Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001
Dr. Barbara Höll
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1) Anlage 7
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Adam, Ulrich CDU/CSU 28.06.2001*
Behrendt, Wolfgang SPD 28.06.2001*
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 28.06.2001**
Bindig, Rudolf SPD 28.06.2001*
Prof. Dr. Blank, CDU/CSU 28.06.2001**
Joseph-Theodor
Bodewig, Kurt SPD 28.06.2001
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 28.06.2001
Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 28.06.2001*
Catenhusen, SPD 28.06.2001
Wolf-Michael
Friedrich (Altenburg), SPD 28.06.2001
Peter
Griefahn, Monika SPD 28.06.2001
Haack (Extertal), SPD 28.06.2001*
Karl-Hermann
Hempel, Frank SPD 28.06.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 28.06.2001
DIE GRÜNEN
Hoffmann (Chemnitz), SPD 28.06.2001
Jelena
Dr. Hornhues, CDU/CSU 28.06.2001*
Karl-Heinz
Jäger, Renate SPD 28.06.2001*
Janssen, Jann-Peter SPD 28.06.2001
Kasparick, Ulrich SPD 28.06.2001
Klappert, Marianne SPD 28.06.2001
Dr. Leonhard, Elke SPD 28.06.2001
Lintner, Eduard CDU/CSU 28.06.2001*
Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 28.06.2001*
DIE GRÜNEN
Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 28.06.2001
Klaus W.
Lörcher, Christa SPD 28.06.2001*
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 28.06.2001*
Erich
Michels, Meinolf CDU/CSU 28.06.2001*
Moosbauer, Christoph SPD 28.06.2001
Neumann (Gotha), SPD 28.06.2001*
Gerhard
von Renesse, Margot SPD 28.06.2001
Sauer, Thomas SPD 28.06.2001
Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.06.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 28.06.2001*
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 28.06.2001*
Schultz (Everswinkel), SPD 28.06.2001
Reinhard
Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 28.06.2001
Christian
Uldall, Gunnar CDU/CSU 28.06.2001
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28.06.2001
Wilhelm (Mainz), CDU/CSU 28.06.2001
Hans-Otto
Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 28.06.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 28.06.2001*
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichtes: Änderung der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages (betr. Regierungsanfra-
gen) (Tagesordnungspunkt 9)
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Mehr Spontanität
und mehr Aktualität täte uns Abgeordneten und dem
Parlament sicher gut. Insofern lohnt es sich, jeden Vor-
schlag zu prüfen, der dazu was Sinnvolles beitragen
kann.
Wir finden die Überlegung der CDU, auch aus der Re-
gierungsbefragung eine Aktuelle Stunde entwickeln zu
können, interessant und werden deshalb zustimmen.
Ich will ein paar Argumente nennen, die unsere Zu-
stimmung unterstreichen. Ich denke, mit einer weiteren
aktuellen Debatte gerade auch etwa zeitgleich mit Kabi-
nettsbeschlüssen werden die Aktivitäten des Parlaments
erweitert und seine Handlungsmöglichkeiten gegenüber
der Bundesregierung erhöht. Wie oft ist es uns in der Ver-
gangenheit passiert, dass wir uns hier im Parlament mit
ein paar dürftigen Antworten zu Entscheidungen der
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Regierung abspeisen lassen mussten, während gleichzei-
tig dieselben Entscheidungen breit in den Medien disku-
tiert werden und Kabinettsmitglieder jedem Journalisten
mehr erzählen als dem Parlament. Wenn wir das Thema
dann endlich im Parlament haben, ist nicht selten die Ak-
tualität und das öffentliche Interesse mindestens stark ein-
geschränkt.
Noch häufiger haben wir mit dem Fakt zu tun, dass es
zu wichtigen Regierungsvorhaben gar nicht in Parla-
mentsdebatten kommt, sondern diese gleich in Konsens-
runden verschwinden und dort unter Ausschluss der Öf-
fentlichkeit und des Parlaments abstimmungsreif ausge-
kungelt werden. Das alles schränkt die Möglichkeiten be-
sonders der Opposition ein – das wollen wir nicht. Der
heutige Antrag kann dazu beitragen, das zu ändern.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts
– zu der Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung über ihre Exportpolitik für konventionelle
Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbe-
richt 1999)
– zu dem Antrag: Transparenz und parlamentarische
Kontrolle bei Rüstungsexporten
(Tagesordnungspunkt 11 a und b)
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Ich freue mich über das
große Interesse der Opposition, den Rüstungsexportbe-
richt 1999 der Bundesregierung ein zweites Mal im Ple-
num zu debattieren. Wir hätten uns auch vorstellen kön-
nen, auf den aktuellen Bericht für das Jahr 2000 im
Sommer zu warten und dann auf der Basis der aktuellen
Daten hier zu diskutieren. Aber wir respektieren den Auf-
setzungswunsch. Schließlich ist es wirklich erstmalig,
dass eine Bundesregierung eine detaillierte Aufschlüsse-
lung der Rüstungsexporte vorlegt. Und diese Debatte
kann ja der Transparenz ebenfalls dienen. Ich will nicht
auf die einzelnen Daten des Berichtes eingehen, er liegt
ihnen vor und wir haben die Einzelheiten schon bei der
letzten Debatte im November besprochen. In dem Bericht
werden in aller Offenheit das deutsche Kontrollsystem für
Rüstungsgüter, die Auswirkungen von Abrüstungsverein-
barungen auf die Exportkontrolle, die deutsche Rüstungs-
exportkontrollpolitik im multilateralen Rahmen sowie die
Exporte von Rüstungsgütern im Jahr 1999 dargestellt.
Ich will mich daher schwerpunktmäßig mit dem
PDS-Antragbeschäftigen.Geradeangesichtsdeserstmali-
gen Vorlegens eines Rüstungsexportberichtes ist es schon
merkwürdig, dass die PDS mehr Transparenz und parla-
mentarische Kontrolle bei Rüstungsexporten fordert. Of-
fensichtlichhatdiePDSnichtmitbekommen,dassdieBun-
desregierung mit der Verabschiedung der „Politischen
Grundsätze über den Export vonKriegswaffen und sonsti-
gen Rüstungsgütern“ erheblich zu einer verbesserten
Transparenz derRüstungsexportpolitik beigetragen hat.
In diesen neuen Grundsätzen hat die Bundesregierung
klar und eindeutig zusätzliche Richtlinien festgelegt, die
nicht nur restriktiver sind, sondern auch zu wesentlich
mehr Transparenz führen. Ich will der PDS daher an die-
ser Stelle noch einmal kurz die wichtigsten Punkte nen-
nen: Erstens. Die Beachtung der Menschenrechte ist für
jede Exportentscheidung von besonderer Bedeutung, un-
abhängig davon, um welches Empfängerland es sich han-
delt.
Die Grundsätze gehen weit über diejenigen des EU-
Verhaltenskodex hinaus, der besagt, dass erst bei einem
eindeutigen Risiko keine Ausfuhrgenehmigung erteilt
werden soll. Neben dem Menschenrechtskriterium wer-
den ausdrücklich weitere Kriterien wie die „nachhaltige
Entwicklung“ sowie das Verhalten gegenüber der interna-
tionalen Gemeinschaft berücksichtigt.
Zweitens. Es wird klargestellt, dass bei NATO-, EU-
und diesen gleichgestellten Ländern wie Schweiz oder
Australien, Genehmigungen die Regel sind und Ableh-
nung die Ausnahme. Bei Drittstaaten sollen Genehmigun-
gen wie bisher zurückhaltend erteilt werden.
Drittens. Die Sicherstellung des Endverbleibs erhält
ein größeres Gewicht als bisher.
Viertens. Der EU-Verhaltenskodex wird zum integra-
len Bestandteil der Grundsätze.
Fünftens. Die Bundesregierung verpflichtet sich, jähr-
lich dem Bundestag einen Rüstungsexportbericht über die
Entwicklungen des jeweils abgelaufenen Kalenderjahres
vorzulegen.
Nach einem Beschluss des Wirtschaftsausschusses
vom 7. Februar 2001 sollen folgende Rüstungsexportbe-
richte noch weiter gehende Informationen haben:
Wir prüfen, inwieweit auch mehr Informationen über
den Export von Dual-use-Gütern aufgenommen werden
können.
Wir werden auch militärische Ausrüstungsbeihilfen
aufnehmen und die Strafverfolgungsstatistik. Der zukünf-
tige Bericht wird eine Übersicht über neu abgeschlossene
internationale Rüstungskooperationsprogramme mit
deutscher Beteiligung aufzeigen und zum Thema Her-
mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter wird
zukünftig zusätzlich auch der Wirtschaftsausschuss infor-
miert werden.
Mit diesen Informationspflichten stehen wir weltweit
an der Spitze. Wir haben gleichzeitig auch Verantwortung
für die deutsche Exportindustrie bewiesen. Wer noch
mehr Transparenz will, gefährdet damit Arbeitsplätze in
der Wirtschaft.
Ich will der PDS einmal aufzeigen, welche Konse-
quenzen ihre Forderungen hätten. Sie fordern eine Rege-
lung, wonach vor jeder Entscheidung der Bundesregie-
rung bzw. des Bundessicherheitsrates über die Ausfuhr
von Rüstungsgütern die Auffassungen bestimmter Parla-
mentsausschüsse einzuholen und zu berücksichtigen sind.
Sie können doch wohl nicht im Ernst fordern, vor jeder
Entscheidung ein derart langwieriges Verfahren in Gang
zu setzen. Wer auch nur etwas von Wirtschaft versteht, der
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weiß, dass es bei internationalen Ausschreibungen um
Fristen, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit geht. Diese
wichtigen Voraussetzungen wären bei dem von ihnen
vorgeschlagenen Verfahren nicht gegeben. Im Gegenteil,
ein solches Verfahren würde die deutschen Anbieter zu
einer völligen Offenlegung ihrer Geschäftsvorhaben
zwingen, wovon andere Wettbewerber aus dem In- und
Ausland profitieren würden. Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse der beteiligten Unternehmen kommen bei dem
Antrag der PDS überhaupt nicht zu Worte. Unter den von
der PDS vorgeschlagenen Bedingungen braucht sich ein
deutsches Unternehmen wegen Aussichtslosigkeit erst gar
nicht mehr an internationalen Rüstungsexportausschrei-
bungen beteiligen. Von daher sollte die PDS doch besser
gleich sagen, was sie wirklich will, nämlich die Verhin-
derung deutscher Rüstungsexporte und damit die Ab-
schaffung der deutschen Rüstungswirtschaft schlechthin.
Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien
eine optimale Balance in diesem sicher nicht einfachen
Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es gelun-
gen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzli-
che politische Kriterien anzupassen und dabei die Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrecht-
zuhalten. Die Richtlinien haben sich schon jetzt bewährt:
Mehr Transparenz und klare Kriterien sind ein guter Ver-
trauensschutz für die deutsche Wirtschaft auch hinsicht-
lich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unterneh-
men in einer stark zusammenwachsenden internationalen
Rüstungswirtschaft.
Die Entscheidungen über Exportvorhaben werden
maßgeblich unter außen-, sicherheits- und bündnispoliti-
schen Interessen, unter Beachtung der Menschenrechte
aber auch unter Beachtung der ökonomischen Interessen
getroffen. Bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das
Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Be-
deutung sind, wird sich der Bundessicherheitsrat befas-
sen. Zusätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertre-
tenen Ressorts nimmt nun auch das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit hieran teil, um be-
sonderen entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu
tragen. Ich will es noch einmal sagen: Mit den neuen Leit-
linien aus diesem Jahr lässt es sich gut arbeiten. Für wei-
tere Verfahrensänderungen sehe ich keinen Handlungsbe-
darf. Wir lehnen daher den Antrag der PDS ab.
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Mehr Transparenz, noch
mehr Berichte sind die Forderungen der vorliegenden An-
träge. Tatsächlich ist aber nicht ein Mangel an Informa-
tion das entscheidende Problem, sondern die Unfähigkeit
der Bundesregierung zu einer schlüssigen und kohärenten
Rüstungsexportpolitik. Die Frage, wie der Bericht zu-
künftig aussehen soll, steht auch nicht im Mittelpunkt der
öffentlichen Debatte, sondern vielmehr gibt es Anfragen
an Regierung und Koalitionsfraktionen zum Umgehen
mit diesem Thema unter außen- und sicherheitspoliti-
schen wie europa- und bündnispolitischen, entwicklungs-
und menschenrechtspolitischen, vor allem aber auch wirt-
schafts- und technologiepolitischen Aspekten.
Die Bundesregierung hat ihren Rüstungsexportbericht
1999 vorgelegt. Das darin verzeichnete Exportvolumen
zeigt, dass Deutschland mit einem Weltmarktanteil von
5 Prozent der viertgrößte Waffenexporteur der Welt ist.
Auf diesem Platz stehen wir gemeinsam mit Großbritan-
nien. Die USA haben 50 Prozent, Russland und Frank-
reich je 10 Prozent.
Der Rüstungsexportbericht zeigt, dass sich die Zahl der
Genehmigungen unter der rot-grünen Bundesregierung
mehr als verdoppelt hat. 1999 wurden Rüstungsgüter für
6,6 Milliarden DM exportiert. Das entsprach einem Zu-
wachs von 1,2 Milliarden DM im Vergleich zu 1998. Bei
9 373 Einzelanträgen, ohne die Sammelgenehmigungen
also, die mit einer Genehmigung mehrere Ausfuhren er-
möglichen, gab es 85 abgelehnte Anträge.
Das wichtigste Empfängerland im Jahr 1999 war die
Türkei mit einem Exportumfang von circa 2 Milliar-
den DM und da reibt man sich doch die Augen. Die Tür-
kei an der ersten Stelle mit 288 Genehmigungen für fast
2 Milliarden DM! Ist die Türkei jetzt für Rot-Grün doch
einfach nur NATO-Partner? Stimmt alles, was Sie in den
vergangenen Jahren gesagt haben, seit dem Regierungs-
wechsel nicht mehr? Da erinnern wir uns doch an die Dis-
kussion über die Lieferung eines Leopard-Panzers zu
Probezwecken und eine eventuelle Lieferung im größeren
Umfange auf der einen Seite und die Zustimmung zur Lie-
ferung einer Munitionsfabrik auf der anderen Seite. War
das alles nur Show und liefert in Wirklichkeit diese Bun-
desregierung Waffen jeder Art an die Türkei? Für Frau
Kollegin Beer ist das grüne Dialektik. Es gehe nicht nur
um Qualität, sagt sie, sondern um Quantität. Immerhin
habe man ja die Richtlinien geändert. Dass sich da in
Deutschland mancher, der große Hoffnungen in die neue
Regierung gesetzt hatte, enttäuscht sieht, ist nur zu ver-
ständlich.
Tatsächlich hatte zu Oppositionszeiten unter anderem
Rudolf Scharping unmissverständlich erklärt, er verstehe
nicht, dass die Bundesregierung Waffen in die Türkei lie-
fere, von denen man ja nicht ausschließen könne, dass mit
ihrer Hilfe Frauen und Kinder zusammengeschossen wür-
den. Er sagte damals: Das ist eine gottserbärmliche Poli-
tik. Wir sind der Auffassung, dass die Waffenexporte ein-
gestellt werden sollten und dass es eine absolut restriktive
Handhabung geben muss. – Ist im Rüstungsexportbericht
etwa die Fortsetzung einer „gottserbärmlichen Politik“ do-
kumentiert oder ist der Umgang mit Rüstungsexporten
einfach viel schwieriger und komplexer, als Sie das früher
im Wolkenkuckucksheim geglaubt haben?
Jürgen Grässlin, der Bundessprecher der Deutschen
Friedensgesellschaft, der inzwischen unter Protest aus der
grünen Partei ausgetreten ist, sagt zu dieser Politik: Heute
stehen die Grünen auf der Seite derer, die ihrerseits mit
Rüstungsexporten in die Türkei aktive Beihilfe zum Völ-
kermord leisten. Verlogener kann Menschenrechtspolitik
nicht sein.
Ich stimme ihm in seiner Beurteilung nicht zu, ich er-
wähne das nur, um zu zeigen, welchen Weg Grüne und SPD
gegangen sind. Da erinnern wir uns doch daran, dass es noch
nicht lange her ist, dass SPD- und Grünen-Politiker Völker-
mordanzeigen gegen die damalige CDU/F.D.P.-Regierung
unterstützt haben, um Exporte in die Türkei zu stoppen.
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Ich kann an dem Exportbericht der Bundesregierung
gar nicht viel Skandalöses finden – damit Sie das nicht
falsch verstehen –: Das Schwergewicht der Exporte liegt
im NATO-Bereich oder im Bereich von Staaten, die wir
mit gutem Recht der NATO gleichstellen können. Aber
der Kammerton, mit dem Sie früher das Hohelied gegen
Rüstungsexporte gesungen haben, ist doch mittlerweile
zum Krächzen verkommen. Die Koalitionsvereinbarung
und viele Äußerungen aus Koalitionskreisen haben Er-
wartungen bei den Bürgern geweckt, die jetzt enttäuscht
werden. Das klang ja nach Exportstopp. Sie haben völlig
falsche Erwartungen geweckt. Diese Erwartungen haben
Sie bei der Änderung der Exportrichtlinien noch einmal
erhöht. Jetzt weiß man, dass die „taz“ zu Recht schreibt,
es handele sich bei den rüstungsexportpolitischen Richt-
linien um ein Placebo für die grüne Seele, das im Härte-
test der Koalition nicht greife.
Jetzt höre ich öfter, die Richtlinien seien noch zu frisch,
aber das kann ja kein wirkliches Argument sein. Sie hät-
ten sich schon vor deren Verabschiedung an den europä-
ischen Verhaltenskodex halten können, von dem Sie ja
behaupten, dass er durch die Grundsätze in deutsches
Recht übertragen werden soll.
Sie haben mit Ihrer bisherigen Rüstungsexportpolitik
nur Flurschaden angerichtet. Diejenigen, die gegen Waf-
fenexporte per se oder für Waffenexporte nur in sehr en-
gen Grenzen sind, sind enttäuscht. Unsere Partner in Eu-
ropa und in den USA betrachten Ihre Politik mit großem
Misstrauen. Sie erzeugen Probleme für die Bündnisfähig-
keit und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in
Europa. Andererseits gibt es klammheimliche Freude
über die schwindende Kooperationsfähigkeit der deut-
schen Rüstungswirtschaft. Das wiederum bringt den deut-
schen Unternehmen und Beschäftigten Probleme. Vor
allem aber verringert diese Entwicklung die außenpoliti-
schen und sicherheitspolitischen Spielräume der Bundes-
regierung.
Die SPD-Verteidigungspolitikerin Frau Wohlleben hat
vor einigen Monaten in der „Welt“ einen Gastkommentar
mit der Überschrift: „Rüstungsexport ist gut“ veröffent-
licht. So weit würde ich nicht gehen, aber Frau Wohlleben
hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die wehrtechni-
sche Industrie in einem klassischen Sinne eine strategi-
sche Industriesparte ist und dass man sorgsam damit um-
gehen muss, wenn man auf Dauer im Konzert der
europäischen Länder und innerhalb der NATO seinen
technologischen und politischen Einfluss nicht verlieren
will.
Was rüstungsexportpolitisch richtig ist, sieht aus Sicht
der CDU/CSU-Fraktion so aus: Es muss eine verantwor-
tungsvolle Politik sein. Deshalb haben wir immer eine res-
triktive Exportpolitik mit Kriegswaffen betrieben. Wenn
jetzt seit 1999 die Exporte steigen und in 2000 vermutlich
noch einmal explosionsartig zulegen, dann muss und wird
von uns genau hingesehen werden, ob das verantwortlich
ist.
Rüstungsexportpolitik muss sich einem differenzier-
ten, tatsächlich nicht einfachen Abwägungsprozess stel-
len. Dabei muss die gemeinsame europäische Politik und
die gemeinsame Politik im Bündnis absoluten Vorrang
vor anderen Überlegungen haben. Sonderwege sind für
Deutschland nicht sinnvoll. Auch der Eindruck von Son-
derwegen ist schädlich. Sagen Sie ja und stehen Sie zu ei-
nem gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa und im
Bündnis. Sagen Sie ja zu transnationalen wirtschaftlichen
Strukturen in der Rüstungswirtschaft, zur Anpassung der
Kapazitäten an die neuen Verhältnisse in Europa und sor-
gen Sie dafür, den Exportdruck in Entwicklungsländer
und Partnerländer zu verringern. Sorgen Sie aber genauso
gut dafür, dass in diesem gemeinsamen Rüstungsmarkt
die deutsche Rüstungswirtschaft eine bedeutende Rolle
spielen kann und dass nicht etwa durch die verschärften
Endverbleibsregelungen Zusammenarbeit mit den Unter-
nehmen anderer Länder gar nicht mehr infrage kommt.
Reden und Handeln sind bei dieser Regierung nicht das
Gleiche. Ihre Rüstungsexportpolitik ist auf kurzfristige
öffentliche Effekte aus. Sie ist kaum europatauglich, in-
dustriepolitisch falsch und nimmt keine Rücksicht auf die
Bündnisfähigkeit Deutschlands. Wir dürfen auf den Be-
richt des Exportjahres 2000 gespannt sein, der eigentlich
schon vorgelegt sein sollte. Dann werden wir von
Frau Beer wieder zirkusreife Verrenkungen geboten be-
kommen.
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
dem Rüstungsexportbericht 1999 ist uns ein erster Schritt
in Richtung Transparenz gelungen. Wir haben damit eine
alte Forderung der Grünen, die wir mit unserem Partner in
der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, um-
gesetzt. Sicher ist der Bericht noch nicht perfekt. Deshalb
wollen wir ihn von Ausgabe zu Ausgabe verbessern. In
der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses
werden bereits einige Verbesserungen vorgeschlagen. Wir
werden überprüfen, wie sich dies im in Kürze zu erwar-
tenden Bericht für das Jahr 2000 niederschlägt.
Aus grüner Sicht muss ich feststellen, dass wir mit den
Zahlen des Berichtes für 1999 nicht zufrieden sind, auch
wenn es sich bei den Exporten zum Teil noch um Altlas-
ten der konservativliberalen Koalition handelt. Die Stei-
gerung der Exporte sind insgesamt ernüchternd und be-
stätigen die Notwendigkeit des Berichtes, um mehr
Transparenz sowie die Umsteuerung der deutschen Rüs-
tungsexportpolitik zu erreichen. Allerdings muss man die
Ergebnisse im Einzelnen auch ausgewogen betrachten. Es
ist sicher ein Fortschritt, dass die Exporte in Nicht-NATO-
Länder zurückgegangen sind. Dies ist gut so, ich will aber
noch keine Entwarnung geben.
Mit den Rüstungsexportrichtlinien hat die rot-grüne
Koalition ein brauchbares Instrument geschaffen, um eine
restriktive Rüstungsexportpolitik durchzuführen. Wir ha-
ben die Bedeutung der Menschenrechte betont. Als wei-
tere Kriterien haben wir im Sinne präventiver Politik Sta-
bilität und nachhaltige Entwicklung mit aufgenommen.
Darüber hinaus hat das Problem des Endverbleibs eine
herausgehobene Stellung erhalten.
Die Umsetzung der Exportrichtlinien allerdings lässt
zu wünschen übrig. Wir erinnern uns noch an den Bau ei-
ner Munitionsfabrik in der Türkei durch die Firma Fritz
Werner. Der Abschluss der Vereinbarung ging letzten
Sommer durch die Medien. Dies war ein Signal in die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117704
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falsche Richtung. Ich will auf das Problem der Kleinwaf-
fen hinweisen. Vom Wert her klingt das auf den ersten
Blick nicht so dramatisch. Dass Kleinwaffen schwer kon-
trollierbar sind und in Bürgerkriegen und innerstaatlichen
Auseinandersetzungen zum Einsatz mit grausamen Fol-
gen kommen können, ist aber bekannt.
Ich bin mir nicht sicher, ob der Geist der Richtlinien
wie auch die Notwendigkeit einer öffentlichen Transpa-
renz auf allen Arbeitsebenen der zuständigen Behörden
und Ministerien schon angekommen ist. Rüstungsexporte
sind keine nationale Angelegenheit mehr. Auf der inter-
nationalen Ebene geschieht sehr viel, sowohl im Bereich
der Rüstungskooperation wie bei der Rüstungsexportkon-
trolle. Wir haben den europäischen Verhaltenskodex zu
Rüstungsexporten, es gibt Kontrollregime. Zugegebener-
maßen sind die internationalen Regularien noch nicht
wirksam genug. Aber in einzelnen Staaten, gerade auch
bei unseren Partnern, entwickeln sich Praktiken, die sich
gut gegenseitig ergänzen können. Daher sollten wir ver-
suchen, orientiert an der Auswertung von Berichten in an-
deren Ländern, unseren Exportbericht weiterzuent-
wickeln.
Es gibt aber auch das Rahmenabkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritan-
nien, Italien, Spanien und Schweden über Rüstungsko-
operation, in dem auch die Frage des Exportes angespro-
chen ist. Meine Fraktion wird sehr genau beobachten,
welche Auswirkungen die Umsetzung dieses Abkommens
auf Rüstungsexporte aus Deutschland haben wird.
Ich möchte eines feststellen, gerade wenn Ex-Regie-
rungsparteien sich hier plötzlich als Sachwalter der Moral
hinstellen: Ich kann mich nicht erinnern, dass sich die
frühere Regierungsparteien, insbesondere die F.D.P., in
vergleichbarer Weise der öffentlichen Kritik gestellt ha-
ben, wie unsere Regierung das gerade auch mit der Vor-
lage dieses Rüstungsexportberichtes macht.
Die Bundeswehr wird aufgrund der Reform einiges an
Materialien ausmustern. Wir dürfen hier nicht die Fehler
der Vorgängerregierung wiederholen. Insbesondere das
Problem des Endverbleibs spielt hier eine wesentliche
Rolle. Es darf nicht passieren, dass Länder, die Altmate-
rialien der Bundeswehr bekommen, diese wiederum an
unsichere Staaten weitergeben. Darüber hinaus sollte auf
jeden Fall überprüft werden, welche Materialien der EU
im Rahmen der zivilen und polizeilichen Präventionspo-
litik zur Verfügung gestellt werden können. Dies wäre ein
positives Signal vonseiten der Bundesrepublik für die
Stärkung der Prävention.
Rüstungsexportpolitik ist Außenpolitik. Auch wenn die
Exekutive dafür zuständig ist, so leitet sich daraus unser
Anspruch ab, dass Rüstungsexporte die ganze Gesell-
schaft und das Parlament angehen. Es handelt sich dabei
zu Recht um hochpolitisierte Fragen, denn es betrifft mo-
ralische Probleme wie die Menschenrechte, sicherheits-
politische Fragen wie Gewaltverhinderung und Stabilität
und entwicklungspolitische Fragen wie das Verhältnis
von Militärausgaben zum Haushalt. Sie betreffen sowohl
unsere Wertvorstellungen wie unsere Interessen an Frie-
den und Stabilität.
Ein zentraler Punkt für die weitere Entwicklung ist die
Transparenz, denn nur wenn es ausreichende Transparenz
gibt, kann die parlamentarische und die öffentliche Kon-
trolle funktionieren. Insofern unterstütze ich das Anliegen
des Antrages der PDS. Er schießt aber weit über das Ziel
hinaus; deswegen kann ich ihm nicht zustimmen. Im Mo-
ment kommt es darauf an, sich die nächsten, praktischen
Schritte zu überlegen. Damit befasst sich gegenwärtig
meine Fraktion. Wir wollen die Praxis unserer Partner im
Hinblick auf Brauchbarkeit für uns überprüfen.
Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Vor einem
Jahr hat die Bundesregierung neue Richtlinien für den Ex-
port von Rüstungsgütern beschlossen. Sie hat eine eigent-
lich ziemlich klare Rechtslage, die durch die Rüstungsex-
portrichtlinien von 1982, durch die Richtlinien der OSZE
von 1993 und den EU-Verhaltenskodex von 1998 gege-
ben war, um ein weiteres Dokument angereichert. Der da-
malige Beschluss war in der Sache nicht nötig. Hierauf
komme ich später zu sprechen. Allerdings enthält er eine
Bestimmung, die wir begrüßen, nämlich dass jährlich ein
Rüstungsexportbericht durch die Bundesregierung vorzu-
legen sei.
Wir diskutieren heute über den ersten Bericht. Er zeigt,
dass hier nichts zu verstecken ist. Transparenz muss gerade
in den besonders sensiblen Bereichen der Wirtschaft und
der Politik oberstes Gebot sein. Jedermann kann sich die-
sen Bericht aus dem Internet holen. Er wird dann zu ähn-
lichen Feststellungen kommen wie ich: Der Bericht be-
steht zum größten Teil aus einer Aneinanderreihung von
Rechtsgrundlagen – aus der Ausfuhrliste, die einen ge-
nauen Überblick über all das gibt, was für kriegsführende
Parteien von Interesse sein könnte, – aus der Kriegswaf-
fenliste und – besonders interessant – aus der Liste der be-
stehenden Waffenembargos, die in großer Zahl durch die
Vereinten Nationen angeordnet wurden. Der größte Teil
wiederum enthält stichwortartig die Information, was in
welche Länder für welchen Wert geliefert wurde.
Ich wünschte mir, dass der eigentliche Bericht, der nur
fünf Seiten erfasst, davon wieder zwei Seiten als Tabellen,
ausführlicher wäre. Insbesondere fehlt mir eine Einord-
nung der verschiedenen Fakten in die Entwicklung der
letzten Jahre. Nur diese Information würde den Leser
dazu befähigen, auch zu zutreffenden Bewertungen zu
kommen. Ich wüsste schon gern, ob wirklich unter Rot-
Grün mehr Rüstungsgüter exportiert wurden als früher.
Ich will einige Aspekte herausstellten: Die Rüstungs-
exporte machen nur einen sehr geringen Anteil des deut-
schen Exports aus, nämlich 0,7 Prozent. Auf Kriegswaf-
fen entfallen 0,3 Prozent. Der wirtschaftspolitische
Aspekt des Rüstungsexports ist daher nicht groß. Sehr viel
wichtiger sind die Aspekte der Außen- und Sicherheitspo-
litik, auch der Entwicklungspolitik und der Menschen-
rechtspolitik. Wichtig ist die Information, dass Kriegs-
waffen sowohl eine Genehmigung nach dem
Kriegswaffen-Kontrollgesetz, sowie eine Ausfuhrgeneh-
migung nach dem Außenwirtschaftsgesetz benötigen. Al-
les muss genehmigt werden, die Herstellung, der Erwerb,
die Überlassung, die Beförderung, ja sogar die Vermitt-
lung derartiger Geräte.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17705
(C)
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(B)
Das neu aufgenommene Kriterium, dass die Men-
schenrechtssituation im Empfängerland in jedem Einzel-
fall zu prüfen sei, gibt zum einen nur die Praxis wieder,
die auch die früheren Bundesregierungen angewandt ha-
ben; denn der zuständige Bundessicherheitsrat, der bis
1999 immer einstimmig abgestimmt hat, hat in den vielen
Jahrzehnten, in denen die F.D.P. über den Außenminister
und den Wirtschaftsminister bestimmenden Einfluss auf
die Entscheidungen genommen hat, durchwegs für eine
äußerst zurückhaltende Rüstungsexportpolitik gesorgt.
Die Türkei ist mit großem Abstand der größte Abneh-
mer von Rüstungsgütern. Die USA liegen an zweiter
Stelle. Dort wird die Menschenrechtslage offensichtlich
gar nicht geprüft, obwohl wir große Bedenken gegen die
indiskutablen Todesurteile haben, die ja sogar gegen Ju-
gendliche und psychisch Kranke ausgesprochen und voll-
streckt werden. Nichts anderes kann für Japan gelten.
Bei Kriegswaffen steht Israel an der Spitze, ein Land,
das ebenfalls Probleme mit der Einhaltung der Men-
schenrechte hat. Dennoch ist es richtig, wenn Deutsch-
land zum Schutz Israels auch durch die Lieferung von
Kriegswaffen beiträgt.
In den neuen Richtlinien der Bundesregierung heißt es
in Abschnitt 3 Ziffer 5, dass Ausfuhren nicht genehmigt
werden in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzun-
gen verwickelt sind oder wo solche drohen. Ich weiß
nicht, ob die Mütter und Väter dieser Richtlinien diesen
Punkt ausreichend bedacht haben. Sollen wir wirklich
wieder – wie vor sechs und sieben Jahren in Bosnien ge-
schehen – abseits stehen, wenn eine Bevölkerungsgruppe
von einer anderen übermächtigen überfallen wird, wenn
Frauen zu Tausenden vergewaltigt und Männer ermordet
werden, weil sich Völker gegen andere mangels geeigne-
ter Waffen nicht verteidigen können. Erinnern sie sich
noch daran, wie eine sehr gut ausgerüstete serbische
Streitmacht über Städte und Dörfer von moslemischen
Bosniern hergefallen ist, die zum Teil keine Schusswaffen
zur Verteidigung hatten, sondern mit Sensen, Beilen und
Spaten ihre Familien und Dörfer verteidigt haben? Wenn
Deutschland und die NATO damals schon glaubten, nicht
mit militärischen Mitteln helfen zu müssen, wäre es nicht
wenigstens richtig gewesen, der geschundenen überfalle-
nen Bevölkerung die Waffen zur nötigen Selbstverteidi-
gung zur Verfügung zu stellen?
Ich will heute nicht über die Inkonsequenz der rot-grü-
nen Bundesregierung sprechen, die den Ersatz der türki-
schen Leoparden 1 durch den Leo 2 nicht genehmigen
will, aber die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Tür-
kei ermöglicht hat. Ich will aber festhalten, dass die F.D.P.
nach wie vor für eine restriktive Rüstungsexportpolitik
eintritt, dass die F.D.P. aber großen Wert darauf legt, dass
die Kernfähigkeiten der deutschen Rüstungsindustrie im
Interesse unserer Sicherheit, aber auch im Interesse des
Wissenschaftsstandorts Deutschland erhalten werden,
und dass der deutschen wehrtechnischen Industrie Ko-
operationsfähigkeit und Vertragsfähigkeit erhalten wer-
den müssen.
Natürlich ist die Frage des Erhalts von Arbeitsplätzen
auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Argument;
es kann aber nicht das allein entscheidende Argument
sein. Kriegswaffen sind eben nicht normale Güter. Sie
können Menschen töten. Sie können aber auch Menschen
retten. Sie können den Frieden beschädigen. Sie können
aber auch Frieden möglich machen. Wer Kriegsgerät pro-
duziert, vermittelt und exportiert trägt auch Verantwor-
tung für das, was mit dem Gerät passiert. Es muss daher
bei den Kontrollmechanismen verbleiben, die aber nur
wirksam sind, wenn sie zumindest europaweit in gleicher
Weise gelten.
Alle Waffen können töten. Eine Waffengattung ist ganz
besonders heimtückisch und problematisch. Ich spreche
von den Minen. Mit dem Vertrag von Ottawa haben sich
die meisten Staaten dieser Erde verpflichtet, Anti-Perso-
nen-Minen weder herzustellen noch zu verkaufen noch zu
verwenden. Nur: Die Vertragsstaaten verfügten nur über
10 Prozent der Bestände an Minen insgesamt. Wir müssen
alles tun, damit Produzenten und Lieferanten wie Russ-
land, Nordkorea, China, Vietnam, Indien, Pakistan die-
sem Vertrag beitreten. Wir müssen aber auch dafür sorgen,
dass Panzerminen, die sich nicht selbst zerstören oder ab-
schalten, weltweit verboten werden. Es steht der Bundes-
republik Deutschland gut an, wenn sie in solchen Fragen
an der Spitze der Bewegung steht und nicht auf die Initia-
tive anderer Länder wartet. Wir von der F.D.P. haben eine
entsprechende Initiative ergriffen. Ich hoffe sehr, dass der
Bundestag sich diesem Vorhaben bald anschließen wird.
Siegmar Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:Mit
dem Rüstungsexportbericht 1999 ist von der Bundesre-
gierung dem Deutschen Bundestag erstmalig eine detail-
lierte Aufschlüsselung der Rüstungsexporte des Vorjahres
vorgelegt worden. Der Rüstungsexportbericht 1999 be-
ruhte auf einer Zusage in der Koalitionsvereinbarung und
der Selbstverpflichtung der Bundesregierung in Abschnitt
V der im Januar 2000 verabschiedeten neuen rüstungs-
exportpolitischen Grundsätze.
Ziel dieses Berichts und des in Vorbereitung befindli-
chen Berichts über das Jahr 2000 ist die Verbesserung der
Transparenz unserer Rüstungsexportpolitik.
Die Berichte gehen hierbei so weit, wie wir unter Wah-
rung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betei-
ligten Unternehmen gehen können. Dabei müssen wir
auch die Kooperationsfähigkeit unserer Unternehmen in
einer immer stärker zusammenwachsenden europäischen
Rüstungswirtschaft beachten.
Die Bundesregierung hat – wie ich meine – mit dem
Rüstungsexportbericht 1999 einen guten Ausgleich zwi-
schen dem Transparenzinteresse einerseits und den Ver-
traulichkeitsgebot andererseits gefunden. Bei der Trans-
parenz von Rüstungsexporten stehen wir damit auch im
internationalen Vergleich sicherlich mit in der ersten
Reihe.
Der Bericht ist auch außerhalb des Parlaments in der
interessierten Öffentlichkeit auf lebhaftes Interesse und
– wie ich glaube – ganz überwiegende positive Resonanz
gestoßen. Auch vonseiten der in diesem Bereich enga-
gierten Nichtregierungsorganisationen ist grundsätzlich
nicht infrage gestellt worden, dass der Rüstungsexportbe-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117706
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richt 1999 ein entscheidender Durchbruch bei den Trans-
parenzbemühungen in diesem sensiblen Bereich darstellt.
Trotzdem können weitere Verbesserungen an den Rüs-
tungsexportberichten vorgenommen werden. Die Be-
schlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses ist inso-
weit begrüßenswert. Die Bundesregierung wird die Emp-
fehlungen schon im Rüstungsexportbericht 2000 soweit
wie möglich berücksichtigen.
Hierzu im Einzelnen folgende Bemerkungen:
Dual-use-Güter: Wie für 1999 wird das Bundeswirt-
schaftsministerium den Ausschüssen für Wirtschaft und
Technologie, Auswärtiges und Haushalt Exportzahlen zur
Ausfuhr von Dual-use-Gütern vorlegen. Weiter wird dem
Wirtschaftsausschuss ein Bericht zum Ergebnis der Prü-
fung vorgelegt, ob Dual-use-Güter künftig in Rüstungs-
exportberichte aufgenommen werden. Hierbei wird ins-
besondere die Frage zu beantworten sein, ob dies wegen
des unterschiedlichen Warencharakters sinnvoll ist.
Künftig wird im Rüstungsexportbericht auf gewährte
militärische Ausrüstungshilfen eingegangen. Außerdem
werden die Strafverfolgungsstatistik sowie Ermittlungs-
verfahren nach AWG/KWKG berücksichtigt.
Weiter wird über neu abgeschlossene regierungsamtli-
che Kooperationen im Berichtsjahr nach Unterrichtung
der Partnerländer berichtet werden.
Schließlich werden künftig auch die Mitglieder des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie über Her-
mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter vertrau-
lich unterrichtet. Damit wird der Wirtschaftsausschuss
über sensible Hermes-Deckungsentscheidungen so gut
unterrichtet wie bisher schon der Haushaltsausschuss.
Die Bundesregierung geht in ihren Berichten über die
Rüstungsexporte so weit, wie sie unter Wahrung der Be-
triebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unter-
nehmen gehen kann. Eine Vorabunterrichtung des Parla-
ments oder seiner Ausschüsse über aktuelle, zur Ent-
scheidung anstehende Einzelfälle des Rüstungsexports
würde die bestehenden rechtlichen Grenzen überschrei-
ten. Eine wie auch immer geartete Bindung der Bundes-
regierung an Voten von Parlamentsausschüssen zu einzel-
nen Rüstungsexportfällen würde darüber hinaus auch auf
verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Der PDS-Antrag
,,Transparenz und parlamentarische Kontrolle bei Rüs-
tungsexporten“ ist deswegen in allen zuständigen Aus-
schüssen abgelehnt worden. Ich schließe mich der Emp-
fehlung auf Ablehnung an.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Modernisierung der Besoldungsstruktur (Besol-
dungsstrukturgesetz – BesStruktG) (Tagesord-
nungspunkt 15)
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die F.D.P. lehnt den vorlie-
genden Gesetzentwurf ab. Rot-Grün geht es hier nicht da-
rum, das Beamtenrecht weiter zu modernisieren. Was uns
hier vorgelegt wird, ist ein reines Spargesetz: nicht eine
Spur von Innovation, nur weitere Kürzungen im Besol-
dungssystem.
Wir lehnen den Entwurf insbesondere aus folgenden
Gründen ab:
Erstens. Die Einführung einer Bezahlungsbandbreite
im Eingangsamt wird de facto zu einer Absenkung der Be-
soldung im Bereich des gehobenen und höheren Dienstes
führen.
Zweitens. Die Umwandlung des Verheiratetenzu-
schlags in den Familienzuschlag ist zwar eine „alte“
F.D.P.-Forderung. Nach unseren Vorstellungen muss der
Familienzuschlag aber bereits ab dem ersten Kind ge-
währt werden, insbesondere dann, wenn die Ehefrau nicht
berufstätig ist. Der von der Bundesregierung vorgeschla-
gene Weg, den „modernisierten“ Familienzuschlag erst ab
dem dritten Kind zu gewähren, ist eine Mogelpackung.
Denn angesichts der Bevölkerungsentwicklung – 1,3 Kin-
der pro Familie – wird der Änderungsvorschlag in der
Praxis kaum zum Tragen kommen.
Drittens. Mit dem Gesetz soll außerdem die Rege-
lungskompetenz für Stellenobergrenzen auf die Länder
verlagert werden. Nachdem diese bereits in der vergange-
nen Legislaturperiode einen entsprechenden Vorstoß der
damaligen Bundesregierung abgelehnt haben, bleibt de-
ren jetzige Reaktion abzuwarten. Aus unserer Sicht ist da-
gegen wenig einzuwenden.
Viertens. Im Rahmen der Gesetzesänderung soll zu-
dem eine neuer § 36 a Bundesbeamtengesetz eingeführt
werden. Die Bundesregierung will sich damit die Mög-
lichkeit verschaffen, parteipolitisch missliebige Beamte
der Besoldungsgruppe B 3, die zwar keine politischen Be-
amten sind, aber wichtige Positionen innehaben, aus ihren
Ämtern entfernen und durch eigene Leute ersetzen zu
können. Die Bundesregierung will damit gezielt Perso-
nalpolitik zu ihren Gunsten betreiben – aus unserer Sicht
ein Skandal.
Ich habe hier nur unsere Hauptkritikpunkte angespro-
chen. Aus Sicht der Liberalen genügen allein diese, den
Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– der Großen Anfrage: Reform des Familienlasten-
ausgleichs
– des Antrags: Existenzminimum realitätsnah ermit-
teln
(Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord-
nungspunkt 8)
Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Seit der Amtsübernahme
der rot-grünen Koalition ist Familienpolitik ein wesentli-
cher Schwerpunkt unserer Arbeit. Vor allen Dingen galt
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es, die höchstrichterlich festgestellten Versäumnisse der
Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Aufgabe, ein familien-
freundlicheres Steuersystem zu schaffen, war angesichts
der Staatsverschuldung mit enormen Schwierigkeiten
verbunden. Umso stolzer können wir nun auf das Er-
reichte zurückblicken. Das geplante Gesetz stellt zwei-
felsohne einen Meilenstein auf diesem langen Weg dar.
Die reinen Zahlen verdeutlichen das: So hat das Volu-
men familienpolitischer Leistungen, an denen der Bund
finanziell beteiligt ist, seit 1998 von 78,6 Milliarden DM
um 20 Prozent auf 95 Milliarden DM zugenommen.
Hinzu kommen noch die Leistungen von Ländern und
Kommunen. Angesichts der Haushaltslage beim Bund
und den übrigen Gebietskörperschaften haben wir den
vorhandenen Spielraum bis auf das Äußerste ausgenutzt.
Mehr ist zurzeit nicht möglich!
Diese Tatsache sollten Sie sich, meine verehrten Kol-
leginnen und Kollegen von der PDS, vergegenwärtigen.
Finanziellen Spielraum für weitergehende Forderungen
gibt es derzeit leider nicht – auch wenn das durchaus wün-
schenswert wäre. Sie können sich sicher sein, dass wir in
Zukunft weitere Verbesserungen bei der Familienförde-
rung anstreben. Ich bin der Überzeugung, dass der fi-
nanzpolitische Kurs von Hans Eichel dafür die Grundla-
gen schaffen wird.
Die Experten-Anhörung ergab eine breite Zustimmung
zu dem Gesetzentwurf. Mit diesem hat die Regierungsko-
alition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteue-
rung zugunsten der Familien – insbesondere derer mit
kleinen und mittleren Einkommen – wirkungsvoll umge-
setzt. Die Sachverständigen lobten vor allem, dass erst-
malig im deutschen Steuerrecht der Abzug von Kinderbe-
treuungskosten zugelassen wird, die wegen Erwerbs-
tätigkeit der Eltern entstehen. Von der neuen Abzugsmög-
lichkeit werden insbesondere Frauen profitieren, denen
die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermög-
licht wird.
Als weitere Verbesserungen sind vorgesehen: Das Kin-
dergeld für erste und zweite Kinder wird nochmals spür-
bar um 30 DM auf 300 DM je Kind und Monat angeho-
ben. Von vielen Sachverständigen wurde anerkannt, dass
die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung mit der
Kindergelderhöhung zu vereinbaren sein muss. Im Jahr
1998 betrug das Kindergeld noch 220 DM.
Der Freibetrag für das sächliche Existenzminimum ei-
nes Kindes wird aufgrund der Steigerung der Lebenshal-
tungskosten von 6 912 Mark auf 7 128 Mark angehoben.
Der bisherige Betreuungsfreibetrag von 3 024 DM
wird zur Berücksichtigung der Kosten für Erziehung und
Ausbildung auf insgesamt 4 212 DM erhöht. Die Alters-
grenze wird von 16 auf 27 Jahre angehoben.
Bei volljährigen Kindern, die sich in Berufsausbildung
befinden und auswärtig untergebracht sind, kann ein zu-
sätzlicher Freibetrag von 1 800 Mark abgezogen werden.
Auch die Steuerreform entlastet Familien und Bezieher
kleiner und mittlerer Einkommen. So wird eine Familie
mit zwei Kindern und Durchschnittseinkommen in die-
sem Jahr wegen der Steuerentlastung 1 730 DM mehr im
Portemonnaie haben. Das sind rund 145 DM, die jeden
Monat zusätzlich zur Verfügung stehen. Die „Schere“
zwischen der Entlastung durch den Kinderfreibetrag und
durch das Kindergeld wird sich bis zum Jahr 2005 durch
den sinkenden Spitzensteuersatz deutlich verringern.
Diese – noch nicht einmal vollständige – Aufzählung
familienpolitischer Maßnahmen kann sich durchaus se-
hen lassen! Unsere Regierung hat erkannt, dass sich Fa-
milienförderung nicht ausschließlich auf die finanzielle,
sprich steuerliche Unterstützung der Familien beschrän-
ken darf. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität
dazu zu glauben, dass eine alleinige Erhöhung des Kin-
dergeldes Menschen dazu bewegen kann, mehr Kinder zu
bekommen! Vorschläge zur Zahlung eines Familiengel-
des – wie sie von der CDU/CSU vorgebracht wurden –
greifen daher viel zu kurz und werden den Bedürfnissen
der meisten Menschen nicht gerecht. Nicht bezahlbare
Transfer-/Kindergeldzahlungen von mehr als 1 000 DM
führen nur dazu, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.
Die Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von El-
ternpaaren und Alleinerziehenden sieht anders aus.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Familien brau-
chen eine bessere finanzielle Unterstützung des Staates.
Der Denkansatz unserer Regierung geht aber über die fi-
nanziellen Bedingungen hinaus. Familienpolitik kann nur
erfolgreich sein, wenn sich die Rahmenbedingungen für
Familien insgesamt verbessern. Hierzu haben wir bereits
erste viel versprechende Schritte eingeleitet. Ich darf in
Erinnerung rufen:
Die Ausbildung von Kindern wird besser finanziell ge-
fördert. Durch die Reform des BAföG beziehen mehr
Schüler und Studenten finanzielle Unterstützung. Denn
die Einkommensgrenzen sind deutlich angehoben wor-
den. Gleichzeitig. wurde der Förderhöchstbetrag auf
1 140 DM erhöht. Die durchschnittliche Förderung liegt
jetzt bei 730 DM pro Kind im Monat und ist damit um
circa 90 DM pro Monat gestiegen.
Deutliche Entlastungen für Familien bringt auch die
zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Reform des Wohn-
geldes. 400 000 zusätzliche Haushalte können aufgrund
der Anhebung der Einkommensgrenzen Wohngeld bezie-
hen, viele davon Familienhaushalte. Daneben wird das
Wohngeld erhöht. Für Haushalte mit vier und mehr Per-
sonen gibt es durchschnittlich 118 DM mehr im Monat.
All diese Maßnahmen haben zu einer spürbaren finan-
ziellen Entlastung der Familien geführt. Doch Familien-
politik bedeutet für die rot-grüne Koalition weit mehr, als
nur die finanzielle Situation von Familien zu verbessern.
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und
ein gewaltfreies Zuhause. Deshalb haben wir durch eine
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs die gewaltfreie
Kindererziehung zum Leitbild erhoben. Gleichzeitig ha-
ben wir den Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt ge-
gen Frauen beschlossen.
Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ha-
ben wir die Elternzeit, früher Erziehungsurlaub, flexibili-
siert. Seit dem 1. Januar 2001 können Väter und Mütter
gleichzeitig Elternzeit nehmen. Außerdem können sie
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schon während der Elternzeit bis zu 30 Stunden arbeiten
und gleichzeitig Erziehungsgeld beziehen. Darüber hi-
naus haben alle Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf
Teilzeitarbeit, sofern sie in Betrieben mit mehr als 15 Be-
schäftigten arbeiten.
Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eines
unserer wesentlichen politischen Ziele. Durch das Sofort-
programm gegen Jugendarbeitslosigkeit JUMP konnte
die Jugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden.
Diese bereits realisierten Projekte zeigen eines ganz
klar: Mit unserer Familienpolitik sorgen wir für Gerech-
tigkeit und Bildungsbeteiligung für Familien mit niedri-
gem und mittlerem Einkommen sowie für Chancen-
gleichheit von Frauen und Männern.
Wir haben in der relativ kurzen Zeit unserer Regie-
rungsverantwortung schon viel geschafft. Doch wir haben
noch ehrgeizige Ziele und werden deshalb weitere Maß-
nahmen zur Entlastung von Familien verabschieden, so-
bald die notwendigen Finanzen verfügbar sind. Bis dahin
möchte ich Sie um etwas Geduld bitten und Sie auffor-
dern, uns bei der Bewältigung der zukünftigen Aufgaben
konstruktiv zu unterstützen.
Elke Wülfing (CDU/CSU): „Armutsrisiko Kinder“,
so titelt die Rheinische Post gestern und fügt hinzu: „Kin-
der sind für viele Familien in Deutschland das Armutsri-
siko Nummer eins.“ Die Kinderarmut wächst dramatisch.
Das zeigt der Bericht der Nationalen Armutskonferenz.
Heute leben rund 1,1 Millionen Kinder von der Sozial-
hilfe, 1994 waren es „nur“ etwa 700 000. Die stellvertre-
tende Vorsitzende der Nationalen Armutskonferenz, Erika
Biehn, stellte sogar fest, die Situation der Kinder hat sich
unter Rot-Grün verschlechtert. Gerade Familien mit drei
und mehr Kindern sowie Alleinerziehende seien gefähr-
det. Vor diesem Hintergrund nimmt sich das zurzeit im Fi-
nanzausschuss in der Beratung befindliche so genannte
Familienförderungsgesetz ziemlich mickerig aus.
Familien sind das Fundament und Kinder sind die Zu-
kunft unserer Gesellschaft. Ohne sie ist im wahrsten Sinne
des Wortes kein Staat zu machen. Deshalb gehören Fami-
lien mit Kindern ins Zentrum einer modernen zukunfts-
orientierten Gesellschaftspolitik. Dazu gehört vor allem,
dass unsere Gesellschaft die Leistungen von Familien mit
Kindern stärker als bisher anerkennt und honoriert. Ich zi-
tiere dazu die Rede der Ministerpräsidentin von Schles-
wig-Holstein, Heide Simonis, im Bundesrat am Freitag
voriger Woche: „Auf Dauer werden wir nicht daran vor-
beikommen, stärker als bisher zugunsten von Familien
mit Kindern umzuschichten. Das 4,6-Milliarden-DM-Pa-
ket, das zum 1. Januar 2002 in Kraft treten soll, ist nur ein
erster Schritt auf einem sehr langen Weg.“
Ich kann dazu nur sagen, Frau Ministerpräsidentin:
Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Beschlussfassung des
CDU-Bundesvorstandes sowie der CDU-Bundestags-
fraktion, die zum Ziel hat, die derzeitige Förderung
Schritt für Schritt zu einem echten Familiengeld aufzu-
werten.AlleFamilien sollenproKindmonatlich1200 DM
bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erhalten, bis
zum 18. Lebensjahr dann 600 DM monatlich und vom
18. bis zum 27. Lebensjahr 350 DM. Die CDU/CSU-re-
gierten Bundesländer halten dies für möglich und wir
ebenfalls, weil wir uns in Politik und Gesellschaft wirk-
lich ernsthaft um eine dringend erforderliche Prioritäten-
setzung zugunsten von Familien mit Kindern bemühen
müssen. Alle, sowohl Bund, Länder wie auch Gemeinden
und Arbeitgeber, sind aufgefordert, den politischen Wil-
len und die politische Kraft zur Gestaltung einer wirklich
kinderfreundlichen Gesellschaft aufzubringen.
Wenn ein Drittel aller Frauen und die Hälfte aller Aka-
demikerinnen heute schon kinderlos bleiben, dann ist dies
eine gesellschaftliche Herausforderung erstes Ranges.
Diese demographische Entwicklung, die sich auf die So-
zialversicherungen ebenso negativ auswirkt wie auf das
Arbeitskräftepotenzial und die Steuerkraft, muss uns alle
aufrütteln. Deswegen bin ich der Meinung, dass sich die
finanzielle Situation der Familien mit Kindern verbessern
muss, dass aber zur besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gerade die Länder und Gemeinden gefordert
sind, bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im
Vorschulalter wie auch im Schulalter zu schaffen. Es ist
eindeutig feststellbar, dass es in Ländern wie Frankreich,
England, Italien, Spanien, USA, wo mehr Ganztagsbe-
treuungsmöglichkeiten für Kinder existieren, mehr Kin-
der gibt, dass Kinder früher geboren werden und die Er-
werbstätigkeit von Frauen eine wesentlich höhere Quote
aufweist als in Deutschland. Deshalb kann ich die Initia-
tive der CDU-Landtagsfraktion NRW nur nachdrücklich
unterstützen, die in der vorigen Woche einen Antrag auf
Ganztagsbetreuung an den Schulen in den Landtag einge-
bracht hat. Derartige Aktivitäten wünsche ich mir in allen
Bundesländern.
Kommen wir aber zurück zur Bundesebene. Ein paar
Bemerkungen zur derzeitigen Diskussion um das so ge-
nannte zweite Familienförderungsgesetz werden Sie mir
gestatten. Wie schon das erste Gesetz zur Familienförde-
rung vom 22. Dezember 1999 trägt auch der vorliegende
Entwurf diese Bezeichnung zu Unrecht. In der Sprachre-
gelung des Einkommensteuergesetzes wird bekanntlich
nur jener Teil des Kindergeldes als der Familienförderung
dienend bezeichnet, der die Steuererstattung übersteigt.
Deshalb wäre wohl der Begriff „Steuerrückerstattungs-
gesetz“ eher sachgerecht.
Aber nicht nur die Bezeichnung ist aus familienpoliti-
scher Sicht unzutreffend. Vor dem Hintergrund der eben
dargestellten demographischen Entwicklung ist vor allem
sein Inhalt unzureichend und sozial unausgewogen. Die
Chance auf eine konzeptionelle Neugestaltung oder we-
nigstens auf eine deutliche Erweiterung der familienpoli-
tischen Leistungen ist leider ungenutzt geblieben.
Die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM für das
erste und zweite Kind ist fraglos besser als nichts, aber
leider werden 40 Prozent des Entlastungsvolumens von
7,5 Milliarden DM durch familienpolitische Einsparun-
gen in Höhe von 2,9 Milliarden DM gegenfinanziert. Da-
mit ist das Hauptziel des Gesetzentwurfes gekennzeich-
net: eine möglichst billige Umsetzung der Urteile des
Verfassungsgerichts. Die Anhebung des Kindergeldes
von 270 auf 300 DM bedeutet de facto nicht mehr als den
Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten bei
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einer Inflationsrate von 3,5 Prozent, die Ihre Regierung
durch schlechte Wirtschaftspolitik und Ökosteuer inzwi-
schen verursacht hat.
Außerdem beschränkt sich das rot-grüne Trippel-
schritte-Gesetz zum zweiten Mal nur auf die Kindergeld-
erhöhung für die ersten beiden Kinder. Familien mit drei
oder mehr Kindern sind also erneut benachteiligt. Dabei
hat die Nationale Armutskonferenz festgestellt, dass es
gerade kinderreiche Familien mit einem Normaleinkom-
men sind, die an den Rand der Existenzkrise oder unter
die Sozialhilferichtsätze geraten. Deshalb kann ich nur an
Sie appellieren: Stimmen Sie unserem Antrag auf Er-
höhung des Kindergeldes für dritte und weitere Kinder um
30 DM zu. Die CDU/CSU-regierten Bundesländer haben
im Bundesrat diesen Antrag auch schon gestellt.
Ich möchte auch gern noch einmal die Gelegenheit nut-
zen, zum Sonderausgabenabzug für Haushaltshilfen Stel-
lung zu nehmen. Da Frau Kressl mich im Finanzausschuss
verkürzt zitiert hat, möchte ich hier doch noch einmal da-
rauf hinweisen, für wie wichtig ich den Erhalt dieses Son-
derausgabenabzugs aus arbeitsmarktpolitischen Gründen
wie auch aus Familienfördergründen halte. Die eben
schon zitierte Ministerpräsidentin Heide Simonis, SPD,
hat im Bundesrat ja sehr deutlich festgestellt, dass auch sie
der Meinung ist, dass die Bundesregierung einen Fehler
macht, wenn sie die knapp 40 000 versicherungspflichti-
gen Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten
mit der Streichung des Sonderausgabenabzugs vernichtet.
Ich habe in meiner letzten Rede dazu ausgeführt, dass
nicht die Streichung, sondern die Ausdehnung auf Dienst-
leistungszentren und Dienstleistungsagenturen notwen-
dig ist. Fast 94 Prozent aller Erwerbstätigen in privaten
Haushalten sind Frauen. In der Anhörung zum so genann-
ten zweiten Familienfördergesetz haben uns die Dienst-
leistungszentren und Dienstleistungsagenturen dringend
davor gewarnt, diese steuerliche Förderung auszusetzen
und damit Beschäftigung in privaten Haushalten wieder
in die Schwarzarbeit abzudrängen. Im Interesse dieser
Frauen, bei denen es sich oft um Langzeitarbeitslose oder
um Sozialhilfeempfängerinnen handelt, kann ich Sie nur
dringend bitten, die Streichung des Sonderausgabenab-
zugs in Ihrem Gesetz wieder rückgängig zu machen. Nur
durch die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit mit
Schwarzarbeitsentgelten durch steuerliche Förderung
können Sie verhindern, dass diese Frauen im Alter statt
Rente Sozialhilfe beziehen müssen.
Die von Ihnen im Gesetz vorgesehene Absetzbarkeit
von Kinderbetreuungskosten von 3 000 DM im Monat ist
im Vergleich absolut lächerlich, denn bei einem Stunden-
satz von 20 DM – und das ist noch nicht allzu viel – kom-
men genau drei Stunden pro Woche dabei heraus. Weitere
drei Stunden dürfen dann nur berufstätige Eltern geltend
machen. Dies halten wir für zu wenig und zu einseitig auf
Berufstätige ausgerichtet und deswegen kleinkariert.
Ich wäre sehr zufrieden, wenn Sie nicht nur unsere Än-
derungsanträge annähmen, sondern wenn Sie sich auch
daran halten würden, was der Bundesvorsitzende der SPD
Schröder vor einigen Tagen in der „Welt“ veröffentlicht
hat. Er wollte doch den Zustand überwinden, dass die Zu-
kunftschancen unserer Kinder und die Entfaltung ihrer
Begabungen vom Geldbeutel der Eltern abhängig sind.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nehmen Sie sich selber
ernst. Nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenzen wahr und
tun Sie das, was der SPD-Bundesvorsitzende Ihnen ins
Stammbuch geschrieben hat.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
PDS zur Reform des Familienlastenausgleichs dokumen-
tiert die Notwendigkeit, das Kindergeld und die Freibe-
träge für das sachliche Existenzminimum weiter zu er-
höhen sowie die Freibeträge für Betreuung, Erziehung
und Ausbildung zusammenzufassen.
Die rot-grüne Koalition hat in dieser Legislaturperiode
schon viel getan, um Familien besser zu fördern. So ha-
ben wir das Kindergeld für das erste und zweite Kind um
jeweils 50 DM von 220 DM auf 270 DM im Monat er-
höht.
Aktuell haben wir in dieser Woche das zweite Gesetz
zur Familienförderung im Finanzausschuss weiter bera-
ten. Mit diesem Gesetz wird das Kindergeld noch einmal
um rund 30 DM pro erstem und zweitem Kind angehoben.
Mit den rund 300 DM Kindergeld im Monat ist dann ein
wichtiges Wahlversprechen von Bündnis 90/Die Grünen
eingelöst.
Insgesamt haben Familien dann pro Kind im Jahr
960 DM allein an Kindergeld mehr zur Verfügung. Für
das Kindergeld werden im Jahr 2002 dann rund 66 Milli-
arden DM ausgegeben. Davon verursacht die für 2002
vorgesehene Erhöhung um rund 16 Euro (31,20 DM), von
138 Euro auf 154 Euro, allein Ausgaben in Höhe von
6 Milliarden DM.
Für alle familienpolitischen Leistungen zusammen ge-
nommen – neben Kindergeld und Freibeträgen zählen
dazu Erziehungsgeld, BAföG, die Kinderkomponente in
der Eigenheimförderung und die Erziehungskomponente
in der Rentenversicherung – werden im Jahr 2001 rund
98 Milliarden DM für familienpolitische Leistungen aus-
gegeben. Dies sind rund 20 Milliarden DM mehr als zu
Anfang der Legislaturperiode im Jahr 1998. Damit hat die
rot-grüne Koalition den Hauptteil ihrer finanzpolitischen
Reformen in der Kinder- und Ausbildungspolitik in dieser
Legislaturperiode erfolgreich verwirklicht.
Trotz dieser erheblichen Anstrengungen, die negativen
Hinterlassenschaften der Regierung Kohl abzuräumen
und den Vorgaben von Urteilen des Bundesverfassungs-
gerichts nachzukommen, bleibt aber noch viel zu tun. Wie
sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage ergibt, ist die Zahl von Kindern und Jugendli-
chen, die von Sozialhilfe leben, ständig gestiegen. Heute
leben mehr als 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche von
Sozialhilfe. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei
Kindern unter sieben Jahren bei Alleinerziehenden. Noch
1994 lebten 218 000 dieser Kinder von der Sozialhilfe. Im
Jahr 1999 waren es bereits 263 558 Kinder. Die Zahlen
sprechen für sich: Das Armutsrisiko trifft immer häufiger
Frauen mit Kindern. Und das nicht ohne Grund: Häufig ist
es ihnen unmöglich, Berufstätigkeit und Kinderbetreuung
miteinander zu vereinbaren. Denn fehlende oder unzurei-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117710
(C)
(D)
(A)
(B)
chende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, zu geringe Aus-
bildungsförderung und mangelnde Weiterbildungsange-
bote sind die Realität für viele Alleinerziehende.
Aus diesem Grunde kommt der steuerlichen Absetz-
barkeit von Kinderbetreuungskosten im laufenden Ge-
setzgebungsverfahren des zweiten Familienlastenaus-
gleichsgesetzes eine besondere Bedeutung zu. Wie kann
ein Anreiz geschaffen werden bzw. wie können die Chan-
cen verbessert werden, auch mit Kind erwerbstätig zu
werden oder zu bleiben, wenn gewährleistet ist, dass mein
Kind qualifiziert entsprechend meinen zeitlichen Not-
wendigkeiten betreut wird?
Die Kosten für erwerbsbedingte Kinderbetreuung
müssen deshalb ab der ersten Mark absetzbar werden. Nur
so wird gewährleistet, dass Alleinerziehende mit geringen
bis mittleren Erwerbseinkünften überhaupt einen Steuer-
vorteil bekommen. So, wie es bislang im Gesetzentwurf
steht, bekommen gerade diese nämlich keinen Anreiz zur
Aufnahme einer Berufstätigkeit. Laut Entwurf können die
Betreuungskosten erst abgesetzt werden, wenn sie bei
Verheirateten 3 024 DM im Jahr übersteigen und sind
dann auf 3 000 DM begrenzt. Alleinerziehende könnten
Kosten erst oberhalb von 1 512 DM und dann bis zu
1 500 DMabsetzen.DieseSteuerentlastungerreicht höhere
Einkommensschichten und nicht den Personenkreis, der
sich aus der Sozialhilfeabhängigkeit heraus bewegen will.
Hinzu kommt, dass durch die Vorgabe des Bundesver-
fassungsgerichts der Abbau des Haushaltsfreibetrages im
Familienförderungsgesetz steht. Durch das allmähliche
Abschmelzen werden die Auswirkungen zwar gemildert,
trotzdem kann es in den Jahren 2003 und 2005 zu finan-
ziellen Belastungen für Alleinerziehende, insbesondere
im unteren und mittleren Einkommensbereich, kommen.
Dies können wir als Bündnis 90/Die Grünen nicht vertre-
ten, da gerade dieser Personenkreis häufig armutsbetrof-
fen ist.
Wir wollen mit der Absetzbarkeit der erwerbsbeding-
ten Kinderbetreuungskosten ab der ersten Mark erreichen,
dass diesen verteilungspolitisch problematischen Effek-
ten entgegengewirkt wird. Dies wollen wir jetzt stufen-
weise umsetzen, sodass dieser wichtige Punkt für eine
bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht aus
haushaltspolitischen Gründen scheitert.
Für die nächste Legislaturperiode werden die Armuts-
bekämpfung und die besseren Rahmenbedingungen für
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter Gegen-
stand der politischen Gestaltung bleiben. Bündnis 90/Die
Grünen haben mit ihrem Konzept der Kindergrundsiche-
rung eine realisierbare Vision der aktiven Armuts-
bekämpfung vorgelegt und finanzpolitisch durch das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung begutachten
lassen.
Wir wollen Familien mit niedrigen Einkommen durch
einen Zuschlag zum Kindergeld von 200 DM pro Kind
aus der „Sozialhilfe von Kindes wegen“ heraus holen.
Unsere Grundsicherung würde etwa 5 Millionen Kindern
und ihren Eltern helfen, aus der Sozialhilfe herauszukom-
men. Denn durch die nur teilweise Berücksichtigung von
selbst erarbeitetem Mehreinkommen entsteht, anders als
beim „Fallbeileffekt“ der Sozialhilfe, ein wirksamer An-
reiz eine Tätigkeit aufzunehmen.
Keine Familie soll mehr von Sozialhilfe abhängig wer-
den, nur weil Kinder dort leben. Dieses Ziel ist es uns auch
wert, an den Grundfesten der „Alleinverdiener-Ehe“ zu
rütteln. Wir wollen zur Finanzierung der Kindergrundsi-
cherung das Ehegattensplitting im oberen Einkommens-
bereich kappen. In der Konsequenz würde dann ein Spit-
zenverdiener vom Ehegattensplitting nicht mehr stärker
profitieren als ein Durchschnittsverdiener. Für die Allein-
verdiener-Ehe bis 90 000 DM Jahreseinkommen ändert
sich nichts. Dieses Projekt wollen wir in der nächsten Le-
gislaturperiode angehen.
Die Zahlen sind vom DIW durchgerechnet und sie
sprechen für sich: Unser Kindergrundsicherungsmodell
schafft mehr soziale Gerechtigkeit.
Ina Lenke (F.D.P.): Die Große Anfrage zur Reform
des Familienlastenausgleichs beinhaltet erstens Aussagen
zum Zusammenleben von Familien und Alleinerziehen-
den mit Kindern und die Entwicklung der letzten Jahre,
zweitens die Steuerbelastung bzw. -entlastung in Abhän-
gigkeit vom Familienstand und der Steuerprogression bei
der Einkommensteuer und drittens die derzeitige steuerli-
che Belastung von Lebenspartnerschaften – also gleich-
geschlechtlichen Partnerschaften bei der Einkommen-
und Erbschaftsteuer.
Die Vielfalt von Verantwortungsgemeinschaften, die
sich in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlich-
sten Gründen neben der Ehe entwickelt hat, zwingen den
Gesetzgeber, seine Steuergesetze einer Prüfung zu unter-
ziehen. Maßstab ist dabei die Gleichheit der Besteuerung.
Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass zum Bei-
spiel bei der Sozialhilfe im Rahmen der laufenden Hilfe
zum Lebensunterhalt die Gruppe der Menschen, die staat-
liche Hilfe benötigen, gestiegen ist. Die Zahl der Allein-
erziehenden mit Kindern unter 18 Jahren, die im Rahmen
dieser Hilfe einen Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2
BSHG erhalten, hat sich zwischen 1994 und 1999, also in-
nerhalb von 5 Jahren, von 163 000 auf 249 000 Personen
erhöht – also um ein Drittel!
Ich will zwei Punkte herausgreifen:
Erstens. Die Regierung schafft den Haushaltsfreibetrag
für Alleinerziehende ab. 2005 wird er auf 0,00 DM ge-
setzt.
Zweitens. Die Bundesregierung beachtet zu wenig,
dass für Alleinerziehende staatliche Rahmenbedingun-
gen, wie zum Beispiel ein zeitlich breiteres Angebot von
Kinderbetreuungseinrichtungen und eine deutliche steu-
erliche Entlastung für entstehende Kinderbetreuungskos-
ten, äußerst wichtig sind. Sie zitiert lediglich das Bundes-
verfassungsgericht, das sich dafür ausgesprochen hat, den
Betreuungsbedarf eines Kindes bei der Steuerbelastung
stets zu verschonen. Hier drückt sich die Bundesregierung
vor einer klaren Aussage, wie die Entlastung der Familien
konkret aussehen soll.
Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten als Werbungs-
kosten oder Betriebsausgaben bei Berufstätigkeit des
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17711
(C)
(D)
(A)
(B)
erziehenden Elternteils von der Einkommen- und Lohn-
steuer abzugsfähig machen. Nun ist Rot-Grün recht zö-
gerlich der F.D.P.-Forderung gefolgt. Es wurde ein Frei-
betrag von 3 000 DM im Jahr eingeführt. Das ist wirklich
nicht genug! Ein Freibetrag, begrenzt auf 3 000 DM jähr-
lich, bedeutet bei einem Steuersatz von 30 Prozent eine
jährliche Entlastung für die Eltern von real nur 900 DM,
also monatlich 75 DM. Bei Kosten für einen Kitaplatz von
monatlich 500 bis 700 DM also nur eine Entlastung von
75 DM. Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten, wie zum
Beispiel Kitagebühren oder Kosten für eine Tagesmutter,
grundsätzlich steuerfrei stellen denn ohne Kinderbetreu-
ung ist eine Berufstätigkeit nicht möglich!
Die ausführlichen Steuertabellen in der Großen An-
frage zeigen deutlich die gravierenden unterschiedlichen
Steuerbelastungen, unterteilt nach den verschiedenen For-
men des Zusammenlebens. Das hängt natürlich auch am
Ehegattensplitting-Vorteil von Ehepaaren. Ein Vorteil er-
gibt sich jedoch nur, wenn die Ehefrau nicht arbeitet.
Ich kritisiere, dass die PDS immer wieder beim Ein-
kommensteuerrecht eine Neidkampagne führt. Die PDS
verkennt, dass bei hoher Steuerbelastung des Einkom-
mens durch Freibeträge auch eine entsprechende Steuer-
entlastung erfolgen muss. Hierin ähnelt sie den Gewerk-
schaften, deren Funktionäre – von Sachkenntnis unge-
trübt – fälschlicherweise die Abschaffung des Kindergel-
des für Leistungsträger in unserer Gesellschaft fordern.
Noch eine Bemerkung zur Erbschaftsteuer im Ver-
gleich von Verheirateten und Lebenspartnerschaften. Die
F.D.P. fordert bei auf Dauer angelegten gleichgeschlecht-
lichen Lebenspartnerschaften auch angemessene Steuer-
freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Wir haben dazu im
Bundestag unsere Vorschläge vorgelegt.
Ich komme zum Schluss. Die Antworten der Bundes-
regierung auf die Große Anfrage zeigen, dass sie ihre
Hausaufgaben beim Familienlastenausgleich nicht befrie-
digend erledigt hat. Besonders deutlich wird es, wenn wir
sie an ihren Wahlkampfforderungen und Wahlkampfver-
sprechungen messen.
Der Antrag der PDS zu einer realistischen Berechnung
des Existenzminimums kam zu spät, um hier noch darauf
eingehen zu können. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat
aber bereits im Deutschen Bundestag beantragt, dass bei
der Berechnung des Existenzminimums für Kinder – ana-
log zum Existenzminimum für Erwachsene – eine dyna-
mische Anpassung erfolgt.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhe-
bern und ausübenden Künstlern (Tagesord-
nungspunkt 17)
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dass Kreative bisher sehr oft nicht von ihrer Kunst leben
konnten, nahm man einfach hin. Der Autor oder Künstler
ist bis heute bei Vertragsverhandlungen mit den Verwer-
tern seiner Werke in einer extrem schlechten Position.
Denn die Konkurrenz ist groß und die Verwerter sind
mächtig. Für freie Berufe wie den des Anwalts oder Ar-
chitekten gibt es Honorar- und Gebührenordnungen, die
eine bodenlose gegenseitige Unterbietung im Preis ver-
hindern. Für 98,5 Prozent der freien Kulturschaffenden
aber, die nicht zu den Branchenstars zählen, bleibt kein
großer Spielraum für finanzielle Forderungen.
Spektakuläre Beispiele illustrieren diese unzumutbare
Lage. Man denke nur an den Fall der Übersetzerin der
Asterix-Comics, die – wie üblich – eine Pauschale von
1 500 DM pro Band erhalten hat. Später, als sich heraus-
stellte, dass der Verlag mit den übersetzten Exemplaren
Umsätze von rund einer halben Milliarde machte, ver-
suchte sie auf dem bisher üblichen Weg über den Bestsel-
lerparagraphen eine Beteiligung des Gewinns zu erreichen.
Aber die Prozesskosten fraßen die gerichtlich erstrittenen
Beträge auf.
Oder die Übersetzerin der Werke des italienischen
Schriftstellers Alessandro Baricco, dessen Roman „Novi-
cento“ in Deutschland zum Bestseller wurde: Ihre Über-
setzungen wurden bei ihrer Nachforderung schlicht vom
Markt genommen und durch billigere ersetzt. Bisher also
haben sich Urheber bei Forderungen nach angemessener
Vergütung nur selbst schaden können.
Als der Gesetzgeber 1965 das Urheberrecht erließ,
wies er in der Begründung darauf hin, dass die vertragli-
che Stellung der Urheber noch weiterer Regelung bedarf.
Erst der vorliegende Gesetzentwurf kommt dieser Forde-
rung endlich nach. Erstmalig soll den Urhebern und aus-
übenden Künstlern gesetzlich eine angemessene Min-
destvergütung zugesichert werden. Die Reaktionen der
Verwerter auf diesen Kernpunkt des Gesetzentwurfes
zeigt, wie wenig angemessen die Vergütung bisher gewe-
sen sein muss. Denn die großen Verbände warnen vor dem
Ruin durch die erwarteten immensen Nachforderungen.
In der Praxis wird es aber wohl kaum zu einer unüber-
schaubaren Zahl von solchen Forderungen kommen, denn
die angemessenen Beträge werden Mindestbeträge sein.
Die Differenz zur tatsächlichen Entlohnung wird in den
meisten Fällen zu gering für eine neue Aushandlung oder
gar einen Rechtsstreit sein.
Auch die zweite Säule des Urhebervertragsgesetzes
löst bei den Interessengruppen der Verwerter starke Re-
aktionen aus. Was „angemessen“ heißt, sollen sie nämlich
selbst bestimmen, und zwar in direkter Verhandlung mit
den Verbänden der Urheber. Auf diese Weise ist gewähr-
leistet, dass die Betroffenen, die sich in ihren diversen
Branchen am besten auskennen, das Maß der Vergütung
selbst bestimmen. Durch diese zwei Regelungen allein
wird die vertragliche Stellung der freien Urheber und aus-
übenden Künstler erstmals echt gestärkt. In seinen Ent-
scheidungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits
wiederholt darauf hingewiesen, dass die Stellung von Ver-
tragspartnern nicht zu ungleichgewichtig sein darf, denn
die Vertragsfreiheit setzt Freiheit auf beiden Seiten des
Verhandlungstisches voraus.
Die Regelung über die gemeinsamen Vereinbarungen
zur angemessenen Vergütung darüber hinaus – und dies
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117712
(C)
(D)
(A)
(B)
war ein besonderes Anliegen von Bündnis 90/Die Grü-
nen – dafür, dass das Gleichgewicht in den Verhandlun-
gen nicht in der Form umkippt, dass kleine Verwerter
ihren Platz am Markt verlieren. Im Gegenteil heißt es aus-
drücklich, dass bei der Vereinbarung der Vergütungsre-
geln Interessen und Gesamtumstände der beteiligten Par-
teien berücksichtigt werden müssen.
Das Gesetz wird hier auch dem Anspruch gerecht, die
Anliegen aller Urheber und ausübenden Künstler berück-
sichtigen zu können. Denn die unterschiedlichen Gruppen
von Urhebern können individuelle Vereinbarungen mit
ihren Verwertern treffen. Die oft geäußerten Bedenken,
dass mit einem Gesetz unmöglich allen Urhebern – vom
Schriftsteller über den Übersetzer bis hin zum Filmschau-
spieler – gerecht werden könne, sind also ganz unbegrün-
det.
Können oder wollen sich die Parteien gar nicht einigen,
wird die Entscheidung über eine angemessene Vergütung
in einem unabhängigen Schiedsgerichtsverfahren getrof-
fen, das dann die angemessene Vergütung festsetzt. Der
Anreiz, die Vereinbarungen in den Verhandlungen der
beiden Parteien außergerichtlich zu führen, ist somit sehr
hoch. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus auch vor,
dass Autoren bereits nach 30 Jahren, statt der bisher 70,
ihr Verhältnis zum Verleger aufkündigen können, wenn
die Bedingungen stark unangemessen sind. Das ist ein
weiteres Gewicht auf der Waagschale der Urheber.
Grundsätzlich ausgeschlossen wird mit dem Urheber-
vertragsgesetz die bisherige Praxis der Buy-out-Verträge.
Es ist danach nicht mehr möglich, seine Rechte komplett
an einen Verwerter zu überschreiben, ohne an Folgever-
wertungen beteiligt zu werden. Weder der Verzicht auf
sämtliche Rechte an einem Werk noch auf die finanzielle
Beteiligung an Folgenutzungen kann nunmehr im Vertrag
festgeschrieben werden. Dieser Punkt ist besonders im
Hinblick auf die Möglichkeiten des Internets und anderer
Multimediaanwendungen interessant. Bisher wurden so
zum Beispiel freie Journalisten selten extra vergütet,
wenn ihre Beiträge zusätzlich zur Nutzung in den kon-
ventionellen Medien auch noch ins Netz gestellt oder in
Form einer CD-ROM auf den Markt gebracht wurden.
Der Gesetzentwurf hat schon eine eigene Geschichte
der Entwicklung und Veränderungen hinter sich. Der Pro-
zess der Verbesserung ist sicherlich noch nicht abge-
schlossen, denn manche Einwände gegen ihn müssen
noch überprüft werden. Wir unterstützen das Urheberver-
tragsrecht aber schon in dieser vorliegenden Fassung,
denn es schafft es, eine schon historische Ungerechtigkeit
mit wenigen, aber sehr klugen Regelungen auszuräumen.
Mit dem Urhebervertragsgesetz kann die Bundesrepublik
zu einem Kreativstandort werden.
Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Der vorgelegte Gesetzentwurf „zur Stärkung der
vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden
Künstlern“ soll die Lage vor allem der selbstständigen
Kreativen verbessern. Wir sind davon überzeugt, dass das
Schaffen der Schriftsteller, Journalisten und Übersetzer,
der Komponisten und Musiker, der Schauspieler, Regis-
seure und Kameraleute, der bildenden Künstler und Foto-
grafen und aller anderen Kreativen für die Kultur unseres
Landes, aber auch für die Kulturwirtschaft unverzichtbar
ist. Sie ist längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor
geworden.
Es ist klar: Den Urhebern und ausübenden Künstlern
steht selbstverständlich ein angemessener Anteil an der
Verwertung ihrer Werke zu. Dieser Grundsatz findet sich
längst in zahlreichen Gerichtsurteilen. Auch die neue EU-
Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“,
die jetzt veröffentlicht wurde und die wir zügig in deutsches
Recht umsetzen müssen, geht ausdrücklich davon aus.
Gesetzlich verankert allerdings ist dieser selbstver-
ständliche Anspruch bisher nicht. Deshalb räumt der vor-
liegende Gesetzentwurf den Kreativen jetzt diesen ge-
setzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung
ausdrücklich ein. Gemeinsam – durch die Branche zu ver-
einbarende Vergütungsregeln sollen selbst festlegen, was
redlicherweise branchenüblich, also angemessen ist;
diese Festlegung gilt dann als gesetzliche Vermutung.
Mit dieser Festlegung verwirklichen wir den Auftrag
unseres Grundgesetzes, Kunst und Kultur und auch das
geistige Eigentum angemessen zu schützen.
Schon seit Jahrzehnten ist gerade den freiberuflichen
Urhebern in unserem Land diese Verbesserung ihrer
rechtlichen Stellung versprochen worden. Allerdings ist
die Reform des Urhebervertragsrechts von den früheren
Regierungen nie angepackt worden. Unter anderem we-
gen dieser Versäumnisse finden wir im Bereich der gerade
in den letzten Jahren sehr viel größer und mächtiger ge-
wordenen Kultur- und Medienwirtschaft ein außerordent-
lich unterschiedliches Bild.
Zum einen gibt es Verlage oder auch andere Medien-
unternehmen, die längst verstanden haben, dass sie mit
den kreativ Schaffenden in Kultur und Medien kooperie-
ren müssen, wenn sie weiter erfolgreich sein wollen. In
diesen Bereichen werden angemessene Vertragsbedin-
gungen auch für die freien Urheber meist auf der Grund-
lage von Normvereinbarungen längst verwirklicht. Auch
die Verwertung der Werke in zusätzlichen Bereichen wie
Internet, CD oder sonstigen Möglichkeiten wird vergütet.
Solche Bereiche sind vorbildlich und damit auch Vor-
bild für den Gesetzgeber. Daneben aber stehen Bereiche,
in denen die strukturelle Ungleichgewichtigkeit zwischen
dem einzelnen freien Kreativen und dem Verwerter
– durch die zunehmende Konzentration in der letzten Zeit
sind das meist immer größere Unternehmen mit immer
größerer Wirtschaftsmacht – zu regelrechten Ausnut-
zungsverhältnissen führt. Gerade für diese Bereiche
drängt die Reform.
Einige Beispiele: Fotograf X ist ein anerkannter, re-
nommierter Theaterfotograf und liefert regelmäßig Bilder
als freier Mitarbeiter für eine große Tageszeitung, für ein
bescheidenes Honorar von 100,- DM pro Bild. Der Verlag
verwertet die Fotos seit einiger Zeit auch über das Inter-
net. Als unser freier Fotograf über eine angemessene
Vergütung für diese neue Nutzungsart sprechen will, setzt
ihn der Verlag sofort auf die „schwarze Liste“: Es gibt
keine Aufträge mehr, Fotograf X kann seinen Beruf als
Theaterfotograf nicht mehr ausüben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17713
(C)
(D)
(A)
(B)
Ein zweites Beispiel wirft ein Schlaglicht auf die Zu-
stände im Bereich der Bedingungen für freiberufliche
Übersetzerinnen und Übersetzer. Selbst literarische Über-
setzer und ausgewiesene Könner ihres Fachs können als
Einzelne angemessene Honorare nicht durchsetzen. Ihre
Arbeit wird letztlich gerade mit ein paar Pfennigen ver-
gütet, wenn es für eine Buchseite nur fünfundzwanzig bis
vierzig Mark gibt.
Drittes Beispiel: Die Zeilenhonorare gerade der freien
Journalisten stagnieren seit Jahren oder sind sogar rück-
läufig. Gleichzeitig werden Texte mehrfach verwertet,
insbesondere über die neuen Medien und das Internet. Kos-
tenpflichtige Datenbanken der Wirtschaftsverlage zum
Beispiel nehmen erkleckliche Beträge ein, ohne die Ur-
heber hieran zu beteiligen.
Das liest sich dann etwa in Nutzungsverträgen mit
freien Journalisten wie folgt:
Der Verlag hat das einfache, zeitlich, räumlich und
inhaltlich unbeschränkte Recht, die Beiträge im In-
und Ausland in körperlicher und unkörperlicher
Form digital und analog zu nutzen, und zwar insbe-
sondere in Printmedien, Tele- und Mediendiensten,
Internet, Film, Rundfunk, Video, in und aus Daten-
banken, Telekommunikations-, Mobilfunk-, Breit-
band- und Datennetzen sowie auf und von Datenträ-
gern, ungeachtet der Übertragungs-, Träger- und
Speichertechniken.
Mit anderen Worten: in solchen „Buyout-Verträgen“
überträgt der Kreative für eine einmalige, meist geringe
Pauschale sämtliche denkbaren Rechte.
Lassen Sie mich wiederholen: Natürlich gibt es auch
heute schon viele Branchen der Kulturwirtschaft, wo Ur-
heber und Kreative zu angemessenen Verträgen kommen.
Das gilt besonders für viele angestellte Journalisten
und andere Kreative, die tarifvertraglich abgesichert sind.
Hier verhandeln die Gewerkschaften einerseits und vor
allem Verlage und Sender andererseits auf gleicher Au-
genhöhe.
Diesen Bereich tasten wir nicht an. Und jene Bereiche,
in denen Verträge zwischen Verwertern und freien Urhe-
bern auf der Grundlage von gemeinsamen Normverein-
barungen geschlossen werden, die sehen wir als Vorbild
an.
Wie nötig die gesetzlichen Regelungen für die selbst-
ständigen Urheber sind, zeigt ein Blick auf die Wirklich-
keit in unserem Land: Heute arbeiten circa 250 000 Krea-
tive selbstständig. Und bis auf die vorbildlichen Bereiche
und einige Spitzenstars sind sie von der existierenden
strukturellen Übermacht der Verwerter betroffen.
Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert. Deshalb setzen
sich auch großartige Künstler und Dichter, Autoren oder
Kamera-Spitzenleute wie Günter Grass, Martin Walser,
Bernhard Schlinck, Felix Huby oder Fred Breinersdorfer
und Jost Vacano oder auch viele andere, die selbst solche
Regelungen nicht nötig haben, für ihre weniger bekann-
ten Kolleginnen und Kollegen und für diese Regelung
ein.
Und, meine Damen und Herren: Mit unserem Gesetz-
entwurf sagen wir Ja zur Vertragsfreiheit, die im Zivil-
recht einen hohen Stellenwert hat. Vertragsfreiheit ist
wichtig, aber nur dann wirklich vorhanden, wenn ver-
gleichbar Starke miteinander verhandeln. Sie führt nur
dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn die Parteien
auf gleicher Augenhöhe verhandeln können. Dafür sorgen
wir mit der Reform des Urhebervertragsrechts. Sie ruht
auf zwei Eckpfeilern:
Wir schaffen einerseits einen unverzichtbaren gesetzli-
chen Anspruch auf angemessene Vergütung für die Ur-
heber, das steht in dem neuen § 32. Der gesetzliche An-
spruch ist unverzichtbar, weil ansonsten die Gefahr
bestünde, dass er über das Kleingedruckte im diktierten
Vertrag gleich wieder entwertet werden würde. Er ist ge-
setzlich, weil er ergänzend zur Anwendung kommt, wenn
die vertragliche Honorarvereinbarung nicht angemessen
ausgestaltet ist.
Der Anspruch auf angemessene Vergütung ist bei vie-
len anderen Freiberuflern selbstverständlich. Teilweise ist
er sogar gesetzlich geregelt, wie etwa bei Rechtsanwälten,
Ärzten oder Architekten. Wir meinen, dass im Bereich der
Kulturwirtschaft ein staatliches Tarifsystem nicht passt;
dafür ist die kulturelle Produktion zu vielfältig. Deshalb
überlassen wir es den Verbänden der Urheber einerseits
und der Verwerter andererseits, sich in gemeinsamen Ver-
gütungsregeln auf das zu einigen, was redlicherweise
branchenüblich, also angemessen sein soll.
Übrigens wollen wir gerade die kleinen und mittleren
Unternehmen in der Kultur- und Medienwirtschaft beson-
ders schützen und auf ihre Interessen Bedacht nehmen.
Deshalb haben wir den neuen § 36, der an die Stelle des
wirkungslosgebliebenen„Bestsellerparagraphen“trittund
die zweite Säule der Reform bildet, bewusst mit Rück-
sicht auf die kleinen und mittleren Unternehmen gefasst.
Nochmals: Mit den gemeinsamen Vergütungsregeln
machen wir uns die Erfahrungen zunutze, die in der Kul-
turwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt
worden sind. So kennen wir schon heute die Tarifverträge
für Arbeitnehmerurheber und arbeitnehmerähnliche freie
Mitarbeiter. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Norm-
verträgen, die zum Beispiel der Börsenverein des Deut-
schen Buchhandels und die IG Medien ausgehandelt ha-
ben. Wir geben den beteiligten Kreisen mit den
Vergütungsregeln einen Handlungsrahmen, in dem sie zu
für beide Seiten akzeptablen Ergebnissen kommen.
Die Vergütungsregeln werden zweierlei bewirken:
Zum einen prägen sie künftig die Vergütungspraxis der je-
weiligen Branche und werden so mittelfristig dafür sor-
gen, dass die schwarzen Schafe auf Verwerterseite keine
Chance mehr haben. Wenn im Einzelfall dennoch ein un-
angemessen niedriges Honorar gezahlt wird, kann sich
der Kreative auf die einschlägige Vergütungsregel beru-
fen. Wir geben dieser Regel ebenso wie tarifvertraglichen
Entgeltvereinbarungen die Wirkung einer gesetzlichen
Vermutung. Im Streitfall wird der Richter hiervon nur in
Ausnahmefällen abweichen.
Damit das Gesetz nicht zum Papiertiger wird, haben
wir das Verfahren zur Aufstellung der Vergütungsregeln
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117714
(C)
(D)
(A)
(B)
genau geregelt. Kommt es nicht zur Einigung, so gibt es
ein Schiedsverfahren, notfalls entscheidet das Gericht.
Wir trauen den Verbänden der Urheber einerseits und der
Verwerter andererseits aber zu, sehr zielgenau gemein-
same Vergütungsregeln für die unterschiedlichsten kreati-
ven Leistungen und ihre jeweilige Verwertung aufzustel-
len. Das Schiedsverfahren wird also in der Regel nicht
benötigt werden.
Neben diesen zentralen Reformansätzen sieht der Ge-
setzentwurf einige punktuelle Modernisierungen vor: So
werden die allgemeinen Vorschriften über die Nutzungs-
rechte neu geordnet und das Filmrecht behutsam ange-
passt. Ausübende Künstler und Arbeitnehmerurheber
werden weitgehend dem allgemeinen Schutz des Urhe-
berrechts unterstellt. In Ausnahmefällen gibt es nach
30 Jahren ein Kündigungsrecht für die Kreativen.
Der Gesetzentwurf übernimmt Anregungen des so ge-
nannten „Professorenentwurfs“, den eine Gruppe von un-
abhängigen Urheberrechtsexperten aus Max-Planck-In-
stituten, Wissenschaft und Praxis im Mai 2000 vorgelegt
hat.
Dieser verdienstvolle Entwurf ist im Laufe des letzten
Jahres intensiv mit Verbänden und in der Öffentlichkeit
diskutiert worden: Insbesondere die Bundesministerin der
Justiz hat eine Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der
Medienwirtschaft und Verbänden der Kreativen geführt.
Die Ergebnisse dieser Gespräche und die Stellungnahmen
der Verbände und der Wissenschaft sind bei der Überar-
beitung des Entwurfs berücksichtigt worden. Die Bun-
desregierung hat den inhaltsgleichen Gesetzentwurf am
30. Mai 2001 beschlossen; gegenwärtig ist der Bundesrat
mit den Beratungen des Regierungsentwurfs befasst.
Es war zu erwarten, dass die gesetzliche Verankerung
des Anspruchs auf angemessene Vergütung gerade die In-
teressengruppen auf den Plan ruft. Wer akzeptiert schon
gern, jedenfalls wenn er rechtlich und ökonomisch über-
legen ist, dass die bisher Schwächeren und Unterlegenen
in ihrer Rechtsstellung gestärkt werden.
Ich meine jedoch, dass gerade die Kultur- und Me-
dienunternehmen sich mit ihren Kreativen kooperierend
selbst auf die Festlegung der angemessenen Vergütung
einlassen sollten. Den Nutzen werden alle haben, die
Kreativen, die Kultur- und Medienlandschaft in unserem
Land und gerade die kleinen und mittleren Unternehmen,
die anständige und angemessene Vertragsbedingungen
vorweisen können: Sie werden künftig nicht mehr von je-
ner Konkurrenz bedrängt, die heute die strukturelle
Schwäche der einzelnen freiberuflichen Kreativen aus-
nutzt, um die Preise zu drücken. Gerade für diese Unter-
nehmen wird die größere Rechtssicherheit auch positiv zu
Buche schlagen.
Hinzu kommt: Ein überzeugendes Alternativkonzept
zum jetzt vorgelegten Gesetzentwurf gibt es nicht: Mit
einer nur punktuellen Korrektur des Urhebervertrags-
rechts – etwa über die Kontrolle von Vertragsklauseln –
können wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen den
Anspruch auf angemessene Vergütung, um das kreative
Potenzial unseres Landes zur Blüte zu bringen. Davon
wird die Kulturwirtschaft insgesamt profitieren, also auch
die Verlage, Sender, Produktionsfirmen und die anderen
Medienunternehmen. Um es noch einmal zu betonen: Un-
ternehmen, die schon heute angemessen bezahlen, werden
von der Reform nicht berührt.
Meine Damen und Herren, es besteht kein Anlass, an-
gesichts Globalisierung, Digitalisierung und Internet das
Totenlied für das geistige Eigentum anzustimmen. Un-
verändert bleibt es die Aufgabe des Urheberrechts, den
Urheber an den Früchten teilhaben zu lassen, die andere
aus der Verwertung seiner Werke ziehen. Cyberspace be-
deutet nicht den Tod des Urheberrechts, sondern im Ge-
genteil die Chance, kreative Inhalte verstärkt zu nutzen.
Hierzu gehört zweierlei: Das Urheberrecht muss fit ge-
macht werden für das digitale Zeitalter. Das leistet die
EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesell-
schaft“, die im April 2001 beschlossen worden ist und die
wir bis Ende Dezember 2002 in das deutsche Recht um-
zusetzen haben. Das Bundesministerium der Justiz ist der-
zeit mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs befasst.
Und in diesem Zusammenhang wird es auch darum gehen
müssen, die urheberrechtlichen Interessen der Medien-
wirtschaft im Auge zu behalten.
Aber es geht auch um den Schutz der Kreativen im di-
gitalen Informationszeitalter. Den stärken wir durch den
vorliegenden Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren, die Aufgabe des Urheber-
rechts ist es, die Interessen aller Beteiligten zu einem ver-
nünftigen Ausgleich zu bringen: Das Publikum verlangt
immer mehr nach hochwertigen, interessanten Inhalten.
Die Verwerter werden auf Dauer nur mit qualitativ guten
Werken Geld verdienen. Respekt und Schutz verdienen
aber vor allem die Kreativen, die diese Leistungen erst
hervorbringen und denen deshalb ein angemessener An-
teil an den Früchten gebührt, die andere aus ihren Schöp-
fungen ziehen.
Der „Arme Poet“ von Spitzweg – Sie alle kennen das
Bild – ist, nein, kann und darf keine korrekte Beschrei-
bung der Lebensumstände der Kreativen im 21. Jahrhun-
dert sein. Die überfällige Reform des Urhebervertrags-
rechts ist deshalb ein wichtiger Schritt, um die Bedeutung
des geistigen Eigentums auch im 21. Jahrhundert zu si-
chern.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Antrags: Sonderprogramm zur
breitenwirksamenNutzungangepasster, erneuer-
barer Energien in den Entwicklungsländern (Ta-
gesordnungspunkt 18)
Brigitte Adler (SPD): Der Strom kommt doch aus der
Steckdose. Nur wie kommt er dahin und wo kommt er
her? Ohne Elektrizität können wir uns unser Leben nicht
mehr vorstellen. Die Frage aber, um die es uns und welt-
weit dabei geht, heißt: Welche Primärenergie setzen wir
dafür ein? Holz, Kohle, Öl, Gas, Wasser, angereichertes
Uran, Biomasse waren zu Beginn der Industrialisierung
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17715
(C)
(D)
(A)
(B)
bis heute die vorherrschenden Energiearten. Windkraft
– Windmühlen sind sicher auch von früher bekannt, aber
sehr begrenzt einsetzbar – und die Sonne für Solarenergie
kommen als technische Neuerungen unter anderem hinzu.
Speicherkapazität in Form von Batterien wurde erfunden.
Für die Langzeitspeicherung ist dies aber noch nicht aus-
gereift. Methangas und anderes mehr sind auf dem Markt,
aber oft noch anfällig, das heißt nicht stabil und dauerhaft
einsatzfähig.
Heftiger Streit bei uns um die beste Energieart zeigt,
dass man sich für verschiedene Primärenergiearten wegen
wirtschaftlicher Interessen stark macht. Dabei sollte be-
dacht werden, dass der Energiemix die sicherste Form ist.
Elektrizität ist heute aus unserem Leben nicht mehr weg-
zudenken. Licht, Radio, Fernseher, Telefon, Internet, in-
dustrielle Entwicklung überhaupt sind ohne Strom nicht
vorstellbar.
Wie aber sieht es mit erneuerbaren Energieträgern aus.
Sind sie nur für einen Bruchteil des benötigten Stromes
verfügbar? Bei uns und weltweit? Noch führen einige da-
von ein Schattendasein. Aber immer lauter wird der Ruf
nach ihnen. Vernünftige Gründe jedoch sprechen dafür:
Verfügbarkeit, effizienter Einsatz durch Forschung ist
heute möglich, wirtschaftliche Bedeutung für die Land-
wirtschaft, einfache Handhabung und vor allem Umwelt-
und Klimaschutz. Wer die Rio-Konferenz von 1992 und
ihre Folgekonferenzen ernst nimmt, wird sich dafür ein-
setzen, dass erneuerbare Energien gegenüber Energieträ-
gern, die „verbraucht“ werden, wie Kohle, Öl, Uran – mit
seiner Entsorgungsproblematik – eingesetzt werden soll-
ten. Probleme der Abhängigkeit von wenigen Energieträ-
gern könnten so gemindert werden.
Was für uns gilt, gilt erst recht für die Länder des Sü-
dens. Die Kostenexplosion bei der Beschaffung von
Rohöl als Primärenergie ist ein Beispiel dafür. Bis 2010
werde der weltweite Energieverbrauch um 50 Prozent
steigen, so eine Prognose der Internationalen Energie-
Agentur. Damit verbunden wären Emissionssteigerungen,
die ebenso hoch wären und somit zum Problem für unser
Klima würden. War doch in Kyoto die Reduzierung ein-
gefordert worden. Für Deutschland bedeutet dies, dass
25 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2005 auf der Basis von1990 gerechnet abgesenkt werden muss.
Wie aber können die Schwellenländer des Südens und
die armen und ärmsten Länder mit dieser Problematik fer-
tig werden?
Unser Antrag „Sonderprogramm zur breitenwirksa-
men Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den
Entwicklungsländern“ will hier hilfreiche Vorschläge ma-
chen. Dies war ein besonderes Anliegen unseres verstor-
benen Kollegen Werner Schuster.
In den kommenden Jahren wird das BMZE circa
200 Millionen DM zur Förderung von erneuerbaren
Energien bereitstellen. Dies begrüßen wir ausdrücklich
und unterstützen mit diesem Antrag dieses Anliegen.
So verweisen wir auf die länderspezifischen Poten-
ziale, die eine effizientere Nutzung vor Ort ermöglichen.
Teure Rohstoffimporte könnten damit reduziert werden.
Eine eigenständige und dezentrale Energieversorgungs-
struktur in den Entwicklungsländern wäre dadurch mög-
lich. Dabei könnten „Insellösungen“ für die ländlichen
Räume endlich Entwicklungschancen bringen. Städtische
Gebiete haben oft die vorhandenen Ressourcen für sich
aufgebraucht.
Konferenzen, Forschungsergebnisse, Evaluierungen
sind nun genug vorhanden. Jetzt muss der Schritt zur Um-
setzung getan werden. Handeln ist angesagt. Werben für
Konzepte für Biomasse, Windkraft, Solar- und Photovol-
taik, Geothermie und Umgebungswärme ist nun nötig.
Weltbank, Entwicklungsbanken, bilaterale Finanzhil-
fen könnten gezielt Programme auflegen, damit in den
Entwicklungsländern mit den Betroffenen für sie zu leis-
tende Schritte getan werden können. Strom muss aber
auch bezahlbar sein für die Abnehmer.
Dass aus Deutschland Hilfe im Auf- und Ausbau ge-
leistet werden kann, ist klar. Die mittelständische Indus-
trie ist für alternative Konzepte sehr gut gerüstet. Know-
how steht hier zur Verfügung, das auch für den Süden in-
teressant wäre.
Energie ist für die wirtschaftliche Entwicklung unver-
zichtbar. Aber die Fehler der Industrieländer sollten ver-
mieden werden, auf zum Beispiel Primärenergiearten wie
Kernkraft zu setzen, die in die Sackgasse führen. Ange-
passte Technologien, die „altes“ Wissen der Menschen
vor Ort nutzt, wird auf Akzeptanz stoßen und Fortschritt
ermöglichen. Der Handwerker, der im ländlichen Raum
jetzt eine Maschine einsetzen kann, wird einen wirt-
schaftlich höheren Wert seines Produktes und seiner
Dienstleistung erreichen. Die Landwirtschaft wird profi-
tieren, da sie durch Anbau und Abfallentsorgung mit da-
bei sein wird.
Sonnenenergie ist die Zauberformel für den Süden.
Unerschöpfliche Energie wäre somit vorhanden. Noch ist
sie aber leider zu teuer und ihr Auslastungsgrad noch nicht
voll ausgeschöpft. Wenn wir aber für uns und die Ent-
wicklungsländer auch 7 Milliarden US-Dollar wie für den
Schnellen Brüter und den Hochtemperaturreaktor ausge-
ben könnten, so könnte die Forschung und Entwicklung
viel erreichen. Internationale Prognosen gehen davon aus,
dass bereits auf mittlere Sicht – 2010/2015 – eine kosten-
günstige Alternative zu herkömmlichen fossilen Brenn-
stoffen die Solarzellen sind.
Das Sonderprogramm für erneuerbare Energien in den
Entwicklungsländern kann mithelfen, einen wichtigen
Schritt für vernünftiges Handeln in der Energieversor-
gung zu tun. Zwei Effekte könnte dies haben: zum einen,
dass mehr geforscht und auf die Umsetzung der Ergeb-
nisse gesetzt wird und, zum anderen, dass die Länder des
Südens teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung durch
Strom aus der Steckdose.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wir diskutieren
heute über ein wichtiges, aber keineswegs neues Thema
in der Entwicklungs- und Energiepolitik. Schon die uni-
onsgeführte Bundesregierung hat wichtige Initiativen zur
Förderung der Nutzung angepasster und erneuerbarer
Energien in den Entwicklungsländern gegeben. Wir be-
wegen uns hier ja an der Nahtstelle zwischen verschiede-
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nen Interessen und den Ländergruppen, die diese Interes-
sen artikulieren. Verständlicherweise legen die Entwick-
lungsländer besonderen Wert auf die entwicklungspoliti-
schen Ziele, während viele Industrieländer auch einen
wichtigen Akzent bei den umweltpolitischen Interessen
setzen. Gerade auch was die Umweltpolitik angeht, ist für
uns als CDU/CSU-Fraktion entscheidend, dass wir einen
globalen Ansatz zur Lösung globaler Umweltprobleme
wählen.
Insofern können wir den Antrag der Koalitionsfraktio-
nen im Grundsatz unterstützen, weil er auch von einem
solchen globalen Ansatz ausgeht. Wichtig ist allerdings;
dass man aus diesem Ansatz auch die richtigen Konse-
quenzen zieht. In der nationalen Politik vermissen wir
diese Konsequenzen häufig, denn rot-grüne Umweltpoli-
tik zeichnet sich doch in der Regel durch den Versuch na-
tionaler Alleingänge aus, während auf internationaler
Ebene das Motto vertreten wird: „Am deutschen Wesen
soll die Welt genesen“. Ein Anspruch, den natürlich an-
dere Länder nicht akzeptieren.
Ein globaler Ansatz bezogen auf die Energiepolitik be-
deutet deshalb beispielsweise, den Einsatz CO2-reduzie-render Technologien bei der Nutzung fossiler Energieträ-
ger weltweit zu fördern und regionale Schwerpunkte beim
Einsatz fossiler Energieträger dort zu setzen, wo bereits
wie bei uns in Deutschland die effizientesten Technolo-
gien verfügbar sind. Ebenso bedeutet ein solcher Ansatz
in der Tat, die Nutzung erneuerbarer Energieträger dort
besonders zu fördern, wo im globalen Maßstab die größ-
ten Potenziale für ihre Nutzung sind. Ein 100 000-Dächer-
Programm mit hohem Subventionsvolumen in Deutsch-
land erscheint gerade vor diesem globalen Hintergrund
äußerst fragwürdig. Wichtig ist vielmehr, dass wir die
Nutzung insbesondere von Sonnen-, Wind- und Wasser-
energie in den Entwicklungsländern fördern und auch fi-
nanziell unterstützen, wo die entsprechenden natürlichen
Voraussetzungen gegeben sind.
CDU und CSU bekennen sich uneingeschränkt zu den
Zielen von Rio und Kyoto. Das wird niemanden überra-
schen, denn schließlich haben diese Konferenzen nicht
nur während unserer Regierungszeit stattgefunden, son-
dern sie sind in ihren Inhalten und Beschlüssen auch maß-
geblich durch die unionsgeführte Bundesregierung ge-
prägt worden. Wir stehen auch zu den darüber hinaus
gehenden ehrgeizigen nationalen Zielen, die wir uns ge-
meinsam in der Klimapolitik gesetzt haben. Wir bedauern
es in diesem Zusammenhang, dass das 25-Prozent Re-
duktionsziel im Bereich von CO2 aller Voraussicht nachbis zum Jahr 2005 nicht erreicht werden wird, weil der
rot-grünen Bundesregierung auf diesem Feld leider nichts
mehr einfällt, nachdem die unionsgeführte Vorgängerre-
gierung durch eine Vielzahl nicht ideologisch geprägter,
sondern problemorientierter Maßnahmen bereits beacht-
liche Erfolge bei der C02-Reduktion erzielt hatte.
Bekanntermaßen dürfen Sie ja beispielsweise nicht auf
eine Reduzierung des Mineralölverbrauchs hoffen, weil
Sie die Einnahmen aus der so genannten Ökosteuer bei
der Rentenfinanzierung bereits voll eingeplant haben.
Auch für den mittel- und langfristigen Zeitraum ist nicht
erkennbar, wie Sie vor dem Hintergrund Ihres Ausstiegs-
beschlusses aus der C02-freien Kernenergie nationale undinternationale Klimaschutzziele tatsächlich erreichen
wollen. Wer sich wie die rot-grüne Bundesregierung auf
diesem Gebiet in einer Vorreiterrolle sieht und diese Vor-
reiterrolle auch auf internationalen Konferenzen gern be-
tont, der darf sich nicht selbst aus ideologischen Gründen
ständig Knüppel zwischen die Beine werfen.
Auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten
sind alle Maßnahmen, die die Nutzung erneuerbarer
Energien in den Entwicklungsländern fördern, grundsätz-
lich zu begrüßen. Es gibt unbestreitbar eine besondere
Verantwortung der Industrieländer, die Entwicklungslän-
der bei einer den internationalen Vereinbarungen entspre-
chenden Bewältigung ihres sich in den nächsten 30 Jah-
ren voraussichtlich verdoppelnden Energiebedarfs zu
unterstützen. Vor diesem Hintergrund waren schon die
Angebote der früheren unionsgeführten Bundesregierung
zu sehen, die im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit
der Nutzung der Wasserkraft, aber auch der Windkraft ei-
nen hohen Stellenwert eingeräumt haben. Wenn die rot-
grüne Bundesregierung an diesem Konzept anknüpft, hat
sie dabei unsere grundsätzliche Unterstützung. lm Rah-
men einer vernünftigen weltwirtschaftlichen Arbeitstei-
lung, die die Importabhängigkeit vieler Entwicklungslän-
der von fossilen Energieträgern, insbesondere vom Erdöl,
reduziert und ihr wirtschaftliches Entwicklungspotenzial
ausschöpft, sind solche Maßnahmen notwendig.
Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung haben wir
aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen
von fast drei Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik auch
allen Grund zum Misstrauen gegenüber Initiativen, wie
sie von Rot-Grün jetzt erneut in diesem Antrag angekün-
digt werden. Leider sind verbale entwicklungspolitische
Initiativen in der Vergangenheit regelmäßig einhergegan-
gen mit Mittelkürzungen im Bereich der Entwicklungs-
politik. So hat sich der BMZ-Haushalt seit dem Amtsan-
tritt von Rot-Grün schon im Allgemeinen kontinuierlich
nach unten entwickelt, und auch im Bereich der Energie-
erzeugung und -versorgung im Besonderen sind die Mit-
tel der finanziellen und technischen Zusammenarbeit von
316,5 Millionen DM im Jahr 1999 auf 188 Millionen DM
im Jahr 2001 drastisch gesunken. Rot-Grün entfernt sich
damit immer weiter von den eigenen Ansprüchen und hat
auch die energiepolitische Entwicklungszusammenarbeit
vom Volumen her an den Rand der Bedeutungslosigkeit
geführt. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu verba-
len Bekenntnissen zu globaler Verantwortung.
Wir werden als CDU/CSU nicht die Hand für Versuche
reichen, mit thematischem Aktionismus in Form einer
Vielzahl von neuen Aktionsprogrammen und Anträgen
die durch drastische Finanzkürzungen hervorgerufene
Krise der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu
verschleiern. Rücktrittsdrohungen der verantwortlichen
Ministerin allein, die mancher im rot-grünen Lager viel-
leicht eher als Versprechen denn als Drohung empfindet,
helfen nicht weiter.
Die rot-grünen Entwicklungspolitiker müssen endlich
innerhalb der eigenen Reihen dafür sorgen, dass die Ent-
wicklungspolitik aus der Bedeutungslosigkeit wieder
herausgeführt wird. Wenn dies gelingt, kann auch die
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gemeinsame Suche nach Wegen für eine sinnvolle Ver-
knüpfung von Entwicklungs- und Energiepolitik gelin-
gen. Dazu werden wir unseren Beitrag leisten.
Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer
Energien in Entwicklungsländern und vor allem in den
Schwellenländern ist die große umweltpolitische Heraus-
forderung der nächsten Jahre. Die Wirkung einer nach-
haltigen Energiepolitik für Milliarden Menschen des Sü-
dens reicht über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus und
stellt einen unerlässlichen Beitrag zum Klimaschutz dar.
Der prognostizierte Energiebedarf für China, Indien oder
Brasilien kann das Klimaproblem in extremer Weise ver-
schärfen. Deshalb gilt es, den Trampelpfad der Nutzung
regenerativer Energien schnellstens zu verlassen und ins
Solarzeitalter einzutreten. Gerade in den Entwicklungs-
ländern bieten sich dafür günstige natürliche Bedingun-
gen. Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer Energien
bietet zurzeit die einzige Alternative zu den klimaschädli-
chen fossilen Brennstoffen und zur hochriskanten Atom-
energie.
Deutschland kann bei der Verbreitung erneuerbarer
Energien eine wirklich herausragende Rolle spielen. Wir
können dies, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht ha-
ben: Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz verab-
schiedet, wir haben uns auf die verstärkte Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung verständigt und wir haben den
Atomausstieg beschlossen. Wir haben in Deutschland zu-
kunftsfähige Technologien und wir haben innovative und
konkurrenzfähige Unternehmen vor allem im Bereich der
Klein- und Mittelindustrie. Gleichzeitig haben wir vor-
exerziert, welche institutionellen und rechtlichen Rah-
menbedingungen tragfähig sind. Wir haben uns einen Ruf
als Standort für regenerative Energien erworben, der eine
enorme Außenwirkung hat und eine gute Grundlage bie-
tet, um im Ausland tätig zu werden.
Wie können wir dazu beitragen, dass erneuerbare Ener-
gien breiter in den Entwicklungsländern eingesetzt wer-
den? Die technische und technologische Seite ist für den
Erfolg neuer Energieoptionen sicher nur eine, aus meiner
Sicht gar nicht die entscheidende Seite. Wir brauchen in
den Entwicklungsländern vor allem die Stärkung der ins-
titutionellen Strukturen, in denen alternative Energiesys-
teme zum Einsatz kommen. Wir brauchen entsprechend
ausgebildete Techniker und wir brauchen tragfähige
rechtliche, administrative und politische Rahmenbedin-
gungen vor Ort.
Genau hier kommt die Entwicklungszusammenarbeit
ins Spiel. Die EZ verfügt über ausgefeilte Instrumente, die
einen effizienten Politikdialog, die Beratung und Ausbil-
dung, aber auch die Finanzierung von Demonstrations-
projekten erlauben. Über Public Private Partnership kann
der Wirkungskreis der traditionellen Instrumente gerade
in Schwellenländern noch ausgeweitet werden.
Das BMZ wird in diesem Jahr circa 200 Millionen DM
für erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Im nächs-
ten Jahr wird es nach dem jetzigen Stand der Planung
noch mehr Geld dafür geben. Es werden Erdwärmekraft-
werke, kleine Wasserkraftwerke, Windparks und Solarko-
cher gefördert. Vor allem die ländliche Elektrifizierung
stellt im Rahmen der Armutsbekämpfung eine große He-
rausforderung dar. Mit ihr kann der Raubbau an Feuer-
holz, die Verwüstung und die Abwanderung in die Städte
bekämpft werden. Für die ländliche Entwicklung sind vor
allem dezentrale, nicht netzgebundene Anlagen von Be-
deutung. Sie kommen in Schulen, Krankenstationen und
in den Privathaushalten zum Einsatz. Die Verfügbarkeit
von Solarstrom leistet einen enormen Beitrag zur Stär-
kung der ländlichen Wirtschaftsräume und zur Entwick-
lung lokaler und kommunaler Strukturen. Dezentralisie-
rung zu unterstützen heißt, die Kompetenzen der
Kommunen zu stärken und die Partizipation der Bevölke-
rung – etwa in energiepolitischen Gruppen oder energie-
politischen Beiräten – zu fördern. Gerade dieser breite
energiepolitische Ansatz spielt bei der Ausweitung der
nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien eine zen-
trale Rolle und sollte deshalb im Zentrum der EZ stehen.
Eine breitenwirksame Förderung regenerativer Energien
benötigt entschiedenes Handeln; dafür ist mehr Geld aber
auch eine bedachte Vorgehensweise notwendig. Die EZ
kann hier sowohl im Bereich der technischen als auch im
Bereich der finanziellen Zusammenarbeit Großes leisten. In
enger Abstimmung mit der Außenwirtschaftsförderung in
Form von Investitionsgarantien und Hermesbürgschaften
können parallel dazu deutsche Unternehmen in neuen
Märkten unterstützt werden.
Investition in erneuerbare Energien ist eine Investition
in die Zukunft – selten hat eine doch recht abgegriffene
Formulierung so viel Gehalt. Die Verbreitung dieser Tech-
nologien ist für Fortschritte im Klimaschutz und für die
Entwicklung von höchstem Range.
Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Von etwa
3,5 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern können
nur etwa 1 Milliarde ihren Grundbedarf an Energie durch
zentrale Energieversorgungssysteme decken. Die Mehr-
heit der Menschen in Entwicklungsländern ist auf tradi-
tionelle Energiequellen angewiesen, insbesondere auf
Brennholz sowie auf tierische und pflanzliche Abfälle. Je
nach Entwicklungsstand macht das bis zu 95 Prozent des
Energieverbrauches aus. Der jährliche Waldverlust wird
auf 10 bis 20 Millionen Hektar beziffert; das entspricht
etwa der halben Fläche der Bundesrepublik. Lediglich
10 Prozent davon werden wieder aufgeforstet.
Trotz Rückgangs der natürlichen Waldreserven steigt
der Brennholzbedarf ungefähr parallel zum Bevölke-
rungswachstum. Um allein das Energiewachstum an
Brennstoff von umgerechnet 1 Kilogramm Steinkohle pro
Kopf und Tag für 2,5 Milliarden Menschen zu sichern,
werden circa 900 Kilogramm Brennholz benötigt.
Darüber hinaus verbrauchen Entwicklungsländer jähr-
lich 1,6 Milliarden Tonnen konventionelle Energie aus Öl,
Gas, Kohle und Wasserkraft. Das entspricht etwa 26 Pro-
zent des kommerziellen Weltenergieverbrauchs.
Über die Hälfte des Energieverbrauchs der Entwick-
lungsländer entfällt auf Öl. Die meisten der rund 100 Öl
importierenden Entwicklungsländer sind zu mehr als
Dreiviertel auf Ölimporte zur Deckung ihrer binnenwirt-
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schaftlichen Energienachfrage angewiesen. Jede auch nur
leichte Erhöhung des Ölpreises führt zum Teil dramati-
schen makroökonomischen Verwerfungen.
Das Energieversorgungsproblem der Entwicklungs-
länder wird durch die Bevölkerungsentwicklung weiter
verschärft.
Angesichts der enormen Bedeutung des Energiesektors
für die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer und an-
gesichts der verheerenden ökologischen Auswirkungen
der Nutzung konventioneller Energieträger liegt es auf der
Hand, dass sich die deutsche Umwelt- und Entwicklungs-
politik vorrangig der Aufgabe einer besseren Nutzung er-
neuerbarer Energiequellen in der Entwicklungspolitik
widmen muss. Von daher ist der Antrag der Koalitions-
fraktionen ausdrücklich zu begrüßen. Er zeigt anderer-
seits aber auch, dass es hier ein erhebliches Handlungsde-
fizit der Bundesregierung gibt.
Wenn die Bundesministerin im Zusammenhang mit
der so genannten „Impulskonferenz für die Errichtung ei-
ner internationalen Agentur für erneuerbare Energien“
Anfang Juni in Berlin verkündet, das BMZ stelle jährlich
200 Millionen DM für den Ausbau erneuerbarer Energien
in den Entwicklungsländern zur Verfügung und Deutsch-
land habe sich bisher mit 140 Millionen DM an der För-
derung erneuerbarer Energien durch die so genannte glo-
bale Umweltfazilität beteiligt, so muss sie sich fragen
lassen, wie sie derartige Programme angesichts des an-
gekündigten weiteren radikalen Kahlschlages in ihrem
Haushalt zukünftig finanzieren will. Bei den bevorste-
henden Haushaltsberatungen werden wir jedenfalls pein-
lich darauf achten, dass die großen Ankündigungen mit
der haushaltspolitischen Realität in Einklang gebracht
werden und nicht ein weiteres Mal entwicklungspoliti-
sche Dichtung und Wahrheit zum Schaden der deutschen
Glaubwürdigkeit in der Welt auseinander klafft.
Aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es
gelingen sollte, die angekündigten Mittel zur Verfügung
zu stellen, so wäre dies noch nicht einmal ein Tropfen auf
den heißen Stein der Weltenergieprobleme. Die in dem
Koalitionsantrag vollmundig geforderte Verbesserung der
Lebensbedingungen in Entwicklungsländern lässt sich
hiermit auch nicht nur ansatzweise finanzieren.
Auch die ebenfalls geforderte Steigerung der Energie-
effizienz in Entwicklungsländern setzt massive Investi-
tionen voraus, die nur in einer konzertierten Aktion mul-
tilateraler und bilateraler Geberinstitutionen in Angriff
genommen werden kann. Deswegen ist es schade, dass
dieser Aspekt von dem Antrag vollkommen vernachläs-
sigt wird. Dabei wäre gerade der Energiebereich gut ge-
eignet für eine gemeinsame entwicklungspolitische Ini-
tiative der Europäischen Union.
Stattdessen greift der Antrag erneut die noch vor Jah-
ren von Rot-Grün verpönte Wunderwaffe der Public Pri-
vate Partnerships auf. In der Tat bietet gerade der weltweit
wachsende Markt für regenerative Energien eine hervor-
ragende Basis für das Zusammenwirken zwischen Ent-
wicklungspolitik und Privatwirtschaft. Vor allem der glo-
bale Wind- und Solarmarkt weist hohe jährliche
Steigerungsraten auf. Auch wenn zwischen den USA und
Europa nach wie vor Unstimmigkeit über den richtigen
Weg zu einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik besteht
und sowohl für die staatlich gesteuerte Umsetzung von
Klimaschutzzielen im eigenen Land als auch für die welt-
weite Einführung von Energiehandelszertifikaten man-
ches spricht, dürfte die Nutzung regenerativer Energie-
quellen in jedem Falle ein wichtiger Bestandteil eines
Lösungsansatzes sein.
Es ist jedoch bedauerlich, dass sich auch hier wieder zu
bestätigen scheint, dass auf das Heilmittel PPP zumeist
immer nur dann zurückgegriffen wird, wenn die öffentli-
chen Kassen leer sind. Die Zusammenarbeit mit der Wirt-
schaft darf jedoch genauso wenig wie die in letzter Zeit
aus Haushaltsnot propagierte Schwerpunktbildung in der
Entwicklungspolitik als Notlösung zum Stopfen von
Haushaltslöchern gesehen werden. Bei beiden Ansätzen
handelt es sich um zukunftsweisende Konzepte, für deren
Umsetzung in einer Anfangsphase auch erhebliches Ka-
pital zur Verfügung gestellt werden muss. Hierauf werden
wir in den Haushaltsberatungen besonders achten.
Carsten Hübner (PDS): Um es gleich vorweg zu sa-
gen: Die PDS-Bundestagsfraktion unterstützt den vorge-
legten Antrag. Wir sind der festen Überzeugung, dass ein
alternatives und zukunftsfähiges globales Entwicklungsmo-
dell – und nicht allein im Bereich Umwelt und Energie – nur
dann eine wirklich Chance haben wird, wenn wir bereits
jetzt alle uns zur Verfügung stehenden Potenziale nutzen,
um mit unseren Partnern in den Ländern der so genannten
Dritten Welt eine Weichenstellung in Richtung einer re-
generativen und nachhaltigen Energieversorgung zu be-
fördern. Ökonomie und Infrastruktur sind dort in vielen
Bereichen erst im Entstehen, könnten somit von Anbeginn
an auf ein nachhaltiges Fundament gestellt werden.
Darüber hinaus ermöglichen es regenerative und de-
zentrale Energieversorgungskonzepte, sich aus der Ab-
hängigkeit – und nicht selten aus dem Würgegriff – inter-
nationaler Energiekonzerne schrittweise zu befreien und
damit Potenziale für eine eigenständige Entwicklung zu
eröffnen. Gleiches gilt für die Einsparungspotenziale, die
in diesem Bereich mittel- und langfristig zu erzielen sind
und die den Entwicklungsländern die dringend benötigten
Handlungsspielräume für eine soziale, gesellschaftliche
und ökonomische Entwicklung verschaffen können. In
diesem Sinne ist der Antrag ein begrüßenswerter Versuch,
das Tor für Entwicklung an einer Stelle aufzustoßen, die
Schlüsselcharakter hat.
Worauf es jetzt aber ankommt, ist, dem Antrag auch ein
angemessenes technologisches und finanzielles Engage-
ment folgen zu lassen. Der vorgeschlagene Mix aus
technischer Zusammenarbeit – und hier halte ich die PPP-
Variante durchaus für sinnvoll – und aus finanzieller Zu-
sammenarbeit legt hier einen sinnvollen Grundstein.
Doch der konzeptionellen Qualität muss eben auch die fi-
nanzielle Quantität folgen. Denn hier geht es nicht um Ni-
schenprojekte, hier geht es um elementare Strukturfragen.
Und da bleiben mit Blick auf den Etatentwurf des BMZ
doch erhebliche Zweifel.
Wenn wir den Blick auf die weltweite Klimakatastro-
phe richten, auf die übergroße Verantwortung des reichen
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und entwickelten Nordens für die globalen Emissionen,
dann wird allerdings eins deutlich: So wichtig, so unter-
stützenswert die Förderung regenerativer Energien in den
Entwicklungsländern ist, so unbestreitbar ist auch, dass
dieses Engagement nur dann glaubwürdig sein kann,
wenn auch der Norden, sowohl im Bereich der Industrie
als auch des privaten Lebens, ein radikales Umsteuern
einleitet. Und das gilt natürlich auch für die Frage der
Außenwirtschaftsförderung. Welches Entwicklungsmo-
dell wird von hier aus exportiert, welche Logik, welche
Produkte erhalten politische und finanzielle Protektion
durch Politik und öffentliche Hand – und welche eben
nicht. Ich bin gespannt, wie und ob die Bundesregierung
hier die Kohärenz zwischen diesem Antrag und der bis-
herigen Wirtschaftspolitik herstellen wird. Zweifel blei-
ben mehr als angebracht, wie die unsägliche Praxis der
Hermesbürgschaften und die diesbezügliche Reformun-
willigkeit zeigen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 200117720
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Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin