etwa an der
standesamtlichen Trauung orientiert, wird zukünftig
durch die entsprechende Verbesserung der kinderbezoge-
nen Leistungen Rechnung getragen. Der so genannte Ver-
heiratetenanteil wird zurückgedrängt und zur Finanzie-
rung für die Erhöhung des Familienzuschlages für dritte
und weitere Kinder verwendet. Langfristig führt das sogar
zu einer Überkompensierung und damit zu Einsparungen.
Hier sollte man allerdings vielleicht nochmals nachden-
ken, ob nicht eine weitere Stärkung der Familienkompo-
nente sinnvoll wäre.

Mit der Erhöhung des kinderbezogenen Anteils im Fa-
milienzuschlag für dritte und weitere Kinder um jeweils
200 DM monatlich werden auch die Forderungen des Be-
schlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. No-
vember 1998 umgesetzt.

Ich meine, der Entwurf der Bundesregierung mit sei-
nen durchaus zukunftsweisenden Regelungen kann sich
sehen lassen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417926200
Das Wort hat die Kol-
legin Heidemarie Ehlert für die PDS-Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1417926300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist ganz erstaunlich, wie Gesetz-
entwürfe Chamäleons gleichen. Ziel des vorliegenden
Entwurfes soll sein, das Programm „Moderner Staat
– Moderne Verwaltung“ umzusetzen. Was immer man
auch darunter versteht – es klingt zunächst gut. Eine
Dienstrechtsreform steht schon lange ins Haus, die Büro-
kratie muss entrümpelt und dringend bürgernäher gestal-
tet werden. Das Anliegen der Schaffung einer modernen
Verwaltung ist begrüßenswert.




Meinrad Belle

17695


(C)



(D)



(A)



(B)


Schaut man sich den Entwurf dann aber näher an, so
muss man feststellen: Der Regierung geht es erst in zwei-
ter Linie um eine moderne Verwaltung, in erster Linie
geht es knallhart ums Geld, das gespart werden soll.

Nehmen wir nur den geplanten § 24 a, das Bandbrei-
tenmodell. Mit diesem Modell will die Bundesregierung
eine Flexibilisierung der Bezahlung im Eingangs- und im
ersten Beförderungsamt des gehobenen und höheren
Dienstes erzielen. Das individuelle Leistungsprinzip soll
stärker berücksichtigt werden. Das klingt alles ganz toll;
damit könnte ich umgehen. Aber auch die Arbeitsmarkt-
lage und die finanzielle Situation der jeweiligen Dienst-
herren könnten für eine entsprechende Einstufung in die
jeweilige Besoldungsgruppe ausschlaggebend sein. Bei
den gegenwärtigen Arbeitslosenzahlen könnte – der Weg
ist frei – diesbezüglich ein „Niedriglohnsektor“ im öf-
fentlichen Dienst vorprogrammiert sein.


(Beifall bei der PDS)

Fachspezialisten – ich nenne nur das Stichwort IT –, die
in einer modernen Verwaltung gebraucht würden, werden
gleich in die Wirtschaft gehen. Einige Länder könnten
also aufgrund der Arbeitsmarktlage oder aufgrund ihrer
leeren Kassen dann versuchen, die Gehälter abzubauen.
Reiche Länder könnten sich dann hoch qualifiziertes Per-
sonal leisten, andere nicht. Nicht umsonst plädiert Hessen
im Bundesrat für die genannte Bandbreitenregelung. Ge-
rade die Auseinandersetzungen um die Abwerbung der
Lehrer und Lehrerinnen hat doch gezeigt, dass es eben
nicht egal ist, wie viel verdient wird. Ausgehend davon
hat die Bundesregierung nun die Lehrer und Lehrerinnen
des gehobenen Dienstes aus dem Bandbreitenmodell her-
ausgenommen. Aber was machen wir mit den Gymnasial-
und Berufsschullehrern und -lehrerinnen?

Wir stimmen mit dem Bundesrat und den Gewerk-
schaften völlig überein: Das Bandbreitenmodell sollte er-
satzlos gestrichen werden.


(Beifall bei der PDS)

Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der

schon durch die unterschiedliche Vergütung Ost/West ge-
brochen ist, sollte nicht mit einer Einteilung in arme und
reiche Länder endgültig aufgehoben werden.


(Beifall bei der PDS)

Neben dem Bandbreitenmodell gibt es noch eine ganze
Reihe weiterer Streitpunkte, die darzulegen ich im Mo-
ment keine Zeit mehr habe.

Ob mögliche Kompromisslösungen, Herr Staatssekre-
tär, aber den vorliegenden Gesetzentwurf besser machen
würden, stelle ich hiermit in Frage. Eine grundlegende
Dienstrechtsreform wird gebraucht und die liegt leider
nicht vor.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417926400
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Peter Kemper für die SPD-
Fraktion.


Hans-Peter Kemper (SPD):
Rede ID: ID1417926500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Modernisie-
rung der Besoldungsstruktur ist richtig und wichtig. Er
musste vorgelegt werden. Im Übrigen, Herr Belle, wir
wollen nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Regie-
rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen greifen
vielmehr Dinge auf, die Ihre Regierung, die Vorgängerre-
gierung, in Details bereits in Angriff genommen hat und
die richtig waren, die aber in Ansätzen stecken geblieben
sind. Das damalige Vorhaben setzen wir fort und verbes-
sern es.

Im Rahmen des Programms „Aktivierender Staat“ soll
das Besoldungsrecht flexibler gestaltet und mit deutlichen
Anreizen versehen werden. Das fehlt jetzt. Der Grundsatz
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist zwar richtig; aber
im öffentlichen Dienst wird nicht die gleiche Arbeit ge-
leistet. Diejenigen, die sich der Verantwortung stellen und
die besonderen Belastungen unterworfen sind, sollen
auch besonders bezahlt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der PDS)


Das muss in engem Einvernehmen mit den Ländern und
den Kommunen erfolgen. Denn das sind diejenigen, die
die meisten Beamten beschäftigen.

Ich will nun auf die Hauptpunkte eingehen, die hier
mehrfach angesprochen worden sind: Das ist zum einen
die Einführung von Bezahlungsbandbreiten. Das jetzige
Bezahlungssystem wird überwiegend durch Ämter, durch
Beförderungen und Besoldungsordnungen, bestimmt. Die
Eingangsämter sind im Regelfall einer einzigen Besol-
dungsgruppe zugeordnet. Herr Belle, Sie haben im Übri-
gen schon einmal im Jahre 1997 damit begonnen, Leis-
tungsanreize und Leistungskomponenten im Rahmen der
Dienstaltersstufen einzuführen.


(Meinrad Belle [CDU/CSU]: Das war gut so!)

Das war vernünftig, wenngleich die Zulagen und die Leis-
tungsprämien einige Webfehler hatten, sodass das einige
Länder nicht umgesetzt haben. Da bestanden sehr große
Ungerechtigkeiten.

Die Besoldung der Eingangsämter im gehobenen
Dienst und im höheren Dienst soll über drei Gruppen ge-
spreizt werden. Das eröffnet den Behörden die Möglich-
keit, aus einer Vielzahl von qualifizierten Bewerbern den
Besten herauszusuchen und ihm im Hinblick auf die Ein-
stufung entsprechende Angebote zu machen. Das war
vorher nicht möglich.

Ich kenne allerdings die Sorgen und Ängste, die mit
diesem Verfahren einhergehen; ich will dies gar nicht be-
streiten. Die Berufsvertretungen befürchten, dass dieses
Instrument als Sparinstrument missbraucht wird. Die
neuen Bundesländer befürchten, dass ihnen die alten Bun-
desländer aufgrund des neuen Angebotes, das dann mög-
lich ist, die qualifiziertesten Mitarbeiter abwerben und
dass nur die mittelmäßig und die gering qualifizierten in
den neuen Bundesländern bleiben.

Der Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Bundeslän-
dern um die Lehrer, den wir in letzter Zeit erlebt haben,
war ein ungutes Beispiel. Ich denke, über diese Einzel-




Heidemarie Ehlert
17696


(C)



(D)



(A)



(B)


heiten muss noch einmal gesprochen werden. Verände-
rungen im Detail hat der Staatssekretär angekündigt;
Kompromisse sind möglich. Darüber werden wir noch
einmal sprechen. Vielleicht kann man bestimmte Berufs-
gruppen aus dieser Regelung herausnehmen.

Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags ist proble-
matisch – das zu bestreiten wäre völlig unehrlich –, wenn-
gleich es überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass das
gesamte Zulagenwesen oder -unwesen einmal durchfors-
tet und durchschaubarer, vergleichbarer und schlanker ge-
macht werden muss.


(Beifall des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])

Außerdem soll nicht in erster Linie das Verheiratetsein un-
terstützt werden, sondern das Kinderhaben, die Familie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist aber nur ein Grund. Zur Ehrlichkeit gehört: Die
Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils für das
dritte und folgende Kind eines Beamten kostet Geld. Das
muss innerhalb des Systems erwirtschaftet werden. Auch
deswegen kommt es zu dieser Regelung.

Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags führt bei den
Beamten im Endergebnis zu Gehaltseinbußen von rund
180 DM pro Monat. Selbst eine großzügige Vertrauens-
schutzregelung, die den Ländern im Übrigen viel zu weit
geht – über die muss man sicherlich auch noch sprechen –,
ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Man muss sich vor
Augen führen – ich bleibe einmal in meinem Bereich –,
dass bei Polizisten, die nach A 7 besoldet werden, die in
Ballungszentren versetzt werden und deren Ehefrau aus
irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist zu arbeiten,
fast das gesamte Gehalt für die Miete gebraucht wird. Ich
denke, wir werden sehr darauf achten müssen, dass es ge-
rade im Bereich des einfachen und mittleren Dienstes zu
sozialen Abfederungen kommt und dass das Alimenta-
tionsprinzip, das grundgesetzlich geschützt ist, nicht aus-
gehebelt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will zu den Planstellenobergrenzen noch ein paar
Worte verlieren: Es ist richtig, die Entscheidungskompe-
tenzen über die Planstellenobergrenzen dorthin zu verla-
gern, wo die Entscheidungen konkret getroffen werden.
Das ist eine vernünftige Geschichte; denn je weiter man
vom Geschehen entfernt ist, desto schwieriger wird die
Einschätzung.

Auf die Fragen der Zulagenregelung will ich nur kurz
eingehen: Ich denke, es ist richtig, von entsprechenden
Leistungsbreiten auszugehen, das heißt, Zulagen bis zur
dritten folgenden Besoldungsgruppe zu gewähren. Auch
im öffentlichen Dienst muss gelten: Wer sich besonders
einsetzt und viel Verantwortung trägt, muss eine entspre-
chende Vergütung erhalten.

Ich kenne es aus eigener Erfahrung: Von den Kollegin-
nen und Kollegen auf der Dienststelle haben sich einige
aufgerieben, während andere faul waren. Es gab nichts
Schlimmeres für die Motivation, als wenn alle gleich be-

handelt wurden. Es muss daher Differenzierungsmöglich-
keiten geben. Der öffentliche Dienst muss leistungsorien-
tierter ausgerichtet werden; darüber sind wir uns völlig ei-
nig. Das muss unter Beachtung sozialer Aspekte
geschehen; auch darüber sind wir uns einig.

Im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf spreche ich mit
meinem Fraktionsvorsitzenden, Peter Struck: Nur in den
seltensten Fällen ist ein Gesetzentwurf so aus dem Ver-
fahren herausgekommen, wie er hineingegangen ist.
Möglicherweise gilt das auch für diesen Entwurf.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Eine gute Regierung hofft das nicht!)


Ich bin aber auch sicher, dass es unsere Regierung und
unsere Koalitionsfraktionen nicht zulassen werden, dass
der öffentliche Dienst das Sparschwein der Nation wird
und die Beamten die Prügelknaben der Gesellschaft wer-
den. Darauf werden wir achten, wir werden das nicht zu-
lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir aber auch sicher, dass sich der öffentliche
Dienst in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche den
notwendigen Veränderungen nicht verschließen wird. Von
daher ist mein Vertrauen in den öffentlichen Dienst rela-
tiv groß. Ich denke, wir werden zu einer vernünftigen Lö-
sung kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417926600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6390 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe Ein-
verständnis im gesamten Hause. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu-
satzpunkt 8 auf:
16. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Reform des Familienlastenausgleichs
– Drucksachen 14/4983, 14/6230 –

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Heidema-
rie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Existenzminimum realitätsnah ermitteln
– Drucksache 14/6444 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)





Hans-Peter Kemper

17697


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Die Kolleginnen Ingrid Arndt-Brauer, Elke Wülfing,
Christine Scheel und Ina Lenke haben ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1)

Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-
Fraktion das Wort.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417926700
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass
Sie so lange ausgeharrt haben und ich die Möglichkeit er-
halte, zur Beantwortung der Großen Anfrage der PDS zur
Reform des Familienlastenausgleichs zu sprechen.

Wir befinden uns in einer langen Diskussion über die
Neugestaltung des Familienlastenausgleichs. Die PDS-
Fraktion hat deshalb der Regierung einen Fragenkatalog
mit 76 Fragen vorgelegt. Wir dachten, dass es möglich
wird, eine bessere Datenbasis und eine gesichertere
Grundlage zu gewinnen, um uns, aber auch den anderen
Kolleginnen und Kollegen des Hauses, mehr Möglichkei-
ten für eine politische Antwort geben zu können.

Allerdings lässt sich die Antwort der Bundesregierung
auf unsere Große Anfrage sehr ernüchternd in einem Satz
zusammenfassen: Sie ist flach, feige, widersprüchlich und
konzeptionslos. Um das zu verdeutlichen, greife ich die
Frage 27 auf:

Inwieweit
– ein deutsches Wort mit einem sehr konkreten Inhalt –

deckt der Betreuungsfreibetrag einen „erwerbsbe-
dingten“ Betreuungsbedarf und inwieweit deckt er
einen „allgemeinen“ – nicht durch die Erwerbsarbeit
veranlassten – Betreuungsbedarf ab?

Es war sogar eine zweigeteilte Frage. Die Antwort lautet:
Der Betreuungsfreibetrag deckt den Betreuungsbe-
darf eines Kindes ab.

Ich denke, diese oberflächliche Antwort sagt schon sehr
viel aus.

Wir haben mit dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts zur Regelung des Familienlastenausgleichs von
1998 eine Entscheidung bekommen, bei der sich alle da-
rüber einig sind, dass sie – um es vorsichtig zu formulie-
ren – im Vergleich zu früheren Entscheidungen nicht
ganz widerspruchsfrei ist und dass sie auslegungsbedürf-
tig und auslegungsfähig ist. Ich denke aber, der konkrete
Gesetzentwurf der Bundesregierung zeigt: Für einen kri-
tischen und konstruktiven Umgang mit diesen Beschlüs-
sen fehlt der Bundesregierung der Mut. Vor allem fehlen
ihr eigene Vorstellungen über die Richtung ihrer Famili-
enpolitik.

Da die Freistellung des Existenzminimums von Kin-
dern von der Besteuerung vonseiten des Staates Zielstel-
lung ist, muss man sehr konkret darüber sprechen, was das
Existenzminimum eines Kindes ist. Was ist das sächliche

Existenzminimum und was ist der – vom Bundesverfas-
sungsgericht festgestellte – darüber hinaus bestehende
existenzielle Betreuungs- und Erziehungsbedarf? Es ist
natürlich schwierig, den vom Bundesverfassungsgericht
richtig erkannten Bedarf – wobei nicht zu leugnen ist, dass
er auch Kosten verursacht – im Einkommensteuerrecht zu
verankern; denn ein imaginärer Bedarf lässt sich schwer
in Zahlen ausdrücken.


(Beifall bei der PDS)

Es sind eben kaum konkret bezifferbare Aufwendungen.

Das Bundesverfassungsgericht nennt eine Zahl von
5 000 DM. Die Bundesregierung spricht von 3 000 oder
4 000 DM. Warum diese Beträge vorgeschlagen werden,
ist nirgends zu erfahren. Auf unsere konkreten Fragen ge-
ben Sie keine Antwort. Der Hintergrund ist wahrschein-
lich, dass genau dieser Freibetrag eine der Hauptursachen
für die völlig ungerechte, unsoziale Ausgestaltung des Fa-
milienlastenausgleichs – leider auch vonseiten der rot-grü-
nen Regierung – ist.


(Beifall bei der PDS)

Denn zusammen mit dem Kinderfreibetrag beträgt die
Steuererstattung für Familien mit sehr hohem Einkom-
men monatlich 459 DM pro Kind, während sie bei Fami-
lien mit mittlerem und niedrigem Einkommen dadurch,
dass diese beiden Freibeträge oftmals gar nicht greifen,
nur 300 DM betragen wird – so wir in der nächsten Wo-
che die Erhöhung des Kindergeldes für das erste und
zweite Kind um je 30 DM beschließen werden.

Sie sagen selbst, dass sich die Bestimmung der Min-
desthöhe des Betreuungsfreibetrages nicht aus der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt.
Was außer ihrer eigenen Feigheit, frage ich mich, hindert
die Bundesregierung nun daran, den Betreuungsfreibe-
trag, der ohnehin nur einigen Spitzenverdienern nutzt,
abzusenken und dafür das Kindergeld um 10, 20 oder
30 DM zu erhöhen und die Kinderbetreuungskosten stär-
ker als geplant unter anderem dadurch zu berücksich-
tigen,


(Beifall bei der PDS)

dass man bereits die erste Mark der Kinderbetreuungskos-
ten wieder steuerlich geltend machen kann? Damit wäre
das Gesetz zur Förderung von Familien zwar noch immer
keine Familienförderung, aber zumindest um eine Unge-
rechtigkeit ärmer.

Dieser Freibetrag, der ja nun in Betreuungs-, Erzie-
hungs- und Ausbildungsfreibetrag umbenannt werden
soll, soll den Kinderfreibetrag ergänzen. Der Kinderfrei-
betrag soll das sächliche Existenzminimum sicherstel-
len. Dieses – Essen, Kleidung, Wohnen – lässt sich in Kor-
relation zur Sozialhilfe bestimmen. Ihr Vorschlag jedoch,
den wir nächste Woche hier annehmen sollen, ihn auf
7 135 DM zu erhöhen, ist meines Erachtens etwas sehr
voreilig. Die Bundesregierung muss alle zwei Jahre einen
Bericht über das Existenzminimum vorlegen.


(Beifall bei der PDS)

Auf diesen Bericht warten wir jetzt; wir haben ihn noch
nicht. Trotzdem müssen Sie Ihr Gesetz zur so genannten




Vizepräsidentin Petra Bläss
17698


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Familienförderung – was es eben nicht ist – schnell im
Bundestag durchbringen. Warum wohl? – Weil sich dann
zeigen wird, dass Ihre Zahlen viel zu niedrig sind. Das
will ich noch einmal deutlich sagen.

SPD, Grüne und PDS sind sich einig darüber, dass das,
was die alte Bundesregierung getan hat, auch weit hinter
den Erfordernissen zurückgeblieben ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Früher war alles besser!)


Vergleichen wir einmal die Zahlen: 1994 hatte diese Re-
gierung noch ein Existenzminimum von monatlich
613 DM pro Kind ermittelt. Im Jahre 2001 kommt die ge-
genwärtige Bundesregierung zu einen Betrag von
564 DM, und das, obwohl wir inzwischen eine Steigerung
der Lebenshaltungskosten um 8,6 Prozent haben. Da zeigt
sich schon ganz klar, dass Sie uns die Zahlen bewusst ver-
schweigen, weil Sie sonst handeln müssten. Das würde
Geld kosten,


(Beifall bei der PDS)

welches Sie nur für ertragsstarke Unternehmen, für die
großen Monopole haben, aber nicht für Kinder und Fami-
lien. Das ist ein großer Nachteil Ihrer Familienpolitik.

Es ist erschreckend, dass Sie sich immer weiter von der
Zielstellung, von der vom Bundesverfassungsgericht ge-
forderten steuerlichen Freistellung des Existenzmini-
mums – sie ist ohnehin notwendig – entfernen und versu-
chen, der Öffentlichkeit etwas anderes darzubringen. Von
Familienförderung allerdings kann erst dann gesprochen
werden, wenn man über die Freistellung des Existenzmi-
nimums hinausgeht.

Wir fordern Sie auf: Legen Sie endlich einen Bericht
über das tatsächliche Existenzminimum vor. Darüber
werden wir dann im Rahmen der Erörterung unseres Ent-
schließungsantrages im Ausschuss beraten. Ich hoffe,
dass Sie dann auf dieser Grundlage doch bereit sind, die
Realitäten wahrzunehmen und auch entsprechend in der
Familienpolitik umzusetzen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417926800
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor-

lage auf Drucksache 14/6444 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe im
Saal keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R.
Werner Schuster, Reinhold Hemker, Horst
Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian
Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nut-
zung angepasster, erneuerbarer Energien in
den Entwicklungsländern
– Drucksache 14/5486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Adler, Dr. Ralf
Brauksiepe, Dr. Angelika Köster-Loßack, Joachim
Günther und Carsten Hübner haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben1). – Ich sehe Einverständnis im gesamten
Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5486 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hier sehe ich
Einverständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ist es so weit:
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages ein auf morgen, Freitag, den 29. Juni 2001, 9 Uhr.

Die Sitzung ist geschlossen.