Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001
Präsident Wolfgang Thierse
17146
(C)(A)
1) Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor.
2) Anlage 11
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17147
(C)
(D)
(A)
(B)
Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 01.06.2001
DIE GRÜNEN
Balt, Monika PDS 01.06.2001
Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 01.06.2001
Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 01.06.2001
Sabine
Dr. Blank, CDU/CSU 01.06.2001
Joseph-Theodor
Bläss, Petra PDS 01.06.2001
Bohl, Friedrich CDU/CSU 01.06.2001
Burchardt, Ursula SPD 01.06.2001
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 01.06.2001
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 01.06.2001
Friedrich (Altenburg), SPD 01.06.2001
Peter
Göllner, Uwe SPD 01.06.2001
Hartnagel, Anke SPD 01.06.2001
Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 01.06.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 01.06.2001
DIE GRÜNEN
Irmer, Ulrich F.D.P. 01.06.2001*
Jelpke, Ulla PDS 01.06.2001
Kahrs, Johannes SPD 01.06.2001
Kasparick, Ulrich SPD 01.06.2001
Klappert, Marianne SPD 01.06.2001
Koschyk, Hartmut CDU/CSU 01.06.2001
Kutzmutz, Rolf PDS 01.06.2001
Lambrecht, Christine SPD 01.06.2001
Michelbach, Hans CDU/CSU 01.06.2001
Nolte, Claudia CDU/CSU 01.06.2001
Ohl, Eckhard SPD 01.06.2001
Ostertag, Adolf SPD 01.06.2001
Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 01.06.2001
von Renesse, Margot SPD 01.06.2001
Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 01.06.2001
Hannelore
Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU 01.06.2001
Dr. Scheu, Gerhard CDU/CSU 01.06.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 01.06.2001
Hans Peter
Schneider, Carsten SPD 01.06.2001
Schöler, Walter SPD 01.06.2001
Scholz, Olaf SPD 01.06.2001
Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 01.06.2001
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 01.06.2001
Singhammer, Johannes CDU/CSU 01.06.2001
Dr. Stadler, Max F.D.P. 01.06.2001
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 01.06.2001
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 01.06.2001
DIE GRÜNEN
Dr. Uhl, Hans-Peter CDU/CSU 01.06.2001
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 01.06.2001
Wolf, Aribert CDU/CSU 01.06.2001
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 01.06.2001
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Antwort
des Staatssekretärs Uwe-Karsten Heye auf die Frage
des Abgeordneten Klaus Hofbauer (CDU/CSU)
(Drucksache 14/6138, Frage 31):
Welche Schwerpunkte setzt die Bundesregierung für eine In-
formationskampagne zur EU-Osterweiterung im Hinblick auf er-
hebliche Defizite im Bewusstsein der Bevölkerung, die Chancen
der Einigung Europas zu verdeutlichen, um im Dialog mit den
Bürgerinnen und Bürgern diese insbesondere auch in den Grenz-
regionen auf die Risiken im Bereich der Arbeitnehmerfreizügig-
keit und Dienstleistungsfreiheit vorzubereiten?
Die Erweiterung der Europäischen Union ist einer der
Schwerpunkte der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregie-
rung, da ein solches „Jahrhundertprojekt“ ohne die breite
Unterstützung der Bevölkerung nicht gelingen kann. Vor-
rangiges Ziel des Bundesregierung ist es daher, mit
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
gezielten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und einer
breiten Informationspalette die politischen und wirt-
schaftlichen Chancen aufzuzeigen und gleichzeitig die in
der Bevölkerung bestehenden Ängste und Vorbehalte ab-
zubauen. Die vom Presse- und Informationsamt der Bun-
desregierung erarbeitete und mit den Ressorts abge-
stimmte Informations- und Kommunikationsstrategie der
Bundesregierung zur Erweiterung der Europäischen
Union wurde am 15. Februar 2001 vom Staatssekretärs-
ausschuss für Europafragen gebilligt. Der Stellvertre-
tende Chef des Presse- und Informationsamtes der Bun-
desregierung hat am 24. Januar 2001 dem Ausschuss des
Deutschen Bundestages für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union darüber berichtet.
Die Bundesregierung legt in ihrer erweiterungsbezo-
genen Öffentlichkeitsarbeit besonderen Wert auf umfas-
sende und breit angelegte Information, die sich nicht auf
Einzelfragen oder Aspekte beschränkt. Die wichtigsten
Zielgruppen sind in der gegenwärtigen Situation zum
einen die Jugend, die das Europa der Zukunft maßgeblich
gestalten wird, sowie – mit unterschiedlichen regional
geprägten Schwerpunkten und differenzierten Akzen-
ten – die gesamte Bevölkerung in den alten und neuen
Bundesländern. Um dem besonderen Stellenwert dieses
sehr komplexen Themas Rechnung zu tragen, hat das
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die ab-
teilungsübergreifende „Arbeitsgruppe Europäische Inte-
gration“ eingerichtet, die sich ausschließlich mit Maß-
nahmen und Projekten der Öffentlichkeitsarbeit zur EU-
Erweiterung befasst. Um das Thema erfolgreich zu kom-
munizieren, werden bereits bestehende Kooperationen
genutzt und neue angeregt. Die Bundesregierung arbeitet
bei den Projekten mit Landesregierungen, Kommunen,
Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden unter anderem
zusammen. So wurde ein Netzwerk zum Informations-
austausch und zur Durchführung von gemeinsamen Pro-
jekten aufgebaut.
Seit Anfang März wird durch das Presse- und Informa-
tionsamt der Bundesregierung in einem E-Mail-Info-
Brief über aktuelle Vorhaben und Projekte der Öffentlich-
keitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Partner im
Bündnis für Arbeit berichtet. Zahlreiche Mitglieder des
Deutschen Bundestages haben das Angebot des Presse-
und Informationsamtes der Bundesregierung aufgenom-
men und beziehen diesen Informationsservice. Der Info-
brief geht ferner unter anderem an die Bundesressorts, die
Europaminister der Länder und die Mitglieder des Euro-
päischen Parlaments. Zentrales Projekt der Öffentlich-
keitsarbeit der Bundesregierung ist die Veranstaltungs-
reihe „Nachbarn treffen – Europa gestalten“, für die
Bundeskanzler Gerhard Schröder die Schirmherrschaft
übernommen hat. Nach einer sehr erfolgreichen ersten
Veranstaltungsreihe im vergangenen Jahr wird sie von
Mitte Juni bis Ende September 2001 in acht Städten der
deutsch-polnischen und deutsch-tschechischen Grenzre-
gion fortgesetzt. Beteiligt an den Veranstaltungen sind ne-
ben der Bundesregierung sowohl die Kommunen und
Euroregionen als auch Verbände, Kulturorganisationen,
Bildungseinrichtungen, Schulen und Vereine aus Deut-
schland, Polen und Tschechien. Ein sich über einen
ganzen Tag erstreckendes Programm sieht eine attrak-
tive Mischung aus kulturellen und politisch-informativen
Programmpunkten vor. Schwerpunkte der Informations-
gespräche und -diskussionen werden vor dem Hinter-
grund der bevorstehenden EU-Erweiterung wirtschaftli-
che Themen, Fragen des Arbeitsmarktes und der Aus-
bildung, der Sicherheit sowie grenzüberschreitende Part-
nerschaften und anderes sein.
Die Veranstaltungsreihe wird zusätzlich als Ausgangs-
punkt für weitere regionale Aktivitäten dienen. Ein wei-
teres wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung zur EU-Erweiterung stellen Zuwendun-
gen an Bildungseinrichtungen und andere Projektträger
dar. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregie-
rung unterstützt und fördert auf diesem Wege verschiedene
Fortbildungsmaßnahmen wie Seminare, Workshops und
Dialogveranstaltungen zum gesamten Themenkomplex der
EU-Erweiterung. Für die besonders wichtige Zielgruppe
der Jugendlichen gewährt das Presse- und Informations-
amt der Bundesregierung dem Centrum für Angewandte
Politikforschung der Universität München finanzielle Un-
terstützung zur Durchführung eines bei Schulen aus ganz
Deutschland stark nachgefragten Europa-Planspiels. Un-
mittelbar vor Drucklegung steht das Faltblatt „Die EU-Er-
weiterung – eine Chance für Frieden, Stabilität und Wohl-
stand“, in dem unter anderem der Prozess der Erweiterung
sowie die Auswirkungen auf Arbeitsplätze, auf Freizügig-
keit und die innere Sicherheit erläutert werden. Diese Pu-
blikation wird vor allem im Rahmen der Veranstaltungs-
reihe „Nachbarn treffen – Europa gestatten“, aber auch
generell für die europapolitische Öffentlichkeitsarbeit ein-
gesetzt. Darüber hinaus befasst sich auch das „Bündnis für
Arbeit“ mit dem Themenkomplex EU-Erweiterung. Die
Bündnispartner werden durch Veranstaltungen gemeinsam
mehr Transparenz herstellen.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg),
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) und René Röspel
(alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ei-
ner internationalen Sicherheitspräsenz im Ko-
sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel-
des für die Flüchtlingsrückkehr und zur
militärischen Absicherung der Friedensregelung
für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu-
tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Verein-
ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mi-
litärisch-Technischen Abkommens zwischen der
Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und
den Regierungen der Bundesrepublik Jugosla-
wien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999
(Tagesordnungspunkt 18)
Der gegenwärtige Einsatz der Bundeswehr im Kosovo
geht auf eine höchst problematische und seinerzeit von
uns abgelehnte Militärintervention der NATO im Zuge
des Kosovo-Krieges zurück. Unsere kritische Haltung zu
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117148
(C)
(D)
(A)
(B)
diesem Einsatz konnte bis heute nicht entkräftet werden,
zumal eine fundierte und offene Auswertung und Aufar-
beitung dieses Einsatzes seitens der Bundesregierung bis
heute fehlt. Nach wie vor fehlt es auch an weitergehenden
zivilen Komponenten der Friedenssicherung, an konse-
quenter Entwaffnung und an ökonomischen, sozialen und
politischen Konzepten und Perspektiven für die Balkan-
region.
Stattdessen ufern die gewaltsam ausgetragenen Kon-
flikte in der Region trotz massiver Militärpräsenz weiter
aus. Es wird nun versucht, diesen mit einer Ausdehnung
des Militäreinsatzes zu begegnen – ein aussichtsloser
Wettlauf von Hase und Igel.
Wir sehen uns nicht in der Lage, einem Mandat, das
wir in seiner Vorgeschichte nicht mittragen konnten,
durch eine Zustimmung zu dessen Verlängerung heute
eine nachträgliche Rechtfertigung zu geben. Gleichzeitig
sind wir uns dessen bewusst, dass ein bloßer Abbruch des
KFOR-Einsatzes und ein Abzug der Bundeswehr eben-
falls nicht zielführend wäre.
Deshalb enthalten wir uns der Stimme.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme
(CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an ei-
ner internationalen Sicherheitspräsenz im Ko-
sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel-
des für die Flüchtlingsrückkehr und zur
militärischen Absicherung der Friedensregelung
für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu-
tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Verein-
ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mi-
litärisch-Technischen Abkommens zwischen der
Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR)
und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo-
slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni
1999 (Tagesordnungspunkt 18)
Den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion
unterstütze ich und erkläre darüber hinaus: Die Entschei-
dung des Deutschen Bundestages über einen Auslands-
einsatz der Bundeswehr darf niemals eine Routine-Ent-
scheidung sein. Dieses gilt insbesondere gegenüber den
Soldaten, die unter schwierigen Bedingungen ihren Auf-
trag erfüllen und dabei unter Umständen ihr Leben riskie-
ren müssen. Auch an die Familien der Soldaten ist zu den-
ken.
Ein verantwortbarer Einsatz der Bundeswehr und ihrer
Soldaten erfordert deshalb nicht nur politische Umsicht,
sondern auch einen Ausrüstungs- und Ausbildungsstand
der Bundeswehr, der die Auftragserfüllung sicherstellt
und das Risiko der Soldaten so gering wie möglich hält.
Die Bundeswehr ist bisher für ihre Auslandseinsätze an-
gemessen ausgerüstet. Bei den anderen Teilen der Bun-
deswehr dagegen sieht die Situation anders aus: Hier ist
die Bundeswehr chronisch unterfinanziert, sodass aus
Sicht der Soldaten, aber auch der Bürgerinnen und Bür-
ger mittlerweile zwei Teile einer Bundeswehr existie-
ren: die Auslands-Bundeswehr und die Inlands-Bundes-
wehr.
Mangelhafte Ausrüstung und Ausbildung des einen
Teils hat auf Dauer zwangsläufig negative Auswirkungen
auf den anderen Teil. Deshalb kann diese Entwicklung
nicht hingenommen werden. Im entsprechenden Ver-
gleichszeitraum unter der Regierung Kohl hatte die Bun-
deswehr 20 Milliarden DM zur Verfügung. Genau um
diese Summe sind die Mittel nun gekürzt worden. Die
mittelfristige Finanzplanung weist für 2003 für die Bun-
deswehr 45,5 Milliarden DM aus, bei der Regierung Kohl
wären es immerhin 49,5 Milliarden DM gewesen. Mit
dieser Summe wären sicher auch nicht alle wünschens-
werten Projekte umzusetzen gewesen, jedoch passten un-
ter der früheren Regierung Streitkräftestruktur und Fi-
nanzvolumen zusammen, wovon jetzt nicht mehr die
Rede sein kann.
Wenn hier kein wirksamer Ausgleich geschaffen wird,
sind Auslandseinsätze der Bundeswehr zukünftig nicht
mehr vermittelbar und vor allem nicht vertretbar, da die
Bundeswehr eine in sich homogene Streitkraft bleiben
muss, um ihren Auftrag in jeder Hinsicht erfüllen zu kön-
nen. Wenn wir junge Menschen in eine Gefahrensituation
bringen müssen, dann darf dieses nur auf einer gesicher-
ten Basis erfolgen. Dieses ist in absehbarer Zeit nicht
mehr gegeben. Sollte die Bundeswehr weiterhin chro-
nisch unterfinanziert werden, kann und werde ich weite-
ren Auslandseinsätzen nicht mehr zustimmen.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P. ) zur
namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-
zung der deutschen Beteiligung an einer interna-
tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge-
währleistung eines sicheren Umfeldes für die
Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Ab-
sicherung der Friedensregelung für das Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999)
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der Internationalen Si-
cherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen
der Bundesrepublik Jugoslawien und der Re-
publik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesord-
nungspunkt 18)
Dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheits-
präsenz im Kosovo werde ich nicht zustimmen. Ich lehne
die Erweiterung des Auftrages der Bundeswehr ab.
Die Bundesregierung hat diesen Antrag vorgelegt,
ohne die Fraktionen des Bundestages in die Beratung der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17149
(C)
(D)
(A)
(B)
Entscheidungsvorlage einzubinden. Die Bundeswehr ist
nicht die Armee einer Regierung, sondern das Parlament
erteilt Aufträge an die Bundeswehr. Daher hätte der Bun-
destag bei der Formulierung des Antrags der Bundesre-
gierung eingebunden werden müssen, wie es bei voran-
gegangenen Entscheidungen auch der Fall war.
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen nach einem
Beschluss des UN-Sicherheitsrates den Frieden in einer
Region sichern oder wieder herstellen. Ich kann keine
Aktivitäten der Bundesregierung und besonders des Bun-
desaußenministers erkennen, die zu einer zeitlichen Be-
grenzung oder zu einem erkennbaren Ende des Auslands-
einsatzes der Bundeswehr im Kosovo führen. Das ist
gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr unverant-
wortlich.
Die Unterfinanzierung der Bundeswehr in Ausrüs-
tung und Ausbildung lässt ebenfalls eine Verlängerung
der deutschen Beteiligung an der internationalen Si-
cherheitspräsenz im Kosovo nicht zu. Ich halte es nicht
für verantwortbar, dass der Bundeskanzler und der Bun-
desaußenminister gegenüber unseren Partnern Ver-
pflichtungen über den Auslandseinsatz der Bundeswehr
eingehen, ohne dass dafür der Bundeswehr ausrei-
chende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wer-
den.
Die Bundesregierung erklärt in ihrem Antrag, dass
deutsche Kräfte auch in der Boden- und Luftsicher-
heitszone eingesetzt werden sollen; jedoch sollen sie
nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden dürfen.
Eine solche Beschlussvorlage ist unrealistisch und irre-
führend.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
derAbgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-
zung der deutschen Beteiligung an einer interna-
tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge-
währleistung eines sicheren Umfeldes für die
Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absi-
cherung der Friedensregelung für das Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999)
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom
10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen
Abkommens zwischen der Internationalen Si-
cherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen
der Bundesrepublik Jugoslawien und der Repu-
blik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungs-
punkt 18)
Seit zwei Jahren beteiligt sich die Bundesrepublik
Deutschland aktiv an der Wiederherstellung des Friedens
in der Krisenregion Kosovo. Unser Land hat dafür Solda-
ten und umfangreiche militärisch-technische Mittel zur
Verfügung gestellt und sich am Wiederaufbau zerstörter
Orte und Infrastruktureinrichtungen beteiligt. Die Haupt-
last der militärischen Sicherungsaufgaben und Aufbau-
maßnahmen trägt die Bundeswehr mit ihren dort einge-
setzten Soldatinnen und Soldaten. Ihnen zolle ich für
ihren beispielhaften Einsatz hohen Respekt und Dank. Sie
leisten hervorragende Arbeit, stets mit dem Risiko, ihre
Gesundheit oder gar ihr Leben bei diesem Einsatz verlie-
ren zu können.
Angesichts der bestehenden ethnischen Konflikte
muss sich die Bundesrepublik auch weiterhin aktiv für
eine dauerhafte Friedensregelung im Kosovo einsetzen.
Dazu hat die Bundesregierung den Antrag auf Verlänge-
rung und Ausweitung des Mandats zum Einsatz der Bun-
deswehr im Kosovo gestellt. Ich selbst kann diesem An-
trag aus drei Gründen nicht zustimmen:
Erstens. Die Ausweitung des Mandats der Bundeswehr
auf die Bodensicherheitszone erhöht in nicht unerhebli-
cher Weise das Risiko für die deutschen Soldaten, Schaden
an Leib und Leben zu nehmen. So dürfte die im überge-
ordneten Interesse der Stabilitätssicherung in der Region
objektiv notwendige Entwaffnung albanischer Freischär-
ler im Allgemeinen nur unter Widerstand gelingen. Eine
Ausweitung des Mandates auf die Sicherheitszone setzt
daher eine unabdingbare Notwendigkeit für einen solchen
Schritt und eine präzise, unmissverständliche Beschrei-
bung des Auftrags der Bundeswehr voraus, die ich im
Antrag der Bundesregierung nicht in der erforderlichen
Schlüssigkeit und Bestimmtheit erkennen kann. Im Hin-
blick auf das erhebliche zusätzliche Risiko für die deut-
schen Truppen reicht der Hinweis, dass sie bisher eine
Sonderrolle eingenommen hätten, nicht aus, zumal sie
sich auch künftig bei einer Ausweitung des Mandates in
einer Sonderfunktion befänden, da sie an Kampfhandlun-
gen nicht teilnehmen dürfen.
Zweitens. Eine Verlängerung und Ausweitung des
Mandates im Rahmen der internationalen Sicherheitsprä-
senz – KFOR – durch die derzeitige Finanzausstattung der
Bundeswehr im Rahmen des laufenden Wehretats nicht
mehr hinreichend gedeckt. Die hohen Kosten für den
Auslandseinsatz überschreiten zunehmend die Leistungs-
fähigkeit der Bundeswehr und gefährden unsere sicher-
heitspolitischen Kerninteressen insbesondere im Hinblick
auf die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik
Deutschland. Notwendige Neuausstattungen der Truppe
mit modernen Geräten und Waffensystemen müssen zu-
rückstehen, da der Wehretat durch die rot-grüne Bundes-
regierung in eklatanter Weise unterfinanziert ist und vo-
raussichtlich auch mittelfristig unterfinanziert bleiben
wird. Die Übernahme zusätzlicher Aufgaben der Bundes-
wehr auch und gerade im Rahmen internationaler Ver-
pflichtungen steht in zunehmendem Maße in einem kras-
sen Missverhältnis zur Finanzausstattung. Die Zuweisung
weiterer Aufgaben verpflichtet den Gesetzgeber jedoch
schon aus Fürsorgegründen, eine angemessene Ausstat-
tung der Bundeswehr sicherzustellen, um die mit der
Durchführung von Einsätzen verbundenen Risiken durch
taugliches Gerät auf ein unabweisbares Minimalmaß zu
reduzieren.
Drittens. Es ist derzeit kein Ausstiegskonzept erkenn-
bar, das mittelfristig den schrittweisen Rückzug der inter-
nationalen Truppen aus dem Kosovo sichert und eine
dauerhafte Friedensregelung auf dem Balkan etabliert.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117150
(C)
(D)
(A)
(B)
Diese Ausstiegsperspektive ist jedoch schon deshalb
wichtig, damit sich nicht zunehmend der Eindruck mani-
festiert, dass die KFOR-Einheiten quasi als „Besatzungs-
truppen“ vor Ort verbleiben. Solange nicht erkennbar ist,
wie der Zeithorizont für eine weitere Stationierung der
Bundeswehr im Kosovo aussieht, könnte die Entschei-
dung über gegebenenfalls weitere Verlängerungen der
deutschen Sicherheitspräsenz im Kosovo leicht zu einem
gefährlichen Automatismus werden, den ich nicht gut-
heißen kann.
Wenngleich ich die grundsätzliche Notwendigkeit der
gegenwärtigen Präsenz deutscher Truppen im Hinblick
auf ihre friedenstiftende Wirkung im Kosovo bejahe, so
muss ich doch aus den vorgenannten Gründen dem Antrag
der Bundesregierung – Bundestagsdrucksachen 14/5972
und 14/6180 – meine Zustimmung verweigern. Meiner
Entscheidung liegt vorrangig zugrunde die verantwortli-
che Übernahme der Fürsorgepflicht für unsere deutschen
Soldaten und die Sorge um die uneingeschränkte Einsatz-
und Bündnisfähigkeit der Bundeswehr, insbesondere
ihren sicherheitspolitischen Kerngehalt betreffend. Unter
den von der Bundesregierung vorgegebenen Rahmenbe-
dingungen kann ich die Verantwortung für eine Verlän-
gerung und Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im
Kosovo nicht übernehmen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika
Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk,
Christian Simmert, Hans-Christian Ströbele,
Winfried Hermann und Sylvia Voß (alle BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der
Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an einer internationalen Sicherheits-
präsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines si-
cheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr
und zurmilitärischen Absicherung der Friedens-
regelung für das Kosovo auf der Grundlage der
Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des
Militärisch-Technischen Abkommens zwischen
der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR)
und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo-
slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni
1999 (Tagesordnungspunkt 18)
Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung und Ausweitung des Mandats der Bundes-
wehr im Rahmen der KFOR in der vorliegenden Form
nicht zu.
Die Probleme in der Region des ehemaligen Jugosla-
wien waren und sind militärisch nicht zu lösen. Die Re-
gion ist nicht stabilisiert, die Kriegsgefahr geblieben. Die
Gewalt eskaliert. Es existiert auch nach Jahren noch keine
von UN und NATO getragene politische Konzeption, wie
denn eine friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben
in der Region des ehemaligen Jugoslawien erreicht wer-
den kann. Vielmehr ist es auch zwei Jahre nach dem Ende
des Krieges nicht gelungen, eine politische Situation zu
schaffen, die neben den alten Flüchtlingen aus dem Ko-
sovo es auch den neuen, die zu den nicht-albanischen Be-
völkerungsgruppen gehören, ermöglicht, dorthin zurück-
zukehren.
Anstelle einer vorausschauenden Deeskalationspolitik,
zu der NATO und KFOR in der Pflicht gestanden hätten,
wurde eine erneute Eskalation der Konflikte in der Region
zugelassen, sowohl im Presevo-Tal (Süd-Serbien) als
auch in Nord-Mazedonien. Diese erneute Instabilisierung
der gesamten Region wurde von der NATO nicht nur nicht
verhindert, sondern durch die jahrelange Unterstützung
der UCK und ihrer Nachfolgeorganisationen sowie deren
nicht vollzogener Entwaffnung faktisch eher befördert.
Wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung Farbe
bekennen muss, dass sie willens ist, die UNO-Resolution
1244 in all ihren Teilen umzusetzen, das heißt, einerseits
eine demokratische Teilhabe im Kosovo zu ermöglichen,
andererseits aber auch allen Separationsbestrebungen al-
banisch-kosovarischer Kräfte unter dem Schutzschild der
KFOR entgegenzutreten. Sonst läuft sie Gefahr, sich er-
neut dem Vorwurf der Parteinahme auszusetzen.
Mit der Bundesrepublik Jugoslawiens scheint derzeit
eine tatsächliche Kooperation zugunsten einer friedli-
chen Beilegung der Auseinandersetzungen im Presevo-
Tal möglich zu sein. Gerade Initiativen wie die Amnestie
für Rebellen, die ihren Kampf beenden, und der Aufbau
gemischt ethnischer Polizeistationen der jugoslawischen
Regierung sind ermutigende Entwicklungen. Diese Ko-
operation muss sorgfältig gepflegt und ausgebaut wer-
den. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Einheiten
der neuen jugoslawischen Regierung nicht die alleinige
Kontrolle in den Grenzgebieten Serbiens übernehmen
sollen, auf die nun das neue Mandat der KFOR erweitert
wird.
Es darf für Thaci, Ceku und die anderen langjährigen
NATO-Verbündeten aus der UCK keinerlei Zweifel daran
geben, dass ihre Unterstützung der Extremisten in Maze-
donien und Südserbien nicht mehr geduldet wird. Als un-
mittelbare Konsequenz muss der Entzug der politischen
Unterstützung durch EU, NATO und selbstverständlich
auch die Bundesrepublik Deutschland deutlich gemacht
und die Nachschublinien aus dem Kosovo nach Mazedo-
nien durch Polizeikräfte mit KFOR-Unterstützung abge-
schnitten werden. Bestrebungen, die Integrität des Staates
Mazedonien infrage zu stellen, dürfen in keiner Weise un-
terstützt werden.
Der Status quo von mehr als 180 000 nicht-albanischen
Vertriebenen aus dem Kosovo darf nicht kommentarlos
akzeptiert werden. Sicherlich dauert ein ziviler Aufbau-
prozess mehrere Jahre. Doch wird sich dieser auch daran
messen lassen müssen, dass diese Menschen in den Ko-
sovo zurückkehren und dort sicher und demokratisch
gleichberechtigt leben können.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17151
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Organisations-
reform in der landwirtschaftlichen Sozialversiche-
rung (LSVOrgG)
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: Landwirtschaftliche Sozialversicherung
zukunftsorientiert gestalten (Tagesordnungspunkt
20 a und b)
Peter Dreßen (SPD): Ich bin froh, dass wir heute die
zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Organisations-
reform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung
haben und, so wie es aussieht, mit einer großen Mehrheit
beschließen. Bei den Beratungen haben wir Verbesserun-
gen erreicht, die meine Kollegin Waltraud Wolff bereits
dargestellt hat. Bei der ersten Lesung habe ich darauf
hingewiesen, dass wir auch die Interessen der DO-
Angestellten berücksichtigen werden. Im § 119 a Abs. 3
haben wir dies getan.
Ich verhehle nicht, dass wir dieses Gesetz gerne in
Übereinstimmung mit dem Bundesrat vorgelegt hätten.
Wir haben uns intensiv darum bemüht, leider ohne Erfolg.
Wir haben viele Kompromisse angeboten; wir waren
bereit, den § 119 Abs. 1 so zu formulieren, dass dort zum
Beispiel gestanden hätte, dass wir unter zehn selbst-
ständige Verwaltungen hätten.
Aber die Sturheit und, ich habe auch den Eindruck, die
mangelnde Abstimmung untereinander hat nicht zu einem
positiven Ergebnis mit den Ländern geführt.
Ziel ist es, Kosten zu sparen. Ich darf daran erinnern
dass das Gutachten des Bundesrechnungshofes eine ein-
deutige Sprache spricht. Wir verschwenden hier Steuer-
gelder. Wir wissen, dass bei einem Zusammenschluss im-
mense Kosten eingespart werden können. Man muss sich
einmal vorstellen: Wir leisten uns für 800 000 Personen
(wenn man die Familienmitversicherten) hinzurechnet,
17 selbstständig geführte Verwaltungen. Jede einzelne
LVAhat über 1 Million Mitglieder. Selbst dort kommt man
ohne eine Organisationsreform in der Zukunft nicht aus.
Ich habe großen Respekt vor den Verwaltungen, die
angedeutet haben, dass sie Fusionen nicht im Wege ste-
hen. Baden-Württemberg war hier ein leuchtendes
Beispiel. Und wenn auch in Bayern zum Teil fusioniert
wurde, frage ich mich, wieso hier immer noch zwei selbst-
ständige Versicherungen sein müssen. Es ist zu hoffen,
dass die Oldenburg´sche Kasse nun auch die entsprechen-
den Beschlüsse in der Selbstverwaltung fasst, zumal die
von ihnen geforderten Änderungen im Gesetz verankert
wurden. Nun gibt es auch den Wunsch des Saarlandes,
nicht, wie im Gesetz vorgesehen, mit Hessen und Rhein-
land-Pfalz zu fusionieren, sondern mit Baden-Württem-
berg. Diesem Wunsch sind wir nicht nachgekommen, je-
doch kann dies im Vermittlungsverfahren noch bereinigt
werden.
Ich habe die große Hoffnung, dass der sich abzeich-
nende Vermittlungsausschuss zu einem für alle tragbaren
Ergebnis kommt. Denn sollte man sich im Bundesrat nicht
einigen, so kann ich unseren Haushältern nur empfehlen,
bei der kommenden Haushaltsberatung die nicht einge-
sparten Mitteln zu kürzen. Die fehlenden Mittel müssten
dann die Landesregierungen tragen, die meinen, dass man
alles so belassen kann wie im vorigen Jahrhundert.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):Am 16. Februar
diesen Jahres haben wir in erster Lesung über die Neuor-
ganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung
gesprochen und damit den Gesetzesentwurf eingebracht.
Die Kernpunkte des Gesetzentwurfs sind die Schaf-
fung zukunftssicherer Organisationseinheiten, das heißt
Reduzierung der Anzahl der Träger auf insgesamt neun,
die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, auch im Interesse
des Steuerzahlers und deshalb, eine Stärkung der Einwir-
kungsmöglichkeiten des Bundes. Darüber hinaus spielen
folgende Ziele eine Rolle: Versichertenorientierung, ein-
heitliche Rechtsanwendung, ausgewogenes Verhältnis
zwischen staatlicher Verantwortung und Selbstverwal-
tung, ausgewogenes Verhältnis von interner und externer
Solidarität, sozialverträgliche Lösung für Personalmaß-
nahmen.
Ich weiß noch sehr genau, dass ich damals am Schluss
meiner Rede die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass
dieses Gesetz im Einvernehmen mit den Ländern be-
schlossen wird. In vielen, anscheinend von Kompromis-
sen getragenen Gesprächen mit Vertretern der Sozialver-
sicherungsträger, Gewerkschaften und Länder wurde um
einzelne Positionen gerungen. Aber heute muss ich kon-
statieren, dass wir jedenfalls in den Länderverhandlungen
nicht viel weiter sind als im Februar. Doch: Wir sind um
eine Enttäuschung reicher! Wir wissen, dass die Kompro-
miss- und Gesprächsbereitschaft der Ländervertreter
nicht so ernst gemeint war wie signalisiert! Ich befürch-
tete eine Verzögerungstaktik und fühle mich jetzt ziemlich
bestätigt. Erinnern wir uns: Die Ländervertreter gaben an,
eine Reform sei dringend notwenig, aber die zentralen
Punkte, die zu Geldeinsparungen führen werden, wurden
an der entscheidenden Stelle, nämlich im Bundesrat, ab-
gelehnt. Dieses Manöver des Bundesrates war das falsche
Mittel! Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen wurde
in der Öffentlichkeit trotz der Absage durch den Bundes-
rat behauptet, die Länder stünden nach wie vor dazu, die
Reform sei wichtig!
Wir sind hier im Bundestag zwar bestimmt nicht an der
Basis. Ich versichere Ihnen aber, ich weiß sehr wohl, dass
Fusionsverhandlungen mittlerweile wieder ins Stocken
gekommen sind, da sich so manche Leitungsebene eines
Trägers von Fusionen nicht mehr sehr betroffen fühlt.Wir
wollten den breiten Konsens für eine Reform, die nie-
mand infrage stellt, die seit zehn Jahren notwendig ist.
Nun wird die Umsetzung schwieriger als gewünscht, aber
wir sind fest entschlossen, das eigenständige agrarsoziale
Sicherungssystem zu erhalten und heute in zweiter und
dritter Lesung zu einem Beschluss zu kommen. Auf einige
Dinge will ich eingehen.
Punkt 1: Probleme und Befindlichkeiten gab es auf
Länderseite mit dem § 119 a SGB. Hier werden die neun
Träger mit Namen und Hausadresse benannt, die gebildet
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werden, wenn es bis zum 31. Dezember 2002 nicht zu ei-
ner freiwilligen Fusion gekommen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weshalb die Angst?
Alle Träger versprechen doch mit der freiwilligen Phase
vor dem gesetzten Termin fertig zu sein. Wir haben dann
keinen Handlungsbedarf mehr! Aber wir brauchen die Si-
cherheit, dass es zum 1. Januar 2003 nur noch neun Trä-
ger in Deutschland gibt. Vorsichtsmaßnahme würde ich
das nennen.
Punkt 2: Budgetierung der Verwaltungskosten. Es wird
kritisiert, dass hier die Verwaltungskosten von 1995 zu-
grunde gelegt werden und die Einsparungen unmöglich
sind. Tatsache aber ist, dass die geforderten Einsparungen
im letzten Haushaltsjahr schon fast punktgenau erbracht
wurden. Der Bund gab für die Verwaltungskosten 179 Mil-
lionen DM vor und Ausgaben in Höhe von 180 Millionen
DM wurden erreicht. Es geht also! Hier wird es von un-
serer Seite keine Änderung geben. Da in der Vergangen-
heit die Verwaltungskosten trotz abnehmender Versiche-
rungszahlen zugenommen haben, ist der Einwand des
Bundesrates nicht akzeptabel. Mit welcher Legitimation
sollte also der Bund eigentlich mehr Geld bereitstellen, als
tatsächlich nötig ist?
Punkt 3: Dies ist wohl der eigentliche Verhandlungs-
gegenstand, um den sich alles rankt, der zentrale Bei-
tragseinzug beim Gesamtverband der Alterskassen.
Worum kämpfen hier die Länder? Um es ganz deutlich zu
sagen: Sie kämpfen darum, dass monatlich die Beiträge
zur Alterssicherung von den Trägern selbst eingezogen
werden, um sie dann etwas später an den Gesamtverband
der Alterskassen zu überweisen, der sie dringend zur Ren-
tenauszahlung benötigt. Immerhin muss der Bund 80 Mil-
lionen DM Rückstände hinnehmen.
Durch die Defizitdeckung des Bundes musste er in der
Alterssicherung der Landwirte im letzten Jahr über 4 Mil-
liarden DM bereitstellen. Das sind rund 70 Prozent der
Gesamtausgaben in der Alterskasse. Einsparungen sind
möglich und können schon im Jahr 2004 56 Millio-
nen DM ausmachen. Es wird Zeit, dass dem Bund für die
bestehenden Pflichten auch Rechte eingeräumt werden.
Mal ehrlich: Klingt es nicht wirklich etwas lächerlich?
Hier wird wegen eines technischen Vorganges beim Bei-
tragseinzug eine längst überfällige Reform aufs Spiel
gesetzt!
In den vielen Gesprächen habe ich mir oft den Mund
fusselig geredet, um immer wieder deutlich zu machen,
dass die originären Aufgaben bei den Trägern selbst blei-
ben und es sich einzig und allein um den technischen Vor-
gang des Einzugsverfahrens handelt. An dieser Stelle un-
terstreiche ich gern die konstruktive Zusammenarbeit mit
allen Gewerkschaftsvertretern, die sich vehement für den
Arbeitsplatzerhalt vor Ort eingesetzt haben. Mit dem Bei-
tragseinzug durch den Gesamtverband werden diese
Arbeitsplätze nicht gefährdet.
Punkt 4: Musterrichtlinien. Hier habe ich schon in mei-
ner letzten Rede darauf hingewiesen, dass wir eine ein-
heitliche Rechtsanwendung verfolgen. Nur ist das natür-
lich mit Musterrichtlinien, die der Gesamtverband
erlassen darf, nicht getan. Aus diesem Grund befinden wir
heute auch über das Aufstellen von gemeinsamen und ein-
heitlichen Richtlinien im § 58 b ALG.
Natürlich – und das will ich nicht in Abrede stellen –
brachten die Länder auch Vorschläge des Entgegenkom-
mens. Aber: Diese Angebote waren keine Kernpunkte un-
serer Reform. Eine einzige Kernforderung des Bundes
trugen sie nach langen Verhandlungen mit, nämlich den
Zusammenschluss der bestehenden Rechenzentren zu ei-
nem einzigen, und zwar beim Gesamtverband der land-
wirtschaftlichen Alterskasse. Hier hat nach vielen Überle-
gungen dann doch die Einsicht in die Notwendigkeit
gesiegt. Darüber sind wir sehr froh.
Es ist genug geredet und verhandelt worden. Aus ei-
nem weit reichenden Bundesgesetzvorschlag ist ein Län-
derkompromiss geworden. Wir haben getan, was wir
konnten, und ich bitte Sie alle, diese Reform gemeinsam
zu tragen und heute im Konsens zu beschließen.
Siegfried Hornung (CDU/CSU): Zur Bedeutung der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung: Freiheit und.
soziale Sicherheit sind Teil der sozialen Marktordnung.
Materiell ist Agrarsozialpolitik die wichtigste Säule der
nationalen Agrarpolitik. Im gemeinsamen Agrarmarkt der
EU ist sie der einzige Bereich, der nicht reglementiert
wird. Sie dient der Verbesserung der Rahmenbedingun-
gen für eine leistungs- und wettbewerbsfähige deutsche
Landwirtschaft. Dies wird auch ausdrücklich im Land-
wirtschaftsgesetz betont. Wie in keinem anderen Bereich
wurde die landwirtschaftliche Sozialversicherung als ei-
genes System mit Unfall-, Alters- und Krankenversiche-
rung sowie der Pflegeversicherung in einer Hand gebildet,
das sich hervorragend bewährt hat. Zugleich konnte bis-
lang ein rasanter Strukturwandel sozial abgefedert wer-
den. CDU/CSU-Politik war dafür ein zuverlässiger Ga-
rant. Die Agrarsozialreform 1995 hat unseren Landwirten
ein Stück soziale Zukunftssicherung und unseren Bäue-
rinnen erstmals eine eigenständige soziale Absicherung
gegeben.
Die Reform der Organisation der landwirtschaftlichen
Sozialversicherungsträger wird von allen anerkannt und
ist notwendig. Die Beitragszahler werden weniger und die
Zahl der Empfänger steigt überproportional und damit die
Kostenbelastung der aktiv wirtschaftenden Landwirte.
Die Selbstverwaltungen der LSV-Träger haben schon vor
dem Bericht des Bundesrechnungshofes – auch durch
Gutachten – selbst eine Veränderung der Organisations-
strukturen eingeleitet. Einige Körperschaften haben ihre
Hausaufgaben auch bereits nach § 118 SGB VII erledigt.
Mit einer deutlichen Reduzierung der LSV Träger sol-
len die Kosten für die Landwirtschaft gesenkt werden und
dennoch eine praxisgerechte Versichertennähe zu den
Mitgliedern erhalten bleiben.
Der Gesetzentwurf, der ursprünglich in der Diskussion
einen bundeszentralen Versicherungsträger vorsah, geht
nun in diese Richtung. Die CDU/CSU wird deshalb zu-
stimmen.
An dieser Stelle möchte ich aber deutlich machen, dass
wir grundsätzlich mit der Agrarsozialpolitik der Bundes-
regierung nicht einverstanden sind. Was in den letzten
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zwei Jahren Rot-Grün durch massive Kürzungen der Bun-
desmittel den Bauern aufgebürdet hat, geht fürwahr auf
keine Kuhhaut. Allein in der landwirtschaftlichen Unfall-
versicherung wurden 115 Millionen DM gestrichen. In
der Alterssicherung, die Sie 1995 noch stolz mittrugen
– Sie mussten ja nicht zahlen – haben Sie 344 Millio-
nen DM bei den Einkommensschwachen weggenommen.
Aus der Krankenversicherung der Landwirte haben Sie
250 Millionen DM entwendet.
Was Sie von Rot-Grün unter sozial verstehen, wird mir
wohl immer verborgen bleiben. Selbst bei einem Todes-
fall in einer bäuerlichen Familie, wo ja keine weiteren Ar-
beitskräfte vorhanden sind, haben Sie schon ab dem ers-
ten Tag eine Selbstbeteiligung beim Einsatz einer
Betriebs- und Haushaltshilfe auferlegt.
Ich möchte hier noch einmal einfügen und deutlich ma-
chen, dass trotz der im Haushalt ausgewiesenen Bundes-
mittel für die landwirtschaftliche Sozialversicherung für
den bäuerlichen Unternehmer bei Vollinvalidität nur ma-
ximal 1 000 DM monatliche Rente in der Unfallversiche-
rung geleistet werden und über die landwirtschaftliche Al-
terskasse nur eine Teilsicherung ab dem 65. Lebensjahr
nach Abgabe des Betriebes besteht.
Die CDU/CSU fordert daher die Bundesregierung auf,
die alten Haushaltsansätze wieder herzustellen und damit
die aktiv wirtschaftenden Landwirte als Beitragszahler zu
entlasten und analog wie bei der Bundesknappschaft und
der allgemeinen Rentenversicherung damit dem wach-
senden Ungleichgewicht zwischen Beitragszahler und
Empfänger Rechnung zu tragen.
Zu den Berufsgenossenschaften: Neben der Struktur-
reform wird inhaltlich der Bereich der Berufsgenossen-
schaften eine größere Bedeutung erhalten, da hier die Un-
terschiede in der Beitragsbelastung der Landwirte sehr
groß sind. Allerdings wird auch dort der Gedanke der So-
lidarität nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Wir
gehen davon aus, dass nach entsprechenden Gutachten die
Diskussion über die Weiterentwicklung der landwirt-
schaftlichen Unfallversicherung konkretere Formen an-
nehmen wird. Die CDU/CSU wird zu diesem komplexen
Thema eine Anhörung beantragen.
Leider hat die Koalition unseren Antrag auf Drucksa-
che 14/3774 im Ausschuss abgelehnt, dafür aber in letzter
Minute einen fünf Seiten umfassenden Änderungsantrag
zum eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der – zugege-
ben – im Ansatz einige Verbesserungen bringt, aber die
Anliegen der Länder nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Bundesregierung sollte ein Einvernehmen mit dem
Bundesrat erreichen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom
30. März 2001 Änderungsbedarf angemeldet. In ihrer Ge-
genäußerung vom 25. April hat die Bundesregierung aber
nur in zwei Punkten dem zugestimmt oder zumindest eine
Prüfung zugesagt. Da die Diskussion bisher ausschließ-
lich um die Sache ging und außerhalb jeglicher politischer
Polarisierung blieb und die Länder bisher einmütig ihre
Änderungswünsche vertraten, sollte die Bundesregierung
dies respektieren und mit den Ländern eine einvernehm-
liche und zukunftsträchtige Lösung herbeiführen. Insbe-
sondere geht es um das von den Körperschaften bereits
beschlossene Rechenzentrum, die Rentenzahlung sowie
um den Beitragseinzug und die Budgetierung der Verwal-
tungskosten der LSV-Träger für die Jahre 2002 und 2003
in Höhe von 10 bzw. 15 Millionen Euro.
Wir stimmen dem Gesetz zu, appellieren aber an die
Bundesregierung, die Interessen der Länder ernst zu neh-
men und nicht zu übergehen.
Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir be-
schließen heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Or-
ganisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialver-
sicherung. Damit haben wir einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der in seinen Grundzügen die Ergebnisse eines
zweijährigen Diskussionsprozesses widerspiegelt.
Wir haben diesen Diskussionsprozess innerhalb der
Koalition sowie nach außen mit den Fraktionen dieses
Hauses, mit den Bundesländern, mit den Trägern der land-
wirtschaftlichen Sozialversicherung und deren Spitzen-
verbänden, mit den Gewerkschaften und mit dem Deut-
schen Bauernverband sowie mit vielen einzelnen Be-
troffenen geführt. Ein langwieriger Prozess und eine kon-
troverse Diskussion finden mit dem heute vorliegenden
Gesetzentwurf auch noch nicht ihren Abschluss. Es wird
in den nächsten Wochen und Monaten sehr auf die Be-
reitschaft der Länder, sich konstruktiv an der Umsetzung
der LSV-Reform zu beteiligen, ankommen, um diesen Re-
formprozess zum Abschluss zu bringen.
Die Koalitionsfraktionen haben im Ergebnis ihrer Dis-
kussion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der einerseits
dem föderalen Aufbau der LSV Rechnung trägt und an-
dererseits die bestehenden LSV-Träger zu ökonomisch
und verwaltungstechnisch sinnvollen Einheiten zusam-
menführt, der aber gleichwohl die Selbstverwaltung der
LSV erhält und den Bundeseinfluss stärkt. In den Aus-
schüssen hat unser Gesetzentwurf auch die Zustimmung
der Opposition gefunden und ich freue mich, wenn wir
dieses Gesetz heute in breitem, parteiübergreifenden
Konsens verabschieden.
Die Ziele dieses Gesetzes sind die Weiterentwicklung
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu einem
modernen, zukunftsfähigen und weiterhin eigenständigen
Sicherungssystem für die Landwirte und ihre Familien,
die Schaffung effizienter und kostengünstiger Verwal-
tungsstrukturen, die an den Strukturwandel in der Land-
wirtschaft angepasst sind und die Stärkung des Einflusses
des Bundes sowie Einsparungen in der Haushaltsführung
der Verwaltung, die sich mittelfristig zugunsten der Versi-
cherten auswirken werden.
Die Organisationsreform der landwirtschaftlichen So-
zialversicherung war lange überfällig. Mit zwanzig regio-
nalen Versicherungsträgern, die sich wiederum in die drei
Kategorien Unfall-, Kranken- und Alterssicherung auf-
spalten, hat sich ein verwaltungsmäßiger „Wasserkopf“
entwickelt, der 600 Millionen DM jährlich verbraucht,
bevor 1 DM den Versicherten zugute kommt. Dieser Zu-
stand war unserer Auffassung nach nicht länger tragbar.
Die Schere von Beitragszahlern und Leistungsempfän-
gern hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter
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geöffnet, ohne dass daraus strukturelle Konsequenzen ge-
zogen wurden. In dem „Lagebericht über die Alterssiche-
rung der Landwirte“, den die frühere Bundesregierung
1997 dem Deutschen Bundestag erstmals vorlegte, wird
die Entwicklung der Anzahl der Versicherten im Zeitraum
1996 bis 2007 in drei Modellrechnungen prognostiziert.
Wenn ich hier einmal die „Mittlere Variante“ zugrunde
lege, so zeigt sich ein Rückgang der Zahl der Versicherten
von 511 000 in 1996 auf 322 000 in 2007. Das bedeutet
eine Abnahme der Versicherten um 37 Prozent. Unterstellt
man einen beschleunigten Strukturwandel, so ist sogar
mit einem Rückgang um 44 Prozent zu rechnen. Diese
Entwicklung wirkt sich natürlich in gravierendem Maße
auf die Finanzierungsstruktur der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung aus: Während die Versicherungs-
beiträge im genannten Zeitraum um 180 Millionen DM
sinken, wird der erforderliche Bundeszuschuss zur Defi-
zitdeckung um mehr als 1 Milliarde DM ansteigen.
Wir haben im Koalitionsvertrag von 1998 die Notwen-
digkeit der Neuorganisation der agrarsozialen Sicherung
festgeschrieben. Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir
diese Vereinbarung jetzt um.
Die Funktionen der LSV werden gestärkt: Die land-
wirtschaftliche Sozialversicherung dient nicht nur der Ab-
sicherung individueller Risiken, sondern sie ist auch zen-
traler Bestandteil der nationalen Agrarpolitik bei der
sozialen Flankierung des Strukturwandels, bei der Abmil-
derung regional unterschiedlicher Wettbewerbsbedingun-
gen und bei der Stabilisierung der landwirtschaftlichen
Einkommen.
Mit dem Gesetzentwurf werden diese Funktionen der
LSV gestärkt. Wir werden die Anzahl der Träger der land-
wirtschaftlichen Sozialversicherung mehr als halbieren,
zentrale Aufgaben bei den Bundesverbänden der land-
wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und der land-
wirtschaftlichen Krankenkassen sowie beim Gesamtver-
band der landwirtschaftlichen Alterskassen bündeln und
ein gemeinsames Rechenzentrum für alle landwirtschaft-
lichen Versicherungsträger schaffen.
Natürlich werden alle in diesem Zusammenhang erfor-
derlichen Veränderungen bei den einzelnen Trägern vor
Ort so vollzogen, dass sie für die rund 7 000 dort Be-
schäftigen sozialverträglich gestaltet werden. Die Organi-
sationsreform wird auch deshalb auf einer Zeitschiene bis
2004 vollzogen werden.
Ab dem kommenden Jahr werden durch die Organisati-
onsreform auch die Wirtschaftlichkeitsreserven bei den
LSV-Trägern nutzbar sein. Hierdurch können sich Ein-
sparungen von 13 Millionen DM im Jahr 2002 bis zu
59 Millionen DM im Jahr 2004 allein bei den Trägern er-
geben. Für den Bund können sich in 2004 Einsparungen
von insgesamt 116 Millionen DM ergeben. Dies sind
Beiträge der Versicherten und Steuergelder, die letztlich zur
Erzielung des Versicherungszweckes wieder zur Verfügung
stehen, das heißt den Versicherten in Form von Beitrags-
stabilität oder Beitragsnachlass zugute kommen werden.
Gründe für die Stärkung des Bundeseinflusses: Der
Bund ist mit dem Prinzip der Defizitdeckung in der Ver-
antwortung. Er trägt bereits heute mit 57 Prozent der Ge-
samtkosten der agrarsozialen Sicherung den größten Anteil
an der Finanzierung dieses Systems. 68 Prozent des Agrar-
haushaltes des Bundes fließen mittlerweile in die landwirt-
schaftliche Sozialpolitik. Hieraus leitet der Bund berech-
tigterweise ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung und
Kontrolle der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ab.
Nachdem auch CDU/CSU und F.D.P. in diesem Hause
der Reform zustimmen wollen, möchte ich an die Bun-
desländer appellieren, ihre ablehnende Haltung zu über-
denken. Sie stehen gegenüber den Versicherten in der Ver-
antwortung, für eine effiziente Verwaltung zu sorgen.
Man kann den Bund nicht als bloßen Zahlmeister in An-
spruch nehmen, ihm aber auf der anderen Seite kein Mit-
spracherecht zugestehen und sich gleichzeitig Reformen
für einen effizienten Mitteleinsatz verweigern. Eine nur
halbherzige Reform würde unweigerlich eine Gefährdung
des eigenständigen Systems der agrarsozialen Sicherung
nach sich ziehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf si-
chern wir eine tragfähige Basis für die soziale Absiche-
rung der in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gar-
tenbau Tätigen, bei gleichzeitig verringertem Aufwand an
Bürokratie und kalkulierbarer Kostenentwicklung. Der
Bundestag setzt heute mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf ein Signal für eine starke landwirtschaftliche Sozial-
versicherung.
Marita Sehn (F.D.P.): Der Rechnungshof hat das
System der landwirtschaftlichen Sozialversicherung als
reformbedürftig kritisiert. Die Bundesregierung, der
Bundesrat, die Länder, die Landwirte und sogar die Op-
position, alle sind sich einig: Eine Reform der landwirt-
schaftlichen Sozialversicherung ist notwendig.
Die Träger der landwirtschaftlichen Sozialversiche-
rungen haben mit den beschlossenen Fusionen ihre Ko-
operationsbereitschaft gezeigt. Eigentlich sind damit alle
Voraussetzungen für einen großen Wurf der Regierung
gegeben. Das magische Sechseck, welches Frau Künast
für ihre Agrarwende einfordert: Für die Reform der land-
wirtschaftlichen Sozialversicherung existiert es bereits.
Also, von der magischen Seite her ist alles in Ordnung;
jetzt braucht man nur noch ein schlüssiges Konzept. Aber
genau daran scheint es zu hapern.
Dies hätte eigentlich eine Erfolgsstory der parlamenta-
rischen Demokratie werden müssen. Warum sind Sie
nicht in der Lage, gemeinsam mit den Ländern einen trag-
fähigen Kompromiss zu erarbeiten?
Die Moderationsfähigkeit der Bundesregierung ist of-
fensichtlich sehr moderat. Diese Regierung, die so stolz
darauf ist, die Steuer- und Rentenreform durch den Bun-
desrat gebracht zu haben, zeigt sich nun unfähig, eine
Mehrheit für ihre Reformvorschläge zu finden. Sie verliert
sich in einem Gefeilsche um Kompetenzen und Finanzen.
Das ist für das Ansehen der Politik kontraproduktiv und
stimmt sehr skeptisch, was die Agrarwende anbelangt.
Sie übersehen, dass es in Anbetracht der derzeitigen
Verunsicherung der Landwirte fatal ist, jetzt auch noch die
Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu
zerreden. Die gesicherte Versorgung im Alter ist ein hoch-
sensibles Thema und vollkommen ungeeignet für politi-
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sche Grabenkämpfe. Die F.D.P. unterstützt eine Reform
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung.
Wenn wir aber bereit sind, an der Reform konstruktiv
mitzuwirken, dann wäre es schön, wenn auch die Regie-
rung ein Mindestmaß an demokratischem Verständnis
aufbringen würde. Einen umfangreichen Änderungsan-
trag als Tischvorlage im Ausschuss vorzulegen, ohne der
Opposition die Möglichkeit zu geben, die Änderungen
umfassend zu prüfen, das ist eine Entmündigung des Aus-
schusses. Dieser Regierung fehlt ein demokratisches
Grundverständnis. Dass einem so etwas von einer Partei
geboten wird, welche sich in früheren Zeiten die Basisde-
mokratie auf das Banner geschrieben hat, das ist schon
eine Ironie der Geschichte.
Außerdem hätte ich es begrüßt, wenn die vorgesehene
Anhörung der betroffenen Verbände und Institutionen statt-
gefunden hätte. Die Bundesregierung wäre gut beraten ge-
wesen, diese durchzuführen. Viele strittige Punkte hätten
auf diese Weise schon im Vorfeld geklärt werden können.
Das hemdsärmelige Vorgehen der grün-roten Koalition
zeugt von einem unterentwickelten Demokratieverständnis.
Die Regierung, die zumindest verbal antritt, die ge-
samte Agrarpolitik zu reformieren, scheitert an der Re-
form der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Das
darf doch nicht wahr sein!
Ich kann nur an alle Beteiligten appellieren, schnell
und einvernehmlich zu einem tragfähigen Kompromiss
zu kommen. Frau Künast muss sich fragen lassen: Wie
glaubwürdig ist eine Regierung, die eine Reform der ge-
samten Agrarpolitik ankündigt und dann an einer Reform
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung scheitert?
Kersten Naumann (PDS): Langwierige Debatten
zwischen Politik und Beteiligten, hektisches Einbringen
von nicht korrekten Anträgen, immer wieder Verschie-
bung von Beratungen, so gestaltete sich der Prozess des
nun vorliegenden Gesetzentwurfes. Es besteht Konsens
bei allen Beteiligten, dass eine Organisationsreform der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung notwendig ist.
Die Gründe dafür sind eindeutig:
Erstens ist es ein Gebot von Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit, unwirtschaftliche Strukturen zu verändern,
und zwar sowohl im Interesse des Bundeshaushaltes und
der Steuerzahler wie auch im Interesse der Versiche-
rungsträger und Beitragszahler.
Zweitens ist die Organisationsreform eine Vorausset-
zung für die sicher allseits als notwendig erachtete Re-
form der landwirtschaftlichen Unfallversicherung. In der
ersten Lesung hatte ich angemahnt, dass den Abgeordne-
ten zur Beurteilung des in der Begründung zum Gesetz
angeführten Einsparvolumens von 116 Millionen DM
eine entsprechende Quantifizierung nach Einsparpoten-
zialen nachzureichen ist. Diese Begründung steht jedoch
bis heute aus.
Das Vorenthalten des Zahlenmaterials erweckt den
Eindruck, dass die Opposition – im übertragenen Sinne –
„die Katze im Sack kauft“, gewissermaßen in Vertrauen
auf „die große Weisheit der Koalition“.
Nach wie vor gibt es konträre Positionen zwischen
Bund und Ländern, die zum Zankapfel werden dürften.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Koalition sich mit
entsprechenden Kompromissangeboten auf die Länder zu
bewegen würde.
So muss zum Beispiel die Reduzierung der Anzahl der
LSV-Träger mit verbindlichen arbeitsrechtlichen Maß-
nahmen zur sozialen Absicherung betroffener Verwal-
tungsangestellten einhergehen. Dazu fehlen jedoch kon-
krete Aussagen im Gesetzentwurf.
Der im Ausschuss abgestimmte Antrag hinsichtlich der
Belange der Dienstordnungsangestellten ist mir aufgrund
seiner Allgemeinheit viel zu unverbindlich. Auch der Kri-
tikpunkt, die Übertragung der Rentenauszahlung und des
Beitragseinzugs von den regionalen Trägern auf den Ge-
samtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, ist
nach wie vor nicht beseitigt.
Außerdem wird an der Einführung einer Genehmi-
gungspflicht für die Haushalte der Träger aller drei Versi-
cherungszweige festgehalten, obwohl das sicherlich nur
bei der Alterskasse – da der Bund nur dort an den Ver-
waltungskosten beteiligt ist –, als akzeptabel erscheint.
Für gut halte ich es, dass eine Übergangszeit zur An-
gleichung unterschiedlicher Berechnungsgrundlagen und
Beiträge bei der Vereinigung von Berufsgenossenschaften
und Krankenversicherungsträgern vorgesehen wurde.
Abschließend möchte ich feststellen, dass für meine
Fraktion nicht die Organisationsreform das Allerwichtigs-
te ist, sondern die noch ausstehenden Entscheidungen zur
Gewährleistung der Zukunftsfähigkeit eines für alle, das
heißt für die Gesellschaft und die Landwirte tragbaren
landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems. Denn
der fortschreitende Strukturwandel erfordert auch künftig
die Kombination von innerlandwirtschaftlicher und ge-
samtgesellschaftlicher Solidarität.
Ich sage das auch mit Blick auf den Bericht des Rech-
nungshofes, der ein Einsparvolumen von mindestens
120 Millionen DM jährlich bei der Landwirtschaftlichen
Unfallversicherung fordert.
Die PDS-Fraktion wird sich der Stimme enthalten, da
– wie ich bereits bemerkte – die uns vorgetragenen ge-
werkschaftlichen Forderungen nicht ausreichend umge-
setzt wurden.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des
Hinterbliebenenrentenrechts
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: Unzumutbare Belastung in der Hinterblie-
benensicherung zurücknehmen
Erika Lotz (SPD): Mit der Regelung zur Hinterbliebe-
nenversorgung, die wir heute beschließen, können wir uns
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sehen lassen – wie mit der Rentenreform insgesamt. Ich
betone es auch heute noch einmal: Die Neuregelung gilt
nur für diejenigen, die erst in Zukunft heiraten oder die
Ehen, bei denen heute beide Partner unter 40 Jahre alt
sind. Sie gilt nicht für die heutigen Witwen und Witwer.
Dass Sie von der CDU/CSU in den Landtagswahl-
kämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
versucht haben, damit die Menschen in Angst und
Schrecken zu versetzen, war unverantwortlich. Unser Ziel
war es immer, die Kindererziehung auch bei der Hin-
terbliebenenversorgung zu berücksichtigen. Wir haben im
Vermittlungsausschuss weitere Verbesserungen zugesagt,
der Bundesrat hat das in seiner Entschließung aufgegrif-
fen. Dass Sie von der CDU/CSU dieser Verbesserung
heute nicht zustimmen wollen, heißt doch wohl nur eins:
Sie stricken schon wieder an einem Wahlkampfthema.
Dafür nehmen Sie auch in Kauf, die Mütter zu verunsi-
chern, obwohl sie in Zukunft besser dastehen. Nur de-
shalb haben Sie ja auch wohl einen neuen Antrag gestellt
– ich weiß schon gar nicht mehr, zum wievielten Mal Sie
neue Forderungen stellen.
Zum größten Teil sind die Forderungen bereits in dem
Gesetz enthalten, das wir heute beschließen – die nach der
Erhöhung der Kinderkomponente für das erste Kind und
der dauerhaften Dynamisierung des Grundfreibetrages.
Selbstverständlich ist auch, dass die Änderungen in der
Unfallversicherung und der Alterssicherung der Land-
wirte nachvollzogen werden.
Die beiden anderen Punkte sind absolut nicht akzepta-
bel. Zur Anrechnung von Vermögen auf die Hinterbliebe-
nenrenten hat die Staatssekretärin schon alles Wesentliche
gesagt. Es ist auch unmöglich, Hinterbliebenenrenten in
eigene Anwartschaften umzuwandeln. Ehepaare, die das
wollen, haben in Zukunft aber die Möglichkeit, das Split-
ting zu wählen. Zu den Kosten schweigen Sie sich ja be-
zeichnenderweise aus.
Mir ist klar, warum Sie, sehr geehrte Damen und Her-
ren von der CDU/CSU, wie trotzige Kinder alles ableh-
nen, was Renten und Beiträge stabilisiert. Sie suchen hän-
deringend nach einem Thema für den Wahlkampf. Das
wissen auch die Wählerinnen und Wähler, Rentnerinnen
und Rentner ebenso wie Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler. Und auch denen reicht es.
Selbst der Hauptgeschäftsführer des BDI, von Warten-
berg, hat kein Verständnis mehr für Ihre Spielchen. Der
Spiegel zitiert ihn damit: „Die Wähler messen die Oppo-
sition nicht daran, was sie verhindert hat, sondern daran,
mit welchen Konzepten sie die Zukunft gestalten will.“
Es wird Ihnen bei der nächsten Bundestagswahl keine
Stimmen bringen, dass Sie eine dringend notwendige und
sinnvolle Reform abgelehnt und versucht haben, sie zu
torpedieren. Es wird Ihnen keine Stimmen bringen, dass
Sie versuchen, Rentnerinnen und Rentner mit gezielten
Falschinformationen zu verunsichern.
Die Mütter sind die Gewinnerinnen dieser Rentenre-
form. Zum ersten Mal ist es ein wesentliches Ziel einer
Rentenreform, die Situation von Müttern im Alter zu ver-
bessern. Deshalb haben wir auch nach den Gesprächen im
Vermittlungsausschuss die Regelungen für Hinterblie-
bene weiter verbessert. Wie sich das in Mark und Pfennig
auswirkt, will ich zum Schluss an einem Beispiel erläu-
tern: Eine Familie hat drei Kinder, zwei vor 1992 gebo-
ren, eins später. Die Frau hat wieder angefangen zu arbei-
ten, als das jüngste Kind in die Schule kam, und zwar
teilzeit für die Hälfte des Durchschnittseinkommens. Der
Mann erwartet eine Rente in Höhe von 2 228 DM, die
Frau von 990 DM. Nach heutigem Recht würde die Frau
eine Hinterbliebenenrente von 1 337 DM bekommen.
Zusammen mit ihrer eigenen Rente hätte sie 2 327 DM
im Monat. Nach dem Gesetz, das wir heute verabschie-
den, bekommt sie im Monat 230 DM mehr: 1 225 DM
Hinterbliebenenrente zuzüglich der Kinderzuschläge von
198 DM, vier Entgeltpunkte. Ihre eigene Rente wird um
148 DM höher bewertet. Insgesamt stehen ihr damit 2 561
DM im Monat zur Verfügung. So sehen die realen und re-
alistischen Verbesserungen für Mütter bei der Rente aus.
Brigitte Baumeister (CDU): Dass wir heute – nur
drei Wochen nach Verabschiedung der Rentenreform –
über ein Nachbesserungsgesetz zu diesem Jahrhundert-
werk – wie die Bundesregierung es gerne bezeichnet – be-
raten müssen, ist ein Eingeständnis dafür, dass die Ren-
tenreform fehlerhaft ist. Dieses Nachbesserungsgesetz
passt aber in die Entstehungsgeschichte der rotgrünen
Rentenreform, die von Chaos und Durcheinander geprägt
war. Es ist keinem Bürger zu erklären, dass noch vor In-
Kraft-Treten der Reform die ersten Nachbesserungen vor-
genommen werden müssen. Bei der Hinterbliebenensi-
cherung wären Frauen die großen Verliererinnen, wenn
CDU und CSU im Vermittlungsausschuss nicht hart ge-
blieben wären. Die Union hat die von der Bundesregie-
rung vorgenommenen massiven Einschnitte bei der Hin-
terbliebenenrente von Anfang an bekämpft. Wir haben
immer gefordert, dass die Witwenrente erhalten bleiben
muss. Die Regelungen in diesem Nachbesserungsgesetz
sind deshalb unser Verdienst.
Mit dem vorliegenden Gesetz versuchen SPD und
Grüne, die schlimmsten Benachteiligungen für Witwen
und Witwer, die die Bundesregierung jüngst eingeführt
hat, wieder zurückzunehmen. So ist es auch ganz schön
dreist, wenn Sie Ihren Entwurf mit „Verbesserung der
Hinterbliebenenrente“ überschreiben. In Wirklichkeit
geht es darum, die von Ihnen vorgenommenen Einschnitte
zu kompensieren. Die Kürzung der Rente trifft Frauen
doppelt: Einerseits wird das staatlich garantierte Renten-
niveau auf 64 Prozent gesenkt, andererseits wird auch die
Hinterbliebenenrente von 60 auf 55 Prozent gekürzt. Es
muss noch einmal klar ausgesprochen werden: Witwen
und Witwer werden deutlich weniger Rente erhalten. Da
es vor allem Frauen sind, die durchschnittlich erheblich
weniger Beitragsjahre aufweisen als Männer, wird das
tatsächliche Rentenniveau bei vielen Frauen in der kom-
menden Generation unter 50 Prozent sinken. Angesichts
dieser Zahlen müssen sich SPD und Grüne fragen lassen,
warum sie erst unter dem Druck des Scheiterns der ganzen
Rentenreform zu Zugeständnissen bereit waren und sich
einige Forderungen von CDU und CSU zu Eigen gemacht
haben. Warum sind Sie erst jetzt bereit, dass für das erste
Kind nunmehr zwei Entgeltpunkte berechnet werden?
Warum hat es so lange gedauert, bis Sie Müttern für das
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erste Kind jetzt 100 DM mehr an Witwenrente zugeste-
hen? Warum haben Sie erst auf unseren Druck hin den
Grundfreibetrag bei der Einkommensanrechnung auf Wit-
wenrenten dauerhaft dynamisiert? Warum haben Sie da-
mit erst jetzt Frauen, die heute unter 40 Jahre alt sind, zu-
gesichert, dass auch sie im Alter an der allgemeinen
Wohlstandsentwicklung teilnehmen können?
Dann müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie nicht
in zwei weiteren Punkten, die massive Verschlechterun-
gen für Witwen und Witwer mit sich bringen, bereit sind,
Verbesserungen für die Betroffenen vorzunehmen.
Erstens. Warum hält die Bundesregierung daran fest,
künftig nicht mehr nur Erwerbseinkommen und Sozial-
leistungen auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen?
Nach Ihren Plänen werden den Witwen künftig auch Miet-
einnahmen oder Kapitaleinkünfte von ihrer Rente abgezo-
gen: Das bedeutet konkret: Eine Frau, die sich heute eine
Eigentumswohnung zur Alterssicherung anschafft, wird
die Mieteinnahmen aus dieser Eigentumswohnung im Al-
ter von ihrer Witwenrente abgezogen bekommen. Das ist
nicht nur unfair, sondern auch unlogisch und mit dem
Grundsatz der privaten Vorsorge nicht zu vereinbaren.
SPD und Grüne können oder wollen einfach nicht ver-
stehen, dass viele Menschen in unserem Land Eigentum
erwerben wollen, um neben der Rente privat vorzusorgen
und um sich den Lebensstandard im Alter aufzubessern.
Die Koalition macht jedoch ein weiteres Mal alle Anreize
dafür zunichte. Die Koalition diskriminiert diejenigen,
die sich neben ihrer Rente noch selbst etwas angespart ha-
ben. Anstatt diese Form der privaten Vorsorge zu hono-
rieren, müssen diese Eigentümer am Ende noch draufzah-
len. Deshalb lehnen CDU und CSU eine Anrechnung
dieser Einkommensarten ab. Verfassungsrechtlich be-
denklich wird es, wenn, wie jetzt vorgesehen, lediglich
die Riestersche 4-Prozent-Vorsorge aus dieser Anrech-
nung ausgenommen wird. Es ist staatliche Willkür, wenn
die eine private Vorsorge angerechnet wird und die andere
nicht. Warum wollen SPD und Grüne, dass Ansprüche aus
der Hinterbliebenenversorgung bei Wiederverheiratung
verfallen? Warum weigern Sie sich, der Witwenrente den
Charakter einer eigenständigen Sicherung zu geben?
Genügend Frauen haben ihren Ehemännern geholfen,
im Beruf voranzukommen und haben dafür auf eine ei-
gene Karriere verzichtet. Aus unserer Sicht haben diese
Frauen am beruflichen Erfolg ihres Mannes mitgearbeitet.
Wenn der Mann stirbt, ist die Witwenrente nicht ein staat-
liches Almosen. Auch wenn diese Frauen nicht monatlich
ihre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben, so
haben sie doch für ihre Rente im Alter gearbeitet und sich
diese verdient. Wenn Sie diesen Frauen die Witwenrente
im Falle der Wiederverheiratung nehmen, dann nehmen
Sie ihnen ein Stück ihrer Vergangenheit. So kann man
nicht mit Menschen umgehen! Die Union fordert daher,
dass zumindest ein Teil der Ansprüche aus der Hinterblie-
benenversorgung unverfallbar ist und in die neue Ehe mit-
genommen werden kann.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf dem richtigen Weg. Wir for-
dern Sie auf: Machen Sie keine kleinen Schritte, machen
Sie einen großen Sprung nach vorn! Nehmen Sie die un-
sozialen Kürzungen in der Hinterbliebenensicherung
zurück! Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):Wir stehen heute vor einer wirklichen Wende in der
Rentenpolitik. Nachdem der Gedanke der Nachhaltigkeit
in der Umweltpolitik – dank Bündnis 90/die Grünen –
nicht mehr angezweifelt wird, hat die Koalition die Nach-
haltigkeit erstmals in die Rentenpolitik festverankert.
Wir haben es geschafft, die private Vorsorge auf den
Weg zu bringen, die den Menschen langfristig im Alter
den Lebensstandard sichert. Gleichzeitig haben wir die
gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest gemacht, in-
dem wir auch zum Teil Einsparungen vorgenommen ha-
ben. Das ist uns nicht leicht gefallen. Umso besser ist des-
halb: Mit dem heutigen Gesetz erreichen wir eine
wesentliche Verbesserung für Hinterbliebene, wenn sie
Kinder erzogen haben.
Ich freue mich, dass wir in dem neuen Hinterblieben-
recht, wie auch in der Förderung der privaten Vorsorge,
eine Kinderkomponente eingeführt haben. Heute können
wir diese Kinderkomponente noch mal aufwerten. Durch
das Ergebnis im Vermittlungsausschuss haben wir er-
reicht, dass sich die Hinterbliebenversorgung verbessert,
indem für das erste Kind zwei Entgeltpunkte, statt einem
Entgeltpunkt, angerechnet werden. Darüber hinaus wird
für jedes weitere Kind die Hinterbliebenenversorgung um
einen Entgeltpunkt erhöht. Diese Regelung wird dazu
führen, dass auch für Witwen von durchschnittlich Versi-
cherten mit einem Kind die Senkung des Versorgungssat-
zes von 60 Prozent auf 55 Prozent ausgeglichen wird,
Hinterbliebene mit mehreren Kindern werden besser ge-
stellt als mit einem Versorgungssatz von 60 Prozent.
An die Adresse der Union sage ich: Ihre Kritik, die
Rentenreform führe zu einer Benachteiligung von Fami-
lien, ist schlicht falsch. Vielmehr ist es zutreffend, dass die
Alterssicherung von Kindererziehenden deutlich verbes-
sert wird,
Mit der Rentenreform wird die Hinterbliebenenrente
zielgenauer auf Menschen ausgerichtet, die wegen der Er-
ziehung von Kindern nicht durchgängig arbeiten gehen
konnten. Ich finde, das ist fair. Zum anderen werden ren-
tenrechtliche Zeiten, in denen wegen der Erziehung von
Kindern nur unterdurchschnittliche Verdienste erzielt
werden können, aufgewertet. Sinken wird die Höhe der
Witwenrente für jene Frauen, die keine Kinder erzogen
haben. Ich meine: Es ist zumutbar, dass in diesen Fällen
Ehepaare zusätzliche Vorsorge betreiben können; denn ih-
nen werden keine Kosten für die Erziehung von Kindern
entstehen. Hier geht es nicht darum, eine Politik gegen
Singles zu machen, sondern vielmehr anzuerkennen, dass
die Entscheidung für Kinder Mühe und Zeit und nicht zu-
letzt auch materielle Einbußen bedeutet.
Eine Neuordnung der Rente ist eine notwendige Mo-
dernisierung. Angesichts der zunehmenden Berufstätig-
keit von Frauen bauen diese zudem eigene Rentenan-
sprüche auf und werden in Zukunft nicht mehr wie viele
heutige Witwen auf die Hinterbliebenenrente des Mannes
angewiesen sein.
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Bei allem, was wir tun und beschließen, müssen wir
uns vergewissern: Auf die Kinder kommt es an. Wir brau-
chen eine Politik, die den Gedanken der Nachhaltigkeit
wieder in den Mittelpunkt rückt und danach fragt, was wir
unseren Kindern eigentlich hinterlassen. Kinder müssen
als eigenständige Bürgerinnen und Bürger wahrgenom-
men werden – mit eigenen Rechten. Das muss sich durch
alle Bereiche ziehen, wie zum Beispiel bei den Sozialsys-
temen, der Umwelt, dem Verbraucherschutz, bei Bildung
und Ausbildung. Wir müssen eine Gesellschaft bauen, die
kinderfreundlich ist und das Elternsein erleichtert.
Wir haben mit der Rentenreform insgesamt einen
wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit geleistet
und verantwortlich im Sinne unserer Kinder gehandelt.
Dr. Irmgard Schwaetzer ( F.D.P.): Die F.D.P. begrüßt
grundsätzlich die Änderungen an dem bereits verabschie-
deten Rentenreformgesetz. Dies ändert allerdings nichts
daran, dass die Reform insgesamt zu kurz greift und der
vorliegende Gesetzentwurf letztlich nur eine Rücknahme
der kürzlich im Altersvermögensergänzungsgesetz von
der rot-grünen Mehrheit selber beschlossenen Ver-
schlechterungen der Hinterbliebenenversorgung ist. Aber
wenigstens wird die Verunsicherung der Frauen abgebaut,
die sich besorgt gefragt haben, wie ihre Hinterbliebenen-
versorgung aussieht. Daher stimmt die F.D.P. im Interesse
der Frauen diesem Gesetzentwurf zu. Denn damit ist auch
für jüngere Frauen sichergestellt, dass sie mit ihrer Ge-
samtversorgung im Alter an der allgemeinen Einkom-
mensentwicklung teilnehmen. Dies ist und bleibt ein we-
sentlicher Erfolg des Vermittlungsverfahrens, nicht der
rot-grünen Bundesregierung.
Wir begrüßen, dass bei der Rentenberechnung die bis-
her auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinder-
komponente für das erste Kind auf zwei Entgeltpunkte er-
höht wird und dass der Grundfreibetrag bei der Ein-
kommensanrechnung auf Witwen- und Witwerrenten, der
durch das Altersvermögensergänzungsgesetz eingefroren
wurde, auf Dauer dynamisiert bleibt.
Unsere Zustimmung ändert nichts daran, dass wir nach
wie vor die vorgesehene vollständige Anrechnung von
Vermögenseinkünften in der Hinterbliebenensicherung
kritisieren. Denn eine solche vollständige Anrechnung
aller Einkommensarten ist mit dem Anreiz zur privaten
Eigenvorsorge nicht vereinbar. Wenn Vermögenseinkom-
men wie Miete und Kapitaleinkünfte und nicht nur wie
bisher Erwerbseinkommen auf die Hinterbliebenenrenten
angerechnet werden, werden die Menschen diskriminiert,
die sich neben ihrer Rente noch selber etwas angespart
haben, um sich den Lebensstandard im Alter aufzubes-
sern. Darüber hinaus ist die volle Anrechnung auch des-
halb zu kritisieren, weil ohnehin der enge Kriterienkata-
log für die staatlich geförderte private Altersvorsorge nur
zu einer begrenzten Auswahl an – anrechnungsfreien –
Vorsorgeangeboten führt und diejenigen, die sich nicht
auf die staatlich geförderten Programme einlassen wollen,
durch die volle Vermögensberücksichtigung benachteiligt
werden.
Gewiss, für die heutige Generation von Beziehern ei-
ner Hinterbliebenenversorgung bleibt es bei dem gelten-
dem Recht. Nicht angerechnet wird das Einkommen,
wenn bei In-Kraft-Treten der Reform in einer Ehe einer
der Partner das 40. Lebensjahr erreicht hat. Daher geht die
F.D.P. davon aus, dass wir in der kommenden Legislatur-
periode im Rahmen einer neuen Rentenreform diese Fra-
gen noch einmal intensiv erörtern werden.
Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Bei dem vorliegen-
den Gesetzentwurf zur Witwenrente geht es nicht ums
Nachbessern, sondern darum, auch jüngeren Frauen oder
Männern im Hinterbliebenenfall eine deutliche Ren-
tenkürzung zu ersparen. Die in der Rentenreform vorge-
sehene Absenkung der Hinterbliebenenrente von 60 auf
55 Prozent soll nun doch noch kompensiert werden.
Frauenverbände, Gewerkschaften und Kirchen hatten
dies nachdrücklich gefordert und darauf hingewiesen,
dass die geplante Kürzung der Witwenrente insbesondere
Frauen treffe, für die selbst bei eigenen Rentenansprüchen
die Hinterbliebenenrente nicht selten zur Existenzsiche-
rung im Alter bitter nötig ist – dies erst recht, wenn die oh-
nehin niedrigen Frauenrenten durch die Absenkung des
allgemeinen Rentenniveaus noch dürftiger ausfallen wer-
den.
Deshalb wird die PDS Ihren Vorschlägen, die Kürzun-
gen bei der Hinterbliebenenrente durch eine Aufbesse-
rung der Kinderkomponente auszugleichen, zustimmen,
und wir halten es auch für richtig, dass Sie sich nun doch
dazu entschlossen haben, den Freibetrag zu dynamisieren.
Wir finden allerdings, dass Sie Ihrem Jahrhundertwerk
keinen Gefallen tun, wenn noch vor In-Kraft-Treten der
Rentenreform daran herumgeflickt wird – und dies nicht
etwa, weil sie dem berechtigten Druck der betroffenen
Frauen nachgeben. Nein, Sie nehmen Veränderungen vor,
weil Sie die CDU/CSU ins Boot holen wollen. Von den
Konservativen lassen Sie sich die sozialen Maßnahmen
diktieren – verkehrte Welt.
Verblüffend ist natürlich auch, wenn Sie nun Regelun-
gen finanzieren können, die Sie vorher eben genau mit
dem Argument zurückgewiesen haben, mehr sei aus fi-
nanziellen Gründen nicht drin. Besonders solide wirkt
dieses Vorgehen nicht. Man darf gespannt sein, wie Sie
unter diesen Bedingungen die von Ihnen zum Dogma er-
hobene Beitragsstabilität durchhalten wollen.
Uns beschäftigt aber noch ein anderes Problem: Wenn
wir nun schon Ihr Rentenpaket aufschnüren, sollten wir
dann nicht auch Probleme anpacken, die uns möglicher-
weise durch Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
richtes ohnehin bald ins Haus stehen?
Die Regelungen zur Aufwertung von Kindererzie-
hungszeiten bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit gehen
nach unserer Auffassung nicht nur bei der Hinterbliebe-
nenrente, sondern bei der Rentenreform insgesamt von ei-
nem falschen Grundansatz aus. Ihnen geht es vorrangig
darum, geringerem Verdienste vor allem von Frauen auf-
zubessern, wenn diese gleichzeitig Kinder erziehen, und
machen dies abhängig von der Höhe des Einkommens.
Das ist erstens ungerecht, weil es Frauen mit Minilöhnen
benachteiligt. Aber zweitens führt das auch dazu, dass
Kindererziehungsleistung ungleich bewertet wird. Dies
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17159
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aber verstößt gegen Anforderungen des Bundesverfas-
sungsgerichtes, zuletzt formuliert im so genannten Pfle-
geurteil in diesem Jahr.
Die PDS hat deshalb einen Änderungsantrag einge-
bracht, der von einem anderen Grundgedanken ausgeht:
Er stellt die Kindererziehung in den Mittelpunkt. Eine
Aufwertung von Rentenansprüchen ist dann der Anreiz,
gleichzeitig zur Kindererziehung erwerbstätig zu sein und
damit würden alle diejenigen, die Kinder erziehen, gleich
behandelt. Eine solche Herangehensweise wäre erstens
gerechter und würde zweitens dem Auftrag des Bundes-
verfassungsgerichts entsprechen.
Abschließend sei angemerkt: Trotz unserer heutigen
Zustimmung ändert dies nichts daran, dass wir die von Ih-
nen mit der Rentenreform vorgenommene Weichenstel-
lung für grundfalsch halten und nicht nachlassen werden,
sie zu kritisieren.
Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Arbeit und Sozialordnung: Frauen sind die
Gewinnerinnen der Rentenreform, denn die kindbezoge-
nen Leistungen werden erheblich ausgebaut. Diese Fest-
stellung habe ich bereits vor der Einbringung des jetzt zur
Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurfs zur Verbes-
serung des Hinterbliebenenrentenrechts getroffen und an-
hand von Einzelbeispielen auch nachgewiesen. Mit die-
sem Gesetzentwurf wird die Richtigkeit dieser Aussage
nicht mehr bestritten werden können, besonders dann
nicht, wenn man die gesamten Maßnahmen zugunsten
von Frauen in der Versichertenrente, in der Hinterbliebe-
nenversorgung, im Bereich der betrieblichen Altersver-
sorgung und bei der Förderung der kapitalgedeckten Zu-
satzversorgung im Zusammenhang sieht.
Im vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung des
Hinterbliebenenrentenrechts wird – entsprechend dem Er-
gebnis des Vermittlungsverfahrens und der Entschließung
des Bundesrates zum Altersvermögensgesetz – die bisher
auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinderkom-
ponente in der Hinterbliebenenversorgung für das erste
Kind auf zwei Entgeltpunkte erhöht. Dies bedeutet, dass
der kindbezogene Zuschlag zur 55-prozentigen Witwen-
rente allein für das erste Kind rund 100 DM monatlich be-
tragen wird. Damit wird auch für Witwen, die nur ein
Kind erzogen haben, die Absenkung des Versorgungssat-
zes bei der großen Witwenrente von 60 Prozent auf
55 Prozent angemessen ausgeglichen. Weiter ist beab-
sichtigt, die Grundfreibeträge bei der Einkommensan-
rechnung auf Hinterbliebenenrenten, die durch das Al-
tersvermögensergänzungsgesetz eingefroren worden
sind, auf Dauer wieder dynamisch auszugestalten, sodass
auch die vom neuen Hinterbliebenenrentenrecht betroffe-
nen jüngeren Witwen an den jährlichen Rentenanpassun-
gen in vollem Umfang teilhaben werden.
Mit den vielen neuen Kinderkomponenten in der Ver-
sichertenrente, der Hinterbliebenenversorgung und der
kapitalgedeckten zusätzlichen Alterssicherung setzt die
Bundesregierung ein wegweisendes Zeichen in der Fami-
lien- und Rentenpolitik. Durch die Umschichtung der
Mittel zugunsten von Kindererziehenden trägt die Reform
dazu bei, die Benachteiligungen von Familien gegenüber
kinderlosen Paaren abzubauen und damit die Schere zwi-
schen Familien und Ehepaaren ohne Kinder kleiner wer-
den zu lassen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch darauf eingehen,
warum CDU und CSU diesen Gesetzentwurf ablehnen
werden. Dies wird damit begründet, dass bei jüngeren
Witwen in Zukunft auch Vermögenseinkünfte angerech-
net werden. Das ist richtig; denn es muss endlich Schluss
sein mit der Privilegierung von Vermögenseinkünften, die
die CDU/CSU im Jahre 1986 geschaffen hat. Wenn die
Einkünfte der sogenannten kleinen Leute – Arbeitsein-
kommen, Renten und Pensionen – auf die Hinterbliebe-
nenrente angerechnet werden, verlangt es die soziale Ge-
rechtigkeit, dass auch Einkünfte aus Dividenden,
Vermietung und Verpachtung usw. angerechnet werden.
Damit die Dimension der von der CDU/CSU begünstig-
ten Vermögenseinkünfte klar wird: Es geht nicht um das
selbst genutzte Einfamilienhaus einer Witwe oder um
Zinseinnahmen der Witwe aus einem mittleren Geldver-
mögen, das der verstorbene Mann seiner Frau hinterlas-
sen hat. Denn selbstverständlich sind die Vorteile aus dem
Einfamilienhaus und Zinseinnahmen bis zum Sparerfrei-
betrag von 3 000 DM jährlich steuerfrei und damit nach
unserem Konzept auch anrechnungsfrei bei der Hinter-
bliebenenversorgung. Zum Einfamilienhaus muss auch
noch ein Mietshaus hinzukommen und die Zinsen müssen
jährlich 3 000 DM übersteigen; erst dann beginnt – soweit
der nunmehr wieder dynamisierte Grundfreibetrag von
zurzeit rund 1 300 DM monatlich überschritten wird – die
Einkommensanrechnung. Nun frage ich mich allen Erns-
tes: Ist es wirklich notwendig, solche Vermögensein-
künfte weiterhin zu privilegieren? Ich meine, nein.
Lassen Sie mich abschließend feststellen; dass mit der
aktuellen Rentenreform Frauen in besonderem Maße ge-
fördert werden. Es erfolgen erhebliche Umschichtungen
zugunsten von Frauen, die Kinder erzogen haben, und
zwar auch im vorliegenden Gesetzentwurf.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu der Verordnung über die Erzeugung
von Strom aus Biomasse (Biomasseverordnung –
BiomasseV) (Tagesordnungspunkt 24)
Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Dieser Tag ist
ein guter Tag und wird in der Geschichte der Energiepoli-
tik Deutschlands einen besonderen Stellenwert bekom-
men. Dieser Tag ist gut für den Klimaschutz; er ist gut für
die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien; er
bringt einen zusätzlichen Investitionsschub für die Wirt-
schaft und insbesondere die arg gebeutelte Land- und
Forstwirtschaft wird diesen Tag ebenfalls begrüßen. Es ist
also ein guter Tag für Deutschland.
Mit der vorliegenden Biomasseverordnung schaffen
wir jetzt die Voraussetzung für die Gewinnung von Strom
aus nachwachsenden Rohstoffen und darum freue ich
mich ganz besonders, dass wir heute eine breite Mehrheit
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im Deutschen Bundestag hierfür bekommen werden, die
weit über die Regierungskoalition hinausgeht.
Mit dem In-Kraft-Treten der Biomasseverordnung
wird Schluss gemacht mit einer ungeheuren Verschwen-
dung. Heute wird immer noch ein großer Teil des Althol-
zes deponiert, ohne energetische Nutzung verbrannt oder
ins Ausland exportiert. Dies ist eine ungeheure Verschwen-
dung von Ressourcen und auf Dauer nicht hinnehmbar.
Mit der Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Ge-
setzes haben wir die grundsätzlichen Voraussetzungen ge-
schaffen, neben Sonnen-, Wind- und Wasserkraft auch die
Verstromung von Biomasse wirtschaftlich zu gestalten.
Wer die jetzt vorliegende Verordnung gründlich liest, wird
feststellen, dass sich die Arbeit der vergangenen Monate
gelohnt hat. Wir haben hohe Ansprüche an die Effizienz
der begünstigten Anlagen und an deren Abgasreinigung
gestellt. Wir fördern nur die Anlagen, die effizient und
sauber sind. Daher sind die Kritikpunkte, die an der ur-
sprünglichen Fassung aufgekommen waren, aufgenom-
men und beseitigt worden.
Es gibt aber auch eine Diskussion über die Höhe der
Förderung und die weitere Entwicklung in diesem Seg-
ment der Energiewirtschaft. Wie für den gesamten Bereich
des EEG gilt natürlich auch für die Biomasseverordnung,
dass die Förderhöhe innerhalb der nächsten drei Jahre
überprüft wird. Nach uns vorliegenden Zahlen kann es
durchaus möglich sein, dass in einigen Anlagensegmenten
die Vergütungshöhe zu einer sehr gut ausgestatteten Ren-
dite der Anlagenbetreiber führt. Hier werden wir gegebe-
nenfalls nachsteuern müssen, wenn wir genauere Erkennt-
nisse haben. Gut ist es allerdings, dass sich schon jetzt eine
ganze Reihe von Unternehmen, aber, wie ich in meinem ei-
genen Wahlkreis feststellen kann, auch Landwirte mit kon-
kreten Investitionsplänen beschäftigen. Hier wird sich eine
rasante Entwicklung vollziehen, die technische Innovation
und damit mehr Effizienz hervorbringen wird. Das ist gut
so und das haben wir auch so gewollt.
Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass
nicht in allen Bereichen unseres Landes die Bevölkerung
die neu entstehenden Anlagen begrüßt. Es wird zum Teil
auch Proteste geben, die insbesondere bei der Projektie-
rung größerer Anlagen zur Altholzverstromung aufgebaut
werden. Es wird darauf ankommen, den Menschen die
Umweltfreundlichkeit und den Beitrag zum Klimaschutz
durch die Holzverstromung zu verdeutlichen.
Wir werden mit der Verabschiedung der Biomassever-
ordnung einen erheblichen Beitrag zur Umsetzung des
Kioto-Protokolls leisten. Mit der Umsetzung dieser Ver-
ordnung werden wir aber auch erleben, wie sich immer
mehr Menschen mit dem Thema „Erneuerbare Energien“
beschäftigen. Auch diese Entwicklung ist gewollt und ist
gut für unser Land. Die Vision von einer Energieversor-
gung, die zu 100 Prozent durch die Nutzung der erneuer-
baren Energien sichergestellt wird, rückt wieder ein Stück
näher. Allen Pessimisten sei hier ins Stammbuch ge-
schrieben: Die Zukunft der nachhaltigen bundesdeut-
schen Energieversorgung findet ohne Kernenergie statt
und die Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Ener-
gien an der Gesamtstromversorgung werden wir schneller
erreichen, als viele in diesem Hause glauben.
Außerdem realisieren wir mit der Biomasseverord-
nung ein weiteres Prinzip: Umweltschutz kann und muss
auch wirtschaftlich sein. Die erneuerbaren Energien sind
eben nicht eine Luxusnische für Ärzte, Apotheker und
Rechtsanwälte, sondern bieten eine realistische Perspek-
tive für eine Energieversorgung ohne den ökologischen
Rucksack. Sie werden immer interessanter auch für den so
genannten Otto Normalverbraucher. Sie sind der wesent-
liche Bestandteil für eine nachhaltige Energiepolitik, die
auch die Zukunft der nächsten Generationen sichert. Wir
werden schon in kurzer Zeit erleben, wie auch die Anla-
gen für die Nutzung der Biomasse zu einem Exportschla-
ger werden und damit auch dem Arbeitsmarkt neue Im-
pulse geben.
Monika Ganseforth (SPD): Die BiomasseVO macht
den Weg frei, dass im Rahmen des von der Regierungs-
koalition durchgesetzten Erneuerbare-Energien-Gesetzes
– EEG – nun auch Pflanzen und Pflanzenprodukte sowie
Abfälle und Nebenprodukte pflanzlicher oder tierischer
Herkunft aus der Land- und Forstwirtschaft wie Stroh,
Holz und Biogas bei angemessener Vergütung energetisch
genutzt werden können.
Denn im Spektrum der erneuerbaren Energien wie
Wasser-, Wind- und Sonnenenergie ist das Potenzial der
Biomasse bisher noch nicht ansatzweise ausgeschöpft.
Wärme und Strom vom Bauernhof kann Realität werden.
Es gibt jetzt die notwendige Investitionssicherheit und der
Investitionsstau wird sich schnell auflösen.
In der BiomasseVO wird festgelegt, welche Stoffe als
Biomasse im Sinne des Gesetzes gelten und welche An-
forderungen an die Anlagen zur Erzeugung von Strom aus
Biomasse gestellt werden, um in den Genuss der festen,
nach der Größe der Anlage gestaffelten Vergütungssätze
zu kommen.
Das ist der Schlussstein für das EEG. Es sieht nicht
etwa Zuschüsse für Anlagen der Biomassenutzung vor.
Denn die Erfahrung zeigt, dass Subventionen eher zu Mit-
nahmeeffekten führen. Weil das EEG und sein Vorläufer,
das Stromeinspeisegesetz, den eingespeisten Strom ver-
gütet, führt es zur Entwicklung kostengünstiger, effizien-
ter, langlebiger Anlagen. Die Windenergie und Photovol-
taik haben es vorgemacht. Sie entwickeln sich stürmisch.
Dasselbe steht für Anlagen zur Biomassenutzung noch
aus. Die BiomasseVO ermöglicht die Wirtschaftlichkeit
und notwendige Investitionssicherheit. Den wirklichen
Durchbruch für die Planungssicherheit für Anlagen zur
Nutzung Erneuerbarer Energien brachte das Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs im März, das die Vergütung des
eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Energien für rech-
tens erklärte. Ausgerechnet der Energieriese Eon hatte ge-
gen das Gesetz geklagt wegen angeblicher Beihilfe.
Der Versuch der großen Energieversorger, den Sieges-
zug der erneuerbaren Energien durch Gerichte stoppen zu
lassen, ist gescheitert. Die vielfältigen Subventionierun-
gen für die problematische Atomenergie ist den großen
Energieversorgern dagegen nur recht. Diese Beihilfen
sind leider durch den Euratom-Vertrag gedeckt. Wenn
also heute die BiomasseVO verabschiedet wird, steht
einer ungehinderten Ausbaudynamik nichts mehr im Weg.
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Wir haben übrigens in dem von der rot-grünen Koali-
tion getragenen EEG anders als im Vorläufergesetz, das
von der damaligen CDU/CSU und F.D.P. mit Unterstüt-
zung der SPD und den Grünen, also vom gesamten Bun-
destag, getragen wurde, die Vergütung nicht an die Strom-
preise gekoppelt. Dadurch gibt es die nötige In-
vestitionssicherheit. Weil die Vergütung degressiv gestal-
tet ist, das heißt, weil die Vergütungssätze jährlich um
1 Prozent abgesenkt werden, sind die Anreize für schnelle
Investitionen gegeben. Das ist gut für die Umwelt, für Zu-
kunftstechnologien und für die Arbeitsplätze.
Franz Obermeier (CDU/CSU): Es gibt in Deutsch-
land einen breiten gesellschaftlichen Konsens, nachwach-
sende Rohstoffe verstärkt in der Energieumwandlung ein-
zusetzen. Wie das Stromeinspeisungsgesetz ist das nun in
Kraft getretene EEG ein Instrument zur Umsetzung die-
ses Konzepts. Unter den erneuerbaren Energien hat die
Biomasse, insbesondere das Holz, eine herausragende
Bedeutung. Trotz der allgemeinen gesellschaftlichen Ak-
zeptanz und der wirtschaftlichen Bedeutung ist Holz nach
der Kernenergie der am meisten reglementierte Energie-
träger in Deutschland. Holz gibt es als Naturstoff und
auch als behandeltes Produkt. Wir unterscheiden zwi-
schen „gutem“ und „schlechtem“ Holzbrennstoff. Mo-
derne Feuerungs- und Randgasreinigungstechniken sind
in der Regel in der Lage, auch „schlechtes“ Holz mit Aus-
nahme der kyanisierten umweltverträglich energetisch zu
verwerten.
Diese Tatsache wollten die Kollegen der Koalitions-
parteien nicht zur Kenntnis nehmen. So haben sie vor ei-
nem Jahr nicht die von der Bundesregierung vorgelegte
Verordnung beschlossen, sondern eine eigene Fassung ge-
strickt. Der Bundesrat hat sich dann aber eine Woche spä-
ter für die Fassung der Bundesregierung ausgesprochen.
Diese unverständliche Haltung der Regierungsfraktionen
hat zu einem ganzen Jahr Verzögerung geführt. Die Folge:
kaum Investitionen in diesem Bereich, Export von Holz
ins benachbarte Ausland, Stillstand in der Entwicklung
der sinnvollen Biomasseverwertung.
Es ist also kein Glanzstück, was sich hier die Fraktio-
nen von Rot-Grün geleistet haben. Der Investitionsstau
beträgt rund 2 Milliarden DM, den nur sie zu verantwor-
ten haben.
Die heute vorliegende Biomasseverordnung deckt sich
weitgehend mit den Vorstellungen der CDU/CSU-Frak-
tion und diese Auffassung haben wir schon vor einem Jahr
vorgetragen. Es ist richtig, dass an die Förderung nach dem
EEG Umweltanforderungen gestellt werden. Diese Ein-
sicht der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen
hätten wir uns auch beim KWK-Vorschaltgesetz ge-
wünscht: Wir legen unser Hauptaugenmerk auf die Krite-
rien einer nachhaltigen Entwicklung in der Energieversor-
gung. Dies bedeutet, dass neben den ökologischen
Anforderungen auch die ökonomischen Voraussetzungen
gegeben sein müssen, um Fortschritte zu erzielen.
Viele Biomasseanlagen sind, vergütet nach den derzei-
tigen Beträgen des EEG, nur wirtschaftlich, wenn sie Alt-
holz der Klassen III und IV einsetzen können. Diesen
Sprung haben sie nun geschafft.
Die teilweise Einbeziehung des Tiermehls in die För-
derfähigkeit ist ein Punkt, über den mit der Evaluierung
des EEG noch einmal diskutiert werden muss. Die
CDU/CSU-Fraktion schlägt jedenfalls vor, die noch feh-
lenden Erfahrungen mit Bioenergieanlagen für tierische
Abfälle bald zu gewinnen, damit auch dieses Segment als
förderfähig anerkannt werden kann.
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen,
die erklären sollen, warum die CDU/CSU-Fraktion so
stark für die energetische Nutzung von Biomasse entritt.
Biomasse ist ein Hoffnungsträger unter den erneuerbaren
Energiequellen, weil die Verfügbarkeit der Energieträger,
die technischen Voraussetzungen ebenso wie die ökono-
mischen Randbedingungen, ein kurzfristig realisierbares
CO2-Minderungspotenzial bei akzeptablen Investitions-volumina in Aussicht stellt. Trotz insgesamt positiven
Rahmens kann Deutschland – ausgenommen Bayern –,
verglichen mit den anderen Ländern der EU, als alles an-
dere als ein Vorreiter bezeichnet werden. Wir liegen im
hinteren Mittelfeld.
Die jüngsten Entwicklungen der Ölmärkte und der
neueste IPCC-Bericht müssen uns zu einem grundsätzli-
chen Umdenken zur Nutzung der nationalen Ressourcen,
wie die Biomasse eine ist, führen. Im Gegensatz zur
Wind- und Sonnenenergie kann Biomassestrom in allen
Lastbereichen, also Grund-, Mittel- und Spitzenlast, ein-
gesetzt werden. Durch diese lastabhängige Produktions-
weise werden hohe Jahresbetriebsstunden erreicht. Die
installierte elektrische Leistung kann fast vollständig für
die zur Versorgungssicherheit notwendige Grundkapa-
zität gerechnet werden. Hier liegt ein ganz wesentlicher
Vorteil gegenüber der Windenergie und den Solarstrom-
anlagen, deren installierte elektrische Leistung nur zu ei-
nem Bruchteil anrechenbar ist.
Das Potenzial zur energetischen Biomassenutzung in
Deutschland ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.
Nach wie vor wird ein hoher Anteil des in Deutschland an-
fallenden Rest- und Abfallholzes exportiert und dort un-
ter anderen Rahmenbedingungen verwertet. Strom und
Wärme aus Biogas zählen zu den interessanten Optionen,
die erneuerbare Energien zu bieten haben. In Deutschland
werden rund 1 300 Biogasanlagen betrieben, was nur zu
einem Bruchteil dem im Biogas enthaltenen Poten-
zial entspricht. Schätzungen ergeben, dass Biogas rund
4,55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs abdecken
könnte. So könnten Millionen Haushalte mit Strom aus
Biogas versorgt werden. Biogas kann aus einer breiten Pa-
lette organischer Materie gewonnen werden. Abfälle aus
Tierhaltung, Bioabfälle aus Haushalten, Reststoffe der
Lebensmittelindustrie und Produkte aus der Landwirt-
schaft stellen erhebliche Ressourcen dar. Ähnlich ist es
mit biogenen Treibstoffen für dieselgetriebene Fahrzeuge.
Die Europäische Kommission führt in ihrem Grünbuch
zur Strategie für Energieversorgungssicherheit aus:
Die Biomasse könnte einen nennenswerten Beitrag
zur Stärkung einer dauerhaften Versorgungssicher-
heit leisten. Die Biomasse ist eine verbreitete viel-
seitige Ressource, die sowohl für Heizzwecke als
auch zur Elektrizitätserzeugung genutzt werden
könnte. Insbesondere das enorme Potential der land-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117162
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und forstwirtschaftlichen Rückstände wird bisher
nicht genutzt.
Recht hat die Kommission.
Zum Abschluss: Die CDU/CSU-Fraktion hat kon-
struktiv am Zustandekommen dieser Verordnung mitge-
wirkt. Biomassenutzung dient der Umwelt, mindert die
Importabhängigkeit von Primärenergie und fördert den
ländlichen Raum. Energiepolitik in diese Richtung – da
sind wir die Lokomotive.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich freue mich sehr, dass die Biomasseverordnung heute
im Bundestag verabschiedet wird. Damit schließt sich
eine letzte Lücke der Förderung von erneuerbaren Ener-
gien in Deutschland.
Dies ist ein wichtiger, schwer erarbeiteter Schritt und
ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, für diese Ver-
ordnung eine so große Akzeptanz zu finden, dass auch die
Opposition zustimmen kann. So hat sich die Mühe der
Debatte gelohnt. Belohnt werden wir hoffentlich mit einer
ab sofort dynamischen Entwicklung der Biomasse. Wir
haben in Deutschland das Potenzial der Biomasse zur
Energieerzeugung bei weitem nicht ausgeschöpft. Neben
den Windkraftanlagen im Offshore-Bereich liegen hier
große Möglichkeiten in den nächsten Jahren. Besonders
die Möglichkeit von Biomasseanlagen, witterungsunab-
hängig Grundlaststrom zu produzieren, macht diese Ener-
gieerzeugung zur perfekten Ergänzung von Windkraft-
und Fotovoltaikanlagen.
In den nächsten drei Jahren werden mindestens 2 Mil-
liarden DM an Investitionen allein in die Biomasse
fließen. Dadurch werden weitere Arbeitsplätze geschaffen
und es ergeben sich Perspektiven für ganz unterschiedli-
che Wirtschaftsbereiche. Im Besonderen möchte ich hier
die Landwirte nennen. Die Landwirte von heute sind die
Energiewirte von morgen. Gerade die Landwirtschaft ist
international einem hohen Konkurrenzdruck ausgeliefert.
Außerdem ist in den Zeiten von BSE und der Maul- und
Klauenseuche ein Umbruch in der landwirtschaftlichen
Struktur notwendig und unvermeidbar. Da kommt ein
neues Standbein in der umweltfreundlichen Energiever-
sorgung genau zur rechten Zeit.
Die neue Biomasseverordnung ist nach langen Diskus-
sionen nun auf dem Tisch. Besonders die Einbeziehung
von Althölzern war ein schwieriges Diskussionsthema.
Ich denke aber, wir haben eine Lösung gefunden, die ei-
nerseits die Energiequelle Altholz nutzt und andererseits
der Umwelt nicht schadet. Sowohl behandeltes wie unbe-
handeltes Holz ist ein erneuerbarer Energieträger. Dabei
kommt es in erster Linie darauf an, dass das Holz die öko-
logisch sinnvolle Nutzungskette durchlaufen hat. Zuerst
kommt die stoffliche Nutzung als Möbel oder Bauholz,
dann erst die energetische Verwertung. Die energetische
Nutzung von behandeltem Abfallholz ist zurzeit aber häu-
fig nicht wirtschaftlich durchführbar. Deshalb bleibt die-
ses Holz oft in der Landschaft liegen und stellt eine be-
ständige Bedrohung für Grund- und Oberflächenwasser
dar. Teilweise wird Abfallholz mit hohem Transportauf-
wand in den skandinavischen Ländern energetisch ver-
wertet oder sogar in der Möbelproduktion in Italien ein-
gesetzt, wofür die finanziellen Rahmenbedingungen der-
zeit günstiger sind. Die Unterstützung der Abfallholzver-
wertung durch das EEG ist also auch sinnvoll, um die um-
welt- und verkehrspolitisch kontraproduktiven Exporte
eindämmen zu können. Ein zusätzlicher Aspekt, der für
die Verwertung von belasteten Althölzern spricht, ist die
Tatsache, dass nach einer Verbrennung die Schadstoffe
auf wesentlich kleinerem Raum vorliegen und nicht mehr
weitflächig in der Umwelt verteilt werden.
Aber eines ist klar: die Verwertung dieses behandelten
Altholzes muss in hochmodernen Anlagen geschehen, die
die Schadstoffe mit modernster Technik auffangen und
nicht in die Umwelt entlassen. Deshalb sieht die neue Bio-
masseverordnung auch vor, dass nur Anlagen, die nach
der strengen 17. BImSchV errichtet werden, auch die Ver-
gütung nach dem EEG erhalten können.
Ein besonderer Fall ist die Verwertung von Tierkada-
vern und tierischen Nebenerzeugnissen. Alle diejenigen
tierischen Reststoffe gelangen in die energetische Ver-
wertung, die nicht in Tierbeseitigungsanstalten abliefe-
rungspflichtig sind. Damit wird den Bedenken der Öf-
fentlichkeit Rechnung getragen, die in Zusammenhang
mit der BSE-Krise entstanden sind. Es wird also kein Bio-
gas und auch keinen Dünger aus Biogasanlagen geben,
der eventuell BSE-belastet wäre. Gegenüber der beste-
henden Praxis der Verwertung von Tierabfällen gibt es
keine Einschränkung.
Wichtig ist auch, dass in der Biomasseverordnung
Mindestwirkungsgrade für Anlagen festgelegt sind, die
nach EEG vergütet werden. Dies können nur neueste An-
lagen gewährleisten. Eine Verbrennung von Biomasse in
alten, ineffektiven Kraftwerken wird es also nicht geben.
Durch die neue Biomasseverordnung wird nun auch grü-
nes Licht für Investoren gegeben. Der Boom der erneuer-
baren Energien geht weiter.
Unter der rot-grünen Regierung hat sich die Strompro-
duktion auf der Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
auf knapp 20 Milliarden Kilowattstunden verdoppelt; das
sind vier Prozent des Gesamtstromverbrauches. Zusam-
men mit den großen Wasserkraftwerken der Energiewirt-
schaft können damit bereits drei Millionen Menschen in
Deutschland mit „grünem“ Strom versorgt werden. Das
entspricht der Stromerzeugung von zwei Atomkraftwer-
ken. In Zukunft wird ein immer größerer Anteil unseres
Stromes regenerativ erzeugt. Wir sind damit auf dem
Weg, das Kohlenstoff- und Atomzeitalter zu überwinden.
Und das Schönste ist: Dieser Weg rechnet sich. Pro Jahr
entstehen 10 000 Arbeitsplätze in der Erneuerbare-Ener-
gien-Wirtschaft. Bis 2010 sind insgesamt 100 000 Ar-
beitsplätze prognostiziert – das sind dreimal so viele wie
heute in der Atomwirtschaft.
Nach nur einem Jahr ist die Förderung von regenerati-
ven Energien durch die rot-grüne Bundesregierung zu
einem der großen Erfolge in der Geschichte der Bundes-
republik geworden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das 100 000-Dächer-Programm und das Marktanreiz-
programm für erneuerbare Energien stellen einen umfas-
senden Ansatz zur Energiewende dar. Wir haben in
Deutschland das weltweit ambitionierteste Programm
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zur Förderung der erneuerbaren Energien geschaffen. Das
Solarzeitalter hat begonnen und wir sind ganz vorne mit
dabei.
Birgit Homburger (F.D.P.): Aus umwelt- und klima-
politischen Gründen hat sich die F.D.P. stets dazu bekannt,
auch den Einsatz regenerativer Energieträger voranzu-
bringen. Hierfür sind jedoch das Erneuerbare-Energien-
Gesetz (EEG) und ihm folgend die Biomasseverordnung
(BiomasseVO) der falsche Weg. Die F.D.P. hat mit dem
Antrag zur marktwirtschaftlichen Förderung erneuerbarer
Energien eine klare Alternative dazu in den Deutschen
Bundestag eingebracht.
Die von der F.D.P. schon bei der Beratung des Vorgän-
gerentwurfs der Biomasseverordnung geäußerten grund-
sätzlichen Bedenken sind durch die vorgenommenen Än-
derungen nicht behoben worden. Der Entwurf enthält
nach wie vor eine Positivliste der anerkannten Biomasse,
das heißt der zu fördernden Energieträger. Die Verord-
nung wird demzufolge immer wieder nach neuestem tech-
nischen Stand zu korrigieren sein.
Detailregelungen des Entwurfs der Biomasseverord-
nung sind sogar für die Umwelt schädlich. So ist die zu-
sätzliche Verwendung von Dieselmotoren zur Zünd- oder
Stützfeuerung zulässig. Das bedeutet einen zusätzlichen
Verbrauch an Heizöl, also eines fossilen Energieträgers.
Durch die derzeitige Förderpolitik erhält der Anlagenbe-
treiber Investitionsförderung, zinsverbilligtes Baudarle-
hen und die volle Einspeisevergütung nach EEG. Unter
bestimmten Voraussetzungen kann die Anlage auch noch
mit steuervergünstigtem Heizöl betrieben werden – alles
in allem eine ökologisch kontraproduktive Förderung, be-
denkt man die zusätzlichen Emissionen aus Dieselmoto-
ren, die die Umwelt extra belasten.
Außerdem bleibt die Regelung über die Anerkennung
von Altholz als Biomasse unvollständig. Denn die Alt-
holzverordnung, die die Entsorgung von Altholz regeln
soll, soll erst im Herbst verabschiedet werden. Was man
von solchen Ankündigungen der Regierung zu halten hat,
zeigt ein Blick auf andere umweltpolitische Bereiche: Es
ist Geduld gefragt und darüber kann es schnell Herbst
2002 werden.
Ein weiterer Problembereich wird gänzlich ignoriert:
die Nutzung von Tiermehl als Biomasse für die Verstro-
mung. Obwohl die BSE-Problematik erst nach der ersten
Vorlage der Biomasseverordnung akut wurde – und trotz
der langen Zeitspanne bis zur Vorlage der überarbeiteten
Fassung in dieser Woche –, wird das Thema von der Bun-
desregierung nicht aufgegriffen. So sieht der Verord-
nungsentwurf für tierische Abfälle, die keine Ausnahme-
regelung nach dem Tierkörperbeseitigungsgesetz erhalten,
keine Vergütung nach dem EEG vor. Dies bedeutet, dass
große Mengen an Tiermehlen – trotz ihres vorhandenen
energetischen Potenzials – aus dem Kreislauf der Erzeu-
gung von Strom aus Biomasse im Rahmen der Biomasse-
verordnung herausgelöst werden und zu entsprechenden
Kosten entsorgt werden müssen. Deshalb hatte die F.D.P.
in den Ausschussberatungen einen Änderungsantrag ge-
stellt, der die Berücksichtigung von Tiermehl vorsah.
Die Fehler, die mit dem EEG begonnen wurden, wer-
den mit der Biomasseverordnung fortgeschrieben. So
werden die zu fördernde Technik und die Preise politisch
festgelegt. Damit fehlt ein klarer wettbewerblicher Anreiz
für die Betreiber, die Wirtschaftlichkeit regenerativer
Energieanlagen fortlaufend zu verbessern. Das EEG führt
damit zu einer Fehlallokation volkswirtschaftlicher Mit-
tel. Diese Fehler vermeidet der Antrag der F.D.P. zur
marktwirtschaftlichen Förderung erneuerbarer Energie-
träger, indem er weder bestimmte Energieträger noch ein-
zelne Techniken oder gar Preise vorschreibt.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Kern des Streites
zwischen BMU und Bundesrat auf der einen, dem Bun-
destag auf der anderen Seite war die Einbeziehung von
belastetem Altholz in die Biomasseverordnung. Dazu
hatte die PDS ursprünglich folgende Position:
Auch wenn Holz ein regenerativer Energieträger ist,
geht es nicht an, dass belastete Hölzer als Biomasse gel-
ten. Denn sonst würde man für diese Hölzer, die zum Teil
gefährliche Abfälle sind, nicht nur kein Geld für die Ent-
sorgung zahlen müssen, sondern auch noch – über das
EEG – Geld verdienen. Das wäre politisch-moralisch
nicht zu vertreten.
Im Grundsatz stehen wir noch heute zu dieser Position.
Gleichwohl plädieren wir für die Einbeziehung von belas-
teten Althölzern in die Biomasse.
Denn die Realität sieht nämlich so aus, dass die belas-
teten Hölzer in der Praxis nur in den wenigsten Fällen ord-
nungsgemäß entsorgt werden. Sie landen über einen
grauen Markt in der stofflichen Verwertung. Die Schad-
stoffe aus den belasteten Hölzern finden sich dann über-
wiegend in Spanplatten wieder. Das geht aber eindeutig
zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Dieser Trend würde sich noch verschärfen, wenn nur
noch unbelastetes Holz als Biomasse gilt und die Span-
plattenindustrie allein aus Kapazitätsgründen vermehrt
auf belastete Hölzer zurückgreifen würde.
Auch die mit den Krebs erregenden PAK imprägnier-
ten Bahnschwellen und Leitungsmasten werden sehr oft
für Spielplätze, Garteneinfriedungen, Zäune etc. „umge-
nutzt“.
Da all diese Hölzer nun unter die Biomasse fallen, wird
die derzeitige Ist-Situation verbessert, es werden die Schlu-
dereinen der Vergangenheit aufgearbeitet. Der Druck zur il-
legalen Entsorgung wird mit dieser Regelung herausge-
nommen.
Wir können damit leben, weil durch die geltende
17. BImschVO für diese Althölzer strenge Kriterien für
die Verbrennung – Dioxinfilter etc. – angelegt werden.
Zudem wird ein hoher Anspruch an den Wirkungsgrad
der jeweiligen Anlagen gestellt. Dabei wird ein Mitnah-
meeffekt im Sinne einer Mitverbrennung in normalen
Verbrennungsanlagen ausdrücklich ausgeschlossen.
Ich will nicht verschweigen, dass zahlreiche Bürger-
initiativen in der Nähe von Verbrennungsanlagen der Ver-
brennung von belasteten Althölzern ablehnend gegen-
überstehen. Diese Skepsis, die durch unzählige Skandale,
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wie manipulierte Filter oder Trixerein zur Grenzwertein-
haltung gespeist wird, ist wohl sehr begründet.
Deshalb müssen die Überwachungsbehörden mit
strengster Kontrolle die durchgängige Einhaltung der
17. BImschVO durchsetzen. Vor allem erwarten aber die
Verbraucher, dass gesundheitsschädlichen Belastungen in
Hölzern endgültig der Vergangenheit angehören.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Postgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 25)
Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Die Gründe für die
Verlängerung der Exklusivlizenz wurden in der Vergan-
genheit mehrfach dargestellt. Ich weise dazu auch auf das,
was unsere Kollegin Petra Bierwirth heute ausgeführt hat,
und auf meine Anmerkungen in der Debatte um den
F.D.P.-Antrag am 15. März 2001.
Deshalb möchte ich mich heute mit einigen Gegenar-
gumenten aus den letzten Monaten beschäftigen, eine An-
sammlung von Widersprüchen und Skurrilitäten. Viele
können nur so reden, weil sie davon ausgehen können,
dass die Koalition eine sofortige Totalliberalisierung ver-
hindern wird und ihre Forderung den Realitätstest nicht
bestehen muss.
Nehmen wir den bayerischen Wirtschaftsstaatssekretär
Spitzner, der sich unter anderem wie folgt äußerte: „Das
Briefmonopol ... muss Ende 2002 fallen... Was Berlin hier
plant, ist verbraucher- und ordnungspolitisch der falsche
Weg! ... Den Kunden werden damit ähnliche Preisvorteile
wie bei der Telekommunikation vorerst weiter vorenthal-
ten.“ – So im Bulletin der Byerischen Staatsregierung
vom 9. Februar 2001.
Wir reden also von Preisvorteilen von bis zu 90 Pro-
zent, wie wir sie im Bereich der Telekommunikation hat-
ten. Stellen wir uns das einfach mal vor: Ein Standardbrief
für 10 bis 15 Pfennig. Spitzner fährt fort, „... dass auch
nach dem Wegfall der Exklusivlizenz eine flächen-
deckende und qualitativ hochstehende Versorgung der
Bevölkerung ... sichergestellt sei.“ Also: für 10 Pfennige
hochwertig, flächendeckend und im Wettbewerb! Von den
Wettbewerbern, die das schaffen sollen, müssen Sie mir
mal einen zeigen.
Da sind wir schon beim nächsten Widerspruch. Sie sa-
gen: Das Porto muss runter durch den Wettbewerb und für
den Wettbewerb. Wie soll das gehen? Heute haben doch
die Inhaber von D-Lizenzen – Ortspost als höherwertige
Dienstleistung – nur deshalb eine Chance, weil sie ein
paar Pfennige unter dem Monopolporto der DP AG an-
bieten können. Wenn das Porto abgesenkt wird, entziehen
Sie den kleinen Wettbewerbern der Post die Existenz-
grundlage.
Das führt zum nächsten Punkt: Schon heute sind
Großverlage und die Postkonzerne aus den Nachbarstaa-
ten dabei, im Hinblick auf die Liberalisierung die kleinen
D-Lizenz-Inhaber zusammenzukaufen und zu einem
Netz zusammenzufügen. Dies ist in der „Wirtschaftswo-
che“ vom 15. April 2001 eindrucksvoll dargestellt. Je
weiter liberalisiert wird, desto weniger kleine Betriebe
und desto mehr Konzentration werden wir erleben. Wer
im großen Briefgeschäft mithalten will, dem genügen ein
paar Fahrräder und 7,5-Tonner nicht mehr. Der muss
Hunderte von Millionen, wenn nicht gar Milliarden in-
vestieren. Wir nehmen zur Kenntnis: Wer hier von Ge-
werbefreiheit und vom Schutz von Kleinunternehmen
und Verbrauchern redet, meint im Grunde internationale
Postkonzerne. Die sollen geschützt werden, weil sie an-
geblich darauf vertraut haben, dass der Markt 2003 geöff-
net wird.
Da sind wir bei der nächsten Legende: Man habe sich
auf eine Liberalisierung 2003 verlassen können und eine
weitere Verlängerung des reservierten Bereichs sei
rechtswidrig. Ich zitiere zunächst:
Nach Art. 143 b Abs. 2 des Grundgesetzes können
die vor der Umwandlung bestehenden ausschließli-
chen Rechte des Bundes durch Bundesgesetz für eine
Übergangszeit dem aus der Deutschen Bundespost
POSTDIENST hervorgegangen Unternehmen ver-
liehen werden. Die Vorschrift räumt dem Gesetzge-
ber hinsichtlich der Geltungsdauer der Monopol-
rechte einen Ermessensspielraum ein.
Die Bundesregierung präferiert hierbei einen Ansatz,
der einen abrupten Systemwechsel vermeidet und
stattdessen einen stufenweisen Übergang vom Mo-
nopol zum Wettbewerb im Postsektor ermöglicht.
– Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode, Drucksache
13/7774 vom 30. Mai 1997, Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung Entwurf eines Postgesetzes (PostG), Seite 33.
Von wem stammt das Zitat? Es stammt von der Bun-
desregierung, die 1997 amtierte! So steht es in ihrer Be-
gründung zum Postgesetz.
Dann haben wir noch den § 47 im Postgesetz über den
Tätigkeitsbericht der Reg TP. Dort heißt es unter anderem:
In diesem Bericht ist auch Stellung zu nehmen zu den
Fragen, ... ob und gegebenenfalls bis zu welchem
Umfang die Aufrechterhaltung einer Exklusivlizenz
nach § 51 über den dort genannten Zeitpunkt hinaus
erforderlich ist. Die Bundesregierung nimmt zu die-
sem Bericht gegenüber den gesetzgebenden Körper-
schaften des Bundes in angemessener Frist Stellung.
Mit Recht verweisen auch die Kommentare darauf,
dass eine solche Berichterstattung und eine Stellun-
gnahme der Bundesregierung nur Sinn macht, wenn da-
raus auch Entscheidungen abgeleitet werden können.
Dies war Ergebnis des Vermittlungsverfahrens: „Implizit
ist damit die Absichtserklärung angedeutet ... eine Verlän-
gerung oder inhaltliche Änderung der Exklusivlizenz ...
nicht auszuschließen.“ – P. Badura und andere, (Heraus-
geber) Postgesetz. Beck’scher PostG Kommentar, Mün-
chen 2000, Seite 591.
Dies war auch die klare öffentliche Botschaft des
Vermittlungsverfahrens. Im Zusammenhang mit der er-
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warteten europäischen Entwicklung und der alten Post-
diensterichtlinie, die ebensolche Überprüfungen vor al-
lem der Fristen 2003 für die totale Liberalisierung vorsah,
konnte jeder Interessierte diese Tatsache realistisch ein-
schätzen. Wer sich in einer solchen Branche engagiert und
investiert, muss sich informieren. Wer dies nicht tut, dem
kann kein Parlament und keine Regierung helfen, auch
nicht dadurch, dass morgen der Wettbewerb freigegeben
wird.
Und dass sich Veränderungen ergeben haben, die eine
solche politische Entwicklung erfordern, wurde von pro-
minenter Seite bestätigt. Ich zitiere: „Hat sich Ihre Ent-
scheidung, das Briefmonopol der Post Ende 2002 aufzu-
heben, inzwischen als falsch herausgestellt?“
Antwort: „Sie hat sich nur insofern als falsch erwiesen,
als die entscheidende Annahme von damals – nämlich
dass die übrigen EU-Länder dem deutschen Vorbild fol-
gen und ebenfalls ihre Postmärkte öffnen würden – sich
nicht bewahrheitet hat. Die politischen Rahmenbedingun-
gen haben sich seit der Verabschiedung des Postgesetzes
1997 grundlegend verändert.“ – Wolfgang Bötsch im In-
terview der „Süddeutschen Zeitung“ vom 23. Februar
2001. Dem ist nichts hinzuzufügen. Deshalb handeln wir
jetzt.
Die Verlängerung der Exklusivlizenz zieht Folgeände-
rungen nach sich. Darauf hat der Bundesrat mit Recht hin-
gewiesen und wir sind uns dessen bewusst. Ein privates
Monopol ohne Entgeltregulierung und ohne fortgeschrie-
bene Universaldienstverpflichtung wird es nicht geben. In
der Frage des Portos wird es künftig Sache der Regulie-
rungsbehörde sein, auf der Grundlage getrennter Rech-
nungslegung die Angemessenheit der Gebühren zu über-
prüfen.
Vorrang hat aber jetzt Klarheit über die Verlängerung
der Exklusivlizenz. Das dürfte im Interesse aller Markt-
teilnehmer im Sinne von Planungssicherheit sein. Des-
halb machen wir eine öffentliche Anhörung im Unteraus-
schuss für Telekommunikation und Post am 18. Juni 2001
und wollen dann zu einer schnellen Entscheidung kom-
men.
Petra Bierwirth (SPD): Mit dem Postgesetz von 1997
wurde klargestellt, dass nach einer Übergangszeit alle
Postdienstleistungen in Deutschland dem Wettbewerb un-
terliegen sollen. Für die SPD-Bundestagsfraktion war da-
bei stets klar, dass die Liberalisierung des deutschen
Marktes im Kontext einer harmonisierten Öffnung der
Postmärkte in der Europäischen Union stattfinden sollte.
Nach dem Beginn der Liberalisierung vor vier Jahren gibt
es jedoch bis heute keine völlige Öffnung der Postmärkte.
Die europaweite Deregulierung wird in den Mitgliedslän-
dern sehr unterschiedlich gehandhabt.
Entgegen der EG-Richtlinie von 1997 gibt es in Brüs-
sel bis heute keine Entscheidung über die Fortsetzung der
Liberalisierung. Ein Zeitplan ist bislang nicht vorgelegt
worden. Mit weiteren Liberalisierungsschritten ist vor
2007 nicht zu rechnen, In der Mehrzahl der Mitgliedslän-
der ist gegenwärtig eine Bereitschaft zur weiteren Libe-
ralisierung und Privatisierung der Postmärkte nicht zu
erkennen. Die Bundesregierung und die SPD-Bundes-
tagsfraktion haben wiederholt deutlich gemacht, dass sie
den Wettbewerb wollen. Deutschland hat bereits heute
seinen Postmarkt deutlich weiter geöffnet, als es die eu-
ropäische Postrichtlinie vorsieht. Deutschland ist bereits
heute bei der Marktöffnung im europaweiten Vergleich in
einer Spitzenposition und deutlich weiter als die Gralshü-
ter von Liberalisierung und Wettbewerb, die USA.
Von der europaweiten völligen Liberalisierung der
Postmärkte sind wir, wie bereits erwähnt, weit entfernt.
Selbst eine Absenkung des reservierten Bereichs ist bis-
lang nicht absehbar. Wenn Ende 2002 die Exklusivlizenz
der Deutschen Post AG endet und der deutsche Postmarkt
ein reiner Wettbewerbsmarkt ist, müssen daher grenz-
überschreitende Wettbewerbsverzerrungen befürchtet
werden. Deshalb begrüße ich den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung zur Änderung des Postgesetzes. Er verfolgt
das Ziel, die Übergangszeit für die Exklusivlizenz der
Deutschen Post AG um fünf Jahre bis zum Jahresende
2007 zu verlängern. Diese Veränderung des zeitlichen
Rahmens ist angezeigt, weil die ungleiche Öffnung der
Märkte in der Europäischen Union einen Wettbewerbs-
nachteil für deutsche Unternehmen und eine Schwächung
des Standortes Deutschland bedeutet. Mit einer schritt-
weisen und harmonisierten Marktöffnung schaffen wir
faire Chancen im Wettbewerb.
Wir wollen verhindern, dass es durch die einseitige Be-
endigung des regulierten Marktes zu Wettbewerbsverzer-
rungen kommt. Wir wollen vermeiden, dass Postunter-
nehmen aus geschlossenen oder nahezu geschlossenen
Märkten auf einem vollständig geöffneten deutschen
Markt tätig werden können. Führen Sie sich die Bedeu-
tung des deutschen Postmarktes vor Augen: Er ist der
größte in Europa und er ist durch seine Lage besonders lu-
krativ.
Wir haben in Europa die Beispiele für Wettbewerbs-
verzerrungen durch uneinheitliche Marktöffnung. Der
Bereich der Stromversorgung, in dem es keine europaein-
heitliche Liberalisierung gegeben hat, mahnt uns zur Vor-
sicht. Erlauben Sie mir an dieser Stelle folgende Anmer-
kung: Wir wollen auch vermeiden, dass es durch eine zu
rasche Liberalisierung zu einem Verdrängungswettbe-
werb mit Lohn- und Sozialdumping zulasten der Be-
schäftigten sowie zu einer Leistungsreduzierung für die
Kunden kommt. Eine weitere Öffnung des deutschen
Postmarktes muss mit den europäischen Liberalisierungs-
schritten weitgehend parallel verlaufen. Genau dazu dient
die Gesetzesänderung. Durch unser rechtzeitiges Handeln
erhalten die Deutsche Post AG und ihre Wettbewerber die
notwendige Rechts- und Planungssicherheit. Deutschland
nimmt bei der Liberalisierung der Postmärkte europaweit
einen Spitzenplatz ein. Daran wird sich auch nach einer
Verlängerung der gesetzlichen Exklusivlizenz der Deut-
schen Post AG nichts ändern. Ich will betonen, dass es
hier nicht um einen Endzustand geht, sondern um den
Ordnungsrahmen einer Übergangszeit von einem Mono-
pol zum Wettbewerb, den wir grundsätzlich wollen – in
einem harmonisierten europäischen Binnenmarkt zu fai-
ren Bedingungen für alle Wettbewerber. Die Bundestags-
fraktion der SPD unterstützt daher die Bemühungen der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117166
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Bundesregierung, auf europäischer Ebene die Marktöff-
nung im Postbereich voranzutreiben.
Zum Schluss lassen Sie mich noch einige Worte zum
Briefporto sagen. Vor wenigen Wochen hat an dieser
Stelle die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundes-
wirtschaftsministerium darauf hingewiesen, dass die Ver-
schiebung der Marktöffnung eine Portoreduzierung ab
dem Jahr 2003 nicht ausschließt. Ähnlich wurde vor we-
nigen Tagen der Bundeswirtschaftsminister in der Presse
zitiert. Auch ich bin der Auffassung, dass die Produkti-
vitäts- und Effizienzsteigerungen bei der Deutschen Post
AG in Zukunft Spielräume für günstigere Postdienstleis-
tungen eröffnen können, die dann privaten und gewerbli-
chen Kunden zugute kommen. Nicht die Beibehaltung der
Portohöhe, sondern der Marktregulierung im Postbereich
ist Ziel des Gesetzes. Aller Polemik der Opposition zum
Trotz geht die Entscheidung zur Verlängerung der Exklu-
sivlizenz nicht zulasten der Verbraucher.
Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU):Das, was die
Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des
Postgesetzes beabsichtigt, also mit einer Verlängerung
des Postmonopols um weitere fünf Jahre, muss man zu-
mindest einen gravierenden Vertrauensbruch nennen. Et-
liche der betroffenen Firmen und mit ihnen viele Arbeit-
nehmer, denen jetzt die Entlassung droht, nennen es sogar
Betrug.
In den vergangenen Jahren hat die Regulierungs-
behörde für Telekommunikation und Post insgesamt 906
Unternehmen Lizenzen für die Beförderung von Brief-
sendungen erteilt. Rund 600 Unternehmen sind davon am
Markt tätig, der überwiegende Teil im Bereich qualitativ
höherwertiger Dienstleistungen, also in den Bereichen,
die es ohne diese Unternehmen gar nicht gäbe, weil sie
von der Post AG gar nicht oder nur unzureichend angebo-
ten werden. Auch die ständig vorgetragene Kritik der SPD
und der Gewerkschaften, wonach die neuen Wettbewer-
ber der Post AG Arbeitnehmer beschäftigen würden, die
sozusagen völlig ohne Arbeitnehmerrechte seien, ist le-
diglich bösartig und durch die Praxis widerlegt.
Die Regulierungsbehörde hat bisher bei 450 Lizenz-
nehmern Überprüfungen vor Ort durchgeführt. Diese Re-
gelprüfungen haben ein insgesamt positives Bild ergeben.
Offensichtliche Verstöße gegen Lizenzbestimmungen
wurden bisher nicht festgestellt. Bei den bisher überprüf-
ten Lizenznehmern sind rund 19 000 Arbeitskräfte be-
schäftigt, davon 2 550 Vollzeit- und 4 525 Teilzeitkräfte.
Von den rund 10 500 geringfügig Beschäftigten stehen
rund 9 000 in einem sozialversicherungspflichtigen Ar-
beitsverhältnis. Damit werden die lizenzpflichtigen Tätig-
keiten zu über 95 Prozent der Gesamtarbeitszeit in sozial-
versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen erbracht.
Noch immer gibt es rund 500 Klagen der Post AG
gegen die Erteilung von Lizenzen für höherwertige
Dienstleistungen, wobei meist der Punkt „taggleiche Zu-
stellung“ eine Rolle spielt. Viele der ursprünglich über
600 beklagten Firmen haben, wegen der hohen
Anwaltskosten, inzwischen die Segel gestrichen. Das
klingt salopp, dahinter stehen aber eine ganze Reihe von
Entlassungen in die Arbeitslosigkeit. Allein bei AZD, dem
Alternativen Zustelldienst, wird mit der Vernichtung von
über 5 000 Arbeitsplätzen in den neuen Ländern gerech-
net. Das alles interessiert diese Regierung aus roten und
grünen Genossen nicht im Geringsten. Zumindest habe
ich bisher keine Proteste gehört, weder vom Arbeitsminis-
ter oder gar vom Beauftragten der Regierung für die
neuen Länder, Staatssekretär Schwanitz.
Aber es ist halt ein Unterschied, ob der Vorstandsvor-
sitzende von IBM-Deutschland 80 000 IT-Kräfte aus dem
Ausland fordert, wobei ihm der Kanzler spontan 30 000
zusagt und die Wirtschaft schließlich ganze 5 600 ein-
stellt. Davon allein zwei Drittel in den unionsregierten
Ländern Bayern und Baden-Württemberg. Oder ob kleine
und kleinste Firmen, die eben nicht den Namen IBM oder
Holzmann tragen, um ihre jeweils wenigen Arbeitnehmer
kämpfen. Diese Regierung mag das Wort Wettbewerb und
Mittelstand noch so oft als Propagandawort in ihren Sonn-
tagsreden in den Mund nehmen. Am praktischen Beispiel,
wenn es darum geht, für den Mittelstand konkret etwas zu
tun, versagt das Wirtschaftsministerium und die Abgeord-
neten der rot-grünen Koalition nicken nur noch ergebenst
und huldvoll das ab, was die Regierung von ihnen ver-
langt.
Mit der angestrebten Verlängerung des Briefmonopols
stellt die Bundesregierung einseitig ihre finanzpolitischen
Ziele, nämlich einen möglichst hohen Verkaufswert bei
der weiteren Aufgabe der Aktien zu erzielen, über die
wirtschaftlichen Interessen von Handel und Industrie. Op-
fer einer solchen Entscheidung wären zudem die neu ge-
gründeten mittelständischen Existenzen im Briefmarkt.
Diese hatten im Vertrauen auf die im Postgesetz für den
1. Januar 2003 vorgesehene Beendigung des Briefmono-
pols in den privaten Zustellmarkt investiert. Alle privaten
Zustellunternehmen müssen als Folge der Verlängerung
des Briefmonopols um ihre wirtschaftliche Basis fürch-
ten. Für sie stellt sich die Änderung des Postgesetzes als
enteignungsgleicher Eingriff dar. Ohne Wettbewerbsal-
ternative sind Wirtschaft und Handel dem Preisdiktat der
Deutschen Post AG ausgesetzt.
Das Briefmonopol wurde der Post AG für einen Über-
gangszeitraum verliehen, der das Unternehmen in die
Lage versetzen sollte, sich ausreichend auf den Wettbe-
werb vorzubereiten. Nach erfolgreichem Börsengang und
Rekordgewinnen des Monopolisten ist die Transforma-
tion zu einem Wettbewerbsunternehmen abgeschlossen.
Im Vertrauen auf das gesetzlich festgelegte Enddatum des
Briefmonopols (31. Dezember 2002) haben die privaten
Briefdienste erhebliche Vorleistungen erbracht, Struktu-
ren aufgebaut und ein neues Qualitätsbewusstsein im
Briefdienst geschaffen. Vollends unverständlich ist die
dafür gegebene Begründung, die auf angebliche Liberali-
sierungsdefizite in Nachbarländern verweist.
Der Wirtschaftsminister weist nun darauf hin, dass er
an den EU-Kommissar Bolkenstein einen Brief geschrie-
ben hat, wonach er ihm zusichert, jeden europäischen
Schritt zu einer weiteren Liberalisierung mit zu tragen.
Dieser Brief dokumentiert geradezu klassisch sein Nichts-
tun in dieser Frage. In der gleichen Situation, als es um ge-
meinsame europäische Postliberalisierung ging, hat 1997
der damalige Postminister, Wolfgang Bötsch, die wichtig-
sten europäischen Länder besucht und sich nicht auf
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geduldigen Briefwechsel beschränkt. Und er hat ein ge-
meinsames Ergebnis erreicht.
Die Wettbewerber fühlen sich als Opfer einer wirt-
schaftlichen Machtpolitik, die darauf angelegt ist, die
Deutsche Post AG zum „Global Player Nr. 1“ zu machen.
Während also unser Wirtschaftsminister am 28. Mai in ei-
nem Interview auf europäischer Ebene nach Entschuldi-
gungen sucht, weshalb er Wettbewerb verhindern müsse,
sagt einen Tag vorher in derselben Zeitung der EU-Wett-
bewerbskommissar Monti, dass die Verlängerung des
Postmonopols bis zum Jahre 2007 in Deutschland sowohl
Verbrauchern wie Unternehmern schade. Auf das Argu-
ment fehlender europäischer Harmonisierung setzt er
noch hinzu, ich zitiere wörtlich: „Sich dafür zu rächen, ist
aber kein guter Weg in die Zukunft. Davor warne ich.“
Am 11. Mai hat der Bundesrat einen Antrag der uni-
onsregierten Länder abgelehnt, das Postmonopol zu be-
enden; gleichfalls hat der Bundesrat auch einen SPD-Antrag
abgelehnt, das Postmonopol zu verlängern. Einstimmig
hat der Bundesrat jedoch beschlossen, rechtzeitig bei
allen weiteren Änderungen von Rechtsnormen, die sich
aus dem Gesetzentwurf ergeben, Klarheit zu schaffen.
Vor allem sollen die Folgeänderungen nach dem Art. 87 f
Grundgesetz bewertet werden. Ich denke, dass dies ein
Punkt ist, bei dem der Wirtschaftsminister weiß, dass er
sich auf äußerst dünnem Eis bewegt. Professor Scholz hat
in einem Gutachten überzeugend dargelegt, dass die Mo-
nopolverlängerung gegen das Grundgesetz verstößt.
Scholz betont, dass bereits die Verfassungsänderung von
1994, die Startpunkt für die Privatisierung der damaligen
Bundespost war, die Verpflichtung zur vollständigen Auf-
gabe des Postmonopols vorgab.
1998 wurden der Deutschen Post AG für die Über-
gangszeit in den Wettbewerb ausschließliche Rechte erteilt,
deren Enddatum für 2002 im Postgesetz festgeschrieben
wurde. Damit hat der Gesetzgeber erschöpfend von den in
der Verfassung vorgesehenen Übergangsregelungen Ge-
brauch gemacht. Eine gleichwertige Teilnahme anderer
Wettbewerber müsse nach dem Willen des Grundgesetzes
vom Staat geschützt und gefördert werden. Eine Verlänge-
rung verstößt gegen die Berufs- und Gewerbefreiheit, die
durch Art.12 GG geschützt ist und rechtlichen Vorrang vor
einem privatwirtschaftlichen Monopol genießt.
Wenn der Minister nun sogar großzügig als Trost für
die Monopolverlängerung Portosenkungen verspricht,
dann kann ich nur sagen, dass er darauf keinen Einfluss
hat, denn es steht so im Gesetz, dass ab 2003 das so ge-
nannte Pricecap-Verfahren angewandt werden muss. Es
sei denn, der Minister will auch dieses durch Regierungs-
interventionismus wieder verhindern wie im vergangenen
Jahr. Was wir von ihm allerdings erwarten dürfen, ist die
Verlängerung des Universaldienstes sowie ferner seine
Antwort auf die künftige Verwendung der Briefmarken.
Wohin fließen die leicht verdienten Millionen der Brief-
markensammler? Wie ist es mit der Anzahl der stationären
Einrichtungen der Post, die derzeit in der Postuniversal-
dienstleistungsverordnung gegen die Stimmen der Union
von dieser Regierung auf gerade noch 12 000 festgeschrie-
ben wurde? Wie ist es mit der Mehrwertsteuer, auf die der
Finanzminister immer noch so großzügig verzichtet?
Wenn die Regierung wegen der Probleme, die die Post
AG in den USA hat, nun schrittweise ihre Kapitalbeteili-
gung auf Null reduzieren möchte, liegt das selbstver-
ständlich auf unserer ordnungspolitischen Linie und wir
sind bereit, bei entsprechenden Vorkehrungen, die ein pri-
vates Monopol á la Turn und Taxis verhindern müssen,
unsere Zustimmung zu signalisieren. Was die Verlänge-
rung des Monopols betrifft, erhält die Regierung von uns
keine Zustimmung. Wir reichen dazu nicht unsere Hand.
Diesen schlimmen ordnungspolitischen Sündenfall müs-
sen Sie mit ihrem Koalitionspartner und der PDS allein
rechtfertigen.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Bündnis 90/Die Grünen treten für eine klare, wettbe-
werbsorientierte Politik ein. Wir halten die schrittweise
und kontrollierte Öffnung der europäischen Postmärkte
für dringend erforderlich. Auch im Postsektor bedarf es
gleicher Wettbewerbschancen für alle Unternehmen in al-
len Ländern des Binnenmarktes. Die Bundesregierung
konnte sich jedoch auf dem Europäischen Rat von Stock-
holm mit ihrer Position zur Schaffung eines einheitlichen
Wettbewerbsrahmens für Postdienstleistungen in der EU
im Dezember 2000 nicht durchsetzen.
Das Bundeskabinett hat daher in seiner Sitzung am
28. März 2001 den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Än-
derung des Postgesetzes beschlossen. Darin wird die
Exklusivlizenz der Deutschen Post AG für Briefe bis zu
200 Gramm und der Massensendungen bis zu 50 Gramm
bis zum 31. Dezember 2007 festgeschrieben. Der Bun-
desrat ist in der Mehrheit dieser Novellierung des Postge-
setzes gefolgt. Wir werden also dieses Gesetz verabschie-
den.
Wir gehen allerdings davon aus, dass die Post AG nun-
mehr den Spielraum zur Senkung des Briefportos nutzen
wird. Die Deutsche Post AG erzielte im Jahr 2000 71 Pro-
zent ihrer Gewinne bei den Briefen, während dieser Be-
reich nur 34 Prozent des Umsatzes ausmacht. Sie konnte
ihre Gewinne in diesem Bereich bei gleich bleibendem
Umsatz um 100 Prozent steigern. Die hohen Gewinnmar-
gen bei der Briefzustellung bestätigen, dass die Senkung
des Briefportos möglich und nötig ist. Das Porto in der
Bundesrepublik ist im internationalen Vergleich, bezogen
auf die Einwohnerdichte, viel zu hoch. Es ist nicht die
Aufgabe der Verbraucher und der Unternehmen, den Auf-
bau eines global agierenden Logistikkonzern mit ihren
Portogebühren zu unterstützen.
Die Beibehaltung eines Monopols in einem Teilbereich
erfordert eine strenge wettbewerbliche Aufsicht durch die
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post,
um negative Effekte für die Unternehmen und die Ver-
braucherinnen und Verbraucher zu verhindern.
Wettbewerber, zum Beispiel im Bereich des Paket-
dienstes sehen ihre Situation im Wettbewerb hier beein-
trächtigt. Um zu verhindern, dass die Post aus ihrem Mo-
nopolbereich andere Bereiche ihrer Geschäftstätigkeit
subventioniert und es dadurch auf diesen Märkten zu un-
fairen Marktsituationen kommt, ist eine klare Trennung
der Monopolbereiche und der wettbewerblich strukturier-
ten Bereiche notwendig.
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Die Anforderungen der Transparenz-Richtlinie der Eu-
ropäischen Union sind von der Post AG deshalb umzu-
setzen. Monopol- und Wettbewerbsbereiche bei der Deut-
schen Post AG sind buchhalterisch zu trennen, um
Transparenz herzustellen. Getrennte Konten sind zu
führen, in den Geschäftsberichten hat eine separate Be-
richterstattung stattzufinden. Dazu gehört, dass die Deut-
sche Post den gewerblichen Paketdienst in ein eigenes
Unternehmen ausgliedert.
Selbstverständlich ist bei der Verlängerung des Brief-
monopols auch die Anpassung des Regulierungsrahmens
notwendig. Es wäre nicht akzeptabel, wenn das Briefmo-
nopol der Post nicht wenigstens durch eine starke Ex-
ante-Preisregulierung ergänzt werden würde. Jede Be-
grenzung von Regulierungsmöglichkeiten, die aufgrund
des geplanten Auslaufens des Postgesetzes 2002 ins Ge-
setz aufgenommen sind, müssen selbstverständlich wie-
der herausgenommen werden.
Auch die der Post AG aufgegebenen Pflichten zur Prä-
senz in der Fläche – wie sie in der PUDLV festgehalten
sind – werden wir anpassen. 5 000 Poststellen müssen bis
2007 erhalten bleiben. Wir werden den Regulierungsrah-
men an die verlängerte Monopolfrist anpassen.
Gerhard Jüttemann (PDS): Die PDS beglück-
wünscht die Bundesregierung, dass sie mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf zur Verlängerung der Exklusiv-
lizenz die Notbremse gefunden hat. Wenn es steil bergab
geht und plötzlich die Straße im Chaos endet, empfiehlt es
sich, immer anzuhalten. Wenigstens entspricht das dem
Selbsterhaltungstrieb. Wenn nun aus bestimmten Rich-
tungen das Gegenteil gefordert wird, also Tempo erhöhen,
obwohl da gar kein Weg mehr ist, wundert mich das nicht.
Das haben Sie immerhin 16 Jahre lang gemacht. Ein Gut-
teil der Probleme, die wir heute haben, rührt genau da her.
Und im Zusammenhang mit der Postprivatisierung
stimmt das sogar zu 100 Prozent.
Welche Probleme sind das? Da ist zunächst einmal ein
gigantischer Arbeitsplatzabbau in der Größenordnung von
über 70 000 zu nennen. Damit sind zum Teil wichtige Leis-
tungen weggefallen. Ich erinnere nur an die Schließung
von Tausenden und Abertausenden von Postfilialen, an die
Einschränkung von Öffnungszeiten, was alles zulasten vor
allem der privaten Kunden, also der Bevölkerung geht.
Zum anderen werden die Leistungen zwar weiter erbracht,
aber von anderen Personen, die der Postgewerkschaftschef
Kurt van Haaren einmal als „Turnschuhbrigaden“ be-
zeichnet hat: schlecht oder gar nicht ausgebildet, mies be-
zahlt, meistens nicht sozialversichert. Die meisten von Ih-
nen, meine Damen und Herren, nennen das Wettbewerb.
Ich nenne das unerträgliche Verschärfung der Ausbeutung.
Der Chef der Deutschen Post, Herr Zumwinkel, ist bei
dieser Meinungsverschiedenheit natürlich auf Ihrer Seite.
Das heißt, er ist auch für den Wettbewerb, aber natürlich
nur so lange, wie er ihm Vorteile, also Extraprofite bringt.
Die Exklusivlizenz will er also trotz seiner Neigung zu
Wettbewerb gern behalten. Aber an anderer Stelle ist er
ein wirklicher Wettbewerber, zum Beispiel bei der Ausla-
gerung von bisher von Postlern mit ordentlichen tarifli-
chen Arbeitsverträgen erbrachten Transportleistungen an
die zitierten Turnschuhbrigaden oder beim Lohnraub. So
hat ZumwinkeI der „Wirtschaftswoche“ schon im Som-
mer vergangenen Jahres gesagt – ich zitiere –:
Wir haben mit den Gewerkschaften vereinbart, dass
jeder, der etwa in der Zustellung neu zu uns kommt,
nicht nach den Posttarifen bezahlt wird, sondern da-
nach, was auch für die Konkurrenz gilt.
Das macht Lohneinbußen bis zu 29 Prozent aus, die
Zumwinkel in kurzer Zeit Milliardenbeträge einbringen
Darin spiegelt sich das Ziel der Liberalisierung: Ein
ganzer Wirtschaftszweig, der einmal geschaffen worden
war, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedürfnisse zu
befriedigen, wird umgestülpt und abgespeckt bis zur Un-
kenntlichkeit der reinen Kapitalverwertung. Alle sozialen
Bedürfnisse und Interessen kommen dabei unter die Rä-
der. Was sich nicht rechnet, wird es im Postbereich wie in
so vielen anderen künftig nicht mehr geben.
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf
aus Standort-, nicht aus sozialen Gründen diesen Prozess
verzögern. Die PDS wird dem mangels Alternativen zu-
stimmen, wohl wissend, dass diese Verzögerung keine
Problemlösung sein kann; denn aufgeschoben ist be-
kanntlich nicht aufgehoben. Für eine wirkliche Lösung
der aus der Privatisierung und Liberalisierung erwach-
senden sozialen Probleme gäbe es nur einen Weg: die Um-
kehr.
Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Die Bundesre-
gierung beabsichtigt, die Exklusivlizenz der Deutschen
Post AG um fünf Jahre auf Ende 2007 zu verlängern. Da-
mit wollen wir verhindern, dass in Deutschland blind
Märkte geöffnet werden, die anderswo weiterhin abge-
schottet bleiben. Die Bundesregierung beweist damit Ver-
antwortung, indem wir über den Tellerrand hinaus-
schauen.
Tatsache ist, dass heute niemand vorhersagen kann,
wie sich die Postpolitik um uns herum in den nächsten
Jahren weiterentwickeln wird. Eine gemeinsame und zu-
kunftsgerichtete europäische Postpolitik ist derzeit – und
ich sage ganz bewusst: leider – nicht erkennbar. Das Eu-
ropäische Parlament hat sich bisher erst in erster Lesung
zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine
neue Postdiensterichtlinie geäußert und der Ministerrat
ringt nunmehr seit genau einem Jahr um einen gemeinsa-
men Standpunkt – mit weitgehend offenem Ausgang. Ei-
nes ist jedoch klar: Eine vollständige Marktöffnung vor
Ende 2007 ist in Europa illusorisch. Sollte es trotzdem an-
ders kommen, wären wir natürlich an erster Stelle bereit,
zugunsten einer europaweit dynamischen Marktentwick-
lung unsere Postmärkte früher zu öffnen.
Maßgeblich ist für die Bundesregierung eine gleichge-
richtete Entwicklung der Märkte innerhalb der Euro-
päischen Union. Die Bundesregierung befürwortet aus-
drücklich einen offenen gemeinsamen europäischen Bin-
nenmarkt – auch im Postbereich. Davon profitieren dann
nicht nur einige, sondern alle Verbraucherinnen und Ver-
braucher in Europa. Im Gegenzug müssen dann aber auch
vergleichbare Spielregeln gelten. Es kann nicht richtig
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sein, dass in Deutschland das Briefmonopol auf Null
zurückgeht, während bei fast allen unseren europäischen
Wirtschaftspartnern die Schutzzäune bis zu einer Höhe
von rund 95 Prozent des gesamten Marktvolumens hoch
gezogen bleiben. Die Friktionen, Wettbewerbsverzerrun-
gen und einseitigen Belastungen, die daraus entstehen
könnten, würden dann zu Recht der Bundesregierung an-
gelastet werden; und das wollen wir, schlicht gesagt, po-
litisch nicht verantworten müssen.
Um an dieser Stelle den gern angeführten Vergleich mit
Schweden schon vorweg vorwegzunehmen: Der schwe-
dische Postmarkt ist kein geeignetes Lehrstück in Sachen
Wettbewerb. Dort ist der Briefmarkt 1993 zwar formal
vollständig für den Wettbewerb geöffnet worden. Aber
der mehr oder weniger einzige Wettbewerber ist das Un-
ternehmen City Mail. Und zwischen dem Platzhirsch und
dem Neuling herrscht ein Wettbewerbsverhältnis, das sich
vielleicht am besten mit „freundschaftlich“ beschreiben
lässt: City Mail beschränkt sich auf die Verteilung von
computervorsortierter Geschäftspost in den südschwedi-
schen Ballungszentren von Stockholm, Göteborg und
Malmö. Es ist daher nicht überraschend, dass der Markt-
anteil der Schwedischen Post sieben Jahre nach der voll-
ständigen Marktöffnung noch immer rund 95 Prozent be-
trägt. Er unterscheidet sich damit nicht wesentlich vom
Marktanteil der Deutschen Post im deutschen Briefmarkt.
Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass Deutsch-
land als größter und zentral gelegener Mitgliedstaat in-
nerhalb der EU keine Extratouren fahren sollte. Dieser
Einsicht hat sich schließlich auch der Bundesrat nicht ent-
zogen. In seiner Sitzung am 11. Mai hat er außerdem die
Bundesregierung aufgefordert, drei weitere Änderungen
am Postgesetz und eine Änderung an der Postuniversal-
dienstleistungsverordnung einzubringen, die in unmittel-
barem Zusammenhang mit der Exklusivlizenz stehen. Die
Bundesregierung beabsichtigt, dem nachzukommen.
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zur verfas-
sungsrechtlichen Zulässigkeit der Verlängerung der Ex-
klusivlizenz machen. Die Bundesregierung hat diese
Frage, die in der Fachöffentlichkeit kontrovers diskutiert
wird, sehr ernsthaft und sorgfältig geprüft. Nach Art. 14 b
Abs. 2 des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber einen sehr
weiten Ermessensspielraum, die Übergangsfrist zeitlich
festzulegen. Der Verfassungsgeber hat im Grundgesetz ge-
rade keine konkrete Frist vorgegeben, sondern ausdrück-
lich auf die Korrelation zur politischen Willensbildung in-
nerhalb der Europäischen Union hingewiesen. Mit Blick
auf die europäische Postpolitik stehen deshalb der Verlän-
gerung der Exklusivlizenz keine verfassungsrechtlichen
Gründe entgegen. Der vorliegende Gesetzentwurf be-
schränkt sich auf eine reine Verschiebung des Auslaufens
des Briefmonopols – und dies zu einem frühestmöglichen
Zeitpunkt, um den Unternehmen im deutschen Postmarkt
die größtmögliche Planungssicherheit zu geben.
Die europäischen Postmärkte befinden sich ordnungs-
politisch nach wie vor noch nicht in ruhigerem Fahrwas-
ser. Der Kurs heißt „Wettbewerb im europäischen Maß-
stab“. Daher wird die Bundesregierung in Brüssel
weiterhin mit großem Nachdruck auf Entscheidungen zur
Öffnung der europäischen Postmärkte drängen.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung desAntrags: Die Zukunft gehört
der Individuallizenz – Vergütungsregelungen für
private Vervielfältigungen im digitalen Umfeld
(Tagesordnungspunkt 26)
Dirk Manzewski (SPD): Mit ihrem Antrag greift die
F.D.P. ein aktuelles urheberrechtliches Problem auf und
beschäftigt sich mit der Frage nach den Vergütungsrege-
lungen für private Vervielfältigungen im digitalen Um-
feld. Sie verbindet dies gleich mit der Aufforderung an die
Bundesregierung, insoweit deren so genannten 2. Vergü-
tungsbericht zu ergänzen.
Sosehr ich mich einerseits darüber freue, dass die
F.D.P. sich offenbar intensiv mit diesem Thema und dem
Vergütungsbericht der Bundesregierung auseinander
setzt, komme ich andererseits nicht umhin, in diesem Zu-
sammenhang darauf hinzuweisen, dass es der F.D.P., die
sich ja neben meiner Fraktion seit längerem engagiert mit
dem Urheberrecht beschäftigt, in der Vergangenheit in
Regierungsverantwortung selbst nicht gelungen ist, die
damalige Bundesregierung zu solchen Vergütungsberich-
ten zu bewegen. Ich erinnere nur daran, dass bereits mit
der Urheberrechtsnovelle von 1985 eigentlich festgelegt
worden war, alle drei Jahre einen solchen Vergütungsbe-
richt vorzulegen. Lediglich 1989 kam die alte Bundesre-
gierung dem jedoch nach – angesichts der rasanten Ent-
wicklung im Bereich der neuen Technologien für mich ein
grob fahrlässiges Verhalten.
In der Sache selbst stellt die F.D.P. zu Recht fest, dass
dem Urheber für jede Nutzung seiner Werke eine ange-
messene Vergütung zusteht. Dies entspricht genau der
Politik der Bundesregierung, die ja nicht zuletzt auch des-
halb zum Beispiel eine Änderung des Urhebervertragsge-
setzes anstrebt.
Und genau deshalb ist es natürlich nur recht und billig,
auch die neuen Vervielfältigungstechniken und die dazu-
gehörigen Trägermedien im digitalen Bereich – wenn sie
es denn nicht schon sind – in das bestehende Vergütungs-
system einzubeziehen.
Ich möchte jedoch nicht unerwähnt lassen, dass eine
angemessene Vergütung in der Regel durch das geltende
duale Vergütungssystem, das heißt durch die Gerätever-
gütung als Grundvergütung und die Betreibervergütung
als so genannte nutzungsorientierte Vergütung, gewähr-
leistet wird. Da eine Erfassung der veräußerten Geräte
beim Endverbraucher als potenziellem Nutzer der urhe-
berrechtlich geschützten Werke nur mit einem unver-
hältnismäßigen Aufwand erfolgen könnte und analoge
Vervielfältigungen zumindest zurzeit noch nicht kontrol-
lierbar sind, ist die Vergütungspflicht derzeit auch noch
zu Recht den Herstellern und Importeuren auferlegt wor-
den.
Natürlich wäre es sachgerechter, wenn am Ende statt
pauschaler Vergütungen Individuallizenzen stünden. Die
Möglichkeiten hierzu liegen derzeit aber einfach noch
nicht vor. Die so genannten DRM-Systeme sind zwar in
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der Entwicklung, aber eben noch nicht marktreif. Offizi-
ell gibt die eine oder andere größere Firma zwar hin und
wieder an, dass dies bereits in ein bis zwei Jahren der Fall
sein wird. Von Fachleuten wird dies jedoch bezweifelt.
Hier wird insoweit eher ein Zeitraum von vier bis fünf
Jahren für realistisch gehalten – und dies auch nur dann,
wenn es bis dahin gelingt, die DRM-Systeme vor Com-
puterhackern sicher zu schützen.
Eine weitere – aber nicht zu unterschätzende – Unbe-
kannte ist im Übrigen die Kundenakzeptanz. Nur wenn
der Kunde bereit ist, für jede tatsächlich gezogene Nut-
zung auch zu zahlen, wird sich das DRM-System durch-
setzen.
Inwieweit die Höhe der gegenwärtigen Vergütungs-
sätze, die bereits im Jahr 1985 festgesetzt worden und bis
heute unverändert geblieben sind, allerdings noch ange-
messen ist, bedarf dabei einer genauen Überprüfung. Dies
ist von der Bundesregierung im Übrigen auch erkannt
worden, die in ihrem Vergütungsbericht dementsprechend
hierauf hingewiesen hat.
Anders als die F.D.P. halte ich es in diesem Zusam-
menhang aber für dringend notwendig, die Art der Fest-
setzung der Vergütungssätze zu ändern. Bislang kann dies
nur durch ein förmliches Gesetz erfolgen. Das Ergebnis
hiervon ist eine nicht mehr zeitgemäße Starrheit der Ver-
gütungssätze, die der technischen Entwicklung nicht
mehr gerecht wird. Neben einer regelmäßigen Überprü-
fung der Vergütungssätze sollte die Regelung deshalb fle-
xibler gefasst werden. Dies könnte zum Beispiel per Ver-
ordnung erfolgen, wozu dass Urheberrecht dann
zwingend ermächtigen müsste.1)
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Der
Antrag der Freien Demokraten „Die Zukunft gehört der
Individual-Lizenz – Vergütungsregelung für private Ver-
vielfältigungen im digitalen Umfeld“ kann nicht ganz
ohne Widerspruch bleiben. Unbestritten ist, dass urheber-
rechtliche Leistungen von Nachnutzern zu vergüten sind,
weil geistiges Eigentum einen hohen Stellenwert im
Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland hat und
dort, wo es in Europa noch nicht den notwendig aner-
kannten Wert besitzt, erhalten werden muss. Das Urhe-
bergesetz von 1965 mit seinen diversen Ergänzungen hat
in § 2 die geschützten Werke aufgezählt und im Wesentli-
chen dazu gezählt: die Sprachwerke, Werke der Musik,
pantomimische Werke, Werke der Kunst, Lichtbildwerke,
Filmwerke und Darstellungen wissenschaftlicher und
technischer Art. Für die Vergütung wurde und wird auch
in Zukunft sicher unterschieden: die Vervielfältigung zum
privaten eigenen Gebrauch und die Vervielfältigungen
zum gewerblichen Gebrauch.
Auch wenn die Auslegung der §§ 53 f. Urhebergesetz
zu manchem Rechtsstreit Anlass gaben, war die Handha-
bung der Bestimmungen sowohl für die Urheber als auch
für die Nutznießer brauchbar, wenngleich Pauschalierun-
gen nicht zur absoluten Gerechtigkeit für die eine oder an-
dere Seite führen können. Bei aller Technik, die auf uns
zukommt, auch im digitalen System, kann die Nutzung
von urhebergeschützten Werken – sozusagen das „Selbst-
zählen“ – nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Auf-
wand zur Zählung und Berechnung und Überprüfung des
Rechnungseingangs zu einer Verwaltungsaufblähung
führt, die in keinem Verhältnis zum Nutzen und Leistung
stehen.
Wenn die Freien Demokraten in ihrer Begründung
Sorge haben, dass der Anteil der Urhebervergütung bei
pauschalen Belastungen der Hersteller von Vervielfälti-
gungsgeräten eine Gefahr für die Unternehmen darstelle,
so kann ich dies nur bedingt teilen, da bei der Individual-
vergütung der geistige Urheber oder die Organisation, die
für ihn die Lizenzgebühren eintreibt, ein unheimlich auf-
geblähtes Imperium nach sich ziehen würde mit Millio-
nenvergütungen von Vorstandsvorsitzenden, wie wir es
bei der GEMA erleben.
Ziel muss es daher sein, im Rahmen der Behandlung
des Antrages der F.D.P. mit allen Interessenvertretern ge-
meinsame Lösungen zu erarbeiten, die auf der einen Seite
dem Schutz der Urherber dienen, auf der anderen Seite
den Anforderungen einer freien Informationsgesellschaft
standhalten und nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen ITK-Branche nicht beeinträchtigen. Der
Antrag ist so ein bisschen wie früher der Sarottimohr:
„Hier ein Stückchen, da ein Stückchen“, weil auf der ei-
nen Seite die Individuallizenzgebühr als große Zukunfts-
vision aufgezeigt wird, andererseits aber – und das wird
noch lange dauern – die pauschale Vergütungspflicht bei-
behalten werden soll, bis der Einsatz von Digital Rights
Management-Systemen, DRM-Systemen, die lückenlose
Erfassung sicherstellt. Selbst wenn die lückenlose Erfas-
sung möglich ist, habe ich bereits auf die wirtschaftlich
zweifelhafte Verwirklichung der Ansprüche von Urhe-
bern bei Kleinkopierern hingewiesen.
Das gemeinsame Ziel wohl aller Parteien des Deut-
schen Bundestages und der Bundesregierung ist es, dass
der Urheber eine angemessene Vergütung erhält. Insofern
ist die Aufforderung an die Bundesregierung zu geben,
wie die Individualisierung der Berechnungen urheber-
rechtlicher Leistungen gefördert werden kann, richtig. Bis
zu deren Verlässlichkeit muss die Geräteabgabe möglich
sein, wobei Computer, die als Multifunktionsgeräte rela-
tiv wenig mit der Vervielfältigung zu tun haben, außen
vorgelassen werden müssen, während man angemessen
gegebenenfalls so genannte CD-Brenner, Scanner und
Drucker, wie auch von den Freien Demokraten vorge-
schlagen, mit einer gewissen pauschalen Gerätevergütung
belasten kann.
Es ist aber die Frage, ob dies der allein richtige Weg ist.
Der Grundsatz sollte sein, Eigenverantwortung zum Bei-
spiel der Softwarehersteller. Deswegen kann man alterna-
tiv auch über eine Verpflichtung der Hersteller nachden-
ken, indem man eine Kopierschutzverpflichtung erlässt.
Technische Möglichkeiten gibt es dazu. Die Software
könnte mit einer wechselnden Seriennummer versehen
werden, welche beim Aufspielen auf ein Laufwerk nach
dem Zufallsprinzip ausgewählt wird. Das Programm
könnte dann ab dem Aufspielen auf den PC 20 oder
30 Tage genutzt werden. Diese Software könnte durch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17171
(C)
(D)
(A)
(B)
1) Folgetext lag bei Redaktionsschluss nicht vor.
Mitteilung an den Hersteller über den Beginn durch eine
spezielle Codenummer dauerhaft freigeschaltet werden,
um dann Gebühren berechnen zu können. Soweit Pro-
gramme ohne Kopierschutz ausgeliefert werden, könnten
diese mit einer Pauschalabgabe versehen werden. Damit
hätte man das Problem nicht auf die Gerätehersteller ver-
lagert, sondern auf die, die es tatsächlich betrifft. Mindes-
tens prüfen sollte man diese Alternative.
Wichtig – und das sollten wir bei alle dem nicht ver-
gessen – ist, dass Abgaben nicht technologiefeindlich wir-
ken sollen. Zudem ist die Harmonisierung auf europä-
ischer Ebene eine unverzichtbare Voraussetzung für einen
chancengleichen Wettbewerb, da naturgemäß im Ge-
werbe kontrolliert werden kann, ob ein nicht mit Pau-
schalabgaben belastetes Gerät die Grenze passiert oder
nicht. Immerhin sind drei Länder von Abgaben frei
– Großbritannien, Irland und Luxemburg –, acht EU-Län-
der belasten reine Trägermedien und nur vier Länder for-
dern eine Abgabe auf die Geräte. In den Beratungen wer-
den wir hier sicher auch mit den Regierungsparteien
Einigkeit erzielen, damit der Bundestag einheitlich die
Bundesregierung auffordert, entsprechende Gesetze vor-
zulegen.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlungen und
der Berichte zu den Anträgen:
– Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
– Existenzbedrohung des Handwerks unterbin-
den
Christian Lange (Backnang) (SPD): Den Antrag auf
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses über die
Verwendung der Mittel aus dem Eigenkapitalhilfepro-
gramm kann von den Kolleginnen und Kollegen der PDS
eigentlich nicht ernst gemeint sein. Wenn sie die Antwort
der Bundesregierung auf ihre eigene Kleine Anfrage auf-
merksam gelesen hätten, hätten sie unschwer erkennen
können, dass für einen Untersuchungsausschuss kein An-
lass und erst recht kein Bedarf besteht.
Wir alle erinnern uns noch an den spektakulären Hun-
gerstreik der Handwerkerfrauen vor dem Brandenburger
Tor. Die Frauen machten damit in eindrucksvoller Weise
auf ihre Situation aufmerksam. Die Kleinunterneh-
men waren unverschuldet in Not geraten. Anlass waren
existenzbedrohende Liquiditätsengpässe, die durch Zah-
lungsverzug der Kunden, aber auch durch betrügerische
Machenschaften entstanden waren. Das persönliche Schick-
sal der Betroffenen hat uns alle bewegt und ich freue mich
sehr, dass der neu im Bundeshaushalt 2001 eingerichtete
Hilfsfonds hier schnelle Hilfe bieten konnte. Der Hilfs-
fonds über 5 Millionen DM dient speziell der Liquiditäts-
sicherung von Kleinunternehmen und des Handwerks,
wenn diese durch kriminelle Machenschaften anderer in
ihrer Existenz bedroht werden und keine andere Hilfe
mehr erhalten können.
Selbstverständlich führte nicht allein der Streik der
Handwerkerfrauen zur Einsetzung dieses Fonds. Die
Bundesregierung hat zwar eine menschliche Verpflich-
tung gegenüber den unschuldig in Not Geratenen. Aller-
dings greift der Hilfsfonds in sinnvoller Weise gerade die
besonderen strukturellen Schwierigkeiten auf, denen
Kleinbetriebe in absoluten Notlagen ausgesetzt sind. Bis-
lang konnten bereits in elf Fällen die zur Sanierung des
Unternehmens erarbeiteten Konzepte umgesetzt werden.
Unter diesen gelösten Fällen sind auch fünf Fälle, die di-
rekt am Hungerstreik der Handwerkerfrauen im Herbst
letzten Jahres beteiligt waren. Das ist ein guter Erfolg.
Übrigens ist der Hilfsfonds noch nicht einmal zur
Hälfte ausgeschöpft. Für die gelösten elf Fälle wurden
insgesamt 2,25 Millionen DM aus dem Nothilfefonds ein-
gesetzt. Die DtAerwartet, dass die vorhandenen Mittel für
weitere rund 15 Fälle reichen wird. Es gibt allerdings laut
DtA circa 25 Fälle, für die der Fonds infrage käme. Nach
Ausschöpfung der Fondsmittel wird Unternehmen in
Schwierigkeiten auch in Zukunft im Rahmen der „runden
Tische“ – im wesentlichen durch die Finanzierung von
Kurzberatungen – geholfen.
Die Umsetzung des Fonds wurde auf die Deutsche
Ausgleichsbank übertragen, um diesen sinnvoll in ein Ge-
samtförderkonzept einzubinden und vorhandenes Know-
how zu nutzen. Die Abwicklung des Hilfsfonds wird da-
mit effektiv und sicher organisiert.
Ebenso wie die Auszahlung von ERP-Mitteln ist auch
die Abwicklung des Hilfsfonds im Interesse der Kredit-
nehmer an strikte Regularien gebunden. Die Verträge las-
sen der Bank jedenfalls keinerlei Spielraum für Verzöge-
rungen bei der Auszahlung der bewilligten Mittel. Die
KfW und die DtA prüfen bei Hinweisen, aber insbeson-
dere in einem umfänglich angelegten System der Ban-
kenprüfungen, turnusmäßig eine sehr große Zahl der För-
derfälle und kontrollieren bei allen Prüfungen den
fristgemäßen Einsatz und die rechtzeitige Bereitstellung
der Mittel durch die Hausbank an den Kreditnehmer.
Innerhalb der ständigen Bankenprüfungen .wurden
bislang nur wenige Einzelfälle einer verzögerten Weiter-
leitung der abgerufenen ERP-Mittel oder andere Unregel-
mäßigkeiten durch die Hausbank festgestellt. Die Banken
sind in diesen Fällen wegen der Vertragsverletzung ent-
sprechend sanktioniert worden. Den betroffenen Kredit-
nehmern wurden die daraus entstandenen Kosten vergü-
tet. Ansonsten treten bei den Bankenprüfungen insgesamt
meist Beanstandungen rein formaler Art auf, die unmit-
telbar danach beseitigt werden können. Anzeigen gegen
Hausbanken, die im Zusammenhang mit ERP-Mitteln er-
stattet wurden, beschränken sich auf einige wenige
Einzelfälle. Es gibt auch keine weiteren Anzeigen, die
eine größere Tragweite der Unregelmäßigkeiten bei der
Mittelvergabe vermuten lassen könnten. Insofern erübrigt
sich auch ein entsprechender Untersuchungsausschuss.
So gut gemeint der Antrag der F.D.P.-Fraktion auch
sein mag, so sehr kommt er doch zu spät. Die Bundesre-
gierung hat bereits effektive Maßnahmen ergriffen, um
der Existenznot vieler kleiner Handwerksbetriebe, gerade
auch in Ostdeutschland, abzuhelfen. Der Hilfsfonds für
Kleinunternehmer und Handwerker hat sich schon jetzt
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117172
(C)
(D)
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als schnelle und praktische Unterstützung für in Not ge-
ratene Kleinunternehmer und Handwerker erwiesen, um
Insolvenzen wegen Illiquidität ansonsten tragfähiger und
gesunder Unternehmen zu verhindern. Der Hilfsfonds un-
terstützt die Betroffenen nicht nur durch Liquiditätshilfen,
sondern auch durch Coaching und Unternehmensbera-
tung, was für den langfristigen Unternehmenserfolg wich-
tig ist. Der Hilfsfonds deckt darüber hinaus auch notwen-
dige Finanzierungsmaßnahmen der außergerichtlichen
Schuldenbereinigung nach der Insolvenzordnung ab oder
die Übernahme von Garantien und Bürgschaften, gegebe-
nenfalls auch zur Abdeckung einer teilweisen Haftungs-
freistellung.
Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung außerdem
Maßnahmen gegen die schlechter werdende Zahlungs-
moral in Deutschland ergriffen. Große Firmen und der öf-
fentliche Dienst, aber auch Verbraucher gewöhnten sich
immer mehr an, erhaltene Rechnungen nicht zu beachten.
Zusammen mit dem neuen Hilfsfonds haben wir damit ein
effizientes Maßnahmenbündel geschnürt, das ganz beson-
ders die Situation kleiner Unternehmen und Handwerks-
betriebe berücksichtigt und gezielte Unterstützung bietet.
Jelena Hoffmann (Chemnitz) (SPD): Ich halte es für
die gute parlamentarische Pflicht der Abgeordneten, sich
im Plenum zu den wichtigen Fragen der Zeit zu äußern.
Und dieser Pflicht komme ich auch immer wieder sehr
gerne nach. Bei dem Schaufensterantrag, den die Kolle-
gen von der PDS vorgelegt haben, frage ich mich aller-
dings schon, ob es nicht die erste Pflicht der Parlamen-
tarier ist, zwischen Sinn und Unsinn zu unterscheiden.
Dieser Antrag der PDS gehört eindeutig zur Abteilung
Unsinn. Aber jetzt haben Sie Ihren Antrag schon
geschrieben, also muss ich auch etwas dazu sagen.
Sie fordern einen Untersuchungsausschuss, der drei
Punkte untersuchen soll. Punkt 1: Hat die Vergabe von
Fördermitteln im Zeitraum von 1990 bis 1993 irgendet-
was damit zu tun, dass ostdeutsche Mittelständler heute
unverschuldet in die Zahlungsunfähigkeit geraten sind?
Punkt 2: Warum sind damals die im Haushalt vorgesehe-
nen Mittel nicht zu 100 Prozent ausgegeben worden? Und
Punkt 3: Haben sich die Förderbanken, die die Pro-
gramme des Bundes umsetzen, dabei irgendetwas zu-
schulden kommen lassen?
Mir ist nicht klar, wie Sie überhaupt auf diese Gedan-
ken kommen können. Ich erkläre Ihnen auch gerne,
warum Ihre Gedanken grundsätzlich nicht nachvollzieh-
bar sind.
Die Begünstigten der ERP-Kredite sind die Unterneh-
mer und die Gründer. Das wollen wir doch einmal als Ers-
tes festhalten. Und gerade in wirtschaftlich schwierigen
Zeiten wie heute ist die Förderung durch den Bund sinn-
voll und notwendig.
Am Dienstag hat die „FAZ“ berichtet, dass der Haupt-
verband der Bauindustrie seine Prognose vom letzten
Herbst nach unten korrigiert hat. Es wird mit einem Um-
satzrückgang von nun sogar minus 5 Prozent gerechnet.
Im Osten lagen die Auftragseingänge im ersten Quartal
dieses Jahres um dramatische 22,8 Prozent niedriger als
im Vorjahresquartal. Gerade den Handwerkern im Osten
geht es also nicht immer rosig. Aber das liegt doch nicht
an der Förderung, meine sehr verehrten Kollegen.
Die Unternehmer sind die Begünstigten der ERP-Kre-
dite. Sie beantragen und erhalten Kredite, um diese kurz-
fristig einzusetzen. Betonung auf „kurzfristig“. Heute zu
untersuchen, ob vor zehn Jahren Darlehen nicht weiterge-
reicht wurden, ist wenig sinnvoll.
Außerdem: Im Wirtschaftsplan werden die Fördermit-
tel grob einzelnen Programmen zugeordnet. Und die Kre-
ditvergabe erfolgt entsprechend der Nachfrage. Wenn ins-
gesamt weniger Programme ausgereicht werden, ist das
ERP-Sondervermögen der Begünstigte. Ich weiß nicht,
was Sie da wem unterstellen wollen. Es gibt niemanden,
der einen Vorteil davon hätte, die Gelder zurückzuhalten.
Zu Ihrem Punkt 3: Rechtlich gibt es Vertragsbeziehun-
gen zwischen den Unternehmern bzw. Gründern, der
Hausbank und der Förderbank, also der DtAoder der KfW.
Wenn es irgendwelche Unregelmäßigkeiten geben sollte,
können die Unternehmen natürlich klagen. Dazu brauchen
sie nicht zehn Jahre später einen Antrag von der PDS.
Zusätzlich zum Rechtsweg, der jedem Unternehmen
offen steht – diesen juristischen Nachhilfeunterricht brau-
chen Sie ja offensichtlich – prüft die DtA regelmäßig das
Verhalten der Hausbanken in Stichproben und vor Ort.
Drittens wird die DtA selbst wieder vom Rechnungshof
geprüft und auch die Hausbank kann in diese Prüfung ein-
bezogen werden.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Nach allen die-
sen Prüfungen liegen uns keinerlei Verdachtsmomente
über irgendwelche Unregelmäßigkeiten vor. Es gibt keine
Anhaltspunkte, die einen Untersuchungsausschuss recht-
fertigen würden. Aber Sie scheinen diese Verdachtsmo-
mente ja zu kennen, sonst würden Sie ja nicht riskieren,
sich hier mit wilden Vermutungen öffentlich lächerlich zu
machen. Dann lassen Sie uns doch bitte an diesem Ge-
heimwissen teilhaben! Legen Sie uns Ihre Unterlagen
vor! Dann kann man dem nachgehen. Und das muss man
auch.
Oder haben Sie etwa gar keine stichhaltigen Hinweise?
Davon bin ich persönlich überzeugt. Ihr Ziel, das sie mit
Ihrem Schaufensterantrag verfolgen, ist einzig und allein
eine politische Schaumschlägerei übelster Sorte. Aber ich
will kein Spielverderber sein, Sie sollen Ihren Spaß ruhig
haben. Was ich nur richtig schlimm finde, ist, dass Sie mit
der Instanz Untersuchungsausschuss so fahrlässig umge-
hen.
Wir haben zur Zeit einen Untersuchungsausschuss zu
den Parteispenden. Das ist, wie wir alle wissen, ein harter
Brocken. Für solche Fälle ist ein Untersuchungsausschuss
gedacht. Dann ist dieses Instrument sinnvoll und wird,
wie vorgesehen, eingesetzt. Wenn Sie aber nun hergehen
und einen Untersuchungsausschuss zweckentfremden
und mit Fragen ohne jede sachliche Grundlage für Ihre
Schaufensterkämpfe missbrauchen, dann gehen Sie fahr-
lässig mit unseren demokratischen Institutionen um. Das
können wir nicht dulden. Deshalb müssen wir aus sachli-
chen Gründen und im Namen der Demokratie Ihren
absurden Antrag ablehnen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17173
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Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Zunächst möchte
ich zu dem Antrag der PDS auf Einsetzung eines Unter-
suchungsausschusses wie folgt Stellung nehmen: Die
CDU/CSU hält den Antrag für unbegründet, da der hier
geforderte Untersuchungsausschuss nicht notwendig ist,
um eventuelle Unregelmäßigkeiten aufzuklären. Eine sol-
che Kontrolle kann auch über den Haushaltsausschuss er-
folgen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
Zu dem Antrag der F.D.P. und der Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses möchte ich Folgendes sagen: Das
Handwerk und viele Betriebe, insbesondere in den neuen
Bundesländern, sind stark unter Druck geraten durch die
schlechte Zahlungsmoral der Auftraggeber, auch durch
die kommunalen und staatlichen Stellen. Darüber hinaus
kommen die Handwerksbetriebe auch deshalb unver-
schuldet in Zahlungsschwierigkeiten, weil bei der Ab-
wicklung der Aufträge die vorgegebenen Zeiträume der
Rechnungskontrolle nicht eingehalten werden. Die Ver-
schleppungstaktik der Behörden ist nicht mehr zu über-
bieten.
Die Kommunen vernachlässigen in den meisten Fällen
die Kontrollpflichten, um die Zahlungen an die Betriebe
und Unternehmen zu verlangsamen.
Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, einen
Bericht vorzulegen, der einen detaillierten Überblick über
die aus dem Hilfsfonds für in wirtschaftliche Not geratene
Handwerker geleisteten Zahlungen gibt. Denn nur durch
einen solchen Bericht können konkret Verschleppungs-
methoden sichtbar gemacht werden.
Dies ist aber nur ein Grund der Schwierigkeiten für die
Handwerksbetriebe in den neuen Bundesländern. Die
Bundesregierung hat 1998 vollmundig erklärt, dass die
Hilfe für die neuen Bundesländer in noch stärkerem Maße
erfolgen werde als dies die Vorgängerregierung schon ge-
tan hatte. Heute, nach zweieinhalb Jahren Regierungszeit,
ist festzustellen, das dies alles nichts als Versprechen im
luftleeren Raum waren. Wie schon so oft ist aus dem
wahltaktischen Versprechen nichts geworden.
Auch die Ankündigung des Bundeskanzlers, die Pro-
bleme der neuen Bundesländer zur Chefsache zu machen,
hat keine Abhilfe geschaffen, sondern die Betriebe sind
im Gegenteil mit immer größeren Problemen behaftet
und kämpfen um ihre Existenz. Die Bundesregierung hat
die Investitionsmöglichkeiten durch Mittelkürzungen
und Änderungen der Rahmenbedingungen für die Be-
triebe verschlechtert. Sie hat durch ihre schlechte Politik
einer durch die Wiedervereinigung aufstrebenden Wirt-
schaft in den neuen Bundesländern und dem dadurch neu
entstandenen Mittelstand immer neue Bremsen angelegt.
Die Belastungen für die Betriebe wurden erhöht, die
Ökosteuer und andere gesetzliche Maßnahmen führen zu
immer weniger Investitionen. Die Diskussion um die Ge-
setze zur Änderung der Mitbestimmung und die neuen
Teilzeitverpflichtungen sind weitere Hemmnisse auf dem
Weg zur wirtschaftlichen Gesundung. Konnte die rot-
grüne Regierung 1999 noch einen Aufwärtstrend vermel-
den, so war dies begründet auf einer soliden und guten
Mittelstandpolitik von CDU und F.D.P. in den vorange-
gangenen Jahren.
Nach nunmehr zweieinhalb Jahren rot-grüner Politik
bleibt festzustellen, dass alle wirtschaftspolitischen Pro-
gramme und Gesetze für den inländischen Markt zu kei-
nem sichtbaren Erfolg geführt haben. Im Gegenteil: Die
wirtschaftliche Situation, in der sich heute die Betriebe
des Mittelstands und des Handwerks befinden, ist kata-
strophal. Bereits geplante und genehmigte Neuinvestitio-
nen werden zurückgestellt, Bauplanungen nicht mehr vor-
genommen und der wirtschaftliche Abschwung für
jedermann erkennbar.
Die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung,
Frau Wolf, hat sich am Mittwoch dieser Woche vor dem
Zentralverband des Deutschen Handwerks beschwert, die
Konjunktur werde von den Unternehmen und Verbänden
kaputtgeredet. Hierzu kann ich nur sagen: Investitionen
werden nur getätigt, wenn Aussicht auf wirtschaftlichen
Erfolg besteht und wenn das Vertrauen in die Politik vor-
handen ist. Neue Arbeitsplätze entstehen nur, wenn auch
Arbeit vorhanden ist.
Wenn aber gesetzliche Bestimmungen so gestaltet wer-
den, dass Betriebe keine Überlebenschance sehen, dann
muss man sich nicht wundern, dass die Wirtschaft vor
immer größere Probleme gestellt wird. Ich stelle fest, dass
uns die Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregie-
rung nicht nur in Europa an die letzte Stelle gebracht hat,
sondern auch, dass sie in Zukunft mit den ständigen di-
rekten und indirekten Mehrbelastungen für die Betriebe
die mittelständische Wirtschaft in Deutschland ruinieren
wird. Ich bedaure außerordentlich, hier solche Feststel-
lungen machen zu müssen. Die Bedrohung des Mittel-
standes und damit die Bedrohung der Existenz der
Betriebe ist nicht hinnehmbar. Ich fordere die Bundesre-
gierung und die Bundesländer auf, Lösungen vorzulegen
und im Sinne des Antrags auf der Basis der Erfolge der 16
Jahre unserer Regierungszeit die Existenz der mittelstän-
dischen Betriebe zu sichern.
Es gibt viele Aufgaben und viele Möglichkeiten, den
Betrieben ohne Subventionen zu helfen, indem man den
Mittelstand nicht erst 2005 entlastet, indem man kos-
tenintensive Gesetze gegen die Unternehmen unterlässt
und indem man den Betrieben das Vertrauen wieder gibt,
das sie in den letzten zehn Jahren nach der Wiederverei-
nigung in die Koalition der CDU und F.D.P. gehabt haben.
Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf.
Deshalb ist schnelles Handeln geboten, und ich hoffe,
dass alle vernünftigen Parlamentarier, Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, mithelfen, die Wirtschaft insgesamt
in Deutschland wieder in eine positive Richtung zu brin-
gen.
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Wir beraten heute über die Einsetzung eines
parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der nach
Auffassung der PDS-Fraktion die Verwendung von Bun-
desmitteln aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm und von
ERP-Fördermitteln Anfang der 90er-Jahre untersuchen
soll. Auch den Koalitionsfraktionen ist seit langem klar:
Die steigende Zahl von lnsolvenzverfahren bei klein- und
mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundeslän-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117174
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dern stellt ein ernst zu nehmendes Problem dar und macht
es notwendig, unverschuldet in finanzielle Schwierigkei-
ten geratene Unternehmen zu unterstützen. Der Bundes-
tag hat deshalb schon im vergangenen Jahr das Gesetz
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen verabschiedet,
um die Durchsetzbarkeit von Forderungen zu verbessern.
Außerdem hat der Haushaltsausschuss des Bundestages
letztes Jahr beschlossen, bereits für das laufende Haus-
haltsjahr 2001 einen Hilfsfonds mit einem Volumen von
5 Millionen DM aufzulegen. Der Fonds bezweckt die Li-
quiditätssicherung von Kleinunternehmen, die durch kri-
minelle Machenschaften Dritter unschuldig in Not gera-
ten und in ihrer Existenz bedroht sind. Er greift ein, wenn
die Betroffenen nicht auf anderem gesetzlichen Wege
Hilfe erlangen können. Hintergrund war der Hunger-
streik von Handwerkerfrauen vor dem Brandenburger
Tor im Herbst 2000. Die Frauen hatten für die Erhaltung
der Betriebe ihrer Männer demonstriert, die wegen For-
derungsausfalls von Insolvenz betroffen oder bedroht
waren. Staatsminister Bury hatte den Frauen zugesichert,
im Einzelfall Rettungskonzepte für die Betriebe auszuar-
beiten und die Anwendbarkeit staatlicher Förderpro-
gramme zu prüfen. Durch diese Hilfsmaßnahmen konn-
ten fünf der Betriebe gerettet werden. Sie sehen also, die
Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben die
Notlage ostdeutscher Unternehmen erkannt und ange-
messen reagiert.
Im Gegensatz dazu ist die Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses der Situation nicht angemessen und
trägt auch nicht zur Verbesserung der wirtschaftlichen
Lage der Betriebe bei. Die gewährten Kredite sollten von
Unternehmensgründern und Unternehmen kurzfristig ein-
gesetzt werden können. Zu untersuchen, ob die Kredit-
vergabe Anfang der 90er-Jahre in jedem Einzelfall ord-
nungsgemäß abgewickelt worden ist, hilft den Betrieben
heute nicht weiter. Konkrete Verdachtsmomente dafür,
dass Hausbanken ERP-Kredite und Fördermittel des Bun-
des bei der Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wie-
deraufbau zwar beantragt, aber nicht an die Darlehens-
nehmer weitergeleitet, sondern anderweitig verwendet
haben, liegen außerdem nicht vor. Ein solcher Anfangs-
verdacht ergibt sich weder aus den jährlichen Prüfungen
der Kreditanstalt für Wiederaufbau noch aus den Berich-
ten des Bundesrechnungshofes. Eine Überprüfung durch
die Bundesebene scheitert auch daran, dass die Kreditan-
träge der Unternehmen in den Bundesländern gestellt
wurden.
Zum Schluss weise ich darauf hin, dass das Grundge-
setz die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses als
Kontrollinstrument für besonders schwerwiegende Ver-
fehlungen der Exekutive vorsieht. Sinn und Zweck eines
Untersuchungsausschusses kann es aber nicht sein, ledig-
lich vermutete Unregelmäßigkeiten auf dem privaten
Bankensektor aufzudecken, für die auch der ordentliche
Rechtsweg gegeben ist. Außerdem gibt es auch im parla-
mentarischen Bereich im Rahmen des ERP-Unteraus-
schusses ausreichend Gelegenheit, bestehende Bedenken
zu erörtern. Die Notwendigkeit, zu diesem Thema einen
parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten,
sehe ich nicht.
Jürgen Türk (F.D.P.): Die Handwerkerinnen, die
Ende vergangenen Jahres vor dem Brandenburger Tor in
Hungerstreik traten, haben unübersehbar die Not deutlich
gemacht, in der sich das Handwerk, insbesondere im Bau-
bereich, aufgrund schlechter Zahlungsmoral befindet.
Dies hat mich veranlasst, von der Bundesregierung in ei-
nem Antrag Härtefallhilfen für unverschuldet in Not ge-
ratene Betriebe zu fordern.
Nun hat sich zwar Rot-Grün in den Ausschüssen für die
Ablehnung dieses Antrags ausgesprochen, andererseits
aber inzwischen genau das gemacht, was unsere Fraktion
vorgeschlagen hat, nämlich in den Bundeshaushalt 2001
einen Hilfsfonds für durch kriminelle Machenschaften in
wirtschaftliche Not geratene Handwerker und Kleinunter-
nehmer eingestellt. Sie würden sich daher selbst ad ab-
surdum führen, wenn Sie heute gegen meinen Antrag
stimmen.
Ich bin mir dessen bewusst, dass ein Hilfsfonds die
Nöte der Handwerker nur lindern, aber nicht wirklich
überwinden kann. Denn die Ursachen des Übels werden
dadurch nicht beseitigt. Diese liegen darin, dass offenbar
nach wie vor die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Wir haben im März 2000 ein Gesetz zur Beschleuni-
gung fälliger Zahlungen beschlossen. Das neue Gesetz ist
mittlerweile ein Jahr alt, alt genug also, um eine erste Bi-
lanz zu ziehen. Diese ist uns die Bundesregierung aber
bislang trotz mehrfacher Anmahnung schuldig geblie-
ben. Ich bitte dringlich darum, dies schleunigst nachzu-
holen.
Gespräche, die ich mit verschiedenen Praktikern, unter
anderem der Handwerkskammer Cottbus, führte, lassen
klar erkennen, dass das Gesetz die mit seiner Einführung
verbundenen Erwartungen nicht erfüllt hat. Nachbesse-
rungen sind also dringend geboten. Das ist eine Aufgabe,
derer wir uns so schnell wie möglich annehmen müssen.
Bestandteil des Problems ist auch die in meinem An-
trag angesprochene Dauer von Gerichts- und Voll-
streckungsverfahren. Wir haben gefordert, die Verfahren
deutlich zu verkürzen. Davon ist nichts zu spüren.
Im Jahr 1999 haben beispielsweise in Thüringen 75 Pro-
zent der mittelständischen Betriebe gerichtliche Mahnver-
fahren und 58 Prozent Klageverfahren angestrengt. Es wa-
ren und sind in Ostdeutschland also außerordentlich viele
Betriebe in Gerichtsverfahren involviert.
Die Erfolgsquote der Verfahren betrug im Durchschnitt
39 Prozent. Aber – das ist aus meiner Sicht ein Skandal –
die 39 Prozent, die Recht bekommen haben, mussten
7,2 Monate bei Mahnverfahren und 13,2 Monate bei Kla-
geverfahren auf ihr Recht warten.
Man muss sich nicht wundern, wenn ein Betrieb, der so
lange braucht, um einen vollstreckbaren Titel zu erlangen,
zwischenzeitlich endgültig in die Knie geht. Das ist
schlicht nicht hinnehmbar. Es schadet dem Rechtsemp-
finden der Bürger ebenso wie der Wirtschaft.
Deshalb hat auch die in dem Antrag erhobene Forde-
rung an die Bundesregierung und die Länder, Vorschläge
vorzulegen, die zur Abkürzung von Gerichtsverfahren
führen, nichts von ihrer Aktualität verloren.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17175
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 14
Amtliche Mitteilungen
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Pala-
mentarischen Versammlung des Europarates
über die
– Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Eu-
roparates vom 20. bis 24. September 1999 in Straßburg
– Debatte der Erweiterten Parlamentarischen Ver-
sammlung über die Aktivitäten derOECD am 22. Sep-
tember 1999
– Drucksachen 14/4233, 14/5112 Nr. 2 –
Rechtsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit
der Besetzungsreduktion bei den großen Strafkammern
und Jugendkammern
– Drucksachen 14/2777, 14/3143 –
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Aus-
länderfragen über die Lage derAusländer in der Bundes-
republik Deutschland
– Drucksache 14/2674 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht derBundesregierung über die Ergebnisse derVer-
handlungen mit dem Europäischen Parlament über die
Wasserrahmenrichtlinie
– Drucksachen 14/5305, 14/5499 Nr. 3 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
12. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik für
den Zeitraum 1. Januar 1996 bis 31. Mai 2000
– Drucksachen 14/4675, 14/4992 Nr. 2 –
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
60. Bericht der Bundesregierung über die Integration der
Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union
(Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 1999)
– Drucksache 14/3434 (neu) –
Ausschuss für Kultur und Medien
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
4. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur-
politik 1999
– Drucksache 14/4312 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 14/3341 Nr. 2.20
Innenausschuss
Drucksache 14/5503 Nr. 2.23
Drucksache 14/5730 Nr. 2.16
Finanzausschuss
Drucksache 14/5503 Nr. 2.6
Drucksache 14/5610 Nr. 2.47
Drucksache 14/5610 Nr. 2.49
Drucksache 14/5610 Nr. 2.51
Drucksache 14/5730 Nr. 2.27
Ausschuss fürWirtschaft und
Technologie
Drucksache 14/5610 Nr. 1.2
Drucksache 14/5610 Nr. 1.6
Drucksache 14/5610 Nr. 1.12
Drucksache 14/5610 Nr. 2.11
Drucksache 14/5610 Nr. 2.12
Drucksache 14/5610 Nr. 2.13
Drucksache 14/5610 Nr. 2.21
Drucksache 14/5610 Nr. 2.22
Drucksache 14/5610 Nr. 2.24
Drucksache 14/5610 Nr. 2.25
Drucksache 14/5610 Nr. 2.33
Drucksache 14/5610 Nr. 2.34
Drucksache 14/5610 Nr. 2.38
Drucksache 14/5610 Nr. 2.46
Drucksache 14/5730 Nr. 2.20
Drucksache 14/5730 Nr. 2.26
Drucksache 14/5730 Nr. 2.41
Drucksache 14/5730 Nr. 2.42
Drucksache 14/5730 Nr. 2.43
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/5503 Nr. 2.13
Drucksache 14/5610 Nr. 2.7
Drucksache 14/5610 Nr. 2.8
Drucksache 14/5610 Nr. 2.18
Drucksache 14/5610 Nr. 2.19
Drucksache 14/5610 Nr. 2.39
Drucksache 14/5610 Nr. 2.44
Drucksache 14/5610 Nr. 2.45
Drucksache 14/5610 Nr. 2.54
Drucksache 14/5730 Nr. 2.1
Drucksache 14/5730 Nr. 2.19
Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 14/272 Nr. 157
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
Drucksache 14/5114 Nr. 1.4
Drucksache 14/5114 Nr. 2.3
Drucksache 14/5172 Nr. 2.96
Drucksache 14/5503 Nr. 2.15
Drucksache 14/5503 Nr. 2.16
Drucksache 14/5503 Nr. 2.17
Drucksache 14/5503 Nr. 2.18
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 200117176
(C)
(D)
(A)
(B)
Drucksache 14/5503 Nr. 2.19
Drucksache 14/5503 Nr. 2.20
Drucksache 14/5503 Nr. 2.21
Drucksache 14/5610 Nr. 2.3
Drucksache 14/5610 Nr. 2.4
Drucksache 14/5610 Nr. 2.5
Drucksache 14/5610 Nr. 2.26
Drucksache 14/5610 Nr. 2.27
Drucksache 14/5610 Nr. 2.28
Drucksache 14/5836 Nr. 2.4
Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/5730 Nr. 2.2
Drucksache 14/5730 Nr. 2.3
Drucksache 14/5730 Nr. 2.4
Drucksache 14/5730 Nr. 2.5
Drucksache 14/5730 Nr. 2.6
Drucksache 14/5730 Nr. 2.7
Drucksache 14/5730 Nr. 2.8
Drucksache 14/5730 Nr. 2.9
Drucksache 14/5730 Nr. 2.10
Drucksache 14/5730 Nr. 2.11
Drucksache 14/5730 Nr. 2.13
Drucksache 14/5730 Nr. 2.38
Drucksache 14/5730 Nr. 2.39
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksache 14/4441 Nr. 1.1
Drucksache 14/5363 Nr. 2.6
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Juni 2001 17177
(C)(A)
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin