Protokoll:
14177

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 177

  • date_rangeDatum: 22. Juni 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:50 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gedenken an den 60. Jahrestag des Angriffs deutscher Truppen auf die Sowjetunion . . . . . 17389 A Begrüßung einer Gruppe von ehemaligen Zwangsarbeitern sowie von Überlebenden jü- discher Gettos und durch deutsche Truppen vernichteter Dörfer aus Weißrussland, Russ- land und der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17389 B Ergänzung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 17389 C Begrüßung der Delegation der Nationalver- sammlung der Republik Armenien unter Lei- tung des stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Gagik Aslanyan . . . . . . . . . . . . . . . . . 17460 B Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des An- spruchs- und Anwartschaftsüberfüh- rungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsge- setz – 2. AAÜG-ÄndG) (Drucksachen 14/5640, 14/6063, 14/6293, 14/6355) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17390 A Sabine Kaspereit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17390 A Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17390 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17391 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . 17391 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17392 C Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur An- passung der Formvorschriften des Pri- vatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr (Drucksachen 14/4987, 14/5561, 14/6044, 14/6353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17393 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Vor- bereitung eines registergestützten Zen- sus (Zensusvorbereitungsgesetz) (Drucksachen 14/5736, 14/6068, 14/6292, 14/6354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17393 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Um- setzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG- Richtlinien zum Umweltschutz (Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750, 14/6045, 14/6357) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17393 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ände- rung verkehrsrechtlicher Vorschriften (VerkVÄndG) (Drucksachen 14/3646, 14/4221, 14/4648, 14/6358) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17393 C Plenarprotokoll 14/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Drucksache 14/6370) . . . . . . . . . . . . . . . 17393 D Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (Betr- Verf-Reformgesetz) (Drucksachen 14/5741, 14/6352) . . . . 17394 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Peter Rauen, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Soziale Partner- schaft stärken – Betriebsverfas- sungsgesetz zukunftsfähig moder- nisieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstandes (Drucksachen 14/5753, 14/5764, 14/6352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17394 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17394 B Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . 17396 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17397 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17399 A Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 17401 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 17404 A Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17405 C Dorothea Störr-Ritter CDU/CSU . . . . . . . . . 17406 D Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 17409 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . 17411 B Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 17411 D Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . 17413 D Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17414 D Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17415 B Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17416 D Namentliche Abstimmungen . . . . . .17417 A, 174419 B Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17417 C, 17423 C Tagesordnungspunkt 19: a) Große Anfrage der Abgeordneten Ulf Fink, Horst Seehofer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft des Gesundheits- wesens (Drucksachen 14/3887, 14/5700) . . . . 17420 B b) Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüden- scheid), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Informati- onsmöglichkeiten der Krankenversi- cherten umgehend verbessern (Drucksache 14/5678) . . . . . . . . . . . . . 17420 B c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Arz- nei- und Heilmittelbudgets (Arzneimit- telbudget-Ablösungsgesetz – ABAG) (Drucksache 14/6309) . . . . . . . . . . . . . 17420 C Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17420 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 17426 A Dr. Dieter Thomae F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 17429 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17430 C Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 17431 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17434 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17436 A Dr. Hansjörg Schäfer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 17438 C Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17440 D Fritz Schösser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17441 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 17444 A Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts (Drucksache 14/5538) . . . . . . . . . . 17446 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- form des Wohnungsbaurechts (Drucksachen 14/5911, 14/6145) 17446 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001II – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und anderer wohnungsrechtli- cher Gesetze (Drucksachen 14/627, 14/6344; 14/6375) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17446 C b) Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für eine vor- ausschauende Wohnungs- und Städ- tebaupolitik (Drucksache 14/6048) . . . . . . . . . . . . 17446 C Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17446 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU . . . . . . . 17449 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17450 D Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 17452 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17454 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . 17456 B Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17457 C Achim Großmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 17458 C Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsche Entwicklungs- zusammenarbeit und Demokratisie- rungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstärken (Drucksache 14/5251) . . . . . . . . . . . . 17460 A b) Antrag der Abgeordneten Volker Rühe, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Die strate- gische Bedeutung der Kaukasus-Re- publiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen (Drucksache 14/5961) . . . . . . . . . . . . 17460 A Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 17460 B Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesminis- terin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17462 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17464 A Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17464 D Johannes Pflug SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17466 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . 17467 B Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.: Die Verein- ten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend (Drucksachen 14/5243, 14/5855) . . . . 17468 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Deut- sche Beiträge zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Verein- ten Nationen (Drucksachen 14/4525, 14/5851) . . . . 17468 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Frank Hempel, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aids-Bekämpfung in den Ent- wicklungsländern fördern (Drucksache 14/6320) . . . . . . . . . . . . . . . 17468 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine Gemeinsame Europäische VN- Politik (Drucksache 14/6083) . . . . . . . . . . . . . . . 17468 D Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 17469 A Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17470 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17472 A Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 17473 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 17474 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . 17475 B Frank Hempel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17477 A Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 III eines Gesetzes zur Änderung des Mine- ralölsteuergesetzes (Drucksachen 14/6141, 14/6337, 14/6338) 17478 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes zurFörderung eines freiwilligen sozialen Jahres und zur Än- derung des Gesetzes zurFörderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (Drucksache 14/5120) . . . . . . . . . . . . . . . 17479 A Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vorschriften (Drucksache 14/6129) . . . . . . . . . . . . . . . 17479 B Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Ge- setz – EGG) (Drucksache 14/6098) . . . . . . . . . . . . . . . 17479 C Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz – SpStatG) (Drucksache 14/6310) . . . . . . . . . . . . . . . 17479 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17479 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17481 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: Wehrpflicht aussetzen (176. Sitzung, Drucksache 14/6274) . . . . . . . 17482 A Anlage 3 Erklärung nach § 90 GO der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf und Eva Bulling-Schröter (beide PDS) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Vermittlungsausschus- ses zu dem Gesetz zur Änderung verkehrs- rechtlicher Vorschriften (VerkVÄndG) (Drucksache 14/6358) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17482 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe Jens (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Be- triebsverfassungsgesetzes (BetrVerf-Reform- gesetz) in der Ausschussfassung (Drucksachen 14/5741 und 14/6352) . . . . . . . 17483 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Demokratisierungshilfe für die zentral- asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjet- union verstärken – Die strategische Bedeutung der Kaukasus- Republiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen (Tagesordnungspunkt 21 a und b) . . . . . . . . . . 17483 C Joachim Günther (Plauen) F.D.P. . . . . . . . . . 17483 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und der Berichte: – Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend – Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Mil- lenniums-Erklärung der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) . . . . . . . . . . 17484 C Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17484 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mi- neralölsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 24) 17486 C Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 17486 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17487 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17488 D Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17489 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17490 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 V Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen so- zialen Jahres und zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . 17490 D Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17490 D Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17491 C Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17492 B Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17492 D Dr. Friedhelm Repnik, Minister (Baden- Württemberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17493 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . 17494 C Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17494 C Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 17495 A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17495 C Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 17496 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17496 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über rechtliche Rah- menbedingungen für den elektronischen Ge- schäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsver- kehr-Gesetz – EGG) (Tagesordnungspunkt 28) 17497 C Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17497 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17499 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17499 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17500 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17500 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusge- setz – SpStatG) (Zusatztagesordnungspunkt 9) 17501 C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . 17501 C Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17502 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17503 D Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 17504 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17504 D Anlage 12 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17505 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 Vizepräsidentin Petra Bläss 17479 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 8 2) Anlage 9 3) Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor 4) Anlage 10 5) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17481 (C) (D) (A) (B) Adam, Ulrich CDU/CSU 22.06.2001* Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ 22.06.2001 DIE GRÜNEN Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 22.06.2001 Bodewig, Kurt SPD 22.06.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 22.06.2001 Bonitz, Sylvia CDU/CSU 22.06.2001 Bruckmann, SPD 22.06.2001 Hans-Günter Brüderle, Rainer F.D.P. 22.06.2001 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 22.06.2001 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 22.06.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 22.06.2001* Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 22.06.2001 Hartmut Doss, Hansjürgen CDU/CSU 22.06.2001 Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 22.06.2001 DIE GRÜNEN Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 22.06.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 22.06.2001 Peter Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 22.06.2001 Glos, Michael CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Guttmacher, F.D.P. 22.06.2001 Karlheinz Hartnagel, Anke SPD 22.06.2001 Haschke, (Großhennersdorf) CDU/CSU 22.06.2001 Gottfried Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 22.06.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 22.06.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 22.06.2001 Hörster, Joachim CDU/CSU 22.06.2001 Kasparick, Ulrich SPD 22.06.2001 Klappert, Marianne SPD 22.06.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 22.06.2001 Königshofen, Norbert CDU/CSU 22.06.2001 Kossendey, Thomas CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 22.06.2001 Lamers, Karl CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Lamers CDU/CSU 22.06.2001 (Heidelberg), Karl A. Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 22.06.2001 Lamp, Helmut CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Luther, Michael CDU/CSU 22.06.2001 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 22.06.2001* Erich Michels, Meinolf CDU/CSU 22.06.2001 Müller (Völklingen), SPD 22.06.2001 Jutta Neuhäuser, Rosel PDS 22.06.2001 Neumann (Bremen), CDU/CSU 22.06.2001 Bernd Nietan, Dietmar SPD 22.06.2001 Dr. Pfaff, Martin SPD 22.06.2001 Pfannenstein, Georg SPD 22.06.2001 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 22.06.2001 von Renesse, Margot SPD 22.06.2001 Sauer, Thomas SPD 22.06.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 22.06.2001 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 22.06.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 22.06.2001* Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 22.06.2001* Schultz (Everswinkel), SPD 22.06.2001 Reinhard Schüßler, Gerhard F.D.P. 22.06.2001 Sebastian, CDU/CSU 22.06.2001 Wilhelm-Josef Dr. Solms, Hermann F.D.P. 22.06.2001 Otto Steiger, Wolfgang CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 22.06.2001 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 22.06.2001 DIE GRÜNEN Volquartz, Angelika CDU/CSU 22.06.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 22.06.2001 Weis (Stendal), SPD 22.06.2001 Reinhard Dr. Wieczorek, Norbert SPD 22.06.2001 Wiese (Hannover), SPD 22.06.2001 Heino Wiesehügel, Klaus SPD 22.06.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 22.06.2001* Dr. Zöpel, Christoph SPD 22.06.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeropaischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Winfried Nachtwei (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Wehr- pflicht aussetzen (176. Sitzung, Drucksache 14/6274) Die Grünen treten seit langem aus demokratie- und si- cherheitspolitischen Gründen für die Abschaffung der Wehrpflicht ein. Insofern begrüßen wir den Positionswan- del der F.D.P. Die fehlende sicherheitspolitische Begrün- dung des Antrages und sein Entstehungszusammenhang machen aber deutlich, dass die Neupositionierung der F.D.P. nicht von der Sache her, sondern offenkundig nur parteitaktisch motiviert ist. Zugleich muss ich feststellen, dass die Position der Ko- alition zur Wehrpflicht keineswegs ein Kompromiss zwi- schen den Koalitionsfraktionen ist. Es ist zu befürchten, dass ein Verzicht auf offene Diskussion und Konsensbil- dung einer tragfähigen Bundeswehrreform zum Schaden gereichen. Deshalb enthalte ich mich der Stimme. Anlage 3 Erklärung nach § 90 GO der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf und Eva Bulling-Schröter (beide PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermit- tlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften (VerkVÄndG) (Drucksache 14/6358) Wir enthalten uns der Stimme, weil das Für-Erledigt- Erklären des Gesetzes zur Änderung verkehrswegerecht- licher Vorschriften den eigentlich entscheidenden Vor- gang verdeckt – und wohl auch verdecken soll. Die Europäische Kommission hat unserer Ansicht nach zu Recht bereits im Jahr 1994 kritisiert, dass im Verkehrs- wegeplanungsbeschleunigungsgesetz (1991) und im Pla- nungsvereinfachungsgesetz (1993) die in der Richtlinie 85/337/EWG festgelegte Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung nicht förmlich festge- schrieben wurde. Die hiermit wegen unzureichender Berücksichtigung von Bürger- und Umweltrechten kriti- sierten Bundesregierungen hatten darauf mehr als fünf Jahre lang nicht erkenntlich reagiert. Darauf erhob die Eu- ropäische Kommission im Januar 1999 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Bundesregierung erkannte nunmehr die Peinlich- keit des Vorgangs, legte Mitte des Jahres 2000 das hier zu Debatte stehende Gesetz zur Änderung verkehrs- wegerechtlicher Vorschriften vor und erklärte in der Be- gründung unter Verweis auf die Klage vor dem Europä- ischen Gerichtshof ausdrücklich: „Aus diesem Grunde ist insoweit im Verkehrsbereich die vollständige Umset- zung der Richtlinie 85/337/EWG ... dringend geboten. Diesem Zweck dient das vorliegende Gesetz.“ (So die Begründung des Gesetzentwurfs vom 26. Juni 2000). Die Bundesregierung argumentierte damals auch, der Gesetzentwurf sei „als besonders eilbedürftig“ einzu- stufen. Der Gesetzentwurf wurde dann im Bundestag im Ok- tober 2000 beschlossen und soll nun, weitere acht Mo- nate später, für erledigt erklärt werden. Tatsächlich wird mit diesem Vorgehen sachlich nichts erledigt. Hingegen bleibt festzuhalten: Mit den infrage stehenden beiden Gesetze zur Beschleunigung und Vereinfachung hat die damalige Bundestagsmehrheit in erheblichem Maß gel- tende demokratische Beteiligungsmöglichkeiten und die gebotene Rücksichtnahme auf die Umwelt verletzt. Diese Sondergesetze wurden damals mit der deutschen Einheit, also einer besonderen oder Ausnahmesituation, begründet. Wenn diese damals bereits fragwürdig waren und von den damaligen Oppositionsparteien kritisiert wurden, dann gilt dies erst recht heute. In jedem Fall ver- letzen beide Gesetze aus unserer Sicht die diesbezügli- chen Umweltschutzbestimmungen der entsprechenden EU-Richtlinie. Das Gesetz zur Änderung verkehrswegerechtlicher Vorschriften war völlig ungeeignet, die erhobenen Ein- wände zu beseitigen. Die eigentliche Problematik wurde mit diesem Gesetz eher bagatellisiert, indem erklärt wurde, auf öffentliche Umweltverträglichkeitsprüfun- gen würde nun dann verzichtet, wenn die infrage ste- henden Vorhaben „keine erheblichen nachteiligen Wir- kungen auf die Umwelt hätten“. Dabei blieb völlig unklar, wer definieren soll, dass es keine solchen „er- heblichen nachteiligen Wirkungen auf die Umwelt“ ge- ben würde. Unter diesen Umständen hat das Vorgehen, dieses Ge- setz wieder für erledigt zu erklären, lediglich die Wir- kung, auf Zeit zu spielen. Die Einwände der EU-Kom- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117482 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich mission bleiben erhalten. Die aus unserer Sicht berech- tigte Klage vor dem Europäischen Gerichtshof dürfte nunmehr eher ein größeres Gewicht erhalten. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe Jens (SPD) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (Betr- Verf-Reformgesetz) in der Ausschussfassung (Drucksache 14/5741 und 6352) Die heute anstehende Novellierung des Betriebsver- fassungsgesetzes kann die so genannten Transaktionskos- ten in kleinen und mittleren Unternehmen überdurch- schnittlich erhöhen. Das wäre eine Entwicklung in die völlig falsche Richtung. In Betrieben mit 20 Arbeitneh- mern, ja bis zu 50 Arbeitnehmern ist ein Betriebsrat im Allgemeinen überflüssig. Hier sollte zunächst und vor al- lem ein Führungsstil des „kooperativen Individualismus“ praktiziert werden. Mehr Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Be- triebsleitung ist erforderlich, um im zunehmenden inter- nationalen Wettbewerb zu bestehen. Wenn nicht alle – Ar- beitnehmer und Leitung – in einem Kleinunternehmen gleiche Ziele verfolgen, am gleichen Strang ziehen, wird das Unternehmen keine Marktchancen auf Dauer haben. Individualismus ist dagegen Voraussetzung für mehr In- novationskraft, für das Ergreifen neuer Chancen und für notwendige Veränderungen, um im Wettbewerb zu beste- hen. Ich würde es zum Beispiel begrüßen, wenn für Be- triebe mit 20 Arbeitnehmern keine Möglichkeit zur Wahl eines Betriebsobmannes bestünde. Die geringfügigen materiell-rechtlichen Ergänzungen der Mitbestimmung in der Qualifizierung und im Um- weltschutz halte ich für zeit- und sachgemäß. Die beiden bisher im Betrieb dominierenden Produktionsfaktoren – Arbeit und Kapital – werden meines Erachtens langfris- tig an Gewicht verlieren. Als neue, wichtige Produktions- faktoren werden in größeren Unternehmen Umwelt und qualifiziertes Wissen an Bedeutung für den Produktions- prozess gewinnen. Sie brauchen im betrieblichen Gesche- hen eine bessere Interessenvertretung, auch durch den Be- triebsrat. In Großbetrieben ist der Betriebsrat noch immer ein wichtiges Konfliktverminderungsinstrument, auf das die meisten größeren Unternehmen nicht verzichten können. Ich hoffe, dass bei kleineren Unternehmen mögliche zusätzliche Belastungen aufgrund dieser Novelle durch weitere Steuer- oder Kostensenkungen ausgeglichen wer- den. Eine zusätzliche Erhöhung der Transaktionskosten in Kleinbetrieben ist jedenfalls kontraproduktiv. Sie ver- nichtet Ausbildungsplätze und erschwert die Schaffung neuer, zusätzlicher Arbeitsplätze. Trotz der geschilderten erheblichen Bedenken und ei- nes starken „Bauchgrimmens“ werde ich nach reiflicher Prüfung dem Gesetzentwurf insgesamt dennoch zustim- men. Anlage 5 Zur Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge – Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und De- mokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstärken – Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Republi- ken, Armenien, Aserbaidschan und Georgien poli- tisch umsetzen (Tagesordnungspunkt 21 a und b) Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Es ist ein Trau- erspiel, dass wir nun schon im dritten Jahr nach dem Amtsantritt von Rot-Grün zusehen müssen, wie die deut- sche Entwicklungspolitik an Substanz, und, was fast noch schlimmer ist, an Glaubwürdigkeit verliert. Allen hoch- trabenden Sonntagsreden zum Trotz ist die Bundesregie- rung laut „Financial Times Deutschland“ inzwischen zum entwicklungspolitischen Schlusslicht in der Europäischen Union geworden. Doch wer gehofft hatte, die Rücktrittsdrohung der Mi- nisterin würde nun zum tragischen letzten Akt dieses Trauerspiels werden, hat sich geirrt. Die Rücktrittsdro- hung scheint den Finanzminister so beeindruckt zu haben, dass er gleich verkünden ließ, die in letzter Minute ge- währten 100 Millionen Euro werde er sich in den nächs- ten Jahren wieder zurück holen. Doch auch mit diesem Trostpflaster ausgestattet muss Frau Wieczorek-Zeul in diesem Jahr weitere herbe Kür- zungen in ihrem Etat hinnehmen. Dies bedeutet, dass die Bundesministerin gegenüber unseren Partnerländern ein weiteres Mal wortbrüchig sein muss, weil es an Haus- haltsmitteln für die diversen von ihr angekündigten Ini- tiativen hinten und vorne fehlt. Vor diesem Hintergrund ist die von der Bundesminis- terin mediengerecht aufbereitete so genannte Kaukasus- initiative zu sehen. Wenn der Bundesregierung, wie von Ministerin Wieczorek-Zeul öffentlich angekündigt, nicht einmal Mittel zur Kofinanzierung des Internationalen Fonds für Aids-Hilfe zur Verfügung stehen, dann muss sie sich schon fragen lassen, wie sie die 100 Millionen mobi- lisieren will, die die Kaukasusinitiative nach eigenen An- gaben kosten soll. Dabei wäre ein stärkeres deutsches entwicklungspoli- tisches Engagement im Kaukasus und in Zentralasien bit- ter nötig. Die Instabilität, ethnische und religiöse Unter- schiede, die wachsende Korruption und ein Verteilungs- kampf um die Naturvorkommen, insbesondere Erdöl und Gas, stellen die Konfliktpunkte der Region dar. Darüber hinaus wird die Region zusätzlich durch die internationale organisierte Kriminalität bedroht. Die Re- gierungen der zentralasiatischen Staaten sind häufig nicht in der Lage, die Grenzen zu kontrollieren; der Schmuggel von Rauschgift und Waffen ist an der Tagesordnung. 90 Prozent der westeuropäischen Opiate kommen aus die- ser Region. In Tadschikistan sollen die Einkünfte aus dem Rauschgifthandel mittlerweile ein Sechstel des gesamten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17483 (C) (D) (A) (B) Bruttoinlandsproduktes ausmachen. Überdies ist die Re- gion zunehmend ein Umschlagplatz für Waffen, die von Afghanistan aus ihren Weg zu befreundeten radikal-isla- mischen Organisationen finden. Das Interesse Europas und damit auch Deutschlands muss deshalb darin bestehen, einen Beitrag zur Stabilisie- rung zu leisten. Das dringend benötigte entwicklungspo- litische Engagement muss eingebettet werden in ein poli- tisches Gesamtkonzept für die Region, das auf die Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen, Eindämmung des Rauschgifthandels, der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus abzielt. Diese grundsätzliche Orientierung soll zwar durch die so genannte Kaukasusinitiative aufgegriffen werden. Die Frage ist jedoch, welche der vielen gut gemeinten Pro- jekte im Angesicht der jämmerlichen Haushaltssituation tatsächlich noch durchführbar sind. Bekanntlich ist „gut gemeint“ das Gegenteil von „gut“. Gerade die Zusammenarbeit mit Georgien war für die frühere Bundesregierung ein besonderes Anliegen, das unter Rot-Grün bedauerlicherweise nicht mehr in diesem Umfange fortgesetzt wurde. Gegenüber diesem Land hätte man eine kontinuierliche Solidarität erwarten können. Während die frühere Bundesregierung Georgien für den Zeitraum 1998/1999 noch 90 Millionen DM für die finanzielle Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt hatte, wurde dieser Betrag unter Rot-Grün mit einer Zusage von 50 Millionen DM für den Zeitraum 2000/2001 um fast die Hälfte gekürzt. Angesichts der großen Verdienste der Regierung Schewardnadse um regionale Stabilisierung, aber auch angesichts seines historischen Engagements für die deut- sche Einheit, ist dies eine beschämende Entwicklung, die auch durch die Ankündigung einer Kaukasusinitiative nicht wieder wettgemacht werden kann. Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die heute zur Diskussion stehenden Anträge der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion. Ein stärkeres deutsches entwicklungspoliti- sches Engagement in der Region, eine aktivere Mitwir- kung an den internationalen Bemühungen um die Beilegung der Konflikte in der Region, aber auch eine ge- zieltere Wahrnehmung der energiepolitischen Interessen Deutschlands in der Öl- und Erdgasförderregion rund um das Kaspische Meer ist dringend geboten. Aber auch dieKrisenregion östlich desKaspischenMee- res muss dringend zu einem regionalen Schwerpunkt deut- scher entwicklungspolitischer Zusammenarbeit werden. In Anbetracht des etwa von Kirgistan, Usbekistan und Kasachstan ausgehenden erheblichen Destabilisierungs- potenzials ist es vollkommen unverständlich, wieso diese Länder in der jüngst eingeführten BMZ-Kategorisierung lediglich den Status einfacher „Partnerländer“ erhalten und nicht minder instabile Länder wie Turkmenistan und Tadschikistan nicht einmal mehr in der untersten Katego- rie „potenzieller Partnerländer“ landen. Dem vorliegenden CDU/CSU-Antrag, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und die Demokratisie- rungshilfe für die zentralasiatischen Staaten zu verstär- ken, stimmen wir daher uneingeschränkt zu. Zu einer verantwortungsvollen Kaukasuspolitik gehört auch ein kritisches Engagement im Tschetschenien-Kon- flikt. Von einer Beendigung des Feldzuges in Tschetsche- nien ist Moskau noch weit entfernt. Fast täglich melden Nachrichtenagenturen neue Tote. Statt eines siegreichen Blitzkrieges zeichnet sich immer deutlicher ein langwie- riger, verlustreicher Konflikt ab. Hier muss Deutschland und muss die Europäische Union im Dialog mit Moskau eine deutliche Sprache sprechen und die strikte Einhal- tung des Völkerrechts und der Menschenrechte in Tschet- schenien einfordern. Es gibt viel zu tun, wir werden die Ministerin nicht an Ankündigungsreden messen, sondern an konkreten Da- ten. Tun Sie alles, damit die Kaukasusinitiative nicht ein weiterer Flop Ihrer Regierung wird. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlungen und der Berichte: – Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend – Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Milleniums- Erklärung der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Erst einmal möchte ich allen, die an diesem Antrag mitgewirkt haben, ganz herzlich danken. Dieser Antrag „Die Vereinten Na- tionen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“ als ge- meinsamer Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Grüne und F.D.P. zeigt, dass eine gute, effek- tive und sinnvolle Außenpolitik unser gemeinsames An- liegen ist. Unser gemeinsames Ziel ist es, eine konstruk- tive, erfolgsorientierte Weiterentwicklung der Vereinten Nationen voranzutreiben. Natürlich gab es bei der Ausar- beitung des Antrages einige Unstimmigkeiten zwischen den Fraktionen, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen: Dieser Antrag unterstützt die Charta der VN zum Welt- frieden, wobei die Verantwortlichkeit Deutschlands bei den VN stärker werden soll. Dazu muss die deutsche VN-Politik einheitlicher werden, was die Abstimmung der einzelnen Fachressorts angeht. Deshalb fordert unser gemeinsamer Antrag als Konsequenz, dass ab 2001 ein Bericht über die deutsche VN-Politik dem Parlament vor- gelegt und dieser im Zweijahresrhythmus im Bundestag zur Diskussion gestellt wird. Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf einige wenige Schwerpunkte konzentrieren. Ein mir derzeitig wichtiger Diskussionspunkt ist die militärische Rolle Deutschlands in den VN. Deutschland muss meiner Meinung nach weiterhin seine militärische Zusammenarbeit und Verpflichtung mit den Vereinten Nationen pflegen und ausbauen. Bundesverteidigungsmi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117484 (C) (D) (A) (B) nister Scharping hat seinen Beitrag zum so genannten Stand-by-Arrangement gegeben. Dieses System sieht so aus, dass Mitgliedstaaten angeben, welche Beiträge sie im Bedarfsfall zu leisten bereit wären. Wir halten das für richtig, aber wie sieht eigentlich die Realität der Bundes- wehr aus? Bei ihrer schwierigen und gefährlichen Auf- gabe hat die Bundeswehr unsere nachhaltige Unterstüt- zung verdient. Womit wir uns aber nicht mehr abfinden werden und können, ist, dass die Absicherung und Aus- stattung dieser Einsatztruppen zu einer deutlichen Ver- schlechterung der übrigen Bereiche der Bundeswehr führt. Nur mit netten Worten der Anerkennung in Ple- numsdebatten lässt sich die Wehrbereitschaft nicht auf- rechterhalten. Es muss sich endlich auch in der finanziel- len Ausstattung der Bundeswehr insgesamt nieder- schlagen, sonst ist das alles unglaubwürdig. Wir von der CDU/CSU hatten das im Zusammenhang mit der Verlän- gerung des Kosovo-Mandats bereits deutlich gesagt. Vor- gestern hat der NATO-Rat entschieden, zur Entwaffnung der Rebellen Truppen nach Mazedonien zu entsenden. Dabei wird eine deutsche Beteiligung nicht ausgeschlos- sen. Wir werden diesem Einsatz hier im Bundestag nicht zustimmen, wenn nicht gleichzeitig eine deutliche Er- höhung des Etats im Einzelplan des Bundesministeriums der Verteidigung vorgenommen wird. Für uns ist damit der Präzedenzfall entstanden. Friedenssicherung ist ein Aufgabengebiet, das ange- sichts der vielen kriegerischen Konflikte in aller Welt nach wie vor im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Das „peace-keeping“ der UN steht heute vor einer kom- plizierteren Situation; die Mehrzahl der Konflikte spielen sich nicht mehr wie früher zwischen souveränen Staaten ab, sondern innerhalb der Staaten selber, als Bürgerkriege, vor meist ethnischem oder religiösem Hintergrund. Die Vereinten Nationen greifen heute zunehmend ein, um Hungersnöte, Massenmigration und drohenden Genozid zu verhüten. Es ist also weiterhin zu erwarten, dass ver- mehrte „peace-keeping“-Einsätze zur Erhaltung des Frie- dens in verschiedenen Regionen notwendig werden. Un- ser gemeinsamer Antrag fordert deshalb auch zu Recht eine bessere personelle Ausstattung der Planungs- und Leitungsebene im UN-Sekretariat sowie Verbesserungen in der Finanzierung und Ausrüstung. Damit sollen die Voraussetzungen für schnelle und wirksame Friedensmis- sionen geschaffen werden. Diese Reform der Friedenssi- cherung dürfte in den nächsten Jahren zu einem wichtigen Prüfstein für die Reformfähigkeit der UN bzw. des Re- formwillens der Mitgliedstaaten werden. Außer der Be- reitschaft, mehr Geld in die UN-Friedenssicherung zu in- vestieren, ist dazu eine größere Bereitschaft der Mit- gliedstaaten erforderlich, qualifiziertes und gut ausgerüs- tetes Personal zur Verfügung zu stellen und sich selbst ausreichend in einer Konfliktregion zu engagieren. Die UN können nur dann erfolgreich wirken, wenn sie einge- bettet sind in ein Netzwerk politischer und wirtschaftli- cher Initiativen der Mitgliedstaaten. Denn die meisten Schwächen, die die Weltöffentlichkeit den VN anlastet, sind Ergebnisse der Politik der Mitgliedsstaaten, was am Beispiel der Friedenssicherung besonders gut demons- triert werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen mehr Ver- antwortung zeigen. Am Beispiel Afrika, wo derzeit über 17 Konflikte herrschen, sehen wir, dass ein Misstrauen bzw. ein fehlender Friedenswille der Konfliktparteien die Regel ist, und damit können die VN nicht zielführend tätig werden. Die Konfliktparteien müssen stärker und ver- bindlicher an den Friedensgesprächen beteiligt werden, dann wären auch die Aufgaben für den Sicherheitsrat we- sentlich einfacher. Aber auch hier gilt: Friedensprävention und -erhaltung kosten Geld. Wenn wir als Deutsche mehr Engagement in den verschiedenen UN-Friedensmissionen bzw. Unteror- ganisationen in Krisengebieten fordern und erwarten, kommen wir selbst mittlerweile in eine Glaubwürdig- keitslücke, wie es der deutsche Botschafter bei den VN, Kastrup, uns gegenüber ausdrückte: Die Absenkung der freiwilligen Beiträge in Bereichen wie UNDP, UNICEF oder UNFPA um 50 bis 60 Prozent werden nicht nur als sehr bedauerlich angesehen, sondern haben auch eine Sig- nalwirkung auf die Zahlungsbereitschaft anderer Geber- länder. Die bevorstehende UNO-Aidskonferenz wird mit Sicherheit die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit verdeutlichen. Hierzu wird meine Kollegin Reinhardt im Zusammenhang mit ihrem vorgelegten Aidsantrag Aus- führungen machen. Bei den ganzen Reformen innerhalb der VN in den letzten Jahren bleibt die vermeintlich wichtigste bisher unberührt: die Reform des Sicherheitsrates. Alle Vor- schläge, darunter auch ein eventueller ständiger Sitz für die Bundesrepublik Deutschland, sind aufgrund der ver- schiedenen nationalen Interessen verschiedener Staaten blockiert worden. Dies ist für uns äußerst unbefriedigend. Auch innerhalb der EU sprechen wir nicht alle die gleiche Sprache und ich wage zu bezweifeln, ob Frankreich oder Großbritannien immer deutsche Interessen vertreten wür- den, wenn die Lösung so aussehen sollte, dass die jetzigen Vertreter zukünftig als Vertreter für Europa angesehen würden, um bei der Sitzverteilung Europa nicht noch ei- nen weiteren Sitz zukommen zu lassen. Auf der anderen Seite muss aber auch der Sicherheits- rat schneller und effizienter arbeiten, dafür ist eine bessere Logistik und mehr Transparenz innerhalb des Sicher- heitsrates notwendig. Aber leider – dies habe ich mehr- fach bei unserem Besuch in den USA im Mai gehört – hat sich in den letzten sieben Jahren der Diskussion über eine Reformierung des Sicherheitsrates nichts getan, weder über das Vetorecht noch über die Anzahl der Mitglieder sind ansatzweise Lösungen zu erkennen. Allein eine Er- höhung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat brächte jedoch auch keine Lösung, wenn das bisherige Vetorecht bestehen bliebe. Als letzten Punkt möchte ich noch kurz auf die Rolle der USA in der UNO eingehen. Bei unseren Gesprächen mit Kongressabgeordneten und Senatoren drängten die Amerikaner auf eine Intensivierung der deutsch-amerika- nischen Kontakte, da die USA eine zunehmend wach- sende Distanz der Europäer zu den Amerikanern in der Außenpolitik befürchten. Das negative Bild von US-Prä- sident Bush in den Medien macht es nur schlimmer. Es nützt meiner Meinung nach nichts, eine heimliche Freude darüber zu entfachen, dass die USA aus der VN-Men- schenrechtskommission und aus dem Drogen-Überwa- chungsgremium rausgewählt wurden. Die USA machen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17485 (C) (D) (A) (B) die EU dafür maßgeblich verantwortlich, insbesondere wenn jetzt Mitgliedstaaten in der Menschenrechtskom- mission sitzen, die selbst überwiegend massiv Menschen- rechte verletzen. Ich kann nur eines sagen: Wir brauchen die UNO und die UNO braucht die USA. Es hilft der UNO nicht, wenn die UNO-Skeptiker im amerikanischen Senat oder Kon- gress die Mehrheit haben. Es wird jetzt von den USA er- wartet, dass gemeinsam mit der EU für das nächste Jahr eine Lösung gefunden wird, damit die USAwieder einen Sitz in den genannten Gremien erhalten. Die Weigerung des amerikanischen Kongresses, wegen des Vorfalls 244 Millionen US-Dollar an die UNO zu zahlen, solange die USA nicht wieder in beide Gremien hineingewählt werden, zeigt die ganze Schwierigkeit der amerikani- schen UNO-Politik. Ich finde es wichtig, an dieser Stelle zu erwähnen, dass die US-Regierung für die Zahlung der UN-Beiträge den- noch geworben hat. Sie hat sich zu diesem Schritt ent- schieden, weil seit 1997 die Durchführung von UN-Frie- densmissionen und humanitären Hilfsaktionen gut gelaufen ist. Zum ersten Mal in der amerikanischen Ge- schichte werden die VN in einem Bericht an den amerika- nischen Senat im Mai 2000 lobend erwähnt. Zum ersten Mal erscheint es möglich, dass die Koordinationsfähigkeit des VN-Systems besser funktioniert und so soll es auch fortgeführt werden. Durch die erfolgreiche Arbeit der UNUPS wird deutlich, dass in vielen Bereichen zurzeit in über 30 VN-Kommissionen bessere Managementmittel eingesetzt werden. Deutschland muss und kann seinen Einfluss im US- Kongress verstärken, um die Interessen der VN vernünf- tig zu vertreten. Daher wäre es wünschenswert, wenn zukünftig die Beziehungen zwischen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den amerikanischen Kongressmitgliedern weiter intensiviert würden, was ein ausdrücklicher Wunsch von Kongressabgeordneten war. Als Ergebnis unserer Gespräche in Washington und New York hatte ich den Eindruck, dass uns ein großes Ver- trauen entgegengebracht wird. Dies sollten wir im gegen- seitigen Interesse verstärken und zukünftig solche Vor- kommnisse wie die Protokollaffäre vermeiden; denn diese war mit Sicherheit der dümmste Beitrag zur Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Es erwarten uns große Aufgaben für die zukünftige Politik der Vereinten Nationen. Dieser erste gemeinsame Antrag ist ein wichtiger Schritt für die gemeinsame VN- Politik, der auch bei den VN-Gremien mit großer Auf- merksamkeit zur Kenntnis genommen wird. Eine friedli- che Zukunft in der Welt sollte unser vorrangiges Ziel bleiben, wobei wir massive finanzielle Hindernisse und nationale Animositäten überwinden müssen. Zum Schluss möchte ich unserem langjährigen Vorsit- zenden des UAVereinte Nationen, Herrn Dr. Brecht dan- ken, der aus der großen Politik der VN in die Kommunal- politik wechseln wird. Es war stets eine gute Zusammen- arbeit im Unterausschuss Vereinte Nationen. Herr Kol- lege Dr. Brecht, Sie waren ein sehr angenehmer und kol- legialer Vorsitzender. Ich möchte Ihnen alles Gute für die Zukunft wünschen, verbunden mit dem dringenden Hin- weis, dass im Gemeinderat meistens undiplomatischer ge- handelt und entschieden wird als bei den Vereinten Natio- nen. Anlage 7 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Tages- ordnungspunkt 24) Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Bereits An- fang des Jahres 2000 hatte die Regierungskoalition ange- sichts des unabweisbaren Konsolidierungsdrucks auf den Bundeshaushalt in einem beispiellosen Kraftakt einen er- mäßigten Mineralölsteuersatz in Höhe von 47 Pfennig auf landwirtschaftlich genutzte Kraftstoffe durchgesetzt. Nach den explosionsartigen Steigerungen der Rohöl- preise in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres und der massiven Subvention von Agrarkraftstoffen im be- nachbarten Ausland hatte die SPD-Arbeitsgruppe Finanz- politik bereits am 6. Dezember 2000 der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen empfohlen, die Mineralöl- steuer für Agrardiesel nochmals herabzusetzen und dabei die Unterglasbetriebe besonders zu berücksichtigen. Auch der Bundesrat schloss sich dieser Forderung an. Heute ist es soweit: Wie versprochen, so beschlossen: Wir senken die Mineralölsteuer auf den Liter Diesel für Land- wirte auf 50 Pfennig und befreien die Unterglasbetriebe, aber auch andere, wie zum Beispiel die Pilzzucht, von der Erdgasbesteuerung. Weswegen ist diese Maßnahme dringend erforderlich? Bereits vor der Ölpreisexplosion war die Wettbe- werbslage deutscher Landwirte schwierig: Die Einkom- menssituation hatte sich teilweise dramatisch verschlech- tert, im Durchschnitt des Jahres 1999 um 7,3 Prozent. Der Durchschnittsertrag eines Betriebes betrug nur noch 53 000 DM. Nur noch knapp die Hälfte aller Höfe, näm- lich 190 000, werden als Haupterwerbsquelle geführt. Die Einkommensentwicklung verlief je nach Ausrichtung der Betriebe sehr unterschiedlich. Während die Milchviehbe- triebe ihren Gewinn um 12,6 Prozent auf 57 800 DM er- höhen konnten, sind die Gewinne der Schweinemäster um 83,5 Prozent auf 10 800 DM im Schnitt zusammengebro- chen. Vor diesem Hintergrund wirken politisch Initiierte und unbestritten notwendige zusätzliche Belastungen be- sonders schwer. Die Auswirkungen der Agenda 2000 – unter der deutschen EU-Präsidentschaft gegenüber den ursprünglichen Befürchtungen stark gedämpft –, die Aus- wirkungen der Ökosteuerreform mit allein circa 900 Mil- lionen DM im Jahr 2003, Veränderungen in der Ein- kommensteuer: Alles zusammengerechnet müssen die Landwirte mit Belastungen von wenigstens 2,3 Milliar- den DM im Jahr 2003 rechnen. Damit gewinnen die Sor- gen der Landwirtschaft eine politische Dimension, mit der sich die Bundesregierung und jeder Abgeordnete ausei- nandersetzen muss. Eine wesentliche Entlastung soll die Einführung eines besonderen, niedrigen Steuersatzes auf Diesel bringen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117486 (C) (D) (A) (B) der von landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen verbraucht wird. Die EU lässt große Gestaltungsmöglichkeiten für die Kraftstoffbesteuerung in der Landwirtschaft zu, die von den meisten Ländern auch ausgenutzt werden. Le- diglich drei Länder, nämlich Griechenland, Österreich und Schweden haben keine Sonderregelung für die Land- wirtschaft. Zwei Länder, nämlich Deutschland und Däne- mark, erstatten die Mineralölsteuer den Landwirten zurück, Dänemark vollständig und Deutschland teilweise. Sechs Länder erlauben den Einsatz von Heizöl als Kraft- stoff in der Landwirtschaft, die übrigen vier Länder haben einen besonderen, ermäßigten Steuersatz auf Diesel für die Landwirtschaft. Sowohl das als Kraftstoff zugelassene Heizöl als auch der Agrardiesel sind in allen Ländern be- sonders eingefärbt, um Missbräuche zu vermeiden. Die Gasölbezugskosten für Landwirte sind in der EU sehr unterschiedlich. Deutschland liegt mit Griechenland, Österreich und Schweden in der Spitzengruppe mit Be- zugskosten von zwischen 1 DM und 1,20 DM. Darunter folgt Dänemark mit 20 Pfennig niedrigeren Bezugskosten als Deutschland. Schlusslichter sind Luxemburg, Groß- britannien und Belgien mit Bezugskosten um die 20 Pfen- nig. Durch die zusätzlichen Ökosteuersätze würden die Bezugskosten für deutsche Landwirte mit Abstand an die Spitze schnellen. Dass eine solche Spreizung unerträglich ist und zu massiven Wettbewerbsverzerrungen führt, ist offensichtlich. Deswegen haben wir durch die Einführung des Agrardiesels seinerzeit mit 57 Pfennig Entlastung ge- schaffen. Entsprechend der dynamischen Steigerung der allge- meinen Mineralölsteuersätze durch die ökologische Steu- erreform steigt durch den besonderen Steuersatz für Agrardiesel die Entlastung für Landwirte im Jahr 2003 auf 35 Pfennig pro Liter und liegt dann um 5 Pfennig über der gegenwärtig geltenden Gasölverbilligung. Dabei ist besonders interessant, dass die bisherige Obergrenze von 3000 Litern im Jahr wegfällt, was für größere Betriebe, für Maschinenringe und für landwirtschaftliche Lohn- unternehmen eine frohe Botschaft ist. Die von der Opposition vorgetragene Alternative, Heizöl als Kraftstoff in der Landwirtschaft zuzulassen, würde den möglichen finanzwirtschaftlichen Rahmen für Erleichterungen in der Landwirtschaft sprengen. Sie wäre darüber hinaus ökologisch unerträglich, weil Heizöl bei weitem nicht die strengen Normen hinsichtlich des Schadstoffinhaltes erfüllen muss wie Kraftstoffe. Inzwischen hat sich die Lage weiter katastrophal ver- schlechtert. Nicht nur die Energiekosten sind explodiert, sondern BSE und MKS taten das Ihrige, die Landwirt- schaft an den Rand des Ruins zu treiben. Die Landwirte in Deutschland, die überwiegend nur noch Kleinsteinkommen erwirtschaften, und die durch subventionierte Energiepreise im europäischen Ausland strukturell benachteiligt werden, sind durch die Diesel- preise besonders existenziell betroffen. Seit der Diesel- preisexplosion haben sich die Sorgen und Ängste deutlich verstärkt. Wir hoffen, dass es gelingt, irgendwann in der EU zu einem Korridor für Agrardieselbesteuerung zu kommen. Viel Hoffnung habe ich nicht. Das, was heute geschieht, ist Steuerdumping in Reinkultur. Und mit der Konsequenz, dass sich das Tempo des Höfesterbens in Deutschland massiv beschleunigen wird. Frankreich hat angesichts der Energiepreiskrise eine weitere Senkung des Mineralölsteuersatzes um 6 Pfennig auf nur noch 5 Pfennig ab dem 1. Oktober 2000 beschlos- sen. Italien hat ebenfalls bereits eine weitere Senkung des Mineralölsteuersatzes für die Landwirtschaft um 6,5 Pfennig auf 16,5 Pfennig/Liter zum 3. Oktober 2000 beschlossen. Portugal reguliert den Einstandspreis für Diesel über flexible Steuersätze. Besonders schlimm dran sind die Gartenbaubetriebe, die unter Glas produzieren. Von den 53 000 Gartenbaube- trieben in Deutschland produzieren 14 000 hauptsächlich unter Glas. An diesen hängen 85 000 Arbeitsplätze. Diese Betriebe verbrauchen produktionsbedingt viel Wärme und erzeugen diese hauptsächlich mit Heizöl. Natürlich gibt es bereits etliche Unternehmen, die im Rahmen ihres Investitionszyklus auf Biomasse, Windenergie oder auch Sonnenenergie umgestellt haben oder aber die Holz ver- brennen. Aber die meisten werden von der Dieselpreis- krise kalt erwischt. Allein der Vergleich mit dem Haupt- wettbewerber, den Niederlanden, lohnt sich. Hier hat der Staat den Anschluss der meisten Unterglasbetriebe ans Gasnetz subventioniert und liefert derzeit Gas über die ehemalige staatliche Gasgesellschaft zu Sonderkonditio- nen. Während im Januar 1999 die Energiekosten für die Deutschen gegenüber den holländischen Wettbewerbern mit 37 Pfennig zu 22,69 Pfennig pro Liter „nur“ um 65 Prozent höher lagen, liegen sie im Herbst des Jah- res 2000 mit 106,66 Pfennig zu 33,97 Pfennig pro Liter um 215 Prozent höher. In Italien wird darüber beraten, für Zierpflanzen und Baumschulbetriebe den Mineralölsteu- ersatz je Liter Gasöl von 7,5 Pfennig pro Liter auf 3,75 Pfennig pro Liter zu senken. Für Gewächshäuser ist der Steuersatz bereits von zuvor 75 Pfennig pro Liter auf 3,75 Pfennig pro Liter gesenkt worden. Frankreich hat ei- gens ein Hilfsprogramm für Unterglasbetriebe in Höhe von 30 Millionen DM aufgelegt. Dagegen kann in Deutschland kein Betrieb anverdie- nen. Und wir müssen etwas machen. Deswegen freue ich mich, dass die deutschen Unterglasbetriebe an dem Ener- gieeffizienzprogramm der Bundesregierung, das im Rah- men des Zukunftsprogramms gestern angeschoben wurde und das ein Volumen von 50 Millionen DM ausmacht, teilnehmen dürfen. Damit wird die Umstellung weg vom Öl massiv erleichtert. Das alles aber reicht nicht aus. Deswegen mussten wir politisch verantwortlich reagieren und die Landwirtschaft durch die weitere Absenkung der Mineralölsteuer deut- lich entlasten, ebenso wie den Unterglasgartenbau, der durch die Befreiung von der Erdgassteuer wenigstens ei- nigermaßen Schritt halten kann mit seinen holländischen Mitbewerbern. Norbert Barthle (CDU/CSU): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Absenkung des Steuersatzes auf in der Landwirtschaft verwendeten Dieselkraftstoff und die Vergütung der Mineralölsteuer auf Heizstoffe im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17487 (C) (D) (A) (B) Gewächshausanbau bzw. im Anbau in geschlossenen Kul- turräumen vorsieht. Absenkung von Steuersätzen und Abmilderung der ne- gativen Auswirkungen der Ökosteuer sind ja zunächst einmal lobenswerte Schritte. Das sollte sich die Bundes- regierung nicht nur für diesen Teilbereich, sondern für die gesamte Steuerpolitik zur Handlungsmaxime machen. Dann wäre uns in der derzeitigen wirtschaftlichen Situa- tion mit einem wegbrechenden Wirtschaftswachstum – von Furcht vor Rezession und Depression ist schon die Rede – und mit einer Inflationsrate von 3,6 Prozent viel geholfen. Deshalb will ich diesen Schritt in die richtige Richtung zunächst einmal loben. Wenn meine Fraktion dem Ge- setzentwurf dennoch nicht zustimmt, sondern sich der Stimme enthält, so hat dies den einfachen Grund, dass uns dieser Schritt zu klein ist, die Entlastungen die vorher vor- genommenen Belastungen nicht ausgleichen und Sie Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Mit die- sem Gesetzentwurf springen Sie zu kurz; deshalb können wir nicht zustimmen. Im Übrigen ist dieser Gesetzentwurf ein weiterer Sargnagel für Ihre missratene Ökosteuer. Hier zeigt sich erneut der grundlegend falsche Ansatz die- ser „Abzock-Steuer“. Von der Landwirtschaft jetzt zu erwarten, dass sie an- gesichts dieser Vorbelastungen wegen der Verringerung des Steuersatzes jubelt oder sich für das „großzügige“ Ge- schenk bedanken soll, wäre wirklich des Guten zu viel verlangt. Die Landwirte haben nicht vergessen, dass sie wie keine andere Berufsgruppe von der Regierung Schröder abgestraft wurden. Und die unsägliche Rede des Bundeskanzlers beim Bauerntag 1999 in Cottbus wirkt bis heute nach. Seitdem wissen nicht nur die Landwirte bei mir zuhause in meinem Wahlkreis, wer ein Herz für sie hat. Natürlich begrüßt auch der Deutsche Bauernverband die Absenkung des Steuersatzes um sieben Pfennig auf 50 Pfennig pro Liter als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Beklagt werden aber gleichzeitig die immer noch extrem hohen Steuersätze im EU-Vergleich: fünf Pfennig zahlen französische Landwirte pro Liter, die dä- nischen Bauern zahlen überhaupt keine Steuern auf Agrardiesel. Das führt zu enormen Wettbewerbsnachtei- len. Und nicht vergessen haben unsere Landwirte, dass sie bis 1999 eine Steuer von 27 Pfennig pro Liter Diesel be- zahlt haben. Auch vor diesem Hintergrund verlieren die jetzt vorgesehenen 50 Pfennig pro Liter jeden Glanz. Ebenfalls nicht vergessen haben unsere Landwirte, dass ihnen der damalige Landwirtschaftsminister Funke noch im Oktober 2000 eine Absenkung auf 47 Pfennig pro Liter versprochen hat. Herr Funke genießt inzwischen sei- nen wohlverdienten Ruhestand und Frau Künast schickt das von der Regierung gegebene Versprechen gleich mit in den Ruhestand. Aber das kennt man ja von dieser Re- gierung zur Genüge: Versprochen – gebrochen! In Ihrem Gesetzentwurf rechnen Sie uns vor, dass es zu einer Gesamtentlastung von 202 Millionen DM kommt. Dabei sollten wir aber nie vergessen, dass es sich nicht um Geld handelt, das Sie der Landwirtschaft geben, sondern nur um eine Minderung dessen, was Sie der Landwirt- schaft insgesamt nehmen. 62 Millionen von den 202 Mil- lionen DM entfallen dabei auf den Gewächshausanbau, oder, genauer, auf die „geschlossenen Kulturräume“. Dass Sie dem Unterglasanbau entgegenkommen, ist zwar eine notwendige Geste, entspricht aber dennoch nicht dem ursprünglich gewollten und versprochenen Steuer- satz von 47 Pfennig für alle. Im Grunde genommen schla- gen die 62 Millionen DM Unterglasverbilligung mit drei Pfennig beim Steuersatz beim Diesel zu Buche. Der Steu- ersatz von 50 Pfennig finanziert das Geld für den Unter- glasbau. Das, meine Damen und Herren, ist das Prinzip „linke Tasche – rechte Tasche“. Die Entlastung für die ei- nen Landwirte müssen die anderen Landwirte finanzie- ren, so sieht’s aus! Dies ist ein weiterer Grund, weshalb wir diesem Gesetz nicht zustimmen können. Auch wenn ich das Entgegenkommen für die von den hohen Energiepreisen schwer gebeutelten Unterglasbe- triebe begrüße und respektiere, will ich auf einen weite- ren Punkt aufmerksam machen: Der Gesetzentwurf be- fristet diese teilweise Vergütung der Mineralölsteuer auf zwei Jahre. Diese Befristung orientiert sich an den er- mäßigten Gasbezugspreisen für den Gewächshausanbau bei den niederländischen Konkurrenten unserer Unter- glasbetriebe. Meine Fraktion fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf, sich unverzüglich für gerechtere Wett- bewerbsbedingungen hinsichtlich der Gasölbezugskosten innerhalb der EU einzusetzen, und zwar vor Auslaufen dieser Befristung. Außerdem erwarten wir, dass die Bun- desregierung mit dem Auslaufen der mineralölsteuerli- chen Vergünstigung für den Gewächshausanbau zum 31. Dezember 2002 den Steuersatz für Agrardiesel we- nigstens auf 47 Pfennig pro Liter absenkt. Damit würde zumindest das Entlastungsvolumen von 202 Millio- nen DM über das Jahr 2002 hinaus erhalten, das anderen- falls ab 2003 auf 140 Millionen DM absinken würde. Die übrigen in den Ausschussberatungen vorgenom- menen Änderungen zum Gesetzentwurf belegen einmal mehr, dass Ihre Ökosteuer zu ständigen Kurskorrekturen und Nachbesserungen zwingt. Dabei haben die Ökosteuer im jetzigen Rechtszustand und die Verwendung der damit vereinnahmten Steuergelder mit ordnungspolitischem Lenken im eigentlichen Sinne ohnehin nichts zu tun. Al- lein deshalb war die Ökosteuer von Anfang an ein Vor- täuschen falscher Tatsachen. Ich wette mit Ihnen: Wenn mit der nächsten Ökosteuererhöhung die Preisspirale wie- der anzieht und die Benzinpreise nach oben treibt, dann wird nicht nur die Ökosteuer, dann wird auch dieses Ge- setz wieder auf den Prüfstand kommen. Denn weiter stei- gende Energiekosten verschärfen die ohnehin schon be- stehenden Wettbewerbsnachteile unserer Land- und Forstwirtschaft noch mehr. Weitere Belastungen aber können diesem für die Erhaltung unserer Kulturland- schaft, für die Erhaltung unserer Heimat mit ihrem typi- schen Landschaftsbild so wichtigen Berufsstand nicht zu- gemutet werden. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die endgültige Einführung des Agrardiesels ist ein Durch- bruch in der Agrarbesteuerung. Zum einen wird eine not- wendige Unterstützung der deutschen Landwirtschaft Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117488 (C) (D) (A) (B) endlich auf eine steuersystemkonforme und gerechte Ba- sis gestellt. Ein Agrardiesel, der von der Besteuerung her zwischen dem Treibstoff für stationären Verbrauch in der (Industrie-) Produktion und dem für Straßenverkehr liegt, ist eine längst überfällige Anpassung an die Realitäten. Die alte Rückerstattungsregelung „Gasölbeihilfe“ dage- gen hat sich als Dauerbrenner in den Haushaltsdiskussio- nen und als innovationshemmend auf die Entwicklung und den Einsatz alternativer Treibstoffe erwiesen. Gleichzeitig wird der Landwirtschaft in einer unge- rechten Wettbewerbssituation effektiv geholfen. Die EU- Nachbarländer subventionieren für ihre Landwirtschaft die Energiepreise massiv herunter. Das ist in einem ge- meinsamen Markt mit einheitlichen Erzeugerpreisen nicht länger hinzunehmen. Diese Bundesregierung geht daher – ganz im Gegensatz zu ihren Vorgängern – die eu- ropaweite Harmonisierung der Energiepreise auch in der Landwirtschaft energisch an. Und: Trotz eines konse- quenten Kurses der Haushaltskonsolidierung stellen wir für die Übergangszeit bis zur Harmonisierung erhebliche Mittel für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft bereit, in den nächsten drei Jah- ren allein 2,3 Milliarden DM für die Bereitstellung wett- bewerbsfähiger Energiekosten. Noch dramatischer als bei der Landwirtschaft ist die Wettbewerbsverzerrung beim Garten- bzw. Unterglasan- bau. Deshalb wird die Bundesregierung dem Garten- bzw. Unterglasanbau und der Speisepilzerzeugung in den nächsten drei Jahren die Heizölsteuer erlassen. Mit insge- samt 60 Millionen DM pro Jahr sollen die Energiekosten für den Unterglasanbau wettbewerbsfähiger gestaltet werden. Damit und mit den gleichzeitig angebotenen Energiesparprogrammen haben wir dazu beigetragen, dass der Gartenbau bei uns eine Zukunft hat. Zusammen mit den zusätzlichen Haushaltsmitteln ge- ben die Bundesregierung und insbesondere Ministerin Renate Künast und Minister Hans Eichel der Landwirt- schaft und ihrer zukunftsfähigen Entwicklung eine deut- liche Unterstützung. Im Gegensatz dazu macht sich die Opposition aus CDU/CSU und F.D.P. heute in dieser Debatte restlos un- glaubwürdig. Zunächst haben sie zwei Jahrzehnte lang in der Regierungsverantwortung die immer größer werden- de Wettbewerbsverzerrung verschuldet. Energiepreissub- vention für Energiepreissubvention der Nachbarn wurde von CDU/CSU und F.D.P. ratifiziert und der Bundeshaus- halt ohne Rücksicht auf die Folgen geplündert. Heute schreien sie, die deutsche Landwirtschaft müsste mit viel mehr Geld unterstützt werden, und lehnen nicht nur die notwendige grundsätzliche Neuorientierung der Agrarför- derung, sondern sogar den Antrag zur Herabsetzung des Steuersatzes für Agrardiesel ab, wie in dieser Woche im Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft geschehen. So viel Heuchelei wird ihnen si- cherlich bei den Bauern viele Freunde einbringen. Marita Sehn (F.D.P.): Wahrscheinlich ist sich Frau Höfken nicht einmal bewusst, wie Recht sie mit dem Satz hat: „Die Landwirte sind für die Koalition die Träger der Energiewende.“ Die einzige echte Energiewende, die ich bislang erkennen kann, ist die zu immer höheren und wett- bewerbsverzerrenden Kraftstoffpreisen für die Landwirt- schaft. Und als ob die gestiegenen Rohstoffpreise nicht schon Sparanreiz genug wären, setzt die Regierung mit der Ökosteuer noch einen oben drauf. Die Landwirte, die bereits die Agrarwende tragen – oder sollte ich sagen: ertragen –, sind nun auch noch Träger der Energiewende. Beide Wenden gleichen sich zumindest in einer Beziehung: Sie kosten die deutsche Landwirtschaft sehr viel Geld. Wenn Frau Höfken dann noch betont, dass die Regierung eine ökonomisch lebens- fähige Landwirtschaft will, dann ist das zumindest in die- sem Zusammenhang bestenfalls Zynismus. Die Regierungskoalition bejammert unisono die unter- schiedlichen Wettbewerbsbedingungen in Europa. Frau Wright stöhnt: „Wir sind doch nicht auf einem Basar, wo ein ,Wer bietet weniger’ ein geeignetes Instru- ment europäischer Politik ist.“ Ist Frau Wright in dersel- ben Partei wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsi- dent Wolfgang Clement? Herr Clement hat anscheinend weniger Probleme mit einem „Wettbewerb der Regionen bzw. Länder“. Ein wesentliches Merkmal des Wettbewer- bes ist nun einmal das „Wer bietet mehr“? bzw. „Wer bie- tet die besseren Produktionsbedingungen?“ Die finanzi- elle Belastung der Unternehmen ist dabei nun einmal ein ganz zentraler Punkt in diesem Wettbewerb. Natürlich, wenn man unter Wirtschaftspolitik vor al- lem Reformen à la Betriebsverfassungsgesetz versteht, wird es einem nie gelingen, die Wirtschaft wettbewerbs- fähig zu machen. Wenn die Bundesregierung ein Problem damit hat, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Wirtschaft eine faire Chance hat, in diesem Wettbe- werb zu bestehen, dann ist dies allerdings ein Grund zum Klagen. Frau Westrich hat in ihrer Rede zur ersten Lesung da- rauf hingewiesen, dass die Unterglasbetriebe froh darüber sind, nicht am Subventionstropf hängen zu müssen. Glaubt Frau Westrich denn wirklich, dass es für die Land- wirte ein Vergnügen ist, bei der Regierung um Unterstüt- zung zu bitten, insbesondere wenn diese zunächst großzü- gig versprochen wird und dann nur teilweise und auch noch verspätet eingehalten wird? Man kann es der Koali- tion gar nicht oft genug sagen: Bei der Agrardieselbe- steuerung geht es nicht darum, der Landwirtschaft Geld zu geben, sondern ihr weniger zu nehmen. Unsere Landwirte stehen im Wettbewerb und sie wol- len sich diesem auch stellen. Aber ein echter Wettbewerb ist nur gegeben, wenn die gleichen Regeln gelten. Während die Landwirte in einigen Ländern sprinten dürfen, müssen unsere Hürdenlaufen. Die Regierung stellt dabei ständig neue Hürden auf: Ökosteuer, 630- Mark-Gesetz, Reduktion der Mittel für die Gemein- schaftsaufgabe Küstenschutz, Modulation, Lückenindi- kation, Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Die Liste ist endlos. Frau Höfken hat eine absolute intellektuelle Glanzleis- tung vollbracht, indem sie erklärt hat: Der Agrardiesel ist etwas billiger als der normale Kraftstoff, da die Land- wirte mit ihren Traktoren die Straßen auch nur ein wenig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17489 (C) (D) (A) (B) benutzen. Dies zeigt zumindest eines: Es sind schon veri- table geistige Klimmzüge nötig, um diese Agrardieselre- gelung zu rechtfertigen. Die geistigen Verrenkungen zur Rechtfertigung Ihrer Regelung überlassen wir Ihnen. Wir sagen klipp und klar: Wer die ganze Hand verspricht, kann nicht nur den klei- nen Finger reichen. Der jetzt vorgeschlagene Steuersatz von 50 Pfennigen pro Liter ist ein Feigenblatt, welches bei weitem nicht ausreicht, die Blöße dieser Regierung zu be- decken. Wir Liberale machen da nicht mit und lehnen des- halb den Gesetzentwurf ab. Kersten Naumann (PDS): Die in der ersten Lesung des vorliegenden Änderungsgesetzentwurfes zu Protokoll gegebenen Reden habe ich aufmerksam gelesen. Das reizte mich schon, heute meinen Standpunkt zu einigen Aussagen darzulegen. An die Kollegin Heidi Wrigth gerichtet: Ich bin ein- verstanden, dass eine höhere Mineralölsteuer als in den Vorjahren den verstärkten Einsatz von biogenen Treib- und Schmierstoffen stimulieren wird. Dafür hat jede ver- antwortliche Politik – mit Blick auf die Nutzung endlicher Ressourcen sowie ökologische und ökonomische Kreis- läufe – zu sorgen. Allerdings halte ich die Aussage, dass der Biodiesel mit einem erreichten Volumen von 400 000 Tonnen „boomt“, für reichlich übertrieben. Die absolute Zahl klingt zwar gewaltig, dennoch stehen wir erst am Anfang dieser neuen Entwicklung. Mit 400 000 Tonnen hat der Biodiesel bei einem Diesel-Jah- resverbrauch der deutschen Landwirtschaft von 2 Milliar- den Litern einen Anteil von lediglich 0,02 Prozent. Erinnern will ich daran, dass ich mich in der ersten Be- ratung des Agrardieselgesetzes im vergangenen Oktober gegen die populistische Forderung des Bundesfachaus- schusses Agrarpolitik der CDU nach einem Mineralöl- steuersatz von 12 Pfennigen je Liter gewandt habe. Eine Entsprechung dieser Forderung, die mit der Sicherung der Chancengleichheit der deutschen Landwirte im europä- ischen Wettbewerb begründet wurde, hätte doch jeden Ansatz in Richtung alternativer Energieträger erstickt und so den Landwirten die Zukunftschance, sich auch als Energiewirt zu profilieren, genommen. Auch wäre das kein Beitrag zum Aufbrechen der immer noch tief ver- wurzelten Subventionsmentalität gewesen. Zu einer komplexen Betrachtung gehört natürlich, die Einkommenssituation der Landwirte, die eng mit der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft auf dem EU- Binnenmarkt verknüpft ist, im Blick zu haben. Deshalb wollte die PDS-Fraktion durch den Änderungsantrag zum Entwurf des Agrardieselgesetzes erreichen, dass höchs- tens 47 statt 57 Pfennig im Gesetz festgeschrieben wer- den, also eine Reduzierung um mindestens 10 statt der jetzt vorgesehenen 7 Pfennig je Liter. Ich erkenne an, dass die Koalitionäre schließlich doch noch über ihren Schatten gesprungen sind. Was Ihnen jedoch höchst peinlich sein sollte, ist die Art und Weise, wie Sie die 7 Pfennig politisch verkaufen. Da ist von „Absenkung“ die Rede, was zwar formal – in Be- zug auf das Gesetz – stimmt. Real aber kommt für die Landwirte ein „Anstieg“ und damit eine höhere Kosten- belastung heraus. Der erhebliche Anstieg gegenüber den Vorjahren wird nur verringert. Versuchen Sie also nicht länger, der Öffentlichkeit ein X für eine U vorzumachen. Die entscheidende Frage ist, ob die 7 Pfennig ausrei- chen werden, oder – ob nicht doch aus Wettbewerbs- und Einkommensgründen – eine weitere Korrektur erforder- lich werden könnte. Mir scheint eine solche vorprogram- miert, insbesondere weil derzeit keine tatsächlich sub- stanzielle Initiative der Bundesregierung – und erst recht keine aussichtsreiche – zur Harmonisierung der Steuer- politik erkennbar ist. Zumindest hätte ich es etwas konkreter, was die Aus- sage zur ersten Lesung betrifft, nach der die Bundesregie- rung sich „unmissverständlich und vehement dafür ein- setzt, dass es endlich zu einer Harmonisierung der Energiebesteuerung in der EU kommt“. Für den wahrscheinlichen Fall, dass keine rasche EU- weite Steuerharmonisierung zustande kommt, mahne ich an, dass die Bundesratsforderung aufgegriffen wird, die nach zwei Jahren im Bereich des Gewächshausanbaus frei werdenden 60 Millionen DM aus der teilweisen Vergü- tung der Mineralölsteuer für Heizöl und Erdgas für einen weiteren Absenkungsschritt beim Agrardiesel – von 3 auf 47 Pfennig je Liter – zu verwenden. Da der PDS-Fraktion die Änderung nicht weit genug geht, werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (Tagesordnungspunkt 25) Marlene Rupprecht (SPD): Seit vielen Jahren besteht für junge Menschen, die sich bewusst für andere Men- schen oder für die Umwelt einsetzen wollen, die Mög- lichkeit, ein so genanntes freiwilliges soziales Jahr, ein freiwilliges ökologisches Jahr oder einen freiwilligen Dienst im europäischen Ausland abzuleisten. Junge Menschen zwischen dem 17. bzw. dem 16. und dem 27. Lebensjahr können einen Freiwilligendienst für zwölf Monate – mindestens sechs Monate – absolvieren. Sie erhalten in dieser Zeit von den Trägern – zum Beispiel in Bayern: Arbeiterwohlfahrt, BRK, Berufliches Fortbil- dungszentrum der Bayerischen Arbeitgeberverbände, der DPWV evangelische Jungendsozialarbeit, Internationaler Bund für Sozialarbeit, Katholische Landesarbeitsgemein- schaft freiwilliges soziales Jahr, Lebenshilfe für geistig Behinderte, Malteser Hilfsdienst, oberdeutsche Provinz SJ, Jeusuit European Volunteers usw. – ein Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung. Ihre Sozialversicherungs- beiträge wie Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung wer- den von den Trägern übernommen. Außerdem bleibt für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117490 (C) (D) (A) (B) die Dauer des freiwilligen Dienstes der grundsätzliche Anspruch auf Kindergeld erhalten. Die Idee des sozialen Jahres wurde 1954 aus der Not geboren: Es herrschte Lehrstellenmangel für Jugendliche und gleichzeitig großer Personalmangel in den pflegeri- schen und sozialen Einrichtungen der Bundesrepublik. Der Aufruf der Diakonie, ein Jahr des Lebens für andere zu opfern, wurde nach und nach von vielen Wohlfahrts- verbänden übernommen. Im Zuge des stetig steigenden Zuspruchs verabschiedete der Bundestag 1964 das Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres. Es gibt die steuerrechtlichen und finanziellen Rahmen- bedingungen vor, regelt die möglichen Einsatzfelder und legt außerdem alle Träger verbindlich darauf fest, eine pädagogische Begleitung durchzuführen. Im Kinder- und Jugendplan finden diese gesetzlichen Regelungen ihre fördertechnische Umsetzung, auch für das seit 1993 be- stehende freiwillige ökologische Jahr. Das BMFSFJ hat für das Jahr 2001 21,7 Millionen DM dafür in den Haus- halt eingestellt. In all den Jahren wurden die freiwilligen Dienste stark nachgefragt und von den Teilnehmerinnen, es sind über- wiegend Mädchen, die ein FSJ oder FÖJ machen, als sehr positive Lebenserfahrung wahrgenommen. So hat sich die Zahl der Jugendlichen von 7 100 in Jahr 1993 auf rund 13 000 im Jahr 1999 erhöht. Der vorgelegte Antrag stößt mit seinen Forderungen genau in die im Folgenden festzustellende Lücke des be- stehenden Systems: Die an den Programmen teilnehmenden Jugendlichen sind fast ausschließlich Abiturienten; junge Menschen mit Hauptschulabschluss gibt es faktisch nicht in den Freiwil- ligendiensten. Ursache für das Fehlen dieser jugendlichen Gruppe ist aber nicht ein Desinteresse an diesen Pro- grammen, sondern die gesetzlich vorgeschriebene Min- destaltersgrenze. Der vorliegende Antrag erfüllt mit sei- ner Forderung, den Zugang zu den Freiwilligendiensten nicht an eine Altersgrenze zu binden, sondern diese Al- tersgrenze durch den Begriff „nach Erfüllung der Voll- zeitschulpflicht“ zu ersetzen unser Anliegen, die Dienste für alle Jugendlichen zu öffnen. Auch die zweite Forderung des Antrags, den Bereich der Freiwilligendienste auch auf Israel auszudehnen, kann im Grunde bejaht werden. Wir haben festgestellt, dass im- mer mehr junge Menschen auch in außereuropäischen Ländern Freiwilligendienste erbringen wollen, die ge- setzlichen Rahmenbedingungen dies aber nicht zulassen. Die Bundesregierung arbeitet zurzeit an einer Überar- beitung der Freiwilligengesetze und wird die Vorschläge des Bundesratsentwurfs mit einarbeiten. Die Eckpunkte dieser Novelle beinhalten eine Ausweitung der Aufga- benfelder, die geforderte Altersabsenkung und die räum- liche Ausdehnung auf außereuropäische Länder. Mit die- sen Maßnahme sollen gleichzeitig mehr Stellen für Freiwilligendienste geschaffen werden. Es ist unbestritten, dass freiwilliges soziales und öko- logisches Engagement zur persönlichen Entwicklung der teilnehmenden Jugendlichen beiträgt. Sie kann ebenfalls zur Berufsfindung und -orientierung beitragen. In einer Welt, in der Verantwortungsbewusstsein, Offenheit und Flexibilität zur Lebensbewältigung und auch zur Lebens- qualität beitragen, kann ein freiwilliger Dienst – auch im Ausland – die „beste Schule fürs Leben“ sein. Im Jahr des Ehrenamtes bekommt eine Novelle des Freiwilligengesetzes eine weitere wichtige Dimension: Eine Bürgergesellschaft braucht engagierte junge Men- schen. Wir wollen ihnen mit einer Reform der Gesetze die richtigen Rahmenbedingungen für den Einstieg ins Ehren- amt schaffen. Der vorliegende Gesetzentwurf wird in der Novelle seine entsprechende Berücksichtigung finden. Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zukunft unseres Landes und unserer Demokratie wird wesentlich davon abhängen, ob sich eine lebendige Zivil- gesellschaft entwickelt. Freiwilliges Engagement ist Teil des „sozialen Kitts“, der die Gesellschaft zusammenhält. Dies gilt gerade für das Engagement junger Menschen im Freiwilligendienst. Im Internationalen Jahr der Freiwilligen ist die Verbes- serung der Rahmenbedingungen für freiwilliges Engage- ment angesagt. Das werden meine Fraktion und die Kol- leginnen und Kollegen der SPD mit der Novellierung der FSJ- und FÖJ-Gesetzgebung umsetzen. Es gab für das freiwillige soziale und ökologische Jahr in der Vergangenheit mindestens doppelt bis dreifach so viele Bewerbungen junger Menschen, die sich bundes- weit oder international engagieren wollen, wie Plätze vor- handen sind. Auch wenn die Zahlen aktuell leicht gesun- ken sind, sollten wir gerade dies zum Anlass nehmen, um freiwilliges Engagement attraktiver zu machen. Wir werden deshalb mit der Novellierung die Auswei- tung der Tätigkeitsfelder, die Internationalisierung sowie eine Verbesserung der sozialen und rechtlichen Absiche- rung im Freiwilligendienst umsetzen. Wir werden die po- sitiven Vorschläge des Bundesrates hier aufnehmen. Meine Fraktion begrüßt den Antrag; wir wollen aber mehr. Freiwilligendienste sind keine Arbeitsdienste; Freiwil- ligendienste sind und bleiben Lerndienste. Alles andere hätte aus jugendpolitischer Sicht nachhaltig negative Konsequenzen. Bündnis 90/Die Grünen lehnen es deshalb ab, Jugend- lichen im Namen des Gemeinwohls das Gefühl zu geben, als „billige Arbeitskraft“ oder eben als „sozialer Ausfall- bürge“ missbraucht worden zu sein. Ich denke, das kann keine Partei in diesem Hause wollen. Grundlage für meine Fraktion ist der Lerncharakter des freiwilligen Jahres. Für uns steht fest, dass Jugendliche nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht bis zu ihrem 27. Lebensjahr in sozialen und ökologischen Bereichen ein sozial abgesichertes freiwilliges Jahr machen können. Wir wollen aber auch eine Öffnung für Tätigkeitsfelder im Bereich Kultur und Sport und wir wollen einen Freiwilli- genstatus. Eine grundsätzliche Novelle ist schon deshalb wichtig, da wir die soziale Absicherung von jungen Frauen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17491 (C) (D) (A) (B) Männern im Ausland verbessern wollen. Für Freiwillige im In- und Ausland gilt auch, dass das Kindergeld weiter bezahlt wird. Um die Erfahrungen und Kompetenzen, die Jugendli- che im freiwilligen Jahr sammeln, auch formal verwend- bar zu machen, wollen wir ein Zertifikat, das ihre Arbeit dokumentiert. Freiwilliges Engagement bedeutet für viele Jugendliche eben auch praktische Erfahrung und Orien- tierung bei der späteren Berufswahl zu sammeln. Die Chancen des freiwilligen Engagements im Aus- land haben auch für uns im Inland eine sehr große und wichtige Bedeutung. Gerade die Erfahrungen der jungen Menschen in der Erinnerungsarbeit sind wichtig im Kampf gegen Rechtsradikalismus. Junge Menschen, die – wie bei Aktion Sühnezeichen – mit Holocaust-Überle- benden arbeiten oder wichtige Aufgaben in Gedenkstätten übernehmen, die in interkulturellen Einrichtungen in Is- rael, in Polen oder in der Tschechischen Republik arbeiten, leisten mit ihrem Freiwilligendienst einen entscheidenden Beitrag zur Demokratisierung unserer Gesellschaft und zur Völkerverständigung insgesamt. Die Vorlage des Bundesrates möchte ich aber auch zum Anlass nehmen, darauf hinzuweisen, dass es nicht nur bei warmen Worten der Länder zur Förderung der Freiwilli- gendienste bleiben darf. Bund und Länder finanzieren die Dienste. Wollen wir also wirklich etwas zur Ausweitung der Freiwilligendiens- te tun, müssen wir auch bereit sein, mehr Geld zur Verfü- gung zu stellen. Dieses Geld wäre gut investiert: inves- tiert in die Stärkung der Zivilgesellschaft und investiert in die Erweiterung der persönlichen, aber auch beruflichen Perspektiven junger Menschen. Klaus Haupt (F.D.P): Das Jahr 2001 ist von den Ver- einten Nationen zum Jahr der Freiwilligen ausgerufen worden. In Deutschland ist die Bereitschaft zum freiwil- ligen Engagement in großem Maße vorhanden. Ohne eh- renamtlichen oder freiwilligen Einsatz der Menschen in unserem Land ist unsere Gesellschaft nicht lebensfähig. Auch die Demokratie lebt von der freiwilligen Mitarbeit der Bürgerinnen und Bürger. Besonders wichtig ist dabei das Engagement der jun- gen Menschen. Sie sind bereit, sich sozial und ökologisch zu engagieren, wenn sie dabei das Gefühl haben, etwas Sinnvolles und Erfolgversprechendes zu tun. Für die ge- setzlich geregelten Freiwilligendienste gibt es mehr Be- werber als freie Stellen. Die Zahl der geförderten Jugend- lichen hat sich in den letzten acht Jahren fast verdoppelt. Die F.D.P. begrüßt, dass nun mit der vorliegenden Bun- desratsinitiative zwei Kritikpunkte an der bisherigen Ge- setzgebung zum freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahr ausgeräumt werden: Einerseits wird die Altersgrenze vereinheitlicht und auf die Dauer der Vollzeitschulpflicht abgestimmt. Das ermöglicht auch Hauptschülern, unmit- telbar im Anschluss an die Schule ein solches Freiwilliges Jahr abzuleisten. Wir meinen, dass gerade Jugendliche mit Hauptschulabschluss verstärkt die Chance haben soll- ten, sich – auch im Ausland – sozial zu engagieren. Ge- rade für die weniger privilegierten Jugendlichen ist dies eine Möglichkeit, Solidarität, Toleranz, Selbstbewusst- sein und Eigeninitiative zu trainieren. Das andere durch die vorliegende Initiative bewältigte Problem ist, dass die Ableistung eines solchen Jahres auch in Israel ermöglicht wird. Bisher ist dies nur im europä- ischen Ausland möglich. Beide Forderungen finden un- sere Unterstützung. Das alleine reicht jedoch nicht. Es muss ein umfassendes Gesetz zur Regelung der Freiwilligendienste folgen. Die F.D.P. bedauert deshalb, dass die Bundesregierung mit der Vorlage eines Referen- tenentwurfs noch nicht weiter vorangekommen ist. So- wohl die verhaltene Stellungnahme zum vorliegenden Bundesratsentwurf als auch zur Kleinen Anfrage meiner Fraktion zum Thema Freiwillige Dienste klingen durch- aus vage. Gerade die Freiwilligendienste im Ausland sind aber nicht einfach über das Freiwillige soziale bzw. ökologi- sche Jahr allein zu regeln, sondern finden derzeit Grund- lagen auch zum Beispiel im Zivildienstgesetz. Zivildienst und freiwillige soziale Dienste dürfen aber nicht ver- mischt werden. Hier halten wir Liberalen ein grundlegen- des Gesetz zu den Freiwilligen Diensten für angezeigt, dass den unterschiedlichen Bedürfnissen in den verschie- denen Diensten differenziert gerecht wird. Es sollte auch die soziale Absicherung regeln, darf aber keinesfalls zur Sozialversicherungspflicht führen. Denn: Freiwillige sind keine Arbeitnehmer. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ihren für dieses Jahr versprochenen Referentenentwurf möglichst bald vorzulegen. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, um das freiwillige Engagement von Jugendlichen zu unter- stützen und zu fördern! Sabine Jünger (PDS): Die Probleme der Freiwilli- gendienste sind seit langem bekannt. Wir alle warten da- her seit geraumer Zeit auf das angekündigte Freiwilligen- gesetz, das die verschiedenen Dienste einheitlich regelt und vor allem die Situation der jugendlichen Teilnehme- rinnen und Teilnehmer verbessert. Leider legt die Bun- desregierung außer leeren Versprechungen und gelegent- lichen Pressemitteilungen zum Jahr der Freiwilligen nichts vor. Wer Freiwilligendienste wirklich stärken will, der sollte das nicht nur bei jeder Gelegenheit laut sagen, son- dern dem auch entsprechende Taten folgen lassen. Aktu- ell fährt der Zug hinter den Kulissen jedoch in die völlig entgegengesetzte Richtung. Die Bundesjugendministerin Frau Dr. Bergmann und ihr Ministerium fordern in der Öf- fentlichkeit immer wieder, dass mehr Haupt- und Real- schülerinnen und -schüler an den Freiwilligendiensten teilnehmen sollen. Das gleiche Ministerium hat unlängst eine Verfügung erlassen, die bereits ab 1. September die- ses Jahres die Bedienungen für die gesetzlich festgelegte pädagogische Betreuung der Freiwilligen im ökologi- schen Jahr verschlechtert. Ab dann soll eine pädagogische Fachkraft nicht mehr wie bisher 35 Jugendliche betreuen, sondern 40 (vierzig!). Wie um alles in der Welt wollen Sie denn unter diesen Bedingungen 15- oder 16-jährigen so- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117492 (C) (D) (A) (B) zial benachteiligten Jugendlichen in den Kursen gerecht werden? Aber es kommt ja noch dicker: Bestätigten Informatio- nen zufolge denkt die Bundesregierung derzeit darüber nach, die Zuschüsse für die Seminare im freiwilligen öko- logischen Jahr von 280 DM pro Teilnehmerin um über die Hälfte auf 130 DM zu kürzen. Damit hat sich die Bil- dungsarbeit ohnehin quasi erledigt, weil die Trägerver- eine keine angemessenen Tagungsräume mehr finanzie- ren können. Es ist doch nicht damit getan, einfach die Grenzen für das Zugangsalter zu den freiwilligen Jahren zu senken, wie es auch der Bundesrat im vorliegenden Gesetzent- wurf beabsichtigt. Je jünger die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind und je kürzer ihre Schulbildung, desto mehr Gewicht liegt doch auf der pädagogischen Beglei- tung. Das freiwillige soziale Jahr und das freiwillige öko- logische Jahr sind ein Bildungsangebot für Jugendliche. Den jungen Freiwilligen werden hier wichtige soziale Er- fahrungen vermittelt. Gleichzeitig leisten sie der Gesell- schaft mit ihrer Arbeit einen großen Dienst. Sie haben es nicht verdient, dass man ihr Engagement kaputtspart oder dass sie als Manövriermasse wahlweise die Lücken in un- serem sozialen Netz stopfen sollen oder die Statistiken der Jugendarbeitslosigkeit schönen, weil sie ein Jahr lang dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wende ich mich ausdrücklich gegen die geplante Verlängerung der Höchstdauer des freiwilligen ökologischen Jahres auf 18 Monate. Ein jugendpoliti- sches Programm soll Jugendliche befähigen und nicht parken! Die Diskussion um die Neuregelung der Freiwilligen- dienste tobt ja nun seit einiger Zeit und in ihrem Verlauf werden immer neue Begehrlichkeiten laut. Ich fordere die Bundesregierung deshalb nachdrücklich auf, jetzt endlich ein Gesetz vorzulegen, das diese Dienste stärkt und die beteiligten Jugendlichen materiell und sozial deutlich besser stellt. Dr. Friedhelm Repnik, Minister (Baden-Württem- berg): Die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft hängt entscheiden davon ab, ob es gelingt, den Bürgerinnen und Bürgern klar zu machen, dass der Staat nicht alles für sie richten kann. Im Gegenteil: Unserem föderalen Staatssys- tem liegt das Prinzip der „Subsidiarität“ zu Grunde. Das bedeutet vereinfacht gesagt: so viel Eigenverantwortung wie möglich und nur so viel Staat wie nötig. Unsere Ge- sellschaft ist angesichts der anstehenden sozialen und de- mographischen Herausforderungen ohne den aktiven Ein- satz ihrer Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwohl in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht zukunfts- fähig. Das heißt aber auch auf Seiten der Politik den Men- schen Mitwirkungsmöglichkeiten zu geben, Gestaltungs- spielräume zu eröffnen und Verantwortung zu übertragen. Den jungen Menschen wird durch Wehr-, Zivil- und Freiwilligendienste bewusst, dass eine funktionierende Gesellschaft mehr ist als die Summe aller Individuen. Jedes Jahr leisten alleine in Baden-Württemberg über 15 000 junge Männer ihren Zivildienst und knapp 2 300 junge Menschen ihr freiwilliges soziales und öko- logisches Jahr in Bereichen ab, in denen sie sonst ver- mutlich nie gearbeitet hätten. Viele lernen Schattenseiten des Lebens kennen. Sie arbeiten mit Menschen, die sie sonst möglicherweise gar nicht wirklich wahrgenommen hätten. Bei all dem erleben sie Hoffnungen, Erfolge und Freude genau so wie Enttäuschungen, Rückschläge und Trauer. Sie engagieren sich in konkreten Projekten für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Ich bin fest überzeugt, dass diese Dienste prägenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen haben. Da- rauf sollte eine Gesellschaft nicht verzichten. Viele junge Menschen engagieren sich nach ihrem Zivildienst oder freiwilligen Jahr weiter oder ergreifen sogar einen Beruf im sozialen Bereich. Angesichts des Fachkräftebedarfs in den Pflegeberufen ist dies ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt. Ich sehe deshalb die Gefahr, dass mit der derzeitigen Aushöhlung von Wehr- und Ersatzdienst dieses gesell- schaftliche Engagement schwindet. Einer zunehmenden Individualisierung muss jedoch gegengesteuert werden. Wir dürfen nicht reduziert werden auf eine „Spaßgesell- schaft“, in der alte, kranke und behinderte Menschen aus der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet werden. Daher müssen wir vollkommen unvoreingenommen prüfen, ob bei einer weiteren Erosion von Wehr- und Zi- vildienst nicht die Einführung eines verpflichtenden Ge- sellschaftsjahres eine Alternative bieten könnte. Hierzu habe ich die dazu notwendige Diskussion auf Landes- ebene bereits angestoßen: Natürlich müssen wir die viel- fach geäußerten Bedenken gegen ein Pflichtjahr, z. B. die verfassungsrechtlichen Fragen, ernst nehmen. Anderer- seits gilt es aber auch den Nutzen zu verdeutlichen. In der konkreten Ausgestaltung geht es darum, gerechte Lösun- gen zu finden. Es gilt zum Beispiel die unterschiedlichen Lebenssituationen junger Frauen und Männer zu berück- sichtigen. Eine kurzfristige Realisierung ist daher nicht zu erwarten. Dennoch sollten wir den Mut zu einer unvor- eingenommenen öffentlichen Diskussion haben. Zunächst müssen wir uns aber auf diejenigen Bereiche konzentrieren, in denen es uns bereits heute möglich ist, erste konkrete Schritte zur Verbesserung der Rahmenbe- dingungen für freiwilliges soziales Engagement in die Wege zu leiten. Baden-Württemberg ist da auf einem guten Weg. Al- lein in den letzten fünf Jahren haben wir gemeinsam mit Landkreisen, Städten und Gemeinden ein Landesnetz- werk zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements aufgebaut. Auf kommunaler Ebene fördern wir Anlauf- stellen für bürgerschaftliches Engagement, örtliche und überörtliche Kooperationsprojekte sowie Schulungen und Fortbildungsangebote. Erfolgreich sind wir dann, wenn wir auch die Genera- tion der Jugend erreichen. Das freiwillige soziale Jahr wie auch das vor zehn Jahren eingeführte freiwillige ökologi- sche Jahr sind für mich sozialpolitisch wichtige Instru- mente. Die Jugend erhält die Chance, hautnah zu erleben, dass das Leben weder im virtuellen Raum des Internets stattfindet noch sich auf rein ökonomische Größen wie Konsum, berufliche Karriere und globalen Wettbewerb reduzieren lässt. Ich kann mir kaum einen besseren Weg Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17493 (C) (D) (A) (B) vorstellen, die Werteordnung in unserer Gesellschaft zu vermitteln, weil sie so unmittelbar erlebbar wird. Jeder fünfte Teilnehmer am FSJ kommt aus Ba- den-Württemberg. Darauf sind wir stolz. Andererseits ist die Zahl von 2 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchaus noch ausbaufähig. Bei noch genauerer Be- trachtung stellen wir nicht nur fest, dass die Mehrzahl junge Frauen sind, sondern sich überwiegend Abiturien- tinnen um einen FSJ-Platz bewerben. Meine Ziele sind: Erstens noch mehr Jugendliche für ein FSJ/FÖJ zu be- geistern, zweitens die faktisch vorhandene Exklusivität des Programms für Abiturienten aufzubrechen und drit- tens das Angebot an FSJ-Stellen auszuweiten und zu ver- breitern. Die von der Baden-Württembergischen Landesregie- rung eingebrachte Bundesratsinitiative zielt darauf ab, die Zugangsvoraussetzungen zur Teilnahme am FSJ/FÖJ zu erleichtern. Jeder Jugendliche und junge Erwachsene, der dazu bereit ist, soll die Chance zur Teilnahme an diesem Programm bekommen. Kern der Ihnen vorliegenden Ge- setzesinitiative ist es daher, das Mindestalter für das FSJ und FÖJ de facto um ein Jahr herabzusetzen. Damit kön- nen auch Haupt- und Realschüler nach Ableistung ihrer Vollzeitschulpflicht verstärkt von dem Programm ange- sprochen werden. Gerade Hauptschüler – aber auch Realschüler – stecken mit 17 Jahren häufig mitten in der Ausbildung. Da wäre ein Abbruch für das freiwillige soziale Jahr unsinnig. FSJ und auch FÖJ setzen aber genau in der Phase zwi- schen Schulabschluss und Berufsausbildung an. Jugend- liche erhalten damit die Möglichkeit, die Zeit der Lehrstellen- oder Studienplatzsuche sinnvoll zu nutzen. Das FSJ kann einen wichtigen Beitrag in der für junge Menschen oft schwierigen Phase der beruflichen Orien- tierung leisten. Neben der praktischen Arbeit mit und für Menschen bietet das FSJ begleitende Bildungsseminare sowie eine pädagogische Betreuung. Das FSJ ermöglicht so in der Praxis soziales Lernen, stärkt die soziale Kom- petenz der Teilnehmer und verbessert dadurch auch die berufliche Zukunftsperspektive. In vielen Gesprächen mit Vertretern der Industrie höre ich, dass den jungen Men- schen, ob Auszubildende oder nach dem Studienab- schluss, das fehlende Fachwissen im Beruf vermittelt werden kann. Über Defizite wird dagegen im Bereich der sozialen Kompetenz und der Teamfähigkeit geklagt. Neben der Gesetzinitiative werden wir in Baden-Würt- temberg gemeinsam mit unseren Partnern nach Wegen su- chen, das freiwillige soziale Jahr noch attraktiver auszuge- stalten. Dazu gehört, die Einsatzbereiche zu überdenken und die mit dem Engagement verbundene Anerkennung zu steigern. So könnte ich mir beispielsweise vorstellen, dass die Absolvierung eines FSJ auch bei der Arbeitssuche zu einem Qualifikationsmerkmal wird. Darüber hinaus wird auch der Staat Israel als Einsatzort zugelassen, um auch auf diesem Weg zur Völkerverstän- digung beizutragen. Um es Einrichtungen und Verbänden noch schmackhafter zu machen, auch geeignete Stellen anzubieten, hatte ich außerdem vorgeschlagen, die jetzt noch sehr starren Regeln für die begleitenden Bildungs- seminare zu flexibilisieren. Leider ist der Bundesrat die- sem Vorschlag mehrheitlich nicht gefolgt. Trotzdem freue ich mich sehr, dass es im Bundesrat über die Parteigren- zen hinweg möglich war, diese Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass auch der Deutsche Bun- destag in gleicher Weise dieser guten Sache seine Zu- stimmung erteilen kann. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und ande- rer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 27) Rüdiger Veit (SPD): Zu der im PDS-Antrag ange- sprochenen Aufenthaltspflicht für Asylbewerber gäbe es vieles und auch Differenziertes zu sagen. Ich will nicht einmal ausschließen, dass eine differenzierte Betrach- tungsweise auch zu Gesetzesänderungen führen kann oder sollte. In der von der PDS vorgeschlagenen undiffe- renzierten Form wird jedoch eine Rechtsänderung des Asylverfahrensgesetzes von der SPD-Fraktion im Deut- schen Bundestag nicht mitgetragen werden. Richtigerweise wird in der Begründung des Antrages zwar kritisch allzu enges, um nicht zu sagen, gelegentlich möglicherweise sogar willkürliches Verwaltungshandeln angesprochen. Dass es auch anders und sinnvoll geht, so wie es im § 58 Abs. 6 Asyl VG vorgesehen ist, zeigt das al- les in allem praxisbezogene Verwaltungshandeln in einigen Bundesländern. Dort wird von der gesetzlichen Möglich- keit Gebrauch gemacht, die Aufenthaltsbeschränkungen für Asylbewerber eben nicht nur auf die jeweilige Kom- mune bzw. den jeweiligen Landkreis zu beschränken, son- dern auf größere Gebiete. Damit entfällt dann weitestgehend das in der Tat verwaltungsaufwendige Genehmigungs- verfahren, und die Gefahr, sich bei Verstößen gegen die Aufenthaltspflicht strafbar zu machen, ist demgemäß auch für die Asylbewerber gering. So hat beispielsweise Hessen den zulässigen Aufent- haltbereich auf den jeweiligen Regierungsbezirk ausge- dehnt, Rheinland-Pfalz erlaubt den Aufenthalt in einem Gebiet, das den früheren Regierungsbezirken entspricht, Nordrhein-Westfalen hat durch Runderlass ebenfalls die Regierungsbezirke als regionale Begrenzung gewählt und in Bremen ist der Aufenthalt auch in den angrenzenden Landkreisen Niedersachsens erlaubt. Das heißt im Übrigen: Diejenigen Bundesländer, die eine flexiblere und weniger verwaltungsaufwendige Lö- sung wollen, haben von dieser gesetzlichen Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht, und es steht keinesfalls zu er- warten, dass die anderen Bundesländer, die dies eben an- ders sehen, einer entsprechenden Rechtsänderung im Bundesrat zustimmen würden. Aus den genannten Gründen wird es wohl auch nach der heutigen zur Debatte stehenden Überweisung des PDS-Antrages und nach den Beratungen im Innenaus- schuss zu einem anderen Ergebnis nicht kommen können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117494 (C) (D) (A) (B) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Der von der PDS vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asyl- verfahrensgesetzes und anderer Vorschriften ist ein typi- scher PDS-Antrag. Er geht an der Realität vorbei und ist darauf angelegt, die Zuwanderung nach Deutschland zu erhöhen. Aber was will man von der PDS auch anderes er- warten als solche Anträge, die an die Substanz und das Selbstverständnis Deutschlands gehen? Es gibt natürlich sehr viel schlimmere Beispiele, aber dies hier ist ein wei- teres Mosaiksteinchen. Denn machen wir uns nichts vor: Würde dieser Gesetzentwurf umgesetzt, würde er gerade bei denen, die sich zu Unrecht auf politisches Asyl in Deutschland berufen wollen, ein völlig falsches Signal setzen. Weshalb kommen so viele Armuts- und Wirtschafts- flüchtlinge nach Deutschland? Weshalb haben 85 Prozent von denen, die nach Deutschland flüchten und sich auf po- litisches Asyl berufen, tatsächlich keinen Anspruch darauf? Es liegt daran, dass Deutschland mit seinem Sozialleis- tungssystem und seinen Aufenthaltsregelungen während des Asylverfahrens, auch wenn letztlich dann doch kein Anspruch auf Asyl besteht, eine Spitzenposition in Europa einnimmt. Die nach dem derzeitigen Asylverfahrensgesetz gel- tende räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung für Asylsuchende während der Dauer des Asylverfahrens kommt schließlich nicht von ungefähr. Die Bestimmungen sind im Zuge der Asylrechtsreform, des Asylkompromis- ses des Jahres 1993, eingefügt worden. Sie gehörten zu ei- nem Gesamtkonzept von Regelungen mit restriktivem Charakter, die der Beschleunigung des Asylverfahrens die- nen, gleichzeitig aber auch abschreckend auf potenzielle Wirtschaftsflüchtlinge wirken sollen. Die gesetzlich ange- ordnete räumliche Beschränkung des Aufenthalts geht ur- sprünglich aber sogar noch weiter zurück. Ich weiß, jetzt kommt wieder der Vorhalt, dann sei es Zeit, das zu ändern. Aber Bewährtes ändert man nicht. Man ändert nur das, was der Änderung wirklich bedarf. Einer Änderung bedarf – und darüber sind sich ja wohl alle Parteien in diesem Hause einig – die Frage der Be- grenzung und der Steuerung der Zuwanderung. Wir müs- sen das Ausländerrecht völlig überarbeiten. CDU und CSU haben dazu bereits ein entsprechendes Gesamtkon- zept vorgelegt, das wir auch hier im Bundestag einbringen und diskutieren werden. Wir warten allerdings auch noch darauf, dass die Bundesregierung bzw. die Regierungsko- alition endlich ebenfalls ihre Vorstellungen für die Ge- staltung der Zuwanderung in den künftigen Jahren vorle- gen. Bisher haben wir leider noch nichts gesehen. Es ist deshalb müßig, über den PDS-Antrag, der heute auf dem Tisch liegt, zu sprechen. Zum einen geht er in die falsche Richtung, er dient nämlich in keiner Weise der Be- grenzung der Zuwanderung. Zum anderen gehören Ände- rungen in ein Gesamtkonzept, in ein gesetzliches Maß- nahmepaket, das alle Fragen des Ausländerrechts, des Asylrechts, der Zuwanderung nach Deutschland, auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, umfasst. In ein solches Konzept gehören zuallererst Maßnah- men, mit denen die ungeregelte Zuwanderung nach Deutschland eingedämmt und reduziert wird. Nach unse- ren Vorstellungen kann man das zunächst auch ohne eine Grundgesetzänderung versuchen. Ich gehe allerdings da- von aus, dass einfachgesetzliche Regelungen zur Verfah- rensbeschleunigung, zur schnelleren Beendigung des un- rechtmäßigen Aufenthalts und auch zur Ausgestaltung des Asylverfahrens im Ergebnis nicht viel bringen werden. Nur mit einer Umwandlung des Grundrechts auf Asyl in eine institutionelle Garantie und einer gleichzeitigen Än- derung der Rechtswegegarantie werden letztlich mess- bare Erfolge zu erzielen sein. Nur so wird es möglich sein, zu einer deutlichen Reduzierung des Asylmissbrauchs zu kommen. Dennoch bin ich bereit, den Versuch mitzutra- gen, mit Änderungen unterhalb des Grundgesetzes die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: Die von der PDS beantragte Gesetzesänderung ist falsch und würde nur Nachteile bringen. Es ist deshalb nicht angezeigt, sich sehr intensiv damit auseinander zu setzen. Sehr notwen- dig ist es aber, sich mit einem umfassenden Konzept zur Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung auseinan- der zu setzen. Jedwede Diskussion um Teiländerungen ist deshalb momentan fehl am Platz. Änderungen müssen in ein Gesamtkonzept eingestellt werden, über das wir hier intensiv zu beraten haben werden. Gleichzeitig sage ich aber auch, dass bewährte Regelungen wie zum Beispiel die räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Asylbe- werbern in dem neuen, umfassenden Regelwerk auch wieder aufgenommen bzw. beibehalten werden müssen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die sogenannte Residenzpflicht für Asylbewerbe- rinnen und Asylbewerber stellt einen erheblichen Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit dar. Diese Tatsache und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Flüchtlinge mahnt meine Fraktion bereits seit Jahren an. Lassen Sie mich kurz ausführen, wie sich die räumli- chen Beschränkungen im Alltag der Flüchtling auswir- ken. Der Aufenthalt der Asylantragsteller ist räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde, in dem die für die Aufnahme zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt, be- schränkt. Grundsätzlich erlaubt ist das Verlassen des Auf- enthaltsbereichs für Termine bei Behörden und Gerichten, wenn das persönliche Erscheinen erforderlich ist. Für Termine bei Rechtsanwälten, dem UNHCR der Betreu- ungsorganisationen soll die Erlaubnis erteilt werden. Das vorübergehende Verlassen des Aufenthaltsbereichs ist auch aus anderen Gründen möglich, bedarf aber einer ge- sonderten Erlaubnis. In der Regel ist die Ausländer- behörde zuständig. Sie kann Erlaubnisse erteilen, wenn ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe dies erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte darstellen würde. Wer wiederholt ge- gen eine Aufenthaltsbeschränkung verstößt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe be- straft. Da sich die meisten Asylverfahren Monate und Jahre hinziehen, bedeutet dies für die Flüchtlinge, dass jeder Besuch bei Verwandten, Freunden, selbst jeder Arztbe- such vorher von der zuständigen Ausländerbehörde ge- nehmigt werden muss, wenn der Landkreis oder Bezirk Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17495 (C) (D) (A) (B) verlassen werden muss. Um einen Antrag bei der Auslän- derbehörde zu stellen, müssen die Flüchtlinge in der Re- gel längere Wege zurücklegen, die sie oft nur mit öffent- lichen Verkehrsmitteln bewältigen können. Für diese Anreise entstehen Kosten, die die Flüchtlinge kaum noch aufbringen können, da sie lediglich über ein monatliches Taschengeld von 80 DM verfügen. Nicht unerwähnt blei- ben soll auch die unwürdige Praxis einzelner Ausländer- behörden, für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung Gebühren zu erheben. Die Residenzpflicht in der oben genannten Form schränkt das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf politische Beteiligung unverhältnismäßig ein. Sie wird – auch vonseiten der Gerichte – gerechtfertigt mit der besseren Verteilung öffentlicher Lasten und der bes- seren Erreichbarkeit im Asylverfahren. Ein vorüberge- hender Eingriff in die Bewegungsfreiheit während der ersten Wochen des Aufenthalts, wenn die Mehrzahl der Behördentermine abzuwickeln sind, ist eventuell noch ge- rade zu rechtfertigen. Für die gesamte Dauer des Asylver- fahrens erscheint dies aber unverhältnismäßig. Eine ge- rechte Verteilung der Belastung der Kommunen und Länder durch die Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden ist keine hinreichende Begründung, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen. Hierfür sollte zunächst geprüft werden, andere Mittel, etwa finanzielle Ausgleichszahlungen, möglich sind. Unabhängig davon ist die Frage der strafrechtlichen Sanktionierung zu bewerten. Sie führt zur Straffälligkeit bei Taten, die nur Ausländer begehen können. Darüber hi- naus ist das Strafrecht kein angemessenes Mittel, um die Residenzpflicht durchzusetzen. Gegenbeispiel ist das Wohnortzuweisungsgesetz, dem Aussiedler unterliegen. Auch hier geht es darum, zwischen Ländern und Kom- munen einen Lastenausgleich bei den sozialen Kosten der Aussiedleraufnahme zu erreichen. Eine strafrechtliche Sanktionierung beinhaltet dieses Gesetz aber nicht. Zur Durchsetzung reicht es hier aus, dass die dem Gesetz un- terliegenden Aussiedler ihre Sozialhilfe nur an dem Ort erhalten können, dem sie zugewiesen sind. Der vorlie- gende Entwurf der PDS-Fraktion zur Gesetzesänderung bietet daher gute Anregungen für die weiteren parlamen- tarischen Beratungen. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Am 4. Juli 2001 wird die Süssmuth-Kommission ihren Abschlußbericht der Öf- fentlichkeit vorstellen. Dies ist eine entscheidende Zäsur für die Neuordnung der deutschen Politik in den Berei- chen Zuwanderung, Ausländer- und Asylrecht. Die F.D.P. hält es daher für richtig, bis dahin keine Entscheidungen in Detailfragen mehr zu treffen, sondern diesen Politikbe- reich mit einem Gesamtkonzept neu zu gestalten. Dennoch liegen dem Bundestag in letzter Zeit ver- schiedene Initiativen zur Änderung etwa auch asylverfah- rensrechtlicher Vorschriften vor. Nach unserer Meinung sollten all diese Detailregelungen jetzt nicht abschließend behandelt werden. Dies gilt auch für den Gesetzentwurf der PDS, der die Aufhebung der räumlichen Aufenthalts- beschränkung zum Ziel hat. Jedoch gibt dieser Entwurf Anlass für die Feststellung, dass auch die FDP diese Auf- enthaltsbeschränkung zunehmend kritisch sieht. Sie ist im Jahr 1982 eingeführt worden. Damals wollte die sozial-liberale Koalition freilich nur vorübergehend für Asylbewerber eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde vornehmen; beabsichtigt war, den Aufenthalt für das gesamte Bundesland, in dem der Asylbewerber Aufnahme fand, zu gestatten. Hierzu ist es jedoch in einem Vermittlungsverfahren nicht gekom- men. Vielmehr wurde die heute noch gültige, engere Ge- setzesfassung beschlossen, die in der Folgezeit bei den je- weiligen Änderungen im Asylrecht nicht mehr angetastet worden ist. Es stellt sich aber die Frage, ob die Einschränkung der Freizügigkeit von Asylbewerbern noch zeitgemäß ist. Der Verwaltungs- und Kontrollaufwand ist groß. Demgegen- über wird der eigentliche Zweck der Vorschrift, nämlich für eine raschere Durchführung von Asylverfahren zu sor- gen, nicht sonderlich gefördert. Es könnte sehr wohl bei der Wohnortzuweisung blei- ben und dennoch gleichzeitig die Aufenthaltsbeschrän- kung gelockert werden. Denkbar wäre, nur die länger als eine Woche andauernde Entfernung vom Wohnort erlaub- nispflichtig zu machen. Damit wäre der Verwaltungsauf- wand, der jetzt bei kürzeren Reisen von Asylbewerbern erforderlich ist, vermieden. Organisationen wie UNHCR, Amnesty International, DRK und das Kommissariat der Katholischen Bischöfe haben sich daher schon in den 80er Jahren dafür ausge- sprochen, dass jedenfalls die kurzfristige Abwesenheit vom Aufenthaltsort straffrei bleiben sollte. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die F.D.P.- Fraktion dafür eintritt, Asylbewerbern sofort eine Arbeits- erlaubnis zu erteilen. In vielen Fällen erfordert die Auf- nahme einer Arbeit jedoch eine gewisse Mobilität. Damit lässt sich die derzeit geltende starre Aufenthaltsbeschrän- kung schwerlich vereinbaren. Ulla Jelpke (PDS): „Residenzpflicht“ ist ein Begriff aus dem alltäglichen Leben von Flüchtlingen in Deutsch- land. Asylsuchende werden für die Dauer des Anerken- nungsverfahrens einer Kommune zugewiesen. Den Be- reich der für sie zuständigen Ausländerbehörde dürfen sie in der Regel nur dann verlassen, wenn sie vorher eine ent- sprechende Genehmigung eingeholt haben. Jeder Besuch bei Familienangehörigen, Verwandten oder Freunden, jede Teilnahme an einer Veranstaltung oder Demonstra- tion, jeder Diskothekenbesuch und jeder Schulausflug oder jede Klassenfahrt muss, wenn dabei der Bezirk der Ausländerbehörde verlassen wird, vorher genehmigt wer- den. Dabei ist die Praxis der einzelnen Ausländerbehör- den sehr unterschiedlich: Was der eine Sachbearbeiter ge- nehmigt, wird vom anderen Sachbearbeiter abgelehnt. Wer sich ohne Genehmigung außerhalb des Bezirks „sei- ner“ Ausländerbehörde aufhält, verstößt damit gegen das Gesetz. Beim ersten Mal ist es „nur“ eine Ordnungswid- rigkeit, die allerdings mit einer Geldbuße bis zu 5 000 DM geahndet werden kann. Im Wiederholungsfall stellt der Verstoß gegen die „Residenzpflicht“ sogar eine Straftat Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117496 (C) (D) (A) (B) dar. Diese kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer entsprechenden Geldstrafe bestraft werden. Es handelt sich hierbei also um eine typische „Auslän- derstraftat“, nämlich um ein Vergehen, das ein Deutscher gar nicht begehen kann. Deutsche können sich im Bun- desgebiet frei bewegen, ihren Aufenthaltsort frei wählen. Ausländer, die nicht angeworbene Informatik-Spezialis- ten, sondern vor Verfolgung Schutz suchende Menschen sind, dürfen dies nicht. Auch dies bläht die Kriminalstatis- tik zulasten von Ausländerinnen und Ausländern auf. Allerdings war die Bundesregierung, wie sie in ihrer Antwort auf eine von mir initiierte Kleine Anfrage mit- teilte, nicht in der Lage, genaue Zahlen zu nennen. Aber einige Angaben lassen wenigstens die Größenordnung ah- nen: Nach der Statistik des Bundesgrenzschutzes über dessen grenz- und bahnpolizeiliche Tätigkeit wurden bei Aufgriffen, die nicht direkt an der Grenze, sondern im Landesinnern erfolgten, im Jahre 1999 insgesamt 7 100 Straftaten sowie 6 001 Ordnungswidrigkeiten gegen das Asylverfahrensgesetz registriert; im Jahre 2000 waren es 6 823 Straftaten und 7 648 Ordnungswidrigkeiten. Erfah- rungsgemäß dürfte ein erheblicher Teil davon Verstöße gegen die „Residenzpflicht“ betreffen. Da werden also Hunderte von Menschen kriminalisiert und mit Verfahren überzogen, weil sie ein ureigenes Menschenrecht ausüben wollten, nämlich sich innerhalb eines Landes frei zu be- wegen. Die „Residenzpflicht“ wird von den Betroffenen zu Recht als unverhältnismäßige Beschränkung ihrer Bewe- gungsfreiheit empfunden. Auch wenn die – rötlich- grüne! – Bundesregierung wie ihre Vorgängerin behaup- tet, die „räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Asylbewerbern dient der zügigen Durchführung des Ver- fahrens und stellt keine Diskriminierung der betroffenen Personen dar“, ist es doch richtig, dass kein Asylverfah- ren dadurch schneller abläuft, dass man den Flüchtlingen die Bewegungsfreiheit raubt. Richtig ist doch auch, dass nur Ausländer dieser „Residenzpflicht“ unterliegen und nicht ein einziger Deutscher. Das ist eine geradezu klassi- sche Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit. Die PDS-Bundestagsfraktion hat die Forderungen der Flüchtlinge und der Hilfsorganisationen aufgenommen und einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der einschlägi- gen Bestimmungen eingebracht. Der Gesetzentwurf sieht vor allem die Streichung der §§ 56 bis 59 des Asylverfah- rensgesetzes wie auch der entsprechenden Straf- und Ord- nungswidrigkeitsregelungen vor. Damit beenden wir die grundlose Kriminalisierung von Menschen, das faktische „Wegsperren“ während des Asylverfahrens. Lassen Sie uns gemeinsam diese Relikte staatlichen Rassismus be- seitigen! In fantasievollen Aktionen haben Flüchtlinge und deut- sche Unterstützerinnen und Unterstützer gegen die rassis- tische Residenzpflicht protestiert. Den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen darf ich ins Gedächtnis rufen: Auch viele Mitglieder Ihrer Par- tei waren dabei. Ihr Landesverband Berlin hat gefordert: Bewegungsfreiheit für alle! Ich bin gespannt darauf, wie Sie sich hier im Deutschen Bundestag zu dieser Forde- rung verhalten werden. Lassen Sie mich gerade in diesem Zusammenhang noch kurz auf einen weiteren Gesetzentwurf eingehen: Ausgerechnet die beiden rot-grün regierten Bundesländer Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben im Bundesrat dafür gesorgt, dass die Länderkammer einen Gesetzent- wurf beschlossen hat, mit dem die „Residenzpflicht“ auf weitere Gruppen ausgeweitet werden soll. Die Bewe- gungsfreiheit soll nicht nur für Asylsuchende, sondern auch für all diejenigen Ausländerinnen und Ausländer eingeschränkt werden, die keine förmliche Aufenthalts- genehmigung besitzen. Gemeint sind vor allem Men- schen, die eine „Duldung“ haben, weil sie nicht abge- schoben werden können. Der Bundesrat begründet dies offiziell damit, dass die „Aufnahmelast“ gleichmäßig auf die Länder und Kom- munen verteilt werden solle. Verschwiegen wird: Das geht auch ohne Hin- und Her-Karren von Menschen. Die Kosten für Unterbringung und Versorgung könnten bun- desweit ausgeglichen werden. Dafür gibt es sogar schon ein Vorbild im Bundessozialhilfegesetz: In § 108 wird ein Lastenausgleich unter den Sozialhilfeträgern geregelt. Diese Bestimmung bräuchte man nur auf Ausländerinnen und Ausländer ohne Aufenthaltsstatus auszuweiten. Noch einmal: Lassen Sie uns für die Interessen der Flüchtlinge handeln und die „Residenzpflicht“ endlich abschaffen! Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektro- nischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Ge- schäftsverkehr-Gesetz – EGG) (Tagesordnungs- punkt 28) Hubertus Heil (SPD): Deutschland ist ein Land, das, für die Anforderungen des elektronischen Geschäftsver- kehrs im 21. Jahrhundert gut gerüstet ist. Die informati- onstechnischen Bedürfnisse der so genannten „New Eco- nomy“ und die der so genannten „Old Economy“ wachsen immer weiter zu einer „Whole Economy“ zusammen und laufen lange schon nicht mehr nur parallel oder gar ent- gegengesetzt. Die Bundesregierung und die SPD-Bundestagsfraktion sehen die veränderten Bedürfnisse, die durch das Internet Einzug in die Geschäftswelt halten, und reagieren darauf mit tief greifenden Reformen. Unter anderem mussten und müssen wir unser Zivil- und Prozessrecht sowie die Steuergesetzgebung weiterentwickeln. Wir schaffen also einen soliden und flexiblen neuen Ordnungsrahmen. Das uns heute vorliegende Gesetz ist dafür ein zentraler Re- formschritt. In punkto Internetwirtschaft können wir für Deutsch- land heute erfreulicherweise feststellen: Erstens. Die technische und die rechtliche Infrastruktur für die Wirt- schaft werden immer besser. Zweitens. Das Know-how und die Zahl der Fachleute wachsen ständig. Drittens. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17497 (C) (D) (A) (B) Zahl der Haushalte mit Internetzugang hat die höchsten Zuwachsraten und steigt ständig weiter. Immer mehr Menschen entdecken das Medium Inter- net und ihr Interesse dafür. Sowohl im Business-to-Busi- ness als auch im Business-to-Customer-Bereich wächst die Anzahl und die Bandbreite der Transaktionen ständig. Die Konsolidierungen am neuen Markt haben ein neues Zeitalter für das Internet als Marktplatz eingeleitet. Die Kindertage des neuen Mediums sind vorbei. Man könnte sagen: Der Ernst des Lebens im Internet hat be- gonnen. Das mag in vielerlei Hinsicht hart sein, aber es ist auch eine unvergleichliche Chance. Heute träumt nie- mand in der Branche mehr von Millionenbeträgen im Handumdrehen. Umso mehr werden die tatsächlichen und längerfristigen Wertschöpfungspotenziale der digitalen Ökonomie deutlich. Für den erwachsenen Marktplatz Internet passen wir nun die gesetzlichen Rahmenbedingungen an die speziel- len Anforderungen des Mediums an. Ein ganzer Katalog von Reformen und Veränderungen wurde in Angriff ge- nommen. Einige Neuerungen sind bereits erfolgreich um- gesetzt, andere werden zügig vorbereitet. Die E-Com- merce-Richtlinie der EU ist in dieser Reihe sicherlich einer der tragenden Bausteine. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie im Gesetz über rechtliche Rahmenbedin- gungen für den elektronischen Geschäftsverkehr, EGG, in deutsches Recht, unternehmen die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag einen wichtigen Schritt nach vorn. Mit dieser Richtlinie werden die innereuropäischen Regelungen für Dienstleistungen, die auf elektronischem Wege angeboten werden, angeglichen. Damit werden die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen des E-Commerce auf allen Ebenen für Anbieter und Ver- braucher gleichermaßen geschaffen, gesichert und verein- heitlicht.Von den Veränderungen durch die Umsetzung dieser EU-Richtlinie in deutsches Recht sind das Tele- dienstedatenschutzgesetz und die Zivilprozessordung be- troffen. Wichtigster Eckpfeiler der neuen Regelung ist das so genannte Herkunftslandprinzip. Der Regierungsentwurf sieht vor, dass prinzipiell das deutsche Recht für deutsche Anbieter im E-Commerce zum Tragen kommt. Agieren deutsche Anbieter auf europäischen Märkten, kann im Einzelfall das ausländische Recht angewandt werden, so- fern es für den deutschen Anbieter günstiger ist. Auf jeden Fall gilt für alle Beteiligten, dass keine Bestimmung des internationalen Rechts zum Tragen kommt, die mehr for- dert als die entsprechende deutsche Bestimmung. Damit schaffen wir optimale Wettbewerbsbedingungen für un- sere Unternehmen durch verlässliche Rechtssicherheit, ohne dass die Beschränkung des Herkunftslandsprinzips in Kauf genommen werden müssen. Eine uneinge- schränkte Umsetzung dieses Prinzips könnte nämlich zur Folge haben, dass deutsche Anbieter im Ausland mehr Einschränkungen unterliegen, als ihre ausländischen Mit- bewerber auf dem gleichen Markt. Wenn unterschiedliche rechtliche Maßstäbe auf einem Markt angewendet wer- den, lassen sich Ungerechtigkeiten im Wettbewerb nicht vermeiden. Eine solche Benachteiligung kann nicht in deutschem Interesse sein, aber auch nicht in europä- ischem. Schließlich sollen rechtliche Rahmenbedingun- gen nicht zum Standort- und Konkurrenzfaktor innerhalb der EU werden. Gleichzeitig ist eine einfache Regelung wichtig. Schließlich ist nicht jedes Unternehmen, dass das Internet nutzt, automatisch auch international aktiv. Darüber hinaus wird ein weiterer, wichtiger Faktor des E-Commerce abgedeckt. Der Handel im Internet be- schränkt sich nicht auf materielle Güter und Versandhandel. Beim Stichwort E-Commerce denken viele noch immer ausschließlich an Online Buchläden und Großhandels- plattformen. Ein anderes Gut, das schon jetzt das Internet prägt und es zukünftig ökonomisch bestimmen wird, ist die Information. Das Internet ist eine multimediale Platt- form und ein Informationsmedium. Die Ware Information muss anderen Regelungen und Bestimmungen unterlie- gen als Konsumgüter und Handelswaren. Die Vermark- tung von redaktionell aufbereiteten Informationen im In- ternet hat eine große Zukunft. In diesem Jahr fand die erste Fachmesse für Streaming-Media statt und fernseh- verwandte Informationsdienste auf Basis des Internets sind nur eine Frage der Zeit. Der Entwurf des EGG geht auf diese zukünftigen An- forderungen ein und bereitet die rechtliche Basis dafür vor. Der Regierungsentwurf zum Elektronischer Geschäfts- verkehr-Gesetz basiert auf dem deutschen Teledienstege- setz, TDG, das prägender Faktor für die EU-Richtlinie des EGG war. Das TDG ist in Deutschland eng mit dem Me- diendienste-Staatsvertrag verbunden, der die Kompetenzen der Landesmedienanstalten regelt. Durch diese Verknüp- fung fallen mediale Angebote im Internet künftig klarer un- ter die Mediengesetzgebung. Durch die Zuständigkeit der Länder für den Rundfunk ist eine Änderung auf Länder- ebene des Mediendienste-Staatsvertrags notwendig. Die- ser Änderungs-Staatsvertrag ist wort- und inhaltsgleich mit den Änderungen zum Teledienstegesetz. Beides tritt zeitgleich in Kraft und stellt so eine einheitliche Umset- zung und Einhaltung bestehenden Rechts sicher. Es ist zu erwarten, dass der E-Commerce durch die verbesserten rechtlichen und gesetzlichen Bedingungen einen weiteren deutlichen Aufschwung erfährt. Besonders der Punkt der verbindlichen Rechtssicherheit ist entscheidend, um das geleistete Vorschussvertrauen in das neue Medium schnell und solide zu unterfüttern. Der Regierungsentwurf zum Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäfts- verkehr ist ein wichtiger Baustein im Programm der Bun- desregierung zur Schaffung optimaler Voraussetzungen für den E-Commerce. Zusammen mit anderen Baustei- nen, wie dem elektronischen Signaturgesetz und der Ab- schaffung des Rabattgesetzes, werden die Signale für die digitale Ökonomie im 21. Jahrhundert weiter auf Grün ge- stellt. Wir werden an einer Reihe von Details an diesem Gesetz im Zuge der Ausschussberatungen sicherlich noch zu arbeiten haben. Wir werden dabei von unserem parla- mentarischen Recht einer Anhörung Gebrauch machen, um im Dialog mit Wirtschaft und Wissenschaft den vor- liegenden Entwurf so zu qualifizieren, dass er optimal den Anforderungen an Flexibilität und Rechtssicherheit ent- spricht. Das ist gut für die wirtschaftliche Entwicklung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117498 (C) (D) (A) (B) und damit gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ich setzte dabei auf eine konstruktive Arbeit aller Frak- tionen in diesem Hause. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem heute in erster Lesung zu beratenen Ge- setzentwurf über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr legt die Bundesregie- rung ein weiteres Kernstück ihres neuen Rechtsrahmens für die Internetökonomie vor. Der Gesetzentwurf zielt auf Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen für die Inter- netwirtschaft im europäischen Binnenmarkt, auf effizi- ente Verbraucherschutzbestimmungen sowie auf einen modernen verbraucherorientierten Datenschutz bei den neuen Diensten. Wer mit den Unternehmern der Internetwirtschaft spricht, weiß, dass E-Commerce trotz der viel beschrie- benen Krise der New Economy eine große Zukunft hat. So hat gerade eine Studie von Forrester Research für Deutschland ein Marktvolumen von 360 Millionen DM in 2001 prognostiziert. Die Bundesregierung sieht dieses Potenzial und hat sich zum Ziel gesetzt, durch eine rasche Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie den Unterneh- men und den Verbrauchern in gleicher Weise Rechtssi- cherheit zu schaffen, um die erwartete Entwicklung auf eine solide Grundlage zu stellen. Dem dient der vorge- stellte Gesetzentwurf. Nun hat es aber auch punktuelle Kritik an dem Gesetz- entwurf gegeben: Sie dreht sich insbesondere um die Frage des Herkunftsprinzips und um seine etwaige Ein- schränkung durch internationales Privatrecht. Hierzu muss man sagen, dass dem Herkunftsprinzip gerade im E-Commerce eine sensible Bedeutung zukommt. Denn sowohl Anbieter wie auch die Nutzer, also die Konsu- menten, müssen Klarheit darüber haben, welche Rechts- lage denn nun beim Kauf bzw. Verkauf eines Produktes im Netz gilt. Kaufe ich übers Netz ein Produkt eines auslän- dischen Anbieters, muss ich als Verbraucher die Gewiss- heit haben, dass meine Verbraucherschutzinteressen ge- wahrt bleiben. Andererseits muss aber auch für den Anbieter ein vernünftiges Maß an Rechtssicherheit ge- währleistet werden. Deswegen sieht die Richtlinie der EU das Herkunfts- prinzip vor. Damit gelten die rechtlichen Bedingungen in dem Land, in dem das anbietende Unternehmen seinen Sitz hat. Um die Verbraucher jedoch ebenso zu schützen, sieht die hier eingebrachte Neuregelung vor, dass aufsei- ten des Verbraucherschutzes die Rechtslage gilt, in dem das Produkt erworben wird. Die Vorschriften zum Verbraucherschutz sind europa- weit schon deutlich harmonisiert. Die Fernabsatzrichtli- nie der EU, in Deutschland als Fernabsatzgesetz umge- setzt, legt die Mindestnormen fest. Allerdings gibt es in einzelnen Ländern auch Vorschriften, die darüber hinaus- gehen. So schreibt die EU-Regelung zum Beispiel ein Rückgaberecht von zehn Tagen vor. In Deutschland haben Verbraucher jedoch ein 14-tägiges Rückgaberecht. Daran müssen sich auch Anbieter aus anderen EU-Ländern hal- ten, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Die Bundesregierung will in Zukunft stärker auf eine Harmonisierung gesetzli- cher Regelungen achten, um einheimische Anbieter nicht zu benachteiligen. Die vorgeschlagene Abschaffung des Rabattgesetzes steht hierfür als ein wichtiges Beispiel. An dieser Stelle gibt es somit weiterhin Harmonisie- rungsbedarf auf europäischer Ebene. Es wäre naiv anzu- nehmen, mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf wären alle Probleme aus der Welt geschafft. Nein, wir nehmen die vorgetragene Kritik ernst und werden uns im Interesse der Anbieter und Verbraucher im E-Commerce dafür stark machen, dass es auf EU-Ebene zu einer schnel- leren Harmonisierung kommt. Ich denke, wir sind uns darin einig, dass es vor allem darum geht, hier eine gesetzliche Regelung zu finden, die die vorgetragenen Bedenken aufnimmt und auf breite Zu- stimmung und Akzeptanz stößt. In diesem Sinne werden wir über den weiteren parlamentarischen Weg in den Aus- schüssen zu beraten haben. Rainer Funke (F.D.P.): Den Gesetzentwurf der Bun- desregierung zum elektronischen Geschäftsverkehr könnte man auch unter die Überschrift setzen: Warum ein- fach, wenn es auch kompliziert geht? Einfach wäre es ge- wesen, die EG-Richtlinie über Electronic Commerce, ge- nauer gesagt, die Richtlinie 2000/31/EG eins zu eins umzusetzen. Das hätte bedeutet, dass das Herkunftslands- prinzip durchgängig umgesetzt würde. Dies tut der Ge- setzentwurf jedoch nicht. Denn § 4 des Telefondienstge- setzes relativiert durch den Soweitsatz das Herkunfts- landsprinzip. Insoweit meine ich, dass die eingeschränkte Umsetzung des Herkunftslandsprinzips gegen die Richt- linie und damit gegen Europarecht verstößt. Ziel der E-Commerce-Richtlinie ist es, den elektroni- schen Geschäftsverkehr für Anwender und Nutzer einfa- cher zu machen. Der jetzt eingeführte Günstigkeitsver- gleich relativiert aber das Herkunftslandsprinzip und macht die Anwendung kompliziert, weil kaum zu beurtei- len ist, was unter rechtlichen und tatsächlichen Verhält- nissen günstiger ist. Aus diesem Grunde hat der zustän- dige Kommissar Liikanen dem Bundesaußenminister Fischer am 5. Juni 2001 ausdrücklich mitgeteilt, dass die geplante Umsetzung ins nationale Recht europawidrig ist, und demgemäss droht unnötigerweise der Bundesrepu- blik Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Ge- richtshof. Im Hinblick darauf, dass für deutsche Unternehmen er- hebliche Rechtsunsicherheiten und zusätzlicher Aufwand für Rechtsberatung entstehen, werden wir diesen Gesetz- entwurf ablehnen, wenn nicht § 4 grundlegend unter Weg- fall des Günstigkeitsprinzips verändert wird. Wir werden in den Beratungen des Rechtsausschusses und des Wirt- schaftsausschusses auf eine entsprechende Änderung hin- arbeiten und dafür Sorge tragen, dass eine richtlinienkon- forme Umsetzung des Herkunftslandsprinzips erfolgt. Solche Gesetze müssen gemeinsam mit der betroffe- nen Wirtschaft entwickelt werden und nicht gegen sie. Nur so kann der elektronische Geschäftsverkehr auch im Interesse des Verbrauchers gefördert werden. Der Wirt- schaftsminister bleibt aufgefordert, insoweit seine Haus- aufgaben zu machen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17499 (C) (D) (A) (B) Ursula Lötzer (PDS): Angesichts der deutlichen Kon- junkturschwäche und der Krise der Internetwirtschaft rechnet die Informations- und Telekommunikationsbran- che in diesem Jahr bestenfalls mit stagnierenden Erträgen. Auch die Zeiten des zweistelligen Umsatzwachstums werden 2001 bereits wieder der Vergangenheit angehören. Die Branche selbst rechnet nach Angaben der BITKOM nur noch mit einem „bescheidenen Zuwachs an neuen IuK-Jobs“. Keiner würde heute noch, wie der Bundeswirtschafts- minister vor wenigen Monaten, behaupten, dass die IuK- Technologien in den nächsten Jahren per Saldo 700 000 bis 800 000 zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können. Die Illusionen, die noch im Wirtschafts- bericht 2000 verbreitet wurden, und die bereits zum Zeit- punkt der Veröffentlichung in einem unverkennbaren Wi- derspruch zu seriösen Studien zum Wachstums- und Beschäftigungsbeitrag der IuK-Technologien standen, entpuppen sich zunehmend als Wunschdenken der Bun- desregierung. Die Branche entwickelt sich weder, wie viele hofften, unabhängig vom Wachstum der Gesamtwirtschaft noch ist sie Schwungrad oder Motor des gesamtwirtschaftli- chen Wachstums. Vielmehr gilt, dass die bereits deutlich zurückgehenden Umsätze der Branche, die von einem Plus von circa 8,5 Prozent ausgeht, angesichts des ge- samtwirtschaftlichen Wachstumseinbruchs nicht zu hal- ten sein werden. Trotzdem, so meine ich, erleben wir gegenwärtig nicht den Anfang vom Ende, sondern das Ende vom Anfang des E-Commerce. Die Katerstimmung nach der New-Eco- nomy-Party sagt genauso wenig über das Potenzial der Technologien wie die zurückliegende Ekstase am Neuen Markt. Umso wichtiger wird es sein, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen für den E-Commerce schafft, der die Interessen der Verbraucher klar einbezieht. Positiv am vorliegenden Gesetzentwurf ist die Ein- schränkung des Herkunftslandprinzips im B-to-C-Be- reich. Wir schlagen allerdings vor, dass Herkunftsland- prinzip nicht bloß durch ein Wohnortprinzip des Verbrauchers zu ersetzen, sondern im Sinne des Verbrau- cherschutzes den privaten Käufern ein generelles „Güns- tigkeitsprinzip“ einzuräumen. So könnte die Bundesrepu- blik als ein Land, das früher oder später zu den umsatzstärksten E-Commerce-Ländern gehören wird, ei- nen Wettbewerbsdruck für einen hohen Verbraucher- schutz in der Internetwelt auslösen, was dringend erfor- derlich wäre. Unsere Fraktion lehnt den Gesetzentwurf aber wegen der veränderten Datenschutzbestimmungen ab, die durch die` Änderung des Teledienstdatenschutzgesetzes veran- kert werden sollen. Die bisherigen Verpflichtungen des Anbieters, personenbezogene Daten über den Ablauf des Zugriffs und die Nutzung nach der Beendigung zu lö- schen, werden durch den Regierungsentwurf aufge- weicht. Unhaltbar ist auch der Umgang mit Nutzungsda- ten. Wenn ein Nutzer nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Erstellung von Nutzungsprofilen nicht widerspricht, dürfen solche erstellt werden. Eine Einwil- ligung des Nutzers muss also nicht vorliegen. Dies be- deutet einen Rückschritt im Datenschutz und ist mit dem Gebot der Datensparsamkeit unvereinbar. Solange die Bundesregierung nicht in Rechnung stellt, dass die Entwicklungen der IuK-Technologien und insbe- sondere des E-Commerce einen höheren Datenschutz und keine Einschränkungen des Datenschutzes benötigt, so lange werden die falschen Weichen für den E-Commerce gestellt, da sich ein elementares Erfordernis für den E- Commerce nicht einstellt, nämlich das Vertrauen der Ver- braucher. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Technologie: Der heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf der Bundesre- gierung bedeutet eine wichtige Weichenstellung für die dynamische Entwicklung des elektronischen Geschäfts- verkehrs im europäischen Binnenmarkt und damit für mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Als eines der ersten Länder innerhalb der Europäischen Union bringt Deutschland die Umsetzung der Mitte vergange- nen Jahres in Brüssel verabschiedeten E-Commerce- Richtlinie auf den Weg der parlamentarischen Beratung. Es geht darum, den Ordnungsrahmen in Deutschland an die Anforderungen anzupassen, die sich aus der Ent- wicklung der Informations- und Wissensgesellschaft bei uns und im gemeinsamen Binnenmarkt, aber auch welt- weit ergeben. Wir brauchen ein innovationsförderndes Klima für die Wirtschaft und gleichzeitig gilt es, die Verbraucher zu schützen. Es handelt sich um wesentliche Ziele des Ak- tionsprogramms der Bundesregierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr- hunderts“. Dazu bereiten wir jetzt einen umfassenden Fortschrittsbericht vor, der Anfang des kommenden Jah- res vom Kabinett verabschiedet und dann dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden soll. Der Bericht wird zei- gen, dass wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren sehr weit vorangekommen sind und Deutschland jetzt inner- halb der EU und darüber hinaus einen der Spitzenplätze bei der Internetökonomie erreicht hat, den wir zügig wei- ter ausbauen wollen: Die Zahlen, die die Wirtschaft vorlegt, belegen ein- drucksvoll eine Entwicklung von bisher nicht gekannter Dynamik. Das Internet nutzen bereits rund 40 Prozent der Bevölkerung über14 Jahre, im Vergleich dazu: 25 Prozent waren es 2000. Die Internetnutzung insgesamt hat sich bis zum Mai 2001 um mehr als 40 Prozent gegenüber Mai 2000 verbilligt. Auch beim E-Commerce sind die Wachs- tumsraten insbesondere im Verkehr der Unternehmen un- tereinander, dem so genannten B 2 B beträchtlich. Noch wichtiger ist die umfassende Digitalisierung auf allen Stu- fen der Wertschöpfungskette mit erheblichen Effizienzge- winnen. Eher noch verhalten ist die Entwicklung beim Handel mit den Verbrauchern. Gerade für diesen Bereich kommt es darauf an, die Ak- zeptanz des elektronischen Handels durch einen besseren Verbraucher- und Datenschutz zu stärken. Daher ist es wichtig, dass wir auch bei der Weiterentwicklung des Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117500 (C) (D) (A) (B) Rechtsrahmens für die Internetökonomie sehr gut voran- kommen. Das neue Signaturgesetz ist bereits am 22. Mai in Kraft getreten. Das Formanpassungsgesetz, das für das Zivil- recht die Gleichstellung von handschriftlicher und elek- tronischer Unterschrift festlegt, befindet sich in der End- phase der parlamentarischen Beratungen. Ich bin optimistisch, dass das Gesetz noch im Laufe des Sommers in Kraft treten kann. Schließlich will der Bundesinnenminister die entspre- chende Novelle zum Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes noch vor der Sommerpause – in Abstimmung mit den Ländern – vorlegen. Zu nennen sind außerdem die Vorschläge der Bundesregierung zur Abschaffung des Ra- battgesetzes und der Zugabeverordnung. Ich setze darauf, dass die parlamentarischen Beratungen auch dieser Ge- setzentwürfe zügig abgeschlossen werden. Ein weiterer wichtiger Baustein ist der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf zum elektronischen Geschäftsverkehr. Er ergänzt die Vorschriften des Teledienstegesetzes entspre- chend der E-Commerce-Richtlinie und modernisiert zu- gleich das Datenschutzrecht für die Teledienste. Bei der Anpassung des Teledienstegesetzes geht es vor allem um Rechtsklarheit für die Anbieter durch das Herkunftsland- prinzip: Die Anbieter unterliegen in Zukunft grundsätz- lich nur den Anforderungen des Landes, in dem sie nie- dergelassen sind, auch wenn sie ihre Dienste anderswo in Europa anbieten. Eine solche Regelung ist für Teledienste vernünftig, da für deren Anbieter künftig auf Basis der Richtlinie europaweit einheitliche Maßstäbe hinsichtlich der uneingeschränkten Zulassungsfreiheit und der Kenn- zeichnungspflichten Anwendung finden. Dies gilt auch für die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter bei der Übermittlung und Speicherung von fremden Informatio- nen. Über die Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie hi- naus soll der Gesetzentwurf den Datenschutz in den Net- zen weiter verbessern und modernisieren. Ein wirksamer Datenschutz im Internet ist zu einem herausragenden Wettbewerbsfaktor und Qualitätsmerkmal für die Unter- nehmen geworden. Zugleich handelt es sich um eine es- senzielle Grundlage für das Vertrauen der Verbraucher in die neuen Dienste. Dabei geht es unter anderem darum, dass der Nutzer im Internet wie beim Bareinkauf im La- den anonym einkaufen und bezahlen kann. Dass dies auch tatsächlich mit vertretbarem Aufwand erreicht werden kann, hat soeben ein Pilotprojekt bestätigt, das vom Bun- desministerium fier Wirtschaft und Technologie gefördert worden ist. Im Übrigen möchte ich zum Datenschutz die folgenden Punkte besonders hervorheben: Der Teledienstedaten- schutz dient dem Schutz der persönlichen Daten der Ver- braucher und muss in seiner Zielrichtung auf sie ausge- richtet werden. Dies wollen wir im Gesetz durch entsprechende Klarstellung zum Geltungsbereich deut- lich machen. Besonders im Bereich der neuen Dienste spielen Kundendaten eine wichtige Rolle als Wirtschafts- gut. Dies ist in Ordnung, solange der Nutzer über das In- strument der Einwilligung die Kontrolle über die Verwer- tung dieser Daten behält. Im Bereich der elektronischen Dienste ist es wichtig, dass diese Einwilligung elektro- nisch erfolgen kann, und zwar über Verfahren, die für die Diensteanbieter praktikabel sind, zugleich aber für die Verbraucher die erforderliche Sicherheit gewährleisten. Weiterhin wollen wir mit der Einführung von Buß- geldbestimmungen die Beachtung der Datenschutzvor- schriften im elektronischen Geschäftsverkehr nachhaltig unterstützen. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf ist von Anfang an intensiv mit den Ländern beraten worden. Es besteht weit gehendes inhaltliches Einvernehmen, sodass die Bänder die Vorschriften für die Mediendienste im Mediendienst- Staatsvertrag entsprechend ändern werden. Damit errei- chen wir ein einheitliches Regelwerk für die Tele- und Mediendienste, was die stärkere Nutzung dieser Dienste weiter voranbringen wird. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaus- siedlerstatusgesetz – SpStatG) (Zusatztagesord- nungspunkt 9) Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Wenn wir uns heute in erster Lesung mit der Beratung des „Spätaussiedlersta- tusgesetzes“ befassen, darf der Hinweis nicht fehlen, dass heute vor 60 Jahren der Überfall auf die Sowjetunion er- folgte. Infolge dieser Ereignisse begann der schmerzliche Leidensweg Hunderttausender Russlanddeutscher durch die Verbringung nach Sibirien in Arbeitslager und die Trud- armee. Viele von ihnen haben die unmenschlichen Le- bens- und Arbeitsbedingungen nicht überlebt. Die Ge- schehnisse von vor 60 Jahren haben den Deutschen Bundestag seit seinem Bestehen immer wieder eingeholt und auch heute beschäftigt uns das Thema der Spätaus- siedler in diesem Hause. Wenn wir uns heute in erster Beratung mit dem „Spätaussiedlerstatusgesetz“ befassen, dann geht es ein- zig und allein darum, das geltende Recht, das Kriegsfol- genbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992, durch einige Klarstellungen in der Verwaltungspraxis uneinge- schränkt zur Geltung kommen zu lassen. Letzteres ist ins- besondere in einem Punkt nicht mehr gesichert, und zwar dem, der die Funktion der so genannten Bestätigungs- merkmale in § 6 Abs. 2, S. 21, Nr. 2 BVFG betrifft. Bei diesen Bestätigungsmerkmalen, nämlich der familiären Vermittlung von Deutschkenntnissen, deutscher Erzie- hung und Kultur hat sich im vergangenen Oktober durch eine, aus meiner Sicht doch sehr überraschende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Situation er- geben, die zu großer Verunsicherung nicht nur bei den zu- ständigen Verwaltungen, insbesondere beim Bundesver- waltungsamt, geführt hat. In der Sache selbst geht es darum, dass durch die geän- derte Rechtsprechung das besonders bedeutsame Bestäti- gungsmerkmal Sprache, welches unverändert auch für die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17501 (C) (D) (A) (B) Feststellung der alternativen Bestätigungsmerkmale Er- ziehung oder Kultur von entscheidender Bedeutung ist, im Grunde keine Bedeutung mehr für die Anerkennung hat. Aus dieser entscheidenden Veränderung ergibt sich aber letztlich die Konsequenz, dass es ausreicht, wenn ein Antragsteller darlegen und glaubhaft machen kann, ihm seien während der Zeit seiner familiären Prägung familiär Deutschkenntnisse vermittelt worden. Ob diese vermittel- ten Deutschkenntnisse bei einer Anhörung im Rahmen des Aufnahmeverfahrens, in der Praxis Sprachtest ge- nannt, noch festgestellt werden können, soll dann letztlich nur indikative Bedeutung dafür haben, ob eine derartige familiäre Vermittlung früher einmal stattgefunden hat. Dieses wird zwangsläufig im konkreten Verwaltungshan- deln dazu führen, dass, wenn bei der Anhörung keine Deutschkenntnisse feststellbar sind, der Betroffene Zeu- gen anbieten kann, die dann bestätigen, dass er früher in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hat. Dass diese Zeugen naturgemäß nur aus dem familiären Um- kreis oder dem unmittelbaren Freundes- bzw. Bekannten- kreis stammen werden, dürfte auf der Hand liegen. Ich denke, es gehört nicht viel Fantasie dazu sich aus- zumalen, wohin diese geänderte Auslegung des § 6 Abs. 2, S. 1, Nr. 2 des BVFG in der Verwaltungspraxis führen würde. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die gewiss nicht unerfüllbaren Anforderungen bei dem vom Bundesverwaltungsamt im Aussiedlungsgebiet durchgeführten Sprachtests von rund 50 Prozent der An- tragsteller gleichwohl nicht erfüllt werden – dies mit wei- ter steigender Tendenz. Es ist indessen auch mit Blick auf die Akzeptanz der Spätaussiedlerzuwanderung ganz sicher nicht vermittel- bar, dass jemand als deutscher Volkszugehöriger an- erkannt wird, obwohl er nicht in der Lage ist, auch nur ein wirklich einfaches Gespräch in deutscher Sprache, und sei es auch in der Form familiär gepflegten Dialekts, zu führen. Dieses war erklärtermaßen auch nicht die Absicht des Gesetzgebers. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundes- verwaltungsgerichtes vom Oktober 2000 sind bei den Be- troffenen hohe Erwartungen geweckt worden und die Empfehlungen von interessierter Seite bewirken, dass – langsam beginnend – unter anderem eine Teilnahme an dem Sprachtest von vornherein abgelehnt wird. Dieses kann aber auch zur Folge haben, dass nicht deutsche Fa- milienangehörige, die in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlerbewerbers einbezogen worden sind, im Be- scheinigungsverfahren nach § 15 BVFG, in dem endgül- tig über Erwerb oder Nichterwerb des Spätaussiedlersta- tus bzw. des Status entschieden wird, den Antrag stellen, selbst als Spätaussiedler anerkannt zu werden. Darüber hinaus – und das sollte auch bedacht werden – kommt es nunmehr verstärkt zu Anträgen auf Wiederaufgreifen be- reits bestandskräftig abgeschlossener Aufnahme- oder Bescheinigungsverfahren. Gerade deshalb meine ich, dass durch eine deutliche Reaktion des Gesetzgebers so schnell wie möglich Klar- heit geschaffen werden sollte. Die bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestehende Verwal- tungspraxis sollte so schnell wie möglich wieder fortge- setzt werden können, bevor eine deutlich fühlbare Zäsur eintritt. Dies alles hat mit dem, was die Zuwanderungs- kommission generell zur künftigen Gestaltung des Zu- wanderungsrechts für Spätaussiedler empfehlen könnte, aus meiner Sicht nichts zu tun, und deshalb sollte auch in dieser Frage nicht versucht werden, einen nicht bestehen- den Sachzusammenhang zu konstruieren. Was diesen Bereich des „Spätaussiedlerstatusgesetzes“ angeht, denke ich, dürfte in diesem Hause eine große breite Mehrheit zu den gleichen Feststellungen gelangen. Ich darf auch daran erinnern, dass die Spätaussiedler- gesetzgebung immer von dem überwiegenden Teil dieses Hauses getragen worden ist. Was die sonstigen im Ge- setzentwurf aufgegriffenen Änderungspunkte betrifft, so haben diese lediglich Klarstellungen zum Inhalt, welche die Praxis von Auslegungszweifel befreien sollen, die vom Kriegsfolgenbereinigungsgesetz nicht beabsichtigt waren. Abschließend glaube ich, feststellen zu dürfen, dass die Dinge von den Ländern zumindest nicht grundsätzlich an- ders beurteilt werden. Jedenfalls entspricht dieses nicht dem Bild, welches ich mir aufgrund zahlreicher Ge- spräche habe machen können. Nicht unterlassen möchte ich den Hinweis, dass gerade in meinem Wahlkreis Cloppenburg/Vechta die Aussied- lersituation aufgrund der hohen Konzentration Mitte der 90er-Jahre zu erheblichen Problemen geführt hat, die nun doch mehr oder weniger nicht mehr vorhanden sind. Die- ses hat letztlich damit zu tun, dass das seinerzeit von der großen Mehrheit des Hauses getragene Wohnortzuwei- sungsgesetz Wirkung gezeigt hat und die Integrations- maßnahmen langsam anfangen zu wirken. Wenn wir dieses hier heute in erster Beratung zur De- batte stehende Spätaussiedlerstatusgesetz nicht be- schließen, ist damit zu rechnen, dass es erneut zu ver- stärkten Zuzügen kommt, die die gerade beginnende Wirkung der Integrationsmaßnahmen infrage stellen würde. Insoweit appelliere ich an Sie alle, insbesondere in den Beratungen im Innenausschuss in der nächsten Wo- che zu einem breiten Konsens zu gelangen. Wenn ich ein- gangs kurz auf den Leidensweg der Russlanddeutschen hingewiesen habe, möchte ich abschließend aber auch be- merken, dass wir uns den Veränderungen zu stellen haben. Wir müssen dafür Sorge tragen, einerseits die einheimi- sche Bevölkerung, andererseits die Spätaussiedler selbst nicht zu überfordern. Zu guter Letzt möchte ich persönlich aufgrund meiner vielfältigen Begegnungen mit Spätaussiedlern und deren Familien auch an dieser Stelle, wie auch schon in der Ver- gangenheit, darauf hinweisen, dass der Familienzusam- menführung ein besonderes Gewicht beizumessen ist. Ich hoffe, dass wir auch die Gelegenheit haben werden, uns mit der besonderen Problematik in aller Ruhe und Sach- lichkeit zu unterhalten und zu gemeinsamen Lösungen zu gelangen. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den eilig von den Koalitionsfraktionen ein- gebrachten Entwurf eines Spätaussiedlerstatusgesetzes. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117502 (C) (D) (A) (B) Ich will deshalb zunächst die Gelegenheit ergreifen, grundsätzlich die Haltung meiner Fraktion zur Frage der Aussiedleraufnahme zu skizzieren. Die Erfüllung von Integrationserfordernissen und Hil- fen für die Integration haben für uns Vorrang vor weiteren Restriktionen bei der Aufnahme. Die CDU/CSU befür- wortet auch weiterhin bei Vorliegen der gesetzlichen Vo- raussetzungen den ungehinderten Zuzug von deutschen Spätaussiedlern im Wege des geregelten Aufnahmever- fahrens. Wir drücken damit unsere Solidarität mit einer Schicksalsgruppe aus, deren Aufnahme in Deutschland einer historischen Verpflichtung entspricht. Wir wollen auch an der Annahme eines generellen Kriegsfolgen- schicksals der Russlanddeutschen festhalten. Die Parteien CDU und CSU haben sich in jeweils eigenen Zuwande- rungskommissionen auch mit der Frage der weiteren Auf- nahme von Spätaussiedlern in Deutschland befasst. We- der in den getrennten Ergebnispapieren der Parteien noch im gemeinsamen Positionspapier von CDU und CSU zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung werden mit Blick auf den Aussiedlerzuzug Vorschläge unterbreitet, die eine Verschlechterung gegenüber der gegenwärtigen gesetzlichen Lage bedeuten würden. Im gemeinsamen Positionspapier von CDU und CSU heißt es: „Die Auf- nahme von Spätaussiedlern entspricht einer historischen Verpflichtung.“ Allerdings bereiten uns zum Teil man- gelnde Deutschkenntnisse bei den häufig nicht deutschen Ehegatten, Abkömmlingen und weiteren Familienan- gehörigen Sorge. Denn die Deutsch-Sprachkenntnisse ha- ben eine hohe Bedeutung für eine möglichst rasche und konfliktfreie Integration hierzulande. Aus diesem Grunde müssen die Aussiedler und ihre Familienangehörigen be- reits in ihren Herkunftsländern Gelegenheit haben, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern bzw. – ich meine hier vor allem die Angehörigen – zu erwerben. Die Bundesregierung, die die Koalitionsfraktionen mit einem Gesetzentwurf eines Spätaussiedlerstatusgesetzes vorschickt, ist auch aufgefordert, diese Probleme zu lö- sen. Sorgen Sie für ein flächendeckendes Sprachkursnetz in den Herkunftsländern! Sorgen Sie genauso für eine ge- eignete Sprachförderung in Deutschland! Ob nämlich die beabsichtigte Neustrukturierung der Sprachförderung in Deutschland auf die bei den Aussiedlern und ihren Fami- lien bestehenden Bedürfnisse zugeschnitten ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf sieht lediglich weitere Verschärfungen des Aufnahmeverfahrens für Spätaussiedler vor. Zunächst gibt sich der Entwurf den Anschein, als solle lediglich auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom Oktober letzten Jahres zum Bestätigungsmerkmal Sprache bei den Antragstel- lern geantwortet werden. Hier wird die Wiederherstellung des Status quo ante beabsichtigt. Dieses Vorhaben dürfte sicherlich in den Ländern, auch in den unionsregierten Ländern, Unterstützung finden. Allerdings sieht der Ge- setzentwurf sozusagen im Geleitzug dieser Änderung weitere Restriktionen bei der Aussiedleraufnahme vor. Diese werden als „Klarstellungen“ qualifiziert. Ob es sich lediglich um Klarstellungen handelt oder tatsächlich um substanzielle Verschlechterungen, wird insbesondere die Beratung des Gesetzentwurfes in den Ausschüssen erge- ben. Was jedoch politisch bedenklich, erklärungsbedürftig und für die betroffenen Aussiedler verunsichernd sein dürfte, ist die Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf noch vor der bevorstehenden Veröffentlichung der Empfehlun- gen der Zuwanderungskommission der Bundesregierung vorgelegt wird. Die Empfehlungen der Zuwanderungs- kommission werden nicht abgewartet. Die Bundesregie- rung hat in der Vergangenheit mehrfach erklärt, sie wolle erst darin konkrete Positionierungen in der Zuwanderungs- frage vornehmen und entsprechende Initiativen ergreifen, wenn die Zuwanderungskommission ihre Empfehlungen ausgesprochen habe. Jetzt schickt die Bundesregierung die Koalitionsfraktionen mit einem Gesetzentwurf vor. Dieses Verfahren entwertet die Arbeit der Zuwanderungskommis- sion und führt bei den betroffenen Spätaussiedlern und den deutschen Volksgruppen in den Aussiedlungsgebieten zu weiterer Verunsicherung. Sie müssen nämlich den Ein- druck gewinnen, der politischen Willkür in Deutschland ausgesetzt zu sein. Denn die Spätaussiedler und die deut- schen Volksgruppen in den Aussiedlungsgebieten dürfen wie andere Zuwanderer auch erwarten, dass sie sachge- recht in neuen Integrationskonzepten berücksichtigt wer- den. Lassen Sie mich die Frage stellen: Gibt es außer den Spätaussiedlern noch eine andere Gruppe von Zuwande- rern, die vor den Empfehlungen der Zuwanderungskom- mission Benachteiligungen durch in letzter Minute einge- brachte Einzelgesetze hinnehmen muss? Was Sie, die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung, den Spätaussiedlern hier zumuten, wird einen verheerenden Eindruck hinterlassen. Die Aussiedler werden ganz genau registrieren, dass die Fraktionen von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen hier einen Gesetzentwurf vorlegen, ohne eine schlüssige Begründung zu liefern, warum diese Änderungen zum jetzigen Zeitpunkt erfolgen müssen und warum nicht erst die Empfehlungen der Zuwanderungs- kommission abgewartet werden können. Hieraus kann man zwei Schlussfolgerungen ziehen: Entweder trauen die Koalitionsfraktionen den Empfeh- lungen der Zuwanderungskommission nicht oder aber hier soll ganz gezielt eine bestimmte Gruppe, nämlich die Aussiedler, Verschlechterungen erfahren im Windschat- ten einer Diskussion über Integrationserfordernisse. Diese Verschlechterungen sollen sozusagen durch die Hintertür eingeführt werden, nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit, weil verschiedene Punkte des Gesetzent- wurfes im Rahmen einer Integrationsdebatte wirklich nur schwer durchzusetzen sein dürften. Wir haben daher ge- nug Anlass, den Gesetzentwurf genau zu prüfen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Klärung der Frage, wer deutscher Volkszugehöriger ist. Bislang hat die Verwaltungspraxis in Bund und Ländern in Über- einstimmung mit der Rechtsprechung Sprachtests in den Herkunftsländern derjenigen Menschen vorgenommen, die eine deutsche Volkzugehörigkeit für sich behaupteten. Damit sollte nachgewiesen werden, dass die Vermittlung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17503 (C) (D) (A) (B) deutscher Sprache in der Regel auch die Weitergabe deut- scher Kultur oder Erziehung beinhaltet. Durch die kürzlich geänderte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kann der Nachweis, zum deutschen Volkstum zu gehören, auch auf andere Weise, wie beispielsweise der Nennung von Zeugen, geführt werden. Dies kann dazu führen, dass zunehmend Perso- nen aufgrund von Zeugenaussagen als Spätaussiedler an- erkannt werden, die praktisch über keinerlei Deutsch- kenntnisse verfügen. Diese Praxis birgt zweierlei Gefahren: Zum einen wird die Akzeptanz für die Spätaus- siedleraufnahme in der Bevölkerung erheblich belastet, zum anderen ist die Integration der Spätaussiedler zusätz- lich erschwert. Der vorliegende Gesetzentwurf strebt daher an, das Bundesvertriebenengesetz dergestalt zu ändern, dass eine Fortsetzung der bisherigen Verwaltungspraxis möglich ist. So soll für ab dem Jahre 1924 geborene Personen gel- ten, dass diese deutsche Staatsangehörige sind, wenn sie mindestens von einem Elternteil mit deutscher Staatsan- gehörigkeit oder Volkszugehörigkeit abstammen. Das Be- kenntnis zum deutschen Volkstum oder die rechtliche Zu- ordnung zur deutschen Nationalität muss außerdem bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deut- schen Sprache. Diese ist festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Aus- nahmeregelungen sind vorgesehen in Fällen, in denen aufgrund der Verhältnisse eine familiäre Sprachvermitt- lung nicht möglich war. Meine Fraktion unterstützt den vorliegenden Gesetzes- änderungsantrag, wobei ich eines sehr bedauere: Ange- sichts der Eilbedürftigkeit des vorliegenden Verfahrens, war es nicht möglich, notwendige Änderungen im Spätaussiedlerrecht vorzunehmen. Im Rahmen der Ge- samtreform dieses Rechtsgebietes müssen dringend Lö- sungen für zwei Punkte gefunden werden: Erstens. Es ist unerträglich, dass Spätaussiedler mit einem Aufnahmebe- scheid einreisen, sie im Vertrauen auf diesen Bescheid ihre Existenz im Herkunftsland aufgeben und sie dann – nach der Zuwanderung – erfahren, dass sie doch keine Spätaus- siedler sind. Konsequenz ist, dass sie trotz Aufnahmebe- scheid ins Herkunftsland zurückkehren müssen. Hier muss eine grundlegende Änderung im Verfahren her. Zweitens. Die bereits aufgrund der jetzigen katastropha- len Rechtslage entstanden Altfälle müssen mit einer großzügigen Altfallregelung gelöst werden. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die F.P.D. steht dem Ge- setzentwurf der Regierungsfraktionen äußerst skeptisch gegenüber. Auslöser für die Gesetzesinitiative war eine Änderung in der Rechtsprechung des Bundesverwal- tungsgerichts zu § 6 BVFG. Die neuere Rechtsprechung dürfte jedoch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung besser treffen als die bisherige Verwaltungspraxis, welche dem Merkmal „Deutsche Sprache“ für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit wohl zu hohes Gewicht beigemessen hatte. Von diesem Merkmal der Anerkennung als Spätaus- siedler zu unterscheiden ist die richtige Forderung, bei je- dem, der sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutsch- land niederlässt, auf eine ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache hinzuwirken. Dies ist eine entschei- dende Voraussetzung für die Integration und wird von der F.D.P. nicht bestritten. Das hat jedoch mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf nichts zu tun. Nach Auffassung der F.P.D. sollte sorgfältig überlegt werden, wie die Überprüfung der Voraussetzungen des Art. 116 Grundgesetz künftig gerechter und besser gestal- tet werden kann. Aus diesem Grund wird die F.D.P. im fe- derführenden Innenausschuss eine Sachverständigen- anhörung beantragen. Die Eile, mit der die rot-grüne Koalition ihren Gesetzentwurf offenbar innerhalb von zwei Wochen vor der Sommerpause noch durch den Bun- destag bringen will, ist der Bedeutung der Sache nicht an- gemessen. Schließlich gibt es noch einen weiteren maßgeblichen Grund für die ablehnende Haltung der F.D.P.: Am 4.Juli 2001 wird die Süssmuth-Kommission ihren Bericht der Öffentlichkeit vorstellen. Dieser Bericht stellt eine Zäsur in der deutschen Zuwanderungspolitik dar. Es muss sorg- fältig überlegt werden, welche Neuerungen im gesamten Komplex Zuwanderung, Asyl, Ausländerrecht vorgese- hen werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu stellen, ob die Aussiedlerpolitik unverändert – wie es die F.D.P. stets vertreten hat – fortgeführt wird. Demnach wäre dann der richtige Zeitpunkt, über einen Gesetzent- wurf zu debattieren, wie ihn SPD und Grüne schon jetzt vorgelegt haben. Es wäre besser, den Gesetzentwurf erst nach der Som- merpause weiter zu behandeln. Petra Pau (PDS): Erst seit kurzem liegt der Gesetz- entwurf der Regierungsparteien zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus vor. Die Eile der parlamentarischen Beratung erschließt sich mir nicht. Im Gesetzentwurf klagt die Bundesregierung über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2000. Die Bundesregierung beklagt vor al- lem, ich zitiere: „Durch diese Änderung der Rechtsspre- chung verlieren die in § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG auf- geführten Merkmale – familiäre Vermittlung deutscher Sprache, Kultur oder Erziehung – weitgehend ihre Funk- tion bei der Steuerung der Zuwanderung von Spätaus- siedlern über den Tatbestandsmerkmal – deutsche Volks- zugehörigkeit“ –. Die Regierungsparteien bemängeln vor allem, dass durch das Urteil die Feststellung der „deut- schen Volkszugehörigkeit“ erleichtert werde; es wird da- rauf hingewiesen, dass es gelungen war, mit der bis dahin geltenden Auslegung des Rechts 50 Prozent der Aufnah- meanträge wegen fehlender Deutschkenntnisse abzuleh- nen. Die Regierungsparteien wollen mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die alte Verwaltungspraxis wiederherstel- len. Ich muss schon sagen, dass ich dieses Vorgehen für äußerst fragwürdig halte. Allein wenn man sich den vom Bundesverwaltungsgericht am 19. Oktober 2000 behan- delten Fall ansieht: Einer 1940 geborenen Frau wird die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117504 (C) (D) (A) (B) Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung verwehrt, weil sie kein einfaches Gespräch in deutscher Sprache führen kann. Der Vater und die beiden Geschwister der Frau sind aber als Spätaussiedler anerkannt; sie kommt daher ganz offenbar und eindeutig aus einer Familie der deutschen Minderheit aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Frage ist nun: Will der Gesetzgeber ernsthaft, dass ganze Familien aufgeteilt werden, und zwar in einen Teil, der als Spätaussiedler anerkannt wird, und in einen Teil, der angeblich keine Tatbestandsmerkmale „deutscher Volkszugehörigkeit“ aufweist? Hier haben wir es mit einer Politik zu tun, die versucht, die Einwanderung von Spätaussiedlern über die Verwal- tungspraxis zu regulieren. Diese Praxis hat die alte Bun- desregierung unter Helmut Kohl begonnen. So ist ja bei- spielsweise seit 1996 die Feststellung des Sprachstandes durch Sprachtest ein zwingender Bestandteil des Verfah- rens. Dies ist aber nur ein Teil des Verfahrens. Wir haben ein Aufnahmeverfahren, an dessen Anfang die Abgabe ei- nes über 500 Fragen umfassenden Antrags in der Aus- landsvertretung der BRD im Herkunftsland steht, der in deutscher Sprache ausgefüllt werden muss, wo Nach- weise über deutsche Staatsangehörigkeit und deutsche Volkszugehörigkeit, erbracht werden müssen etc. Mit der Einführung dieser Verfahren konnte der Zuzug von Spätaussiedlern durch die alte und die neue Bundes- regierung drastisch gesenkt werden. Ich finde, dieses Ver- fahren verstößt gegen bestehende Gesetze und auch gegen das Grundgesetz. Überdies ist diese Politik unsozial, in- human und gegen die Familienzusammenführung gerich- tet. Und diese Politik ist für die Betroffenen nicht trans- parent und durchschaubar. Diese Politik wälzt die Folgen einer langjährigen deutsch-völkischen Politik gegenüber den osteuropäischen Ländern auf die Angehörigen der deutschen Minderheiten ab. Jene Regierungsvertreter, die jahrelang an einem kaiserlichen. Staatsangehörigkeits- recht festgehalten haben, die Illusionen innerhalb der deutschen Minderheiten in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zum deutschen Staat geschaffen haben, versuchen nun, die Angehörigen dieser Minderheit mit verwaltungsrecht- lichen Tricks an der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen An- sprüche zu hindern. Mit der gleichen Kreativität; mit der man zu Zeiten des Kalten Krieges die Zahl der deutschen Minderheit in den osteuropäischen Ländern durch Neudefinitionen erweitert hatte, versucht man nun das Verwaltungsrecht gegen diese Menschen und auch gegen den Art. 116 GG in Stellung zu bringen. Es werden hier verschiedene Arten von deutschen Staatsangehörigen geschaffen. Innerhalb von Familien kann man den richtigen, ausgereiften Staatsbürger erken- nen, der alle Eigenschaften des Deutschseins nach Kultur, Erziehung und Sprache erfüllt; dann haben wir diejenigen Deutschen, die diesem Status nicht ganz gerecht werden, und dann wiederum haben wir Deutsche, die diesen Sta- tus gar nicht erfüllen. Wir können durchaus beispiels- weise russlanddeutsche Familien finden, in denen Men- schen völlig deutsch sind und andere nur noch ein wenig deutsch. Hier wird das Grundgesetz ausgehebelt. Bis heute weigert sich die Bundesregierung – auch die neue –, sich von denn alten kaiserlichen Staatsbürger- schaftsrecht vollständig zu verabschieden und seinen all- gemeinen Vertretungsanspruch für deutsche Minderhei- ten aufzugeben. Ich meine: Heute muss die bundes- deutsche Politik sich völlig vom alten, noch immer kai- serlich beeinflussten Staatsbürgerschaftsrecht und den Formulierungen des Art. 116 GG trennen. Heute muss man von politischen Vertretungsansprüchen deutscher Minderheiten in so genannten Siedlungsgebieten, wie sie nach 1945 in der bundesdeutschen Politik entwickelt wur- den, völlig offen und nachvollziehbar abrücken, ebenso von Definitionen wie „Bekenntnisse und Hinwendung zum deutschen Volkstum“ und so genannten Bestäti- gungsmerkmalen „deutscher Kultur und Erziehung“. Heute muss man hier einen klaren Strich machen und zu einer Politik kommen, die den Zuzug von Spätaussied- lerinnen und Spätaussiedlern als normale Einwanderung begreift und regelt. Die Einwanderungsdebatte und die zu erwartenden Regelungen würden in der Tat auch die Chance dazu bieten. Der Gesetzentwurf spricht ja auch explizit die Tätigkeit der Einwanderungskommission an. 66 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges würde man die Chance haben, sich von dieser Art der deutsch- nationalen Kriegsfolgenbewältigung zu verabschieden. Man müsste aber – aus Vertrauensschutzgründen – lange Übergangfristen schaffen, damit die Betroffenen sich auf diese Situation einstellen können. Eine derartige Lösung wäre gerechter und nachvoll- ziehbar. Anlage 12 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 764. Sitzung am 1. Juni 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Januar 2000 in Straßburg – Drucksachen 14/5007, 14/5499 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 3. bis 7. April 2000 in Straßburg – Drucksachen 14/5008, 14/5499 Nr. 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001 17505 (C) (D) (A) (B) Rechtsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Entwick- lung der urheberrechtlichen Vergütung gemäß §§ 54 ff. Urheberrechtsgesetz (2. Vergütungsbericht) – Drucksachen 14/3972, 14/4093 Nr. 1.6 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Überplanmäßige Ausgabe in Höhe von 98 000 000 DM bei Kapitel 60 04 Titel 634 01 – Zuschüsse an den Ausgleichs- fonds (Lastenausgleich) – – Drucksachen 14/5738, 14/5833 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2001 Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 02 Titel 687 04 zur Sicherung der Magnetschwebebahntechnik – Drucksachen 14/5742, 14/5833 Nr. 2 – Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommu- nikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG) – Drucksache 14/1191 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Künftige Gestaltung der Standortwerbung zur Gewin- nung ausländischer Investitionen für Deutschland – Drucksache 14/4240 – Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Erforschung von geeigneten Haltungssystemen für Legehennen – Drucksachen 14/3350, 14/3574 Nr. 1.2, 14/4234, 14/4308 Nr. 1.3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Haushaltsausschuss Drucksache 14/5610 Nr. 2.1 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/5730 Nr. 2.21 Drucksache 14/5836 Nr. 1.1 Drucksache 14/5836 Nr. 1.2 Drucksache 14/5836 Nr. 1.5 Drucksache 14/5836 Nr. 1.7 Drucksache 14/5836 Nr. 2.2 Drucksache 14/5836 Nr. 2.8 Drucksache 14/5836 Nr. 2.16 Drucksache 14/5836 Nr. 2.18 Drucksache 14/5836 Nr. 2.19 Drucksache 14/5836 Nr. 2.20 Drucksache 14/5836 Nr. 2.21 Drucksache 14/5836 Nr. 2.22 Drucksache 14/5836 Nr. 2.23 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6026 Nr. 2.14 Drucksache 14/6026 Nr. 2.16 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/5363 Nr. 2.8 Drucksache 14/5610 Nr. 1.1 Drucksache 14/5610 Nr. 2.17 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/5172 Nr. 2.74 Drucksache 14/5363 Nr. 2.4 Drucksache 14/5610 Nr. 1.5 Drucksache 14/5610 Nr. 2.14 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hile Drucksache 14/5503 Nr. 2.24 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/4570 Nr. 2.20 Drucksache 14/5172 Nr. 2.46 Drucksache 14/5172 Nr. 2.47 Drucksache 14/5172 Nr. 2.48 Drucksache 14/5172 Nr. 2.49 Drucksache 14/5172 Nr. 2.50 Drucksache 14/5172 Nr. 2.51 Drucksache 14/5172 Nr. 2.52 Drucksache 14/5172 Nr. 2.53 Drucksache 14/5172 Nr. 2.54 Drucksache 14/5172 Nr. 2.55 Drucksache 14/5172 Nr. 2.56 Drucksache 14/5172 Nr. 2.57 Drucksache 14/5172 Nr. 2.58 Drucksache 14/5172 Nr. 2.59 Drucksache 14/5281 Nr. 2.16 Drucksache 14/5610 Nr. 2.29 Drucksache 14/5730 Nr. 2.30 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Juni 200117506 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren! Heute vor 60 Jahren haben deutsche Truppen die
Sowjetunion angegriffen. Die deutschen Truppen brach-
ten Tod und Verwüstung, Leid und Verzweiflung über das
Land; sie schlugen Wunden, die heute immer noch schmer-
zen. Millionen von Menschen auf beiden Seiten wurden
Opfer eines mörderischen Ringens, das von dem Streben
der Nationalsozialisten nach Weltherrschaft veranlasst
wurde und an dessen Ende Zerstörung und Not in einem in
der Geschichte unvergleichlichen Ausmaß standen.

Wir empfinden Trauer über das Leid, das den Völkern
der Sowjetunion und Europas in deutschem Namen und
von Deutschen zugefügt wurde. Wir trauern aber auch um
die eigenen Opfer der nationalsozialistischen Verblen-
dung. Unser Mitgefühl gilt den Familien und Hinterblie-
benen aller Kriegsopfer. Die Erinnerung an Schrecken,
Leid und Vernichtung mahnt uns, alles dafür zu tun, damit
Vergleichbares nie wieder von deutschem Boden aus ge-
schehen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
wir auf Initiative und Vermittlung des Internationalen
Friedens- und Begegnungswerkes eine Gruppe von ehe-
maligen Zwangsarbeitern sowie von Überlebenden jü-
discher Gettos und durch deutsche Truppen vernichteter
Dörfer aus Weißrussland, Russland und der Ukraine
als Gäste unserer heutigen Sitzung begrüßen können.


(Beifall)

Sie und Ihre Betreuer vom Internationalen Friedens-

und Begegnungswerk heiße ich namens des Deutschen
Bundestages herzlich willkommen. Ihre Anwesenheit an
diesem denkwürdigen historischen Jahrestag im Deut-
schen Bundestag ist ein sichtbares und hoffnungsfroh
stimmendes Zeichen, dass 60 Jahre nach Beginn der mör-
derischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen
und den Völkern der ehemaligen Sowjetunion Hass und
Gräben überwunden, Versöhnung und Frieden gelebte
Wirklichkeit werden konnten.

Vielen Dank.

(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfrak-
tionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung
um weitere Zusatzpunkte ergänzt werden. Die Punkte
sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufge-
führt:

10 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu demZweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des An-spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2.AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) – Drucksachen
14/5640, 14/6063, 14/6293, 14/6355 – Berichterstattung: Ab-
geordneter Franz Thönnes

11 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu demGesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Pri-vatrechts und anderer Vorschriften an den modernenRechtsgeschäftsverkehr – Drucksachen 14/4987, 14/5561,
14/6044, 14/6353 – Berichterstattung: Abgeordneter Ludwig
Stiegler

12 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus (Zen-susvorbereitungsgesetz) – Drucksachen 14/5736, 14/6068,
14/6292, 14/6354 – Berichterstattung: Abgeordneter Ludwig
Stiegler

13 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu demGesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, derIVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlienien zum Umwelt-schutz – Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750, 14/6045,
14/6357 – Berichterstattung: Abgeordneter Michael Müller

(Düsseldorf)


14 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu demGesetz zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften(VerkVÄndG) – Drucksachen 14/3646, 14/4221, 14/4648,
14/6358 – Berichterstattung: Abgeordneter Michael Müller

(Düsseldorf)


15 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P.
und der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzeszur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Drucksache
14/6370 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.

17389


(C)



(D)



(A)



(B)


177. Sitzung

Berlin, Freitag, den 22. Juni 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

und Ergänzung des Anspruchs- und Anwart-

(2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG)

14/5640, 14/6063, 14/6293, 14/6355 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Thönnes

Es ist vereinbart worden, dass eine Reihe von Er-
klärungen zu diesem Tagesordnungspunkt abgegeben
werden soll.

Ich erteile zunächst das Wort der Kollegin Sabine
Kaspereit, SPD-Fraktion.


Sabine Kaspereit (SPD):
Rede ID: ID1417700100
Herr Präsident! Werte Kol-
leginnen und Kollegen! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung
am 1. Juni 2001 den Vermittlungsausschuss angerufen mit
dem Ziel, im Rahmen des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes
neben der Erfüllung des Urteils des Bundesverfassungsge-
richts für ehemals Sonder- und Zusatzversorgte und der
Schließung der Rentenlücke für Mitarbeiter von Bahn und
Post Verbesserungen für politisch Verfolgte in der ehema-
ligen DDR zu erreichen.

Ich bin dem BMA für den vorgelegten Vermittlungs-
vorschlag dankbar; denn die nun gefundene Lösung ist
mit dem Prinzip der Lohn- und Beitragsbezogenheit im
System der gesetzlichen Rentenversicherung vereinbar.

Weder im Bundesrat noch im Vermittlungsausschuss
wurde eine Ehrenpension, wie sie der Kollege Nooke
sicher gleich in seinem Redebeitrag fordern wird, in Er-
wägung gezogen oder gar aufgegriffen, weil auch den
Ländern bewusst ist, dass mit solchen Forderungen Er-
wartungshaltungen geweckt werden, die nicht erfüllbar
sind. Sie, Herr Nooke, spielen ein unwürdiges Doppel-
spiel wider besseres Wissen und instrumentalisieren die
Opfer von Verfolgung.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Er hat doch noch gar nichts gesagt!)


– Das kommt noch; Sie können sich darauf verlassen.
Das Vermittlungsergebnis wurde mit übergroßer Mehr-

heit befürwortet. Damit hat die Bundesregierung die Zu-
sage vom Mai dieses Jahres, weitere Verbesserungen
beim Nachteilsausgleich für politisch Verfolgte zu prüfen,
eingelöst. Dass die Prüfung durch das Votum des Bun-
desrates eine Beschleunigung erfahren hat, ist in Ord-
nung. Es freut mich, dass die Verbesserungen nun drei
Monate früher in Kraft treten können.

Die im Vermittlungsausschuss zusätzlich beschlossenen
Regelungen sehen vor, neben dem AAÜG das Berufliche
Rehabilitierungsgesetz zu ändern und sicherzustellen,
dass der Versicherte mindestens die Rente bekommt, die er
bei Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit ohne die
Verfolgung bekommen hätte. Darüber hinaus werden Per-
sonen, die schon als Schüler politisch verfolgt wurden,
durch die Verdoppelung der anrechnungsfähigen Ausbil-

dungsjahre einen rentenrechtlichen Nachteilsausgleich er-
halten.

Ich bin mir dessen bewusst, dass wir mit diesem Nach-
teilsausgleich nicht die Gerechtigkeit wiederherstellen,
die das SED-Regime mit Füßen getreten hat; dies ist si-
cher nicht möglich. Aber wir schaffen einen Ausgleich im
Rahmen des Möglichen. Dafür bitte ich um Ihre Zustim-
mung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700200
Ich erteile dem Kolle-
gen Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417700300
Herr Präsident! Sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Jeder Beschluss, der zur Ver-
besserung der sozialen Situation von SED-Opfern führt,
findet die Zustimmung meiner Fraktion. Deshalb be-
grüßen wir die auf Initiative der Länder Thüringen und
Sachsen am Mittwoch im Vermittlungsausschuss herbei-
geführte Entscheidung zugunsten von SED-Opfern. Nicht
durch das BMA, sondern dadurch, dass Sie durch die Ini-
tiative unserer Länder vom Bundesrat dazu gezwungen
wurden, das AAÜG nicht unverändert zu beschließen,
sondern überhaupt etwas für die SED-Opfer zu tun, ist es
zu diesem Vermittlungsergebnis gekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dieses Ergebnis kann aber nur ein kleiner Schritt hin

zu einer wirklich befriedigenden Lösung sein. Ich möchte
daran erinnern, dass insbesondere nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom April 1999, durch
die bestehende Beschränkungen bei der Rentenzahlung
zum Beispiel für ehemalige Mitarbeiter des Staatssi-
cherheitsdienstes der DDR aufgehoben werden sollten,
eine dramatische Situation für die Opfer der SED-Dikta-
tur eingetreten ist. Letztere leben zu einem großen Teil
von geringen Renten bzw. von Sozialhilfe. Die Stasi-Of-
fiziere, die nicht nur Träger des SED-Regimes, sondern
auch die Verantwortlichen für die politische Verfolgung
Andersdenkender waren, sollen dagegen in den Genuss
hoher Renten kommen. Die Gerechtigkeitslücke zwi-
schen Tätern und Opfern des SED-Regimes wurde damit
extrem groß.

Meine Fraktion bedauert es zutiefst, dass sich die Ko-
alition in den Debatten um das von uns vorgeschlagene
Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz sowohl in den
Ausschüssen als auch im Plenum zu keinerlei Entgegen-
kommen durchringen konnte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.])


Am 18. Mai dieses Jahres haben die Koalitionsfraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unseren Gesetzent-
wurf abgelehnt.

Ich möchte für meine Fraktion erklären, dass wir uns
weiterhin für eine spürbare Verbesserung der Situation der
Opfer des SED-Regimes einsetzen werden. Nach unserer
Auffassung kann eine solche nur in Form einer Ehren-
pension erfolgen. Abgesehen davon, dass eine Regelung




Präsident Wolfgang Thierse
17390


(C)



(D)



(A)



(B)


im Rahmen des Rentensystems auf enge Grenzen stößt, ist
es uns – neben der berechtigten materiellen Anerken-
nung – besonders wichtig, ein politisches Zeichen des
vereinten Deutschlands zu setzen. Der Mut und das En-
gagement von Menschen, die sich unter den Bedingungen
einer brutalen Diktatur für Freiheit einsetzten und dies mit
ihrem Leben, ihrer Gesundheit und einschneidenden Be-
nachteiligungen im beruflichen Leben bezahlten, müssen
anerkannt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie müssen anerkannt werden, wenn dieses Land auch im
Denken der Menschen glaubhaft die beiden Diktaturen
des letzten Jahrhunderts überwinden will.

Um es noch einmal zu sagen: Die CDU/CSU-Fraktion
begrüßt jeden Schritt, der zu einer Verbesserung der Si-
tuation der SED-Opfer führt, auch diesen kleinen Schritt
des Vermittlungsausschusses vom Mittwoch. Aber das
Thema ist nicht abgeschlossen. Vielmehr wurde es durch
den Bundesrat neu auf die Tagesordnung gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700400
Ich erteile das Wort
Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Renten-
regelung für ehemalige Stasimitarbeiter haben zu Recht
– das sehen, glaube ich, fast alle hier so – vor allem bei
den Opfern politischer Verfolgung durch das SED-Re-
gime zu heftigen Kontroversen geführt. Ich betreibe
normalerweise keine Urteilsschelte; aber dieses Urteil
habe ich persönlich bedauert.

Nun mussten wir es umsetzen. Das wissen wir alle. Der
Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung den Vermittlungsausschuss angerufen. Ziel war es,
auch für die politisch Verfolgten Verbesserungen im Ren-
tenrecht zu erreichen. Nun haben wir am Mittwoch ein
einstimmiges Ergebnis gefunden. Ich finde, dabei sollten
wir es belassen. Wir sollten jetzt auch einstimmig und ge-
meinsam gegenüber den Opferverbänden argumentieren.

Hinzu kommt: Wir haben eine weitere Änderung be-
schlossen, über die ich sehr froh bin: Auch alle verfolgten
Schüler, die aufgrund ihrer Verfolgung längere
Ausbildungszeiten hatten, bekommen diesen Nachteil
rentenrechtlich ausgeglichen.

Rentenrechtlich ist die Lage damit erschöpft. Herr
Nooke, Sie wissen das. Rentenrechtlich ist jetzt nicht
mehr machbar. Deshalb kann die Forderung nach einer
Ehrenpension auch rechtlich nicht weiter aufrechterhalten
werden. Sie wissen das und sollten nicht wider besseres
Wissen weiterhin Erwartungen bei den Opferverbänden
schüren, die wir nicht erfüllen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sollten stattdessen aber gemeinsam überlegen, wie
wir im Entschädigungsrecht weitere Lücken schließen

können, um soziale Härtefälle zu beseitigen. Auch hier ist
schon einiges geschehen; die Bundesregierung hat hier
bereits einiges umgesetzt. Wir haben zum Beispiel zu Be-
ginn unserer Regierungszeit die Zahlungen an politische
Häftlinge von 300 DM – das sah damals Ihr Gesetzent-
wurf vor – auf 600 DM im Monat verdoppelt. Das war
eine ungeheure Anstrengung und das ist eine Verbesse-
rung für die politischen Häftlinge. Wir haben die Mittel
der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufge-
stockt.

Wir vom Bündnis 90/Die Grünen haben seit 1990 im-
mer auf der Seite der Opfer gestanden; wir haben ihre In-
teressen vertreten. Viele unserer Anträge in der letzten Le-
gislaturperiode sind leider abgelehnt worden. Wir setzen
uns auch weiterhin für sie ein.

Deshalb sage ich hier und heute: Lassen Sie uns ge-
meinsam überlegen, ob wir nicht eine Initiative zur Ver-
besserung des Entschädigungsrechts ergreifen können.
Wir schlagen zum Beispiel vor, Opfer von Verfolgung,
Haft oder Zersetzung, die aufgrund der Verfolgung heute
auf Sozialhilfe angewiesen sind, materiell besser zu stel-
len, aber eben nur sie. Das könnte zum Beispiel durch eine
weitere Aufstockung der Mittel für die Stiftung „Häft-
lingshilfegsetz“ geschehen.

Wir schlagen weiter vor, über den Kreis der politischen
Häftlinge hinaus Opfern so genannter Zersetzungsmaß-
nahmen analog zu den Regelungen des Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes eine Entschädigung zu ge-
währen.

Das sind Wege, die man prüfen kann und die wir viel-
leicht gemeinsam gehen können. Aber ich möchte Sie
wirklich bitten, keine falschen Erwartungen zu wecken.
Im Rentenrecht können wir nicht mehr machen, als wir
jetzt im Vermittlungsausschuss vereinbart haben. Das ist
ausgeschöpft. Wir sollten sehr froh über diese Ver-
einbarung sein und wir sollten jetzt auch gegenüber den
Opferverbänden gemeinsam auftreten.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700500
Ich erteile Kollegin
Irmgard Schwaetzer das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1417700600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Bundestags-
fraktion wird dem Vermittlungsergebnis zustimmen. Wir
wollen die im Vermittlungsausschuss beschlossenen Ver-
besserungen für die Opfer der SED-Diktatur, weil sie in
der DDR um ihre Entwicklungschancen gebracht worden
sind. Aber ich empfinde es schon als eine Verhöhnung der
Opfer, wenn sich jetzt die Koalitionsfraktionen, und zwar
sowohl Frau Kaspereit als auch Frau Müller, hier hinstel-
len und sagen, wie toll sie doch seien, dass sie dies jetzt
durchgesetzt hätten. Das, meine Damen und Herren, hät-
ten Sie alles schon früher haben können, wenn Sie ernst-
haft mit uns im Bundestag bei der Verabschiedung des
AAÜG verhandelt hätten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)





Günter Nooke

17391


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir waren gesprächsbereit; aber in der bei Ihnen üblichen
Art und Weise haben Sie das alles wieder nur durchge-
peitscht und abgelehnt, was von der Opposition vorge-
schlagen worden ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Wir haben das angekündigt! Sie haben nicht zugehört! Sie waren gar nicht da!)


Und jetzt stellen Sie sich hierhin und tun so, als seien Sie
die tollsten Menschen dieser Welt. Das ist wirklich eine
Verhöhnung der Opfer.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die jetzt erreichte Lösung schreibt fest, dass die SED-
Opfer zumindest die Rente bekommen, die sie hätten ha-
ben können, wenn sie nicht verfolgt worden wären. Wir
begrüßen es, dass bei der Rentenberechnung an den Ver-
dienst angeknüpft wird, der vor Eintritt der Verfolgung er-
reicht worden ist. Jeder von uns weiß ja, dass die Verfol-
gung sehr häufig damit begann, dass Berufe aufgegeben
werden mussten, dass die Betroffenen in andere Tätigkei-
ten hineingezwungen worden sind, die deutlich schlech-
ter bezahlt wurden. Insofern ist ein Opferausgleich rich-
tig, mit dem an die vorherigen Entgelte angeknüpft wird.

Wir haben auch Verständnis für das Argument, dass
rentenrechtliche Schwierigkeiten bei der Einführung ei-
ner Ehrenpension aufgetreten wären. Auch insofern stim-
men wir diesem Ergebnis zu.

Wir begrüßen es außerdem, dass für verfolgte Schüler
die Zahl der bei der Rentenberechnung anzurechnenden,
Ausbildungsjahre von drei auf sechs erhöht worden ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine alte Forderung der Grünen gewesen!)


– Wenn Sie sagen „eine alte Forderung“, warum haben Sie
das dann nicht schon während unserer Beratungen im
Bundestag eingebracht? Da hatten wir das alles auf dem
Tisch; aber Sie haben nicht verhandelt.

Trotzdem möchte ich für die F.D.P. anmerken, dass wir
mit diesen Verbesserungen einverstanden sind. Aber aus
unserer Sicht sind mindestens noch drei Punkte offen
– darüber werden wir auch weiterhin miteinander reden
müssen –: Nach wie vor ist die Problematik der kommu-
nalen Wahlbeamten nicht gelöst, die häufig weder
beamtenrechtlich noch im Rentenrecht eine Berücksichti-
gung finden. Nicht gelöst ist die Frage der Anpassungs-
sätze für die Hochschuldozenten in den neuen Ländern,
bei denen die Renten nach wie vor mit den niedrigen
Westanpassungssätzen statt mit den höheren Ostanpas-
sungssätzen dynamisiert werden. Nach wie vor nicht
gelöst sind auch die Fragen des mittleren medizinischen
Dienstes der DDR, dessen ehemalige Mitarbeiter nach
wie vor um die notwendigen Steigerungssätze gebracht
werden. Darüber werden wir weiterhin reden müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417700800
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Kollege Nooke hat hier soeben die Län-
der Thüringen und Sachsen als „unsere Länder“ bezeich-
net. Das können wir nur so verstehen, als meinte er, sie
seien im Besitz der CDU. Dazu muss Ihnen klar und deut-
lich gesagt werden: Thüringen und Sachsen, meine Da-
men und Herren, sind nicht Ihre Länder. Weil auch die
Herren Diepgen und Landowsky das schon verwechselt
haben, sind sie jetzt dort, wo sie sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Die gleichen Themen, über die wir heute reden, sind im

Bundestag vor vier Wochen besprochen worden, aller-
dings damals nicht verknüpft, sondern in Form von zwei
verschieden zu behandelnden Gegenständen. Damals hat
die PDS gesagt, sie sei unzufrieden mit der Stelle, wo es
um die Schließung von Überführungslücken bei der Rente
für Ärzte, Professoren und Angehörige des öffentlichen
Dienstes der DDR gehe, und hat deshalb gegen das Wort-
ungetüm „AAÜG“ gestimmt. Wir haben zur gleichen Zeit
aber einem Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion zur Entschä-
digung der Opfer von Unrecht in der DDR unsere Zu-
stimmung gegeben. Am nächsten Tag war in großen deut-
schen Zeitungen von „einem völlig neuen Weltbild“ die
Rede.

Wir haben es heute mit einer Verknüpfung der Dinge zu
tun. Wir bleiben bei unserer kritischen Sicht auf die Pro-
blematik der Rentenüberleitung, sagen aber klar und deut-
lich, dass auch die PDS-Fraktion für die Entschädigung der
Opfer von Unrecht in der DDR eintritt. Deshalb stimmen
wir hier auch mit Ja. Das sollte damit klargestellt sein.

Da uns zuweilen unterstellt wird, wir würden momentan
unser Abstimmungsverhalten sozusagen in den Zeitgeist
hängen, möchte ich Ihnen den Titel eines Antrages vorle-
sen, der im Bundestag verhandelt wird. Er heißt: „Erleich-
terte und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für
Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“. Dieser An-
trag – das muss hier gesagt werden – trägt das Datum
15. März 2000 und stammt von der Fraktion der PDS.


(Beifall bei der PDS)

Abschließend will ich die Gelegenheit nutzen, um zu

sagen: Es kann von uns nicht länger hingenommen wer-
den, dass wir als Fraktion im Vermittlungsausschuss nicht
beteiligt, gewissermaßen ausgeschlossen sind. Dadurch
haben wir immer die Schwierigkeit, die komplizierten
Vermittlungsergebnisse gewissermaßen nachzuvollzie-
hen und im Nachhinein zu beurteilen. Wir wollen, dass
dieser Zustand überwunden wird. Ich denke, Sie kommen
allmählich ebenfalls in die Situation, dass Sie sich das
wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Was redet der denn?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417700900
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10
Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass




Dr. Irmgard Schwaetzer
17392


(C)



(D)



(A)



(B)


im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemein-
sam abzustimmen ist.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/6355? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
vom ganzen Haus bei zwei Gegenstimmen aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Formvorschriften des Privatrechts und ande-
rer Vorschriften an den modernen Rechtsge-
schäftsverkehr
– Drucksachen 14/4987, 14/5561, 14/6044,
14/6353 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/6353? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der
PDS-Fraktion angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

registergestützten Zensus (Zensusvorbereitungs-
gesetz)
– Drucksachen 14/5736, 14/6068, 14/6292,
14/6354 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt,
dass gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 über die Änderungen ge-
meinsam abzustimmen ist.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/6354? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Stimm-
enthaltung der CDU/CSU angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungs ausschuss)

UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie
und weiterer EG-Richtlinien zum Umwelt-
schutz
– Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750,
14/6045, 14/6357 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist offensichtlich nicht der Fall. Wird das Wort zu Er-
klärungen gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt,
dass wir über die Änderungen gemeinsam abstimmen.

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/6357? – Gegen-
probe! – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von F.D.P. und PDS angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

kehrsrechtlicher Vorschriften (VerkVÄndG)

– Drucksachen 14/3646, 14/4221, 14/4648,
14/6358 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Müller (Düsseldorf)


Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier wird
über die Änderungen gemeinsam abgestimmt. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 14/6358? – Wer stimmt da-
gegen? – Stimmenthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Stimmenthaltung der PDS angenommen worden.1)

Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN, F.D.P. und PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nes Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“
– Drucksache 14/6370 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

Interfraktionell ist vereinbart, dass eine Aussprache
nicht erfolgen soll. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.




Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3, Erklärung gem. § 90 GOBT der Abg. Dr. Winfried Wolfund Eva Bulling-Schröter (beide PDS)


Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfrak-
tionell wird dieÜberweisung des Gesetzentwurfs an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

(BetrVerf-Reformgesetz)

– Drucksache 14/5741 –

(Erste Beratung 164. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/6352 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß (Groß-Gerau)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst

Seehofer, Peter Rauen, Karl-Josef Laumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Soziale Partnerschaft stärken – Betriebs-
verfassungsgesetz zukunftsfähig mo-
dernisieren

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Dirk Niebel, Detlef Parr, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der F.D.P.
Reform der Mitbestimmung zur Stärkung
des Mittelstandes

– Drucksachen 14/5753, 14/5764, 14/6352 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß (Groß-Gerau)


Zum Gesetzentwurf zur Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag und ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über den
Gesetzentwurf und den Änderungsantrag hierzu wird na-
mentlich abgestimmt werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1417701000
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vor-
liegende Gesetzentwurf zur Novellierung des Betriebs-
verfassungsgesetzes bildet die Grundlage für eine zu-
kunftsfähige und erfolgreiche Betriebsratsarbeit. Die
Reform ist eine zeitgemäße Antwort auf die wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Veränderungen; sie steht in
der Kontinuität dessen, was die Kolleginnen und Kolle-

gen 1972 gemacht haben. Ich erinnere hier an den dama-
ligen Berichterstatter zum Betriebsverfassungsgesetz,
Hermann Buschfort, mit dem mich auch eine persönliche
Biografie verbindet.

Die Reform wurde damals wie heute von hektischen
und heftigen Debattenbeiträgen der Opposition und ver-
schiedener Wirtschaftsverbände begleitet. Selbst die
CDU hat Furcht vor Betriebsräten verbreitet. Norbert
Blüm sah sich deshalb erst kürzlich auf dem CDA-Bun-
deskongress genötigt, mitzuteilen, die größte Sorge der
CDU scheine zu sein, die Arbeitgeber vor ungewollten
Betriebsräten zu schützen.

Unsere Erfahrung ist, dass der enorme Verände-
rungsprozess in der Wirtschaft ohne die Begleitung
und Mitgestaltung durch Betriebsräte nicht so rei-
bungslos und nicht so sozial verantwortlich abliefe,
wie es heute in aller Regel der Fall ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Nicht der Zugang zum Kapital, sondern der Zugang
zu den besten Mitarbeitern entscheidet heute, wer
sich am Weltmarkt durchsetzt.

Ich zitiere nicht, wie Sie vielleicht denken mögen, aus ei-
ner Gewerkschaftsbroschüre, sondern aus einem Schrei-
ben von vier Arbeitsdirektoren internationaler Energie-
konzerne.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben Recht! Auf dem Gebiet haben sie Recht! Aber das gilt nicht für alle Bereiche der Wirtschaft!)


– Diese Aussage deckt sich übrigens, Herr Hinsken, mit
den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Bertelsmann-
Stiftung. Ich könnte die Leitlinie für unsere Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes nicht schöner formulieren.

Meine Damen und Herren, nach fast 30 Jahren wollen
wir die Betriebsverfassung modernisieren und revitalisie-
ren. Für uns ist sie eindeutig ein Standortvorteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Nutzen übersteigt die Kosten. Dies räumen, wie Sie
soeben gehört haben, auch viele Arbeitgeber ein. Deshalb
muss das langsame Ausbluten der Betriebsratsarbeit ge-
stoppt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen also wieder mehr Betriebsräte, vor allem in
kleinen und mittleren Betrieben. Wir wollen die Arbeits-
fähigkeit der gewählten Betriebsräte verbessern. Wir wol-
len die Beteiligungsrechte der Betriebsräte aufwerten.
Vor allem in Bezug auf die Beschäftigungssicherung und
die Förderung von Qualifizierung besteht Handlungsbe-
darf. Wir wollen das Betriebsverfassungsgesetz durch
Aufgabe des Gruppenprinzips und vor allen Dingen in
Bezug auf das Wahlverfahren entbürokratisieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja, das glauben Sie! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!)





Präsident Wolfgang Thierse
17394


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen einen Beitrag zur Verwirklichung der Chan-
cengleichheit von Frauen und Männern in den Betrieben
leisten.


(Beifall bei der SPD)

Schließlich wollen wir die Voraussetzungen dafür schaf-
fen, dass Jugendliche auch künftig in außerbetrieblichen
Ausbildungseinrichtungen eine eigenständige Interessen-
vertretung wählen können.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl, Herr Erster Bevollmächtigter!)


Das Bundeskabinett hatte in sorgfältigen Beratungen
unter Federführung von Walter Riester einen Gesetzent-
wurf beschlossen, der diese Ziele berücksichtigt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Nein, das bestimmt nicht! Es ist ein bürokratisches Monster!)


Er war von Anfang an gut, er war ausgewogen. Deswegen
hat es auch nur wenige Änderungsanträge gegeben.

Für Kleinbetriebe stellt das bisherige komplizierte
Wahlverfahren ein Hindernis dar. Deshalb haben wir im
Gesetzentwurf ein vereinfachtes Wahlverfahren für
alle Unternehmen, die bis zu 50 Arbeitnehmer beschäfti-
gen, festgeschrieben. Damit haben wir eine wesentliche
Neuerung auf breiter Fläche geschaffen. Die Option
für Betriebe mit 51 bis 100 Beschäftigten kommt noch
hinzu. Jetzt gilt es, mit diesen Neuregelungen Erfahrun-
gen zu sammeln. Sinnvoll wäre es – das möchte ich hier
anregen –, diese Erfahrungen gemeinsam mit den Tarif-
vertragsparteien sorgfältig auszuwerten und darüber ei-
nen fundierten Bericht vorzulegen.

Manche Unternehmer sind verunsichert. Die Verbände
haben leider mit gezielten Fehlinformationen Stimmung
gemacht.


(Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Welche Verbände?)


– Sie werden das hören, Herr Hinsken. – Sie haben nicht
sachlich aufgeklärt und beraten. Sie haben agitiert und mit
gezielten Falschinformationen ihre Mitgliedsbetriebe ver-
unsichert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, welche!)


Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel aus dem Kreis
Gütersloh anführen, um Ihnen dies deutlich zu machen.
Der Hotel- und Gaststättenverband Nordrhein-Westfalen
hat seinen Mitgliedsbetrieben detailliert dargestellt, wie
wirkungsvoll gegen die Reform des Betriebsverfassungs-
gesetzes Flagge gezeigt werden kann, und hat sie dazu
aufgefordert.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die haben vom DGB gelernt!)


In diesem Brief heißt es: Ein Betrieb besteht aus einem
Unternehmer, einer mitarbeitenden Unternehmerin, ei-
nem Koch, einer Aushilfe für die Küche, einer Aushilfe
für Service und letztlich einer Aushilfe als Reinigungs-
kraft. Die drei zuletzt Genannten, also die Aushilfen,

gründen innerhalb von 14Tagen einen Betriebsrat, der aus
einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern besteht.


(Heiterkeit bei der SPD)

Dieses Ergebnis muss sicherlich nicht weiter erläutert
werden. – So weit zur Verbandsempfehlung.

Pustekuchen, meine Damen und Herren! Dieses Bei-
spiel ist, wie wir wissen, völlig absurd – so betreibt man
Brunnenvergiftung –; denn in diesem Betrieb gibt es noch
nicht einmal fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


also die Grundvoraussetzung für einen Betriebsrat. – Wer
so Arbeitgeber aufhetzt und mit solchen Mitteln versucht,
die Betriebsverfassungsreform zu diskreditieren, organi-
siert ein politisches Klima, das dem Gedanken der Demo-
kratie und der Sozialpartnerschaft abträglich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: 1890!)


Die Kritik insbesondere vonseiten der Arbeitgeber,
hier sollten Zwangsbetriebsräte installiert werden, ist völ-
liger Humbug. Die Wahl von Betriebsräten wird nach wie
vor eine freiwillige Option der Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter bleiben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nicht der Mehrheit! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie kennen Ihr eigenes Gesetz nicht!)


Auch Zwangsbetriebsräte gegen den Willen der Beleg-
schaft wird es mit der SPD nicht geben. Mit dem neuen
Betriebsverfassungsgesetz werden lediglich bürokrati-
sche Hindernisse für die Wahl eines Betriebsrats beseitigt
und Anreize für die Arbeitnehmer geschaffen, mehr Be-
triebsräte zu wählen.

Bei dieser Reform der Betriebsverfassung ging es uns
vorrangig um die Anpassung der gesetzlichen Regelun-
gen an die veränderte Arbeitswelt.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: 1890! – Gegenruf von der SPD: Herr Rexrodt, Sie müssen nicht immer Ihr Geburtsjahr nennen!)


Wie Sie alle wissen, sah die Arbeitswelt 1972, bei der letz-
ten Novellierung, noch ganz anders aus. Daher ist es nicht
verwunderlich, dass sich die Betriebsverfassung von da-
mals grundsätzlich an Vollbeschäftigung orientierte. An-
gesichts der Arbeitslosenzahlen muss sich die Betriebs-
verfassung heute vorrangig der Frage der Sicherung der
Beschäftigung und der Schaffung von Arbeitsplätzen stel-
len.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem haben Versäumnisse in der Weiterbildung
schon jetzt in einigen Bereichen zu einem Fachkräfte-
mangel geführt. Dies monieren nicht nur die Gewerk-
schaften, sondern auch die Arbeitgeber selbst. Deshalb
soll eine frühzeitige Beteiligung des Betriebsrats bei Qua-
lifizierungsmaßnahmen in Zukunft Defiziten vorbeugen.




Klaus Brandner

17395


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Betriebsrat soll auch von sich aus Initiativen ergrei-
fen können, wenn sich, wie es heute in der Regel der Fall
ist, betriebliche Änderungen kontinuierlich und schlei-
chend vollziehen.

Mit der Einführung des erweiterten Mitbestimmungs-
rechts kann in den Betrieben eine neue Lernkultur entste-
hen. Neben einer gezielten Ausbildung ist ein berufsbe-
gleitendes Lernen unverzichtbar geworden. Bereits heute
steht fest, dass Unternehmen und Betriebe Kosten sparen
können, wenn sie schnell, aktuell und effizient auf
neue Ausbildungs- und Qualifizierungsanforderungen
reagieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Den Betrieb durch Qualifizierung zukunftsfest zu ma-
chen ist auch im Interesse von vorausschauenden Arbeit-
gebern. Der Betriebsrat ist dafür ein idealer Mittler. Hät-
ten wir schon ein modernes Betriebsverfassungsgesetz,
wäre unter Umständen die Green-Card-Aktion überflüs-
sig gewesen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417701100
Herr Kollege Brandner,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1417701200
Nein, danke, nicht mehr.
Die anstehende Reform ist eine zeitgemäße Antwort

auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verände-
rungen in diesem Lande. Sie soll zukunftsgerichtet ein po-
sitives Leitbild für den innerbetrieblichen demokratischen
Umgang miteinander vorgeben. Dazu reicht ein verständ-
nisvoller Unternehmer oder ein kooperativer Vorstand
nicht aus. Die Mitarbeiter brauchen auch Rechte, auf die
sie sich gegebenenfalls berufen können. Menschen, die
engagiert mitarbeiten, müssen auch an den Entscheidun-
gen beteiligt werden. Mit der Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes legen wir dazu die entscheidende Grund-
lage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: 1895!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417701300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Frak-
tion.


(Zuruf von der SPD: Da kommt schon einer der Brunnenvergifter!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1417701400
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hekti-
schen Korrekturen in zentralen Punkten


(Lachen bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Auch das noch!)


in den letzten Stunden vor der Verabschiedung dieses Ge-
setzes dokumentieren schlechtes Gewissen, Unsicherheit
und mangelnde Verlässlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Herr Singhammer, von wem werden Sie bezahlt?)


Nur noch das Wirtschaftswachstum muss Rot-Grün
schneller nach unten korrigieren als die eigenen Gesetz-
entwürfe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Leider wahr!)


Eine moderne Betriebsverfassung nutzt den Arbeit-
nehmern, bringt den Arbeitgebern erhebliche Vorteile und
ist ein Qualitätsmerkmal für den Wirtschaftsstandort
Deutschland. Wir als Union wollen eine moderne Be-
triebsverfassung,


(Peter Dreßen [SPD]: Schön wäre es! Sie machen das Gegenteil!)


die auf Zusammenarbeit gerichtet ist, die Kooperation
fördert und den Betriebsfrieden sichert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Am besten ohne Betriebsverfassung!)


Das vorliegende Gesetz erfüllt diese Zukunftskriterien
eindeutig nicht.


(Zuruf von der SPD: Doch, gerade!)

Wir denken nicht nur an diejenigen, die in den Betrie-

ben tätig sind, sondern auch an die, die Arbeit brauchen,
weil sie jetzt noch arbeitslos sind.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das vorliegende Gesetz entspricht in einer Reihe von Wir-
kungen einem Bündnis für weniger Arbeit,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und das in einer Zeit, in der die Konjunktur abschmiert und
Wachstumsprognosen täglich nach unten korrigiertwerden
müssen. Der Wirtschaftsminister erwartet ein Nullwachs-
tum; das bedeutet auch: null Arbeitsplätze zusätzlich.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo ist der Wirtschaftsminister heute eigentlich?)


Die Inflation ist mit 3,6 Prozent an einem neuen Höchst-
wert angelangt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Auf dem Göteborger EU-Gipfel erhält Deutschland die
schlechtesten Noten und hat die rote Laterne im wirt-
schaftlichen Geleitzug Europas übernommen.


(Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie die falsche Rede mitgebracht?)


In dieser Phase zünden Sie einen neuen Treibsatz für mehr
Bürokratie und weniger Solidarität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!)





Klaus Brandner
17396


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir von der Opposition haben gemeinsam mit den un-
abhängigen Betriebsräten und den kleineren Gewerk-
schaften erreicht, dass zumindest ein Fundament der De-
mokratie, nämlich der innerbetriebliche Minderheiten-
schutz, nicht sang- und klanglos abgeschafft wird.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nichts erreicht! Sie stimmen da ja noch nicht mal mit! Das ist doch Quatsch!)


Bis Montag dieser Woche wollten Sie noch, dass die
Mehrheit bestimmt, welche Betriebsräte in den Ausschüs-
sen sitzen sollen.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen überhaupt keine Betriebsräte!)


Bis Montag dieser Woche wollte Rot-Grün noch, dass die
Minderheit nicht entsprechend ihrer Stimmenzahl im Ge-
samtbetriebsrat vertreten sein soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist DGB-Demokratie!)


Der IG-Metall Chef Klaus Zwickel hat noch vor zwei
Tagen gesagt: Diese Änderung – die Sie jetzt endlich, auf
unseren Druck hin, durchgesetzt haben – wird unabhän-
gigen Kandidaten oder christlichen Gewerkschaften
größere Chancen eröffnen. Genau so ist es. Wir haben Ihre
Pläne durchkreuzt, und das ist gut so für die Demokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Sie brauchen aber unsere Stimmen dazu!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417701500
Herr Kollege
Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Dückert?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1417701600
Aber gerne.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist ein toleranter Mensch, Herr Kollege Brandner, der lässt Fragen zu! Sie waren zu feige!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417701700

Herr Kollege Singhammer, wenn Sie sich so sehr für die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechts im neuen Be-
triebsverfassungsgesetz eingesetzt haben, wie können Sie
uns dann erklären, dass Sie gerade in diesem Punkt gegen
das Gesetz stimmen werden?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1417701800
Frau Kollegin
Dückert, Sie hätten nicht nur in diesem Punkt unseren Be-
denken folgen müssen,


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Richtig!)

sondern ich liste Ihnen jetzt mindestens vier weitere ganz
entscheidende Bereiche auf, in denen Sie das Gesetz hät-
ten korrigieren müssen. Dann wäre es ein gutes und zu-
kunftsweisendes Betriebsverfassungsgesetz geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich nenne Ihnen die Todsünden, die in dem Gesetz ver-
steckt sind.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417701900
Herr Kollege
Singhammer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Schwaetzer?


(Zuruf von der CDU/CSU: Erst die vier Punkte!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1417702000
Wenn ich,
Herr Präsident, erst einmal der Kollegin Dückert die vier
Punkte schildern darf!

Punkt eins, Frau Kollegin Dückert: Die Solidaritäts-
balance zwischen Betriebsrat und Firmenleitung wird
nicht zukunftsweisend neu justiert.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!)


– Doch, das sind genau die Punkte, Frau Dr. Dückert, die
Sie angesprochen haben.

Statt unabhängige und selbstbewusste Betriebsräte zu
fördern, öffnen Sie Tür und Tor für mehr Einflussnahme
der Funktionärszentralen, damit die mehr hineinregieren
können. Das ist einer der Gründe!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie das aufgeschrieben gekriegt?)


– Ja, Sie hören das nicht gern, Herr Kollege Brandner,
aber es ist so!

Wir wollen Betriebsräte, die unabhängig sind. Darum
geht es!

Ich sage Ihnen auch: Die Regelungen, die Sie jetzt ge-
funden haben, sind verfassungsrechtlich zumindest be-
denklich, weil sie nämlich in den Bereich der negativen
Koalitionsfreiheit hineinwirken. Arbeitnehmer, die nicht
Mitglied einer Gewerkschaft sind und deshalb auch kei-
nen Einfluss auf die Willensbildung der Gewerkschaften
haben, werden jetzt ohne großes Federlesen mit einbezo-
gen. Das ist ein Riesenproblem!

Ich nenne Ihnen den zweiten Punkt: Bürokratie und
Kostenbelastungen werden nicht geringer, sondern
größer, sie steigen. Ich sage Ihnen dazu auch ein Beispiel:
Die Zahl der freigestellten Betriebsrätewird ausgewei-
tet, und zwar kostenintensiv insbesondere für die kleine-
ren Betriebe.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

In einem Kleinbetrieb mit bis zu 200 Mitarbeitern wird
künftig ein Betriebsrat von der Arbeit freigestellt, und in
einem Großbetrieb mit 3 000 Mitarbeitern wird ein frei-
gestellter Betriebsrat für 600 Mitarbeiter vorgesehen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ungerecht!)

Genau darin liegt das Problem. Sie müssen nämlich se-
hen, dass in der Konsequenz beim Erreichen der Schwel-
lenwerte viele Betriebe zögern werden, neue Arbeitneh-
mer einzustellen. Wir wollen aber das Gegenteil: Wir
wollen, dass mehr Arbeitnehmer eingestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Keine Ahnung!)





Johannes Singhammer

17397


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb sind diese Grenzwerte problematisch.

(Detlev von Larcher [SPD]: Ihnen ist kein Argument zu doof!)

Nicht nur wir, sondern auch eine ganze Reihe von

Stimmen in Zeitungen und aus der Wissenschaft sagen
Folgendes: Die Zahl der Betriebsräte jetzt zu erhöhen, das
ist noch nicht die Lösung dafür, dass der Betriebsfrieden
gefördert wird. Sonst wäre es doch auch so, dass, wenn
ich die Zahl der Apotheker um 100 Prozent steigere, auch
die Volksgesundheit um 100 Prozent steigen müsste.


(Klaus Brandner [SPD]: Also wirklich: Sie haben keine Ahnung! – Weiterer Zuruf von der SPD: So ein Schwachsinn!)


Das ist viel zu kurz gedacht. Entscheidend ist doch, dass
die innere Befindlichkeit stimmt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gutes Beispiel!)


Ein weiterer Punkt betrifft die Politisierung des Be-
triebsrates. In § 74 haben Sie zu Recht festgestellt, dass
parteipolitische Betätigung in den Betriebsräten nichts zu
suchen hat. Das ist in Ordnung. Aber auf der anderen Seite
verlangen Sie jetzt, dass der Betriebsrat Fremdenfeind-
lichkeit bekämpfen soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Brandner [SPD]: Ist das ein parteipolitisches Thema?)


Die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit ist eine Auf-
gabe der Politik und zumal dieser Bundesregierung, und
dabei unterstützen wir sie. Aber in die Betriebsräte diese
politischen Aufgaben hineinzutragen, die im Übrigen
Gott sei Dank in der Praxis keine Rolle spielen, weil
hier nämlich gute Kooperation herrscht, das ist so nicht
richtig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der nächste Punkt: Sie haben jetzt in wenigen Tagen

ohne Beratung das Gesetz überraschend in einer ganzen
Reihe von Kernpunkten noch einmal geändert. Dabei geht
es auch um den § 97, der jetzt umfassende Mitbe-
stimmungsmöglichkeiten bei der beruflichen Weiterbil-
dung vorsieht. Um es ganz klar zu sagen: Wir sind für be-
rufliche Weiterbildung als Grundlage;


(Klaus Brandner [SPD]: Na also! Dann stimmen Sie doch zu!)


aber in dem, was Sie jetzt ohne entsprechende Beratungs-
zeit eingefügt haben, dass nämlich bei jeder Änderung ei-
nes Arbeitsplatzes umfassende Mitbestimmungsmöglich-
keiten gegeben sind, liegt ein großes Problem,


(Zuruf von der SPD: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir uns die Anhörung zu Herzen genommen!)


weil nämlich durch diese Möglichkeiten die Planungs-
sicherheit von Investitionsentscheidungen ganz massiv
betroffen sein kann. Sie müssten doch auch wissen, wel-
che Auswirkungen das


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


auf Investitionsentscheidungen und Ansiedlungspläne hat.

(Zuruf von der SPD: Es ist unerträglich, Ihnen zuzuhören!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der eigentli-

che Grund, warum Sie dieses Gesetz jetzt in dieser Weise
durchpeitschen wollen, wird ganz deutlich. Mir ist ein
Schreiben des Sprechers der SPD-Fraktion vom vergan-
genen Jahr in die Hände gefallen. Er schrieb damals an die
Genossen:

Wir haben bei den letzten Wahlen sehen können, wie
schwierig es ist, unsere Stammwähler zu mobili-
sieren.

Das stimmt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)


Am Ende des Briefes sagte er:
Das wichtige Thema Betriebsverfassungsgesetz ist
daher ein guter Anlass, wieder mit Betriebsräten und
Gewerkschaftsfunktionären intensiver ins Gespräch
zu kommen!


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört! Nachtigall, ick hör dir trapsen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regie-
rung, ich sage Ihnen: Nichts ist weniger geeignet für eine
derartige Wahltaktik und einen solchen Wahlkampf als
das Betriebsverfassungsgesetz und der Betriebsfrieden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eigentlich ist niemand mit diesem Gesetzentwurf zu-

frieden. Viele Arbeitgeber, insbesondere der Mittelstand,
sprechen im Zusammenhang mit diesem Gesetz von ei-
nem Schwarzen Freitag


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Wollen Sie nicht aufhören, zu verunsichern und zu verunglimpfen?)


mit mehr Bürokratie und Kostensteigerung. Viele Arbeit-
nehmer sind enttäuscht, weil der Modernisierungseffekt
fehlt, weil der Modernisierungsgesichtspunkt hier nur un-
wesentlich auftaucht. Sie haben die große Chance einer
zukunftweisenden Weiterentwicklung des Betriebsverfas-
sungsgesetzes nicht genutzt. Eine Flexibilisierung und die
Möglichkeit, Bündnisse für Arbeit auf lokaler Ebene vor-
zusehen, sind dort nicht so enthalten, wie wir es uns vor-
gestellt hätten. Das rot-grüne Gesetz ist vielmehr aus ei-
nem Blickwinkel der Vergangenheit heraus erarbeitet
worden,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

nämlich aus dem Blickwinkel von Arbeit und Kapital.
Aber die Zeit hat sich doch geändert!


(Zuruf von der SPD: Ja, genau! Es gibt keine Arbeit mehr, nur Kapital!)


Die Mitarbeiter in den Betrieben helfen mit. Sie wollen
den gemeinsamen Erfolg ihres Unternehmens. Deshalb ist
dieser Gegensatz schon längst durch die Wirklichkeit
überholt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)





Johannes Singhammer
17398


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte Ihnen dazu, was ein neues, zukunftweisen-
des Betriebsverfassungsgesetz hätte regeln müssen, ei-
nige Einzelheiten sagen: kürzere Einspruchsfristen bei
frühzeitiger Information, beschleunigte Verfahren bei den
Einigungsstellen, echte Erleichterungen beim Wahlver-
fahren und eine Stärkung des Persönlichkeitsrechts bei
den Wahlverfahren, zum Beispiel durch die Möglichkei-
ten des Kumulierens und Panaschierens, womit einzelne
Persönlichkeiten in besonderer Weise herausgestellt wer-
den können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses heu-
tige Gesetz ist ein falsches Gesetz zum falschen Zeit-
punkt. Falls Sie an die Erarbeitung eines Konjunkturpro-
gramms denken sollten, dann rate ich Ihnen: Das beste
Konjunkturprogramm wäre, dieses Gesetz zu schubladi-
sieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417702100
Ich erteile der Kolle-
gin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417702200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Das, was der Kollege Singhammer
hier gerade eben vorgeführt hat, ist bezeichnend für die
gesamte Debatte in der letzten Zeit.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine richtungweisende, gute Rede! Davon könnt ihr euch eine Scheibe abschneiden! – Gegenruf von der SPD: Nein, diese Scheibe wollen wir nicht!)


Das war einmal wieder ein kleines Lehrstück für politi-
sche Doppelzüngigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Er stellt sich hier hin und behauptet, er und seine Fraktion
seien für mehr Mitbestimmung bei Qualifizierung und
Weiterbildung. Aber gleichzeitig stimmen Sie genau an
diesem Punkt gegen dieses Gesetz. Sie behaupten, für die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechts in diesem Gesetz
zum Schutze von Minderheiten in den Betrieben gekämpft
zu haben. Trotzdem stimmen Sie gegen unser Gesetz, das
genau diesen Punkt enthält. Sie stellen sich hier hin und be-
haupten, Ihnen liege die Mitbestimmung in den Betrieben
in der Bundesrepublik Deutschland am Herzen, werden
aber nachher gegen das Gesetz stimmen, mit dem wir ge-
nau diese Punkte, die Erleichterung und Unterstützung der
Mitbestimmung in den kleinen und den großen Betrieben
in diesem Lande, voranbringen wollen.

Das ist nichts anderes als die Fortführung eines ideolo-
gischen Grabenkampfes. Sie werden dabei nur noch von
den Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion getoppt, die hier so-
gar einen Änderungsantrag einbringen werden, der die
Mitbestimmung aus kleinen Betrieben heraushalten will.

Es geht darum, mehr Demokratie und Partizipation,
das heißt auch Mitbestimmung, in den Betrieben in der
Bundesrepublik Deutschland zu verankern. Ich sage Ih-
nen deutlich: Die Ausweitung der Partizipation und Mit-
bestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen war in

der grünen Politik immer ein treibendes Moment. Deshalb
waren wir von Anfang an, auch in den Koalitionsverein-
barungen und in der Politik dieser Koalition, immer auf
der Seite von mehr Mitbestimmung, immer auf der Seite
derjenigen, die die Reform des Mitbestimmungsgesetzes
für notwendig erachten.

Dieses Mitbestimmungsgesetz – das sage ich auch und
insbesondere an viele Kolleginnen und Kollegen in den
Gewerkschaften gerichtet – wäre ohne die Grünen nicht
zustande gekommen.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Hört! Hört! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ihr seid also verantwortlich! Ihr seid schuld!)


Ein Unterschied zu dem, was Sie uns nachher vortragen
werden, ist zum Beispiel, dass wir mit diesem Gesetz ge-
rade in den kleinen Betrieben, in denen die Mitbestim-
mung immer weiter zurückgedrängt worden ist, durch ein
vereinfachtes Wahlverfahren die Möglichkeiten erweitern
wollen, die Mitbestimmung wieder voranzubringen. Sie
wollen die Mitbestimmung gerade aus den kleinen Unter-
nehmen, wo sie schon in der Vergangenheit kaum Fuß fas-
sen konnte, heraushalten. Wir dagegen sagen: Demokra-
tie und Mitbestimmung gehören auch in die kleinste
Hütte. Wir nehmen das, was Willy Brandt gefordert hat,
nämlich mehr Demokratie zu wagen, besonders an dieser
Stelle sehr ernst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber gerade die grüne Seite stellt besondere Forderun-
gen an die betriebliche Mitbestimmung, an das, was wir
unter demokratischen Formen und Partizipation verste-
hen. Uns geht es bei der Mitbestimmung natürlich darum,
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine
Konstruktion der kollektiven Vertretung zu stärken. Uns
geht es aber auch darum, die individuellen Rechte von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken. Auch
dies ist ein Prinzip der Demokratie. Uns geht es ebenso
darum, die Rechte von Gruppen und nicht nur die Rechte
von Institutionen zu stärken. Deswegen sind in diesem
Gesetz Elemente zur Stärkung von Individualrechten
vertreten, zum Beispiel dadurch, dass wir dafür sorgen,
dass Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben Themen
in die Betriebsratsarbeit einbringen können, auf die Ta-
gesordnung setzen können, zum Beispiel dadurch, dass
wir erstmals in einem Mitbestimmungsgesetz die Mög-
lichkeit der Delegation von Mitbestimmungsrechten von
den Betriebsräten an Arbeitsgruppen, an Gruppen, die im
Team arbeiten, verankert haben.

Es ist sicherlich ein behutsamer Schritt, den wir da ge-
gangen sind. Aber es ist für uns, gerade für meine Frak-
tion, ein wichtiger Schritt, weil auch das zur innerbetrieb-
lichen Demokratie gehört.

Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Für
uns ist der Schutz von Minderheiten überall, auch in den
Betrieben, ein konstitutives Element von Partizipation
und Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Johannes Singhammer

17399


(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen um die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes im Betriebsver-
fassungsgesetz gestritten. Wir wollen auch kleine Listen,
wir wollen auch kleine Gruppen in den entsprechenden
Gremien des Betriebes vertreten wissen. Deswegen haben
wir uns für dieses Recht eingesetzt. Ich sage Ihnen: Ich
bin sehr froh, dass dies gelungen ist. Ich fordere Sie von
der CDU/CSU an dieser Stelle auf, diesem Gesetzentwurf
zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist notwendig
geworden – das wissen wir alle –, weil das alte Gesetz
vielen Anforderungen einer modernen und dynami-
schen Wirtschaft überhaupt nicht mehr Rechnung trägt
und weil wir bei den Anforderungen an die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sowie an die Betriebsräte
eine rasante Entwicklung haben, dass die alten Struktu-
ren an vielen Stellen nicht mehr gepasst haben. Wir ha-
ben neue Formen der Arbeitnehmerschaft, die sich aus-
weiten. Auf der anderen Seite haben wir neue Formen
von betrieblichen Strukturen. Deswegen mussten wir
das Betriebsverfassungsgesetz modernisieren.

Ich denke, wir haben einen klugen Weg einge-
schlagen, indem wir eben nicht versucht haben, den
Betriebsbegriff oder den Arbeitnehmerbegriff ab-
schließend zu definieren, sondern flexible Elemente
in dieses Betriebsverfassungsgesetz integriert haben,
beispielsweise die Möglichkeit von Organisationsver-
einbarungen, also zu verhandelnde Mitbestimmung in
den Betrieben. Verhandelnde Mitbestimmung ist dort
nötig, wo sich betriebliche Strukturen verändern und
sich an die einzelnen Unternehmen anpassen müssen,
die so ihre Strukturen in den Betriebsräten selber ge-
stalten können.

Wir haben gerade aufgrund der verstärkten Anforde-
rung an die Betriebsräte die Notwendigkeit erkannt, ihre
materielle und sachliche Arbeit zu unterstützen, zum Bei-
spiel durch das Hinzuziehen von Sachverständigen. Auch
war es notwendig, dass in vielen Punkten, wie etwa dem
Schutz von Arbeitsplätzen, die betriebliche Mitbestim-
mung im Zusammenhang mit der Qualifizierung, aber
eben auch mit der Beschäftigungssicherung ausgedehnt
worden ist.

Durch die Änderungsanträge, die in den letzten Tagen
diskutiert worden sind, haben wir noch einmal einen
Schritt nach vorne gemacht. Es geht nicht darum, ob in
den Betrieben technische Neuerungen eingeführt werden,
sondern darum, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern eine Chance zu geben und sie durch ihre Betriebs-
räte dabei zu unterstützen, sich durch Weiterbildung und
Qualifikation den neuen Techniken anzupassen. Mit un-
serer Regelung haben wir einen Schritt in die richtige
Richtung getan.

Auch in anderen Bereichen sind wir tätig geworden,
zum Beispiel bei der Stärkung der Rechte von Frauen.
Dies war für meine Fraktion, aber auch für unseren Ko-
alitionspartner SPD, ein wichtiger Punkt. Wir hatten in

unseren Gesetzentwurf zunächst eine Geschlechterquote
hineingeschrieben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ja, das war nun wirklich das Tollste, was da hineingekommen ist!)


Aber wir sind in vielen Diskussionen mit Betriebsräten
auf folgenden Punkt aufmerksam gemacht worden: Un-
sere Formulierung hätte dazu geführt, dass Frauen gerade
dort, wo sie in den Betriebsräten stärker vertreten sind, als
es ihrem Anteil an der Belegschaft entspricht – das ist in
der Regel nicht der Fall –, bei der nächsten Wahl wieder
aus den Betriebsräten gekickt worden wären. Das wollten
wir verhindern. Deswegen haben wir in unserem Ände-
rungsantrag eine neue Formulierung gefunden, über die
am Mittwoch abgestimmt wurde und mit der ein Minder-
heitenschutz im Betriebsrat verankert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Brandner [SPD]: Das war gut so!)


Es war übrigens besonders für Frauen aus meiner Frak-
tion eine sehr spannende Auseinandersetzung, noch ein-
mal über die Notwendigkeit von Quoten zu diskutieren.
Es war interessant, zu hören, wer mit wem überein-
stimmte und welche Argumente gegen die Notwendigkeit
eines Frauen- und Minderheitenschutzes in den Betrieben
genannt wurden. Wir kennen sie aus der Vergangenheit.
All diese Déjà-vu-Argumente wurden unter dem Motto
angeführt: Die Frauen sind doch so qualifiziert, dass sie es
schon schaffen werden. Mit diesem Argument ist immer
wieder versucht worden, dieses Vorhaben zu torpedieren.
Ich bin froh, dass wir diesen Minderheitenschutz für die
Frauen im neuen Betriebsverfassungsgesetz verankern
werden.

Es geht aber noch um einen anderen Punkt. Wir wollen
natürlich, dass Jugendliche ihre Geschicke in den Betrie-
ben verstärkt in die eigene Hand nehmen können. Dazu
lässt sich einiges im Betriebsverfassungsgesetz finden. Es
ging uns natürlich auch um die außerbetrieblichen Aus-
bildungsstätten. Der Entschließungsantrag, der von der
PDS-Fraktion eingebracht worden ist, sieht vor, die Ju-
gendlichen in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten,
die keine Betriebe sind, den Jugendlichen, die in Betrie-
ben mit Betriebsrat beschäftigt sind, gleichzustellen und
auch ihnen das Recht auf Mitbestimmung einzuräumen.
Ich weiß, dass darüber diskutiert wird, ob das Betriebs-
verfassungsgesetz dahin gehend geändert werden soll.
Aber wir müssen die gültige Rechtsprechung berücksich-
tigen, nach der es unmöglich ist, die Mitbestimmung für
außerbetriebliche Einrichtungen im Betriebsverfassungs-
gesetz zu regeln. Wenn wir es dennoch täten, dann hätte
eine solche Regelung nicht lange Bestand. Deswegen
schlagen wir Ihnen die vorliegende Regelung vor. Ich
glaube, dass diese die Mitbestimmung der Jugendlichen
ein Stück voranbringt.

Wichtig ist uns auch, dass im neuen Betriebsverfas-
sungsgesetz ein besonderes Augenmerk auf die blinden
Stellen des alten Gesetzes gerichtet worden ist. Blinde
Stellen gab es beispielsweise überall dort, wo es um den
Umweltschutz geht. Dieser stand 1972 natürlich noch
nicht auf der Tagesordnung. Die Umweltverbände und die




Dr. Thea Dückert
17400


(C)



(D)



(A)



(B)


Grünen haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der
Umweltschutz in das Bewusstsein der Menschen gedrun-
gen ist. Dieses Thema liegt den Betriebsräten und auch
den Belegschaften tagtäglich am Herzen. Deswegen ist es
notwendig und ein Gebot eines modernen Be-
triebsverfassungsgesetzes, auch Regelungen zum Um-
weltschutz aufzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die CDU/CSU sagt nun – das ist einer der Vorwürfe –,
dass ihr die von uns vorgenommenen Veränderungen
nicht weit genug gehen. Das ist absurd. Kürzlich, vor
zwei, drei Wochen, hat der Vorsitzende der CDU/CSU-
Fraktion auf einer CDA-Tagung die Kolleginnen und Kol-
legen, die das Fähnlein der Aufrechten hochgehalten und
für die Verbesserung der Mitbestimmung gekämpft ha-
ben, gefragt, ob sie in der CDU eigentlich noch richtig
aufgehoben seien. Das macht deutlich, dass Sie mit dem,
was Sie zum Beispiel im Zusammenhang mit den Ju-
gendvertretern einfordern, letzten Endes nur eine Feigen-
blattdiskussion für Ihre Partei führen wollen, die in Wahr-
heit die betriebliche Mitbestimmung nicht verbessern
will.

Es gibt eine ganze Reihe von Vorwürfen, die im Zu-
sammenhang mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz
erhoben werden, zum Beispiel den, dass es neue Formen
der Kooperation und Mitbestimmung, wie sie beispiels-
weise in Betrieben aus dem IT-Bereich entstanden sind,
zerstören würde. Auch hier wird nur eine Scheindebatte
geführt; denn es gibt keinen Betriebsrat, der gegen die
eigene Belegschaft im Betrieb arbeiten kann und will.
Es ist zwar gut, dass neue Unternehmen ihre Formen der
Kooperation finden. Aber es ist auch gut – das zeigen
die Entwicklungen in den letzten Monaten bzw. des
letzten Jahres –, dass auch diejenigen, die in neuen Un-
ternehmen beschäftigt sind, auf das Betriebsverfas-
sungsgesetz zurückgreifen können; denn auch diese Be-
legschaften merken imAlltag immer wieder, dass sie am
kürzeren Hebel sitzen. Deswegen brauchen wir im Be-
triebsverfassungsgesetz die Schutzbestimmung, nach
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch gegen
den Willen ihres Arbeitgebers einen Betriebsrat einset-
zen können. Dafür setzen sich die Grünen an vorderster
Stelle ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluss.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schade!)


Über das neue Betriebsverfassungsgesetz ist lebhaft dis-
kutiert worden. Wir brauchen jetzt eine hohe Akzeptanz in
den Betrieben.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die wird nicht kommen!)


Dort muss dieses Gesetz mit Leben gefüllt werden.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Kostenauf blähung!)


Zu der von Ihnen immer wieder aufgestellten Behaup-
tung, dass mehr Mitbestimmung letzten Endes der Sarg-
nagel für die wirtschaftliche Prosperität sei,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

sage ich: Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Ver-
gangenheit hat gezeigt – streiten Sie das nicht ab! –,
dass die betriebliche Mitbestimmung zu sozialem Frie-
den in diesem Land geführt hat, der ein Standortvorteil
ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Lassen wir es doch dabei!)


Deswegen ist das von uns heute vorgelegte Mitbestim-
mungsgesetz eine Art Hebamme für mehr Demokratie in
den Betrieben und eine Stärkung des Standortvorteils, den
wir der Mitbestimmung in diesem Lande zu verdanken
haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417702300
Ich erteile dem Kolle-
gen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Detlev von Larcher [SPD]: Er versteht besonders viel davon! – Ilse Janz [SPD]: Berliner Wahlkampf!)



Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1417702400
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir diskutieren über diese so ge-
nannte Reform vor dem Hintergrund einer Besorgnis er-
regenden Wirtschaftslage; die Institute revidieren ihre
Wachstumsprognosen nach unten. Die Bundesregierung
bleibt bei 2 Prozent, obwohl seit mittlerweile elf Monaten
der Ifo-Geschäftsklimaindex nach unten zeigt. Wir alle
wissen – das ist empirisch belegt –, dass in Deutschland
einer Talfahrt der Prognosen eine Talfahrt des wirtschaft-
lichen Wachstums folgt.


(Klaus Brandner [SPD]: Wollen Sie damit sagen, dass Betriebsräte Störenfriede sind?)


Wir jubeln darüber nicht. Diese Entwicklung ist Anlass,
Ursachen aufzuzeigen und Korrekturen anzumahnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit sind wir beim Thema des heutigen Vormittags.

(Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


– Hören Sie gut zu! – Ich sage nicht so plump: Auswei-
tung der Mitbestimmung, Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes gleich Einbruch der Konjunktur. Ein wirt-
schaftlicher Einbruch hat immer mehrere Ursachen. Hier
ist zunächst festzustellen: Der Einbruch, der in diesen
Monaten stattfindet, ist hausgemacht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Dr. Thea Dückert

17401


(C)



(D)



(A)



(B)


Er hat etwas mit den Zukunftserwartungen der Wirtschaft
zu tun. Diese Zukunftserwartungen sind wiederum das
Ergebnis einer miesen Stimmung, die Sie in den letzten
Monaten erzeugt haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie konnte der nur Wirtschaftsminister wer-
den? – Klaus Brandner [SPD]: Diese Stimmung
haben Sie organisiert oder versucht zu organi-
sieren!)

Weshalb ist die Stimmung nach einem Zwischenhoch
im Jahre 2000 so mies? Während andere Länder ihr Ar-
beitsrecht reformieren, mehr Flexibilität erzeugen, ihre
Regelwerke vereinfachen, Abgaben abschaffen und ihr
Steuersystem vereinfachen, hat sich die Wirtschaftspoli-
tik in der Bundesrepublik Deutschland dazu entschlossen,
neue Wunderwaffen einzusetzen.

Die Wunderwaffe Nummer eins zur Belebung der wirt-
schaftlichen Konjunktur ist die Erfindung des Dosen-
pfandes – ein Volltreffer in der Wirtschaft und bei den
Verbrauchern!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Franz Thönnes [SPD]: Der dosenpolitische Sprecher!)


Die Wunderwaffe Nummer zwei ist die Tatsache, dass
fast die Hälfte der Energiewirtschaft – sie wurde zu un-
serer Regierungszeit liberalisiert – wieder reguliert wird –
ein Volltreffer für die Verbraucher und für die Energie-
wirtschaft!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wunderwaffe Nummer drei ist die Verlängerung
des Postmonopols, über die an diesem Vormittag be-
schlossen werden soll – ein Volltreffer für unsere Wirt-
schaft und für den Verbraucher!

Nachdem der Mittelstand nicht nur durch die Steuerre-
form benachteiligt und verärgert, sondern auch durch die
Ökosteuer gebeutelt worden ist, kommt es heute zur Re-
form des Betriebsverfassungsrechts. Damit wird die Stim-
mung richtig mies gemacht und der Mittelstand so richtig
vor den Kopf geschlagen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Mit Ihrer Rede können Sie in Berlin nicht gewinnen!)


Warum diese Reform? Der Hintergrund ist ganz ein-
fach: Sie ist der Preis, den die rot-grüne Koalition für die
Steuerreform und die Rentenreform zahlt. Sie ist der
Preis, der an die Gewerkschaften gezahlt wird, damit sie
stillhalten und mitmachen, wenn es an mancher Stelle
schwierig geworden ist.


(Anette Kramme [SPD]: Deshalb schaffen Sie die Betriebsverfassung ab!)


Sie ist der Preis, den Herr Riester – im Auftrag des Herrn
Zwickel – zu zahlen hat. Das ist der eigentliche Hinter-
grund.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: So ein Quatsch!)


– Wenn Sie weiter nichts zu sagen haben, Herr von
Larcher, sprechen Ihre Worte für sich selbst.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Jetzt blasen Sie sich aber ganz schön auf!)


Hinter dem, was hier vorgetragen wurde, verbergen
sich keine hehren Ziele. Das Thema eines Ungleichge-
wichts zwischen Kapital und Arbeit hat längst eine andere
Dimension erhalten; es ist ein Thema der alten Industrie-
gesellschaft, das wir gemeinsam in den 60er- und 70er-
Jahren bei der Diskussion über die nunmehr geltende Mit-
bestimmung aufgenommen haben. Die F.D.P. hat damals
daran mitgewirkt. Das hatte seine Berechtigung und hat
sich letztlich auch bewährt.


(Beifall bei der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Darum wollen Sie sie heute abschaffen?)


Heute haben wir aber eine andere Arbeitswelt. Damals
ging es um lange Arbeitszeiten, Abhängigkeiten und Ano-
nymität in der Arbeitswelt. Es war nachvollziehbar, dass
Betriebsräte, starke Gewerkschaften und Regelwerke
über den Umgang miteinander notwendig waren. Gegen-
über heute muss man differenzieren; denn heute geht es
um etwas ganz anderes: Die Arbeitswelten, in denen die
Gewerkschaften eine starke Stellung hatten, sind in Be-
wegung geraten und im Rückzug begriffen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Dieses Gesetz ist für die Gewerkschaften geschaffen!)


Ich sage nicht, dass sie ganz verschwinden. Aber die
neuen Arbeitswelten werden immer stärker dominieren.
Die Gewerkschaften haben Angst, dass sie nicht mehr ge-
braucht werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ein reines DGB-Fördergesetz!)


Deshalb soll das Betriebsverfassungsgesetz reformiert
werden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist eine unverschämte Diffamierung! Er war schon immer gegen die Gewerkschaften!)


Es geht um Posten und Pöstchen und es geht um die
Tatsache, dass den Gewerkschaften die Mitglieder weg-
laufen. Dadurch schrumpft das Beitragsvolumen. Das
sind die Fakten. Schauen Sie in die Statistik; Sie kennen
sie ganz genau. Sie regen sich hier auf; es geht um Posten
und Pöstchen und Sie zahlen den Preis an die Gewerk-
schaften.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Der Einzige, der sich hier aufregt, ist Rexrodt! – Ilse Janz [SPD]: Das ist eine reine Wahlkampfrede!)


Wer dieses brandmarkt, dem wird unterstellt, er wolle die
alte Subordination zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern wieder herbeiführen. Das liegt doch neben der Sa-
che. Jeder Mensch, der einen Betrieb von innen kennt,
weiß, dass dieser Betrieb nur laufen kann, wenn es ein
Miteinander, eine Kooperation, einen Austausch aller Be-




Dr. Günter Rexrodt
17402


(C)



(D)



(A)



(B)


teiligten gibt. Nötig ist eine Partizipation bei der Arbeit
und beim Ergebnis dieser Arbeit.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Dann weiß ich nicht, warum Sie dagegen sind, wenn das so ist!)


Die neue Arbeitswelt, auf die wir uns einstellen müs-
sen, ist durch kleine Einheiten, größere Selbstständigkeit,
den Wechsel und die Vermischung von selbstständiger
und unselbstständiger Arbeit, weltweite Vernetzung,
Projektarbeit, bei der man zusammenkommt und wieder
auseinander geht, mehrere parallele Beschäftigungsver-
hältnisse, ungewöhnliche Beschäftigungszeiten und eine
ungewöhnliche Beschäftigungsdauer gekennzeichnet.


(Klaus Brandner [SPD]: Und solche Prozesse unterstützen Betriebsräte!)


Das ist der Trend, in dem sich die Arbeitswelt ent-
wickelt. Die Industriegesellschaft geht zu Ende.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Der Arbeiter soll seinen Lohn selber mitbringen!)


In der neuen Gesellschaft, die die alte nicht vollständig
verdrängen wird, vermischen sich Arbeitgeber- und Ar-
beitnehmerfunktionen. Das ist eine Tatsache.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Wollen Sie die Betriebsräte abschaffen? Er will die Betriebsräte abschaffen!)


Der Kapitalist wird gleichzeitig Arbeitnehmer; Arbeitge-
ber und Arbeitnehmer arbeiten im Betrieb auf gleicher
Augenhöhe. Die Arbeitnehmer werden Kapitalisten.


(Lachen bei der SPD und der PDS)

Das ist gut so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich füge hinzu: Gott sei Dank ist heute die Zahl der Ak-
tionäre größer als die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Sie machen sich lächerlich!)


Wer in einem Betrieb ein Problem hat, spricht mit sei-
nem Arbeitgeber, und zwar in gleicher Augenhöhe.


(Lachen bei der SPD)

Diese Form der Mitbestimmung braucht weniger Be-

triebsräte und schon gar keine Gewerkschaftsfunktionäre.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mitbestimmung erfolgt durch Beteiligung am Ertrag und
am Kapital, nicht umgekehrt. Das ist gut so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann nachvollziehen, dass man beim DGB und in
der IG Metall ins Grübeln kommt. Man sagt: Wir müssen
die Arbeitnehmer in der neuen Arbeitswelt schützen.

Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer können sich in dieser
neuen Arbeitswelt heute häufig sehr viel besser selber
schützen als früher.

In Wirklichkeit wollen die Gewerkschaften in dieser
neuen Arbeitswelt dabei sein. Deshalb werden mit der Re-
form des Betriebsverfassungsgesetzes vereinfachte Ver-
fahren zur Installierung von Betriebsräten in Kleinbetrie-
ben eingeführt, die Schwellenwerte herabgesetzt und
Mitwirkungsrechte unter der Überschrift Umweltschutz
auf quasi alle betrieblichen Investitionen ausgedehnt.
Man schlägt die Unternehmer, die Entscheidungsträger,
damit vor den Kopf. Auch das führt zu Attentismus bei In-
vestitionen. Dieser ist ursächlich für die schlechte Kon-
junkturlage.


(Beifall bei der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Einen so schwachen Vortrag habe ich lange nicht gehört! Er hat den Gesetzentwurf nicht gelesen! – Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD])


Während auf der einen Seite Initiativrechte an Stellen ein-
geführt werden, an die sie gar nicht hingehören, werden
auf der anderen Seite Schlichtungsprozedere wie runder
Tisch und andere, die dabei hätten helfen können, Pro-
bleme im Betrieb zu lösen, nicht installiert, sondern sogar
abgeschafft. Dieser Ansatz ist falsch und führt zum Ge-
genteil dessen, was wir wollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Wir aber wundern uns, dass sich die Mittelständler vor
den Kopf geschlagen fühlen und nicht mehr investieren.


(Klaus Brandner [SPD]: Weil sie durch Sie und andere falsch informiert werden!)


Meine Damen und Herren, Sie hatten am Anfang der
Legislaturperiode drei richtige Grundsatzentscheidun-
gen getroffen, und zwar bezüglich der steuerlichen Entlas-
tung, der privaten Vorsorge in der Rente und der
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur haben Sie es falsch gemacht!)


Bei den ersten beiden Punkten haben Sie die Chancen
durch die steuerliche Ungleichbehandlung von Perso-
nen- und Kapitalgesellschaften und durch die unselige
Ökosteuer total verspielt. Die Rentenreform haben Sie
durch Zulassungs- und Zertifizierungsstellen verkom-
pliziert und dadurch viel kaputtgemacht. Schließlich ha-
ben Sie noch draufgesattelt, indem Sie bei den EVUs
und der Post wieder rereguliert haben. Das treibt
die Preise, sodass wir heute eine höhere Inflationsrate
haben.

Nun, da Sie die Mitbestimmung ausweiten wollen,
geht die Konjunktur bei insgesamt passablen weltwirt-
schaftlichen Daten und einem günstigen Euro-Kurs in den
Keller. In Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum sind
wir das Schlusslicht in Europa.


(Zuruf des Abg. Konrad Gilges [SPD])

Die Arbeitslosigkeit steigt. Sie werden Ihre Versprechun-
gen für das Jahr 2002 nicht halten können.




Dr. Günter Rexrodt

17403


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417702500
Kollege Rexrodt, Sie
müssen zum Ende kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schade!)



Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1417702600
Ich komme sofort zum
Ende, Herr Präsident. – Letzter Satz: Die Krise ist haus-
gemacht, meine Damen und Herren. Sie fliegt Ihnen im
Jahre 2002 um die Ohren. Und das ist gut so.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417702700
Ich erteile der Kolle-
gin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1417702800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war also nun die
Wunderwaffe der F.D.P. für den Berliner Wahlkampf:


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Alte muffige Klassenkampfparolen von vorgestern. Und
das ist gut so.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist aber nicht die neue Allianz Rexrodt/Gysi, von der Sie sprechen? – Gegenruf des Abg. Klaus Brandner [SPD]: Ihr seid doch mit den Blockflöten zusammen, wir doch nicht!)


Ich komme zum eigentlichen Thema: Mutig, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, ist die Reform des Betriebsver-
fassungsgesetzes wirklich nicht. Die gute Botschaft: Es
gibt mit dieser Reform endlich einmal keine Verschlech-
terungen. Damit scheint der Trend der letzten Jahre ge-
brochen, wonach alles, was als Reform daherkam, mit De-
mokratieabbau und Leistungskürzungen versehen war.
Der heutige Gesetzentwurf hat positive Seiten, aber er hat
auch erhebliche Mängel.

Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen – da kann
ich mich relativ kurz fassen –:


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glaube ich, dass Sie sich da kurz fassen!)


Zunächst ist festzustellen, dass das vereinfachte Wahlver-
fahren ein richtiger Schritt ist, um die Zahl der Vertretun-
gen auch in den kleineren Betrieben endlich wieder zu er-
höhen. Auch die verbesserte Freistellung ist ein wichtiger
Ansatz. Dadurch kann die Arbeit der Betriebsräte an Qua-
lität gewinnen. Auch die Einführung der Mindestquote
halten wir für einen wichtigen Schritt, weil vor allen Din-
gen die Frauen davon profitieren werden. Schließlich be-
grüßen wir die Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes.
Weil all dies, was ich jetzt erwähnt habe, die Stellung der
abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften in den
Betrieben verbessern wird, wird die PDS diesem Gesetz-
entwurf zustimmen.

Ich sage Ihnen aber auch ganz offen, dass diese Reform
weder einer entspricht, die angesichts der rasanten Ent-

wicklungen bei der Arbeitsweise und der Technik notwen-
dig gewesen wäre, noch der, die Sie versprochen haben.
An den entscheidenden Mitwirkungs- und Mitbe-
stimmungsrechten haben Sie nicht ein Jota verändert; und
das ist nicht gut so.


(Beifall bei der PDS)

Wenn in der Öffentlichkeit trotzdem der Eindruck ent-

stehen konnte, dass dieses Gesetz die Verhältnisse im Be-
trieb zum Tanzen bringt, dann verdankt es diese Wert-
schätzung vor allem der völlig überzogenen Reaktion aus
dem Arbeitgeberlager. Die Sympathisanten haben wir ja
gerade gehört. Sogar das Schreckgespenst der kalten Ent-
eignung wurde wieder aus der Mottenkiste geholt. Das al-
les ist natürlich blanker Unsinn. Es sind – das sage ich Ih-
nen ganz klar – die starken Gegner, die dem schwachen
Gesetz dieses Medienecho bescheren konnten.

Die Unternehmerverbände haben mit einer kaum noch
zu überbietenden Drohkulisse versucht, nicht nur die be-
triebliche Mitbestimmung in diesem Prozess zu demon-
tieren,


(Detlev von Larcher [SPD]: Das war immer so!)


sondern gleich auch noch den Tarifvertrag auszuhöhlen.
Mit ihrer Absicht, durch die Abkehr vom Günstigkeits-
prinzip die Tarifpolitik in die Betriebe zu verlagern und
die Gewerkschaften durch die Aufweichung des
Flächentarifvertrages zu schwächen, sind sie zum Glück
gescheitert, weil die Koalition trotz mancher Eierei ins-
besondere in den Reihen der Bündnisgrünen an diesem
Punkt standhaft geblieben ist; auch das ist gut so.

Dennoch werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, mit diesem Gesetzentwurf weder den
Erwartungen der Gewerkschaften noch denen der Prakti-
kerinnen und Praktiker in den Betrieben noch der Not-
wendigkeit einer zeitgemäßen Reform gerecht. Im Ge-
genteil: Die PDS ist der Auffassung, dass Sie an der
untersten Schwelle dessen bleiben, was eine demokrati-
sche Betriebsverfassung den Arbeitgebern abverlangen
muss, wenn man, Herr Singhammer, weiterhin das Ver-
hältnis von Arbeit und Kapital auch am Sozialstaatsgebot
unserer Verfassung orientieren will. Darauf legen wir al-
lerdings sehr viel Wert.


(Beifall bei der PDS)

Kommen wir zurück zum vereinfachten Wahlverfah-

ren. Wir alle wissen, dass dieses Verfahren nicht der al-
leinige Grund für die zunehmende Zahl von betriebsrats-
freien Zonen ist. Entscheidend ist, dass auf die
Beschäftigten zunehmend Druck ausgeübt wird: So
kommt es vor, dass sie willkürlich entlassen werden,
wenn bekannt wird, dass sie einen Betriebsrat wählen
wollen. Zahllose Unternehmen verstoßen seit Jahren ge-
gen das Gesetz und klagen hemmungslos darüber, dass
die Einhaltung dieses Gesetzes zu teuer ist. Das ist wirk-
lich ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Leider hat
die Koalition nicht den Mut aufgebracht, die Wahl von
Betriebsräten zu einem unumgänglichen demokratischen
Muss zu machen. Gerade das aber wäre im Interesse der
Beschäftigten gewesen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Die größte Schwäche des Reformgesetzes zeigt sich im
Kern der Betriebsverfassung. An diesem Punkt ist das,
was der Kollege Rexrodt gesagt hat, blanker Unsinn.


(Detlev von Larcher [SPD]: Herr Rexrodt hat nur Unsinn geredet!)


Es gibt keine Veränderung in der tatsächlichen Mitbe-
stimmung. Dabei war doch die Anpassung der Mitbe-
stimmung an die neuen Produktionskonzepte, an die ver-
änderten Arbeitsabläufe und Organisationsformen oder an
die neuen Technologien der eigentliche Grund für diese
Reform.


(Beifall bei der PDS)

Sie selbst, Herr Minister Rexrodt


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Jetzt werde ich geadelt!)


– Entschuldigung; ich meine natürlich Herrn Minister
Riester –, haben immer wieder zu Recht darauf hingewie-
sen, dass die Veränderungen der letzten 20 Jahre die Mit-
bestimmungsrechte nach und nach überholen werden.
War es denn nicht die SPD, die ständig das Bild der Ku-
gelkopfmaschine bemüht hat, die bei der Ausarbeitung
des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 Pate gestanden
hat? Das ist, wie ich finde, ein schöner und bildhafter Ver-
gleich, mit dem man den Menschen deutlich machen
kann, was sich in den letzten Jahren wirklich verändert
hat. Allerdings sind Sie – das müssen Sie sich sagen
lassen – im Zeitalter der Kugelkopfmaschine stehen ge-
blieben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!)

Uns ist das zu wenig.


(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Reden Sie doch keinen Unsinn, Frau Kollegin! – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Mehr Kugel als Kopf! – Klaus Brandner [SPD]: Jetzt schlägt sie die Brücke zur F.D.P.!)


– Kollege Larcher, dass Sie in solchen Fragen immer be-
sonders kompetent sind, kann man an Ihren Zwischenru-
fen sehr schnell nachvollziehen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie aber nicht nett zu Ihrem Koalitionspartner!)


Nehmen wir zum Beispiel die Einführung der Grup-
penarbeit. Natürlich ist es gut, dass Betriebsräte dafür
Grundsätze aufstellen können. Aber was hilft ihnen das,
wenn sie bei die Einführung der Gruppenarbeit nicht mit-
bestimmen können? Oder die Frage des Umwelt-
schutzes: Natürlich ist es gut, dass der Aufgabenkatalog
erweitert wird. Aber es gibt in diesem Bereich kein wirk-
liches Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. Das ist ein-
fach zu wenig.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt er-
wähnen, der uns besonders am Herzen liegt. Ich meine die
Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretungen
und den verbesserten Schutz ihrer gewählten Mitglieder.
Hier hätten Sie keinem Arbeitgeber ernsthaft wehgetan,
wenn Sie den Vorschlägen der Gewerkschaftsjugend ge-
folgt wären.


(Beifall bei der PDS)


Warum lassen Sie in über- und außerbetrieblichen Lehr-
werkstätten Auszubildende zweiter Klasse zu, die
schlechter gestellt sind – das wissen Sie genau – als ihre
Kolleginnen und Kollegen im Betrieb? Wir wollen, dass
auch diese jungen Leute die Rechte und den Schutz des
Betriebsverfassungsgesetzes bekommen. Wir halten Ihre
vorgeschlagene Regelung für das falsche Signal.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417702900
Kollegin Knake-
Werner, Sie müssen zum Ende kommen.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1417703000
Ich komme zum
Schluss.

Deshalb haben wir uns – obwohl es eine Fülle von Än-
derungsbedarf gegeben hat – mit unserem Änderungsan-
trag darauf konzentriert, zugunsten der Jugendlichen und
der Auszubildendenvertretungen zu wirken. Ich finde, es
sollte Ihnen die Sache wert sein, hier der PDS – einmal ist
ja immer das erste Mal – zuzustimmen. Ich garantiere Ih-
nen aber auch – so verstehe ich die Botschaft der Ge-
werkschaften –: Nach der Reform ist vor der Reform.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417703100
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.


Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1417703200
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird eines der
großen Reformprojekte der rot-grünen Koalition verab-
schiedet.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Die letzte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes
liegt immerhin schon 30 Jahre zurück. Wir passen das Ge-
setz den heutigen Gegebenheiten an und geben den Be-
triebsräten neue und hervorragende Arbeitsmöglichkeiten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Rückschritte!)


Das Gesetz ist aber nicht nur ein Gesetz für die Be-
triebsrätinnen und für die Betriebsräte; es ist nicht nur ein
Gesetz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es
ist auch Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft. Mo-
derne Unternehmensstrategie ist es, betriebliche Hierar-
chien abzubauen. Genau dies tun wir. Wir schaffen mit der
neuen Betriebsverfassung hierfür die gesetzlichen Rah-
menbedingungen.

Wir sollten aber nicht außer Acht lassen, dass gerade
die Betriebsverfassung wesentlicher Faktor für die Schaf-
fung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik
Deutschland war und ist. Sie ist die Ergänzung zur Streik-
kultur der Tarifvertragsparteien. Leider mussten die Re-
gierungsfraktionen feststellen, dass gerade die F.D.P. sich
von dem jahrzehntelangen Konsens, dem Konsens der so-
zialen Marktwirtschaft, verabschiedet hat. Die F.D.P. hat
Ade zur Betriebsverfassung gesagt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist doch Quatsch, was Sie erzählen!)





Dr. Heidi Knake-Werner

17405


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie legen hier ein Sammelsurium von Schauerlichkei-
ten vor:


(Beifall bei der SPD)

anteilige Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten bei
den Schwellenwerten, Verkleinerung der Betriebsrats-
gremien, Freistellungen von Arbeitnehmern für die Be-
triebsratsarbeit erst ab 500 Arbeitnehmern, § 87 des
Betriebsverfassungsgesetzes – das Mark aller Mitbe-
stimmung – erst ab 300 Arbeitnehmern, Aushebelung
des § 77 Abs. 3. Frau Schwaetzer und Herr Niebel,
ich muss Sie fragen: Was ist aus Ihrer alten Partei ge-
worden?


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Eine junge Partei!)


Schämen Sie sich nicht?

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)

Herr Rexrodt, Sie trauen sich wirklich, in Berlin in den

Straßenwahlkampf zu ziehen. Ihr Ziel,18 Prozent, ist mit
Sicherheit nicht erreichbar.


(Beifall bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das wollen wir doch einmal sehen!)


Einige der Kolleginnen und Kollegen der Opposition
scheinen nicht recht wahrgenommen zu haben, was wir
als rot-grüne Koalition hier machen. Es war erforderlich,
die Arbeitnehmergrenzzahlen für die Freistellung von
Betriebsratsmitgliedern herabzusetzen. Ab 200 Beschäf-
tigten kann sich nun ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeite-
rin ausschließlich um die Interessen der Belegschaft küm-
mern. Das war dringend notwendig.


(Beifall bei der SPD)

Die Arbeitsbelastung der Betriebsräte ist in den letzten

Jahren sowohl in quantitativer als auch in qualitativer
Hinsicht massiv angestiegen. Betriebsräte haben sich im-
mer häufiger mit Outsourcing – so lautet das eine Schlag-
wort – und mit Unternehmensverschmelzungen auseinan-
der zu setzen. Aber auch jede technische Einrichtung, die
heute in den Betrieb hineinkommt, ist mitbestimmungs-
pflichtig, weil sie eine intensive Verhaltens- und Leis-
tungskontrolle ermöglicht. Das beginnt bei einer ganz ba-
nalen ISDN-Anlage. Über diese kann ohne weiteres die
Arbeitsfähigkeit, die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters,
beispielsweise in einem Callcenter, überprüft werden.

Wir haben uns weiter entschlossen, in Betrieben mit bis
zu 50 Beschäftigten das Wahlverfahren zu vereinfachen.
In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten kann dieses ein-
fache Wahlverfahren vereinbart werden. Bislang war die
Betriebsratswahl auch in kleinen Betrieben mindestens so
schwierig wie die Durchführung einer Bundestagswahl.
Bedauerlicherweise mussten wir feststellen, dass einige
Arbeitgeber diese Gelegenheit genutzt haben, um die Er-
richtung von Betriebsratsgremien zu verhindern. Da sind
Versammlungen zur Einberufung eines Wahlvorstandes
auf Veranlassung des Arbeitgebers lautstark gestört wor-
den, da haben beispielsweise alle Arbeitnehmer am ent-
scheidenden Tag Freizeit erhalten. Jede Gewerkschaft
kann zahlreiche Beispiele nennen. Vor allem ist es immer

wieder zu überraschenden Kündigungen von interessier-
ten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gekommen.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Waren Sie schon einmal in einem Betrieb?)


– Ja. Ich bin Rechtsanwältin, und zwar ausschließlich mit
dem Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Aber gearbeitet haben Sie da noch nicht!)


Meine Tätigkeit umfasst Interessenausgleichs- und Sozi-
alplanverhandlungen. Ich meine, ich nehme sehr intensiv
die tägliche Arbeit von Betrieben wahr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir geben den Betriebsräten ein Initiativ- und Mitbe-
stimmungsrecht bei der Einführung von betrieblichen Be-
rufsbildungsmaßnahmen. Die Regierungskoalition hat in
diesem Punkt den Regierungsentwurf abgeändert und da-
mit dieser Novelle einen eigenen und markanten Stempel
aufgedrückt.

Qualifizierungwar und ist das Herzstück sozialdemo-
kratischer Politik. Die Anforderungen am Arbeitsplatz än-
dern sich ständig und auch immer schneller. Lebenslanges
Lernen ist erforderlich. Und das ist gut und richtig so.
Aber wir wollen auch, dass alle mithalten können. Des-
halb geben wir den Betriebsräten ein volles Mitbestim-
mungsrecht bei geplanten oder bereits durchgeführten
Maßnahmen des Arbeitgebers, die dazu führen, dass die
beruflichen Kenntnisse der Beschäftigten nicht mehr aus-
reichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wird auch den Unternehmen gut tun. Sicherlich wird
die Neuregelung den einen oder anderen Innovations-
schub bewirken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rot-Grün schafft
Perspektiven.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Wir haben die Arbeitssituation vieler Menschen verbes-
sert. Auch dieses Betriebsverfassungsgesetz wird hierzu
beitragen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417703300
Ich erteile das Wort
der Kollegin Dorothea Störr-Ritter von der CDU/CSU-
Fraktion.


Dorothea Störr-Ritter (CDU):
Rede ID: ID1417703400
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute
dieses Gesetz ablehnen, geschieht dies ganz bestimmt
nicht gegen die Mittelständler, weil die Mittelständler
etwa, wie Sie, Herr Brandner, glauben machen wollen,
dieses Gesetz haben zu wollen, sondern es geschieht, weil




Anette Kramme
17406


(C)



(D)



(A)



(B)


die Mittelständler und ihre gesamten Belegschaften die-
ses Gesetz eben nicht haben wollen


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Klaus Brandner [SPD]: Fördern Sie doch einmal Dialog!)


– diese Rundschreiben kamen auch aus anderer Rich-
tung –, weil die Mittelständler ganz genau spüren, dass
die Regierung hier einen Schritt nach links tut, das ar-
beitsmarktpolitische Ruder zu einer neuen Linken hin-
steuert und eine Rückkehr in die Mitte nicht mehr mög-
lich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Um die soziale Marktwirtschaft und auch den sozia-
len Frieden zu erhalten, braucht es Ordnungspolitik, aber
es braucht eben auch eine Garantie für Freiheit, Eigentum
und Selbstbestimmung der Bürger.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Diese Garantien tritt der Gesetzentwurf mit Füßen. Die
Koordinaten werden nach links verschoben; die Freiheit
der im Wettbewerb stehenden Unternehmen wird mehr
und mehr beschnitten und die Freiheit der Arbeitnehmer
soll unterbunden werden durch Fremdbestimmung von-
seiten der Gewerkschaften.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Oh-Rufe von der SPD)


Das Misstrauen zwischen den Sozialpartnern wird zur Ba-
sis betrieblicher Partnerschaft erklärt.


(Peter Dreßen [SPD]: Begründen Sie einmal, wieso!)


Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Regierungskoalition, unterstellen den Unternehmern,
dass diese grundsätzlich kalt agierten. Sie unterstellen
aber auch den mündig gewordenen Arbeitnehmern, dass
nur Betriebsräte die für jeden Einzelnen günstigsten Be-
stimmungen an seinem Arbeitsplatz aushandeln könnten.
Mit der verbohrten Einstellung, dass nicht sein kann, was
nicht sein darf, ignorieren Sie, dass das bisherige Be-
triebsverfassungsgesetz seinen Zweck erfüllt und wir in
Deutschland im Vergleich mit allen Industrieländern be-
reits den höchsten Grad von Mitbestimmung haben.

Soziale Partnerschaften sind unter dem bisherigen Be-
triebsverfassungsgesetz entstanden und funktionieren
auch. Sie wollen nicht wahrhaben, meine sehr geehrten
Damen und Herren der Regierungskoalition, dass es jetzt
darum gehen muss, diese entstandenen Partnerschaften zu
stärken und sie zukunftsfähig zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Beharrlichkeit schauen Sie immer nur dorthin, wo

es schlecht läuft.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es, ja wohl!)

Ihre Angst vor der Allmacht der Konzerne – selbstver-
ständlich nur dann, wenn es keine SPD-Konzerne sind –

verstellt Ihnen den Blick für die mittelständische Wirt-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben ja vielleicht einen Kanzler der Bosse und ei-

nen Kanzler der Genossen. Wir verstehen, dass da bei al-
lem Talent für einen Kanzler der Mittelständler kein Platz
mehr bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie ignorieren aufgrund Ihrer Unkenntnis oder auch
mit Absicht, dass soziale Partnerschaften, in denen Un-
ternehmerinnen und Unternehmer ein hohes persönliches
Risiko eingehen, eine direkte persönliche Verantwortung
für Mitarbeiter, Kunden, Geldgeber und auch die eigenen
Familien tragen, bereits heute gut funktionieren.


(Klaus Brandner [SPD]: Das unterstützen wir mit diesem Gesetz!)


Damit meine ich 90 Prozent aller Unternehmen in
Deutschland, nämlich die Personenunternehmen des Mit-
telstandes.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Dort steht nicht die Kapitalrendite im Vordergrund, son-
dern der Mensch, seine Existenz und seine soziale Ver-
antwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind
keine managergeführten Betriebe, sondern eben inhaber-
geführte Betriebe.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417703500
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?


Dorothea Störr-Ritter (CDU):
Rede ID: ID1417703600
Ich habe mit
Herrn Dreßen im Ausschuss so viel diskutiert; das genügt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Und Sie sind nicht klüger geworden!)


Regelungen, die für Konzerne gelten sollen, wollen
Sie einmal mehr dem Mittelstand überstülpen. Tatsache
ist aber, dass in diesen Betrieben in den letzten 15 Jah-
ren 1,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden
sind. Die Konzerne haben 800 000 Arbeitnehmer ent-
lassen.

Sie erwarten ganz selbstverständlich, dass sich die Un-
ternehmerfamilien mit ihrer gesamten Existenz in diese
mittelständischen Betriebe einbringen. Gleichzeitig
erweitern Sie aber die Möglichkeiten außerbetrieblicher
Institutionen, das heißt der Gewerkschaften und der Eini-
gungsstellen, letztendlich die unternehmerischen Ent-
scheidungen zu fällen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! – Detlev von Larcher [SPD]: Was reden Sie denn da?)





Dorothea Störr-Ritter

17407


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie finden es dabei richtig, dass bei Fehlentscheidungen
Unternehmer und ihre Familien allein die finanziellen
Folgen zu tragen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.] – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Ihr
Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, nicht unser Ver-
ständnis.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Diese Betriebe überfrachten Sie mit unzumutbarer Büro-
kratie und mit nicht umlegbaren Kosten.


(Peter Dreßen [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Sie wissen nicht, was es heißt, tagtäglich im Wettbewerb
zu stehen und sich bewähren zu müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr verehrten Damen und Herren der Regie-
rungskoalition, dabei spreche ich insbesondere für die Be-
triebe der Old Economy. Sie werden in den nächsten Wo-
chen merken, wie sehr Sie diese Betriebe noch benötigen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die größten Fehlentscheidungen gegenüber mittelstän-

dischen Betrieben möchte ich kurz erwähnen: In diesen
Betrieben gibt es keine Juristenstäbe, die in der Lage sind,
schwammige Rechtslagen zu analysieren und für die Be-
triebe umzusetzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir haben keine schwammigen Rechtslagen!)


Es gibt in diesen Belegschaften auch keine Springer, die
kostenneutral einzusetzen wären, wenn Betriebsräte ihrer
Arbeit nachgehen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Reden Sie doch einmal von dem Nutzen der Betriebsratsarbeit!)


Dass die geplante Absenkung der für die Betriebsrats-
größen maßgeblichen Arbeitnehmerzahlen erhebliche Be-
lastungen bringt und in einem Missverhältnis steht, hat
Kollege Singhammer schon erwähnt. Nach wie vor kann
ich mir auch nicht erklären, warum Sie davon ausgehen,
dass ein Betrieb mit fünf Mitarbeitern eine Betriebsrats-
dichte von 20 Prozent, ein Betrieb mit 9 000 Mitarbeitern
aber nur von 0,4 Prozent braucht. Erklären Sie mir diesen
Widerspruch!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Es ist ja nicht zu glauben, wie dumm das ist! So ein dummes Zeug!)


Die Absenkung des Schwellenwertes für Freistellun-
gen wirkt sich auf mittelständische Betriebe fatal aus:
Diesen Betrieben stehen künftig Kosten in Höhe von

2,7 Milliarden DM ins Haus, die nicht umgelegt werden
können.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt überhaupt nicht!)


Wofür? Können Sie mir erklären, was ein vollständig frei-
gestellter Betriebsrat in einem Betrieb mit 200 Mitarbei-
tern die ganze Zeit über zu tun hat?


(Beifall bei der CDU/CSU – Franz Thönnes [SPD]: Gehen Sie mal in einen Betrieb, damit Sie wissen, was los ist! – Ilse Janz [SPD]: Sie haben keine Ahnung! – Franz Thönnes [SPD]: Keine Ahnung von der Realität!)


Um wettbewerbsfähig zu bleiben, leben mittelständi-
sche Betriebe längst von Teamarbeit. Die neu formulier-
ten Grundsätze über die Durchführung von Gruppenar-
beit, für die außerbetriebliche Stellen die Vorschriften
erstellen können, machen teamorientierte Arbeit uninte-
ressant bzw. dort, wo sie heute schon besteht, kaputt. Das
sagen Ihnen alle Betriebe. Effizienzwirkungen kommen
eben nicht von den Betriebsräten oder von außerbetriebli-
chen Einigungsstellen, sondern von Mitarbeitern, die ge-
willt sind, für ihren Betrieb durchs Feuer zu gehen, weil
sie sich davon persönliche Vorteile erhoffen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.] – Widerspruch bei der SPD)


Mit Ihrer Regulierungswut sperren Sie aber auch die
Freiheit der Arbeitnehmer aus.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Freilich sind Sie in einem Dilemma: Die Gewerkschaften
wollten selbstbewusste Arbeitnehmer. Nun, da wir diese
selbstbewussten Arbeitnehmer haben, verlieren die Ge-
werkschaften an Einfluss. Die inzwischen selbstbewuss-
ten Arbeitnehmer wollen die zu leistende Arbeit mitge-
stalten und über die Bedingungen ihrer Tätigkeiten
individuell bestimmen.

Kein Mensch versteht, dass neue Organisationsformen
nur durch Tarifverträge vorgeschrieben und nicht von den
Belegschaften selbst entwickelt werden dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kein Mensch versteht, warum in Ihrem Gesetzentwurf
Entscheidungsprozesse nicht beschleunigt werden.
Warum macht ein Korsett bürokratischer Detailvorschrif-
ten unmöglich, dass sich Arbeitnehmer in freier Entschei-
dung auch für den Erfolg ihres Unternehmens einsetzen
dürfen? Ich gebe Ihnen die Antwort: Weil Sie als Regie-
rung den Gewerkschaften die Macht sichern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.] – Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Dass ein verantwortungsvolles Miteinander längst vor-
handen ist, beweist die Mehrzahl der Unternehmen. Ich
empfehle Ihnen, sich vor Ort danach zu erkundigen.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie sollten einmal mit der CDA und den Sozialausschüssen reden!)





Dorothea Störr-Ritter
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(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Unternehmen sind im Übrigen auch erfolgreich,
weil sie eben ein verantwortungsvolles Miteinander zwi-
schen Arbeitgebern und Arbeitnehmern pflegen.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Sie wollen das nicht wahrhaben, weil es nicht in Ihr
Weltbild passt. Sie haben immer noch nicht begriffen,
dass es in den meisten Betrieben – insbesondere in den
Betrieben des Mittelstandes – keinen kalten Krieg mehr
gibt, sondern dass es darum geht, die betriebliche Part-
nerschaft zeitgemäß zu stärken.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau so ist es!)

Im Übrigen findet in diesen Betrieben, Frau Dr. Dückert,
seit längerer Zeit Qualifizierung statt, weil sie längst be-
griffen haben, dass ein Bestehen im Wettbewerb und ein
Fortkommen anders nicht möglich sind.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum regen Sie sich dann so auf?)


Aber diese Qualifizierung braucht nicht vorgeschrieben
zu werden, sondern kann in den Betrieben vor Ort zwi-
schen den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
ausgehandelt werden. Diese Qualifizierung wird stimmig
sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])


Das Gesetz stellt auch keinen Standortvorteil dar.
Wenn Sie sich beispielsweise bei Unternehmen aus der
Schweiz erkundigen, die in Deutschland investieren wol-
len – diese Erfahrung bringe ich aus dem Grenzland
mit –, dann werden Sie erfahren, dass diese Unternehmen
nicht mehr gewillt sind, sich Dinge aufdrücken zu lassen,
die letztendlich ein völlig anderes Wirtschaften


(Peter Dreßen [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! In letzter Zeit sind immer mehr gekommen!)


als in anderen Ländern verlangen. Die Nachteile Ihrer
Regelung werden auch auf diesem Gebiet stark zu spüren
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zum Schluss möchte ich in einem Fazit zusammenfas-

sen: Dieser Gesetzentwurf entstand auf Druck der Ge-
werkschaftsfunktionäre.


(Widerspruch bei der SPD)

Es ist ein längst überfälliger Rosenstrauß an die Gewerk-
schaften. Die Dornen hat der Mittelstand zu tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417703700
Ich gebe
dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Walter Riester, das Wort.


(Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: Der hat es jetzt aber schwer! – Gegenruf von der SPD: So leicht hat er es noch nie gehabt!)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-

(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen und Herren!
Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen werden, sind
wichtige und gute Entscheidungen für die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer,


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Basta!)


sind wichtige und gute Entscheidungen für eine gute Zu-
sammenarbeit zwischen den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern und den Geschäftsleitungen und sind wich-
tige Entscheidungen für den Sozialstaat und für die
soziale Marktwirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Riester! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das wird euch noch böse aufstoßen!)


Diese Entscheidungen in einem Gesetz, das in den Be-
trieben wie eine Art kleines Grundgesetz wirkt, sind nach
30 Jahren, nach starken Veränderungen in den Betrieben
längst überfällig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Worum geht es in diesen Entscheidungen? Wir wollen
als Erstes flexible, angepasste Entscheidungen, dass die
Arbeitnehmer ihre Informationen, ihre Beteiligung und
ihre Mitbestimmung – ja, Herr Rexrodt – auf gleicher Au-
genhöhe ausüben können.


(Beifall bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das wollen wir auch, aber nicht so! – Lachen bei der SPD)


Dies werden wir dadurch sicherstellen, dass die Struktu-
ren flexibel über Tarifvertrag und, wo dies nicht geht, über
Betriebsvereinbarung so ausgebildet werden, dass die
Entscheidung dort, wo sie getroffen wird, unter Einbezie-
hung der Arbeitnehmer erfolgt.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Von den Gewerkschaftsfunktionären! – Lachen bei der SPD)


Wir stellen als Nächstes sicher, dass durch die Ent-
schlackung, die Vereinfachung und Beschleunigung der
Wahlverfahren dieses in den Kleinbetrieben nicht mehr
ein Wahlverhinderungsverfahren darstellt, sondern über-
all dort, wo die Belegschaften einen Betriebsrat wählen
wollen, dies auch einfach und zügig geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden mit dieser Betriebsverfassungsreform
auch sicherstellen, dass die Betriebsräte im notwendigen
Umfang und mit der notwendigen Sachausstattung in die
Lage versetzt werden, ihre Aufgaben tatsächlich wahrzu-
nehmen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Warum wart Ihr dann gegen die Einführung eines Quorums?)





Dorothea Störr-Ritter

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir werden – das ist der qualitativ wichtigste Bereich –
einen großen Schwerpunkt auf die Beschäftigungssiche-
rung und die Qualifizierung setzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir sind noch zu viele Situationen in Betrieben bekannt,
dass Vorschläge von Beschäftigten und Betriebsräten zur
Beschäftigungssicherung eingebracht worden sind und
kein Gehör fanden. Wir stellen sicher, dass über Vor-
schläge zur Beschäftigungssicherung beraten werden
muss. Wenn sie abgelehnt werden, muss zumindest eine
Begründung dafür vorliegen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Ich weiß, dass viele Betriebe heute noch bestehen würden,
wenn man sich rechtzeitig der Kreativität, des Sachwis-
sens und der Mitarbeit der Beschäftigten bedient hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach, so ist das! Das haben wir nicht gewusst!)


Wir werden des Weiteren über die Betriebsverfassung
sicherstellen, dass dort, wo Veränderungen in den Betrie-
ben dazu führen, dass vorhandene Qualifikationen nicht
mehr eingesetzt werden können, der Betriebsrat ein
Mitbestimmungsrecht bekommt. Über den Nachweis des
Qualifikationsbedarfs und über die durch die Mitbestim-
mung durchsetzbare Qualifikation soll bewirkt werden,
dass die Beschäftigten ihren Arbeitsplatz halten können.
Dies ist einer der wichtigsten Punkte. Ich darf Ihnen sa-
gen, dass ich sehr froh bin, dass meine IG Metall in Ba-
den-Württemberg vor wenigen Tagen einen Tarifvertrag
zu diesem Thema abgeschlossen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glaube ich gerne!)


Damit haben wir die Chance, die systematische Quali-
fizierung als Kernpunkt des lebenslangen Lernens und
des Erhaltens der Qualifikation zu verankern. Denn was
sonst haben wir in diesem Standort, der von Waren und
Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung lebt, einzu-
bringen als qualifizierte Mitarbeiter? Deswegen ist es so
entscheidend, dies in den Mittelpunkt eines Betriebsver-
fassungsgesetzes zu stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber Sie sind doch Minister für ganz Deutschland und nicht nur für den DGB!)


Neben der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes
werden wir für weitere Beschleunigungselemente sorgen.
Wir werden das Arbeitsgerichtsgesetz so ändern, dass die
Verfahren in den Einigungsstellen beschleunigt und ko-
stengünstiger durchgeführt werden können.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo denn? Es gibt doch mehr Bürokratie und mehr Fremdbestimmung!)


Nun komme ich zu einigen Debattenbeiträgen, die wir
in den letzten Minuten hören konnten. Herr Rexrodt, Sie

beschworen, dass es Ihnen darum geht, auf gleicher Au-
genhöhe zu verhandeln.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Ohne Gewerkschaftsfunktionäre!)


Sie sagten: Betriebsräte waren einmal notwendig und
wichtig. Sie sind dies heute aber nicht mehr. Heute muss
der Beschäftigte mit dem Arbeitgeber auf gleicher Au-
genhöhe sprechen können.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: In kleinen Betrieben immer!)


Ich empfehle Ihnen, dem Bandarbeiter bei Daimler zu sa-
gen, er solle zu Schrempp gehen und mit ihm auf gleicher
Augenhöhe reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Sie haben nicht zugehört! – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Sie können nur verzerren!)


Da wird sich sehr schnell zeigen, wie das mit den Ver-
handlungen auf gleicher Augenhöhe ist.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Hören Sie doch einmal zu! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Oberreglementierer!)


Mein Gott, Herr Rexrodt, was war das noch für eine
Zeit, als der Aufruf, mehr Demokratie zu wagen, auch
eine F.D.P. dazu veranlasst hat, Entscheidungen für mehr
Demokratie in den Betrieben mitzutragen. Davon sind Sie
heute meilenweit entfernt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Oberreglementierer! – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Dazu braucht man aber keine Gewerkschaft, sondern mündige Bürger!)


Dann habe ich mir Herrn Singhammer angehört. Herr
Singhammer


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hat gut geredet!)

hat erklärt: Um Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es auch!)


Das müssen Sie noch ein paar Mal sagen, Herr
Singhammer, dann realisiert es sich vielleicht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)


Dann hat er die Verbindung gefunden und gesagt: Um
Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab, und jetzt gibt
es auch noch eine neue Betriebsverfassung.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist die Opposition schuld!)


Da Sie diesen Bogen spannen, Herr Singhammer und
auch Herr Rexrodt, muss ich Sie auf einiges hinweisen:
Zurzeit gilt noch das alte Betriebsverfassungsgesetz.


(Beifall bei der SPD – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Es geht um die Stimmung in der Wirtschaft!)





Bundesminister Walter Riester
17410


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun zu der breiten Debatte über das Verhältniswahl-
recht. Hier möchte ich ein paar Dinge zurechtrücken.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie es kurz! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Es tut weh! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Belastungsprogramm!)


Mir geht es weiterhin darum, dass dann, wenn der Be-
triebsrat gewählt ist, die Ausschüsse mit den qualifizier-
testen Personen besetzt werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aha!)

Weiterhin geht es mir darum, nicht den Gruppenproporz
als Grundlage zu nehmen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Funktionärsproporz!)


Ich akzeptiere das Anliegen der Fraktion der Grünen – sie
hat sich sehr stark dafür eingesetzt –, das Verhältniswahl-
recht im Betriebsverfassungsgesetz zu belassen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Warum nicht von Anfang an?)


Aber nach dem, wie Sie in der Opposition das diskutiert
haben, hatte ich den Eindruck, Ihnen ginge es nicht um
das Betriebsverfassungsgesetz, sondern um Arten-
schutz.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist eine Diskriminierung aller, die nicht dem DGB angehören!)


Sie, Herr Singhammer, sagten, Sie könnten dem Ge-
setzentwurf trotzdem nicht zustimmen, weil die Solida-
ritätsbalance nicht verändert worden sei.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer anderer Meinung ist, fällt bei Ihnen schon unter Artenschutz!)


In welche Richtung hätten Sie die Solidaritätsbalance im
Betrieb denn gern verändert? Nach dem, was ich bisher
von der Union gehört habe, doch eindeutig zulasten
der Arbeitnehmer. Dafür werden Sie uns nicht gewinnen
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417703800
Herr Kol-
lege Riester, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Singhammer?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja, gerne.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1417703900
Herr Bundes-
arbeitsminister, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass es bei der Frage des Minderheitenschutzes nicht um
den Artenschutz von kleineren Gewerkschaften oder Un-
abhängigen gegangen ist, sondern darum, dass das Prin-
zip der innerbetrieblichen Demokratie mit Chancen-

gerechtigkeit auch für die kleineren Arbeitnehmer-
vertretungen verwirklicht werden sollte,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

und Sie unseren Vorschlägen bis zum Dienstag dieser Wo-
che nicht gefolgt sind? Hätten Sie es von Anfang an ge-
macht, hätten Sie sich diese Diskussion erspart und müss-
ten jetzt nicht einlenken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich nehme das, was Sie mir gerade gesagt
haben, zur Kenntnis. Ich weise nur darauf hin, dass Sie
vorher selbst gesagt haben, dass es Ihnen darum geht, dass
der Christliche Gewerkschaftsbund geschützt wird. Mir
geht es um die Besetzung der Gremien mit den qualifi-
ziertesten Personen, und nur darum. Diese sollen an die
richtigen Stellen kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Man ist aber nur qualifiziert, wenn man dem DGB angehört!)


Dann hat Herr Singhammer gesagt, ihn störe total, dass
die Freistellung schon in Betrieben mit 200 Arbeitneh-
mern erfolgt. Nach mir wird, wie ich gesehen habe, Herr
Weiß sprechen. Er kann Herrn Singhammer vielleicht da-
rüber aufklären, dass die Arbeitnehmerbank der Union
noch im Oktober vorgeschlagen hat, die Freistellung
schon ab 100 Arbeitnehmern zu gewähren.


(Beifall bei der SPD)

Erst als er dann zurückgepfiffen und ein Stillhalteabkom-
men vereinbart wurde, kam ein Schwenk.

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Warum erregt
sich der Herr Abgeordnete Singhammer so?


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Aus gutem Grund!)


Ich empfehle jedem, die „Süddeutsche Zeitung“ von
heute zu lesen. Darin steht die ungeheure Nachricht: Im
„Bayernkurier“ wird ein Betriebsrat gewählt.


(Beifall bei der SPD)

Die Welten ändern sich also, Herr Singhammer! Aber ich
sage Ihnen zu: Wir werden auch den „Bayernkurier“ er-
halten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber kein freigestellter Betriebsrat! Der braucht nicht bezahlt zu werden! – Franz Thönnes [SPD]: Dann können wir ja auf gleicher Augenhöhe verhandeln!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704000
Das Wort
hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Riester, die soziale Marktwirtschaft hat die CDU/CSU in




Bundesminister Walter Riester

17411


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland begründet. Die soziale Partnerschaft hat, als
Ihre Genossen „Klassenkampf“ geschrien haben, die
Union in Deutschland begründet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Sie hat sich immer weiter davon entfernt!)


Und unter dem ersten Betriebsverfassungsgesetz steht der
Name des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Wir lassen
uns von Ihnen diesen belehrenden Ton, was Sozialpart-
nerschaft ist, nicht gefallen. Merken Sie sich das!


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Franz Thönnes [SPD]: Galt das für Ihren Fraktionsvorsitzenden?)


Sie feiern hier ein großes politisches Erntedankfest,
aber Sie wissen, dass Sie nur ein kleines Gesetz vorgelegt
haben. Es ist ein Gesetz, das die Sozialpartnerschaft
nicht weiterentwickelt. Auf die Fragen von heute und
morgen gibt Ihr Gesetz – das ist der fundamentale Feh-
ler – viel zu viele gestrige Antworten. Das ist das Struk-
turproblem dieses Gesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch in nachgebesserter Fassung taugt es nicht, Sozial-
partnerschaft in Deutschland weiterzuführen.

Ich frage allerdings auch Herrn Rexrodt: Wenn Sie für
die Dezentralisierung der Tarifpolitik sind – es spricht
sehr vieles dafür, sie in diesem Sinne weiterzuent-
wickeln –,


(Klaus Brandner [SPD]: Was hat das mit dem Betriebsverfassungsgesetz zu tun?)


dann brauchen wir doch mehr Betriebsräte! Denn dann
brauchen wir mandatierte Verhandlungsführer auf der Ar-
beitnehmerseite.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Aber nicht kraft Gesetzes!)


Wieso sind Sie für das eine und nicht für die logische
Konsequenz aus dem anderen?

Deshalb ist es ein ordentlicher weiterführender Ge-
danke, Bürokratismen wegzuräumen, mehr Flexibilität,
Beschleunigung, Vereinfachung herbeizuführen. Das ist
alles richtig, Herr Riester.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Ihr seid wie die Sozis!)


Aber es war ja nicht so, dass von Anfang an ein ord-
nungsgemäßes, faires Verfahren im Gesetz vorgesehen
war, sondern es war ein Hauruckverfahren. Das zweistu-
fige faire, ordentliche Verfahren ist ja wie manches andere
erst jetzt ins Gesetz hineingeboxt worden. Das ist über-
haupt Ihr Problem, dass manches, was dem natürlichen
Demokratieprinzip entspricht, erst mühsam wieder in Ihr
Gesetz hineingeboxt werden muss, Herr Riester.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)

Viele Ansätze im ordnungsrechtlichen Teil sind positiv

und in Ordnung. Sie sind auf der anderen Seite aber auch
sehr halbherzig. Vor allen Dingen werden sie durch auf-

wendige Bürokratien und komplizierte Verfahren an
anderer Stelle zunichte gemacht.

Sie sind eben mit wenigen Worten auf das Thema Min-
derheitenschutz eingegangen. Wenn Sie – das war eine
Entgleisung, wie ich sie in diesem Hause noch nicht erlebt
habe – die Minderheiten, die eine Chance auf Teilhabe ha-
ben müssen, in den Betriebsausschüssen bei Freistellun-
gen jetzt unter „Artenschutz“ gestellt sehen,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Unerhört!)

dann ist das eine Diskriminierung und Verunglimpfung der
Arbeit des CGB, des Beamtenbundes, der Unabhängigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es bedurfte ganz erheblichen Drucks der Christlich-

Sozialen Union, des CGB, des Beamtenbundes und der
Organisation Unabhängiger Betriebsräte – und – das gebe
ich zu – auch Ihres Koalitionspartners –, um das Demo-
kratieprinzip an dieser Stelle wieder in das Gesetz hinein-
zubringen. Sie sagen, Ihnen gehe es um die Sicherung von
Qualität bei der Arbeit in den Betriebsausschüssen und im
Hinblick auf Freistellungen, aber das ist eine enge Sicht.
In Wahrheit glauben Sie doch, nur DGB-Leute verfügten
über die Qualifikation, um in diesen Organen arbeiten zu
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Jawohl!)


Wir wurden jetzt – Frau Dückert hat es getan – aufge-
fordert, dem Gesetz wegen dieses Punktes zuzustimmen,
aber ich muss sagen, Frau Dückert, zu viele andere sind
schlecht gelöst und unzureichend.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie haben bisher noch nichts dazu vorgetragen!)


Ich greife Ihr Beispiel der Jugendlichen auf. Es sind im-
merhin 200 000, die sich in außer- und überbetrieblichen
Ausbildungsstätten befinden. Da kreißte der Koalitions-
berg und er gebar einen Entschließungsantrag mit einer
Aufforderung an diese – in ihrer Effizienz sehr umstrit-
tene – Regierung, im Berufsbildungsgesetz eine Lösung
zu schaffen. Jetzt halte ich Ihnen einmal vor, was der DBG
zu dieser Lösung sagt:

Die favorisierte Regelung im Berufsbildungsgesetz
birgt die Gefahr einer neuen Ungleichbehandlung
von betrieblichen und außerbetrieblichen Auszubil-
denden. Parallel zu den durch das Betriebsverfas-
sungsgesetz legitimierten Gremien könnten Sonder-
gremien mit minderen Rechten geschaffen werden.

Hier gehen wir weiter. Nehmen Sie doch unseren Antrag
an, mit einer weiterführenden Norm sicherzustellen, dass
Demokratie, Teilhabe und bürgerschaftliches Engage-
ment in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten für
diese jungen Leute gleichermaßen möglich sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da bleiben Sie weit zurück.

Es gibt viele andere Bedenken zu diesem Gesetz, die
wir festhalten müssen. Sie schrammen mit diesem Gesetz
an mehreren Stellen das Verfassungsrecht. Sie haben in
§ 3 eine Regelung geschaffen, die die negative Koali-




Gerald Weiß (Groß-Gerau)

17412


(C)



(D)



(A)



(B)


tionsfreiheit tangiert. Sie haben eine Geschlechterquote
geschaffen, die verfassungsrechtlich ebenso bedenklich
wie unpraktikabel ist. Diese schludrige Arbeit kann man
doch nicht akzeptieren. Schließlich setzen Sie fast aus-
schließlich – insoweit hat dieses Gesetz einen ganz un-
modernen Schliff – auf kollektive Mitbestimmung.


(Klaus Brandner [SPD]: Herr Weiß, wie tief sind Sie gesunken, um nach solchen Mitteln greifen zu müssen, um nicht zustimmen zu müssen?)


Sie unterziehen sich nicht der Mühe, die individuellen
Rechte der Arbeitnehmer – die Mitbestimmung am Ar-
beitsplatz –, weil sie Ihnen ideologisch nicht ins Konzept
passen, weiterzuentwickeln. Frau Dückert hat vor einem
Jahr glänzende Verheißungen zur Stärkung der Partizipa-
tion der einzelnen Arbeitnehmer in den Betrieben für das
Betriebsverfassungsgesetz angekündigt. Lediglich Spu-
renelemente, Frau Dückert – Sie meinen ja selber, jetzt be-
hutsame Schritte gemacht zu haben –, sind zu finden.

Herr Riester, wenn das Betriebsverfassungsgesetz das
Grundgesetz für die Betriebe ist, dann müssten wir doch
auch über die Grundrechte, die Individualrechte, gestärkte
unmittelbare Mitwirkung und Mitverantwortung der Ar-
beitnehmer reden. In Ihrem Entwurf drücken Sie sich völ-
lig darum herum.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Gesetz trägt dem Gedanken der Subsidiarität zu
wenig Rechnung. Für uns ist Subsidiarität Maßstab für
Modernität. Ihr Gesetz bleibt unterhalb der Modernitäts-
schwelle.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie sind zu einer reinen Wirtschaftspartei verkommen, Herr Weiß!)


Das gilt auch für den Punkt, den Sie als den wichtigsten
bezeichnet haben: die Beschäftigungssicherung.Warum
geben Sie, wenn der Aspekt der Beschäftigungssicherung
der wichtigste ist, den Betriebsräten nicht wirklich mehr
Mitverantwortung, wenn es um die so genannten Bünd-
nisse für Arbeit in unserer Wirtschaft geht? Warum geste-
hen Sie den Betriebräten nicht mehr Gestaltungsmöglich-
keiten – in verantworteter Weise geregelt – zu?

Ich weiß, dass es, wenn wir das falsch konstruieren, ein
Risiko gibt: das Risiko, die Tarifautonomie zu verletzen.
Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, vier Bremsen
einzubauen, damit Bündnisse für Arbeit rechtlich gere-
gelt werden können, ohne dass wir die Tarifautonomie ge-
fährden. Ich glaube, fast jeder Kollege in diesem Hause
kann aus seinem Wahlkreis berichten, wie viele Bünd-
nisse für Arbeit es gibt, die sich in einer rechtlichen Grau-
zone bewegen. Aber jeder sagt, sie müssen stattfinden, da-
mit die Beschäftigung gesichert und die Arbeitsplätze
gerettet werden können.

Deshalb regeln Sie doch, was nach einer Regelung
schreit, in verantwortbarer Weise! Sehen Sie vor, dass die
Bündnisse für Arbeit auf eine ordentliche rechtliche
Grundlage gestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Ist Ihnen das Stichwort Öffnungstarifvertrag bekannt?)


– Auch mir ist bekannt, dass es viele Öffnungsklauseln
gibt. Wir brauchen aber rechtliche Regelungen, um für ei-
nen gefährdeten Betrieb ganz flexible Abmachungen tref-
fen zu können.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen sich von der Tarifautonomie verabschieden!)


– Herr Brandner, Sie wissen, dass das ein ungerechter
Vorwurf ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Aber Sie spielen mit dem Feuer! Das wissen Sie auch!)


Wenn wir das Vetorecht der Tarifvertragsparteien gegen
falsch getroffene Regelungen vorsehen, ist das eine ausrei-
chende und effiziente Bremse gegen genau diese Gefahr.

Trotz dieses Gesetzes – auch wegen dieses Gesetzes –
kann die Regierung nicht behaupten, dass sie die Interes-
sen der Arbeitnehmerschaft wirklich wahrt. Sie wahrt
vielleicht die Interessen des DGB, aber nicht die Interes-
sen der Arbeitnehmer draußen in den Betrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das fügt sich in ein Leistungsbild – besser gesagt: in

ein Bild mangelhafter Leistung – ein. Wir sehen, dass die
Wachstumsraten unter die Schwelle fallen, ab der sie be-
schäftigungswirksam sind; wir sehen, dass die Arbeitslo-
sigkeit saisonal bereinigt steigt; wir sehen, dass die Infla-
tionsrate bedrohlich zunimmt; wir sehen, dass die
Arbeitnehmereinkünfte an realer Kaufkraft verlieren.

Dieser Bundesregierung muss ins Stammbuch ge-
schrieben werden: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer sind die Verlierer dieser Politik, die miserable
volkswirtschaftliche Daten aufweist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regierung zu unterstützen sind wir nicht gewillt,
auch nicht dadurch, dass wir ein unzulängliches und un-
modernes Betriebsverfassungsgesetz mit unserem beja-
henden Votum versehen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704100
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Wolfgang
Weiermann.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein harter Gewerkschaftsfunktionär!)



Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1417704200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Mich hat schon eini-
germaßen überrascht – das muss ich Ihnen, meine Damen
und Herren von der Opposition, an dieser Stelle sagen –,
wie Sie Mitbestimmung mit Fremdbestimmung gleich-
setzen können. Das ist eine Formulierung, die den Geist
dessen, was Sie zum Betriebsverfassungsgesetz vorbrin-
gen, mehr als deutlich macht; das muss an dieser Stelle ge-
nauso deutlich gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Gerald Weiß (Groß-Gerau)


17413


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man das gesamte Spektrum der Diskussion heute
Morgen verfolgt hat, dann stellt man fest, dass die Kritik
der Unternehmen und der Wirtschaftsverbände sowie Ihre
Kritik am Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes im
Grunde genommen eine einzige Fundamentalkritik ist. Ih-
nen geht es doch bei dieser Debatte und bei den vorheri-
gen Debatten überhaupt nicht darum, die eine oder andere
Ihrer Vorstellungen im Detail in das Gesetz hineinzube-
kommen. Nein, es geht Ihnen darum – das ist Ihr wichtigs-
tes Ziel –, dieses Betriebsverfassungsgesetz, diese Er-
neuerung zu verhindern. Aber dann sagen Sie das doch
auch deutlich!


(Beifall bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir stimmen doch dagegen! – Peter Rauen [CDU/CSU]: Murks! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Wir haben einen Vorschlag gemacht!)


Das Betriebsverfassungsrecht sowie die Mitbestim-
mung insgesamt haben nie den Anspruch erhoben, Ge-
gensätze zwischen Kapital und Arbeit aufzuheben. Aber
sie haben die Möglichkeit geschaffen – die gegenwärtig
verstärkt wird –, eine Einigung zwischen Arbeitnehmern
und Arbeitgebern in dem Betrieb vor Ort herbeizuführen.
Deswegen ist eine Veränderung des Betriebsverfassungs-
gesetzes so wichtig, weil sie größere Chancen bringt.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Überflüssig wie ein Kropf!)


Das Gespräch auf gleicher Augenhöhe, das hier immer ge-
nannt wurde, bedeutet nichts anderes, als dass wir mehr
Demokratie in die wirtschaftlichen und betrieblichen Ab-
läufe hineinbringen.

Ich frage mich bei Ihrer Einstellung, meine Damen und
Herren von der Opposition: Was wäre bei den Umstruk-
turierungen passiert, wie sie zum Beispiel an der Ruhr
stattgefunden haben, wenn es die Mitbestimmung und die
betriebsverfassungsrechtlichen Elemente nicht gegeben
hätte? Es hätte ein Chaos gegeben. Es wäre zu einem
Wirtschaftseinbruch und zu Strukturbrüchen gekommen.
Die Zeche hätten allein die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer gezahlt, auf deren Rücken sich dieser Struk-
turbruch abgespielt hätte.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen bin ich froh, dass wir ein solches Instrument in
der Hand haben, das es uns ermöglicht, nicht nur zu rea-
gieren, sondern auch zu agieren.

Wenn Sie immer wieder von den Mehrbelastungen
von – was hat man nicht alles gelesen – rund 2,5 Milliar-
den DM sprechen,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Es wird teuer!)


dann vergessen Sie bitte nicht, dass es nur deshalb zu
Mehrkosten kommen kann, weil bislang 60 Prozent der
Betriebe keine betriebsratsgeschützten und betriebsratge-
stützten Unternehmen waren.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: „Betriebsratsgeschützt“! Mein lieber Mann!)


Das können Sie so übernehmen, wie ich es gerade gesagt
habe. Sprechen wir einmal über die finanzielle Seite: Die
Kosten werden im Grunde genommen nicht über ein hal-
bes Prozent der entnommenen Gewinne der Unternehmen
hinausgehen. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will an dieser Stelle deutlich machen, wie die Si-

tuation in den anderen EU-Staaten ist. Wir haben in zwölf
EU-Staaten Betriebsratsgremien mit Informations- und
Beratungsrechten, die auch in den wirtschaftlichen Be-
reich hineinreichen. So können zum Beispiel Betriebsräte
in Frankreich und in den Niederlanden bei Fehlern des
Managements Rechtsverfahren einleiten. In Schweden
können Entlassungen durch einen einstweiligen Antrag
gestoppt werden. In Österreich kann der Betriebsrat bei
Schließungen oder Massenentlassungen eine Schieds-
kommission einsetzen und anrufen.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir sollten heute
diesem von den Grünen und den Sozialdemokraten vor-
gelegten Entwurf zustimmen. Dies ist ein richtiger Schritt
für mehr Demokratie und für mehr Mitbeteiligung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unseren Betrie-
ben. Dazu ein herzliches Glückauf und ein gutes Gelingen
bei der Abstimmung!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704300
Ich gebe der
Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion das Wort.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1417704400
Herr Präsident! Liebe Kol-
legen! Liebe Kolleginnen! Lassen Sie mich kurz vor dem
Schluss einen wichtigen Punkt ansprechen, der in dieser
Debatte bisher etwas zu kurz gekommen ist, nämlich die
Gleichstellung von Männern und Frauen im Betrieb. Ich
denke, Herr Weiß, ich bin in diesem Punkt anderer Auf-
fassung: Diese Maßnahme hat dem Betriebsverfas-
sungsgesetz endgültig den modernen Schliff gegeben, den
es jetzt hat.

Gender Mainstreaming war 1972, bei der ersten Re-
form des Betriebsverfassungsgesetzes, kein Thema.
Heute, fast 30 Jahre später, stellt uns dieses Prinzip auch
beim Betriebsverfassungsgesetz vor neue Herausforde-
rungen; denn die Herstellung betrieblicher Chancen-
gleichheit ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Dazu sind
wir nicht nur durch Grundgesetz und Europarecht, son-
dern auch durch das Gebot der wirtschaftlichen Logik
verpflichtet; denn wirtschaftlicher Erfolg ist ohne Frauen
nicht möglich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer heute das Potenzial gut ausgebildeter Frauen nicht
nutzt, wird morgen vom internationalen Wettbewerb be-
straft werden. Der IT-Bereich ist dafür ein gutes Beispiel.

Wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, geben mit der
Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes der Chan-
cengleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben
neue Impulse; denn die Gleichstellung von Männern und




Wolfgang Weiermann
17414


(C)



(D)



(A)



(B)


Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
gehören jetzt ausdrücklich zum Aufgabenkatalog des Be-
triebsrates. Teilzeitbeschäftigte – das sind überwiegend
Frauen – bekommen verbesserte Möglichkeiten, sich im
Betriebsrat zu engagieren. Klassisch im Sinne des Gender
Mainstreaming ist nun die Vertretung in den Betriebsräten
geregelt; denn zukünftig muss das Geschlecht, das in der
Minderheit ist, egal ob Mann oder Frau, mindestens ent-
sprechend seinem Anteil im Betrieb vertreten sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Arbeitgeber werden aber auch zu mehr Engage-
ment in Sachen Chancengleichheit verpflichtet. Sie müs-
sen über den Stand der Gleichstellung im Betrieb Bericht
erstatten. Außerdem muss der Arbeitgeber bei der Perso-
nalplanung die Gleichstellung berücksichtigen und seine
Vorstellungen mit dem Betriebsrat beraten. Genau darum
geht es: Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen vereinba-
ren, welche Maßnahmen in ihrem Betrieb geeignet sind,
die Gleichstellung voranzubringen. Deshalb machen wir
Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Partnern in Sachen
Gleichstellung; denn sie wissen am besten, welche Maß-
nahmen zur Herstellung der Gleichstellung für sie vor Ort
geeignet und umsetzbar sind. Sie sehen, die Verbesserun-
gen im Betriebsverfassungsgesetz bieten den Akteuren ei-
nen Handlungsspielraum, den sie für die Gleichstellung
von Frauen und Männern gut nutzen können. Das be-
grüßen wir aus frauenpolitischer Sicht ausdrücklich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber nicht jeder Betrieb hat einen Betriebsrat. Nicht je-
der Betriebsrat und nicht jeder Arbeitgeber – ich habe da-
von gehört – haben sich die Gleichstellung auf die Fahne
geschrieben. Deshalb müssen wir das Betriebsverfas-
sungsgesetz durch weitere Maßnahmen flankieren. Wir
setzen dabei natürlich zunächst auf verbindliche Selbst-
verpflichtungen der Unternehmer, die die Einleitung
konkreter Maßnahmen zur betrieblichen Gleichstellung
von Männern und Frauen erkennen lassen. Hier räumen
wir den Unternehmen große Spielräume im Hinblick auf
die zu ergreifenden Maßnahmen ein. Sollte es aber zeit-
nah, bis zum September dieses Jahres, nicht zu geeigne-
ten Selbstverpflichtungen der Wirtschaft kommen, ist für
uns, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ein Gleichstel-
lungsgesetz für die Privatwirtschaft unverzichtbar.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704500
Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, sich bereitzuhalten,
damit wir nach dem letzten Redner unmittelbar und zügig
in die namentliche Abstimmung eintreten können.

Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort
nunmehr dem Kollegen Franz Thönnes für die SPD-Frak-
tion.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1417704600
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit der gleich stattfinden-

den namentlichen Abstimmung wird eine gut zweijährige
Diskussion über das Betriebsverfassungsgesetz in diesem
Haus zu einem guten Abschluss gebracht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte einige Aspekte in Erinnerung rufen.
Erstens. Damit wird deutlich, Reformpolitik äußert

sich nicht nur in einer entlastenden Steuerpolitik, in der
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und in ver-
mehrten Investitionen in Forschung und Bildung, nein, zu
einer Reformpolitik gehört auch der Ausbau der Arbeit-
nehmerrechte in dieser Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mehr Beteiligung und Mitgestaltung schwächen den
Standort Deutschland nicht, nein, sie stärken ihn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Mitbestimmung und Betriebsverfassungsge-
setz, Herr Kollege Singhammer, sind wesentliche Eck-
pfeiler unserer demokratischen Gesellschaftskultur.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Und Minderheitenrechte!)


Mit der Entbürokratisierung und Vereinfachung des
Wahlverfahrens wird der Rückgang der Zahl der Be-
schäftigten, die durch Betriebsräte vertreten werden, ge-
stoppt. Dass zukünftig wieder mehr Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, insbesondere auch junge Menschen,
die demokratischen Möglichkeiten in den Betrieben in
Anspruch nehmen können, ist ein gutes Zeichen für eine
lebendige demokratische Gesellschaft. Demokratie macht
für die Sozialdemokraten vor den Werkstoren nicht Halt!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704700
Herr Kol-
lege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1417704800
Nein. Ich möchte möglichst
bald zum Schluss kommen.

Drittens. Die Kritik von Teilen der Arbeitgeberver-
bände war für uns nichts Neues. Der Streit ist so alt wie
die Frage der Mitbestimmung selbst und wie die Ausei-
nandersetzung um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Wir haben gute und ernsthafte Dialoge mit
Arbeitgebervertretern geführt. Untersuchungen des Insti-
tuts der deutschen Wirtschaft zeigen: 70 Prozent bis 80 Pro-
zent der Manager schätzen die Arbeit der Betriebsräte als
gut bis sehr gut ein.

Aber wir wissen auch: Es gibt Arbeitgebervertreter, die
keine Mitbestimmung wollen. Wie sonst ist das Dienst-
leistungsangebot des Einzelhandelsverbandes Nord-Ost
e. V. aus Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern
zu verstehen, der bei der Beratung zum Betriebsverfas-
sungsrecht in seiner Werbebroschüre wörtlich anbietet:
„Möglichkeiten des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen




Christel Humme

17415


(C)



(D)



(A)



(B)


bzw. deren Verhinderung“? Das ist das überkommene
Herrschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts und nicht un-
ser Bild einer demokratischen und aufgeklärten Gesell-
schaft.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Stampf, stampf, Klassenkampf!)


Schon allein deswegen geht es jetzt darum, auch in den
Betrieben den demokratischen Gedanken zu stärken und
zu stabilisieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Gestern haben wir gehört, dass die erste und
die wichtigste Forderung des CDU/CSU-Fraktionsvorsit-
zenden zur Verbesserung der konjunkturellen Situation
war: Stoppen Sie die Betriebsverfassung! Es ist unver-
dächtig, gegen dieses konjunkturpolitische Meisterpro-
gramm des Kollegen Merz den Rat von Professor Joachim
Scheide vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut zu setzen, der
in der „SZ“ vom 20. Juni 2001 sagte:

Die Abschwächung wurde nicht durch Fehler der Po-
litik ausgelöst, deshalb gibt es auch keine solchen zu
korrigieren. Unser Rat ist: Keine Hektik!

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bitte so weitermachen!)

Unabhängig von diesem Rat will ich deutlich sagen: Die
jetzige Regierungskoalition macht Demokratie und Ar-
beitnehmerrechte nicht von der konjunkturellen Wind-
richtung abhängig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fünftens. Die Opposition hat heute wieder mehrfach
Fremdbestimmung und zentralistischen Gewerkschafts-
einfluss indenMittelpunktderDebattegestellt. 200000 be-
triebliche Interessenvertreter – von den Kolleginnen und
Kollegen in den Betrieben gewählt – sind keine willfähri-
gen, ferngesteuerten Funktionärselemente, sondern ver-
antwortungsbewusste, engagierte und aktive Arbeitneh-
mervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter, denen wir
im Internationalen Jahr der Freiwilligen auch an dieser
Stelle einen herzlichen Dank für ihr Engagement sagen
sollten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sechstens. Es ist gesagt worden: Die Betriebsverfas-
sung ist zu teuer. Die Arbeit der Betriebsräte wurde mit
Horrorzahlen diskreditiert. Ich sage Ihnen: Demokratie ist
nicht zum Nulltarif zu haben. Die Arbeit der Betriebsräte
ist von unschätzbarem Wert. Die deutsche Einheit und die
Bewältigung der Strukturkrisen in der Eisen- und Stahlin-
dustrie wären ohne die Betriebsräte nicht so friedlich und
so sozialverträglich abgelaufen. Betriebsräte sind keine
Bremsklötze, sondern ein Garant für den sozialen Frieden
und die Fähigkeit einer Industriegesellschaft zum not-
wendigen Wandel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Siebtens. Es ist deutlich geworden, dass die Opposi-
tion auch bei dem wichtigen Thema Betriebsverfassung
einen Kurs fährt, der teilweise in die Irre führt. Der ehe-
malige CDA-Vorsitzende hat auf dem letzten CDA-Kon-
gress deutlich gemacht, er wisse, dass 80 Prozent der Ar-
beitnehmer einen Betriebsrat wollen, aber nur 40 Prozent
einen haben. Das alles findet in einem Klima statt, das da-
durch gekennzeichnet ist, dass Frau Merkel sagt, der Ar-
beitnehmerflügel sei sehr wichtig, während Herr Merz
auf dem CDA-Kongress feststellt hat: Ich habe das Ge-
fühl, ich bin in einer Veranstaltung, in der keine Christ-
demokraten mehr sind. – Wo ist eigentlich Ihr sozialpoli-
tisches Profil geblieben? Sie zeigen auch bei diesem
Streit, dass Sie weder oppositions- noch regierungsfähig
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Abschließend: Heute ist deutlich geworden: Da sitzen
die, die keine Mitbestimmung wollen.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: So ein Quatsch! Sie haben nicht zugehört!)


Da sitzen die, die nicht wissen, was sie wollen. Da sitzen
die, die alles wollen. Und da sitzen die Fraktionen der Re-
gierungskoalition, die soziale Gerechtigkeit und Moder-
nisierung ausgewogen zusammenbringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir sehr sicher: Wir werden mit diesem Gesetz
heute einen neuen Grundstein für den sozialen Frieden
und die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland legen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417704900
Ich lasse
eine Kurzintervention des Kollegen Hinsken zu, be-
schränke sie aber auf eine Minute, wobei der Redner ant-
worten kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum muss eigentlich Ernst Hinsken hier immer eine Nummer spielen? Jedes Mal!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1417705000
Sehr geehrter Herr Prä-
sident, ich bin dankbar dafür, dass ich diese Kurzinter-
vention machen kann, nachdem ich mich zweimal gemel-
det habe und mir jeweils versagt worden ist, meine Frage
zu stellen.

Ich stelle zum Schluss dieser Debatte – unmittelbar vor
der Abstimmung – fest: Es haben sechs Sozialdemokraten
gesprochen, die alle DGB-Funktionäre oder Gewerk-
schaftsmitglieder sind. Es hat nicht ein einziger Mittel-
ständler oder Betriebsinhaber das Wort ergriffen. Wenn
hier von Kooperation gesprochen wird, muss ich sagen:
Zur Kooperation gehören zwei Seiten. Sie von der SPD
haben eine große Unterlassungssünde begangen. Wenn
Sie glauben, zum Betriebsverfassungsgesetz für die




Franz Thönnes
17416


(C)



(D)



(A)



(B)


Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland sprechen zu
dürfen, stelle ich das in Abrede.

Das wollte ich noch zur Kenntnis bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was bedeutet das jetzt? – Detlev von Larcher [SPD]: Hätten Sie doch geschwiegen! Sie kennen sich gar nicht aus!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417705100
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform
des Betriebsverfassungsgesetzes auf Drucksache 14/5741.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6352 die Annahme des Gesetzentwurfes in der Aus-
schussfassung.

Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/6383 vor, über den wir zuerst abstim-

men. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstim-
mung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Darf ich fragen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben haben?

Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 11.29 bis 11.35 Uhr)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417705200
Die Sitzung
ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6383 bekannt. Abgegebene
Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 33, mit Nein haben
gestimmt 508, Enthaltungen 1.




Ernst Hinsken

17417


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 542;
davon

ja: 33
nein: 508
enthalten: 1

Ja
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski

Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen

Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker

Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17418


(C)



(D)



(A)



(B)


Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)


Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


(Weilburg Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann Brigitte Schulte Volkmar Schultz Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Matthias Weisheit Gert Weisskirchen Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek Helmut Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Waltraud Wolff Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Cajus Caesar Peter H. Carstensen Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Axel E. Fischer Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Dr. Hans-Peter Friedrich Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Peter Letzgus Walter Link Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Bernward Müller Elmar Müller Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Norbert Otto Dr. Peter Paziorek Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung von Professor Dr. Uwe Jens vor, die zu Protokoll genommen wird.1)


(Delitzsch)


(Wiesloch)


(Duisburg)


(Wolmirstedt)


(Bönstrup)


(Nordstrand)


(Karlsruhe-Land)


(Erlangen)


(Hof)


(Rednitzhembach)


(Lüdenscheid)


(Recklinghausen)


(Siegertsbrunn)


Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. – Ich sehe, das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17419


(C)



(D)



(A)



(B)


Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters

Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach

Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Enthalten
SPD
Klaus Wiesehügel

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Adam, Ulrich Bühler (Bruchsal), Klaus Maaß (Wilhelmshaven), Erich
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU
Schmitz (Baesweiler), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno

SPD CDU/CSU CDU/CSU

1) Anlage 4

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat?


(Zurufe: Ja!)

– Ich frage noch einmal, ob ein Mitglied des Hauses an-
wesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. – Das
ist nun nicht mehr der Fall. Ich schließe die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entsch-
ließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/6382. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.

Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesord-
nungspunkt 18 b und damit zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/6352: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU auf Drucksache 14/5753
mit dem Titel „Soziale Partnerschaft stärken – Be-
triebsverfassungsgesetz zukunftsfähig modernisieren“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen.

Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der F.D.P. auf Drucksache 14/5764 zur Reform der
Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstands. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne-

ten Ulf Fink, Horst Seehofer, Wolfgang
Lohmann (Lüdenscheid), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft des Gesundheitswesens
– Drucksachen 14/3887, 14/5700 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU

Informationsmöglichkeiten der Kranken-
versicherten umgehend verbessern
– Drucksache 14/5678 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbud-

(Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz – ABAG)

– Drucksache 14/6309 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Zur Großen Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswe-
sens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Interfraktionell ist eine Aussprache von anderthalb
Stunden vereinbart worden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Ulf Fink.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1417705300
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat meine
Fraktion eine Große Anfrage zur Zukunft des Gesund-
heitswesens eingebracht, weil wir der Auffassung waren,
dass Bedeutung und Dramatik dieses Themas eine Große
Anfrage rechtfertigen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Weil Sie der Auffassung waren, dass Sie 16 Jahre lang nichts getan haben!)


Die Bundesregierung hat sich für die Antwort Zeit ge-
lassen. Das wäre dann zu begrüßen, wenn die Bundesre-
gierung diese Zeit genutzt hätte, um zu überlegen, wie
man die Richtung ändern muss, um die Zukunft des
Gesundheitswesens zu sichern.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: In der Tat!)

Eine Lektüre der Antwort aber zeigt, dass sich die Bun-
desregierung der Dramatik und der Bedeutung dieses
Themas nach wie vor nicht bewusst ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei hätte aller Anlass zur Neuorientierung bestanden.

Was ist denn das wichtigste Ziel des Gesundheitswe-
sens? Die Menschen müssen die Leistungen erhalten, die
zu ihrer Gesundung notwendig sind. Die Wahrheit aber
ist, dass es unter der Regierungsverantwortung von SPD
und Grünen dazu gekommen ist, dass in Deutschland die
Kassenpatienten nicht mehr die notwendigen Medika-
mente erhalten haben:

Zuckerkranken wurden die notwendigen Teststreifen
zur Kontrolle vorenthalten. Krebskranken wurden die
notwendigen Lymphdrainagen nicht mehr verordnet. Pa-
tienten, die aus Krankenhäusern entlassen wurden und der




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17420


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Ergebnis Seite 17423 C

ambulanten Nachbehandlung bedurften, wurde unter Hin-
weis auf Regressandrohung das Medikament verweigert,
auf das sie eingestellt waren. Kassenpatienten wurden in
vielen Bereichen nicht mehr nach modernen – weil teure-
ren – Standards behandelt. Betroffen sind besonders die
Alzheimer- und Herz/Kreislauf-Leiden, Schizophrenie,
Depressionen, Diabetes, chronische Bronchitis und Epi-
lepsie.

Es ist besonders wichtig, dies zu erwähnen, weil Sie
1998 bei den Menschen in Deutschland mit dem Argu-
ment geworben haben, Sie würden dafür sorgen, dass es
nicht zu einer Zweiklassenmedizin kommt. Sie haben da-
mals gesagt, unter der Regierungsverantwortung von
CDU und CSU werde es dazu kommen. Die Wahrheit
aber ist, dass es unter Ihrer Regierungsverantwortung in
Deutschland zum ersten Mal zu einer Zweiklassenmedi-
zin gekommen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Unsinn!)


Da haben auch keine Härte- und Überforderungsklauseln
geholfen; denn bei einer Budgetierung gibt es solche
Klauseln im Gegensatz zur Selbstbeteiligung nicht. Ich
sage Ihnen deshalb klar: Budgetierung ist die brutalste
Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vor-
stellen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Heute legt die Regierungskoalition einen Gesetzent-

wurf vor, der die von ihr selbst eingeführte Arzneimittel-
budgetierung wieder abschaffen soll.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Eingeführt haben Sie die, nicht wir!)


Das ist gut so. Aber während dieser Gesetzentwurf gerade
erst vorgelegt worden ist, kommt eine schlechte Nachricht
nach der anderen. Dieser Tage hören wir, dass die gesetz-
lichen Krankenkassen im ersten Quartal dieses Jahres ein
Defizit von über 2 Milliarden DM erwirtschaftet haben.
Wenn man sich dazu die neueste Nachricht vor Augen
führt, dass eine der großen Krankenkassen, nämlich die
AOK in Hessen, beschließen musste, ihren Beitragssatz
vom Beginn des nächsten Monats an von 13,8 Prozent auf
– sage und schreibe – 14,8 Prozent zu erhöhen, lässt sich
einordnen, was das bedeutet. Sie haben mit unglaublich
viel Aufwand – Ökosteuer und dergleichen mehr – dafür
gesorgt, dass der Rentenversicherungsbeitrag um viel-
leicht 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte geringer ausfällt.


(Fritz Schösser [SPD]: Um zwei Prozentpunkte!)


Jetzt wird der Beitragssatz einer großen gesetzlichen
Krankenkasse um zehnmal 0,1 Prozent erhöht. Das ist
doch ein Menetekel für Ihre Politik!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dies wird nicht die einzige Krankenkasse bleiben. Wir
wissen von sehr vielen weiteren Krankenkassen, dass be-
reits Beitragsanhebungen angedroht wurden. Es droht
eine Beitragserhöhungswelle auf breiter Front. Und wenn
nichts Entscheidendes geschieht, drohen als Folge der de-

mographischen Veränderungen und des medizinischen
Fortschritts in nicht einmal 30 Jahren Beitragssätze von
24, 26, ja 30 Prozent.

Was nun? In dieser Situation hören wir Stimmen aus
der Regierungskoalition, wonach das Gesetz zur Ab-
schaffung der Arzneimittelbudgetierung nun doch nicht in
Kraft treten solle – so beispielsweise der Abgeordnete der
Grünen Herr Metzger in einem Artikel in der „Welt“ von
gestern.

Aber, meine Damen und Herren, das wäre die ganz
falsche Antwort. Erstens sind es nicht nur die Arzneimit-
telkosten, die im ersten Quartal dieses Jahres massiv nach
oben gegangen sind, und zweitens müssen Sie den Betei-
ligten, den Krankenkassen und den Ärzteverbänden, auch
Zeit lassen, um zu klären, wie man am besten und spar-
sam verordnet. Das kann man nicht von heute auf morgen
entscheiden. Wir hätten längst den Zustand guter Verein-
barungen, wenn Sie nicht unser Gesetz aus dem Jahre
1998 wieder kassiert hätten. Damals waren die Kassen
und die Ärzteverbände schon so weit, sich auf solche
Dinge zu verständigen. Erst durch Ihre Politik ist dies al-
les abgeschnitten worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man sollte ein Weiteres bedenken: Man darf sich nicht

nur auf einen Punkt konzentrieren, man muss das System
insgesamt sehen. Sie haben damals als eine Ihrer ersten
Taten die von uns eingeführten maßvollen Zuzahlungen
bei Arzneimitteln wieder verringert.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das war nicht maßvoll, das war unsinnig!)


Das hat die Krankenkassen nicht nur mehr als eine Milli-
arde DM gekostet, sondern auch dazu geführt, dass die
ohnehin geringen Steuerungswirkungen praktisch zu-
nichte gemacht worden sind.


(Fritz Schösser [SPD]: Was ist denn da gesteuert worden, außer dass die Leute weniger Geld im Geldbeutel hatten?)


Bei einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel der
kleinsten Packungsgröße N 1 muss man jetzt 8 DM, bei
der Packungsgröße N 3, also der größten, 10 DM zuzah-
len, also 2 DM mehr als bei der kleinsten Packung.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Schlimm genug, dass man überhaupt etwas zuzahlen muss!)


Der Mehrpreis der großen Packung gegenüber der kleinen
liegt aber bei vielen verschreibungspflichtigen Arzneimit-
teln bei 10, 100, 200 oder mehr Mark. Es macht also wirt-
schaftlich Sinn, statt einer großen Packung sich eine
kleine Packung verschreiben zu lassen.

Wenn man die wirtschaftlichen Anreize so setzt, muss
man sich nicht wundern, wenn die Menschen falsch rea-
gieren, und muss man sich nicht wundern, dass in der
Bundesrepublik Deutschland Jahr für Jahr ungenutzte
Medikamente für 3 Milliarden DM weggeworfen werden.


(Fritz Schösser [SPD]: Der Arzt verschreibt!)

In der Gesundheitspolitik kann es nicht mehr nur um

Varianten gehen, hier kann es nur noch um grundsätzliche




Ulf Fink

17421


(C)



(D)



(A)



(B)


Alternativen gehen. Die CDU, meine Partei, hat deshalb
nach dem Regierungswechsel im Rahmen ihrer Sozial-
staatskommission eine Gesundheitskommission einge-
setzt und mich mit ihrer Leitung beauftragt. In dieser mit
herausragenden Experten besetzten Kommission haben
wir in einer sehr intensiven Arbeit das Gesundheitssystem
der Bundesrepublik Deutschland durchleuchtet und ein
Gesamtkonzept erarbeitet, das noch im Laufe dieses Jah-
res vorgelegt wird.

Wichtige Grundzüge dieses Konzeptes sind Folgende:
Damit der medizinische Fortschritt auch in Zukunft allen
Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel zur Verfü-
gung gestellt werden kann, wollen wir nicht auf mehr
Staat, mehr Budgetierung oder dergleichen setzen. Statt-
dessen ist es richtig, auf mehr Eigenverantwortung und
mehr Transparenz zu setzen. Diese Instrumente haben
sich – natürlich in einem vom Staat vorgegebenen Rah-
men – überall in der Welt als die besseren Methoden he-
rausgestellt, um für hohe Qualität und gleichzeitig für ei-
nen sparsamen Mitteleinsatz zu sorgen.

Der unter unserer Regierungsverantwortung einge-
führte Wettbewerb zwischen den Krankenkassen darf
deshalb nicht eingeschränkt werden. Er muss verbessert
werden, zum Beispiel durch einen morbiditätsgerechten
Risikostrukturausgleich. Keinesfalls aber kann der Plan
der Bundesregierung akzeptiert werden, Krankenkassen,
die nur einen niedrigen Beitragssatz brauchen, staatlich zu
zwingen, ihren Beitragssatz künstlich auf 12,5 Prozent zu
erhöhen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist notwendig, den Krankenkassen mehr Wettbe-

werbsparameter an die Hand zu geben. Heute sind die
Krankenkassen in den meisten Bereichen gezwungen,
einheitlich und gemeinsam zu handeln. Das ist falsch.
Was heute Regel ist, muss künftig Ausnahme sein. Wie
anders als durch eine Unterscheidung von anderen Kassen
und Kassenarten kann man sich den Wettbewerb vorstel-
len? Wenn eine Kasse gezwungen ist, immer genau das
Gleiche zu tun wie die andere, erzeugt das Geleitzugmen-
talität. Keine Kasse hat dann Interesse daran, sich beson-
ders anzustrengen.

Wir brauchen aber nicht nur mehr Wettbewerb zwi-
schen den Krankenkassen. Wir brauchen auch mehr Wett-
bewerb auf derAnbieterseite, also bei den Krankenhäu-
sern und Ärzten. Konsequenterweise bedeutet dies die
Überprüfung der kollektivvertraglichen Strukturen in al-
len Versorgungsbereichen und eine Neuausrichtung des
Sicherstellungsauftrags. Die Bindung der Krankenkassen
an das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereini-
gung muss gelockert werden.

Es ist ja unbestritten, dass es zur Organisation der am-
bulanten ärztlichen Versorgung einer koordinierenden,
selbstverwaltenden Instanz bedarf. Aber der bisherige Zu-
stand, dass man einen Vertrag entweder mit allen Ärzten
oder mit keinem Arzt abschließen darf, ist in einem wett-
bewerbsorientierten System nicht mehr tragbar.

Mehr Wettbewerb muss es auch für den Krankenhaus-
bereich geben. Es kann nicht richtig sein, dass die Länder
mit ihrer Krankenhausplanung faktisch ein Drittel der

Krankenkassenausgaben bestimmen, ohne dass die Kran-
kenversicherungen eine echte Möglichkeit der Einfluss-
nahme hätten.

Mehr Wettbewerb bedeutet auch, den Krankenkassen
das Recht einzuräumen, ihren Versicherten mehr Wahl-
freiheit zu gewähren. Natürlich muss dafür gesorgt wer-
den, dass alle über einen Versicherungsschutz verfügen,
der die notwendigen medizinischen Leistungen abdeckt.
Wir wollen keine Verhältnisse wie in den Vereinigten
Staaten von Amerika, wo 40 Millionen Menschen über
keinerlei und weitere 40 Millionen Menschen über einen
völlig unzureichenden Versicherungsschutz verfügen.
Wir sind stolz darauf, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland allen einen ungehinderten Zugang zu den
Höchstleistungen der Medizin garantieren können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wollen das ja nicht!)


Aber das kann doch nicht bedeuten, jegliche Wahl-
möglichkeit oder Variation von Leistungen zu untersagen.
Warum soll man den Versicherungen nicht ermöglichen,
Leistungspakete anzubieten, die mehr beinhalten – dann
zu einem höheren Preis –, oder Leistungspakete, die we-
niger beinhalten, dann zu einem niedrigeren Preis? Der
Einwand der Bundesgesundheitsministerin, das sei nicht
möglich oder auch unethisch, trifft doch einfach nicht.

Warum soll man es dem einzelnen Menschen nicht er-
lauben, zum Beispiel Fahrtkosten nicht mitzuversichern,
weil er jemanden in der Familie hat, der ihn im Zweifels-
fall fährt? Warum zwingen Sie ihn dazu?


(Fritz Schösser [SPD]: Weil der Staat den Schwachen hilft, der mit den kurzen Entfernungen dem mit den langen!)


Lassen Sie doch den Versicherten und ihren Selbstver-
waltungen mehr Spielraum! Die Versicherten und ihre
Selbstverwaltungen wissen doch sehr viel besser als die
Ministerialbeamten, was ihnen gut tut. Gleichzeitig
könnte man mit dem merkwürdigen Zustand Schluss ma-
chen, dass der Gesundheitsmarkt zwar einer der größten
Wachstumsbereiche ist – Hoffnungen auf neue Arbeits-
plätze sind hier sehr realistisch –, wir im geltenden Sys-
tem aber alles tun, um diese Wachstumschancen zunichte
zu machen.

Die Wahlfreiheit könnte umso größer ausfallen, je we-
niger versicherungsfremde Leistungen und Umvertei-
lungsmaßnahmen über den Beitragssatz finanziert wer-
den. In einem ersten Schritt sollten daher die
versicherungsfremden Leistungen von dem bezahlt
werden, der dafür zuständig ist, nämlich vom Staat. Da-
rüber hinaus sollte sich der Staat nicht länger an den Kran-
kenversicherungen bereichern, indem er den vollen Mehr-
wertsteuersatz auf Medikamente erhebt, worauf sonst mit
Ausnahme von Österreich in ganz Europa verzichtet wird.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer hat das eingeführt? – Fritz Schösser [SPD]: Das ist ja ungeheuerlich! – Weiterer Zuruf von der SPD: Kurzzeitgedächtnis!)


Wir brauchen mehr Transparenz. Überall weiß man, was
die Dinge kosten und was man für sein Geld bekommt,




Ulf Fink
17422


(C)



(D)



(A)



(B)


nur nicht im Gesundheitswesen. Das kann nicht richtig
sein. Wir haben noch in der letzten Legislaturperiode ei-
nen Gesetzesauftrag beschlossen, der genau dies zum In-
halt hat. Aber was tut die Bundesregierung eigentlich, da-
mit dieser Auftrag auch umgesetzt wird? Die Menschen
müssen doch darüber Bescheid wissen, welche Leistun-
gen sie bekommen und was sie kosten. Das ist doch nicht
zu viel verlangt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Finanzierung der Krankenversicherung erfolgt bis-
her über die Anbindung an den Lohn.Das ist grundsätz-
lich richtig. Aber mit Beitragseinnahmen aus dem Lohn
allein werden der medizinische Fortschritt und die demo-
graphische Herausforderung nicht zu finanzieren sein. Es
gibt nun ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüg-
lich der Gleichbehandlung von freiwillig und pflichtver-
sicherten Rentnern. Ich bin sehr gespannt, welche Ant-
wort Sie darauf geben.

Es gibt auf der ganzen Welt kein Gesundheitswesen, das
darauf verzichten könnte, dass sich der einzelne Versi-
cherte auch selbst um seine Gesundheit kümmert. Wir sind
der Auffassung, dass derjenige, der sich um seine Gesund-
heit kümmert, einen Bonus bekommen sollte. Wer unver-
antwortlich mit seiner Gesundheit umgeht, muss wissen,
dass der Solidartopf kein Selbstbedienungsladen ist.

Für uns bleibt klar: Medizinischer Fortschritt muss für
alle zugänglich bleiben. Wir brauchen den sozialen Aus-
gleich zwischen Gesunden und Kranken und die Inan-
spruchnahme der medizinischen Leistung darf keine
Frage des Geldbeutels sein.


(Lachen bei der SPD Diese Frage lässt sich aber nicht durch mehr Budgetierung und mehr Staat, sondern nur dadurch beantworten, dass mehr Transparenz, mehr Eigenverantwortung und mehr Wettbewerb erlaubt werden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Mehr Eigenverantwortung? Das sollten Sie einmal definieren, Herr Fink!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417705400
Bevor ich
das Wort weitergebe, komme ich zu Tagesordnungs-
punkt 18 a zurück und gebe das von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Reform des Betriebsverfassungsge-
setzes in der Ausschussfassung auf den Drucksa-
chen 14/5741 und 14/6352 bekannt. Abgegebene Stim-
men 544.




Ulf Fink

17423


(C)



(D)



(A)



(B) Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 544;

davon

ja: 336
nein: 208

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)


Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth

Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter

Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17424


(C)



(D)



(A)



(B)


Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily

Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier

Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Monika Balt

Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

17425


(C)



(D)



(A)



(B)


Albert Deß
Renate Diemers
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gerda Hasselfeldt

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl

Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Franz Romer

Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)


Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver-
sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Adam, Ulrich Bühler (Bruchsal), Klaus Maaß (Wilhelmshaven), Erich
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU
Schmitz (Baesweiler), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno

SPD CDU/CSU CDU/CSU

Mit Ja haben gestimmt 336, mit Nein haben gestimmt
208, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.


(Beifall bei der SPD)

Ich erteile nunmehr das Wort der Bundesministerin für

Gesundheit, der Kollegin Ulla Schmidt.


(von der SPD mit Beifall begrüßt)

leginnen und Kollegen! Herr Kollege Fink, ich habe Ih-
nen genau zugehört und sogar die Brille aufgesetzt; aber
ich habe mich doch gewundert, dass Sie hier über dieses
Thema so reden können, ohne dass Ihnen die Schamesröte
ins Gesicht gestiegen ist.


(Beifall bei der SPD)

Manchmal hat man das Gefühl, dass in Ihrem Gedächtnis
einzelne Jahre fehlen. Sie haben nämlich vergessen, zu sa-
gen, dass Sie das alles hätten haben können, solange Sie
noch regierten. Die heutigen Hauptprobleme im Gesund-
heitswesen stellen doch Ihre Hinterlassenschaft dar.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das hören die nicht gern!)


– Sie können jetzt lachen, soviel Sie wollen. Es ist die
Hinterlassenschaft des Kollegen Seehofer. Es ist Ihr Erbe.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir hatten einen Überschuss von 2 Milliarden DM!)


Hätten Sie 1998 ein wirklich durchstrukturiertes und
transparentes Gesundheitswesen hinterlassen, dann wären
Sie nicht abgewählt worden. Die Menschen haben Sie
auch wegen Ihrer Gesundheitspolitik abgewählt.


(Beifall bei der SPD)

Diese Bundesregierung hat mit dem Umlenken be-

gonnen

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie haben das Volk belogen!)

und wird diesen Weg auch weitergehen. Im Gegensatz zu
manchen Ihrer Äußerungen, die ich in den letzten Tagen
gehört habe, geht es uns um eine bessere Versorgung der
Menschen, vor allen Dingen der chronisch kranken Men-
schen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihnen geht es um mehr Macht und sonst gar nichts!)


Uns geht es um die Realisierung vorhandener Einspar-
möglichkeiten, damit unser Gesundheitswesen bezahlbar
bleibt, ohne den Weg, den Sie immer gegangen sind, be-
schreiten zu müssen: Bei Ihnen mussten die Menschen
hohe Beiträge und dazu immer mehr aus der eigenen Ta-
sche bezahlen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt zahlen sie es ganz allein! Sie haben es noch immer nicht kapiert! Bei uns war es eine Zuzahlung!)


Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 wichtige
Weichenstellungen vorgenommen: Qualitätssteigerung,
Patientenorientierung, bessere Verzahnung der Leistungs-
bereiche, Förderung von Prävention und Selbsthilfe.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber auch nicht mehr!)


Auf diesem Weg werden wir weitergehen. Aber Reformen
dauern nun einmal,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alle gescheitert!)

bis sie umgesetzt werden können, weil viele Barrieren zu
überwinden sind.

Heute geht es unter anderem darum, eine Antwort auf
die 39-Milliarden-DM-Frage zu finden. So groß ist näm-
lich das Volumen der Arzneimittelausgaben in Deutsch-
land. Die Tendenz ist steigend, trotz Budgets, die Sie ein-
geführt haben, und trotz Kollektivhaftung, die Herr
Seehofer eingeführt hat.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie waren aber auch dabei! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das, was Sie sagen, ist auch wieder falsch! Wir haben sie dann abgeschafft!)


Fest steht, dass Budgets und Kollektivhaftung nicht den
erhofften Erfolg gebracht haben. Fest steht aber auch, dass
es ohne Ausgabensteuerung in der Arzneimittelversor-
gung nicht geht.

Auch Sie, Herr Kollege Seehofer – daran möchte ich
erinnern –, hatten seinerzeit eine Bremse vorgesehen,
nämlich durch die so genannte Koppelungsregelung.
Manche haben vielleicht vergessen, was es bedeutet hätte,
wenn es diese heute gäbe: Wenn eine Krankenkasse ihren
Beitragssatz zum Beispiel wegen steigender Arzneimit-
telausgaben erhöht, hätten die Patientinnen und Patienten
höhere Zuzahlungen leisten müssen. Patienten, die in der
AOK Bayern sind, müssten heute für die kleine Packung
14 DM bezahlen, für die mittlere 16 DM und für die
größere 18 DM.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie bekämen es aber wenigstens! – Lachen bei der SPD)


Wenn die AOK Hessen, wie sie es jetzt macht, den Bei-
tragssatz um 1 Prozent erhöht,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei uns wären keine Beitragserhöhungen notwendig gewesen! Dann wären keine Beiträge gestiegen, sie hätten Überschüsse!)


hätten die Patienten nach Horst Seehofer einen Tag nach
dieser Erhöhung für die kleine Packung 19 DM, für die
mittlere 21 DM und für die größere 23 DM zahlen müssen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das stimmt eben nicht! Sie sagen die Unwahrheit!)


Auf die Zuzahlungen im Krankheitswesen bezüglich der
Fahrtkosten und der Krankenhausaufenthalte möchte ich
gar nicht erst eingehen. Für alles hätte 10 DM mehr ge-
zahlt werden müssen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sie können nicht einmal rechnen!)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
17426


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte nur daran erinnern, dass die Zuzahlungen zur-
zeit 8, 9 und 10 DM betragen.

Herr Zöller, Sie können so laut rufen, wie Sie wollen:
Allein den Kranken immer tiefer in die Tasche greifen zu
wollen ist allenfalls ein Zeichen Ihrer Steuerungspolitik.
Dies entspricht aber nicht unserem Verständnis von
Solidarität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Deshalb beraten wir heute über neue Steuerungsinstru-
mente des Arzneimittel- und Heilmittelbudgets.

Wahr ist, Herr Kollege Fink: Auch unter der alten
Bundesregierung sind die Arzneimittelausgaben deut-
lich oberhalb der Grundlohnentwicklung gestiegen. Nur
ein einziges Mal, im Jahr 1997, gingen die Arzneimit-
telausgaben zurück, aber nur, weil der Kollege Seehofer
mit Ihrer Zustimmung die Zuzahlungen für Arzneimit-
tel radikal angehoben hatte. Dies hat aber nur ein
Jahr gewirkt. Im Jahr 1998 stiegen die Arzneimittelaus-
gaben trotz der Erhöhung der Zuzahlungen um 5,4 Pro-
zent.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

In einem haben Sie Recht, Herr Kollege Fink: Bei al-

lem Streit um so genannte Obergrenzen, um Budgetierun-
gen, um Kollektivhaftungen oder um Anpassungen sind
weder die Ärzte und Ärztinnen noch die Pharmaindustrie
jemals die Leidtragenden gewesen. Dieser Streit wurde
immer – das ist das Schlimme – auf dem Rücken der Pa-
tientinnen und Patienten ausgetragen, die darum kämpfen
mussten – das war seit Jahren so –, die Rezepte zu be-
kommen, die sie wirklich brauchten. Eines muss doch klar
sein: Wir können auf Dauer nicht zulassen, dass der Streit
auf dem Rücken der Kranken ausgetragen wird; denn ge-
rade die Kranken brauchen Sicherheit, Vertrauen und
Hilfe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb bitte ich Sie ganz intensiv, sich wirklich mit
den Fragen auseinander zu setzen, auf die wir auch ange-
sichts der steigenden Arzneimittelausgaben eine Antwort
finden müssen. Wir müssen uns mit der Frage auseinan-
der setzen, warum in einigen Kassenärztlichen Vereini-
gungen die Ärzte überwiegend hochpreisige Generika
verschreiben, während in anderen KVen die Ärzte deut-
lich mehr preisgünstige Generika verordnen. Warum lie-
gen in den neuen Ländern die Anteile teurer Analog-
präparate mit gegebenenfalls geringem therapeutischen
Zusatznutzen auffällig über dem Bundesdurchschnitt,
während sie in anderen Regionen den Bundesdurchschnitt
zum Teil deutlich unterschreiten?

Warum liegt der Anteil reimportierter Arzneimittel in
den Kassenärztlichen Vereinigungen von Berlin und
Nordrhein bei 20 bzw. 18 Prozent, in Bayern zum Beispiel
aber nur bei 5 Prozent? Die Antwort ist ganz einfach:
Dort, wo die Vertragspartner aktiv auf das Verordnungs-
geschehen eingewirkt haben, konnten Wirtschaftlich-
keitspotenziale erschlossen werden. Dass es im Arznei-

mittelbereich enorme Wirtschaftlichkeitsreserven gibt,
belegen nicht nur diese Beispiele.

Wenn Sie sich einmal die Auswertung des AOK-eige-
nen wissenschaftlichen Instituts vom April 2001 ansehen,
stellen Sie fest: Wenn man die Potenziale auf dem AOK-
Markt zusammenfasst, die sich durch generische Substi-
tutionen und Wirkstoffsubstitution erschließen, ergibt
sich für die AOK für das Jahr 2000 ein Wirtschaftlich-
keitspotenzial in Höhe von 18,5 Prozent des Arzneimittel-
umsatzes, der ja zulasten der AOK geht. Dies macht allein
für die AOK im Jahr 3MilliardenDM aus. Würde man das
für die gesamte GKV hochrechnen, käme man auf
7,2 Milliarden DM. Deshalb lohnt es sich, über andere In-
strumente nachzudenken.

Ich habe auf jeden Fall eines aus den Erfahrungen mit
dem Arznei- und Heilmittelbudget gelernt: Wir können
letztlich dem dynamischen und konkreten Handeln vieler
Ärztinnen und Ärzte nicht mit starren und abstrakten In-
strumenten wie den Budgets begegnen.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hat lange gedauert!)


– Wir ändern dies aber noch während unserer Regie-
rungszeit und gehen neue Wege. Erst durch Sie ist es zu
den heutigen Problemen gekommen.


(Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie haben Sie denn noch vor einem Jahr geredet? – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist eine Lüge! – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Wirklich keine Ahnung!)


Wie sollen eigentlich die Beteiligten eine Obergrenze
aushandeln, die sie nicht adäquat korrigieren können und
die noch dazu von einer Vertragspartei massiv bekämpft
wird? Wie soll die Ausgabenentwicklung gesteuert wer-
den, wenn es gar keine oder zu späte Datenlieferungen
gibt?


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn Budgets eingeführt?)


Ich bin davon überzeugt: Durch konkrete Zielvereinba-
rungen mit einem Frühwarnsystem schaffen wir Steue-
rungsmöglichkeiten und stärken damit die Selbstverwal-
tung, um diese auch umzusetzen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die von uns geschaffenen Regelungen haben Sie doch außer Kraft gesetzt! Sie sagen etwas anderes als das, was Sie tun!)


Ich sage noch einmal ganz klar, worum es geht:
Erstens. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf entlassen

wir die Ärztinnen und Ärzte nicht aus der Verantwor-
tung. Diese haben gerade im Arzneimittelsektor eine
Schlüsselstellung inne. Deshalb brauchen wir ihre Mit-
wirkung. Sie müssen sich gemeinsam mit den Kranken-
kassen nicht nur auf Ausgabenvolumen und Richtgrößen,
sondern auch auf Versorgungs- und Wirtschaftlichkeits-
ziele einigen. Stichworte dazu sind: Generika, Reimporte,
die Reduzierung teurer Analogprodukte. Nur durch eine




Bundesministerin Ulla Schmidt

17427


(C)



(D)



(A)



(B)


Steuerung in diesen Bereichen ist auf Dauer sicherzustel-
len, dass Patientinnen und Patienten am medizinischen
Fortschritt im Bereich der Arzneimitteltherapie teilhaben
können, dieses Gesundheitswesen aber trotzdem bezahl-
bar bleibt.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Diese Zielsetzungen werden mit Informatio-

nen und Beratung der Ärztinnen und Ärzte durch die Ver-
tragsparteien verbunden, sodass rechtzeitig umgesteuert
werden kann.

Drittens. Ich lege besonderen Wert auf die aktive und
verantwortliche Rolle der Selbstverwaltungspartner.
Deshalb sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen und
die Kassen selbst regeln, wie sie die Einhaltung des ver-
einbarten Ausgabevolumens und der Versorgungsziele
erreichen. Interessant für die Vertragspartner ist die Mög-
lichkeit, Bonusregelungen für Unterschreitungen vorzu-
sehen. Die Selbstverwaltungspartner bestimmen auch,
welche Grenzwerte ein Prüfverfahren auslösen und wel-
che Folgen einschließlich des Individualregresses eine
Grenzwertüberschreitung haben wird.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hatten wir alles in unserem Gesetz!)


Viertens. Die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bun-
desebene unterstützt die Vertragspartner durch gemein-
same verbindliche Rahmenvorgaben, die jährlich festge-
legt werden.

Fünftens. Falls sich die Vertragspartner nicht einigen,
entscheidet das Schiedsamt. Keine Seite kann also die
Verhandlungen blockieren.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alles alte Sachen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Alles schon vom Bundestag beschlossen!)


Sechstens. Um flexibler auf eine Überschreitung rea-
gieren zu können, werden die Ausgabenvolumen für Arz-
nei- und Heilmittel voneinander getrennt.

Siebtens – auch das ist klar –: Wer sich unwirtschaft-
lich und therapeutisch fragwürdig verhält, muss mit ei-
nem Prüfverfahren und gegebenenfalls mit einem Re-
gressverfahren rechnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Aus-
gabenentwicklung im Arzneimittelbereich im ersten
Quartal dieses Jahres mit einer Steigerung um fast
9,7 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjah-
res ist Anlass zur Sorge. Es wäre aber zu einfach, allein
die Ankündigung der Aufhebung des Arzneimittelbudgets
hierfür verantwortlich zu machen. Auch in der Vergan-
genheit gab es überproportionale Ausgabenanstiege, ins-
besondere etwa im vierten Quartal 2000 mit mehr als
9 Prozent, und das vor der Ankündigung der Neuordnung.
Das zeigt also: Wir können auch aktuell nicht auf die vor-
handene oder vermeintliche Sicherheit eines immer noch
bestehenden Budgets oder auch der immer noch beste-
henden Kollektivhaftung bauen, sondern wir müssen han-
deln.

Die gemeinsame Selbstverwaltung hat dabei schon
ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Vor einer Woche
haben Ärzteschaft und Krankenkassen auf Bundesebene
eine Empfehlung zur Steuerung der Arzneimittel- und
Verbandmittelausgaben für 2001 verabschiedet. Sie wen-
det damit vorweg neue Instrumente des vorliegenden Ge-
setzentwurfes an.

Jetzt sind die Selbstverwaltung und die politisch Ver-
antwortlichen in den Ländern gefordert, die praktische
Umsetzung voranzutreiben. Wir haben vereinbart, dass
die Beteiligten auf der Bundesebene schon Anfang Au-
gust über die Umsetzung der Bundesempfehlung berich-
ten werden.

Dass solche Lösungen zustande kommen, zeigen im
Moment die KV Berlin und die AOK Berlin. Sie haben
sich auf einen Vertrag geeinigt, der Zuschläge beim Ho-
norar als Ausgleich für Einsparungen im Arzneimittelsek-
tor vorsieht. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um
Anreize zu setzen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Patienten bekommen also weniger Arzneimittel, damit die Ärzte mehr Geld verdienen! Das ist eine Politik!)


– Nein, Herr Zöller. Das kann allenfalls noch in Ihrem
Denken von einer Gesundheitsreform vorkommen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben Qualitäts- und Versorgungsziele und die Ein-
haltung dieser Ziele wird auch kontrolliert. Ihre Antwort
war, den Menschen immer mehr in die Tasche zu greifen.
Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass das Beispiel hier in Berlin zeigen wird,

dass es anders geht. Die Selbstverwaltung muss sich stär-
ken. Das ist der richtige Weg. Wir wollen keine Privati-
sierung der Krankenversicherung,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


sondern wir wollen eine Lenkung der im System veran-
kerten Steuerungskräfte der Selbstverwaltung. Das ist die
Lösung für die Zukunft und das ist auch die Antwort auf
die Zukunftsfragen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Mindestbeitrag!)

Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,

Sie können schon jetzt am Beispiel einer bedarfsgerech-
ten und wirtschaftlichen Lösung für den Arzneimit-
telbereich beweisen, wie ernst Sie es denn mit dem Aus-
bau der Selbstverwaltung und der Stärkung der Position
von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen
meinen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das stand doch alles schon im Gesetz!)


– Wenn das alles im Gesetz stand, dann erwarte ich am
Ende eine Zustimmung des ganzen Hauses zu diesem Ge-
setz.


(Beifall bei der SPD)





Bundesministerin Ulla Schmidt
17428


(C)



(D)



(A)



(B)


Dann wird sich zeigen, ob Sie nur destruktiv sind oder ob
Sie wirklich bereit sind, neue Wege in der Gesundheits-
politik mitzugehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie werden sich wundern!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417705500
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1417705600
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der
CDU/CSU wurde beantwortet und man stellt fest: Der
Leistungskatalog ist überhaupt nicht das Problem, son-
dern das große Problem sind die Fehlversorgung, die
Überversorgung und die Unterversorgung sowie die man-
gelnden Qualitätsleistungen.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist richtig!)


Das ist die Antwort der Regierung auf diese Thematik.

(Fritz Schösser [SPD]: Das sagt auch die Naumann-Stiftung!)

– Moment! Sie sollten das genauer lesen.

Ohne Zweifel ist die Qualität der medizinischen Leis-
tungen gut und ein ganz wichtiger Faktor. Natürlich gibt
es hier und da Probleme. Aber das als Grundlage für ein
Gesetzespaket zu machen, wie Sie dies Anfang 1999 ge-
tan haben, ist sicherlich der völlig falsche Weg.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie behaupten nämlich, Sie könnten alles finanzieren,

wenn Sie die Unterversorgung, die Fehlversorgung, die
Überversorgung eliminieren würden. Schwachsinn, ech-
ter Schwachsinn!

Sie haben seit Anfang Ihrer Regierungszeit Milliarden
aus diesem System herausgenommen. Milliardenbeträge!
Da wundern Sie sich nun, wenn Sie feststellen, dass die
gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge erhöhen müs-
sen. Das ist die Konsequenz Ihrer verfehlten Politik, seit-
dem Sie an der Regierung sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist doch auch nicht so, dass nur eine AOK die

Beiträge erhöhen wird, sondern andere haben das schon
angekündigt. Und es wird nicht nur im AOK-Bereich ge-
schehen. Soviel ich weiß, hat ja die AOK bei der Gesetz-
gebung Ihrer Regierung häufig intensiv mitgearbeitet,
sodass man sich wundert, dass sie jetzt bei der Bei-
tragssatzerhöhung federführend ist. Eigentlich erstaun-
lich!

Meine Damen und Herren, die Krankenkassen stehen
mit dem Rücken an der Wand.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Durch eure Regierung, durch eure Gesetze!)


Sie können nicht mehr. Sie müssten mit ihnen darüber dis-
kutieren, die Leistungspakete zu ändern. Und das ist Ihr
großes Problem.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie gaukeln der Bevölkerung vor, das traditionelle Leis-
tungssystem könnte ohne Abstriche, mit gleichen Bei-
tragssätzen, trotz dynamischer Entwicklung der Techno-
logie, trotzt Alterspyramide erhalten bleiben. Das ist Ihr
großer Trugschluss.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie werden in dieser Wahlperiode nichts machen. Sie
werden dem Bürger weiterhin vorgaukeln, dass dieses
alte, traditionelle System zu erhalten ist.

Nach den Bundestagswahlen wird dies nicht mehr zu
halten sein. Daher, Frau Ministerin, werden wir schon ein
bisschen aggressiv. Hier und da drehen Sie an Schrauben
und glauben, das Problem lösen zu können. Aber Sie hal-
ten im Kernbereich an den traditionellen Vorstellungen
fest.


(Dr. Hansjörg Schäfer [SPD]: Das ist gut so!)

Sie bleiben beim Leistungspaket, Sie wollen keinen Wett-
bewerb, Sie wollen, wenn das Problem auftaucht, den
Wettbewerb – Stichwort Mindestbeitrag – sogar noch
mehr eliminieren. Da sind wir wieder im traditionellen
System der Planwirtschaft. Alle Systeme der Planwirt-
schaft sind gescheitert. Ich möchte Ihnen eine Freifahrt-
karte nach England und Schweden schicken,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

damit Sie einmal erkennen, wie diese Systeme dort auf
Dauer gegen die Wand gefahren werden. Wir sind auf dem
besten Wege dahin.


(Fritz Schlösser [SPD]: Vor allem in den Vereinigten Staaten! – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Sozialistische Internationale!)


Nehmen Sie sich einmal die Zeit, in diese Länder zu fah-
ren; dann werden Sie sich wundern. Kümmern Sie sich
einmal um die Krankenversicherungssysteme dort.

Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, als ob
wir mit unserer Auffassung alleine ständen. Ob es die
Ludwig-Erhard-Stiftung ist, ob es die Bertelsmann-Stif-
tung ist – dort arbeiten sogar Mitglieder der SPD und auch
der Grünen mit und verkünden Perspektiven, die man nur
unterstützen kann –, sie stimmen uns zu. Aber in der prak-
tischen Politik tauchen diese Abgeordneten unter.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wer denn? Nennen Sie doch einmal Namen!)


Wir können nur sagen: Die Transparenz in diesem Sys-
tem muss gesteigert werden. Da gibt es für uns zwei Ele-
mente. Wir wollen hin zur Kostenerstattung und weg
vom Sachleistungssystem.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir möchten, dass der Arbeitnehmer weiß, welche
Beiträge er bezahlt. Darum muss der Arbeitgeberanteil




Bundesministerin Ulla Schmidt

17429


(C)



(D)



(A)



(B)


mit ausgezahlt werden. Dann kann der Versicherte
wählen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das sind zwei wichtige Elemente.

Ein weiteres Element ist: Wir müssen den Bürgern ehr-
licherweise sagen: Wir müssen zwischen Kern- und
Wahlleistungen unterscheiden; anderenfalls ist dieses
System nicht zu halten.


(Zuruf von der SPD: Ohne dass jemand weiß, was ihr darunter versteht!)


– Erkundigen Sie sich bei Ihrer Expertengruppe. Ich
nenne nur Rudolf Scharping, Klimmt, die schon ähnlich
in dieser Richtung denken. Sie, die traditionellen SPD-
Abgeordneten, brauchen noch viel Zeit. Aber auch Sie
werden dahin kommen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein weiterer wichtiger Punkt, den Herr Fink auch an-

gesprochen hat – darüber freue ich mich –: Wir müssen
die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten erweitern. Es
kann doch wohl nicht wahr sein, dass es zu einheitlichen,
gemeinsamen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten mit den
Leistungserbringern kommt. Meine Damen und Herren,
die Zeiten sind vorbei.

Das sind die Instrumente, um Unterversorgung, Über-
versorgung und Fehlleitungen zu beseitigen. Das bekom-
men Sie nur durch kluge Vertragsgestaltungsmöglichkei-
ten, aber nicht durch Budgetierungen hin.

Wenn Sie sagen, wir wollen das Arzneimittelbudget
beseitigen, dann meine ich: Prima, dann hätten Sie unser
Gesetz 1998 beibehalten können.


(Detlef Parr [F.D.P.]: So ist das!)

Darin stand alles das, was Sie jetzt als große Leistung die-
ser Regierungskoalition preisen. Als Sie damals die Re-
gierung übernommen haben, haben Sie alle Maßnahmen
zurückgenommen. Das war einer der größten Fehler Ihrer
Politik.

Glauben Sie nicht, dass nur das Arzneimittelbudget zur
Debatte stehen muss. Vielmehr müssen Sie die Budgetie-
rung insgesamt in allen Bereichen, also im ärztlichen,
zahnärztlichen und vor allen Dingen im Krankenhausbe-
reich, zur Diskussion stellen. Was helfen die DRGs, wenn
Sie mit Budgetierung arbeiten? Das ist Schizophrenie; das
hat nichts mit vernünftiger Politik zu tun.

Frau Ministerin, Sie reden von Konzepten; das tun
auch die Kollegen von SPD und Grünen. Ich habe seit
Wochen und Monaten kein SPD-Konzept gesehen.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Nur Flickschusterei!)

Nur Flickschusterei, hier und da wird gedreht. Es wäre
Ihre Aufgabe, vor der Bundestagswahl der deutschen Be-
völkerung ein Gesamtkonzept auf den Tisch zu legen und
zu zeigen, wie wir unser Gesundheitssystem erhalten kön-
nen – damit die Bürger wenigstens vernünftig versorgt
werden; nicht wie in England und Schweden; wir rutschen
auf diese Schiene -, wie Sie diesen großen Bereich auf
Dauer organisieren wollen, damit die Qualität und die

Leistung steigen und der Gesundheitsbereich erfolgreich
in die Europäische Gemeinschaft integriert wird. Aber da
fehlen Ihnen Kreativität und der Mut.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417705700
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin
Monika Knoche.


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417705800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Da-
men! Herr Dr. Thomae und auch Herr Fink, wir werden
Ihnen den Gefallen nicht tun,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das glaube ich!)

ein hochmodernes System auch nur in einer Nuance
schlechtreden zu lassen, nur damit Ihre ideologischen Prä-
ferenzen Platz greifen können.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Oh Gott!)

Sie haben sehr viele Bereiche angesprochen. Ich habe

Ihre Anträge und Anfragen ernsthaft gelesen. Es wäre
natürlich schön gewesen, wir hätten darauf etwas mehr
Bezug nehmen können. Aber es ist doch einfach erstaun-
lich – das möchte ich an die Reihen der CDU/CSU ge-
wandt sagen –, dass Sie sich, Herr Fink – sosehr ich Sie
persönlich schätze, auch aufgrund Ihres Engagements für
Personenkreise in der Gesundheitsversorgung, die tradi-
tionell diskriminiert worden sind – hier zum Fahnenträger
eines neoliberalen Konzeptes machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was sagt denn der Herr Metzger? Sagen Sie doch dazu mal was!)


Das kann ich nicht verstehen. Sie sprechen davon, Leis-
tungen auszugrenzen, Sie sprechen von Privatisierung,
Sie sprechen von umfassender Deregulierung und spre-
chen der Politik die Fähigkeit und die Verantwortung ab,
durch einen robusten Reformwillen immer wieder da ein-
zugreifen, wo die Selbstregulierungskräfte es nicht schaf-
fen, soziale Gerechtigkeit herzustellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was sagt denn der Herr Metzger aus Ihrer eigenen Fraktion?)


Wettbewerb um Qualität – bitte nicht ideologisch be-
frachten –


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist doch gar nicht möglich bei Ihnen!)


ist unser Stichwort in den Koalitionsvereinbarungen; es
durchzieht die gesamten Reformvorstellungen. Durch un-
gezügelten Wettbewerb erreichen Sie das Gegenteil von
Qualität.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sozialer Wettbewerb!)


Alle, die sich in der Gesundheitspolitik und in den Syste-
men auskennen, wissen, dass die Garantie der allseitigen




Bundesministerin Ulla Schmidt
17430


(C)



(D)



(A)



(B)


Zugänglichkeit und Verfügbarkeit insbesondere medizini-
scher Innovationen und pharmakologischer Innovationen


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Besser als Budgetierung!)


zwingend voraussetzt, dass alle, unabhängig von ihrer
Krankheit und ihrem Einkommen, durch eine qualitativ
hochwertige Versorgung jederzeit Zugang zu den Medi-
kamenten haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bei der Budgetierung ist das nicht der Fall!)


Das ist in das Stichwort evidenzbasierte Medizin ge-
kleidet. Das ist das, was unsere Reformpolitik seit nun-
mehr fast drei Jahren durchzieht.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ja, Budgetierung!)


Das ist wahr und das ist richtig; das können Sie auch nicht
in Abrede stellen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und die chronisch Kranken bekommen nicht die Medikamente! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und den Patienten geht es immer schlechter!)


In dem Moment, in dem man in eine durch die Politik
vorgegebene Ausgrenzung von Krankheitsbildern ein-
steigt, steigt man in eine gezielte Unterversorgung derje-
nigen ein, die sich dieses Vollpaket, wie Sie es nennen,
nicht leisten können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das hat mit unserem System, das noch immer soziale
Marktwirtschaft heißt, dann nichts mehr zu tun. Wenn Sie
das wollen, führen Sie bitte eine ganz seriöse, hochpoliti-
sche, systemanalytische Diskussion und dann werden wir
in einen Wettstreit darüber eintreten, was das ökonomisch
Richtige, Wahre und Sinnvolle ist.


(Abg. Dr. Ulf Fink [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gleich, Herr Fink. – Es gibt weltweit kein krisenfeste-
res, souveräneres sowie staatlichen und politischen Ein-
griffen unzugänglicheres System als das paritätisch finan-
zierte Versicherungssystem, wie wir es haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Die ökonomischen Fragen, die dahinter stehen, sind ar-
beitsmarktabhängig. Um die Freiheit und Gleichheit der
Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitssystem sicherzu-
stellen, diskutieren wir nicht umsonst darüber – nicht nur
wir Grüne, sondern die ganze Gesellschaft –, dass es in
Zukunft für die Diskontinuität der Erwerbsverhältnisse,
der Veränderung der Erwerbsbiographien und der Fami-
lienstrukturen unverzichtbar ist, die Versicherungspflicht
allgemein zu etablieren. Das stärkt die GKV finanziell
und stabilisiert die Beitragssätze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Das ist eine ökonomische Wahrheit.

Eine Kostenexplosion hat es weder in der Zeit der
CDU/CSU-Regierung noch unter Rot-Grün gegeben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: 1 Prozent Beitragssatzerhöhung!)


Die Ausgaben der GKV sind, am Bruttoinlandsprodukt
gemessen, nachweisbar gesunken. Keiner soll sagen, me-
dizinische Innovation sei nicht mehr bezahlbar. Unsere
Politik zeigt doch, wie hochflexibel und innovativ das
System der gesetzlichen Krankenversicherung ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bei der Budgetierung fliegt das alles raus!)


Dies müssen wir politisch offensiv verteidigen, weil Sie
das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in dieses Sys-
tem erodieren wollen. Das ist das Politische daran.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417705900
Frau Kollegin Knoche,
ich muss Sie jetzt einmal zum Luftholen animieren. Der
Kollege Fink möchte jetzt gerne seine Frage stellen.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1417706000
Frau Kollegin Knoche, klar ist,
dass unser Gesundheitswesen, dessen elementare Grund-
lagen von uns gelegt worden sind,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die Frage!)

eine Mischung aus Staat und Markt ist. Ich frage Sie: Ha-
ben Sie denn in Anbetracht der Ereignisse der letzten zwei
Jahre – Sie können auch noch weiter zurückgehen – nicht
den Eindruck, dass die Entwicklung hin zu mehr Staat,
zum Beispiel durch die Budgetierung, genau die falsche
Richtung ist? Auch die Ministerin hat gerade eingeräumt,
dass es in Ihrer Regierungsverantwortung durch die Bud-
getierung dazu gekommen ist, dass notwendige Medika-
mente nicht mehr verordnet worden sind. Wären Sie bereit,
zuzugeben, dass ein Paradigmenwechsel offensichtlich
notwendig ist?


Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417706100

Herr Fink, ich nehme Ihre Frage gerne auf.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dann mal los!)

Die Frage der Arzneimittelbudgets hängt eng damit zu-
sammen, dass es sektorierte Budgets gibt. Es ist Ihnen und
sicherlich auch der Öffentlichkeit bekannt, dass es ein
Hauptanliegen des Reformkonzepts 2000 war, von der
sektorierten Budgetierung wegzukommen und zu einer
globaleren, leistungsgerechten und integrativen Versor-
gung zu kommen. Das ist an den Bundesländern geschei-
tert, in denen Sie mit Ihren Mehrheiten bekanntlich agiert
haben.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach Gott!)

Niemand, der lange Gesundheitspolitik macht, stellt in

Abrede, dass Budgetierung kein allzu intelligentes In-
strument ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Praktisch nicht durchführbar!)


Lieber wäre uns, die Honorierung im ambulanten Bereich
würde sich nach diesen evidenzbasierten Kriterien voll-
ziehen. Aber das ist Gegenstand der Selbstverwaltung der




Monika Knoche

17431


(C)



(D)



(A)



(B)


KVen. Bislang hat sich erwiesen, dass sich mit diesem
Budget im Rücken – deshalb sprach ich von einem robus-
ten Mandat der Politik – in doch nahezu der Hälfte der
KVen in Deutschland ein Einhalten dieses Arzneimittel-
budgets ohne Qualitätsverluste realisieren ließ.

Wenn jetzt die KVen mit Unterstützung des konsen-
sualorientierten Dialogs


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was für ein Ding?)

der Ministerin sagen, sie könnten garantieren, die qualita-
tiven Zuwächse und die Versorgungsgerechtigkeit sicher-
zustellen, dann kann man ihnen die Selbstverantwortung
dafür Schritt für Schritt übertragen.


(Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

Ich selber bin der Meinung, es hängt davon ab, ob sie
diese hohe politische Kompetenzzuweisung, die sie durch
den Sicherstellungsauftrag bekommen haben, tatsächlich
erfüllen.

Wenn es um die Realisierung eines Vorhabens geht, bin
ich der Auffassung, dass sich das, was wir gesellschaftlich
wollen, noch immer über Gesetze am deutlichsten aus-
drückt. Diese rhetorische Umschreibung wird auch den
KVen klarmachen, dass sie, wenn sie sich auf das
CDU/CSU-Konzept mit den darin enthaltenen Vorgaben,
die politisch zukunftsweisend sein sollen, einließen – das
haben Sie zwar nicht gesagt, aber das ist die logische Kon-
sequenz; ich habe Ihnen sehr gerne und genau zugehört –,
ihren Sicherstellungsauftrag verlieren. Ich bin mit meiner
Antwort fertig. Frau Präsidentin, Sie können die Zeit jetzt
weiterlaufen lassen.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Kassenärztlichen Verei-
nigungen wissen, dass Sie ihnen mit Ihrem Wettbewerbs-
modell den Sicherungsstellungsauftrag aufkündigen und
damit ihre Existenz bedrohen. Die Konsequenz aus einer
solchen Deregulierungspolitik, wie Sie sie heute vorge-
stellt haben, sind die völlige Steuerungslosigkeit und
keine Sicherheit für die Vertragspartner. Wenn die Kas-
senärztlichen Vereinigungen das erst einmal verstanden
haben, werden sie auch sehr schnell merken, dass ihnen
durch Einkaufsmodelle viel engere Korsetts angelegt
werden, als wenn sie sich jetzt verpflichten, ein vernünf-
tiges Arzneimittelbudget aufzustellen und vernünftige
Honorierungssysteme zu etablieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gleiche gilt für etwas, was Sie hier nicht weiter
ausgeführt haben, was aber in seiner systemischen Wir-
kung ein Reformakt ist, den in der Bundesrepublik
Deutschland noch keine Regierung angegangen ist, näm-
lich dass im Krankenhaussektor mit den DRGs ein neues
Preisermittlungssystem gefunden worden ist. Ich kenne
diese Thematik gut. Ich bin ausgesprochen für die Ent-
wicklung eines Klassifizierungssystems, das für Transpa-
renz sorgt und mit dem sich Art, Umfang und Qualität der
Leistung des Pflegepersonals vergleichbar abbilden las-
sen; denn dann wissen wir endlich, welche Leistungen mit
welcher Qualität in den Krankenhäusern erbracht werden.
Das halte ich im Hinblick auf unsere Verantwortung für
die Patientenversorgung für sehr wichtig.

Ich will aber nicht, dass mit der Einführung der DRGs
als Preissystem gleichzeitig Einkaufsmodelle etabliert
werden. Ich will, dass die Länder ihre Verantwortung für
die Daseinsvorsorge und für die Krankenhauslandschaft
behalten. Aber wenn man das umsetzt, was Sie in Ihrer
Rede ausgeführt haben, dann können die Ministerpräsi-
denten die Gesundheitsministerien in ihren Ländern ei-
gentlich abschaffen und künftig darauf hinweisen, dass
sich die Daseinsvorsorge über die Börse regele. Darauf
wird es am Ende hinauslaufen. Das ist in der Tat keine Po-
litik, die mit dem Auftrag der Daseinsvorsorge kompati-
bel gemacht werden kann.

Wenn wir im Parlament den Begriff „Innovation“ ver-
wenden, bitte ich darum, den Menschen im Land, die uns
zuhören, deutlich zu machen, zu welchen großen Umwäl-
zungen die politischen Konzepte der jeweiligen Parteien
führen könnten, nämlich dass sie, wenn das umgesetzt
würde, was Sie hier vorgetragen haben, keine Garantie
mehr hätten, dass die Politik Fehlsteuerungen und Fehl-
entwicklungen zurückregulieren könnte. Aber wir als
Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen nicht nur
offen und flexibel sein, wenn das Ziel der Qualitätssiche-
rung erreicht werden soll, sondern auch jederzeit in der
Lage sein zu intervenieren, wenn die Selbstverwaltung
die Entwicklung nicht in unserem politischen Sinne steu-
ern kann. Das ist moderne Politik auf der Grundlage eines
hochmodernen Sicherungssystems namens GKV. Dafür
streiten Grüne und Sozialdemokraten. Ich hoffe, dass das
auch so bleibt. Bisher gibt es jedenfalls keine gegenteili-
gen Anzeichen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte noch kurz auf ein paar andere Bereiche ein-
gehen. Wir müssen auch über die Arzneimittelausgaben
reden. Wir wissen – Herr Rebscher, der Vorstandsvorsit-
zende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen,
hat bereits darauf hingewiesen –, dass in Deutschland die
Mehrwertsteuer, die auf Arzneimittel erhoben wird, im
europäischen Vergleich seit langem am höchsten ist. Das
kostet die Kassen fast 5 Milliarden DM. Damit erbringen
die gesetzlich Versicherten letztlich eine Haushaltsleis-
tung. Das hat mit dem Verordnungsverhalten der Ärzte
nichts zu tun. Es gibt noch viele andere Komponenten, die
die Einnahmen- und Ausgabenseite der gesetzlichen
Krankenkassen belasten und die nichts mit dem Verord-
nungsverhalten der Ärzte sowie mit dem Bedürfnis der
Patientinnen und Patienten nach adäquater medizinischer
Versorgung zu tun haben.

Herr Dr. Thomae, ich widerspreche Ihnen ausdrück-
lich, wenn Sie behaupten, dass die Ausgrenzung einzelner
Leistungen – auch im Versorgungssinne – den Patienten
irgendetwas bringt. Das, was für die Leistung ausschlag-
gebend ist, ist immer die medizinische Indikation, also
die Entscheidung des Arztes, was für die Behandlung er-
forderlich ist. Aus diesem Grund ist es, wenn man quali-
tativ hochwertige Behandlungen anstrebt, völlig verkehrt,
den Leistungskatalog einzuschränken,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Budgetierung schmeißt alles raus! Das ist viel dramatischer als Zuzahlungen! Ihr miserables Budget macht viel mehr kaputt! Die chronisch Kranken be Monika Knoche 17432 kommen die medizinischen Leistungen nicht mehr!)





(C)


(D)


(A)


(B)


zumal die Ärzte und die Krankenkassen selbst festlegen,
was den Patientinnen und Patienten nach dem Leistungs-
katalog zusteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von diesem Sektor ist der Staat in hohem Maße entfernt.
Ich interessiere mich sehr für die diversen liberalen

Ideologien, die immer wieder um sich greifen. Mittler-
weile muss man sich verteidigen, wenn man sagt: Lasst
uns bitte seriöse ökonomische und gesundheitspolitische
Diskussionen führen.

Wenn Sie den Umfang der Leistungen der GKV auf
Kernleistungen reduzieren wollen,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Besser als Budgetierungen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und ehrlicher!)


dann betreiben gerade Sie als Freidemokraten eine Politik
hin zu einem Wohlfahrtsstaat. Sie schaffen Mündel, die
der Staat subventionieren muss. Das ist das genaue Ge-
genteil der heutigen Situation.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielleicht sind Ihnen politische Theorien nicht so

geläufig. Ich weiß: Neoliberalismus führt zu Paternalis-
mus, man leitet vom Sozialstaat in einen Wohlfahrtsstaat
über.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Völliger Schwachsinn!)


Gesundheitsleistungen sind in Amerika so teuer – das ist
die Wahrheit –, weil der Staat die Ärmsten über Steuer-
mittel finanzieren muss, da sie keine eigenen, gewachse-
nen Ansprüche auf Leistungen von ihrer Versicherung
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir haben anständige Erstfallregelungen eingeführt! Kümmern Sie sich mal darum! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist ja Betonsozialismus! Da wird dem Herrn Metzger ja schlecht, wenn er so etwas hört!)


Auch in diesem Hause muss endlich einmal themati-
siert werden, welche Dimensionen mit dem, was wir als
Sozialstaat und als bürgerrechtliche Freiheit begreifen,
verbunden sind. Es muss klar werden, was für die Fort-
entwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversi-
cherung von Bedeutung ist. Es ist hochmodern und intel-
ligent, dieses System weiterzuentwickeln


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und die Patienten schlecht zu versorgen und bei der Budgetierung die chronisch Kranken zu vernachlässigen!)


und sich gegen modische Attitüden seitens des Neolibera-
lismus immun zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist mir egal, wie mich die Wirtschaftsseiten großer Zei-
tungen zitieren. Ich bin, was diese Sache angeht, sehr
ruhig.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie werden keinen Erfolg haben!)


Ich weiß: Mit Ruhe, mit Kompetenz und mit einem ro-
busten Reformwillen werden wir die Bevölkerung über-
zeugen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat Ihre Ministerin Fischer gezeigt!)


Sie wird sehen, dass sie sich auf die rot-grüne Gesund-
heitspolitik verlassen kann und dass es sich lohnt, sich da-
ran zu orientieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich teile die Einschätzung – dieser Gedanke wurde
heute kurz angesprochen –, dass es rechtfertigungspflich-
tig ist, die Beitragssatzsouveränität der gesetzlichen
Krankenkassen – ich schätze sie hoch – durch die Ein-
führung eines Mindestbeitragssatzes einzuschränken.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aha! Sie haben ja gute Gründe!)


Die Rechtfertigung besteht darin, dass wir die unsozialen
Verwerfungen durch einen nicht regulierten Wettbewerb
ausgleichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Entscheidend ist, ob es gelingt, dafür zu sorgen, dass sich
diejenigen Krankenkassen – ich will nicht von „privile-
gierten Kassen“ sprechen –, die sich dem allgemeinen um-
fassenden Versorgungsauftrag gegenüber ihren Versicher-
ten nicht in dem Maße stellen, wie es andere Kassen tun
müssen, aufgrund ihrer Mehreinnahmen über den Risi-
kostrukturausgleich an derAusbalancierung beteiligen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Stimmen Sie dem Mindestbeitragssatz zu?)


Wenn das über das Gesetz erreicht werden kann, dann
halte ich einen Mindestbeitragssatz für gerechtfertigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Er ist absolut kein Mittel, das wir freiwillig wählen; viel-
mehr handelt es sich um eine Interventionsnotwendigkeit.

Lieber wäre mir, der RSA wäre schon zu Ihrer Amts-
zeit eingeführt worden.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was hat denn Ihre Ministerin gemacht? Das war doch ein Witz!)


Alle wissen, dass Sie die Probleme des RSA dazu genutzt
haben, regionale Beitragssätze einzuführen. Sie wollten
doch eigentlich das RSA-System insgesamt aufkündigen.
Deshalb hat es einige Zeit gedauert, bis es auf stabile Füße
gestellt werden konnte. Jetzt ist der Prozess abgeschlos-
sen. Wenn es erforderlich sein sollte, in diesem System In-
terventionen zu machen, bin ich dazu bereit, soweit Ele-
mente eines solidarischen Ausgleichs erreicht werden




Monika Knoche

17433


(C)



(D)



(A)



(B)


können. Wir werden uns in den Anhörungen darüber un-
terhalten, wie die Probleme am intelligentesten gelöst
werden können.

Ich verhehle nicht, dass es in meiner eigenen Fraktion
Stimmen gibt, die auf einen freien Wettbewerb setzen.
Über den zweiten Halbsatz, in dem es heißt, eine Inter-
vention sei nicht notwendig, soweit der RSA eine bessere
Feinsteuerung erhält, der Fehlentwicklungen ausgleicht,
ist nicht gesprochen worden. Das alles betrifft aber nur
Details. Die wichtige Botschaft lautet: Wir wollen ein so-
lidarisches Sicherungssystem mit wettbewerblichen Ele-
menten, gleichzeitig aber einen selbstbewussten Staat, der
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger durch Regu-
lierung gewährleistet. Das ist die Botschaft.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Regina Schmidt-Zadel [SPD] : Monika, das hast du sehr gut erklärt! Herr Thomae, davon können Sie noch was lernen! – Gegenruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Von der grünen Gesundheitspolitik?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417706200
Für die PDS-Fraktion
spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1417706300
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kollegin Monika Knoche, meine
Achtung und meinen absoluten Respekt vor Ihrem Bei-
trag. Ich hoffe, Ihnen wird es nicht schaden, dass ich Ih-
nen das sage.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und SPD)

Das Modell eines Gesundheitswesens, wie Sie es hier vor-
gestellt haben, ist wirklich zukunftsfähig. Aber ich muss
auch sagen: Die Wirklichkeit sieht leider anders aus.

Wenn die Bundesregierung auf die Große Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion unter anderem antwortet, dass sie mit
dem Gesundheitsreformgesetz 2000 eine Grundlage für
die Zukunftsfähigkeit des Systems geschaffen hat, liegt
ein extremer Fall von Realitätsverlust vor. In Wahrheit
sind die Probleme nicht gelöst und die zentralen Fragen
gar nicht aufgegriffen worden. Beispiele für letzteres
sind – trotz der Bemühungen um Integration – die syste-
matische Zersplitterung und die Steuerung des Leistungs-
geschehens. Das erfolgt nicht allein nach medizinischer
Indikation, sondern – leider – zu beträchtlichen Teilen
über das Geld.

Reformvorhaben, wie die Stärkung der Hausärzte, in-
tegrierte Versorgungsformen oder die Schaffung einer Po-
sitivliste, wurden so angegangen, dass entweder keine
oder erst nach längerer Zeit Wirkungen erwartet werden
konnten, ganz zu schweigen von der Freisetzung von Ra-
tionalisierungsreserven. Fast das einzige, was von der Ge-
sundheitsreform sofort spürbar wurde, war ein harter und
undifferenzierter Kostendruck für Ärzte, Krankenhäuser
und andere Leistungsanbieter. Es war ein Trugschluss an-
zunehmen, dass man – wie die Regierung heute noch be-
hauptet – mit flächendeckender Mittelverknappung eine
rationalere Medizin erzwingen kann.

Was die Versicherten erleben mussten, war die Verwei-
gerung oder Verschiebung nicht nur fragwürdiger, son-
dern leider auch medizinisch notwendiger Leistungen.
Das ist die Realität. Die Ärzte wurden mit einem unzu-
mutbaren Arzneimittelbudget und – besonders in Ost-
deutschland – einer zunehmend schlechteren Honorarsi-
tuation konfrontiert. Das Krankenhauspersonal sieht sich
wachsenden Arbeitsbelastungen und zunehmendem Ta-
rifdruck ausgesetzt. Im Ergebnis hat die Reform zu er-
heblicher Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölke-
rung geführt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wohl wahr!)

Eine solche Entwicklung musste die Bundesregierung

früher oder später auf den Plan rufen. Wer wiedergewählt
werden will, muss handeln. So war wohl der Wechsel an
der Spitze des Ministeriums eine Art Befreiungsschlag
des Kanzlers. Die neue Ministerin ist nun mit Schadens-
reparatur beschäftigt. Ein Beispiel ist der Entwurf des
Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes. Er zeigt den
schmalen Grat, auf dem zu balancieren ist; denn einerseits
korrigiert er bisherige Fehlleistungen, indem der Kollek-
tivregress abgeschafft und das sektorale Budget durch re-
gionale Ausgabenobergrenzen und Richtgrößen ersetzt
wird. Andererseits muss deutlich gesagt werden: Allein
mit diesem Gesetz wird die Selbstverwaltung nicht zu ei-
ner rationelleren Arzneimitteltherapie kommen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da hat Sie Recht!)


Unerlässlich sind flankierende Maßnahmen der Re-
gierung. So muss die ungehemmte Preistreiberei der
Pharmaindustrie, vor allem bei pseudoinnovativen Arz-
neimitteln endlich unterbunden werden. Der weiche
Kompromiss zur Festbetragsregelung lässt allerdings
befürchten, dass die Regierung weder willens noch in der
Lage ist, diesen Kampf aufzunehmen.

Frau Ministerin, Sie beklagten vorhin das unterschied-
liche Verschreibungsverhalten der Ärzte in den einzelnen
KV-Regionen. Liegt das vielleicht daran, dass die Fort-
bildung der Ärzte in Fragen der Arzneimitteltherapie
nicht fachlich unabhängig gestaltet wird, sondern fest in
der Hand der Hersteller liegt und über weite Strecken nur
aus reinem Marketing besteht?

Andere Punkte betreffen die Positivliste, auf die unse-
rer Meinung nach nicht verzichtet werden darf,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da bin ich anderer Meinung!)


und eine bessere Information der Bevölkerung über Sinn
und Nutzen der Arzneimittelanwendung.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wie in der DDR! – Gegenruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]: Sie sollten sich nur äußern, wenn Sie etwas wissen!)


Frau Ministerin, manches an Ihrem gesundheitspoliti-
schen Neuansatz ist verständlich. Passen Sie aber auf,
dass Sie nicht zum Spielball der Gewinn- und Einkom-
mensinteressen der Hauptakteure im Gesundheitswesen
werden!


(Beifall bei der PDS)





Monika Knoche
17434


(C)



(D)



(A)



(B)


Das dicke Lob der Pharmaindustrie sollte Ihnen schon et-
was zu denken geben.

Andererseits ist es wirklich ernst zu nehmen, wenn
führende Kassenvertreter eine schnelle Konsolidierung
der Finanzsituation der GKV anmahnen. Für alle Zweif-
ler am bestehenden Solidarsystem ist gerade die Tatsache
steigender Beiträge ein willkommener Angriffspunkt.
Deshalb ist ein klar bemessener Einzelschritt zur Verbes-
serung der Kasseneinnahmen erforderlich. Vorschläge
dafür liegen auf dem Tisch und sind schon genannt wor-
den, so zum Beispiel die Halbierung oder Streichung der
Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, wie sie in einigen eu-
ropäischen Nachbarländern üblich sind. Wir haben von
Anfang an gesagt, dass dies möglich ist.


(Beifall bei der PDS – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das war eine Forderung der PDS!)


Es gibt auch kein Sachargument gegen die ordnungspoli-
tisch richtige Finanzierung des Mutterschaftsgeldes aus
Steuermitteln. Beides wäre nur ein Ausgleich für die mas-
sive Entlastung des Bundeshaushalts, die bis jetzt immer
auf Kosten der GKV und der Beitragszahler realisiert
worden ist.

Meine Damen und Herren, auf unserer Seite würde das
Scheitern dieser Gesundheitsreform eine ernste Besorgnis
auslösen. Ihr bedeutendster Vorzug bestand darin, dass sie
das Solidarsystem und seine tragenden Bestandteile er-
halten will. Wenn aber eine solche Reform die Akzeptanz
des Systems nicht stärkt, wird der Boden für jene bereitet,
die schon immer ein anderes Gesundheitswesen wollten.
Dessen Charakteristika werden von CDU/CSU und F.D.P.
unermüdlich propagiert.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Genau richtig!)

Der heutige Entschließungsantrag der F.D.P. enthält sie in
klassischer Form:


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!)

für die Patienten mehr Eigenbeteiligung zusätzlich zu
den Versicherungsbeiträgen, für die Beschäftigten im Ge-
sundheitswesen ein harter Rentabilitätsdruck in der medi-
zinischen Arbeit anstelle von Wissenschaftlichkeit und
Humanität,


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir sind ehrlich!)

Regel- und Wahlleistungen sowie ein grenzenloser öko-
nomischer Wettbewerb von Kassen und Leistungsan-
bietern.

Liebe Kollegen von der F.D.P., Respekt für die klare
und folgerichtige Darstellung eines marktgesteuerten Ge-
sundheitswesens in Ihrem Entschließungsantrag. Man
kann auch sagen: Bei Ihnen weiß man genau, woran
man ist.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das wollen wir so! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)


Bei der CDU/CSU muss man immer hin- und herschwen-
ken. Lieber Herr Kollege Thomae, das Problem besteht
aber darin, dass Sie Marktmechanismen auf einen Bereich
anwenden wollen, in dem – im Gegensatz zur Wirtschaft –

der Markt gerade nicht mehr effizient ist und keine bes-
sere Bedarfsdeckung hervorbringt.


(Beifall bei der PDS – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Haben Sie die Härtefallregelung beachtet?)


Lieber Kollege Thomae, Sie wollen uns nach England
schicken, ich schicke Sie in die USA.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da will ich überhaupt nicht hin!)


Sagen Sie mir: Wie ist es möglich, dass es in den USAdas
marktwirtschaftlichste aber zugleich auch das sozial inef-
fizienteste und mit Abstand teuerste Gesundheitswesen
der Welt gibt? Ich möchte nicht, dass ein Drittel unversi-
chert ist. Wenn Sie für dieses System eintreten, dann ist
das Ihre Sache.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Haben wir in der USA die soziale Marktwirtschaft?)


– Lesen Sie einmal im Grundgesetz nach, was soziale
Marktwirtschaft bedeutet.

Ich komme zum Wettbewerb zwischen den Kranken-
kassen bei uns: Ich bin für einen Qualitätswettbewerb.
Der bei uns stattfindende Wettbewerb richtet sich aller-
dings ausschließlich auf die Quantität. Für mich ist es ein
absolut zweischneidiges Schwert, wie dieser in Deutsch-
land durchgeführt wird. Er hat nämlich zur Entsolidari-
sierung geführt. Durch Ihren Vorschlag fördern Sie eine
weitere Entsolidarisierung. Mit Ihrer Politik führen Sie
uns noch weiter in eine Sackgasse. Unserer Meinung nach
bedeutet Ihre Politik das Aus für ein sozial gerechtes Ge-
sundheitswesen.

Die PDS wird alle Kräfte, die dem Druck von Pri-
vatisierung und Marktsteuerung des Gesundheitswesens
entgegenwirken, unterstützen. Sie wird auf der Seite de-
rer stehen, die die Solidarität im Gesundheitswesen er-
halten wollen.


(Beifall bei der PDS)

Aus unserer Sicht müssen die Menschen auch in Zukunft
die Gewissheit haben, dass unabhängig vom jeweiligen
Geldbeutel alles medizinisch Notwendige getan wird. Für
den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wäre es ver-
heerend, wenn eine marktradikale Deregulierung auch auf
diesen sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge durch-
schlagen sollte.

Wir fordern eine strukturelle Erneuerung der gesetzli-
chen Krankenversicherung und des gesundheitlichen Ver-
sorgungssystems, und zwar im Sinne von Solidarität und
sozialer Gerechtigkeit.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417706400
Das Wort hat der Kol-
lege Aribert Wolf für die CDU/CSU-Fraktion.




Dr. Ruth Fuchs

17435


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(D)



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Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417706500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in
seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundes-
tag am 10. November 1998


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So lange sind die schon dran?)


den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zum Ge-
sundheitswesen Folgendes versprochen:

Im Gesundheitswesen werden wir die Belastungen
der Kranken, vor allem der chronisch Kranken und
der älteren Patienten, zurückführen... Wir stehen
auch in diesen Bereichen für eine Reform, die sich an
den Realitäten orientiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Können Sie das wiederholen?)


Meine Damen und Herren, was ist heute, drei Jahre
später, von diesen vollmundigen Versprechungen geblie-
ben? An diesen Ankündigungen müssen Sie sich messen
lassen. Die Krankenkassen erhöhen auf breiter Front die
Beiträge. Was bedeutet das für viele Menschen in diesem
Land? Dass entgegen den Ankündigungen der SPD auf
den Wahlplakaten, auf denen dann auch noch „Wir wol-
len, dass Sie gesund werden und nicht arm“ stand, die
Menschen in Deutschland


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Mehr bezahlen!)

für ihre Krankenversicherung heute so tief in die Tasche
greifen und so viel Geld hinlegen müssen wie noch nie
zuvor in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Fritz Schösser [SPD]: Komm, hör auf! Das glaubst du ja selbst nicht! – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Beim Langzeitgedächtnis ist bei Ihnen auch nicht mehr alles so in Ordnung! Die Beiträge sind bei Ihnen doch auch gestiegen!)


Liebe Frau Knoche, es ist ja interessant, welche tollen
theoretischen Überlegungen Sie angestellt haben. Aber
Fakt ist doch, dass Sie eine grüne Gesundheitsministerin
hatten, die genau diese Beitragssatzerhöhungen in
wesentlichen Teilen zu verantworten hatte; sie hat sie
doch auf den Weg gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es! Und gescheitert ist sie!)


Wenn man sich einmal anschaut, was diese Regierung
alles versprochen hat, dann erkennen wir, dass nach der
Rentenlüge, nach der Ökosteuerlüge und nach dem kaum
zu haltenden Versprechen, dass die Arbeitslosenzahlen bis
2002 auf unter 3,5 Millionen gedrückt werden, jetzt auch
noch die schrödersche Beitragslücke winkt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wieso? Die Ökosteuer war doch keine Lüge! Die haben wir doch eingeführt! – Fritz Schösser [SPD]: Sind Sie nicht katholisch? Dann dürfen Sie doch nicht lügen!)


Meine Damen und Herren von Rot-Grün, glauben Sie
denn im Ernst, dass es dieser Regierung gelingt, die Lohn-
nebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken –


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ja ein Witz!)


und das trotz der vielen Milliarden, die die Bürger wegen
der Ökosteuer zusätzlich zu den Milliarden durch die So-
zialversicherungsbeiträge zu bezahlen haben?


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie wissen doch, wie hoch bei Ihnen die Krankenversicherungsbeiträge waren! – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Lug und Betrug!)


Sie werden sehen: Ihr Kanzler wird eines Tages als ein
Kanzler der gebrochenen Versprechen in die Geschichte
eingehen.


(Fritz Schösser [SPD]: Bei 22 Prozent Rentenversicherungsbeitrag würdet ihr rumturnen!)


Das sehen nicht nur wir so. Ich darf Ihnen ein Zitat aus
der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ vorlesen.


(Zurufe von der SPD)

– Da können Sie schreien, wie Sie wollen: Dieser Journa-
list brachte es am 20. Juni 2001 sehr treffend auf den
Punkt, als er schrieb:

Da bringen Autofahrer, Heizöl- und Stromverbrau-
cher jährlich weit mehr als zehn Milliarden Mark zu-
sätzlich auf, damit die Beiträge zur Rentenversiche-
rung um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden können.


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: „Gesenkt!“)

Und dann winkt den Kassenmitgliedern und Arbeit-
gebern auf einem Schlag die zehnfache Erhöhung
des Beitragssatzes zur Krankenkasse.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Unverschämt!)


Es lässt sich nicht anders beurteilen: Die Gesund-
heitspolitik ist von der Bundesregierung bei Teil-
nahmslosigkeit der SPD-Fraktion in ein Fiasko ge-
steuert worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Gute Zeitung!)


Genau so ist es. Die Gesundheitspolitik dieser rot-grünen
Bundesregierung ist ein einziges Fiasko.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Denn die Menschen müssen nicht nur mehr für ihre Ge-
sundheit zahlen; vielmehr – und das ist das Schlimmste
daran – erhalten sie gleichzeitig weniger Leistungen als
jemals zuvor.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Budgetierung!)

Manchmal glaube ich, dass manche von Ihnen an Ge-

dächtnisschwund leiden. Frau Schmidt, wer hat denn
diese Gesetze auf den Weg gebracht? Es ging doch um
Ihre Vorschläge und geschah mit Ihren Stimmen. Jetzt
fangen Sie – wie bei den Arznei- und Heilmitteln – an,
Ihr rot-grünes Gebäude teilweise wieder einzureißen. Sie






(C)



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(A)



(B)


schaffen doch jetzt Ihr eigenes Budgetierungsgesetz wie-
der ab. Wenn Sie nicht den Mut haben,


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist die Stunde der Erben!)


das Gebäude nicht nur in Teilbereichen einzureißen, son-
dern es von Grund auf zu renovieren, dann droht Ihnen –
Sie werden das sehen – das, was mit Gebäuden – diejeni-
gen, die mit Gebäuden zu tun haben, wissen das – dann
nun einmal geschieht: Der Rest des Gebäudes wird un-
kontrolliert einstürzen. Damit fügen Sie dann dem ge-
samten Gesundheitswesen noch größeren Schaden zu als
jemals zuvor.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das größte Problem des Gesundheitswesens ist Herr Thomae! – Fritz Schösser [SPD]: Über die Krankenkassen reden Sie nicht mehr, Herr Wolf!)


Deswegen fordere ich Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, auf: Sagen Sie den Menschen, wo es lang
geht!


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Sind Sie an der Regierung oder wir? So ein Quatsch!)


Sie können nicht versuchen, die Menschen mit Beruhi-
gungspillen bis nach der Wahl zu beschwichtigen. Es be-
steht ein umfassender politischer Handlungsbedarf.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie müssen trotzdem sagen, was Sie wollen!)


Wenn Sie nicht handeln, dann werden Sie sehen, dass sich
die Probleme sehr schnell zu einer einzigen Katastrophe
auswachsen.

Lassen Sie es mich einmal so beschreiben: Horst
Seehofer hat Ihnen ein Gesundheitswesen hinterlassen,
das man mit einem modernen, technisch einwandfreien,
frisch gewaschenen und voll getankten Fahrzeug verglei-
chen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein einziger Trümmerhaufen war das!)


Als Sie die Regierungsverantwortung übernommen ha-
ben, gab es einen Überschuss von 2 Milliarden DM in der
gesetzlichen Krankenversicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Horst Seehofer hat auch die Fahrtrichtung richtig vorge-
geben: mehr Freiheit, mehr Wettbewerb und Vorfahrt für
die Selbstverwaltung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Schämen Sie sich, Herr Wolf!)


1998 gab es keine staatlich geregelten Budgets, keine
staatlichen Regulierungen, die der Selbstverwaltung kei-
nen Gestaltungsspielraum mehr gelassen haben.

Sie von Rot-Grün haben unsere Regelungen abge-
schafft. Bevor – um im Bild zu bleiben – das Fahrzeug

richtig laufen konnte, haben Sie die Fahrtrichtung um
180 Grad geändert. So sind Sie in den Sumpf gekommen.


(Lachen der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Autofahrer wissen, was passiert, wenn ein Fahrzeug keine
Bodenhaftung mehr hat. Genau das ist Ihnen passiert: Sie
haben kräftig Gas gegeben, sodass die Reifen durchdreh-
ten und es einen fürchterlichen Krach gegeben hat. Trotz-
dem sind Sie nicht vom Fleck gekommen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dreck hat es gemacht!)


– Richtig, Dreck hat es auch gegeben. – Deswegen musste
Frau Fischer nach einiger Zeit aus dem Auto aussteigen.

Jetzt sind Sie am Steuer, Frau Schmidt.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist gut so!)


Sie haben den Auftrag, nicht so viel Krach und so viel
Wirbel zu machen und sich ruhig zu verhalten. Das tun Sie
auch.


(Dr. Sabine Bergmann-Pohl [CDU/CSU]: Sie hat den Rückwärtsgang eingelegt!)


– Sie hat überhaupt keinen Gang eingelegt.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Der Motor streikt!)

Sie versucht nur, sich ruhig zu verhalten.

Sie werden sehen, das Fahrzeug, also unser Gesund-
heitswesen, steht nach wie vor im Sumpf. Wenn man
nichts unternimmt, hilft das nicht weiter. Das Auto wird
immer weiter einsinken. Liebe Frau Ministerin, da hilft
nur eine radikale Umkehr. Verlassen Sie dieses sumpfige
Gelände, kehren Sie zum seehoferschen Ausgangspunkt
zurück und fangen Sie neu an!


(Lachen der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Schlagen Sie doch einmal die Fahrtrichtung der Union
ein, die wir vorgegeben haben! Der Kollege Ulf Fink hat
sie schon aufgezeigt:


(Fritz Schösser [SPD]: Aber wider Willen!)

keine Budgetierung und keine staatliche Reglementie-
rung. Auch Sie werden sehen, dass Sie eines Tages nicht
daran vorbeikommen, auf mehr Eigenverantwortung, auf
mehr Wahlfreiheit für die Versicherten, auf mehr Trans-
parenz und auf mehr Wettbewerb zu setzen. Sie werden
sehen – wie es schon bei der Rente der Fall war –, dass es
auf Dauer dazu keine tragfähige Alternative gibt.

Wir wissen doch alle um die demographischen Pro-
bleme in unserem Land, die auch vor dem Gesundheits-
wesen nicht Halt machen. Wir wissen um die drängen-
den Fragen der Versorgungsqualität. Hier muss die
Politik schnell handeln und darf nicht erst nach der Bun-
destagswahl damit beginnen, konkrete Maßnahmen an-
zupacken.

Nehmen wir zum Beispiel einmal die Arbeitsbedin-
gungen im Krankenhaus. Frau Schmidt-Zadel, da können
Sie lachen, so viel Sie wollen: Haben Sie sich einmal mit




Aribert Wolf

17437


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(A)



(B)


den personellen Engpässen auf einer Intensivstation
auseinander gesetzt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Frau ist Journalistin. Sie war neulich in Greifswald
auf einer Intensivstation und hat ein Ärzte- und Pflege-
team bei der Arbeit begleitet. Sie konnte feststellen, wel-
che Arbeitsbedingungen der Budgetdruck diktiert.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Nach zehn Stunden Nachtdienst am OP-Tisch können die
Ärzte und Pfleger am nächsten Tag nicht einfach nach
Hause gehen.


(Fritz Schösser [SPD]: Das ist alles neu? – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das war aber schon vorher der Fall, Herr Wolf!)


Daran schließt sich noch ein Bereitschaftsdienst an, der
sich nicht gerade durch Ruhe auszeichnet. Wir können
von diesen Menschen doch nicht erwarten, dass sie am
nächsten Tag nicht gereizt reagieren, sondern immer noch
ein nettes Wort auf den Lippen haben und immer noch zu
menschlicher Zuwendung fähig sind.


(Fritz Schösser [SPD]: Das ist völlig richtig! Das muss man ändern!)


Ich frage Sie: Überfordern wir nicht viele, die im Ge-
sundheitswesen – von der Altenpflege einmal ganz zu
schweigen – einen hohen Arbeitseinsatz leisten? Sie kön-
nen doch nicht einfach nichts tun, die Dinge laufen lassen
und nur irgendwelche theoretischen Ausführungen ma-
chen. Nein, hier muss die Politik jetzt konkrete Antwor-
ten geben.


(Fritz Schösser [SPD]: Herr Wolf, war das jemals besser? Wir ändern das!)


Lassen Sie sich ins Stammbuch schreiben: Das Leben
bestraft nicht nur den, der zu spät kommt, sondern auch
den, der nichts tut. Deswegen, Frau Ministerin, fordere
ich Sie auf: Geben Sie konkrete Antworten auf die Forde-
rungen des Hartmannbundes, der uns vorrechnet, dass
allein in deutschenKrankenhäusern infolge der Einsparun-
gen durch Budgetkürzungen heute bis zu 15 000 Ärzte und
bis zu 10 000 Pflegekräfte fehlen! Hier muss die Politik
Entscheidungen treffen und Antworten geben. Darin liegt
Ihre Aufgabe und nicht darin, in Talkshows aufzutreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Warnzeichen sind unübersehbar. Es ist Dampf im

Kessel, der sich einen Ausweg sucht. Im Gesundheitswe-
sen muss jetzt gehandelt werden, bevor die Dinge außer
Kontrolle geraten. Frau Ministerin, ich gebe Ihnen den
guten Rat: Handeln Sie rechtzeitig! Sonst werden Sie er-
leben, dass auch Ihre Tage als Ministerin gezählt sind.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die sind sowieso gezählt!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417706600
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Dr. Hansjörg Schäfer.


Dr. Hansjörg Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1417706700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Große Anfragen haben ein
Ziel. Ihres ist die Abschaffung der solidarischen Kran-
kenversicherung in der jetzigen Form. Sie gehen dabei
von der Behauptung aus, dass die Einnahmen auf Dauer
die notwendigen Ausgaben nicht decken. Ihre Konse-
quenz: Sie wollen ein anderes System, und zwar ein Sys-
tem, das die Belastung der Kranken erhöht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen die Aufspaltung der GKV in einen Kern- und
einen Wahlteil, wobei nach Ihren Vorstellungen unter an-
derem Mutter-Kind-Kuren, Zahnersatz und Kieferor-
thopädie für Erwachsene zum Wahlteil werden. Ich zitiere
Herrn Lohmann aus dem „Deutschen Ärzteblatt“. Er be-
ziffert die möglichen Einsparungen dabei auf 25 Milliar-
den DM. Wer zahlt denn das? – Das zahlen nach Ihren
Vorstellungen die Patienten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Pfui Teufel!)


Wie ein roter Faden zieht sich durch die Anfrage Ihr
Ansinnen, die GKV auf eine Grundversorgung zu redu-
zieren. Wenn man wie der Kollege Storm, Ihr Obmann in
der Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“,
formuliert – ich zitiere –:

Der Leistungskatalog in der GKV muss alle thera-
peutisch notwendigen Maßnahmen beinhalten und
eine umfassende Prävention gewährleisten

so kann ich dem folgen.

(Zurufe von der SPD: Ja!)


Schwierig wird jedoch Definition des therapeutisch
Notwendigen. Hier scheiden sich die Geister. Wir verste-
hen darunter eine ausreichende, qualitativ hochwertige
Versorgung. Wir sind davon überzeugt, dass die Einspar-
potenziale noch lange nicht ausgeschöpft sind. Ich denke
hier vor allem an den Arzneimittelsektor und den sta-
tionären Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichwohl wird in der Zukunft zu diskutieren sein, wie
die Finanzierungsgrundlagen der GKV zu verbreitern
sind: etwa, wie der Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen
vorgeschlagen hat, durch Einbeziehung aller Einkunfts-
arten oder, was andere vorschlagen, durch die Anhebung
der Beitragsbemessungsgrenze. Beides, Rationalisierung
und Verbreiterung der Einnahmebasis, wird die GKV lang-
fristig absichern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Verlagerung der Risiken auf den kranken Menschen
ist der falsche Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind der Überzeugung, dass sich der Leistungska-
talog der GKVüber die Jahrzehnte bewährt hat. Eine Bin-
senweisheit ist dabei, dass er sich an neue medizinische




Aribert Wolf
17438


(C)



(D)



(A)



(B)


Erkenntnisse anpassen und vor allem Über-, Unter- und
Fehlversorgung vermeiden muss. Aber das haben wir ja
bereits im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 begon-
nen. Wichtig ist uns insbesondere, dass auch sozial- und
familienpolitische Risiken, die durch Krankheit entste-
hen, abgefedert werden. Insofern sagen wir: Der Leis-
tungskatalog entspricht dem Prinzip der Solidarität. Er
ist umfassend, er erfasst das medizinisch Notwendige und
er macht das therapeutisch Sinnvolle möglich.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und führt zu Beitragserhöhungen!)


– Das wird man sehen.

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein, das ist so!)


Sicherlich müssen wir auch den Mut haben, die Dis-
kussion stärker auf die medizinisch nicht notwendigen
Leistungen zu lenken. In der Antwort der Bundesregie-
rung werden zum Beispiel nicht indizierte radiologische
Untersuchungen genannt. Ganz typisch sind hier Doppel-
untersuchungen bei stationärer Einweisung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das sagt selbst die Gesellschaft der Radiologen!)


Wir werden uns auch noch über Qualität und Notwen-
digkeit vieler Mammographien unterhalten müssen. Der
europäische Vergleich zeigt uns bei diesem Thema, dass
Quantität und Qualität hierzulande massiv auseinander
klaffen. Auch zu weit gestellte Operationsindikationen
wie zum Beispiel bei Appendizitis oder bei gynäkologi-
schen Erkrankungen bedürfen mit Sicherheit der Qua-
litätsüberprüfung.


(Zustimmung bei der SPD)

Diese Beispiele weisen eindeutig nach, dass Qualitäts-

verbesserung nicht notwendigerweise mit Mehrkosten
einhergeht, sondern, im Gegenteil, erhebliche Kosten spa-
ren kann. Für organisatorische Abläufe und bessere Ver-
zahnung der verschiedenen Sektoren gilt das Gleiche.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausschöp-
fung der Rationalisierungsreserven und die Verbesserung
der Qualität in der medizinischen Versorgung zwei Seiten
einer Medaille sind, und zwar gute Seiten. Wenn so Ra-
tionalisierung und Qualitätssicherung Hand in Hand
gehen, werden die Beitragssätze so bleiben, wie sie sind.
Dem widerspricht auch die Beitragserhöhung der AOK
Hessen und einiger Betriebskrankenkassen nicht. Ich bin
mir jedoch darüber im Klaren, dass dies einen stabilen Ar-
beitsmarkt voraussetzt.

Eine deutliche Qualitätsverbesserung wird auch die Ver-
netzung präventiver, akuter und rehabilitativer Thera-
pieformen bringen. Ziel des Sozialgesetzbuches IX, über
das wir derzeit beraten, ist es, dauerhafte Behinderungen
von vornherein zu vermeiden. Das erfordert aber nicht nur
ein neues Gesetzbuch, sondern auch die Qualifizierung von
Ärzten im Reha-Bereich.

An dieser Stelle erinnere ich an die Notwendigkeit ei-
ner neuen Approbationsordnung, die auch das Ausbil-

dungsziel „Rehabilitation behinderter Menschen“ enthält.
Seit der letzten Legislaturperiode hat sich in dieser Hin-
sicht nichts bewegt. Es wird Zeit, dass dieses wichtige An-
liegen in den nächsten Wochen ein wesentliches Stück
vorangebracht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hier müssen sich vor allem auch die Länder bewegen,

(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Uns müssen Sie das nicht sagen!)

auch


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die SPD-geführten!)


diejenigen, an deren Regierungen die F.D.P. beteiligt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da haben wir kein Problem!)


Weiterhin müssen wir Krankenhaus- und niedergelas-
sene Ärzte für die Mitwirkung an Rehabilitationsmaß-
nahmen fit machen. Auf diesem Gebiet ist Weiterbildung
also ein zentrales Anliegen.

Wichtig ist der Aufbau ambulanter Rehabilitationsange-
bote, um so langfristig eine konsequente Verzahnung am-
bulanter und stationärer Reha-Angebote zu erreichen. Das
Prinzip, das in der kurativen Medizin gilt – so viel ambu-
lant wie möglich –, muss auch für die Rehabilitation gelten.

Die gleiche Stoßrichtung hat die Leistung Soziothera-
pie. Sie verhindert wiederholte stationäre Aufenthalte. Die
Kosten der ambulanten Soziotherapie werden durch Ein-
sparungen im stationären Bereich mehrfach ausgeglichen.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Die stärkere finanzielle Förderung der Selbsthilfewird
ähnliche Effekte haben. Eine Stärkung der Eigenverant-
wortung trägt ganz wesentlich dazu bei, sich mit Krank-
heiten aktiv auseinander zu setzen und deren Folgen eher
zu bewältigen.

Einen meiner Meinung nach übertrieben breiten Raum
in der Großen Anfrage nehmen die Urteile des Europä-
ischen Gerichtshofes und ihre Folgen ein. Sicherlich wäre
die theoretische Konsequenz eine Steigerung der Ausga-
ben der GKV, aber eine massenhafte Inanspruchnahme
dieser Möglichkeiten ist noch nicht einmal im grenznahen
Raum vorstellbar. Um aber einer falschen Entwicklung
vorzubeugen, ist der Weg von Verträgen mit ausländischen
Versicherungsträgern und Leistungserbringern denkbar,
über den allerdings erst im Licht weiterer EuGH-Urteile zu
entscheiden wäre.

Einen zu Recht breiten Raum in Ihrer Anfrage nimmt
die Prävention ein. Die alte Volksweisheit „Vorbeugen ist
besser als Heilen“ hat für die GKV zweifache Bedeutung.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sehr gut!)

Zum einen verfolgt sie das Ziel, die Gesundheit der Be-
völkerung nachhaltig zu steigern, zum anderen hat sie
logischerweise den Zweck, die Kosten zu senken. Das Ge-
sundheitsreformgesetz 2000 hat in § 20 SGBVLeistungen




Dr. Hansjörg Schäfer

17439


(C)



(D)



(A)



(B)


zur Primärprävention, zur betrieblichen Gesundheitsför-
derung und zur Verbesserung der Selbsthilfeförderung ge-
regelt. Prävention kann nicht alles, aber wir erwarten von
Prävention, die im Kindesalter beginnt, eine deutliche
Verringerung der Gesundheitsrisiken im weiteren Leben.
Insbesondere die Steigerung der Lebenserwartung und die
Vermeidung chronischer Erkrankungen sind Erfolge einer
konsequenten Verhaltens- und Verhältnisprävention.

Einen großen Stellenwert nimmt auch die Suchtvor-
beugung ein. Nicht zuletzt die Sterbezahlen – beim Rau-
chen etwa 100000 Menschen pro Jahr, beim Alkohol rund
40000 – zeigen die Dimension dieses Problems. Die Fol-
gekosten von suchtbedingten Erkrankungen sind volks-
wirtschaftlich nur sehr schwer einzuschätzen. Die Größen-
ordnung dieses Problems lässt sich jedoch deutlich an der
Zahl von rund 6 Millionen Menschen mit riskanten Alko-
holkonsummustern ablesen.

Prävention bedeutet hier Aufklärung und die Ausei-
nandersetzung mit suchtfördernden Stoffen. Die vielfälti-
gen Programme und Aktionen zur Suchtprävention
möchte ich hier nicht weiter aufzählen. Ich möchte mich
jedoch bei dieser Gelegenheit nochmals für das Gesetzes-
vorhaben „Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz“ einset-
zen, das in diesem Hause in erster Lesung die Mehrheit
gefunden hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erwähnen muss man die vielfältigen Initiativen und
Programme wie zum Beispiel „Europa gegen den Krebs“,
die Aufklärungsaktion „Kampf dem Herzinfarkt“ oder
auch die Kampagne gegen die Osteoporose. Sicher wird
auch die Prävention umweltbedingter Erkrankungen in
Zukunft einen noch größeren Raum einnehmen.

Die Osteoporose-Problematik ist eines der besten
Beispiele, um die Notwendigkeit von Prävention aufzu-
zeigen. Pro Jahr sterben mehr Frauen an dieser Krankheit
als an Brust- und Magenkrebs zusammengenommen. Der
nicht medikamentösen und der medikamentösen Vorbeu-
gung von Osteoporose kommt eine enorme Bedeutung zu.
Das Risiko von Oberschenkelhals- oder Wirbelbrüchen
kann um bis zu 70 Prozent gemindert werden. Es ist je-
doch zu beachten, dass die Östrogentherapie weiterhin im
Hinblick auf die Möglichkeit anderer Risiken wie Brust-
krebsinzidenz beobachtet werden muss. Dies gebietet sich
von selbst; aber es deutet sich auch an, dass die Folgen bei
weitem nicht so dramatisch sind, wie sie ohne eine Östro-
genbehandlung wären.

Gesundheitliche Prävention beschränkt sich nicht auf
die Gesundheitspolitik. Sie betrifft praktisch alle Res-
sorts: Ob im Bereich Umweltschutz, ob bei der Verkehrs-
planung, ob beim Arbeitsschutz, überall begegnen wir der
Notwendigkeit der gesundheitlichen Prävention. Die Ant-
wort der Bundesregierung beschreibt eine Vielzahl von
Initiativen, Gesetzesänderungen und Modellprojekten,
deren Ziel es ist, Prävention in alle Politikfelder einzu-
führen.

Ich gehe noch kurz auf ein Thema ein, das in Ihrer An-
frage leider keine oder nur eine untergeordnete Rolle
spielt und zu dem meine Fraktion einen Antrag formuliert

hat: die frauenspezifische Gesundheitsversorgung. In
diesem Antrag wird auf die Tatsache aufmerksam ge-
macht, dass Frauen anders als Männer erkranken: Sie ha-
ben andere Krankheitsverläufe, gehen anders mit ihren
Krankheiten um und nehmen sie anders wahr.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Was sagen Sie als Betroffener zu dem Thema? – Gegenruf der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Ha, ha, ha!)


– Herr Wolf, das war ein müder Witz. Aber das adelt Sie.
Das zeigt sich in den unterschiedlichen Zahlen ver-

schiedener Erkrankungen wie Depressionen, psychoso-
matische Beschwerden oder Medikamentenabhängigkeit.
Konsequenzen müssen in Forschung, Datenerhebung, Be-
richterstattung und Fördervorhaben erfolgen. Damit wird
endlich ein lange vernachlässigter Bereich der Gesund-
heitsversorgung einer öffentlichen Diskussion zugeführt.

Die Tendenz Ihres gesamten Fragenkomplexes ist
klar – ich wiederhole es –: Sie wollen ein anderes System,
Sie wollen eine Minimalversorgung durch die GKV,
während alles andere zusatzversichert und privat finan-
ziert sein soll. Wir hingegen wollen weiterhin eine solida-
rische Krankenversicherung, die alles leistet, was medizi-
nisch notwendig und therapeutisch sinnvoll ist, nicht
weniger. Wir wollen dabei die Belastungen der Beitrags-
zahler stabil halten. Mit der Gesundheitsreform 2000 ha-
ben wir uns auf diesen Weg begeben. Wir werden ihn wei-
ter gehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417706800
Jetzt spricht Herr Kol-
lege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1417706900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Bis heute haben SPD und Grüne einen
quälend langen Lernprozess hinter sich gebracht. Zu Recht
heißt es in dem Gesetzentwurf, wenn auch etwas lapidar
und verschämt, dass das stringente Arzneimittelbudget,
verbunden mit einer Kollektivhaftung der Ärzte, mit er-
heblichen Umsetzungsproblemen behaftet gewesen sei.
Kollegin Schmidt-Zadel, die jetzt leider nicht mehr im
Saal ist, verharmloste den Rückzieher in unserer Heimat-
zeitung mit dem Hinweis, die Budgets seien nicht intelli-
gent. Nein, meine Damen und Herren, man muss es schon
deutlicher sagen: Die Wiedereinführung der Ausgaben-
deckelung mit dem Regierungswechsel war grober Unfug.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie hätten Patienten und Ärzten manchen Ärger und man-
che Sorge erspart, hätten Sie das Neuordnungsgesetz von
1997 wenigstens in diesem Bereich unangetastet gelassen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nicht nur in diesem Bereich!)


Wird nun wenigstens das, was lange währt, wirklich
gut? Wir haben unsere Zweifel. Statt die arztgruppenspe-
zifischen Richtgrößen zum bestimmenden Faktor zu ma-




Dr. Hansjörg Schäfer
17440


(C)



(D)



(A)



(B)


chen und auf dieser Ebene festzulegen, was für eine aus-
reichende Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln
notwendig ist, wird das Ausgabenvolumen zur bestim-
menden Größe. Das Ausgabenvolumen ist aber im Prin-
zip nichts anderes als das heutige Arzneimittelbudget. Das
zeigt sich darin, dass für den Übergang auf die Ausgaben-
volumina vorgesehen ist, die Budgets des Jahres 2001 zur
Grundlage zu machen. Insbesondere dann, wenn Verein-
barungen in die Schiedsstelle gehen, wird dieser gar
nichts anderes übrig bleiben, als auf die alten Werte
zurückzugreifen. Das Arzneimittelbudgetablösungsgesetz
droht dann zu einem bloßen Arzneimittelbudgetanpas-
sungsgesetz zu werden. Das aber darf nicht geschehen,
meine Damen und Herren.

Veränderungen in der Zahl oder Struktur der Versi-
cherten oder durch Markteinführung innovativer Arznei-
mittel sollen zwar berücksichtigt werden, jedoch wie-
derum nicht auf der Ebene der Richtgrößen, die für den
einzelnen Arzt von entscheidender Bedeutung sind, son-
dern auf der Ebene der Ausgabenvolumina. Man kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Praxis zu Fol-
gendem führen wird: Die Ärzte haben nun zwar nicht
mehr mit einem Kollektivregress zu leben, dafür aber mit
einem viel stärker drückenden Instrument, nämlich den
Richtgrößen, die nicht aufgrund medizinischer Notwen-
digkeiten bestimmt werden, sondern indem das Ausga-
benvolumen nach bestimmten Kriterien aufgeteilt wird.
Zudem gerät der Arzt bereits ab einer Überschreitung von
5 Prozent in die Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht
etwa, wie es unter der alten Koalition der Fall war, erst ab
10 Prozent.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das war klug früher!)


In der Begründung zu § 84 Abs. 1 heißt es:
Versorgungsziele sollen z. B. die eingeschränkte
Verordnung von Arzneimitteln mit ... nicht oder nicht
ausreichend nachgewiesener therapeutischer Wirk-
samkeit zum Gegenstand haben.

Das bedeutet, dass die Selbstverwaltung de facto be-
stimmte Arzneimittel von der Verordnung ausschließen
soll. Wie passt das mit der Rechtsprechung zusammen,
die dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
eine solche Kompetenz abgesprochen hat und dies auf der
Ebene der Vertragspartner Krankenkassen und Ärzte si-
cherlich nicht anders sehen wird?

Ich möchte noch eine Bemerkung zum CDU/CSU-An-
trag machen. Sie fordern zu Recht, dass die Versicherten
über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch ge-
nommenen Leistungen direkt und zeitnah unterrichtet
werden. Wir brauchen bei weiteren Reformschritten aber
ein bisschen mehr Mut. Gehen Sie doch mit uns ein ent-
scheidendes Schrittchen weiter! Lösen wir das Sachleis-
tungsprinzip endlich durch die Kostenerstattung ab!


(Beifall bei der F.D.P.)

Das brauchen wir auch vor dem Hintergrund von Europa.
Dies ist ein ebenso dringend notwendiger Schritt wie die
Abschaffung der Honorarbudgetierung für die Ärzte und
der Krankenhausbudgetierung.


(Beifall bei der F.D.P.)


Wir brauchen ein Gesundheitssystem mit mehr Eigen-
verantwortung, Wettbewerb, Wahlfreiheit und Transpa-
renz. Manchmal gibt der Druckfehlerteufel allerdings An-
lass zum Schmunzeln bei ernstem Hintergrund. So wird in
dem Entwurf inArt. 1 Ziffer 6 Zeile 2 von „Richgrößenvo-
lumen“ gesprochen. Bleibt nur zu hoffen, dass es bei SPD
und Grünen genügend „Riechgrößen“ gibt, die sich auf die
Fährte zu diesem liberalen Gesundheitssystem setzen.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417707000
Nächster Redner ist
der Kollege Fritz Schösser für die SPD-Fraktion.


Fritz Schösser (SPD):
Rede ID: ID1417707100
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Gestern noch haben die
Kollegen Seehofer und Lohmann öffentlich angekündigt,
sie würden der Regierung in Sachen Gesundheitsreform
ordentlich Feuer machen. Heute haben sie bis jetzt zwei
feuchte Streichhölzer gezündet: Ulf Fink hat wider besse-
res Wissen die Rezepte der Fraktion verteilen müssen und
von Herrn Wolf wissen wir, was er in dieser Frage zu er-
zählen hat.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mit einer Großen Anfrage

zur Zukunft des Gesundheitswesens stellt die CDU/CSU
der Bundesregierung 124 Fragen. Offensichtlich sind Sie
im Formulieren von Fragen geübter als im Lösen von Pro-
blemen, wenn Sie selbst in der Regierungsverantwortung
stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na, na!)


Ich werde bei einem Großteil dieser Fragen den Eindruck
nicht los, dass Sie jetzt von uns wissen wollen, was Sie
über 16 Jahre hinweg falsch gemacht haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur wenige Ihrer Fragen basieren nämlich auf neuen Er-
kenntnissen. Das merkt man schon an der ersten Frage.
Sie lautet sinnigerweise:

Hat sich der in der über 100-jährigen Entwicklung
der GKV bis heute aufgebaute Leistungskatalog be-
währt? Wenn nein: In welche Richtung will die Bun-
desregierung den Leistungskatalog verändern?

Warum eigentlich „wenn nein“? Warum fragen Sie nicht:
„wenn ja“? Warum verbinden Sie diese Frage eigentlich
nicht mit der Frage: Wie können wir gemeinsam den Leis-
tungskatalog stabil halten und mit den vorhandenen Res-
sourcen auch finanzieren? Das wäre eine Frage, die zu
stellen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten gut daran getan, wenn Sie all diese Fragen
zwischen 1993 und 1998, als der Gesundheitsminister
Seehofer hieß, gestellt hätten. Aber damals, vor drei Jah-
ren, gab es anscheinend nichts mehr zu regeln. Denn auf




Detlef Parr

17441


(C)



(D)



(A)



(B)


die Frage: „Werden Sie noch einmal für ein Ministeramt
zur Verfügung stehen, falls die Koalition die nächste Bun-
destagswahl gewinnt?“, antwortete Seehofer: Ja, aber als
Gesundheitsminister sehe ich nicht mehr viele Betäti-
gungsfelder; denn wir haben in den letzten fünf Jahren al-
les erledigt, was wir uns vorgenommen haben.


(Lachen bei der SPD)

Das war im Juli 1997. Zur gleichen Zeit – Herr Wolf, daran
wird deutlich, was uns Herr Seehofer hinterlassen hat –
lauteten die Überschriften in den Zeitungen: „Seehofers
Selbstdemontage“, „Seehofers chaotische Gesundheitsre-
form“


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Zwei Milliarden Plus!)


oder „Vom Musterknaben zum Prügelknaben“. Unsere
gemeinsame gute Bekannte, die „Süddeutsche Zeitung“,
schrieb am 9. März 1998:

Als Bettvorleger gelandet.
Am 23. März schrieb sie:

Seehofers Bananenrepublik.
Am Ende war er amtsmüde. Dem Herrn Seehofer – er

ist leider nicht mehr da – kann ich nur sagen: Ihnen konnte
eigentlich nichts Besseres passieren, als die Wahl zu ver-
lieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er war am Ende der Don Quichotte, die traurige Gestalt
des Gesundheitswesens. Dies ist das wahre Bild des Jah-
res 1998.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diese Situation – das sage ich klar und deutlich –
wollen wir unsere Ministerin nicht bringen.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Habt ihr schon!)

Wir werden nichts aussitzen. Wir werden sehen, welcher
Handlungsbedarf vorhanden ist, und wir werden handeln.
Wir werden erst einmal das tun, was schon jetzt getan
werden muss und getan werden kann. Das ist nicht
wenig.

Neben dem Arzneimittelbudgetabschaffungsgesetz
werden wir weitere Gesetzesvorhaben, auch die Neurege-
lung der Krankenkassenwahlrechte, in Angriff nehmen,
so die Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarver-
einbarungen für Ärzte und Zahnärzte, die Anpassung über
die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel, das
Pflege-Leistungsgesetz im Hinblick auf Demenzkranke,
das Medizinproduktegesetz, das Gesetz zum Risikostruk-
turausgleich und die Einführung von Krankenhaus-Fall-
pauschalen. Das Heimgesetz und das Pflege-Qualitätssi-
cherungsgesetz haben wir bereits gelesen. Es ist also nicht
so, dass wir nichts tun. Ganz im Gegenteil: Wir packen die
Gesetze Punkt für Punkt an.


(Beifall bei der SPD)


Wir sagen auch nicht wie Sie im Jahre 1997, dass es
nichts mehr zu tun gäbe. Nein, wir werden mit den Betei-
ligten an einem runden Tisch eine langfristige Sicherung
der bewährten Strukturen erarbeiten


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Bis nach den Bundestagswahlen!)


und das Gesundheitswesen modern, transparent, wirt-
schaftlich, zukunftsfähig und patientenfreundlich machen.

Dabei lassen wir uns nicht treiben. Wir stellen auch
niemanden ruhig, wie Herr Seehofer das formuliert.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Natürlich tut ihr das!)


Gestern erschien die Presseerklärung von Lohmann und
Seehofer zum Thema „Gesundheitspolitik auf der ganzen
Linie gescheitert“.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!)

Diese Erklärung, Herr Thomae, kommt leider drei Jahre
zu spät.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein! Dann kennen Sie das Gesetz nicht!)


Darin erklären sie unter anderem – ich will Ihnen das gern
nachweisen –:

Die Menschen erhalten immer weniger Leistungen
und müssen dafür immer mehr bezahlen.

Dazu kann ich nur sagen: Welch eine Realsatire! Sie ist ei-
gentlich nicht mehr zu überbieten. Was haben Sie für ein
Kurzzeitgedächtnis? Das ist ja schon krankhaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer war es denn, der allein nach dem 1. Juli 1997

– Herr Thomae, Sie stellen sich auch noch hin und sagen:
Darauf sind wir stolz – bei Mütterkuren den Eigenbeitrag
erhöht hat? Wer hat den Eigenbeitrag bei Rehabilitations-
kuren angehoben?


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum musste dann Frau Fischer gehen?)


Wer war für die Zuzahlung in Höhe von 20 Prozent für
Bandagen und andere Hilfsmittel? Wer hat die Kuren auf
drei Wochen gekürzt? Wer hat das Krankengeld um
10 Prozent gekürzt? Wer hat den Zuschuss für die Bril-
lenfassungen gestrichen? Wer hat den nach 1978 gebore-
nen Kindern den Zuschuss für Zahnersatz und Kronen ge-
strichen? Sagen Sie uns das einmal!


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber die Leute haben die Leistungen bekommen! Bei der Budgetierung bekommen die Leute die Leistungen nicht mehr! Sie betrügen doch die Bevölkerung!)


– Das ist die Wahrheit, Herr Thomae.
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir eine Reihe dieser

unsozialen Belastungsspitzen wieder abgeschafft haben.
Heute gibt es für den Krankenversicherungsbeitrag nicht
weniger Leistung, sondern mehr.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Nein! Lesen Sie einmal nach!)





Fritz Schösser
17442


(C)



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(A)



(B)


– Wahrscheinlich sind Sie nicht gesetzlich krankenversi-
chert, sonst würden Sie anders reden. Ich bin bei der AOK
versichert und kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen,
was da läuft. Herr Thomae, Sie reden immer nur über
Dinge, die Sie nicht betreffen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Dann fragen Sie einmal die chronisch Kranken, inwiefern sie davon betroffen sind!)


Wir wissen, dass das Gesundheitswesen in Deutsch-
land im Hinblick auf Mitteleinsatz und Nutzen, also in
Bezug auf die Effizienz, nach einer Studie der Weltge-
sundheitsorganisation in der Welt nur an 25. Stelle steht.
Wir liegen auch bei der Lebenserwartung unserer Bevöl-
kerung sowie bei weiteren Gesundheitsfaktoren wie
Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkrankungen nur
im Mittelfeld vergleichbarer Nationen. Defizite sind auch
bei der Bekämpfung chronischer Erkrankungen wie zum
Beispiel Diabetes und Asthma auszumachen. Wir zahlen
also vergleichsweise mehr Geld als andere für Gesund-
heitsgüter, erhalten dafür aber nur durchschnittliche, ja
mittelmäßige Ergebnisse. Herr Wolf, unsere österreichi-
schen Nachbarn beispielsweise erreichen einen vergleich-
baren medizinischen Standard mit einem Aufwand, der
– gemessen am Bruttosozialprodukt – um 25 Prozent nie-
driger ist als bei uns.

Welche logische Folge ergibt sich nun aus diesem Tat-
bestand? Dem Gesundheitswesen steht nach wie vor
genügend Geld zur Verfügung. Es wird aber alles andere
als optimal eingesetzt. Ich fordere Sie auf: Verteilen Sie
nicht weiterhin verbale Ruhekissen an die Schlafmützen
unter den Leistungserbringern im Gesundheitswesen!

Ihre Behauptung war zum Beispiel – ich zitiere noch
einmal Horst Seehofer; er sagt das in „Klartext“ im Okto-
ber 1999 –:

In keinem anderen Politikfeld wurde so eisern ge-
spart wie im deutschen Gesundheitswesen.

Das ist schlichtweg falsch und ein fatales Signal für die
Leistungserbringer. Sie haben nicht gespart; Sie haben
Versicherte und Patienten einseitig belastet. Wer so dis-
kutiert, der verteilt Freifahrtscheine für alle, die die Wirt-
schaftlichkeit im Gesundheitswesen mit Füßen treten. Es
darf nicht sein, dass weiterhin Geld teilweise in den
falschen Kanälen versickert, wo es zwar verbraucht wird,
aber entweder wenig oder gar keinen Nutzen hat.

Die mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossene
Budgetierung war also vom Grundsatz her berechtigt.
Die Budgetierung sollte alle am Gesundheitswesen Betei-
ligten dazu anhalten, der Geldverschwendung endlich den
Riegel vorzuschieben und Wirtschaftlichkeitsreserven zu
mobilisieren.

Dem niedergelassenen Arzt sollte dabei eine besondere
Schlüsselrolle zukommen. Er verursacht zwar nur 17 Pro-
zent der Kosten, macht aber direkt oder indirekt weitere
28 Prozent als Auslöser geltend. Dafür sollten die nieder-
gelassenen Ärzte auch in hohem Maße die finanzielle Ver-
antwortung mittragen.

Statt in dieser Maßnahme nun eine Chance zu erken-
nen, haben Sie von der Opposition zur Rechten diesen

richtigen Gedanken mit Ihrer Polemik politisch verun-
glimpft und die Ärzteschaft geradezu ermuntert, gegen
die Budgetierung Sturm zu laufen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlef Parr [F.D.P.]: Politisch verunglimpfend war Ihr Wahlkampf!)


Soweit es sich dabei nur um politischen Protest han-
delte, kann man eigentlich noch darüber hinwegsehen.
Man darf aber nicht übersehen, meine Damen und Herren,
dass sich damit Partikularinteressen in übler Weise und
auf Kosten der Versichertengemeinschaft breit gemacht
haben.

Unverzeihbar ist das Verhalten einiger Ärzte, sich der
Budgetierung trotzig zu verweigern oder sie ohne Not auf
dem Rücken der Patienten auszutragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie kennen die Praxis nicht!)


Die Chance, durch die Budgetierung zu mehr Wirtschaft-
lichkeit und Effizienz zu kommen, ist vertan. Darauf kön-
nen Sie stolz sein, meine Herren von der Union!


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Frauen auch!)


– Im Wesentlichen rühren sich dabei ja die Herren, die
Herren Wolf, Lohmann, Seehofer usw. Ich wollte die Da-
men an der Stelle noch schonen. Sie kommen erst nach-
her. Das werde ich dann mit Zwischenrufen machen.

Es geht also darum, Einsparziele zur Geltung zu bringen.
Jetzt aber gilt es, die Vertrauensbasis zu stärken, also

den Schaden, den Sie mit Ihrer Polemik angerichtet ha-
ben, einigermaßen wieder zu bereinigen. Deshalb wird es
ein Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz geben. Dieses
Gesetz wird sich von Ihrer Gesetzesinitiative unter ande-
rem dadurch unterscheiden, dass wir den Vertragspartnern
klar und eindeutig mit auf den Weg geben, auf KV-Ebene
Prüfungen nach Richtgrößen vorzunehmen und abge-
stufte Sanktionen bis hin zu einem Regress für die Ärzte
festzulegen, die unwirtschaftlich verordnen. Das ist die
Konsequenz.

Großzügige Freigrenzen, wie Sie sie beispielsweise
vorsehen, sind meines Erachtens geradezu lächerlich.


(Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Warten wir ab!)

Regressnotwendigkeiten festschreiben zu wollen, wenn
die Richtgrößen um 25 Prozent überschritten sind, das
öffnet Tür und Tor für die Verschwendung.

Also: Die Ärzte bleiben auch nach dem Wegfall der
Kollektivhaftung in der Verantwortung. Insbesondere die
Ärzteschaft muss klar wissen, dass die Bundesgesund-
heitsministerin ihnen ein neuerlich großes Vertrauen mit
in die Zukunft gibt


(Zuruf von der SPD: Genauso ist es!)

und dass es jetzt darum geht, dass die Selbstverwaltung
im Gesundheitswesen endlich reagiert und ihre Hausauf-
gaben macht.




Fritz Schösser

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(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Sinne kommen wir, so glaube ich, ein gutes
Stück vorwärts und kommen auch nach dem runden Tisch
zu einer Reform, die sich sehen lassen kann und die das
Leistungsprinzip, das Prinzip der gesetzlichen Kranken-
kassen in der Bundesrepublik Deutschland auf einen si-
cheren Zukunftspfad bringt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417707200
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz
für die CDU/CSU-Fraktion.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417707300
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das po-
litische Kalkül Schröders, den Gesundheitsbereich bis
zur Bundestagswahl ruhig zu stellen, geht, auch wenn
Sie es heute wieder versucht haben, nicht auf. Der
Dampf im Kessel einer gescheiterten Politik sucht sei-
nen Ausweg. Die Beitragssätze steigen allein in diesem
Jahr dramatisch: bis zu einem Beitragssatzpunkt mehr.
Das ist kein Pappenstiel. Das ist die dramatischste
Beitragserhöhung der gesetzlichen Krankenkassen, die
die Menschen in unserem Land seit Jahren hinnehmen
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich muss schon sagen: All die Reden, die in dieser Debatte
von den Vertretern der Koalitionsfraktionen gehalten wur-
den, zeigen einmal mehr, wie weit Sie sich in so kurzer
Zeit, in gerade einmal zweieinhalb Jahren, von der Rea-
lität im Gesundheitswesen, aber vor allen Dingen von den
Menschen und ihren Befindlichkeiten in unserem Land
entfernt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die AOK Bayern hat die Anhebung bereits vollzogen:

plus 0,5 Prozent. Herr Schösser, ich hätte mich gefreut,
wenn Sie heute erläutert hätten, wie Ihre Kollegen vom
DGB Bayern bei dieser Beitragserhöhung die Begrün-
dung formuliert haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Sie waren ja mit dabei. Es wäre ganz interessant gewe-
sen, zu hören, warum die AOK Bayern die Beiträge er-
höht hat. Ich kann ja verstehen, dass Sie dazu nichts ge-
sagt haben;


(Fritz Schösser [SPD]: Das könnte ich Ihnen schon sagen!)


denn wenn Sie es getan hätten, wäre allen Menschen in
diesem Hause und in unserem Land deutlich geworden,
dass der Versuch, den Sie heute machen wollen – zu sug-
gerieren, dass unsere Regierungspolitik daran schuld sei –,
nicht aufgegangen wäre. Die Verantwortlichkeiten werden
klar Ihrer Regierung zugewiesen.


(Fritz Schösser [SPD]: Was wollen Sie denn damit sagen?)


– Dass Sie sich heute davor gedrückt haben, die Realitä-
ten und die Wahrheiten, die zu diesen Beitragsbelastungen
geführt haben, zu benennen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die AOK Hamburg: plus 4 Prozent.


(Fritz Schösser [SPD]: 0,4 Prozent!)

Die AOK Hessen hat ebenfalls Erhöhungen beschlossen.
Ende nächster Woche heißt es dort: plus 1 Prozent. Wei-
tere Kassen werden spätestens zum Jahreswechsel nach-
legen und ebenfalls drastisch erhöhen müssen.


(Zuruf des Abg. Fritz Schösser [SPD])

– Wissen Sie, das ist ganz einfach: Die Bevölkerung – die
Beitragszahler – wird Ihre Äußerungen und Ihre Zwi-
schenrufe in wenigen Wochen und Monaten ganz klar an-
hand der Abrechnungen vergleichen können.


(Fritz Schösser [SPD]: Sie sagen ja auch, Hamburg erhöht um 4 Prozent!)


Da geht eben nichts mehr mit Versprechungen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Ganze ist die Fortsetzung einer unsäglichen Poli-
tik im Gesundheitsbereich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417707400
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wodarg?


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417707500
Ich möchte
gern fortfahren; denn ich möchte, Herr Wodarg, Ihnen
gern ein Zitat Ihres Fraktionskollegen Pfaff – der heute
nicht hier sein kann – vorhalten. Wir konnten heute in der
„BZ“ nachlesen, was er uns sagen will. In der „BZ“ heißt
es – ich zitiere –:

Wenn die Regierung nicht schnell etwas zur Entlas-
tung der Krankenkassen tut, sind weitere Beitragser-
höhungen unumgänglich.

In Ihren eigenen Reihen wird ja die Kritik an Ihrem
Kurs immer lauter.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ach Gott!)

Hier können Sie lange erzählen. Die Menschen merken
es, sie spüren es. Das zeigt nur, wie weit Sie von ihnen ent-
fernt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihnen steht, genauso wie der gesetzlichen Kranken-

versicherung, das Wasser bis zum Halse. Anfang 2002
wird es eine Flut von Beitragsanhebungen auch bei den
Ersatz- und den großen Betriebskrankenkassen ge-
ben. 4 Millionen Versicherte allein bei den Betriebs-
krankenkassen sollen, wenn es nach Ihren Vorstellungen
geht, vom 1. Januar 2002 an einen erhöhten Beitrag zah-
len, und zwar nur deshalb, weil Sie sich bisher einer
echten Reform des Risikostrukturausgleichs verweigert
haben.




Fritz Schösser
17444


(C)



(D)



(A)



(B)


In Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie den Men-
schen Beitragssatzstabilität versprochen, um Arbeits-
plätze zu schaffen. Ich zitiere:

Ziel der neuen Bundesregierung ist es, den Anstieg
der Krankenversicherungsbeiträge zu stoppen und
die Beträge dauerhaft zu stabilisieren ... Wir werden
die Sozialversicherungsbeiträge ... auf unter 40 Pro-
zent senken.

Ihre Versprechen haben kurze Beine. Die Lohnneben-
kosten werden über die 40-Prozent-Marke steigen und die
Arbeitslosigkeit wird nicht weiter sinken. Eine Inflation
haben wir heute in Höhe von gut 3 Prozent. Da muss man
schon fragen: Nehmen Sie das überhaupt noch wahr?
Wissen Sie eigentlich, was das für die Menschen in unse-
rem Land bedeutet?

Ich will Ihnen das einmal verdeutlichen: Nehmen Sie ei-
nen Facharbeiter, verheiratet, zwei Kinder, Lohn 5 000DM
im Monat. Dieser Mann muss jetzt durchschnittlich
0,7 Prozent zusätzlich für seine Krankenversicherung zah-
len. Das sind 210 DM mehr im Jahr. Hinzu kommt bei ei-
ner Inflation von 3,5 Prozent eine Einkommensminderung
von 2 100 DM. Das bedeuet 2 310 DM weniger im Jahr.
Das ist knapp ein halbes Monatsgehalt weniger, was Sie
den Menschen durch Ihre Politik zumuten. Da können Sie
auch mit der Kindergelderhöhung um 30 DM nichts bewir-
ken.


(Fritz Schösser [SPD]: Was ist das für eine Rechnung?)


Die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld in
der Tasche. Das ist keine himmlische Heimsuchung, son-
dern das ist die logische Folge politischer Fehlentschei-
dungen und die Konsequenz Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die gesundheitspolitischen Maßnahmen sind von krassen
Fehlentscheidungen gekennzeichnet.

Auch der liebe Herr Finanzminister Eichel ist kein fi-
nanzpolitischer Saubermann. Er arbeitet, gerade was die
sozialen Sicherungssysteme angeht, wie ein Taschen-
dieb. Mit den Verschiebebahnhöfen greift der Finanzmi-
nister den Beitragszahlern nämlich ebenfalls immer tiefer
in die Taschen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Verhängnisvoll für die Finanzen der Krankenkassen
wirkt sich darüber hinaus die Absenkung der Beitrags-
zahlungen für die Arbeitslosengeld- und Arbeitslosen-
hilfebezieher aus. Hinzu kommen die Beitragsausfälle
durch Ihre willkürlichen politischen Eingriffe hinsichtlich
der Absenkung des Rentenniveaus und zukünftig auch in
der Konsequenz aus der unsäglichen Rentenreform. Das
rechnen Ihnen die Krankenkassen ja vor.

Die Belastungen – ich will sie in den Milliardenbeträ-
gen gar nicht weiter differenzieren; Sie kennen sie – sind
nicht gesunken, sondern gestiegen. Da nutzt auch das Ab-
kassieren bei den 630-Mark-Jobs nichts; denn am Ende
fehlt das Geld. Die Konsequenzen sind klar: Wir haben
den Druck, wir haben die Rationierung, und die Qualität
in unserem Gesundheitssystem leidet.

Wir debattieren heute über die Zukunft des Gesund-
heitswesens in Deutschland. Wir konnten feststellen und
die Menschen merken es: Ihre Politik funktioniert nicht.
Sie begrenzen die Einnahmen und versprechen den Men-
schen alles zu gewohnten Bedingungen. Mit begrenzten
Mitteln können Sie aber keine unbegrenzten Leistungen
erbringen,


(Ulf Fink [CDU/CSU]: So ist es!)

zumal bei unserer Bevölkerungsentwicklung und dem
Fortschritt in der Medizin.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Wirklichkeit – das müssten doch eigentlich auch

Sie erkennen – sieht heute ganz anders aus. Die Leistun-
gen, die die Kassen für ihre Patienten bezahlen können,
werden immer weniger, die Beiträge immer höher. Ich
frage mich wirklich, ob Sie den Unmut der Menschen
über die Versorgungssituation nicht sehen oder nicht se-
hen wollen. Sie müssen für Ihre Fehler jeden Tag mehr be-
zahlen.

Die finanzielle Seite ist die eine, die qualitative die
andere. Auch da muss man sich wirklich fragen, ob Sie
überhaupt noch in diesem Land leben. Sprechen Sie doch
einmal mit Vertretern der einen oder anderen Selbsthilfe-
gruppe. Sie haben vorhin das Beispiel genannt. Chronisch
kranke Menschen beklagen sich bei uns über ihre Situa-
tion. Sie berichten uns, dass die Versorgung der Men-
schen immer schlechter wird. Budgetierung bedeutet
Rationierung; daran führt nun einmal kein Weg vorbei. Sie
können die Menschen auch nicht ständig ruhig stellen, in-
dem Sie den Selbsthilfegruppen zwar einen Titel bei den
Kassen versprechen, die Auszahlung durch die Kassen
aber angesichts der großen finanziellen Schwierigkeiten
immer schleppender vollzogen wird; denn das ist am Ende
Augenwischerei, davon hat am Ende niemand etwas.

Sie halten Ihre Versprechen nicht. Sie wissen das auch
ganz genau, tun hier aber so, als sei das alles nicht wahr.
So können Sie mit den Menschen nicht umgehen. Mein
Kollege Aribert Wolf hat auf die Situation in den
Krankenhäusern durch den vor uns liegenden Fachkräfte-
mangel


(Karl-Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Das ist ein Problem! Das ist richtig! Aber schon länger!)


und die Umsetzung des EuGH-Urteils hingewiesen. Ich
hätte mir gewünscht, dass die Ministerin dazu heute ein-
mal etwas gesagt hätte!


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie wird dazu schon etwas sagen!)


Aber keine Aussage dazu. Das sind enorme Kosten, die
zusätzlich auf unser System zukommen, und das sind
Leistungen, die wir brauchen, damit die Qualität stimmt.


(Fritz Schösser [SPD]: Richtig!)

Aber unsere Gesundheitsministerin schweigt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie hat doch geredet!)


Wir haben – das wissen Sie – einen Mangel an Pfle-
gekräften auch in den Altenheimen. Das kommt schon




Annette Widmann-Mauz

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(C)



(D)



(A)



(B)


bald einem Notstand gleich. Uns was machen Sie? Nicht
der Personalschlüssel wird verbessert, sondern der Druck
auf die Beschäftigten weiter erhöht. Die Beschäftigten
können diesem Druck nicht länger standhalten; sie müs-
sen ihn, ob sie es wollen oder nicht, oftmals in der Ver-
sorgung an den Patienten weitergeben. Beide, Patienten
und Beschäftigte, sind die Opfer Ihrer Gesundheitspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Fritz Schösser [SPD]: Alles neu!)


– So ist es.
Frau Schmidt, Sie können zwar bis zur Bundestags-

wahl lächelnd durchs Land ziehen und Beruhigungspillen
verteilen; aber die Menschen schlucken das nicht so ein-
fach. Es gibt nämlich Missstände, die keinen Aufschub
dulden. Diese Situation ist sehr ernst. Ihre gesundheitspo-
litischen Maßnahmen greifen nicht. Es sind nur bunte
Pflästerchen, die die Lage im Gegenteil weiter ver-
schärfen. Sie müssen endlich vernünftig handeln, damit
unser Gesundheitswesen eine Zukunft hat, mit mehr
Wahlfreiheiten für die Versicherten, mehr Gestaltungs-
freiheiten für die Vertragspartner in der Selbstverwaltung
und mehr Transparenz und Information für die Beteiligten
bezüglich Kosten und Qualität. Nur so stellen Sie den
Menschen in den Mittelpunkt. Nur mit dieser Grundaus-
richtung eines modernen Sozialstaates hat das Gesund-
heitswesen in unserem Land eine Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417707600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/6384. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsan-
trag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthal-
tung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.


(Detlef Parr [F.D.P.]: Sehr bedauerlich!)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 14/5678 und 14/6309 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b
auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zurReform des
Wohnungsbaurechts
– Drucksache 14/5538 –

(Erste Beratung 159. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Wohnungsbaurechts
– Drucksachen 14/5911, 14/6145 –

(Erste Beratung 170. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und
anderer wohnungsrechtlicher Gesetze
– Drucksache 14/627 –

(Erste Beratung 159. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksachen 14/6344, 14/6375 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Spanier
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Michael Goldmann
Christine Ostrowski

b) – Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Für eine vorausschauende Wohnungs- und
Städtebaupolitik
– Drucksache 14/6048 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform
des Wohnungsbaurechts liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS und jeweils ein Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Wolfgang Spanier. – Wo ist er? –
Es ist Freitagnachmittag. Daher muss alles ein bisschen
schneller gehen.


Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1417707700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Entschuldigen Sie meine
kleine Verzögerung. Aber um diese Tageszeit bin ich
wahrscheinlich nicht mehr ganz der Schnellste.

Es ist heute nicht nur für die Wohnungspolitikerinnen
und Wohnungspolitiker, sondern insgesamt ein wichtiger
Tag. Davon darf man sich auch nicht durch die überaus
„große“ Zahl von anwesenden Abgeordneten irritieren
lassen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das sind alles Experten!)


Heute werden wir die dritte Säule unserer sozialen Woh-
nungspolitik verabschieden.

Der soziale Wohnungsbau hat eine 50-jährige Er-
folgsgeschichte hinter sich. Durch ihn ist es auch in ganz
schwierigen Zeiten, zum Beispiel in den Nachkriegsjah-




Annette Widmann-Mauz
17446


(C)



(D)



(A)



(B)


ren, gelungen, Menschen mit einem Dach über dem Kopf
zu versorgen. Aber es war an der Zeit, und zwar schon seit
längerem, dass wir den sozialen Wohnungsbau grundle-
gend reformieren. Ich bin froh, dass heute der Tag ist, an
dem dies endlich geschieht. Nach zwei bis drei Jahren
Vorbereitungszeit und intensiven Gesprächen zwischen
Bund und Ländern können wir heute dieses Gesetz zur so-
zialen Wohnraumförderung endlich verabschieden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was uns grundsätzlich wichtig ist: Der Bund bekennt
sich nach wie vor zu seiner Beteiligung an dieser Ge-
meinschaftsaufgabe. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe
von Bund, Ländern und Kommunen. Die Freien Demo-
kraten nehmen in dieser Frage einer Außenseiterposition
ein. Alle Bundesländer, alle wohnungswirtschaftlichen
Verbände und natürlich die übergroße Mehrheit in diesem
Hause wollen an dieser Gemeinschaftsaufgabe und der
Objektförderung, um diesen technokratischen Ausdruck
zu gebrauchen, festhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dafür gibt es gute Gründe. Nur wenn wir weiterhin

Neubau und Modernisierung im Wohnungsbestand för-
dern, können wir zielgenau fördern, also genau in den
Kommunen und Regionen, in denen die Wohnungsnot be-
sonders groß ist. Auch heute gibt es wieder Kommunen,
in denen man fast schon wieder von Wohnungsnot spre-
chen kann.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aha!)

München ist dafür das klassische Beispiel.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Dank eurer Politik!)


Objektförderung ist auch wichtig, weil wir Wohnungs-
politik im Zusammenhang mit Stadtentwicklungspolitik
sehen müssen und weil sich dieses Gesetz dadurch aus-
zeichnet, dass neue Instrumente eingeführt werden, um
die drängenden Probleme in der Stadtentwicklungspolitik
tatsächlich ein Stück weit lösen zu können.

Dass die Freien Demokraten hier eine Außenseiterpo-
sition einnehmen, hat letztlich etwas mit ideologischen
Gründen zu tun.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Wir sind ideologiefrei! Wir sind schlicht vernünftig!)


Sie sind nun einmal davon überzeugt, dass es richtig sei,
die Wohnungspolitik allein dem Markt zu überlassen. Al-
lerdings sollten Sie wissen: Der Markt ist sozial blind.
Auch Sie sind offensichtlich – das haben Sie mit Ihrem
Vorschlag zur Reform des Mietrechts demonstriert – min-
destens auf einem Auge sozial blind.


(Beifall bei der SPD)

Wen wollen wir fördern? Die bisherige Zielgruppe des

sozialen Wohnungsbaus, nämlich breite Schichten der Be-
völkerung, wird ein Stück enger, präziser gefasst.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Stimmt überhaupt nicht!)


Ich sage es einmal mit einfachen Worten: Es werden die
kleinen Leute mit kleinen bzw. normalen Einkommen und
diejenigen gefördert, die aus anderen Gründen Schwie-
rigkeiten haben, eine Wohnung zu bekommen, und zwar
nicht nur in den Städten und Kommunen, in denen sich der
Wohnungsmarkt schwierig darstellt.

Ein wichtiger Punkt der Modernisierung des sozialen
Wohnungsbaurechts ist dessen Vereinfachung. Wir ha-
ben dafür gesorgt, dass eine große Zahl von Vorschriften
weggefallen ist. Wir setzen nur den Rahmen. Das ist ver-
nünftig; denn wir geben den Ländern und vor allen Din-
gen Kommunen dadurch Gestaltungsspielraum. Damit
sind natürlich die Kommunen – das sage ich als langjäh-
riger Kommunalpolitiker – wieder stärker in der politi-
schen Verantwortung für die Wohnungspolitik in den
Städten. Wir bieten Instrumente wie den Kooperations-
vertrag an, der es ermöglicht, gemeinsam mit den örtli-
chen Wohnungsunternehmen die Wohnraumversorgung
in der einzelnen Kommune sicherzustellen.

Neu ist auch – dies wird sicherlich eher von Fachleu-
ten als entscheidende Neuerung verstanden –, dass wir
vom Prinzip der Kostenmiete abgehen, allerdings erst
zukünftig, nicht rückwirkend, und zwar in allererster Li-
nie deswegen, weil wir die Mieterinnen und Mieter, die
bisher in preiswerten Sozialwohnungen gelebt haben,
nicht mit unnötigen, überhöhten Mietsteigerungen belas-
ten wollen.

Die Neubauförderung wird nach wie vor wichtig
sein. Ich hoffe, dass die Bundesländer die Mittel dort kon-
zentrieren, wo der Wohnungsbedarf am größten ist. In
Bayern gab es zum Beispiel im Jahr 2000 nur noch knapp
6 000 öffentlich geförderte Wohnungen.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Bayern gibt so viel Geld wie der Bund insgesamt!)


Bundesweit sind für den sozialen Wohnungsbau insgesamt
Mittel in einer beachtlichen Größenordnung ausgegeben
worden. Angesichts dessen ist es sicherlich die Aufgabe
der Landesregierungen, die Mittel dort zu konzentrieren,
wo der Wohnungsbedarf am größten ist.


(Beifall bei der SPD)

Neu ist, dass wir neben der Neubauförderung auch die

Bestandsförderung in das Gesetz aufgenommen haben.
Ich glaube, das ist wohnungspolitisch ein wichtiger
Schritt. Einkommensgrenzen, Belegungsbindungen und
Ausgleichsabgaben werden flexibel gestaltet. Der Bund
– das habe ich schon vorhin erwähnt – setzt nur einen
Rahmen und schafft Gestaltungsspielraum vor Ort, Rege-
lungen für die Einkommensgrenzen, die Belegungsbin-
dungen und die Ausgleichsabgaben zu treffen. Diese In-
strumente können entsprechend der jeweiligen Situation
vor Ort – das ist sinnvoll, da die einzelnen Wohnungs-
märkte in Deutschland sehr unterschiedlich sind – ange-
passt werden. Das ist sozusagen kein Einheitsanzug, aber
auch kein Maßanzug, sondern eine Art Maßkonfektion.
Ich weiß, wovon ich spreche.

Diese Instrumente werden ein Stück weit dabei helfen,
die Bewohnerstrukturen wieder sozial ausgewogener zu
gestalten. Wir alle können nur hoffen, dass die Länder, die
Kommunen und die Wohnungswirtschaft die Instrumente,




Wolfgang Spanier

17447


(C)



(D)



(A)



(B)


die wir ihnen jetzt anbieten, in den kommenden Jahren
konsequent nutzen werden.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas genauer auf die Einkom-

mensgrenzen eingehen, weil diese in den Diskussionen
der letzten Wochen durchaus eine wichtige Rolle gespielt
haben. Wir setzen nur Basisgrenzen. Die Länder können
nach oben, aber auch nach unten abweichen. Das kann vor
Ort durchaus Sinn machen. Wenn eine Kommune zum
Beispiel gezielt den Wohnungslosen helfen möchte, dann
ist es durchaus sinnvoll, wenn sie die zu fördernde Ziel-
gruppe enger fasst, um innerhalb von drei bis vier Jahren
den Wohnungsnotstand zu beseitigen.

Diejenigen, die die Einkommensgrenzen für zu niedrig
halten, zum Beispiel die CDU/CSU, bitte ich aber, daran
zu denken, dass wir beides sehen müssen: die Einkom-
mensgrenzen und die Einkommensermittlung. Die Frei-
beträge sind beträchtlich: Beispielsweise werden Paaren
unter 40, die keine Kinder haben, im Jahr 4 000 Euro vom
Bruttoeinkommen abgezogen. Die Basisgrenzen sind mit
dem Bruttoeinkommen eben nicht gleichzusetzen. Ich
glaube, dass wir die Verengung nicht zu weit getrieben ha-
ben. Immerhin sind auch nach der Reform 40 Prozent der
Haushalte wohnungsscheinberechtigt.

Die Koalitionsfraktionen haben auf diesem Gebiet zu-
sätzliche Akzente gesetzt. Wir haben dafür gesorgt – ich
räume gerne frank und frei ein, dass das auch das Ergeb-
nis einer Diskussion im Berichterstattergespräch war –,
dass die alte Regelung für kinderreiche Familien mit drei
und mehr Kindern abgeändert wurde, sodass nun von Fa-
milien mit zwei und mehr Kindern die Rede ist. Im Hin-
blick auf die Wohneigentumsförderung durch Mittel aus
dem sozialen Wohnungsbau ist das ganz wichtig. Zusätz-
lich zu den anderen Freibeträgen, die sowieso zur Geltung
kommen, haben wir wieder den Freibetrag für Alleiner-
ziehende eingeführt. Außerdem haben wir den im Gesetz
bereits verankerten Freibeträgen einen Kinderzuschlag
von 500 Euro pro Kind hinzugefügt. Damit ist ganz klar
und gezielt ein familienpolitischer Akzent gesetzt wor-
den. Und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aufgrund der Beratungen in den Koalitionsfraktionen
ist in diesem Gesetzentwurf die Bedeutung des genossen-
schaftlichen Wohnens – ich schaue meinen Kollegen
Dieter Maaß an – unterstrichen. Ich sage Ihnen an dieser
Stelle: Neben der Mietwohnung, neben dem selbst ge-
nutzten Wohneigentum wird das genossenschaftliche
Wohnen in Zukunft von ganz besonderer Bedeutung sein,
gerade in den Ballungszentren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Da werden wir sicherlich noch mehr als das, was wir
mit diesem Reformgesetz jetzt auf den Weg bringen, tun
müssen.

In der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen ha-
ben auch die Pauschalen eine Rolle gespielt. Natürlich

hat die Wohnungswirtschaft darauf ein besonderes Au-
genmerk gerichtet. Ich glaube, dass wir durch den von den
Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag
eine Lösung gefunden haben, die einerseits eine ange-
messene Erhöhung – sie war notwendig – sicherstellt und
andererseits gewährleistet, dass diese Erhöhung bei allen
Wohnungsunternehmen, gleich, welche Wohnungsbe-
stände sie haben, tatsächlich ankommt.

Ich komme zu den Finanzen. Sicherlich werden alle
Redner der Oppositionsfraktionen, zum Beispiel Herr
Dr. Kansy, besonders auf dieses Thema eingehen. Im Ge-
setz ist nach wie vor die Mindestsumme von 450 Milli-
onen DM, sprich: 230 Millionen Euro, verankert. In die-
sem Punkt sieht unser Gesetzentwurf keine Änderung vor.
Es stellt sich die Frage, inwieweit es möglich sein wird,
im Haushalt zusätzliches Geld bereitzustellen. Ich sage
Ihnen ganz offen: Ich persönlich und meine Kolleginnen
und Kollegen halten einen solchen Schritt durchaus für
wünschenswert; aber wir stehen selbstverständlich unter
dem Zwang der Haushaltskonsolidierung. Sie sind ei-
gentlich die Letzten, die uns etwas vorwerfen können;
schließlich mussten wir Ihren völlig desolaten Haushalt
und Ihre völlig desolaten Finanzen – es gab x Schatten-
haushalte – übernehmen. Wir müssen endlich wieder –
das ist keine Aufgabe von zwei oder drei Jahren – festen
Boden unter die Füße bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Soziale Sicherheit ist in einer Zeit, in der überall ein tief
greifender Strukturwandel stattfindet, den die Menschen
unmittelbar zu spüren bekommen, von hohem Stellen-
wert; das gilt ganz besonders für das Wohnen. Deswegen
halten wir es für wichtig, dass die soziale Wohnungspoli-
tik den Stellenwert bekommt, den sie verdient. Wir haben
Wort gehalten: Wohngeldgesetz, Mietrecht und soziale
Wohnraumförderung.


(Beifall bei der SPD)

Was wir getan haben, ist auch wohnungspolitisch

wichtig.

(Zurufe von der F.D.P.)


– Sie müssen der Präsidentin nicht vorschreiben, wie sie
hier zu agieren hat. – Wir haben in diesem Gesetzentwurf
die Verzahnung von Wohnungs- und Stadtentwicklungs-
politik und – das möchte ich betonen – die regionale Dif-
ferenzierung der Förderung durchgesetzt. So vorzugehen
wird auch im Hinblick auf andere Förderbereiche not-
wendig sein. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in
der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Die ersten
Schritte sind getan; weitere Schritte werden wir in der
nächsten Legislaturperiode mit Ihrer freundlichen Beglei-
tung tun.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417707800
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Dietmar Kansy.




Wolfgang Spanier
17448


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(A)



(B)



Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
Rede ID: ID1417707900
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spanier, Sie
werden das alles vielleicht in der Opposition, wenn Sie so
weitermachen, tun.


(Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Bestimmt nicht! – Klaus Hasenfratz [SPD]: Wovon träumen Sie denn, Herr Kansy?)


Ein menschlich vernünftiges Verhältnis und ein angeneh-
mes Klima im Ausschuss, so wie wir es bei der Beratung
dieser Materie hatten, kann uns aber nicht davon abhalten,
ein wenig Klartext zu reden. Glücklicherweise haben Sie
zum Schluss Ihrer Ausführungen die Sache etwas aufge-
mischt.

Ich darf zunächst einmal an Folgendes erinnern: Es war
im November 1997, als im Bundestag die erste Lesung des
Entwurfs eines Wohnraumreformgesetzes stattfand, das
von dem damaligen Bauminister der CDU, Klaus Töpfer,
vorgelegt worden war. Wesentliche Punkte dieses Entwurfs
waren eine neue Bewertung der Zielgruppe – damals von
Ihnenabgelehnt–, eineverbesserteund flexiblereBestands-
politik, die Abschaffung der Kostenmiete – von Ihnen ver-
teufelt –, eine verstärkte Stellung der Kommunen usw.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Abgelehnt! – Gegenruf des Abg. Klaus Hasenfratz [SPD]: Weil er so schlecht war!)


Unser damaliger Gesetzentwurf hat die erste Lesung
nicht überlebt; denn wir wurden das erste Opfer der
lafontaineschen Blockadepolitik. Von wegen Reformstau,
meine Damen und Herren von der Opposition!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In der damaligen Diskussion wurden von Ihnen im We-
sentlichen zwei Argumente geltend gemacht: Das eine be-
traf das Wohngeld, das mit unserem Entwurf überhaupt
nichts zu tun hatte. Das zweite Argument betraf, Herr Kol-
lege Spanier, den Verpflichtungsrahmen. Wir hatten da-
mals – wie Sie richtig sagen – genau wie heute 450 Milli-
onen DM zur Verfügung; allerdings hatten wir im letzten
Jahr der Regierungszeit von Helmut Kohl tatsächlich
noch immer 1,35 Milliarden DM im Haushalt zum Aus-
geben. Das ist der kleine Unterschied.

Der Kollege Großmann, als sozialdemokratischer
wohnungspolitischer Sprecher damals mein Sprecherkol-
lege und heute Staatssekretär, legte einen Entwurf vor –
Bundestagsdrucksache 13/7841 –, in dem ein ganzes Ka-
pitel dem Thema Finanzsicherheit im sozialen Woh-
nungsbau gewidmet ist. Es heißt dort:

Eine effektive Wohnungsbauförderung ist jedoch nur
möglich, wenn eine stetige und angemessene Finan-
zierung seitens des Bundes und der Länder gewähr-
leistet wird ...

Es heißt dort weiter:
Der bisherige gesetzlich vorgeschriebene Mindest-
rahmen für die Bundesfinanzhilfen ist deutlich zu er-
höhen.

(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Vor der Wahl und nach der Wahl!)


Das Gleiche gilt auch für die Kollegen der Grünen.
Leider ist die Kollegin Eichstädt-Bohlig, die damals so
herumgetobt hat, heute nicht da. Sie forderte – nachzule-
sen auf Bundesdrucksache 13/7710 – noch im Jahre 1997
1 Milliarde DM, zusätzlich zu den Rückflüssen in den
Haushalt im Umfang von 1,6 Milliarden DM. Das ist die
Wahrheit. Was bedeutet denn, Herr Spanier, in diesem Zu-
sammenhang „Wort gehalten“? Sie müssen sich das fra-
gen lassen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist das sozialdemokratische Kurzzeitgedächtnis!)


In diesem Zusammenhang ist auch der Hamburger
Bausenator Wagner zu nennen, der übrigens noch immer
Bausenator ist, aber zugegebenermaßen wahrscheinlich
nicht mehr lange. Er hat gesagt, 1,3 Milliarden DM seien
„ein weiterer Beweis dafür, dass sich die jetzige Bundes-
regierung“ – er meinte die damalige Regierung Kohl – „in
Wahrheit aus der Verantwortung seitwärts in die Büsche
stiehlt“. Wohin stiehlt sich denn die heutige Bundesregie-
rung? So dichte Büsche, wie Sie sie benötigen, gibt es ja
gar nicht. Sie werden dabei ertappt, wie Ihr großartiges
Reformvorhaben – das wir in Teilen ja mittragen – heiße
Luft bleibt, weil das Moos fehlt, um das alles umzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

So beraten wir heute nicht zum ersten Mal und fast vier

Jahre später – ich sage noch einmal: von wegen Reform-
stau! – einen solchen Gesetzentwurf. Schwerpunkte
sind – siehe da – wieder: eine neue Bewertung der Ziel-
gruppe – diesmal einvernehmlich –, eine verbesserte und
flexiblere Bestandspolitik, die Abschaffung der Kosten-
miete – diesmal einvernehmlich –, eine Verstärkung der
Stellung der Kommunen usw.


(V o r s i t z : Präsident Wolfgang Thierse)

Vieles von dem, was damals strittig war, ist heute –

vielleicht nicht jedes Detail, aber im Grundsatz – kon-
sensfähig. Das ist gut so. Deswegen verweigert sich die
heutige Opposition – jedenfalls was die CDU/CSU-Frak-
tion betrifft – nicht. Wir haben im Deutschen Bundestag
und im Bundesrat konstruktiv mitberaten und an Verbes-
serungen mitgewirkt; denn in diesem Bereich besteht
– wie auch schon vor vier Jahren – ein dringender Re-
formbedarf. Denn dieses Gesetz ist zumindest seit 1956 –
Herr Spanier hat es richtig gesagt – in wesentlichen Zü-
gen unverändert geblieben.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf diesem
Wege allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
unseres Ministeriums und auch ihren Kollegen in den
Ländern, die daran auch über lange Zeit mitgewirkt ha-
ben, herzlich danken. Ich erkenne an, dass die Bundesre-
gierung und die Koalitionsfraktionen auf eine Reihe von
Einwänden und Vorschlägen vom Bundesrat und auch
von der CDU/CSU-Opposition eingegangen sind. Hierzu
gehört zum Beispiel die schon von Herrn Spanier ange-
sprochene Pauschalenregelung. Ich weiß zwar aufgrund
der wenigen Stunden, die wir für die Bewertung Zeit hat-
ten, nicht, ob die neue nun wirklich die beste ist, aber da-
mit wird ein Riesenschritt in die richtige Richtung getan.
Wir freuen uns natürlich auch – das haben Sie ebenfalls
bereits ausgeführt –, dass jetzt die Zahl von mindestens
zwei Kindern als Voraussetzung für die Eigentumsförde-
rung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gilt.






(C)



(D)



(A)



(B)


Trotz all der Wahlkämpfe, die gerade stattfinden, hat
die CDU/CSU in den Ausschussberatungen eine ganze
Reihe von Anträgen auch der Regierungsfraktionen, näm-
lich 26 von 40 gestellten Anträgen, unterstützt. Bedauer-
licherweise sind unsere acht eigenen Anträge alle ge-
scheitert; Sie hätten ja angesichts des oben genannten
Verhältnisses bei zwei oder drei auch einmal zustimmen
können. Sie haben eine Änderung der Einkommensgren-
zen, stärkere kommunale Beteiligung, bessere Eigen-
tumsförderung für junge Ehepaare und eine verbesserte
Sicherung der Rückflussmittel abgelehnt. Ich sage Ihnen,

Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1417708000
Wenn das
stimmt, was ich auf der Verwaltungsebene auf Länder-
seite gehört habe, dass Sie heute 1,6 Milliarden DM an
Rückflussmitteln einnehmen und nur noch 450 Millionen
DM für den sozialen Wohnungsbau ausgeben und darüber
hinaus Ihr groß angekündigtes Aufbauprogramm Ost
noch durch Kürzung der Städtebauförderungsmittel für
den Osten wie den Westen gegenfinanzieren wollen, dann
sehen wir uns hier sehr bald wieder. Ich möchte da nur
einmal die ARGEBAU-Minister-Konferenz abwarten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Horst Kubatschka [SPD])


Ich sagte schon, dass wir vor allen Dingen mit unserem
zentralen Anliegen einer angemessenen Erhöhung des ge-
setzlichen Verpflichtungsrahmens gescheitert sind. Für
die zuhörenden Bürgerinnen und Bürger, die die Begriffe
nicht verstehen: Damit sind die mindestens zur Verfügung
stehenden Mittel gemeint. Bei der Umsetzung dieses Ge-
setzes werden wir von vornherein auf riesige Schwierig-
keiten stoßen, wenn wir den gesetzlichen Verpflichtungs-
rahmen nicht den neu dazugekommenen Aufgaben
anpassen, derentwegen wir alle dieses Gesetz so preisen.
Der Hinweis auf die kommenden Haushaltsberatungen,
Kollege Spanier, nutzt doch überhaupt nichts, wie uns die
Erfahrung lehrt. Der Gesetzgeber – das ist der Deutsche
Bundestag, also wir, und nicht die Bundesregierung –
muss bei einer solchen Gelegenheit eine höhere gesetzli-
che Mindestverpflichtung vorgeben.

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir doch Er-
fahrungen mit dem Wechselspiel zwischen Wohnungs-
leerstand und Wohnungsnot, zwischen überschwappender
Baukonjunktur und dann wieder, wie heute, einer tiefer
Rezession auf dem Bau gemacht. Allein in den letzten
zwei Jahren sind 100 000 Arbeitsplätze auf dem Bau ver-
loren gegangen, 50 000 werden es in diesem Jahr sein. Ne-
ben Gegenden mit leer stehenden Wohnungen gibt es im
Übrigen aber auch schon wieder Gegenden, wie süddeut-
sche Großstädte, in denen man an den Bäumen Zettel mit
der Aufschrift findet: Biete 2 000 DM für Vermittlung ei-
ner Wohnung. Hierbei handelt es sich nicht um
Wahlkampfgeschrei, sondern um Realität. Die Situation
in München sieht eben anders aus als anderswo. Ich hoffe,
dass Sie, Herr Kollege Wolf, uns das vielleicht bei Ge-
legenheit noch einmal etwas deutlicher darstellen.

Es gibt also nur den sicheren Weg der Verstetigung
der Mittel. Wir haben für den sozialen Wohnungsbau
500 Millionen Euro gefordert. Wer es ernst meint mit ei-
ner besseren Bestandsförderung, mit der Schaffung bes-
serer Möglichkeiten beim Erwerb von Belegungsrechten,
mit Kooperationsverträgen und mit vielem anderen mehr,

was in dieses Gesetz hineinkommt – darüber hinaus brau-
chen wir nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion auch
noch den Neubau –, der muss doch jetzt, ob er nun will
oder nicht, den Anträgen der CDU/CSU hier zustimmen.
Denn genau das, was wir brauchen, wird darin gefordert.

Sie, meine Damen und Herren, sagen, Sie hätten jetzt
Ihr Programm erledigt. Ich will jetzt aus Zeitgründen
nicht im Einzelnen darauf eingehen, die Probleme beim
Wohngeld und beim sozialen Wohnungsbau habe ich ge-
nannt. Schauen Sie doch einfach einmal in das Land hi-
naus: Von der Wohngeldanhebung zum 1. Januar ist nach
der Explosion der Heizkosten fast nichts mehr übrig ge-
blieben. Wenn nächstes Jahr die Heizkostenpauschale
wieder wegfällt, bleibt davon gar nichts mehr übrig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Wohnkosten sind um 3,7 Prozent gestiegen und
stellen damit einen der Spitzentreiber bei der Inflation dar.
Die Investoren sind aus dem Mietwohnungsbau nahezu
vollständig ausgestiegen: Im ersten Quartal dieses Jahres
gab es 24 Prozent weniger Baugenehmigungen. Sogar der
Eigenheimbau, der immer die Spitze darstellte, bricht zu-
sammen: Da haben wir bei den Baugenehmigungen ein
Minus von 26 Prozent. Dieser Schweinezyklus schlägt
eben durch.

Meine Damen und Herren, deswegen frage ich Sie:
Wann wollen Sie endlich das Wort des Bundeskanzlers
Schröder einlösen? Als Schröder noch im Wahlkampf
war, hat er in Bezug auf die Regierung Kohl, die dreimal
so viel Mittel für den sozialen Wohnungsbau wie die heu-
tige Regierung zur Verfügung gestellt hat, gesagt, die
Bundesregierung habe den Etat in diesem Bereich „dras-
tisch zusammengestrichen“, wohingegen er den „Trend
stoppen“ und den sozialen Wohnungsbau wieder zu einem
„schlagkräftigen Instrument der Wohnungspolitik ma-
chen“ wolle. Wohlgemerkt: Das war der O-Ton von
Gerhard Schröder vor der letzten Wahl.

Wann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben
Sie die Chance, diese Versprechen einzulösen? Jetzt,
heute, indem Sie unserem Antrag zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417708100
Ich erteile dem Kolle-
gen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Kansy, genau das, was Sie im letzten Satz an-
gesprochen haben, tun wir.

Die Bundesregierung ist 1998 angetreten, den Re-
formstau aufzulösen, die überfällige Modernisierung un-
seres Landes anzupacken und eine ökologische und
soziale Wende einzuleiten. In der Wohnungs- und Baupo-
litik haben wir das konsequent umgesetzt: Wir haben eine
Wohngeldreform beschlossen und den Menschen damit
zu mehr Wohngeld verholfen, das insbesondere Familien
mit Kindern bitter nötig haben. Wir haben das Mietrecht
modernisiert und für die überfällige Regelung des Aus-
gleichs der Interessen von Mietern und Vermietern




Dr.-Ing. Dietmar Kansy
17450


(C)



(D)



(A)



(B)


gesorgt. Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz refor-
miert und damit der Not leidenden ostdeutschen Woh-
nungswirtschaft Hilfestellung geleistet. Wir bringen den
Stadtumbau Ost voran; wir haben die Energieeinspa-
rungsverordnung auf den Weg gebracht und haben das
größte Altbaumodernisierungsprogramm der deutschen
Geschichte beschlossen. Heute werden wir mit der Re-
form des sozialen Wohnungsbaus den letzten großen
wohnungspolitischen Baustein setzen. Wir haben also
gehalten, was wir versprochen haben.Wir haben die woh-
nungspolitischen Instrumentarien unseres Landes runder-
neuert, ökologisch modernisiert, sozial gerechter ausge-
staltet und zukunftsfest gemacht. Ich meine, diese Bilanz
kann sich sehen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen in
unserem Land haben sich in den letzten Jahren und Jahr-
zehnten verändert. Die Bedeutung des sozialen Woh-
nungsbau in den 50er- und 60er-Jahren lag vornehmlich
darin, flächendeckend Wohnungsnot zu bekämpfen und
die breiten Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu
versorgen. Diese Aufgabe hat der soziale Wohnungsbau
mit Bravour geleistet, denn mit Ausnahme regionaler
Spitzen ist heute die Versorgung der Bevölkerung mit
Wohnraum weitgehend gesichert. Wer, meine Kollegen
von der F.D.P., daraus allerdings die Forderung ableitet,
der Bund solle sich von seiner Verantwortung für die so-
ziale Wohnraumversorgung verabschieden, begeht mei-
nes Erachtens einen Fehler. Nach wie vor brauchen Haus-
halte mit kleinen Einkommen, kinderreiche Familien,
behinderte Menschen und andere am Wohnungsmarkt be-
nachteiligte Gruppen nämlich Hilfe bei der Wohnraum-
versorgung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Aber nicht für den Wohnraum, sondern dafür, wie sie die Wohnung bezahlen!)


Diesen Menschen gilt unsere Aufmerksamkeit und die-
sen Menschen soll das reformierte Wohnungsbaurecht zu
einer angemessenen und bezahlbaren Wohnung verhel-
fen. Statt mit der Gießkanne soll künftig zielgenau geför-
dert werden. Auch wenn die Zielgruppe heute eine andere
als in den vergangenen Jahren ist, stehen wir zu der Ver-
antwortung des Bundes für eine soziale Wohnraumver-
sorgung und damit auch zu einer sozial gerechten
Wohnungspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zunächst geht es um eine umfassende Rechtsverein-
fachung und Entschlackung des geltenden Rechts. Das
Wohnungsbindungsgesetz, die Neubaumietenverordnung
und die Zweite Berechnungsverordnung gelten nur noch
für die vorhandenen Sozialwohnungsbestände, nicht
mehr für das neue Wohnraumförderungsgesetz. Die ver-
schiedenen Förderwege werden zusammengeführt. Das
Kostenmietprinzip wird abgeschafft.

Die regionalen Unterschiede bei der Wohnraumversor-
gung – wir haben in diesem Haus schon mehrfach über die
Problematik der Wohnungsknappheit in Ballungsräumen

wie zum Beispiel München oder Frankfurt gesprochen –
erfordern auch eine Flexibilisierung der Instrumente des
Wohnungsbaurechts. Wir ermöglichen es den Ländern
nunmehr, auf regional differenzierte Problemsituationen
flexibel zu reagieren. Die Länder werden in die Lage ver-
setzt, die Einkommensgrenzen regional differenziert aus-
zugestalten.

Für Kommunen und die Wohnungswirtschaft wird es
neue, flexible Instrumente wie Kooperationsverträge und
die mittelbare Belegung geben. Damit kann die Nutzung
vorhandener Sozialwohnungsbestände gesichert und zu-
gleich die Bildung von sozialen Brennpunkten vermieden
werden.

Mit der Reform des Wohnungsbaurechts werden end-
lich Neubau- und Bestandsförderung gleichgesetzt. Auch
der Ankauf von Gebäuden wird künftig genauso gefördert
wie der Neubau. Wir tun dies, weil die Wohnungsbaube-
stände der 50er- und 60er-Jahre nicht nur instand gehalten
werden müssen, sie müssen auch modernisiert und den
heutigen Wohnbedürfnissen angepasst werden. Dies be-
trifft die Freiflächengestaltung ebenso wie moderne,
familiengerechte Grundrisse.

Im Verlauf der intensiven Beratungen in den Aus-
schüssen und als Ergebnis der wirklich hervorragenden
Anhörung haben die Regierungsfraktionen eine Reihe
von Änderungsanträgen eingebracht. Die Förderung
von Familien wird durch die Einführung eines Freibetra-
ges für Alleinerziehende und durch die Anpassung der
Einkommensgrenzen im Falle von Kindern weiter ver-
bessert. Damit bekennen sich die Regierungsfraktionen
zu einer sozialen Familienförderung, die die besondere
Problemlage von jungen Familien anerkennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der Anhebung der Verwaltungs- und Instandhal-
tungskostenpauschalen ermöglichen wir einerseits der
Wohnungswirtschaft ein wirtschaftliches Arbeiten, ver-
meiden aber gleichzeitig überhöhte Mietsteigerungen für
die Mieter.

Wir werden der Bedeutung von Mietgenossenschaften
als dritter Säule neben Miete und Eigentum dadurch ge-
recht, dass wir die Wohngenossenschaften unter anderem
in § 1 des Gesetzes gesondert herausstellen.

Die Opposition stellt heute eine Reihe von Änderungs-
anträgen zur Abstimmung, auf die ich kurz eingehen will.
Sehr geehrter Herr Kansy, im Verlauf der Beratungen
hatte ich eigentlich den Eindruck gewonnen – ein wenig
haben Sie es gerade bestätigt –, dass Sie mit dem Gesetz-
entwurf in einigen Punkten zufrieden sind. Dass Sie aber
heute sozusagen das Haar in die Suppe suchen und aus-
gerechnet die Einkommensgrenzen drastisch anheben und
damit Ziel und Zweck des Gesetzes aushebeln wollen,
verwundert mich etwas.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das zentrale Anliegen ist die Quotierung, Herr Kollege! Das habe ich dreimal gesagt!)


Die große Mehrheit der Experten in der Ausschuss-
anhörung war sich in einem Punkt einig: Soziale Wohn-
raumversorgung muss sich in Zukunft zielgruppengenau




Helmut Wilhelm

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(A)



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an diejenigen richten, die tatsächlich Marktzugangs-
schwierigkeiten haben, und nicht an die breite Masse der
Bevölkerung.

Damit kommen wir zu der zweiten zentralen Forde-
rung: mehr Geld. Wer Steuergelder mit der Gießkanne
ausstreut, braucht tatsächlich mehr Geld. Dies können wir
uns leider nicht leisten – brauchen wir auch nicht. Wir för-
dern da, wo Förderung benötigt wird. Dafür ist eine Min-
destausstattung von 450 Millionen DM zusammen mit
der Rückflussbindung ausreichend. Ich bin froh, dass wir
damit die Bundeskompetenz für den sozialen Wohnungs-
bau sichern.

Bedauerlich ist meines Erachtens allerdings der Vor-
schlag, an einem überholten Familienbegriff festzuhalten
und nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern
von der gleichberechtigten Förderung auszuschließen.
Das kann ich nicht unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)


Die Anträge der F.D.P. demonstrieren, dass Sie die
wohnungspolitischen Herausforderungen der Gegenwart
wohl nicht ganz verstanden haben. Letztlich wollen Sie
doch den sozialen Wohnungsbau ganz abschaffen. So
wichtig die Subjektförderung auch ist: Mit der Wohn-
geldreform haben wir gezeigt, wie wichtig uns dieses
Thema ist. Wir müssen an der Objektförderung festhalten.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Menschen statt Mauern!)


Es ist doch Realität, dass insbesondere in den Wachs-
tumsregionen unserer Städte zahlreiche Menschen
Schwierigkeiten haben, Zugang zu einer angemessenen
Wohnung zu finden. Da hilft auch kein Wohngeld weiter.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Natürlich! Dann helfen wir Ihnen mit Wohngeld!)


Wenn die F.D.P. im selben Antrag gleichzeitig die Er-
höhung der Finanzausstattung durch den Bund und den
Ausstieg des Bundes aus der Wohnraumförderung fordert,
verstehe ich die Logik nicht mehr ganz.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Dann haben Sie ihn nicht richtig gelesen!)


Zur PDS nur ein Wort: Mit Ihren Anträgen demon-
strieren Sie ein ums andere Mal, dass Sie viel vom Geld-
ausgeben verstehen. Das hat aber nichts mit nachhaltiger
Finanzpolitik und noch weniger mit zielgruppengenauer
Förderungspolitik zu tun. Wenn ich Ihre Anträge studiere,
könnte ich fast auf den Gedanken kommen, Sie planten
den Wiedereinstieg in die Wohnraumversorgungspolitik
der DDR. Das ist aber mit uns nicht zu machen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417708200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion.


(Zuruf von der SPD: Nicht so laut!)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1417708300
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man
hat mich aufgefordert, nicht so laut zu sein. Aber ich
hoffe, ich bin deutlich. Das wird mir glücken, denke ich.

Zunächst sage ich Dank für das Verfahren. Es war sehr
nett miteinander, nur war es substanzlos, weil sich die Re-
gierungsparteien nicht bewegt haben, obwohl sie eigent-
lich in allen Phasen erkennen mussten, dass ihr Gesetz
nicht die richtigen Lösungen der Probleme bringt, die wir
haben. Deswegen möchte ich vorweg deutlich, aber nicht
laut feststellen: Ich halte diese Reform des Wohnungs-
baurechts für einen sozialpolitischen Skandal.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich halte diese Reform des Wohnungsbaurechts für woh-
nungspolitischen Betrug.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich möchte Ihnen sagen, was heute in den „Stuttgarter
Nachrichten“ steht – ich meine, die haben hundertprozen-
tig Recht –: „Rot-Grün zeigt wenig Herz für Sozial-
schwache.“ Genau das ist der Punkt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Für die wirklich Bedürftigen zeigen Sie mit diesem Ge-
setz eben genau kein Herz.

Weil ich das, was ich sage, auch begründe, möchte ich
Ihnen Folgendes darlegen. Mit diesem Gesetz werden un-
gefähr 40 Prozent der deutschen Haushalte Anspruchs-
berechtigte. Die Rechnung umfasste, nachdem Sie noch
andere hinzugenommen haben, ungefähr 16 Millionen
Haushalte. Es stimmt nicht, wenn Sie, Herr Spanier, sa-
gen, dass es sich um eine Grundausstattung handele. Sie
müssen in Ihre mittelfristige Finanzplanung schauen.
Darin steht: Dauerhaft 450 Millionen DM. Wenn Sie die
450 Millionen DM – machen wir es leichter – durch
15 Millionen berechtigte Haushalte teilen, fördern Sie
jede Familie mit 30 DM pro Jahr. Das ist das Ergebnis Ih-
rer Finanzausstattung und das Ergebnis Ihres Berechti-
gungsrahmens. Das halte ich, Herr Spanier, wie ich eben
gesagt habe, für sozialpolitisch wirklich verwerflich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der zweite Punkt: Frau Fuchs, gerade weil Sie mir den

Gefallen tun, an dieser Stelle zu schmunzeln, will ich sa-
gen, was ich auch für schlicht unkorrekt halte. Sie haben
einen großen Mietertag in Bielefeld gehabt. Leider ist
mein Zug, wie es üblich ist, wenn er vom Norden kommt,
nicht zeitig genug angekommen; aber ich habe Ihre Aus-
führungen gelesen. Sie forderten unter dem tosenden Bei-
fall der Anwesenden: „Zwei Milliarden müssen her!“ Und
heute stimmen Sie einem Gesetz zu, mit dem dauerhaft
450 Millionen DM vorgesehen sind. Das ist unseriös.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist Vorgaukeln falscher Tatsachen. Das ist nicht in
Ordnung. Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden. Wir hat-
ten eine Anhörung. In dieser Anhörung haben alle, die
sich mit diesem Thema beschäftigen, gesagt, das gehe in
die richtige Richtung, die Länderkompetenzen müssten
gestärkt werden, die Reform sei dringend notwendig. Es




Helmut Wilhelm
17452


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haben aber auch alle gesagt, wir brauchten mindestens
1,2, 1,5 oder bis zu 2 Milliarden DM. Wenn Sie ein Ge-
setz auf den Weg bringen und eine Anhörung dazu durch-
führen, wenn Sie sozusagen Sachverstand einfordern,
dann aber dieses Gesetz so ausstatten, dass Sie damit dem,
was in der Anhörung an uns herangetragen worden ist,
überhaupt nicht Rechnung tragen können, finde ich das
unseriös, unsolide, dann ist das im Grunde genommen
auch unsozial und nicht die richtige wohnungsbaupoliti-
sche Antwort.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn hier der eine von einer Säule und der Kollege
Wilhelm von einem weiteren Baustein spricht – Frau
Eichstädt-Bohlig hätte das wohl noch viel dramatischer
gesagt –, kann ich nur fragen: In welcher Welt leben Sie
eigentlich? Lesen Sie keine Zeitung? Gehen Sie nicht auf
eine Baustelle? Sprechen Sie nicht mit Arbeitslosen?
Kennen Sie nicht die Zahlen, die hier genannt worden
sind? Baugenehmigungen von Januar bis März 2001:
Wohnungen insgesamt minus 21,6 Prozent, Wohneigen-
tum minus 23,6 Prozent, Mehrfamilienhäuser minus
26,9 Prozent, Ein- und Zweifamilienhäuser minus
24,5 Prozent.

Dann behaupteten Sie hier ernsthaft, Sie hätten mit den
Dingen, die Sie im Mietrecht, im sozialen Wohnungsbau,
bei der Berücksichtigung der Immobilien für die Alters-
vorsorge und beim Wohngeld beschlossen haben, ein
neues, modernes, zukunftsfähiges Wohnungsbaupro-
gramm auf den Weg gebracht. Das kann doch wirklich
nicht Ihr Ernst sein.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Sie verstehen das offensichtlich nicht!)


– Nein, Herr Spanier.
Die Antworten, die Sie in all diesen Punkten geben,

kann man am Markt ablesen: Einbruch bei den Fertigstel-
lungen, Anstieg der Mieten, weil Sie die Mieten zusätz-
lich belasten, und Mangel an Investitionen. Resultierend
daraus kommt es zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit.
In diesem Zusammenhang ist der Vorwurf an die F.D.P.,
sie habe in diesem Bereich ihre Hausaufgaben nicht ge-
macht, schlicht und ergreifend unberechtigt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zu allen von Ihnen eingebrachten Initiativen haben wir

sehr konkrete, qualifizierte Anträge gestellt.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)


Wir haben ein eigenes Mietgesetz auf den Weg gebracht.

(Zuruf der Abg. Anke Fuchs [SPD])


– Frau Fuchs, das Mietrecht, das wir auf den Weg gebracht
haben, ist hervorragend. Es wird nämlich dafür sorgen,
dass Menschen bereit sind, Wohnungen zu bauen. Das
Bauen von Wohnungen ist die beste Sozialfürsorge für
Menschen, die Wohnungen nachfragen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Es gibt noch einen anderen Bereich. Es gibt Menschen,
die sich keine eigene Wohnung leisten können, weil ihr
Einkommen dazu nicht ausreicht.


(Zuruf von der SPD)

– Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie als woh-
nungsbaupolitischer Sprecher Ihrer Fraktion ebenso wie
Herr Dr. Kansy, Herr Spanier oder Herr Maaß, Ihr Selbst-
verständnis aus dieser Funktion ableiten. Deswegen muss
im Haushalt unbedingt eine Haushaltsstelle erscheinen,
aufgrund deren sich wohnungsbaupolitische Sprecher
selbst verwirklichen können.

Damit kommen wir zu unserem Vorschlag, diese Mit-
tel lieber dem Wohngeld zuzuschlagen und mit dieser
übermäßigen Bürokratisierung, mit dem damit verbunde-
nen Verwaltungsaufwand Schluss zu machen. Das er-
scheint sinnvoll, wenn diese 450 Millionen DM durch ei-
nen unheimlichen bürokratischen Aufwand aufgezehrt
werden, wenn in der Anhörung alle Vertreter der Länder
feststellen, es sei nicht sinnvoll, München und Rostock,
Zwickau und das Emsland über einen Kamm zu scheren,
statt individuelle Lösungen vor Ort zu finden, und wenn
hier ein Kollege völlig zu Recht sagt, allein in Bayern
würden 600 Millionen DM und damit in einem einzigen
Bundesland 150 Millionen DM mehr als im Bund insge-
samt bereit gestellt. Wenn wir diesen oben genannten Vor-
schlag unterbreiten, halten Sie uns vor, wir wollten den
Schwachen nicht helfen. Gerade durch die Umwidmung
in Wohngeld helfen wir genau den Menschen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)

Das ist der Punkt. Wir helfen den Menschen. Sie wis-

sen doch ganz genau, in welchem Umfang Mittel aus dem
Wohngeld gerade für sozial Schwache zur Verfügung ge-
stellt werden, dass die Prozentanteile in diesen Bereichen
riesig sind. Deshalb meine ich, dass Ihr Vorwurf uns ge-
genüber unberechtigt ist.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Völlig richtig!)

Ich halte es für bedauerlich und traurig, dass Sie uns auf-
grund eines sehr vernünftigen Antrags, der hundertpro-
zentig in die richtige Richtung geht, in eine Ecke stellen,
in die wir nicht hineingehören. Wir haben keine Angst vor
dieser Ecke, weil wir in all diesen Punkten den Beweis
wohnungsbaupolitischer Kompetenz geliefert haben.

Ich bin stolz darauf, dass wir als F.D.P. – ebenso ich als
wohnungsbaupolitischer Sprecher – 50 Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkrieges die Zeichen der Zeit erkannt ha-
ben. Wir brauchen intelligente Lösungen, Investitionsbe-
reitschaft, weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwor-
tung. Das wird der Situation der Mieter in Deutschland
wesentlich besser gerecht als das, was Sie mit diesem Ge-
setz auf den Weg bringen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genau das!)

Vielen Dank.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417708400
Ich erteile dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.




Hans-Michael Goldmann

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A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1417708500
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach
fast 50 Jahren der Geltung des sehr bewährten Gesetzes
zum sozialen Wohnungsbau schaffen wir heute – den
Zeiterfordernissen angemessen – ein sehr innovatives,
modernes Gesetz. Wir sichern damit das soziale Wohnen;
wir sorgen für gute Nachbarschaften. Wir gestalten damit
die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf diesem Gebiet
familienfreundlicher und freundlicher für die Investoren.
Wir bauen Reglementierungen und Bürokratie ab. Wir
schaffen mehr Eigentum. Wir beseitigen den Förderwirr-
warr und kümmern uns viel stärker als bisher um den Be-
stand an Wohnungen und nicht nur um deren Neubau. Das
sind die wirklichen Kernpunkte dieses neuen Gesetzes.


(Beifall bei der SPD)

Wenn ich jetzt die Kritik daran höre, dann frage ich

mich, ob diejenigen, die diese Kritik äußern, das Gesetz
wirklich gelesen und verstanden haben.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Beim Berichterstattergespräch waren Sie friedlicher!)


Ich gehe auf ein paar Punkte ein, zunächst auf die Ver-
sorgungssituation. Wir haben uns alle darauf geeinigt,
dass es heute nicht mehr erforderlich ist, für die so ge-
nannten breiten Schichten der Bevölkerung zu bauen. Das
war unmittelbar nach dem Krieg ein Problem; seinerzeit
musste ganz viel neu gebaut werden, damit das Problem
der quantitativen Versorgung mit Wohnungen gelöst
wurde. Heute muss das Problem der qualitativen Versor-
gung gelöst werden. Deshalb ist es völlig falsch, nur auf
das Wohngeld zu setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Haben wir 15 Millionen anspruchsberechtigte Haushalte, ja oder nein?)


Das Wohngeld ist dafür da, den Menschen zu helfen, die
aus eigener Kaufkraft heraus keine Wohnung bezahlen
können. Das Fördern von Wohnungen, also die Objekt-
förderung, hilft den Menschen, die zwar Einkommen ha-
ben, möglicherweise ein geringes Einkommen, die aber
aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, sich am
Wohnungsmarkt zu versorgen. Dazu zählen zum Beispiel
kinderreiche Familien, Alleinerziehende und auch viele
ausländische Familien. Denen nutzt das Wohngeld über-
haupt nichts; ihnen müssen wir Wohnungen zur Verfü-
gung stellen. Das haben Sie nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Es stimmt doch nicht, was Sie sagen! Sie wissen doch, dass es nicht richtig ist, was Sie sagen! Kommen Sie doch mit zu unseren Sozialämtern! Dann treffen Sie sie doch!)


Dieses Problem lösen wir mit diesem Gesetz. Ich
bin froh, dass derjenige, der in Deutschland über das
größte ordnungspolitische Renommee verfügt, Professor
Eekhoff, dies in der Anhörung klargestellt hat. Dabei sah
die F.D.P. alt aus; sie war mit ihrer Auffassung völlig allein.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Überhaupt nicht! Herr Eekhoff hat uns hundertprozentig Recht gegeben! – Lachen bei der SPD)


– Lesen Sie es einfach einmal nach, Herr Goldmann! Dies
ist keine Frage der Lautstärke, sondern eine Frage des
Nachlesens.

Schauen wir uns nun den zweiten Kritikpunkt an, die
Finanzen: Wir reden über die Mindestausstattung, die
wir in das Gesetz hineingeschrieben haben. Herr Kansy,
Sie haben eben darauf hingewiesen, dass Sie 1997 selbst
einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten. Liest man in ihm
nach, stößt man verblüfft auf die Zahl 450 Millionen DM.
Das, was wir als Mindestausstattung in unseren Gesetz-
entwurf hineingeschrieben haben, haben Sie schon vor
über drei Jahren vertreten. Wären Sie damals konsequent
gewesen, hätten Sie Ihr eigenes Gesetz ablehnen müssen;
aber es ist ja nicht zur Beschlussreife gekommen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Geht es nun um 1,2 Milliarden DM, ja oder nein?)


Es geht also um die Mindestausstattung und ich nehme
Ihre Hinweise gern auf, damit Sie mir später nicht vor-
halten können, was ich bis jetzt gesagt habe. Natürlich
wünschte ich mir – vielleicht schaffen wir das in den
nächsten Jahren gemeinsam –, dass wir das Gesetz zum
sozialen Wohnungsbau mit mehr Mitteln dotieren. Tatsa-
che war aber doch, dass wir beim Kassensturz 1998 fest-
gestellt haben, dass Sie das Geld, das wir dafür ausgeben
wollten, bereits in den Sand gesetzt hatten. Es war bereits
ausgegeben.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sie haben wohl nie an Haushaltsberatungen teilgenommen?)


Dann haben wir uns den Reformbedarf angesehen.
Ich sage Ihnen jetzt einmal, was wir geschaffen haben.
Die Reform des Wohngeldes kostet uns 700 Millio-
nen DM pro Jahr zusätzlich.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Wir haben 1,3 Milliarden DM in die Hand nehmen müs-
sen, um das Altschuldenhilfe-Gesetz zu reparieren, das
Sie uns hinterlassen haben. Wir haben die Städtebauför-
derung West um 100Millionen DM erhöht. Wir haben ein
Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Wir haben 2 Milli-
arden DM für das Gebäudesanierungsprogramm bereitge-
stellt. Wir packen jetzt 900 Millionen DM in das Stadt-
umbauprogramm Ost. Zusammengenommen fließen also
5 Milliarden DM in den Wohnungs- und Städtebau. Wir
tun etwas für den Wohnungs- und Städtebau, wir packen
die Reformen an, die Sie haben liegen lassen. Wir setzen
das durch, was vorrangig gemacht werden muss. Das ist
eine sehr gute Zielrichtung


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In dem Gesetzentwurf der heute zur zweiten und dritten
Lesung ansteht, geht es zunächst um das Sichern des so-
zialen Wohnens. Indem wir weiterhin auf die Objektför-
derung setzen, das Ganze aber sehr viel flexibler machen,
schaffen wir eine zeitgemäße Lösung. Wir räumen damit
auch eine Menge Vorurteile aus, die der soziale Woh-
nungsbau immer noch mit sich herumträgt; machen wir
uns da nichts vor. Wir sorgen erstmalig für gute und stabile






(C)



(D)



(A)



(B)


Nachbarschaften, indem wir nicht mehr bloß auf die zu
bauenden Wände schauen, sondern darauf achten, wo sie
gebaut werden. Wir schaffen also ein städtebauliches Um-
feld und schreiben eine so flexible Regelung in das Gesetz,
dass wir stabile, gute Nachbarschaften in den Stadtvierteln
sichern, die heute langsam wegzukippen drohen. Wir sor-
gen also mit diesem Gesetz für die dringend notwendige
soziale Stabilisierung ganzer Wohnviertel.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir verändern die Prioritäten. Herr Goldmann, es
reicht nicht aus, einfach Subventionen in den Wohnungs-
markt hineinzugeben – Sie haben eben die Zahlen der
Baugenehmigungen vorgelesen –; denn es baut niemand
nur deshalb, weil er Subventionen bekommt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das habe ich nicht behauptet!)


Gebaut wird nur, wenn Nachfrage vorhanden ist.

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)


Wenn in den neuen Bundesländern 1 Million Wohnungen
leer stehen, dann müssen Sie uns hier nicht wegbrechende
Baugenehmigungszahlen vorwerfen. In den neuen Bun-
desländern baut angesichts dieses Wohnungsleerstandes
niemand.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum baut in München niemand?)


Machen Sie hier keine Milchmädchenrechnung auf, son-
dern schauen Sie sich den Markt genau an!


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir jetzt das Gesetz ändern, dann tun wir dies

auch dadurch, dass wir nicht mehr nur auf den Neubau
setzen, sondern auch auf den Altbau. Natürlich ist es
schön, wenn man in eine neue, dem heutigen Standard
entsprechende Sozialwohnung einziehen kann; sie ist be-
sonders attraktiv. Wir wollen aber auch, dass ältere Woh-
nungen modernisiert und für die Menschen gesichert wer-
den, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind. Das
heißt: Wir öffnen dieses Gesetz auch für die Modernisie-
rung älterer Wohnungen. Dies ist dringend notwendig.

Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, den ich
bereits angesprochen habe, nämlich auf den Förderwirr-
warr. Bislang mussten die Investoren stundenlang dieses
Gesetz und die Ausführungsbestimmungen der Länder le-
sen, um herauszufinden, ob die Möglichkeit besteht, ihr
Bauvorhaben vernünftig fördern zu lassen. Dies schaffen
wir ab. Wir führen ein Baukastensystem ein: Die Investo-
ren können sich mit denen, die diese Vorhaben fördern,
zusammensetzen und genau überlegen, welchem Zweck
der soziale Wohnungsbau dienen soll, welche Rahmenbe-
dingungen wichtig sind, auf welchem Niveau die Mieten
fixiert werden sollen, ob die Mieten langsam steigen oder
zunächst einmal eine Zeit lang eingefroren werden sollen.
Es wird also Verhandlungsfreiheit geben. Dies ist auch
notwendig, weil wir die Investoren nur so wieder für den
sozialen Wohnungsbau gewinnen können. Dieser Gesetz-
entwurf beinhaltet also eine gewisse Flexibilität.

Mit diesem Gesetz bauen wir auch die Ungerechtig-
keiten ab. Zwischenzeitlich war es so, dass viele kom-
munale Wohnungsbaugesellschaften gar nicht mehr im
sozialen Wohnungsbau tätig werden konnten, weil die pri-
vaten Investoren dafür viel bessere Rahmenbedingungen
hatten. Die meisten Wohnungsbaugesellschaften können
keine steuerlichen Abschreibungen vornehmen, die priva-
ten Investoren hingegen schon. Das hatte zur Konse-
quenz, dass in vielen Ländern private Investoren bis zu
85 Prozent des sozialen Wohnungsbaus übernommen ha-
ben. Das macht mir zwar keine Sorgen. Aber es macht
Sinn, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften,
die eine andere Form von Daseinsfürsorge betreiben und
denen wir hinsichtlich des Umgangs mit den Mieterinnen
und Mietern viel stärker vertrauen können, sich wieder
gleichberechtigt auf diesem Markt bewegen können. Das
bedeutet, dass die Steuererleichterungen, die die Investo-
ren bekommen, mit den Subventionen verrechnet werden
müssen. Dieser Gesetzentwurf ist sozial gerecht, was die
Leistungen anbetrifft, die der Staat den Investoren ge-
währt, die bauen.

Wir setzen auch auf mehr Wohneigentum; das habe
ich ebenfalls bereits erwähnt. Für viele Menschen, die
sich damit beschäftigen, ist der soziale Wohnungsbau nur
der pure Mietwohnungsbau. Das stimmt aber nicht. In der
Vergangenheit ist dadurch – leider zunehmend weniger –
auch Wohneigentum geschaffen worden. Wir wollen, dass
der soziale Wohnungsbau mit der Eigenheimzulage ver-
knüpft wird, damit mehr Menschen, die ein schmaleres
Portemonnaie haben, in der Lage sind, Wohneigentum zu
schaffen. Sie sollen über die Eigenheimzulage und den so-
zialen Wohnungsbau die Möglichkeit haben, das notwen-
dige Geld für die eigenen vier Wände aufzubringen.

Schließlich haben wir – darauf ist schon hingewiesen
worden – die Rahmenbedingungen für die Familien ver-
bessert. Nun sind nicht mehr drei Kinder für eine begüns-
tigende Einkommensermittlung notwendig, sondern nur
noch zwei, weil dies der gesellschaftspolitischen Realität
viel besser angepasst ist.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Dafür brauchen Sie noch mehr Geld!)


Zudem heben wir die Einkommensgrenzen um 1 000 DM
pro Kind an. Dies hilft den Familien in besonderem Maße.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man diesen Gesetzentwurf in die Zahl der Re-
formvorhaben einreiht – es täte Ihnen weh, wenn ich diese
hier alle anführen würde –, dann kann man feststellen,
dass das, was wir uns zu Beginn der Legislaturperiode
vorgenommen haben, fast vollständig umgesetzt ist.
Natürlich liegen noch Aufgaben vor uns. Wir sind aber mit
der Umsetzung der wohnungs- und städtebaupolitischen
Forderungen, die wir uns selber gestellt haben, sehr, sehr
weit gekommen.

Weil wir nicht so viele Sozialwohnungen bauen kön-
nen, wie es der Zahl derer, die Wohnungsberechtigungs-
scheine bekommen können, entspricht, brauchen wir ein
gerechtes System, eine Verzahnung zwischen Wohngeld




Parl. Staatssekretär Achim Großmann

17455


(C)



(D)



(A)



(B)


und sozialem Wohnungsbau. Das Wohngeld, das uns die
alte Regierung hinterlassen hat, Herr Goldmann,


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das war zu wenig! Das ist völlig richtig!)


lag, wenn man die fiktiven Einkommensgrenzen berech-
net, um circa 30 Prozent niedriger als die Einkommens-
grenzen im sozialen Wohnungsbau. Der erste Schritt zu
einer Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt war also die
Anhebung des Wohngeldes. Das haben wir durchgesetzt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Damit bin ich völlig einverstanden!)


Als Nächstes haben wir das Gesetz zum sozialen Woh-
nungsbau reformiert. Wir haben ein Gebäudesanierungs-
programm aufgelegt, durch das die Sanierungskosten der
Eigentümer, die sonst voll auf die Miete durchschlagen
würden, reduziert werden. Mit diesem Programm betei-
ligt sich der Staat in Höhe von ungefähr 25 Prozent an den
Maßnahmen der gebäudeenergetischen Sanierung. Das ist
eine ganz großartige Leistung.

Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz reformiert. Wir
haben ein Stadtumbauprogramm auf den Weg gebracht.
Wir haben die Städtebaufördermittel erhöht und das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Dies ist eine wohnungs-
und städtebaupolitische Leistung, die sich wirklich sehen
lassen kann und auf die wir stolz sein können.

Herr Kansy, im Grunde würden Sie uns gerne zustim-
men. Sie haben sich in den letzten Wochen weniger darum
bemüht, Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. Dennoch
bedanke ich mich sehr für Ihre Mitarbeit. Aber die An-
träge, die Sie teilweise gestellt haben, haben Sie nur ge-
stellt, um überhaupt Anträge einzubringen. Denn viele
Verbesserungsmöglichkeiten gibt es nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In erster Linie haben Sie sich Gedanken darüber gemacht,
welchen Grund Sie anführen können, um den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Schade, dass Sie heute nicht zustim-
men. Ich weiß aber, dass Sie mit dem Herzen für dieses
Gesetz stimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417708600
Ich erteile der Kolle-
gin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1417708700
Herr Präsident! Liebster
Herr Spanier, ich würde Sie wirklich gern einmal von
Herzen loben, aber leider ist es mit der Reform so, als ob
ich ein wunderbares Kleid entwerfe, es schneidern
möchte, dann aber feststelle, dass der Stoff nur für den
Rocksaum reicht. Man könnte auch sagen: so viele Para-
graphen und so wenig Geld.

Es stellt sich für mich das Problem: Was nützen die vie-
len tollen Maßnahmen, die unbestritten in dem Gesetz-
entwurf enthalten sind, wenn sie am Ende nicht realisiert
werden können, weil das Geld fehlt?

Natürlich sehe ich den Widerspruch zwischen den min-
destens 15 Millionen Haushalten, die – gemessen an
ihrem Einkommen – berechtigt wären, in eine Sozial-
wohnung zu ziehen, plus weiterer, die aus anderen Grün-
den Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, und dem
vorhandenen Bestand an Sozialwohnungen, der bekann-
termaßen rasant abnimmt. Das muss ich Ihnen alles nicht
erzählen. In Zukunft stellen Sie dann nur noch 450 Milli-
onen DM zur Verfügung.

Dazu ein Rechenbeispiel: Die Durchschnittsgröße ei-
ner Wohnung liegt bei 70 Quadratmetern. Wenn wir einen
Preis von 1 000 DM pro Quadratmeter zugrunde legen,
reichen die 450 Millionen DM, die Sie pro Jahr zur Ver-
fügung stellen, Herr Wilhelm, für rund 6 500 moderni-
sierte oder rund 3 000 neu gebaute Wohnungen jährlich.
Das sind aus unserer Sicht zu wenig.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte ein pikantes Detail, das mich davon über-

zeugt, dass Sie mitnichten bereit sind, mehr als 450 Mil-
lionen DM pro Jahr zu geben, anführen: Ursprünglich
stand in Ihrem Gesetzentwurf unter dem entsprechenden
Paragraphen: Es gibt jährlich 450 Millionen DM und da-
rüber hinaus weitere nach Maßgabe des Haushalts. Dieses
„und“ galt im Sinne von „plus“. Dieses kleine Wörtchen
„und“ wurde liquidiert und durch ein Komma ersetzt, so-
dass jetzt dort steht: 450 Millionen DM, darüber hinaus
weitere usw. Dies ist ein großer inhaltlicher Unterschied.
Die erste Version bedeutete – deswegen haben Sie es
geändert –: Es gibt einen Basisbetrag plus weitere Mittel.
Die jetzige Formulierung bedeutet, dass es letztendlich
nur diesen Basisbetrag gibt.

Bei ihrer Reform gibt es noch ein Problem. Sie sind in
Ihrer öffentlichen Argumentation nicht ganz ehrlich, son-
dern unsauber und in sich widersprüchlich gewesen. Sie
waren zum Beispiel unsauber hinsichtlich der Zielgrup-
pen. Heute haben Sie wieder betont, dass es darum geht,
sich auf die wirklich Bedürftigen statt wie bisher auf
breite Schichten zu konzentrieren. Sie haben aber die Ein-
kommensgrenzen aus dem Jahre 1994 übernommen und
sogar durch die Kinderkomponente noch ein bisschen
aufgestockt. Durch diese Einkommensgrenzen zielt das
Gesetz auf eine riesengroße Gruppe, nämlich auf 15 Mil-
lionen Haushalte, und mitnichten auf eine kleine.

Sie verkleinern diese Gruppe dennoch – hier schießen
Sie jetzt von hinten durch die Brust ins Auge – über die
schlechte Finanzausstattung. Aber ein Betroffener, der
ins Gesetz schaut, macht sich jetzt Hoffnungen und sagt:
Ich bin berechtigt, das ist ja wunderbar. Dieser wird erst
später merken, dass er in der Praxis aufgrund der fehlen-
den Mittel leer ausgeht. Das halte ich nicht für sauber.

Es ist auch unsauber, den Eindruck zu erwecken, dass
die Einkommensgrenzen durch die Länder nur nach oben
zu verändern sind. Selbst Sie sind fast vor Überraschung
vom Stuhl gefallen – Herr Dr. Kansy ebenfalls; davon ab-
gesehen haben Sie beide das Gesetz nie ordentlich gele-
sen –, als Sie gemerkt haben, dass sie auch nach unten
verändert werden können. Hinsichtlich dessen, ob die
Regelung nun so oder so ausgelegt wird, werden wir se-
hen, was die Praxis bringt. Die Länder haben genauso we-
nig Geld wie Sie.




Parl. Staatssekretär Achim Großmann
17456


(C)



(D)



(A)



(B)


Noch etwas zur Ehrlichkeit und Sauberkeit: Herr
Staatssekretär Großmann hat eben wieder von ökologi-
schen Anforderungen, sozialer Durchmischung sowie da-
rüber gesprochen, welche Grundsätze Sie dazu ins Gesetz
geschrieben haben.

Sie haben diese Grundsätze hineingeschrieben; das ist
wahr. Da geht es ja wirklich um ganz wichtige Dinge, um
das genossenschaftliche Wohnen, um die Anbindung der
Wohnungen an den öffentlichen Verkehr usw. Was Sie
aber auch heute wieder verschweigen, ist, dass die Länder
diese Grundsätze ganz oder teilweise aushebeln können.
Das steht in Ihrem Gesetzestext. Da darf ich doch einmal
fragen: Was sind denn diese Grundsätze wert, wenn jedes
Land frei entscheiden kann, sie anzuwenden oder nicht
anzuwenden?


(Beifall bei der PDS)

Das heißt: Ihre ökologischen Anforderungen und Ihr Bei-
trag zur sozialen Durchmischung werden zur Makulatur.

Das Gleiche trifft auch für die Rückflussbindung zu.
In Ihrer Antwort auf eine Anfrage unsererseits haben Sie
sehr deutlich gesagt – das weiß eigentlich auch jeder
Fachmann –, dass in Zukunft mit einem deutlichen Rück-
gang bei dieser Rückflussbindung zu rechnen ist. Von die-
sem Geld können wir uns in absehbarer Zeit verabschie-
den.

Sie haben zum Beispiel das Problem auch nicht gere-
gelt, dass es nicht günstig ist, vorfristig zu tilgen, die För-
derdarlehen und damit die Bindungsdauer vorfristig ab-
zulösen. Auch das hatten Sie uns in einer Antwort
versprochen, dass Sie nämlich mit der Reform des sozia-
len Wohnungsbaus genau dieses Problem lösen. Sie haben
es nicht gelöst.

Wir haben in vielen Dingen eine andere Auffassung,
wie die Reform des sozialen Wohnungsbaus aussehen
müsste. Sie ist erstens in unserem Entschließungsantrag
dargelegt. Zweitens haben wir versucht, mit zwei Ände-
rungsanträgen wenigstens auf zwei Probleme aufmerk-
sam zu machen, die uns wichtig erscheinen.

Herr Wilhelm, sagen Sie Frau Eichstädt-Bohlig einen
schönen Gruß. Sie soll Ihnen in Zukunft nicht mehr solch
einen Schwachsinn aufschreiben;


(Joseph Fischer, Bundesminister: Nu, nu!)

denn mit Geldforderungen haben beide Anträge nur sehr
mittelbar zu tun.


(Beifall bei der PDS)

Überlegen Sie sich besser vorher, was Sie vorlesen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417708800
Kollegin Ostrowski,
Ihre Redezeit ist überschritten.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1417708900
Ich bin am Schluss.
Weil diese Reform einen Anschein hat, dem sie in

Wirklichkeit nicht gerecht werden kann, ist das Maxi-
male, wozu wir uns heute durchringen werden, eine Ent-
haltung.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417709000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Aribert Wolf, CDU/CSU-Fraktion.


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417709100
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Dem vorliegenden Gesetz
zur Reform des Wohnungsbaurechts hätten wir als Union
zwar gern zugestimmt. Wir können dies aber leider nicht
tun. Sie wissen, dass auch wir – das darf ich noch einmal
betonen – gern das seit 1956 in seinen Grundzügen un-
verändert gebliebene Recht verändert hätten und der Mei-
nung sind, dass es einer umfassenden Reform bedarf.
Deswegen haben wir – das ist ja bereits erwähnt worden –
zu unserer Regierungszeit einen Reformanlauf unternom-
men, den Sie damals aus vordergründigen und wahltakti-
schen Motiven im Bundesrat blockiert haben.

Wir hätten heute gern zugestimmt; aber so, wie Fach-
leute Ihren Gesetzentwurf ablehnen, müssen auch wir die-
sen Gesetzentwurf aus einer ganzen Reihe von Gründen
ablehnen.

Die Situation in der Wohnungspolitik ist wie folgt. Ich
darf Ihnen das einmal am Beispiel Münchens schildern.
Dann werden Sie verstehen, Herr Staatssekretär
Großmann, dass es nicht nur ein vordergründiges Neinsa-
gen ist, sondern dass sehr handfeste Gründe dahinter ste-
hen, warum wir nicht mitmachen können.

Heute ist die Situation am Wohnungsmarkt in der Tat
so, dass der frei finanzierte Wohnungsbau durch pri-
vate Kapitalanleger fast vollständig abgewürgt ist. Sie
kennen auch die Gründe dafür; sie sind ja schon genannt
worden: Sie haben die Spekulationsfrist beim Weiterver-
kauf privater Immobilien von zwei Jahren auf zehn Jahre
verlängert und Sie haben den Verlustabzug im Steuer-
recht für Vermietung und Verpachtung ebenfalls einge-
schränkt. Deswegen ist es dazu gekommen, dass Eigen-
tumswohnungen fast nur noch für Selbstbezieher gebaut
werden und keine Anlageobjekte mehr zum Vermieten
sind.

Wenn Sie sagen, Herr Großmann, das würde nur für die
neuen Länder zutreffen und es würden deswegen dort
keine Wohnungen gebaut werden, weil keine Nachfrage
besteht, dann sehen Sie sich einmal die Situation in Mün-
chen an. In München haben wir eine gewaltige Nachfrage
nach Wohnungen. Wir haben steigende Mieten. Wir haben
einen riesigen Verdrängungswettbewerb. Aber in Mün-
chen ist der private Wohnungsbau faktisch zum Erliegen
gekommen. Das führt dazu, dass viele Menschen in Mün-
chen nur dann noch eine Wohnung bekommen, wenn sie
in der Lage sind, viel Geld hinzublättern. Ich frage mich
schon, warum sich hier kein Kollege aus München von
der SPD oder von den Grünen beteiligt; denn dieses
Thema bewegt in München sehr viele Menschen und viele
Menschen haben gewaltige Probleme, am Wohnungs-
markt überhaupt noch zum Zug zu kommen. – und das
von einer Partei, die früher immer gesagt hat: Wir sind die
Partei des kleinen Mannes, wir wollen uns als Anwalt der
Mieter profilieren. –

Herr Präsident, muss das eigentlich sein, dass der Bun-
desaußenminister dauernd dazwischenredet? Ich denke,
das darf man von der Regierungsbank aus nicht.




Christine Ostrowski

17457


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417709200
Er redet nicht dazwi-
schen, sondern er redet mit Ihrem werten Kollegen
Ramsauer. Ertragen Sie das?


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417709300
Nein, das ertrage ich nicht.
Ich wäre dankbar, wenn man das einstellte.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417709400
Dann bitte ich die
Kollegen Ramsauer und Fischer, ihre intensive Unterhal-
tung etwas weiter weg fortzusetzen.


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417709500
Ich bedanke mich herzlich.
Ich glaube schon, dass die Frage, wie es in der Woh-

nungspolitik insgesamt weitergeht, für München wichtig
ist. Deswegen ist es für uns auch wichtig, wenn wir jetzt
über das soziale Wohnrecht reden, zu erfahren, warum Sie
beispielsweise die Einkommensgrenzen nicht deutlich
anheben. Im Münchener Stadtrat sind die SPD und auch
die Grünen immer mit uns der Meinung gewesen, dass das
ein wichtiger Schritt ist, um in den Ballungsräumen end-
lich sozial ausgewogene Nachbarschaften zu schaffen.
Wenn Sie heute in den Städten die Einkommensgrenzen
nicht anheben


(Wolfgang Spanier [SPD]: Das können die doch machen!)


– das können die eben nicht in dem erforderlichen Um-
fang machen,


(Wolfgang Spanier [SPD]: Natürlich!)

wenn der Bund die Rahmenbedingungen nicht vorgibt –,
dann bedeutet das, dass die sozialen Gettos bestehen blei-
ben


(Wolfgang Spanier [SPD]: Unsinn! Die Landesregierung kann das machen!)


und dass die Städte viel Geld aufwenden müssen, um den
Menschen in diesen kommunalen Brennpunkten über Be-
treuung entsprechende Hilfen zu geben. Ich glaube, das
Geld wäre besser angelegt, wenn Sie sich gleich für eine
richtige und angemessene soziale Wohnraumversorgung
eingesetzt hätten, sodass Sie besser auf sozial problema-
tische Nachbarschaften hätten reagieren können.

Um die tatsächliche Lage am Wohnungsmarkt in Mün-
chen darzustellen, schildere ich einmal, was heute pas-
siert, wenn in München beispielsweise eine 60-Quadrat-
meter-Wohnung in der Zeitung angeboten wird. Sie haben
dafür eine Nettokaltmiete von rund 1 800 DM zu bezah-
len. Obwohl diese gewaltige Mietsumme gefordert wird,
melden sich bis zu 120 Bewerber bei dem Vermieter. Sie
können sich mit etwas Phantasie vorstellen, welche ent-
würdigenden Szenen da ablaufen und wie wenig Chancen
schwangere Frauen haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417709600
Kollege Wolf, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417709700
Das mache ich gern, bitte.


Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1417709800
Ich weiß, dass wir Freitag-
nachmittag haben, Herr Wolf. Ich will es ganz kurz ma-
chen. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass die Rege-
lung, die wir im Gesetz haben, dazu berechtigt, dass in
München die Einkommensgrenzen deutlich angehoben
werden können?


Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1417709900
Nein, ich bin nicht bereit,
Ihnen das zuzugestehen.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Das müssen Sie einmal nachlesen!)


– Nein, wir sind der Auffassung, dass Sie das Bundesge-
setz entsprechend hätten ändern können. Auch der Mün-
chener Oberbürgermeister – der ja Ihrer Partei angehört –,
schreibt Ihnen tagtäglich, dass er diese Regelungen in die-
sem Gesetz für unzureichend hält. Dazu kann ich nur sa-
gen: In diesem Punkt schließe ich mich gern einem Mann
aus Ihrer eigenen Partei an.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Wider besseres Wissen!)


Wir haben in der Tat in München eine Situation, dass
Familien mit Kindern fast keine Chance haben, auf dem
freien Wohnungsmarkt zum Zug zu kommen. Deswegen
sind wir der Meinung, dass Sie, wenn Mieter mit rapide
steigenden Mieten zu kämpfen haben, im Recht des so-
zialen Wohnungsbaus einige Korrekturen vornehmen
müssen, wie das heute bereits angeklungen ist.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Welche denn?)

Wir sind der Auffassung, dass Sie die kommunale Be-

teiligung verstärken müssen. Wir sind dafür, dass Sie eine
stärkere Wohneigentumsförderung, insbesondere für
junge Ehepaare, im Gesetz vorsehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Spanier [SPD]: Wie denn? Wo ist der Vorschlag aus Bayern?)


Wir sind dafür, dass Sie klarere Regelungen zur Vermei-
dung von Leistungsmissbrauch aufstellen.

Wir meinen vor allem, dass die Regelungen, die Sie im
Gesetz vorsehen, in die richtige Richtung gehen, aber in
der Praxis doch nicht zum Tragen kommen, weil sie näm-
lich für die Freistellung und die Übertragung von Bele-
gungsbindungen viel zu unflexibel und uneffizient sind,
sodass das in der Praxis keine Anwendung finden wird.
Auch hier gehen Sie an den Bedürfnissen der Menschen
vorbei.

Einer der wichtigsten Punkte ist die finanzielle Aus-
stattung der sozialen Wohnraumförderung. Das ist bereits
angeklungen. Hier müssen Sie einfach eingestehen, dass
ein neuer Geldbeutel nicht reicht. Vielmehr müssen Sie in
diesen Geldbeutel auch die nötigen Finanzmittel tun,
wenn Sie den Menschen wirklich helfen wollen.

Dieses alles haben Sie in Ihrem Gesetz unzureichend
geregelt. Ich darf Ihnen sagen, dass wir hier nicht allein
stehen, sondern dass die Wohnungspolitik dieser Bundes-
regierung in Ihren eigenen Reihen auf erheblichen Wider-
stand stößt. Ich darf zitieren, was der Münchner Oberbür-






(C)



(D)



(A)



(B)


germeister – er heißt Ude und kommt von der SPD – die-
ser Regierung am 6. Februar 2001 in der „Süddeutschen
Zeitung“ ins Stammbuch geschrieben hat:

Man schränkt die Abschreibungsmöglichkeiten ein
und senkt im Gegenzug die Steuern. Für uns hatte
das unerwünschte Folgen, weil in München Woh-
nungsmangel besteht.

(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Fragen Sie mal, wie das in Dresden, Berlin oder Hamburg aussieht! Wir machen hier keine Politik für München!)

Deshalb ist die Forderung nach Steuererleichterun-
gen für den Wohnungsbau richtig. Allerdings hat sie
politisch kaum Chancen ...

Denn SPD und Grüne lehnen dies auf Bundesebene ab.
Ein weiterer Punkt. Ihr Münchener Oberbürgermeister

sagt auch – damit ist klar, wer die Verantwortung trägt –,
warum viele Münchenerinnen und Münchener und viele
Menschen in den Ballungsräumen heute für ihre Miete
tiefer in die Tasche greifen müssen: dass nämlich die Neu-
einführung einer zehnjährigen Spekulationsfrist, die
Sie ebenfalls zu vertreten haben, mit dafür verantwortlich
ist, dass die Mieten in Deutschland wieder kräftig steigen.

Mit Ihrem Gesetzentwurf zum sozialen Wohnungsbau
jedenfalls werden Sie den Hoffnungen vieler Menschen,
die darauf setzen, dass sie außerhalb der frei finanzierten
Wohnungswirtschaft, im Sozialbereich, die Chance ha-
ben, zum Zuge zu kommen, nicht gerecht.


(Wolfgang Spanier [SPD]: Wollen Sie Spekulanten schützen? Ernsthaft?)


– Sie schützen in der Tat Spekulanten, indem Sie das An-
gebot verknappen und diesen die Möglichkeit geben, die
Mieten nach oben zu treiben.

Hören Sie auf Ihre eigenen Leute. Wir können diesem
Gesetzentwurf nach bestem Wissen und Gewissen nicht
zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Spanier [SPD]: Da hat Herr Kansy aber anders geredet!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh-
nungsbaurechts auf Drucksache 14/5538. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6344, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh-
nungsbaurechts auf Drucksache 14/5911. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6344, den Gesetzentwurf in Kenntnis der Unterrich-

tung durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/6145
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/6362 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/6348. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU
mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/6359. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P. abge-
lehnt.

Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6349. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
abgelehnt.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Wohnungsbau-
gesetzes und anderer wohnungsrechtlicher Gesetze,
Drucksache 14/627. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6344, den Gesetzentwurf
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6344 die Annahme einer
Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/6048 an die in der Tagesordnung aufgeführten




Aribert Wolf

17459


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-

Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Hermann
Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und
Demokratisierungshilfe für die zentralasia-
tischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ver-
stärken
– Drucksache 14/5251 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Rühe, Karl Lamers, Klaus-Jürgen Hedrich, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Re-
publiken, Armenien, Aserbaidschan und Geor-
gien politisch umsetzen
– Drucksache 14/5961 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich begrüße zu diesem Tagesordnungspunkt unserer De-
batte eine Delegation der Nationalversammlung der Repu-
blik Armenien unter Leitung des stellvertretenden Vorsit-
zenden der Nationalversammlung, Herrn Gagik Aslanyan.
Seien Sie uns herzlich willkommen, liebe Gäste.


(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen

Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1417710100
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen aus dem armenischen Parlament! Als vor einem
Jahrzehnt die Sowjetunion zerfiel, entstanden, verbunden
mit vielen Erwartungen und Hoffnungen, die fünf neuen
Staaten Zentralasiens Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan,
Tadschikistan und Turkmenistan sowie die drei neuen
Staaten im Südkaukasus Armenien, Aserbaidschan und
Georgien.

Für viele Menschen in Europa und auch bei uns in
Deutschland sind diese Länder nicht nur geographisch,

sondern auch im öffentlichen Bewusstsein noch immer
weit entfernt. Doch mit der Osterweiterung der Europä-
ischen Union rücken wir näher an diese Länder heran.
Dann gilt erst recht, dass Krieg und Frieden, Armut und
Wohlstand, Unterjochung und Freiheit, Willkür und
Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern, die die Drehtüren
zwischen Ost und West darstellen, unmittelbare Folgen
für die Zukunft Europas haben. Deshalb ist es höchste
Zeit, dass die politische und wirtschaftliche Zusammen-
arbeit mit den Ländern der Kaukasusregion und Zen-
tralasiens stärker in das Zentrum deutscher und europä-
ischer Politik gerückt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Offenkundig ist zum Beispiel das hohe wirtschaftliche

Interesse, das wir haben. Deutschland ist der größte Erd-
öl- und Erdgasimporteur in Europa. Je mehr jedoch unsere
traditionellen Bezugsquellen für unsere eigene Versor-
gungssicherheit versiegen, umso bedeutender werden die
Erdöl- und Erdgasvorkommen im Kaspischen Becken.
Die Nachfrage nach deutscher Technologie, deutschen
Maschinen und Anlagen bei der Erschließung der
Rohstoffvorkommen wird in den kommenden Jahren
wachsen.

Ein anderes Beispiel: Bei Experten längst bekannt, in
der deutschen Öffentlichkeit noch wenig nachvollzogen,
ist, dass ungefähr 90 Prozent der Opiate, die nach West-
europa gelangen, in Afghanistan produziert werden und
ihren Weg über Zentralasien und über Nachbarstaaten
nach Europa finden. Für die Taliban in Afghanistan ist die
Drogenproduktion mittlerweile eine der wichtigsten
Einnahmequellen geworden. Für die zunehmend verarm-
ten Länder Zentralasiens ist der Drogenhandel aus Afgha-
nistan in Richtung Westeuropa ebenfalls eine wichtige
Einnahmequelle geworden. In Tadschikistan sollen die
EinkünfteausdemRauschgifthandelmittlerweileeinSechs-
tel der gesamten Bruttoinlandsproduktion ausmachen.

Dass globale Umweltprobleme nicht an staatlichen
Grenzen Halt machen, ist allgemein bekannt. Zentralasien
ist eine ökologische Katastrophenzone. In Kasachstan
gibt es riesige, durch sowjetische Atomversuche ver-
seuchte Landgebiete. Die Region leidet zunehmend an ge-
waltigem Wassermangel durch Übernutzung und Ver-
schmutzung. Das Katastrophensymbol schlechthin ist der
mittlerweile fast verschwundene Aralsee.

Sicherheit und Prosperität in Europa gibt es nur, wenn
auch bei unseren unmittelbaren Nachbarn stabile Verhält-
nisse herrschen. Doch Zentralasien ist heute eine der Re-
gionen, die zunehmend dem – aus Afghanistan herüber-
schwappenden – Fundamentalismus und kriegerischen
Attacken von Milizen ausgesetzt sind. Organisierte Kri-
minalität und internationaler Terrorismus destabilisieren
die gesamte Region. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
die Achtung der Menschenrechte sind unterentwickelt.
Die staatliche Macht ist äußerst brüchig.

Die Situation in den drei kaukasischen Republiken ist
durch eine ganze Reihe regionaler Konflikte geprägt. Die
eingefrorenen Konflikte um Nagorny-Karabach zwischen
Armenien und Aserbaidschan sowie um Abchasien und
Südossetien in Georgien behindern die wirtschaftliche
und politische Entwicklung der gesamten Region. Sie
können jederzeit wieder gewaltsam ausbrechen, mit all




Präsident Wolfgang Thierse
17460


(C)



(D)



(A)



(B)


den Folgen für die regionale Stabilität und die Stabilität in
Europa insgesamt.

Die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungs-
politik bezüglich der Länder Zentralasiens und der Kau-
kasus-Region ist europäisch fest eingebunden und inter-
national verankert. Das ist zwar gut so. Aber diese
Verankerung darf nicht dazu führen, dass sich die deut-
sche Politik aus der Verantwortung zieht. Wir erwarten
– deswegen haben wir die heutige Debatte beantragt –,
dass die Bundesrepublik Deutschland künftig auch selbst
einen stärkeren Beitrag leistet, um bei der Bewältigung
der Konflikte in diesen Regionen zu helfen und zu einer
nachhaltigen positiven Entwicklung der neu entstandenen
Staaten beizutragen. Man kann sich nicht nur hinter der
EU verstecken oder alles auf die EU schieben.

Herr Bundesaußenminister, Sie haben kürzlich eine
Reise unternommen


(Joseph Fischer, Bundesminister: Eine? Viele!)

– gut, Sie unternehmen viele Reisen –, die Sie auch in die
Länder des Kaukasus, über die wir heute debattieren, ge-
führt hat. Aber wenn Sie in der Kaukasus-Region nur
Aserbaidschan und nicht Armenien besuchen, dann muss
man sich fragen, wie es um unseren ernsthaften Beitrag
zur Lösung des seit über zwölf Jahren bestehenden Kon-
fliktes um Nagorny-Karabach bestellt ist und warum Sie
sich nicht in beiden Ländern kundig machen. Seit 1992
gehört Deutschland der so genannten Minsk-Gruppe an,
die sich um die Vermittlung zwischen Armenien und
Aserbaidschan kümmern soll. Doch von Deutschland hat
man schon seit vielen Jahren nichts mehr gehört.

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie zu-
sammen mit ihren Partnern in der Kaukasus-Region end-
lich selbst aktiv wird. Wir fordern, dass ein hochrangiger
Beauftragter Deutschlands für die Kaukasus-Region be-
nannt wird, der mit entsprechendem politischem Rückhalt
einen kontinuierlichen Dialog mit den Regierungen der
betroffenen Ländern selbst, aber auch mit den Regional-
mächten Russland, Türkei und Iran sowie mit den Verant-
wortlichen in der US-Administration und unseren euro-
päischen Partnern über die friedliche Beilegung der
Konflikte führt; denn die Beilegung der Konflikte wird
schmerzliche Kompromisse von den Beteiligten erfor-
dern. Ohne konzertierten politischen Druck der wichtigs-
ten Akteure einschließlich der internationalen Organisa-
tionen werden diese Kompromisse nicht zu erzielen sein.

Wir erwarten einen aktiveren Beitrag der Bundesrepu-
blik Deutschland zur Stabilisierung der Staaten Zentral-
asiens und deren Begleitung auf dem Weg zu Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung.
Umweltverschmutzung, Drogenhandel, internationaler
Terrorismus, organisierte Kriminalität und Fundamenta-
lismus – all dies sind riesige Probleme, die derzeit die
Länder Zentralasiens erschüttern – werden uns in West-
europa irgendwann selbst einholen, wenn wir nicht
präventiv tätig werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei der Beantwortung der Frage: „Was haben die Deut-

schen wirklich vor, um zu einer nachhaltigen Entwicklung

sowie zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität der
Länder Zentralasiens und des Kaukasus beizutragen?“,
kann man sich leider nicht allein auf die wertvollen Er-
klärungen des Herrn Bundesaußenministers oder auf die
so genannte Kaukasus-Initiative der Frau Bundesministe-
rin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
verlassen. Die eigentliche Antwort darauf findet man im
Bundeshaushalt. Der Beschluss, den die Bundesregie-
rung in der vergangenen Woche gefasst hat, ist schlichtweg
eine Katastrophe. Er bedeutet, dass es im Grunde genom-
men keinerlei Perspektive für die Entwicklungszusam-
menarbeit mit den zentralasiatischen Ländern und der
Kaukasus-Region gibt.

Mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2002 werden
die Mittel für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjet-
union um circa 15,2 Prozent abgesenkt und die so genann-
ten Transform-Programme werden um zwei Drittel gekürzt.
Die verbleibenden Baransätze sollen nur noch dazu dienen,
in den nächsten Jahren die eingegangenen Rechtsverpflich-
tungen zu bedienen. Neue Verpflichtungsermächtigungen
– das heißt auch: Mittel für neue Projekte – gibt es nicht
mehr. Die Titel, die für diese Länder bislang hauptsächlich
zuständig waren, sollen in den nächsten Jahren restlos be-
seitigt werden.

Natürlich bietet die Bundesregierung einen Ausweg an:
Die Arbeit in Osteuropa, in Zentralasien und in der Kau-
kasus-Region möge künftig über die so genannten norma-
len Titel der Entwicklungszusammenarbeit finanziert wer-
den. Diese Titel werden für diesen Zweck jedoch nicht
etwa erhöht, sondern zum Teil sogar weiter abgesenkt.

Besonders perfide finde ich diese Strategie gegenüber
den nicht staatlichen Trägern der Entwicklungszusam-
menarbeit. Da die Entwicklung einer starken und aktiven
Zivilgesellschaft für den gelingenden Transformations-
prozess sowie für die Demokratisierung der Länder Zen-
tralasiens und des Kaukasus von größter Bedeutung ist,
haben sich im letzten Jahrzehnt die Kirchen, die politi-
schen Stiftungen und eine Vielzahl von Nichtregierungs-
organisationen in diesen Ländern zu Recht engagiert.

Angesichts der Tatsache, dass fast alle Länder Zen-
tralasiens und der Kaukasus-Region im Hinblick auf Kor-
ruption – leider – weltweit an der Spitze stehen, war und
ist es wichtig, verlässliche und solide Partner der Ent-
wicklungszusammenarbeit im nicht staatlichen Bereich
zu finden. Deshalb ist diese Arbeit von der Bundesregie-
rung immer gefördert worden. Doch auch die Mittel dafür
soll es in Zukunft nicht mehr geben; stattdessen sollen
Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen
ihre Ostarbeit künftig aus ihren eigenen Haushaltstiteln
für die Südarbeit mitfinanzieren. Um es deutlicher zu sa-
gen: Das, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt, heißt:
Ostarbeit, Arbeit in Zentralasien und in der Kaukasus-Re-
gion, gibt es künftig nur zulasten der Südarbeit, sprich:
zulasten der Zusammenarbeit mit den ärmsten Ländern
des Südens. Die Situation, vor die wir gestellt sind, halte
ich für vollkommen verquer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler hat auf dem Millenniumsgipfel der

Vereinten Nationen verkündet, dass Deutschland das




PeterWeiß (Emmendingen)


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(D)



(A)



(B)


große Ziel, die extreme Armut weltweit bis zum Jahr 2015
zu reduzieren, mit einem eigenen Beitrag unterstützen
werde. Das Bundeskabinett hat Anfang April dieses Jah-
res mit der Unterstützung aller Bundesressorts ein Ak-
tionsprogramm für einen deutschen Beitrag zur Reduzie-
rung der weltweiten Armut beschlossen. Der Herr
Bundeskanzler hat heute, zum 60. Jahrestag des deut-
schen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941,
den Nachfolgestaaten weitere Hilfe bei gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Reformen sowie eine Intensivierung
der Beziehungen angeboten.

Doch gleichzeitig legt man uns einen Haushaltsent-
wurf vor, der genau das Gegenteil dessen, was für eine
solche Politik notwendig ist, beinhaltet. Wo bleibt da die
internationale Glaubwürdigkeit der Bundesregierung?
Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber all denjenigen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich in zum Teil
großartiger Weise in Verbänden, Nichtregierungsorgani-
sationen oder anderen Initiativen engagieren? Wo bleibt
die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern in den
Kirchen, in den Stiftungen, in den Nichtregierungsorgani-
sationen oder in den vielen entwicklungsorientierten Ini-
tiativen und Gruppierungen?

Die hehren politischen Erklärungen, in denen wir weit-
gehend übereinstimmen, sind alle null und nichtig, wenn
man die Zusammenarbeit gerade mit den Transformati-
onsländern Osteuropas, Mitteleuropas, Südosteuropas,
der Kaukasus-Region und Zentralasiens in der Art und
Weise, wie es der Bundeshaushalt 2002 ausweist, ein-
schränkt und praktisch sogar auf null reduziert. Das ist
keine Perspektive. Deswegen fordern wir von Ihnen nicht
nur politische Erklärungen, sondern auch konkretes Han-
deln, das diese Erklärungen rechtfertigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710200
Ich erteile der Bun-
desministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tragen
eine politische Gesamtverantwortung für die Regionen,
über die wir heute diskutieren, das heißt für Zentralasien
und den Kaukasus, den Südkaukasus zumal. Denn die Be-
freiung von sowjetischer Herrschaft und Dominierung ist
das eine, aber unsere Verantwortung jetzt für den sich fort-
setzenden Prozess der Transformation dieser Länder ist
das andere. Wir stehen zu dieser Verantwortung, da die
Leistungen, die von diesen Ländern verlangt werden,
groß sind.

Es geht darum, sich vom Staatskapitalismus hin zu ei-
ner sozialen Marktwirtschaft und zu einer stabilen Wirt-
schaft zu entwickeln. Es geht darum, sich hin zu Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln. Es geht
darum, dazu beizutragen, Konflikte frühzeitig abzubauen
und damit mögliche Krisen und Kriege präventiv zu ver-
hindern.

Ich möchte an dieser Stelle vor allen Dingen all den
Menschen danken, die in diesen Ländern die Veränderun-
gen vollziehen, die mit dem Transformationsprozess ver-
bunden sind. Sie leisten die wirkliche Arbeit dort.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])


Wer in diesen Ländern war – ich zum Beispiel war in al-
len drei Ländern des Südkaukasus, in Georgien, Aser-
baidschan und Armenien, und habe mit einem Teil der Be-
völkerung, nicht nur mit den politisch Handelnden,
gesprochen –, der sieht, was von den Menschen in diesen
Ländern an Veränderungen verlangt wird.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die dort geleistete Ar-
beit mit unterstützen. Wir werden unsere Anstrengungen
weiter fortsetzen, denn wir haben ein Interesse an der Sta-
bilität dieser Regionen. Wir haben ein Interesse – Kollege
Weiß hat es zu Beginn seiner Ausführungen angespro-
chen – an einer guten wirtschaftlichen Kooperation. Dazu
gehört übrigens auch eine wechselseitige kooperative
Energieversorgung; das kann sehr offen und deutlich ge-
sagt werden. Wir haben ein Interesse daran, das Prinzip
der regionalen Integration, das für uns in Europa ein
friedens- und wohlstandssicherndes Prinzip ist, auch für
andere Regionen fruchtbar zu machen. Das heißt, dass in
der Region größere Märkte gefördert werden müssen,
zum Beispiel für die zusammen 73 Millionen Einwohner
des Südkaukasus und der zentralasiatischen Länder. Es
müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
dass sie selbst größere Märkte und damit eine bessere
Ausgangsposition haben, um ihre eigene wirtschaftliche
Entwicklung voranzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen – weil uns
das häufig zu wenig präsent ist, und ich verstehe mich als
eine Ministerin, die solche Punkte in einer solchen Dis-
kussion in Erinnerung ruft –: Wir haben ein dramatisches
Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den entspre-
chenden Regionen sowie eine zunehmende Verarmung
der dortigen Regionen. Die durchschnittlichen Pro-Kopf-
Einkommen betragen in den einzelnen Regionen zwi-
schen 300 US-Dollar in Kirgisistan und etwa 1 250 US-
Dollar in Kasachstan. Die Wirtschaftsleistung beträgt
etwa 1,2 Prozent bzw. 5 Prozent des deutschen Bruttoso-
zialproduktes. Das ist ein dramatisches Ungleichgewicht.

Die Region leidet wegen des lang währenden Trans-
formationsprozesses von der Planwirtschaft zur Markt-
wirtschaft an einer Verarmung neuer Art. Es besteht eine
strukturelle Arbeitslosigkeit, da der Markt der früheren
Sowjetunion weggebrochen ist und die Arbeitsteilung, in
die die frühere Sowjetunion diese Länder gepresst hat,
entfallen ist. Wer dort ist und sieht, welche Schäden diese
Arbeitsteilung in einem Land wie Aserbaidschan hinter-
lassen hat, wird sagen: Das war ein Verbrechen, das ge-
genüber diesen Ländern begangen worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU])





PeterWeiß (Emmendingen)

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(D)



(A)



(B)


Auch an dieser Stelle möchte ich Zahlen nennen: So er-
reichte zum Beispiel das Bruttosozialprodukt Georgiens
1999 nur noch 34 Prozent der 1989 offiziell vermeldeten
Zahlen. In Armenien und Aserbaidschan sieht es etwas
besser aus. Das geringe Finanzaufkommen ermöglicht es
diesen Ländern kaum noch, die Leistungen zu erbringen,
die für die Bevölkerung, zumal für die armen Teile, wich-
tig sind: Bildungs- und Gesundheitspolitik. Beide Regio-
nen bestehen aus Staaten mit einem hohen Konfliktpoten-
zial und bergen daher ein besonderes Risiko der
Instabilität. Im Kaukasus sind sogar erneute kriegerische
Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen.

Angesichts dieses Sachverhaltes konzentriert sich un-
sere Entwicklungspolitik besonders auf Beratung und Un-
terstützung in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und
Demokratieentwicklung.An dieser Stelle möchte ich sa-
gen: Unsere Zusammenarbeit wird besonders geschätzt,
zumal die Erwartung hinzukommt, dass wir Erfahrungen
aufgrund des deutschen Einigungs- und Transforma-
tionsprozesses an diese Staaten weitergeben und sie dort
fruchtbar werden können. Das ist in der Tat möglich, auch
wenn die Situation nicht übertragbar ist.

Die Kaukasus-Länder sind bereits Mitglied des Euro-
parates. Die Region Kaukasus wird Nachbar der Europä-
ischen Union. Auch Zentralasien sieht in der EU einen
neutralen Partner. Wir konzentrieren unsere Entwick-
lungszusammenarbeit auf Georgien sowie auf fünf Part-
nerländer, nämlich Armenien, Aserbaidschan, Kasachs-
tan, Kirgisistan und Usbekistan. Nichtpartnerländer sind
bisher Tadschikistan und Turkmenistan. Dennoch leisten
wir in Tadschikistan Hilfe bei der Nahrungsmittelunter-
stützung. Aufgrund der politischen Situation in den bei-
den Ländern ist eine offizielle Entwicklungszusammenar-
beit bisher für uns nicht möglich.

Schwerpunkte sind für uns immer, den Aufbau der so-
zialen Marktwirtschaft zu unterstützen, den Finanzsektor
zu reformieren, kleine und mittlere Unternehmen zu un-
terstützen, die Berufsbildung voranzubringen und in der
Rechtsberatung tätig zu sein. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wer vor Ort erfahren hat, wie groß der Wunsch in
den betroffenen Ländern – besonders im Kaukasus – ist,
zum kontinentaleuropäischen Rechtssystem zurückzu-
kehren, der weiß, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist.
Der oberste Präsident des Gerichtshofs in Georgien etwa,
Herr Tschantschuria, hat als Austauschstudent des Deut-
schen Akademischen Austauschdienstes in Deutschland
seine Ausbildung genossen, ist dann nach Georgien
zurückgegangen und hat dort mit anderen zusammen das
georgische Justizsystem aufgebaut. Solche Beratungen
beim Aufbau von Rechtssystemen leisten wir vor einem
ganz zentralen Hintergrund: Es geht um Demokratie, aber
auch um wirtschaftliche Chancen für die Länder. Es geht
darum, die Chancen zu verbessern, dass in diesen Ländern
Investitionen vorgenommen werden und somit Arbeits-
plätze geschaffen werden können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss möchte ich noch einige Anmerkungen
machen: Wir haben nicht erst auf die Empfehlung von
Herrn Weiß hin praxisorientiert gehandelt, sondern ich
habe bereits während meiner Reise eine entsprechende

Kaukasus-Initiative unseres Ministeriums vorgestellt.
Wir sind bereits in Verhandlungen mit den Regierungen
von Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dieses
wollte ich Ihnen zum Schluss meiner Ausführungen noch
einmal darstellen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass in erster Linie
die EU eine solche Stabilitätsinitiative voranbringen
sollte. Ich glaube nämlich nicht, dass wir warten können,
bis erneut Konflikte ausbrechen. Wir sollten vertrauens-
bildende Maßnahmen fördern, unterstützen und dazu bei-
tragen, dass die Menschen in der Region miteinander re-
den, und zwar auch über die jeweiligen Grenzen hinweg.
Es reicht nicht, dass nur die Staatspräsidenten miteinan-
der sprechen. Wir müssen den Kontakt zwischen den
Menschen fördern und das tun wir auch.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Das Anliegen meiner Reise – ich war im April in den
drei Ländern im Kaukasus – war, dazu beizutragen, die
Friedensförderung durch regionale Kooperationen in
wichtigen Bereichen voranzubringen. Dadurch sollen die
einzelnen Länder auch wirtschaftlich enger miteinander
verknüpft werden. Die Reaktionen waren insgesamt posi-
tiv, jedoch unterschiedlich in den einzelnen Ländern. Ver-
abredet wurde – das lässt sich sehen, das hat vor uns nie-
mand erreicht – eine Initiative für die Jahre 2001 und 2002
mit bilateraler Entwicklungszusammenarbeit in einer
Größenordnung von jeweils 100 Millionen DM. Wir ha-
ben mit der Umsetzung bereits begonnen.

Ich sage Ihnen nun stichpunktartig, worum es geht.
Zunächst geht es um Rechtsberatung und Rechtssysteme
sowie Stärkung der kommunalen Demokratie. Dazu
zählen zum Beispiel Dialogprogramme der politischen
Stiftungen, Aus- und Fortbildungsinstitutionen, Journalis-
tenkontakte, Juristenzusammenarbeit, Förderung des
Energiesektors. Alle drei Länder im südlichen Kaukasus
leiden unter erheblichen Energieproblemen. Deshalb geht
es uns darum, mit der Kooperation einen regionalen
Energieverbund für Strom und Gas zu fördern. Darüber
hinaus geht es um die Förderung der Privatwirtschaft. Ich
denke insofern vor allem auch an Existenzgründungen.
Dazu haben wir überregional – für die drei Länder – einen
Kreditgarantiefonds für Klein- und Mittelbetriebe ge-
schaffen, der dazu beiträgt, dass die Möglichkeiten des
größeren Marktes genutzt werden.

Zudem unterstützen wir die Länder überregional bei
der Bekämpfung von Krankheiten. Dazu zählen auch die
neuen alten Krankheiten; damit meine ich die Krankhei-
ten, die – wie Tuberkulose – mit der Armut wieder zu-
rückgekommen sind. Außerdem unterstützen wir die drei
Länder in der regionalen Zusammenarbeit beim Aufbau
von Biosphärenreservaten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710300
Frau Ministerin, Sie
müssen zum Ende kommen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ja-
wohl, Herr Präsident, das trifft sich gut.


(Heiterkeit)





Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

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(D)



(A)



(B)


Zusätzlich zu all dem sind wir nicht nur bilateral tätig,
sondern auch in der EU, in der Weltbank und in den Re-
gionalbanken. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Ver-
änderungen in der Region tun wir, wie ich denke, gut
daran, solche regionale Zusammenarbeit zu fördern. Wir
haben deutlich gemacht, dass wir darüber nicht nur reden,
sondern dass wir auch konkret handeln. Ich denke, die je-
weiligen Länder wissen, wovon die Rede ist. Es liegt uns
wirklich daran, eine gute Zusammenarbeit zwischen den
Ländern herzustellen.

Zum Schluss möchte ich unsere Freunde, die Kolle-
ginnen und Kollegen aus Armenien, die heute anwesend
sind, herzlich grüßen und ihnen sagen: Sie können sich
auf unsere Arbeit und Zusammenarbeit verlassen.

Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710400
Ich erteile dem Kolle-
gen Carsten Hübner, PDS-Fraktion, das Wort.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1417710500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Als ich mir die beiden Anträge, die
wir heute beraten, das erste Mal angesehen habe, habe ich,
gelinde gesagt, einen Schreck bekommen. Dabei beziehe
ich mich gar nicht auf eine ganze Reihe von Details, For-
derungen und Einschätzungen, die ich – nicht zuletzt aus
entwicklungspolitischer Sicht – durchaus teile. Das be-
trifft etwa Armut, ökologische Probleme sowie Probleme
der Transformation oder der Demokratisierung. Insofern
herrscht, denke ich, in diesem Hause weitestgehender
Konsens.

Kein Konsens herrscht aber, lieber Kollege Weiß, was
die Logik anbetrifft, nach der die Bundesrepublik aktiv
werden soll. Das betrifft zunächst einmal die sich durch
Ihren Antrag ziehende Logik der offenen oder zumindest
deutlich erkennbar formulierten Interessenkollision zwi-
schen der Bundesrepublik bzw. dem Westen auf der einen
und Russland bzw. China auf der anderen Seite. Letztlich
wird damit einem geostrategischen Wettlauf das Wort ge-
redet; nicht zuletzt ist es der Wettlauf um die ökonomisch-
politische Vorherrschaft in Zentralasien insgesamt.


(Beifall bei der PDS)

Das ist ein Denken, das ich nicht allein aufgrund der

Gewinner-und-Verlierer-Logik ablehne, die solchen Wett-
läufen zugrunde liegt. Vielmehr entsprechen die Kon-
frontation und Konflikte, die mit einer derartigen Politik
einhergehen, die von ihr geradezu gefördert und provo-
ziert werden und die schließlich wohl machtpolitisch ent-
schieden werden sollen, einem Politikverständnis, das ich
grundsätzlich ablehne und das politisch nicht verantwort-
bar ist.


(Beifall bei der PDS)

Wie kann man sich – das frage ich Sie ernsthaft – ge-

rade in dieser brisanten Region, gerade im Bereich der
globalen Problematik der natürlichen Ressourcen – also
Öl und Gas – einer derartigen Logik hingeben, anstatt auf
regionale und gleichzeitig globale Integration sowie auf

einen Prozess des nachhaltigen und ökologisch vertretba-
ren Interessenausgleichs zu setzen?


(Beifall des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dieser Prozess muss Russland und China als Partner – ge-
nauso wie internationale Organisation – einschließen,
wenn er erfolgreich sein will. Mit einem zukunftsfähigen
entwicklungspolitischen Ansatz hat diese hier vorgetra-
gene Denke jedenfalls wenig zu tun.

Ich will noch auf einen zweiten Aspekt hinweisen, näm-
lich auf die Tendenz, die Entwicklungszusammenarbeit zu
einer Agentur der Außenwirtschaftsförderung und der
geostrategischen Interessen des Westens gegenüber dem
Osten und natürlich gegenüber dem Süden zu machen.
Erschreckenderweise findet sich genau dieser Ansatz im
entwicklungspolitischen Antrag ebenso deutlich wie im
Antrag über die strategische Bedeutung der Region. Diese
Denkweise, die weit blicken lässt, lehnt die PDS-Bundes-
tagsfraktion aus prinzipiellen Erwägungen ab.


(Beifall bei der PDS)

Ich sage das aber auch – und gerade – mit Blick auf Stim-
men aus der Bundesregierung, die ebenfalls einer derarti-
gen Verstümmelung der Entwicklungszusammenarbeit
das Wort reden.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die bis-
her durch nichts untersetzte Bejubelung des Konzepts der
Public Private Partnership zwischen öffentlicher Hand
und Privatwirtschaft, das inzwischen quasi als Zauber-
wort alle Bereiche der Debatten über die Entwicklungs-
zusammenarbeit durchzieht. Dieses Konzept ist doch
wohl nichts anderes als das Feigenblatt für einen sinken-
den BMZ-Haushalt.

Die Entwicklungszusammenarbeit ist aber weit mehr;
sie ist etwas gänzlich anderes. Gerade im Sinne einer
nachhaltigen globalen Strukturpolitik, wie sie von der
Bundesregierung immer und immer wieder beschworen
wird, soll sie die Grundbedingungen für eine solidarische
und gerechte globale Entwicklung schaffen und soll nicht
weitere Absatzmärkte und Zugänge zu Rohstoffen für die
eh schon mächtigen Ökonomien der Welt gegen andere
durchsetzen helfen.

An diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gibt es aus unserer Sicht noch erheblichen Diskussions-
bedarf in den Ausschüssen. Wenn Sie dieses Thema so be-
schäftigt, wie man Ihren Äußerungen entnehmen kann,
Herr Außenminister, dann würde ich mich freuen, wenn
auch Sie an den Debatten in unserem Ausschuss teilhaben
könnten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417710700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass die CDU/CSU diese beiden Anträge ein-




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
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(C)



(D)



(A)



(B)


gebracht hat, weil wir damit die Gelegenheit haben, über
dieses Thema endlich einmal grundsätzlich zu diskutie-
ren. Wir werden das in den Ausschüssen tun; hier kann
man das nicht, dazu sind fünf Minuten zu kurz. Man muss
also feststellen, dass man dieses Thema angesichts der
großen Probleme in dieser Region im Rahmen der heuti-
gen Debatte nur sehr allgemein behandeln kann.

Es liegen heute zwei Anträge der CDU/CSU vor. Der
eine Antrag wurde von den Außenpolitikern und der an-
dere Antrag von den Entwicklungspolitikern der
CDU/CSU geschrieben. Herr Weiß, Sie tun uns leid, denn
Sie haben das Problem, dass Sie als Entwicklungspoliti-
ker auch den außenpolitischen Antrag vertreten müssen,
weil kein einziger Außenpolitiker der CDU/CSU anwe-
send ist.


(Beifall bei der PDS)

Dass bei dem Teil Ihrer Rede, der sich mit der strategi-
schen Bedeutung der Kaukasus-Republiken beschäftigt,
nur Unsinn herauskommt, kann also nicht verwundern.

Ich will mich im Folgenden auf den Kaukasus konzen-
trieren. Herr Rühe ist durch diese Region gereist und hat
nur die geostrategischen Interessen gesehen: Erdöl,
Erdgas – Pipelines! Über kein anderes Thema kann man
so wunderbar herumpolitisieren wie über Pipelines, die
durch die Türkei oder durch die Ukraine verlaufen sollen.
Es ist bedauerlich, dass wir diese wichtige Debatte auf der
Basis eines schlecht gestellten Antrags bestreiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ich will Ihnen vorweg sagen, wo das Problem liegt,
wenn Sie über die notwendige Stabilität dieses Raumes
reden: Gerade die geopolitischen Interessen ferner Mäch-
te zerstören die Stabilität eines solchen Raumes.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Wir müssen über die soziale, die innenpolitische und die
demokratische Stabilität reden. Aber auch in diesem
Punkt machen Sie es sich zu einfach. Sie schreiben ein-
fach – dieser Satz ist wunderbar –: „Seit Aufnahme in den
Europarat ... haben diese Länder ihren festen Platz in der
europäischen Staatenfamilie.“

Ja, diese Länder gehören zu Europa. Aber Sie müssten
sich einmal von Ihren Mitgliedern in der Parlamentari-
schen Versammlung des Europarates berichten lassen,
wie dort diese Fragen diskutiert werden. Diese Länder
sind nur deshalb – und auch nur mit den allergrößten Be-
denken – aufgenommen worden, weil der Kontakt zu Eu-
ropa als notwendig angesehen wurde. Sie sind gegen
schwere Bedenken aufgenommen worden; denn dort gibt
es immer noch umfangreiche Wahlmanipulationen und
die Kultur des Machtwechsels ist überhaupt noch nicht
eingeübt, weshalb es enorm viele politische Gefangene
gibt. Vor der Aufnahme Aserbaidschans in den Europarat
– ich spreche nicht von Armenien; dort sind die Verhält-
nisse etwas günstiger, aber auch noch problematisch – ha-
ben wir mehrere Hundert politische Gefangene aus den
Gefängnissen geholt. Aber einige Hundert sitzen dort im-
mer noch. Seit der Aufnahme in den Europarat werden es
wieder mehr, übrigens in Georgien auch, obwohl die Zah-
len dort niedriger sind.

Das Problem ist, dass diese Länder sagen: Nun haben
wir den Europarat-Stempel. Der Europarat ist aber nicht
mehr das, was er zu Anfang einmal war, sozusagen der
Stempel „europäische Demokratie“, sondern der Europa-
rat ist inzwischen die Agentur der Demokratisierung die-
ser Länder, mit dem Wunsch, sie nach Europa zu holen.
Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass das bereits ge-
lungen ist. Dann hereinzukommen und von der geopoliti-
schen Lage zu sprechen ist sträflich.

Die letzte Bemerkung – die Zeit läuft davon; Herr Prä-
sident, ich werde mich ganz kurz fassen –: Ich komme ge-
rade aus Baku. Dort tagte die Parlamentarische Versamm-
lung der Schwarzmeerkooperation. Dort saßen die
Delegationen von Aserbaidschan, Armenien und Geor-
gien; man konnte mit ihnen wunderbar reden. Nur hatten
wir beschlossen, dass von der Opposition jemand und von
den Regierungsparteien jemand – das war ich – hinfahren
würde. Im Protokoll der Obleute des Auswärtigen Aus-
schusses vom März steht „Der Arbeitskreis Außenpolitik
der CDU/CSU wird aufgefordert, einen Vertreter zu ent-
senden“. Er war nicht da. Dann reist Herr Rühe einmal
durch die Gegend, sagt: „Ich habe es begriffen“ und
kommt uns hier mit Unsinn.

Der größte Unsinn ist die Forderung nach einem Dia-
log mit Moskau, Teheran und Ankara. Die Äquidistanz zu
den großen Mächten um den Kaukasus ist verheerend.
Warum? Die Länder aus dem früheren Einflussbereich der
Sowjetunion entwickeln ihre Souveränität. Man muss
natürlich den Dialog mit Moskau führen. Aber gleichzei-
tig auch gleichberechtigt mit den anderen etwas hin und
her zu balancieren, ist falsch.


(Zuruf des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


– Ich weiß, Sie kriegen jetzt alles ab. Sagen Sie es den
Außenpolitikern weiter!


(Heiterkeit)

Dazu das letzte Beispiel. Ich beziehe mich auf Aser-

baidschan.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417710800
Kollege Lippelt, Sie
müssen jetzt wirklich zum Ende kommen.


(Heiterkeit)



Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417710900

Herr Präsident, Sie haben völlig Recht. Ich spreche jetzt
den letzten Satz, vielleicht mit zwei Kommas.


(Heiterkeit)

Wenn Sie mit den Initiativen, mit den Helsinki-Komi-

tees, mit all den Menschenrechtsorganisationen, die es dort
auch gibt und mit denen man den Dialog führen muss, re-
den, würden die Ihnen erzählen: Die Leute haben nach
dem Erdölvertrag 1994 gedacht, jetzt werde es ihnen bes-
ser gehen. Es war nicht so. Sie haben nach dem Beitritt
zum Europarat gedacht, jetzt würde es ihnen besser gehen.
Es war nicht so. Die grenzenlose Not führte dazu, dass in-
zwischen aus den Flüchtlingslagern 10 000 Schüler in die
Koranschulen des Iran gegangen sind. Was das für die




Dr. Helmut Lippelt

17465


(C)



(D)



(A)



(B)


Zukunft dieses Gebietes bedeutet, können Sie sich aus-
rechnen. Erzählen Sie das Ihren politischen Freunden!
Dann können wir sinnvoll in den Ausschüssen diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417711000
Kollege Lippelt, das
waren ungefähr 17 Kommas.


(Heiterkeit)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Pflug,

SPD-Fraktion.


Johannes Pflug (SPD):
Rede ID: ID1417711100
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Kaukasus ist eine Re-
gion, welche die politische Fantasie anregt. Hier treffen
die beiden Großmächte Russland und USA aufeinander.
Hier sind das NATO-Mitglied Türkei und der Problem-
staat Iran als Nachbarn mit im Spiel. Hier geht es um po-
litische Einflusszonen, und es geht um das Abstecken der
letzten noch nicht verteilten Claims im Energiebereich.
So liest sich auch über weite Strecken der CDU/CSU-
Antrag.

Es geht um die Existenzsicherung von drei ungefestig-
ten Staaten und um das Ausbalancieren des Selbstbestim-
mungsrechtes der Völker und des Anspruches auf territo-
riale Integrität. Vor allem muss es uns um die Lebens- und
Überlebenschancen der Menschen in der Region gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Ausgang dieses politischen Dramas ist offen. Diese
Offenheit wirkt auf manche wie eine Einladung zum Mit-
spielen.

Ich hoffe nicht, dass sich die CDU/CSU bei der For-
mulierung ihres Antrags von den Motiven der großen
Geostrategen hat leiten lassen. Aber in ihrer Forderung,
deutsche Politik solle den Südkaukasus unter „strategi-
schen“ Gesichtspunkten betrachten, klingt ja doch der
Wunsch durch, dort – wie andere auch – mitmischen zu
wollen. Hätte der Begriff „strategisch“ den begrenzten
Sinn, dass deutsche Unternehmen auch künftig kaspi-
schens Öl kaufen können und Zugang zu den südkauka-
sischen Märkten haben sollten, dann wäre das eine zu-
treffende Umschreibung unserer Interessenlage. Aber die
CDU/CSU will mehr: Sie fordert Einfluss auf den Verlauf
der so genannten strategischen Achsen quer durch den
Kaukasus, sie fordert die Überwindung der so genannten
regionalen Blockbildung und die Organisation eines Dia-
logs mit Washington, Moskau, Ankara und Teheran zur
Stabilisierung der Region. Das sieht alles danach aus, als
solle Deutschland nach dem Willen der CDU/CSU im
Südkaukasus ein strategischer Player sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
CDU/CSU, dabei würden wir uns nur überheben. Derar-
tige Wunschträume haben auf absehbare Zeit keine Aus-
sicht auf Realisierung. Deutsche Unternehmen bauen dort
keine Pipelines und werden deswegen auch nicht über de-
ren Trassenführung entscheiden. Deutschland ist kein un-
mittelbarer Akteur bei der Lösung des Konfliktes um Berg

Karabach. Es kann auch nichts daran ändern, dass sich die
Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens lieber in Mos-
kau und Florida als in Berlin treffen. Gerade für deutsche
und europäische Kaukasuspolitik ist Realismus und Sinn
für das derzeit Erreichbare wichtig. Wir sind im Kaukasus
kein Player, auch wenn wir ein wirtschaftliches und politi-
sches Interesse an Stabilität in der Region haben.

Es ist ja richtig, dass wir uns einen Kaukasus ohne
Konflikte, wirtschaftlich prosperierend, frei und unab-
hängig, demokratisch, mit funktionsfähigen Verwaltun-
gen und Gerichten wünschen, verantwortungsbewusst,
wo jeder mit jedem kooperiert und alle genügend Kauf-
kraft haben, um sich unsere Produkte leisten zu können.
Zu glauben, deutsche Politik könnte dies alles allein oder
gemeinsam mit der EU in absehbarer Zeit bewerkstelli-
gen, ist Selbstüberschätzung. Wir können und müssen mit
unseren Freunden und Partnern reden, aber wir können
nicht von uns aus das Heft in die Hand nehmen.

Was wir brauchen, ist Augenmaß und der Einsatz von
Mitteln dort, wo sie konkrete Verbesserungen bewirken
können:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


bei der Modernisierung der Infrastruktur – Frau Ministe-
rin hat darauf hingewiesen –, beim Umweltschutz, beim
Ausbau des Rechtssystems, bei der Energiesicherung, bei
der beruflichen Qualifizierung und in all den Bereichen,
die für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft
und von der Einparteienherrschaft zur Demokratie von
zentraler Bedeutung sind.

Dies hat die frühere Bundesregierung getan; dies tut in
verstärktem Maße die heutige Bundesregierung. Sie kann
sich dabei auf ein vergrößertes Engagement der Europä-
ischen Union stützen und leistet auch Beiträge zur Ent-
spannung der politischen Probleme im Zusammenhang
mit Abchasien, Südossetien und Berg Karabach. Die För-
derung regionaler Kooperation ist hierfür ein Schlüssel.
So sind ja auch die europäischen Programme angelegt.

Mit Ihrem Antrag – das hat gerade auch Herr Kollege
Weiß getan – erweckt die CDU/CSU den Anschein, als
könnten die im Vorspann des Antrags genannten Pro-
bleme des Kaukasus durch mehr Geld hier und mehr Ko-
ordination und Beratung dort gelöst werden. Das ist nicht
der Fall. Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland
und die Europäische Union ihre materiellen Unterstüt-
zungsleistungen verdoppelten, könnten wir die strukturel-
len Defizite der Region, die im Antrag zum größten Teil
zutreffend beschrieben sind, nicht beseitigen. Das müssen
die Länder selber tun.

Es erfordert den Willen der Politiker in den drei Repu-
bliken, diesbezüglich etwas zu ändern. Deutsche Politik
kann dies ermutigen, kann mit Beratung und Vorschlägen
unterstützen; umsetzen müssen dies allerdings die Länder
selbst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die militärischen Konflikte zwischen Armenien und
Aserbaidschan um Nargornij Karabach und in Georgien




Dr. Helmut Lippelt
17466


(C)



(D)



(A)



(B)


sind zurzeit eingefroren. Es gibt zwar in Abchasien und um
Nargornij Karabach herum immer wieder einmal Schie-
ßereien, aber insgesamt halten die Waffenstillstände. Was
für eine Friedensregelung fehlt, ist der politische Wille
zum Kompromiss. Obwohl die beiden einflussreichsten
Mächte in der Region, Russland und die USA, eine Ver-
mittlerrolle übernommen haben, hat all ihre Stärke nicht
ausgereicht, um eine friedliche Regelung herbeizuführen.

Nichts deutet darauf hin, dass Deutschland oder die
Europäische Union hierbei erfolgreicher sein könnten.
Dennoch gab es Bewegung: Die Präsidenten Aserbaid-
schans und Armeniens haben sich mehrfach getroffen. So-
lange nicht geschossen wird, kann es immer wieder eine
Chance geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu dieser Bewegung, meine sehr verehrten Damen und
Herren, zähle ich auch den jüngsten Vorschlag des Vorsit-
zenden des Verteidigungsausschusses der russischen
Duma, Herrn Nikolajew, ein strategisches Gesamtkon-
zept für den Südkaukasus zu entwickeln, in dem Russ-
land die Rolle einer Garantiemacht übernehmen soll.
Russland hat sich auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999
verpflichtet, bis zum 1. Juli 2001 zwei Standorte russi-
scher Streitkräfte aus Georgien abzuziehen. Gestern er-
reichte uns die Nachricht, dass die Streitkräfte aus dem
Standort Vaziani zurzeit aufgelöst werden und der Abzug
bis zum 29. Juni abgeschlossen sein soll. Das ist zu be-
grüßen. Demgegenüber sind russische Streitkräfte nach
wie vor in dem abchasischen Standort Gudauta stationiert
und es liegen keine Hinweise darauf vor, dass dieser
Standort ebenfalls geräumt wird. Die Bundesregierung ist
aufgefordert, die russische Seite zu drängen, ihren OSZE-
Verpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Da Russ-
land eine zentrale Rolle für die Stabilisierung auch des
Südkaukasus spielt, braucht es das Vertrauen der Staaten
der Region. Die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen
ist hierfür unumgänglich.

Die SPD-Bundestagsfraktion hält die Initiativen des
Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und auch die Initiativen auf
europäischer Ebene für richtig und unterstützt sie. Sie
sieht in ihnen wichtige Beiträge zur weiteren Entwicklung
des Kaukasus, die auch Voraussetzungen für die Regelung
der politischen Konflikte schaffen können. Diese Initiati-
ven gehen deutlich weiter als das, was die CDU/CSU in
ihrem Antrag vorgeschlagen hat, und sie sind zugleich
realistischer und weniger vom Wunschdenken geprägt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417711200
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417711300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abge-
ordneter Pflug, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Rede, weil
sie, im Wesentlichen von Realismus getragen, aufgezeigt
hat, worin die Probleme bestehen, und zugleich klarge-

macht hat, dass wir uns völlig überhöben, wenn wir mein-
ten, die Bundesrepublik Deutschland könne dort wie auch
immer an einem strategischen Spiel teilhaben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich weiß, es gehört zur Übung der Opposition – ich ma-
che es Ihnen gar nicht zum Vorwurf –, stärkeres Engage-
ment zu verlangen. Aber dann muss man auch sagen, was
dies bedeutet. Man muss dann Verantwortung überneh-
men, was sich in einem Mehr an Diplomatie, an Entwick-
lungszusammenarbeit und an Sicherheitszusammenarbeit
ausdrücken müsste. Ich habe gerade jüngst im Nahen
Osten die ganz konkrete praktische Erfahrung gemacht,
was ein Mehr an Verantwortung bedeutet und wie schnell
man an das Ende der Möglichkeiten einer europäischen
Mittelmacht gelangt, wenn ganz andere Instrumente so-
wohl im zivilen als auch im Sicherheitsbereich gefordert
sind. Insofern rate ich hier dringend zu Realismus auch
vonseiten der Opposition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen haben wir es in dieser Region mit Proble-
men zu tun – das sage ich der PDS –, die nicht so einfach
zu lösen sind. Sicherlich, große und sehr große Mächte
verfolgen dort ohne jeden Zweifel ihre Politik; das streite
ich gar nicht ab. Aber wir sind gut beraten, unsere Politik
in die der Europäischen Union einzuordnen. National,
also auf der Grundlage bilateraler Beziehungen, betreiben
wir Entwicklungszusammenarbeit; wir haben auch gute
Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich. Aber dass wir
uns in einer Nachbarregion tatsächlich so engagieren
könnten, dass wir dort auch die europäischen Interessen
im Hinblick auf Frieden, Entwicklung und Menschen-
rechte – sie sind in dieser Region eine ganz zentrale He-
rausforderung –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


zum Tragen bringen könnten, ist völlig ausgeschlossen.
Dies wird nur die Europäische Union und eine zweite
multilaterale Organisation, die OSZE, können.

Nirgendwo habe ich die Bedeutung der OSZE so stark
wie in Zentralasien nachvollziehen können. Hier ist die
OSZE wirklich die Organisation, die Möglichkeiten zur
Verbesserung der Menschenrechtssituation und zur Stabi-
lisierung der Demokratie bietet. Sie ist auch die einzige
Organisation, die für die dortige demokratische Opposi-
tion einen Hoffnungsfunken in einer manchmal sehr düs-
teren politischen Umgebung bedeutet.

Darüber hinaus müssen wir im Auge haben, dass es in
all diesen Ländern Konflikte gibt, die denen auf dem Bal-
kan sehr stark ähneln. Gleichzeitig aber wird aufgrund der
Interessen von außen die Konfliktlösung nicht so betrie-
ben, wie sie betrieben werden sollte, um die Konflikte
tatsächlich lösen zu können – ob es um den Konflikt in
Abchasien, Südossetien oder in Berg Karabach geht, ob es
die Konflikte in Zentralasien sind. Hier wird natürlich ein
bestimmtes politisches Spiel gespielt. Ich möchte darauf




Johannes Pflug

17467


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht näher eingehen, warne aber davor, dies einseitig zu
verankern.

Wenn wir uns aber dort engagieren, dann ist es wich-
tig, dies entlang unserer Grundsätze zu tun. Wirtschaftli-
che Zusammenarbeit, Handel und Wandel sind für mich
kein Gegensatz zur Entwicklungszusammenarbeit. Dies
kann sich hervorragend ergänzen;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die Kollegin Wieczorek-Zeul betont dies zu Recht immer
wieder. Grundlage aber muss die Entwicklung der Demo-
kratie sein. Das ist ein ganz entscheidender Gesichts-
punkt, den ich während meiner Reise in Zentralasien in
den Gesprächen mit den dort regierenden Präsidenten be-
sonders betont habe.


(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies in der
Kürze der Zeit zusammenfassen: Wenn ich unter dem
Aspekt Frieden und Stabilität auf unsere Nachbarregionen
schaue, dann sehe ich als Konfliktregion den Nahen und
Mittleren Osten, den Kaukasus – nicht nur den Südkau-
kasus, sondern auch den Nordkaukasus, als Teil Russ-
lands – und Zentralasien. Wir haben ein Interesse daran,
dass die Entwicklung dort keine eskalierenden Tendenzen
annimmt.

Die Verknüpfung von Radikalismus, Nationalismus
und religiösem Fundamentalismus, von Interessen auf-
strebender Regionalmächte, die nicht zögern, aufgrund
ihrer traditionellen regionalen Hegemonialpolitik auch
militärische Optionen in Erwägung zu ziehen und vorzu-
bereiten, die großen Öl- und Gasmächte, die in diesem
Raum traditionell präsent sind – all dies schafft eine Kon-
fliktlage, angesichts derer wir ein Interesse daran haben,
uns als Europäer dort gemäß unseren Möglichkeiten ent-
lang der Grundsätze Frieden, Demokratieentwicklung,
wirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Ent-
wicklung zu engagieren. Aber all die neostrategischen Il-
lusionen und Träumereien, die der Abgeordnete Pflug ge-
rade zu Recht kritisiert hat, sollten wir dort belassen, wo
sie hingehören, nämlich in die ideologische Besenkam-
mer des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417711400
Der Kollege Joachim
Günther von der F.D.P. hat seine Rede zu Protokoll ge-
geben.1)

Damit sind wir am Schluss der Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 14/5251 und 14/5961 an die in der Ta-

gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b sowie
die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
22 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P.
Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum
neuen Jahrtausend
– Drucksachen 14/5243, 14/5855 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht
Clemens Schwalbe
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar
Bartsch, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Millen-
niums-Erklärung der Vereinten Nationen
– Drucksachen 14/4525, 14/5851 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht
Clemens Schwalbe
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Hempel, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern
fördern
– Drucksache 14/6320 –

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Birgit Homburger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für eine gemeinsame europäische VN-Politik
– Drucksache 14/6083 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union




Bundesminister Joseph Fischer
17468


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu seiner letzten
Rede im Bundestag dem Kollegen Eberhard Brecht, SPD,
das Wort.

Dr. Eberhard Brecht (SPD) (von der SPD sowie von
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit
Beifall begrüßt): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die für einen
Freitagnachmittag typische Besetzung in diesem Hohen
Haus


(Widerspruch bei der SPD)

– ich nehme die Koalition selbstverständlich aus, die
natürlich volle Präsenz zeigt –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zu Ihren Ehren, Herr Kollege!)


täuscht über den Stellenwert des Themas etwas hinweg.
Die Zeit – wie noch in den 80er-Jahren – scheint vor-

bei zu sein, als UN-Politiker in Europa noch als Wolken-
schieber abgetan wurden. Zwar haben sich unsere Träume
nicht erfüllt – das war ja geradezu eine Euphorie –, dass
nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die UNO der be-
stimmende Faktor werden würde. Dennoch hat es eine
vorsichtige Aufwertung der Vereinten Nationen gegeben,
die nicht nur eine Folge der beendeten Lähmung des Si-
cherheitsrates während des Ost-West-Konflikts war. Die
Handlungsunfähigkeit dieses Gremiums war eigentlich
fast immer gegeben. Eine Ausnahme stellten solche Kon-
flikte wie der im Kosovo dar.

Nein, inzwischen zeigt sich auch, dass den vielen,
meist innerstaatlichen Konflikten mit rein militärischen
Mitteln kaum beizukommen ist. Mehr und mehr greifen
wir auf Konzepte zurück, die in der UNO oder in deren
Umfeld entwickelt worden sind: Konzepte der multilate-
ralen Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung.
Ich denke, dies ist ein wichtiger Beitrag der UNO auch für
die europäische Sicherheitspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erinnere an dieser Stelle an den Anteil von 5 000
Polizisten bei den geplanten europäischen Krisenreakti-
onskräften. Ich erinnere an die immer enger werdende
Vernetzung zwischen Nichtregierungsorganisationen und
Regierungen, um Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lö-
sen. Ich glaube, das ist eine gute und wichtige Neuaus-
richtung europäischer Sicherheitspolitik, die stark von
dem Denken in den Vereinten Nationen profitiert hat.

Wenn dennoch die UNO im Millenniumsjahr in eini-
gen Kolumnen wieder einmal als bürokratischer, ineffi-
zienter Koloss kritisiert wurde, kann das nur heißen, dass
diese Kommentatoren nicht begriffen haben, dass die
Weltorganisation nun einmal die Heterogenität ihrer Mit-
gliedstaaten widerspiegelt. So sind zähflüssige Entschei-
dungen in der UNO nicht nur auf vermeintlich behäbige
UN-Beamte zurückzuführen, sondern häufig genug die

Folge nationaler Egoismen, die über die in der Charta der
Vereinten Nationen niedergeschriebenen Grundwerte ge-
stellt werden.

Auch sollten sich Parlamente und Regierungen so
lange mit ihrer Kritik an UN-Operationen zurückhalten,
wie sie nicht bereit sind, angemessene freiwillige Leis-
tungen, aber auch Pflichtbeiträge für den ordentlichen
Haushalt und die Friedensmissionen in vollem Umfang zu
zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So müssen wir den großen Beitragsschuldnern deutlich
sagen, dass man nicht einerseits die Vereinten Nationen
mit Aufgaben überfrachten, sie andererseits aber gleich-
zeitig in eine finanzielle Handlungsunfähigkeit führen
bzw. die Zahlung von Pflichtbeiträgen von der Erfüllung
von Bedingungen abhängig machen kann.

Ich erinnere an die unglücklich verlaufene Wahl der
Mitglieder der Menschenrechtskommission. Wir bedau-
ern, dass die USAnicht in dieses Gremium hineingewählt
wurden. Wir glauben auch, dass es wichtig ist, dass sich
Europa mit seinen wichtigen transatlantischen Partnern
abstimmt. Dennoch darf das Scheitern der Amerikaner bei
dieser Wahl nicht dazu führen, dass das US-Repräsentan-
tenhaus die Begleichung der Beitragsschulden in Höhe
von 244 Millionen US-Dollar von einer Wiederwahl in
dieses wichtige Gremium abhängig macht. Sitz und
Stimme in den UN-Gremien sind nicht käuflich und dür-
fen dies auch nie werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um nicht in den Verdacht des Pharisäertums zu gera-
ten, indem wir nur das Beitragsverhalten anderer Staaten
kritisieren, haben vier der fünf Fraktionen im Bundestag
in ihrem gemeinsamen Antrag mit dem Titel „Die Verein-
ten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“ ge-
fordert, dass Deutschland mittelfristig wieder angemes-
sene freiwillige Beiträge an VN-Fonds und -Programme
entrichtet. Diesen Appell richte ich heute nicht nur an die
Bundesregierung, sondern auch an unsere Haushälter, bei
denen manchmal das Verständnis für multilaterales Enga-
gement nicht so sehr ausgeprägt ist.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das stimmt nicht!)


– Anwesende Haushälter nehme ich selbstverständlich
aus.

Zu einer konstruktiven UN-Politik, die übrigens auch
in unserem nationalen Interesse liegt, gehört, dass sich
unser Land weiterhin für den Erhalt des Friedens enga-
giert – dies sowohl mit Methoden der Konfliktprävention
als auch durch die Beteiligung an friedenserhaltenden
Maßnahmen. Ich darf einmal daran erinnern, dass wir
Anfang der 90er-Jahre einen Paradigmenwechsel vorge-
nommen haben, indem wir gesagt haben: Deutschland
kann sich an solchen Operationen beteiligen. Das war ein
sehr schwerer Prozess für einige Fraktionen in diesem
Haus. Wir haben seit Kambodscha 1991 inzwischen mehr
als 3,3 Milliarden DM aufgewendet, viele Tausende Sol-
daten in diese Friedensmissionen geschickt und an vielen
Stellen auch sehr viel Erfolg gehabt.




Präsident Wolfgang Thierse

17469


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerade wegen unseres Engagements unterstützen wir
auch die Forderung der Brahimi-Kommission, Einsätze
durch den Sicherheitsrat nur dann zu beschließen, wenn
auch eine langfristige Finanzierung gesichert ist und eine
tragfähige Einsatzplanung vorliegt. Diese Klarheit sind
wir unseren Soldaten, den bedrohten Menschen, denen
wir ja Schutz vor Verfolgung bieten wollen, aber nicht zu-
letzt auch dem Steuerzahler schuldig.

Deutschland ist an einer weiteren Verrechtlichung der
internationalen Beziehungen im Rahmen der UNO inte-
ressiert. Ich glaube, das teilen alle Fraktionen in diesem
Haus. Das Recht der Stärke sollte mehr von der Stärke des
Rechts abgelöst werden.

Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Ver-
handlungen und der Ratifizierung zum Internationalen
Strafgerichtshof aus meiner Sicht vorbildlich verhalten.
Nachdem wir einer Ratifizierung des Römischen Statuts
im Deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit zuge-
stimmt haben, sollten wir jetzt auch andere Parlamente er-
muntern, diesen Schritt zu tun.

Die Vorbehalte unserer amerikanischen Freunde gegen
die Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs sind
nach meiner Auffassung unbegründet. Weder kann ich die
Gefahr einer Instrumentalisierung des Gerichtes erken-
nen, noch sind die Verfahrensrechte der Angeklagten
dürftig. Zunächst einmal wird das nationale Gericht tätig,
bevor der Internationale Strafgerichtshof angerufen wird.
Ich glaube, dass das Römische Statut in jeder Hinsicht mit
einer modernen westlichen Strafprozessordnung kompa-
tibel ist. Deswegen kann ich diese Vorbehalte nicht nach-
vollziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir ist insbesondere unverständlich, warum das US-
Repräsentantenhaus mit seinem „American Service-
Members‘ Protection Act“ jetzt jene Staaten mit Sanktio-
nen bestrafen will, die das Römische Statut zu ratifizieren
beabsichtigen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich appelliere daher an dieser Stelle an unsere Kollegen
im amerikanischen Kongress, die Einrichtung des Inter-
nationalen Strafgerichtshofs nicht weiter zu behindern.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


In der Vergangenheit waren nämlich die Vereinigten Staa-
ten – sie haben eine ganz andere Tradition – vorbildlich an
der strafrechtlichen Verfolgung schwerster Verbrechen
gegen die Menschlichkeit beteiligt. Ich denke zum Bei-
spiel an die Tribunale in Nürnberg, in Tokio oder Den
Haag. Eine gegen den Internationalen Strafgerichtshof
gerichtete Obstruktion würde daher dem Anspruch Ame-
rikas entgegenstehen, für Freiheit, für Demokratie und
Wahrung der Menschenrechte weltweit einzutreten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wenn man in Deutschland
über die UNO redet, wird einem jeder Journalist sofort die

Gretchenfrage stellen: Wie haltet ihr es denn nun mit dem
ständigen Sitz im Sicherheitsrat? Ich glaube, dies ist
keine primäre Frage deutscher Außenpolitik. Wie in allen
Bereichen der Vereinten Nationen wollen wir auch die Re-
formbemühungen des Sicherheitsrates unterstützen, um
dieses Gremium den Anforderungen des 21. Jahrhunderts
anzupassen. Wenn hierfür ein ständiger Sitz Deutschlands
im Weltsicherheitsrat hilfreich ist, werden wir diesen gern
einnehmen.

Mit einer Weiterentwicklung des EU-Vertragswerkes
sind aber auch andere Optionen denkbar, die wir nicht von
vornherein ausschließen wollen. Bevor im New Yorker
Hauptquartier das letzte „window of opportunity“ zu-
geschlagen wird, sollten alle Beteiligten begreifen, dass
es bei dieser Frage weniger um Prestige als vielmehr um
Verantwortung geht. Dieser wollen wir uns in dieser
Frage, aber auch in anderen Fragen bezüglich der Verein-
ten Nationen stellen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417711500
Nächste Rednerin ist
für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Erika
Reinhardt.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1417711600
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist fünf Mi-
nuten vor zwölf, also höchste Zeit für eine Gesamtstrate-
gie zur Bekämpfung von HIV/Aids. Ich spreche zu dem
Antrag der Regierungskoalition „Aids-Bekämpfung in
den Entwicklungsländern fördern“, der uns hier vorliegt.
Das ist etwas, was man nur unterstützen kann. Es ist alles
hervorragend formuliert. Aber es ist nicht mehr und nicht
weniger als ein Antrag, der im Grunde genommen die Pa-
piere der Vereinten Nationen und des Wissenschaftlichen
Dienstes hier im Hause zusammenfasst. Dieser Antrag ist
eine hervorragende Zusammenfassung des aktuellen
Standes der Aids-Epidemie.

In dieser Arbeit wird die Dramatik des Problems ohne
Zweifel deutlich. Nur, daraus muss man Konsequenzen
ziehen und daraufhin muss man konkrete Forderungen
stellen. Der vorliegende Antrag umschreibt zwar, was zu
tun wäre, aber sonst nichts. Es genügt jedoch nicht, ledig-
lich Absichten zu erklären und zu begrüßen, sondern man
muss schon etwas fordern, was konkretes Handeln be-
trifft. In diesem Regierungsantrag ist aber eigentlich alles
offen.

Es ist klar: Forderungen haben natürlich auch Konse-
quenzen, was die Finanzen betrifft. Aber beides ist not-
wendig. Der Antrag ist diesbezüglich nichts als heiße
Luft.

Sie begrüßen den Umfang der Mittel, die die Bundes-
regierung bis 1999 für bilaterale Projekte der Aids-
Bekämpfung zur Verfügung gestellt hat. Auch ich begrüße
das ausdrücklich. Es waren Mittel in Höhe von fast
400 Millionen DM. Nur zu Ihrer Erinnerung: Das war
noch unter einer CDU/CSU-Regierung.




Dr. Eberhard Brecht
17470


(C)



(D)



(A)



(B)


Für die Haushalte 2000 und 2001 nennt der Antrag
schöne Zahlen, die ich Ihnen gerne genauer erläutern
möchte. Ein Etat zur bilateralen Aids-Bekämpfung existiert
aber überhaupt nicht. Die Mittel zur Aids-Bekämpfung
stecken in erster Linie in den Bereichen „Soziale Grund-
dienste“ und „Bevölkerungspolitik“. Die sozialen Grund-
dienste aber, die sich in der 20/20-Regelung von Kopenha-
gen niederschlagen, haben im BMZ-Haushalt weiterhin
keine angemessene Bedeutung, im Gegenteil: Im vergan-
genen Jahr wurde hier ein neuer Tiefstand erreicht.

Auch die Mittel, die der Bevölkerungspolitik zugute
kommen sollen, sind gesunken: von 137,5 Millionen DM
im Jahre 1999 auf 45 Millionen DM im Jahre 2000. Das
sind konkrete Zahlen, die Ihnen zu denken geben müss-
ten. Selbst trotz der nun angekündigten Erhöhung der
BMZ-Mittel für soziale Grunddienste kann von einer an-
gemessenen Steigerung überhaupt keine Rede sein. In Re-
lation zum sektoral aufteilbaren Betrag der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit sinkt der Anteil der sozia-
len Grunddienste weiter. Sie hätten die Möglichkeit ge-
habt, in Ihrem Antrag konkrete Forderungen zu stellen.

Wer es mit der Aids-Bekämpfung ernst meint und nicht
nur Schönrederei betreiben will, muss – vor allem im
Haushalt – handeln. Natürlich, wir wissen alle: Es gibt
kein Patentrezept gegen Aids. Deshalb ist es wichtig, in
den Entwicklungsländern darauf hinzuwirken, dass die
Aids-Bekämpfung ein Bündel von Maßnahmen umfasst:
Prävention, Bewusstseinsbildung, Therapie und natürlich
Impfstoffforschung. Nur im Verbund dieser Maßnahmen
werden wir in den Entwicklungsländern Erfolg haben.

Im vorliegenden Antrag ist ein in meinen Augen ent-
scheidender Schritt zur Aids-Bekämpfung nicht vorhan-
den.

Meine Damen und Herren, was die Welt dringend
braucht, ist ein Aids-Impfstoff. Im November 2000 ha-
ben die Entwicklungsminister in Brüssel angekündigt, die
Impfstoffentwicklung für Entwicklungsländer zu forcie-
ren. Auch hier gilt: Den Ankündigungen müssen Taten
folgen. Fakt ist aber: Ende des Jahres 2000 ist die Bun-
desförderung für die Aids-Impfstoffforschung ausgelau-
fen. Die Entscheidung über eine neue Bundesförderung
liegt bis heute nicht vor. Also auch hier heiße Luft und
nicht mehr.

Die Deutsche Aids-Stiftung rechnet mit einem Bedarf
an Bundesmitteln für die Impfstoffforschung in Höhe von
350 Millionen DM bis zum Jahr 2007. Wie gedenkt die
Bundesregierung, sich hier einzubringen? Wenn Ende
Juni in New York die Sondergeneralversammlung zu Aids
einen Aidsfonds beschließt, dann muss dieser Aidsfonds
auch ein Impuls für die Impfstoffforschung sein. Warum
ist das nicht Teil einer offiziellen Strategie für New York?
Warum taucht dieser Sachverhalt in Ihrem Antrag über-
haupt nicht auf? Da muss man sich schon fragen: Wie
ernst meinen Sie es eigentlich mit diesem Antrag, wenn
Sie hier keine konkreten Forderungen stellen?

Die Bundesregierung geht konzeptlos und ohne Strate-
gie nach New York. Das ist so.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nur, weil Sie das feststellen, oder wie ist das?)


Es ist nicht gelungen, national zu einer abgestimmten Posi-
tion, ja nicht einmal zu einer Abstimmung in Schwer-
punktbereichen zu gelangen. Es ist noch weniger gelungen,
im Rahmen der Europäischen Union zu einer abgestimm-
ten Position beizutragen. Auch im vorliegenden Antrag ist
der Bedeutung einer EU-weit abgestimmten Strategie ge-
gen Aids/HIV nicht Rechnung getragen worden.

Ferner wissen wir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht,
wie der Aidsfonds, um den es in New York ja auch gehen
wird, nach Meinung der Bundesregierung aussehen soll,
welche Aufgaben er erfüllen soll. Darüber gibt es in dem
Antrag überhaupt keine Aussage. Dort gibt es nur die Aus-
sage, man solle sich bemühen, einen Fonds einzurichten;
aber etwas Konkretes ist auch hier nicht zu finden.

Noch weniger wissen wir darüber, in welchem Umfang
sich die Bundesregierung an diesem Aidsfonds beteiligen
wird. Auch dazu ist bisher nichts gesagt worden. Sie se-
hen also: 1 000 Fragen, die offen bleiben.

Wenn ich heute aus Regierungskreisen höre, dass die
Haltung der Bundesregierung in New York reaktiv sein
werde, dann heißt das doch im Klartext: Wir haben keine
Strategie, wir haben keine Vorschläge, wir sind einfach
nicht vorbereitet.

Das ist noch weniger als wenig; das ist eigentlich
nichts. Die Hausaufgaben sind nicht gemacht. Ein Antrag
macht nur dann Sinn, wenn er auch Substanz hinsichtlich
einer Umsetzung enthält. Absichtserklärungen helfen
niemandem weiter. In Ihrem Antrag finden sich viele
große Worte, alles wichtig und richtig.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hatten wir hier doch schon zweimal!)


Der Antrag ist an sich hervorragend formuliert; eine bes-
sere Zusammenfassung kann man gar nicht bekommen.
Aber welche Konsequenzen daraus gezogen werden sol-
len, bleibt offen; diese Antwort bleiben Sie schuldig.
Ohne konkrete Handlungsverpflichtungen für die Bun-
desregierung ist ein solcher Antrag Makulatur.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hatten wir jetzt schon dreimal! Ich finde, das sollten Sie jetzt noch ein viertes Mal sagen!)


– Das macht nichts. Wenn Sie das gerne hören wollen,
sage ich es gerne noch ein viertes Mal. Er ist Makulatur.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dadurch wird es allerdings nicht deutlicher und besser!)


– Es wird nicht besser; da haben Sie Recht.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt! Genau!)

Es wird dadurch leider Gottes nicht besser. Ich würde
mich freuen, wenn es besser würde.

Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme ent-
halten, weil uns die Sache zu wichtig ist. Wir halten die
Aidsbekämpfung für eine ganz wichtige Maßnahme; aber
es kann nicht sein, dass nur große Reden gehalten werden
und dahinter keine Forderungen stehen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nummer fünf!)





Erika Reinhardt

17471


(C)



(D)



(A)



(B)


– Ich weiß, Sie hören es nicht so gern.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417711700
Jetzt spricht die Kol-
legin Rita Grießhaber für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417711800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las-
sen Sie mich zuallererst ein ganz herzliches Dankeschön
an Eberhard Brecht sagen. Er hat unseren Unterausschuss
„Vereinte Nationen“ wirklich wunderbar kollegial und
mit großer Umsicht geführt. Es war ein schwieriges
Thema, es war viel einzubinden, ein breites Themenspek-
trum. Es war immer ein sehr, sehr angenehmes Klima. Ein
herzliches Dankeschön!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)


Die Vereinten Nationen stehen vor immensen Heraus-
forderungen und wichtigen Entscheidungen, ob nun hin-
sichtlich der Armuts- und Aidsbekämpfung, der Umset-
zung des Kioto-Protokolls oder insbesondere des Schutzes
von Frieden und Sicherheit. Heute haben die Vereinten Na-
tionen als Hüterin des Weltfriedens mehr denn je große Be-
deutung. Die Mitgliedstaaten – das sind wir alle – sind
gefordert, Abrüstungsinitiativen, Krisenprävention und
Frieden schaffende und erhaltende Maßnahmen mitzu-
tragen.

Friedenssicherung heute ist mit dem klassischen „peace-
keeping“ nicht mehr gleichzusetzen. Heutzutage spielt sich
die Mehrheit von Konflikten innerhalb der Staaten, oft als
Bürgerkriege, ab. Heutzutage müssen die Vereinten Natio-
nen eingreifen, um Hungersnöte, Massenmigration und
drohenden Genozid zu verhindern. Obwohl es Erfolge
gibt – Eberhard Brecht hat darauf hingewiesen –, prägen
doch eher die schlimmen Misserfolge das Erscheinungs-
bild der Vereinten Nationen in der Weltöffentlichkeit.

Ich erinnere hier nur an Ruanda. Ruanda oder Ostti-
mor illustrieren ein Dilemma: Obwohl die Vereinten Na-
tionen über ein ausgebautes Frühwarnsystem verfügen,
kommt es oft nicht zu den notwendigen Einsatzentschei-
dungen. So groß das Erschrecken über Gräueltaten in sich
destabilisierenden oder auseinander fallenden Staaten ist,
so groß sind die Zweifel und vor allem die Angst davor,
sich in unlösbare Konflikte zu verstricken. Ebenso groß
ist die Ungewissheit, ob tatsächlich Chancen bestehen,
Schlimmeres zu vermeiden.

Interventionspolitik ist ein Wort, bei dem viele zusam-
menzucken. Aber oft genug beklagen wir hinterher die Op-
fer und müssen uns dann im Nachhinein fragen: Wie hätte
man sie verhindern können? Bei jedem Eingriff wägen wir
zu Recht skeptisch ab: Muss er wirklich sein? Können wir
nicht noch abwarten? Immer öfter gerät die internationale
Staatengemeinschaft in solche Entscheidungszwänge. Ich
denke hier als Beispiel an den in den nächsten Wochen
oder Monaten bevorstehenden Einsatz in Mazedonien. So
sehr wir alle Empfehlungen aus dem Brahimi-Bericht be-

grüßen, so schwer tun wir uns, rechtzeitig ausreichende
Mittel und Personal zur Verfügung zu stellen, wenn die
Vereinten Nationen rufen.

Vor zwei Tagen haben die Vereinten Nationen zum ers-
ten Mal den Weltflüchtlingstag begangen. Für uns ist
klar: Wer Flucht verhindern will, muss vor allen Dingen
die Ursachen von Flucht angehen, aber auch nach kriege-
rischen Auseinandersetzungen einen Rahmen zur Kon-
fliktbearbeitung und -bereinigung bieten. Deshalb ist es
uns so wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof
seine Arbeit endlich aufnehmen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich hoffe, dass es im amerikanischen Senat keine
Mehrheit für den Gesetzesvorschlag zum Schutz der ame-
rikanischen Streitkräfte geben wird.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

Diesem Versuch, den Strafgerichtshof nicht nur zu torpe-
dieren, sondern durch Einschüchterung auch Dritte von
der Ratifizierung abzuhalten, wird die Europäische Union
auch weiterhin mit vereinter Stimme entgegentreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P.)


Hochaktuell ist die Entwicklung im Falle Irak. Schon
lange ist eine neue Sanktionspolitik gegenüber dem Irak
überfällig. Wir alle wissen, dass Saddam Hussein die Zi-
vilbevölkerung zu seiner Geisel gemacht hat, während das
Regime selbst von den Sanktionen profitiert. Auch das
aufgelegte Programm der Vereinten Nationen „Öl gegen
Nahrungsmittel“ hat Saddam Hussein nicht für seine Be-
völkerung genutzt.

Im Februar dieses Jahres hat Außenminister Powell un-
serem Außenminister einen Richtungswechsel in der Irak-
Politik zugesagt. Jetzt gibt es konkrete Pläne der Regie-
rungen Großbritanniens und der USA – seit gestern auch
einen Vorschlag der Franzosen –, in welchem die Idee in-
telligenter, gezielter Sanktionen aufgegriffen wird. Das ist
der lang erhoffte Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wichtig ist dabei aber, weiterhin zu verhindern, dass
der Irak in die Lage versetzt wird, Massenvernichtungs-
waffen zu produzieren. Die internationale Gemeinschaft
darf das Ziel, die Proliferation zu vermeiden, nicht aufge-
ben. Insgesamt braucht die ganze Region ein Sicherheits-
arrangement. Es tut gut, dass mit der Person Kofi Annans
die Vereinten Nationen endlich auch in Israel willkommen
sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Aufgaben der Vereinten Nationen in der globalen
Welt werden zahlreicher und schwieriger. Sie selber ha-
ben viel getan, um mit den Mitteln sparsamer und effizi-
enter umzugehen. Bei vielen Organisationsproblemen ist
es dem Generalsekretär gelungen, mit pragmatischen
Reformschritten eine Menge zu verbessern. Letztlich liegt




Erika Reinhardt
17472


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(D)



(A)



(B)


es an uns, an allen Mitgliedstaaten, die VN mit ganzer
Kraft zu unterstützen. Das tun wir gerne.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417711900
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1417712000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag, über den wir
heute beraten, wird die Bundesregierung aufgefordert, das
deutsche Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen
zu verstärken. Das ist aus Sicht der F.D.P.-Fraktion ein
dringendes Anliegen. Deshalb freue ich mich, dass es zum
Schluss doch noch gelungen ist, diesen Antrag interfrak-
tionell einzubringen.

Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, die aus unse-
rer Sicht von besonderer Bedeutung sind. Dazu gehört ein
Punkt, der bisher noch nicht angesprochen worden ist. Da
andere Staaten im Vergleich zu ihren Pflichtbeiträgen und
freiwilligen Leistungen eine überproportional starke per-
sonelle Repräsentanz in den Vereinten Nationen aufwei-
sen, ist nach meiner Meinung eine engagiertere deutsche
Personalpolitik in der Tat dringend geboten, die der Be-
deutung Deutschlands im VN-System gerecht wird. Ich
denke, darum sollten Sie sich kümmern, Herr Außenmi-
nister.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Insbesondere ist auch ein stärkeres deutsches Enga-

gement bei den längst überfälligen UN-Reformen not-
wendig.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Sicherheitsrat hat aus Sicht meiner Fraktion dabei
eine herausragende Bedeutung. Bei den Konflikten in
Bosnien und im Kosovo ist nämlich überdeutlich gewor-
den, dass Handlungsfähigkeit jedenfalls etwas anderes ist
als das, was dort stattgefunden hat. So müssen insbeson-
dere die fünf ständigen Mitglieder bei den Reformen stär-
ker in die Pflicht genommen werden. Für meine Fraktion
führt der Weg zu einem handlungsfähigen und glaubwür-
digen Sicherheitsrat über seine Erweiterung nach einem
regionalen Schlüssel. Eine vernünftige Grundlage dafür
bietet der Razali-Plan von 1997.

Wenn aber eine Anpassung der Zusammensetzung des
Sicherheitsrates an die weltpolitischen Realitäten des
21. Jahrhunderts, wie Sie, Herr Dr. Brecht, es formuliert
haben, erfolgen soll, dann ist aus unserer Sicht auch ein
ständiger deutscher Sitz im Sicherheitsrat unerlässlich;


(Beifall bei der F.D.P.)

denn Realität ist auch, dass Deutschland als drittgrößter
Beitragszahler und als große Handelsnation seit der Wie-
dervereinigung weltweit zusätzliche Verantwortung über-
nommen hat. Dies sieht die weit überwiegende Mehrheit
der Staatengemeinschaft so. Deshalb ist es aus unserer
Sicht enttäuschend, dass sich die Regierungskoalition

noch immer nicht zu einem klaren Bekenntnis zur deut-
schen Kandidatur durchringen kann.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Da kann man doch gar nicht kandidieren!)


Es wäre für uns deswegen wünschenswert gewesen,
wenn in dem gemeinsamen Antrag eine deutlichere Auf-
forderung an die Bundesregierung aufgenommen worden
wäre. Stattdessen findet sich dort nur der Hinweis auf die
halbherzige Äußerung des Bundeskanzlers, Deutschland
sei bereit, „Verantwortung für Frieden und internationale
Sicherheit zu übernehmen“.

Für uns ist auch die Straffung und Verbesserung der Ef-
fizienz von Friedensmissionen im Sinne des Brahimi-
Reports von besonderer Bedeutung. Im Antrag wird be-
grüßt, dass die Bundesregierung den Vereinten Nationen
ein ziviles und militärisches Stand-by-Angebot unterbrei-
tet hat. Aber dabei ist für uns ganz klar, dass sich Deutsch-
land nur nach vorheriger Zustimmung des Deutschen
Bundestages derartige Verpflichtungen auferlegen kann.
Hier trägt der interfraktionelle Antrag ganz deutlich die li-
berale Handschrift. Das haben Sie zuerst nicht so gesehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Besonders erwähnenswert erscheint mir auch die For-

derung nach einer stärkeren Rolle für das Flüchtlingswerk
UNHCR. Dies ist vernünftig, bedeutet jedoch logischer-
weise auch, dass die deutschen Beiträge für den UNHCR,
aber auch für UNICEF oder für UNRWA nicht weiter
gekürzt, sondern aufgestockt werden müssen. Dafür wer-
den wir uns bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen
mit Nachdruck einsetzen, so wie wir es schon bei den letz-
ten Haushaltsberatungen getan haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich möchte nur kurz auf den Internationalen Strafge-

richtshof eingehen und mich ansonsten den Ausführun-
gen meiner Vorredner anschließen. Auch die F.D.P.-Bun-
destagsfraktion hat absolut kein Verständnis für die
Haltung des US-amerikanischen Senats. Wir hoffen, dass
der Internationale Strafgerichtshof bald arbeitsfähig sein
wird.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir behandeln heute auch einen Antrag der Koaliti-
onsfraktionen zur Bekämpfung von Aids in den Entwick-
lungsländern. Die Kollegin Reinhardt hat sich ja schon
sehr ausführlich mit diesem Antrag auseinander gesetzt.
Ich möchte für meine Fraktion sagen, dass wir diesen An-
trag unterstützen, weil wir ihn für wichtig halten. Aber wir
müssen auch feststellen, dass es unredlich ist, solche An-
träge zu formulieren und gleichzeitig existenzielle Ein-
schnitte im Entwicklungshilfeetat vorzunehmen. Das
passt einfach nicht zusammen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das gilt über den Antrag zur Bekämpfung von Aids in

den Entwicklungsländern hinaus. Aus unserer Sicht sollte
neun Monate nach dem Millenniumsgipfel endlich die




Rita Grießhaber

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(D)



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(B)


konkrete Umsetzung der Millenniumserklärung begin-
nen. Wie so etwas aber beispielsweise bei der Armutsver-
ringerung auf nationaler Ebene aussieht, zeigte sich am
vorletzten Mittwoch. Mit weiteren massiven Kürzungen
im Etat des BMZ kann Deutschland nach außen nicht
glaubwürdig ein ernsthaftes Engagement für eine welt-
weite Armutsverringerung geltend machen. Daran kön-
nen auch die 100 Millionen Euro, die Bundesministerin
Wieczorek-Zeul dem Finanzminister in letzter Minute
abgerungen hat, nichts ändern. Diese Mittel sind aus un-
serer Sicht reine Kosmetik. Gemessen an dem hohen
moralischen Anspruch, mit dem diese Regierung ange-
treten ist, ist das schon ein derber Offenbarungseid.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Carsten Hübner [PDS]: Aber die F.D.P. will das BMZ doch ganz abschaffen!)


Wenn wir für eine stärkere Rolle der Vereinten Natio-
nen in der Entwicklungspolitik plädieren, dann muss
Deutschland verstärkt für die Global-Compact-Initia-
tive von Generalsekretär Kofi Annan eintreten. Für uns ist
wichtig, dass alle damit verbundenen Aufgaben in Zu-
sammenarbeit mit unseren europäischen Partnern effizi-
ent bewältigt werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat
dazu einen eigenen Antrag eingebracht, über den wir
heute in erster Lesung im Plenum beraten. Zwar kann ich
aus Zeitgründen nicht näher darauf eingehen; aber wir
werden noch Gelegenheit haben, uns damit detailliert zu
befassen.

Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Wir wer-
den den PDS-Antrag ablehnen. Dem interfraktionellen
Antrag werden wir aus liberaler Sicht zustimmen, obwohl
er manche Schwäche – die eine oder andere habe ich
schon genannt; zusätzlich gilt das zum Beispiel im Hin-
blick auf die Unabhängigkeit der Bretton-Woods-Institu-
tionen – aufweist. Wir sind der Meinung: Für Klein-
kariertheiten ist die Zukunft der Vereinten Nationen
einfach zu wichtig; deshalb werden wir diesem Antrag
trotzdem zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417712100
Das Wort für die PDS-
Fraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417712200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ehe ich mich mit den vorlie-
genden Anträgen im Einzelnen auseinander setze, möchte
ich uns alle daran erinnern, dass wir diese Debatte an ei-
nem historischen Datum, nämlich am 60. Jahrestag des
Überfalls auf die Sowjetunion, führen. Die Niederlage
des deutschen Faschismus und die Befreiung der europä-
ischen Völker vom Faschismus waren zugleich die
Gründungsvoraussetzung für die Vereinten Nationen.
Auch auf diese Umstände muss man in dieser Debatte
aufmerksam machen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Lehren aus dem faschistischen Krieg und die Be-
freiung vom Faschismus waren im Hinblick auf die Grün-
dung der Vereinten Nationen konstituierende Momente.
„Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“ sind
Grundgedanken der Charta derVereinten Nationen und
auch, wie ich ausdrücklich sagen möchte, unseres Grund-
gesetzes.

Zeit und Anlass der heutigen Bundestagsdebatte geben
nicht die Chance, über die wechselvolle Geschichte der
Vereinten Nationen etwas ausführlicher zu sprechen; des-
wegen möchte ich uns einiges nur sehr knapp, sozusagen
in Stichworten, in Erinnerung rufen. Man kann feststellen,
dass die Charta der Vereinten Nationen Krieg als Mittel
der Politik ausschließt und Gewalt, selbst die Androhung
von Gewalt aus dem Zusammenleben der Völker verban-
nen will. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die
Vereinten Nationen nicht nur die Frage nach einem dau-
erhaften Frieden, sondern auch die Frage nach einem ge-
rechten Frieden – sozialer Ausgleich, Kampf gegen Hunger
und Armut, Verhinderung ökologischer Katastrophen –
stellen. Die Vereinten Nationen sind, wenn man so will,
ein weltweiter runder Tisch der Staaten und – Gott sei
Dank – in zunehmendem Maße auch der Völker.

Jetzt zu den Anträgen selbst: Der Antrag von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. beschäf-
tigt sich aus meiner Sicht primär mit der Frage, wie
Deutschland in den Vereinten Nationen eine größere Rolle
spielen kann. Der Antrag meiner Fraktion hat das Ziel, die
Autorität der Vereinten Nationen selbst zu stärken.


(Beifall bei der PDS)

Das ist der grundsätzliche Unterschied beider Anträge.

Ich habe mich oft geärgert – das gebe ich zu –, wenn
meine Fraktion nicht eingeladen worden ist, solche inter-
fraktionellen Anträge mitzugestalten.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Da hätten Sie nur in den Ausschuss kommen müssen! – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Sie waren nie im Ausschuss!)


Was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, spiegelt
dieses Verhalten die politischen Mehrheitsverhältnisse
und Denkweisen in diesem Hause realistisch wider. Wir
haben es eben in der Außen- und Sicherheitspolitik mit ei-
ner größtmöglichen grundsätzlichen Koalition der vier
Parteien und einer Oppositionspartei, der PDS, zu tun.


(Zuruf von der SPD: Auf der einen Seite wird immer gedacht und auf der anderen Seite nicht)


Deswegen kommen in diesen Fragen so wenig überein-
stimmende Positionen zusammen. Ich möchte das aus-
drücklich festhalten; auch Herr Müntefering spricht ja im-
mer davon und ich möchte ihn in dieser Frage bestätigen.


(Zuruf von der SPD: Wenn Sie sich mal zur Abwechslung die Realitäten anschauen würden.)


Wenn man sich die einzelnen Anträge ansieht, muss
man feststellen, dass beide Anträge davon sprechen, dass
die Regeln des Völkerrechts gestärkt werden sollten,
wofür die Charta der Vereinten Nationen verbindlich sein




Birgit Homburger
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(C)



(D)



(A)



(B)


sollte. Der PDS-Antrag fügt hinzu: ohne Ausnahme. Ich
finde, wenn die Bundesregierung es mit diesem Thema
ernst meint, muss sie erklären, dass sie zumindest die
Charta der Vereinten Nationen einhält und an keiner Mi-
litäraktion teilnimmt, die nicht in voller Übereinstim-
mung mit dem Sicherheitsrat und auf Beschluss des Si-
cherheitsrates unternommen wird; das muss ohne
Ausnahme gelten. Nach dieser Logik müsste dann auch
die neue NATO-Doktrin, das neue strategische Konzept
der NATO, vom Tisch.

Beide Anträge sprechen von der Notwendigkeit der
Abrüstung. Die PDS schlägt vor, die UN-Konferenz zur
nuklearen Abrüstung in Deutschland auszurichten und
sich zusätzlich den US-Raketenplänen und einer Mili-
tarisierung des Weltraums zu widersetzen.

Der interfraktionelle Antrag will einen deutschen Sitz
im VN-Sicherheitsrat erreichen. Die PDS ist davon
überzeugt, dass es besser wäre, Afrika, Lateinamerika und
Asien im Weltsicherheitsrat zu stärken.

Die PDS hält es für notwendig, den Vereinten Nationen
bessere Instrumente zur Regulierung internationaler Fi-
nanzmärkte zu geben. Seitdem Lafontaine weg ist, macht
sich auch die SPD über solche Punkte keine Gedanken
mehr. Der Antrag jedenfalls schweigt sich dazu aus.

Die PDS schlägt weiterhin vor, Deutschland soll seine
Möglichkeiten nutzen, um auf die USA einzuwirken, ihre
Politik der Unterhöhlung und der Blockade der Vereinten
Nationen zu beenden. Im Vierer-Antrag kommt dieses
Problem noch nicht einmal zum Ausdruck. Das sind
grundsätzliche Differenzen in der Außenpolitik und des-
wegen geht auf diesem Feld wenig zusammen.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Daher hätten wir auch keinen gemeinsamen Antrag hinbekommen!)


Abschließend möchte ich dem Kollegen Brecht, der
mich gerade kritisiert, für seine künftige Arbeit als Ober-
bürgermeister alles Gute wünschen. Man hat sich im
Hause aneinander gewöhnt und ich muss sagen: Ich werde
Sie vermissen.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417712300
Das Wort hat der Bun-
desminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417712400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mich den besten Glückwünschen und der Danksagung an
den Kollegen Brecht anschließen, der über viele Jahre
hinweg Vorsitzender des Unterausschusses „Vereinte Na-
tionen“ war. Ich möchte Ihnen für die Zusammenarbeit
recht herzlich danken und für Ihr neues Amt als Oberbür-
germeister der wunderbaren Stadt Quedlinburg alles Gute
wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Einen Satz zu meinem geschätzten Kollegen Gehrcke:

Sie haben Recht, unsere Positionen gehen nicht zusam-
men. Ich glaube, es besteht ein sehr tiefer Unterschied in
der Frage der Westbindung Deutschlands und der Inter-

pretation dessen, was dies tatsächlich bedeutet und wel-
che Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Die PDS hat in
dieser Frage eine andere Position. Ich würde aber nicht so
weit gehen zu behaupten, sie sei deshalb die einzige Op-
position. Sie vertritt vielmehr eine falsche Position. Ich
sehe voraus, dass Sie diese Position nach und nach korri-
gieren werden. Sie haben es ja auf einem Parteitag – das
ist sehr schwierig; ich kenne das Geschäft – bereits ver-
sucht.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Ich will Ihnen nur sagen, Herr Gehrcke: Ich nehme an, da
ich Sie sehr schätze und für einen klugen Mann halte, dass
Sie es weiter versuchen werden.

Es ist völlig richtig, auf das Datum des heutigen Tages
hinzuweisen. Es ist der Jahrestag des Überfalls von Nazi-
Deutschland auf die damalige Sowjetunion. Es war nicht
der Beginn des Zweiten Weltkrieges; aber es war der Be-
ginn des brutalsten, barbarischsten Abschnitts des Zwei-
ten Weltkrieges und der definitive Weg in die Selbstzer-
störung, der unzählige Menschen – man muss hinzufügen:
auch sehr viele unserer Landsleute – auf furchtbare Art
und Weise das Leben gekostet hat. Man muss auch he-
rausstellen, dass es eines Krieges, das heißt eines bewaff-
neten Widerstandes, des Kampfes gegen den National-
sozialismus, gewissermaßen bis zur letzten Patrone, bis
nach Berlin, bis in dieses Gebäude, bedurfte. Dass wir
heute eine deutsche Demokratie haben und wiederverei-
nigt in Frieden und Freiheit sind, verdanken wir der Tat-
sache, dass eine Nachkriegsordnung geschaffen wurde, zu
der zentral die Gründung der Vereinten Nationen, aber
auch die Westintegration, die NATO und die Europäische
Union gehören. Auch das muss man an einem solchen
Tage unterstreichen.

Bei aller Kritik: Es gibt nichts Besseres als die Verein-
ten Nationen. Sie sind einmalig. Insofern sind sie nicht
nur erhaltenswert, sondern auf ihre Rolle als Ausgleichs-
faktor zwischen den unterschiedlichen Interessen der
Staaten kann überhaupt nicht verzichtet werden. Gewiss
sind sie reformbedürftig. Aber was ist nicht reformbe-
dürftig auf dieser Welt? Sie sind erneuerungsbedürftig
und zugleich auch erneuerungsfähig. Die Vereinten Na-
tionen sind das Gremium, in dem die Interessen ausba-
lanciert werden, das im Wesentlichen den internationalen
Frieden und die internationale Entwicklung sowie den
Ausgleich des Unterschiedes zwischen Reich und Arm
garantiert. Sie sind das Gremium, das mehr und mehr, wie
ich hoffe, die Kraft erhält, über den internationalen Frie-
den zu wachen. Die Entscheidungsinstanz – das ist der
Sicherheitsrat – sollte so etwas wie ein internationales Ge-
waltmonopol erhalten, um den Frieden tatsächlich durch-
zusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Davon sind wir leider noch ein gutes Stück entfernt.

Da die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen,
wenn man es realistisch betrachtet, beschränkt ist, muss
man auch hinzufügen: Ich begrüße es, dass regionale Si-
cherheitsorganisationen – dazu gehören die NATO in
Europa, aber auch die regionalen Sicherheitsorganisatio-
nen im südlichen und im westlichen Afrika – mehr und




Wolfgang Gehrcke

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(C)



(D)



(A)



(B)


mehr in enger Kooperation mit den Vereinten Nationen
eine wichtige Rolle zu spielen beginnen. Darin erkenne
ich eine der zukünftigen Entwicklungen. Gerade in Asien,
wo es, wie wir feststellen müssen, ein Defizit an regiona-
ler Sicherheitstradition gibt, wo nicht in kooperativen
Sicherheitsstrukturen gedacht wird, entwickeln sich – das
können Sie sehr genau sehen – Krisen. Wir haben darüber
in der vorangegangenen Debatte gesprochen, aber Ähnli-
ches gilt auch für andere Bereiche in Asien. Kooperative
Sicherheit wird also mehr und mehr an regionale Organi-
sationen gebunden, die wiederum an die Vereinten Natio-
nen angebunden sind und sehr stark mit ihnen kooperie-
ren. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt.

Die Frage des internationalen Klimaschutzes hängt
ja eng mit der Rio-Konferenz zusammen. In Rio ging es
nicht nur um die Frage des globalen Umwelt- bzw. Kli-
maschutzes, sondern auch um globale Entwicklungschan-
cen. Warum müssen die reichen Industrieländer ihre
Emissionen von CO2 und anderen klimaschädlichen Stof-fen reduzieren? Weil Schwellenländer und unterent-
wickelte Länder ihre Entwicklungschance haben wollen
und haben müssen – so zumindest die Position der Bun-
desregierung. Deswegen ist es unabdingbar, dass wir an
diesem Prozess weiterarbeiten, dass wir das Kioto-Proto-
koll zum Klimaschutz wirklich in Kraft setzen und im-
plementieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Das gilt auch für die Beendigung der Blockade der Ver-
einten Nationen vonseiten der USA. Ich frage mich, ob,
wenn die PDS das in Washington vertreten wird, der Er-
folg durchschlagend sein wird und das wirklich zu einem
generellen Kurswechsel führen wird. Das zeigt, dass das
bisweilen nicht nur eine Frage der Überzeugung ist, son-
dern auch eine Frage der Gesprächsfähigkeit. Man muss
ein Interesse daran haben, diese zu erhalten, vor allen Din-
gen dann, wenn man es mit einem so wichtigen Partner
wie den Vereinigten Staaten zu tun hat. Wir hoffen, dass
wir bei allen Interessendifferenzen, um die man in der Tat
nicht herumreden muss, auch die USA noch überzeugen
können, eine Klimaschutzpolitik zu betreiben.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Bekämpfung der
Armut. Hier ist nach wie vor auf die Kölner Entschul-
dungsinitiative während der deutschen G-8-Präsident-
schaft zu verweisen. Diese ist meines Erachtens eine der
wichtigsten Initiativen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Hinzu kommt der Kampf gegen Aids. Dass Kofi Annan,
der Generalsekretär der Vereinten Nationen, jetzt einen
globalen Gesundheitsfonds einrichtet, halten wir für her-
vorragend. Wir werden über die deutsche Unterstützung,
auch was die privaten und die öffentlichen Anteile daran
betrifft, noch sehr intensiv beraten. Ich denke, wir werden
diese Initiative unterstützen.

Etwas Weiteres möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, noch sagen: Eine stärkere Rolle der Ver-
einten Nationen setzt mehr Geld voraus. Wir können

natürlich das übliche Spiel machen: Wir fordern zum ei-
nen in den Fachdebatten für alles mehr Geld – mehr Geld
für die Bundeswehr, mehr Geld für die Vereinten Natio-
nen, mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit,
mehr Geld für die auswärtige Kulturpolitik –, zum ande-
ren fordern wir Steuersenkungen und dieses und jenes für
die verschiedenen Sektoren, zum Beispiel für die Ver-
kehrspolitik, und dann, wenn wir einen Strich darunter
machen, stellen wir fest, dass dabei illusorische Zahlen
herauskommen. So etwas wird weder von der Bevölke-
rung noch von uns selber ernst genommen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Aus Ihnen wird noch ein Realist!)


– Im Gegensatz zu Ihnen bin ich schon lange ein Realist,
Herr Ramsauer.


(Heiterkeit bei der SPD)

Der entscheidende Punkt wird sein – insofern begrüße

ich diesen Antrag –, dass wir unsere freiwilligen Leis-
tungen in den Vereinten Nationen auf mittlere Sicht
wieder erhöhen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mir blutet das Herz, dass wir im Rahmen der Haushalts-
sanierung in diesem Bereich Kürzungen vornehmen
mussten. Sie können mir glauben, dass mir das Herz blu-
tet, wenn ich mir unsere Leistungen etwa bei der Flücht-
lingshilfe, bei UNICEF und an vielen anderen Punkten
anschaue. Sobald Licht am Ende des Tunnels erkennbar
wird, werden wir – die Bundesrepublik Deutschland als
eines der reichsten Industrieländer, Gott sei Dank wieder-
vereinigt und in einem zusammenwachsenden Europa ge-
legen – Ernst machen müssen und in der Außenpolitik fi-
nanzpolitisch, bezogen auf den Gesamthaushalt, andere
Prioritäten setzen müssen.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Unglaublich!)

– Liebe Frau Homburger, das ist nicht unglaublich. Wir
haben doch ein Erbe übernommen, das uns zur Haus-
haltssanierung zwingt; unter diesem Erbe steht eben auch
„F.D.P.“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die alte Leier kann doch kein Mensch mehr hören!)


Das müssen Sie wissen, denn diese Erblast wiegt.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ohne die hätte es gar keine Wiedervereinbarung gegeben!)

Ich bedauere den momentanen Zustand, aber ich verspre-
che Ihnen, dass wir in den kommenden Jahren die Gele-
genheit haben werden, das zu korrigieren.


(Lachen bei der CDU/CSU und F.D.P.)

Ich versichere Ihnen, wir werden alles tun, um hier wie-
der Aufwüchse zu erzielen.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundesminister Joseph Fischer
17476


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417712500
Der Kollege Clemens
Schwalbe hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) – Ich
sehe dazu keinen Widerspruch im Saal.

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Frank Hempel.


Frank Hempel (SPD):
Rede ID: ID1417712600
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kolle-
gen! Auch wenn es heute Nachmittag schon vergleichs-
weise heiter zugegangen ist – das Wochenende steht ja
auch bevor –, so möchte ich doch zu einem ernsthaften
Thema zurückkommen, nämlich zu dem Thema HIVund
Aids. In direktem Zusammenhang mit der Millenniums-
Erklärung der Vereinten Nationen, die die Unterzeichner-
staaten verpflichtet, Anstrengungen gegen die Ausbrei-
tung von HIV und Aids zu unternehmen, steht unser
Antrag „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern
fördern“.

Nun ist ja Frau Reinhardt leider nicht mehr anwesend,
sodass ich Sie, Herr Ramsauer, stellvertretend und – in
Ihren Reihen sieht es ja von der Besetzung her sehr mau
aus – alleine ansprechen muss. Frau Reinhardt hat meinen
Antrag in Bausch und Bogen verdammt. Ich frage mich
aber, warum sie ankündigt, sich bei der Abstimmung da-
rüber zu enthalten. Wenn der Antrag so schlecht wäre,
müsste sie ihn doch ablehnen. Das machen Sie aber ins-
gesamt nicht, weil Sie Bauchschmerzen damit hätten; des-
wegen enthalten Sie sich lieber. Dabei handelt es sich
nämlich um einen guten Antrag.

Die Verbreitung von HIV und Aids in den letzten
20 Jahren hat mittlerweile fast alle Länder auf allen Kon-
tinenten erreicht und ist zu einem globalen gesellschaftli-
chen und gesundheitspolitischen Entwicklungsproblem
geworden. Wenn wir dem nicht entgegenwirken, werden
Entwicklungserfolge der Vergangenheit weiter revidiert
und die Tragödie wird sich fortsetzen. Seit dem Beginn
der Epidemie haben sich fast 60 Millionen Menschen mit
dem Virus infiziert, von denen bis heute über 22Millionen
verstorben sind. Bedenken Sie, dass sich täglich mehr als
15 000 Menschen neu infizieren; rund 1 700 davon sind
Kinder unter 15 Jahren.

Dieser Antrag trägt den Titel „Aids-Bekämpfung in
den Entwicklungsländern fördern“, da sich 95 Prozent der
Pandemie in Entwicklungsregionen konzentrieren: in Re-
gionen, die durch Armut und unzureichende, meist total
überforderte staatliche Gesundheitsversorgungssysteme
gekennzeichnet sind. Im Afrika südlich der Sahara ist die
Situation besonders verheerend. Auf diese Region kon-
zentrieren sich etwa 70 Prozent der weltweiten HIV- und
Aids-Fälle. Einige Länder in dieser Region sind so schwer
betroffen, dass jegliche Entwicklungsbemühungen nicht
nachhaltig sein werden, wenn diese Länder und die Welt-
gemeinschaft die HIV/Aids-Epidemie nicht in den Griff
bekommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Beispiel Botswana weist mit 35,8 Prozent die höchs-
te Prävalenzrate bei Menschen im Alter von 15 bis 49 Jah-
ren auf. Das heißt, mehr als jeder Dritte im reproduktiven
Alter ist infiziert. Für andere Länder wie Swasiland,
Zimbabwe und Lesotho, bei denen jeder Vierte im repro-
duktiven Alter infiziert ist, gilt Ähnliches.

Aber nicht nur die Prävalenzrate, also die gesellschaft-
liche Durchdringung der Epidemie, sondern auch die ab-
solute Zahl der Infizierten in einem Land gibt Auskunft
über das Ausmaß der Epidemie. So schätzen Experten die
Zahl der HIV-Infizierten in Südafrika auf circa 5 Milli-
onen. Für Südafrika bedeutet dies, dass etwa 20 Prozent,
also jeder fünfte Südafrikaner bzw. jede fünfte Südafrika-
nerin zwischen 15 und 49 Jahren, infiziert sind. Aber trotz
des Ausmaßes der Epidemie im südlichen Afrika dürfen
wir die anderen Entwicklungsregionen nicht aus dem
Blick verlieren.

Neben den regionalen Kerngebieten gibt es auch ge-
sellschaftliche Schwerpunkte. Waren es aufgrund höherer
Mobilität und Promiskuität anfangs überwiegend Männer,
die von der Epidemie betroffen waren, verlagert sich der
Infektionsschwerpunkt heute. Immer mehr Frauen und
Kinder sind selbst infiziert oder werden als Aids-Witwen
und -Waisen gesellschaftlich ausgegrenzt. Bereits heute
sind fast die Hälfte der HIV-positiven Erwachsenen
Frauen; besonders im südlichen Afrika sind sie überpro-
portional von der Infektion betroffen. Kinder stellen das
schwächste Glied in dieser Kette dar und werden schuld-
los in die Tragödie Aids mit einbezogen. Sie können vor,
während und nach der Geburt von der Mutter infiziert
werden oder durch die Seuche zu einem der abertausend
Aids-Waisen werden: Bis Ende 1999 wurden 13,2 Milli-
onen Kinder durch Aids zu Waisen.

Aber nicht nur soziale Strukturen der Gesellschaften
sind durch den Zerfall der Familien betroffen. Auch die
wirtschaftliche Basis dieser Entwicklungsländer ist ge-
fährdet; denn wertvolle Arbeitskraft geht der Gesellschaft
und der Volkswirtschaft verloren. Die Produktivität ver-
ringert sich, Exporte und Investitionen nehmen ab und
schließlich wird die Gesamtwirtschaft dadurch ge-
schwächt. Durch die gleichzeitige Bedrohung der sozia-
len und der ökonomischen Basis der betroffenen Staaten
werden die Strukturen der Gesellschaften erodiert und
ökonomische Entwicklung wird unmöglich.

Es wird Zeit, jetzt darauf zu reagieren und konkrete
Maßnahmen zu forcieren, um dem Problem entgegenzu-
wirken. Hierbei müssen die Entwicklungsländer in die
Verantwortung genommen werden. Natürlich muss auch
auf ihr Problembewusstsein eingewirkt werden. Die Un-
terstützung durch die Industrieländer muss partizipativ
und den Bedürfnissen entsprechend abgestimmt werden.

Lassen Sie uns die Sondergeneralversammlung der
Vereinten Nationen „HIV/Aids“, die vom 25. bis 27. Juni
2001, also in der kommenden Woche, in New York statt-
findet, zum Anlass nehmen, als deutsches Parlament zum
globalen Problem Aids Stellung zu beziehen und eindeu-
tige Signale zu setzen, indem wir gemeinsam und ge-
schlossen dem Anliegen dieses Antrages zustimmen. Wir
als Deutsche, die im September letzten Jahres die Resolu-
tion 55/2 der Generalversammlung „Millenniums-Er-
klärung der Vereinten Nationen“ unterzeichnet haben,
müssen uns zu dieser auch bekennen. In ihr heißt es unter






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

anderem unter Punkt 19, bis zum Jahr 2015 – ich zitiere –
„ ... die Ausbreitung von HIV/Aids ... zum Stillstand ge-
bracht und allmählich zum Rückgang gezwungen zu ha-
ben“. Lassen Sie uns unseren Beitrag dazu beisteuern, um
dieser gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen!

Da eine Heilung der HIV-Infektion und von Aids beim
heutigen Stand der Medizin nicht möglich ist, muss unser
Bestreben sein, die weitere Verbreitung der Pandemie
durch umfassende Prävention zu vermeiden und die Ent-
wicklung eines wirksamen Impfstoffes zu forcieren. Doch
was ist mit den vielen Millionen Menschen, die bereits in-
fiziert sind? Wie kann denen geholfen werden? Für diese
Menschen muss es auch mit der bitteren Diagnose HIV-
positiv noch eine Lebenschance geben. Die gibt es aber
nur, wenn sie Zugang zu bezahlbaren Medikamenten be-
kommen, die ihnen ein menschenwürdiges Weiterleben
ermöglichen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Wo die Infektion nicht bekannt ist, wird sie unwissent-
lich weitergegeben. Konservative Schätzungen gehen da-
von aus, dass neun Zehntel der HIV-Positiven nicht wis-
sen, dass sie überhaupt infiziert sind. Also muss den
infizierten Menschen der Zugang zu einem kostenlosen
HIV-Test ermöglicht werden.

Lassen Sie uns gemeinsam den Menschen beistehen,
ihr Grundrecht auf Gesundheit zu verwirklichen, und
lassen Sie uns im Rahmen der WTO-TRIPS-Vereinba-
rung den betroffenen Staaten helfen, ihre Möglichkeiten
zur Bekämpfung der HIV/Aids-Bedrohung voll auszu-
schöpfen!

Wir begrüßen sehr, dass HIV/Aids-Bekämpfung eine
Querschnittsaufgabe der bilateralen deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit geworden ist und dass – besonders
aufgrund des Fehlens von Impfstoffen – umfassende
Präventionsprogramme äußerste Priorität haben. Auch
das Aufstocken der finanziellen Mittel durch die Bundes-
regierung und dasMitwirken deutscher Konzerne imRah-
men von Public Private Partnership werden sehr begrüßt.

Doch wir müssen uns fragen, ob dieses Engagement
ausreicht, um Aids, gemäß der Millenniums-Erklärung
der Weltgemeinschaft, umfassend zu bekämpfen. Die
Dringlichkeit des Problems bedarf eines geschlossenen
Auftretens und Handelns. Ich hoffe, dass bei dieser
menschlichen Tragödie HIV/Aids alle Vertreter dieses
Hauses – egal welcher politischen Couleur – am gleichen
Strang ziehen und diesen Antrag unterstützen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417712700
Ich schließe die Aus-
sprache und schließe mich ausdrücklich den guten Wün-
schen für den Kollegen Dr. Eberhard Brecht an.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5855 zu dem
Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bünd-
nis 90/Die Grünen und F.D.P. mit dem Titel „Die Verein-

ten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/5243 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses auf Drucksache 14/5851 zu dem Antrag
der Fraktion der PDS mit dem Titel „Deutsche Beiträge
zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten
Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/4525 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen worden.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern för-
dern“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache
14/6320? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6083 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Alle sind damit ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes
– Drucksache 14/6141 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6337 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)

Norbert Schindler


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/6338 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

Die Kolleginnen und Kollegen Reinhard Schulz,
Norbert Barthle, Ulrike Höfken, Marita Sehn und Kersten
Naumann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich
sehe Einverständnis im gesamten Haus.

Deswegen kommen wir sofort zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes, Druck-
sachen 14/6141 und 14/6337. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen




Frank Hempel
17478


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Ent-
haltung von CDU/CSU und PDS angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen
Jahres und zurÄnderung des Gesetzes zur För-
derung eines freiwilligen ökologischen Jahres
– Drucksache 14/5120 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Die Kolleginnen und Kollegen Marlene Rupprecht,
Christian Simmert, Klaus Haupt, Sabine Jünger sowie
der Sozialminister des Landes Baden-Württemberg,
Dr. Friedhelm Repnik, haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1) – Auch hier gibt es keinen Widerspruch im Hause.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5120 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch damit
gibt es Einverständnis. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Asylverfahrensgesetzes und anderer
Vorschriften
– Drucksache 14/6129 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen und Kollegen Rüdiger Veit, Wolfgang
Zeitlmann, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Ulla
Jelpke haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) – Auch
hierzu gibt es keinen Widerspruch.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6129 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Deshalb rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über rechtli-
che Rahmenbedingungen für den elektronischen

(Elektronischer-Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG)

– Drucksache 14/6098 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil,
Dr. Wolfgang Götze3), Andrea Fischer, Rainer Funke,
Ursula Lötzer sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.4)
– Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch im Saal.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6098 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung

(Spätaussiedlerstatusgesetz – SpStatG)

– Drucksache 14/6310 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Die Kolleginnen und Kollegen Günter Graf, Hartmut
Koschyk, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Petra
Pau haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.5) – Auch hier
konstatiere ich große Begeisterung im Saale.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/6310 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich stelle Ein-
verständnis im gesamten Hause fest. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 27. Juni 2001, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.