Protokoll:
14174

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 174

  • date_rangeDatum: 1. Juni 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:04 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Reduzierung der Zahl von Ausschussmitgliedern 17067 A Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deut- schen Beteiligung an einer internationa- len Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur mi- litärischen Absicherung der Friedensre- gelung für das Kosovo auf derGrundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicher- heitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech- nischen Abkommens zwischen der Inter- nationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepu- blik Jugoslawien und der Republik Ser- bien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 14/5972, 14/6180) . . . . . . . 17067 B Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 17067 C Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17069 B Dr. Eberhard Brecht SPD . . . . . . . . . . . . 17070 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17071 C Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . 17072 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 17073 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 17075 B Peter Zumkley SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17076 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 17077 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 17079 A Friedrich Merz CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17080 B Gernot Erler SPD (Erklärung nach § 31 GO) 17081 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 17082 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17085 A Tagesordnungspunkt 19: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahreswirtschaftsbericht 2001 derBun- desregierung; Reformkurs fortsetzen – Wachstumsdynamik stärken (Drucksache 14/5201) . . . . . . . . . . . . . 17082 C b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahresgutachten 2000/01 des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 14/4792) . . . . . . . . . . . . . 17082 C c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Dreißigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2001 bis 2004 (2005) (Drucksache 14/5600) . . . . . . . . . . . . . 17082 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Gunnar Uldall, Matthias Wissmann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Kon- junkturabschwung stoppen – Wachs- tumskräfte stärken (Drucksache 14/6161) . . . . . . . . . . . . . . . . 17082 D Plenarprotokoll 14/174 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 174. Sitzung Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 I n h a l t : Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17083 A Matthias Wissmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17087 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17090 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17092 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17095 A Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17095 C Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17096 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17098 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17100 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . 17102 A Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17104 A Jörg-Otto Spiller SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17105 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 17106 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17107 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Familienförderung (Drucksache 14/6160) . . . . . . . . . . . . . . . 17108 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Gerechte Chan- cen am Start – Kinderarmut bekämpfen (Drucksache 14/6173) . . . . . . . . . . . . . . . 17108 B Nicolette Kressl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17108 C Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17109 C Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17111 C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . 17111 D Nicolette Kressl SPD: . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17114 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17114 C Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17116 B Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17117 D Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17118 D Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 17120 B Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17120 C Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 17120 D Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 17121 D Tagesordnungspunkt 21: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüber- lassungsgesetzes (1. AÜG-ÄndG) (Drucksachen 14/1211, 14/5807) . . . . . 17122 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Neunter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeit- nehmerüberlassungsgesetzes – AÜG– sowie über die Auswirkungen des Ge- setzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung – BillBG (Drucksachen 14/4220, 14/5807) . . . . 17122 D Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 17123 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17124 D Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 17127 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17128 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17129 C Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 17130 B Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 17132 A Tagesordnungspunkt 20: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozial- versicherung (LSVOrgG) (Drucksachen 14/5314, 14/6177) 17133 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Orga- nisationsreform in der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung (LSVOrgG) (Drucksachen 14/5928, 14/6177) 17134 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Landwirtschaftliche Sozi- alversicherung zukunftsorientiert gestalten (Drucksachen 14/3774, 14/6177) . . . . 17134 A Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Rolf Stöckel, Ekin Deligöz und weiterer Abgeordneter: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001II Eigenständiges Antragsrecht für die Kinderkommission des Deutschen Bun- destages (Drucksache 14/5346 [neu]) . . . . . . . . . . . 17134 C Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17134 D Rolf Stöckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17134 D Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 17136 B Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17137 B Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17138 A Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenen- rentenrechts (Drucksachen 14/6043, 14/6178, 14/6181) 17139 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Unzumutbare Belas- tungen in der Hinterbliebenensiche- rung zurücknehmen (Drucksachen 14/6042, 14/6178) . . . . 17139 B Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung) (Drucksachen 14/6059, 14/6102 Nr. 1, 14/6179) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17139 C Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die Zukunft gehört der Individualli- zenz – Vergütungsregelungen für pri- vate Vervielfältigungen im digitalen Umfeld (Drucksache 14/5577) . . . . . . . . . . . . . . . 17139 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17140 A Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17140 D Heinz Seiffert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 17142 A Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17142 D Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17143 C Tagesordnungspunkt 27: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS: Einsetzung ei- nes Untersuchungsausschusses (Drucksachen 14/3822, 14/4966) . . . . 17144 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Jürgen Türk, Walter Hirche, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Existenzbedrohung des Hand- werks unterbinden (Drucksachen 14/4413, 14/5809) . . . . 17144 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17144 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Drucksache 14/6121) . . . . . . . . . . . . . . . 17146 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17146 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17147 A Anlage 2 Schwerpunkte für eine Informationskampagne zur EU-Osterweiterung MdlAnfr 31 Klaus Hofbauer CDU/CSU Antw StSekr Uwe-Karsten Heye BK . . . . . . . 17147 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und René Röspel (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensrege- lung für den Kosovo auf der Grundlage der Re- solution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwi- schen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesre- publik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) 17148 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 III Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Um- feldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensrege- lung für den Kosovo auf der Grundlage der Re- solution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwi- schen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesre- publik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) 17149 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deut- schen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ab- sicherung der Friedensregelung für den Ko- sovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Na- tionen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der Inter- nationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugosla- wien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . 17149 D Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deut- schen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ab- sicherung der Friedensregelung für den Ko- sovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der Inter- nationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugosla- wien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . 17150 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert, Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann und Sylvia Voß (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- rung zur Fortsetzung der deutschen Sicherheits- präsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines si- cheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedens- regelung für den Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo- slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . 17151 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Organisa- tionsreform in der landwirtschaftlichen So- zialversicherung (LSVOrgG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Landwirtschaftliche Sozi- alversicherung zukunftsorientiert gestalten (Tagesordnungspunkt 20 a und b) . . . . . . . . . . 17152 A Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17152 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 17152 C Siegfried Hornung CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17153 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17154 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17155 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 17156 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung des Hinterbliebenenrentenrechts – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenensicherung zurücknehmen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) . . . . . . . . . . 17156 D Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17156 D Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 17157 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17158 C Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 17159 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001IV Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 17159 C Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 17160 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV) (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 17160 D Rainer Brinkmann (Detmold) SPD . . . . . . . . 17160 D Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 17161 C Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 17162 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17163 A Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 17164 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 17164 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) . . . 17154 A Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . 17165 A Petra Bierwirth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17166 B Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 17167 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17168 C Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 17169 A Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 17169 C Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Zukunft gehört der Indivi- duallizenz – Vergütungsregelungen für private Vervielfältigungen im digitalen Umfeld (Ta- gesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17170 C Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17170 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 17171 B Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und der Berichte zu den Anträgen: – Einsetzung eines Untersuchungsausschusses – Existenzbedrohung des Handwerks unter- binden (Tagesordnungspunkt 27 a und b) 17172 A Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . 17172 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . 17173 A Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . . . . . . . 17174 A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17174 D Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17175 C Anlage 14 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17176 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 Präsident Wolfgang Thierse 17146 (C)(A) 1) Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor. 2) Anlage 11 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17147 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 01.06.2001 DIE GRÜNEN Balt, Monika PDS 01.06.2001 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 01.06.2001 Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 01.06.2001 Sabine Dr. Blank, CDU/CSU 01.06.2001 Joseph-Theodor Bläss, Petra PDS 01.06.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 01.06.2001 Burchardt, Ursula SPD 01.06.2001 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 01.06.2001 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 01.06.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 01.06.2001 Peter Göllner, Uwe SPD 01.06.2001 Hartnagel, Anke SPD 01.06.2001 Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 01.06.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 01.06.2001 DIE GRÜNEN Irmer, Ulrich F.D.P. 01.06.2001* Jelpke, Ulla PDS 01.06.2001 Kahrs, Johannes SPD 01.06.2001 Kasparick, Ulrich SPD 01.06.2001 Klappert, Marianne SPD 01.06.2001 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 01.06.2001 Kutzmutz, Rolf PDS 01.06.2001 Lambrecht, Christine SPD 01.06.2001 Michelbach, Hans CDU/CSU 01.06.2001 Nolte, Claudia CDU/CSU 01.06.2001 Ohl, Eckhard SPD 01.06.2001 Ostertag, Adolf SPD 01.06.2001 Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 01.06.2001 von Renesse, Margot SPD 01.06.2001 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 01.06.2001 Hannelore Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 01.06.2001 Dr. Scheu, Gerhard CDU/CSU 01.06.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 01.06.2001 Hans Peter Schneider, Carsten SPD 01.06.2001 Schöler, Walter SPD 01.06.2001 Scholz, Olaf SPD 01.06.2001 Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 01.06.2001 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 01.06.2001 Singhammer, Johannes CDU/CSU 01.06.2001 Dr. Stadler, Max F.D.P. 01.06.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 01.06.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 01.06.2001 DIE GRÜNEN Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 01.06.2001 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 01.06.2001 Wolf, Aribert CDU/CSU 01.06.2001 Zöller, Wolfgang CDU/CSU 01.06.2001 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Antwort des Staatssekretärs Uwe-Karsten Heye auf die Frage des Abgeordneten Klaus Hofbauer (CDU/CSU) (Drucksache 14/6138, Frage 31): Welche Schwerpunkte setzt die Bundesregierung für eine In- formationskampagne zur EU-Osterweiterung im Hinblick auf er- hebliche Defizite im Bewusstsein der Bevölkerung, die Chancen der Einigung Europas zu verdeutlichen, um im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern diese insbesondere auch in den Grenz- regionen auf die Risiken im Bereich der Arbeitnehmerfreizügig- keit und Dienstleistungsfreiheit vorzubereiten? Die Erweiterung der Europäischen Union ist einer der Schwerpunkte der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregie- rung, da ein solches „Jahrhundertprojekt“ ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung nicht gelingen kann. Vor- rangiges Ziel des Bundesregierung ist es daher, mit entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht gezielten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und einer breiten Informationspalette die politischen und wirt- schaftlichen Chancen aufzuzeigen und gleichzeitig die in der Bevölkerung bestehenden Ängste und Vorbehalte ab- zubauen. Die vom Presse- und Informationsamt der Bun- desregierung erarbeitete und mit den Ressorts abge- stimmte Informations- und Kommunikationsstrategie der Bundesregierung zur Erweiterung der Europäischen Union wurde am 15. Februar 2001 vom Staatssekretärs- ausschuss für Europafragen gebilligt. Der Stellvertre- tende Chef des Presse- und Informationsamtes der Bun- desregierung hat am 24. Januar 2001 dem Ausschuss des Deutschen Bundestages für die Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union darüber berichtet. Die Bundesregierung legt in ihrer erweiterungsbezo- genen Öffentlichkeitsarbeit besonderen Wert auf umfas- sende und breit angelegte Information, die sich nicht auf Einzelfragen oder Aspekte beschränkt. Die wichtigsten Zielgruppen sind in der gegenwärtigen Situation zum einen die Jugend, die das Europa der Zukunft maßgeblich gestalten wird, sowie – mit unterschiedlichen regional geprägten Schwerpunkten und differenzierten Akzen- ten – die gesamte Bevölkerung in den alten und neuen Bundesländern. Um dem besonderen Stellenwert dieses sehr komplexen Themas Rechnung zu tragen, hat das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die ab- teilungsübergreifende „Arbeitsgruppe Europäische Inte- gration“ eingerichtet, die sich ausschließlich mit Maß- nahmen und Projekten der Öffentlichkeitsarbeit zur EU- Erweiterung befasst. Um das Thema erfolgreich zu kom- munizieren, werden bereits bestehende Kooperationen genutzt und neue angeregt. Die Bundesregierung arbeitet bei den Projekten mit Landesregierungen, Kommunen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden unter anderem zusammen. So wurde ein Netzwerk zum Informations- austausch und zur Durchführung von gemeinsamen Pro- jekten aufgebaut. Seit Anfang März wird durch das Presse- und Informa- tionsamt der Bundesregierung in einem E-Mail-Info- Brief über aktuelle Vorhaben und Projekte der Öffentlich- keitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Partner im Bündnis für Arbeit berichtet. Zahlreiche Mitglieder des Deutschen Bundestages haben das Angebot des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung aufgenom- men und beziehen diesen Informationsservice. Der Info- brief geht ferner unter anderem an die Bundesressorts, die Europaminister der Länder und die Mitglieder des Euro- päischen Parlaments. Zentrales Projekt der Öffentlich- keitsarbeit der Bundesregierung ist die Veranstaltungs- reihe „Nachbarn treffen – Europa gestalten“, für die Bundeskanzler Gerhard Schröder die Schirmherrschaft übernommen hat. Nach einer sehr erfolgreichen ersten Veranstaltungsreihe im vergangenen Jahr wird sie von Mitte Juni bis Ende September 2001 in acht Städten der deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzre- gion fortgesetzt. Beteiligt an den Veranstaltungen sind ne- ben der Bundesregierung sowohl die Kommunen und Euroregionen als auch Verbände, Kulturorganisationen, Bildungseinrichtungen, Schulen und Vereine aus Deut- schland, Polen und Tschechien. Ein sich über einen ganzen Tag erstreckendes Programm sieht eine attrak- tive Mischung aus kulturellen und politisch-informativen Programmpunkten vor. Schwerpunkte der Informations- gespräche und -diskussionen werden vor dem Hinter- grund der bevorstehenden EU-Erweiterung wirtschaftli- che Themen, Fragen des Arbeitsmarktes und der Aus- bildung, der Sicherheit sowie grenzüberschreitende Part- nerschaften und anderes sein. Die Veranstaltungsreihe wird zusätzlich als Ausgangs- punkt für weitere regionale Aktivitäten dienen. Ein wei- teres wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zur EU-Erweiterung stellen Zuwendun- gen an Bildungseinrichtungen und andere Projektträger dar. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregie- rung unterstützt und fördert auf diesem Wege verschiedene Fortbildungsmaßnahmen wie Seminare, Workshops und Dialogveranstaltungen zum gesamten Themenkomplex der EU-Erweiterung. Für die besonders wichtige Zielgruppe der Jugendlichen gewährt das Presse- und Informations- amt der Bundesregierung dem Centrum für Angewandte Politikforschung der Universität München finanzielle Un- terstützung zur Durchführung eines bei Schulen aus ganz Deutschland stark nachgefragten Europa-Planspiels. Un- mittelbar vor Drucklegung steht das Faltblatt „Die EU-Er- weiterung – eine Chance für Frieden, Stabilität und Wohl- stand“, in dem unter anderem der Prozess der Erweiterung sowie die Auswirkungen auf Arbeitsplätze, auf Freizügig- keit und die innere Sicherheit erläutert werden. Diese Pu- blikation wird vor allem im Rahmen der Veranstaltungs- reihe „Nachbarn treffen – Europa gestatten“, aber auch generell für die europapolitische Öffentlichkeitsarbeit ein- gesetzt. Darüber hinaus befasst sich auch das „Bündnis für Arbeit“ mit dem Themenkomplex EU-Erweiterung. Die Bündnispartner werden durch Veranstaltungen gemeinsam mehr Transparenz herstellen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und René Röspel (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- schusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ei- ner internationalen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel- des für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu- tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mi- litärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugosla- wien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) Der gegenwärtige Einsatz der Bundeswehr im Kosovo geht auf eine höchst problematische und seinerzeit von uns abgelehnte Militärintervention der NATO im Zuge des Kosovo-Krieges zurück. Unsere kritische Haltung zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117148 (C) (D) (A) (B) diesem Einsatz konnte bis heute nicht entkräftet werden, zumal eine fundierte und offene Auswertung und Aufar- beitung dieses Einsatzes seitens der Bundesregierung bis heute fehlt. Nach wie vor fehlt es auch an weitergehenden zivilen Komponenten der Friedenssicherung, an konse- quenter Entwaffnung und an ökonomischen, sozialen und politischen Konzepten und Perspektiven für die Balkan- region. Stattdessen ufern die gewaltsam ausgetragenen Kon- flikte in der Region trotz massiver Militärpräsenz weiter aus. Es wird nun versucht, diesen mit einer Ausdehnung des Militäreinsatzes zu begegnen – ein aussichtsloser Wettlauf von Hase und Igel. Wir sehen uns nicht in der Lage, einem Mandat, das wir in seiner Vorgeschichte nicht mittragen konnten, durch eine Zustimmung zu dessen Verlängerung heute eine nachträgliche Rechtfertigung zu geben. Gleichzeitig sind wir uns dessen bewusst, dass ein bloßer Abbruch des KFOR-Einsatzes und ein Abzug der Bundeswehr eben- falls nicht zielführend wäre. Deshalb enthalten wir uns der Stimme. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- schusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ei- ner internationalen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel- des für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu- tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mi- litärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo- slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) Den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion unterstütze ich und erkläre darüber hinaus: Die Entschei- dung des Deutschen Bundestages über einen Auslands- einsatz der Bundeswehr darf niemals eine Routine-Ent- scheidung sein. Dieses gilt insbesondere gegenüber den Soldaten, die unter schwierigen Bedingungen ihren Auf- trag erfüllen und dabei unter Umständen ihr Leben riskie- ren müssen. Auch an die Familien der Soldaten ist zu den- ken. Ein verantwortbarer Einsatz der Bundeswehr und ihrer Soldaten erfordert deshalb nicht nur politische Umsicht, sondern auch einen Ausrüstungs- und Ausbildungsstand der Bundeswehr, der die Auftragserfüllung sicherstellt und das Risiko der Soldaten so gering wie möglich hält. Die Bundeswehr ist bisher für ihre Auslandseinsätze an- gemessen ausgerüstet. Bei den anderen Teilen der Bun- deswehr dagegen sieht die Situation anders aus: Hier ist die Bundeswehr chronisch unterfinanziert, sodass aus Sicht der Soldaten, aber auch der Bürgerinnen und Bür- ger mittlerweile zwei Teile einer Bundeswehr existie- ren: die Auslands-Bundeswehr und die Inlands-Bundes- wehr. Mangelhafte Ausrüstung und Ausbildung des einen Teils hat auf Dauer zwangsläufig negative Auswirkungen auf den anderen Teil. Deshalb kann diese Entwicklung nicht hingenommen werden. Im entsprechenden Ver- gleichszeitraum unter der Regierung Kohl hatte die Bun- deswehr 20 Milliarden DM zur Verfügung. Genau um diese Summe sind die Mittel nun gekürzt worden. Die mittelfristige Finanzplanung weist für 2003 für die Bun- deswehr 45,5 Milliarden DM aus, bei der Regierung Kohl wären es immerhin 49,5 Milliarden DM gewesen. Mit dieser Summe wären sicher auch nicht alle wünschens- werten Projekte umzusetzen gewesen, jedoch passten un- ter der früheren Regierung Streitkräftestruktur und Fi- nanzvolumen zusammen, wovon jetzt nicht mehr die Rede sein kann. Wenn hier kein wirksamer Ausgleich geschaffen wird, sind Auslandseinsätze der Bundeswehr zukünftig nicht mehr vermittelbar und vor allem nicht vertretbar, da die Bundeswehr eine in sich homogene Streitkraft bleiben muss, um ihren Auftrag in jeder Hinsicht erfüllen zu kön- nen. Wenn wir junge Menschen in eine Gefahrensituation bringen müssen, dann darf dieses nur auf einer gesicher- ten Basis erfolgen. Dieses ist in absehbarer Zeit nicht mehr gegeben. Sollte die Bundeswehr weiterhin chro- nisch unterfinanziert werden, kann und werde ich weite- ren Auslandseinsätzen nicht mehr zustimmen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P. ) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ab- sicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Si- cherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Re- publik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesord- nungspunkt 18) Dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheits- präsenz im Kosovo werde ich nicht zustimmen. Ich lehne die Erweiterung des Auftrages der Bundeswehr ab. Die Bundesregierung hat diesen Antrag vorgelegt, ohne die Fraktionen des Bundestages in die Beratung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17149 (C) (D) (A) (B) Entscheidungsvorlage einzubinden. Die Bundeswehr ist nicht die Armee einer Regierung, sondern das Parlament erteilt Aufträge an die Bundeswehr. Daher hätte der Bun- destag bei der Formulierung des Antrags der Bundesre- gierung eingebunden werden müssen, wie es bei voran- gegangenen Entscheidungen auch der Fall war. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen nach einem Beschluss des UN-Sicherheitsrates den Frieden in einer Region sichern oder wieder herstellen. Ich kann keine Aktivitäten der Bundesregierung und besonders des Bun- desaußenministers erkennen, die zu einer zeitlichen Be- grenzung oder zu einem erkennbaren Ende des Auslands- einsatzes der Bundeswehr im Kosovo führen. Das ist gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr unverant- wortlich. Die Unterfinanzierung der Bundeswehr in Ausrüs- tung und Ausbildung lässt ebenfalls eine Verlängerung der deutschen Beteiligung an der internationalen Si- cherheitspräsenz im Kosovo nicht zu. Ich halte es nicht für verantwortbar, dass der Bundeskanzler und der Bun- desaußenminister gegenüber unseren Partnern Ver- pflichtungen über den Auslandseinsatz der Bundeswehr eingehen, ohne dass dafür der Bundeswehr ausrei- chende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wer- den. Die Bundesregierung erklärt in ihrem Antrag, dass deutsche Kräfte auch in der Boden- und Luftsicher- heitszone eingesetzt werden sollen; jedoch sollen sie nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden dürfen. Eine solche Beschlussvorlage ist unrealistisch und irre- führend. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset- zung der deutschen Beteiligung an einer interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absi- cherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Si- cherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Repu- blik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungs- punkt 18) Seit zwei Jahren beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland aktiv an der Wiederherstellung des Friedens in der Krisenregion Kosovo. Unser Land hat dafür Solda- ten und umfangreiche militärisch-technische Mittel zur Verfügung gestellt und sich am Wiederaufbau zerstörter Orte und Infrastruktureinrichtungen beteiligt. Die Haupt- last der militärischen Sicherungsaufgaben und Aufbau- maßnahmen trägt die Bundeswehr mit ihren dort einge- setzten Soldatinnen und Soldaten. Ihnen zolle ich für ihren beispielhaften Einsatz hohen Respekt und Dank. Sie leisten hervorragende Arbeit, stets mit dem Risiko, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben bei diesem Einsatz verlie- ren zu können. Angesichts der bestehenden ethnischen Konflikte muss sich die Bundesrepublik auch weiterhin aktiv für eine dauerhafte Friedensregelung im Kosovo einsetzen. Dazu hat die Bundesregierung den Antrag auf Verlänge- rung und Ausweitung des Mandats zum Einsatz der Bun- deswehr im Kosovo gestellt. Ich selbst kann diesem An- trag aus drei Gründen nicht zustimmen: Erstens. Die Ausweitung des Mandats der Bundeswehr auf die Bodensicherheitszone erhöht in nicht unerhebli- cher Weise das Risiko für die deutschen Soldaten, Schaden an Leib und Leben zu nehmen. So dürfte die im überge- ordneten Interesse der Stabilitätssicherung in der Region objektiv notwendige Entwaffnung albanischer Freischär- ler im Allgemeinen nur unter Widerstand gelingen. Eine Ausweitung des Mandates auf die Sicherheitszone setzt daher eine unabdingbare Notwendigkeit für einen solchen Schritt und eine präzise, unmissverständliche Beschrei- bung des Auftrags der Bundeswehr voraus, die ich im Antrag der Bundesregierung nicht in der erforderlichen Schlüssigkeit und Bestimmtheit erkennen kann. Im Hin- blick auf das erhebliche zusätzliche Risiko für die deut- schen Truppen reicht der Hinweis, dass sie bisher eine Sonderrolle eingenommen hätten, nicht aus, zumal sie sich auch künftig bei einer Ausweitung des Mandates in einer Sonderfunktion befänden, da sie an Kampfhandlun- gen nicht teilnehmen dürfen. Zweitens. Eine Verlängerung und Ausweitung des Mandates im Rahmen der internationalen Sicherheitsprä- senz – KFOR – durch die derzeitige Finanzausstattung der Bundeswehr im Rahmen des laufenden Wehretats nicht mehr hinreichend gedeckt. Die hohen Kosten für den Auslandseinsatz überschreiten zunehmend die Leistungs- fähigkeit der Bundeswehr und gefährden unsere sicher- heitspolitischen Kerninteressen insbesondere im Hinblick auf die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Notwendige Neuausstattungen der Truppe mit modernen Geräten und Waffensystemen müssen zu- rückstehen, da der Wehretat durch die rot-grüne Bundes- regierung in eklatanter Weise unterfinanziert ist und vo- raussichtlich auch mittelfristig unterfinanziert bleiben wird. Die Übernahme zusätzlicher Aufgaben der Bundes- wehr auch und gerade im Rahmen internationaler Ver- pflichtungen steht in zunehmendem Maße in einem kras- sen Missverhältnis zur Finanzausstattung. Die Zuweisung weiterer Aufgaben verpflichtet den Gesetzgeber jedoch schon aus Fürsorgegründen, eine angemessene Ausstat- tung der Bundeswehr sicherzustellen, um die mit der Durchführung von Einsätzen verbundenen Risiken durch taugliches Gerät auf ein unabweisbares Minimalmaß zu reduzieren. Drittens. Es ist derzeit kein Ausstiegskonzept erkenn- bar, das mittelfristig den schrittweisen Rückzug der inter- nationalen Truppen aus dem Kosovo sichert und eine dauerhafte Friedensregelung auf dem Balkan etabliert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117150 (C) (D) (A) (B) Diese Ausstiegsperspektive ist jedoch schon deshalb wichtig, damit sich nicht zunehmend der Eindruck mani- festiert, dass die KFOR-Einheiten quasi als „Besatzungs- truppen“ vor Ort verbleiben. Solange nicht erkennbar ist, wie der Zeithorizont für eine weitere Stationierung der Bundeswehr im Kosovo aussieht, könnte die Entschei- dung über gegebenenfalls weitere Verlängerungen der deutschen Sicherheitspräsenz im Kosovo leicht zu einem gefährlichen Automatismus werden, den ich nicht gut- heißen kann. Wenngleich ich die grundsätzliche Notwendigkeit der gegenwärtigen Präsenz deutscher Truppen im Hinblick auf ihre friedenstiftende Wirkung im Kosovo bejahe, so muss ich doch aus den vorgenannten Gründen dem Antrag der Bundesregierung – Bundestagsdrucksachen 14/5972 und 14/6180 – meine Zustimmung verweigern. Meiner Entscheidung liegt vorrangig zugrunde die verantwortli- che Übernahme der Fürsorgepflicht für unsere deutschen Soldaten und die Sorge um die uneingeschränkte Einsatz- und Bündnisfähigkeit der Bundeswehr, insbesondere ihren sicherheitspolitischen Kerngehalt betreffend. Unter den von der Bundesregierung vorgegebenen Rahmenbe- dingungen kann ich die Verantwortung für eine Verlän- gerung und Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im Kosovo nicht übernehmen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian Simmert, Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann und Sylvia Voß (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer internationalen Sicherheits- präsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines si- cheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zurmilitärischen Absicherung der Friedens- regelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo- slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 18) Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung und Ausweitung des Mandats der Bundes- wehr im Rahmen der KFOR in der vorliegenden Form nicht zu. Die Probleme in der Region des ehemaligen Jugosla- wien waren und sind militärisch nicht zu lösen. Die Re- gion ist nicht stabilisiert, die Kriegsgefahr geblieben. Die Gewalt eskaliert. Es existiert auch nach Jahren noch keine von UN und NATO getragene politische Konzeption, wie denn eine friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben in der Region des ehemaligen Jugoslawien erreicht wer- den kann. Vielmehr ist es auch zwei Jahre nach dem Ende des Krieges nicht gelungen, eine politische Situation zu schaffen, die neben den alten Flüchtlingen aus dem Ko- sovo es auch den neuen, die zu den nicht-albanischen Be- völkerungsgruppen gehören, ermöglicht, dorthin zurück- zukehren. Anstelle einer vorausschauenden Deeskalationspolitik, zu der NATO und KFOR in der Pflicht gestanden hätten, wurde eine erneute Eskalation der Konflikte in der Region zugelassen, sowohl im Presevo-Tal (Süd-Serbien) als auch in Nord-Mazedonien. Diese erneute Instabilisierung der gesamten Region wurde von der NATO nicht nur nicht verhindert, sondern durch die jahrelange Unterstützung der UCK und ihrer Nachfolgeorganisationen sowie deren nicht vollzogener Entwaffnung faktisch eher befördert. Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung Farbe bekennen muss, dass sie willens ist, die UNO-Resolution 1244 in all ihren Teilen umzusetzen, das heißt, einerseits eine demokratische Teilhabe im Kosovo zu ermöglichen, andererseits aber auch allen Separationsbestrebungen al- banisch-kosovarischer Kräfte unter dem Schutzschild der KFOR entgegenzutreten. Sonst läuft sie Gefahr, sich er- neut dem Vorwurf der Parteinahme auszusetzen. Mit der Bundesrepublik Jugoslawiens scheint derzeit eine tatsächliche Kooperation zugunsten einer friedli- chen Beilegung der Auseinandersetzungen im Presevo- Tal möglich zu sein. Gerade Initiativen wie die Amnestie für Rebellen, die ihren Kampf beenden, und der Aufbau gemischt ethnischer Polizeistationen der jugoslawischen Regierung sind ermutigende Entwicklungen. Diese Ko- operation muss sorgfältig gepflegt und ausgebaut wer- den. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Einheiten der neuen jugoslawischen Regierung nicht die alleinige Kontrolle in den Grenzgebieten Serbiens übernehmen sollen, auf die nun das neue Mandat der KFOR erweitert wird. Es darf für Thaci, Ceku und die anderen langjährigen NATO-Verbündeten aus der UCK keinerlei Zweifel daran geben, dass ihre Unterstützung der Extremisten in Maze- donien und Südserbien nicht mehr geduldet wird. Als un- mittelbare Konsequenz muss der Entzug der politischen Unterstützung durch EU, NATO und selbstverständlich auch die Bundesrepublik Deutschland deutlich gemacht und die Nachschublinien aus dem Kosovo nach Mazedo- nien durch Polizeikräfte mit KFOR-Unterstützung abge- schnitten werden. Bestrebungen, die Integrität des Staates Mazedonien infrage zu stellen, dürfen in keiner Weise un- terstützt werden. Der Status quo von mehr als 180 000 nicht-albanischen Vertriebenen aus dem Kosovo darf nicht kommentarlos akzeptiert werden. Sicherlich dauert ein ziviler Aufbau- prozess mehrere Jahre. Doch wird sich dieser auch daran messen lassen müssen, dass diese Menschen in den Ko- sovo zurückkehren und dort sicher und demokratisch gleichberechtigt leben können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17151 (C) (D) (A) (B) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Organisations- reform in der landwirtschaftlichen Sozialversiche- rung (LSVOrgG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsorientiert gestalten (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Peter Dreßen (SPD): Ich bin froh, dass wir heute die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Organisations- reform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung haben und, so wie es aussieht, mit einer großen Mehrheit beschließen. Bei den Beratungen haben wir Verbesserun- gen erreicht, die meine Kollegin Waltraud Wolff bereits dargestellt hat. Bei der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, dass wir auch die Interessen der DO- Angestellten berücksichtigen werden. Im § 119 a Abs. 3 haben wir dies getan. Ich verhehle nicht, dass wir dieses Gesetz gerne in Übereinstimmung mit dem Bundesrat vorgelegt hätten. Wir haben uns intensiv darum bemüht, leider ohne Erfolg. Wir haben viele Kompromisse angeboten; wir waren bereit, den § 119 Abs. 1 so zu formulieren, dass dort zum Beispiel gestanden hätte, dass wir unter zehn selbst- ständige Verwaltungen hätten. Aber die Sturheit und, ich habe auch den Eindruck, die mangelnde Abstimmung untereinander hat nicht zu einem positiven Ergebnis mit den Ländern geführt. Ziel ist es, Kosten zu sparen. Ich darf daran erinnern dass das Gutachten des Bundesrechnungshofes eine ein- deutige Sprache spricht. Wir verschwenden hier Steuer- gelder. Wir wissen, dass bei einem Zusammenschluss im- mense Kosten eingespart werden können. Man muss sich einmal vorstellen: Wir leisten uns für 800 000 Personen (wenn man die Familienmitversicherten) hinzurechnet, 17 selbstständig geführte Verwaltungen. Jede einzelne LVAhat über 1 Million Mitglieder. Selbst dort kommt man ohne eine Organisationsreform in der Zukunft nicht aus. Ich habe großen Respekt vor den Verwaltungen, die angedeutet haben, dass sie Fusionen nicht im Wege ste- hen. Baden-Württemberg war hier ein leuchtendes Beispiel. Und wenn auch in Bayern zum Teil fusioniert wurde, frage ich mich, wieso hier immer noch zwei selbst- ständige Versicherungen sein müssen. Es ist zu hoffen, dass die Oldenburg´sche Kasse nun auch die entsprechen- den Beschlüsse in der Selbstverwaltung fasst, zumal die von ihnen geforderten Änderungen im Gesetz verankert wurden. Nun gibt es auch den Wunsch des Saarlandes, nicht, wie im Gesetz vorgesehen, mit Hessen und Rhein- land-Pfalz zu fusionieren, sondern mit Baden-Württem- berg. Diesem Wunsch sind wir nicht nachgekommen, je- doch kann dies im Vermittlungsverfahren noch bereinigt werden. Ich habe die große Hoffnung, dass der sich abzeich- nende Vermittlungsausschuss zu einem für alle tragbaren Ergebnis kommt. Denn sollte man sich im Bundesrat nicht einigen, so kann ich unseren Haushältern nur empfehlen, bei der kommenden Haushaltsberatung die nicht einge- sparten Mitteln zu kürzen. Die fehlenden Mittel müssten dann die Landesregierungen tragen, die meinen, dass man alles so belassen kann wie im vorigen Jahrhundert. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):Am 16. Februar diesen Jahres haben wir in erster Lesung über die Neuor- ganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung gesprochen und damit den Gesetzesentwurf eingebracht. Die Kernpunkte des Gesetzentwurfs sind die Schaf- fung zukunftssicherer Organisationseinheiten, das heißt Reduzierung der Anzahl der Träger auf insgesamt neun, die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, auch im Interesse des Steuerzahlers und deshalb, eine Stärkung der Einwir- kungsmöglichkeiten des Bundes. Darüber hinaus spielen folgende Ziele eine Rolle: Versichertenorientierung, ein- heitliche Rechtsanwendung, ausgewogenes Verhältnis zwischen staatlicher Verantwortung und Selbstverwal- tung, ausgewogenes Verhältnis von interner und externer Solidarität, sozialverträgliche Lösung für Personalmaß- nahmen. Ich weiß noch sehr genau, dass ich damals am Schluss meiner Rede die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass dieses Gesetz im Einvernehmen mit den Ländern be- schlossen wird. In vielen, anscheinend von Kompromis- sen getragenen Gesprächen mit Vertretern der Sozialver- sicherungsträger, Gewerkschaften und Länder wurde um einzelne Positionen gerungen. Aber heute muss ich kon- statieren, dass wir jedenfalls in den Länderverhandlungen nicht viel weiter sind als im Februar. Doch: Wir sind um eine Enttäuschung reicher! Wir wissen, dass die Kompro- miss- und Gesprächsbereitschaft der Ländervertreter nicht so ernst gemeint war wie signalisiert! Ich befürch- tete eine Verzögerungstaktik und fühle mich jetzt ziemlich bestätigt. Erinnern wir uns: Die Ländervertreter gaben an, eine Reform sei dringend notwenig, aber die zentralen Punkte, die zu Geldeinsparungen führen werden, wurden an der entscheidenden Stelle, nämlich im Bundesrat, ab- gelehnt. Dieses Manöver des Bundesrates war das falsche Mittel! Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen wurde in der Öffentlichkeit trotz der Absage durch den Bundes- rat behauptet, die Länder stünden nach wie vor dazu, die Reform sei wichtig! Wir sind hier im Bundestag zwar bestimmt nicht an der Basis. Ich versichere Ihnen aber, ich weiß sehr wohl, dass Fusionsverhandlungen mittlerweile wieder ins Stocken gekommen sind, da sich so manche Leitungsebene eines Trägers von Fusionen nicht mehr sehr betroffen fühlt.Wir wollten den breiten Konsens für eine Reform, die nie- mand infrage stellt, die seit zehn Jahren notwendig ist. Nun wird die Umsetzung schwieriger als gewünscht, aber wir sind fest entschlossen, das eigenständige agrarsoziale Sicherungssystem zu erhalten und heute in zweiter und dritter Lesung zu einem Beschluss zu kommen. Auf einige Dinge will ich eingehen. Punkt 1: Probleme und Befindlichkeiten gab es auf Länderseite mit dem § 119 a SGB. Hier werden die neun Träger mit Namen und Hausadresse benannt, die gebildet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117152 (C) (D) (A) (B) werden, wenn es bis zum 31. Dezember 2002 nicht zu ei- ner freiwilligen Fusion gekommen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weshalb die Angst? Alle Träger versprechen doch mit der freiwilligen Phase vor dem gesetzten Termin fertig zu sein. Wir haben dann keinen Handlungsbedarf mehr! Aber wir brauchen die Si- cherheit, dass es zum 1. Januar 2003 nur noch neun Trä- ger in Deutschland gibt. Vorsichtsmaßnahme würde ich das nennen. Punkt 2: Budgetierung der Verwaltungskosten. Es wird kritisiert, dass hier die Verwaltungskosten von 1995 zu- grunde gelegt werden und die Einsparungen unmöglich sind. Tatsache aber ist, dass die geforderten Einsparungen im letzten Haushaltsjahr schon fast punktgenau erbracht wurden. Der Bund gab für die Verwaltungskosten 179 Mil- lionen DM vor und Ausgaben in Höhe von 180 Millionen DM wurden erreicht. Es geht also! Hier wird es von un- serer Seite keine Änderung geben. Da in der Vergangen- heit die Verwaltungskosten trotz abnehmender Versiche- rungszahlen zugenommen haben, ist der Einwand des Bundesrates nicht akzeptabel. Mit welcher Legitimation sollte also der Bund eigentlich mehr Geld bereitstellen, als tatsächlich nötig ist? Punkt 3: Dies ist wohl der eigentliche Verhandlungs- gegenstand, um den sich alles rankt, der zentrale Bei- tragseinzug beim Gesamtverband der Alterskassen. Worum kämpfen hier die Länder? Um es ganz deutlich zu sagen: Sie kämpfen darum, dass monatlich die Beiträge zur Alterssicherung von den Trägern selbst eingezogen werden, um sie dann etwas später an den Gesamtverband der Alterskassen zu überweisen, der sie dringend zur Ren- tenauszahlung benötigt. Immerhin muss der Bund 80 Mil- lionen DM Rückstände hinnehmen. Durch die Defizitdeckung des Bundes musste er in der Alterssicherung der Landwirte im letzten Jahr über 4 Mil- liarden DM bereitstellen. Das sind rund 70 Prozent der Gesamtausgaben in der Alterskasse. Einsparungen sind möglich und können schon im Jahr 2004 56 Millio- nen DM ausmachen. Es wird Zeit, dass dem Bund für die bestehenden Pflichten auch Rechte eingeräumt werden. Mal ehrlich: Klingt es nicht wirklich etwas lächerlich? Hier wird wegen eines technischen Vorganges beim Bei- tragseinzug eine längst überfällige Reform aufs Spiel gesetzt! In den vielen Gesprächen habe ich mir oft den Mund fusselig geredet, um immer wieder deutlich zu machen, dass die originären Aufgaben bei den Trägern selbst blei- ben und es sich einzig und allein um den technischen Vor- gang des Einzugsverfahrens handelt. An dieser Stelle un- terstreiche ich gern die konstruktive Zusammenarbeit mit allen Gewerkschaftsvertretern, die sich vehement für den Arbeitsplatzerhalt vor Ort eingesetzt haben. Mit dem Bei- tragseinzug durch den Gesamtverband werden diese Arbeitsplätze nicht gefährdet. Punkt 4: Musterrichtlinien. Hier habe ich schon in mei- ner letzten Rede darauf hingewiesen, dass wir eine ein- heitliche Rechtsanwendung verfolgen. Nur ist das natür- lich mit Musterrichtlinien, die der Gesamtverband erlassen darf, nicht getan. Aus diesem Grund befinden wir heute auch über das Aufstellen von gemeinsamen und ein- heitlichen Richtlinien im § 58 b ALG. Natürlich – und das will ich nicht in Abrede stellen – brachten die Länder auch Vorschläge des Entgegenkom- mens. Aber: Diese Angebote waren keine Kernpunkte un- serer Reform. Eine einzige Kernforderung des Bundes trugen sie nach langen Verhandlungen mit, nämlich den Zusammenschluss der bestehenden Rechenzentren zu ei- nem einzigen, und zwar beim Gesamtverband der land- wirtschaftlichen Alterskasse. Hier hat nach vielen Überle- gungen dann doch die Einsicht in die Notwendigkeit gesiegt. Darüber sind wir sehr froh. Es ist genug geredet und verhandelt worden. Aus ei- nem weit reichenden Bundesgesetzvorschlag ist ein Län- derkompromiss geworden. Wir haben getan, was wir konnten, und ich bitte Sie alle, diese Reform gemeinsam zu tragen und heute im Konsens zu beschließen. Siegfried Hornung (CDU/CSU): Zur Bedeutung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung: Freiheit und. soziale Sicherheit sind Teil der sozialen Marktordnung. Materiell ist Agrarsozialpolitik die wichtigste Säule der nationalen Agrarpolitik. Im gemeinsamen Agrarmarkt der EU ist sie der einzige Bereich, der nicht reglementiert wird. Sie dient der Verbesserung der Rahmenbedingun- gen für eine leistungs- und wettbewerbsfähige deutsche Landwirtschaft. Dies wird auch ausdrücklich im Land- wirtschaftsgesetz betont. Wie in keinem anderen Bereich wurde die landwirtschaftliche Sozialversicherung als ei- genes System mit Unfall-, Alters- und Krankenversiche- rung sowie der Pflegeversicherung in einer Hand gebildet, das sich hervorragend bewährt hat. Zugleich konnte bis- lang ein rasanter Strukturwandel sozial abgefedert wer- den. CDU/CSU-Politik war dafür ein zuverlässiger Ga- rant. Die Agrarsozialreform 1995 hat unseren Landwirten ein Stück soziale Zukunftssicherung und unseren Bäue- rinnen erstmals eine eigenständige soziale Absicherung gegeben. Die Reform der Organisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger wird von allen anerkannt und ist notwendig. Die Beitragszahler werden weniger und die Zahl der Empfänger steigt überproportional und damit die Kostenbelastung der aktiv wirtschaftenden Landwirte. Die Selbstverwaltungen der LSV-Träger haben schon vor dem Bericht des Bundesrechnungshofes – auch durch Gutachten – selbst eine Veränderung der Organisations- strukturen eingeleitet. Einige Körperschaften haben ihre Hausaufgaben auch bereits nach § 118 SGB VII erledigt. Mit einer deutlichen Reduzierung der LSV Träger sol- len die Kosten für die Landwirtschaft gesenkt werden und dennoch eine praxisgerechte Versichertennähe zu den Mitgliedern erhalten bleiben. Der Gesetzentwurf, der ursprünglich in der Diskussion einen bundeszentralen Versicherungsträger vorsah, geht nun in diese Richtung. Die CDU/CSU wird deshalb zu- stimmen. An dieser Stelle möchte ich aber deutlich machen, dass wir grundsätzlich mit der Agrarsozialpolitik der Bundes- regierung nicht einverstanden sind. Was in den letzten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17153 (C) (D) (A) (B) zwei Jahren Rot-Grün durch massive Kürzungen der Bun- desmittel den Bauern aufgebürdet hat, geht fürwahr auf keine Kuhhaut. Allein in der landwirtschaftlichen Unfall- versicherung wurden 115 Millionen DM gestrichen. In der Alterssicherung, die Sie 1995 noch stolz mittrugen – Sie mussten ja nicht zahlen – haben Sie 344 Millio- nen DM bei den Einkommensschwachen weggenommen. Aus der Krankenversicherung der Landwirte haben Sie 250 Millionen DM entwendet. Was Sie von Rot-Grün unter sozial verstehen, wird mir wohl immer verborgen bleiben. Selbst bei einem Todes- fall in einer bäuerlichen Familie, wo ja keine weiteren Ar- beitskräfte vorhanden sind, haben Sie schon ab dem ers- ten Tag eine Selbstbeteiligung beim Einsatz einer Betriebs- und Haushaltshilfe auferlegt. Ich möchte hier noch einmal einfügen und deutlich ma- chen, dass trotz der im Haushalt ausgewiesenen Bundes- mittel für die landwirtschaftliche Sozialversicherung für den bäuerlichen Unternehmer bei Vollinvalidität nur ma- ximal 1 000 DM monatliche Rente in der Unfallversiche- rung geleistet werden und über die landwirtschaftliche Al- terskasse nur eine Teilsicherung ab dem 65. Lebensjahr nach Abgabe des Betriebes besteht. Die CDU/CSU fordert daher die Bundesregierung auf, die alten Haushaltsansätze wieder herzustellen und damit die aktiv wirtschaftenden Landwirte als Beitragszahler zu entlasten und analog wie bei der Bundesknappschaft und der allgemeinen Rentenversicherung damit dem wach- senden Ungleichgewicht zwischen Beitragszahler und Empfänger Rechnung zu tragen. Zu den Berufsgenossenschaften: Neben der Struktur- reform wird inhaltlich der Bereich der Berufsgenossen- schaften eine größere Bedeutung erhalten, da hier die Un- terschiede in der Beitragsbelastung der Landwirte sehr groß sind. Allerdings wird auch dort der Gedanke der So- lidarität nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Wir gehen davon aus, dass nach entsprechenden Gutachten die Diskussion über die Weiterentwicklung der landwirt- schaftlichen Unfallversicherung konkretere Formen an- nehmen wird. Die CDU/CSU wird zu diesem komplexen Thema eine Anhörung beantragen. Leider hat die Koalition unseren Antrag auf Drucksa- che 14/3774 im Ausschuss abgelehnt, dafür aber in letzter Minute einen fünf Seiten umfassenden Änderungsantrag zum eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der – zugege- ben – im Ansatz einige Verbesserungen bringt, aber die Anliegen der Länder nicht ausreichend berücksichtigt. Die Bundesregierung sollte ein Einvernehmen mit dem Bundesrat erreichen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 30. März 2001 Änderungsbedarf angemeldet. In ihrer Ge- genäußerung vom 25. April hat die Bundesregierung aber nur in zwei Punkten dem zugestimmt oder zumindest eine Prüfung zugesagt. Da die Diskussion bisher ausschließ- lich um die Sache ging und außerhalb jeglicher politischer Polarisierung blieb und die Länder bisher einmütig ihre Änderungswünsche vertraten, sollte die Bundesregierung dies respektieren und mit den Ländern eine einvernehm- liche und zukunftsträchtige Lösung herbeiführen. Insbe- sondere geht es um das von den Körperschaften bereits beschlossene Rechenzentrum, die Rentenzahlung sowie um den Beitragseinzug und die Budgetierung der Verwal- tungskosten der LSV-Träger für die Jahre 2002 und 2003 in Höhe von 10 bzw. 15 Millionen Euro. Wir stimmen dem Gesetz zu, appellieren aber an die Bundesregierung, die Interessen der Länder ernst zu neh- men und nicht zu übergehen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir be- schließen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Or- ganisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialver- sicherung. Damit haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in seinen Grundzügen die Ergebnisse eines zweijährigen Diskussionsprozesses widerspiegelt. Wir haben diesen Diskussionsprozess innerhalb der Koalition sowie nach außen mit den Fraktionen dieses Hauses, mit den Bundesländern, mit den Trägern der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung und deren Spitzen- verbänden, mit den Gewerkschaften und mit dem Deut- schen Bauernverband sowie mit vielen einzelnen Be- troffenen geführt. Ein langwieriger Prozess und eine kon- troverse Diskussion finden mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf auch noch nicht ihren Abschluss. Es wird in den nächsten Wochen und Monaten sehr auf die Be- reitschaft der Länder, sich konstruktiv an der Umsetzung der LSV-Reform zu beteiligen, ankommen, um diesen Re- formprozess zum Abschluss zu bringen. Die Koalitionsfraktionen haben im Ergebnis ihrer Dis- kussion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einerseits dem föderalen Aufbau der LSV Rechnung trägt und an- dererseits die bestehenden LSV-Träger zu ökonomisch und verwaltungstechnisch sinnvollen Einheiten zusam- menführt, der aber gleichwohl die Selbstverwaltung der LSV erhält und den Bundeseinfluss stärkt. In den Aus- schüssen hat unser Gesetzentwurf auch die Zustimmung der Opposition gefunden und ich freue mich, wenn wir dieses Gesetz heute in breitem, parteiübergreifenden Konsens verabschieden. Die Ziele dieses Gesetzes sind die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu einem modernen, zukunftsfähigen und weiterhin eigenständigen Sicherungssystem für die Landwirte und ihre Familien, die Schaffung effizienter und kostengünstiger Verwal- tungsstrukturen, die an den Strukturwandel in der Land- wirtschaft angepasst sind und die Stärkung des Einflusses des Bundes sowie Einsparungen in der Haushaltsführung der Verwaltung, die sich mittelfristig zugunsten der Versi- cherten auswirken werden. Die Organisationsreform der landwirtschaftlichen So- zialversicherung war lange überfällig. Mit zwanzig regio- nalen Versicherungsträgern, die sich wiederum in die drei Kategorien Unfall-, Kranken- und Alterssicherung auf- spalten, hat sich ein verwaltungsmäßiger „Wasserkopf“ entwickelt, der 600 Millionen DM jährlich verbraucht, bevor 1 DM den Versicherten zugute kommt. Dieser Zu- stand war unserer Auffassung nach nicht länger tragbar. Die Schere von Beitragszahlern und Leistungsempfän- gern hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117154 (C) (D) (A) (B) geöffnet, ohne dass daraus strukturelle Konsequenzen ge- zogen wurden. In dem „Lagebericht über die Alterssiche- rung der Landwirte“, den die frühere Bundesregierung 1997 dem Deutschen Bundestag erstmals vorlegte, wird die Entwicklung der Anzahl der Versicherten im Zeitraum 1996 bis 2007 in drei Modellrechnungen prognostiziert. Wenn ich hier einmal die „Mittlere Variante“ zugrunde lege, so zeigt sich ein Rückgang der Zahl der Versicherten von 511 000 in 1996 auf 322 000 in 2007. Das bedeutet eine Abnahme der Versicherten um 37 Prozent. Unterstellt man einen beschleunigten Strukturwandel, so ist sogar mit einem Rückgang um 44 Prozent zu rechnen. Diese Entwicklung wirkt sich natürlich in gravierendem Maße auf die Finanzierungsstruktur der landwirtschaftlichen Sozialversicherung aus: Während die Versicherungs- beiträge im genannten Zeitraum um 180 Millionen DM sinken, wird der erforderliche Bundeszuschuss zur Defi- zitdeckung um mehr als 1 Milliarde DM ansteigen. Wir haben im Koalitionsvertrag von 1998 die Notwen- digkeit der Neuorganisation der agrarsozialen Sicherung festgeschrieben. Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir diese Vereinbarung jetzt um. Die Funktionen der LSV werden gestärkt: Die land- wirtschaftliche Sozialversicherung dient nicht nur der Ab- sicherung individueller Risiken, sondern sie ist auch zen- traler Bestandteil der nationalen Agrarpolitik bei der sozialen Flankierung des Strukturwandels, bei der Abmil- derung regional unterschiedlicher Wettbewerbsbedingun- gen und bei der Stabilisierung der landwirtschaftlichen Einkommen. Mit dem Gesetzentwurf werden diese Funktionen der LSV gestärkt. Wir werden die Anzahl der Träger der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung mehr als halbieren, zentrale Aufgaben bei den Bundesverbänden der land- wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der land- wirtschaftlichen Krankenkassen sowie beim Gesamtver- band der landwirtschaftlichen Alterskassen bündeln und ein gemeinsames Rechenzentrum für alle landwirtschaft- lichen Versicherungsträger schaffen. Natürlich werden alle in diesem Zusammenhang erfor- derlichen Veränderungen bei den einzelnen Trägern vor Ort so vollzogen, dass sie für die rund 7 000 dort Be- schäftigen sozialverträglich gestaltet werden. Die Organi- sationsreform wird auch deshalb auf einer Zeitschiene bis 2004 vollzogen werden. Ab dem kommenden Jahr werden durch die Organisati- onsreform auch die Wirtschaftlichkeitsreserven bei den LSV-Trägern nutzbar sein. Hierdurch können sich Ein- sparungen von 13 Millionen DM im Jahr 2002 bis zu 59 Millionen DM im Jahr 2004 allein bei den Trägern er- geben. Für den Bund können sich in 2004 Einsparungen von insgesamt 116 Millionen DM ergeben. Dies sind Beiträge der Versicherten und Steuergelder, die letztlich zur Erzielung des Versicherungszweckes wieder zur Verfügung stehen, das heißt den Versicherten in Form von Beitrags- stabilität oder Beitragsnachlass zugute kommen werden. Gründe für die Stärkung des Bundeseinflusses: Der Bund ist mit dem Prinzip der Defizitdeckung in der Ver- antwortung. Er trägt bereits heute mit 57 Prozent der Ge- samtkosten der agrarsozialen Sicherung den größten Anteil an der Finanzierung dieses Systems. 68 Prozent des Agrar- haushaltes des Bundes fließen mittlerweile in die landwirt- schaftliche Sozialpolitik. Hieraus leitet der Bund berech- tigterweise ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung und Kontrolle der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ab. Nachdem auch CDU/CSU und F.D.P. in diesem Hause der Reform zustimmen wollen, möchte ich an die Bun- desländer appellieren, ihre ablehnende Haltung zu über- denken. Sie stehen gegenüber den Versicherten in der Ver- antwortung, für eine effiziente Verwaltung zu sorgen. Man kann den Bund nicht als bloßen Zahlmeister in An- spruch nehmen, ihm aber auf der anderen Seite kein Mit- spracherecht zugestehen und sich gleichzeitig Reformen für einen effizienten Mitteleinsatz verweigern. Eine nur halbherzige Reform würde unweigerlich eine Gefährdung des eigenständigen Systems der agrarsozialen Sicherung nach sich ziehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf si- chern wir eine tragfähige Basis für die soziale Absiche- rung der in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gar- tenbau Tätigen, bei gleichzeitig verringertem Aufwand an Bürokratie und kalkulierbarer Kostenentwicklung. Der Bundestag setzt heute mit dem vorliegenden Gesetzent- wurf ein Signal für eine starke landwirtschaftliche Sozial- versicherung. Marita Sehn (F.D.P.): Der Rechnungshof hat das System der landwirtschaftlichen Sozialversicherung als reformbedürftig kritisiert. Die Bundesregierung, der Bundesrat, die Länder, die Landwirte und sogar die Op- position, alle sind sich einig: Eine Reform der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung ist notwendig. Die Träger der landwirtschaftlichen Sozialversiche- rungen haben mit den beschlossenen Fusionen ihre Ko- operationsbereitschaft gezeigt. Eigentlich sind damit alle Voraussetzungen für einen großen Wurf der Regierung gegeben. Das magische Sechseck, welches Frau Künast für ihre Agrarwende einfordert: Für die Reform der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung existiert es bereits. Also, von der magischen Seite her ist alles in Ordnung; jetzt braucht man nur noch ein schlüssiges Konzept. Aber genau daran scheint es zu hapern. Dies hätte eigentlich eine Erfolgsstory der parlamenta- rischen Demokratie werden müssen. Warum sind Sie nicht in der Lage, gemeinsam mit den Ländern einen trag- fähigen Kompromiss zu erarbeiten? Die Moderationsfähigkeit der Bundesregierung ist of- fensichtlich sehr moderat. Diese Regierung, die so stolz darauf ist, die Steuer- und Rentenreform durch den Bun- desrat gebracht zu haben, zeigt sich nun unfähig, eine Mehrheit für ihre Reformvorschläge zu finden. Sie verliert sich in einem Gefeilsche um Kompetenzen und Finanzen. Das ist für das Ansehen der Politik kontraproduktiv und stimmt sehr skeptisch, was die Agrarwende anbelangt. Sie übersehen, dass es in Anbetracht der derzeitigen Verunsicherung der Landwirte fatal ist, jetzt auch noch die Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu zerreden. Die gesicherte Versorgung im Alter ist ein hoch- sensibles Thema und vollkommen ungeeignet für politi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17155 (C) (D) (A) (B) sche Grabenkämpfe. Die F.D.P. unterstützt eine Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Wenn wir aber bereit sind, an der Reform konstruktiv mitzuwirken, dann wäre es schön, wenn auch die Regie- rung ein Mindestmaß an demokratischem Verständnis aufbringen würde. Einen umfangreichen Änderungsan- trag als Tischvorlage im Ausschuss vorzulegen, ohne der Opposition die Möglichkeit zu geben, die Änderungen umfassend zu prüfen, das ist eine Entmündigung des Aus- schusses. Dieser Regierung fehlt ein demokratisches Grundverständnis. Dass einem so etwas von einer Partei geboten wird, welche sich in früheren Zeiten die Basisde- mokratie auf das Banner geschrieben hat, das ist schon eine Ironie der Geschichte. Außerdem hätte ich es begrüßt, wenn die vorgesehene Anhörung der betroffenen Verbände und Institutionen statt- gefunden hätte. Die Bundesregierung wäre gut beraten ge- wesen, diese durchzuführen. Viele strittige Punkte hätten auf diese Weise schon im Vorfeld geklärt werden können. Das hemdsärmelige Vorgehen der grün-roten Koalition zeugt von einem unterentwickelten Demokratieverständnis. Die Regierung, die zumindest verbal antritt, die ge- samte Agrarpolitik zu reformieren, scheitert an der Re- form der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Das darf doch nicht wahr sein! Ich kann nur an alle Beteiligten appellieren, schnell und einvernehmlich zu einem tragfähigen Kompromiss zu kommen. Frau Künast muss sich fragen lassen: Wie glaubwürdig ist eine Regierung, die eine Reform der ge- samten Agrarpolitik ankündigt und dann an einer Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung scheitert? Kersten Naumann (PDS): Langwierige Debatten zwischen Politik und Beteiligten, hektisches Einbringen von nicht korrekten Anträgen, immer wieder Verschie- bung von Beratungen, so gestaltete sich der Prozess des nun vorliegenden Gesetzentwurfes. Es besteht Konsens bei allen Beteiligten, dass eine Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung notwendig ist. Die Gründe dafür sind eindeutig: Erstens ist es ein Gebot von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, unwirtschaftliche Strukturen zu verändern, und zwar sowohl im Interesse des Bundeshaushaltes und der Steuerzahler wie auch im Interesse der Versiche- rungsträger und Beitragszahler. Zweitens ist die Organisationsreform eine Vorausset- zung für die sicher allseits als notwendig erachtete Re- form der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. In der ersten Lesung hatte ich angemahnt, dass den Abgeordne- ten zur Beurteilung des in der Begründung zum Gesetz angeführten Einsparvolumens von 116 Millionen DM eine entsprechende Quantifizierung nach Einsparpoten- zialen nachzureichen ist. Diese Begründung steht jedoch bis heute aus. Das Vorenthalten des Zahlenmaterials erweckt den Eindruck, dass die Opposition – im übertragenen Sinne – „die Katze im Sack kauft“, gewissermaßen in Vertrauen auf „die große Weisheit der Koalition“. Nach wie vor gibt es konträre Positionen zwischen Bund und Ländern, die zum Zankapfel werden dürften. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Koalition sich mit entsprechenden Kompromissangeboten auf die Länder zu bewegen würde. So muss zum Beispiel die Reduzierung der Anzahl der LSV-Träger mit verbindlichen arbeitsrechtlichen Maß- nahmen zur sozialen Absicherung betroffener Verwal- tungsangestellten einhergehen. Dazu fehlen jedoch kon- krete Aussagen im Gesetzentwurf. Der im Ausschuss abgestimmte Antrag hinsichtlich der Belange der Dienstordnungsangestellten ist mir aufgrund seiner Allgemeinheit viel zu unverbindlich. Auch der Kri- tikpunkt, die Übertragung der Rentenauszahlung und des Beitragseinzugs von den regionalen Trägern auf den Ge- samtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, ist nach wie vor nicht beseitigt. Außerdem wird an der Einführung einer Genehmi- gungspflicht für die Haushalte der Träger aller drei Versi- cherungszweige festgehalten, obwohl das sicherlich nur bei der Alterskasse – da der Bund nur dort an den Ver- waltungskosten beteiligt ist –, als akzeptabel erscheint. Für gut halte ich es, dass eine Übergangszeit zur An- gleichung unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen und Beiträge bei der Vereinigung von Berufsgenossenschaften und Krankenversicherungsträgern vorgesehen wurde. Abschließend möchte ich feststellen, dass für meine Fraktion nicht die Organisationsreform das Allerwichtigs- te ist, sondern die noch ausstehenden Entscheidungen zur Gewährleistung der Zukunftsfähigkeit eines für alle, das heißt für die Gesellschaft und die Landwirte tragbaren landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems. Denn der fortschreitende Strukturwandel erfordert auch künftig die Kombination von innerlandwirtschaftlicher und ge- samtgesellschaftlicher Solidarität. Ich sage das auch mit Blick auf den Bericht des Rech- nungshofes, der ein Einsparvolumen von mindestens 120 Millionen DM jährlich bei der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung fordert. Die PDS-Fraktion wird sich der Stimme enthalten, da – wie ich bereits bemerkte – die uns vorgetragenen ge- werkschaftlichen Forderungen nicht ausreichend umge- setzt wurden. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenenrentenrechts – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Unzumutbare Belastung in der Hinterblie- benensicherung zurücknehmen Erika Lotz (SPD): Mit der Regelung zur Hinterbliebe- nenversorgung, die wir heute beschließen, können wir uns Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117156 (C) (D) (A) (B) sehen lassen – wie mit der Rentenreform insgesamt. Ich betone es auch heute noch einmal: Die Neuregelung gilt nur für diejenigen, die erst in Zukunft heiraten oder die Ehen, bei denen heute beide Partner unter 40 Jahre alt sind. Sie gilt nicht für die heutigen Witwen und Witwer. Dass Sie von der CDU/CSU in den Landtagswahl- kämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz versucht haben, damit die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, war unverantwortlich. Unser Ziel war es immer, die Kindererziehung auch bei der Hin- terbliebenenversorgung zu berücksichtigen. Wir haben im Vermittlungsausschuss weitere Verbesserungen zugesagt, der Bundesrat hat das in seiner Entschließung aufgegrif- fen. Dass Sie von der CDU/CSU dieser Verbesserung heute nicht zustimmen wollen, heißt doch wohl nur eins: Sie stricken schon wieder an einem Wahlkampfthema. Dafür nehmen Sie auch in Kauf, die Mütter zu verunsi- chern, obwohl sie in Zukunft besser dastehen. Nur de- shalb haben Sie ja auch wohl einen neuen Antrag gestellt – ich weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Mal Sie neue Forderungen stellen. Zum größten Teil sind die Forderungen bereits in dem Gesetz enthalten, das wir heute beschließen – die nach der Erhöhung der Kinderkomponente für das erste Kind und der dauerhaften Dynamisierung des Grundfreibetrages. Selbstverständlich ist auch, dass die Änderungen in der Unfallversicherung und der Alterssicherung der Land- wirte nachvollzogen werden. Die beiden anderen Punkte sind absolut nicht akzepta- bel. Zur Anrechnung von Vermögen auf die Hinterbliebe- nenrenten hat die Staatssekretärin schon alles Wesentliche gesagt. Es ist auch unmöglich, Hinterbliebenenrenten in eigene Anwartschaften umzuwandeln. Ehepaare, die das wollen, haben in Zukunft aber die Möglichkeit, das Split- ting zu wählen. Zu den Kosten schweigen Sie sich ja be- zeichnenderweise aus. Mir ist klar, warum Sie, sehr geehrte Damen und Her- ren von der CDU/CSU, wie trotzige Kinder alles ableh- nen, was Renten und Beiträge stabilisiert. Sie suchen hän- deringend nach einem Thema für den Wahlkampf. Das wissen auch die Wählerinnen und Wähler, Rentnerinnen und Rentner ebenso wie Beitragszahlerinnen und Bei- tragszahler. Und auch denen reicht es. Selbst der Hauptgeschäftsführer des BDI, von Warten- berg, hat kein Verständnis mehr für Ihre Spielchen. Der Spiegel zitiert ihn damit: „Die Wähler messen die Oppo- sition nicht daran, was sie verhindert hat, sondern daran, mit welchen Konzepten sie die Zukunft gestalten will.“ Es wird Ihnen bei der nächsten Bundestagswahl keine Stimmen bringen, dass Sie eine dringend notwendige und sinnvolle Reform abgelehnt und versucht haben, sie zu torpedieren. Es wird Ihnen keine Stimmen bringen, dass Sie versuchen, Rentnerinnen und Rentner mit gezielten Falschinformationen zu verunsichern. Die Mütter sind die Gewinnerinnen dieser Rentenre- form. Zum ersten Mal ist es ein wesentliches Ziel einer Rentenreform, die Situation von Müttern im Alter zu ver- bessern. Deshalb haben wir auch nach den Gesprächen im Vermittlungsausschuss die Regelungen für Hinterblie- bene weiter verbessert. Wie sich das in Mark und Pfennig auswirkt, will ich zum Schluss an einem Beispiel erläu- tern: Eine Familie hat drei Kinder, zwei vor 1992 gebo- ren, eins später. Die Frau hat wieder angefangen zu arbei- ten, als das jüngste Kind in die Schule kam, und zwar teilzeit für die Hälfte des Durchschnittseinkommens. Der Mann erwartet eine Rente in Höhe von 2 228 DM, die Frau von 990 DM. Nach heutigem Recht würde die Frau eine Hinterbliebenenrente von 1 337 DM bekommen. Zusammen mit ihrer eigenen Rente hätte sie 2 327 DM im Monat. Nach dem Gesetz, das wir heute verabschie- den, bekommt sie im Monat 230 DM mehr: 1 225 DM Hinterbliebenenrente zuzüglich der Kinderzuschläge von 198 DM, vier Entgeltpunkte. Ihre eigene Rente wird um 148 DM höher bewertet. Insgesamt stehen ihr damit 2 561 DM im Monat zur Verfügung. So sehen die realen und re- alistischen Verbesserungen für Mütter bei der Rente aus. Brigitte Baumeister (CDU): Dass wir heute – nur drei Wochen nach Verabschiedung der Rentenreform – über ein Nachbesserungsgesetz zu diesem Jahrhundert- werk – wie die Bundesregierung es gerne bezeichnet – be- raten müssen, ist ein Eingeständnis dafür, dass die Ren- tenreform fehlerhaft ist. Dieses Nachbesserungsgesetz passt aber in die Entstehungsgeschichte der rotgrünen Rentenreform, die von Chaos und Durcheinander geprägt war. Es ist keinem Bürger zu erklären, dass noch vor In- Kraft-Treten der Reform die ersten Nachbesserungen vor- genommen werden müssen. Bei der Hinterbliebenensi- cherung wären Frauen die großen Verliererinnen, wenn CDU und CSU im Vermittlungsausschuss nicht hart ge- blieben wären. Die Union hat die von der Bundesregie- rung vorgenommenen massiven Einschnitte bei der Hin- terbliebenenrente von Anfang an bekämpft. Wir haben immer gefordert, dass die Witwenrente erhalten bleiben muss. Die Regelungen in diesem Nachbesserungsgesetz sind deshalb unser Verdienst. Mit dem vorliegenden Gesetz versuchen SPD und Grüne, die schlimmsten Benachteiligungen für Witwen und Witwer, die die Bundesregierung jüngst eingeführt hat, wieder zurückzunehmen. So ist es auch ganz schön dreist, wenn Sie Ihren Entwurf mit „Verbesserung der Hinterbliebenenrente“ überschreiben. In Wirklichkeit geht es darum, die von Ihnen vorgenommenen Einschnitte zu kompensieren. Die Kürzung der Rente trifft Frauen doppelt: Einerseits wird das staatlich garantierte Renten- niveau auf 64 Prozent gesenkt, andererseits wird auch die Hinterbliebenenrente von 60 auf 55 Prozent gekürzt. Es muss noch einmal klar ausgesprochen werden: Witwen und Witwer werden deutlich weniger Rente erhalten. Da es vor allem Frauen sind, die durchschnittlich erheblich weniger Beitragsjahre aufweisen als Männer, wird das tatsächliche Rentenniveau bei vielen Frauen in der kom- menden Generation unter 50 Prozent sinken. Angesichts dieser Zahlen müssen sich SPD und Grüne fragen lassen, warum sie erst unter dem Druck des Scheiterns der ganzen Rentenreform zu Zugeständnissen bereit waren und sich einige Forderungen von CDU und CSU zu Eigen gemacht haben. Warum sind Sie erst jetzt bereit, dass für das erste Kind nunmehr zwei Entgeltpunkte berechnet werden? Warum hat es so lange gedauert, bis Sie Müttern für das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17157 (C) (D) (A) (B) erste Kind jetzt 100 DM mehr an Witwenrente zugeste- hen? Warum haben Sie erst auf unseren Druck hin den Grundfreibetrag bei der Einkommensanrechnung auf Wit- wenrenten dauerhaft dynamisiert? Warum haben Sie da- mit erst jetzt Frauen, die heute unter 40 Jahre alt sind, zu- gesichert, dass auch sie im Alter an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilnehmen können? Dann müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie nicht in zwei weiteren Punkten, die massive Verschlechterun- gen für Witwen und Witwer mit sich bringen, bereit sind, Verbesserungen für die Betroffenen vorzunehmen. Erstens. Warum hält die Bundesregierung daran fest, künftig nicht mehr nur Erwerbseinkommen und Sozial- leistungen auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen? Nach Ihren Plänen werden den Witwen künftig auch Miet- einnahmen oder Kapitaleinkünfte von ihrer Rente abgezo- gen: Das bedeutet konkret: Eine Frau, die sich heute eine Eigentumswohnung zur Alterssicherung anschafft, wird die Mieteinnahmen aus dieser Eigentumswohnung im Al- ter von ihrer Witwenrente abgezogen bekommen. Das ist nicht nur unfair, sondern auch unlogisch und mit dem Grundsatz der privaten Vorsorge nicht zu vereinbaren. SPD und Grüne können oder wollen einfach nicht ver- stehen, dass viele Menschen in unserem Land Eigentum erwerben wollen, um neben der Rente privat vorzusorgen und um sich den Lebensstandard im Alter aufzubessern. Die Koalition macht jedoch ein weiteres Mal alle Anreize dafür zunichte. Die Koalition diskriminiert diejenigen, die sich neben ihrer Rente noch selbst etwas angespart ha- ben. Anstatt diese Form der privaten Vorsorge zu hono- rieren, müssen diese Eigentümer am Ende noch draufzah- len. Deshalb lehnen CDU und CSU eine Anrechnung dieser Einkommensarten ab. Verfassungsrechtlich be- denklich wird es, wenn, wie jetzt vorgesehen, lediglich die Riestersche 4-Prozent-Vorsorge aus dieser Anrech- nung ausgenommen wird. Es ist staatliche Willkür, wenn die eine private Vorsorge angerechnet wird und die andere nicht. Warum wollen SPD und Grüne, dass Ansprüche aus der Hinterbliebenenversorgung bei Wiederverheiratung verfallen? Warum weigern Sie sich, der Witwenrente den Charakter einer eigenständigen Sicherung zu geben? Genügend Frauen haben ihren Ehemännern geholfen, im Beruf voranzukommen und haben dafür auf eine ei- gene Karriere verzichtet. Aus unserer Sicht haben diese Frauen am beruflichen Erfolg ihres Mannes mitgearbeitet. Wenn der Mann stirbt, ist die Witwenrente nicht ein staat- liches Almosen. Auch wenn diese Frauen nicht monatlich ihre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben, so haben sie doch für ihre Rente im Alter gearbeitet und sich diese verdient. Wenn Sie diesen Frauen die Witwenrente im Falle der Wiederverheiratung nehmen, dann nehmen Sie ihnen ein Stück ihrer Vergangenheit. So kann man nicht mit Menschen umgehen! Die Union fordert daher, dass zumindest ein Teil der Ansprüche aus der Hinterblie- benenversorgung unverfallbar ist und in die neue Ehe mit- genommen werden kann. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf dem richtigen Weg. Wir for- dern Sie auf: Machen Sie keine kleinen Schritte, machen Sie einen großen Sprung nach vorn! Nehmen Sie die un- sozialen Kürzungen in der Hinterbliebenensicherung zurück! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wir stehen heute vor einer wirklichen Wende in der Rentenpolitik. Nachdem der Gedanke der Nachhaltigkeit in der Umweltpolitik – dank Bündnis 90/die Grünen – nicht mehr angezweifelt wird, hat die Koalition die Nach- haltigkeit erstmals in die Rentenpolitik festverankert. Wir haben es geschafft, die private Vorsorge auf den Weg zu bringen, die den Menschen langfristig im Alter den Lebensstandard sichert. Gleichzeitig haben wir die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest gemacht, in- dem wir auch zum Teil Einsparungen vorgenommen ha- ben. Das ist uns nicht leicht gefallen. Umso besser ist des- halb: Mit dem heutigen Gesetz erreichen wir eine wesentliche Verbesserung für Hinterbliebene, wenn sie Kinder erzogen haben. Ich freue mich, dass wir in dem neuen Hinterblieben- recht, wie auch in der Förderung der privaten Vorsorge, eine Kinderkomponente eingeführt haben. Heute können wir diese Kinderkomponente noch mal aufwerten. Durch das Ergebnis im Vermittlungsausschuss haben wir er- reicht, dass sich die Hinterbliebenversorgung verbessert, indem für das erste Kind zwei Entgeltpunkte, statt einem Entgeltpunkt, angerechnet werden. Darüber hinaus wird für jedes weitere Kind die Hinterbliebenenversorgung um einen Entgeltpunkt erhöht. Diese Regelung wird dazu führen, dass auch für Witwen von durchschnittlich Versi- cherten mit einem Kind die Senkung des Versorgungssat- zes von 60 Prozent auf 55 Prozent ausgeglichen wird, Hinterbliebene mit mehreren Kindern werden besser ge- stellt als mit einem Versorgungssatz von 60 Prozent. An die Adresse der Union sage ich: Ihre Kritik, die Rentenreform führe zu einer Benachteiligung von Fami- lien, ist schlicht falsch. Vielmehr ist es zutreffend, dass die Alterssicherung von Kindererziehenden deutlich verbes- sert wird, Mit der Rentenreform wird die Hinterbliebenenrente zielgenauer auf Menschen ausgerichtet, die wegen der Er- ziehung von Kindern nicht durchgängig arbeiten gehen konnten. Ich finde, das ist fair. Zum anderen werden ren- tenrechtliche Zeiten, in denen wegen der Erziehung von Kindern nur unterdurchschnittliche Verdienste erzielt werden können, aufgewertet. Sinken wird die Höhe der Witwenrente für jene Frauen, die keine Kinder erzogen haben. Ich meine: Es ist zumutbar, dass in diesen Fällen Ehepaare zusätzliche Vorsorge betreiben können; denn ih- nen werden keine Kosten für die Erziehung von Kindern entstehen. Hier geht es nicht darum, eine Politik gegen Singles zu machen, sondern vielmehr anzuerkennen, dass die Entscheidung für Kinder Mühe und Zeit und nicht zu- letzt auch materielle Einbußen bedeutet. Eine Neuordnung der Rente ist eine notwendige Mo- dernisierung. Angesichts der zunehmenden Berufstätig- keit von Frauen bauen diese zudem eigene Rentenan- sprüche auf und werden in Zukunft nicht mehr wie viele heutige Witwen auf die Hinterbliebenenrente des Mannes angewiesen sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117158 (C) (D) (A) (B) Bei allem, was wir tun und beschließen, müssen wir uns vergewissern: Auf die Kinder kommt es an. Wir brau- chen eine Politik, die den Gedanken der Nachhaltigkeit wieder in den Mittelpunkt rückt und danach fragt, was wir unseren Kindern eigentlich hinterlassen. Kinder müssen als eigenständige Bürgerinnen und Bürger wahrgenom- men werden – mit eigenen Rechten. Das muss sich durch alle Bereiche ziehen, wie zum Beispiel bei den Sozialsys- temen, der Umwelt, dem Verbraucherschutz, bei Bildung und Ausbildung. Wir müssen eine Gesellschaft bauen, die kinderfreundlich ist und das Elternsein erleichtert. Wir haben mit der Rentenreform insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit geleistet und verantwortlich im Sinne unserer Kinder gehandelt. Dr. Irmgard Schwaetzer ( F.D.P.): Die F.D.P. begrüßt grundsätzlich die Änderungen an dem bereits verabschie- deten Rentenreformgesetz. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Reform insgesamt zu kurz greift und der vorliegende Gesetzentwurf letztlich nur eine Rücknahme der kürzlich im Altersvermögensergänzungsgesetz von der rot-grünen Mehrheit selber beschlossenen Ver- schlechterungen der Hinterbliebenenversorgung ist. Aber wenigstens wird die Verunsicherung der Frauen abgebaut, die sich besorgt gefragt haben, wie ihre Hinterbliebenen- versorgung aussieht. Daher stimmt die F.D.P. im Interesse der Frauen diesem Gesetzentwurf zu. Denn damit ist auch für jüngere Frauen sichergestellt, dass sie mit ihrer Ge- samtversorgung im Alter an der allgemeinen Einkom- mensentwicklung teilnehmen. Dies ist und bleibt ein we- sentlicher Erfolg des Vermittlungsverfahrens, nicht der rot-grünen Bundesregierung. Wir begrüßen, dass bei der Rentenberechnung die bis- her auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinder- komponente für das erste Kind auf zwei Entgeltpunkte er- höht wird und dass der Grundfreibetrag bei der Ein- kommensanrechnung auf Witwen- und Witwerrenten, der durch das Altersvermögensergänzungsgesetz eingefroren wurde, auf Dauer dynamisiert bleibt. Unsere Zustimmung ändert nichts daran, dass wir nach wie vor die vorgesehene vollständige Anrechnung von Vermögenseinkünften in der Hinterbliebenensicherung kritisieren. Denn eine solche vollständige Anrechnung aller Einkommensarten ist mit dem Anreiz zur privaten Eigenvorsorge nicht vereinbar. Wenn Vermögenseinkom- men wie Miete und Kapitaleinkünfte und nicht nur wie bisher Erwerbseinkommen auf die Hinterbliebenenrenten angerechnet werden, werden die Menschen diskriminiert, die sich neben ihrer Rente noch selber etwas angespart haben, um sich den Lebensstandard im Alter aufzubes- sern. Darüber hinaus ist die volle Anrechnung auch des- halb zu kritisieren, weil ohnehin der enge Kriterienkata- log für die staatlich geförderte private Altersvorsorge nur zu einer begrenzten Auswahl an – anrechnungsfreien – Vorsorgeangeboten führt und diejenigen, die sich nicht auf die staatlich geförderten Programme einlassen wollen, durch die volle Vermögensberücksichtigung benachteiligt werden. Gewiss, für die heutige Generation von Beziehern ei- ner Hinterbliebenenversorgung bleibt es bei dem gelten- dem Recht. Nicht angerechnet wird das Einkommen, wenn bei In-Kraft-Treten der Reform in einer Ehe einer der Partner das 40. Lebensjahr erreicht hat. Daher geht die F.D.P. davon aus, dass wir in der kommenden Legislatur- periode im Rahmen einer neuen Rentenreform diese Fra- gen noch einmal intensiv erörtern werden. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Bei dem vorliegen- den Gesetzentwurf zur Witwenrente geht es nicht ums Nachbessern, sondern darum, auch jüngeren Frauen oder Männern im Hinterbliebenenfall eine deutliche Ren- tenkürzung zu ersparen. Die in der Rentenreform vorge- sehene Absenkung der Hinterbliebenenrente von 60 auf 55 Prozent soll nun doch noch kompensiert werden. Frauenverbände, Gewerkschaften und Kirchen hatten dies nachdrücklich gefordert und darauf hingewiesen, dass die geplante Kürzung der Witwenrente insbesondere Frauen treffe, für die selbst bei eigenen Rentenansprüchen die Hinterbliebenenrente nicht selten zur Existenzsiche- rung im Alter bitter nötig ist – dies erst recht, wenn die oh- nehin niedrigen Frauenrenten durch die Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus noch dürftiger ausfallen wer- den. Deshalb wird die PDS Ihren Vorschlägen, die Kürzun- gen bei der Hinterbliebenenrente durch eine Aufbesse- rung der Kinderkomponente auszugleichen, zustimmen, und wir halten es auch für richtig, dass Sie sich nun doch dazu entschlossen haben, den Freibetrag zu dynamisieren. Wir finden allerdings, dass Sie Ihrem Jahrhundertwerk keinen Gefallen tun, wenn noch vor In-Kraft-Treten der Rentenreform daran herumgeflickt wird – und dies nicht etwa, weil sie dem berechtigten Druck der betroffenen Frauen nachgeben. Nein, Sie nehmen Veränderungen vor, weil Sie die CDU/CSU ins Boot holen wollen. Von den Konservativen lassen Sie sich die sozialen Maßnahmen diktieren – verkehrte Welt. Verblüffend ist natürlich auch, wenn Sie nun Regelun- gen finanzieren können, die Sie vorher eben genau mit dem Argument zurückgewiesen haben, mehr sei aus fi- nanziellen Gründen nicht drin. Besonders solide wirkt dieses Vorgehen nicht. Man darf gespannt sein, wie Sie unter diesen Bedingungen die von Ihnen zum Dogma er- hobene Beitragsstabilität durchhalten wollen. Uns beschäftigt aber noch ein anderes Problem: Wenn wir nun schon Ihr Rentenpaket aufschnüren, sollten wir dann nicht auch Probleme anpacken, die uns möglicher- weise durch Entscheidungen des Bundesverfassungsge- richtes ohnehin bald ins Haus stehen? Die Regelungen zur Aufwertung von Kindererzie- hungszeiten bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit gehen nach unserer Auffassung nicht nur bei der Hinterbliebe- nenrente, sondern bei der Rentenreform insgesamt von ei- nem falschen Grundansatz aus. Ihnen geht es vorrangig darum, geringerem Verdienste vor allem von Frauen auf- zubessern, wenn diese gleichzeitig Kinder erziehen, und machen dies abhängig von der Höhe des Einkommens. Das ist erstens ungerecht, weil es Frauen mit Minilöhnen benachteiligt. Aber zweitens führt das auch dazu, dass Kindererziehungsleistung ungleich bewertet wird. Dies Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17159 (C) (D) (A) (B) aber verstößt gegen Anforderungen des Bundesverfas- sungsgerichtes, zuletzt formuliert im so genannten Pfle- geurteil in diesem Jahr. Die PDS hat deshalb einen Änderungsantrag einge- bracht, der von einem anderen Grundgedanken ausgeht: Er stellt die Kindererziehung in den Mittelpunkt. Eine Aufwertung von Rentenansprüchen ist dann der Anreiz, gleichzeitig zur Kindererziehung erwerbstätig zu sein und damit würden alle diejenigen, die Kinder erziehen, gleich behandelt. Eine solche Herangehensweise wäre erstens gerechter und würde zweitens dem Auftrag des Bundes- verfassungsgerichts entsprechen. Abschließend sei angemerkt: Trotz unserer heutigen Zustimmung ändert dies nichts daran, dass wir die von Ih- nen mit der Rentenreform vorgenommene Weichenstel- lung für grundfalsch halten und nicht nachlassen werden, sie zu kritisieren. Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Arbeit und Sozialordnung: Frauen sind die Gewinnerinnen der Rentenreform, denn die kindbezoge- nen Leistungen werden erheblich ausgebaut. Diese Fest- stellung habe ich bereits vor der Einbringung des jetzt zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurfs zur Verbes- serung des Hinterbliebenenrentenrechts getroffen und an- hand von Einzelbeispielen auch nachgewiesen. Mit die- sem Gesetzentwurf wird die Richtigkeit dieser Aussage nicht mehr bestritten werden können, besonders dann nicht, wenn man die gesamten Maßnahmen zugunsten von Frauen in der Versichertenrente, in der Hinterbliebe- nenversorgung, im Bereich der betrieblichen Altersver- sorgung und bei der Förderung der kapitalgedeckten Zu- satzversorgung im Zusammenhang sieht. Im vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung des Hinterbliebenenrentenrechts wird – entsprechend dem Er- gebnis des Vermittlungsverfahrens und der Entschließung des Bundesrates zum Altersvermögensgesetz – die bisher auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinderkom- ponente in der Hinterbliebenenversorgung für das erste Kind auf zwei Entgeltpunkte erhöht. Dies bedeutet, dass der kindbezogene Zuschlag zur 55-prozentigen Witwen- rente allein für das erste Kind rund 100 DM monatlich be- tragen wird. Damit wird auch für Witwen, die nur ein Kind erzogen haben, die Absenkung des Versorgungssat- zes bei der großen Witwenrente von 60 Prozent auf 55 Prozent angemessen ausgeglichen. Weiter ist beab- sichtigt, die Grundfreibeträge bei der Einkommensan- rechnung auf Hinterbliebenenrenten, die durch das Al- tersvermögensergänzungsgesetz eingefroren worden sind, auf Dauer wieder dynamisch auszugestalten, sodass auch die vom neuen Hinterbliebenenrentenrecht betroffe- nen jüngeren Witwen an den jährlichen Rentenanpassun- gen in vollem Umfang teilhaben werden. Mit den vielen neuen Kinderkomponenten in der Ver- sichertenrente, der Hinterbliebenenversorgung und der kapitalgedeckten zusätzlichen Alterssicherung setzt die Bundesregierung ein wegweisendes Zeichen in der Fami- lien- und Rentenpolitik. Durch die Umschichtung der Mittel zugunsten von Kindererziehenden trägt die Reform dazu bei, die Benachteiligungen von Familien gegenüber kinderlosen Paaren abzubauen und damit die Schere zwi- schen Familien und Ehepaaren ohne Kinder kleiner wer- den zu lassen. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch darauf eingehen, warum CDU und CSU diesen Gesetzentwurf ablehnen werden. Dies wird damit begründet, dass bei jüngeren Witwen in Zukunft auch Vermögenseinkünfte angerech- net werden. Das ist richtig; denn es muss endlich Schluss sein mit der Privilegierung von Vermögenseinkünften, die die CDU/CSU im Jahre 1986 geschaffen hat. Wenn die Einkünfte der sogenannten kleinen Leute – Arbeitsein- kommen, Renten und Pensionen – auf die Hinterbliebe- nenrente angerechnet werden, verlangt es die soziale Ge- rechtigkeit, dass auch Einkünfte aus Dividenden, Vermietung und Verpachtung usw. angerechnet werden. Damit die Dimension der von der CDU/CSU begünstig- ten Vermögenseinkünfte klar wird: Es geht nicht um das selbst genutzte Einfamilienhaus einer Witwe oder um Zinseinnahmen der Witwe aus einem mittleren Geldver- mögen, das der verstorbene Mann seiner Frau hinterlas- sen hat. Denn selbstverständlich sind die Vorteile aus dem Einfamilienhaus und Zinseinnahmen bis zum Sparerfrei- betrag von 3 000 DM jährlich steuerfrei und damit nach unserem Konzept auch anrechnungsfrei bei der Hinter- bliebenenversorgung. Zum Einfamilienhaus muss auch noch ein Mietshaus hinzukommen und die Zinsen müssen jährlich 3 000 DM übersteigen; erst dann beginnt – soweit der nunmehr wieder dynamisierte Grundfreibetrag von zurzeit rund 1 300 DM monatlich überschritten wird – die Einkommensanrechnung. Nun frage ich mich allen Erns- tes: Ist es wirklich notwendig, solche Vermögensein- künfte weiterhin zu privilegieren? Ich meine, nein. Lassen Sie mich abschließend feststellen; dass mit der aktuellen Rentenreform Frauen in besonderem Maße ge- fördert werden. Es erfolgen erhebliche Umschichtungen zugunsten von Frauen, die Kinder erzogen haben, und zwar auch im vorliegenden Gesetzentwurf. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu der Verordnung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV) (Tagesordnungspunkt 24) Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Dieser Tag ist ein guter Tag und wird in der Geschichte der Energiepoli- tik Deutschlands einen besonderen Stellenwert bekom- men. Dieser Tag ist gut für den Klimaschutz; er ist gut für die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien; er bringt einen zusätzlichen Investitionsschub für die Wirt- schaft und insbesondere die arg gebeutelte Land- und Forstwirtschaft wird diesen Tag ebenfalls begrüßen. Es ist also ein guter Tag für Deutschland. Mit der vorliegenden Biomasseverordnung schaffen wir jetzt die Voraussetzung für die Gewinnung von Strom aus nachwachsenden Rohstoffen und darum freue ich mich ganz besonders, dass wir heute eine breite Mehrheit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117160 (C) (D) (A) (B) im Deutschen Bundestag hierfür bekommen werden, die weit über die Regierungskoalition hinausgeht. Mit dem In-Kraft-Treten der Biomasseverordnung wird Schluss gemacht mit einer ungeheuren Verschwen- dung. Heute wird immer noch ein großer Teil des Althol- zes deponiert, ohne energetische Nutzung verbrannt oder ins Ausland exportiert. Dies ist eine ungeheure Verschwen- dung von Ressourcen und auf Dauer nicht hinnehmbar. Mit der Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Ge- setzes haben wir die grundsätzlichen Voraussetzungen ge- schaffen, neben Sonnen-, Wind- und Wasserkraft auch die Verstromung von Biomasse wirtschaftlich zu gestalten. Wer die jetzt vorliegende Verordnung gründlich liest, wird feststellen, dass sich die Arbeit der vergangenen Monate gelohnt hat. Wir haben hohe Ansprüche an die Effizienz der begünstigten Anlagen und an deren Abgasreinigung gestellt. Wir fördern nur die Anlagen, die effizient und sauber sind. Daher sind die Kritikpunkte, die an der ur- sprünglichen Fassung aufgekommen waren, aufgenom- men und beseitigt worden. Es gibt aber auch eine Diskussion über die Höhe der Förderung und die weitere Entwicklung in diesem Seg- ment der Energiewirtschaft. Wie für den gesamten Bereich des EEG gilt natürlich auch für die Biomasseverordnung, dass die Förderhöhe innerhalb der nächsten drei Jahre überprüft wird. Nach uns vorliegenden Zahlen kann es durchaus möglich sein, dass in einigen Anlagensegmenten die Vergütungshöhe zu einer sehr gut ausgestatteten Ren- dite der Anlagenbetreiber führt. Hier werden wir gegebe- nenfalls nachsteuern müssen, wenn wir genauere Erkennt- nisse haben. Gut ist es allerdings, dass sich schon jetzt eine ganze Reihe von Unternehmen, aber, wie ich in meinem ei- genen Wahlkreis feststellen kann, auch Landwirte mit kon- kreten Investitionsplänen beschäftigen. Hier wird sich eine rasante Entwicklung vollziehen, die technische Innovation und damit mehr Effizienz hervorbringen wird. Das ist gut so und das haben wir auch so gewollt. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass nicht in allen Bereichen unseres Landes die Bevölkerung die neu entstehenden Anlagen begrüßt. Es wird zum Teil auch Proteste geben, die insbesondere bei der Projektie- rung größerer Anlagen zur Altholzverstromung aufgebaut werden. Es wird darauf ankommen, den Menschen die Umweltfreundlichkeit und den Beitrag zum Klimaschutz durch die Holzverstromung zu verdeutlichen. Wir werden mit der Verabschiedung der Biomassever- ordnung einen erheblichen Beitrag zur Umsetzung des Kioto-Protokolls leisten. Mit der Umsetzung dieser Ver- ordnung werden wir aber auch erleben, wie sich immer mehr Menschen mit dem Thema „Erneuerbare Energien“ beschäftigen. Auch diese Entwicklung ist gewollt und ist gut für unser Land. Die Vision von einer Energieversor- gung, die zu 100 Prozent durch die Nutzung der erneuer- baren Energien sichergestellt wird, rückt wieder ein Stück näher. Allen Pessimisten sei hier ins Stammbuch ge- schrieben: Die Zukunft der nachhaltigen bundesdeut- schen Energieversorgung findet ohne Kernenergie statt und die Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Ener- gien an der Gesamtstromversorgung werden wir schneller erreichen, als viele in diesem Hause glauben. Außerdem realisieren wir mit der Biomasseverord- nung ein weiteres Prinzip: Umweltschutz kann und muss auch wirtschaftlich sein. Die erneuerbaren Energien sind eben nicht eine Luxusnische für Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte, sondern bieten eine realistische Perspek- tive für eine Energieversorgung ohne den ökologischen Rucksack. Sie werden immer interessanter auch für den so genannten Otto Normalverbraucher. Sie sind der wesent- liche Bestandteil für eine nachhaltige Energiepolitik, die auch die Zukunft der nächsten Generationen sichert. Wir werden schon in kurzer Zeit erleben, wie auch die Anla- gen für die Nutzung der Biomasse zu einem Exportschla- ger werden und damit auch dem Arbeitsmarkt neue Im- pulse geben. Monika Ganseforth (SPD): Die BiomasseVO macht den Weg frei, dass im Rahmen des von der Regierungs- koalition durchgesetzten Erneuerbare-Energien-Gesetzes – EEG – nun auch Pflanzen und Pflanzenprodukte sowie Abfälle und Nebenprodukte pflanzlicher oder tierischer Herkunft aus der Land- und Forstwirtschaft wie Stroh, Holz und Biogas bei angemessener Vergütung energetisch genutzt werden können. Denn im Spektrum der erneuerbaren Energien wie Wasser-, Wind- und Sonnenenergie ist das Potenzial der Biomasse bisher noch nicht ansatzweise ausgeschöpft. Wärme und Strom vom Bauernhof kann Realität werden. Es gibt jetzt die notwendige Investitionssicherheit und der Investitionsstau wird sich schnell auflösen. In der BiomasseVO wird festgelegt, welche Stoffe als Biomasse im Sinne des Gesetzes gelten und welche An- forderungen an die Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Biomasse gestellt werden, um in den Genuss der festen, nach der Größe der Anlage gestaffelten Vergütungssätze zu kommen. Das ist der Schlussstein für das EEG. Es sieht nicht etwa Zuschüsse für Anlagen der Biomassenutzung vor. Denn die Erfahrung zeigt, dass Subventionen eher zu Mit- nahmeeffekten führen. Weil das EEG und sein Vorläufer, das Stromeinspeisegesetz, den eingespeisten Strom ver- gütet, führt es zur Entwicklung kostengünstiger, effizien- ter, langlebiger Anlagen. Die Windenergie und Photovol- taik haben es vorgemacht. Sie entwickeln sich stürmisch. Dasselbe steht für Anlagen zur Biomassenutzung noch aus. Die BiomasseVO ermöglicht die Wirtschaftlichkeit und notwendige Investitionssicherheit. Den wirklichen Durchbruch für die Planungssicherheit für Anlagen zur Nutzung Erneuerbarer Energien brachte das Urteil des Eu- ropäischen Gerichtshofs im März, das die Vergütung des eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Energien für rech- tens erklärte. Ausgerechnet der Energieriese Eon hatte ge- gen das Gesetz geklagt wegen angeblicher Beihilfe. Der Versuch der großen Energieversorger, den Sieges- zug der erneuerbaren Energien durch Gerichte stoppen zu lassen, ist gescheitert. Die vielfältigen Subventionierun- gen für die problematische Atomenergie ist den großen Energieversorgern dagegen nur recht. Diese Beihilfen sind leider durch den Euratom-Vertrag gedeckt. Wenn also heute die BiomasseVO verabschiedet wird, steht einer ungehinderten Ausbaudynamik nichts mehr im Weg. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17161 (C) (D) (A) (B) Wir haben übrigens in dem von der rot-grünen Koali- tion getragenen EEG anders als im Vorläufergesetz, das von der damaligen CDU/CSU und F.D.P. mit Unterstüt- zung der SPD und den Grünen, also vom gesamten Bun- destag, getragen wurde, die Vergütung nicht an die Strom- preise gekoppelt. Dadurch gibt es die nötige In- vestitionssicherheit. Weil die Vergütung degressiv gestal- tet ist, das heißt, weil die Vergütungssätze jährlich um 1 Prozent abgesenkt werden, sind die Anreize für schnelle Investitionen gegeben. Das ist gut für die Umwelt, für Zu- kunftstechnologien und für die Arbeitsplätze. Franz Obermeier (CDU/CSU): Es gibt in Deutsch- land einen breiten gesellschaftlichen Konsens, nachwach- sende Rohstoffe verstärkt in der Energieumwandlung ein- zusetzen. Wie das Stromeinspeisungsgesetz ist das nun in Kraft getretene EEG ein Instrument zur Umsetzung die- ses Konzepts. Unter den erneuerbaren Energien hat die Biomasse, insbesondere das Holz, eine herausragende Bedeutung. Trotz der allgemeinen gesellschaftlichen Ak- zeptanz und der wirtschaftlichen Bedeutung ist Holz nach der Kernenergie der am meisten reglementierte Energie- träger in Deutschland. Holz gibt es als Naturstoff und auch als behandeltes Produkt. Wir unterscheiden zwi- schen „gutem“ und „schlechtem“ Holzbrennstoff. Mo- derne Feuerungs- und Randgasreinigungstechniken sind in der Regel in der Lage, auch „schlechtes“ Holz mit Aus- nahme der kyanisierten umweltverträglich energetisch zu verwerten. Diese Tatsache wollten die Kollegen der Koalitions- parteien nicht zur Kenntnis nehmen. So haben sie vor ei- nem Jahr nicht die von der Bundesregierung vorgelegte Verordnung beschlossen, sondern eine eigene Fassung ge- strickt. Der Bundesrat hat sich dann aber eine Woche spä- ter für die Fassung der Bundesregierung ausgesprochen. Diese unverständliche Haltung der Regierungsfraktionen hat zu einem ganzen Jahr Verzögerung geführt. Die Folge: kaum Investitionen in diesem Bereich, Export von Holz ins benachbarte Ausland, Stillstand in der Entwicklung der sinnvollen Biomasseverwertung. Es ist also kein Glanzstück, was sich hier die Fraktio- nen von Rot-Grün geleistet haben. Der Investitionsstau beträgt rund 2 Milliarden DM, den nur sie zu verantwor- ten haben. Die heute vorliegende Biomasseverordnung deckt sich weitgehend mit den Vorstellungen der CDU/CSU-Frak- tion und diese Auffassung haben wir schon vor einem Jahr vorgetragen. Es ist richtig, dass an die Förderung nach dem EEG Umweltanforderungen gestellt werden. Diese Ein- sicht der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen hätten wir uns auch beim KWK-Vorschaltgesetz ge- wünscht: Wir legen unser Hauptaugenmerk auf die Krite- rien einer nachhaltigen Entwicklung in der Energieversor- gung. Dies bedeutet, dass neben den ökologischen Anforderungen auch die ökonomischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, um Fortschritte zu erzielen. Viele Biomasseanlagen sind, vergütet nach den derzei- tigen Beträgen des EEG, nur wirtschaftlich, wenn sie Alt- holz der Klassen III und IV einsetzen können. Diesen Sprung haben sie nun geschafft. Die teilweise Einbeziehung des Tiermehls in die För- derfähigkeit ist ein Punkt, über den mit der Evaluierung des EEG noch einmal diskutiert werden muss. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt jedenfalls vor, die noch feh- lenden Erfahrungen mit Bioenergieanlagen für tierische Abfälle bald zu gewinnen, damit auch dieses Segment als förderfähig anerkannt werden kann. Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen, die erklären sollen, warum die CDU/CSU-Fraktion so stark für die energetische Nutzung von Biomasse entritt. Biomasse ist ein Hoffnungsträger unter den erneuerbaren Energiequellen, weil die Verfügbarkeit der Energieträger, die technischen Voraussetzungen ebenso wie die ökono- mischen Randbedingungen, ein kurzfristig realisierbares CO2-Minderungspotenzial bei akzeptablen Investitions-volumina in Aussicht stellt. Trotz insgesamt positiven Rahmens kann Deutschland – ausgenommen Bayern –, verglichen mit den anderen Ländern der EU, als alles an- dere als ein Vorreiter bezeichnet werden. Wir liegen im hinteren Mittelfeld. Die jüngsten Entwicklungen der Ölmärkte und der neueste IPCC-Bericht müssen uns zu einem grundsätzli- chen Umdenken zur Nutzung der nationalen Ressourcen, wie die Biomasse eine ist, führen. Im Gegensatz zur Wind- und Sonnenenergie kann Biomassestrom in allen Lastbereichen, also Grund-, Mittel- und Spitzenlast, ein- gesetzt werden. Durch diese lastabhängige Produktions- weise werden hohe Jahresbetriebsstunden erreicht. Die installierte elektrische Leistung kann fast vollständig für die zur Versorgungssicherheit notwendige Grundkapa- zität gerechnet werden. Hier liegt ein ganz wesentlicher Vorteil gegenüber der Windenergie und den Solarstrom- anlagen, deren installierte elektrische Leistung nur zu ei- nem Bruchteil anrechenbar ist. Das Potenzial zur energetischen Biomassenutzung in Deutschland ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Nach wie vor wird ein hoher Anteil des in Deutschland an- fallenden Rest- und Abfallholzes exportiert und dort un- ter anderen Rahmenbedingungen verwertet. Strom und Wärme aus Biogas zählen zu den interessanten Optionen, die erneuerbare Energien zu bieten haben. In Deutschland werden rund 1 300 Biogasanlagen betrieben, was nur zu einem Bruchteil dem im Biogas enthaltenen Poten- zial entspricht. Schätzungen ergeben, dass Biogas rund 4,55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs abdecken könnte. So könnten Millionen Haushalte mit Strom aus Biogas versorgt werden. Biogas kann aus einer breiten Pa- lette organischer Materie gewonnen werden. Abfälle aus Tierhaltung, Bioabfälle aus Haushalten, Reststoffe der Lebensmittelindustrie und Produkte aus der Landwirt- schaft stellen erhebliche Ressourcen dar. Ähnlich ist es mit biogenen Treibstoffen für dieselgetriebene Fahrzeuge. Die Europäische Kommission führt in ihrem Grünbuch zur Strategie für Energieversorgungssicherheit aus: Die Biomasse könnte einen nennenswerten Beitrag zur Stärkung einer dauerhaften Versorgungssicher- heit leisten. Die Biomasse ist eine verbreitete viel- seitige Ressource, die sowohl für Heizzwecke als auch zur Elektrizitätserzeugung genutzt werden könnte. Insbesondere das enorme Potential der land- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117162 (C) (D) (A) (B) und forstwirtschaftlichen Rückstände wird bisher nicht genutzt. Recht hat die Kommission. Zum Abschluss: Die CDU/CSU-Fraktion hat kon- struktiv am Zustandekommen dieser Verordnung mitge- wirkt. Biomassenutzung dient der Umwelt, mindert die Importabhängigkeit von Primärenergie und fördert den ländlichen Raum. Energiepolitik in diese Richtung – da sind wir die Lokomotive. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich sehr, dass die Biomasseverordnung heute im Bundestag verabschiedet wird. Damit schließt sich eine letzte Lücke der Förderung von erneuerbaren Ener- gien in Deutschland. Dies ist ein wichtiger, schwer erarbeiteter Schritt und ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, für diese Ver- ordnung eine so große Akzeptanz zu finden, dass auch die Opposition zustimmen kann. So hat sich die Mühe der Debatte gelohnt. Belohnt werden wir hoffentlich mit einer ab sofort dynamischen Entwicklung der Biomasse. Wir haben in Deutschland das Potenzial der Biomasse zur Energieerzeugung bei weitem nicht ausgeschöpft. Neben den Windkraftanlagen im Offshore-Bereich liegen hier große Möglichkeiten in den nächsten Jahren. Besonders die Möglichkeit von Biomasseanlagen, witterungsunab- hängig Grundlaststrom zu produzieren, macht diese Ener- gieerzeugung zur perfekten Ergänzung von Windkraft- und Fotovoltaikanlagen. In den nächsten drei Jahren werden mindestens 2 Mil- liarden DM an Investitionen allein in die Biomasse fließen. Dadurch werden weitere Arbeitsplätze geschaffen und es ergeben sich Perspektiven für ganz unterschiedli- che Wirtschaftsbereiche. Im Besonderen möchte ich hier die Landwirte nennen. Die Landwirte von heute sind die Energiewirte von morgen. Gerade die Landwirtschaft ist international einem hohen Konkurrenzdruck ausgeliefert. Außerdem ist in den Zeiten von BSE und der Maul- und Klauenseuche ein Umbruch in der landwirtschaftlichen Struktur notwendig und unvermeidbar. Da kommt ein neues Standbein in der umweltfreundlichen Energiever- sorgung genau zur rechten Zeit. Die neue Biomasseverordnung ist nach langen Diskus- sionen nun auf dem Tisch. Besonders die Einbeziehung von Althölzern war ein schwieriges Diskussionsthema. Ich denke aber, wir haben eine Lösung gefunden, die ei- nerseits die Energiequelle Altholz nutzt und andererseits der Umwelt nicht schadet. Sowohl behandeltes wie unbe- handeltes Holz ist ein erneuerbarer Energieträger. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, dass das Holz die öko- logisch sinnvolle Nutzungskette durchlaufen hat. Zuerst kommt die stoffliche Nutzung als Möbel oder Bauholz, dann erst die energetische Verwertung. Die energetische Nutzung von behandeltem Abfallholz ist zurzeit aber häu- fig nicht wirtschaftlich durchführbar. Deshalb bleibt die- ses Holz oft in der Landschaft liegen und stellt eine be- ständige Bedrohung für Grund- und Oberflächenwasser dar. Teilweise wird Abfallholz mit hohem Transportauf- wand in den skandinavischen Ländern energetisch ver- wertet oder sogar in der Möbelproduktion in Italien ein- gesetzt, wofür die finanziellen Rahmenbedingungen der- zeit günstiger sind. Die Unterstützung der Abfallholzver- wertung durch das EEG ist also auch sinnvoll, um die um- welt- und verkehrspolitisch kontraproduktiven Exporte eindämmen zu können. Ein zusätzlicher Aspekt, der für die Verwertung von belasteten Althölzern spricht, ist die Tatsache, dass nach einer Verbrennung die Schadstoffe auf wesentlich kleinerem Raum vorliegen und nicht mehr weitflächig in der Umwelt verteilt werden. Aber eines ist klar: die Verwertung dieses behandelten Altholzes muss in hochmodernen Anlagen geschehen, die die Schadstoffe mit modernster Technik auffangen und nicht in die Umwelt entlassen. Deshalb sieht die neue Bio- masseverordnung auch vor, dass nur Anlagen, die nach der strengen 17. BImSchV errichtet werden, auch die Ver- gütung nach dem EEG erhalten können. Ein besonderer Fall ist die Verwertung von Tierkada- vern und tierischen Nebenerzeugnissen. Alle diejenigen tierischen Reststoffe gelangen in die energetische Ver- wertung, die nicht in Tierbeseitigungsanstalten abliefe- rungspflichtig sind. Damit wird den Bedenken der Öf- fentlichkeit Rechnung getragen, die in Zusammenhang mit der BSE-Krise entstanden sind. Es wird also kein Bio- gas und auch keinen Dünger aus Biogasanlagen geben, der eventuell BSE-belastet wäre. Gegenüber der beste- henden Praxis der Verwertung von Tierabfällen gibt es keine Einschränkung. Wichtig ist auch, dass in der Biomasseverordnung Mindestwirkungsgrade für Anlagen festgelegt sind, die nach EEG vergütet werden. Dies können nur neueste An- lagen gewährleisten. Eine Verbrennung von Biomasse in alten, ineffektiven Kraftwerken wird es also nicht geben. Durch die neue Biomasseverordnung wird nun auch grü- nes Licht für Investoren gegeben. Der Boom der erneuer- baren Energien geht weiter. Unter der rot-grünen Regierung hat sich die Strompro- duktion auf der Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf knapp 20 Milliarden Kilowattstunden verdoppelt; das sind vier Prozent des Gesamtstromverbrauches. Zusam- men mit den großen Wasserkraftwerken der Energiewirt- schaft können damit bereits drei Millionen Menschen in Deutschland mit „grünem“ Strom versorgt werden. Das entspricht der Stromerzeugung von zwei Atomkraftwer- ken. In Zukunft wird ein immer größerer Anteil unseres Stromes regenerativ erzeugt. Wir sind damit auf dem Weg, das Kohlenstoff- und Atomzeitalter zu überwinden. Und das Schönste ist: Dieser Weg rechnet sich. Pro Jahr entstehen 10 000 Arbeitsplätze in der Erneuerbare-Ener- gien-Wirtschaft. Bis 2010 sind insgesamt 100 000 Ar- beitsplätze prognostiziert – das sind dreimal so viele wie heute in der Atomwirtschaft. Nach nur einem Jahr ist die Förderung von regenerati- ven Energien durch die rot-grüne Bundesregierung zu einem der großen Erfolge in der Geschichte der Bundes- republik geworden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das 100 000-Dächer-Programm und das Marktanreiz- programm für erneuerbare Energien stellen einen umfas- senden Ansatz zur Energiewende dar. Wir haben in Deutschland das weltweit ambitionierteste Programm Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17163 (C) (D) (A) (B) zur Förderung der erneuerbaren Energien geschaffen. Das Solarzeitalter hat begonnen und wir sind ganz vorne mit dabei. Birgit Homburger (F.D.P.): Aus umwelt- und klima- politischen Gründen hat sich die F.D.P. stets dazu bekannt, auch den Einsatz regenerativer Energieträger voranzu- bringen. Hierfür sind jedoch das Erneuerbare-Energien- Gesetz (EEG) und ihm folgend die Biomasseverordnung (BiomasseVO) der falsche Weg. Die F.D.P. hat mit dem Antrag zur marktwirtschaftlichen Förderung erneuerbarer Energien eine klare Alternative dazu in den Deutschen Bundestag eingebracht. Die von der F.D.P. schon bei der Beratung des Vorgän- gerentwurfs der Biomasseverordnung geäußerten grund- sätzlichen Bedenken sind durch die vorgenommenen Än- derungen nicht behoben worden. Der Entwurf enthält nach wie vor eine Positivliste der anerkannten Biomasse, das heißt der zu fördernden Energieträger. Die Verord- nung wird demzufolge immer wieder nach neuestem tech- nischen Stand zu korrigieren sein. Detailregelungen des Entwurfs der Biomasseverord- nung sind sogar für die Umwelt schädlich. So ist die zu- sätzliche Verwendung von Dieselmotoren zur Zünd- oder Stützfeuerung zulässig. Das bedeutet einen zusätzlichen Verbrauch an Heizöl, also eines fossilen Energieträgers. Durch die derzeitige Förderpolitik erhält der Anlagenbe- treiber Investitionsförderung, zinsverbilligtes Baudarle- hen und die volle Einspeisevergütung nach EEG. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Anlage auch noch mit steuervergünstigtem Heizöl betrieben werden – alles in allem eine ökologisch kontraproduktive Förderung, be- denkt man die zusätzlichen Emissionen aus Dieselmoto- ren, die die Umwelt extra belasten. Außerdem bleibt die Regelung über die Anerkennung von Altholz als Biomasse unvollständig. Denn die Alt- holzverordnung, die die Entsorgung von Altholz regeln soll, soll erst im Herbst verabschiedet werden. Was man von solchen Ankündigungen der Regierung zu halten hat, zeigt ein Blick auf andere umweltpolitische Bereiche: Es ist Geduld gefragt und darüber kann es schnell Herbst 2002 werden. Ein weiterer Problembereich wird gänzlich ignoriert: die Nutzung von Tiermehl als Biomasse für die Verstro- mung. Obwohl die BSE-Problematik erst nach der ersten Vorlage der Biomasseverordnung akut wurde – und trotz der langen Zeitspanne bis zur Vorlage der überarbeiteten Fassung in dieser Woche –, wird das Thema von der Bun- desregierung nicht aufgegriffen. So sieht der Verord- nungsentwurf für tierische Abfälle, die keine Ausnahme- regelung nach dem Tierkörperbeseitigungsgesetz erhalten, keine Vergütung nach dem EEG vor. Dies bedeutet, dass große Mengen an Tiermehlen – trotz ihres vorhandenen energetischen Potenzials – aus dem Kreislauf der Erzeu- gung von Strom aus Biomasse im Rahmen der Biomasse- verordnung herausgelöst werden und zu entsprechenden Kosten entsorgt werden müssen. Deshalb hatte die F.D.P. in den Ausschussberatungen einen Änderungsantrag ge- stellt, der die Berücksichtigung von Tiermehl vorsah. Die Fehler, die mit dem EEG begonnen wurden, wer- den mit der Biomasseverordnung fortgeschrieben. So werden die zu fördernde Technik und die Preise politisch festgelegt. Damit fehlt ein klarer wettbewerblicher Anreiz für die Betreiber, die Wirtschaftlichkeit regenerativer Energieanlagen fortlaufend zu verbessern. Das EEG führt damit zu einer Fehlallokation volkswirtschaftlicher Mit- tel. Diese Fehler vermeidet der Antrag der F.D.P. zur marktwirtschaftlichen Förderung erneuerbarer Energie- träger, indem er weder bestimmte Energieträger noch ein- zelne Techniken oder gar Preise vorschreibt. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Kern des Streites zwischen BMU und Bundesrat auf der einen, dem Bun- destag auf der anderen Seite war die Einbeziehung von belastetem Altholz in die Biomasseverordnung. Dazu hatte die PDS ursprünglich folgende Position: Auch wenn Holz ein regenerativer Energieträger ist, geht es nicht an, dass belastete Hölzer als Biomasse gel- ten. Denn sonst würde man für diese Hölzer, die zum Teil gefährliche Abfälle sind, nicht nur kein Geld für die Ent- sorgung zahlen müssen, sondern auch noch – über das EEG – Geld verdienen. Das wäre politisch-moralisch nicht zu vertreten. Im Grundsatz stehen wir noch heute zu dieser Position. Gleichwohl plädieren wir für die Einbeziehung von belas- teten Althölzern in die Biomasse. Denn die Realität sieht nämlich so aus, dass die belas- teten Hölzer in der Praxis nur in den wenigsten Fällen ord- nungsgemäß entsorgt werden. Sie landen über einen grauen Markt in der stofflichen Verwertung. Die Schad- stoffe aus den belasteten Hölzern finden sich dann über- wiegend in Spanplatten wieder. Das geht aber eindeutig zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieser Trend würde sich noch verschärfen, wenn nur noch unbelastetes Holz als Biomasse gilt und die Span- plattenindustrie allein aus Kapazitätsgründen vermehrt auf belastete Hölzer zurückgreifen würde. Auch die mit den Krebs erregenden PAK imprägnier- ten Bahnschwellen und Leitungsmasten werden sehr oft für Spielplätze, Garteneinfriedungen, Zäune etc. „umge- nutzt“. Da all diese Hölzer nun unter die Biomasse fallen, wird die derzeitige Ist-Situation verbessert, es werden die Schlu- dereinen der Vergangenheit aufgearbeitet. Der Druck zur il- legalen Entsorgung wird mit dieser Regelung herausge- nommen. Wir können damit leben, weil durch die geltende 17. BImschVO für diese Althölzer strenge Kriterien für die Verbrennung – Dioxinfilter etc. – angelegt werden. Zudem wird ein hoher Anspruch an den Wirkungsgrad der jeweiligen Anlagen gestellt. Dabei wird ein Mitnah- meeffekt im Sinne einer Mitverbrennung in normalen Verbrennungsanlagen ausdrücklich ausgeschlossen. Ich will nicht verschweigen, dass zahlreiche Bürger- initiativen in der Nähe von Verbrennungsanlagen der Ver- brennung von belasteten Althölzern ablehnend gegen- überstehen. Diese Skepsis, die durch unzählige Skandale, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117164 (C) (D) (A) (B) wie manipulierte Filter oder Trixerein zur Grenzwertein- haltung gespeist wird, ist wohl sehr begründet. Deshalb müssen die Überwachungsbehörden mit strengster Kontrolle die durchgängige Einhaltung der 17. BImschVO durchsetzen. Vor allem erwarten aber die Verbraucher, dass gesundheitsschädlichen Belastungen in Hölzern endgültig der Vergangenheit angehören. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungs- punkt 25) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Die Gründe für die Verlängerung der Exklusivlizenz wurden in der Vergan- genheit mehrfach dargestellt. Ich weise dazu auch auf das, was unsere Kollegin Petra Bierwirth heute ausgeführt hat, und auf meine Anmerkungen in der Debatte um den F.D.P.-Antrag am 15. März 2001. Deshalb möchte ich mich heute mit einigen Gegenar- gumenten aus den letzten Monaten beschäftigen, eine An- sammlung von Widersprüchen und Skurrilitäten. Viele können nur so reden, weil sie davon ausgehen können, dass die Koalition eine sofortige Totalliberalisierung ver- hindern wird und ihre Forderung den Realitätstest nicht bestehen muss. Nehmen wir den bayerischen Wirtschaftsstaatssekretär Spitzner, der sich unter anderem wie folgt äußerte: „Das Briefmonopol ... muss Ende 2002 fallen... Was Berlin hier plant, ist verbraucher- und ordnungspolitisch der falsche Weg! ... Den Kunden werden damit ähnliche Preisvorteile wie bei der Telekommunikation vorerst weiter vorenthal- ten.“ – So im Bulletin der Byerischen Staatsregierung vom 9. Februar 2001. Wir reden also von Preisvorteilen von bis zu 90 Pro- zent, wie wir sie im Bereich der Telekommunikation hat- ten. Stellen wir uns das einfach mal vor: Ein Standardbrief für 10 bis 15 Pfennig. Spitzner fährt fort, „... dass auch nach dem Wegfall der Exklusivlizenz eine flächen- deckende und qualitativ hochstehende Versorgung der Bevölkerung ... sichergestellt sei.“ Also: für 10 Pfennige hochwertig, flächendeckend und im Wettbewerb! Von den Wettbewerbern, die das schaffen sollen, müssen Sie mir mal einen zeigen. Da sind wir schon beim nächsten Widerspruch. Sie sa- gen: Das Porto muss runter durch den Wettbewerb und für den Wettbewerb. Wie soll das gehen? Heute haben doch die Inhaber von D-Lizenzen – Ortspost als höherwertige Dienstleistung – nur deshalb eine Chance, weil sie ein paar Pfennige unter dem Monopolporto der DP AG an- bieten können. Wenn das Porto abgesenkt wird, entziehen Sie den kleinen Wettbewerbern der Post die Existenz- grundlage. Das führt zum nächsten Punkt: Schon heute sind Großverlage und die Postkonzerne aus den Nachbarstaa- ten dabei, im Hinblick auf die Liberalisierung die kleinen D-Lizenz-Inhaber zusammenzukaufen und zu einem Netz zusammenzufügen. Dies ist in der „Wirtschaftswo- che“ vom 15. April 2001 eindrucksvoll dargestellt. Je weiter liberalisiert wird, desto weniger kleine Betriebe und desto mehr Konzentration werden wir erleben. Wer im großen Briefgeschäft mithalten will, dem genügen ein paar Fahrräder und 7,5-Tonner nicht mehr. Der muss Hunderte von Millionen, wenn nicht gar Milliarden in- vestieren. Wir nehmen zur Kenntnis: Wer hier von Ge- werbefreiheit und vom Schutz von Kleinunternehmen und Verbrauchern redet, meint im Grunde internationale Postkonzerne. Die sollen geschützt werden, weil sie an- geblich darauf vertraut haben, dass der Markt 2003 geöff- net wird. Da sind wir bei der nächsten Legende: Man habe sich auf eine Liberalisierung 2003 verlassen können und eine weitere Verlängerung des reservierten Bereichs sei rechtswidrig. Ich zitiere zunächst: Nach Art. 143 b Abs. 2 des Grundgesetzes können die vor der Umwandlung bestehenden ausschließli- chen Rechte des Bundes durch Bundesgesetz für eine Übergangszeit dem aus der Deutschen Bundespost POSTDIENST hervorgegangen Unternehmen ver- liehen werden. Die Vorschrift räumt dem Gesetzge- ber hinsichtlich der Geltungsdauer der Monopol- rechte einen Ermessensspielraum ein. Die Bundesregierung präferiert hierbei einen Ansatz, der einen abrupten Systemwechsel vermeidet und stattdessen einen stufenweisen Übergang vom Mo- nopol zum Wettbewerb im Postsektor ermöglicht. – Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode, Drucksache 13/7774 vom 30. Mai 1997, Gesetzentwurf der Bundesre- gierung Entwurf eines Postgesetzes (PostG), Seite 33. Von wem stammt das Zitat? Es stammt von der Bun- desregierung, die 1997 amtierte! So steht es in ihrer Be- gründung zum Postgesetz. Dann haben wir noch den § 47 im Postgesetz über den Tätigkeitsbericht der Reg TP. Dort heißt es unter anderem: In diesem Bericht ist auch Stellung zu nehmen zu den Fragen, ... ob und gegebenenfalls bis zu welchem Umfang die Aufrechterhaltung einer Exklusivlizenz nach § 51 über den dort genannten Zeitpunkt hinaus erforderlich ist. Die Bundesregierung nimmt zu die- sem Bericht gegenüber den gesetzgebenden Körper- schaften des Bundes in angemessener Frist Stellung. Mit Recht verweisen auch die Kommentare darauf, dass eine solche Berichterstattung und eine Stellun- gnahme der Bundesregierung nur Sinn macht, wenn da- raus auch Entscheidungen abgeleitet werden können. Dies war Ergebnis des Vermittlungsverfahrens: „Implizit ist damit die Absichtserklärung angedeutet ... eine Verlän- gerung oder inhaltliche Änderung der Exklusivlizenz ... nicht auszuschließen.“ – P. Badura und andere, (Heraus- geber) Postgesetz. Beck’scher PostG Kommentar, Mün- chen 2000, Seite 591. Dies war auch die klare öffentliche Botschaft des Vermittlungsverfahrens. Im Zusammenhang mit der er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17165 (C) (D) (A) (B) warteten europäischen Entwicklung und der alten Post- diensterichtlinie, die ebensolche Überprüfungen vor al- lem der Fristen 2003 für die totale Liberalisierung vorsah, konnte jeder Interessierte diese Tatsache realistisch ein- schätzen. Wer sich in einer solchen Branche engagiert und investiert, muss sich informieren. Wer dies nicht tut, dem kann kein Parlament und keine Regierung helfen, auch nicht dadurch, dass morgen der Wettbewerb freigegeben wird. Und dass sich Veränderungen ergeben haben, die eine solche politische Entwicklung erfordern, wurde von pro- minenter Seite bestätigt. Ich zitiere: „Hat sich Ihre Ent- scheidung, das Briefmonopol der Post Ende 2002 aufzu- heben, inzwischen als falsch herausgestellt?“ Antwort: „Sie hat sich nur insofern als falsch erwiesen, als die entscheidende Annahme von damals – nämlich dass die übrigen EU-Länder dem deutschen Vorbild fol- gen und ebenfalls ihre Postmärkte öffnen würden – sich nicht bewahrheitet hat. Die politischen Rahmenbedingun- gen haben sich seit der Verabschiedung des Postgesetzes 1997 grundlegend verändert.“ – Wolfgang Bötsch im In- terview der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. Februar 2001. Dem ist nichts hinzuzufügen. Deshalb handeln wir jetzt. Die Verlängerung der Exklusivlizenz zieht Folgeände- rungen nach sich. Darauf hat der Bundesrat mit Recht hin- gewiesen und wir sind uns dessen bewusst. Ein privates Monopol ohne Entgeltregulierung und ohne fortgeschrie- bene Universaldienstverpflichtung wird es nicht geben. In der Frage des Portos wird es künftig Sache der Regulie- rungsbehörde sein, auf der Grundlage getrennter Rech- nungslegung die Angemessenheit der Gebühren zu über- prüfen. Vorrang hat aber jetzt Klarheit über die Verlängerung der Exklusivlizenz. Das dürfte im Interesse aller Markt- teilnehmer im Sinne von Planungssicherheit sein. Des- halb machen wir eine öffentliche Anhörung im Unteraus- schuss für Telekommunikation und Post am 18. Juni 2001 und wollen dann zu einer schnellen Entscheidung kom- men. Petra Bierwirth (SPD): Mit dem Postgesetz von 1997 wurde klargestellt, dass nach einer Übergangszeit alle Postdienstleistungen in Deutschland dem Wettbewerb un- terliegen sollen. Für die SPD-Bundestagsfraktion war da- bei stets klar, dass die Liberalisierung des deutschen Marktes im Kontext einer harmonisierten Öffnung der Postmärkte in der Europäischen Union stattfinden sollte. Nach dem Beginn der Liberalisierung vor vier Jahren gibt es jedoch bis heute keine völlige Öffnung der Postmärkte. Die europaweite Deregulierung wird in den Mitgliedslän- dern sehr unterschiedlich gehandhabt. Entgegen der EG-Richtlinie von 1997 gibt es in Brüs- sel bis heute keine Entscheidung über die Fortsetzung der Liberalisierung. Ein Zeitplan ist bislang nicht vorgelegt worden. Mit weiteren Liberalisierungsschritten ist vor 2007 nicht zu rechnen, In der Mehrzahl der Mitgliedslän- der ist gegenwärtig eine Bereitschaft zur weiteren Libe- ralisierung und Privatisierung der Postmärkte nicht zu erkennen. Die Bundesregierung und die SPD-Bundes- tagsfraktion haben wiederholt deutlich gemacht, dass sie den Wettbewerb wollen. Deutschland hat bereits heute seinen Postmarkt deutlich weiter geöffnet, als es die eu- ropäische Postrichtlinie vorsieht. Deutschland ist bereits heute bei der Marktöffnung im europaweiten Vergleich in einer Spitzenposition und deutlich weiter als die Gralshü- ter von Liberalisierung und Wettbewerb, die USA. Von der europaweiten völligen Liberalisierung der Postmärkte sind wir, wie bereits erwähnt, weit entfernt. Selbst eine Absenkung des reservierten Bereichs ist bis- lang nicht absehbar. Wenn Ende 2002 die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG endet und der deutsche Postmarkt ein reiner Wettbewerbsmarkt ist, müssen daher grenz- überschreitende Wettbewerbsverzerrungen befürchtet werden. Deshalb begrüße ich den Gesetzentwurf der Bun- desregierung zur Änderung des Postgesetzes. Er verfolgt das Ziel, die Übergangszeit für die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG um fünf Jahre bis zum Jahresende 2007 zu verlängern. Diese Veränderung des zeitlichen Rahmens ist angezeigt, weil die ungleiche Öffnung der Märkte in der Europäischen Union einen Wettbewerbs- nachteil für deutsche Unternehmen und eine Schwächung des Standortes Deutschland bedeutet. Mit einer schritt- weisen und harmonisierten Marktöffnung schaffen wir faire Chancen im Wettbewerb. Wir wollen verhindern, dass es durch die einseitige Be- endigung des regulierten Marktes zu Wettbewerbsverzer- rungen kommt. Wir wollen vermeiden, dass Postunter- nehmen aus geschlossenen oder nahezu geschlossenen Märkten auf einem vollständig geöffneten deutschen Markt tätig werden können. Führen Sie sich die Bedeu- tung des deutschen Postmarktes vor Augen: Er ist der größte in Europa und er ist durch seine Lage besonders lu- krativ. Wir haben in Europa die Beispiele für Wettbewerbs- verzerrungen durch uneinheitliche Marktöffnung. Der Bereich der Stromversorgung, in dem es keine europaein- heitliche Liberalisierung gegeben hat, mahnt uns zur Vor- sicht. Erlauben Sie mir an dieser Stelle folgende Anmer- kung: Wir wollen auch vermeiden, dass es durch eine zu rasche Liberalisierung zu einem Verdrängungswettbe- werb mit Lohn- und Sozialdumping zulasten der Be- schäftigten sowie zu einer Leistungsreduzierung für die Kunden kommt. Eine weitere Öffnung des deutschen Postmarktes muss mit den europäischen Liberalisierungs- schritten weitgehend parallel verlaufen. Genau dazu dient die Gesetzesänderung. Durch unser rechtzeitiges Handeln erhalten die Deutsche Post AG und ihre Wettbewerber die notwendige Rechts- und Planungssicherheit. Deutschland nimmt bei der Liberalisierung der Postmärkte europaweit einen Spitzenplatz ein. Daran wird sich auch nach einer Verlängerung der gesetzlichen Exklusivlizenz der Deut- schen Post AG nichts ändern. Ich will betonen, dass es hier nicht um einen Endzustand geht, sondern um den Ordnungsrahmen einer Übergangszeit von einem Mono- pol zum Wettbewerb, den wir grundsätzlich wollen – in einem harmonisierten europäischen Binnenmarkt zu fai- ren Bedingungen für alle Wettbewerber. Die Bundestags- fraktion der SPD unterstützt daher die Bemühungen der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117166 (C) (D) (A) (B) Bundesregierung, auf europäischer Ebene die Marktöff- nung im Postbereich voranzutreiben. Zum Schluss lassen Sie mich noch einige Worte zum Briefporto sagen. Vor wenigen Wochen hat an dieser Stelle die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- wirtschaftsministerium darauf hingewiesen, dass die Ver- schiebung der Marktöffnung eine Portoreduzierung ab dem Jahr 2003 nicht ausschließt. Ähnlich wurde vor we- nigen Tagen der Bundeswirtschaftsminister in der Presse zitiert. Auch ich bin der Auffassung, dass die Produkti- vitäts- und Effizienzsteigerungen bei der Deutschen Post AG in Zukunft Spielräume für günstigere Postdienstleis- tungen eröffnen können, die dann privaten und gewerbli- chen Kunden zugute kommen. Nicht die Beibehaltung der Portohöhe, sondern der Marktregulierung im Postbereich ist Ziel des Gesetzes. Aller Polemik der Opposition zum Trotz geht die Entscheidung zur Verlängerung der Exklu- sivlizenz nicht zulasten der Verbraucher. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU):Das, was die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Postgesetzes beabsichtigt, also mit einer Verlängerung des Postmonopols um weitere fünf Jahre, muss man zu- mindest einen gravierenden Vertrauensbruch nennen. Et- liche der betroffenen Firmen und mit ihnen viele Arbeit- nehmer, denen jetzt die Entlassung droht, nennen es sogar Betrug. In den vergangenen Jahren hat die Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post insgesamt 906 Unternehmen Lizenzen für die Beförderung von Brief- sendungen erteilt. Rund 600 Unternehmen sind davon am Markt tätig, der überwiegende Teil im Bereich qualitativ höherwertiger Dienstleistungen, also in den Bereichen, die es ohne diese Unternehmen gar nicht gäbe, weil sie von der Post AG gar nicht oder nur unzureichend angebo- ten werden. Auch die ständig vorgetragene Kritik der SPD und der Gewerkschaften, wonach die neuen Wettbewer- ber der Post AG Arbeitnehmer beschäftigen würden, die sozusagen völlig ohne Arbeitnehmerrechte seien, ist le- diglich bösartig und durch die Praxis widerlegt. Die Regulierungsbehörde hat bisher bei 450 Lizenz- nehmern Überprüfungen vor Ort durchgeführt. Diese Re- gelprüfungen haben ein insgesamt positives Bild ergeben. Offensichtliche Verstöße gegen Lizenzbestimmungen wurden bisher nicht festgestellt. Bei den bisher überprüf- ten Lizenznehmern sind rund 19 000 Arbeitskräfte be- schäftigt, davon 2 550 Vollzeit- und 4 525 Teilzeitkräfte. Von den rund 10 500 geringfügig Beschäftigten stehen rund 9 000 in einem sozialversicherungspflichtigen Ar- beitsverhältnis. Damit werden die lizenzpflichtigen Tätig- keiten zu über 95 Prozent der Gesamtarbeitszeit in sozial- versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen erbracht. Noch immer gibt es rund 500 Klagen der Post AG gegen die Erteilung von Lizenzen für höherwertige Dienstleistungen, wobei meist der Punkt „taggleiche Zu- stellung“ eine Rolle spielt. Viele der ursprünglich über 600 beklagten Firmen haben, wegen der hohen Anwaltskosten, inzwischen die Segel gestrichen. Das klingt salopp, dahinter stehen aber eine ganze Reihe von Entlassungen in die Arbeitslosigkeit. Allein bei AZD, dem Alternativen Zustelldienst, wird mit der Vernichtung von über 5 000 Arbeitsplätzen in den neuen Ländern gerech- net. Das alles interessiert diese Regierung aus roten und grünen Genossen nicht im Geringsten. Zumindest habe ich bisher keine Proteste gehört, weder vom Arbeitsminis- ter oder gar vom Beauftragten der Regierung für die neuen Länder, Staatssekretär Schwanitz. Aber es ist halt ein Unterschied, ob der Vorstandsvor- sitzende von IBM-Deutschland 80 000 IT-Kräfte aus dem Ausland fordert, wobei ihm der Kanzler spontan 30 000 zusagt und die Wirtschaft schließlich ganze 5 600 ein- stellt. Davon allein zwei Drittel in den unionsregierten Ländern Bayern und Baden-Württemberg. Oder ob kleine und kleinste Firmen, die eben nicht den Namen IBM oder Holzmann tragen, um ihre jeweils wenigen Arbeitnehmer kämpfen. Diese Regierung mag das Wort Wettbewerb und Mittelstand noch so oft als Propagandawort in ihren Sonn- tagsreden in den Mund nehmen. Am praktischen Beispiel, wenn es darum geht, für den Mittelstand konkret etwas zu tun, versagt das Wirtschaftsministerium und die Abgeord- neten der rot-grünen Koalition nicken nur noch ergebenst und huldvoll das ab, was die Regierung von ihnen ver- langt. Mit der angestrebten Verlängerung des Briefmonopols stellt die Bundesregierung einseitig ihre finanzpolitischen Ziele, nämlich einen möglichst hohen Verkaufswert bei der weiteren Aufgabe der Aktien zu erzielen, über die wirtschaftlichen Interessen von Handel und Industrie. Op- fer einer solchen Entscheidung wären zudem die neu ge- gründeten mittelständischen Existenzen im Briefmarkt. Diese hatten im Vertrauen auf die im Postgesetz für den 1. Januar 2003 vorgesehene Beendigung des Briefmono- pols in den privaten Zustellmarkt investiert. Alle privaten Zustellunternehmen müssen als Folge der Verlängerung des Briefmonopols um ihre wirtschaftliche Basis fürch- ten. Für sie stellt sich die Änderung des Postgesetzes als enteignungsgleicher Eingriff dar. Ohne Wettbewerbsal- ternative sind Wirtschaft und Handel dem Preisdiktat der Deutschen Post AG ausgesetzt. Das Briefmonopol wurde der Post AG für einen Über- gangszeitraum verliehen, der das Unternehmen in die Lage versetzen sollte, sich ausreichend auf den Wettbe- werb vorzubereiten. Nach erfolgreichem Börsengang und Rekordgewinnen des Monopolisten ist die Transforma- tion zu einem Wettbewerbsunternehmen abgeschlossen. Im Vertrauen auf das gesetzlich festgelegte Enddatum des Briefmonopols (31. Dezember 2002) haben die privaten Briefdienste erhebliche Vorleistungen erbracht, Struktu- ren aufgebaut und ein neues Qualitätsbewusstsein im Briefdienst geschaffen. Vollends unverständlich ist die dafür gegebene Begründung, die auf angebliche Liberali- sierungsdefizite in Nachbarländern verweist. Der Wirtschaftsminister weist nun darauf hin, dass er an den EU-Kommissar Bolkenstein einen Brief geschrie- ben hat, wonach er ihm zusichert, jeden europäischen Schritt zu einer weiteren Liberalisierung mit zu tragen. Dieser Brief dokumentiert geradezu klassisch sein Nichts- tun in dieser Frage. In der gleichen Situation, als es um ge- meinsame europäische Postliberalisierung ging, hat 1997 der damalige Postminister, Wolfgang Bötsch, die wichtig- sten europäischen Länder besucht und sich nicht auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17167 (C) (D) (A) (B) geduldigen Briefwechsel beschränkt. Und er hat ein ge- meinsames Ergebnis erreicht. Die Wettbewerber fühlen sich als Opfer einer wirt- schaftlichen Machtpolitik, die darauf angelegt ist, die Deutsche Post AG zum „Global Player Nr. 1“ zu machen. Während also unser Wirtschaftsminister am 28. Mai in ei- nem Interview auf europäischer Ebene nach Entschuldi- gungen sucht, weshalb er Wettbewerb verhindern müsse, sagt einen Tag vorher in derselben Zeitung der EU-Wett- bewerbskommissar Monti, dass die Verlängerung des Postmonopols bis zum Jahre 2007 in Deutschland sowohl Verbrauchern wie Unternehmern schade. Auf das Argu- ment fehlender europäischer Harmonisierung setzt er noch hinzu, ich zitiere wörtlich: „Sich dafür zu rächen, ist aber kein guter Weg in die Zukunft. Davor warne ich.“ Am 11. Mai hat der Bundesrat einen Antrag der uni- onsregierten Länder abgelehnt, das Postmonopol zu be- enden; gleichfalls hat der Bundesrat auch einen SPD-Antrag abgelehnt, das Postmonopol zu verlängern. Einstimmig hat der Bundesrat jedoch beschlossen, rechtzeitig bei allen weiteren Änderungen von Rechtsnormen, die sich aus dem Gesetzentwurf ergeben, Klarheit zu schaffen. Vor allem sollen die Folgeänderungen nach dem Art. 87 f Grundgesetz bewertet werden. Ich denke, dass dies ein Punkt ist, bei dem der Wirtschaftsminister weiß, dass er sich auf äußerst dünnem Eis bewegt. Professor Scholz hat in einem Gutachten überzeugend dargelegt, dass die Mo- nopolverlängerung gegen das Grundgesetz verstößt. Scholz betont, dass bereits die Verfassungsänderung von 1994, die Startpunkt für die Privatisierung der damaligen Bundespost war, die Verpflichtung zur vollständigen Auf- gabe des Postmonopols vorgab. 1998 wurden der Deutschen Post AG für die Über- gangszeit in den Wettbewerb ausschließliche Rechte erteilt, deren Enddatum für 2002 im Postgesetz festgeschrieben wurde. Damit hat der Gesetzgeber erschöpfend von den in der Verfassung vorgesehenen Übergangsregelungen Ge- brauch gemacht. Eine gleichwertige Teilnahme anderer Wettbewerber müsse nach dem Willen des Grundgesetzes vom Staat geschützt und gefördert werden. Eine Verlänge- rung verstößt gegen die Berufs- und Gewerbefreiheit, die durch Art.12 GG geschützt ist und rechtlichen Vorrang vor einem privatwirtschaftlichen Monopol genießt. Wenn der Minister nun sogar großzügig als Trost für die Monopolverlängerung Portosenkungen verspricht, dann kann ich nur sagen, dass er darauf keinen Einfluss hat, denn es steht so im Gesetz, dass ab 2003 das so ge- nannte Pricecap-Verfahren angewandt werden muss. Es sei denn, der Minister will auch dieses durch Regierungs- interventionismus wieder verhindern wie im vergangenen Jahr. Was wir von ihm allerdings erwarten dürfen, ist die Verlängerung des Universaldienstes sowie ferner seine Antwort auf die künftige Verwendung der Briefmarken. Wohin fließen die leicht verdienten Millionen der Brief- markensammler? Wie ist es mit der Anzahl der stationären Einrichtungen der Post, die derzeit in der Postuniversal- dienstleistungsverordnung gegen die Stimmen der Union von dieser Regierung auf gerade noch 12 000 festgeschrie- ben wurde? Wie ist es mit der Mehrwertsteuer, auf die der Finanzminister immer noch so großzügig verzichtet? Wenn die Regierung wegen der Probleme, die die Post AG in den USA hat, nun schrittweise ihre Kapitalbeteili- gung auf Null reduzieren möchte, liegt das selbstver- ständlich auf unserer ordnungspolitischen Linie und wir sind bereit, bei entsprechenden Vorkehrungen, die ein pri- vates Monopol á la Turn und Taxis verhindern müssen, unsere Zustimmung zu signalisieren. Was die Verlänge- rung des Monopols betrifft, erhält die Regierung von uns keine Zustimmung. Wir reichen dazu nicht unsere Hand. Diesen schlimmen ordnungspolitischen Sündenfall müs- sen Sie mit ihrem Koalitionspartner und der PDS allein rechtfertigen. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen treten für eine klare, wettbe- werbsorientierte Politik ein. Wir halten die schrittweise und kontrollierte Öffnung der europäischen Postmärkte für dringend erforderlich. Auch im Postsektor bedarf es gleicher Wettbewerbschancen für alle Unternehmen in al- len Ländern des Binnenmarktes. Die Bundesregierung konnte sich jedoch auf dem Europäischen Rat von Stock- holm mit ihrer Position zur Schaffung eines einheitlichen Wettbewerbsrahmens für Postdienstleistungen in der EU im Dezember 2000 nicht durchsetzen. Das Bundeskabinett hat daher in seiner Sitzung am 28. März 2001 den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Postgesetzes beschlossen. Darin wird die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG für Briefe bis zu 200 Gramm und der Massensendungen bis zu 50 Gramm bis zum 31. Dezember 2007 festgeschrieben. Der Bun- desrat ist in der Mehrheit dieser Novellierung des Postge- setzes gefolgt. Wir werden also dieses Gesetz verabschie- den. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Post AG nun- mehr den Spielraum zur Senkung des Briefportos nutzen wird. Die Deutsche Post AG erzielte im Jahr 2000 71 Pro- zent ihrer Gewinne bei den Briefen, während dieser Be- reich nur 34 Prozent des Umsatzes ausmacht. Sie konnte ihre Gewinne in diesem Bereich bei gleich bleibendem Umsatz um 100 Prozent steigern. Die hohen Gewinnmar- gen bei der Briefzustellung bestätigen, dass die Senkung des Briefportos möglich und nötig ist. Das Porto in der Bundesrepublik ist im internationalen Vergleich, bezogen auf die Einwohnerdichte, viel zu hoch. Es ist nicht die Aufgabe der Verbraucher und der Unternehmen, den Auf- bau eines global agierenden Logistikkonzern mit ihren Portogebühren zu unterstützen. Die Beibehaltung eines Monopols in einem Teilbereich erfordert eine strenge wettbewerbliche Aufsicht durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, um negative Effekte für die Unternehmen und die Ver- braucherinnen und Verbraucher zu verhindern. Wettbewerber, zum Beispiel im Bereich des Paket- dienstes sehen ihre Situation im Wettbewerb hier beein- trächtigt. Um zu verhindern, dass die Post aus ihrem Mo- nopolbereich andere Bereiche ihrer Geschäftstätigkeit subventioniert und es dadurch auf diesen Märkten zu un- fairen Marktsituationen kommt, ist eine klare Trennung der Monopolbereiche und der wettbewerblich strukturier- ten Bereiche notwendig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117168 (C) (D) (A) (B) Die Anforderungen der Transparenz-Richtlinie der Eu- ropäischen Union sind von der Post AG deshalb umzu- setzen. Monopol- und Wettbewerbsbereiche bei der Deut- schen Post AG sind buchhalterisch zu trennen, um Transparenz herzustellen. Getrennte Konten sind zu führen, in den Geschäftsberichten hat eine separate Be- richterstattung stattzufinden. Dazu gehört, dass die Deut- sche Post den gewerblichen Paketdienst in ein eigenes Unternehmen ausgliedert. Selbstverständlich ist bei der Verlängerung des Brief- monopols auch die Anpassung des Regulierungsrahmens notwendig. Es wäre nicht akzeptabel, wenn das Briefmo- nopol der Post nicht wenigstens durch eine starke Ex- ante-Preisregulierung ergänzt werden würde. Jede Be- grenzung von Regulierungsmöglichkeiten, die aufgrund des geplanten Auslaufens des Postgesetzes 2002 ins Ge- setz aufgenommen sind, müssen selbstverständlich wie- der herausgenommen werden. Auch die der Post AG aufgegebenen Pflichten zur Prä- senz in der Fläche – wie sie in der PUDLV festgehalten sind – werden wir anpassen. 5 000 Poststellen müssen bis 2007 erhalten bleiben. Wir werden den Regulierungsrah- men an die verlängerte Monopolfrist anpassen. Gerhard Jüttemann (PDS): Die PDS beglück- wünscht die Bundesregierung, dass sie mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf zur Verlängerung der Exklusiv- lizenz die Notbremse gefunden hat. Wenn es steil bergab geht und plötzlich die Straße im Chaos endet, empfiehlt es sich, immer anzuhalten. Wenigstens entspricht das dem Selbsterhaltungstrieb. Wenn nun aus bestimmten Rich- tungen das Gegenteil gefordert wird, also Tempo erhöhen, obwohl da gar kein Weg mehr ist, wundert mich das nicht. Das haben Sie immerhin 16 Jahre lang gemacht. Ein Gut- teil der Probleme, die wir heute haben, rührt genau da her. Und im Zusammenhang mit der Postprivatisierung stimmt das sogar zu 100 Prozent. Welche Probleme sind das? Da ist zunächst einmal ein gigantischer Arbeitsplatzabbau in der Größenordnung von über 70 000 zu nennen. Damit sind zum Teil wichtige Leis- tungen weggefallen. Ich erinnere nur an die Schließung von Tausenden und Abertausenden von Postfilialen, an die Einschränkung von Öffnungszeiten, was alles zulasten vor allem der privaten Kunden, also der Bevölkerung geht. Zum anderen werden die Leistungen zwar weiter erbracht, aber von anderen Personen, die der Postgewerkschaftschef Kurt van Haaren einmal als „Turnschuhbrigaden“ be- zeichnet hat: schlecht oder gar nicht ausgebildet, mies be- zahlt, meistens nicht sozialversichert. Die meisten von Ih- nen, meine Damen und Herren, nennen das Wettbewerb. Ich nenne das unerträgliche Verschärfung der Ausbeutung. Der Chef der Deutschen Post, Herr Zumwinkel, ist bei dieser Meinungsverschiedenheit natürlich auf Ihrer Seite. Das heißt, er ist auch für den Wettbewerb, aber natürlich nur so lange, wie er ihm Vorteile, also Extraprofite bringt. Die Exklusivlizenz will er also trotz seiner Neigung zu Wettbewerb gern behalten. Aber an anderer Stelle ist er ein wirklicher Wettbewerber, zum Beispiel bei der Ausla- gerung von bisher von Postlern mit ordentlichen tarifli- chen Arbeitsverträgen erbrachten Transportleistungen an die zitierten Turnschuhbrigaden oder beim Lohnraub. So hat ZumwinkeI der „Wirtschaftswoche“ schon im Som- mer vergangenen Jahres gesagt – ich zitiere –: Wir haben mit den Gewerkschaften vereinbart, dass jeder, der etwa in der Zustellung neu zu uns kommt, nicht nach den Posttarifen bezahlt wird, sondern da- nach, was auch für die Konkurrenz gilt. Das macht Lohneinbußen bis zu 29 Prozent aus, die Zumwinkel in kurzer Zeit Milliardenbeträge einbringen Darin spiegelt sich das Ziel der Liberalisierung: Ein ganzer Wirtschaftszweig, der einmal geschaffen worden war, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, wird umgestülpt und abgespeckt bis zur Un- kenntlichkeit der reinen Kapitalverwertung. Alle sozialen Bedürfnisse und Interessen kommen dabei unter die Rä- der. Was sich nicht rechnet, wird es im Postbereich wie in so vielen anderen künftig nicht mehr geben. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf aus Standort-, nicht aus sozialen Gründen diesen Prozess verzögern. Die PDS wird dem mangels Alternativen zu- stimmen, wohl wissend, dass diese Verzögerung keine Problemlösung sein kann; denn aufgeschoben ist be- kanntlich nicht aufgehoben. Für eine wirkliche Lösung der aus der Privatisierung und Liberalisierung erwach- senden sozialen Probleme gäbe es nur einen Weg: die Um- kehr. Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Die Bundesre- gierung beabsichtigt, die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG um fünf Jahre auf Ende 2007 zu verlängern. Da- mit wollen wir verhindern, dass in Deutschland blind Märkte geöffnet werden, die anderswo weiterhin abge- schottet bleiben. Die Bundesregierung beweist damit Ver- antwortung, indem wir über den Tellerrand hinaus- schauen. Tatsache ist, dass heute niemand vorhersagen kann, wie sich die Postpolitik um uns herum in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird. Eine gemeinsame und zu- kunftsgerichtete europäische Postpolitik ist derzeit – und ich sage ganz bewusst: leider – nicht erkennbar. Das Eu- ropäische Parlament hat sich bisher erst in erster Lesung zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Postdiensterichtlinie geäußert und der Ministerrat ringt nunmehr seit genau einem Jahr um einen gemeinsa- men Standpunkt – mit weitgehend offenem Ausgang. Ei- nes ist jedoch klar: Eine vollständige Marktöffnung vor Ende 2007 ist in Europa illusorisch. Sollte es trotzdem an- ders kommen, wären wir natürlich an erster Stelle bereit, zugunsten einer europaweit dynamischen Marktentwick- lung unsere Postmärkte früher zu öffnen. Maßgeblich ist für die Bundesregierung eine gleichge- richtete Entwicklung der Märkte innerhalb der Euro- päischen Union. Die Bundesregierung befürwortet aus- drücklich einen offenen gemeinsamen europäischen Bin- nenmarkt – auch im Postbereich. Davon profitieren dann nicht nur einige, sondern alle Verbraucherinnen und Ver- braucher in Europa. Im Gegenzug müssen dann aber auch vergleichbare Spielregeln gelten. Es kann nicht richtig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17169 (C) (D) (A) (B) sein, dass in Deutschland das Briefmonopol auf Null zurückgeht, während bei fast allen unseren europäischen Wirtschaftspartnern die Schutzzäune bis zu einer Höhe von rund 95 Prozent des gesamten Marktvolumens hoch gezogen bleiben. Die Friktionen, Wettbewerbsverzerrun- gen und einseitigen Belastungen, die daraus entstehen könnten, würden dann zu Recht der Bundesregierung an- gelastet werden; und das wollen wir, schlicht gesagt, po- litisch nicht verantworten müssen. Um an dieser Stelle den gern angeführten Vergleich mit Schweden schon vorweg vorwegzunehmen: Der schwe- dische Postmarkt ist kein geeignetes Lehrstück in Sachen Wettbewerb. Dort ist der Briefmarkt 1993 zwar formal vollständig für den Wettbewerb geöffnet worden. Aber der mehr oder weniger einzige Wettbewerber ist das Un- ternehmen City Mail. Und zwischen dem Platzhirsch und dem Neuling herrscht ein Wettbewerbsverhältnis, das sich vielleicht am besten mit „freundschaftlich“ beschreiben lässt: City Mail beschränkt sich auf die Verteilung von computervorsortierter Geschäftspost in den südschwedi- schen Ballungszentren von Stockholm, Göteborg und Malmö. Es ist daher nicht überraschend, dass der Markt- anteil der Schwedischen Post sieben Jahre nach der voll- ständigen Marktöffnung noch immer rund 95 Prozent be- trägt. Er unterscheidet sich damit nicht wesentlich vom Marktanteil der Deutschen Post im deutschen Briefmarkt. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass Deutsch- land als größter und zentral gelegener Mitgliedstaat in- nerhalb der EU keine Extratouren fahren sollte. Dieser Einsicht hat sich schließlich auch der Bundesrat nicht ent- zogen. In seiner Sitzung am 11. Mai hat er außerdem die Bundesregierung aufgefordert, drei weitere Änderungen am Postgesetz und eine Änderung an der Postuniversal- dienstleistungsverordnung einzubringen, die in unmittel- barem Zusammenhang mit der Exklusivlizenz stehen. Die Bundesregierung beabsichtigt, dem nachzukommen. Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zur verfas- sungsrechtlichen Zulässigkeit der Verlängerung der Ex- klusivlizenz machen. Die Bundesregierung hat diese Frage, die in der Fachöffentlichkeit kontrovers diskutiert wird, sehr ernsthaft und sorgfältig geprüft. Nach Art. 14 b Abs. 2 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber einen sehr weiten Ermessensspielraum, die Übergangsfrist zeitlich festzulegen. Der Verfassungsgeber hat im Grundgesetz ge- rade keine konkrete Frist vorgegeben, sondern ausdrück- lich auf die Korrelation zur politischen Willensbildung in- nerhalb der Europäischen Union hingewiesen. Mit Blick auf die europäische Postpolitik stehen deshalb der Verlän- gerung der Exklusivlizenz keine verfassungsrechtlichen Gründe entgegen. Der vorliegende Gesetzentwurf be- schränkt sich auf eine reine Verschiebung des Auslaufens des Briefmonopols – und dies zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt, um den Unternehmen im deutschen Postmarkt die größtmögliche Planungssicherheit zu geben. Die europäischen Postmärkte befinden sich ordnungs- politisch nach wie vor noch nicht in ruhigerem Fahrwas- ser. Der Kurs heißt „Wettbewerb im europäischen Maß- stab“. Daher wird die Bundesregierung in Brüssel weiterhin mit großem Nachdruck auf Entscheidungen zur Öffnung der europäischen Postmärkte drängen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung desAntrags: Die Zukunft gehört der Individuallizenz – Vergütungsregelungen für private Vervielfältigungen im digitalen Umfeld (Tagesordnungspunkt 26) Dirk Manzewski (SPD): Mit ihrem Antrag greift die F.D.P. ein aktuelles urheberrechtliches Problem auf und beschäftigt sich mit der Frage nach den Vergütungsrege- lungen für private Vervielfältigungen im digitalen Um- feld. Sie verbindet dies gleich mit der Aufforderung an die Bundesregierung, insoweit deren so genannten 2. Vergü- tungsbericht zu ergänzen. Sosehr ich mich einerseits darüber freue, dass die F.D.P. sich offenbar intensiv mit diesem Thema und dem Vergütungsbericht der Bundesregierung auseinander setzt, komme ich andererseits nicht umhin, in diesem Zu- sammenhang darauf hinzuweisen, dass es der F.D.P., die sich ja neben meiner Fraktion seit längerem engagiert mit dem Urheberrecht beschäftigt, in der Vergangenheit in Regierungsverantwortung selbst nicht gelungen ist, die damalige Bundesregierung zu solchen Vergütungsberich- ten zu bewegen. Ich erinnere nur daran, dass bereits mit der Urheberrechtsnovelle von 1985 eigentlich festgelegt worden war, alle drei Jahre einen solchen Vergütungsbe- richt vorzulegen. Lediglich 1989 kam die alte Bundesre- gierung dem jedoch nach – angesichts der rasanten Ent- wicklung im Bereich der neuen Technologien für mich ein grob fahrlässiges Verhalten. In der Sache selbst stellt die F.D.P. zu Recht fest, dass dem Urheber für jede Nutzung seiner Werke eine ange- messene Vergütung zusteht. Dies entspricht genau der Politik der Bundesregierung, die ja nicht zuletzt auch des- halb zum Beispiel eine Änderung des Urhebervertragsge- setzes anstrebt. Und genau deshalb ist es natürlich nur recht und billig, auch die neuen Vervielfältigungstechniken und die dazu- gehörigen Trägermedien im digitalen Bereich – wenn sie es denn nicht schon sind – in das bestehende Vergütungs- system einzubeziehen. Ich möchte jedoch nicht unerwähnt lassen, dass eine angemessene Vergütung in der Regel durch das geltende duale Vergütungssystem, das heißt durch die Gerätever- gütung als Grundvergütung und die Betreibervergütung als so genannte nutzungsorientierte Vergütung, gewähr- leistet wird. Da eine Erfassung der veräußerten Geräte beim Endverbraucher als potenziellem Nutzer der urhe- berrechtlich geschützten Werke nur mit einem unver- hältnismäßigen Aufwand erfolgen könnte und analoge Vervielfältigungen zumindest zurzeit noch nicht kontrol- lierbar sind, ist die Vergütungspflicht derzeit auch noch zu Recht den Herstellern und Importeuren auferlegt wor- den. Natürlich wäre es sachgerechter, wenn am Ende statt pauschaler Vergütungen Individuallizenzen stünden. Die Möglichkeiten hierzu liegen derzeit aber einfach noch nicht vor. Die so genannten DRM-Systeme sind zwar in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117170 (C) (D) (A) (B) der Entwicklung, aber eben noch nicht marktreif. Offizi- ell gibt die eine oder andere größere Firma zwar hin und wieder an, dass dies bereits in ein bis zwei Jahren der Fall sein wird. Von Fachleuten wird dies jedoch bezweifelt. Hier wird insoweit eher ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren für realistisch gehalten – und dies auch nur dann, wenn es bis dahin gelingt, die DRM-Systeme vor Com- puterhackern sicher zu schützen. Eine weitere – aber nicht zu unterschätzende – Unbe- kannte ist im Übrigen die Kundenakzeptanz. Nur wenn der Kunde bereit ist, für jede tatsächlich gezogene Nut- zung auch zu zahlen, wird sich das DRM-System durch- setzen. Inwieweit die Höhe der gegenwärtigen Vergütungs- sätze, die bereits im Jahr 1985 festgesetzt worden und bis heute unverändert geblieben sind, allerdings noch ange- messen ist, bedarf dabei einer genauen Überprüfung. Dies ist von der Bundesregierung im Übrigen auch erkannt worden, die in ihrem Vergütungsbericht dementsprechend hierauf hingewiesen hat. Anders als die F.D.P. halte ich es in diesem Zusam- menhang aber für dringend notwendig, die Art der Fest- setzung der Vergütungssätze zu ändern. Bislang kann dies nur durch ein förmliches Gesetz erfolgen. Das Ergebnis hiervon ist eine nicht mehr zeitgemäße Starrheit der Ver- gütungssätze, die der technischen Entwicklung nicht mehr gerecht wird. Neben einer regelmäßigen Überprü- fung der Vergütungssätze sollte die Regelung deshalb fle- xibler gefasst werden. Dies könnte zum Beispiel per Ver- ordnung erfolgen, wozu dass Urheberrecht dann zwingend ermächtigen müsste.1) Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Der Antrag der Freien Demokraten „Die Zukunft gehört der Individual-Lizenz – Vergütungsregelung für private Ver- vielfältigungen im digitalen Umfeld“ kann nicht ganz ohne Widerspruch bleiben. Unbestritten ist, dass urheber- rechtliche Leistungen von Nachnutzern zu vergüten sind, weil geistiges Eigentum einen hohen Stellenwert im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland hat und dort, wo es in Europa noch nicht den notwendig aner- kannten Wert besitzt, erhalten werden muss. Das Urhe- bergesetz von 1965 mit seinen diversen Ergänzungen hat in § 2 die geschützten Werke aufgezählt und im Wesentli- chen dazu gezählt: die Sprachwerke, Werke der Musik, pantomimische Werke, Werke der Kunst, Lichtbildwerke, Filmwerke und Darstellungen wissenschaftlicher und technischer Art. Für die Vergütung wurde und wird auch in Zukunft sicher unterschieden: die Vervielfältigung zum privaten eigenen Gebrauch und die Vervielfältigungen zum gewerblichen Gebrauch. Auch wenn die Auslegung der §§ 53 f. Urhebergesetz zu manchem Rechtsstreit Anlass gaben, war die Handha- bung der Bestimmungen sowohl für die Urheber als auch für die Nutznießer brauchbar, wenngleich Pauschalierun- gen nicht zur absoluten Gerechtigkeit für die eine oder an- dere Seite führen können. Bei aller Technik, die auf uns zukommt, auch im digitalen System, kann die Nutzung von urhebergeschützten Werken – sozusagen das „Selbst- zählen“ – nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Auf- wand zur Zählung und Berechnung und Überprüfung des Rechnungseingangs zu einer Verwaltungsaufblähung führt, die in keinem Verhältnis zum Nutzen und Leistung stehen. Wenn die Freien Demokraten in ihrer Begründung Sorge haben, dass der Anteil der Urhebervergütung bei pauschalen Belastungen der Hersteller von Vervielfälti- gungsgeräten eine Gefahr für die Unternehmen darstelle, so kann ich dies nur bedingt teilen, da bei der Individual- vergütung der geistige Urheber oder die Organisation, die für ihn die Lizenzgebühren eintreibt, ein unheimlich auf- geblähtes Imperium nach sich ziehen würde mit Millio- nenvergütungen von Vorstandsvorsitzenden, wie wir es bei der GEMA erleben. Ziel muss es daher sein, im Rahmen der Behandlung des Antrages der F.D.P. mit allen Interessenvertretern ge- meinsame Lösungen zu erarbeiten, die auf der einen Seite dem Schutz der Urherber dienen, auf der anderen Seite den Anforderungen einer freien Informationsgesellschaft standhalten und nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen ITK-Branche nicht beeinträchtigen. Der Antrag ist so ein bisschen wie früher der Sarottimohr: „Hier ein Stückchen, da ein Stückchen“, weil auf der ei- nen Seite die Individuallizenzgebühr als große Zukunfts- vision aufgezeigt wird, andererseits aber – und das wird noch lange dauern – die pauschale Vergütungspflicht bei- behalten werden soll, bis der Einsatz von Digital Rights Management-Systemen, DRM-Systemen, die lückenlose Erfassung sicherstellt. Selbst wenn die lückenlose Erfas- sung möglich ist, habe ich bereits auf die wirtschaftlich zweifelhafte Verwirklichung der Ansprüche von Urhe- bern bei Kleinkopierern hingewiesen. Das gemeinsame Ziel wohl aller Parteien des Deut- schen Bundestages und der Bundesregierung ist es, dass der Urheber eine angemessene Vergütung erhält. Insofern ist die Aufforderung an die Bundesregierung zu geben, wie die Individualisierung der Berechnungen urheber- rechtlicher Leistungen gefördert werden kann, richtig. Bis zu deren Verlässlichkeit muss die Geräteabgabe möglich sein, wobei Computer, die als Multifunktionsgeräte rela- tiv wenig mit der Vervielfältigung zu tun haben, außen vorgelassen werden müssen, während man angemessen gegebenenfalls so genannte CD-Brenner, Scanner und Drucker, wie auch von den Freien Demokraten vorge- schlagen, mit einer gewissen pauschalen Gerätevergütung belasten kann. Es ist aber die Frage, ob dies der allein richtige Weg ist. Der Grundsatz sollte sein, Eigenverantwortung zum Bei- spiel der Softwarehersteller. Deswegen kann man alterna- tiv auch über eine Verpflichtung der Hersteller nachden- ken, indem man eine Kopierschutzverpflichtung erlässt. Technische Möglichkeiten gibt es dazu. Die Software könnte mit einer wechselnden Seriennummer versehen werden, welche beim Aufspielen auf ein Laufwerk nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird. Das Programm könnte dann ab dem Aufspielen auf den PC 20 oder 30 Tage genutzt werden. Diese Software könnte durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17171 (C) (D) (A) (B) 1) Folgetext lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Mitteilung an den Hersteller über den Beginn durch eine spezielle Codenummer dauerhaft freigeschaltet werden, um dann Gebühren berechnen zu können. Soweit Pro- gramme ohne Kopierschutz ausgeliefert werden, könnten diese mit einer Pauschalabgabe versehen werden. Damit hätte man das Problem nicht auf die Gerätehersteller ver- lagert, sondern auf die, die es tatsächlich betrifft. Mindes- tens prüfen sollte man diese Alternative. Wichtig – und das sollten wir bei alle dem nicht ver- gessen – ist, dass Abgaben nicht technologiefeindlich wir- ken sollen. Zudem ist die Harmonisierung auf europä- ischer Ebene eine unverzichtbare Voraussetzung für einen chancengleichen Wettbewerb, da naturgemäß im Ge- werbe kontrolliert werden kann, ob ein nicht mit Pau- schalabgaben belastetes Gerät die Grenze passiert oder nicht. Immerhin sind drei Länder von Abgaben frei – Großbritannien, Irland und Luxemburg –, acht EU-Län- der belasten reine Trägermedien und nur vier Länder for- dern eine Abgabe auf die Geräte. In den Beratungen wer- den wir hier sicher auch mit den Regierungsparteien Einigkeit erzielen, damit der Bundestag einheitlich die Bundesregierung auffordert, entsprechende Gesetze vor- zulegen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und der Berichte zu den Anträgen: – Einsetzung eines Untersuchungsausschusses – Existenzbedrohung des Handwerks unterbin- den Christian Lange (Backnang) (SPD): Den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über die Verwendung der Mittel aus dem Eigenkapitalhilfepro- gramm kann von den Kolleginnen und Kollegen der PDS eigentlich nicht ernst gemeint sein. Wenn sie die Antwort der Bundesregierung auf ihre eigene Kleine Anfrage auf- merksam gelesen hätten, hätten sie unschwer erkennen können, dass für einen Untersuchungsausschuss kein An- lass und erst recht kein Bedarf besteht. Wir alle erinnern uns noch an den spektakulären Hun- gerstreik der Handwerkerfrauen vor dem Brandenburger Tor. Die Frauen machten damit in eindrucksvoller Weise auf ihre Situation aufmerksam. Die Kleinunterneh- men waren unverschuldet in Not geraten. Anlass waren existenzbedrohende Liquiditätsengpässe, die durch Zah- lungsverzug der Kunden, aber auch durch betrügerische Machenschaften entstanden waren. Das persönliche Schick- sal der Betroffenen hat uns alle bewegt und ich freue mich sehr, dass der neu im Bundeshaushalt 2001 eingerichtete Hilfsfonds hier schnelle Hilfe bieten konnte. Der Hilfs- fonds über 5 Millionen DM dient speziell der Liquiditäts- sicherung von Kleinunternehmen und des Handwerks, wenn diese durch kriminelle Machenschaften anderer in ihrer Existenz bedroht werden und keine andere Hilfe mehr erhalten können. Selbstverständlich führte nicht allein der Streik der Handwerkerfrauen zur Einsetzung dieses Fonds. Die Bundesregierung hat zwar eine menschliche Verpflich- tung gegenüber den unschuldig in Not Geratenen. Aller- dings greift der Hilfsfonds in sinnvoller Weise gerade die besonderen strukturellen Schwierigkeiten auf, denen Kleinbetriebe in absoluten Notlagen ausgesetzt sind. Bis- lang konnten bereits in elf Fällen die zur Sanierung des Unternehmens erarbeiteten Konzepte umgesetzt werden. Unter diesen gelösten Fällen sind auch fünf Fälle, die di- rekt am Hungerstreik der Handwerkerfrauen im Herbst letzten Jahres beteiligt waren. Das ist ein guter Erfolg. Übrigens ist der Hilfsfonds noch nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Für die gelösten elf Fälle wurden insgesamt 2,25 Millionen DM aus dem Nothilfefonds ein- gesetzt. Die DtAerwartet, dass die vorhandenen Mittel für weitere rund 15 Fälle reichen wird. Es gibt allerdings laut DtA circa 25 Fälle, für die der Fonds infrage käme. Nach Ausschöpfung der Fondsmittel wird Unternehmen in Schwierigkeiten auch in Zukunft im Rahmen der „runden Tische“ – im wesentlichen durch die Finanzierung von Kurzberatungen – geholfen. Die Umsetzung des Fonds wurde auf die Deutsche Ausgleichsbank übertragen, um diesen sinnvoll in ein Ge- samtförderkonzept einzubinden und vorhandenes Know- how zu nutzen. Die Abwicklung des Hilfsfonds wird da- mit effektiv und sicher organisiert. Ebenso wie die Auszahlung von ERP-Mitteln ist auch die Abwicklung des Hilfsfonds im Interesse der Kredit- nehmer an strikte Regularien gebunden. Die Verträge las- sen der Bank jedenfalls keinerlei Spielraum für Verzöge- rungen bei der Auszahlung der bewilligten Mittel. Die KfW und die DtA prüfen bei Hinweisen, aber insbeson- dere in einem umfänglich angelegten System der Ban- kenprüfungen, turnusmäßig eine sehr große Zahl der För- derfälle und kontrollieren bei allen Prüfungen den fristgemäßen Einsatz und die rechtzeitige Bereitstellung der Mittel durch die Hausbank an den Kreditnehmer. Innerhalb der ständigen Bankenprüfungen .wurden bislang nur wenige Einzelfälle einer verzögerten Weiter- leitung der abgerufenen ERP-Mittel oder andere Unregel- mäßigkeiten durch die Hausbank festgestellt. Die Banken sind in diesen Fällen wegen der Vertragsverletzung ent- sprechend sanktioniert worden. Den betroffenen Kredit- nehmern wurden die daraus entstandenen Kosten vergü- tet. Ansonsten treten bei den Bankenprüfungen insgesamt meist Beanstandungen rein formaler Art auf, die unmit- telbar danach beseitigt werden können. Anzeigen gegen Hausbanken, die im Zusammenhang mit ERP-Mitteln er- stattet wurden, beschränken sich auf einige wenige Einzelfälle. Es gibt auch keine weiteren Anzeigen, die eine größere Tragweite der Unregelmäßigkeiten bei der Mittelvergabe vermuten lassen könnten. Insofern erübrigt sich auch ein entsprechender Untersuchungsausschuss. So gut gemeint der Antrag der F.D.P.-Fraktion auch sein mag, so sehr kommt er doch zu spät. Die Bundesre- gierung hat bereits effektive Maßnahmen ergriffen, um der Existenznot vieler kleiner Handwerksbetriebe, gerade auch in Ostdeutschland, abzuhelfen. Der Hilfsfonds für Kleinunternehmer und Handwerker hat sich schon jetzt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117172 (C) (D) (A) (B) als schnelle und praktische Unterstützung für in Not ge- ratene Kleinunternehmer und Handwerker erwiesen, um Insolvenzen wegen Illiquidität ansonsten tragfähiger und gesunder Unternehmen zu verhindern. Der Hilfsfonds un- terstützt die Betroffenen nicht nur durch Liquiditätshilfen, sondern auch durch Coaching und Unternehmensbera- tung, was für den langfristigen Unternehmenserfolg wich- tig ist. Der Hilfsfonds deckt darüber hinaus auch notwen- dige Finanzierungsmaßnahmen der außergerichtlichen Schuldenbereinigung nach der Insolvenzordnung ab oder die Übernahme von Garantien und Bürgschaften, gegebe- nenfalls auch zur Abdeckung einer teilweisen Haftungs- freistellung. Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung außerdem Maßnahmen gegen die schlechter werdende Zahlungs- moral in Deutschland ergriffen. Große Firmen und der öf- fentliche Dienst, aber auch Verbraucher gewöhnten sich immer mehr an, erhaltene Rechnungen nicht zu beachten. Zusammen mit dem neuen Hilfsfonds haben wir damit ein effizientes Maßnahmenbündel geschnürt, das ganz beson- ders die Situation kleiner Unternehmen und Handwerks- betriebe berücksichtigt und gezielte Unterstützung bietet. Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Ich halte es für die gute parlamentarische Pflicht der Abgeordneten, sich im Plenum zu den wichtigen Fragen der Zeit zu äußern. Und dieser Pflicht komme ich auch immer wieder sehr gerne nach. Bei dem Schaufensterantrag, den die Kolle- gen von der PDS vorgelegt haben, frage ich mich aller- dings schon, ob es nicht die erste Pflicht der Parlamen- tarier ist, zwischen Sinn und Unsinn zu unterscheiden. Dieser Antrag der PDS gehört eindeutig zur Abteilung Unsinn. Aber jetzt haben Sie Ihren Antrag schon geschrieben, also muss ich auch etwas dazu sagen. Sie fordern einen Untersuchungsausschuss, der drei Punkte untersuchen soll. Punkt 1: Hat die Vergabe von Fördermitteln im Zeitraum von 1990 bis 1993 irgendet- was damit zu tun, dass ostdeutsche Mittelständler heute unverschuldet in die Zahlungsunfähigkeit geraten sind? Punkt 2: Warum sind damals die im Haushalt vorgesehe- nen Mittel nicht zu 100 Prozent ausgegeben worden? Und Punkt 3: Haben sich die Förderbanken, die die Pro- gramme des Bundes umsetzen, dabei irgendetwas zu- schulden kommen lassen? Mir ist nicht klar, wie Sie überhaupt auf diese Gedan- ken kommen können. Ich erkläre Ihnen auch gerne, warum Ihre Gedanken grundsätzlich nicht nachvollzieh- bar sind. Die Begünstigten der ERP-Kredite sind die Unterneh- mer und die Gründer. Das wollen wir doch einmal als Ers- tes festhalten. Und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie heute ist die Förderung durch den Bund sinn- voll und notwendig. Am Dienstag hat die „FAZ“ berichtet, dass der Haupt- verband der Bauindustrie seine Prognose vom letzten Herbst nach unten korrigiert hat. Es wird mit einem Um- satzrückgang von nun sogar minus 5 Prozent gerechnet. Im Osten lagen die Auftragseingänge im ersten Quartal dieses Jahres um dramatische 22,8 Prozent niedriger als im Vorjahresquartal. Gerade den Handwerkern im Osten geht es also nicht immer rosig. Aber das liegt doch nicht an der Förderung, meine sehr verehrten Kollegen. Die Unternehmer sind die Begünstigten der ERP-Kre- dite. Sie beantragen und erhalten Kredite, um diese kurz- fristig einzusetzen. Betonung auf „kurzfristig“. Heute zu untersuchen, ob vor zehn Jahren Darlehen nicht weiterge- reicht wurden, ist wenig sinnvoll. Außerdem: Im Wirtschaftsplan werden die Fördermit- tel grob einzelnen Programmen zugeordnet. Und die Kre- ditvergabe erfolgt entsprechend der Nachfrage. Wenn ins- gesamt weniger Programme ausgereicht werden, ist das ERP-Sondervermögen der Begünstigte. Ich weiß nicht, was Sie da wem unterstellen wollen. Es gibt niemanden, der einen Vorteil davon hätte, die Gelder zurückzuhalten. Zu Ihrem Punkt 3: Rechtlich gibt es Vertragsbeziehun- gen zwischen den Unternehmern bzw. Gründern, der Hausbank und der Förderbank, also der DtAoder der KfW. Wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten geben sollte, können die Unternehmen natürlich klagen. Dazu brauchen sie nicht zehn Jahre später einen Antrag von der PDS. Zusätzlich zum Rechtsweg, der jedem Unternehmen offen steht – diesen juristischen Nachhilfeunterricht brau- chen Sie ja offensichtlich – prüft die DtA regelmäßig das Verhalten der Hausbanken in Stichproben und vor Ort. Drittens wird die DtA selbst wieder vom Rechnungshof geprüft und auch die Hausbank kann in diese Prüfung ein- bezogen werden. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Nach allen die- sen Prüfungen liegen uns keinerlei Verdachtsmomente über irgendwelche Unregelmäßigkeiten vor. Es gibt keine Anhaltspunkte, die einen Untersuchungsausschuss recht- fertigen würden. Aber Sie scheinen diese Verdachtsmo- mente ja zu kennen, sonst würden Sie ja nicht riskieren, sich hier mit wilden Vermutungen öffentlich lächerlich zu machen. Dann lassen Sie uns doch bitte an diesem Ge- heimwissen teilhaben! Legen Sie uns Ihre Unterlagen vor! Dann kann man dem nachgehen. Und das muss man auch. Oder haben Sie etwa gar keine stichhaltigen Hinweise? Davon bin ich persönlich überzeugt. Ihr Ziel, das sie mit Ihrem Schaufensterantrag verfolgen, ist einzig und allein eine politische Schaumschlägerei übelster Sorte. Aber ich will kein Spielverderber sein, Sie sollen Ihren Spaß ruhig haben. Was ich nur richtig schlimm finde, ist, dass Sie mit der Instanz Untersuchungsausschuss so fahrlässig umge- hen. Wir haben zur Zeit einen Untersuchungsausschuss zu den Parteispenden. Das ist, wie wir alle wissen, ein harter Brocken. Für solche Fälle ist ein Untersuchungsausschuss gedacht. Dann ist dieses Instrument sinnvoll und wird, wie vorgesehen, eingesetzt. Wenn Sie aber nun hergehen und einen Untersuchungsausschuss zweckentfremden und mit Fragen ohne jede sachliche Grundlage für Ihre Schaufensterkämpfe missbrauchen, dann gehen Sie fahr- lässig mit unseren demokratischen Institutionen um. Das können wir nicht dulden. Deshalb müssen wir aus sachli- chen Gründen und im Namen der Demokratie Ihren absurden Antrag ablehnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17173 (C) (D) (A) (B) Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Zunächst möchte ich zu dem Antrag der PDS auf Einsetzung eines Unter- suchungsausschusses wie folgt Stellung nehmen: Die CDU/CSU hält den Antrag für unbegründet, da der hier geforderte Untersuchungsausschuss nicht notwendig ist, um eventuelle Unregelmäßigkeiten aufzuklären. Eine sol- che Kontrolle kann auch über den Haushaltsausschuss er- folgen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Zu dem Antrag der F.D.P. und der Beschlussempfeh- lung des Ausschusses möchte ich Folgendes sagen: Das Handwerk und viele Betriebe, insbesondere in den neuen Bundesländern, sind stark unter Druck geraten durch die schlechte Zahlungsmoral der Auftraggeber, auch durch die kommunalen und staatlichen Stellen. Darüber hinaus kommen die Handwerksbetriebe auch deshalb unver- schuldet in Zahlungsschwierigkeiten, weil bei der Ab- wicklung der Aufträge die vorgegebenen Zeiträume der Rechnungskontrolle nicht eingehalten werden. Die Ver- schleppungstaktik der Behörden ist nicht mehr zu über- bieten. Die Kommunen vernachlässigen in den meisten Fällen die Kontrollpflichten, um die Zahlungen an die Betriebe und Unternehmen zu verlangsamen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, einen Bericht vorzulegen, der einen detaillierten Überblick über die aus dem Hilfsfonds für in wirtschaftliche Not geratene Handwerker geleisteten Zahlungen gibt. Denn nur durch einen solchen Bericht können konkret Verschleppungs- methoden sichtbar gemacht werden. Dies ist aber nur ein Grund der Schwierigkeiten für die Handwerksbetriebe in den neuen Bundesländern. Die Bundesregierung hat 1998 vollmundig erklärt, dass die Hilfe für die neuen Bundesländer in noch stärkerem Maße erfolgen werde als dies die Vorgängerregierung schon ge- tan hatte. Heute, nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit, ist festzustellen, das dies alles nichts als Versprechen im luftleeren Raum waren. Wie schon so oft ist aus dem wahltaktischen Versprechen nichts geworden. Auch die Ankündigung des Bundeskanzlers, die Pro- bleme der neuen Bundesländer zur Chefsache zu machen, hat keine Abhilfe geschaffen, sondern die Betriebe sind im Gegenteil mit immer größeren Problemen behaftet und kämpfen um ihre Existenz. Die Bundesregierung hat die Investitionsmöglichkeiten durch Mittelkürzungen und Änderungen der Rahmenbedingungen für die Be- triebe verschlechtert. Sie hat durch ihre schlechte Politik einer durch die Wiedervereinigung aufstrebenden Wirt- schaft in den neuen Bundesländern und dem dadurch neu entstandenen Mittelstand immer neue Bremsen angelegt. Die Belastungen für die Betriebe wurden erhöht, die Ökosteuer und andere gesetzliche Maßnahmen führen zu immer weniger Investitionen. Die Diskussion um die Ge- setze zur Änderung der Mitbestimmung und die neuen Teilzeitverpflichtungen sind weitere Hemmnisse auf dem Weg zur wirtschaftlichen Gesundung. Konnte die rot- grüne Regierung 1999 noch einen Aufwärtstrend vermel- den, so war dies begründet auf einer soliden und guten Mittelstandpolitik von CDU und F.D.P. in den vorange- gangenen Jahren. Nach nunmehr zweieinhalb Jahren rot-grüner Politik bleibt festzustellen, dass alle wirtschaftspolitischen Pro- gramme und Gesetze für den inländischen Markt zu kei- nem sichtbaren Erfolg geführt haben. Im Gegenteil: Die wirtschaftliche Situation, in der sich heute die Betriebe des Mittelstands und des Handwerks befinden, ist kata- strophal. Bereits geplante und genehmigte Neuinvestitio- nen werden zurückgestellt, Bauplanungen nicht mehr vor- genommen und der wirtschaftliche Abschwung für jedermann erkennbar. Die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Wolf, hat sich am Mittwoch dieser Woche vor dem Zentralverband des Deutschen Handwerks beschwert, die Konjunktur werde von den Unternehmen und Verbänden kaputtgeredet. Hierzu kann ich nur sagen: Investitionen werden nur getätigt, wenn Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg besteht und wenn das Vertrauen in die Politik vor- handen ist. Neue Arbeitsplätze entstehen nur, wenn auch Arbeit vorhanden ist. Wenn aber gesetzliche Bestimmungen so gestaltet wer- den, dass Betriebe keine Überlebenschance sehen, dann muss man sich nicht wundern, dass die Wirtschaft vor immer größere Probleme gestellt wird. Ich stelle fest, dass uns die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregie- rung nicht nur in Europa an die letzte Stelle gebracht hat, sondern auch, dass sie in Zukunft mit den ständigen di- rekten und indirekten Mehrbelastungen für die Betriebe die mittelständische Wirtschaft in Deutschland ruinieren wird. Ich bedaure außerordentlich, hier solche Feststel- lungen machen zu müssen. Die Bedrohung des Mittel- standes und damit die Bedrohung der Existenz der Betriebe ist nicht hinnehmbar. Ich fordere die Bundesre- gierung und die Bundesländer auf, Lösungen vorzulegen und im Sinne des Antrags auf der Basis der Erfolge der 16 Jahre unserer Regierungszeit die Existenz der mittelstän- dischen Betriebe zu sichern. Es gibt viele Aufgaben und viele Möglichkeiten, den Betrieben ohne Subventionen zu helfen, indem man den Mittelstand nicht erst 2005 entlastet, indem man kos- tenintensive Gesetze gegen die Unternehmen unterlässt und indem man den Betrieben das Vertrauen wieder gibt, das sie in den letzten zehn Jahren nach der Wiederverei- nigung in die Koalition der CDU und F.D.P. gehabt haben. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Deshalb ist schnelles Handeln geboten, und ich hoffe, dass alle vernünftigen Parlamentarier, Sie, liebe Kolle- ginnen und Kollegen, mithelfen, die Wirtschaft insgesamt in Deutschland wieder in eine positive Richtung zu brin- gen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten heute über die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der nach Auffassung der PDS-Fraktion die Verwendung von Bun- desmitteln aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm und von ERP-Fördermitteln Anfang der 90er-Jahre untersuchen soll. Auch den Koalitionsfraktionen ist seit langem klar: Die steigende Zahl von lnsolvenzverfahren bei klein- und mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundeslän- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117174 (C) (D) (A) (B) dern stellt ein ernst zu nehmendes Problem dar und macht es notwendig, unverschuldet in finanzielle Schwierigkei- ten geratene Unternehmen zu unterstützen. Der Bundes- tag hat deshalb schon im vergangenen Jahr das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen verabschiedet, um die Durchsetzbarkeit von Forderungen zu verbessern. Außerdem hat der Haushaltsausschuss des Bundestages letztes Jahr beschlossen, bereits für das laufende Haus- haltsjahr 2001 einen Hilfsfonds mit einem Volumen von 5 Millionen DM aufzulegen. Der Fonds bezweckt die Li- quiditätssicherung von Kleinunternehmen, die durch kri- minelle Machenschaften Dritter unschuldig in Not gera- ten und in ihrer Existenz bedroht sind. Er greift ein, wenn die Betroffenen nicht auf anderem gesetzlichen Wege Hilfe erlangen können. Hintergrund war der Hunger- streik von Handwerkerfrauen vor dem Brandenburger Tor im Herbst 2000. Die Frauen hatten für die Erhaltung der Betriebe ihrer Männer demonstriert, die wegen For- derungsausfalls von Insolvenz betroffen oder bedroht waren. Staatsminister Bury hatte den Frauen zugesichert, im Einzelfall Rettungskonzepte für die Betriebe auszuar- beiten und die Anwendbarkeit staatlicher Förderpro- gramme zu prüfen. Durch diese Hilfsmaßnahmen konn- ten fünf der Betriebe gerettet werden. Sie sehen also, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben die Notlage ostdeutscher Unternehmen erkannt und ange- messen reagiert. Im Gegensatz dazu ist die Einsetzung eines Untersu- chungsausschusses der Situation nicht angemessen und trägt auch nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Betriebe bei. Die gewährten Kredite sollten von Unternehmensgründern und Unternehmen kurzfristig ein- gesetzt werden können. Zu untersuchen, ob die Kredit- vergabe Anfang der 90er-Jahre in jedem Einzelfall ord- nungsgemäß abgewickelt worden ist, hilft den Betrieben heute nicht weiter. Konkrete Verdachtsmomente dafür, dass Hausbanken ERP-Kredite und Fördermittel des Bun- des bei der Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wie- deraufbau zwar beantragt, aber nicht an die Darlehens- nehmer weitergeleitet, sondern anderweitig verwendet haben, liegen außerdem nicht vor. Ein solcher Anfangs- verdacht ergibt sich weder aus den jährlichen Prüfungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau noch aus den Berich- ten des Bundesrechnungshofes. Eine Überprüfung durch die Bundesebene scheitert auch daran, dass die Kreditan- träge der Unternehmen in den Bundesländern gestellt wurden. Zum Schluss weise ich darauf hin, dass das Grundge- setz die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als Kontrollinstrument für besonders schwerwiegende Ver- fehlungen der Exekutive vorsieht. Sinn und Zweck eines Untersuchungsausschusses kann es aber nicht sein, ledig- lich vermutete Unregelmäßigkeiten auf dem privaten Bankensektor aufzudecken, für die auch der ordentliche Rechtsweg gegeben ist. Außerdem gibt es auch im parla- mentarischen Bereich im Rahmen des ERP-Unteraus- schusses ausreichend Gelegenheit, bestehende Bedenken zu erörtern. Die Notwendigkeit, zu diesem Thema einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, sehe ich nicht. Jürgen Türk (F.D.P.): Die Handwerkerinnen, die Ende vergangenen Jahres vor dem Brandenburger Tor in Hungerstreik traten, haben unübersehbar die Not deutlich gemacht, in der sich das Handwerk, insbesondere im Bau- bereich, aufgrund schlechter Zahlungsmoral befindet. Dies hat mich veranlasst, von der Bundesregierung in ei- nem Antrag Härtefallhilfen für unverschuldet in Not ge- ratene Betriebe zu fordern. Nun hat sich zwar Rot-Grün in den Ausschüssen für die Ablehnung dieses Antrags ausgesprochen, andererseits aber inzwischen genau das gemacht, was unsere Fraktion vorgeschlagen hat, nämlich in den Bundeshaushalt 2001 einen Hilfsfonds für durch kriminelle Machenschaften in wirtschaftliche Not geratene Handwerker und Kleinunter- nehmer eingestellt. Sie würden sich daher selbst ad ab- surdum führen, wenn Sie heute gegen meinen Antrag stimmen. Ich bin mir dessen bewusst, dass ein Hilfsfonds die Nöte der Handwerker nur lindern, aber nicht wirklich überwinden kann. Denn die Ursachen des Übels werden dadurch nicht beseitigt. Diese liegen darin, dass offenbar nach wie vor die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Wir haben im März 2000 ein Gesetz zur Beschleuni- gung fälliger Zahlungen beschlossen. Das neue Gesetz ist mittlerweile ein Jahr alt, alt genug also, um eine erste Bi- lanz zu ziehen. Diese ist uns die Bundesregierung aber bislang trotz mehrfacher Anmahnung schuldig geblie- ben. Ich bitte dringlich darum, dies schleunigst nachzu- holen. Gespräche, die ich mit verschiedenen Praktikern, unter anderem der Handwerkskammer Cottbus, führte, lassen klar erkennen, dass das Gesetz die mit seiner Einführung verbundenen Erwartungen nicht erfüllt hat. Nachbesse- rungen sind also dringend geboten. Das ist eine Aufgabe, derer wir uns so schnell wie möglich annehmen müssen. Bestandteil des Problems ist auch die in meinem An- trag angesprochene Dauer von Gerichts- und Voll- streckungsverfahren. Wir haben gefordert, die Verfahren deutlich zu verkürzen. Davon ist nichts zu spüren. Im Jahr 1999 haben beispielsweise in Thüringen 75 Pro- zent der mittelständischen Betriebe gerichtliche Mahnver- fahren und 58 Prozent Klageverfahren angestrengt. Es wa- ren und sind in Ostdeutschland also außerordentlich viele Betriebe in Gerichtsverfahren involviert. Die Erfolgsquote der Verfahren betrug im Durchschnitt 39 Prozent. Aber – das ist aus meiner Sicht ein Skandal – die 39 Prozent, die Recht bekommen haben, mussten 7,2 Monate bei Mahnverfahren und 13,2 Monate bei Kla- geverfahren auf ihr Recht warten. Man muss sich nicht wundern, wenn ein Betrieb, der so lange braucht, um einen vollstreckbaren Titel zu erlangen, zwischenzeitlich endgültig in die Knie geht. Das ist schlicht nicht hinnehmbar. Es schadet dem Rechtsemp- finden der Bürger ebenso wie der Wirtschaft. Deshalb hat auch die in dem Antrag erhobene Forde- rung an die Bundesregierung und die Länder, Vorschläge vorzulegen, die zur Abkürzung von Gerichtsverfahren führen, nichts von ihrer Aktualität verloren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17175 (C) (D) (A) (B) Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Pala- mentarischen Versammlung des Europarates über die – Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Eu- roparates vom 20. bis 24. September 1999 in Straßburg – Debatte der Erweiterten Parlamentarischen Ver- sammlung über die Aktivitäten derOECD am 22. Sep- tember 1999 – Drucksachen 14/4233, 14/5112 Nr. 2 – Rechtsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Besetzungsreduktion bei den großen Strafkammern und Jugendkammern – Drucksachen 14/2777, 14/3143 – Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Aus- länderfragen über die Lage derAusländer in der Bundes- republik Deutschland – Drucksache 14/2674 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht derBundesregierung über die Ergebnisse derVer- handlungen mit dem Europäischen Parlament über die Wasserrahmenrichtlinie – Drucksachen 14/5305, 14/5499 Nr. 3 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung 12. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik für den Zeitraum 1. Januar 1996 bis 31. Mai 2000 – Drucksachen 14/4675, 14/4992 Nr. 2 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung 60. Bericht der Bundesregierung über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union (Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 1999) – Drucksache 14/3434 (neu) – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung 4. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- politik 1999 – Drucksache 14/4312 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/3341 Nr. 2.20 Innenausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 2.23 Drucksache 14/5730 Nr. 2.16 Finanzausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 2.6 Drucksache 14/5610 Nr. 2.47 Drucksache 14/5610 Nr. 2.49 Drucksache 14/5610 Nr. 2.51 Drucksache 14/5730 Nr. 2.27 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/5610 Nr. 1.2 Drucksache 14/5610 Nr. 1.6 Drucksache 14/5610 Nr. 1.12 Drucksache 14/5610 Nr. 2.11 Drucksache 14/5610 Nr. 2.12 Drucksache 14/5610 Nr. 2.13 Drucksache 14/5610 Nr. 2.21 Drucksache 14/5610 Nr. 2.22 Drucksache 14/5610 Nr. 2.24 Drucksache 14/5610 Nr. 2.25 Drucksache 14/5610 Nr. 2.33 Drucksache 14/5610 Nr. 2.34 Drucksache 14/5610 Nr. 2.38 Drucksache 14/5610 Nr. 2.46 Drucksache 14/5730 Nr. 2.20 Drucksache 14/5730 Nr. 2.26 Drucksache 14/5730 Nr. 2.41 Drucksache 14/5730 Nr. 2.42 Drucksache 14/5730 Nr. 2.43 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/5503 Nr. 2.13 Drucksache 14/5610 Nr. 2.7 Drucksache 14/5610 Nr. 2.8 Drucksache 14/5610 Nr. 2.18 Drucksache 14/5610 Nr. 2.19 Drucksache 14/5610 Nr. 2.39 Drucksache 14/5610 Nr. 2.44 Drucksache 14/5610 Nr. 2.45 Drucksache 14/5610 Nr. 2.54 Drucksache 14/5730 Nr. 2.1 Drucksache 14/5730 Nr. 2.19 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/272 Nr. 157 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/5114 Nr. 1.4 Drucksache 14/5114 Nr. 2.3 Drucksache 14/5172 Nr. 2.96 Drucksache 14/5503 Nr. 2.15 Drucksache 14/5503 Nr. 2.16 Drucksache 14/5503 Nr. 2.17 Drucksache 14/5503 Nr. 2.18 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117176 (C) (D) (A) (B) Drucksache 14/5503 Nr. 2.19 Drucksache 14/5503 Nr. 2.20 Drucksache 14/5503 Nr. 2.21 Drucksache 14/5610 Nr. 2.3 Drucksache 14/5610 Nr. 2.4 Drucksache 14/5610 Nr. 2.5 Drucksache 14/5610 Nr. 2.26 Drucksache 14/5610 Nr. 2.27 Drucksache 14/5610 Nr. 2.28 Drucksache 14/5836 Nr. 2.4 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/5730 Nr. 2.2 Drucksache 14/5730 Nr. 2.3 Drucksache 14/5730 Nr. 2.4 Drucksache 14/5730 Nr. 2.5 Drucksache 14/5730 Nr. 2.6 Drucksache 14/5730 Nr. 2.7 Drucksache 14/5730 Nr. 2.8 Drucksache 14/5730 Nr. 2.9 Drucksache 14/5730 Nr. 2.10 Drucksache 14/5730 Nr. 2.11 Drucksache 14/5730 Nr. 2.13 Drucksache 14/5730 Nr. 2.38 Drucksache 14/5730 Nr. 2.39 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/4441 Nr. 1.1 Drucksache 14/5363 Nr. 2.6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17177 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417400000
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Zahl der Mitglieder in den folgenden Ausschüssen auf je-
weils 39 Mitglieder reduziert werden: Auswärtiger Aus-
schuss, Innenausschuss, Finanzausschuss, Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie sowie Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an einer
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes
für die Flüchtlingsrückkehr und zur militäri-
schen Absicherung der Friedensregelung für
das Kosovo auf der Grundlage der Resolution
1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mili-
tärisch-Technischen Abkommens zwischen der
Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR)

und den Regierungen der Bundesrepublik
Jugoslawien und der Republik Serbien vom
9. Juni 1999
– Drucksachen 14/5972, 14/6180 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen.

Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU, der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Eberhard Brecht von der SPD-Fraktion das
Wort.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1417400100
Sehr geehrter Herr Prä-
sident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir heute
über eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
KFOR-Mission im Kosovo entscheiden, dann ist das si-
cherlich keine Routinediskussion und auch keine Rou-
tineentscheidung. Denn es geht nicht nur um Steuermittel,
sondern auch um unsere Verantwortung für die Gesund-
heit und das Leben der an der Mission beteiligten deut-
schen Soldaten.

Dennoch müssen wir darüber nachdenken, ob die In-
strumentarien, die wir innerhalb der zivilen Komponente
UNMIK und der militärischen Komponente KFOR ha-
ben, jeweils die richtigen sind. Nach vielen Gesprächen,
die wir in der Region mit den Konfliktparteien sowie mit
Vertretern von KFOR, von UNMIK und von den Nichtre-
gierungsorganisationen geführt haben, glaube ich, dass es
zu dem Antrag der Bundesregierung letztlich überhaupt
keine realistische Alternative gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die SPD-Bundestagsfraktion wird deshalb heute für eine
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der KFOR-
Operation stimmen.

Gleichwohl will ich nicht verhehlen, dass wir über ei-
nige Entwicklungen in der Region mehr als besorgt sind;
das sind Entwicklungen, die in die falsche Richtung wei-
sen. Da unser aufwendiges Balkanengagement nicht in
eine unendliche Geschichte münden darf, ist darüber
nachzudenken, ob alle unsere Instrumente geeignet sind.

Erlauben Sie mir, zwei Fragen herauszugreifen. Zur
ersten Frage: Wir müssen uns mehr um die dramatische
Zunahme der organisierten Kriminalität in den Berei-
chen Drogen, Waffenhandel und Menschenschmuggel

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(D)



(A)



(B)


174. Sitzung

Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001

Beginn: 9.00 Uhr

durch Kosovo-Albaner kümmern. Diese kriminellen Ak-
tivitäten bedrohen nicht nur die innere Sicherheit in ganz
Europa; vielmehr werden mit der Dividende dieser
Straftaten nach geheimdienstlichen Erkenntnissen sowohl
der Krieg im Norden Mazedoniens als auch der Wohl-
stand einer kriminellen Oberschicht im Kosovo selbst fi-
nanziert. Beide Prozesse sind für den Aufbau einer Zivil-
gesellschaft im Kosovo kontraproduktiv. Deshalb ist
zwischen der autonomen Selbstverwaltung im Kosovo,
KFOR, UNMIK, Interpol und den Diensten der Truppen-
stellerstaaten unbedingt eine wirksame Zusammenarbeit
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu verein-
baren.

Zur zweiten Frage: Bedrückend sind auch die fort-
währenden ethnischen Spannungen. Zeichen des guten
Willens – ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
Freilassung von albanischen Gefangenen aus den Ge-
fängnissen der Serben –, aber auch die durch UNMIK ini-
tiierten vertrauensbildenden Maßnahmen sollten in stär-
kerem Maße durch eine Politik von „sticks and carots“
sekundiert werden. Kooperation zwischen den Ethnien
muss stärker belohnt, ethnisch motivierte Aggression
muss bestraft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ungeachtet meines Appells,
das Instrumentarium zu überprüfen, gibt es überhaupt kei-
nen Zweifel an den Erfolgen der deutschen KFOR-Betei-
ligung. Ohne unser Engagement – das betrifft nicht nur
die deutschen Soldaten – hätten viele Kosovaren den ers-
ten Winter nach dem Krieg nicht überlebt oder hätten ins
Ausland fliehen müssen. KFOR trägt zur Wieder-
herstellung einer gesunden Infrastruktur bei. Ich danke
insbesondere den Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens
an der Minenräumung beteiligt sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich danke aber auch den Soldaten, die unter Inkaufnahme
eines hohen persönlichen Risikos daran beteiligt sind,
Waffen zu konfiszieren, die vom Kosovo nach Mazedo-
nien geschmuggelt werden sollen.

Natürlich ist der von der PDS immer wieder geforderte
vollständige Schutz der ethnischen Minderheiten im
Kosovo technisch nicht möglich. Dafür muss vor allem
der Hass abgebaut werden. Doch ohne KFOR wäre die
Sicherheitslage der serbischen Bevölkerung weitaus
schlechter, als sie heute ist.

Auch der Aufbau einer Zivilgesellschaft mit Unterstüt-
zung der Nichtregierungsorganisationen und der UNMIK
ist ohne die Absicherung durch KFOR undenkbar. Unter-
halten Sie sich mit den Vertretern der Nichtregierungs-
organisationen vor Ort. Mit ihren täglichen Einsätzen
leisten unsere Soldaten in der Friedenstruppe einen un-
verzichtbaren Beitrag zur Stabilität der gesamten Region.

Ich glaube, eine übergroße Mehrheit in diesem Hohen
Hause teilt diese Einschätzung der KFOR-Mission. Den-
noch muss ich mich über das Verhalten der Opposition in

einigen Punkten sehr wundern. Damit richte ich mich vor
allem an die Kollegen der F.D.P.


(Zuruf von der SPD: Bei denen wundert mich gar nichts mehr!)


Beim Nachlesen der Protokolle über die Debatte an-
lässlich der ersten Lesung des Gesetzes kommt man aus
dem Staunen nicht mehr heraus. Da erklärt uns Herr
Nolting, der heute wohl nicht hier sein kann, die Auswei-
tung des Mandats sei eine Unterwerfungsgeste gegen-
über den USA.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Recht hat er!)

Der dabei erhobene Vorwurf, Joschka Fischer sei ein Va-
sall der USA,


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


trifft in diesem Hohen Hause sicherlich auf Erstaunen,
aber bestimmt auch auf die lebhafte Zustimmung der
PDS. Wir haben es eben ja schon gehört.

Herr Gehrcke war dann so freundlich, sich in der De-
batte zu revanchieren. In rührender Fürsorge für die F.D.P.
hat er eine getrennte Abstimmung über die Verlängerung
des Mandats einerseits und über dessen Erweiterung
andererseits gefordert, obwohl die PDS selbst beides ab-
lehnte.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [PDS]: So bin ich eben! So demokratisch sind wir!)


Dabei wusste Herr Gehrcke als alter Hase – Herr Gehrcke,
Sie sind ein alter Fuchs –,


(Heiterkeit bei der SPD und der PDS – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Entweder ist er Hase oder Fuchs!)


dass wir aufgrund höchstrichterlicher Entscheidung gar
nicht absatzweise beschließen dürfen. Sie haben selbst ei-
nen Beschlussantrag des Auswärtigen Ausschusses unter-
schrieben. Daraus folgere ich, dass Sie diesen Antrag auch
gelesen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P., seien Sie also vorsichtig, wenn Sie von der PDS
Vorschläge und Hinweise bekommen!

Weiterhin hat Herr Nolting am 10. Mai für die F.D.P.
erklärt, eine Ausweitung des Mandats für die Bun-
deswehrsoldaten sei deshalb nicht notwendig – man
höre! – weil die Sicherheitszone dem Einsatzfeld der
deutschen Truppen nicht vorgelagert sei.

Inzwischen gab es eine Exklusivunterrichtung durch
die Bundesregierung für die F.D.P.-Fraktion.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einzelbetreuung!)


Man hat sich nun zu einem Entschließungsantrag durch-
gerungen, in dem folgender Satz steht:

Deshalb ist für die Bundeswehr eine Erweiterung des
bisherigen Mandates sinnvoll und notwendig.

Ich kann dem nur zustimmen; aber aus diesem verwir-
renden Sachverhalt ergibt sich notgedrungen, dass sich




Dr. Eberhard Brecht
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(C)



(D)



(A)



(B)


die Geographie des Kosovo zwischen dem 10. Mai und
heute, dem 1. Juni, geändert haben muss, sodass die
Sicherheitszone jetzt dem deutschen Sektor vorgelagert
ist.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das Thema ist zu ernst für solche kabarettistischen Auftritte!)


Ich glaube, Sie sollten bei dieser Begründung mit Ar-
gumenten ernsthaft umgehen. Ich halte es für nicht ange-
messen, dass Sie hier eine derart läppische Begründung
für Ihre Ablehnung liefern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ganz langsam!)


Die Verwirrung wird noch dadurch gesteigert, dass Sie,
wie ich hörte, trotz Bejahung der Verlängerung und der
Erweiterung des Mandates diesem heute mehrheitlich
nicht zustimmen können.

Meine Damen und Herren von der F.D.P., ich fordere
Sie auf: Geben Sie sich heute einen Ruck! Verzichten Sie
auf ein verlockendes Vorspiel zum Höhepunkt im Wahl-
jahr 2002 und kehren Sie zum außenpolitischen Grund-
konsens in diesem Hause zurück!

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417400200
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Karl Lamers
von der CDU/CSU-Fraktion.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1417400300
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestags-
fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung auf Fort-
setzung der deutschen Beteiligung an der internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo zustimmen; denn ohne die
KFOR würde sich die Gewalt im Kosovo wieder Bahn
brechen und das wenige, mühsam Erreichte sofort zerstört
werden.

Wir stimmen auch der Ausweitung des Mandats auf die
Boden- und Luftsicherheitszone zu, wohl wissend, dass
damit eine gewisse Vergrößerung des Risikos verbunden
ist, aber, wie wir meinen, eine begrenzte, wie der bislang
friedlich verlaufende Einzug der jugoslawischen Streit-
kräfte in diese Zone hoffen lässt. Gleichzeitig sind wir al-
lerdings davon überzeugt, dass wir die gleichen Rechte
und Pflichten wie unsere Verbündeten haben. So sehen es
übrigens auch unsere Soldaten, denen ich an dieser Stelle
zum wiederholten Male meinen Dank und meinen Res-
pekt für ihre vorzügliche Arbeit aussprechen möchte.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Wir verbinden jedoch, verehrte Kolleginnen und Kol-
legen von der Koalition, mit unserer Zustimmung klare
Erwartungen. Zum einen muss der politische Stabilisie-
rungsprozess auf dem Balkan beschleunigt und intensi-

viert sowie der Stabilitätspakt in dieser Hinsicht weiter-
entwickelt werden. Zum anderen muss die Finanzierung
der Bundeswehr verbessert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich weiß zwar, dass es vergeblich ist, aber dennoch
sage ich Ihnen: Wenn Sie es ernst meinten, dann müssten
Sie unserem Entschließungsantrag, den wir heute vorge-
legt haben, zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kündige übrigens schon heute an, dass wir im

nächsten Jahr die Forderung nach einer konstitutiven Be-
fassung des Bundestages mit der Verlängerung des Man-
dates erneut stellen werden.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir sowieso! – Gernot Erler [SPD]: Selbstverständlich!)


Den Entschließungsantrag der F.D.P.-Fraktion, ver-
ehrte Kollegen von der Mitopposition, lehnen wir aller-
dings ab.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr gut!)

Ohne die Worte zu benutzen, die der Kollege Brecht in
seiner Rede gefunden hat, muss ich Ihnen sagen: Ich bin
sehr erstaunt über das, was in Ihrem Entschließungsantrag
zum Ausdruck kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)


Politisch wie rechtlich ist Ihr Antrag ungewöhnlich pro-
blematisch: politisch deswegen, weil durch ihn das Risiko
der Soldaten nicht vermindert, sondern erhöht werden
würde; rechtlich deswegen, weil Sie in Ihrem Ent-
schließungsantrag eine Forderung erheben, die nur ein
Trick ist, um das geltende Recht zu umgehen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es! Es führt zu einer Sonderrolle!)


Sie wissen, wir können den Antrag der Bundesregie-
rung nicht verändern, egal, ob er uns passt oder nicht
passt. Das ist so. Er passt mir hinsichtlich der Ver-
änderungen, die die Grünen vorgenommen haben, auch
nicht. Aber Sie erliegen noch viel mehr als die Grünen der
Versuchung, Feldherr zu spielen. Das geht nicht. Das Par-
lament kann nicht die militärischen Einzelheiten eines
Einsatzes unserer Streitkräfte festlegen. Das will und
kann ich nicht unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Sehr richtig!)


Herr Kollege Westerwelle, das sind altgrüne Anwandlun-
gen, die unter koalitionspolitischen Gesichtspunkten für
jede Option ganz gewiss untauglich sind.


(Lachen bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das bricht mir das Herz, Herr Kollege!)





Dr. Eberhard Brecht

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(C)



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(B)


Ich will nicht auf die Frage der Finanzierung der
Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Einsatz unse-
rer Streitkräfte eingehen. Das wird der Kollege Merz vor
der Abstimmung für unsere Fraktion tun. Ich will aller-
dings auf eine kleine Meldung vom 16. Mai in der „Welt“
hinweisen, von der ich wirklich meine, dass sie einen klei-
nen Skandal zum Gegenstand hat. Denn darin wird die
Aussage von General Reinhardt wiedergegeben, dass un-
sere Soldaten keine Sommeruniformen haben. Das könnte
ein wenig banal klingen; aber wer die sommerlichen Tem-
peraturen in dieser Region kennt, der weiß, eine wie große
Beeinträchtigung das für unsere Soldaten ist. Herr Bun-
desverteidigungsminister, an dieser kleinen Meldung wird
eigentlich die Unhaltbarkeit der Finanzierung der Bundes-
wehr deutlich. Das müssen Sie doch sofort abstellen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich will mich im Übrigen auf die andere Erwartung

konzentrieren, die wir haben, nämlich eine Intensivierung
und Beschleunigung des politischen Prozesses. Bei der
Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flücht-
lingsrückkehr und einer militärischen Absicherung der
Friedensregelung für den Kosovo auf der Grundlage der
UN-Resolution 1244 gibt es nämlich Defizite, die durch
die unklare politische Perspektive bedingt sind. Das hat
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der KFOR und
damit auch auf ihren Umfang und den Zeithorizont ihres
Verbleibs. Sorge macht mir vor allem der bislang faktisch
gescheiterte Versuch, ein friedliches Zusammenleben von
Albanern und Serben zu erreichen. Im Augenblick kann
niemand die Rückkehr der geflohenen Serben in den Ko-
sovo verantwortungsbewusst fordern; denn ihre Sicher-
heit ist nicht gewährleistet. Ich frage mich beispielsweise,
Herr Außenminister, welche Folgen das für ihre Teil-
nahme oder Nichtteilnahme an den für den Herbst ge-
planten kosovarischen Wahlen haben wird.

Aber ich sage auch in aller Klarheit und mit großem
Ernst: Vorstellungen von einer jahrzehntelangen unverän-
derten westlichen militärischen Präsenz auf dem Balkan
sind völlig unrealistisch; nicht nur deshalb, weil in den
westlichen Demokratien dafür die Bereitschaft nicht vor-
handen ist, sondern auch deswegen, weil die von der Prä-
senz betroffenen Völker und Staaten dies nicht so lange
akzeptieren werden. Die sich abzeichnende Entfremdung
zwischen der KFOR und den Albanern ist eine deutliche
Warnung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen.

Der politische Prozess, der zu einer dauerhaften und
stabilen Friedensordnung in der Region führen soll, muss
deshalb konkretisiert und beschleunigt werden. Die Aus-
formulierung der in der UN-Resolution 1244 für den Ko-
sovo vorgesehenen substanziellen Autonomie durch den
am 15. Mai in Kraft getretenen Verfassungsrahmen und
somit die Parlamentswahlen sind ein wichtiger Schritt;
aber er reicht ohne jeden Zweifel nicht aus, um eine Sta-
bilisierung in der gesamten Region herbeizuführen. Spä-
testens nach den November-Wahlen wird eine demokra-
tisch legitimierte Volksvertretung – das ist gewiss keine
kühne Prognose – die Unabhängigkeit des Kosovo for-
dern. Ich bin gespannt auf die westliche Reaktion.

In Mazedonien sind NATO und EU mit allen Kräften
darum bemüht, eine Eskalation des Konfliktes zwischen
Mazedoniern und Albanern zu unterbinden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417400400
Herr Kol-
lege Lamers, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Dr. Brecht?


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1417400500
Ja, bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417400600
Bitte
schön, Herr Brecht.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1417400700
Herr Kollege Lamers,
ich habe Ihnen jetzt sehr aufmerksam zugehört. Ich
möchte Sie nur fragen, welche der beiden Forderungen
denn für die CDU/CSU verbindlich ist. Ich habe für beide
Positionen eine gewisse Sympathie. Sie sagen, wir müs-
sen jetzt ernsthaft über den künftigen Status diskutieren.
Kollege Rühe hat genau dies in seiner Rede am 10. Mai
mit den Worten ausgeschlossen, wir müssten

wegkommen von der ständigen Diskussion über die
Frage des endgültigen Status, die aus meiner Sicht
jetzt nicht zu lösen ist. Dieser Status wird erst am
Ende eines regionalen Prozesses stehen ...

Können Sie mich über diesen Widerspruch aufklären?


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1417400800
Herr Kollege Brecht, wenn
ich mich recht erinnere, dann habe ich das Wort „Status“
bislang überhaupt nicht in den Mund genommen; ich habe
vielmehr davon gesprochen, dass wir eine klare politische
Perspektive entwickeln müssen. Ihr Versuch, zwischen
dem Kollegen Rühe und mir insofern einen Gegensatz zu
konstruieren, ist ganz gewiss nicht erfolgversprechend,
Kollege Brecht. Wir sind uns doch alle einig, dass es bis-
lang keine konkrete politische Perspektive gibt. Es geht
darum, eine solche Perspektive zu entwickeln. Natürlich
muss am Ende dieses Prozesses die Klärung der Status-
frage stehen.

Zurück zu Mazedonien. Ich nutze die Gelegenheit
gerne, um Generalsekretär Robertson und vor allen
Dingen Javier Solana für ihre vorzügliche Arbeit und für
ihren ungeheuren Einsatz zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Ich möchte hinzufügen, Herr Minister: Es ist nach meiner
festen Überzeugung unerlässlich, dass die EU mit einem
ständigen hohen Repräsentanten in Skopje vertreten ist;
Pendeldiplomatie reicht nicht. Ich bitte Sie wirklich, in
der Europäischen Union entsprechenden Druck auszu-
üben. Ich muss gestehen: Ich bleibe trotz der jüngsten Er-
folge skeptisch. Auch die Situation in Bosnien ist nicht
übermäßig befriedigend. Wir müssen schon sehen, dass es
mehr als dessen bedarf, was die westliche Staatengemein-
schaft bislang vorgeschlagen hat.

Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, welche
Schwierigkeiten einer konkreten Perspektive entgegen-
stehen. Nicht nur die einander widersprechenden Ziele
der Betroffenen bilden ein schwer überwindbares Hinder-
nis auf dem Weg zu einer politischen Lösung, sondern
auch die Barriere in unseren eigenen – westlichen – Köp-




Karl Lamers
17070


(C)



(D)



(A)



(B)


fen. Das reine Status-quo-Denken, dass wir zwar wissen,
was wir nicht wollen, aber nicht, was wir wollen, zumin-
dest nicht bis heute, und wenn doch, dann nur in allzu gro-
ben Umrissen, bringt uns nicht weiter.

Im letzten Jahr habe ich vorgeschlagen, dass die Bal-
kanregion als Teil der Europäischen Union eine politische
Union, eine Art südosteuropäische Union, bilden soll, um
den Grenzen in der Region ihre Bedeutung und einer
womöglich weiteren Fragmentierung die Dramatik zu
nehmen. Das soll dadurch geschehen, dass die regionale
Kooperation soweit wie möglich institutionalisiert wird
und dass als Reaktion auf die neu entstandene, zersplit-
terte politische Ordnung eine zusätzliche Struktur, eine
europäische, das heißt eine integrative, zusammen-
führende und Grenzen überwindende Struktur geschaffen
wird. Im Übrigen soll die europäische Perspektive auf
diesem Wege statt in unerreichbarer Ferne in näherer Zu-
kunft möglich sein.

Ich freue mich darüber, dass die Regierung jetzt von ei-
ner europäischen Lösung spricht. Lassen Sie uns gemein-
sam darüber reden, wie wir die europäische Per-
spektive ein wenig konkreter werden lassen können, als
sie es bislang ist.


(Beifall des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU])


Ausgangspunkt für einen regionalen Zusammen-
schluss – von unserer Seite wird es dazu demnächst etwas
konkretere Vorschläge geben – könnte der Stabilitätspakt
sein. Er müsste weiterentwickelt, das heißt politischer
ausgerichtet und institutionalisiert werden. Bedauerli-
cherweise – das müssen wir alle gemeinsam feststellen –
verliert der Stabilitätspakt gegenwärtig an Dynamik, an-
statt notwendige neue Initiativen zu entwickeln. Auch die
wirtschaftlichen Projekte des Stabilitätspakts, die den
Menschen vor Ort ein unmittelbares Signal des Aufbruchs
und der Verbesserung ihrer Lebenssituation geben sollten,
kommen leider nur sehr zögerlich voran. Eine Desillusio-
nierung der Bevölkerung vor Ort vor dem Hintergrund
der Aufgaben, die vor ihr liegen, und der Notwendigkeit,
dass sie sich für den Frieden und für den Aufbau ihres
Landes aktiv engagiert, müssen wir unbedingt vermeiden;
aber genau sie bahnt sich im Augenblick an.

Unsere Soldaten verhindern gemeinsam mit unseren
Partnern den erneuten Ausbruch von Gewalt im Kosovo.
Ich sage nochmals: Dafür gebührt ihnen unser Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)


Frieden aber kann nur eine politische Lösung bringen, für
die wir eine wesentlich genauere, realistischere und zu-
kunftsweisendere Vorstellung als bislang entwickeln
müssen, aber nicht den anderen auferlegen dürfen. Jetzt
und nicht in irgendeiner fernen Zukunft müssen wir sol-
che Vorstellungen entwickeln. Die Zeit drängt. Die Bun-
desregierung hat dies nach meiner festen Überzeugung
noch nicht ausreichend begriffen. Wir werden sie drän-
gen, damit sie es schneller begreift.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417400900
Als nächs-
te Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417401000
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwei
Jahre nach den Luftangriffen auf das ehemalige Jugosla-
wien stehen wir heute nicht nur vor der Verlängerung,
sondern auch vor einer Ausweitung des Mandats für un-
sere Soldaten, die mit KFOR versuchen, einen sehr
schwierigen Friedensprozess auf dem Balkan in Gang zu
setzen und zu sichern. Meine Fraktion wird heute diesem
Antrag der Bundesregierung zustimmen


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wer hätte das gedacht!)


– und das angesichts einer höchst kritischen Situation auf
dem Balkan.

Vor wenigen Wochen hatte ich erneut Gelegenheit, so-
wohl mit den Soldaten von SFOR und KFOR als auch mit
Vertretern politischer Parteien zu sprechen. Ich will nicht
verhehlen, dass mich die Eindrücke dieser Reise und die
Informationen über die aktuelle Entwicklung beunruhi-
gen. Gott sei Dank hat sich diese Situation seit gestern
wieder entspannt.

Wir wissen, dass man die Probleme bezüglich Pre-
sevo-Tal, Südserbien, Kosovo und Mazedonien nicht
voneinander trennen kann. Ich will die Lage zwar nicht
dramatisieren. Ich will aber unterstreichen, dass uns die
Abwägung vor dem Hintergrund der politischen Entwick-
lung und Konflikte sowohl im Kosovo als auch in Maze-
donien veranlasst, unseren Soldaten für ein weiteres Jahr
den politischen Auftrag zu geben, ihren unverzichtbaren
Einsatz im Kosovo weiterzuführen.

Auch wenn es heute um das Mandat von KFOR und
dessen Ausweitung auf das Presevo-Tal geht, können wir
doch nicht den Blick von Mazedonien abwenden. Wir
müssen zur Kenntnis nehmen, dass trotz aller nichtmi-
litärischen Bemühungen bzw. militärischen Bemühungen
im Kosovo durch die internationale Staatengemeinschaft
der fragile Friedensprozess durch eine Minderheit, näm-
lich durch die militante UCK, bewusst infrage gestellt
wird. Die internationale Staatengemeinschaft bemüht sich
mit allen Mitteln, die Allparteienkoalition in Mazedonien
zu stärken. Ich hoffe, dass die entsprechenden Verhand-
lungen auch zu Kompromissen mit der albanischen Min-
derheit in Mazedonien führen werden. Denn es ist zu be-
fürchten: Wenn dieser Prozess scheitern sollte, stehen wir
in der gesamten Region vor einem Scherbenhaufen.

Wir werden die Ausweitung des Mandats für unser Kon-
tingent im Rahmen des internationalen Einsatzes unterstüt-
zen, weil wir es nicht zulassen können, dass in der ehema-
ligen Sicherheitszone weiterhin ein Vakuum besteht, das
diese Sicherheitszone sozusagen zu einer Unsicherheits-
zone macht, in der sich die UCK rekrutiert, um dann in Ma-
zedonien oder im Kosovo militärisch zu agieren.

Vor diesem Hintergrund appelliere ich mit aller Ernst-
haftigkeit an die F.D.P., ihre populistische Haltung,


(Widerspruch bei der F.D.P. – Jörg van Essen [F.D.P.]: Wie peinlich!)





Karl Lamers

17071


(C)



(D)



(A)



(B)


die sehr viel mit Innenpolitik und Wahlkampf, aber nichts
mit den Sicherheitserfordernissen auf dem Balkan zu tun
hat, aufzugeben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Und das aus Ihrem Munde, Frau Kollegin!)


Ihr hehres Ziel – trotz fehlender politischer Inhalte –,
18 Prozent zu erreichen, sollte nicht zulasten der interna-
tionalen Friedensbemühungen im Kosovo und in Maze-
donien und auch nicht zulasten des Vertrauens unserer
Soldaten gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der F.D.P.)


Es ist das erste Mal, dass Sie einem Antrag die Zu-
stimmung verweigern, mit dem wir unserer Parlamentsar-
mee den Auftrag erteilen, im Rahmen der internationalen
Staatengemeinschaft im Ausland zu agieren. Sie wollen
den deutschen Soldaten nicht den Auftrag geben, das Pre-
sevo-Tal abzusichern; Sie wollen ihnen nicht den Auftrag
geben, die unbewaffneten EU-Emissäre zu schützen. Ich
glaube, dass es politisch fahrlässig ist, mit der Si-
cherheitspolitik Wahlkampf zu machen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie dürfen uns den Vortrag eigentlich nicht halten!)


Herr Kinkel, erlauben Sie mir, dass ich Sie als ehema-
ligen Außenminister anspreche. Sie haben umfassende
Erfahrungen mit der Situation auf dem Balkan. Sie wis-
sen, dass jede außen- und sicherheitspolitische Entschei-
dung, wenn es um Instrumente für die Friedensstabilisie-
rung auf dem Balkan geht, auch heute noch eine
Gratwanderung ist. Ich möchte Sie bitten, Ihr Ab-
stimmungsverhalten an Ihren Erfahrungen als ehemaliger
Außenminister zu orientieren, nicht an der wahltaktischen
Oppositionsstrategie. Ich glaube, es wäre gut, wenn we-
nigstens Sie den Soldaten das Signal gäben, dass dieser
Auftrag richtig und wichtig ist.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Trotzdem stellt sich bei Ihnen die Frage der Glaubwürdigkeit schon!)


Lassen Sie mich noch etwas zu den Freunden von der
PDS sagen. Mit Ihrer Vorstellung, SFOR und KFOR so-
fort abzuziehen und allenfalls einige Blauhelme dort zu
stationieren, verschließen Sie die Augen davor, dass die
unterschiedlichen Ethnien aufgrund ihrer traumatischen
Kriegserfahrungen, ihrer Erfahrungen mit Bürgerkrie-
gen, Vertreibungen und Vergewaltigungen, heute einfach
noch nicht in der Lage sind, ohne internationale Hilfe
überhaupt zu einem Friedensprozess zu kommen.


(Heidi Lippmann [PDS]: Wir wollen doch keine Hilfe verweigern, wir wollen nur keine NATOTruppen!)


Wäre Ihr Antrag mehrheitsfähig, würde das bedeuten,
dass der gesamte Balkan innerhalb weniger Wochen aus-
einander bräche.

Ich möchte zum Schluss noch etwas zu dem Antrag der
CDU/CSU sagen. Sie stimmen heute zu; das ist gut so. Sie

konditionieren Ihren Antrag mit der Forderung an die
Bundesregierung, im nächsten Jahr den Verteidigungs-
haushalt um relevante Summen aufzustocken. Ich warne
davor!


(Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind erschüttert!)


Ich warne vor diesem durchsichtigen Wahlkampf-
manöver, das Sie heute vorbereiten und im nächsten Jahr
zuspitzen, indem Sie drohen, dann nicht mehr zuzustim-
men – mit der Begründung, Sie hätten ja frühzeitig ge-
warnt. So würden Sie im nächsten Jahr den Fehler wie-
derholen, den Ex-Verteidigungsminister Rühe während
seiner Amtszeit immer wieder gemacht hat: Sie
instrumentalisieren die Bundeswehr und in diesem Fall
den Auslandseinsatz der Bundeswehr für wahltaktische
Manöver. Ich glaube, dass Ihr Verhalten, angelegt bis zum
Ende nächsten Jahres, katastrophale Auswirkungen auf
die außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen haben
wird, die wir auf dem Balkan zu treffen haben. Gerade
Sie, Herr Rühe, wissen sehr gut, genauso gut wie Herr
Kinkel, aufgrund welcher Defizite wir in die heutige Si-
tuation gekommen sind. Ich hoffe, dass Sie sich nach
Ihrem Antrag heute, den wir natürlich ablehnen, eines
Besseren besinnen.

Sie können uns kritisieren.

(Werner Siemann [CDU/CSU]: Gut, dass wir wenigstens das noch dürfen!)

Sie können unsere Bundeswehrreform, unsere Haushalts-
politik kritisieren. Sie können auch unsere Politik auf dem
Balkan kritisieren. Aber dann tun Sie das inhaltlich, mit
Argumenten und verknüpfen Sie nicht die innenpolitische
Wahlkampfschlacht mit außenpolitischen Erfordernissen!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417401100
Frau Kol-
legin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Lippmann von der PDS?


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Kanzler ist ganz begeistert von Ihnen!)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417401200
Ja


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417401300
Frau
Lippmann, bitte schön


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1417401400
Frau Kollegin, Sie haben den
Großteil Ihrer jetzt nahezu sechs Minuten Redezeit darauf
verwendet, den Fraktionen, die nicht den Regierungskurs
mittragen, wahlkampftaktische Momente zu unterstellen.
Sind Sie denn auch in der Lage, eine inhaltliche Begrün-
dung für die Ausweitung des Mandats in die Sicherheits-
zone zu erteilen?


(Beifall bei der PDS und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und vor allem: Sind Sie in der Lage, den Freifahrtschein,
der mit dem heutigen Parlamentsbeschluss ausgestellt
werden soll, hinsichtlich der Auftragsgestaltung für die




Angelika Beer
17072


(C)



(D)



(A)



(B)


deutschen KFOR-Soldaten in der Ground Safety Zone zu
konkretisieren? Denn ich meine, ein Großteil der Kritik ist
darin begründet, dass es einen Freifahrtschein gibt, dass
also kein Auftrag konkret erteilt wird.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417401500
Frau
Kollegin Lippmann, statt die Minuten meiner Redezeit zu
zählen, hätten Sie vielleicht lieber zuhören sollen.


(Widerspruch bei der PDS – Dr. Heidi KnakeWerner [PDS]: Das ist an Arroganz wirklich nicht zu überbieten!)


–Wenn Sie fragen, sollten Sie auch zulassen, dass ich ant-
worte. Ich möchte hier noch einmal ganz deutlich sagen,
dass derjenige, der heute die Zustimmung verweigert, das
Risiko eingeht, dass in der ehemaligen Sicherheitszone
weiterhin ein Vakuum besteht, das die UCK dazu nutzt, zu
rekrutieren und sich militärisch zu positionieren, weil sie
den Friedensprozess auf dem Balkan nicht will. Wer eine
solche Politik für richtig hält, nimmt in Kauf, dass die po-
litischen Versuche, Makedonien zu stabilisieren, in kürzes-
ter Zeit scheitern würden, weil die militärischen Vorbe-
reitungen für Angriffe auf Makedonien auch aus der
Region des Presovo-Tals erfolgt sind.

Deswegen ist es noch einmal notwendig zu unterstrei-
chen: Die EU-Monitäre, die wegen der vertrauensbilden-
den Maßnahmen dort sind – die die serbische Seite zuge-
sagt hat, damit es in Südserbien nicht zu Eskalationen
zwischen der albanischen Minderheit und den Serben
kommt –, haben natürlich für den Fall, dass sie angegrif-
fen werden, das Recht auf militärischen Schutz. Zugleich
halte ich es für richtig, auszuschließen, dass unser deut-
sches Kontingent mit dem Auftrag zu Kampfeinsätzen in
die Region geht. Wir wollen dort eine Stabilisierung er-
reichen und damit den Frieden sichern. Ich bin nach den
Erfolgen im Nord- und Südteil des Sektors Bravo, also
des Presovo-Tales, optimistisch und hoffe, dass die ges-
tern begonnene Öffnung des Sektors Mitte im Presovo-
Tal ebenfalls ohne militärische Auseinandersetzungen
vonstatten geht. Ich hoffe das natürlich im Interesse von
allen. Wir wissen, dass wir die endgültige Bewertung der
Situation erst in einigen Wochen vornehmen können. –
Ich antworte Ihnen noch, Frau Lippmann, Sie können ste-
hen bleiben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417401600
Entschul-
digung, die Antworten können nicht unendlich ausge-
dehnt werden. Fragen und Antworten sollen kurz und prä-
zise sein. Ich bitte Sie daher, zum Schluss zu kommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Roland Claus [PDS])



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417401700
Die
Frage war sehr umfassend. – Es ist notwendig, jene An-
träge, die diese politisch schwierige Situation instrumen-
talisieren, zu kritisieren und zurückzuweisen. Auch das
will ich hier noch einmal unterstreichen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417401800
Ich bitte,
zum Schluss zu kommen, Frau Kollegin.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417401900
Der
Auslandseinsatz unserer Soldaten darf nicht für innen-
und parteipolitische Wahltaktik missbraucht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum

Schluss. Ich denke, dass es heute der richtige Zeitpunkt
ist, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den nicht mi-
litärischen Organisationen für ihren Einsatz sowohl in
Bosnien-Herzegowina als auch im Kosovo zu danken.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402000
Frau Kol-
legin, ich bitte wirklich, zum Schluss zu kommen. Sie ha-
ben Ihre Redezeit weit überzogen.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417402100
Es ist
der richtige Zeitpunkt, zu hoffen und zu wünschen, dass
alle, die diesen Dienst in Zukunft tun, gesund wieder-
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402200
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.) (von der F.D.P. mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren! Die Freien Demokraten lehnen den An-
trag der Bundesregierung ab. Wir stellen heute einen ei-
genen Entschließungsantrag zur Abstimmung. Wir als
F.D.P. wollen ausdrücklich eine Verlängerung des Man-
dats, das wir selbst mit erteilt haben, und stellen dies auch
in unserem Antrag klar.

Meine Fraktion ist aber nach einer sehr ausführlichen
Diskussion und reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis
gekommen, dass wir aus folgenden Gründen die Ent-
scheidung der Bundesregierung nicht unterstützen wer-
den: Wir wollen eine Verlängerung des Mandates, wir
wollen jedoch keine pauschale Erweiterung eines Man-
dates, deren Notwendigkeit nicht ausreichend erklärt, de-
ren Ausgestaltung nicht ausreichend eingegrenzt und de-
ren Konsequenzen nicht ausreichend durchdacht sind.


(Beifall bei der F.D.P. – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Bei allem Respekt: Ich empfinde es schon als geradezu
lächerlich bis grotesk, Frau Kollegin von den Grünen,
wenn Sie uns, der F.D.P., hier irgendwelche Belehrungen
über staatspolitische Verantwortung geben wollen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Sie wären heute bei Sitzblockaden und ließen sich weg-
tragen. Was man bei Ihnen erlebt, ist ein unkritisches




Heidi Lippmann

17073


(C)



(D)



(A)



(B)


Durchnicken von Anträgen der Bundesregierung ohne
eine eigene kompetente inhaltliche Prüfung.


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie hier erzählen, das Parlament sei nicht der
Oberbefehlshaber,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer erzählt das denn?)


dann erinnere ich Sie einmal daran: Das Parlament ist sehr
wohl der Auftraggeber; denn wir haben eine Parlaments-
armee und keine Regierungsarmee. Wir haben zu ent-
scheiden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So was Lächerliches!)


Wenn wir als Abgeordnete nach den Vorträgen der Re-
gierung zu dem Ergebnis kommen, dass das Mandat risi-
koreich, nicht eingegrenzt, unkalkulierbar ist und wenn
eine Erweiterung gegen unsere Überzeugung ist, dann ist
es das Recht eines jeden Abgeordneten hier, diesen Antrag
der Regierung abzulehnen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kommen Sie mal wieder runter!)


Wenn sichergestellt werden soll, dass Verbindungsele-
mente der Bundeswehr an Gesprächen in der Boden-
sicherheitszone teilnehmen können, wenn sichergestellt
werden soll, dass deutsche Sanitäter humanitäre Hilfe
leisten können, und wenn sichergestellt werden soll, dass
unbemannte Aufklärungsflüge stattfinden können, dann
kann die Bundesregierung dies auch in das Mandat hi-
neinschreiben, wie wir das vorschlagen.

Diese Einsatzoptionen hat die Bundesregierung uns
ausdrücklich genannt; aber sie ist nicht bereit, sie auch
ausdrücklich in ihren Antrag hineinzuschreiben. Wenn es
nur um das ginge, was die Bundesregierung mündlich
vorträgt, dann könnte man sich einigen. Aber wenn Sie
hier eine Carte blanche zur Abstimmung vorlegen,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja lächerlich!)

werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Nach dem Antrag der Bundesregierung können grund-

sätzlich alle deutschen KFOR-Truppenteile für einen Ein-
satz in der Bodensicherheitszone infrage kommen. Die
F.D.P. lehnt jedoch aufgrund der Sicherheitslage im Sek-
tor B, der Bodensicherheitszone, den Einsatz von gepan-
zerten und ungepanzerten Patrouillen sowie die dauerhafte
Truppenstationierung dort ausdrücklich ab. Die F.D.P. ist
für eine Verlängerung des bestehenden Mandates, für des-
sen vorbildliche Durchführung wir an dieser Stelle allen
Soldatinnen und Soldaten ausdrücklich danken.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich höre sehr wohl, verehrte Kolleginnen und Kollegen

von den Regierungsfraktionen, dass auch Sie den Solda-

tinnen und Soldaten danken; wir haben Ihnen da Beifall
gegeben. Aber es reicht nicht aus, dass Sie als Abgeord-
nete der Regierungsfraktionen den Soldatinnen und Sol-
daten wohlfeil danken und anschließend bei den Kür-
zungen des Verteidigungshaushaltes dafür sorgen, dass
die Soldatinnen und Soldaten ihrem Auftrag nicht mehr
richtig gerecht werden können.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch! Dummes Zeug!)


Die Bundeswehr braucht nicht den rhetorischen Dank des
Parlaments; die Bundeswehr braucht harte Abstimmungs-
fakten des Parlaments. Geben Sie der Bundeswehr end-
lich die Mittel, die sie braucht!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Das hätten Sie mal 1990 sagen sollen!)


Geht man die möglichen Einsatzszenarien durch,
dann kommt man beispielsweise sehr schnell zu der Not-
wendigkeit möglicher Geiselbefreiungen, etwa von unbe-
waffneten EU-Mitarbeitern. Staatssekretär Pleuger aus
dem Auswärtigen Amt hat dazu in meiner Fraktion gesagt,
in dem Fall müsse man eingreifen und sie herausholen.
Das macht deutlich, dass die Bundesregierung selbst von
notwendigen Kampfhandlungen ausgeht, die sie ihren
Soldaten in dem Antrag aber untersagen will.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)

Wir sind der Auffassung, dass das widersprüchlich ist.

Dieser Satz in dem Antrag ist nichts anderes als weiße
Salbe auf grüner Seele; das ist keine durchdachte Sicher-
heits- und Außenpolitik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)


– Ich wäre dankbar, wenn die Zwischenrufe von der Re-
gierungsbank an dieser Stelle unterblieben. Das Parla-
ment diskutiert hier und ich empfinde es als einen Eingriff
in die Debatte, wenn der Bundesminister des Auswärtigen
die Redner mit Zwischenrufen belästigt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn Sie dazwischenrufen wollen, setzen Sie sich auf
Ihren Abgeordnetenstuhl und nicht als Außenminister auf
die Regierungsbank!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen gerne zwei Zitate vortragen. Der Vor-
sitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes,
Bernhard Gertz, hat vor wenigen Tagen knapp und zutref-
fend zusammengefasst: Die Mandatserweiterung bringt
zusätzliche Kosten; die Bundeswehr ist unterfinanziert. –
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Kujat,
sagte einer öffentlichen Tageszeitung, die Bundeswehr sei
derzeit nicht zu 100 Prozent einsatzbereit.

Wir als F.D.P. sind der Meinung: Man kann der Bun-
deswehr nicht immer mehr Aufträge erteilen wollen, aber




Dr. Guido Westerwelle
17074


(C)



(D)



(A)



(B)


gleichzeitig hier im Parlament der Bundeswehr die not-
wendigen finanziellen Mittel verweigern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich

sehe, dass Sie noch darauf hoffen, dass Ihre Ent-
schließungsanträge zugunsten einer besseren Ausstattung
der Bundeswehr bei den Regierungsfraktionen irgendet-
was bewirken. Diesen Glauben habe ich, offen gestanden,
nicht. Wenn Sie wirklich daran glauben, dass die irgendet-
was ändern, fürchte ich, schätzen Sie die Regierungsfrak-
tionen an dieser Stelle falsch ein. Diese Regierungsfrak-
tionen werden mit der Bundeswehr weiter Schindluder
treiben, wenn das Parlament jetzt nicht endlich Klartext
mit dieser Bundesregierung redet.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist unerhört!)


Deswegen halte ich fest: Wir als F.D.P. unterstützen die
Bundeswehr. Wir als F.D.P. sind der Auffassung, dass der
Auftrag der Bundeswehr verlängert werden muss. Eine
undifferenzierte Ausweitung des Auftrages der Bundes-
wehr kommt für uns nicht in Betracht, erst recht nicht,
wenn man die Bundeswehr an anderer Stelle kurz und
klein spart.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402300
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von
der PDS-Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417402400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Bundestagsfraktion
wird beide Teile des Antrags der Bundesregierung – Ver-
längerung und Ausweitung des Mandats – ablehnen.


(Beifall bei der PDS)

Stattdessen haben wir Ihnen vorgeschlagen, die Mandate
nicht zu verlängern und dafür einzutreten, dass das
KFOR-Mandat in ein UNO-Blauhelmmandat umgewan-
delt wird.

Ich möchte mich aber doch mit einigen Argumenten
auseinander setzen, die in der Diskussion gefallen sind
und die ich sehr bezeichnend finde. Zunächst möchte ich
Ihnen, Frau Beer, einen politischen und einen persönli-
chen Rat zur Position der Grünen geben. Zuerst der poli-
tische Rat: Ihre gesamte Rede hatte den Gestus: Wer sich
beschwert, wird belehrt.


(Beifall bei der PDS)

Ich finde, diese Belehrungsarie können sich die Grünen
endlich einmal sparen. Sie sollten stattdessen zur Sache
diskutieren. – Und der persönliche Rat: Ich habe schon
immer Vorbehalte gegen die gehabt, die 150-prozentig
sein möchten.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Sie waren in der Vergangenheit 150-prozentig für das eine
und sind heute kritiklos 150-prozentig für das andere.

Zum Kollegen Brecht und meinem Vorschlag, dass die
Bundesregierung ihren Antrag in zwei Anträge teilen
sollte: Dieser Vorschlag ist von der Sache her begründet.
Das werde ich Ihnen noch einmal vortragen. Ich finde
aber auch, dass er insofern begründet ist, als es Kollegin-
nen und Kollegen gibt, die – anders als ich – vielleicht ei-
nem Teil dieses Antrags zustimmen und einen anderen
Teil ablehnen wollen. Es wäre demokratisch, für demo-
kratische Rechte auch dann einzutreten, wenn man sie sel-
ber nicht in Gebrauch nehmen will. Das muss man ak-
zeptieren.


(Beifall bei der PDS)

Der Versuch, der F.D.P. immer zu unterstellen, dass sie den
Sirenenklängen der PDS erlegen sei, entspricht dem alten
Strickmuster antikommunistischen Denkens und des Den-
kens des Kalten Krieges. Das ist hier einfach unangebracht.


(Beifall bei der PDS)

Was die Bundesregierung eigentlich vermeiden will

und weswegen sie einer solchen Abstimmung aus dem
Wege geht, ist, dass sie nicht öffentlich sichtbar machen
will, dass die Zustimmung zu ihrer Balkanpolitik bröckelt;
in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause. Die Zustim-
mung bröckelt aus sehr unterschiedlichen Gründen, aber
sie bröckelt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ausweitung und Verlängerung des Mandats gehören

auch inhaltlich nicht zusammen. Ich mache die Kollegin-
nen und Kollegen des Hauses darauf aufmerksam, dass
die Ausweitung des Mandats keine völkerrechtliche
Grundlage hat. Sie müssen wissen, über was Sie hier ab-
stimmen. Die VN-Resolution 1244 und das Militärisch-
Technische Abkommen erlauben lediglich die luftge-
schützte Beobachtung der Sicherheitszone zur Prüfung,
ob das Abkommen von serbischer Seite eingehalten wird.

Sollten jetzt KFOR-Truppenbewegungen in dieser
Zone stattfinden, müsste entweder das durch die VN-Re-
solution 1244 gedeckte Mandat vom Sicherheitsrat er-
weitert oder ein neues Abkommen abgeschlossen werden,
und zwar zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und
der KFOR. Das ist aber nicht der Fall. Insofern ist die
KFOR-Präsenz mit Bodentruppen in der Sicherheitszone
nicht erlaubt bzw. nicht mandatiert – und damit auch nicht
die Präsenz der Bundeswehr.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist schlicht falsch, Herr Gehrcke!)


Wird vom Bundestag ein solches Mandat für einen Bun-
deswehreinsatz beschlossen, muss zur Kenntnis genom-
men werden: Es gibt dafür keine völkerrechtliche Grund-
lage. Das ist für die Bundesregierung nichts Neues. Denn
sie ist in diesen Fragen immer über das Völkerrecht hin-
weggegangen. Aber die Mitglieder dieses Hauses sollten
sich darüber klar sein. Und da Sie keine getrennten An-
träge vorlegen, sondern über beide Teile zusammen ab-
stimmen lassen, gibt es nur eine Lösung: Man muss Ihren
Antrag ablehnen. Ich hoffe, dass das viele Kolleginnen
und Kollegen tun werden.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Guido Westerwelle

17075


(C)



(D)



(A)



(B)


Das eigentliche politische Problem, das dahinter steht,
ist, dass aus dem Kosovo heraus die Instabilität der ge-
samten Region erfolgt: Vom Kosovo gehen die Aktionen
der UCK in Mazedonien bzw. in Südserbien aus. Über den
Kosovo läuft der Nachschub an Waffen und werden die
Kämpfe der UCK gesteuert, um ein unabhängiges Kosovo
und Grenzveränderungen gegenüber Mazedonien und
Serbien zu erzielen. Für all das, was im Kosovo passiert,
trägt nach der UNO-Resolution 1244 die KFOR die recht-
liche Verantwortung.

Es ist Ihre Verantwortung, die Sie dann auch einlösen
müssen. Die NATO hatte sich faktisch zum Kriegsver-
bündeten der UCK gemacht. Dienste der NATO haben die
UCK ausgebildet – übrigens auch in Sabotageaktionen –,
gefördert und bewaffnet. Man hat die albanische Seite in
dem Glauben gelassen, es werde schlussendlich auf ein
unabhängiges Kosovo hinauslaufen.

Was Sie nun erleben, ist faktisch das Gleiche, was Sie
schon einmal in Afghanistan erlebt haben: Die UCK
macht sich selbstständig; wir haben es mit einer Talibani-
sierung der UCK zu tun. Man wird dieses Problem poli-
tisch nur dann lösen können, wenn man endlich anfängt,
die UNO-Resolution 1244 konsequent einzulösen.


(Beifall bei der PDS)

Das kann eine UNO-Truppe besser als eine NATO-
Truppe, die Krieg im Kosovo geführt hat.

Insofern sollten Sie eine grundsätzliche Veränderung
Ihrer Balkanpolitik einleiten. Sie sollten Klarheit darüber
schaffen, dass Sie die Beschlüsse der UNO einhalten wol-
len. Sie sollten endlich einmal auch gegenüber der UCK
Klartext reden. Dies tun Sie nicht. Sie sprechen hier mit
einer gespaltenen Zunge. Deswegen sollte man dem An-
trag der Bundesregierung nicht zustimmen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402500
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Zumkley von der
SPD-Fraktion das Wort.


Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1417402600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ziel europäischer und somit auch deutscher
Politik auf dem Balkan ist nach wie vor die langfristige
und nachhaltige Stabilisierung der Gesamtregion. Dies
hat weiterhin höchste Priorität. Die Region gehört zu Eu-
ropa; die Ereignisse dort berühren uns unmittelbar.

Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere politischen Ak-
tivitäten steigern und die Präsenz von Streitkräften auf-
rechterhalten. Wir sind uns auch bewusst, dass ein lang-
fristiges Engagement wahrscheinlich und leider
notwendig ist. Bis zu einem friedlichen Zusammenleben
der verschiedenen Ethnien ist es noch ein langer Weg.

Ich denke, dass sich insgesamt die bisherige Bilanz des
Engagements im Kosovo sehen lassen kann. Es gibt
kleine, aber durchaus sichtbare Fortschritte zur Erhöhung
der Stabilität der äußeren und inneren Sicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dazu hat auch die internationale Sicherheitspräsenz
beigetragen. Die KFOR wird respektiert, geachtet und ar-
beitet erfolgreich auf der Grundlage der UN-Resolution
1244 weiter. Dies gilt ebenso für die SFOR. Auch unsere
Soldaten leisten gemeinsam mit internationaler Polizei
und zivilen Organisationen einen maßgeblichen Beitrag
für die Sicherheit und den Aufbau dieser Region. Ihr En-
gagement und ihre Leistungen sind vorbildlich und bei-
spielgebend. Dafür ist ihnen zu Recht von allen gedankt
worden; auch ich tue das.


(Beifall bei der SPD)

Die Lage im Kosovo, auch die im Verantwortungsbe-

reich der deutschen Streitkräfte, ist aber weiterhin schwie-
rig. Auf die militärische Präsenz der internationalen Staa-
tengemeinschaft kann daher noch nicht verzichtet
werden. Deswegen halten wir die Mandatsverlängerung
für den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo für not-
wendig. Sie werden weiterhin für Überwachungs- und
Schutzaufgaben, humanitäre Hilfen und Unterstützungs-
leistungen beim Aufbau ziviler Strukturen benötigt – und
dies zusammen mit vielen Partnern innerhalb und außer-
halb der NATO.

Die weiterhin schwierige Situation – mit Sorge beob-
achten wir die angespannte Lage in Mazedonien – zeigt
aber auch, dass der politische Prozess in der Region be-
harrlich und energisch fortgesetzt werden muss. Der Ein-
satz von Soldaten darf nicht zu einer routinierten Dauer-
lösung werden. Der Stabilitätspakt hat sich als guter Weg
erwiesen. Die aufgelegten Programme zur wirtschaftli-
chen Entwicklung und Vernetzung der Gesamtregion sind
wichtige Schritte in eine bessere Balkanzukunft. Wir hof-
fen, dass die begonnenen Projekte und Reformen die ver-
schiedenen gesellschaftlichen Kräfte zu mehr Eigeninitia-
tive veranlassen.

Die Vereinbarung über eine substanzielle Autonomie
wird umgesetzt. Der dafür notwendige Verfassungsrah-
men ist geschaffen. Im November 2001 werden die ersten
kosovoweiten freien Parlamentswahlen durchgeführt.
Damit ist auch die demokratische Entwicklung auf einen
guten Weg gebracht.

Das bisherige politische und militärische Engagement
hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich die demo-
kratischen Kräfte auch in Belgrad durchgesetzt haben.
Damit haben sich neue Möglichkeiten konstruktiver
Zusammenarbeit zur Stabilisierung der Gesamtregion er-
geben.


(Beifall bei der SPD)

Hierzu zählt auch die Umsetzung des Militärisch-

Technischen Abkommensmit der Bundesrepublik Jugo-
slawien. Den jugoslawischen Sicherheitskräften wurde
der Zugang in die Bodensicherheitszone rund um das Ko-
sovo gewährt. Diese Maßnahme hat sich bewährt. Bisher
haben zum Beispiel – ich rufe das in Erinnerung – mehr
als 450 UCPMB-Angehörige freiwillig ihre Waffen nie-
dergelegt. Das kann man durchaus als einen kleinen Fort-
schritt ansehen.

Um die politischen Anstrengungen zu einer gewalt-
freien Entwicklung friedlicher und demokratischer Struk-




Wolfgang Gehrcke
17076


(C)



(D)



(A)



(B)


turen zu unterstützen, ist das aktive Mitwirken aller
KFOR-Staaten erforderlich. Die deutsche Teilhabe als
verlässlicher Bündnispartner ist notwendig. Die vorlie-
gende Mandatsausweitung ist hierfür Voraussetzung und
findet unsere Unterstützung.

Aus unserer Sicht erfordert es die sicherheitspolitische
Lage, dass sowohl der Kosovo-Einsatz deutscher Solda-
ten fortgesetzt als auch ihr Einsatz in den Sicherheitszo-
nen entsprechend den im Antrag der Bundesregierung
festgelegten Regeln ermöglicht wird.

Wir bedauern – auch ich darf das noch einmal auf-
greifen –, dass sich die F.D.P.-Fraktion diesen sicher-
heitspolitischen Erfordernissen nicht anzuschließen ver-
mag.


(Beifall bei der SPD)

Ihrem Entschließungsantrag zur Trennung von Man-
datsverlängerung und Mandatserweiterung können
wir nicht zustimmen. Beide Elemente sind im Zusam-
menhang zu sehen und führen zu mehr Sicherheit in den
betroffenen Regionen.

Herr Kollege Westerwelle, eine pauschale Erweiterung
oder eine Carte blanche, wie Sie es bezeichnet haben, ist
mit diesem zur Abstimmung stehenden Antrag der Bun-
desregierung nun wirklich nicht verbunden.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sicher! Ganz bestimmt!)


– Nein. Sie gestatten, dass wir eine andere Auffassung ha-
ben. Wir werden ja sehen, wie das draußen bewertet wird.
Sie müssen mit dieser Ihrer Entscheidung, die wir natür-
lich zu respektieren haben, die wir aber nicht teilen, sel-
ber fertig werden. Da wird es noch interessante außen-
und sicherheitspolitische Diskussionen geben;


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Darauf können Sie sich verlassen!)


denn Sie begeben sich jetzt auf einen anderen Weg. Aber
es ist Ihre Entscheidung.

Wir begrüßen, dass die CDU/CSU der Mandatsverlän-
gerung und -erweiterung, wenn auch konditioniert, zu-
stimmt. Damit wird, wie in der Vergangenheit, grundsätz-
lich der Konsens in diesen wichtigen außen- und
sicherheitspolitischen Fragen fortgesetzt.

Kollege Lamers hat, wie ich finde, hierzu wichtige
Bemerkungen gemacht. Die Ausrüstung unserer Ein-
satzkontingente ist qualitativ hochwertig. Dieser
Standort wird auch zukünftig beibehalten und, wo im-
mer möglich, auch verbessert werden. Herr Kollege
Lamers, dazu gehört auch die Frage der Sommerunifor-
men, um die wir uns zusammen mit dem Verteidigungs-
minister ebenfalls kümmern und die nach meiner Kennt-
nis – und nun gestatten Sie mir den militärischen Jargon –
im Zulauf sind.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie machen sich doch lächerlich!)


Hätten wir aber, wie geboten, die Bundeswehr Mitte 1995
schon umstrukturiert und auf die neuen Aufgaben vorbe-

reitet, Herr Kollege Merz, dann hätten wir diesen Punkt
vielleicht schon abgehakt. So müssen wir ihn nachholen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Es ist lächerlich, was Sie sagen! Eine Zumutung! Als ob uns das interessiert!)


Die Ausbildung erfolgt auf sehr hohem Niveau und ist
auf die speziellen Einsatzerfordernisse abgestimmt. Dies
wird national wie international anerkannt.

Mit der von uns eingeleiteten Bundeswehrreform wer-
den wir auch die seit Jahren bestehenden Mängel in der
übrigen Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr
schrittweise beseitigen. Wir werden die jeweiligen
Reformschritte ausreichend und in Teilbereichen anders
finanzieren, als man es bisher gewohnt war. Dem Vertei-
digungsminister werden mehr Finanzmöglichkeiten als
bisher geplant eingeräumt. Zugegeben, es ist knapp; aber
es reicht, wenn die vorgesehenen, vereinbarten Ziele
durch die Bundesregierung und das Parlament energisch
und konsequent verfolgt werden. Kritik sollte sich am Er-
gebnis orientieren und nicht schon zu Beginn in Funda-
mentalkritik münden.

Für den Einsatz im Kosovo stehen, genau wie in Bos-
nien-Herzegowina, ohne jeden Zweifel genügend Fi-
nanzmittel für die Erfüllung der Aufträge zur Verfügung.
Die Ausweitung des Mandates erfordert keine weiteren
Mittel. Es sind keine höheren Personalkosten zu erwarten,
da keine Erhöhung des Personalbestandes stattfindet. Es
werden auch keine neuen Ausrüstungserfordernisse nach-
geschoben werden müssen. Insofern kann man zum Glück
sagen, dass sich hieraus keine Kostensteigerung ergibt.
Deswegen sollten Sie diesen Punkt auch nicht überstrapa-
zieren.

Ich bin im Übrigen zuversichtlich, dass Sie, meine Da-
men und Herren von der Union, auch im nächsten Jahr ei-
ner eventuellen Mandatsverlängerung nach Ihren von
uns in diesem Fall nicht geteilten Konditionen werden zu-
stimmen können. Verlängerung und Ausweitung des
Mandates sind im Interesse unserer bisher verfolgten Bal-
kanpolitik erforderlich. Deshalb stimmen wir, wie meine
Vorredner aus der Koalition es bereits gesagt haben, dem
Antrag der Bundesregierung zu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1417402800
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Aufgabe der Opposition ist es, die Bundesregie-
rung zu kritisieren – nachhaltig zu kritisieren –,
Optionen für richtige Politik vorzuschlagen und dort,
wo das gemeinsame Interesse unseres Landes auf dem
Spiel steht, auch dann Zustimmung zu geben, wenn es
schwer fällt. Und es fällt in der Tat schwer, einem




Peter Zumkley

17077


(C)



(D)



(A)



(B)


schlampig vorbereiteten und schlampig gemachten An-
trag zuzustimmen.


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Die Schlampigkeit fängt damit an, dass bereits vor
zwei Jahren, als der Ausgangsantrag für das Kosovo-
Mandat eingebracht wurde, das Militärisch-Technische
Abkommen, über das jetzt eine Diskussion hier entsteht,
nicht beinhaltet war.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!)

Der Bundesaußenminister hat den Auswärtigen Aus-
schuss darauf hingewiesen, das sei deswegen so gewesen,
weil das Abkommen damals noch nicht vorgelegen habe.
Herr Bundesaußenminister, Sie irren. Am 11. Juni 1999
hat der Bundestag auf Antrag der Bundesregierung das
Kosovo-Mandat erteilt. Bereits am 9. Juni lag das Mi-
litärisch-Technische Abkommen vor. Da muss man natür-
lich die Frage stellen: Wo war die Voraussicht der Bun-
desregierung, wenn dieses so wichtige Abkommen zur
Implementierung der Resolution 1244 überhaupt nicht
berücksichtigt worden ist, obwohl wir darauf hingewiesen
hatten? Sie geraten jetzt in die Bredouille, fast schon im
Nachlauf ein Mandat auszudehnen, das die anderen
NATO-Länder ihren Soldaten schon vor langer Zeit erteilt
hatten.

Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass die
Bundesregierung der Mut verlassen hat, hierzu zu stehen.
Das Geschenk an die Grünen, eine halbe Eingrenzung
– das ist etwas Halbseidenes –, macht die Zustimmung
nicht leichter. Dennoch gehen wir nach gewissenhafter
Prüfung, die wir in unserer Fraktion wie zu unseren Re-
gierungszeiten auch jetzt sehr intensiv vorgenommen ha-
ben, davon aus, dass sich gerade nach den letzten Tagen,
als die jetzt demokratische Bundesrepublik Jugoslawien
keine Milosevic-Soldaten mehr in die benannten Puffer-
zonen geschickt hat, sondern die Truppen mit der Zustim-
mung und unter der Aufsicht der KFOR eingerückt sind,
die Gefährdung für unsere Soldaten in diesem Bereich in
einem unvergleichbaren Maße gegenüber dem geändert
hat, dem sie – das darf man nicht vergessen – beim KFOR-
Mandat ausgesetzt sind.

Unsere Sorge ist, dass sich die Bundesregierung in
einem Automatismus der Mandatsverlängerung letzt-
endlich um die Perspektiven nicht genug kümmert. Der
Kollege Lamers hat den politischen Aspekt angespro-
chen. Wo bleibt die Weiterentwicklung der Konzeptio-
nen?


(Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS])

Die militärische Frage ist: Was sollen unsere Soldaten tun,
wenn sie sich zunehmend in einem kritischen Umfeld be-
wegen, wenn die Bevölkerung nicht mehr Blumensträuße
reicht, sondern das Gefühl hat, es müsse sich etwas än-
dern? Die Frage der Gefährdung unserer Soldaten müssen
wir im Auge behalten. Deswegen wollen und werden wir
die deutsche Beteiligung jährlich überprüfen. Das ist der
eine Punkt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite Punkt ist: Wer die Bundeswehr auf die
schiefe Ebene setzt, der setzt auch unsere internationale
Reputation auf die schiefe Ebene.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deswegen ist es berechtigt, wenn wir diesen Antrag auch
dazu nutzen, auf die Gefahren und auf das hinzuweisen,
was in der Entwicklung der Bundeswehr selbst nicht in
Ordnung ist. Wir haben in Bosnien nach wie vor die
SFOR stationiert. Wir haben im Kosovo die KFOR sta-
tioniert. Möge Gott und eine kluge Politik verhüten, dass
Mazedonien, in dem übrigens ein Teil des KFOR-Kontin-
gents stationiert ist, eine weitere militärische Befriedung
braucht. Wenn dieser Fall eintreten würde, dann kann ich
nur sagen: Die Bundesregierung hat die Bundeswehr be-
reits so weit entbeint, dass sie nicht in der Lage wäre, ein
drittes Kontingent zu stellen. Das ist die schiefe Ebene,
auf die Sie die Bundeswehr gesetzt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Was hat Herr Rühe gemacht?)


Diese Gefahr droht auch für das Kosovo-Mandat,
wenn sich nichts ändert. Wir haben zurzeit eine Bundes-
wehr Ausland und eine Bundeswehr Inland, die nicht ein-
mal über Sommeruniformen und möglicherweise bald
nicht mehr über Winteruniformen verfügt, um diese Lap-
palien anzusprechen. Bei der Bundeswehr geht es an die
Substanz. Wir sind nicht in der Situation, darüber zu spre-
chen, ob etwas „nice to have“, gut zu haben, wäre. Nein,
die Bundeswehr geht bald auf dem Zahnfleisch, sowohl
finanziell als auch technisch. Das ist die Gefahr, der wir
unsere Soldaten nicht aussetzen dürfen. Wer von uns will
die Sicherheit unserer Soldaten bei ihrem Einsatz im Ko-
sovo auf die leichte Schulter nehmen? Niemand will das
tun. Wenn man ihre Sicherheit nicht auf die leichte Schul-
ter nehmen will, dann darf man auch im Bundeshaushalt
den Einzelplan 14 nicht vernachlässigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann an die Bundesregierung nur appellieren. Lie-

ber Kollege Zumkley, ich greife Ihre Worte auf. Ich sehe
noch nicht, dass die Bundesregierung bisher in der Lage
ist, auf die ernsthaften Hinweise, die wir als dem Staats-
wohl verpflichtete Opposition in der Grundsatzfrage der
internationalen Beziehungen, aber auch in unserer Ver-
antwortung für die Bundeswehr geben, einzugehen. Wenn
Ihre Worte stimmen, dann müssen ihnen Taten folgen im
Bundeshaushalt, und zwar in einer drastischen Art und
Weise. Sie machen die Bundeswehr kaputt. Sie fahren sie
an die Wand. Einer solchen Bundeswehr dürfen Sie nicht
zusätzlich auferlegen, die internationalen Verpflichtungen
zu erfüllen, die Sie selbst nicht in der Lage sind durchzu-
setzen.

Diese Probleme müssen jetzt angesprochen werden.
Wer diese Probleme im Haushalt des nächsten Jahres
nicht aufgreift, läuft Gefahr, die schiefe Ebene so weit zu
beschreiten, dass die Bundeswehr abrutscht. In diesem
Falle bräuchten wir uns dann nicht über Befriedungsnot-
wendigkeiten und schon gar nicht darüber zu unterhalten,
dass die USA den Europäern – unabhängig von allen an-




Christian Schmidt (Fürth)

17078


(C)



(D)



(A)



(B)


deren Irritationen – nicht gut gesinnt sind. Wenn die Eu-
ropäer nicht in der Lage sind, ihren Beitrag zu leisten,
dann werden sie dies politisch zu spüren bekommen. Sie
sind gegenwärtig dabei, international auf die schiefe
Ebene zu gelangen. Ändern Sie Ihre Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417402900
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417403000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie
mir, dass ich für die Bundesregierung zu ihrem Antrag
und zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses Stellung nehme. Ich tue dies auch im Namen
meines Kollegen Bundesverteidigungsminister Rudolf
Scharping.

Die Präsenz von KFOR ist auch in Zukunft das unver-
zichtbare Fundament für jede politische Lösung der Kon-
flikte dieser leidgeprüften Region.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Deutsche Soldaten leisten als Teil von KFOR seit zwei
Jahren eine hervorragende Arbeit. Ich möchte ihnen, aber
auch allen, die dort als zivile Kräfte eingesetzt werden, so-
wie den Vertretern der zahlreichen NGOs, im Namen der
Bundesregierung recht herzlich für die geleistete Arbeit
danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ihre fortgesetzte Präsenz ist die Voraussetzung für die
Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1244, das
heißt für eine erfolgreiche Arbeit der Vereinten Nationen
vor Ort sowie der deutschen Polizisten und Wieder-
aufbauhelfer. Sie ist auch Voraussetzung für einen Erfolg
des Stabilitätspaktes und seine Fortentwicklung hin zu re-
gionaler Sicherheit. Sie ist die einzige umfassende Ant-
wort der internationalen Gemeinschaft auf die Krisen und
Kriege der Region.

Darin liegt doch der entscheidende Fortschritt – das
müssen wir sehen –: Milosevic ist nicht mehr Präsident
von Jugoslawien.


(Beifall des Abg. Hans-Eberhard Urbaniak [SPD])


Er sitzt heute im Gefängnis und wird sich morgen in Den
Haag vor einem UN-Tribunal als unabhängigem Gericht
für seine Taten und Untaten zu verantworten haben. Wir
haben heute in Belgrad Demokratie. Diese Tatsache
schafft gleichzeitig eine Perspektive für regionale Stabi-
lität, Frieden und Entwicklung einer ganzen Region in
Richtung Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Haltung zu diesem Problem ist eine entschei-
dende Frage für die Sicherheit Europas. Es ist keine

Frage, die sich für innenpolitische – meinetwegen not-
wendige – Auseinandersetzungen eignet. Die Soldaten
haben ein Anrecht darauf, dass wir nicht nur alles Mögli-
che dafür tun, dass sie optimale Einsatzbedingungen ha-
ben. Wenn die politische Analyse, die hier eine breite Zu-
stimmung findet, dass dieser Einsatz unverzichtbar ist,
aufrechterhalten wird, bedeutet das, dass die Präsenz der
Truppen vor Ort unverzichtbar ist. Ich möchte in diesem
Zusammenhang an die Opposition appellieren, die Innen-
politik nicht mit diesem notwendigen Einsatz zu ver-
knüpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das würde zulasten der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit gehen.

Es ist aber auch eine Bündnisfrage; denn wenn Sie
mehrheitlich mit Nein stimmten – Sie wissen das nur zu
gut; Sie haben kluge und erfahrene Außen- und Sicher-
heitspolitiker –, wäre dies nicht nur für die Region eine
Katastrophe, sondern auch für die Interessen der Bundes-
republik Deutschland hinsichtlich ihres Standings im
Bündnis.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zur F.D.P. gewandt möchte ich nur sagen:

(Dr. Peter Struck [SPD]: Lohnt nicht, Herr Minister!)

Ich frage mich, was Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher
und auch mein unmittelbarer Vorgänger, Klaus Kinkel, zu
Ihrer Taktik sagen; es ist ja reine Taktik, Sie sind nicht
überzeugungsgesteuert. Es ist ja nicht so, dass Sie zu ei-
ner anderen Lageanalyse kommen. Ich habe davon in dem
sehr lauten Beitrag von Herrn Westerwelle nichts gehört.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir auch nicht!)


Ich habe von einer entsprechenden Analyse nichts gehört.
Es sind Besorgnisse artikuliert worden, die wir teilen. Sie
haben das Argument der PDS von einer angeblichen Carte
Blanche übernommen.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wenn sie
eine Parlamentsarmee ist, dann muss das Mandat auch
vom Parlament entschieden und verantwortet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das bedeutet aber auch, dass wir nicht mit jeder Formu-
lierung eines Mandats auf die konkrete taktische Situation
vor Ort werden eingehen können.

Ich bin froh, dass ich in Budapest vom SACEUR, dem
militärischen Oberbefehlshaber der NATO, mitgeteilt be-
kommen habe, dass die Öffnung der Sicherheitszone B
bisher erfolgreich und friedlich verlaufen ist und dass man
deshalb damit weitermachen will. Wenn es wirklich so
friedlich bleibt – was wir alle hoffen wollen –, dann wird
die Mandatserweiterung im Lichte der heutigen Sicht
zwar notwendig gewesen sein, die Besorgnisse aber wer-
den sich als überflüssig erwiesen haben. Das wünschen




Christian Schmidt (Fürth)


17079


(C)



(D)



(A)



(B)


wir uns doch alle. Daraus aber ein innenpolitisches Nein
zu begründen, bezeichne ich als rein parteipolitische Tak-
tik. Mit außenpolitischer Verantwortung hat das nichts
mehr zu tun, meine Damen und Herren von der F.D.P.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gestatten Sie mir, noch jemandem zu danken. Ich
möchte – ich hoffe, ich mache das in unser aller Namen –
Javier Solana und George Robertson für die geleistete Ar-
beit danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, daran können Sie sehen, wel-
chen Fortschritt wir erreicht haben: Kollege Kinkel wird
sich noch gut daran erinnern, dass es ein Anathema im EU-
Kreis war, an eine Kooperation von NATO-Generalse-
kretär und EU überhaupt zu denken. Heute ist das eine
Selbstverständlichkeit geworden; das Zusammenspiel von
Robertson und Solana, von NATO und Europäischer
Union, ist bei der Lösung der Mazedonien-Krise essen-
ziell. Wir sollten froh sein, dass es einen solchen Fort-
schritt gegeben hat; wir sollten parteiübergreifend darüber
froh sein, denn das ist nicht nur die Leistung dieser
Bundesregierung, sondern auch die der Vorgängerregie-
rung. Vor allen Dingen ist es aber die Leistung unserer Sol-
daten gemeinsam mit den anderen Soldaten vor Ort. Sie
haben die politisch positiven Veränderungen in dieser Re-
gion möglich gemacht.

Deswegen, meine Damen und Herren, appelliere ich an
Sie alle, vor allen Dingen appelliere ich aber an die Ab-
geordneten der F.D.P.: Bekennen Sie sich zu dieser großen
Tradition, die Ihre Außenminister bisher bei dem Einsatz
auf dem Balkan repräsentiert haben! Überwinden Sie Ihre
taktische Orientierung, die ja legitim ist und für die ich
grundsätzlich auch Verständnis habe. Entscheiden Sie
sich heute aber für die außenpolitischen Interessen der
Bundesrepublik Deutschland! Entscheiden Sie sich für
die Kontinuität Ihrer Position! Entscheiden Sie sich dafür,
dass wir Frieden und Stabilität auf dem Balkan unter dem
Einsatz der Bundeswehr fortentwickeln können!

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417403100
Ich
schließe die Aussprache.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, haben wir noch
zwei Wortmeldungen nach § 31 der Geschäftsordnung.
Zunächst erteile ich dem Vorsitzenden der Fraktion der
CDU/CSU, Friedrich Merz, das Wort.


(Zuruf von der SPD: Der hat wohl keine Redezeit abbekommen!)



Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1417403200
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Parla-
mentsdebatte zeigt, wie richtig es ist, dass sich der Deut-

sche Bundestag jedes Jahr erneut mit diesem Einsatz be-
fasst und sich damit seiner Verantwortung für die Solda-
ten in diesem schwierigen und gefährlichen Einsatz stellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung
möchte ich eine persönliche Erklärung abgeben, wobei
ich gleichzeitig für die überwältigende Mehrheit der Mit-
glieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion spreche.


(Unruhe bei der SPD)

Der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister
haben die Bundeswehr in die schwerste Krise seit ihrem
Bestehen gestürzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen und Widerspruch bei der SPD)


Der Bundeswehr fehlen in einem Zeitraum von vier Jah-
ren fast 20 Milliarden DM.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist doch nicht nach § 31! – Zuruf von der SPD: Das ist keine persönliche Erklärung! Herr Präsident, was ist das? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir wollen eine Erklärung zur Abstimmung hören! – Weitere Zurufe von der SPD)


Auch wenn Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr
im Kosovo noch sachgerecht sind, Ausstattung und Aus-
rüstung der gesamten Streitkräfte leiden zunehmend und
spürbar.


(Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist eine Beugung der Geschäftsordnung!)


Das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung ist
tief erschüttert und mittlerweile so gut wie zerstört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, die CDU und die CSU ha-
ben – –


(Gernot Erler [SPD]: Sie hätten doch in der Debatte reden können! Was soll das denn? – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das ist keine Erklärung nach § 31!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417403300
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Erklärung in
Ruhe abzuwarten.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bitte den Redner, zur Abstimmung zu sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Friedrich Merz (CDU):
Rede ID: ID1417403400
Meine Damen und Her-
ren, die CDU und die CSU haben in den vergangenen
Jahren die wachsende Verantwortung unseres Landes
konsequent übernommen und auch glaubwürdig wahrge-




Bundesminister Joseph Fischer
17080


(C)



(D)



(A)



(B)


nommen. Wir stimmen heute der Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der KFOR-Präsenz im Kosovo um
ein weiteres Jahr zu,


(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil wir uns der Verantwortung bewusst sind, die wir ge-
meinsam tragen.

Wenn aber die drastische Unterfinanzierung der Bun-
deswehr nicht korrigiert wird und im nächsten Haushalts-
jahr keine spürbaren, grundlegenden Verbesserungen ein-
treten, dann können wir unter den heutigen Umständen
– Herr Bundeskanzler und Herr Verteidigungsminister,
Sie sollten das heute wissen – eine erneute Verlängerung
des KFOR-Mandates im nächsten Jahr nicht mehr mit-
tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir nehmen mit dieser differenzierten Position Rück-

sicht auf die internationalen Verpflichtungen, die wir als
Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren
unter anderem mit der Beteiligung an den KFOR-Kräften
eingegangen sind.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Deutsch-
land auch in Zukunft ein verlässlicher Partner im Bündnis
ist, der seine Verpflichtungen in der NATO und in der Eu-
ropäischen Union glaubhaft und berechenbar erfüllen
kann.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Erklärung zur Abstimmung!)


Deswegen stellen wir uns unserer Verantwortung.
Herr Präsident, lassen Sie mich einen letzten Satz zur

F.D.P. gewandt sagen: Wenn Sie heute in der Regierungs-
verantwortung stünden, würden Sie einer solchen Ent-
scheidung des Deutschen Bundestages zustimmen.


(Widerspruch bei der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir wollen uns nicht nur in

Ritualen der Danksagung an die Soldaten der Bundes-
wehr erschöpfen.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Die Bundeswehr hat verdient, dass ihr der Deutsche Bun-
destag die Ausstattung und Ausrüstung gibt, die für diesen
Einsatz auf die Dauer notwendig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen haben wir gestern die Botschafter der NATO-
Staaten über unser heutiges Abstimmungsverhalten und
das für das nächste Jahr angekündigte Abstimmungsver-
halten informiert.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Darauf haben wir gewartet!)


Die Bundesregierung muss wissen, dass sie den not-
wendigen Konsens des Deutschen Bundestages über den
Einsatz der Bundeswehr aufkündigt, wenn sie sich der
Bundeswehr gegenüber weiter so verhält, wie das in die-
sen Wochen und Monaten deutlich geworden ist.

Ich bedanke mich für die teilweise Aufmerksamkeit in
diesem Hause.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jeder macht sich so lächerlich, wie er kann!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417403500
Das Wort
zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäfts-
ordnung hat nun der Kollege Gernot Erler von der SPD-
Fraktion.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1417403600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Merz
möchte ich tatsächlich eine Erklärung zur Abstimmung
abgeben.


(Beifall bei der SPD)

Diese Erklärung bezieht sich auf mein persönliches

Abstimmungsverhalten und das des überwiegenden Teils
der SPD-Bundestagsfraktion zu der von der CDU/CSU
eingebrachten Entschließung.

Wir werden dieser Entschließung nicht zustimmen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

der F.D.P.: Überraschend!)

obwohl sie in einem Punkt positiv ist: Wir haben gehört,
dass die CDU/CSU neuerdings an der Fortführung des
Stabilitätspaktes interessiert ist.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das stimmt aber nun nicht!)


Wir erinnern uns noch, wie viel Kraft Sie vergeudet ha-
ben, um sich über ihn lächerlich zu machen und Ihre
Pfeile auf den Sonderkoordinator abzuschießen. Wir
freuen uns, dass Sie bezüglich dieses Punktes einen Lern-
prozess durchlaufen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können dieser Entschließung nicht zustimmen,
weil Sie darin ankündigen, dass Sie im nächsten Jahr ei-
ner Verlängerung des KFOR-Mandates nicht zustim-
men werden, wenn eine bestimmte Bedingung nicht er-
füllt wird. Herr Merz, Sie stellen hier ein unzulässiges und
unakzeptables Junktim her.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Es gefällt Ihnen vielleicht nicht, aber es ist so!)


Es kann doch wohl nicht sein, dass die Bundesregierung
die Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der
Bundesrepublik davon abhängig macht, ob Sie Ihre par-
teipolitische Vorstellung im Hinblick auf eine Erweite-
rung des Bundeswehretats durchsetzen können. Ich frage
mich, in welche provinziellen Niederungen Sie Ihre Par-
tei, die eine lange Tradition und Geschichte im Hinblick
auf die internationale Politik hat, noch führen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Friedrich Merz

17081


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich stelle für meine Fraktion mit allem Nachdruck fest:
Die Bundesregierung wird alle ihre Verpflichtungen ge-
genüber der Bundeswehr wie bisher einhalten und die Re-
form, die Sie nicht zustande bekommen haben, zu einem
guten Ende führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden alle internationalen Verpflichtungen einhal-
ten und dies nicht von einem solchen Junktim abhängig
machen, wie Sie es vorgeschlagen haben.

Ich bitte Sie: Nehmen Sie Ihren Entschließungsantrag
zurück. Wir werden ihm jedenfalls nicht zustimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417403700
Ich gebe
jetzt die Namen der Kolleginnen und Kollegen bekannt,
die schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord-
nung abgegeben haben: Annelie Buntenbach, Monika
Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk,
Christian Simmert, Hans-Christian Ströbele, Winfried
Hermann und Sylvia Voß von der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen, Sylvia Bonitz und Jochen-Konrad
Fromme von der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Koppelin
von der F.D.P.-Fraktion sowie Klaus Barthel (Starnberg),
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und René Röspel von der
SPD-Fraktion. Wir nehmen diese Erklärungen zu Proto-
koll.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä-
senz im Kosovo auf Drucksache 14/6180. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5972 anzuneh-
men. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen verlangen namentliche Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das scheint der Fall zu sein.

Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied an-
wesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist
nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)

Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die Ent-
schließungsanträge. Ich bitte Platz zu nehmen, damit wir
das Abstimmungsverfahren sauber durchführen können.

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/6190. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält

sich? – Dann ist der Entschließungsantrag abgelehnt mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der
CDU/CSU-Fraktion.

Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck-
sache 14/6191. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? –Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die-
ser Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Zustimmung der F.D.P.-Fraktion.

Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6192. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? –Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Dieser
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Zustimmung der PDS-Fraktion.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c sowie
Zusatzpunkt 12 auf:
19a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-

regierung
Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesre-
gierung: Reformkurs fortsetzen – Wachstums-
dynamik stärken
– Drucksache 14/5201 –

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Jahresgutachten 2000/01 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung
– Drucksache 14/4792 –

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Dreißigster Rahmenplan der Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ für den Zeitraum 2001 bis
2004 (2005)

– Drucksache 14/5600 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gunnar
Uldall, Matthias Wissmann, Wolfgang Börnsen

(Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU
Konjunkturabschwung stoppen – Wachstums-
kräfte stärken
– Drucksache 14/6161 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit




Gernot Erler
17082


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 3 bis 7
2) Seite 17085 C

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1417403800
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der deutschen Wirtschaft
geht es schlecht. Das sagt die Opposition. Doch das ist
schlichter Unsinn.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb sagt es außer der Union auch niemand. Natürlich
wäre es uns lieber gewesen, im Jahreswirtschaftsbericht
2001 die vorhergesagte Wachstumsrate des realen Brut-
toinlandsproduktes von 2,75 Prozent nicht nach unten re-
vidieren zu müssen. 2,75 Prozent Wachstum sind mit Si-
cherheit besser für Konjunktur und Beschäftigung als
2 Prozent.

Die gegenwärtige konjunkturelle Lage ist allerdings
ambivalent. Es gibt ohne Zweifel Risiken; aber es gibt
auch Anzeichen dafür, dass die Entwicklung besser ver-
läuft, als wir es im Moment erwarten oder als es Institute
prognostizieren. Einerseits ist der Kaufkraftentzug vor al-
lem durch die stark gestiegenen Energie- und Nah-
rungsmittelpreise enorm und schwächt die private Nach-
frage; andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass sich
die Konjunktur in den USA wieder stabilisiert, was für
die gesamte Weltwirtschaft von großer Bedeutung wäre.
Hinzu kommt: Die bedeutenden, bereits in diesem und im
vorigen Jahr gefällten sowie die noch anstehenden fi-
nanzpolitischen Entscheidungen werden zeigen, dass die
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auch
in der Vorwahlzeit nicht vom Kurs der Verlässlichkeit und
der Solidität abweichen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gibt der Ökonomie sowohl auf der Angebots- als
auch auf der Nachfrageseite Sicherheit in ihren Planungen
und Erwartungen; so werden Investitionen und Konsum
befördert und verstetigt werden. Der in zwei Wochen von
der Bundesregierung vorzulegende Entwurf des Bundes-
haushaltes 2002 und die Fortschreibung der Finanz-
planung werden deutlich machen: Die Haushaltskonso-
lidierung wird auch in den Folgejahren fortgeführt. Die
Nettokreditaufnahme des Bundes wird, wie geplant, wei-
terhin stetig zurückgeführt.

Mit den rund 4,6 Milliarden DM, die den Familien im
Rahmen des zweiten Familienförderungsgesetzes zusätz-
liche finanzielle Möglichkeiten eröffnen werden – auch
darüber werden wir in diesem Hause heute noch reden –,
gehen wir allerdings an die Grenze des für die öffentli-
chen Haushalte Verkraftbaren. Darüber muss man sich im
Klaren sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist nämlich auch eine Rahmenbedingung unseres
Handelns. Es ist ein Stück finanzpolitischer Realität in der
Bundesrepublik Deutschland, über die man sich nicht mit
irgendwelchen Fantasievorschlägen hinwegsetzen kann,
wie es die Opposition in den letzten Wochen getan hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Entlastung für Familien bringt auch eine Er-
höhung der privaten Kaufkraft um mehrere Milli-
arden DM und ist deshalb konjunkturell bedeutsam. Die
Koalition hat die wirtschaftliche Entwicklung tatkräftig
und erfolgreich unterstützt. Ihre Handschrift bleibt aber
auch in diesem Jahr erkennbar. Unser Kurs, die wirt-
schaftlichen Rahmenbedingungen Schritt für Schritt und
Jahr für Jahr zu verbessern, wird ohne Unterbrechung
fortgesetzt. Durch Maßnahmen wie das zweite Familien-
förderungsgesetz und durch die Fortführung der Haus-
haltskonsolidierung schaffen wir Vertrauen. Es handelt
sich um ein Vertrauen, das durch den Bundesfinanzminis-
ter Hans Eichel repräsentiert wird. Es kann durch keine
Ihrer Attacken und schon gar nicht durch Ihre inhaltlichen
Vorschläge beeinträchtigt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinzu kommen in dieser Legislaturperiode von der Re-
gierungskoalition gegen die letztlich wirkungslose Funda-
mentalopposition der Union durchgesetzte Steuerentlas-
tungen von rund 100 Milliarden DM, die auf die
Wirtschaftsentwicklung mittelfristig deutlich durchschla-
gen werden. Die Entlastungen durch die Steuerreform sind
auch deutlich höher als die Belastungen durch die gestiege-
nen Energiepreise. Allein in diesem Jahr sinkt die Steuerlast
durch die Einkommensteuer um rund 45 Milliarden DM.
Dies alles vor Augen kann der weiteren gesamtwirtschaftli-
chen Entwicklung mit Gelassenheit und Zuversicht entge-
gengeblickt werden. Wir stehen für eine Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik der ruhigen Hand und gegen Aktionismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem
Jahr von real 2 Prozent ist ein Wert, der deutlich über dem
Durchschnitt der 90er-Jahre liegt. Das wird nur deshalb
nicht so deutlich, weil das letzte Jahr, das Jahr 2000, mit
einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 3 Prozent
ein ausgesprochenes Boomjahr war. Ängste vor einem
wirtschaftlichen Abschwung sind nach Abwägung der
Aspekte sachlich nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: Im-
mer nur vom Abschwung zu reden kann ganz fatal sein.
Man kann durch Verunsicherung der Wirtschaft Ab-
schwungtendenzen auch herbeireden wollen. Angesichts
der Beiträge der Opposition in den letzten Wochen kann
man diesen Eindruck gewinnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedhelm Ost [CDU/ CSU]: Sie verunsichern doch die gesamte Wirtschaft!)


Mit dieser Art Politik, die Sie betreiben, ist den Bundes-
bürgern nicht gedient.

In diesem Zusammenhang ist auch die derzeit fast
regelmäßig vorgebrachte Forderung nach weiteren




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

17083


(C)



(D)



(A)



(B)


Steuerentlastungen zur Beförderung der Konjunktur
einzuordnen. Auch hier steht die Opposition in ihrer
Orientierungslosigkeit in vorderster Front, um fast ver-
zweifelt ein Wahlkampfthema zu erhaschen. Kaum wol-
len die USA die Steuern senken, schon werden – frei nach
Pawlow – in der Bundesrepublik Steuersenkungsforde-
rungen der Union oder auch der F.D.P. laut. Dabei haben
die USA anders als wir Haushaltsüberschüsse zu vertei-
len, während wir von Ihnen nur Schulden geerbt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Ökosteuer!)


Dies ist ein ganz entscheidender Unterschied. Schon des-
halb kann man hier keine Parallelen ziehen.

Wenn Sie die Steuersenkung in den USA zu unseren
Steuersenkungen in dieser Legislaturperiode ins Verhält-
nis setzen, dann können Sie feststellen, dass wir gemes-
sen an der jeweiligen Wirtschaftskraft besser abschnei-
den. Die Kollegin Scheel hat in den letzten Tagen längere
Ausführungen dazu gemacht. Machen Sie sich also erst
einmal sachkundig, bevor Sie versuchen, in der Wirt-
schaftsdebatte mitzuhalten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist bezeichnend, dass im Mittelpunkt der Forderun-
gen nach weiteren Steuerentlastungen in erster Linie eine
starke Senkung des Spitzensteuersatzes steht, und zwar
weit über die von uns bereits beschlossene Absenkung auf
42 Prozent hinaus. In den USAgibt es im Übrigen die Ein-
kommensteuer auch noch in den Einzelstaaten. Wenn Sie
also eine Gesamtsteuerlast errechnen wollen, dann müs-
sen Sie diesen Steuersatz zu dem nationalen Steuersatz
addieren. Auch diese Rechnung wird gelegentlich bei Ih-
nen nicht vorgenommen.

Welche positiven ökonomischen Wirkungen sollten
von einer weiteren Absenkung des Spitzensteuersatzes
ausgehen? Wenn Sie wie wir sagen, der Mittelstand müsse
bei uns im Vordergrund stehen – wir sind gerade dabei, all
Ihre mittelstandspolitischen Versäumnisse der letzten
Jahrzehnte konsequent abzuarbeiten; unsere Steuerreform
war ein überzeugendes Beispiel dafür –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dann muss man dazu bemerken, dass die allermeisten
Mittelständler überhaupt nichts von einer weiteren Sen-
kung des Spitzensteuersatzes haben, wie Sie den Zahlen-
vergleichen entnehmen können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Es geht hier offenkundig nicht um Wirtschaftspolitik,
sondern es geht – um es einmal beim Namen zu nennen –
um Gruppenegoismus und Wahlkampfopportunismus.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es!)


Ich zitiere den Sachverständigenrat:
Die Politik hat begonnen, den wachstumshem-
menden Reformstau aufzulösen.

Für diesen Stau waren Sie von CDU/CSU und F.D.P. ver-
antwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Beseitigung dieses Staus erfolgt schrittweise durch
uns durch die von mir genannten Verbesserungen der Rah-
menbedingungen und durch eine Steuersenkung um rund
100 Milliarden DM.

Wenn Sie jetzt mehr fordern und sagen, schneller,
höher, weiter sei das Gebot der Stunde, dann fragen Sie
doch einmal bei den CDU-geführten Bundesländern im
Osten oder im Saarland oder gar in Berlin nach, was diese
von weiteren Steuersenkungen halten. Dort gibt es, wie
Sie genau wissen, keinen Pfennig mehr zu verteilen.

Es bleibt festzuhalten: Auch wenn die wirtschaftliche
Entwicklung sicherlich noch besser sein könnte, gibt es
keinerlei Grund zu Konjunkturängsten und schon gar
nicht zur Panikmache.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Warum sind Sie denn so ängstlich?)


– Ich bin nicht ängstlich; es entspricht überhaupt nicht
meiner Mentalität, wie Sie wissen, Herr Ost, ängstlich zu
sein. Da können Sie ganz beruhigt sein.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Es klingt aber so!)


Aber es entspricht meiner Mentalität, dann deutlich zu wi-
dersprechen, wenn Sie oder andere in Panik machen. Das
lassen wir Ihnen vor der deutschen Bevölkerung nicht
durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt keinerlei Veranlassung, den von der Regie-
rungskoalition verfolgten Pfad der haushalts- und finanz-
politischen Solidität und Verlässlichkeit zu verlassen. Das
ist es auch, was die Bürgerinnen und Bürger von der Po-
litik, zumal von der Politik der Regierungskoalition und
der Bundesregierung verlangen: Gelassenheit anstelle
von hektischem Aktionismus, mittel- und langfristige
Orientierung und Nachhaltigkeit der Politik anstelle der
Ausrichtung an Prognosen, deren Halbwertszeit mittler-
weile nur noch wenige Wochen umfasst.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Leider aber rückläufig! Es wäre an der Zeit, dass sie nach oben gehen würden!)


Die anders lautenden Vorschläge aus den Reihen der
Opposition, ob es um die Steuersenkungsfantasien oder
um kurzfristig orientierte Beschäftigungsprogramme geht,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wir sind schuld an der schlechten Konjunktur!)


sind ausgegoren und fügen sich nicht im Mindesten zu
stringenten und in den eigenen Reihen abgestimmten
Konzeptionen. Sie kommen aus Ihrem Grunddilemma als
Opposition nicht heraus. Ihnen fehlt nicht nur die perso-
nelle Alternative zur Regierungspolitik, wie man jeden
Tag lesen kann, Ihnen fehlt auch das inhaltliche Konzept,
das vor der Realität, auch vor der finanzpolitischen Rea-
lität, Bestand haben könnte, meine Damen und Herren.




Joachim Poß
17084


(C)



(D)



(A)



(B)


Davor drücken Sie sich. Wenn Sie konkurrenzfähig wer-
den wollen, müssen Sie sich erst einmal auf das Parkett
der soliden Auseinandersetzung, gemessen an finanzpoli-
tischen Realitäten, begeben.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417403900
Bevor ich
dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das
Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Antrag der
Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung
an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo“,
Drucksachen 14/5972 und 14/6180, bekannt. Abgegebene
Stimmen: 598. Mit Ja haben gestimmt 491, mit Nein ha-
ben gestimmt 92; Enthaltungen 15.




Joachim Poß

17085


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 598;
davon

ja: 491
nein: 92
enthalten: 15

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper

Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Gerhard Neumann (Gotha)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis

Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Heinz Schmitt (Berg)

Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dietmar Schütz (Oldenburg)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
17086


(C)



(D)



(A)



(B)


Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)


(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Hans-Dirk Bierling
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer

Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar

(Nordstrand)


Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)



(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein


(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky

Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)


(Offenbach)



(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Bernd Neumann (Bremen)

Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck

Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Birgit Schnieber-Jastram
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze (Berlin)

Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm-Josef Sebastian
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)


Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Matthias

Wissmann von der CDU/CSU-Fraktion.


Matthias Wissmann (CDU):
Rede ID: ID1417404000
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Blick auf die Eckdaten der deutschen Wirt-
schaft gibt bei nüchterner Betrachtung, abstrahiert von
partei taktischen Vorstellungen, Anlass zur Sorge. Seit
Mitte 2000 verlangsamt sich das Wachstum in Deutschland.
Das reale Bruttoinlandsprodukt stieg in den OECD-Ländern
in den beiden vergangenen Jahren durchschnittlich um etwa
3 bzw. 4,3 Prozent, in Deutschland um 1,5 und 3 Prozent.

Die Skepsis der Fachleute, und zwar quer durch alle In-
stitute, Banken und internationalen Institutionen, nimmt
– ich bedaure das – zu. Die bedeutende internationale In-
vestmentbank Goldman Sachs erwartet für 2001 ein
Wachstum von nur 1,3 Prozent, die Deutsche Bank Re-
search von 1,6 Prozent. Auch das Kieler Institut für Welt-
wirtschaft geht von einem Wachstum von inzwischen un-
ter 2 Prozent aus.

Wir alle wissen, dass sich die schlechtere Wirtschafts-
lage bei den Steuereinnahmen bemerkbar macht und auf
dem Arbeitsmarkt bereits höchst problematische Spuren
hinterlässt. Das Geschäftsklima in Deutschland hat sich
dramatisch verschlechtert. Das IFO-Institut hat ein weite-
res Absinken des Indexes auf 93,9 Prozentpunkte festge-
stellt. Eine Trendwende ist nach IFO nicht in Sicht.

Die Preissteigerungsrate ist mit 3,5 Prozent auf
Rekordniveau. Das ist der höchste Stand seit Dezem-
ber 1993. Im Vergleich zum Vorjahr ist es eine Zunahme
um das Zweifache, im Vergleich zum letzten Regierungs-
jahr der Vorgängerregierung eine Zunahme um das Drei-
fache und es ist der stärkste Anstieg innerhalb Jahresfrist
seit 20 Jahren.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, wir wissen, dass auch der Arbeitsmarkt stagniert
und der Beschäftigungszuwachs fast ausschließlich auf
den statistischen Effekten der 630-Mark-Regelung beruht.

Wenn wir den Blick auf die neuen Länder, die uns
ja besonderen Anlass zu Hinwendung und leider auch
zu Sorge geben, richten, stellen wir fest, dass sich die




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

17087


(C)



(D)



(A)



(B)


Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.
Dr. Klaus Kinkel

Nein
SPD
Konrad Gilges
CDU/CSU
Otto Bernhardt
Renate Blank
Sylvia Bonitz

(Bönstrup)


Leo Dautzenberg
Albert Deß
Herbert Frankenhauser
Georg Girisch
Siegfried Hornung
Bartholomäus Kalb
Rudolf Kraus
Eduard Lintner
Franz Obermeier
Franz Romer
Michael von Schmude
Max Straubinger
Willy Wimmer (Neuss)

Benno Zierer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
Hans-Christian Ströbele
Sylvia Voß
F.D.P.
Ina Albowitz

(Augsburg)


Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting

(Frankfurt)


Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann

Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf

Enthalten
SPD
Klaus Barthel (Starnberg)

Renate Rennebach
Gudrun Roos
René Röspel

(Wolmirstedt)


CDU/CSU
Susanne Jaffke
Vera Lengsfeld
Dr. Manfred Lischewski
Norbert Otto (Erfurt)

Hans Raidel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christian Simmert

ökonomische Lage in den neuen Bundesländern seit der
Regierungsübernahme im Herbst 1998 verschlechtert hat.
Das Bruttoinlandsprodukt der neuen Länder ist inzwi-
schen auf den Stand von Mitte der 90er-Jahre zurückge-
fallen. Die Schere zwischen dem Wachstum in den alten
und den neuen Ländern hat sich stark geöffnet. Für 2001
und 2002 erwarten alle Fachleute ein weiteres Auseinan-
derdriften.

Schließlich, um einen Bereich herauszugreifen, dem es
besonders schlecht geht, komme ich zur Situation der deut-
schen Bauwirtschaft: Sie kann nur noch mit dem Wort
„dramatisch“ beschrieben werden. Im Osten des Landes
droht eine massive Existenzkrise. Nach jüngsten Schät-
zungen sind dort weitere 60 000 Arbeitsplätze bedroht.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Bei einem kurzen Blick in die nationale und die inter-
nationale Presse stellen wir fest, wie dort, im Unterschied
zu dem, was soeben vom Redner der SPD gesagt wurde,
die Lage eingeschätzt wird. „Handelsblatt“: „Deutscher
Abschwung noch nicht zu Ende“. „Die Welt“: „Das
Wachstum der deutschen Wirtschaft bricht ein.“ „Le
Monde“: „Deutschland, die rote Laterne in Europa“.
Meine Damen und Herren, stehlen Sie sich nicht an der
Wahrheit vorbei. Deutschland hat heute und, wenn Sie so
weitermachen, leider auch morgen die rote Kon-
junkturlaterne in ganz Europa. Für den, dem es um unser
Land und um die Zukunft unserer wirtschaftlichen Ent-
wicklung geht, kann das doch kein Anlass zur Zufrieden-
heit sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir lesen heute in den Zeitungen, dass der Euro in-
zwischen auf dem tiefsten Stand seit sechs Monaten an-
gelangt ist. Niemand wird sagen, dass daran allein die
Bundesregierung schuld ist.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Noch nicht! – Dr. Sigrid Skarpelis-Speck [SPD]: Sehr gnädig!)


Dass aber Ihre Wirtschaftspolitik nach dem Motto „Wei-
ter so!“ ohne wirklichen Reformschwung und neue An-
sätze zu dieser Entwicklung des Euro-Dollar-Ver-
hältnisses wesentlich beiträgt,


(Joachim Poß [SPD]: Welche Wirtschaftspolitik wollen Sie denn?)


kann doch nicht mehr bestritten werden. Das ist eine trau-
rige Tatsache. Wir sagen dies mit Bedauern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Im letzten Jahr – etwa zur gleichen Zeit – hat sich der
Bundeskanzler intensiv für eine Debatte im Deutschen
Bundestag zur Lage der Konjunktur in Deutschland ein-
gesetzt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist interessant!)


Die Aussprache im Plenum wurde mit einer Karikatur in
der „Süddeutschen Zeitung“ begleitet, in der der Bundes-

kanzler die „Sonne des Aufschwungs“ mit beiden Händen
in die Höhe hält. Heute wissen wir: Diese Sonne ist leider
untergegangen.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Deswegen ist er auch nicht da!)


Wärme und Licht der damals guten Konjunktur sind
ungenutzt entwichen. Der Bundeskanzler ist in der wirt-
schaftspolitischen Diskussion weitgehend in der Versen-
kung verschwunden. Dass heute weder der Bundeskanzler
noch der Bundesfinanzminister, noch der Bundeswirt-
schaftsminister hier ist, ist ein Zeichen dafür, dass, wenn
die Lage schlechter ist, die Steuerleute von Bord gehen
und keine Antworten mehr geben auf die Anfragen der
Bürger und die Sorgen der Menschen in unserem Lande.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Sie sitzen in Schlauchbooten!)


1999 und 2000 wurde die Bundesregierung von einer
weltweit guten Konjunkturlage verwöhnt. Ihre Wirt-
schaftspolitik war jedoch ohne Kontur und Biss. Die Zeit
für strukturelle Wirtschaftsreformen blieb ungenutzt. Mit
unserem Entschließungsantrag zum Jahreswirtschaftsbe-
richt, zum Gutachten des Sachverständigenrats und zur
Beschlussempfehlung zum Bericht des Finanzausschus-
ses stellen wir ein Alternativkonzept vor. Wir weisen Sie
auf das hin, was jetzt getan werden muss, wenn wir einer
drohenden Verschlechterung der Wirtschaftslage entge-
gentreten und strukturelle Reformen anpacken wollen.
Deutschland braucht keine Bundesregierung, deren Wirt-
schaftspolitik sich in Marketingstrategien erschöpft, son-
dern endlich wieder eine mutige,


(Joachim Poß [SPD]: Was heißt hier „wieder“?)


der sozialen Marktwirtschaft verpflichtete Wirtschaftspo-
litik.


(Joachim Poß [SPD]: Frau Merkel sagt doch „neue“ soziale Marktwirtschaft!)


Wir sehen, wie notwendig das Handeln am Arbeits-
markt ist. Heute schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ un-
ter der Überschrift „Riesters Arbeitsmarkt-Kosmetik“ zu
den Vorschlägen der Bundesregierung:

All dies jedoch wird nicht wirklich helfen, wenn die
Regierung Schröder sich weiterhin durchgreifenden
Reformen auf dem Arbeitsmarkt verschließt.

Weiter schreibt sie:
Nicht enthalten sind im „Job-Aqtiv-Gesetz“ Niedrig-
lohnjobs, Kombilöhne für Sozialhilfeempfänger
oder ein Abbau des künstlichen zweiten Arbeits-
markts.

Ich füge hinzu: Dazu gehören auch mutige Reformen zur
Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Bisher konnten Sie über die strukturellen Probleme am
Arbeitsmarkt noch durch demographische Effekte und die
günstige Konjunkturlage hinwegtäuschen. Das wird Ih-
nen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Deswegen stel-




Matthias Wissmann
17088


(C)



(D)



(A)



(B)


len Sie sich endlich dieser Herausforderung! Handeln Sie
entsprechend unseren Vorschlägen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch der Osten Deutschlands braucht hinsichtlich des

Arbeitsmarktes und der anderen Bereiche keine zusätzli-
chen Subventionen, sondern er braucht verstärkt Investi-
tionen. Der Arbeitsmarkt braucht keine zusätzliche Regu-
lierung, wie durch das Betriebsverfassungs- und das
Zwangsteilzeitgesetz, sondern er braucht Deregulierung
und Flexibilisierung. Führen Sie diese Reformen durch;
dann haben Sie unsere Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Legen Sie mal eine neue Platte auf!)


Ein Beispiel: Wir geben in Mecklenburg-Vorpommern
inzwischen mehr Geld für die künstliche Stützung des Ar-
beitsmarktes aus als für Investitionen.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Unglaublich!)

Der OECD-Wirtschaftsbericht 2001 stellt fest, dass 1999
das Subventionsvolumen im Verhältnis zum Bruttoin-
landsprodukt in Ostdeutschland das 3,5fache des Westni-
veaus betragen hat und gleichwohl die Produktivität der
Ostbetriebe dem Westniveau deutlich hinterherhinkt.


(Zuruf von der SPD: Alles Ergebnisse Ihrer Politik!)


Es bedarf dringend einer Lösung der strukturellen Pro-
bleme. Die Schere der unterschiedlichen Entwicklung
geht auseinander. Im Jahre 2000 gab es in den alten Län-
dern ein Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent, in den
neuen Ländern von 1,3 Prozent. Die neuen Länder blie-
ben beim Wirtschaftswachstum das vierte Jahr in Folge
hinter den alten Ländern zurück. Das Bruttoinlandspro-
dukt ist auf circa 60 Prozent des Niveaus im früheren Bun-
desgebiet gefallen. Bei einer Arbeitslosenquote von
knapp 18 Prozent hilft weder Demographie noch Marke-
tingverschönerung.

Ich sage es Ihnen ganz klar: Haben Sie endlich den
Mut, fragwürdige Konsumtransfers in die neuen Bun-
desländer zurückzuführen und stattdessen die Investitio-
nen deutlich zu erhöhen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


die Investitionen in die Schiene, in die Straße, in die For-
schung, in kommunale Aufgaben – nicht durch neue
Schulden, sondern durch die Kürzung von fragwürdigen
Konsumtransfers. Nur wenn Sie an die Wurzel der Pro-
bleme gehen, werden Sie den Menschen in den neuen
Ländern helfen und die strukturellen Schwierigkeiten
Schritt für Schritt meistern.

Auch die makroökonomischen Probleme werden in
den neuen Bundesländern bedauerlicherweise nicht ange-
gangen. Die Liberalisierung von Telekommunikations-,
Post- und Energiemärkten durch die Regierung Kohl hat
große Erfolge für Wirtschaft und Verbraucher bewirkt.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Haha!)

Doch zunehmend macht sich die gegenwärtige Bundes-
regierung zum Vorreiter einer Re-Regulierung. War

Deutschland in Sachen Liberalisierung der Märkte noch
vor kurzem die Speerspitze Europas, so gleiten wir jetzt
mehr und mehr ins Mittelfeld ab.


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Völlig unverständlich ist es beispielsweise, dass der
Bundeskanzler der französischen Regierung eine Ausset-
zung der Liberalisierung der Energiemärkte zugesagt
hat. Das heißt doch: Wir haben unsere Märkte geöffnet,
wir haben dem Verbraucher, den Industriebetrieben, dem
Mittelstand geholfen, wettbewerbsfähigere Preise zu er-
reichen, und in Frankreich bleibt es mit Zustimmung des
Bundeskanzlers bei verkrusteten, staatlich geprägten
Strukturen.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Speck [SPD]: Wer hat das abgemacht? Wer hat das schon damals abgesprochen?)


So stelle ich mir europäische Wirtschaftspolitik nicht
vor. Wir müssen den Weg einer Liberalisierung der Ener-
gie-, der Telekommunikations-, der Post- und Gasmärkte
weitergehen: im Interesse des Bürgers, im Interesse des
Verbrauchers und im Interesse einer dynamischeren Wirt-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Große Sorgen macht uns die Lage im Mittelstand, in

den kleinen und mittleren Betrieben, bei den in den letz-
ten Jahren gegründeten neuen Betrieben, aber auch bei
den Betrieben, die schon lange existieren. Hier wird die
Sorge größer. Hier sinkt die Eigenkapitalquote. Hier
glaubt man keinem von Ihnen, wenn Sie die Lage schöner
reden, als sie ist.

Von den in den letzten zehn, 15 Jahren neu geschaffe-
nen Arbeitsplätzen kommen 90 Prozent aus Betrieben mit
zwischen einem und 100 Beschäftigten, 10 Prozent aus
Betrieben mit zwischen 100 und 1 000 Beschäftigten und
im Schnitt kein neuer Arbeitsplatz aus den großen Unter-
nehmen.

Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt vorankommen und
unserer Volkswirtschaft helfen wollen, müssen wir unsere
Steuer- und Wirtschaftspolitik viel stärker auf die kleinen
und mittleren Betriebe, auf den Mittelstand ausrichten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dann müssen Sie endlich bereit sein, bei der Lohn- und
Einkommensteuerreform deren Anliegen in den Blick zu
nehmen.


(Joachim Poß [SPD]: Das haben wir doch!)

Deswegen sage ich: Ziehen Sie die Entlastung durch die
Senkung der Einkommensteuer vor! Gehen Sie endlich an
eine grundlegende Vereinfachung und Entbürokratisie-
rung unseres Steuerrechts! Folgen Sie den Überlegungen
von Professor Kirchhof, den Ideen von Friedrich Merz
und Gunnar Uldall, den Ideen der Union!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie jetzt die Kraft zu einer wirklichen Steuerre-

form hätten, die allen Bürgern und nicht nur denjenigen
dient, die von der Körperschaftsteuer betroffen sind, wäre




Matthias Wissmann

17089


(C)



(D)



(A)



(B)


das das entscheidende Signal für eine Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie müssen dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt wieder at-
men kann. Sie müssen mithelfen, die Beschäftigungskrise
zu überwinden, statt die Arbeitslosenstatistik zu frisieren.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ach Gott!)

Die Gesetzesnovelle zum Betriebsverfassungsgesetz

ist rückwärts gewandt: ein Mehr an Regulierungen, ein
Mehr an Bürokratie. Ein wirklicher Beitrag zu Deregulie-
rung des Arbeitsmarkts wäre die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wie dies die Union vorge-
schlagen hat. Handeln Sie hier und folgen Sie denen, die
Sie – auch aus befreundeten Kreisen – fragen: Wo bleibt
eigentlich der Mut dieser Regierung zu den angekündig-
ten Reformen?

Angekündigt hat die Regierung Schröder eine mutige,
eine auf Modernisierung gerichtete, eine liberale, eine
der Marktwirtschaft verpflichtete Wirtschaftspolitik.
Geschafft haben Sie außer der sicher richtigen Reform
der Körperschaftsteuer und dem richtigen Ansatz, etwas
bei der privaten Altersvorsorge im Rahmen der Renten-
versicherung zu machen, keine wirkliche strukturelle
Reform. Sie haben mit dem Betriebsverfassungsgesetz,
mit dem 630-Mark-Gesetz und mit dem Scheinselbst-
ständigkeitsgesetz in Wahrheit mit einer Re-Regulierung
der deutschen Volkswirtschaft begonnen. Sie machen
dasselbe bei den Telekommunikations-, Gas- und Ener-
giemärkten.

Sie haben jetzt, in einer sich verschlechternden Wirt-
schaftslage, nur noch wenige Monate Zeit zum Handeln.
Wir fordern Sie auf: Haben Sie endlich die Kraft für eine
moderne Wirtschaftspolitik! Denn ich garantiere Ihnen ei-
nes: Lange werden sich weder der Bundeskanzler und der
Bundesfinanzminister noch der Bundeswirtschaftsminis-
ter – soweit er überhaupt Politik machen will – noch weg-
ducken können. Wir werden Sie stellen und Sie werden
sich in den kommenden anderthalb Jahren bis zur Wahl
pausenlos mit diesem Thema beschäftigen müssen. Sie
werden spüren, dass Sie dann, wenn Sie nicht den besse-
ren Alternativen der Union entsprechend handeln, in die
Defensive geraten. Reden Sie sich die Lage nicht mit den
demoskopischen Daten des Mai, Juni 2001 schön, son-
dern nehmen Sie die wirtschaftlichen Daten wahr. Han-
deln Sie danach! Dann würden Sie auch unsere Unter-
stützung bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417404100
Ich erteile
dem Kollegen Werner Schulz für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Wissmann, wir müssen uns nicht gegenseitig beleh-
ren und in der Sorge um die Wirtschaftsentwicklung
übertreffen. Die Inflationsrate im Mai dieses Jahres von

3,5 Prozent ist deutlich zu hoch. Das ist keine Frage. Die
Wachstumsprognosen sind nicht optimal. Auch die allge-
meine Konjunkturlage in Deutschland und in der Welt
könnte besser sein. Darin stimmen wir sicherlich überein.
Aber es besteht kein Grund – wie das auch im Frühjahrs-
gutachten der Forschungsinstitute steht –, deswegen in
hektischen Aktionismus zu verfallen. Ich glaube, auch in
der Opposition trägt man Verantwortung. Die besteht mei-
nes Erachtens darin, dass man sich nicht in der Dramati-
sierung der Verhältnisse übt. Das wird uns hier nicht wei-
terbringen.

Betrachten wir also nüchtern die Fakten: Ob wir im
Moment ein Wirtschaftswachstum von 2 oder 2,3 Prozent
haben, kann keiner genau sagen. Wir erleben, dass sich die
Jahresprognosen der Institute im Wochenrhythmus
ändern. Da sind viele Unwägbarkeiten mit dabei.

Entscheidend ist, festzustellen, wo dieses Wirtschafts-
wachstum stattfindet. In der verarbeitenden Industrie – da
können wir zufrieden sein – haben wir ein Wirtschafts-
wachstum von 6 Prozent. Gerade in der verarbeitenden In-
dustrie in den von Ihnen, Herr Wissmann, angesproche-
nen neuen Bundesländern ist das Wirtschaftswachstum
noch besser.

Man sollte einmal die Not leidende Bauindustrie, die
sich in einer Strukturkrise befindet, außer Acht lassen. Die
ist ja nicht naturgegeben. Die haben wir vielmehr von Ih-
nen geerbt. Hier sind Überkapazitäten aufgebaut worden.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das ist nicht so einfach!)


– Herr Uldall, vor allen Dingen im Wohnungsbau sind im
Rahmen eines einzigartigen Baubooms Überkapazitäten
aufgebaut worden,


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf!)


was, wie gesagt, zu großen Fehlallokationen von Kapital
geführt hat. Hiermit sind eine ganze Menge anderer Pro-
bleme verbunden.

Wenn wir das ausblenden, was in der Bauindustrie in
sicherlich tragischer Weise stattfindet, dann erkennt man,
dass das Wirtschaftswachstum eigentlich gar nicht so
schlecht ist. Es ist überhaupt kein Niedergang festzu-
stellen, sondern das, was man in entwickelten Industrie-
staaten normalerweise erlebt: ein Strukturwandel. Auf der
einen Seite ein Branchenschrumpfen und auf der anderen
Seite ein Branchenwachsen, also das, was wir erreichen
wollen. Das, was wir gerade in einer Schlüsselindustrie,
in der Energiewirtschaft, erreicht haben – das sollten Sie
sich einmal vorurteilsfrei anschauen –, ist bahnbrechend.

Eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 2 Pro-
zent ist also auf der einen Seite ein durchaus guter Wert
für ein entwickeltes Industrieland. Wir können uns in die-
ser Hinsicht überhaupt nicht mit Portugal oder Irland
vergleichen, die ihre Wachstumsraten von einem ganz an-
deren Niveau aus erzielt haben. Das ist für ein entwickel-
tes Industrieland, wie es Deutschland ist, nicht möglich.

Auf der anderen Seite erleben wir eine weltweite Kon-
junkturdämpfung; das dürfen wir nicht vernachlässigen.




Matthias Wissmann
17090


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Welthandel hat sich von 12 auf 7 Prozent verringert.
Das Weltsozialprodukt ist von 4,8 auf 3 Prozent gefallen
und das Wirtschaftswachstum der USA von 5 auf jetzt
1,3 Prozent. Das geht natürlich an keinem Exportland
spurlos vorbei. Europa, ganz besonders Deutschland, ist
davon betroffen. Hier geht also, wenn man so will, ein
Aufschwung zu Ende. Aber dies ist keine ausgeprägte
Konjunkturschwäche; auch das stellen die Institute in
ihren Frühjahrsgutachten fest.

Herr Brüderle – um Ihnen das zu sagen –, wer in die-
sem Zusammenhang von Stagflation spricht, der redet
wirklich Unsinn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der hat sich offenbar die Aufforderung „Trink, trink,
Brüderle trink!“ zu Eigen gemacht und zu tief ins Glas an-
statt in die Prognosen geschaut.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was Sie da tun, ist nun wirklich Panikmache. Es ist mit
nichts gerechtfertigt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Schulz, Sie reden schön!)


– Ich rede nicht schön.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, wie es draußen zugeht!)

Die Maiinflationsrate ist zwar hoch; das ist schon be-

denklich. Aber man muss diese Entwicklung genau ana-
lysieren. Denn es sind vor allen Dingen externe Faktoren,
die hier zu Buche schlagen: Es sind in erster Linie die
gestiegenen Rohölpreise


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wer hat dazu beigetragen?)


und es ist weniger die Ökosteuer. Das weiß man auch auf
F.D.P.-Seite. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Herr
van Essen und Herr Solms kurz vor Ostern im Fernsehen
die Ölkonzerne wegen ihrer Preisabsprachen und ihrer
Preistreiberei angeprangert und darauf hingewiesen ha-
ben, dass die Konzerne die Feiertage nutzen, um die Ben-
zinpreise hoch zu treiben, und dass deswegen das Kartell-
amt eingeschaltet werden sollte. Da ging es nicht um die
Ökosteuer. Sie sollten sich schon entscheiden, ob die Öko-
steuer oder die Ölkonzerne die Benzinpreise hoch treiben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweitens gibt es den Faktor der höheren Nahrungs-

güterpreise. Sie stiegen um 5 Prozent bis 9 bzw. 10 Pro-
zent, bedingt natürlich durch die Krisen, die wir hier er-
lebt haben: BSE, MKS und eine über Jahre hinweg
fehlorientierte Landwirtschaftspolitik, die wir jetzt auszu-
gleichen haben. Das schlägt auf die Verbraucherpreise
durch. Bei den Lederwaren werden wir das demnächst er-
leben.

Aber wenn man die Kerninflationsrate betrachtet,
wenn wir also einmal die Energiepreise und die Nah-
rungsmittelpreise herausrechnen, dann liegen wir bei ei-
ner Inflationsrate von etwa 1,5 Prozent. Das heißt, hier

liegt eine Besonderheit vor, auf die wir uns konzentrieren
müssen. Auch die Institute sagen, die jetzige Inflations-
rate sei vorübergehend. Im Herbst werde sie wieder nied-
riger sein.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Auf die Wachstumsprognosen haben Sie auch immer gehört!)


Wir haben natürlich – und das ist beruhigend – in den
letzten zweieinhalb Jahren durch unsere Politik enorm ge-
gengewirkt. Wir haben eine Haushaltskonsolidierung in
Gang gesetzt, die diesen Namen wirklich verdient. Wir ha-
ben eine solide Finanzpolitik, die in die Zukunft gerichtet
ist. Wenn man sieht, was wir übernommen und in dieser
Hinsicht durch einen einzigartigen Kraftakt geschafft ha-
ben und demnächst fortführen werden, dann gibt es keinen
Grund – das hat Kollege Poß hier ausgeführt –, von diesem
Kurs abzuweichen. Das schafft ja gerade Vertrauen in die
Haushaltspolitik, in die staatliche Politik. Wir werden an
dieser Haushaltssanierung festhalten.

Nehmen wir die Steuerreform – ich nenne nur Stich-
worte –: Wir haben über sämtliche Tarife hinweg eine
große Entlastung durchgeführt. Wir haben den Eingangs-
steuersatz gesenkt, den Spitzensteuersatz gesenkt, den
Grundfreibetrag erhöht, das Kindergeld erhöht und der-
gleichen mehr. Es hat ja enorme Entlastungen gegeben,
um die Kaufkraft zu verbessern, sodass selbst diese In-
flationsrate von 3,5 Prozent aufs ganze Jahr gerechnet
– wenn man sie einmal unterstellen würde – nicht durch-
schlagen würde, weil sich das Nettoeinkommen der Fa-
milien gegenüber 1998 eben fühlbar erhöht hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das habt ihr durch Steuern wieder weggenommen!)


Das sind Fakten, die uns mit Optimismus in die Zukunft
schauen lassen.

Auch an der Lohnpolitik – die übrigens im Frühjahrs-
gutachten gelobt wird, weil wir moderate Abschlüsse ge-
habt haben – sollte festgehalten werden. Ich kann nur
empfehlen, angesichts der Arbeitslosigkeit an dem
Grundprinzip festzuhalten, dass die Lohnentwicklung an
die Produktivitätsentwicklung gekoppelt werden muss.

Vielleicht lernt die Opposition auch noch den Wert des
Betriebsverfassungsgesetzes schätzen. Hoffentlich ma-
chen nicht solche Beispiele wie der Pilotenstreik der Ver-
einigung Cockpit Schule: dass sich eventuell Spezialisten
mit Extra- und Separatforderungen durchsetzen und den
sozialen Frieden in unserem Land gefährden. Ich glaube,
es gibt gute Gründe, die Betriebsräte in dieser Hinsicht zu
stärken, um die Lohnpolitik auf diese Weise nach wie vor
gerecht und übersichtlich zu gestalten.

Wenn man dieser Regierung vorwirft, dass sie keine
Veränderungen, keine Reformen vorgenommen hätte,
dann will ich nur Stichworte nennen: Rentenreform, Agrar-
reform, die wir eingeleitet haben, Bundeswehrreform, Jus-
tizreform. Es ist eine Masse an einzelnen Schritten und
Maßnahmen durchgesetzt worden. Vielleicht muss man im
Gegenteil eher aufpassen, dass es nicht zu viel wird.

Ich frage mich manchmal, ob es neben dem Phänomen
des Phantomschmerzes – also einem Schmerzempfinden




Werner Schulz (Leipzig)


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(A)



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in Gliedern, die man nicht mehr besitzt – in der Opposi-
tion vielleicht auch so etwas wie einen Phantomdruck
gibt. Das heißt, man hat die Macht verloren und empfin-
det den selbst erzeugten Reformstau noch. Vielleicht gibt
es so etwas wie Phantomdruck, den Sie hier empfinden,
sodass Sie diese Reformen, die wir eingeleitet haben, gar
nicht wahrnehmen.

Kollege Wissmann, ich habe mir Ihre Vorschläge im
Einzelnen angeschaut. Da findet man alles Wünschens-
werte. Es ist ein breiter Katalog. Sie wollen die Steuer-
reform vorziehen. Komischerweise finden Sie jetzt gar
nichts Schlimmes mehr an dieser Steuerreform. Ich frage
mich, warum Sie sie im Bundestag abgelehnt haben. Jetzt
kann es Ihnen nicht schnell genug gehen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: So simpel denken Sie doch gar nicht!)


Im Grunde genommen haben Sie an dieser Steuerreform
nichts mehr auszusetzen. Das ist jetzt alles in Ordnung,
nur ein Jahr früher sollte das Ganze kommen.


(Joachim Poß [SPD]: Wissmann hat die Unternehmensteuerreform gelobt!)


– Ja, er hat die Unternehmensteuerreform gelobt; das ist
richtig.

Dann wollen Sie die Ökosteuer abschaffen. Das ist eine
populäre Forderung. Und es soll der Soli abgeschafft wer-
den. Das ist die Forderung von Herrn Waigel. Wie Sie
dann den Solidarpakt II finanzieren wollen, bleibt im Ne-
bel. Es soll keine Änderung der Erbschaftsteuer geben,
aber eine Entlastung des Mittelstandes und eine Infra-
strukturoffensive. All das sind Forderungen, die in Ihrem
Antrag stehen; grob gerechnet 60 oder 90 Milliarden DM,
die Sie ausgeben wollen, und das in einem Staatshaushalt,
der wirklich angespannt ist. Das ist schon kräftiger als
das, was George Bush macht. Es ist kräftig aufgepuscht,
was Sie da vorschlagen.

Ich will im Zusammenhang mit der Ökosteuer sagen
– weil das ein beliebtes Thema ist, auf dem Sie immer he-
rumreiten –: Es wäre fatal – in diesem Moment vor allem
klimapolitisch fatal –, von der Ökosteuer gerade jetzt ab-
zurücken, wo wir die ersten Lenkungseffekte nachweisen
können, wo uns Analysen des DIW ganz klar sagen: Es
gibt Effekte auf dem Arbeitsmarkt, es gibt eine Verringe-
rung des Energieverbrauches, es gibt eine Verringerung
der CO2-Emissionen. Es ist also ein wirklich bewährtesInstrument, das wir eingeführt haben. Es ist ein Instru-
ment für den ökologischen Strukturwandel. Es ist ein In-
strument, das vor allem an dem Leitbild einer ökologisch-
sozialen Marktwirtschaft festhält.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von diesen Begriffen redet hier kaum noch jemand. Sie
reden von moderner Wirtschaftspolitik. Aber was ist das?
Was kann eine moderne Wirtschaftspolitik anderes sein
als ökologisch-soziale Wirtschaftspolitik?

Kollege Wissmann, ich prophezeie Ihnen – in diesem
Land der späten und nachträglichen Anerkennung –: So
wie man den Grünen bescheinigt hat, dass es sehr wichtig
war, die Ökologie, den Umweltschutz in die Politik ein-
zuführen, wird man den Bündnisgrünen in einigen Jahren

bescheinigen, dass es sehr wichtig und vor allem bahn-
brechend war, das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Res-
sourcenproduktivität in die praktische Wirtschaftspolitik
einzubinden. Das haben wir getan. Darin liegen der Erfolg
und die Zukunftsfähigkeit der jetzigen Wirtschaftspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417404200
Für die
Fraktion der F.D.P. spricht nun der Kollege Rainer
Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1417404300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Als ich vor einigen Wochen an dieser
Stelle die Wachstumsprognose der Bundesregierung von
knapp 3 Prozent anzweifelte, wurde ich insbesondere von
den Grünen – von Ihnen, Herr Schulz, heute auch – als
Miesmacher beschimpft.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie ja auch!)


Heute wissen wir: Nicht ich bin es, Sie sind die Miesma-
cher. Sie machen so miese Wirtschaftspolitik, dass Sie
selbst die dramatisch nach unten korrigierten Wachstums-
vorhersagen des Frühjahrsgutachtens von 2 Prozent nicht
mehr erreichen; diese sind schon Makulatur.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Sozialdemokraten sollten in der Regierungskoali-

tion Acht geben, dass sie nicht zusammen mit den Grünen
auf deren altes grünes Traumziel von null Wachstum hinar-
beiten. Ich bin mir sicher, viele Grüne empfinden klamm-
heimlich Freude beim Resultat ihrer eigenen Bremspolitik.
Das Geschäftsklima wird frostiger. Das Konsumentenver-
trauen nimmt ab. Die Einzelhandelsumsätze bleiben nied-
rig. Die Exportkonjunktur stockt. Die Baukrise weitet sich
dramatisch aus. Die fünf Wirtschaftsweisen sehen beim
Wachstum schon die Eins vor dem Komma. Konjunktur-
forscher sagen Ähnliches. Einige Bankvolkswirte sprechen
schon von 1,3 Prozent Wachstum.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Immer noch höher als bei Ihnen!)


Dazu kommt der Preisauftrieb von 3,5 Prozent. An dem
trägt die Bundesregierung eine Mitschuld, weil sie mit der
Ökosteuer und der Subventionierung von grünem Strom
die Preise auf die Spitze treibt.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Die Euro-Schwäche erreicht einen neuen Tiefpunkt

und facht zusätzlich die Inflation an, wie vergangene Wo-
che der Bundesbankpräsident, Ernst Welteke, bestätigte.
Auch hier steht die Bundesregierung in der Verantwor-
tung. Als größte Volkswirtschaft Europas dümpelt
Deutschland immer noch auf dem letzten Platz in der
Euro-Zone herum. Selbst die „New York Times“ stellt
fest, dass die Schwäche Deutschlands mittlerweile den
ganzen Euro-Raum nach unten zieht.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)





Werner Schulz (Leipzig)

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(B)


Das zeigt: Auch im Ausland wird der Ruf Deutschlands
als große Wirtschaftsnation immer mehr beschädigt. So
wird das Vertrauen in die europäische und insbesondere
die deutsche Wirtschaft nicht gestärkt.

Herr Schulz, das ist keine Erfindung der F.D.P.

(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 18 Prozent!)

In der „Zeit“ dieser Woche – Herausgeber ist Herr
Naumann, vor kurzem noch Minister der rot-grünen Re-
gierung – heißt es im Leitartikel des Chefredakteurs:

Wachstum sinkt, Arbeitsmarkt hinkt, Schröder stellt
sich blind.

Das reimt sich sogar.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Das steht im Leitartikel der „Zeit“; das ist keine Erfindung
von mir.

Solange sich an all dem nichts ändert, wird der Euro
schwach bleiben. Ein gutes halbes Jahr vor der Bargeld-
einführung ist dies kein positives Signal für die Bürger.

Ich wiederhole meine Warnung aus der Aktuellen
Stunde vom Mittwoch: Die fatale Mischung aus Wachs-
tumsschwäche und Geldentwertung birgt die Gefahr einer
Stagflation. Ich sage jetzt in aller Ruhe: Wenn die Bun-
desregierung nicht eine Kurswende einleitet, verstärkt sie
diese stagflationären Tendenzen in Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Durch Gesundbeten, Schönreden und dadurch, dass Sie
die Schuld bei den Scheichs, den Amerikanern, der Euro-
päischen Zentralbank oder sonst wo suchen, machen Sie
die Lage nicht besser. Der Bundeskanzler betont gern,
Wirtschaftspolitik sei zu 50 Prozent Psychologie. Aber
Wirtschaftspolitik ist nur dann zu 50 Prozent Psychologie,
wenn die anderen 50 Prozent ordentlich gemacht werden.
Ordentlich werden sie nicht gemacht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stichwort betriebliche Mitbestimmung: Dem Mittel-
stand wird eine Zusatzlast von 1 bis 2 Milliarden DM auf-
gebürdet. In der Gesetzesbegründung heißt es, man müsse
den Nutzen aus dem Betriebsfrieden gegenrechnen. Das
zeugt von absolutem Realitätsverlust. Die Bundesre-
gierung tut so, als ob in jedem Mittelstandsbetrieb der
Kriegszustand herrscht. Jeder vernunftbegabte Politiker
müsste eigentlich wissen: In kleinen und mittleren Firmen
werden viele Probleme auf dem kleinen Dienstweg gelöst.
Grün-Rot will eine gewachsene Struktur verbürokratisie-
ren. Resultat: Die Reform der Mitbestimmung wird für
den Mittelstand nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein
Auftragskiller und kein Friedensengel sein.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Und Arbeitsplätze kosten!)


Stichwort Zwangspfand: Es wird für Handel und
Kunden eine Zusatzlast von bis zu 4 Milliarden DM bis
zur Einführung und eine halbe Milliarde DM in jedem

weiteren Jahr mit sich bringen. Einen ökologischen Sinn
hat diese kostenträchtige Maßnahme nicht. Sie dient nur
zur Befriedung der Zwangspfandneurose eines längst
sturmreif geschossenen, ideologisch geführten Umwelt-
ministeriums.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie haben das Gesetz doch beschlossen!)


Stichwort Verlängerung des Postmonopols: Es bedeu-
tet eine Zusatzbelastung von 7MilliardenDM plus der ge-
strandeten Investitionen von potenziellen Wettbewerbern.
Doch das Herz von Monopolminister Müller schlägt eben
nicht für Wettbewerb und Wirtschaftswachstum. Ich frage
mich: Ist Herr Müller noch im Amt? Ich sehe ihn nicht im
Bundestag. Heute ist eine wichtige Debatte über den Jah-
reswirtschaftsbericht, aber Herr Müller ist nicht da. Inte-
ressiert ihn nicht mehr, was der Bundestag in Deutschland
macht? Ich finde das sehr merkwürdig.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Er hat heute Geburtstag!)


– Dann wäre es doch ein Hochgenuss, den Geburtstag mit
uns zu verbringen. Gibt es etwas Schöneres, als mit mir
über Wirtschaftspolitik zu diskutieren? Er beschädigt sich
dadurch eher selbst.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Herr Müller brüstet sich gerne mit den Liberalisierungs-
erfolgen bei der Telekommunikation und auf dem Energie-
sektor. Doch die Liberalisierung hat Günter Rexrodt
gegen erheblichen Widerstand aus dem roten Lager durch-
gesetzt. Seit Monopolminister Müller Wirtschaftsminister
ist, wird die Uhr zurückgedreht. Von den gut 15 Milliar-
den DM Entlastungen aus der Rexrodt-Liberalisierung hat
der Monopolminister bereits 12,5Milliarden DM mit Öko-
steuer und Ökoumlagen wieder verfrühstückt.

„Was für den Winzer die Reblaus ist, ist der Bundes-
wirtschaftsminister für die deutsche Wirtschaft.“


(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist kein Zitat von mir, sondern das Zitat eines IHK-
Präsidenten. Es ist selten, dass die Wirtschaft ihren Minis-
ter so hart angeht. Die Wirtschaft sieht jedoch deutlich,
dass der Monopolminister Müller wenig für Markt, Wett-
bewerb und Dynamik übrig hat. Er steht für Monopolpo-
litik, Stillstand und Staatswirtschaft.

Die Wachstums- und Wettbewerbspartei F.D.P. wird er-
folgreich dafür kämpfen, dass Herr Müller seine Drohun-
gen an die deutsche Wirtschaft, für eine zweite Amtszeit
zu kandidieren, nicht verwirklichen kann. Bis dahin for-
dere ich Herrn Müller auf: Lassen Sie den wirtschaftspo-
litischen Unfug mit der Mitbestimmung, lassen Sie den
Unfug mit dem Zwangspfand, lassen Sie den Unfug beim
Postmonopol!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Herr Müller ganz mutig wäre, würde er weitere
Erleichterungen durchsetzen. Doch ich befürchte, auf
seine Vorschläge zur Bekämpfung des Abschwungs




Rainer Brüderle

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(C)



(D)



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werden wir vergeblich warten müssen. Hier mein Vor-
schlag: Ich fordere von der Bundesregierung ein Blitz-
programm gegen die stagflationären Tendenzen.

Erstens. Ich fordere die sofortige Senkung der Ein-
kommen- und Körperschaftsteuer. Dazu ist gemäß dem
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von Karl Schiller nur
eine Rechtsverordnung notwendig. Mittelfristig braucht
Deutschland eine Steuerreform II mit niedrigen Steuer-
sätzen und transparenter Bemessungsgrundlage.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Ich fordere den Verzicht auf die nächste
Stufe der Ökosteuer. Der doppelte Kaufkraftentzug aus
Steuerbelastung und Preistreiberei muss gestoppt werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Ich fordere eine Senkung der Arbeitslosen-
beiträge um einen Prozentpunkt zum 1. Juli dieses Jahres.
Das entlastet die Beitragszahler um gut 13 Milliar-
den DM, senkt die Lohnnebenkosten und steigert die Net-
toeinkommen der Verbraucher. Wir haben eine Nachfra-
geschwäche. Dagegen kann man konkret etwas tun.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viertens. Ich fordere den kompletten Verzicht auf die
Verschärfung der Abschreibungsbedingungen. 3,5Milliar-
den DM Mehrbelastung sind Gift für notwendige Inves-
titionen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die akuten Probleme der deutschen Konjunktur treffen
die Arbeitslosen besonders hart. Der Kanzler hat zuerst
versprochen, die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen zu
senken, dann hat er die Zahl auf 3,5 Millionen korrigiert.
Versprechen kann sich jeder einmal. Angesichts der Wirt-
schaftsflaute und der Untätigkeit der Bundesregierung ist
selbst dieses Minimalziel von 3,5 Millionen mit „lega-
len“Mitteln nicht mehr zu erreichen.

Die Bundesregierung verteilt lieber Heftpflästerchen.
Das geplante „Job-Aqtiv-Gesetz“ taugt nicht mehr als
Wahlkampfgag. Dass die Bundesregierung jetzt eine Sta-
tistiktrickserei beginnen will, grenzt geradezu an eine
Verzweiflungstat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)


Verwenden Sie Ihr Hirnschmalz lieber auf die längst fäl-
ligen Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt statt auf das
Frisieren von Arbeitsmarktzahlen! Deutschland braucht
endlich mehr Mut auf dem Arbeitsmarkt, sonst beseitigen
wir die Arbeitsmarktprobleme nie. Ich frage die Bundes-
regierung: Wo bleibt die Flexibilisierung des Flächenta-
rifvertrages? Wo bleibt das Aufbrechen des Tarifkartells?
Wo bleibt die Schaffung eines Niedriglohnsektors?


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Haben wir doch!)


Wo bleibt die striktere Handhabung des Lohnabstandsge-
bots zwischen Sozialhilfe und Erwerbseinkommen? Wo
bleiben die Kombieinkommen, die bessere Hinzuver-
dienstmöglichkeiten für Sozialhilfeempfänger zulassen?
Wo bleibt die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe?

Eines frage ich Herrn Schlauch ganz persönlich: Wo
bleibt die Ausweitung des Günstigkeitsprinzips für die
Beschäftigungssicherung, damit in Not geratene Betriebe
und Unternehmen Arbeitsplätze retten können? Herr
Schlauch hat kürzlich behauptet, solche Pläne seien der-
zeit politisch nicht durchsetzbar. Stillschweigend hat er
damit den Sozialdemokraten Unbeweglichkeit vorgewor-
fen. Die grünen Fundis sind aber die eigentlichen Brem-
ser. Wie es anders geht, sehen Sie in Rheinland-Pfalz, wo
die Sozialdemokraten zusammen mit der F.D.P. regieren.
Dort wurde vereinbart, das Günstigkeitsprinzip zu über-
prüfen, und zwar mit dem Ziel, es zu ändern.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zeigt zum wiederholten Male, dass die Grünen
Bremskraftverstärker sind. Notwendig ist aber ein Turbo
und keine grünen Bremser. Sie sehen auch: Dort, wo die
F.D.P. auf Länderebene mitregiert, liegt die Arbeitslosig-
keit deutlich unter dem Durchschnitt der westdeutschen
Bundesländer; dort, wo die Grünen mitregieren, liegt sie
oberhalb des Bundesdurchschnitts. Das ist der konkrete
Praxistest dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bevölkerung hat die schwache Wirtschaftspolitik
der Grünen genau registriert. Gerade einmal ein Hunderts-
tel ihrer Wähler billigt den Grünen Wirtschaftskompetenz
zu, wie aus ihrer eigenen Auftragsstudie hervorgeht. Das
zu Recht: Null Wachstum, null Ahnung, null Arbeits-
plätze, aber für einen Liter Benzin fünf Mark fordern – so
sieht grüne Wirtschaftspolitik aus. Damit können Sie die
Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht beseitigen. Es wird
nur dann aufwärts gehen, wenn Sie den Mut haben, eine
Korrektur Ihrer Politik vorzunehmen.

Wenn Sie so weitermachen wie bisher, dann ist die Ge-
fahr, Herr Schulz, in der Tat groß, dass Stagnation in
Deutschland einziehen könnte. Ich wünsche uns das nicht,
aber es ist unsere Pflicht als Opposition, rechtzeitig darauf
hinzuweisen und öffentlich zu sagen: Machen Sie nicht so
weiter! Die Leidtragenden sind die tüchtigen und anstän-
digen kleinen Leute. Es sind die, die draußen stehen und
auf eine Chance auf einen Arbeitsplatz warten. Es sind
Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Sie
sind Opfer, wenn nicht gehandelt wird, nur weil grüne
Ideologie Sie lähmt. Tun Sie was!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417404400
Zu einer
Kurzintervention erhält der Kollege Oswald Metzger das
Wort.




Rainer Brüderle
17094


(C)



(D)



(A)



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Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417404500

Lieber Kollege Brüderle, Sie müssen eine argumentative
Auseinandersetzung um die Wirtschaftspolitik etwas subs-
tanzvoller führen, wenn Sie hier reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verschätzen können sich viele. Ich rufe in Erinnerung,
wie Ihre Fraktion – ebenso wie der Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion Merz – im September letzten Jahres
dieser Regierung vorgeworfen hat, sie habe in ihrer Haus-
haltsplanung die Wachstumsraten für das Jahr 2001 zu ge-
ring angesetzt, sie werde damit Geld ansparen und den
Bürgern vorenthalten, die Nettokreditaufnahme nicht ent-
sprechend stärker reduzieren und die Steuern nicht aus-
reichend senken. Heute hinken Sie, die Sie uns damals
höhere Wachstumsraten aufs Auge drücken wollten, der
Entwicklung hinterher, indem Sie sagen, wir hätten jetzt
schlechtere Wachstumsraten als prognostiziert.


(Zuruf des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU])


– Doch, Herr Schauerte, es ist korrekt. Sie sollten einmal
ganz ruhig die Fakten betrachten.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie haben sich selber nicht getraut!)


Ich will folgende Botschaft senden: Die F.D.P. – ich
reagiere auf die Ausführungen des Kollegen Brüderle –
hat sich jetzt die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosen-
versicherung auf die Fahnen geschrieben. Wissen Sie,
was Sie im Wahljahr 1998, als Sie zusammen mit Ihrem
damaligen Partner Kohl in Regierungsverantwortung wa-
ren, gemacht haben? Sie haben 350 000 „Wahlkampf-
ABM-Beschäftigungsverhältnisse“ finanziert, um die
Statistik – vor allem im Osten – für den Wahlkampf zu
schönen und um den Leuten etwas vorzumachen. Die Ar-
beitslosigkeit war nicht wirklich zurückgegangen; der
scheinbare Rückgang war staatlich finanziert.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht, Herr Metzger!)


Damals haben Sie den Beitragszahlern das Geld nicht in
der Tasche gelassen. Wir können innerhalb unserer Koali-
tion in der Tat darüber diskutieren, ob wir die Arbeitslo-
senversicherungsbeiträge nicht im nächsten Jahr senken.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Machen Sie es doch!)


Ich finde, das ist ein gutes Signal beispielsweise an die Ta-
rifpartner. Denn dann wüsste man, dass netto mehr in der
Tasche bleibt, sodass der Lohnrunde ein wenig Druck ge-
nommen wird. Das sind – keine Frage! – Argumente für
eine wirtschaftspolitische Diskussion.

Kollege Brüderle, wenn Ihre eigenen Bundesländer –
übrigens selbst Rheinland-Pfalz – im Bundesrat immer
dann, wenn es um Verhandlungen mit dem Bund geht, den
Sack zuhalten und – beispielsweise beim Familien-
leistungsausgleich – nicht mehr leisten wollen, können
Sie sich aber nicht, wenn es um die Einkommensteuer
geht, hinstellen und den großen „Versprechungsonkel“
machen. Das ist inkonsequent. Solidität verlangt, dass Sie
den Abbau der Staatsverschuldung mit politischen Maß-

nahmen wie Angeboten an die Wirtschaft kombinieren.
Das bedeutet: Senkung der Steuern, Senkung der Ab-
gaben, Senkung der Staatsverschuldung. Wir sind auf die-
sem Weg; er ist Markenzeichen dieser Regierung. Das
werden Sie im dritten und vierten Quartal dieses Jahres
auch merken, wenn die Wachstumszahlen wieder vor-
sichtig nach oben gehen werden und die Dynamik der
Weltwirtschaft wieder zunimmt. Davon bin ich fest über-
zeugt; das ist keine Gesundbeterei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie müssen erst einmal Hausaufgaben machen, anstatt immer auf die Weltwirtschaft zu setzen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417404600
Zur Erwi-
derung der Kollege Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1417404700
Herr Kollege Metzger,
zunächst einmal vielen Dank für die Kurzintervention.
Meine Redezeit war leider sehr begrenzt, sodass ich nur
einen Bruchteil von dem, was ich heute sagen wollte, auch
sagen konnte. Deshalb ist es fair, dass Sie mir diese Vor-
lage liefern.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht kommt ja noch Substanz rein! – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht kommt ja noch ein Trinkspruch!)


– Herr Schulz, Sie sollten nicht ablenken. Die Lage
draußen ist ernst. Mit so billigen Sprüchen werden Sie
nicht auskommen.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie das in Ihrer Rede auch nicht!)


Gerade in den neuen Bundesländern, in denen Sie im-
mer so viel beklagen, sollten sie die Dinge ernst nehmen
und nicht mit Sprüchen überspielen. Es ist zu billig,
wenn Sie als Hofsänger der Bundesregierung auftreten;
Sie müssen sich schon mit den Sachen auseinander set-
zen.

Herr Metzger, die Veränderungen in den Trends waren
sehr wohl erkennbar. Es war ja nicht ein Blitzeinfall von
mir, dass ich erkannt habe, dass die Zahlen nicht erreicht
werden. Als die Projektion noch vorgetragen wurde, wa-
ren die Warnungen, dass sie nicht haltbar sei, von den In-
stituten, von Volkswirten aus Banken und Research-Ab-
teilungen, schon längst da. Obwohl es erkennbar war,
wurde vor der Wahl an den Werten festgehalten, weil man
versuchte, die Diskussion zu vermeiden.

Es ist ganz typisch für Ihren Beitrag, dass alles rück-
wärts gewandt war. Sie kommen immer mit Ihren so ge-
nannten Erblastargumenten. Für mich ist das eine Er-
blastlüge.


(Zuruf von der SPD: Das haben wir von der F.D.P. und der CDU!)


Sie erzählen, was 1998, was 1996, was 1991 war. Für die
Wirtschaftshistoriker ist das hochinteressant, aber Sie






(C)



(D)



(A)



(B)


vergessen, dass Sie heute regieren und dass wir aktuelle
Probleme haben,


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

zum Beispiel weil die Bauwirtschaft im Osten zusam-
menbricht. Deswegen müssen Sie jetzt handeln und kön-
nen nicht immer die Geschichte von Vorgestern erzählen;
damit kommen Sie wahrlich nicht über die Runden.

Sie, Frau Scheel und Frau Wolf, haben eine merkwür-
dige Rolle bei den Grünen: Sie werden immer vorge-
schickt, um etwas Schönes – zum Beispiel, dass Sie eine
Abgabenentlastung von 13MilliardenDM machen wollen;
aber das bekommen Sie nicht hin – zu erzählen. Zu den
630-Mark-Verträgen haben Sie zuletzt dieser Tage in einem
längeren Interview im Fernsehen gesagt, das sei ein
schreckliches Bürokratiemonster. Recht haben Sie! Aber
Sie haben doch die Hand gehoben und diesen Mist politisch
mit umgesetzt! Das ist Ihre Verantwortung und Schuld.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

So können Sie nicht Politik betreiben. Bei den Mittel-

ständlern erzählen Sie dann, wie schrecklich all das sei,
was die Regierung macht, und sagen, Sie seien nicht da-
bei gewesen, das seien nur die anderen gewesen, Sie woll-
ten etwas ganz anderes und würden dafür kämpfen. Aber
in diesem Hause heben Sie die Hand und stimmen zu! Das
ist nicht aufrichtig; das ist keine redliche Politik. Ihre
Sprüche sind Tiger, die als Bettvorleger enden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Spruch hat noch gefehlt!)


Machen Sie doch einmal etwas! Ich wäre dankbar, wenn
Sie die 630-Mark-Verträge vernünftig gestalten würden.
Ich weiß von zwei Fällen aus meinem Wahlkreis, dass es
unglaublich ist, was an Bürokratie und Unsinn hoch ge-
züchtet wurde.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben Recht, wenn Sie das kritisieren. Aber dann tun
Sie doch etwas! Stehen Sie auf, stimmen Sie dagegen und
werben Sie in Ihrer Fraktion dafür, dass sich etwas verän-
dert!

Noch einige Sätze zur Steuerreform. Wenn Sie uns in
Rheinland-Pfalz vorwerfen, wir hätten dabei um Geld ge-
schachert, halte ich Ihnen entgegen: Rheinland-Pfalz ist
das einzige Bundesland, das – ohne Gegenleistungen zu
fordern – ausschließlich für die Wiedereinführung des
halben Steuersatzes für den Mittelstand und damit gegen
eine schreiende Ungerechtigkeit gekämpft hat. Wir haben
nicht wie Berlin um ein Olympiastadion und Kulturein-
richtungen gefeilscht, wir haben nicht wie Brandenburg
um Infrastruktur gefeilscht, wir haben nicht wie Bremen
um Geld gefeilscht. Die SPD/F.D.P.-Regierung des Lan-
des Rheinland-Pfalz hat für die Bürger gekämpft und da-
bei niemanden abgezockt. Darin besteht der Unterschied
in der Politik, wenn wir mitregieren.


(Beifall bei der F.D.P. – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur für die Besserverdienenden!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417404800
Ich bin über-
zeugt, dass Sie den Dialog in Kurzinterventionen fortset-
zen könnten, aber das ist nun nicht mehr möglich.

Jetzt hat Frau Dr. Christa Luft für die Fraktion der PDS
das Wort.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1417404900
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Der Kollege Poß, der leider nicht
mehr im Saal ist, hat einzig dem Prinzip Hoffnung das
Wort geredet. Ich weiß genau, Optimismus ist in der Po-
litik nicht unwichtig. Aber Sachlichkeit bei der Kenntnis-
nahme harter Fakten darf nicht als Miesmacherei abge-
stempelt werden, denn den Menschen, die uns heute
zuschauen und um deren Probleme es bei dieser Debatte
über Fragen der Wirtschaft geht – Wirtschaft soll im
Dienste der Menschen stehen –, wird das Prinzip Hoff-
nung als Antwort nicht ausreichen.

Herr Kollege Schulz hat sich wieder einmal als Meister
im Pirouettendrehen gezeigt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Man kommt doch aber nicht umhin, festzustellen, dass
kaum ein anderer Jahreswirtschaftsbericht der letzten De-
kade in seinen wichtigsten Eckdaten so rasch überholt war
wie dieser. Damit ist dem in diesem Bericht von der
Regierung angebotenen Reformvorhaben weitestgehend
die Basis entzogen.

Ich nenne das prognostizierte Wirtschaftswachstum –
Fehlanzeige. Damit aber ist die Annahme der Regierung
obsolet, vor allem ein robustes Wachstum, wie es wörtlich
im Jahreswirtschaftsbericht heißt, bringe einen Be-
schäftigungszuwachs hervor.

Ich nenne die prognostizierte Teuerungsrate – glatte
Fehlanzeige. Gegenwärtig beläuft sich die Inflationsrate
auf 3,5 Prozent. Das führt zu realen Einkommensverlus-
ten bei der Bevölkerung und schwächt die Binnenkauf-
kraft, von der aber nach Ihrer Auffassung – und diese Auf-
fassung ist richtig – Impulse ausgehen sollten.

Nehmen wir schließlich die Arbeitslosenzahlen. Hier
verheißt der Jahreswirtschaftsbericht 2001, die Zahl der
Arbeitslosen werde um 270 000 abnehmen und damit im
Jahresdurchschnitt nur noch wenig über 3,5Millionen lie-
gen. – Fehlanzeige; es gibt immer noch 3,9 Millionen Ar-
beitslose. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigten im Osten ist gegenüber April 2000 sogar um
70 300 zurückgegangen. In vielen Branchen droht weite-
rer Arbeitsplatzabbau – nicht nur in der Bauwirtschaft, die
hier immer wieder angeführt wird.

Schon diese wenigen Beispiele müssten doch bei der
Regierung zu dem Schluss führen, dass das, was im Jah-
reswirtschaftsbericht als Reformvorhaben gepriesen
wird, den Gegebenheiten und Erfordernissen nicht ge-
recht wird.


(Beifall bei der PDS)

Es erweist sich als untaugliche, weil unsichere Strate-

gie, als Grundlage für die Arbeitsplatzschaffung einseitig
auf hohes Wirtschaftswachstum zu setzen. Dies muss
durch andere Maßnahmen flankiert werden. Dafür reicht




Rainer Brüderle
17096


(C)



(D)



(A)



(B)


das, was in den nächsten Wochen vor der Sommerpause
angeboten werden soll, nicht aus: die Ausdehnung von
Leiharbeit, die Einführung der Jobrotation, die verbes-
serte Zusammenarbeit von Sozialamt und Arbeitsamt.
Kollege Brüderle strebt sogar die Ausdehnung des Nied-
riglohnsektors an.

Ich kann nur sagen: Wer aus dem Osten kommt, der
weiß, dass fast der ganze Osten ein Niedriglohnsektor ist.
Wie man darauf kommt, diesen Sektor noch ausdehnen zu
wollen, ist mir völlig schleierhaft. Man darf auch einmal
daran erinnern, dass ein Drittel der 80 Millionen Bundes-
bürger schon heute weniger als die Hälfte des Durch-
schnittseinkommens zur Verfügung hat. Mir fehlt also
wirklich jegliches Verständnis dafür, wenn solchen Stra-
tegien das Wort geredet wird.

Wir fordern zum Beispiel als flankierende Maßnahme,
das Arbeitszeitgesetz zu novellieren und die wöchentliche
Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden zu beschränken. Das
wäre ein substanzieller Beitrag zum Abbau von Über-
stunden gewesen. Wir haben diesbezüglich bereits einen
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern seit Jahren, für arbeitsintensive Dienstleis-

tungen einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz in Anwen-
dung zu bringen. Das würde vor allem dem Reparatur-
handwerk Auftrieb geben. Wie man lesen kann, sieht das
Handwerk ja wieder schwarz.


(Beifall bei der PDS)

Ich wundere mich schon, dass CDU/CSU und F.D.P., die
sich sonst so stark für Steuersenkungen besonders für
kleine und mittlere Unternehmen einsetzen, unserem An-
trag nicht folgen wollen.

Wir fordern, die Vergabe von Fördermitteln in ge-
eigneter Weise an Beschäftigungseffekte zu binden. Öf-
fentliches Geld darf in der privaten Wirtschaft nicht un-
konditioniert als verlorener Zuschuss versickern.


(Beifall bei der PDS)

Das ist wichtiger, finde ich, Herr Kollege Wissmann, als
– bezogen zum Beispiel auf Mecklenburg-Vorpommern –
den Abbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu fordern. Es
ist doch niemand ein Fan von ABM und SAM. Vielmehr
möchte jeder einen gesicherten Arbeitsplatz auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt haben. Aber dafür wäre eine Vorausset-
zung, dass man die vielen Fördergelder, die in die private
Wirtschaft fließen, nicht als verlorene Zuschüsse ver-
sickern lässt. Vielmehr muss man, wie gesagt, die Vergabe
der Fördermittel an Beschäftigungseffekte binden.

Auch die Erwartung, dass massive Steuerentlastun-
gen von den Unternehmen mit Erhöhung der Investitio-
nen und einem Beschäftigungschub beantwortet würden,
hat sich nicht erfüllt. Wo ist die Gegenleistung der Kon-
zerne, die Beteiligungen steuerfrei veräußern dürfen?
Fehlanzeige!


(Beifall bei der PDS)

Wo ist die Gegenleistung für den gesenkten Körper-
schaftsteuersatz? Schon die Kohl-Regierung hatte mit ih-

rer Strategie, die Steuern zugunsten der Unternehmen zu
senken, nicht den erwarteten Erfolg. Aber Rot-Grün setzt
diesen Weg fort und muss nun die gleichen Erfahrungen
machen. Steuersenkungen sorgen nicht automatisch für ei-
nen Beschäftigungsschub. Ich frage mich, welche be-
lastbaren Daten Union und F.D.P. eigentlich für den
Zusammenhang von Steuerentlastungen und Beschäfti-
gungsschub haben. Ein Vorziehen der nächsten Steuerre-
formschritte würde vor allem größere Löcher in die Kassen
der öffentlichen Haushalte reißen und großen Unternehmen
noch mehr Anlagen auf den Finanzmärkten oder im Immo-
biliengeschäft ermöglichen. Aber kleine und mittlere Un-
ternehmen stellen nicht schon deshalb mehr Personal ein,
weil die Steuern gesenkt werden. Sie brauchen vor allen
Dingen Absatzchancen. Aber diese sind sehr rar.

Wenn schon an der Steuerschraube gedreht wird, dann
gilt es einen Modus zu finden, der beschäftigungsschaf-
fende Initiativen von Unternehmen belohnt und der um-
gekehrt, wie es in Frankreich der Fall sein wird, Massen-
entlastungen bei jenen Unternehmen teurer macht, die
Arbeitsplätze abbauen und Standorte schließen, obwohl
sie schwarze Zahlen schreiben.

Der Bundeskanzler sagt trotz des unübersehbar weiter
wachsenden Abstandes zwischen den alten und den neuen
Bundesländern hinsichtlich der wirtschaftlichen und so-
zialen Entwicklung zu Forderungen nach Aktions- oder
Sonderprogrammen: Basta! Schluss mit der Debatte! –
Warum sagt er aber nicht zu Herrn Beck aus Rheinland-
Pfalz und Herrn Faltlhauser aus Bayern basta, wenn sie
öffentlich die Reduzierung der Finanzhilfen für den Osten
ins Gespräch bringen? Bei allem Verständnis dafür, dass
die Menschen in den alten Bundesländern Gewissheit
über die zeitliche Perspektive der Senkung beispielsweise
des Solidarzuschlags haben wollen, sage ich: Es muss
auch Verständnis dafür geben, dass die Menschen in den
neuen Bundesländern einen Fahrplan haben wollen, an-
hand dessen sie sehen können, wie es mit der Angleichung
wichtiger Daten der Lebensverhältnisse weitergehen soll.
Aber das wird immer für abwegig und unrealistisch ge-
halten. Ein solcher Fahrplan wird verweigert. Das passt
doch nicht zusammen.

Die PDS meint, gerade angesichts der abflauenden
Konjunktur ist ein Maßnahmenbündel für Ostdeutsch-
land – es ist egal, ob man das nun Sonder- oder Aktions-
programm nennt; darauf kommt es nicht an – notwendig,
wie wir es für den Zeitraum bis 2005 vorgeschlagen ha-
ben. Ein solches Programm, mit dem die wirtschaftliche
und soziale Entwicklung in Ostdeutschland vorange-
bracht werden soll, schließt auch die Bündelung von För-
derprogrammen ein. Fast jedes Ministerium hat ein Mini-
programm und brüstet sich damit. Aber wir brauchen eine
Bündelung der Förderprogramme, damit weniger Geld
für die Verwaltung der Programme draufgeht. Wir brau-
chen die Konzentration der Fördermittel auf Schwer-
punkte und mehr Geld, um die Versuche ostdeutscher Un-
ternehmen, neue Märkte zu erschließen, zu unterstützen
und sie auch in die Lage zu versetzen, ihre guten Produkte
auf Märkten, die sie schon früher einmal erschlossen hat-
ten und die sie verloren haben, wieder abzusetzen. Wir
haben dafür ein Konzept vorgelegt und erwarten, dass die
Bundesregierung darauf eine Antwort gibt.




Dr. Christa Luft

17097


(C)



(D)



(A)



(B)


Man kann den Erfolg von Wirtschaftspolitik nicht so
messen, wie es aus diesem Jahreswirtschaftsbericht her-
vorgeht, nämlich nur anhand von Steuersenkungen, redu-
zierter Neuverschuldung oder abgeflachter Staatsquote.
Wir brauchen als Maßstab für Wirtschafts- und Finanzpo-
litik, dass sich das Allgemeinwohl der Bevölkerung er-
höht, dass sich der Volkswohlstand erhöht. Da hat diese
Bundesregierung die Nagelprobe noch vor sich.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417405000
Ich gebe das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie Siegmar
Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1417405100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tempo der Welt-
wirtschaft hat sich verlangsamt. Deshalb ist es gut, dass
wir heute über diese Veränderung der Rahmenbedingun-
gen diskutieren.

Die OECD hat im Mai eine Korrektur der Wachstums-
prognosen vorgenommen, und zwar für die USA minus
1,8 Prozent, für Japan minus 1,3 Prozent, für die Nieder-
lande minus 0,9 Prozent, insgesamt für die Volkswirt-
schaften im OECD-Raum minus 1,3 Prozent. Für
Deutschland ist die Wachstumsprognose ebenfalls redu-
ziert worden, und zwar um 0,5 Prozent. Diese Daten und
auch die neueste Prognose des IWF, nämlich dass der
Welthandel in diesem Jahr im Volumen deutlich abneh-
men wird, sind natürlich wichtige Daten für die Entwick-
lung einer Volkswirtschaft. Aber es wäre nichts gefährli-
cher, als jetzt etwa schwarz zu malen oder herunter-
zureden. Das wäre Gift für die Konjunktur. Deshalb müs-
sen wir sensibel in der Argumentation sein und versuchen,
mit diesen Zahlen behutsam umzugehen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist eure Politik!)


Übrigens, wenn ein Mann wie Herr Kannegiesser
– wie in einem Interview vor drei Tagen – davor warnt, die
Beschäftigungslage schlechtzureden und Schwarzmalerei
zu betreiben, und berichtet, dass die Metallwirtschaft in
der Zeit von März 2000 bis heute 90 000 neue Arbeits-
plätze geschaffen hat, obwohl sie eigentlich vermutet
hatte, sie müsste welche abbauen, und wenn er dann wört-
lich hinzufügt: „Wir sollten deshalb nicht aus taktischen
Gründen die Beschäftigungslage schlechtreden; sie ist po-
sitiv“, dann ist das ein deutliches Signal. Das sollten wir
zum Ausdruck bringen und auch berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ähnliches hört man von der Hannover-Messe. Herr
Wissmann und auch Herr Brüderle haben zu Recht auf die
Bauwirtschaft hingewiesen. Das ist eine sehr spezielle
Branche, die erhebliche Schwierigkeiten hat. Es gibt aber
auch Sektoren, die sich positiv behaupten. Das gilt für die
Elektrotechnik, den Maschinenbau und für andere, die auf
der Hannover-Messe vertreten waren. Der Messe-Direk-

tor sagte: Es gibt keine Spur von einer gebremsten Kon-
junktur. Wir haben volle Auftragsbücher. Die Investiti-
onsgüterkonjunktur läuft noch erstaunlich gut. – Insofern
sollten wir differenzieren und uns davor hüten, schwarz
zu malen.

Ich sage das auch deshalb, weil jetzt ein neuer Trend
sichtbar wird. Die Konjunktur in den USA hat dazu ge-
führt, dass jetzt viele amerikanische Investoren den euro-
päischen Binnenmarkt entdecken und zu uns kommen
wollen. Sie kommen auch deshalb, weil der amerikani-
sche Markt überkapitalisiert ist. Wenn man solchen Inves-
toren dann mit einem Schwall von Negativdaten kommt,
werden sie hier nicht begeistert anpacken.

Im „Handelsblatt“ ist heute ein interessantes Ergebnis
einer Bankumfrage zu lesen, die jährlich durchgeführt
wird. Sie kommt zu folgendem Ergebnis:

Der Mittelstand bleibt vom wachsenden Konjunk-
turpessimismus in Deutschland unbeeindruckt. Dies
ist das Ergebnis der Frühjahrs-Mittelstands-Umfrage
der DG Bank. Die Umfrageergebnisse sprächen
dafür, dass die deutsche Konjunktur „nicht vollends
zum Opfer einer stimmungsgetriebenen, sich selbst
verstärkenden Abschwächung“ werden wird.

Das sind wichtige und harte Worte, die deutlich machen:
Das ist eine labile Situation. Das kleine Pflänzchen der
Konjunktur muss behütet werden.

Wenn man dann in der Umfrage weiter liest, dass
knapp 30 Prozent der befragten Betriebe in den kommen-
den sechs Monaten zusätzliche Mitarbeiter einstellen
wollen und mit einem Wachstum von 6 Prozent rechnen,
dann zeigt das: Es gibt auch im Mittelstand klare Zeichen
dafür, dass man beharrlich an einem nachhaltigen Wachs-
tum arbeitet. Deshalb sollten wir dazu auch einen Beitrag
leisten.

Ich habe mir den von der CDU/CSU für die heutige Sit-
zung vorgelegten Antrag angesehen. Herr Wissmann hat
gesagt, er beinhalte das Alternativprogramm für die ge-
genwärtig schwierige Konjunkturlage. Ihr Antrag enthält
fünf Punkte.

Erstens. Die Steuerbelastung soll gesenkt werden, da-
mit es sich endlich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Ich
halte fest: Wir haben eine große Steuerreform durchge-
führt. Wir sind dabei, den Eingangssteuersatz von
25,9 Prozent – so hoch war er, als wir die Regierung über-
nommen haben – auf 15 Prozent zu senken. Das ist deut-
lich weniger. Mit Ihrem Vorschlag unterstützen Sie unsere
Politik und dafür können wir uns nur bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die Lohn-
nebenkosten zu senken.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Sie schreiben, wir müssten deutlich machen, dass wir
dazu wirklich bereit sind. Dazu sage ich Ihnen: Als wir die
Regierung übernommen haben, lag die Höhe der Lohnne-
benkosten bei 42,3 Prozent; mittlerweile liegt sie bei




Dr. Christa Luft
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(C)



(D)



(A)



(B)


40,8 Prozent. Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, ha-
ben wir schon gemacht. Ich hoffe, dass Sie uns bei der
Senkung der Lohnnebenkosten weiterhin begleiten.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wir bezahlen doch für Ihre Politik an der Tankstelle und über die Heizölrechnung! Wir haben eine Inflationsrate von 3,5 Prozent! Haben Sie das nicht zur Kenntnis genommen? SPD heißt Inflation!)


Drittens. Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, Arbeits-
marktpolitik zu betreiben. Von uns gibt es ganz konkrete
Initiativen für ein Konzept, Langzeitarbeitslose systema-
tisch in Arbeitsverhältnisse zurückzubringen. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Wir übernehmen mit der hohen An-
zahl von Langzeitarbeitslosen ein Problem, das in Ihrer
Regierungszeit entstanden ist. Jetzt fordern Sie uns auf,
schnell etwas zu tun. Wir sind dabei, ein ganz konkretes
Konzept zu entwickeln.

Viertens. Sie haben vorgeschlagen, im Rahmen von
Infrastrukturinitiativen mehr in die Schiene zu investie-
ren. Wir haben die UMTS-Milliarden extra zurückgelegt,
um Schulden zu tilgen. Wir investieren drei Jahre lang
jährlich 2 Milliarden DM, die uns durch nicht mehr zu
zahlende Zinsen zur Verfügung stehen, zusätzlich in die
Infrastruktur. Wir machen also das, was Sie fordern. Un-
sere Bitte ist, dass Sie diesen Kurs auch weiterhin unter-
stützen.

Das Gleiche gilt natürlich auch – da haben Sie Recht,
Herr Wissmann – im Hinblick auf die Regulierung.Wir
haben im Zusammenhang mit der Reziprozität ein echtes
Problem. Im Frühjahr 1998 sind Gesetzentwürfe zur
Energiereform verabschiedet worden. Die Folge der Tat-
sache, dass es damals keine Abstimmung mit der EU gab,
ist, dass jetzt manch andere Länder sozusagen aus einer
Monopolsituation heraus auf unseren Märkten agieren.
Das ist eine schwierige Lage. Lassen Sie uns diesen Weg
gemeinsam fortsetzen!

Die OECD hat in ihrem „German Outlook“ vor weni-
gen Tagen mitgeteilt, wir hätten große Fortschritte bei der
Liberalisierung gemacht und wir seien weiter als andere
Länder. In Bezug auf eine Reihe von Feldern stimmt das.
Ich weiß, wie kontrovers darüber damals, als wir noch in
der Opposition waren, diskutiert wurde. Ich erinnere mich
noch, dass nicht alle aus unseren Reihen begeistert waren.
Es ist richtig: Unser Land hat Fortschritte gemacht und
dieser Weg muss fortgesetzt werden.

Trotz aller Unkenrufe und aller schwierigen Daten
– man soll sie nicht herunterspielen; das Umfeld ist
schwierig – müssen wir jetzt Kurs halten: Wir müssen den
Haushalt konsolidieren, wir müssen die Steuern senken,
wir müssen weiterhin die Lohnnebenkosten senken, wir
müssen die Reform des Arbeitsmarktes voranbringen und
wir müssen weiter in die Zukunft investieren. Diesen Kurs
betreiben wir und wir werden ihn fortsetzen. Wir bitten
Sie, diesen Kurs zu unterstützen.

Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen. Es wird im-
mer wieder behauptet, wir führten in den neuen Bundes-
ländern zu viele Beschäftigungsmaßnahmen durch und
investierten dort zu wenig. Die Zahlen für das Jahr 2000

besagen – ich habe sie mir eben geben lassen –, dass wir
in den neuen Bundesländern 26,672 Milliarden DM in-
vestiert haben; gleichzeitig wurden für beschäftigungs-
schaffende Maßnahmen 7,124Milliarden DM ausgegeben.

Damit das klar ist: Selbst wenn man die Kofinanzie-
rung der Länder dazuzählt, liegt – das ist richtig so – das
Volumen der finanziellen Mittel für Beschäftigungs-
maßnahmen deutlich unter dem für investive Maßnah-
men. Das gilt übrigens auch für das Land Mecklenburg-
Vorpommern. Dort lag die Höhe der Investitionen bei
3,1 Milliarden DM und die der Ausgaben für beschäf-
tigungssichernde Maßnahmen bei 1,1Milliarden DM; das
Verhältnis ist also ähnlich. Verwenden Sie also bitte keine
falschen Zahlen! In den neuen Bundesländern muss viel
investiert werden. Das tun wir. Wir bündeln die vorhan-
denen Mittel.

Wir beraten heute nicht nur den Antrag der CDU/CSU
und den Jahreswirtschaftsbericht 2001, sondern auch den
Rahmenplan der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
Dieser Rahmenplan ist eines der wichtigsten strukturpoli-
tischen Maßnahmenpakete, das uns zur Verfügung steht.
Vor allem in den neuen Bundesländern trägt das Maßnah-
menpaket der GA zu einer modernen und innovativen
Wirtschaftsstruktur ganz wesentlich bei. Trotz des konse-
quenten Konsolidierungskurses der Bundesregierung ste-
hen im Haushalt 2001 für diese GA Mittel in Höhe von
rund 2,3 Milliarden DM bereit. Hinzu kommen Verpflich-
tungsermächtigungen in Höhe von 1,8 Milliarden DM.
Nimmt man die Kofinanzierung hinzu, dann stehen ins-
gesamt 3,6 Milliarden DM zur Verfügung. Wir machen
also eine ganze Menge.

Gestern gab es die Mitteilung – das ist eine positive
Nachricht –, dass die GA-Förderung in den deutschen För-
dergebieten für kleine und mittlere Unternehmen von der
Europäischen Kommission genehmigt ist. Dies ist ein
wichtiger Erfolg. Die Förderregeln gelten bis zum Jahr
2003. Das ist eine klare Grundlage, auf der jetzt Förderan-
träge in diesen Gebieten bewilligt werden können. In der
jetzigen Situation ist das ein wichtiger Schritt nach vorn.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es
ist keine Frage, dass wir eine schwierige weltwirtschaftli-
che Situation mit komplizierten Rahmenbedingungen ha-
ben. Wir müssen daher entschlossen Kurs halten in Rich-
tung eines nachhaltigen Wachstums. Wenn der „Eco-
nomist“ in diesen Tagen schreibt: „But the German eco-
nomy is better tuned than it was“, dann ist das ein klares
Signal dafür, dass wir Fortschritte machen. Für manchen
geht es vielleicht nicht schnell genug voran. Aber eines ist
ganz klar: Dieser Kurs muss fortgesetzt werden. Dann
werden wir auch wieder ein nachhaltiges Wachstum be-
kommen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417405200
Für die
Fraktion von CDU/CSU spricht der Kollege Ernst
Hinsken.




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf

17099


(C)



(D)



(A)



(B)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1417405300
Werter Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich recht
erinnere, dann hat unser Bundeskanzler vor einigen Mo-
naten gesagt, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sei
Chefsache. Heute steht der Jahreswirtschaftsbericht auf
der Tagesordnung. Aber weder er noch seine zwei „Ab-
teilungsleiter“, nämlich der Bundesfinanzminister und
der Bundeswirtschaftsminister, sind anwesend. Ich frage:
Was ist das für ein Betrieb, wenn ein wichtiges Gespräch
angesetzt ist, aber die Chefetage fehlt?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS])


Ich muss schon auf diesen Umstand hinweisen.
Eichel war bisher immer „Hans im Glück“. Mit Stolz

haben er und Bundeskanzler Schröder auf das bisher
zu verzeichnende Wirtschaftswachstum verwiesen. Ver-
schwiegen haben aber beide, dass sie davon profitierten,
dass die Regierung Kohl bis 1998 Weichenstellungen und
Deregulierungen vorgenommen hat, die sich erst in den
letzten zwei Jahren ausgewirkt haben.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ach!)

Begünstigt wurde die Wirtschaft unseres Landes des

Weiteren durch die weltweite Aufwärtsentwicklung,
durch die Euro-Schwäche, durch die demographische
Entwicklung und durch die niedrigen Energiepreise, Frau
Kollegin Skarpelis-Sperk. Sie haben anscheinend verges-
sen, dass wir mit der Deregulierung des Energiemarktes
die jährlichen Kosten für die Energie um 15 bis 20 Milli-
arden DM gesenkt haben. Das ist eine Leistung von
CDU/CSU und F.D.P.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies war die Grundlage für eine einigermaßen gut lau-
fende Wirtschaft. Davon und nicht von Ihrer Wirtschafts-
politik haben Sie profitiert.

Es muss auch festgestellt werden, dass das Glück den
Bundesfinanzminister und den Bundeskanzler anschei-
nend verlassen hat. Die Wirtschaftswachstumserwar-
tungen liegen weit unter 2 Prozent. Die Inflationsrate lag
im Mai dieses Jahres bei 3,5 Prozent. Das bedeutet eine
Verfünffachung seit dem Regierungswechsel im Herbst
1998 und ist der höchste Preisanstieg seit 1993.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das freut euch, ja?)


– Herr Kollege Weiermann, wenn ich so denken würde
wie Sie, dann ja. Ich bin aber zutiefst betrübt darüber, dass
Sie nicht in der Lage sind, zu erkennen, was sich sozusa-
gen für eine Musik in negativer Hinsicht dahinter verbirgt.

Die Menschen merken, dass die Preise steigen, dass die
Zahl der Arbeitslosen nicht abnimmt und dass der Staat
immer mehr Steuern und Abgaben kassiert, aber immer
weniger leistet. Im Jahr 2001 werden wir nach allen Pro-
gnosen sogar die rote Laterne beim Wachstum in der EU
haben. Das zeigt, dass die deutsche Konjunkturschwäche
hausgemacht ist.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ach was!)


Schuld ist die verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeits-
marktpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die in ho-
hem Maße mitverantwortlich ist für das schwache Wachs-
tum und den stagnierenden Arbeitsmarkt.

Der Versuch von Kanzler Schröder, den Zorn der Bür-
ger wegen der hohen Benzinpreise auf die Mineralölkon-
zerne zu lenken, verfängt nicht.
Die Bürger wissen, Sie sind doch die großen Abzocker.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt schreiben Sie aber die Geschichte um!)


Bei 2,17 DM Benzinpreis sind Sie mit 1,48 DM Steuern
dabei, davon allein 21 Pfennig Ökosteuer. Das ist eine Po-
litik gegen den Mittelstand, das ist eine Politik gegen die
Wirtschaft, das ist eine Politik gegen den kleinen Mann,
für den wir einstehen und nicht Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Wie war es denn zu Ihrer Regierungszeit?)


Ablenken heißt hier die Devise. Mit seiner „Faulen-
zer“-Äußerung hat der Bundeskanzler eine zu nichts
führende Debatte angestoßen. Als Helmut Kohl einmal
vom „Freizeitpark Deutschland“ sprach, war die Hölle
los. Wie haben Sie damals protestiert! Und was sagen Sie
heute? Bei Ihnen dauert es halt etwas länger, bis Sie zu Er-
kenntnissen kommen, zu denen man kommen muss, um
eine weit reichende, zukunftsgestaltende Politik betreiben
zu können.

Was die Bürger bei uns in der Bundesrepublik brau-
chen, sind nicht Beruhigungspillen, sondern ist energi-
sches Handeln in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpo-
litik. Im Zeitalter der Globalisierung ist ein neues
Staatsverständnis erforderlich. Einmischungen des Staa-
tes und Bevormundungen der Bürger müssen zurückge-
drängt werden. Was wir brauchen, ist mehr Zutrauen in
die Mündigkeit der Bürger, mehr Freiheit und Selbstver-
antwortung und den Rückzug des Staates auf seine Kern-
kompetenzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Zum Beispiel muss die Staatsquote in Deutschland radi-
kal gesenkt werden. Kollege Schauerte, Kollege Uldall,
Kollege Rauen und auch Kollege Scherhag mahnen das
immer wieder nicht nur im Wirtschaftsausschuss an.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wo denn konkret?)


Die USA haben 30 Prozent Staatsquote – das sind fast
20 Prozent weniger als bei uns in der Bundesrepublik
Deutschland –, Spanien, Kanada, Japan und Großbritan-
nien liegen unter 40 Prozent Staatsquote. Genehmigun-
gen, Anmeldungen, Steuererklärungen, Ausschreibungen
per Internet müssen zum Standard werden. Es ist doch lei-
der wahr: Während bei uns eine Anlage geplant wird, steht
diese bei gleichem Start in Japan oder in den USAbereits,
noch ehe bei uns überhaupt eine Genehmigung erteilt
wird.


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Hinsken, Sie sollten auswandern!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Die entscheidende Frage ist aber: Was wird für die Zu-
kunft getan? Wo sind die Perspektiven sowohl für die Bin-
nen- als auch für die Exportwirtschaft? Was kann und
muss getan werden, um weiterhin weltwirtschaftlich be-
stehen zu können?

Mit großer Sorge beobachte ich, dass es in verschiede-
nen Schlüsselbereichen, insbesondere in großen Teilen
des Mittelstandes, verheerend aussieht. Matthias
Wissmann hat bereits darauf verwiesen.


(Susanne Kastner [SPD]: Wo ist denn der Michelbach heute?)


Ich möchte nur zwei Beispiel herausgreifen. Das erste
Beispiel ist die Bauwirtschaft. Vor fünf Jahren waren
hier noch 1,4 Millionen Beschäftigte zu verzeichnen, zur-
zeit sind es noch knapp 1 Million. Am Jahresende werden
es 50 000 weniger sein. Herr Poß, Sie haben vorhin ver-
sucht, ein heiles Bild von der Wirtschaft zu zeichnen, was
nicht stimmt. Ich bringe dieses Beispiel, damit auch Sie
mitbekommen, was im Lande draußen los ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Am Jahresende wird es in der Bauwirtschaft 50 000 Mit-
arbeiter weniger geben. Jeder vierte Betrieb muss Mitar-
beiter „ausstellen“. Die Zahl der Beschäftigten im Bau-
hauptgewerbe wird erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland unter 1 Million sinken.

Ein zweites Beispiel, die Automobilwirtschaft: Das
schlechte Jahr 2000 wird im Moment noch unterboten.
Aktuelle Zahlen liegen 5 Prozent unter denen des Vorjah-
res. In allen Geschäftsbereichen ist ein Minus zu ver-
zeichnen. Die PKW-Neuanmeldungen liegen in diesem
Jahr um 7 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Die
Automobilwirtschaft erwartet erneut einen Wegfall von
mehreren tausend Arbeitsplätzen, nachdem im letzten
Jahr 5 000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Ich bitte Sie, bei Kollegen Scherhag Nachhilfeunterricht
zu nehmen,


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das kommt überhaupt nicht infrage!)


wie es speziell in diesem Bereich um die Arbeitsplätze be-
stellt ist.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ernst, denk an VW!)


Arbeitsplätze können nur von der Wirtschaft, vor allem
vom Mittelstand, geschaffen werden. Es geht nicht so wie
bei einer Wasserleitung, die man auf- und zudrehen kann.
Deshalb meine ich: Sie haben in den letzten zwei Jahren
vor allem auf diesem Gebiet versagt. Sie haben Politik für
die Großwirtschaft gemacht und dabei die kleinen und
mittleren Betriebe total vergessen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Vertun Sie sich denn eigentlich nicht? Aus Ihrer Geschichte heraus?)


Was haben Sie sonst noch alles versprochen, um die so ge-
nannte Neue Mitte zu ködern? Was haben Sie gehalten?
Ernüchterung ist eingekehrt. Leider ist nichts von dem
übrig geblieben.

Früher war Deutschland Wachstumsmotor in Europa.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Zu Ihren Zeiten? Unter Kohl? Ich fange an zu lachen!)


Heute sind wir – das ist blamabel – Schlusslicht im Euro-
Raum. Bei einem Wachstum von weit unter 2 Prozent
sind keine neuen Stellen zu erwarten. Ihre arbeitsmarkt-
politische Bilanz wird sich nicht verbessern. Deutschland
braucht eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik, insbesondere für den Mittelstand. Hierzu
möchte ich abschließend feststellen:

Erstens. Die erst für das Jahr 2005 vorgesehenen Steuer-
erleichterungen für die Bürger und für den Mittelstand
müssen vorgezogen werden. Die Staats- und die Abgaben-
quote muss herunter.


(Glocke des Präsidenten)

Zweitens. Die starren Strukturen am Arbeitsmarkt

müssen beseitigt werden. Die von der Bundesregierung
geplanten Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes
dürfen nicht in Kraft treten.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Jetzt haben wir es! Das fehlte noch! Das habe ich erwartet!)


Drittens. Es muss sofort Schluss gemacht werden mit
weiteren Erhöhungen der Ökosteuer, bei der insbesondere
die Großkonzerne ausgenommen sind.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Ökosteuer auch noch!)


Viertens. Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen
müssen gefördert und die öffentlichen Investitionen müs-
sen gestärkt werden. Dringend erforderlich ist eine Infra-
strukturoffensive für den beschleunigten Ausbau der
Autobahnen und Straßen, der Schienenwege, der kommu-
nalen Infrastruktur sowie des Wohnungs- und Städtebaus.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417405400
Herr Kol-
lege Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1417405500
Herr Schulz, 980 Milli-
arden DM brauchen die Kommunen, um das erledigen zu
können, was sie an Infrastrukturaufbau erledigen müss-
ten. Leider ist hier das Verständnis nicht da,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist das Problem! – Susanne Kastner [SPD]: Ja, Herr Hinsken, das ist Ihr Problem!)


dass man zusammenstehen und Überlegungen anstellen
muss, wie man das Problem regeln kann.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417405600
Herr Kol-
lege Hinsken, jetzt ist es gut.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1417405700
Wir wollen für eine faire
Wirtschaftspolitik eintreten. Dafür stehen und kämpfen
wir!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Ernst Hinsken

17101


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417405800
Jetzt gebe ich
das Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Dr. Sigrid
Skarpelis-Sperk. Auch Ihnen gebe ich zwei Minuten länger.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1417405900
Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Nachdem die
Opposition vielfach die Globalisierung beschwört und
auch in dieser Sitzung zumindest in einigen Nebensätzen
beschworen, aber in ihren Schlussfolgerungen wieder
vergessen hat, muss ich sie doch an ein paar Fakten erin-
nern: Es ist unbestritten, dass die deutsche Wirtschaft
stark in die Weltwirtschaft eingebunden ist und allein im
vergangenen Jahr 1 167Milliarden DM Umsatz – das sind
immerhin 29,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – auf
den Weltmärkten erzielt hat. Diese Exportleistung macht
Deutschlands Wirtschaft nicht nur zum Vizeweltmeister
auf diesem Gebiet, sondern zeigt auch beeindruckend ihre
Leistungsfähigkeit in der globalisierten Wirtschaft, die
sich in den letzten Jahren, wenn man sich die Lohn-
stückkosten, die Produktivität und die Innovationsraten
ansieht, deutlich bestätigt hat.

Größter Absatzmarkt ist und bleibt die Europäische
Union. Zweitwichtigster ist mit einem Absatz von im-
merhin 130 Milliarden DM Nordamerika, das heißt die
NAFTA-Staaten. Von daher ist es nicht verwunderlich,
dass die Exporte einen wesentlichen Beitrag zum Anstieg
des deutschen Bruttoinlandsprodukts und natürlich auch
zur Sicherung unserer Arbeitsplätze leisten, die Export-
dynamik eine wichtige Rolle für die Konjunkturlage in
Europa insgesamt und eine entscheidende für die Kon-
junktur in Deutschland spielt. Aber – darauf haben ja alle
hingewiesen – es bläst uns in der Weltwirtschaft vor allen
Dingen aus den USA ein zunehmend kälterer Wind ent-
gegen.

Bereits Mitte des Jahres 2000 hat sich die weltwirt-
schaftliche Expansion deutlich verlangsamt und eine
Phase ungewöhnlich hoher wirtschaftlicher Dynamik
wurde beendet. Maßgeblich dafür war unzweifelhaft der
Anstieg der Ölpreise und die lange Zeit bewusst und deut-
lich bremsende Geldpolitik der Zentralbanken der großen
Industrienationen. Besonders stark kühlte die Konjunktur
in den USA ab. Hier kam die Ausweitung der gesamt-
wirtschaftlichen Produktion gegen Ende des Jahres na-
hezu zum Stillstand. Die Ausrüstungsinvestitionen gingen
zuletzt sogar zurück, besonders im Bereich der Informa-
tions- und Kommunikationstechnologien. Das wiederum
hatte massive Einbrüche an den US-Börsen zur Folge und
damit dämpfende Auswirkungen auf den hohen Binnen-
konsum in den USA.

Aber mit dieser deutlich schwächeren Expansion der
US-Wirtschaft fällt und fiel eine maßgebliche Lokomo-
tive der weltwirtschaftlichen Dynamik aus. Deutlich
spürbar ist das in den Schwellenländern Asiens, vor al-
lem bei den Hightechgütern. Auch bei uns im Euro-
Raum ging das Expansionstempo deutlich zurück. Die
Gründe dafür sind die gleichen wie die bereits für die
Weltwirtschaft genannten: der Anstieg der Ölpreise und
die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentral-
bank.

Herr Kollege Hinsken, was die Mineralölpreise und
insbesondere die Mineralölsteuer angeht, scheint die Op-
position genau wie Sie an kollektiver Amnesie zu leiden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Was heißt das?)


Darf ich Sie deswegen daran erinnern, dass in der Amts-
zeit des Bundesfinanzministers Dr. Theodor Waigel die
Mineralölsteuer um immerhin 50 Pfennig erhöht wurde,


(Susanne Kastner [SPD]: Wo ist er denn?)

nur, damit Sie sich das noch einmal vor Augen halten und
überlegen, welche Konsequenzen das damals hatte, damit
Ihre Krokodilstränen etwas ehrlicher wirken.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Wenn die Tasse schon voll ist, soll man nichts mehr reinschütten, sonst läuft es über!)


Hinzu kommt der Anstieg der Nahrungsmittelpreise
durch die BSE-Krise und durch die Maul- und Klauen-
seuche. Die Bundesregierung hat den Rindfleischmarkt
bewusst gestützt, hat bewusst darauf geachtet, dass es
durch die Maul- und Klauenseuche nicht zu einem massi-
ven Einbruch kam.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das hat den Bauern überhaupt nicht geholfen! Gehen Sie mal zu den Bauern! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wo haben Sie denn gestützt?)


Jetzt sagen Sie, dadurch hätten sich die Preise erhöht.

(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Rindfleischpreise haben Sie niedrig gehalten!)


Hätten wir denn die Preise in diesem Bereich total abstür-
zen lassen sollen? – Ich finde Ihre Worte unangemessen.
Sie müssen doch deutlich sagen, dass die Nahrungsmittel-
preise nicht zuletzt aus diesen Gründen angestiegen sind.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die falsche Politik führt dazu!)


Die deutsche Wirtschaft hat sich in dieser schwieri-
gen Lage zunächst exzellent gehalten. Die Ausfuhren sind
bis zu Beginn dieses Jahres kräftig gestiegen und sie stei-
gen in einzelnen Bereichen weiter, worauf der Kollege
Mosdorf hingewiesen hat.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann brach sie ein! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/ CSU]: SPD heißt Inflation!)


Aber die nachlassende Dynamik in den USAund weltweit
musste sich auf die Konjunkturlage in der Europäischen
Union und besonders auf die deutsche Exportwirtschaft
auswirken. Damit ist doch klar, warum das wirtschaftliche
Wachstum in der gesamten Euro-Zone signifikant abge-
nommen hat. Eines will ich Ihnen sagen: Ohne die massi-
ven Steuererleichterungen in Europa, bei denen diese
Bundesregierung die Führung übernommen hatte, sähe
die Konjunktur in Europa deutlich schlechter aus. Darin
müssten wir uns alle einig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das haben wir schon am Mittwoch gesagt! Die begreifen es trotzdem nicht!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Wie es weitergeht, wird stark von der weiteren Kon-
junkturentwicklung in den USAund deren Ausstrahlung
in den asiatischen und europäischen Wirtschaftsraum ab-
hängen. Dabei sind für die nähere Zukunft zwei
Entwicklungspfade denkbar, auf die wir nur begrenzten
Einfluss haben.

Durch die erste Option – das wäre die beste – könnte es
zu einer Wachstumsbeschleunigung im Frühsommer
kommen. Dazu hat der Kollege Mosdorf bereits ange-
führt, dass einiges auch von unserer Seite unternommen
worden ist, um das zu stützen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wird besseres Wetter bestellt oder was?)


Dies setzt eine Erholung des Wirtschaftswachstums in
den USA voraus. Zinssenkungen um insgesamt 250 Ba-
sispunkte und das Steuersenkungsprogramm lassen da-
rauf hoffen. Außerdem sind für die Erholung des
Wirtschaftswachstums die Stabilisierung der Wirtschafts-
lage in Japan, das Anhalten des moderaten Wirtschafts-
wachstums in Asien und Lateinamerika und vor allem die
Stabilisierung der Erdölpreise auf dem Niveau von
25 Dollar je Barrel notwendig,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr wollt 5 DM!)


darüber hinaus merkliche Zinssenkungen auch im euro-
päischen Raum.

Der zweite Entwicklungspfad wäre nicht so günstig;
dazu würde es kommen, wenn die konjunkturelle Wende
in den USA nicht eintritt. In einer stark beachteten Rede
vor einer Woche hat der Chairman des US Federal Re-
serve Bord geschätzt, dass die konjunkturelle Abkühlung
in den USA ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Alan
Greenspan hat wörtlich gesagt: Wir sind nicht vor dem Ri-
siko gefeit, dass die wirtschaftliche Schwäche größer sein
wird als gegenwärtig erwartet und eine weitere geldpoli-
tische Antwort notwendig macht.

Die aktuellen Daten, die in den letzten Tagen aus den
USA bekannt geworden sind, können uns nicht optimisti-
scher stimmen. Eine solche Entwicklung in Nordamerika
und Japan hätte auch negative Auswirkungen auf die
asiatischen, südamerikanischen und osteuropäischen
Drittmärkte. Wenn also diese weltwirtschaftlichen Ent-
wicklungen anhalten, wird sich die Gefahr einer weltwei-
ten, gleich gerichteten Abschwächung weiter erhöhen.
Europa und besonders Deutschland werden sich dem nur
schwer entziehen können.

Auf welchem dieser zwei Wachstums- und Entwick-
lungspfade, Abschwächung oder Erholung, sich die Welt-
wirtschaft in diesem Sommer bewegen wird, hängt stark
von der Konjunkturentwicklung in den USA, ihrer Aus-
strahlung auf die Weltwirtschaft und den grundsätzlichen
wirtschafts-, finanz- und geldpolitischen Entscheidungen
der wichtigsten Industrienationen der Welt ab.

Nun haben wir ein Problem, über das wir hier offen
miteinander reden müssen. Besonders wichtig werden die
Entscheidungen der geldpolitischen Instanzen innerhalb
der G-7-Länder werden. Das große Problem dabei ist,
dass sich die zwei Hauptakteure, die US-Notenbank und

die Europäische Zentralbank, nach stark unterschiedli-
chen Handlungsphilosophien ausrichten.

Die US-Notenbank ist prinzipiell wachstumsorientiert
und gegenüber ihrer Wirtschaft deutlich optimistisch. Als
zum Beispiel zu Beginn der 90er-Jahre das Wachstums-
potenzial der USA alles andere als rosig aussah, ging sie
dennoch auf einen stark expansiven Kurs. In der Folge hat
es den stärksten Boom seit dem Zweiten Weltkrieg gege-
ben, ohne dass eine wirklich starke Inflation entstanden
wäre. Auch jetzt, da sich die Konjunkturaussichten für die
USA stark verdüstert haben, reagierte die US-Notenbank
mit entschlossener, expansiver Geldpolitik.

Demgegenüber hat die Europäische Zentralbank eine
prinzipiell pessimistischere Einstellung gegenüber dem
Wachstumspotenzial der europäischen Wirtschaft. Sie
meint, weil die europäische Wirtschaft in den letzten
15 Jahren – unter anderem in Ihrer Regierungszeit – so
schwach expandiert hat, müsse das unter allen Umständen
auch künftig so sein.

Wir meinen, die Gründe dafür sind nicht mehr vorhan-
den. Wir haben eine rasche Verbreitung neuer Technolo-
gien. Wir haben ein zügiges Produktivitätswachstum. Wir
haben hohe verfügbare Erwerbspotenziale. Damit wäre
auch bei hoher Preisstabilität ein höheres Wachstum in
Europa prinzipiell möglich. Das heißt also: Die EZB
sollte und könnte sich mehr bewegen.


(Beifall des Abg. Dr. Norbert Wieczorek [SPD])


Dies erfordert – jetzt komme ich zum Schluss – eine
verstärkte Koordination aller weltwirtschaftlich wichti-
gen Akteure der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik,
um dieser Abschwächung entgegenzuwirken:

Dafür müssen erstens auch wir in Europa unsere Haus-
aufgaben machen, besser als bisher unsere Wirtschafts-
und Finanzpolitik koordinieren und dabei die berechtig-
ten Interessen unserer Nachbarn im Osten im Auge be-
halten.

Zweitens. Die Europäische Zentralbank und die US-
Notenbank müssen ihre gemeinsame Verantwortung für
die Konjunktur in ihren Wirtschaftsregionen annehmen
und dürfen dabei nicht vergessen, dass ihre Entscheidun-
gen bedeutende Auswirkungen auf andere Wirtschafts-
räume, auch auf die Entwicklungsländer, haben.

Drittens. Wir müssen auf dem Weltwirtschaftsgipfel in
Genua gemeinsam Konsequenzen aus den dann absehba-
ren Entwicklungen der Weltwirtschaft ziehen.

Eines sage ich Ihnen auch: Sie können reden, was Sie
wollen, aber die Weltwirtschaft kann niemand allein ku-
rieren. Wir alle, vor allem aber die großen Industrielän-
der – die USA, Europa und Japan –, tragen gemeinsam
dafür Verantwortung. Wir dürfen uns dieser Verantwor-
tung nicht entziehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417406000
Ich gebe
dem Kollegen Ulrich Klinkert, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.




Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

17103


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulrich Klinkert (CDU):
Rede ID: ID1417406100
Herr Präsident! Meine
Herren und Damen! Meine Vorredner sind im Wesentli-
chen auf die katastrophale wirtschaftliche Situation ein-
gegangen, in die die Bundesrepublik Deutschland seit
1998 geschlittert ist. Selbst bei der Rede von Herrn Schulz
fehlte der bei ihm sonst übliche Biss. Herr Schulz, Sie ha-
ben schon optimistischer und überzeugter als heute ge-
klungen, als Sie über die wirtschaftliche Lage Deutsch-
lands gesprochen haben.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ich Sie vor mir gehabt hätte, Herr Klinkert!)


Mein Schwerpunkt ist die wirtschaftliche Situation in
den neuen Bundesländern. Damit im Zusammenhang
steht der Dreißigste Rahmenplan der Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
eines der wesentlichsten Finanzierungsinstrumente des
Aufschwungs Ost.

Die wichtigste Aussage des Dreißigsten Rahmenplans
ist, dass für die Chefsache Aufbau Ost der Bundesspar-
kommissar Eichel jährlich Hunderte Millionen Mark we-
niger ausgeben wird.

Herr Mosdorf, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht auf die
Bedeutung der Gemeinschaftsaufgabe hingewiesen. Aber
Sie hätten der Öffentlichkeit auch erklären sollen, warum
die Bundesregierung die Mittel für die Gemeinschafts-
aufgabe von 3 Milliarden DM im Jahre 1998 auf 1,7 Mil-
liarden DM im Jahre 2004 kürzt. Das ist eine Kürzung von
43 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei nimmt die wirtschaftliche und soziale Situation in
den neuen Bundesländern immer dramatischere Ausmaße
an, wie in der Zwischenzeit auch einige SPD-Politiker er-
kannt haben. Also wäre eher eine Aufstockung der Mittel
für die GA notwendig gewesen.

Lassen Sie mich einige Zahlen nennen – ich habe sie
dem Thierse-Papier entnommen –: Seit 1998 ist die Be-
schäftigung um 200 000 Menschen zurückgegangen. Es
gibt 10 Prozent mehr Langzeitarbeitslose, 15 Prozent
mehr jugendliche Arbeitslose und es ist eine deutliche
Abwanderung aus den neuen Bundesländern zu ver-
zeichnen. Das Dramatischste ist: Die Arbeitslosigkeit
Ost ist bisher vom 1,8-fachen des Jahres 1998 auf das
2,5-fache der westdeutschen Arbeitslosigkeit angestie-
gen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


So ist es für die neuen Bundesländer überhaupt kein
Trost, sondern eher besorgniserregend, dass die rot-grüne
Politik es in der Zwischenzeit geschafft hat, auch die
Konjunktur im Westen abzuwürgen. Selbst ein Wirt-
schaftswachstum von 2 Prozent, das ja schon nach unten
korrigiert worden ist, hat sich in der Zwischenzeit ge-
nauso als Illusion erwiesen wie die nach oben korrigierte
Prognose von 3,5 Millionen Arbeitslosen deutschland-
weit. Das wirtschaftliche Zugpferd Bundesrepublik
Deutschland, das wir einmal in der Europäischen Union

waren, ist zum lahmen Gaul geworden, der der Entwick-
lung hinterhertrabt und die rote Laterne trägt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter diesen Rahmenbedingungen ist es für die Wirt-

schaft der neuen Bundesländer natürlich besonders
schwer, Fuß zu fassen. In meinem Wahlkreis herrscht eine
Arbeitslosigkeit von 25 Prozent. Der Arbeitsamtbezirk
Bautzen verzeichnet bei insgesamt 2 000 freien Stellen
70 000Arbeitslose. Dies sind 10 000Arbeitslose mehr als
1998.

Was sagt der Bundeskanzler dazu? Er sagt den
70 000 Arbeitslosen, dass sie kein Recht auf Faulheit hät-
ten. Man hat den Eindruck, der Bundeskanzler möchte
diese Menschen auch noch verhöhnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das ist nicht nur ein Eindruck! Das ist so!)


Umgekehrt sollte man dem Bundeskanzler sagen, dass er
kein Recht auf Faulheit hat. Dies ist ein Eindruck, der sich
aufdrängt, wenn man seine Wahlkampfversprechen mit
dem vergleicht, was er in der Zwischenzeit erreicht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der Faulste dieser Republik ist der Bundeskanzler!)


Stattdessen unternimmt diese Regierung alles, um die
zarte Pflanze der wirtschaftlichen Entwicklung und ins-
besondere die des Mittelstandes zu zertrampeln. Die Zahl
der Firmenpleiten in den neuen Bundesländern ist in der
Zwischenzeit fast so hoch wie die Zahl der Neugründun-
gen. In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-An-
halt ist die Zahl der Firmenpleiten in der Zwischenzeit
höher als die Zahl der Firmengründungen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

In einer Anzeige einer Handwerksinnung in einer Ber-

liner Zeitung habe ich gelesen:
Die Bundesregierung betreibt ... eine beispiellose
Anti-Handwerkspolitik! – Rücknahme der gekürzten
Lohnfortzahlungen – Ökosteuer – steuerliche Be-
nachteiligung von Personengesellschaften – Ein-
schränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen –
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit – mittelstands-
feindliches Betriebsverfassungsgesetz ...

(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Quelle ist eine Presseerklärung der F.D.P.-Fraktion!)

– Dies ist eine Anzeige einer Handwerksinnung, Herr
Kollege Hirche. – Diese Anzeige schließt folgerichtig:

Schluss mit dem „Bündnis-für-Arbeit-Gerede“, so-
lange immer neue Gesetze dem Handwerk die wirt-
schaftliche Existenzgrundlage entziehen!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Schulz, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie

das Auseinandergehen der Ost-West-Schere ausschließ-
lich auf das Zurückfahren einer angeblich überhitzten
Baukonjunktur zurückführen. Ich halte es sogar für ma-






(C)



(D)



(A)



(B)


kaber, wenn Sie und große Teile der SPD das Ankurbeln
der Bauwirtschaft zu Beginn der 90er-Jahre als einen Feh-
ler hinstellen. Hunderttausende Arbeitsplätze sind ent-
standen. Infrastrukturelle und bauliche Voraussetzungen
für den Aufschwung Ost und schließlich lebens- und lie-
benswerte Städte und Dörfer sind geschaffen worden.
Wenn man schon feststellt, dass die Baukonjunktur
zurückgeht, dann kann man sich nicht wie Herr
Schwanitz – er hat nur noch seine Akten hier gelassen und
hat offensichtlich anderes zu tun – zurücklehnen und war-
ten, dass die Wirtschaft endlich von allein anspringt.

Die Wirtschaft wird schon deswegen nicht von allein
anspringen, weil dringend benötigte Mittel von der Bun-
desregierung gekürzt worden sind. Es kam zu drastischen
Reduzierungen zum Beispiel im Bundesfernstraßenbau,
wo die rot-grüne Bundesregierung für den Zeitraum 1999
bis 2002 2 Milliarden DM weniger zur Verfügung stellt
als von der alten Bundesregierung geplant. Es kam im
Weiteren zu Kürzungen im Schienenbau, im sozialen
Wohnungsbau, bei der Braunkohlesanierung usw.

Und was macht der Herr Staatsminister im Bundes-
kanzleramt Schwanitz?


(Zurufe von der CDU/CSU: Schwanewitz!)

Er verteidigt tapfer alle Kürzungen zulasten der neuen

Bundesländer als notwendige Korrekturen und hat offen-
sichtlich ansonsten alle Hände voll zu tun, die nächste
Sommer-Sonnen-PR-Tour des Bundeskanzlers durch die
neuen Bundesländer vorzubereiten.


(Detlef von Larcher [SPD]: Er kommt aber gut an im Osten! Das ärgert euch!)


Aber er sollte dem Bundeskanzler sagen, dass sich die
Menschen nicht länger blenden lassen werden. Es wird
die Bundesregierung und den Bundeskanzler vielleicht
wundern, aber viele Menschen in den neuen Bundeslän-
dern haben diesen Kanzler einmal ernst genommen, als er
gesagt hat, an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wolle
er sich messen lassen.

Inzwischen macht sich ja Unmut auch bei einigen
SPD-Kollegen aus den neuen Bundesländern breit, wie
man in der Presse lesen kann. Herr Thierse spricht vom
Kippen der neuen Bundesländer, andere davon, dass die
Chefsache Ost nicht zur Nebensache Ost werden dürfe.

Sie haben völlig Recht, aber Sie dürfen die Öffentlich-
keit nicht vergessen machen, dass Sie all die Kürzungen, all
die Nachteile, die die Bundesregierung vorgesehen hatte,
durch Ihr Verhalten im Parlament mit abgesegnet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es gibt dennoch Chancen

und Alternativen, wir haben sie oft genug vorgestellt und
auch in unserem Antrag formuliert.


(Detlev von Larcher [SPD]: Schulden machen! Das kennen wir!)


Wir sollten das Infrastrukturprogramm ankurbeln, den
Straßen- und Schienenbau voranbringen, damit die Bau-
krise entschärfen, Investitionsvoraussetzungen schaffen.
Ich kann mir vorstellen, dass 10000 bis 20000 Arbeits-
plätze in der Altlastensanierung geschaffen werden können.

Mit dem Exportförderprogramm können wir die Konjunk-
tur ankurbeln und die Chance der Osterweiterung nutzen.

Allerdings befürchte ich – das möchte ich zum Schluss
in aller Eindeutigkeit sagen –, dass dies alles mit der SPD
und den Grünen nicht zu machen ist. Aber die Menschen
im Land wissen das inzwischen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das glauben Sie doch alles selber nicht, was Sie erzählen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417406200
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen
Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1417406300
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Verlangsamung der
weltwirtschaftlichen Expansion strahlt auch auf die Kon-
junktur in Deutschland aus.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Verlangsamung in Deutschland strahlt aus! Das ist der Punkt!)


Das ist unvermeidlich und wir nehmen das auch ernst.
Aber dass ein Land, das außenwirtschaftlich so stark ver-
flochten und im Export so erfolgreich ist wie Deutsch-
land, stärker von außenwirtschaftlichen Entwicklungen
betroffen ist als andere,


(Walter Hirche [F.D.P.]: Weil zu Hause alles falsch gemacht worden ist!)


ist eine normale Folge, die man einfach zur Kenntnis neh-
men muss. Das heißt aber nicht, dass wir diese Entwicklung
nicht ernst nehmen. Aber jetzt Hektik zu fordern, Stroh-
feuer entfachen zu wollen, das wäre die falsche Antwort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgegeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber ihr tut
doch gar nichts!)

Herr Kollege Brüderle, es hat mich nicht gewundert,
dass wie bei jeder wirtschaftspolitischen Debatte, in der
Sie sich geäußert haben, auch diesmal wieder bei Ihnen
das Wort „Öko“ ganz oft vorkam: Öko, Öko, Öko. Sie
sind sozusagen der „Öko-Nom“ der F.D.P. Aber man kann
die Ökonomie nicht ausschließlich auf das Wort „Öko“ re-
duzieren. Ich war ja schon erleichtert, dass Sie auch noch
über Flaschenpfand gesprochen haben.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Dosenpfand! Da müssen Sie zuhören!)


Das reicht auch nicht aus. Als eine wohltuende Entwick-
lung in der F.D.P., Herr Kollege Brüderle, empfinde ich,
dass es offenbar bei Ihnen inzwischen die Erkenntnis
gibt:


(Detlev von Larcher [SPD]: Nein, das kann nicht sein! Das ist ausgeschlossen bei Brüderle!)


Für wirtschaftliche Entwicklungen trägt auch die Politik
eine Mitverantwortung.




Ulrich Klinkert

17105


(C)



(D)



(A)



(B)


Als Sie den Bundeswirtschaftsminister gestellt haben,
hörte sich das ganz anders an. Der damalige Bundeswirt-
schaftsminister Rexrodt hat doch laut erklärt: Wirtschaft
findet in der Wirtschaft statt. Das hat er nicht nur abends
in der Wirtschaft gesagt, das hat er auch noch am Vormit-
tag im Bundestag erklärt.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Er hat die Liberalisierung durchgesetzt!)


Insofern finde ich, Herr Kollege Brüderle, dass Ihr Enga-
gement mit den vier Punkten, die Sie jetzt verlangen, ein
Fortschritt ist. Wenn man all diese Punkte allerdings kon-
kret betrachtet, merkt man leider, dass sie nicht anwend-
bar sind.

Ich fange einmal mit dem ersten Punkt an. Sie sagen:
Karl Schiller – der hat das gut gemacht, der war ein guter
Mann –


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Aber Friedrich Schiller war besser!)


hat damals mit der Mehrheit des Bundestages die Mög-
lichkeit in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hi-
neingeschrieben, dass der Bund bei einer Störung des ge-
samtwirtschaftlichen Gleichgewichts – das unterstellen
Sie jetzt offenbar – auch auf dem Verordnungswege Steu-
ern senken könne.


(Joachim Poß [SPD]: Bei 2 Prozent Wachstum Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts?)


Wir haben rund 2 Prozent Wachstum.

(Walter Hirche [F.D.P.]: 1,6 Prozent im ersten Quartal!)

–Auch wenn es 1,6 Prozent oder 1,5 Prozent sind: Das ist,
wie ich finde, immer noch ein bemerkenswertes Wachs-
tum. – In Anbetracht dessen und auch in Anbetracht der
jetzigen Inflationsrate sowie unserer Situation in der
Außenwirtschaft von einer Störung des gesamtwirtschaft-
lichen Gleichgewichts zu reden ist sehr originell.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt aber einen anderen Hintergrund. Als Karl
Schiller 1967 diese Regelung im Stabilitäts- und Wachs-
tumsgesetz untergebracht hat,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und FranzJosef Strauß!)


da hatte die Bundesrepublik eine mäßige Verschuldung.
Wir haben dank der Politik von 16 Jahren F.D.P.-
CDU/CSU-Regierung eine Verschuldung, die den Spiel-
raum zur Konjunkturpolitik nach klassischem Muster
nahezu auf null reduziert hat. Das muss man leider fest-
stellen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist doch falsch! – Walter Hirche [F.D.P.]: Ohne die 1 000 Milliarden für die deutsche Einheit wäre die Situation heute ganz anders!)


Sie kommen immer wieder mit Ihrer Legende – die Ih-
nen inzwischen aber niemand mehr glaubt –, es habe keine

Alternative zur Finanzierung der Einheit ausschließlich
durch Schulden gegeben. Sie haben ausschließlich Schul-
den gemacht. Jetzt wollen Sie uns einreden, es sei wieder
die richtige Politik, ausschließlich Schulden zu machen.
Sie sagen so mir nichts, dir nichts: Wir senken eben die
Steuern, und zwar egal wie; Hauptsache, es passiert ir-
gendwas. Welche Wirkungen das hat, interessiert Sie of-
fenbar überhaupt nicht.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist dummes Zeug!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417406400
Herr Kol-
lege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Schauerte?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1417406500
Aber gerne.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1417406600
Herr Kollege
Spiller, ich meine, wir sollten bei der Wortwahl vorsich-
tig sein. Sie haben gerade gesagt, dass wir die deutsche
Einheit ausschließlich über Schulden finanziert hätten.
Sie wissen doch, dass wir den Solidaritätszuschlag einge-
führt haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und abgeschafft haben und wieder eingeführt haben!)


Das war zumindest ein Teil, der über Steuern finanziert
wurde. Sie wissen, dass wir eine Menge Probleme über
Beiträge mit abgefangen haben. Außerdem haben wir die
Einheit über eine stärkere Verschuldung finanziert. Das
waren drei Finanzierungsquellen. Wie können Sie da sa-
gen, wir hätten die deutsche Einheit ausschließlich über
Schulden finanziert?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1417406700
Ich habe mich an dem ori-
entiert, was der damalige Bundesfinanzminister Waigel
vorgelegt hat. Er hat Zahlen über Transferleistungen ver-
öffentlicht – auch wenn diese im Zweifelsfall strittig wa-
ren. Dabei hat er auch die Renovierung von Kasernen in
Ostdeutschland als Transferleistung bezeichnet; das ist
originell. Es wurde jedenfalls einfach addiert: Was ist von
West nach Ost geflossen?


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: In der Elbe!)


Dabei kam er auf eine Größenordnung von 1,1 Billio-
nen DM.


(Joachim Poß [SPD]: Damit wurde die Schuldenhöhe begründet!)


In dem Zeitraum, in dem Helmut Kohl als Bundes-
kanzler unser Land regiert hat, sind die Schulden des
Bundes von 350 Milliarden DM auf 1 450 Milliarden DM
gestiegen. Das sind exakt 1,1 Billionen DM.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Warum habt ihr Schulden gemacht? Gab es eine deutsche Einheit? So eine verlogene Politik!)


Ich sehe hier einen Zusammenhang.

(Beifall bei der SPD)





Jörg-Otto Spiller
17106


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Kollege Wissmann hat erfreulicherweise etwas zu
Steuern erzählt. Mir hat es gefallen, dass Herr Wissmann
ein Bekenntnis dazu abgelegt hat, dass unsere Steuerre-
form bzw. die Körperschaftsteuerreform, gerade was die
Behandlung von Kapitalgesellschaften angeht, genau
richtig war.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Wörtlich!)


– Herr Wissmann hat gesagt: Das, was bei der Körper-
schaftsteuer gemacht wurde, war richtig. Das hat er ge-
sagt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Aber sicher.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Nein, das hat er nicht! Er hat gesagt: Das ganze System ist Mist!)


– Nein, das hat er nicht gesagt. Er sprach von der sicher-
lich richtigen Reform der Körperschaftsteuer. Wir können
es ja nachlesen. Er hat deswegen offenbar mit Herrn Merz
ein paar Schwierigkeiten bekommen.

Aber es ist ohnehin ein Problem, Herr Uldall: Die Union
ist eine interessante Ansammlung von klugen Köpfen,


(Joachim Poß [SPD]: Was? Das bestreite ich aber entschieden!)


die gelegentlich Seminare veranstalten. Dort erzählt jeder,
was er will. Dadurch gibt es einen bunten Strauß von For-
derungen, wie Steuerpolitik zu machen ist.

Ich nenne ein Beispiel. Heute sagte Herr Wissmann:
Wir machen eine Steuervereinfachung nach dem Muster
von Paul Kirchhof.


(Joachim Poß [SPD]: Kirchhof, Uldall, Merz!)

Am selben Tag, an dem das im Finanzausschuss von Ihren
Kollegen der CDU/CSU gesagt worden ist, hat die Fraktion
einen Antrag eingebracht – wir haben ihn neulich disku-
tiert –, der eine Fülle von Detailregelungen enthält, die im
krassen Widerspruch zu dem stehen, was Kirchhof fordert.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das, was die Bundesregierung und die sie tragende Ko-
alition machen, ist etwas ganz anderes. Wir gehen weg
von hektischer Politik.


(Lachen des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU])

Wir machen eine geradlinige Strukturreform, die von Ih-
nen seit langem versäumt worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Halbwertszeit Ihrer Reform dauert gerade einen Monat!)


Das hat der Sachverständigenrat zu Recht festgestellt.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben dies be-
stätigt. Der Reformstau ist aufgehoben. Wir haben eine
konsequente Steuerreform gemacht, die übrigens auch
dem Mittelstand sehr zugute kommt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ärgert die!)


Wir haben bewirkt, dass die Kaufkraft in der Bevölke-
rung wieder zugenommen hat. Wir haben seit langem zum
ersten Mal – das haben übrigens die wirtschaftswissen-
schaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgut-
achten noch einmal unterstrichen – die Situation, dass die
Nettolöhne und -gehälter stärker als die Bruttolöhne und
-gehälter steigen. Das haben wir in der ganzen Zeit, als Sie
regiert haben, nie erlebt. Das war überfällig.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417406800
Herr Kol-
lege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Barthle?


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1417406900
Gerne.


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1417407000
Herr Kollege Spiller,
Sie haben soeben aus der Sitzung des Finanzausschusses
berichtet. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Anträge
darauf gerichtet sind, die Mängel in dem bestehenden
Steuersystem zu beseitigen, sich also auf das Steuersys-
tem, das Sie gemacht haben, beziehen?

Wenn wir uns an anderer Stelle zu den Vorschlägen von
Professor Kirchhof äußern, dann geht es darum, ein
grundsätzlich anderes Steuersystem einzuführen. Deshalb
ist es Unfug, dies beides miteinander zu vergleichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1417407100
Ich entnehme Ihren Worten,
dass bei Ihnen das Prinzip gilt: Man muss am Vormittag
nicht dasselbe machen wie am Nachmittag.


(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen ist es so: Das, was Sie vorgeschlagen ha-

ben, war eine zusätzliche Verkomplizierung des Einkom-
mensteuerrechtes gegenüber dem herrschenden Zustand.
Ich sage Ihnen noch einmal, was wir gemacht haben. Wir
haben beim Einkommensteuerrecht etwas ganz Wichtiges
gemacht, nämlich die Tarife gesenkt. Als Sie regiert ha-
ben, lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer
bei 53 Prozent. Heute ist er bei 48,5 Prozent. Im
Jahre 2005 wird er bei 42 Prozent liegen.

Was die Mittelständler besonders interessiert: Wir ha-
ben die Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Ein-
kommensteuerschuld ermöglicht, sodass die Gewerbe-
steuer faktisch keine Belastung mehr ist. Deswegen rate
ich Ihnen davon ab, in Bezug auf den Mittelstand immer
Zeter und Mordio zu schreien; das kommt bei den Mittel-
ständlern nämlich gar nicht mehr an. Wir hören viel Zu-
stimmung.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich sage zum Abschluss noch etwas, was jenseits
der von Ihnen geäußerten Kritik für uns wichtig ist: Wir
brauchen eine Politik der ruhigen Hand, auch in Ost-
deutschland. In Ostdeutschland gibt es unterschiedliche




Jörg-Otto Spiller

17107


(C)



(D)



(A)



(B)


Entwicklungen. Der Rückgang der Baunachfrage ist eine
starke Belastung; das wissen alle. Aber keiner von Ihnen
wird doch wohl behaupten wollen, man könne unabhän-
gig von Kosten und dem tatsächlich Machbaren einfach
sagen: Beton, Beton, Beton.

Wichtiger ist die Stärkung der Innovations- und Wett-
bewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft. Gerade im
verarbeitenden Gewerbe ist viel erreicht worden; in die-
sem Bereich nimmt die Beschäftigung auch zu.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber doch nicht durch Ihre Politik!)


Wir brauchen den Mut zur Konsequenz, so wie wir ihn in
den vergangenen zwei Jahren hatten, und setzen unsere
geradlinige Politik fort. Man wird auch annehmen dürfen,
dass sozusagen die eingebauten Stabilisatoren in der Kon-
junkturentwicklung wirken; das heißt, wir machen keine
Konjunkturspritzen, nehmen aber hin, dass wegen einer Ab-
schwächung der Konjunktur der eine oder andere Posten im
Haushalt vielleicht wieder etwas größer werden muss.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417407200
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/5600 und 14/6161 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf:
ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der

SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Familienförderung
– Drucksache 14/6160 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz
Haushaltsausschuss

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Rosel Neuhäuser, Monika Balt, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Gerechte Chancen am Start – Kinderarmut
bekämpfen
– Drucksache 14/6173 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich erteile zunächst für die SPD-Fraktion der Kollegin
Nicolette Kressl das Wort.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417407300
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Dass Kinder in Familien mit gesi-
cherten wirtschaftlichen Verhältnissen aufwachsen kön-
nen, wollen wir – davon gehe ich aus – alle. Wir sind aber
der Überzeugung, dass Mütter und Väter Rahmenbedin-
gungen vorfinden müssen, die es ihnen ermöglichen, ihre
ganz persönlichen Lebensplanungen in die Familie mit
einzubringen und ihre ganz persönliche Lebensplanung
zu verwirklichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie wissen, dass sich die Lebensplanungen junger Men-
schen nicht mehr genauso gestalten, wie das vor 20 Jahren
der Fall war. Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Familienförderung, den wir hier einbringen, machen wir
deutlich, dass wir diese politische Aufgabe nicht nur ernst
nehmen, sondern auch die entsprechenden gesetzlichen
Grundlagen dafür schaffen.

Mit der von uns vorgeschlagenen Kindergelderhöhung
um 30 DM auf 300 DM für das erste und zweite Kind ver-
bessern wir die wirtschaftliche Situation von Familien
nochmals – ich sage: nochmals – im Umfang von 5 Milli-
arden DM jährlich.


(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet allein in dieser Legislaturperiode eine Er-
höhung um 80 DM je Kind und Monat.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Für das erste und zweite Kind, für die anderen nicht!)


Damit hat diese Regierung in nur drei Jahren die familien-
politischen Leistungen – im Zusammenhang mit Steuer-
erleichterungen – um insgesamt 24Milliarden DM erhöht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie hat das keineswegs, wie manchmal behauptet wird
– das ist ein ganz wichtiger Punkt –, nur aufgrund von
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts getan.
Ich erinnere daran: Die Erhöhung des Kindergeldes von
220 auf 250 DM war ausschließlich eine politische Ent-
scheidung dieser Koalition.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich weise zudem darauf hin, dass wir mit der Kinder-

gelderhöhung und mit dem neuen Freibetrag für Betreu-
ung, Erziehung und Ausbildung die Betreuungs- und
Erziehungsleistungen von Männern und Frauen unab-
hängig davon berücksichtigen, ob sie ausschließlich
selbst betreuen, ob sie durch Dritte betreuen lassen oder
ob sie die Betreuung gemeinsam mit Dritten leisten. Wir
berücksichtigen diese Leistungen zum einen, weil das
Verfassungsgericht entsprechende Vorgaben gemacht
hat, aber zum anderen ausdrücklich auch deshalb, weil
wir wollen, dass die unterschiedlichsten Formen vom Zu-




Jörg-Otto Spiller
17108


(C)



(D)



(A)



(B)


sammenleben in der Familie gute Rahmenbedingungen
haben.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau das machen Sie nicht!)


Wir wissen aber, dass die Frage, ob sich Männer und
Frauen für Kinder entscheiden, keineswegs allein von der
Höhe des Kindergeldes abhängig ist. Für uns ist klar, dass
für viele junge Menschen die Frage, ob es ihnen gelingen
wird, den Kinderwunsch mit der Möglichkeit zu verbin-
den, ihre Qualifikationen aktiv in das Erwerbsleben ein-
zubringen, viel entscheidender ist.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Dazu haben Sie doch nichts in Ihrem Antrag! Was soll das?)


Viele junge Menschen wollen inzwischen beides. Wenn
wir diese Entscheidung erleichtern, fördern wir nicht nur
die Zufriedenheit von Menschen in der Familie,


(Zuruf von der CDU/CSU: Schön wäre es, wenn das auch im Gesetz stände!)


sondern schaffen gleichzeitig für Frauen die Möglichkeit,
ihre Qualifikation in den Arbeitsmarkt einzubringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Familienpolitik für Familien von heute ma-
chen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie einmal Frau Scheel, ob die das auch so sieht!)


Zur Verwirklichung dieser Vereinbarkeit von Familie und
Beruf enthält der Gesetzentwurf das Angebot für Eltern,
dass sie, wenn sie durch Erwerbstätigkeit erhöhte Betreu-
ungskosten haben, diese auch bis zur Höchstgrenze von
3 000 DM zusätzlich zum Freibetrag geltend machen
können.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist doch lachhaft bei einem Kindergartenbeitrag von 750DM! – Susanne Kastner [SPD]: Was habt ihr denn gemacht?)


– Ich höre von der F.D.P. immer, das sei lachhaft. Sie hat-
ten doch viel Zeit, etwas zu machen; aber in der Frage der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist überhaupt nichts
passiert.


(Beifall bei der SPD)

Wir legen Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der wichtige

Punkte enthält. So steigt das sachliche Existenzminimum
an, sodass es an die aktuellen Lebensverhältnisse ange-
passt wird.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417407400
Frau Kolle-
gin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kolle-
gin Ina Lenke?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zwischenfragen werden erst wieder ab 17 Uhr zugelassen! – Heiterkeit)



Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417407500
Ich freue mich sehr darauf.

(Zuruf von der CDU/CSU: Man sieht es Ihrem Gesichtsausdruck an!)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1417407600
Frau Kressl, die Absetzbarkeit der
Kinderbetreuungskosten haben wir schon 1999 in einem
Bundestagsantrag gefordert.


(Zuruf von der SPD: Aber 1998 oder 1997 nicht!)


SPD und Grüne haben das abgelehnt. Nicht nur in dieser
Legislaturperiode, sondern auch in der letzten haben wir
uns immer dafür ausgesprochen, das zu machen. Wir wer-
den bei den Wahlen unsere Prozentzahlen steigern und
dann genügend Einfluss im Bundestag haben, um das
durchzusetzen.


(Lachen bei der SPD)

Ich habe eine Frage an Sie, Frau Kressl. Haben Sie ein-

mal ausgerechnet, zu wie viel echter Entlastung im Porte-
monnaie Ihre Deckelung bei 3 000 DM bei einem Durch-
schnittssteuersatz von 30 Prozent führt?


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417407700
Sehr geehrte Frau Lenke, ich
finde es nett, dass Sie gleich zu Anfang richtigerweise ge-
sagt haben, dass Sie 1999 einen Antrag gestellt haben.


(Susanne Kastner [SPD]: 1996 und 1997 hat sie vergessen!)


Vielleicht haben Sie vergessen, dass Sie bis 1998 in der
Lage gewesen wären, etwas zu tun. Wir haben immer
darauf gewartet; aber nichts ist passiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen etwas zu den Alleinerziehenden sagen.
In der letzten Legislaturperiode haben wir zweimal bean-
tragt, den Vorbehalt der Eltern bei der Frage der Absetz-
barkeit von Betreuungskosten abzuschaffen. Denn wir ha-
ben es für unglaublich gehalten, eine solche Eigenbe-
lastung zuzulassen. Dieser Antrag der SPD ist mit den
Stimmen Ihrer Fraktion 1997 abgelehnt worden. Falls Sie
sich nicht erinnern können, schicken wir Ihnen gerne das
Protokoll zum Nachlesen.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist bei denen nötig!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417407800
Möchten Sie
noch eine zweite Frage beantworten?


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417407900
Bitte.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1417408000
Frau Kressl, Sie haben in Ihrem
Eingangsstatement von der notwendigen Erweiterung der
Regelung zur Kinderbetreuung gesprochen. Wo steht das
eigentlich in Ihrem Antrag?


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417408100
Offensichtlich haben Sie
noch nicht richtig reingeschaut, Frau Lenke.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Von vorne bis hinten! – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Genau! Von vorne bis hinten gelesen!)


Wir haben gesagt, dass wir das Angebot machen, dass,
wenn durch Berufstätigkeit höhere Betreuungskosten




Nicolette Kressl

17109


(C)



(D)



(A)



(B)


entstehen, diese bei der Steuer geltend gemacht werden
können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wo steht denn das?)


– In § 33 c des Entwurfes.

(Ina Lenke [F.D.P.]: Ja, ganz klein!)


– Sie können ruhig sagen, dass das dort ganz klein steht. Uns
ist es eigentlich egal, wie viele Zeilen das sind. Uns ist wich-
tig, dass die entsprechende Wirkung eintritt, Frau Lenke.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zurück zu unseren Kernpunkten. Wir fügen dem Frei-
betrag für das Existenzminimum einen neuen Freibetrag
für Betreuung, Erziehung und Ausbildung hinzu.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das müssen Sie!)

Dieser Freibetrag in Höhe von 4 212 DM gilt durchge-
hend bis zum Alter von 27 Jahren. Im Gegensatz dazu galt
der bisherige Betreuungsfreibetrag nur bis zum Alter von
16 Jahren. Wir folgen hiermit einer Empfehlung des Ver-
fassungsgerichts und fassen kindbedingte Freibeträge,
eben auch den Ausbildungsfreibetrag, zusammen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Aber wie !)

Er wird also keineswegs, wie manchmal behauptet wird,
einfach nur gestrichen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Natürlich wird er von 4 200 auf 1 800 DM reduziert! – Joachim Poß [SPD]: Nicht darauf eingehen! Das ist ja unerträglich!)


– Frau Lenke, Sie sollten wirklich noch einmal in das Ge-
setz gucken.

Es macht Sinn, diese Freibeträge zusammenzufassen,
weil natürlich eine logische Entwicklung vorhanden ist.
Sie besteht darin, dass der anfängliche Betreuungsbedarf
von Kindern zunächst zum Erziehungsbedarf und an-
schließend zum Ausbildungsbedarf jeweils in Höhe von
4 212 Mark wechselt. Oder wollen Sie ernsthaft behaup-
ten, dass wir 22-jährige Studierende noch mit einem Be-
treuungsbedarf ausstatten müssen?


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Was haben Sie denn da zusätzlich getan? Nichts!)


Für uns Sozialdemokraten war beim Thema steuerliche
Freistellung des Existenzminimums immer wichtig, dass
sich die Schere zwischen Freibetragswirkung und Kin-
dergeld möglichst wenig öffnet. Mit dieser Kindergeld-
erhöhung um 30 DM ist es uns gelungen, den Unterschied
zwischen Freibetragswirkung und Kindergeldwirkung für
einkommensschwächere Familien bis 2005 stetig kleiner
werden zu lassen.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Dann schaffen Sie doch den Freibetrag ab und erhöhen Sie das Kindergeld richtig!)


Diese Aufgabe, die uns das Verfassungsgericht gestellt
hat, nämlich zwangsläufig die Freibeträge zu erhöhen, hat
uns vor eine sicherlich nicht leichte Aufgabe gestellt, weil
wir die mangelnde soziale Gerechtigkeit mit einer Kin-

dergelderhöhung ausgleichen wollten. Das gelingt uns
mit dieser parallelen Kindergelderhöhung.

Gleich anschließend werden wir von der Opposition
wahrscheinlich wieder hören, wir hätten beschlossen, den
Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende zu streichen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: So ist es!)

In Wirklichkeit ist die Ausgangslage aber eine völlig an-
dere. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
wurde festgestellt, dass es nicht der Verfassung entspricht,
den Haushaltsfreibetrag nur den Alleinerziehenden zu-
kommen zu lassen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Dann hätten Sie ihn den Eltern zukommen lassen müssen!)


Diesen Haushaltsfreibetrag in der bisherigen Form ein-
fach auf alle Familien zu übertragen hätte bedeutet, dass
wir den Familien in einer sozial äußerst ungerechten
Weise 20Milliarden DM ausschließlich in Form von Frei-
beträgen gegeben hätten.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sogar 25 Milliarden! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: 4,5 Milliarden DM geben Sie jetzt!)


Das kam für uns so nicht infrage.

(Beifall bei der SPD)


Was tun wir also? Wir wandeln diesen Haushaltsfrei-
betrag, den es bisher einmal pro Monat gibt, in einen pau-
schalen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbil-
dung in Höhe von 4 212 DM um, wohlgemerkt pro Kind.
Weil wir aber die oft schwierige Situation von Alleiner-
ziehenden kennen, haben wir uns entschlossen, nicht
gleichzeitig sofort den Haushaltsfreibetrag zu streichen,
sondern sämtlichen politischen Spielraum auszunutzen
und ihn noch bis 2005 parallel zu diesem pauschalen Frei-
betrag beizubehalten – um auch dies hier noch einmal
ganz klar und deutlich zu sagen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Aber dann, ab 2005, ist er null!)


Zusätzlich zur Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts haben wir uns entschieden,
endlich etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf zu tun.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal: Diesen Schritt ist die alte Bun-

desregierung nie gegangen. Ich weiß nicht, ob Sie nicht mu-
tig genug waren oder ob Ideologie dabei eine Rolle spielte.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Es gibt noch Unterschiede zwischen CDU und F.D.P.!)


Das geht uns auch nichts an. Wir tun aber endlich etwas
auf diesem Gebiet. Wir schaffen mit einem nach oben be-
grenzten Abzug erwerbsbedingter Betreuungskosten bes-
sere Bedingungen, um Familie und Erwerbstätigkeit mit-
einander vereinbaren zu können.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Und die Grünen wollten das Ehegattensplitting abschaffen! Davon hört man überhaupt nichts mehr!)





Nicolette Kressl
17110


(C)



(D)



(A)



(B)


Wie stark diese Regelung den Bedürfnissen der Men-
schen entspricht, macht eine Umfrage von dieser Woche
deutlich. 83 Prozent aller Deutschen fordern, dass berufs-
tätige Eltern einen Teil ihrer Kosten für Kinderbetreuung
von der Steuer absetzen können.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Ja!)

Wenn ich entsprechende Pressemitteilungen lese,

drängt sich mir die an die CDU/CSU zu stellende Frage
auf: Wollen Sie wirklich weiterhin gegen diesen Vor-
schlag polemisieren? Wollen Sie wirklich den Vorwurf
aufrechterhalten, wir bevorzugten die Erwerbstätigen ge-
genüber den Nichterwerbstätigen? Es ist doch häufig so,
dass eine Frau oder ein Mann, wenn sie sich nach einer
Familienphase dafür entscheiden, in den Beruf zurück-
zukehren, feststellen muss, dass trotz Erwerbstätigkeit
weniger übrig bleibt als vorher beim Ehegattensplitting,
wenn von den Einkünften die Kosten für die Kinderbe-
treuung abgezogen werden. Hier gibt es also schon eine
Lenkungswirkung.Wenn Sie polemisieren, scheinen Sie
immer zu vergessen, wie die Wirklichkeit tatsächlich ist.
Wir sorgen endlich für ein Stück Fairness, die junge
Frauen und Männer schon lange verdient haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt auf die visionäre Alternative von
CDU/CSU zu sprechen kommen. In letzter Zeit wird im-
mer ein Familiengeld in Höhe von 1 200 DM aus der Ta-
sche gezaubert. Frau Hasselfeldt hat in einem Interview,
das ich gestern gelesen habe, gesagt, dieses Familiengeld
solle das jetzige Kindergeld mit dem Erziehungsgeld zu-
sammenfassen und diese Größenordnung solle innerhalb
von zehn Jahren auf 1 200 DM pro Monat erhöht werden.

Dann wollen wir uns doch einmal ein konkretes Bei-
spiel anschauen: Eine Frau, die sich im Jahr 2002 ent-
scheiden wird, ein Jahr Kinderpause zu machen, und die,
weil sie ein niedriges Einkommen hat, Erziehungsgeld be-
kommt, soll also in zehn Jahren 1 200 DM bekommen.
Was aber bekommt sie im nächsten Jahr, nach der Verab-
schiedung unseres Gesetzentwurfes? Sie erhält 300 DM
Kindergeld und 900 DM Erziehungsgeld.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Nicht jede! Das wissen Sie genau! – Ina Lenke [F.D.P.]: Auf ein Jahr!)


Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind das 1 200 DM.
Das ist die Vision der CDU/CSU in der Familienpolitik.
Das können Sie doch nicht ernst meinen. Dass Sie für die
Familienförderung 60 Milliarden DM benötigen, liegt
ausschließlich daran, dass Sie auch einkommensstärkere
Familien fördern wollen, die bisher kein Erziehungsgeld
bekommen haben. Das können Sie doch nicht im Ernst
vorschlagen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir diese Vorstellungen vor Augen führe, dann
kann ich trotz wohlklingender Parteitagsanträge der CDU
daraus nur ableiten: Windeln wechseln und warme Worte
für Mütter.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist so ein Stuss!)


So sah die Familienpolitik der CDU/CSU aus und so
scheint sie noch immer zu sein.

Wir schlagen Ihnen heute vor: Unterstützen Sie die Ko-
alitionsfraktionen und die Bundesregierung auf dem Weg,
gute Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen!
Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Denn das würde
den Familien sicherlich gut tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417408200
Ich gebe das
Wort nunmehr der Kollegin Ilse Falk für die CDU/CSU-
Fraktion.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1417408300
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Dieser Einstieg hat deutlich ge-
macht, wie genau wir besonders als Familienpolitiker hin-
schauen müssen, wenn wir wirklich erkennen wollen, was
hier eigentlich vorgelegt worden ist,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


welche Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes auf die
Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zurück-
gehen, in dem die Rückzahlung zu viel gezahlter Steuern
verlangt wird, und welche Teile sich tatsächlich auf die,
wie es im Titel des Gesetzentwurfes heißt, Familienför-
derung beziehen.

Natürlich freut sich auch die Opposition, wenn die
Leistungen für Familien verbessert werden und Sie das
Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils um
30 DM pro Monat anheben. Allerdings muss ich mahnend
darauf hinweisen, dass Sie es entgegen früherer Ankündi-
gungen bei einer Erhöhung des Kindergeldes für das erste
und zweite Kind belassen haben. Sie hätten jetzt eigent-
lich die kinderreichen Familien, die nach den Erkennt-
nissen des gerade vorgelegten Armuts- und Reichtumsbe-
richtes besonders bedürftig sind und besonders von Armut
betroffen sind,


(Nicolette Kressl [SPD]: Das bezog sich auf Ihre Regierungszeit!)


berücksichtigen und ihnen mehr zugute kommen lassen
müssen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ich möchte der Kollegin Falk gerne eine Zwischenfrage stellen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417408400
Frau Kolle-
gin Falk, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Frak-
tionskollegin Schnieber-Jastram?


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1417408500
Ja.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1417408600
Liebe Frau
Kollegin Falk, ist Ihnen bekannt, dass zum Beispiel in
meiner Heimatstadt Hamburg, aber auch in anderen SPD-




Nicolette Kressl

17111


(C)



(D)



(A)



(B)


regierten Kommunen die jetzt geplante Erhöhung des
Kindergeldes sofort für die Kindergartenbeiträge wieder
draufgeht?


(Beifall bei der Abg. Ina Lenke [F.D.P.] – Lachen bei der SPD)



Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1417408700
Genau das ist der Punkt. Ein-
mal berechnet sich das nach dem Einkommen der Eltern,
und zum anderen weckt es natürlich auch Begehrlichkei-
ten, wenn mehr Geld vorhanden ist, dies auf die Kinder-
gartenbeiträge aufzuschlagen. Da stimme ich Ihnen völlig
zu.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt? Was sollen wir machen, höher oder niedriger?)


Hinzu kommt, dass diese 30 DM kaum dazu angetan sind,
die Auswirkungen der Ökosteuer und der erhöhten Infla-
tionsrate aufzufangen, sodass es unter dem Strich auf ein
Nullsummenspiel hinausläuft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Wir freuen uns, dass Sie in zwei Punkten Vernunft an-
genommen haben. Und zwar haben Sie zwei Streichun-
gen, die Sie vorgesehen hatten, wieder zurückgenommen.
Zum einen wollen Sie die Streichung der Absetzbarkeit
von Schulgeldern nicht mehr vornehmen und zum ande-
ren haben Sie auf die völlige Abschaffung des Ausbil-
dungsfreibetrages verzichtet, wenngleich er der Höhe
und seinem Anwendungsbereich nach dramatisch zurück-
gefahren worden ist.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Wir begrüßen auch die Erhöhung des Freibetrages für
das sächliche Existenzminimum und die Ergänzung des
bisherigen Betreuungsfreibetrages um einen Erziehungs-
und Ausbildungsanteil. Allerdings bleiben Sie bei beiden
Freibeträgen weit hinter den von Ihnen im August 1999
selbst geplanten Größenordnungen zurück. Damals woll-
ten Sie den Sachbedarf von 6 912 DM auf 7 452 DM er-
höhen. Jetzt bleiben Sie bei 7 128 DM stehen. Für den Er-
ziehungsbedarf planten Sie noch 1999 einen Freibetrag
von 2 052 DM. Jetzt sind davon 1 188 DM geblieben.
Das, was eine Angleichung der Familien an die Steuerer-
leichterungen für die Alleinerziehenden sein soll, ent-
puppt sich als Nullsummenspiel oder unter dem Strich so-
gar als weniger als vorher.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie können keine Steuertabellen lesen!)


– Wenn ich mir Ihren Finanzierungsplan ansehe, kann ich
das nur so sagen.

Sie heben den Kinderfreibetrag um 1,24 Milliar-
den DM an. Hinzu kommen für nachgewiesene Betreu-
ungskosten 315 Millionen DM. Dagegen steht der Abbau
des Haushaltsfreibetrages um 1,815 Milliarden DM. Das
ergibt ein Minus von 260 Millionen DM im Bereich der
Freibeträge für Betreuungs- und Erziehungsaufwand.


(Nicolette Kressl [SPD]: Dass Sie vor allem für die Freibeträge sind, das wissen wir ja! – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [F.D.P.]: Das hat auch seinen Grund!)


Von einem wirklichen Fortschritt bei der Familienför-
derung kann auch deshalb nicht die Rede sein, weil ein
großer Teil der Verbesserungen für die Familien von ih-
nen selber aufgebracht wird. In Ihrem Gesetzentwurf ge-
ben Sie selber an, dass von den Fördermaßnahmen zu-
gunsten der Familien in Höhe von 7,5 Milliarden DM, die
genannt werden, die Familien und Alleinerziehenden
2,86 Milliarden DM allein aufbringen müssen. Das ist ein
Prozentsatz von 38 Prozent. Damit ist jede Mark Ihrer
Fördermaßnahmen nur noch 62 Pfennig wert.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Richtig!)

Neben den schon genannten Maßnahmen sparen Sie

durch die Streichung der Abzugsfähigkeit des so genann-
ten Dienstmädchenprivilegs 95 Millionen DM.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ja, ja, ja!)

Dabei übersehen Sie erstens, dass damit Arbeitsplätze ent-
standen sind, und zweitens, dass es sich dabei nicht um ein
Privileg für Reiche handelt, sondern um eine echte Hilfe
für Familien mit Kindern und Familien mit pflege- und
betreuungsbedürftigen Familienangehörigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Durch die Reduzierung der Ausbildungsfreibeträge

sparen Sie fast 1 Milliarde DM.

(Detlev von Larcher [SPD]: Ihre Ideologie! – Gegenruf der Abg. Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist Ihre Ideologie! Sie machen nichts anderes als eine Neidkampagne!)


Dies wird bei weitem nicht aufgefangen durch Ihre Aus-
bildungskomponente beim Freibetrag. Diese Vorgehens-
weise scheint auch Ihrem kleinen Koalitionspartner nicht
zu behagen. Dieser schreibt in seinem aktuellen Famili-
enpapier, es dürfe unter keinen Umständen dazu kommen,
dass die Familien selber diese so genannten Verbesserun-
gen finanzieren.

Völlig inakzeptabel sind auch die Pläne zur steuerli-
chen Behandlung der Betreuungskosten.


(Zuruf von der SPD: Warum?)

Sie räumen wiederum gezielt nur Alleinerziehenden und
Eltern, die beide berufstätig sind, einen Abzug für beson-
dere Belastungen durch Fremdbetreuungskosten für Kin-
der ein.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben vorhin nicht zugehört!)


Mit dieser Regelung werden erneut die Ehepaare gezielt
benachteiligt, bei denen ein Ehepartner auf ein eigenes
Einkommen verzichtet, weil er sich um die Familie küm-
mert und vielleicht auch Angehörige betreut.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie sollten wirklich mal zuhören und auf Argumente eingehen! – Nicolette Kressl [SPD]: Was ist denn mit dem Splitting?)





Birgit Schnieber-Jastram
17112


(C)



(D)



(A)



(B)


– Sie müssen den Beschluss des Bundesverfassungsge-
richts genau lesen. Da wird ganz klar gesagt, um was es
geht.


(Nicolette Kressl [SPD]: Was ist denn mit dem Splitting?)


Sie versuchen, die Freiheit der Lebensgestaltung und der
innerfamiliären Aufgabenteilung in nicht vertretbarer und
schlicht verfassungswidriger Weise einzugrenzen. Einer
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht würde
diese Regelung wohl kaum standhalten. Ich zitiere aus
dem Beschluss:

In diesem Zusammenhang darf nicht danach unter-
schieden werden, in welcher Weise der Bedarf des
Kindes gedeckt wird. Das Einkommensteuergesetz
hat den Betreuungsbedarf eines Kindes stets zu ver-
schonen, mögen die Eltern das Kind persönlich be-
treuen, mögen sie eine zeitweilige Fremdbetreuung
des Kindes, z. B. im Kindergarten, pädagogisch für
richtig halten oder mögen sich beide Eltern für eine
Erwerbstätigkeit entscheiden und deshalb eine
Fremdbetreuung in Anspruch nehmen. Dieser Bedarf
ist deshalb – anders als der erwerbsbedingte Be-
darf – unabhängig von tatsächlich gezahlten Auf-
wendungen zu berücksichtigen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417408800
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Kressl?


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1417408900
Im Augenblick möchte ich
meinen Vortrag fortsetzen.

Nicht nur mir werden Sie erklären müssen, wieso das
alles nicht mehr gelten soll, sobald Sie dieselbe Unter-
scheidung unter einem neuen Etikett, nämlich als „beson-
dere Belastung“ statt als Bestandteil des Familienleis-
tungsausgleichs, wieder einführen.

Diese Regelungen zusammen mit der ohne jede sach-
liche Begründung vorgeschlagenen Reduzierung des
Ausbildungsfreibetrages zeigen, dass der rot-grünen
Bundesregierung Kinder unterschiedlich viel Wert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Ist doch Quatsch! – Gegenruf der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ist doch so!)


– Hören Sie doch erst einmal zu! – Für Kinder bis
14 Jahre, deren Elternteile beide berufstätig sind, können
Kinderbetreuungskosten geltend gemacht werden, für
Kinder aus Familien, in denen ein Elternteil berufstätig
ist, dagegen nicht. Kinder, die älter als 14 Jahre sind,
scheinen auch für Elternteile, die beide berufstätig sind,
plötzlich preisgünstiger zu werden; denn die Anrechnung
der Kinderbetreuungskosten entfällt.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


– Das steht so in Ihrem Gesetzentwurf. – Für auswärtig
untergebrachte Kinder über 18 Jahre, die sich in einer

Ausbildung befinden, gilt wenigstens noch ein Ausbil-
dungsfreibetrag in Höhe von 1 800 DM.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das kannst du vergessen bei 1 100 DM an Kosten für Studenten!)


Zu Hause lebenden Kindern über 18 Jahre, die sich eben-
falls in einer Ausbildung befinden, wird dieser Betrag
künftig ebenso verweigert wie minderjährigen Kindern,
die um ihrer Ausbildung willen auswärtig untergebracht
sind. – Das sollte jemand einmal wiederholen! Das ist so
kompliziert, wird kaum jemand schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen die Wahrheit doch nicht hören!)


Bisher sah der Ausbildungsfreibetrag so aus: 1 800 DM
für auswärtig untergebrachte Minderjährige, 2 400 DM
für bei den Eltern wohnende erwachsene Kinder,
4 200 DM für auswärtig untergebrachte Erwachsene.


(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie sich schon einmal angeschaut, wie der pauschale Freibetrag jetzt aussieht?)


– Ich schaue mir an, was bei der Rechnung unterm Strich
herauskommt. Wenn man das tut, dann wird ganz deut-
lich, was Sie gemacht haben.

Ebenso schieflastig ist die Situation für Alleinerzie-
hende. Das Verfassungsgericht hat zwar entschieden,
dass Eltern zu viel Steuern zahlen.


(Peter Dreßen [SPD]: Wer hat die wohl erhoben? – Nicolette Kressl [SPD]: Für welche Jahre?)


Dies aber auf Kosten der Alleinerziehenden zu korrigie-
ren war sicherlich nicht die Intention des Gerichts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Alleinerziehende bekommen in Zukunft einen geringeren
Freibetrag. Während sie früher für das erste Kind Betreu-
ungskosten in Höhe von 4 000 DM zuzüglich eines Haus-
haltsfreibetrags von 5 616 DM geltend machen konnten,
reduziert sich der Freibetrag nach den neuen Zahlen nun
um insgesamt 600 DM. Falls Alleinerziehende ihre Kin-
der betreuen lassen – denen kommen Sie etwas entge-
gen –, können sie zusätzliche Betreuungskosten, die die
4 212 DM übersteigen, bis 3 000 DM absetzen. Das ist
eine zusätzliche Entlastung für jemanden, der Betreu-
ungskosten hat, die höher als 350 DM im Monat sind.


(Abg. Nicolette Kressl [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, ich möchte in meiner Rede fortfahren. – Bedenkt
man noch die schon eben erwähnten steigenden Beiträge,
dann zeigt sich, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass
das eine wirkliche Erleichterung sei. Erst bei einer voll-
ständigen Ausschöpfung des Freibetrages bedeuten diese
Regelungen eine Verbesserung für Alleinerziehende.


(Abg. Nicolette Kressl [SPD] meldet sich erneut zu einer Zwischenfrage)





Ilse Falk

17113


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417409000
Frau Kressl,
Frau Falk möchte keine Zwischenfrage zulassen.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1417409100
Misst man den Gesetzentwurf
aber an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das
gerade die Schlechterstellung von verheirateten Paaren
mit Kindern gegenüber Alleinerziehenden als verfas-
sungswidrig angesehen hat, so gibt es wohl noch viel zu
erklären.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen die Wahrheit einfach nicht wissen oder nicht zur Kenntnis nehmen!)


– Ich sage das, was Ihr Gesetzentwurf als Wahrheit aus-
gibt. Aus diesem geht hervor, dass im Vergleich zum ma-
ximalen Freibetrag für Alleinerziehende verheiratete El-
tern, bei denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist, lediglich
einen um 60 Prozent niedrigeren Freibetrag geltend ma-
chen können. Das werden wir in den anstehenden Bera-
tungen sicherlich zu klären haben.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Quatsch!)

– Das ist kein Quatsch. Sie sollten Ihren Gesetzentwurf
selbst einmal lesen.

Sie sind angetreten – das haben Sie selbst eben wie-
derholt –, die Schere zwischen Kindergeld und steuerli-
cher Entlastung zu schließen;


(Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn um 80 DM erhöht? Wer war denn das?)


doch auch nach der zweiten Stufe ist die Schere mitnich-
ten geschlossen. Im letzten Jahr ist sie sogar wesentlich
weiter auseinander gegangen: Während 1999 die Diffe-
renz zwischen maximaler Steuererstattung und Kinder-
geld bei 55 DM lag, liegt sie seit 2000 bei 152 DM. Die
Grünen haben zum Teil die Schieflage erkannt. Sie for-
dern wie wir eine Erhöhung des Kindergeldes auf 600 DM


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das können sie aber nicht durchsetzen!)


und eine Nichtanrechnung eines Teils des Kindergeldes
auf die Sozialhilfe.

Aber insgesamt ist die Regelung so kompliziert, dass
wir nur dafür plädieren können, die von uns vorgeschla-
gene, viel transparentere Lösung mit der Einführung des
Familiengeldes ernsthaft zu diskutieren, das unabhängig
vom Einkommen der Eltern gezahlt wird, das steuer- und
sozialabgabenfrei ist und das dynamisiert wird. Damit er-
reichen wir, dass keine Familie allein wegen der Kosten
für ihre Kinder in die Sozialhilfe gerät. Das ist ein Ansatz,
der in keinem Ihrer Konzepte bisher zu finden ist. Wir
sollten diesen Weg gemeinsam verfolgen und in der
anschließenden Diskussion in diese Richtung gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417409200
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Nicolette Kressl
das Wort.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1417409300
Liebe Kollegin Falk, ich
habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Ihre
falsche Darstellung bezüglich der Freibeträge nicht unwi-
dersprochen bleiben kann. Sollte Ihnen etwa entgangen
sein, dass die von Ihnen genannten Betreuungskosten in
Höhe von 4 000 DM nur dann steuerlich geltend gemacht
werden konnten, wenn es dafür einen Nachweis gab? Wir
wissen aber, dass im Durchschnitt Betreuungskosten in
Höhe von nur 420 DM geltend gemacht worden sind.

Unser Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfrei-
betrag gilt dagegen pauschal, also ohne Kostennachweis.
Das heißt, wir stellen die Familien mit diesem Freibetrag
wesentlich besser.


(Beifall bei der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Also mit Schwarzarbeit!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417409400
Ich gebe
jetzt das Wort der Kollegin Christine Scheel für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417409500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha-
ben mit diesem Gesetz die Konsequenzen gezogen, die
sich aus der Umsetzung des Urteils des Bundes-
verfassungsgerichts ergeben haben. Weil die alte Regie-
rung nicht in der Lage war,


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: So alt sind wir nicht! Sie meinen die letzte Regierung!)


die Familien ausreichend zu entlasten, hat das Bundes-
verfassungsgericht der neuen Regierung den Auftrag ge-
geben, diese Altlasten abzubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der F.D.P.)


Das erreichen wir mit einer stärkeren Förderung der Fa-
milien mit Kindern, die in diesem Gesetz verankert ist.

Ich verstehe gar nicht, warum bei diesem Thema im-
mer Zwischenrufe vonseiten der F.D.P. kommen. Man
muss immer wieder betonen: Sie haben 29 Jahre Zeit ge-
habt,


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da haben wir eine ganze Menge gemacht!)


aber in der Regierung zusammen mit CDU und CSU in
der Familienförderung nicht das zustande gebracht, was
wir in drei Jahren erreicht haben. Das ist die Wahrheit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da hilft Ihnen auch nicht, dass Sie jetzt in der Opposi-
tion dreiste Forderungen aufstellen:


(Ina Lenke [F.D.P.]: Wir haben ganz normale Forderungen!)


Herr Westerwelle fordert – wie heute Morgen –, der Bun-
deswehretat müsse erhöht werden. Jemand anderes aus
Ihren Reihen sagt, die Steuern müssten weiter gesenkt
werden,


(Ina Lenke [F.D.P.]: Natürlich!)







(C)



(D)



(A)



(B)


aber der Staat dürfe sich nicht weiter einmischen und solle
sich zurückziehen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Ja!)

Und hier wird jetzt gefordert, man müsse mehr für die Fa-
milie tun.

Ihre Linie ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar:
Einmal soll der Staat zubuttern; dann soll er sich wieder
zurückziehen. Auf der einen Seite sollen die Steuern ge-
senkt werden, aber auf der anderen Seite werden mehr
Steuereinnahmen benötigt, um das zu finanzieren, was Sie
alles fordern. Irgendwann müssen Sie sich einmal in der
Fraktion darüber verständigen, welche finanzpolitische
Linie Sie überhaupt fahren wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Frau Scheel, wer regiert denn?)


Wir haben das Kindergeld auf 301,20 DM angehoben.
Es gab die Befürchtung, dass die Euro-Umstellung zulas-
ten des Kindergeldes gehen und man versuchen könne,
das Kindergeld unter 300 DM zu belassen. Diese Be-
fürchtungen sind jetzt eindeutig widerlegt. Das Kinder-
geld wird ab dem nächsten Jahr 301,20 DM betragen.

Wir haben – bitte halten Sie sich das einmal vor Au-
gen – damit im Laufe dieser Legislaturperiode pro Kind
eine Steigerung von 960 DM im Jahr erreicht.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Pro erstes und zweites Kind, nicht aber pro drittes, viertes und fünftes Kind!)


Bezüglich der Freibeträge – das ist von Ihnen recht ei-
genartig vorgestellt worden; aber Frau Kressl hat das klar-
gestellt – führen wir zum 1. Januar 2002 eine neue Rege-
lung ein. Die bisherigen Freibeträge werden in einem
Freibetrag für Betreuung, für Erziehung und Ausbildung
zusammenfasst.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Zusammenschrumpft! – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Damit nicht so auffällt, was Sie wirklich kürzen!)


Dieser Freibetrag wird, wie gesagt, pauschal gewährt und
nicht mehr nur bei Nachweis. Das ist der Erfolg, der in
dieser Zusammenfassung der Freibeträge steckt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Gucken Sie doch einmal auf das Finanzierungstableau!)


Man muss berücksichtigen, dass wir mit diesem Ent-
wurf eines Zweiten Gesetzes zur Familienförderung, mit
dem wir das Kindergeld anheben und die Freibeträge um-
gestalten wollen, unsere Möglichkeiten, unsere Kompetenz
als Bundesregierung, das Leben mit Kindern sowohl finan-
ziell als auch von der strukturellen Situation her zu verbes-
sern, genutzt haben. So haben wir zum Beispiel die Ent-
scheidung getroffen, den Grundfreibetrag von 12300 DM
auf 15000DM in der letzten Stufe zu erhöhen und den Ein-
gangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 15 Prozent zu senken.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Das hätten Sie schon 1997 haben können; das wissen Sie ganz genau!)


Das sind Entscheidungen, die gerade Beziehern geringer
und mittlerer Einkommen sowie Familien mit mehreren
Kindern zugute kommen. Diese werden durch solche
steuerpolitischen Maßnahmen massiv entlastet. In Zu-
kunft werden 40 000 DM der Einkünfte steuerfrei bleiben.
Das ist ein Riesenerfolg, den diese Regierung zu verbu-
chen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Neben den steuerrechtlichen Regelungen kann der
Bund auch über Finanzhilfen lenkend eingreifen. Wir
haben Familien mit niedrigen Einkommen und mehreren
Kindern das Erziehungsgeld erhöht. Wir haben das
Baukindergeld auf insgesamt 5,4 Milliarden DM angeho-
ben und somit gerade gestärkt. Wir haben die BAföG-Mit-
tel auf insgesamt 3,5 Milliarden DM erhöht – eine Steige-
rung um 1 Milliarde DM.

Daran und an vielen anderen Punkten kann man er-
kennen, dass Bildung, Ausbildung, Förderung steuerpo-
litischer Art und Kindergeld zusammengehören. Das
sind die Förderungen, die man zusammengenommen se-
hen muss, um beurteilen zu können, was diese Bundes-
regierung für Familien leistet. Wir kommen mittlerweile
auf eine finanzielle Entlastung der Familien von insge-
samt annähernd 100 Milliarden DM. Im Moment sind es
rund 98 Milliarden DM. In den nächsten Jahren werden
es noch mehr sein, weil es Anpassungen geben wird, so
zum Beispiel beim Bundeserziehungsgeld, im Jahr 2003
auf 6,1 Milliarden DM. Die Summe der Förderung für
Familien wird die 100-Milliarden-DM-Grenze über-
schreiten.

Ich meine trotzdem, dass es Aufgabe der gesamten
Gesellschaft sein muss, ein kinderfreundliches Klima zu
gestalten. In der Tat bedarf es dazu finazieller Unterstüt-
zung. Es ist notwendig, das zu tun, was wir von der
Haushaltssituation her verantworten können. Dabei
muss man sehen: Wenn wir Haushaltskonsolidierung
betreiben, wenn wir Maßnahmen ergreifen, um den rie-
sigen Schuldenberg, den Sie angehäuft haben, abzu-
bauen, ist auch dies Politik für die Zukunft, Politik für
Kinder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich darf an dieser Stzelle darauf hinweisen – Frau
Kressl hat es angesprochen –, was unsere Förderung
heute in der Konsequenz bedeutet: dass wir schon heute
ein Kindergeld von 1 200 DM, das, was Sie erst in zehn
Jahren umsetzen wollen, erreicht haben. Wenn ich mir
Herrn Stoiber und andere von der CDU/CSU- und der
F.D.P.-Fraktion anhöre, die sagen, sie wollten die Fami-
lien mit 1 200 DM pro Kind fördern, muss ich ihnen ge-
nau das entgegnen: Was heute an Förderung speziell für
Kinder in Familien mit niedrigerem Einkommen gewährt
wird, liegt schon heute über dem, was Sie mit einem Be-
trag von 1 200 DM fordern. Sie dürfen nicht nur das Er-
ziehungs- und das Kindergeld betrachten, sondern müs-
sen auch die besonderen Leistungen berücksichtigen, die
zum Beispiel nach dem Sozialhilfegesetzbuch gewährt
werden.




Christine Scheel

17115


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Stoiber sagt, alle Maßnahmen von staatlicher
Seite für Kinder sollen zu einem Betrag von 1 200 DM zu-
sammengefasst werden.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Das würde dazu führen, dass gerade Familien mit mehre-
ren Kindern und niedrigem Einkommen weniger Famili-
enförderung erhalten, als sie heute von dieser Regierung
an Familienförderung bekommen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Falsch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417409600
Frau Kolle-
gin Scheel, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417409700
Ja,
ich komme zum Schluss. – Ich bin froh, dass die CDU und
die CSU ihr vorsintflutliches Familienbild ein wenig rela-
tivieren. So wird klar, dass Mütter und Väter auch Be-
treuungseinrichtungen brauchen. Die Schaffung dieser
Betreuungseinrichtungen ist eine originäre Aufgabe der
Kommunen und der Länder. Herr Stoiber hat ein Pilot-
projekt von Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren
gestartet. In Zukunft wird es in Bayern vier Einrichtungen
geben, die gefördert werden.


(Nicolette Kressl [SPD]: Vier?)

Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen, Herr Stoiber, es
wird Zeit, dass Sie endlich kapieren, dass für die Betreu-
ung auch die notwendige Infrastruktur geschaffen werden
muss. Alle, auch die Länder und Kommunen, müssen mit-
helfen, dies zu gewährleisten. Es ist nicht damit getan,
ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen und zu sa-
gen, was dieser alles zu bezahlen habe. Wir tun das, was
wir verantworten können.

Als Letztes möchte ich sagen: Wir haben die Mittel für
Ausgaben im Familienbereich enorm angehoben. Dies ist
im Rahmen der Haushaltsgestaltung des Bundes verant-
wortungsvoll geschehen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1417409800
Ich gebe das
Wort der Kollegin Ina Lenke für die F.D.P.-Fraktion.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1417409900
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! O-Ton des SPD-Wahlprogramms zur Bundes-
tagswahl 1998:


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Jetzt bin ich gespannt!)


„Alleinerziehende verdienen die besondere Unterstüt-
zung der Gesellschaft“ – aber anscheinend nicht die die-
ser Regierung; denn diese Regierung kürzt erst einmal bei
den Alleinerziehenden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Der Haushaltsfreibetrag, den gerade die Alleinerziehen-
den zur Steuerentlastung dringend brauchen, wird abge-
baut. Was sollen allein erziehende Mütter eigentlich sa-
gen, wenn zwar das Kindergeld um 30 DM erhöht wird
und die Kinderbetreuung in begrenztem Umfang steuer-
lich absetzbar ist, ihnen auf der anderen Seite aber der
Haushaltsfreibetrag gestrichen wird?


(V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse)

Frau Kressl, dies ist wirklich symptomatisch für den

vorliegenden Antrag von Rot-Grün:

(Nicolette Kressl [SPD]: Quatsch! Es gibt doch den Grundfreibetrag!)

Die Familienentlastung wird nicht von der Allgemeinheit
– durch Steuern – gewährleistet; nein, die Familien selbst
werden zur Finanzierung herangezogen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: So ist das! – Nicolette Kressl [SPD]: So ein Quatsch!)


Erstens. Eichel holt sich 95 Millionen DM von den Fa-
milien, indem er die steuerlichen Vergünstigungen für
Haushaltshilfen streicht. Frau Kressl, auch Sie wissen
ganz genau, dass die Regelungen zur Haushaltshilfe im
Gesetz verankert wurden, damit Schwarzarbeit im Haus-
halt verhindert werden kann. Sie schaffen nicht nur diese
Regelungen, sondern sogar die 630-Mark-Jobs ab, weil es
zu kompliziert wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Was hat es gebracht? Sie sollten sich einmal die Erkenntnisse anschauen!)


– Ich komme aus dem Steuerfach, meine Kenntnisse sind
gut. Sie brauchen mir keinen Nachhilfeunterricht zu ge-
ben.


(Nicolette Kressl [SPD]: Zehn Arbeitsplätze!)

Ein überaus sinnvolles Angebot, das auch half, Schwarz-
arbeit zu vermeiden, ist gestrichen worden.


(Nicolette Kressl [SPD]: Es hat doch nicht gewirkt!)


Zweitens. Eichel holt sich 950 Millionen DM von Fa-
milien, deren Kinder studieren. Der jährliche Freibetrag
für auswärtige Unterbringung wird auf 1 800 DM redu-
ziert.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Hört! Hört! – Nicolette Kressl [SPD]: Das ist die Unwahrheit!)


Bei einem Durchschnittssteuersatz von 30 Prozent erhal-
ten die Familien vom Staat künftig eine Entlastung von
45 DM monatlich. Mein Sohn hat studiert. Um über die
Runden zu kommen, benötigt man 1 100 DM monatlich,
wenn man nicht selber arbeiten geht. Sie kürzen in diesem
Bereich und bieten eine steuerliche Entlastung von ledig-
lich 45 DM pro Monat an. Das erklären Sie doch einmal
den Studenten!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Drittens. Eichel holt sich 1,8 Milliarden DM von den

Familien, indem er die Steuervergünstigungen für Allein-




Christine Scheel
17116


(C)



(D)



(A)



(B)


erziehende abschafft. Und die Grünen – Frau Scheel,
lässt grüßen – tragen dies alles tapfer mit.


(Zuruf von der F.D.P.: Ohne Rückgrat!)

Insgesamt holt sich Eichel an Gegenfinanzierungen
gemäß Ihrem Antrag 2,8 Milliarden DM von den Fami-
lien, bei Vergünstigungen von 7,5 Milliarden DM.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie können offensichtlich nicht lesen!)


– Das ist nach Adam Riese richtig. Sie können dreimal
nachrechnen, es wird nicht besser. – Das heißt, fast
40 Prozent finanzieren die Familien bei Ihrem Antrag
selbst.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das sind politische Taschenspielertricks, die wir als Op-
position offen legen müssen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie können offensichtlich nicht lesen!)


Dann will ich Ihnen etwas zu den Gesamtsteuerein-
nahmen von Minister Eichel und dem Abwarten der Steu-
erschätzung sagen. Es hieß: Wenn Eichel genug Geld hat!
Wenn es die Steuerschätzung hergibt! Das entspricht der
Devise des Ministers: laut klagen, still kassieren.

Die Gesamteinnahmen in 2001 betragen 891 Milliar-
den DM. 2002 werden es 929 Milliarden DM sein. 2004
werden die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden
bei mehr als 1 Billion DM liegen. Sie steigen also ständig;
das wissen Sie ganz genau. Das war auch in der Vergangen-
heit so. Ich habe das, seit ich 1998 in den Bundestag ge-
kommen bin, sehr genau beobachtet. Die Steuerschätzung
und die ordentlichen Einnahmen sind immer besser ge-
worden.

Sie aber machen dieses Paket noch immer von irgend-
einer Steuerschätzung abhängig. Der Bundeskanzler
macht dieses Spiel mit. Aber vielleicht – ich kenne ihn ja
aus Niedersachsen – weiß er das nicht besser.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie verstehen davon ja nichts!)


– Ich verstehe davon sehr wohl etwas, Herr Larcher; ich
verstehe auch sehr genau Ihre Zwischenrufe.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Mehr als Sie, Herr Larcher, versteht sie auf jeden Fall!)


Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert von dieser Bun-
desregierung eine steuerliche Entlastung, die diesen Na-
men verdient. Wir haben Vorschläge für eine Steuerre-
form mit Sätzen von 15, 25 und 35 Prozent gemacht. Wir
haben 1999 einen Antrag zur Familienförderung einge-
bracht. Sie werden von uns einen neuen bekommen, da-
mit Sie sich an all das erinnern, was wir schon vorge-
schlagen haben.

Frau Scheel, Sie fahren immer die Neidkampagne, dass
besser verdienende Familien durch Freibeträge höher ent-
lastet würden.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe doch kein Wort dazu gesagt!)


Ich will Ihnen einmal etwas sagen: In Hamburg hat eine
Sozialhilfeempfängerin monatlich 75 DM für einen Kin-
dergartenplatz zu bezahlen. Eine Familie, in der die Frau
wieder arbeiten gehen will, hat bis zu 750 DM im Monat
zu bezahlen. Aber Sie fahren noch immer die Neidkam-
pagne, dass die Steuerentlastung höher sei.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn!)


Ich sage Ihnen: Sie verhindern, wenn Sie die Steuerfrei-
beträge derart niedrig halten, einen Wiedereinstieg von
Frauen in den Beruf.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Die Ankündigungen von

SPD und Grünen vor der letzten Bundestagswahl sind das
Papier nicht wert, auf dem die Wahlversprechen gemacht
worden sind.


(Lachen bei der SPD)

Wir brauchen ein umfassendes Konzept. Frau Kressl hat
von mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten gesprochen,
was man aber in diesem Antrag nicht findet. Da hätten Sie
einmal konkreter werden müssen. Meines Erachtens müs-
sen neben der steuerlichen Entlastung auch Konzepte zur
Vereinbarung von Familie und Beruf – da müssen wir mit
den Kommunen reden – erstellt werden. Als Oppositions-
partei wird die F.D.P. eigene Vorstellungen darlegen und
Vorschläge machen. Die Regierung hat für dieses Flick-
werk Kritik verdient.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417410000
Ich erteile das Wort
Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417410100
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Heute ist der 1. Juni. Deshalb gra-
tuliere ich allen Kindern und jungen Jugendlichen zum
heutigen Internationalen Tag des Kindes.


(Beifall bei der PDS)

Gleichzeitig möchte ich mich bei ihren Eltern gewis-

sermaßen dafür entschuldigen, dass die Politik es bis
heute nicht geschafft hat, Kinder materiell abzusichern,
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewähr-
leisten und eine ausreichende Kinderganztagsbetreuung
vom Kindergarten bis zur Schule in der Bundesrepublik
Deutschland zu verwirklichen.

Frau Kressl, Sie haben sich im Laufe dieser Debatte
doch ziemlich aufgeregt; Sie waren nicht die Einzige in
Ihrer Fraktion. Ich frage mich allerdings: Warum verwei-
gern Sie sich eigentlich einer seriösen Beratung dieses
Gesetzentwurfes? Sie versuchen, ihn innerhalb von vier
Wochen hier durchzupauken. Auch das ist ein Punkt, um
den es geht: Sie versuchen, uns Parlamentarierinnen und
Parlamentarier, aber auch die Verbände und die betroffe-
nen Eltern zu entmündigen. Es ist nicht möglich, inner-
halb von drei Wochen wirklich seriös zu diskutieren, all
die Fallstricke zu finden, die in Ihrem Gesetzentwurf ver-
steckt sind und zu ermitteln, welche Verteilungswirkung
des Ganze hat.




Ina Lenke

17117


(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf eine Entlas-
tung für Menschen mit Kindern in Höhe von insgesamt
4,6 Milliarden DM vorgeschlagen.


(Nicolette Kressl [SPD]: 4,9 Milliarden!)

Das ist nichts verglichen mit den Entlastungen im Rahmen
der Unternehmensteuerreform. Noch dazu wurde das alles
unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Außerdem müssen
die Familien die Entlastung zum Teil selber gegenfinan-
zieren.

Zweitens. Zielstellung der gesellschaftlichen Diskus-
sionen der letzten Jahre war es, dass es darum gehen
müsste, Familien wieder stärker am gesellschaftlichen
Wohlstand teilhaben zu lassen. Ihr Gesetzentwurf macht
aber nichts in diese Richtung. Im Gegenteil: Sie koppeln
die Familien vom gesellschaftlichen Wohlstand weiter ab.
Zur Illustration zwei Zahlen: Bis zum Jahr 2005 werden
Singles ohne Kind mit einem Jahreseinkommen in Höhe
von 40 000 DM steuerlich dreimal höher entlastet als Al-
leinerziehende mit gleichem Einkommen. Das kann doch
wohl nicht gerecht sein.


(Beifall bei der PDS – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie funktioniert das bitte?)


Ein Single ohne Kind mit einem Jahreseinkommen in
Höhe von 60 000 DM erhält immer noch eine doppelt so
hohe steuerliche Entlastung wie Alleinerziehende.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Drittens. Es stimmt leider nicht, dass sich die Schere
zwischen reichen und armen Familien wieder schließt.
Nein, das ist nicht der Fall.


(Nicolette Kressl [SPD]: Aber doch!)

Durch die Beibehaltung des dualen Systems – Kindergeld
und Kinderfreibeträge – kommt es zu einer sehr unter-
schiedlich starken Entlastung. Sie erhöhen zwar das Kin-
dergeld für das erste und zweite Kind um monatlich
30 DM pro Kind, schaffen damit aber nur eine tatsächli-
che monatliche Entlastung in Höhe von 300 DM. Die mo-
natliche Entlastung für Spitzenverdiener beträgt, fasst
man den Betreuungsfreibetrag und den Kinderfreibetrag
zusammen, 460 DM. Das sind 160 DM pro Monat mehr.
Solange Sie in der Opposition waren, haben Sie das duale
System massiv kritisiert. Jetzt sind Sie an der Macht und
halten daran fest. Das kann niemand mehr verstehen.


(Beifall bei der PDS)

Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Familienminis-
terium – man höre und staune – schließt sich der Forde-
rung nach einer Beseitigung des dualen Systems an. Nicht
einmal dem folgen Sie.

Viertens. Ihr Gesetzentwurf enthält reale Mehrbelas-
tungen für allein erziehende Eltern. Wieder ein Beispiel
mit Zahlen, denn das macht sich besser: Alleinerziehende,
die 60 000 DM im Jahr verdienen – diese soll es tatsäch-
lich geben – und Betreuungskosten in Höhe von
4 000 DM haben, zahlen unter Berücksichtigung aller Ta-
rifentlastungen durch die Steuersenkungsgesetze, die wir
in Ihrer Regierungszeit so hatten, im Jahre 2003 590 DM

mehr Steuern als 1999. Im Jahre 2005 werden es sogar
noch mehr sein. Eine Alleinerziehende mit einem Jahres-
einkommen in Höhe von 45 000 DM und Kinderbetreu-
ungskosten in Höhe von 3 000 DM muss im Jahre 2003
165 DM mehr an Steuern zahlen. Im Jahre 2005 sind es
250 DM mehr.

Die größte Schweinerei besteht darin – das muss man
so sagen –, dass Sie sozialhilfeberechtigte Kinder und Ju-
gendliche wieder nicht an der Kindergelderhöhung teil-
haben lassen wollen. Die Erhöhung um 30 DM wird auf
die Sozialhilfe angerechnet. Schon beim letzten Mal ha-
ben wir darum gekämpft, dass wenigstens 10 DM bei die-
sen ankommen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren 20 DM!)


Muss denn dieser Kampf jedes Mal aufs Neue geführt
werden?


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Sie hätten natürlich eine Möglichkeit, da herauszukom-
men. Da Sie in der Diskussion aber bisher darauf nicht
eingegangen sind, sage ich es Ihnen.

Wir haben Ihnen den Antrag mit dem Titel „Gerechte
Chancen am Start – Kinderarmut bekämpfen“ vorgelegt.
Danach soll es ein Kindergeld für alle Kinder in Höhe von
mindestens 410 DM und Zulagen in existenzsichernder
Höhe von 800 DM für die Kinder geben, deren Eltern we-
nig Geld haben. Das ist auch finanzierbar.


(Beifall bei der PDS)

Es ist unter anderem durch eine Individualisierung des
Steuerrechts finanzierbar. Das wissen Sie, aber Sie ver-
wirklichen es wider besseres Wissen bisher nicht.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417410200
Ich erteile der Kolle-
gin Christel Humme, SPD-Fraktion, das Wort.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1417410300
Herr Präsident! Liebe Kol-
legen! Liebe Kolleginnen! Von den vielen Luftnummern
kommen wir jetzt vielleicht zur Lebenswirklichkeit
zurück.


(Beifall bei der SPD)

Familien sind in. 88 Prozent der jungen Menschen

wünschen sich Kinder und Familie – so das Ergebnis der
Shell-Jugendstudie aus dem Jahre 1998. Dennoch stellen
wir fest: 40 Prozent aller Akademikerinnen zwischen 35
und 39 Jahren haben keine Kinder. Denn die jungen Men-
schen sehen die Schwierigkeiten, die mit der Fa-
miliengründung verbunden sind. Zum einen muss der fi-
nanzielle Rahmen stimmen. Zum anderen befürchten
gerade junge Frauen, dass ihr Wunsch nach dauerhafter
Erwerbstätigkeit mit einer Familie nur schwer zu verein-
baren ist. In ist also auch, im Beruf Erfolg zu haben und
Erfüllung zu finden. Dies gilt für Männer und Frauen.

Out ist danach eindeutig, dass Frauen ihre hervorra-
genden beruflichen Qualifikationen nach der Geburt eines




Dr. Barbara Höll
17118


(C)



(D)



(A)



(B)


Kindes nicht nutzen können. Out ist – um es auf einen
Nenner zu bringen – eine konservative Familienpolitik,


(Beifall bei der SPD)

eine Familienpolitik – das sage ich bewusst in Richtung
der CDU/CSU –, die zum Beispiel ein Familiengehalt
von bis zu 1 200 DM monatlich fordert.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Kein Gehalt! Familiengeld!)


Dass für diesen Betrag kaum ein Mann seinen Beruf auf-
gibt, ist sonnenklar. Dass dieser Betrag nur mit einer dras-
tischen Steuererhöhung zu finanzieren wäre, kommt
hinzu. Mütter aber schickt dieses Familiengehalt


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das ist kein Familiengehalt!)


ins berufliche Abseits. Denn das Geld soll nur bekommen,
wer auf Berufstätigkeit verzichtet.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Wo steht das denn? Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Wer das aber über viele Jahre tut, landet im beruflichen Aus.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417410400
Kollegin Humme, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1417410500
Ich möchte jetzt erst einmal
fortfahren. Wir können Ihre Frage, Frau Eichhorn, viel-
leicht am Schluss klären.

Inzwischen schießen die unterschiedlichsten populisti-
schen Vorschläge – von Familienrabatten über Familien-
geld bis hin zu weiteren Steuerfreibeträgen – ins Kraut.
Besonders wir Frauen aber haben allen Grund, alles, was
so familienfreundlich daherkommt, genauer zu prüfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

„Familienpolitik – ungenügend“ hat das Bundesver-

fassungsgericht der CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung
mit seinem Urteil aus dem Jahre 1998 ins Stammbuch ge-
schrieben. Wir, die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen,
haben seit Herbst 1998 Familien dahin gerückt, wohin sie
gehören: ins Zentrum unseres politischen Handelns. Wir
haben erstens ihre wirtschaftliche Situation verbessert
und zweitens Rahmenbedingungen für eine verbesserte
Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen.


(Beifall bei der SPD)

Schauen wir uns die wirtschaftlichen Vorteile, die wir

in den letzten zweieinhalb Jahren für Familien geschaffen
haben, etwas näher an: Die heute vorgestellte zweite Stufe
der Familienförderung ist eine der vielen Maßnahmen zur
Entlastung und Förderung von Familien. Die darin vorge-
sehene Kindergelderhöhung zum 1. Januar 2002 ist die
dritte innerhalb von drei Jahren. Wir, die rot-grüne Koali-
tion, haben seit 1998 das Kindergeld von 220 DM auf
300 DM erhöht. Das ist eine Anhebung um 80 DM, eine
Steigerung um sage und schreibe 36 Prozent.

Seit dem 1. Januar des letzten Jahres bringt der Be-
treuungsfreibetrag von 3 024 DM weitere Entlastungen.
Ab 2002 gibt es neben dem Kinderfreibetrag – jetzt soll-

ten Sie von der Opposition einmal genauer hinhören; denn
ich glaube, Sie haben einiges nicht richtig verstanden – ei-
nen Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag
von 4 212 DM, der im Übrigen durchgängig bis zum
27. Lebensjahr gewährt wird, und zusätzlich 1 800 DM
für auswärtig untergebrachte, volljährige studierende
Kinder. Es gibt also keine Kürzungen, sondern wir legen
sogar noch etwas oben drauf, Frau Falk.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Über Kindergelderhöhungen und Betreuungsfreibetrag
hinaus gab es bereits weitere Entlastungen für Familien.
Ich nenne nur die geringe Steuer- und Abgabenlast auf-
grund der Steuerreform,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das merkt man bei der Ökosteuer ganz besonders!)


die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere der
Jugendarbeitslosigkeit – dies ist unsere Erfolgsstory über-
haupt –, die Anhebung der Einkommensgrenzen beim Er-
ziehungsgeld, die bessere finanzielle Förderung der Ausbil-
dung von Kindern durch die Reform des BAföG sowie die
Reform des Wohngelds. All dies hat die wirtschaftliche Si-
tuation der Familien und natürlich auch die der Alleiner-
ziehenden spürbar verbessert. Wir haben damit in Sachen
Familienpolitik ein gerechtes Reformpaket geschnürt.

Was haben wir gleichzeitig geleistet, um für junge Fa-
milien die wichtige Frage zu beantworten, wie Familie
und Beruf zu vereinbaren sind? Aufgrund der Flexibili-
sierung derElternzeit sowie der Einführung des Rechts-
anspruchs auf Teilzeitarbeit


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das verhindert, dass Frauen Arbeit bekommen! Der Schuss geht nach hinten los!)


geben wir nun auch Männern die Chance, sich an der Er-
ziehung ihrer Kinder zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die heute diskutierte zweite Stufe der Familienförderung
unterstützt gerade das Ziel, die Berufstätigkeit zugunsten
von Kindererziehung nicht aufgeben zu müssen.

Zurzeit wird eine für mich unverständliche Debatte da-
rüber geführt, dass Kinder das größte Armutsrisiko seien.
Ich hoffe, die Kinder hören das nicht.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Wer hat denn die Debatte angezettelt? Wer hat das behauptet?)


Dabei wird allerdings übersehen, dass in Wirklichkeit das
entgangene Gehalt das Loch in die Haushaltskasse reißt
und damit am stärksten zum Armutsrisiko beiträgt.

Darum begrüße ich im Konzept der zweiten Stufe der
Familienförderung besonders die von uns neu eingeführte
steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.
Sind beide Elternteile erwerbstätig, sollen sie ihre
erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten steuerlich
geltend machen können.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Aber das gilt doch nur für erwerbstätige Eltern!)





Christel Humme

17119


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit leisten wir einen wichtigen und wesentlichen Bei-
trag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, flexibilisierte Eltern-
zeit, Rechtsanspruch auf Teilzeit und steuerliche Absetz-
barkeit erwerbsbedingter Betreuungskosten sind wichtige
Schritte für die Besserstellung der Familien. Wir brauchen
aber auch – und da stimme ich Ihnen natürlich zu, wie
Frau Scheel auch – mehr Betreuungsangebote für kleine
und große Kinder. Ganztagsbetreuung, Ganztagsschulen
müssen flächendeckend angeboten werden. Das ist eine
große Herausforderung der kommenden Jahre für Bund,
Länder und Gemeinden.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Was machen Sie denn in dieser Legislaturperiode? Sie hatten das doch versprochen!)


Wir stellen uns dieser Herausforderung. Gemeinsam
mit Ländern und Kommunen arbeiten wir bereits an trag-
fähigen und finanzierbaren Lösungen. Auch Firmen
– jetzt hören Sie noch einmal genauer zu – haben die
Zeichen der Zeit erkannt. Sie sehen mittlerweile in ihren
Mitarbeitern Väter und Mütter und schaffen zunehmend
Betreuungsangebote.

Das ist, denke ich, die Politik, die, von uns mitgetragen
und nach vorn gebracht, die Zukunft darstellen wird, näm-
lich ein Bündnis für die Familie. Das ist auch ein Stand-
ortvorteil für Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417410600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich Kollegin Maria Eichhorn, das Wort.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1417410700
Frau Kollegin Humme
hat das Familiengeld angesprochen. Da muss ich denn
doch etwas zurechtrücken.

Sie haben nämlich gesagt, mit dem Familiengeld sei
beabsichtigt, dass nur diejenigen es bekommen würden,
die nicht erwerbstätig seien. Unser Familiengeld ist im
Gegensatz dazu so konzipiert, dass es echte Wahlfreiheit
gewährt. Das heißt, es ist einkommensunabhängig, unab-
hängig von jeder Erwerbstätigkeit. Es können also Eltern,
die beide erwerbstätig sind, das Familiengeld genauso in
Anspruch nehmen wie diejenigen, die die Rollenvertei-
lung auf andere Art und Weise bewältigen. Wenn sich also
einer der Kindererziehung widmet und der andere er-
werbstätig ist, haben sie denselben Anspruch.

Wir wollen genau das verwirklichen, was Sie vorher
abgestritten haben, nämlich beiden Elternteilen die echte
Wahlfreiheit ermöglichen.

In diesem Zusammenhang auch noch etwas zur Ge-
genrechnung. Das Familiengeld beinhaltet keineswegs,
dass andere Familienleistungen abgeschafft werden.
Alle anderen Leistungen wie Wohngeld und Unterhalts-
vorschuss bleiben natürlich bestehen. Es geht nur darum,
in den ersten drei Jahren Erziehungsgeld und Kindergeld
zusammenzufassen, wobei das eine ein Kostenersatz für

das ist, was den Eltern vorenthalten wird, also ein Aus-
gleich, und das andere eine echte Familienförderung. Ich
wollte das noch klargestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417410800
Kollegin Humme, Sie
haben die Gelegenheit zur Antwort.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1417410900
Frau Eichhorn, erstens zu
dem, was Frau Kressl bereits gesagt hat. Die von Ihnen
genannten 1 200 DM werden bei uns schon über das Er-
ziehungsgeld und das Kindergeld pro Kind gezahlt. Auf
diese 1 200 DM brauchen wir also nicht länger zu warten.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wenn Sie das wirklich so meinen, wie Sie es

gerade gesagt haben, dann bitte ich Sie, Frau Eichhorn,
darauf hinzuwirken, dass in Ihrem Parteiprogramm
tatsächlich steht, dass alle, unabhängig vom Einkommen,
diese 1 200 DM erhalten. Aus Ihrem Programm geht das
so nicht hervor.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist unser Konzept! Das steht da deutlich drin!)


Ich weiß aber – und das möchte ich jetzt einmal zu
Ende ausführen – von einem Modellprojekt in Baden-
Württemberg. Wir wissen ja alle, wer in Baden-Württem-
berg regiert. Wir sind es nicht, soweit ich weiß. Da gibt es
ein Modellprojekt: 1 500 DM Familiengeld für Familien,
deren Mütter zu Hause bleiben und für die Kinder sorgen.
Ergebnis dieses Modellprojektes war bedauerlicherweise,
dass all die Mütter, die dieses Modell in Anspruch ge-
nommen haben, hinterher der Sozialhilfe anheim gefallen
sind.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und was hat Niedersachsen?)


Das ist ein Projekt, das wir nicht fördern. Von daher
wäre es ganz gut, wenn Sie in Ihrem Programm Ihre Aus-
sagen etwas konkretisieren würden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417411000
Nun erteile ich der
Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1417411100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten von
der Lebenswirklichkeit der Frau Humme jetzt wieder zu
der Lebenswirklichkeit dieses Gesetzentwurfes kom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Also, es war wie folgt: Die Mitglieder der Regierung
haben miteinander gestritten: Herr Eichel mit Frau




Christel Humme
17120


(C)



(D)



(A)



(B)


Bergmann, Frau Bergmann mit Herrn Eichel, hin und her,
vor und zurück – und das monatelang.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Beide sind nicht hier!)


Dann hat die SPD untereinander gestritten, später die SPD
mit den Grünen und die Grünen mit der SPD. Plötzlich
entstand im Geiersturzflug ein Gesetzentwurf.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Druckerschwärze war noch nicht trocken, Frau

Scheel, da las ich in AFP, dass das alles gar nicht mehr ak-
tuell ist und dass es sich um Makulatur handelt.


(Zuruf von der CDU/CSU : Die Masche kennen wir ja bei Frau Scheel! – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nichts gegen Frau Scheel!)


Kaum ist ein Gesetzentwurf fertig, haben Sie wieder et-
was zu kritisieren. Ich denke, man kann mit Fug und
Recht sagen, dass Sie noch immer nicht gelernt haben zu
regieren. Das scheint sehr schwer zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Nicolette Kressl [SPD]: Deswegen sind die Umfragen ja auch so schlecht!)


Ich denke, dass es vernünftigerweise so sein sollte, dass
man sich, bevor man einen Gesetzentwurf einbringt, vor-
her auf die Inhalte einigt und nicht nachher übereinander
herfällt.

Jetzt wollen wir einmal zum Inhalt kommen: Wir als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen, dass die Regie-
rung versucht, ihre Pflicht zu erfüllen und das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Von den an-
gekündigten 22 Milliarden DM, die dieses Urteil nach
Aussagen des Bundesfinanzministeriums direkt nach der
Verkündung kosten sollte, sind in diesem Gesetzentwurf
circa 4,5 Milliarden DM übrig geblieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein trauriger Rekord!)


Also steht über diesem Gesetzentwurf ein falsches Etikett.
Er ist ein Etikettenschwindel; denn von Familienförde-
rung kann hier überhaupt nicht die Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht so

gemeint, wie Sie es umsetzen. Das Verfassungsgericht
hat ja kritisiert, dass Sie die Alleinerziehenden besser
stellen als die verheirateten Eltern bzw. dass die verhei-
rateten Eltern schlechter gestellt sind als die Alleinerzie-
henden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das Verfassungsgericht hat Sie kritisiert! – Nicolette Kressl [SPD]: Wessen Regierungszeit war das?)


Unsere Regierung hat die Alleinerziehenden damals
deswegen besser gestellt, weil Sie mit uns zusammen ar-
gumentiert haben, dass sie auch mehr Bedarf haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt und
kritisiert.


(Nicolette Kressl [SPD]: Wessen Regierungszeit war das?)


Was tun Sie jetzt? Sie tun Folgendes: – –

(Ingrid Holzhüter [SPD]: Wer schreit, hat Unrecht! – Gegenruf des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und warum schreien Sie dann?)


– Ich kann noch viel lauter sprechen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Nein, das können Sie nicht!)

– Herr von Larcher, Sie brauchen gar nicht so zu schreien.
Sie pöbeln nur.

Das Verfassungsgericht hat nicht gemeint, dass Sie den
Haushaltsfreibetrag der Alleinerziehenden ab 2005 ganz
auf null fahren, sondern es hat genau das Umgekehrte ge-
meint:


(Nicolette Kressl [SPD]: Nein!)

dass die verheirateten Eltern genauso viel bekommen sol-
len wie die Alleinerziehenden. Hier liegt ein Schwach-
punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der CDU/CSU: Die können Ursache und Wirkung nicht auseinander halten!)


Ich denke, dass wir gemeinsam froh sein können, dass
das Kindergeld um 30 DM erhöht werden soll. Wenn
man sich allerdings das Finanzierungstableau ansieht,
dann kann man nur schier erschrocken sein. Beim Finan-
zierungsteil machen Sie nämlich Folgendes: Senkung des
Haushaltsfreibetrags bei Alleinerziehenden, Streichung
der steuerlichen Absetzbarkeit von Haushaltshilfen und
Reduzierung der Ausbildungsfreibeträge.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist falsch!)

– Schauen Sie sich den Gesetzentwurf doch an: 2,8 Milli-
arden DM werden den Familien erst einmal weggenom-
men, ehe sie wieder etwas bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Nicolette Kressl [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Mir als Oppositionspolitikerin werden Sie es zwar
nicht glauben, aber wir werden im Finanzausschuss eine
Expertenanhörung beschließen. In dieser Anhörung wird
man Ihnen das dann sagen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417411200
Kollegin Wülfing, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?


Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1417411300
Bitte schön, gerne.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1417411400
Frau Kollegin, eine ganz kurze
Frage: Können Sie mir erläutern, auf welches Jahr und auf
wessen Regierungszeit sich das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts, von dem Sie hier sprechen, bezieht? Ich




Elke Wülfing

17121


(C)



(D)



(A)



(B)


frage dies, weil Sie behauptet haben, es handele sich um
ein Urteil zu unserer Politik. War damals nicht jemand an-
ders Kanzler?


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das war 1982! Das ist noch Ihre Zeit gewesen! – Gegenruf von der SPD: Nein, das war 1983!)



Elke Wülfing (CDU):
Rede ID: ID1417411500
Herr Heil, Sie wissen ganz
genau, auf welche Jahre sich das Verfassungsgerichts-
urteil bezieht, nämlich auf die Jahre bis 1996.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

– Nicht „Hahaha“. – Sie wissen genau, dass es sich auf die
Jahre bis 1996 bezog. Wir, die damalige CDU/CSU- und
F.D.P.-Regierung, haben 1997 gemeinsam mit dem
SPD-dominierten Bundesrat eine Kindergeldumstellung
gemacht, die hervorragend war und die vom Bundesver-
fassungsgericht nicht angegriffen worden ist. Das wissen
Sie ganz genau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zurufe von der SPD)


Wir wollen wieder zu dem Gesetzentwurf kommen. Er
beinhaltet das, was jetzt wichtig ist. Man kann mit Fug und
Recht sagen, dass das, was Sie dort aufgeschrieben haben,
wie folgt aussieht: FreibetragX plus FreibetragYplus Frei-
betragZ minus Ausbildungsfreibetrag. Wissen Sie was? Ich
finde es immer gut, wenn man seine Kinder erziehen kann,
ohne daneben einen Steuerberater stehen zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man doch! Das ist ganz einfach!)


Deswegen wäre es viel besser gewesen, wenn Sie sich
nicht immer etwas Neues ausdächten, was für die Familien
nur in Teilbereichen gilt, sondern wenn Sie die Freibe-
träge, die es schon jetzt gibt, mit uns zusammen erhöhen.
Danach können wir überlegen, was wir noch zusätzlich
machen können.

Ich möchte hierzu etwas ausführen. Sie haben die steu-
erliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen gestrichen. Wir
sollten darüber nachdenken, ob das vernünftig war. Man
sollte etwas anders vorgehen. Frau Kressl, Sie haben voll-
kommen Recht, wenn Sie sagen, dass die Absetzbarkeit
keine große Wirkung hatte. Das ist aber ganz normal; denn
wenn Sie den Menschen in einem normalen Haushalt Ar-
beitgeberpflichten aufdrücken, dann scheuen sie davor
zurück. Deswegen haben wir zusammen mit Bayern und
Baden-Württemberg überlegt, ob man die steuerliche Ab-
setzbarkeit von Haushaltshilfen nicht auf Dienstleistungs-
agenturen umlegen kann. Das wäre nicht verkehrt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das wollte Frau Böhmer! Sie haben es damals abgelehnt!)


Auch die 630-DM-Arbeitsverhältnisse wären dafür gut
geeignet. Damit wären drei Ziele erreicht: Erstens würde
dadurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert.
Zweitens würde etwas gegen Schwarzarbeit getan.
Schwarzarbeit ist gerade in privaten Haushalten gang und
gäbe. Drittens haben Sie zusätzlich eine sozialversiche-

rungspflichtige Beschäftigung geschaffen. Lassen Sie uns
über diese Idee nachdenken. Es könnte sein, dass Bayern im
Bundesrat eine entsprechende Initiative einbringt. Es wäre
wirklich sehr vernünftig, wenn wir uns vorher im Fi-
nanzausschuss darüber unterhalten könnten, ob wir dem zu-
stimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin nicht gegen ein gemeinsames Handeln bei der

Familienförderung. Aber auch Frau Scheel hat mehrmals
öffentlich gesagt – heute hat sie sich allerdings zurückge-
halten –, was es an der Familienförderung zu kritisieren
gibt. Wenn wir diesen Entwurf noch ein wenig verbessern,
können wir ihn gemeinsam beschließen. Aber er muss
dann mehr Substanz enthalten, Frau Kressl.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417411600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6160 und 14/6173 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion

der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ers-
ten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes (1. AÜG-ÄndG)

– Drucksache 14/1211 –

(Erste Beratung 59. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/5807 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Klaus Grehn

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Neunter Bericht der Bundesregierung über
Erfahrungen bei derAnwendung des Arbeitneh-
merüberlassungsgesetzes – AÜG – sowie über
die Auswirkungen des Gesetzes zurBekämpfung
der illegalen Beschäftigung – BillBG –
– Drucksachen 14/4220, 14/5807 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Klaus Grehn

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.




Hubertus Heil
17122


(C)



(D)



(A)



(B)



Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1417411700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir gehen heute in die zweite
und dritte Beratung eines von uns eingebrachten Gesetz-
entwurfs zur Flexibilisierung des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes.

Wir haben diesen Entwurf 1999 in den Bundestag ein-
gebracht. Im Januar 2000 haben wir eine Anhörung durch-
geführt. Bis zu der heutigen Abstimmung haben wir uns
Zeit gelassen, weil wir den Eindruck hatten, dass es in der
Koalition zu diesem Thema Bewegung gibt. Wir müssen
jetzt leider feststellen, dass Sie diesen Entwurf heute wohl
ablehnen werden, obwohl ich gleich noch einen Versuch
machen werde, Sie davon zu überzeugen, dass Sie ihm
eigentlich zustimmen müssten.

Zurzeit entwickelt sich der Arbeitsmarkt ziemlich ne-
gativ, meine Damen und Herren von der Regierungskoa-
lition. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Jahr 2000
ist eher bescheiden. Wenn man die Zahlen für die ersten
Monate dieses Jahres sieht, stellt man fest, dass die Ar-
beitslosigkeit saisonbereinigt sogar von Monat zu Monat
gestiegen ist. Wenn wir das Wirtschaftswachstum be-
trachten und sehen, wie Sie von der Regierung in den ers-
ten Monaten dieses Jahres Ihre Prognosen dauernd haben
zurückschrauben müssen – von ehemals 2,7 Prozent über
2,5 Prozent auf jetzt offiziell 2,0 Prozent; gestern konnten
wir lesen, dass von einigen Experten nur noch 1,5 Prozent
erwartet werden –, dann müssen wir feststellen: Das Wirt-
schaftswachstum ist damit unterhalb der Schwelle, von
der aus nach Expertenmeinung noch Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt zu erwarten sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Leider wahr!)

Gerade in einer solchen Situation wäre es eigentlich

wünschenswert, wenn Sie alle politischen Stellschrauben
so drehen würden, dass sie auf dem Arbeitsmarkt zu ei-
nem Push führen, anstatt genau das Gegenteil zu tun. Was
Sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht haben, hat
nicht zur Erleichterung oder Flexibilisierung geführt. Sie
haben zusätzliche Belastungen geschaffen, die keine
Arbeitsplätze entstehen lassen. Sie haben mit den Rege-
lungen zu den 630-DM-Jobs und zur Scheinselbststän-
digkeit angefangen. Sie haben eine Steuerreform durch-
geführt, die im Bereich des Mittelstandes nicht wirkt,
obwohl das dringend notwendig wäre. Ihre Gesetzgebung
bei der Teilzeitarbeit hat Einstellungen eher verhindert als
gefördert und die Reform des Betriebsverfassungs-
gesetzes hat die Wirtschaft nicht ermuntert, neue Arbeits-
plätze zu schaffen. Alle Ihre Maßnahmen gehen in die
falsche Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor diesem Hintergrund wäre es notwendig, jede Stell-

schraube zu nutzen; eine davon ist Arbeitnehmerüber-
lassung. Ich möchte Ihnen, Herr Brandner – da Sie nach
mir reden, können Sie darauf gerne eingehen –, eine Hil-
festellung geben, wie die Koalitionsfraktionen vielleicht
doch noch zustimmen könnten.

Ich beginne einmal mit einem Zitat:
Wenn es richtig ist, dass die Arbeitswelt der Zukunft
durch Vielfalt der Arbeitsformen und größere Flexi-

bilität gekennzeichnet sein wird, dann wird der Zeit-
oder Leiharbeit eine besondere Bedeutung zukom-
men.

An dieser Stelle müssten Sie klatschen, weil dieses
Zitat aus dem Bericht der Projektgruppe „Zukunft der Ar-
beit“ des SPD-Parteivorstandes vom März 2001 ist. An-
gesichts der Erkenntnisse, die Sie mittlerweile im Bun-
desvorstand haben, frage ich mich: Warum stimmen Sie
heute unserem Antrag eigentlich nicht zu, obwohl Sie,
meine Damen und Herren von der SPD, geistig schon so
weit sind?

Ich kann es gar nicht besser formulieren, als Sie das in
Ihrem Papier machen. Ich zitiere weiter:

Arbeitnehmerüberlassung kann Überstunden ver-
meiden und die reguläre Beschäftigung erhöhen, ...

Zitat aus der Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes
„Zukunft der Arbeit“.

Weiter:
Arbeitnehmerüberlassung kann flexible, freiwillige
und individuelle Formen der Arbeitszeitverkürzung
erleichtern.

Ich brauche nicht mehr zu sagen, woraus dieses Zitat
stammt.

Ein weiteres Zitat:
Arbeitnehmerüberlassung kann durch Teilnahme der
Leiharbeitsfirmen an der privaten Arbeitsvermittlung
Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ra-
scher zueinander bringen und zur Eingliederung von
schwer vermittelbaren Arbeitslosen beitragen, ...

Ich habe ein weiteres Mal aus Ihrem Papier zitiert. Ich
frage mich noch immer: Warum stimmen Sie unserem An-
trag, der sehr gemäßigt ist, eigentlich nicht zu?


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wenn sie alles wissen, handeln sie ja vorsätzlich! Das ist ja noch schlimmer!)


Ein weiteres Zitat, Herr Brandner, und zwar wieder aus
dem Bericht der Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes:

Arbeitnehmerüberlassung kann Arbeitnehmern, die
einen Arbeitsplatz mit maßgeschneiderter Arbeitszeit
oder mit einer ihren individuellen Bedürfnissen ent-
sprechenden Befristung suchen, ein entsprechendes
Angebot zur Verfügung stellen.

Warum stimmen Sie unserem Antrag nicht zu? Wir ha-
ben Ihnen fast zwei Jahre Zeit für interne Diskussionen ge-
lassen. Geben Sie sich doch einen Ruck und sagen Sie: Ja-
wohl, das ist ein Antrag, der in die richtige Richtung geht.
Wir wollen das eigentlich auch, nur weil über dem Antrag
„CDU/CSU“ steht, können wir dem nicht zustimmen. –
Aber stimmen Sie doch wenigstens von der Sache her zu.

Ich gehe ein Stück weiter: Erst gestern wurden die Eck-
punkte zur Reform der Arbeitsförderung veröffentlicht.
Interessanterweise verwenden Sie im Moment viel
Gehirnschmalz und Kreativität darauf, Projekte, die Sie
in die Welt setzen, mit besonders lyrischen Namen zu
versehen. Wir wissen nun, dass „Mozart“ nicht nur ein






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Musiker ist, sondern auch ein Modellprogramm, das für
die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern steht.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das gemacht, damit Sie sich das schön merken können!)


– Ja, ich finde nur, bei „Mozart“ denke ich nicht an So-
zialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Dieses Vorgehen ist ein
Teil Ihrer Beschönigungspolitik. Inhaltlich geschieht we-
nig, weil Sie nicht den Mut haben, Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe wirklich zusammenzubringen. Sie machen nur
Modelle und geben ihnen schöne Namen.

Sie sagen nicht, worum es eigentlich geht, nämlich um
Eckpunkte einer Arbeitsförderungsreform, die Sie eigent-
lich im letzten Jahr schon machen wollten. Sie haben sich
durch das Thema gequält und gestern Eckpunkte vor-
gelegt, die sich jetzt Job Aqtiv nennen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Name!)


– Ja – Dann liest man das nach und stellt fest, dass man
„aqtiv“ neuerdings mit „q“ schreibt, weil es eine komi-
sche Abkürzung ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Das haben sogar Sie verstanden! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dafür hat sich das gelohnt!)


Hören Sie doch endlich auf, Ihren Programmen lyrische Na-
men zu geben, die von dem, was Sie eigentlich wollen, ab-
lenken! Machen Sie doch endlich etwas, damit wir auf dem
Arbeitsmarkt etwas mehr Flexibilisierung hinbekommen!

Auf der Seite 7 Ihres Papiers schreiben Sie – Herr
Brandner, vielleicht hilft Ihnen dieses Zitat, unserem An-
trag heute zuzustimmen –:

Die Möglichkeit, Arbeitnehmerüberlassung als Ein-
stieg zur beruflichen Integration von Arbeitslosen
mit weniger guten Vermittlungschancen einzusetzen,
wird verbessert: Die zulässige Überlassungsdauer

– das ist ein konkreter Punkt, den wir heute fordern und
den Sie ablehnen werden –

von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern
an denselben Entleiher wird für Arbeitslose ... ver-
längert.

Sie schreiben also genau das, was Sie heute ablehnen wer-
den, als Zukunftsprojekt in Ihr Papier.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist ja unglaublich!)


Was wollen Sie eigentlich?

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das wissen sie doch selbst nicht!)

Stimmen Sie dem heute zu, dann dauert es nicht noch län-
ger!

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Wertung aus
unserer Sicht vornehmen. Zeitarbeit ist ein Instrument,
das eine dynamisierende Wirkung für den Arbeitsmarkt
hat. Sie können das bei unseren europäischen Nachbarn
sehen: Das niederländische Wirtschafts-, Wachstums- und

Arbeitsmarktwunder beruht zu einem wesentlichen Teil
auf der Wachstumsbranche Zeitarbeit. Nehmen Sie ruhig
einmal den europäischen Vergleich: Zeitarbeitnehmer
machen dort einen Anteil von 4,6 Prozent, bei uns in
Deutschland aber nur bescheidende 0,7 Prozent aus. Sie
sehen, welche Kraft da noch drinsteckt, um den Arbeits-
markt in Bewegung zu bringen.

Wir fordern dreierlei. Erstens. Die zulässige Höchst-
dauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an den-
selben Entleiher ist von 12 auf 36 Monate zu erweitern.
Dies ermöglicht, Leiharbeit auch in Bereichen mit höher
qualifizierten Arbeitnehmern und zur Vertretung von Er-
ziehungsurlaub einzusetzen.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Sklavenhandel!)

Zweitens. Bisher durfte die Dauer des Arbeitsverhält-
nisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher mit
der Dauer der erstmaligen Weitergabe an einen Entleiher
nicht übereinstimmen. Wir wollen diese Beschränkung
abschaffen; das steht auch in Ihren Papieren. Eine solche
Neuregelung hilft gerade Geringqualifizierten erst einmal
einen Job zu finden, auch wenn sie keinen Anschlussjob
haben, und so schließlich schneller zu einem Anschluss-
job zu kommen. Drittens. Die Beschränkung für befris-
tete Arbeitsverträge zwischen Leiharbeitnehmer und
Verleiher soll abgeschafft werden.

Wenn die Bundesregierung in dem heute zu beratenden
Bericht selber zu dem Ergebnis kommt, dass die „Bedeu-
tung der legalen Arbeitnehmerüberlassung für die deut-
sche Wirtschaft ... gewachsen“ sei und sich durch ihre
Vermittlungsfunktion in den regulären Arbeitsmarkt für
Arbeitslose auszeichne, dann verstehe ich wirklich nicht,
warum Sie unseren Antrag heute ablehnen. Wir verlieren
durch Ihr Ablehnungsverhalten Zeit.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: 1,5 Jahre!)

Das ist schädlich für den Arbeitsmarkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417411800
Ich erteile dem Kolle-
gen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ich fand es überzeugend, was der Kollege Meckelburg vorgetragen hat!)



Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1417411900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt stimmt er zu!)


Mit der Flexibilisierung des Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetzes ein Wunder am Arbeitsmarkt auszulösen, daran
glaubt Herr Meckelburg allein. Denn die Veränderungen,
die in der Vergangenheit im Bereich der Arbeitnehmer-
überlassung während der Regierungszeit der CDU/CSU-
F.D.P.-Koalition festzustellen waren, haben nicht gerade
zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt. Wir er-
innern uns gemeinsam: Während Ihrer Jahre ging es mit
der Arbeitslosigkeit bergauf, mit den Schulden bergauf




Wolfgang Meckelburg
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(B)


und mit den Abgaben bergauf. Zu dem, was Sie uns vor-
werfen, nämlich Gehirnschmalz für Programme zu ver-
braten, die keine Wirkung zeigen, muss ich Ihnen sagen:
Wir haben Gehirnschmalz für Programme verbraten, die
dazu geführt haben, dass es mit der Arbeitslosigkeit
zurückgeht, dass die Abgabenbelastung der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer zurückgeführt wird und dass die
staatliche Verschuldung zurückgeführt wird. Das muss
hier deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Heinz Schemken [CDU/CSU]: Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!)


Lassen Sie mich offen sagen, Herr Meckelburg: Sie
haben die Backen aufgeblasen, die Luft abgelassen, aber
im Ergebnis haben Sie uns nichts gebracht, was positiv
dazu beitragen könnte, dass wir die Arbeitslosigkeit wirk-
sam bekämpfen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Mal schauen, was Sie selbst bringen!)


Für uns, für die SPD und die Bündnisgrünen, bleibt es bei
dem, was wir in der Koalitionsvereinbarung als erstes und
wichtigstes Ziel festgelegt haben, nämlich den Abbau
derArbeitslosigkeit zu organisieren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wie denn? Sagen Sie dazu einmal was!)


– 1 Million neue Arbeitsplätze und rund 400 000Arbeits-
lose weniger seit 1998 –


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wo sind denn die?)

ist das denn nichts, meine Damen und Herren?

Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Ihre ständigen Ver-
suche, diesen Erfolg kleinzureden, ändert nichts daran,
dass die Datenlage für unsere Regierungszeit, die Sie sich
vorhalten lassen müssen – 1 Million neue Arbeitsplätze,
400 000 Arbeitslose weniger –, eine Marke ist, die Sie
nicht vorzuweisen hatten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das Schlimme ist, dass Sie wirklich glauben, Sie würden die Dinge initiieren!)


Von diesem Rednerpult aus haben Sie in den letzten
Wochen in mehreren Aktuellen Stunden versucht, darauf
hinzuweisen, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf
den Altersaufbau der Erwerbsbevölkerung oder auf
eine veränderte Erwerbsstatistik zurückzuführen sei. Es
wurde von uns mit Fakten belegt, dass diese Schwarzma-
lerei nicht zutrifft. Meine Damen und Herren von der Op-
position, hören Sie deshalb auf, diese positive Be-
schäftigungsentwicklung zu diffamieren; hören Sie auf,
Nebelkerzen zu werfen. Nehmen Sie lieber die unqualifi-
zierten Vorschläge, die Sie bisher vorgelegt haben, um
den Arbeitsmarkt zu entkrampfen, vom Tisch.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wo sind die Arbeitsplätze entstanden?)


Heute steht mit dem Gesetzentwurf der Union zur
Arbeitnehmerüberlassung ein konkreter Vorschlag zur
Abstimmung; nur atmet er wieder den Ungeist einer ver-

gangenen Zeit, des Abbaus von Arbeitnehmerrechten.
Das sage ich ganz offen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wie bitte?)


Wie in 16 Jahren Kohl-Regierung werden einseitig
Schutzrechte der Arbeitnehmer zurückgenommen und de-
montiert; sie wurden allein der vagen Hoffnung überlas-
sen, die Arbeitgeber würden, wenn die Deregulierung
fortgesetzt würde, automatisch mehr Arbeitsplätze schaf-
fen. Dass die Position der Arbeitnehmer geschwächt
würde, war für Sie Beleg genug, dass sich die Arbeitgeber
engagieren und zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung
stellen würden. Diese Annahme war, wie wir heute wis-
sen, falsch. Dies haben die Auswirkungen der Lockerung
des Kündigungsschutzes eindrucksvoll bewiesen.

Der vorliegende Gesetzentwurf hilft uns bei der Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit nicht weiter. Er verbessert
durch einseitige Deregulierung nur die Position der Ver-
leiher. Leiharbeitnehmer hingegen verlieren ihre Schutz-
rechte. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen können.

Für weitere, substanzielle Deregulierungen der Arbeit-
nehmerüberlassung über diejenigen hinaus, die bereits die
frühere Bundesregierung vorgenommen hat, gibt es zur-
zeit keine Rechtfertigung. Eine Erfüllung der Forderung
von CDU/CSU nach einer Ausweitung der Überlas-
sungsfrist auf 36 Monate wird keine wesentlichen be-
schäftigungspolitischen Wirkungen haben. Der Bericht
der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Ar-
beitnehmerüberlassung, wonach die von April 1997 an
gültige Verlängerung der zulässigen Überlassungsdauer
von neun auf zwölf Monate kaum genutzt wurde, bestätigt
dies ganz aktuell. Zwar werden keine Statistiken über die
Dauer der einzelnen Arbeitnehmerüberlassung geführt,
aber es können Rückschlüsse von der Dauer der Beschäf-
tigung bei einem Verleiher auf die Überlassungsdauer ge-
zogen werden. Erstere zeigen jedenfalls, dass die Über-
lassungsdauer im Unternehmen nur vergleichsweise kurz
bemessen ist. Etwa 10 bis 14 Prozent der Beschäftigungs-
verhältnisse endeten in den letzten Jahren bereits nach
wenigen Wochen. 60 bis 70 Prozent dauerten kürzer als
drei Monate.

In diesem Zusammenhang fordern Sie nun eine Aus-
dehnung der zulässigen Dauer der Arbeitnehmerüberlas-
sung von 12 auf 36 Monate, obwohl Sie wissen, dass über
70 Prozent der Überlassungen in diesem Land kürzer als
drei Monate andauert.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Verlängerung steht in Ihrem Eckpunktepapier auch drin!)


Dieser Vorschlag weist nicht qualifiziert nach vorn. Des-
halb werden wir Ihnen in diesem Punkt auch nicht folgen.

Auch die Forderung nach Aufhebung des so genannten
Synchronisationsverbotes müssen wir Sozialdemokra-
ten mit Blick auf die Folgen ablehnen. Wenn Leiharbeit-
nehmer nur noch für bereits bestehende Verleihzeiten
eingesetzt und eingestellt werden, bedeutet das doch
für die Nichtbeschäftigungszeiten, dass das Arbeitsamt
einspringen muss. Die Aufhebung der bestehenden




Klaus Brandner

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Befristung hat deshalb zur Folge, dass das Beschäfti-
gungsrisiko einseitig auf das Arbeitsamt übertragen wird
und die Folgekosten von der Versichertengemeinschaft zu
tragen sind. Wegen dieser Folge werden wir Ihrem Vor-
schlag auch in diesem Punkt nicht nachkommen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Warum beschließt dann eure Projektgruppe solch einen Unsinn? Das kann doch nicht sein!)


Ich frage mich deshalb, wie sich dieser Vorschlag mit
Ihrem Gesetzentwurf – insbesondere im Hinblick auf die
Entwicklung des Arbeitsmarktes – zur Senkung des Ar-
beitslosenversicherungsbeitrages verträgt, wenn Sie wis-
sen, dass das Beschäftigungsrisiko von den Verleihfirmen
auf das Arbeitsamt zu übertragen ist, womit erhöhte Auf-
wendungen für das Arbeitsamt ausgelöst werden. Das
ist ein Widerspruch, den Sie selbst erläutern müssten.

Die rot-grüne Bundesregierung wird jedenfalls – das
steht fest – alle Möglichkeiten zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit nutzen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Leider nein!)


Die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen bleibt un-
ser vorrangiges Ziel. Dazu kann eine stärkere Nutzung der
Arbeitnehmerüberlassung durchaus beitragen. Aber im
Gegensatz zu Ihrer Fraktion behalten wir den Blick für die
Realität.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Der ist Ihnen schon längst abhanden gekommen.)


Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Zeitarbeit ist
nämlich weit geringer, als Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
suggerieren.

Wir sind überzeugt, dass die Arbeitswelt der Zukunft
durch eine noch größere Vielfalt der Arbeitsformen und
größere Flexibilität gekennzeichnet sein wird. Sicher wird
dann auch der Zeit- und Leiharbeit eine größere Bedeu-
tung zukommen. Weil das so sein wird, müssen wir, wenn
es um die Ausgestaltung eines Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes geht, Weitsicht walten lassen. Wir werden
entsprechende Vorschläge in den Projektgruppen ent-
wickeln und sie Ihnen dann unterbreiten. Sie, meine Da-
men und Herren von der Union, haben bei der Formulie-
rung Ihres Gesetzentwurfes leider die Weitsicht ver-
missen lassen.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist ein Arbeit-
nehmerschutzgesetz. Wir werden deshalb nicht zulassen,
dass der notwendige Schutz derArbeitnehmer gerade in
solch einem schwierigen Bereich wie der Arbeit-
nehmerüberlassung außer Acht gelassen wird. Wenn wir
das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ändern, dann sollte
es unser Ziel sein, die arbeits- und sozialrechtliche Stel-
lung von Leiharbeitnehmern zu verbessern und – um das
deutlich zu sagen – die Sicherung von Dauerarbeitsver-
hältnissen zu verstärken. Der Gesetzentwurf der Union
– ich habe das deutlich gemacht – würde jedoch das
Gegenteil bewirken. Deshalb werden wir ihn auch nicht
aufgreifen.

Nur wenn die Arbeitnehmerüberlassung arbeits- und
sozialrechtlichen Standards angemessen genügt, kann sie

Arbeitsplatzsicherheit mit flexiblem Arbeitseinsatz ver-
binden helfen. Nur in diesem Fall ist sie auch geeignet,
eine Scharnierfunktion zwischen der Fähigkeit, sich dem
Markt ständig anzupassen, und sozialer Regulierung zu
übernehmen. Sozialverträglich gestaltete Arbeitnehmer-
überlassung kann Positives auf dem Arbeitsmarkt bewir-
ken. Sie kann flexible, freiwillige und individuelle For-
men der Arbeitszeitverkürzung erleichtern und vor
allem zur Eingliederung von Schwervermittelbaren
beitragen.

Von den derzeit rund 300 000 Zeitarbeitnehmerinnen
und -arbeitnehmern waren etwas mehr als die Hälfte vor-
her arbeitslos, 10 Prozent sogar länger als ein Jahr. Für ein
knappes Drittel der Beschäftigten ist Leiharbeit ein
Sprungbrett für den ersten Arbeitsmarkt, für ein Dauer-
arbeitsverhältnis. Dieses Beschäftigungspotenzial wollen
wir auch zukünftig sozialverträglich nutzen und werden
deshalb Ideen in dieser Richtung aufgreifen. Vorausset-
zung dafür ist jedoch, dass die Möglichkeiten, die Arbeit-
nehmerüberlassung zu missbrauchen, eingeengt werden.
Deshalb bedarf es auch weiterhin einer speziellen gesetz-
lichen Regulierung dieses Arbeitsmarktinstrumentes. Es
muss sichergestellt sein, dass der Kündigungsschutz
nicht unterlaufen wird oder der unbefristete Arbeitsver-
trag als Regelfall umgangen wird. Vor allem dürfen die
Tarifverträge in den Entleihfirmen nicht ausgehöhlt wer-
den. Zu diesem Zweck müssen die Kontrolle der Arbeit-
nehmerüberlassung verbessert und Verstöße strenger ge-
ahndet werden.

Wir Sozialdemokraten haben aufmerksam registriert,
dass in jüngster Vergangenheit Fortschritte hinsichtlich
der sozialverträglichen Ausgestaltung der Leiharbeit zu
verzeichnen sind. Tarifverträge zum Beispiel zwischen
den Gewerkschaften und den Unternehmen der Zeit- und
Leiharbeitsbranche sind hierbei ein entscheidender He-
bel. Das unterstützen wir; denn das ist vorbildlich. Im ver-
gangenen Jahr wurde eine Reihe von Tarifverträgen abge-
schlossen. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen haben
die ÖTV, jetzt Verdi, und die IG Metall mit vielen Betrie-
ben der Branche Tarifverträge abgeschlossen. Die zehn
größten Zeitarbeitsfirmen in Nordrhein-Westfalen haben
mit dem Arbeitsministerium in Düsseldorf die Vereinba-
rung getroffen, gezielt ältere Arbeitslose einzustellen.
Diese positiven Ansätze wollen wir auch im Rahmen der
anstehenden Reform des Arbeitsförderungsrechts unter-
stützen und aufgreifen.

Der DGB-Landesbezirk hat zusammen mit der IG Me-
tall in NRW zum Beispiel das „Gütesiegel Zeitarbeit“
entwickelt und mit den Zeitarbeitsfirmen Offensiven zur
Qualitätssicherung gestartet, um die Branche, in der vor-
mals nach dem Motto „Hire and fire“ verfahren wurde
und die deswegen ein negatives Image hatte und in der
Schmuddelecke stand, in eine sozialverträgliche Rege-
lungskompetenz hineinzuführen.

Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.
Wenn der notwendige Schutz der Leiharbeitnehmer durch
Tarifverträge gewährleistet ist, kann sich der Gesetzgeber
zurücknehmen. Vorher ist dies nach sozialdemokrati-
schem Verständnis nicht möglich. Diese Tarifverträge
dürfen dann aber nicht die Ausnahme sein, sondern müs-




Klaus Brandner
17126


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(A)



(B)


sen auf breiter Front abgeschlossen werden. Insofern för-
dern wir diesen Prozess und können daher dem Vorschlag
der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen. Wir werden
weiter an diesem Thema sozialverträglich arbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417412000
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinrich Kolb, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1417412100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen und Herr Kollege Brandner im
Speziellen! Mit Sorge habe ich zur Kenntnis genommen,


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie sehen auch ganz besorgt aus!)


dass Sie aus Anlass dieser Debatte die Aufführung wie-
derholt haben, die Sie am Mittwoch im Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung gegeben haben, als wir auf
Drängen der Opposition die aktuelle Arbeitsmarktlage
diskutiert haben. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Ange-
sichts der neuesten Entwicklung der Konjunkturdaten und
der neuen Einschätzungen durch die breite Front der Wirt-
schaftsforschungsinstitute – das Wachstum liegt jetzt nur
noch bei 1,5, 1,6 Prozent –, angesichts einer explodieren-
den Inflationsrate von jetzt fast 3 Prozent


(Erika Lotz [SPD]: Verantwortungslos, was Sie machen!)


und angesichts des faktischen Stillstands auf dem Ar-
beitsmarkt ist es schon bemerkenswert, wenn Sie hier so
tun, als handele es sich nur um eine Wachstumsdelle, Sie
würden schon alles richtig machen. Weiter so, Augen zu
und durch, das kann nicht die Maxime der Stunde sein,
Herr Kollege.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Herr Kolb, reden Sie jetzt über Ihre Altlasten? Erkennen Sie doch mal die Erfolge an! Erkennen Sie doch mal das Positive an!)


Auch der rot-grünen Regierung und Koalition wohlge-
sonnene Beobachter konstatieren, dass das Versagen der
Bundesregierung nirgendwo so eklatant ist wie im Be-
reich der Arbeitsmarktpolitik.


(Erika Lotz [SPD]: Wer für 4,8 Millionen Arbeitslose verantwortlich war, sollte ganz ruhig sein!)


Ich nenne auch den Beleg dafür: Das ist der von Ihrer
Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat, der
auch in seinem letzten Gutachten 2002 – das ist das aktu-
elle – gefordert hat, dass Sie am Arbeitsmarkt nicht
rückregulieren sollen,


(Klaus Brandner [SPD]: Der Beleg sind die harten Zahlen, die Sie eben gehört haben!)


sondern dass Sie Freiheit schaffen sollen, damit es zu
mehr Arbeitsplätzen kommen kann.


(Beifall bei der F.D.P.)


Sie aber, Herr Kollege Brandner, machen in schöner Re-
gelmäßigkeit das krasse Gegenteil. Man kann es nicht oft
genug wiederholen: die Verschärfung des Kündigungs-
schutzes, die 630-Mark-Gesetzgebung, die Sie durchge-
führt haben, das Gesetz gegen die so genannte Schein-
selbstständigkeit,


(Klaus Brandner [SPD]: Aber Sie glauben das doch nicht selbst, Herr Kolb, was Sie jetzt erzählen! – Erika Lotz [SPD]: Das ist nicht mehr zum Anhören!)


die Einführung eines einseitigen Teilzeitanspruches und
als Krönung jetzt auch noch das Betriebsverfassungsge-
setz. Sie haben damit konsequent neue Regelungen in die
Arbeitsmarktverfassung eingeführt – gegen den Rat Ihres
Sachverständigenrates –, die nicht mehr Beschäftigung
schaffen, sondern die jeden Zuwachs an Beschäftigung
bremsen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das Gegenteil – ich sagte es bereits – ist erforderlich. Wir
müssen die Barrieren abbauen.

Deswegen, Herr Kollege Meckelburg, darf ich hier für
meine Fraktion sagen, dass wir den Gesetzentwurf der
CDU/CSU zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetzes als einen Schritt in die richtige Richtung be-
grüßen. Die vorgesehene Verlängerung der Verweildauer
des Leiharbeitnehmers bei einem Entleiher auf drei
Jahre eröffnet neue Beschäftigungspotenziale. Jetzt wer-
den auch höher qualifizierte Mitarbeiter interessant, deren
Ausleihung sich für den Entleiher erst nach einem länge-
ren Zeitraum rechnet.

Ich habe mit Interesse von Ihren Recherchen gehört,
Herr Kollege Meckelburg, die Sie bei der SPD betrieben
haben. Also, man weiß es dort offensichtlich und handelt
wider besseres Wissen.


(Klaus Brandner [SPD]: Es ist ja gut zu wissen, dass sich die CDU Anregungen bei der SPD holt!)


Ich will das ergänzen. Ich habe mal bei den Grünen re-
cherchiert. Dort gibt es genau das Gleiche, ein Papier
„Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik, Zugangsgerech-
tigkeit und Flexicurity“ – tolles Wort, Frau Kollegin
Dückert. Darin heißt es – bei den Grünen, Frau Dückert,
hören Sie zu –:

Wir schlagen vor, die Möglichkeit der Überlassung
von Leiharbeitnehmern zu verlängern. Die Vermitt-
lung von Arbeitslosen über Zeitarbeitsfirmen war in
den letzten Jahren häufig ein Sprungbrett für Lang-
zeitarbeitslose in eine Anschlussbeschäftigung.

Ihr Handeln in der Praxis ist aber das krasse Gegenteil
dessen, was Sie in Ihrem Grundsatzpapier vorschlagen.

Deshalb kann es eigentlich, wenn wir Debatten hier
noch ernst nehmen, nach dieser Diskussion nur die Kon-
sequenz geben, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Jawohl, so ist das! – Klaus Brandner [SPD]: Kamelle!)





Klaus Brandner

17127


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(D)



(A)



(B)


Herr Brandner, Sie scheinen wirklich grundlegende
Aversionen, Vorbehalte gegen die Arbeitnehmerüberlas-
sung zu haben. Denn Sie lassen nichts unversucht, um die
Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung zu reduzie-
ren. Dazu gehört auch, dass Sie jetzt im Betriebsverfas-
sungsgesetz vorsehen wollen, Leiharbeitnehmern schon
nach drei Monaten im Entleihbetrieb ein Wahlrecht
einzuräumen. Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf
zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes allen
Ernstes mit einem Trend zur partiellen Ersetzung der
Stammbelegschaft durch Leiharbeitnehmer. Tatsache ist
aber: Im ersten Halbjahr 2000 waren gerade einmal
286 000 Leiharbeitnehmer unter Vertrag; das ist weniger
als 1 Prozent der Erwerbstätigen. Es ist doch vollkom-
men klar: Ihre Gesetze sind für eine Arbeitswelt geschaf-
fen, die es in der Form, wie Sie sie sich vorstellen, auf
keinen Fall gibt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sehen in dem Gesetzentwurf zur Änderung des Ar-
beitnehmerüberlassungsgesetzes – das will ich hier deut-
lich sagen – nur einen Baustein für eine tief greifende Re-
form der Arbeitsverfassung. Wir haben – daran will ich
aus Anlass dieser Debatte erinnern – in dieser Legislatur-
periode schon eine ganze Reihe von Vorschlägen für eine
grundlegende Reform der Arbeitsverfassung vorgelegt,
die zu mehr Beschäftigung führen.

Es handelt sich zum einen um unseren Gesetzentwurf
„Intensivierung der Beschäftigungsförderung“, mit dem
wir befristete Arbeitsverhältnisse erleichtern wollen. Darü-
ber hinaus haben wir den Antrag „Reform des Tarifrechts“
in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem wir
echte betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen wol-
len.


(Klaus Brandner [SPD]: Wo Ihre Deregulierung hingeführt hat, wissen Sie doch!)


Des Weiteren haben wir eine Reform des Betriebs-
verfassungsgesetzes angeregt, die zu einer Verbesserung
der Wettbewerbsbedingungen gerade für den Mittel-
stand führt. Es handelt sich also um das genaue Gegen-
teil dessen, was Sie vorschlagen. Unser Vorschlag re-
spektiert die gewachsenen Betriebsstrukturen sowie die
formell und informell vorhandenen Formen der Mitbe-
stimmung. Ich beziehe mich auf unseren Antrag „Re-
form der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstan-
des“.

Herr Kollege Brandner, so sähe eine Arbeitsmarktpoli-
tik aus, die den tatsächlichen aktuellen Anforderungen ge-
recht wird.


(Klaus Brandner [SPD]: Die Ergebnisse von Ihnen kennen wir!)


Das, was Sie heute vorgetragen haben, zeigt nur: Die
rot-grüne Bundesregierung verschließt ihre Augen vor
den aktuellen Verschlechterungen am Arbeitsmarkt und
vor den tatsächlichen Handlungsgegebenheiten. Ich kann
Sie nur dringend auffordern: Kehren Sie um und geben
Sie ihre Beratungsresistenz auf! Hören Sie zumindest ein

Stück weit auf das, was Ihnen die Opposition in diesem
Hause vorschlägt!

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417412200
Ich erteile der Kolle-
gin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417412300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle hier
können gemeinsam eines festhalten: Völlig unabhängig
von dem Streit darüber, wer für die konjunkturelle Ent-
wicklung


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie ist nicht mehr so günstig!)


verantwortlich ist oder worin die Auswirkungen der kor-
rigierten Wachstumszahlen bestehen, müssen wir weiter-
hin alles daransetzen, Arbeitslosen den Übergang in den
ersten Arbeitsmarkt leichter zu machen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: So weit, so gut! Aber wie machen wir das?)


Das ist sicherlich ein gemeinsamer Ausgangspunkt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir Ab-

geordneten der Koalitionsfraktionen haben uns mit dieser
Ausgangsbasis in den letzten Monaten zusammengesetzt,
um ein Eckpunktepapier auszuarbeiten, das sich genau
dieser Frage widmet. Wir haben gestern die „Eckpunkte
zum Job-Aqtiv-Gesetz“ vorgestellt. Dort werden viele un-
terschiedliche Ansätze vorgeschlagen – wir werden ent-
sprechende Vorlagen in den Bundestag einbringen –, die
dazu beitragen sollen, dass Arbeitslosen der Eintritt in den
ersten Arbeitsmarkt erleichtert wird. Das wird ein Schwer-
punkt auf der Agenda unserer zukünftigen Politik sein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wann wird das denn sein, Frau Kollegin Dückert?)


In diesem Zusammenhang – das haben Sie richtig zi-
tiert – werden wir dem Bundestag vorschlagen – Sie kön-
nen dann gerne mit uns stimmen –, dass gerade für Men-
schen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt die
Überlassungsdauer im Rahmen von Leiharbeit durch
Zeitarbeitsfirmen verlängert wird. Wir sind aber nicht so
vermessen wie Sie von der CDU, dass wir glauben, das sei
ein zentraler Ansatz, um die gegenwärtigen Arbeitsmarkt-
probleme zu lösen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt! – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist eine Stellschraube!)


Auch meine Fraktion ist der Ansicht – Sie haben das
hier richtig vorgetragen –, dass die letzten Jahre bewiesen
haben, dass Zeit- und Leiharbeit ein Element der Arbeits-
marktpolitik sind, das Langzeitarbeitslosen den Einstieg
in den Arbeitsmarkt erleichtern kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber Sie handeln nicht danach, Frau Dückert!)





Dr. Heinrich L. Kolb
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(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen wollen wir eine Verlängerung der Überlas-
sungsdauer.

Sie müssen aber auch sehen, dass die Zeitarbeit in der
Vergangenheit einen problematischen Aspekt beinhaltet
hat, weil sie gerade von den schwarzen Schafen der Bran-
che für Lohn- und Sozialdumping genutzt wurde. Wir
müssen hier ein Gleichgewicht zwischen Erleichterungen
für die Zeitarbeitsfirmen und der sozialen Sicherung fin-
den. Auf diesem Weg sind wir; es ist in den letzten Jahren
auf diesem Gebiet sehr viel passiert.

Die IG Metall in Niedersachsen hat beispielsweise im
Zusammenhang mit der EXPO mit der Gesellschaft
Adecco wesentliche Fortschritte erzielt,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber die EXPO ist vorbei!)


was zeigt, dass sowohl die Zeitarbeitsfirmen als auch die
Gewerkschaften daran interessiert sind, die sozialen Ver-
hältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tarif-
vertraglich abzusichern. Genau darum geht es.

Sie führen die Diskussion sehr vordergründig. Wir
können nicht nur einzelne Aspekte des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes nehmen – für Regulierungen be-
steht ein Bedarf, was auch Sie anerkennen –, sondern wir
müssen genau betrachten, wie die sozialen Verhältnisse
auf dem Arbeitsmarkt sind. Wir können festhalten, dass
eine Verlängerung der Überlassungsdauer Sinn macht.
Dazu bekennen wir uns in unserem Job-Aqtiv-Gesetz.
Wir von den Grünen wollen noch weiter gehen. In diesem
Punkt gibt es Bewegung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wie sieht es in der Koalition aus?)


Im Gesetzentwurf der CDU/CSU sind noch andere
Punkte enthalten, zum Beispiel die Aufhebung des Syn-
chronisationsverbotes. Auf der einen Seite reden Sie
über die Entwicklung in der Arbeitslosenversicherung;
auf der anderen Seite wollen Sie aber ein unternehmeri-
sches Risiko der Zeitarbeitsfirmen einfach frech auf die
Sozialkassen übertragen. Was hinter der Aufhebung des
Synchronisationsverbotes steckt, ist die Übertragung des
Risikos der Verleihfirmen an die Bundesanstalt für Arbeit,
die dann Arbeitslosengeld zahlen muss, wenn die Be-
schäftigten keine Anschlussbeschäftigung finden. So geht
es nicht. Die Verleihfirmen müssen dieses unternehmeri-
sche Risiko selbst tragen.

Wenn wir über die viele Aspekte in diesem Bereich dis-
kutieren – es sind nun einmal viele Aspekte, die dem Ein-
tritt in den ersten Arbeitsmarkt erleichtern –, dann sollten
wir dies nicht wie Sie undifferenziert nach der Rasen-
mähermethode tun. Die Entwicklung von Gewerkschaf-
ten und Zeitarbeitsfirmen auf diesem Gebiet ist schon sehr
viel weiter fortgeschritten, sodass wir in Zukunft Locke-
rungen zulassen können.

Ich bin gespannt, wie Sie sich verhalten werden, wenn
wir das Job-Aqtiv-Gesetz einbringen. Ihre jetzigen Auf-
fassungen sind der aktuellen Situation auf dem Arbeits-
markt nicht angemessen. Sie sollten endlich aufhören,
Einzelvorschläge zu präsentieren und so zu tun, als könn-

ten Sie damit die Arbeitsmarktsituation umfassend in den
Griff bekommen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ich habe Ihnen unser Paket vorgestellt, das, was die F.D.P. in den Bundestag eingebracht hat!)


Damit streuen Sie den Leuten Sand in die Augen. Das ist
Teil einer ideologisierten Debatte, die wir in diesem Zu-
sammenhang nicht gebrauchen können.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417412400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1417412500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Kollege Meckelburg, so recht kann
ich nicht glauben, dass Sie vom Inhalt Ihres Gesetzent-
wurfs selbst überzeugt sind. Wir können in drei Wochen
immerhin den zweiten Jahrestag des Einbringens dieses
Gesetzentwurfs begehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ich habe begründet, warum wir so lange gewartet haben! – Heinz Schemken [CDU/CSU]: Wir waren immer der Zeit voraus!)


– Wir hätten vielleicht schon Ergebnisse behandelt kön-
nen. Aber an solche Ergebnisse glaube ich nicht.

Ich will Ihnen deutlich sagen: Für mich ist der Gesetz-
entwurf nicht, wie es beim Wein der Fall ist, in den zwei
Jahren besser geworden. Wir können ihm nicht zustim-
men, weil er in die falsche Richtung geht. Ich hätte Ihnen
genauso wie der Kollege Brandner die Zahlen vorgehal-
ten, die im Bericht der Bundesregierung genannt sind.
Aber Sie hätten auch die Anhörungsprotokolle nachlesen
können. In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wie
die Sachverständigen und die Verbände diesen Antrag ein-
schätzen, ja wie sie überhaupt die Leiharbeit einschätzen.

Ich hätte noch eine Zahl hinzugefügt, Kollege
Meckelburg: Über 90 Prozent aller Leiharbeitnehmer sind
weniger als ein Jahr beschäftigt. Wenn Sie sich diese Zahl
vor Augen halten, dann wissen Sie, worum es sich hierbei
eigentlich handelt. Das sollte man nicht weiter betreiben.

Ich möchte aber etwas anderes deutlich machen, was
hier nicht behandelt worden ist und was uns große Sorgen
bereitet; das ist in der Anhörung auch deutlich geworden.
Es ist die Tatsache, dass im Bereich der Leiharbeit-
nehmerschaft überwiegend keine Tarifverträge bestehen,
dass Niedriglöhne gezahlt werden, die 22 bis 40 Prozent
unter vergleichbaren Löhnen auf dem ersten Arbeitsmarkt
liegen, dass es sich um die schlechtesten Standards han-
delt, die sich in höherer Unfallhäufigkeit und höheren ge-
sundheitlichen Risiken ausdrücken. Wenn dann trotzdem
Menschen solche Arbeitsverhältnisse annehmen, scheint
es mir so zu sein – gestatten Sie mir diesen Vergleich – wie
in dem geflügelten Wort vom Teufel, der auch Fliegen
schluckt, wenn nichts anderes da ist.




Dr. Thea Dückert

17129


(C)



(D)



(A)



(B)


Überwiegend übernehmen Arbeitslose solche Arbeit.
Das ist übrigens – das sage ich an die Adresse der Regie-
rungskoalition – ein Zeichen dafür, dass es sich hier nicht
um Menschen handelt, die faul oder arbeitsscheu sind und
in der Hängematte liegen, sondern um Menschen, die bereit
sind, sogar unter diesen Bedingungen Arbeit anzunehmen.


(Beifall bei der PDS)

Wenn wir schon über Änderungen in diesem Bereich

beraten, sollten es Änderungen sein, die nach vorn zeigen.
Es sollten in Zukunft dauerhafte, existenzsichernde und
tariflich bezahlte Arbeitsplätze sein. Wenn das forciert
würde, könnten wir auf die Leiharbeitnehmerschaft, auf
diese Drangsalierung von Arbeitnehmern, verzichten.

Der Bericht behandelt auch illegale Beschäftigung und
Schwarzarbeit. Hier wird in dem Bericht etwas beschrie-
ben, was wir schon in der Vergangenheit festgestellt ha-
ben. Wir sind im Prinzip nicht vorangekommen. Das, was
hier als Erfolg verkauft wird, ist nicht gesichert, weil uns
gesicherte Zahlen fehlen. Wenn Zahlen fehlen, kann man
das, was vorliegt, auch nicht als Erfolg verkaufen.

Wir meinen, dass die Quintessenz aus diesem Bericht
sein muss, mehr Rechtssicherheit und mehr Konflikt-
fähigkeit herzustellen, die Anreize, die durch einen
Betrugsbonus illegaler Beschäftigung gegeben sind – die-
ser Betrugsbonus kommt nicht den Arbeitnehmern zu-
gute, die illegal beschäftigt sind oder Schwarzarbeit
durchführen, sondern ganz anderen –, zu beseitigen und
die Arbeitnehmerrechte zu stärken, damit die Arbeitneh-
mer nicht unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.

Wenn Sie dies in die Wege leiten würden, würden Sie
einen Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit tun und
hätten dabei auch die PDS auf Ihrer Seite.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417412600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Grotthaus, SPD-Fraktion.


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1417412700
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Grundlage der Debatte
ist neben dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Än-
derung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch der
Neunte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei
der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
und des Gesetzes zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung.

Ich hatte vor, mich mit dem zweiten Punkt zu beschäf-
tigen. Ich will aber davon abweichen; denn Herr
Meckelburg und auch Herr Dr. Kolb haben einige An-
merkungen gemacht, die dazu reizen, etwas näher darauf
einzugehen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die hätten sie sich sparen können! – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Es hat doch etwas genützt!)


Mein Kollege Brandner hat schon sehr viel von dem
gesagt, was zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu sa-
gen ist. Ich möchte ihm beipflichten und nochmals beto-
nen, dass die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem vorgelegten
Gesetzentwurf einfach zu kurz gesprungen ist.

Herr Meckelburg, wenn Sie tatsächlich etwas für die
Leiharbeitnehmer tun wollen und dies mit den im Ver-
hältnis zu Deutschland besseren Prozentsätzen im Aus-
land vergleichen, würde ich Sie bitten, in Ihren nächsten
Entwurf mit aufzunehmen, dass sich die Leiharbeitneh-
merbedingungen hier an denen des Auslands zu orientie-
ren haben. Es müsste dann die sofortige Rechtsgültigkeit
von Tarifverträgen, die Zahlung von Weihnachts- und Ur-
laubsgeld sowie eine bessere soziale Abfindung in Ihren
Antrag aufgenommen werden.


(Beifall bei der SPD)

Dies steht nicht darin. Von daher ist es nicht zulässig, hier
einen Vergleich zwischen dem Ausland und Deutschland
anzustellen. Das geht nur dann, wenn gleiche soziale Be-
dingungen zugrunde gelegt werden.

Mir scheint aber, meine Damen und Herren von der
Opposition, dass Sie über die Ausweitung der Arbeitneh-
merüberlassung einen neuerlichen Einstieg in eine ame-
rikanische Hire-and-fire-Politik suchen. Dies ist Ihnen
schon beim ersten Versuch, das Kündigungsschutzgesetz
zu ändern, nicht gelungen. Das wird Ihnen heute eben-
falls nicht gelingen. Ich gehe davon aus – Sie können die-
ses schon als gegeben ansehen – dass Ihr Antrag mit den
Stimmen der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Gegen die Strategiepapiere der eigenen Fraktion!)


– Herr Dr. Kolb, ich möchte hierzu gleich eine Wertung
abgeben: Nicht die Anzahl der Zwischenrufe, sondern die
Qualität der Zwischenrufe ist entscheidend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Der war doch gut!)


Gehen Sie einmal in sich und verbessern Sie sich qualita-
tiv ein wenig. Auch Ihr Beitrag zielte ja auf Miesmachen,
Runterfahren und Verunsichern ab.

Sie propagierten in Ihrer Rede die Freiheit. Ich frage
mich: Freiheit für wen? Soll denjenigen, die bisher einen
Vollzeitarbeitsplatz haben, mehr Freiheit dadurch ge-
währt werden, dass sie demnächst nach Bedarf abgerufen
werden können?


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Barrierefreiheit auf dem ersten Arbeitsmarkt!)


Was das heißt, will ich Ihnen einmal an einem Beispiel aus
der Praxis deutlich machen: Betriebsräte haben in Groß-
betrieben und Konzernen die Erfahrung gemacht, dass
dort in der Form outgesourct wurde, dass man Arbeitneh-
mern gekündigt hat, ihre Arbeit anderen Firmen übertra-
gen hat, gleichzeitig diesen Firmen aber die Auflage ge-
macht hat, die gekündigten Arbeitnehmer in den Betrieb
zurückzuschicken. Man hat also den gekündigten Arbeit-
nehmern im Rahmen des AÜG einen Arbeitsplatz in ihrer
früheren Firma angeboten. Dies geht nicht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist doch nicht die Regel, was Sie da beschreiben!)





Dr. Klaus Grehn
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(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist nicht die Regel, aber wir wollen, wenn wir Ver-
änderungen vornehmen, Verbesserungen auch für die Ar-
beitnehmer erzielen. Dagegen haben wir den Eindruck,
dass es Ihnen nur um mehr Freiheit für die Unternehmer
geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihre Überlegungen bergen in sich die Gefahr – ich sage
bewusst: Gefahr –, dass Stammbelegschaften reduziert
werden. Der umgekehrte Weg sollte eigentlich einge-
schlagen werden, nämlich die Beibehaltung von Stamm-
belegschaften und die schnellstmögliche Eingliederung
von Arbeitslosen in die betriebliche Realität. Diesen Weg
werden wir gehen.

Hierzu gehört das Thema „Bekämpfung der illegalen
Beschäftigung“, wozu wir uns auch schon geäußert ha-
ben. Auch die illegale Beschäftigungwirkt sich letztend-
lich sehr negativ auf den Arbeitsmarkt aus. Die Bundes-
regierung hat in ihrem Bericht die Maßnahmen, die bisher
eingeleitet wurden, um dem Problem effizient zu begeg-
nen, geschildert. Dieser Bericht liefert Daten darüber,
dass beispielsweise durch eine gute Zusammenarbeit zwi-
schen Arbeitsämtern und Zollämtern sehr gute Ergebnisse
in der Bekämpfung illegaler Arbeit erreicht werden kön-
nen. Ich persönlich habe gestern einmal beim Arbeitsamt
in meinem Wahlkreis Oberhausen nachgefragt, wie es
denn vor Ort um die Erfolge bestellt ist. Man hat mir ge-
sagt, dass durch eine gute Kooperation zwischen den In-
stitutionen, durch die verstärkte Nutzung der EDV und
nicht zuletzt durch das gesteigerte Unrechtsbewusstsein
bei der Bevölkerung in 2000 und 2001 erhebliche Erfolge
bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung erzielt
worden sind.

Wir haben – praxisnah an den Erfahrungen der Ar-
beitsämter – innerhalb der Koalitionsfraktionen ein Eck-
punktepapier zur Verbesserung der Bekämpfung der ille-
galen Beschäftigung und der Schwarzarbeit im Bundestag
vorgelegt und Mitte April verabschiedet. Darin forderten
wir die Bundesregierung auf, sehr rasch einen Gesetzent-
wurf vorzulegen. Ich kann Ihnen heute, nach nicht einmal
zwei Monaten, mitteilen, dass im BMA ein solcher Ent-
wurf erarbeitet wurde und in Kürze dem Parlament zuge-
leitet werden wird. Wir gehen davon aus, dass dieser Ge-
setzentwurf weitere organisatorische und rechtliche
Voraussetzungen für eine wirksamere Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit schaffen wird.
Des Weiteren gehen wir davon aus, dass sich die von uns
im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Maßnahmen dort
ebenfalls wiederfinden werden.

Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, welche Maßnah-
men wir vorgeschlagen haben. Wir haben vorgeschlagen,
die Abschreckungswirkung zu erhöhen und Vollzugsdefi-
zite auszuräumen. Das kann zum Beispiel durch die An-
hebung der Höhe der Bußgelder, eine Ausdehnung der
Kompetenzen der Staatsanwaltschaft zur zeitnäheren
Ahndung oder die Durchsetzbarkeit der Sanktionen auch
außerhalb der Bundesgrenzen geschehen, was im Übrigen
– zumindest mit ein, zwei Ländern in Europa – schon ganz
gut klappt; wir wollen auf der nächsthöheren Ebene wei-
tere Gespräche führen.

Wir wollen die Effizienz der Arbeit der Verfolgungs-
behörden verbessern, und zwar durch die Nutzung von
Synergieeffekten durch organisierten Informationsaus-
tausch. Außerdem wollen wir die Prävention verstärken,
indem wir das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung
stärker sensibilisieren, und die Verantwortung der Unter-
nehmen, der öffentlichen Hand als Arbeitgeber sowie der
Gewerkschaften herausstellen.

Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition,
die Handlungsinitiative liegt bei uns. Sie hingegen singen
– das wurde heute wieder sehr deutlich – ständig das alte
Lied, dass alles, was unternommen werde, nicht ausreiche,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Nein, dass Sie die falschen Dinge tun! Das ist unser Vorwurf! Sie regulieren, statt zu deregulieren!)


dass sogar die Arbeitslosenzahlen stiegen, obwohl, wie
fast alle Bürger in diesem Lande erkennen müssten, die
Arbeitslosenzahlen seit Januar 1998 – ich weiß, dass jetzt
wieder Widerspruch von Ihnen kommt –


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Mit Recht!)


von in der Spitze 4,8 Millionen Arbeitslosen auf 3,8 Mil-
lionen gesunken sind.


(Klaus Brandner [SPD]: Die Zahlen müssen Sie zur Kenntnis nehmen!)


– Diese Zahlen müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Lesen Sie das einmal nach und beschäftigen Sie sich

intensiver damit. Aber ich gehe davon aus, dass Sie das
nicht wollen, weil Ihnen dann nämlich Altlasten einfallen,
weil Ihnen dann einfällt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit
zwei Verstetigungen hatten: Die Arbeitslosenzahl und die
Verschuldung sind angestiegen.


(Beifall bei der SPD)

Dadurch haben Sie sich ausgezeichnet und dadurch haben
Sie uns in Bezug auf die jungen Menschen eine Hypothek
mit auf den Weg gegeben, die wir jetzt abtragen müssen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Durch Statistikmanipulation! Das ist Ihre Antwort!)


Ihnen dies jedes Mal vorzuhalten ist unser gutes Recht;
das ist sogar unsere Pflicht.

In Bezug auf das zu erwartende Gesetz zur Bekämp-
fung illegaler Beschäftigung haben wir aber die Hoff-
nung – ähnlich wie bei den anderen eingebrachten Initia-
tiven zur illegalen Beschäftigung –, dass Sie mit uns
stimmen werden; denn auch Ihnen sollte bewusst sein,
dass es sich hier um ein Problem handelt, das der Gesell-
schaft einen riesengroßen Schaden zufügt, und dass es den
Menschen dient, die arbeitslos sind, wenn wir an die Lö-
sung dieses Problems gehen. Darin, diese Menschen
schnellstmöglich aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen,
sollte unser gemeinsames Interesse liegen, statt zu über-
legen, wie bestimmte Freiheiten, die vielleicht einseitig
genutzt werden, zulasten der Arbeitnehmer gesetzlich
verankert werden können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Wolfgang Grotthaus

17131


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417412800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Jetzt kommt einer von der Basis! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Nicht von der Gewerkschaft!)



Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1417412900
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Letztere
möchte ich entschieden zurückweisen: dass wir Ihnen
ständig etwas vorwerfen würden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wir möchten euch helfen!)


Ich hatte geglaubt, dass unser Entwurf dazu beiträgt,
miteinander an das Problem heranzugehen, das auch Sie
bisher nicht gelöst haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Erika Lotz [SPD]: Es ist aber besser geworden!)


Auch Sie haben das Rad nicht erfunden. Sie wissen ganz
genau, dass auf dem Arbeitsmarkt keine Bewegung statt-
findet, dass im Gegenteil Stagnation herrscht.


(Erika Lotz [SPD]: Bei der Wahrheit bleiben!)

Ich gehe gar nicht auf die wirtschaftlichen Daten ein, die
nichts Gutes erwarten lassen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Leider nicht!)

Wir möchten diesen Weg, der auch durch den Bericht

der Bundesregierung vom 4. Oktober 2000 belegt wurde
– ich beziehe dabei die illegale Beschäftigung ein; selbst-
verständlich ist auch das für uns ein Thema –, ausbauen,
der mit 200 000 Arbeitsplätzen pro Jahr die Möglichkeit
schafft, Menschen in Arbeit zu bringen und flexibel zu
reagieren, und insbesondere für die mittelständischen Be-
triebe wirkungsvolle Lösungen anbietet, wenn Arbeitneh-
mer dem Betrieb aus familiären Gründen, aus Krank-
heitsgründen oder aus Gründen der Weiterbildung nicht
zur Verfügung stehen; denn dadurch können Stamm-
arbeitsplätze geschützt werden. Das Beispiel Holland hat
gezeigt, dass kein Abbau der Stammarbeitsplätze, sondern
vielmehr ein Aufbau erfolgt ist. Sie haben eine davon ab-
weichende Entwicklung eingeleitet.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist 1972 verab-
schiedet worden. Es ist auch nach dem vorliegenden
Bericht ein nach wie vor sozialpolitisch und arbeits-
marktpolitisch sinnvolles Gesetz. Deshalb möchten wir es
ausbauen. Wir möchten insbesondere die darin enthalte-
nen Hemmnisse herausnehmen.

Herr Brandner, Sie haben gesagt, dass – wenn über-
haupt – nur etwa 30 Prozent der Leiharbeitnehmer dau-
erhaft übernommen werden. Ich kann dazu nur sagen:
Sind es diese 30 Prozent nicht wert?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sind es diese nicht wert, dass wir über die Höchstdauer
der Überlassung von zwölf Monaten hinausgehen?

Herr Grotthaus, Sie sprachen von 90 Prozent. Die
Quote derjenigen, die zwölf Monate dabei sind, liegt aber
bei 100 Prozent. Da die Überlassung nur für zwölf

Monate gilt, ist dies doch logisch. Da haben Sie eine
Milchmädchenrechnung aufgemacht. Sie sollten sich
vielleicht einmal mit einem Betriebsratsmitglied zusam-
mensetzen, das etwas vom Rechnen versteht. Das ist ja
auch ganz wichtig.


(Lachen bei der SPD – Ilse Janz [SPD]: Dafür sind Sie ja ein gutes Beispiel!)


– Entschuldigen Sie bitte. Wenn in dem Gesetz nur zwölf
Monate vorgesehen sind, kann ich nicht davon ausgehen,
dass die Möglichkeit der Beschäftigung auch darüber hi-
naus besteht. Das wollen wir ja jetzt gerade erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir sind sicherlich einer Meinung, dass wir insbeson-

dere in den jungen Bundesländern große Probleme ha-
ben. Uns bedrückt es sehr, dass das wirtschaftliche
Wachstum in den jungen Bundesländern aufgrund der
konjunkturellen Entwicklung auch in diesem Jahr nur
1,3 Prozent beträgt


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Die „blühenden Landschaften“!)


und es daher dort nicht zu dem gewünschten Beschäfti-
gungsaufbau gekommen ist. Deshalb brauchen wir solche
Instrumente.

Sie wissen sehr wohl, dass sich die Dynamik des Ab-
baus der Arbeitslosigkeit von Oktober 2000 bis April
2001 auf 132 000 halbiert hat, die Arbeitsmarktlage also
nicht besonders günstig ist. Uns ist daran gelegen, diese
Arbeitsmarktlage miteinander zu verbessern. Deshalb
wundere ich mich immer wieder darüber, dass Sie uns,
wenn wir eine Initiative starten, nicht unterstützen, ob-
wohl dies – Herr Meckelburg hat das deutlich gemacht –
in Ihrem Eckpunktepapier erwähnt ist.

In Ihrem Eckpunktepapier steht auch, dass nach zwölf
Wochen die Arbeitslosenunterstützung gestrichen werden
soll. Mit diesem Drohpotenzial erreichen Sie auf dem ers-
ten Arbeitsmarkt natürlich gar nichts. Ein Instrument für
den ersten Arbeitsmarkt ist es vielmehr, wenn ich die
Möglichkeiten für die Betriebe erweitere.

Ich muss sagen: Sie haben unseren Gesetzentwurf
nicht gelesen; denn Sie haben behauptet, wir hätten uns
zur sozialen Flankierung nicht geäußert. Ich verweise
auf die Festlegungen im Entwurf: Aufhebung des Syn-
chronisationsverbotes und eine tarifliche Bindung des
Verleihers an das bestehende Arbeitsverhältnis, weiter-
hin der uneingeschränkte Kündigungsschutz. Das ist
hier beschrieben. Ich verstehe gar nicht, wie Sie auf die
Idee kommen, dass wir dies nicht mit aufgenommen ha-
ben.

Auch im Bericht der Bundesregierung ist noch einmal
deutlich geworden, dass dies wegen der Bekämpfung der
illegalen Beschäftigung ein wichtiges Anliegen ist. Auch
wir haben dieses Anliegen – in der Fortschreibung dieses
Instrumentes aus dem Jahre 1972 – in den 16 Jahren un-
serer Regierung verfolgt. Tun Sie doch nicht so, als ob
hier die Arbeitnehmerrechte nicht geschützt würden.


(Klaus Brandner [SPD]: Das musst du uns aber genauer erklären, Heinz!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Die Arbeitnehmerrechte sind geschützt. Dies gilt für
ein zwölfmonatiges Leiharbeitsverhältnis genauso wie für
ein 24-monatiges. Wir möchten diesen Weg weitergehen.
Wenn schon jetzt bei einem auf zwölf Monate beschränk-
ten Leiharbeitsverhältnis von 200 000 Leiharbeiterinnen
und Leiharbeitern 30 Prozent dauerhaft übernommen
werden, daraus also sozusagen Stammarbeit wird, wird
die Chance bei einer Ausweitung auf 24 oder 36 Monate
noch größer. Dies steht außer Frage.

Darüber hinaus muss ich Ihnen noch sagen: Wir lassen
es nicht zu, dass an der Statistik manipuliert wird.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Sie kommen ja immer mit der Statistik. 600 000 Lang-
zeitarbeitslosen über 58 Jahren soll jetzt bestätigt werden,
dass sie eigentlich in Rente gehen müssten. Das ist kon-
traproduktiv.

Soeben hast du, lieber Klaus, gesagt, dass es eine Ver-
einbarung zwischen der Landesregierung NRW und den
Leihunternehmen gebe, dass man gerade für ältere Ar-
beitslose etwas tun wolle. Welche Botschaft wird aber da-
durch vermittelt, dass ich die über 58-Jährigen aus der
Statistik herausnehmen will? Auf der anderen Seite gibt es
die Aktion „50 plus – die können es!“ der Bundesanstalt
für Arbeit. Sollen wir diese Botschaft übermitteln oder
sollen wir sagen: trotz arbeitsfähigem Alter aufs Abstell-
gleis und verzweifeln?


(Klaus Brandner [SPD]: Glaubst du, dass die Bürger das, was du erzählst, noch verstehen?)


– Die Bürger verstehen das, und zwar deshalb, weil der
Herr Bundeskanzler versprochen hat, die Arbeitslosenzahl
auf unter 3,5 Millionen zu senken, koste es, was es wolle.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das wird er nicht schaffen!)


Für den Fall, dass das nicht klappt, schiebt man die 58-
Jährigen ab. Man schickt sie also noch nicht einmal mehr
auf die Reservebank, sondern gleich in die Rente.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das begreift der Bürger. Denn der Bundeskanzler kann
sein Wort nicht halten.

Auf der einen Seite verfolgt der Bundeskanzler die
Blair-Linie und auf der anderen Seite machen Sie im Rah-
men der Gesetzgebung – da bin ich etwas näher bei Ihnen;
denn Sie sind wenigstens ehrlich – bei dem, was der
Bundeskanzler draußen verkündet, nicht mit. Es ist ja
hochinteressant, dass ihm das Bündnis für Arbeit die Ein-
haltung dieses Versprechens überhaupt noch abnimmt.
Das wundert mich immer wieder.

Nun zurück zum Thema:

(Erika Lotz [SPD]: Zurück zum Thema, ja!)


– Ja, genau, Frau Lotz. – Die von uns vorgeschlagene Än-
derung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist kein
Königsweg. Den haben auch Sie nicht. Das wissen Sie
ganz genau.


(Erika Lotz [SPD]: Sie aber auch nicht!)


Bei den Arbeitsstunden kommt es in Deutschland so-
gar zu einem Abbau.


(Klaus Brandner [SPD]: Ein Zeichen, wie gut die Produktivität in Deutschland ist! Ein wesentlicher Standortfaktor!)


Die Arbeitsstunden sind entscheidend für die Sicherung
unserer Sozialsysteme. Hier ist ein dramatischer Vorgang
festzustellen.

Dieser Zusammenhang muss bei den vielen Wegen, die
zur Verbesserung der Situation beschritten werden können,
beachtet werden. Die vorgesehene Änderung des Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetzes ist eine Stellschraube. Das ist
nicht alles; das wissen auch wir. Aber sie ist ein Angebot an
Sie, vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der 90er-Jahre
das Übel der Arbeitslosigkeit mit uns gemeinsam stärker
anzugehen. Wir stehen Ihnen dabei zur Verfügung.

Wenn Sie allerdings Konzepte ablehnen, dann ist Ihnen
nicht zu helfen. Sie gehen die alten Wege, schauen nicht
nach Holland – dort ist diese Regelung mit Erfolg prakti-
ziert worden – und stabilisieren damit die hohe Arbeitslo-
sigkeit in Deutschland.


(Klaus Brandner [SPD]: Mit beiden Augen nach Holland gucken, nicht nur mit einem!)


Das ist schade für den einzelnen betroffenen Arbeitslo-
sen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ich befürchte, das alles hat nichts genützt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417413000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Arbeitneh-
merüberlassungsgesetzes auf Drucksache 14/1211. Der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/5807, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Be-
richt der Bundesregierung auf Drucksache 14/4220 über
Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes sowie über die Auswirkungen des
Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE




Heinz Schemken

17133


(C)



(D)



(A)



(B)


GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Organisationsreform in der landwirtschaft-
lichen Sozialversicherung (LSVOrgG)

– Drucksache 14/5314 –

(Erste Beratung 153. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zurOrganisationsreform in der landwirtschaft-
lichen Sozialversicherung (LSVOrgG)

– Drucksache 14/5928 –

(Erste Beratung 167. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/6177 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU
Landwirtschaftliche Sozialversicherung
zukunftsorientiert gestalten
– Drucksachen 14/3774, 14/6177 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen

Es war eine Aussprache von einer halben Stunde vor-
gesehen. Die Kollegen Waltraud Wolff (Wolmirstedt),
Peter Dreßen, Siegfried Hornung, Steffi Lemke, Marita
Sehn und Kersten Naumann haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1)

Wir kommen damit zur Abstimmung über die von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Gesetzes zur Organisationsreform in der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung. Der Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/6177, die Gesetz-
entwürfe auf den Drucksachen 14/5314 und 14/5928 als
Gesetz zur Organisationsreform in der landwirtschaftli-
chen Sozialversicherung in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men des Hauses bei Stimmenthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal-
tung der PDS-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/3774 mit dem Titel „Landwirtschaftliche Sozial-
versicherung zukunftsorientiert gestalten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung
der PDS angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Stöckel, Ekin Deligöz, Ingrid Fischbach, Klaus
Haupt, Rosel Neuhäuser und weiterer Abgeordne-
ter
Eigenständiges Antragsrecht für die Kinder-
kommission des Deutschen Bundestages
– Drucksache 14/5346 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell ist für die Aussprache eine Fünf-Minu-
ten-Runde vereinbart worden. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1417413100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Heute ist der Internationale Kindertag. Des-
halb erst einmal herzlichen Glückwunsch an alle Kinder
im Namen der Kinderkommission.


(Beifall im ganzen Hause)

Heute ist der Internationale Kindertag und der Deut-

sche Bundestag debattiert einen Antrag zur Kompetenz-
erweiterung der Kinderkommission.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Sehr gut!)

Das ist ein gutes Zeichen, ein hoffnungsvoller Anfang.
Die richtige und konsequente Fortsetzung ist die zügige
und ergebnisorientierte Beratung dieses Antrages in den
Ausschüssen, damit wir dann im September zum Welt-
kindertag – wieder sehr symbolisch – im Plenum mit der
Schlussabstimmung eine zukunftsweisende Entschei-
dung für eine kinderfreundlichere Gesellschaft treffen
können.


(Beifall im ganzen Hause)

Seit 1988 gibt es die Kinderkommission des Deut-

schen Bundestages mit der Aufgabe, die Belange der
Kinder im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bun-
destages wahrzunehmen und die parlamentarisch-politi-
sche Lobby für Kinder als besonders schwache und
schutzwürdige Glieder unserer Gesellschaft zu sein. Des-
halb wurde bereits bei der Gründung ein Gremium mit
geradezu exotischem Sonderstatus geschaffen – im Übri-
gen ein einmaliger Weg in der deutschen Parlamentsge-
schichte:




Präsident Wolfgang Thierse
17134


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

Erstens. Die Kiko ist nicht von Proporz oder Mehr-
heitsverhältnissen geprägt. Jede Fraktion entsendet nur
einen Vertreter.

Zweitens. Beschlüsse werden nur einstimmig, also
nach dem Konsensprinzip gefasst.

Drittens. Das Amt des Vorsitzenden wechselt symbol-
trächtig alle neun Monate. Jedes Mitglied ist also im
Laufe einer Wahlperiode einmal Vorsitzender. Zurzeit
habe ich diese Ehre.

Trotz aller Besonderheiten: Alle Kinderkommissionen
vor uns, aber auch wir stießen in der praktischen Arbeit an
Grenzen, genauer an Kompetenzgrenzen.

Die Kiko ist nun 13 Jahre alt. Wie alle 13-Jährigen ist sie
reifer, flügger, erfahrener geworden. Folgerichtig wollen
wir jetzt mit starker Unterstützung vieler Kolleginnen und
Kollegen aller Fraktionen ein Antragsrecht für die Kiko
durchsetzen – nicht aus Profilneurose, sondern zugunsten
der Schwächsten in unserer Gesellschaft, der Kinder.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wenn die Kiko mehr als ein politisches Feigenblatt sein
soll, wenn die Interessenvertretung der Kinder im Parla-
ment ernst gemeint und ernst genommen wird, muss sie
mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein.

Dies wäre ganz im Sinne der National Coalition, in der
sich viele ganz unterschiedliche Organisationen für die
Kinderrechte stark machen und die deutlich sagt: Das vor-
handene Instrument, die Kinderkommission, sollte ge-
stärkt werden.

Dagegen sind nun aber einige Bedenken laut geworden,
die ich übrigens alle ernst nehme. Einige betonen, dass die
Geschäftsordnung des Bundestages nicht beliebig geändert
werden sollte. Ich selbst bin auch dieser Auffassung. Aber
die Geschäftsordnung ist kein hehres Naturgesetz, das nicht
verändert werden kann. Ich meine, es gibt gute Gründe,
dies jetzt, sehr verantwortungsvoll und zielbewusst zu tun.

Befürchtet wird auch ein Nachahmungseffekt. Da die
Einrichtung der Kinderkommission aber bewusst mit ei-
nem ganz besonderen, einzigartigen Status ausgestattet
ist, bin ich sicher, dass es nicht dazu kommen wird. Denn
jedem potenziell dafür infrage kommenden Nachahmer
fehlen diese Grundvoraussetzungen.

Auch die Angst vor einer Inflation von Anträgen aus
der Kinderkommission ist völlig unbegründet. Sie alle
wissen, dass wir nur im Konsens entscheiden können. Wir
sollten uns, wenn es um Kinder geht und dieser Konsens
über Parteigrenzen hinweg gegeben ist, im Parlament die
Chance eröffnen, solche mit Bedacht unterbreiteten Vor-
schläge gemeinsam zu beraten.

Schließlich gibt es Bedenken, insbesondere der Mut-
terausschuss der Kinderkommission könnte in seiner Be-
deutung relativiert werden. Da kann ich nur sagen: Keiner
verliert etwas, aber alle, vor allem die Kinder, gewinnen,
wenn der Stellenwert von Kindern in den politischen Ent-
scheidungsprozessen steigt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag ist hoch
aktuell. Er steht vor dem Hintergrund, dass Kinderpolitik
zunehmend als bedeutendes Feld der Gesellschaftspolitik
erkannt wird und mittlerweile bei allen Parteien oben auf
der politischen Agenda steht. Gerade in diesem Jahr wird
dies auch international mit dem Weltkindergipfel in New
York überdeutlich werden.

Die Querschnittsaufgabe, Kinderrechte ernst zu neh-
men und für eine kinderfreundliche Gesellschaft alles,
aber auch alles zu tun, ist eine Herausforderung zu Beginn
des neuen Jahrtausends, für die sich jede Mühe lohnt – so-
gar eine Änderung der Geschäftsordnung. Denn das, was
ein japanisches Sprichwort sagt, stimmt: Wer Großes will,
muss das Kleine tun. Deshalb ist unser Gruppenantrag
eine kleine, aber die richtige Antwort auf die großen He-
rausforderungen, vor denen der Deutsche Bundestag im
Hinblick auf die immer drängender werdenden kinderpo-
litischen Fragestellungen steht.

Lassen Sie uns, über alle Parteigrenzen hinweg, ein
Zeichen setzen für die Schwachen, die zugleich aber die
Zukunft unserer Gesellschaft sind: die Kinder.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417413200
Ich erteile dem Kolle-
gen Rolf Stöckel, SPD-Fraktion, das Wort.


Rolf Stöckel (SPD):
Rede ID: ID1417413300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was soll
dieser formale Zwergenaufstand im Deutschen Bundes-
tag?, denken sich nun die meisten. Ich möchte Ihnen kurz
begründen, warum auch ich mich sehr für die Kompetenz-
erweiterung dieser Kinderkommission einsetze. Ich
glaube, wir sind uns mehrheitlich darüber einig – das
wurde auch gestern Morgen in der Debatte über Gentech-
nik und Bioethik deutlich –, dass Kinder von null bis
18 Jahren, um die es hier geht, Grundrechtsträger sind.
Deswegen sind wir uns wahrscheinlich auch mehrheitlich
darüber einig, dass wir Kinderrechte nicht extra in den
Grundrechtskanon der Verfassung aufnehmen müssen.

Es geht hier um 17 Millionen Einwohnerinnen und
Einwohner dieses Landes, die die Kinderkommission in
der Bundespolitik vertreten und deren Interessen sie
durchsetzen soll. Insofern war es sicherlich ein guter An-
fang, als es der Bundestag vor ungefähr elf Jahren wagte,
eine Kinderkommission einzurichten. Dies war eine
Folge des Internationalen Jahres des Kindes der Vereinten
Nationen aus dem Jahre 1979 und der Ratifizierung der
UN-Kinderrechtskonvention, in der sich die unterzeich-
nenden Nationen verpflichtet haben, diese Kinderrechts-
kommission in nationale Gesetzgebung umzusetzen.

Ich will Ihnen deutlich sagen, dass das, was bisher an
Schlussfolgerungen gezogen worden ist, für die Kinder-
interessensvertretung in der Bundespolitik nicht aus-
reicht. Auch deshalb, weil Anträge einzelner Fraktionen,
mit denen versucht wurde, diese Interessensvertretung
auszuweiten, keine Mehrheit gefunden haben. Es geht
nicht nur darum, ob der Bundestag ein Zeichen für die




Klaus Haupt

17135


(C)



(D)



(A)



(B)


Schwächeren setzt, sondern auch darum, ob der Bundes-
tag zu den Konsequenzen steht, die er in den Entschlie-
ßungsanträgen immer wieder beschlossen hat.

Dass dies ganz konkrete Auswirkungen hat und nicht
nur Symbolik ist, will ich an einem kurzen Beispiel er-
läutern. Vor wenigen Wochen, kurz vor Ostern, ist in ei-
ner Berliner Kindertagesstätte ein kleiner Junge tödlich
verunglückt; er erdrosselte sich an der Rutsche in der
Kindertagesstätte mit der Kordel seines Anoraks. Die
Kinderkommission hatte vor etwa einem halben Jahr die
Initiative ergriffen und sich an das Wirtschaftsministe-
rium gewandt mit der Bitte, die Textilbranche und die Ver-
braucherverbände an einen Tisch zu holen, weil solche
tödlichen Unfälle immer wieder passiert sind. Sie werden
in den Medien nicht immer so spektakulär behandelt wie
der tödliche Unfall durch einen Kampfhund in Hamburg.

Wir haben erreicht, dass sich die deutsche Textilbran-
che – eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene würde
circa fünf Jahre dauern – im Rahmen einer Selbstver-
pflichtung entschlossen hat, ab der Herbst-/Winterkollek-
tion 2001, also ungefähr ab September, keine gefährlichen
Kordeln im Halsbereich von Kinderkleidung bis Größe 142,
glaube ich, mehr zuzulassen. Es wird Klettverschlüsse so-
wie Kordeln mit Sollbruchstellen – das ist ein Pfennigarti-
kel – geben, die ab einem Druck von 1,5 Kilogramm reißen.
Das ist sehr praktisch und schützt zudem Menschenleben.

Den Kolleginnen und Kollegen, die unseren Antrag un-
terstützen, möchte ich herzlich danken. Ich möchte aber
deutlich sagen, dass diejenigen Kolleginnen und Kolle-
gen, die unseren Antrag nicht unterstützen können, des-
wegen nicht kinderfeindlich sind oder sich nicht genauso
für die Kinderinteressen in unserer Gesellschaft einset-
zen. Wenn dieses Antragsrecht nicht durchkommen sollte,
möchte ich alle auffordern, sich ein wenig mehr Gedan-
ken darüber zu machen, wie die Kinderinteressens-
vertretung im Deutschen Bundestag ernsthaft und mit
Durchschlagskraft geregelt werden kann.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417413400
Ich erteile der Kolle-
gin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1417413500
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich freue mich genauso wie der Vorsitzende der Kin-
derkommission, an diesem besonderen Tag, nämlich dem
Tag des Kindes, hier stehen zu dürfen und mit Ihnen über
ein Thema zu diskutieren, das sich um unsere Kinder
dreht und von unseren Kindern handelt. Ich denke, dies ist
auch für die Öffentlichkeit ein Zeichen, dass die Kinder-
lobby in diesem Plenum Gehör findet. Ich möchte denje-
nigen, die dafür Verantwortung tragen, dass wir diese De-
batte führen können, ganz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Worum geht es heute? Es geht um ein eigenes
Antragsrecht der Kinderkommission des Deutschen Bun-
destages. Das Ziel, das wir, die zurzeit in der Kinderkom-
mission des Deutschen Bundestages sitzen, damit verfol-
gen, liegt auf der Hand: Wir möchten zukünftig als
Kinderkommission initiativ und vor allen Dingen schnel-
ler initiativ tätig werden können, um so unserem Auftrag,
sich für die Belange von Kindern im Parlament einzuset-
zen, angemessener gerecht zu werden.

Dagegen könnte man Einwände erheben, was auch ei-
nige von Ihnen tun. Ihnen werfe ich aber nicht, wie es der
Kollege Stöckel getan hat, Kinderfeindlichkeit vor, son-
dern ich denke, dass Sie bewusste und zu akzeptierende
Gegenargumente haben. Sie könnten fragen: Warum
reicht euch nicht das Mittel des Gruppenantrages in Ver-
bindung mit dem 5-Prozent-Quorum? Ich könnte mir bei
besonders populären Anliegen für Kinder, denen ein he-
rausragendes öffentliches Gewicht gegeben werden soll,
vorstellen, dass wir dieses Quorum auch erreichen wer-
den; denn in einem solchen Antrag möchte jeder seinen
Namen wiederfinden. Aber was ist mit den nicht so po-
pulären Anliegen, die weniger herausragen? Auch diese
möchten wir als Kinderkommission in diesem Parlament
in angemessener Form vertreten wissen.

Zum anderen könnten Sie sagen, auch andere Unter-
ausschüsse hätten kein Antragsrecht. Aber – ich wieder-
hole, was der Vorsitzende sagte –: Mit der Einsetzung der
Kinderkommission 1988 ist in der deutschen Parlaments-
geschichte ein einmaliger Weg beschritten worden, der
unterstreichen sollte, dass der Deutsche Bundestag die
Belange der Kinder als ein besonders schutzwürdiges
Sonderinteresse sieht und sie deshalb in besonderer Weise
der Fürsorge und Obhut eines parlamentarischen Gremi-
ums anvertraut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das Gremium der Kinderkommission ist anders als an-
dere Gremien: Wir haben je Fraktion nur ein stimmbe-
rechtigtes Mitglied – also nicht, wie andere Unteraus-
schüsse, eine zahlenmäßige Aufteilung nach dem
Kräfteverhältnis der Fraktionen –, der Vorsitz wechselt
turnusmäßig und die Kommission arbeitet nach dem Kon-
sensprinzip; das ist für mich das Wichtigste. Das heißt:
Jede Entscheidung der Kinderkommission – sei es ein Be-
schluss, sei es eine öffentliche Äußerung – kann nur ein-
stimmig, also im Konsens, getroffen werden.

All das zeigt ganz deutlich: Die Kinderkommission ist
kein Unterausschuss wie andere. Deshalb diskutieren wir
heute unseren Antrag auf ein eigenständiges Antragsrecht.
Sie können davon ausgehen, dass die Kinderkommission
in der Praxis von einem eigenen Antragsrecht im Bundes-
tag angemessen Gebrauch machen wird, denn durch das
Einstimmigkeitsprinzip ist, so glaube ich, auch eine
fraktionsübergreifende ausgewogene Anwendung des
Antragsrechts gewährleistet.

Ebenso können die Bedenken – ich höre das von Kol-
legen –, die Kinderkommission könnte als sehr kleines
Gremium – im Gegensatz zum sonstigen Antragsrecht
von mindestens 5 Prozent der Abgeordneten – dieses
Recht missbräuchlich anwenden, aufgrund der besonde-




Rolf Stöckel
17136


(C)



(D)



(A)



(B)


ren Zusammensetzung des Gremiums und des Konsens-
prinzips entkräftet werden.

Die Einräumung des Rederechts für die Mitglieder der
Kinderkommission – wir haben das in dieser Legislatur-
periode bereits beschlossen – ist ein wichtiges Signal ge-
wesen. Sie haben nun die Möglichkeit, die Arbeit der Kin-
derkommission im parlamentarischen Raum effektiv zu
unterstützen und zu stärken, indem Sie unserem Anliegen
Rechnung tragen.

Aufgrund der Erfahrungen aus einer 13-jährigen Tätig-
keit kann ich feststellen: Das Fehlen eines Initiativrechts
für Anträge im Deutschen Bundestag stellt ein gravieren-
des Defizit dar.


(Beifall des Abg. Rolf Stöckel [SPD])

Ich erinnere mich an die Möglichkeiten der Beschlussemp-
fehlung im Ausschuss im Zusammenhang mit dem Thema
der Integration behinderter Kinder. Wir haben über die-
ses Thema debattiert, das Anliegen ist aber nicht wie ein
Antrag behandelt worden, es ist nicht darüber abgestimmt
und entschieden worden, sondern dies wurde lediglich zur
Kenntnis genommen. Hier hätte man wirklich Möglich-
keiten, fraktionsübergreifend Themen der Kinderpolitik
angemessen im Plenum zu berücksichtigen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre vielleicht vor-
handenen Bedenken beiseite legen könnten und der Kin-
derkommission die Möglichkeit geben würden, eine wirk-
same Interessenvertretung für Kinder zu sein. Stärken Sie
die Handlungsfähigkeit der Kinderkommission und set-
zen Sie damit ein weiteres Signal für Kinderfreund-
lichkeit!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417413600
Ich erteile der Kolle-
gin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417413700
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kindsein ist
kein Kinderspiel. Die Kinder, die in unserer Gesellschaft
aufwachsen, werden mit einer komplexen Umwelt kon-
frontiert; sie werden mit einer Vielfalt von Familienfor-
men, Formen des Zusammenlebens und Kindheitserfah-
rungen konfrontiert.

Worüber debattieren wir hier eigentlich? Wir debattie-
ren in diesem Parlament im Augenblick darüber, wie wir
die richtigen Rahmenbedingungen für Kinder und ihr
Aufwachsen in Deutschland setzen können. Wir haben
heute bereits über den Familienlastenausgleich debattiert,
wir reden über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
über ökologische Kinderrechte oder den Schutz der Kin-
der vor Gewalt. All die Themen, über die wir reden, zei-
gen uns, dass Kinderpolitik nicht nur ein kleines Segment
ist, sondern dass gerade die Interessen der Kinder alle
Themenbereiche der Politik berühren und dass wir Kin-
derpolitik nicht auf einige wenige Bereiche einschränken

können. Dies zeigt uns, dass wir in jedem Gesetz, das wir
beschließen, die Rechte der Kinder in den Blick nehmen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Wir reden immer über Familien und darüber, welche
Rechte, welche Rahmenbedingungen und welche Infra-
struktur Eltern brauchen. Natürlich haben Eltern ihre
Rechte, aber auch Kinder sind – genauso wie Mama und
Papa – Trägerinnen und Träger von individuellen Rech-
ten. Auf diese Rechte haben sie einen Anspruch. Nehmen
wir die Erziehung als Beispiel: Es mag Sache der Eltern
sein, welche Werte sie ihren Kindern weitergeben und wie
sie ihre Kinder erziehen wollen. Aber Gewalt darf in der
Erziehung keinen Platz haben. Vielmehr hat jedes Kind
das eigenständige Recht auf gewaltfreie Erziehung, bei
der die Menschenwürde des Kindes beachtet wird, und
darauf, in dieser Gesellschaft mit einer eigenständigen
Persönlichkeit aufzuwachsen.


(Beifall im ganzen Hause)

Wenn wir auf die Kinder setzen, setzen wir auf unsere

eigene Zukunft. In der Kinderkommission setzen wir uns
auch mit der Situation behinderter Kinder auseinander.
Wir reden insgesamt über Mitberatungs- und Teilha-
berechte von Kindern, denn unsere Kinder brauchen
Verlässlichkeit in der Gesellschaft. Damit meine ich die
Verlässlichkeit in den engsten sozialen Beziehungen, die
Verlässlichkeit in den Debatten und die Verlässlichkeit in
der Öffentlichkeit.

Seit langem fordern Ärzte und Psychologen immer
wieder zu Recht, dass den Kindern Mitspracherechte im
Hinblick auf Sorgerechtsfälle, auf das Scheidungsrecht
oder auf die Verhältnisse in den Familien im Allgemeinen
eingeräumt werden. Wir dürfen die Kinder also nicht
übergehen, denn sie sind ein Teil dieser Gesellschaft.
Dafür brauchen wir Weichenstellungen im Parlament und
in der Politik insgesamt. Wir müssen also die Rahmenbe-
dingungen dafür schaffen, dass diese uralten Forderungen
auch tatsächlich gehört werden. Wenn sich dann fünf Kol-
legen quer durch alle Fraktionen in der Auffassung einig
sind, dass etwas Bestimmtes für die Zukunft wichtig ist,
dann muss diese Angelegenheit ihren Platz im Parlament
bekommen. Dafür setzen wir uns ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


In der Kinderkommission setzen wir uns zudem für die
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein, und
zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch auf interna-
tionaler Ebene. Wir reden also nicht nur über die Kinder
in unserem Land, sondern auch über die Kinder in den
Nachbarländern. Dabei spielt es keine Rolle, welche Ab-
stammung oder Herkunft sie haben – stets setzen wir uns
für den Schutz ihrer Rechte ein.

Weil wir in der Kinderkommission uns mit der Kin-
derpolitik eine so anspruchsvolle Querschnittsaufgabe
und damit ein Feld ohne Anfang und ohne Ende ausge-
sucht haben – eine größere Verantwortung könnten wir
kaum übernehmen –, möchten wir das Gewicht dieser




Ingrid Fischbach

17137


(C)



(D)



(A)



(B)


Kommission im Parlament und in seiner täglichen Arbeit
vergrößern. Die Kommission muss das Recht haben, De-
batten in diesem Parlament zu führen. Die Themen der
Kinderkommission müssen also wirklich eingebracht
werden können und dürfen nicht nur für den Papierkorb
produziert werden. Das ist der Grund für unser Engage-
ment, denn wir möchten eine echte Lobbyarbeit für die
Zukunft unserer Kinder betreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir
dafür Ihre Unterstützung bekommen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417413800
Ich erteile der Kolle-
gin Rosel Neuhäuser, PDS-Fraktion, das Wort.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1417413900
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Auch ich möchte im Namen mei-
ner Fraktion allen Kindern zum heutigen Internationalen
Kindertag die herzlichsten Glückwünsche aussprechen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Dieser Internationale Kindertag findet heute zum 51. Mal
statt; er ist also älter als 50 Jahre. Ich finde es gut, dass wir
am heutigen Tag über unseren Gruppenantrag zur Kom-
petenzerweiterung der Kinderkommission beraten.

Auf einen Wermutstropfen weise ich aber hin: Es hät-
te dem Bundestag gut angestanden, wenn wir diese
25-minütige Debatte am heutigen 1. Juni zu Beginn der
Sitzung in der Kernzeit hätten führen können. Das wären
wir unseren Kindern schuldig gewesen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über viele Probleme, die mit dem Antragsrecht bzw.
der Arbeit der Kinderkommission zusammenhängen, ha-
ben wir bereits gesprochen. Dazu sind auch schon viele
Argumente dargelegt worden.

Bereits in der 13. Legislaturperiode, in der ich schon
das Glück hatte, Mitglied der Kinderkommission zu sein,
wurden Beschlussempfehlungen, die dieses Antragsrecht
der Kinderkommission vorsahen, einstimmig angenom-
men. Das Prinzip der Einstimmigkeit über Parteigrenzen
hinaus ist eine wichtige Basis für unsere Zusammenarbeit.
Wir konnten erfahren, dass wir trotz des Prinzips der Ein-
stimmigkeit immer dann, wenn parteipolitische Interes-
sen außen vor blieben, im Interesse der Kinder wirkungs-
volle Schritte gehen konnten.

Frau Süssmuth hat vor einigen Jahren gesagt, Politik
für Kinder gehöre zu den Aufgaben des Parlaments; der
Bundestag wolle sich für eine kinderfreundliche Gesell-
schaft einsetzen. Wie Recht hatte sie damals.


(Beifall bei der PDS)

Diese Worte sollten wir auch weiterhin zu unserer Ar-
beitsmaxime machen.

In Vorbereitung des Antrags – auch das klang hier
schon an – war immer wieder zu hören, wir wollten ande-

ren Gremien ein Stück Arbeit wegnehmen. Darum geht es
überhaupt nicht; das müssen auch die Ausschüsse und die
anderen Gremien, die mit Kinderpolitik zu tun haben,
verstehen lernen. Es geht nicht um die Wegnahme von
Kompetenz. Wir wollen vielmehr dazu beitragen, be-
stimmte Situationen in dieser Gesellschaft, die Kindern
zum Nachteil gereichen, zu verändern.

Solange es in der Bundesrepublik Deutschland Be-
richte über Kinderarmut gibt, darüber, dass das Defizit in
der Kinderbetreuung nicht abnimmt, sondern wächst, die
Ganztagsbetreuung nicht geklärt und die Vereinbarkeit
von Arbeit und Kinderbetreuung nicht gegeben ist, Be-
richte darüber, dass der Bedarf an Hilfe und die Hilfsan-
gebote immer weiter auseinander klaffen, dass die Bun-
desregierung nach wie vor nicht bereit ist, die Vorbehalte
gegen die Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonven-
tion zurückzunehmen, solange diese Probleme nicht im
Interesse der Kinder gelöst sind, so lange sollten eine Re-
gierung und ein Parlament sowie seine Ausschüsse ein-
verstanden sein, dass es ein Gremium gibt, dessen Mit-
glieder daran mitarbeiten wollen, eine kinderfreundliche
Gesellschaft zu entwickeln.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Rolf Stöckel [SPD] und der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der Debatte kam bereits zum Ausdruck, dass viele
Abgeordnete unseren Antrag mittragen – darüber freuen
wir uns sehr –, auch Abgeordnete, die nicht Mitglieder der
Kinderkommission sind.

Sie, Herr Schmidt, als erster Vorsitzender der Kinder-
kommission im Deutschen Bundestag, haben allerdings
wenig Zivilcourage im Hinblick auf diese Probleme gezeigt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wissen gar nicht, was ich hinter den Kulissen gemacht habe!)


Sie hätten diesen Antrag ruhig unterstützen können; dann
hätte er eine entsprechende Wertigkeit. Bei der Abstim-
mung aber können Sie dazu beitragen, dass unser Antrag
in Vorbereitung des Weltkindergipfels zum Erfolg geführt
werden kann, wie es unser Vorsitzender gesagt hat.

Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass Kinder eine
Lobby brauchen. Dieser Feststellung wird wohl keine
Fraktion widersprechen. Diese Lobby soll jedoch nicht
nur so, wie es bislang war, ein reines Vorzeigeobjekt sein.
Der Kinderkommission sollen Rechte eingeräumt wer-
den. Als Mitglieder der Kinderkommission sind wir recht
zuversichtlich, dass mit unserem Gruppenantrag die not-
wendigen Änderungen der Geschäftsordnung durchge-
setzt werden können, um dem Ziel einer kinderfreundli-
chen Gesellschaft ein Stück näher zu kommen. Die
PDS-Fraktion hat sich bereits dafür ausgesprochen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417414000
Ich schließe die Aus-
sprache.




Ekin Deligöz
17138


(C)



(D)



(A)



(B)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5346 (neu) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des Hinterbliebenenrentenrechts
– Drucksache 14/6043 –

(Erste Beratung 171. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Arbeit und Sozialordnung

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/6178 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/6181 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Hans-Joachim Fuchtel
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer,
Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Unzumutbare Belastungen in der Hinterblie-
benensicherung zurücknehmen
– Drucksachen 14/6042, 14/6178 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Alle Reden
sind zu Protokoll gegeben, und zwar von den Kolleginnen
Erika Lotz, Brigitte Baumeister, Katrin Göring-Eckardt,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heidi Knake-Werner und
Ulrike Mascher.1)

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
des Hinterbliebenenrechts. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/6178, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf

zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS gegen die Stim-
men der CDU/CSU angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesord-
nungspunkt 22 b. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialord-
nung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebe-
nensicherung zurücknehmen“ auf Drucksache 14/6042.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Erzeugung von Strom aus
Biomasse (Biomasseverordnung – BiomasseV)

– Drucksachen 14/6059, 14/6102 Nr. 1, 14/6179 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Cajus Caesar
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Monika Ganseforth, Rainer
Brinkmann, Franz Obermeier, Michaele Hustedt, Birgit
Homburger und Eva Bulling-Schröter haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.2)

Damit kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der
Bundesregierung über die Erzeugung von Strom aus Bio-
masse, Drucksache 14/6179. Der Ausschuss empfiehlt,
der Verordnung auf Drucksache 14/6059 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stim-
men der F.D.P. angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg van




Präsident Wolfgang Thierse

17139


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9 2) Anlage 10

Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Die Zukunft gehört der Individuallizenz –
Vergütungsregelungen für private Vervielfälti-
gungen im digitalen Umfeld
– Drucksache 14/5577 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten Redezeit hat. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rainer Funke.´


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417414100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Urheberrechtlich geschützte Werke, vor al-
lem Musik, werden massenweise für den privaten Ge-
brauch vervielfältigt. Das Urheberrechtsgesetz muss
gewährleisten, dass die Urheberrechte durch private Ver-
vielfältigungen nicht verletzt werden und die Kreativen
eine angemessene Vergütung erhalten.

Das Urheberrechtsgesetz sieht hierfür eine Kombina-
tion aus gesetzlicher Lizenz und pauschaler Abgabe auf
Geräte und Trägermedien vor. Damit wird die Möglich-
keit privater Kopien abgegolten.

Für die so genannten analogen Vervielfältigungen hat
sich dieses System bewährt, weil eine gezielte Erfassung
einzelner Vervielfältigungen hier technisch gar nicht
möglich ist. Über die Anpassung der Vergütungssätze ist
sicherlich zu diskutieren. Den Vorschlag, die Vergütungs-
sätze künftig durch Verordnung festzulegen, lehnt die
F.D.P. aber nachdrücklich ab. Eine Verlagerung von Kom-
petenzen in die Exekutive auch in diesem Bereich wäre,
meine ich, auch für das gesamte Haus nicht akzeptabel.

Die Musik spielt heutzutage aber immer weniger in
diesen klassischen analogen Medien. Von zunehmender
Bedeutung ist stattdessen der Bereich der digitalen Ver-
vielfältigung. Die digitale Kopie ist bereits ein Massen-
phänomen. Hier wird es in absehbarer Zeit möglich sein,
gezielt einzelne Vervielfältigungen zu erfassen und zu li-
zenzieren. Das herkömmliche System der ungenauen
Pauschalabgabe verliert dann seine Berechtigung.

Der Vergütungsbericht der Bundesregierung macht zu
dieser bedeutsamen Entwicklung bedauerlicherweise nur
vage Andeutungen und enthält keine klaren Lösungs-
ansätze für die zukünftige Entwicklung. Man will abwar-
ten. Ein „Weiter so wie bisher“ ist hier aber, meine ich, der
falsche Weg. Die Bundesregierung hat ihre Chance ver-
passt, eine klare Perspektive für die Wahrung der Urhe-
berrechte und der Interessen von Geräteherstellern und
Verbrauchern für die digitalen Vervielfältigungen aufzu-
zeigen. Es wäre an dieser Stelle angezeigt gewesen, dem
Bundestag konkrete Vorschläge zu präsentieren, wie der
Übergang vom analogen in das digitale Zeitalter befördert
werden kann.

Diese Lücke füllt jetzt der Antrag der F.D.P.-Fraktion.
Sobald die individuelle Lizenz nicht nur technisch möglich
ist, sondern auch flächendeckend zum Einsatz kommen
kann, muss sie, wo immer das möglich ist, die pauschale Ab-
geltung ersetzen. Das geltende Recht ist zumindest bislang
hierauf noch nicht vorbereitet. Es muss deswegen geprüft
werden, durch welche Maßnahmen des Gesetzgebers die
Einführung von Rechte-Management-Systemen unterstützt
werden kann. Dabei ist auch die jüngste Urheberrechts-
richtlinie der Europäischen Union zu berücksichtigen. Sie
muss unverzüglich umgesetzt werden.

Solange die neue Technik sich noch in der Anfangs-
phase befindet und noch nicht flächendeckend zur Ver-
fügung steht, wird es notwendig sein, auch digitale Ver-
vielfältigungen vorübergehend noch durch pauschale
Abgaben zu vergüten. Die Aussicht auf mittelfristig ein-
satzfähige Lizenzsysteme darf nicht dazu führen, dass die
Urheber in der Übergangszeit leer ausgehen.

Ausdrücklich befürwortet der Antrag deshalb eine be-
fristete moderate Abgabe auf Geräte wie zum Beispiel den
CD-Brenner. Wir würden es außerordentlich begrüßen,
wenn sich in dieser Frage die Hersteller und Verwer-
tungsgesellschaften gemeinsam auf die erforderliche
Übergangslösung einigen könnten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Entsprechende Gespräche werden ja zum Teil auch un-

ter Moderation von Parlamentskollegen geführt. Unser
Antrag enthält aber konkrete Vorschläge dafür, wie hier
auch der Gesetzgeber durch behutsame Maßnahmen un-
terstützend eingreifen kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417414200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1417414300
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Unter den Parlamentariern bestand in
Sachen Urheberrecht immer eine große Gemeinsamkeit.
Wir tun gut daran, uns weiterhin um diese Gemeinsamkeit
zu kümmern.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie sind eingeladen mitzumachen!)


Die Enquête-Kommission „Neue Medien“ ist zu ge-
meinsamen Schlussfolgerungen gekommen. Auf der
Grundlage dieser Schlussfolgerungen können wir in das
digitale Zeitalter gehen und die entsprechenden rechtli-
chen Regelungen schaffen. In diesen Schlussfolgerungen
sind die Individuallizenzen – sofern dies machbar ist –
durchaus vorgesehen.

Wer sich mit den Individuallizenzen im Detail befasst
und sämtliche damit verbundenen datenschutzrechtlichen
Probleme sowie den damit einhergehenden bürokrati-
schen Aufwand studiert, der wird sehen, dass wir noch
eine gewisse Zeit brauchen, bis wir wirklich individual-
rechtliche Lösungen haben, die den Anforderungen des
Datenschutzes entsprechen. Herr Repnik, ich möchte




Präsident Wolfgang Thierse
17140


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht erleben, dass Ihr Leseverhalten aus Ihrer Abrech-
nung ersichtlich ist, wenn Sie die „taz“ oder irgendwelche
anderen Zeitschriften heimlich lesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Heimlich?!)


Man muss sich diese Entwicklung anschauen. Ich erin-
nere an einen Kollegen im Bayerischen Landtag, der auf-
grund der Abrechnungssysteme erheblichen Ärger hatte.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Der war von der SPD!)


– Nein, das war ein Christlich-Sozialer, dessen Disposi-
tion nicht vermuten ließ, in welchen Gebieten er tätig war.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bitte nicht vertiefen!)


Herr Funke, wir haben die Individualabrechnungen
gemeinsam quasi erfunden und das wird von uns gemein-
sam getragen. Es wird allerdings nicht einfach werden,
daraus ein handhabbares Instrument zu machen. Ich
warne Neugierige. Wir werden noch eine Zeit lang bei den
pauschalen Abrechnungen bleiben müssen.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das habe ich ja gesagt!)


In Ihrem Antrag fehlt mir das deutliche Bekenntnis dazu,
dass auch für private Vervielfältigungen am Ende gezahlt
werden muss. Eines der Grundprobleme in unserem Lande
ist, dass jeder sagt: „Ich muss meinen Strom bezahlen; ich
muss mein Kabel bezahlen“, dass man aber glaubt, die In-
halte kämen vom Heiligen Geist, weshalb sie freie Güter
seien, die, wie die Luft zum Atmen, nichts kosteten.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das habe ich nicht gesagt!)


– Das werfe ich Ihnen nicht vor. – Ich sage nur: Ich hätte
es gerne gesehen, wenn Sie vorgesehen hätten, dass
§ 53 UrhG in Ihrer Fassung die strikte Forderung nach ei-
ner Vergütung enthält.

Die beteiligten Kreise sind nun dabei, eine Vereinba-
rung zu treffen. Wir sollten sie dazu ermuntern. Wir soll-
ten wirklich sagen: Liebe Leute, ihr habt in der Sommer-
pause noch Zeit, euch zu verständigen; sonst wird euch
der Gesetzgeber auf die Sprünge helfen müssen. Wir kön-
nen nicht zuschauen, wie das Urheberrecht gerade im Be-
reich der digitalen Aktivitäten massenhaft verletzt wird.
Wir können keine Entwicklung akzeptieren, in der zwar
unglaublich viel Geld in die Netze investiert wird, obwohl
uns der Content in diesen Netzen letzten Endes gleich-
gültig ist. Das darf so nicht sein. Wir sollten darin
übereinstimmen, dass wir den beteiligten Kreisen sagen:
Entweder ihr seid euch bis zum Ende der Sommerpause
einig oder ihr bekommt bis spätestens Weihnachten eine
gesetzliche Regelung, die das alles möglich macht.

Auch im Hinblick auf diejenigen, die meinen, sie könn-
ten durch Verlagerungen ins Ausland der Zahlung der
entsprechenden Vergütungen entrinnen, werden wir Wege
finden, solche „Escape-Aktivitäten“ zu unterbinden. Nie-
mand darf unter Ausnutzung von Regelungslücken versu-
chen, sich auf Kosten der inländischen Hersteller einen
Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Es geht nicht an, dass

etwa derjenige Teil von Siemens, der noch in Deutschland
produziert, seine Urheberrechtsabgaben treu und brav be-
zahlt, während sich Dell einen Wettbewerbsvorteil ver-
schafft und mit niedrigen Preisen wirbt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Da sind wir uns einig!)


Wer durch einen solchen Wettbewerbsvorteil herge-
stellte Produkte auf den Markt bringt, dem müssen wir sa-
gen: Dein Produkt hat einen Rechtsmangel; du wirst ent-
weder über deine Käuferbeziehungen, über deine
Händlerbeziehungen oder über sonstige Vertriebsbezie-
hungen gefasst. Es kann nicht sein, dass sich jemand auf
diese Art und Weise auf die Flucht begibt.

Ich kann deshalb nur hoffen, dass es im Rahmen der
Moderationen gelingt – auf diesem Gebiet ist die Bun-
desministerin der Justiz sehr aktiv engagiert –, zu einem
Erfolg zu kommen. Dieser Erfolg wird schneller zutage
treten, wenn sich dieses Parlament einig ist, dass wir nach
der Sommerpause handeln werden, weil wir der weiteren
Ausbeutung der nach dem Urheberrechtsgesetz Berech-
tigten nicht mehr länger zusehen können.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Da sind wir dabei!)

– Dann klatschen Sie doch, wenn Sie auch dieser Mei-
nung sind.


(Beifall des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])

– Damit ist die Zustimmung erteilt.


(Heiterkeit)

Das erwarte ich auch von der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten ein entsprechendes Signal aussenden. Dann
haben wir im digitalen Zeitalter für die geistig tätigen
Menschen eine Menge geleistet.

Ich sehe, dass wir hier auf einem guten Wege sind.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Dann können Sie ja zustimmen!)

– Nein, Ihrem Antrag kann man in dieser Form nicht zu-
stimmen. – Wir werden den Antrag überweisen und bera-
ten. Er wird die Grundlage für unsere weitere Arbeit sein.
Ich habe mit Herrn Funke in Fragen des Urheberrechts
früher in anderer Konstellation immer konstruktiv zusam-
mengearbeitet und habe an seiner Urheberrechtstreue nie
einen Zweifel gehabt. Wir sind uns sicher einig, dass der
Antrag noch nicht ausreichend ist, obwohl er sinnvolle
Elemente enthält.

Uns wäre es am liebsten, wenn sich die beteiligten Kreise
selber verständigten und nicht sozusagen den Knüppel des
Gesetzgebers bräuchten; denn sie können am besten die
Lasten entsprechend ihrem Nutzen individuell verteilen.

Lasst uns ans Werk gehen und die notwendigen Signale
aussenden, damit sie auch ankommen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)





Ludwig Stiegler

17141


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417414400
Ich erteile dem Kolle-
gen Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Heinz Seiffert (CDU):
Rede ID: ID1417414500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der F.D.P.
regt sicherlich zu Überlegungen an. Aber er kann nicht
ganz ohne Widerspruch bleiben.

Unbestritten ist, dass urheberrechtliche Leistungen
von Nachnutzern vergütet werden müssen. Geistiges Ei-
gentum hat in der Bundesrepublik Deutschland einen ho-
hen Stellenwert. Wo das in Europa noch nicht der Fall ist,
sollte es möglichst rasch dazu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Urheberrechtsgesetz von 1965 mit seinen diversen

Ergänzungen hat die geschützten Werke umfassend auf-
gezählt. Im Wesentlichen sind dies: die Sprachwerke, die
Werke der Musik, pantomimische Werke, Werke der
Kunst, Lichtbildwerke, Filmwerke und die Darstellungen
wissenschaftlicher und technischer Art.

Für die Vergütung wurde und wird auch in Zukunft si-
cher unterschieden, ob die Vervielfältigung dem privaten
Gebrauch oder ob sie gewerblichen Interessen dient. Auch
wenn die Auslegung des Urheberrechtsgesetzes bisher zu
manchem Rechtsstreit geführt hat, war die Handhabung
der Bestimmungen sowohl für die Urheber als auch für
die Nutznießer unter dem Strich brauchbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei aller Technik, die fortschreitet und die auf uns zu-

kommt – dies gilt besonders bei den digitalen Systemen –,
gilt, dass die Nutzung von urheberrechtlich geschützten
Werken nicht dazu führen darf, dass der Verwaltungs-
aufwand für Zählung und Berechnung und für die Über-
prüfung der Rechnungen in übertriebener Weise aufge-
bläht wird. Dies will die F.D.P. ohnehin nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Deregulierung brauchen wir!)


Wenn die Freien Demokraten Sorge haben – so steht es
in der Begründung –, dass der Anteil der Urhebervergü-
tung bei pauschalen Belastungen der Hersteller von Ver-
vielfältigungsgeräten eine Gefahr für die Unternehmen
darstelle, so kann ich dies nur bedingt teilen, da bei den
Individualvergütungen der geistige Urheber oder die Or-
ganisation, die die Lizenzgebühren eintreibt, ein un-
heimlich aufgeblähtes Imperium mit Vergütungen in Mil-
lionenhöhe nach sich ziehen würde.

Ziel muss es daher sein, im Rahmen der Behandlung
des Antrags der F.D.P. mit allen Interessenvertretern ge-
meinsame Lösungen zu erarbeiten, die auf der einen Seite
dem Schutz des Urhebers dienen und auf der anderen
Seite den Anforderungen einer freien Informationsgesell-
schaft standhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen ITK-Bran-
che darf nicht beeinträchtigt werden.

Das gemeinsame Ziel wohl aller Parteien – da haben
Sie Recht; so war es bisher und so soll es auch bleiben –

ist, dass der Urheber eine angemessene Vergütung er-
hält. Insofern ist eine Aufforderung an die Bundesre-
gierung, zu überlegen, wie die Individualisierung der
Berechnung urheberrechtlicher Leistungen gefördert
werden kann, grundsätzlich richtig. Bis zu deren Ver-
lässlichkeit muss die Geräteabgabe möglich sein, wobei
Computer, die als Multifunktionsgeräte relativ wenig
mit der Vervielfältigung zu tun haben, außen vor gelas-
sen bleiben.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Keineswegs!)


Dagegen muss man so genannte CD-Brenner, Scanner
und Drucker, wie von der F.D.P. vorgeschlagen, mit einer
gewissen pauschalen Gerätevergütung auch künftig an-
gemessen belasten. Es ist aber die Frage, ob dies der al-
lein richtige Weg ist. Der Grundsatz sollte sein, dass Ei-
genverantwortung gerade auch der Softwarehersteller
gefördert wird. Deshalb kann man alternativ auch über
eine Selbstverpflichtung der Hersteller nachdenken, in-
dem man zum Beispiel eine Kopierschutzverpflichtung
erlässt. Die technischen Möglichkeiten dazu jedenfalls
sind gegeben.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Nein!)

Wichtig – das sollten wir bei all dem nicht vergessen –

ist, dass Abgaben nicht technologiefeindlich wirken dür-
fen. Zudem ist die Harmonisierung auf europäischer
Ebene eine unverzichtbare Voraussetzung für einen
chancengleichen Wettbewerb. Immerhin sind in drei Län-
dern Europas die Gebühren bisher nicht erhoben worden:
in Großbritannien, Irland und Luxemburg, Acht EU-Län-
der belasten reine Trägermedien und nur vier Länder for-
dern eine Abgabe auf die Geräte.

In den Beratungen werden wir uns also sehr bemühen
müssen, auch mit den Regierungsparteien Einigkeit zu er-
zielen, damit der Bundestag einheitlich die Bundesregie-
rung auffordern kann, entsprechende Gesetze zu erlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417414600
Ich erteile das Wort
Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417414700
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag
der F.D.P.-Fraktion trägt den schönen Titel „Die Zukunft
gehört der Individuallizenz“.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir hätten auch schreiben können: der F.D.P.!)


Es ist schön, dass zumindest die F.D.P. in der Lage ist,
die technischen Entwicklungen vorauszusehen. Ich halte
das für recht vermessen; doch das scheint der Stil der
F.D.P. zu sein.

Die Individuallizenz wird sicherlich ein Baustein
zukünftiger Vergütungsregelungen im digitalen Zeital-
ter sein. Aber ich sage bewusst „ein Baustein“ und nicht
„der Baustein“, denn die digitale Vielfalt, die wir alle an-






(C)



(D)



(A)



(B)


streben, erfordert keine Patent- oder Pauschallösungen,
sondern umfassende Konzepte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Wie sieht denn Ihr Konzept aus?)


Digitale Vielfalt bedeutet auch vielfältige Formen der
Vergütung. Natürlich kann ich in der Hoffnung, dass die
Internetnutzerinnen und -nutzer für ein Werk per Einzel-
abrechnung bezahlen, dieses entsprechend technisch ge-
schützt in das Netz stellen. Genauso muss es aber möglich
sein, über Verwertungsgesellschaften für verbreitete
Texte entlohnt zu werden. Und wer sagt denn überhaupt,
dass ein Urheber nicht auch davon profitieren kann, dass
er sein Wissen kostenlos im Netz zur Verfügung stellt?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das digitale Zeitalter hat bereits zahlreiche Künstler

und Künstlerinnen, Autorinnen und Autoren, Wissen-
schaftler und Wissenschaftlerinnen hervorgebracht, die
ihre Reputation und ihr Einkommen der Tatsache zu ver-
danken haben, dass sie von Anfang an neue Medien wie
das Internet offensiv zum Dialog und Wissenstransfer ge-
nutzt haben. Diese freie Struktur des Internet muss nach
grüner Sicht unbedingt erhalten bleiben. Wissen lässt sich
nun einmal nicht einsperren. Das Netz lässt sich nicht
nach traditionellen Regelungen kontrollieren und es wird
keine technische Lösung geben, die hundertprozentige Si-
cherheit für den Schutz digitaler Güter garantiert.

Geradezu kontraproduktiv für die globale Wissensge-
sellschaft, die wir alle ja wohl anstreben, wäre es jedoch,
wenn, wie in diesem Antrag gefordert, digitale Vervielfäl-
tigungen lückenlos durch den Einsatz von so genannten
Digital-Rights-Management-Systemen kontrolliert und
lizenziert werden sollten. Wenn wir das Netz nur in diese
technische Einbahnstraße pressen würden, würden wir
alle vor den Kopf stoßen, die das Netz zum freien Infor-
mationsaustausch nutzen, und die digitale Spaltung der
Gesellschaft damit vorantreiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Wissen zu erwerben darf nicht generell mit Kosten ver-
bunden sein.


(Beifall bei der PDS)

Die Qualität des Netzes besteht geradezu in der freien
Verfügbarkeit verschiedenster Inhalte. Eine vollkommene
Kommerzialisierung des Netzes muss aus Sicht von
Bündnis 90/Die Grünen unbedingt verhindert werden.

Wir dürfen den Internetnutzerinnen und -nutzern nicht
vorschreiben, zu welchen technischen Lösungen sie zu
greifen haben. Es werden im Netz von selbst neue Ver-
kaufs- und Vertriebsmodelle entstehen, ohne dass wir
diese vorgeben oder schon vollständig kennen. In diesen
Mikroökonomien wird Platz für verschiedenste Abrech-
nungsmodelle und Formen von Wissenstransfer sein, die
wir nicht durch vorgeschriebene technische Mittel bändi-
gen und kontrollieren dürfen. Einmal weiter gedacht: Da
die technische Entwicklung zum heutigen Zeitpunkt un-
übersehbar ist, muss Politik die Rahmenbedingungen so
flexibel gestalten, dass die Regelungen zur Sicherung der

Rechte der Urheber zu jedem Zeitpunkt flexibel angepasst
oder überarbeitet werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns statt
für die Einführung von Digital-Rights-Management-Sys-
temen lieber für die Einrichtung von öffentlichen Wissen-
schafts- oder Kulturservern einsetzen. Diese Server brin-
gen für die Ausbildung und das lebenslange Lernen in der
Informationsgesellschaft sicherlich mehr als Restriktio-
nen bei der freien Verbreitung und Verarbeitung von Wis-
sen.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Zulasten der Urheber!)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417414800
Ich erteile das Wort
Kollegin Angela Marquardt, PDS-Fraktion.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1417414900
Herr Präsident! Liebe ver-
bliebene, noch anwesende Kolleginnen und Kollegen!


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Lieber verblieben als verschieden!)


Im Bereich der neuen Medien liegen die F.D.P. und ich
häufig gar nicht so weit auseinander. Das liegt sicherlich
vor allem daran, dass Sie sich aufgrund Ihres wirtschafts-
liberalen Politikverständnisses möglichst wenig staatliche
Reglementierungen wünschen und ich mich als freiheitli-
che Sozialistin für ein möglichst unreglementiertes, freies
und unzensiertes Internet einsetze.


(Beifall bei der PDS)

Deswegen kommen wir natürlich oft zu ähnlichen Schluss-
folgerungen.

Auch in diesem Fall treibt die F.D.P. die Sorge vor ei-
ner Reglementierung um. Eine Individualabgabe ist in
diesem Fall marktorientierter und erscheint auf den ersten
Blick auch gerechter. Wie Sie möchte auch ich in dieser
Frage eine Überreglementierung verhindern und gleich-
zeitig natürlich die Rechte der Urheber schützen und stär-
ken. Ich denke jedoch, dass eine Individualabgabe das
Gegenteil bewirken würde. Das Internet, wie hier schon
angesprochen, lebt natürlich davon, dass jeder diesen

Raum betreten, sich umgucken, etwas nehmen und
etwas geben

kann, wie es der Deutsche ICANN-Vertreter Andy
Müller-Maguhn in seiner so genannten Regierungser-
klärung treffend beschrieben hat. Er bezeichnete das In-
ternet auch als „Geschenkkultur“ und „ein kleines elek-
tronisches Paradies“. Nun können Sie sich vorstellen,
warum wir Sozialistinnen und Sozialisten das Internet so
spannend finden.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Wegen des Paradieses!)


Müller-Maguhn warnte davor, dass dieser freie Raum im
Internet von Geschäftsleuten und Juristen kaputtregle-
mentiert wird.




Grietje Bettin

17143


(C)



(D)



(A)



(B)


Stellen Sie sich einmal vor, wir müssten bei jeder Da-
tenkopie und bei jedem Herunterladen unsere Kreditkar-
tennummer angeben und uns bei jedem Kopieren oder
Herunterladen, bei jedem Brennen einer CD überlegen,
ob wir den dafür vorgesehenen Preis bezahlen wollen. Ich
befürchte, dies würde den Charakter des Internets kom-
plett verändern und diesen freien Kommunikations- und
Informationsraum endgültig zu einem Kaufhaus machen.
Wenn aber das Surfen zum Einkaufsbummel wird, dann
hemmt das meines Erachtens die enormen kreativen und
innovativen Potenziale des Internets.


(Beifall bei der PDS)

Es ist auch anzusprechen, dass ich nicht erkennen

kann, wie die Persönlichkeitsrechte und der Daten-
schutz gewährleist werden sollen, wenn jede einzelne
Anwendung individuell abgerechnet wird. Natürlich
müssen Urheber – Künstler, Journalisten und Wissen-
schaftler – ihr Urheberrecht geltend machen können.
Die Alternative – das wurde hier schon angesprochen –
stellt eine pauschale Vergütung dar. Sie kritisieren,
dass diese ungenauer und ungerechter sei. In gewisser
Weise stimmt das. Das ist wie bei der pauschalen
Gebührenerhebung für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Auch diese ist manchmal ungerecht, weil
nicht jeder, der einen Fernseher besitzt, öffentlich-
rechtliche Sender schaut, sondern vielleicht nur private
Sender. Dennoch ist mir in der Abwägung eine solche
Ungenauigkeit lieber, als wenn festgestellt würde, wie
lange jeder einzelne Fernsehzuschauer welchen Sender
eingeschaltet hat.


(Beifall bei der PDS)

Ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist

auch das Internet für die Demokratie wichtig. Wir sollten
dabei drei Leitbilder berücksichtigen: erstens den freien
kreativen Charakter des Internets, zweitens eine mög-
lichst große Gerechtigkeit und drittens einen sozialen
Preis. Der Zugang zu den neuen Medien darf nicht derart
teuer sein, dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Situa-
tion ausgeschlossen sind. Lassen Sie uns in diese Rich-
tung weiterdenken.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417415000
Die Kollegen Dirk
Manzewski und Dr. Freiherr von Stetten haben ihre Rede
zu Protokoll gegeben.1)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 14/5577 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
dem Antrag der Fraktion der PDS
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
– Drucksachen 14/3822, 14/4966 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Josef Hollerith
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Jürgen Türk, Walter Hirche, Dr. Heinrich Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Existenzbedrohung des Handwerks unterbin-
den
– Drucksachen 14/4413, 14/5809 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Lange (Backnang)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Christian Lange, Jelena Hoffmann,
Karl-Heinz Scherhag, Franziska Eichstädt-Bohlig und
Jürgen Türk haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Nur
die Kollegin Heidemarie Ehlert wird jetzt zu uns spre-
chen.


(Beifall bei der PDS)

Bitte schön.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1417415100
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Dass einige Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben haben, erschreckt mich
schon. Offensichtlich waren das diejenigen, die nicht am
Brandenburger Tor waren.

Es ist fast ein Jahr her, dass ich sehr konkret und direkt
mit den Problemen der Handwerker konfrontiert worden
bin. Zwar kannte ich schon einige Probleme aus meiner
beruflichen Praxis beim Finanzamt; aber das, was ich seit
Juni 2000 erfahren habe, überschritt alles, was ich bis da-
hin kannte.


(Beifall bei der PDS)

Zur Erinnerung für diejenigen, die im Juni und im Sep-

tember/Oktober vergangenen Jahres möglichst immer ei-
nen großen Bogen um das Brandenburger Tor gemacht
haben: Handwerkerfrauen demonstrierten in diesen Wo-
chen mit einem Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor.
Mithilfe dieses eigentlich letzten Mittels machten sie auf
ihre existenziellen Probleme aufmerksam. Durch nicht
bezahlte Rechnungen standen sie am Rande ihrer Exis-




Angela Marquardt
17144


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 12 2) Anlage 13

tenz. Sie lebten teilweise schon von Sozialhilfe; ihre Ar-
beiter und Angestellten waren arbeitslos.

Die hungerstreikenden Frauen wurden durch Hand-
werker, Unternehmer und Gewerbetreibende vor allem
aus den neuen Bundesländern unterstützt. 1999 wurden
allein in Thüringen 1 513 und in Sachsen-Anhalt 1 549 An-
träge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt.
Die Auswirkungen dieser Firmenzusammenbrüche auf
Zulieferfirmen, auf Arbeitsplätze und auf familiäre
Schicksale sind in den Statistiken leider nicht erfasst.

Die Forderungen der hungerstreikenden Handwerke-
rinnen nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses,
Errichtung eines Hilfsfonds für unschuldig in Not gera-
tene Handwerker sowie konkreten gesetzlichen Maßnah-
men zur Verbesserung der Zahlungsmoral wurden dem
Petitionsausschuss im Oktober vergangenen Jahres in ei-
ner Massenpetition mit rund 6 700 Unterschriften überge-
ben. Darüber hinaus liegen zu diesem Thema zahlreiche
Einzelpetitionen sowohl bei Petitionsausschüssen der
Landtage wie auch beim Petitionsausschuss des Bundes-
tages vor.

Der heute mitzuberatende Antrag der F.D.P. greift
ebenfalls wichtige Forderungen, insbesondere der Hand-
werkerinnen und Handwerker, auf. Deshalb unterstützen
wir diesen Antrag voll.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)

Aber aus den vielen Gesprächen mit den Betroffenen

und durch den Einblick in ihre Unterlagen, den ich ge-
nommen habe, wurde deutlich, dass das Elend eigentlich
schon beim Schritt in eine selbstständige Existenz in den
Nachwendejahren begonnen hatte.

Nach Aussage des Wissenschaftlichen Dienstes gab es
mehr als 1 000 verschiedene Förderprogramme. Ich
muss schon sagen: Hochachtung vor denen, die hier den
Durchblick behielten;


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

aber das scheinen nur wenige gewesen zu sein. Die Hand-
werker und Existenzgründer mussten sich auf eine solide
Beratung vonseiten der Hausbanken, aber auch der Hand-
werkskammern und der IHKs verlassen. Nach dem, was
ich an Kontenblättern, betriebswirtschaftlichen Auswer-
tungen, Kontoauszügen und Kreditverträgen gesehen
habe, waren sie damit auch verlassen.

Deshalb hatte die PDS-Fraktion noch vor der Som-
merpause im vergangenen Jahr einen Antrag zur Einset-
zung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
eingebracht. Anhand der im Juni 2000 öffentlich bekannt
gewordenen Beispielfälle für unverschuldet in Zahlungs-
unfähigkeit geratene Handwerker soll geklärt werden, in-
wieweit Bundesmittel aus dem Eigenkapitalhilfepro-
gramm im Zeitraum 1990 bis 1993 entsprechend den
gesetzlichen Richtlinien verwendet und die Abschlüsse
von Verträgen mit den Hausbanken dem Anliegen des
Programms gerecht wurden.


(Beifall bei der PDS)

Außerdem sind die Fragen zu beantworten, wo die

seinerzeit nicht ausgereichten Fördermittel des ERP-Tou-

rismusprogramms Ost und die GA-Mittel verblieben sind
und ob die Deutsche Ausgleichsbank, die Berliner Indus-
triebank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau Anfang
der 90er-Jahre ihre gesetzlichen Kontrollpflichten für die
Ausreichung der Fördermittel ausreichend wahrgenom-
men haben.

Im Mai des letzten Jahres waren dem ERP-Ausschuss
13 verschiedene Einzelfälle zur Klärung übergeben wor-
den. Bisher erfolgte keine Rückinformation über eventu-
elle Ergebnisse der Untersuchungen an die Betroffenen.
Aber ich weiß seit heute Mittag von einem Betroffenen,
dass aus den Unterlagen eindeutig ein Betrug durch die
Hausbanken hervorgeht. Deshalb fordere ich Sie auf, un-
seren Antrag zu unterstützen.


(Beifall bei der PDS)

Es ist erfreulich, dass der Haushaltsausschuss im

Herbst 2000 durch den akuten Druck unseren Antrag zur
Errichtung eines Hilfsfonds in Höhe von 5 Millionen DM
unterstützt und beschlossen hat. In fünf Fällen konnte da-
mit konkret geholfen werden. Das ist aber nur ein Tropfen
auf den heißen Stein.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten uns
vorgestellt, dass der Großteil dieses Geldes an die Betroffe-
nen und nicht an Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geht.


(Beifall bei der PDS)

Angeblich sollen es Managementfehler gewesen sein.
Aber es geht nicht um Managementfehler, sondern um die
Nichtbezahlung erbrachter Leistungen und die Umschul-
dung von Krediten der Ausgleichsbank durch die Haus-
banken, und zwar vor allen Dingen in der tilgungsfreien
Zeit zum Stichtag 31. Dezember.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417415200
Liebe Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit schon deutlich überzogen.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1417415300
Ich komme zum Schluss. –
Der jeweilige Zinsvorteil lag bei unter 1 DM monatlich.
Die Kosten für die Umschuldung dagegen betrugen meh-
rere Tausend DM für den Kreditnehmer. Hier fragt sich:
Wem nützt es?

Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie diesen Antrag, da-
mit wir das aufklären können!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417415400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der PDS auf Einsetzung eines Untersuchungs-
ausschusses, Drucksache 14/4966. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3822 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.




Heidemarie Ehlert

17145


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit
dem Titel „Existenzbedrohung des Handwerks unterbin-
den“, Drucksache 14/5809. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/4413 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Postgesetzes
– Drucksache 14/6121 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Folgende Kol-

leginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Klaus Barthel, Petra Bierwirth, Elmar Müller,
Michaele Hustedt, Birgit Homburger,1) Gerhard
Jüttemann sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Margareta Wolf. 2)

Ich schließe also die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 14/6121 federführend an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie sowie mitberatend
an den Rechtsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Beratung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf Mittwoch, den 20. Juni 2001, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Pfingstwochen-

ende.
Die Sitzung ist geschlossen.