Protokoll:
14171

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 171

  • date_rangeDatum: 18. Mai 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:21 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Zusatztagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung des Schuldrechts (Drucksache 14/6040) . . . . . . . . . . . . . . . 16719 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16719 B Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16721 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16723 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16725 C Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 16727 C Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16728 B Dr. Andreas Birkmann, Minister (Thüringen) 16730 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16732 A Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Reck- linghausen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: EU-Richt- linienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren überarbeiten (Drucksache 14/5759) . . . . . . . . . . . . . 16734 A b) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Reckling- hausen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: EU-Richtlini- envorschlag zurGewährung vorüber- gehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms überarbeiten (Drucksache 14/5754) . . . . . . . . . . . . . 16734 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: EU-Richtlinienvor- schlag zu Mindeststandards in Asylver- fahren ist ein wichtiger Schritt für einen wirksamen Flüchtlingsschutz in Europa (Drucksache 14/6050) . . . . . . . . . . . . . . . 16734 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16734 C Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 16735 D Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16738 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16739 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16740 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16742 A Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . 16742 D Rüdiger Veit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16744 D Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16745 A Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Jella Teuchner, Matthias Weisheit, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Plenarprotokoll 14/171 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 171. Sitzung Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 I n h a l t : Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Vorsorgende Verbraucher- politik gestalten und stärken (Drucksache 14/6067) . . . . . . . . . . . . . 16746 C b) Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Verbraucherschutz auf nationaler und EU-Ebene fortentwickeln (Drucksache 14/6039) . . . . . . . . . . . . . 16746 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Acht Maß- nahmen für eine umfassende und eigen- ständige Verbraucherpolitik (Drucksache 14/6053) . . . . . . . . . . . . . . . 16747 A Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 16747 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 16748 D Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16750 B Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16751 D Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 16753 A Ilse Janz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16754 A Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16755 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16757 A Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 16758 C Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16759 A Heinz Schmitt (Berg) SPD . . . . . . . . . . . . . . 16760 B Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Günter Nooke, Ulrich Adam, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Be- reinigung von SED-Unrecht (Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz) (Drucksachen 14/3665, 14/6064, 14/6065) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16761 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Frak- tion der PDS: Erleichterte und erwei- terte Rehabilitierung und Entschädi- gung für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR (Drucksachen 14/2928, 14/6062) . . . . 16761 D Barbara Wittig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16762 A Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16763 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16765 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 16766 B Jürgen Türk F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16767 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16768 A Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16768 D Rolf Schwanitz, Staatsminister BK . . . . . . . . 16769 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16770 C Tagesordnungspunkt 18: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz) (Drucksache 14/5640, 14/6063, 14/6073) 16771 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Nolte, Manfred Grund, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Einheitliches Ver- sorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Regelung von An- sprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversor- gung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR – zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Anerkennung von renten- rechtlichen Zeiten von Selbststän- digen und deren mithelfenden Fa- milienangehörigen in Land- und Forstwirtschaft und im Hand- werk der DDR – zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Anerkennung der Renten- versicherungszeiten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfänge- rinnen und Sonderpflegegeldemp- fängern der DDR (Drucksachen 14/2522, 14/2729, 14/4038, 14/4041, 14/6063) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16771 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001II Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16772 A Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 16772 B Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16774 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16776 A Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . 16776 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16777 C Tagesordnungspunkt 21: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung (Drucksachen 14/5941, 14/6019 Nr. 2.2, 14/6072) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16779 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Novellie- rung der Verpackungsverordnung und Flexibilisierung der Mehrweg- quote (Drucksachen 14/3814, 14/5301) . . . . 16779 B Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16779 C Werner Wittlich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 16782 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 16784 A Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 16785 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 16786 C Tagesordnungspunkt 19 Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Für eine wirk- same und vernunftgeleitete Chemikalien- gesetzgebung (Drucksache 14/5761) . . . . . . . . . . . . . . . 16787 C Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines register- gestützten Zensus (Zensusvorbereitungs- gesetz) (Drucksachen 14/5736, 14/6068, 14/6069) 16787 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16788 A Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Absicherung der verfassten Stu- dierendenschaft (Drucksache 14/5760) . . . . . . . . . . . . . . . 16788 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16788 D Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hin- terbliebenenrentenrechts (Drucksache 14/6043) . . . . . . . . . . . . . . . 16789 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenensiche- rung zurücknehmen (Drucksache 14/6042) . . . . . . . . . . . . . . . 16789 D Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Eindämmung illegaler Betäti- gung im Baugewerbe (Drucksachen 14/4658, 14/6071) . . . . . . . 16790 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16790 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 16791 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des An- spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG- Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 18 a) . . . . . . . . . . . . . . . 16792 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 III Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG- Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) (Tagesord- nungspunkt 18 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16792 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verpackungs- verordnung (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . 16793 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bernhard Brinkmann (Hildesheim), René Röspel, Willi Brase, Heino Wiese (Hannover) und Andrea Nahles (alle SPD) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verpackungs- ordnung (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . . . 16794 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine wirksame und vernunftgelei- tete Chemikaliengesetzgebung (Tagesordnungs- punkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16794 D Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 16794 D Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 16795 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16796 D Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 16797 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 16798 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung ei- nes registergestützten Zensus (Zensusvorberei- tungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . 16798 D Barbara Wittig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16798 D Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 16799 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16800 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . 16800 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 16801 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft (Zusatztages- ordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16802 B Dr. Peter Eckardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16802 B Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 16803 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16804 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16805 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse- rung des Hinterbliebenenrentenrechts – des Antrags: Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenenversicherung zurück- nehmen (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatztagesord- nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16805 C Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16805 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 16807 A Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16808 B Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . 16809 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . . . . 16809 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung ille- galer Betätigung im Baugewerbe (Tagesord- nungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16810 A Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 16810 A Elke Wülfing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 16810 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16811 D Carl-Ludwig Thiele F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 16812 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 16813 A Anlage 11 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16813 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 Custode 16790 (C) (D) (A) (B) 2) Anlage 101) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16791 (C) (D) (A) (B) Albowitz, Ina F.D.P. 18.05.2001 Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 18.05.2001 Sabine Dr. Blank, CDU/CSU 18.05.2001 Joseph-Theodor Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 18.05.2001 Bodewig, Kurt SPD 18.05.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 18.05.2001 Brüderle, Rainer F.D.P. 18.05.2001 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 18.05.2001 Bulmahn, Edelgard SPD 18.05.2001 Carstens (Emstek), CDU/CSU 18.05.2001 Manfred Catenhusen, SPD 18.05.2001 Wolf-Michael Ehlert, Heidemarie PDS 18.05.2001 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 18.05.2001 DIE GRÜNEN Elser, Marga SPD 18.05.2001 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 18.05.2001 Erler, Gernot SPD 18.05.2001 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 18.05.2001 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 18.05.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 18.05.2001 Peter Goldmann, F.D.P. 18.05.2001 Hans-Michael Gröhe, Hermann CDU/CSU 18.05.2001 Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 18.05.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 18.05.2001 DIE GRÜNEN Hoffmann (Chemnitz), SPD 18.05.2001* Jelena Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 18.05.2001 Klappert, Marianne SPD 18.05.2001 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 18.05.2001 Dr. Küster, Uwe SPD 18.05.2001 Lamers, Karl CDU/CSU 18.05.2001 von Larcher, Detlev SPD 18.05.2001 Leidinger, Robert SPD 18.05.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 18.05.2001 Lennartz, Klaus SPD 18.05.2001 Leutheusser- F.D.P. 18.05.2001 Schnarrenberger, Sabine Link (Diepholz), CDU/CSU 18.05.2001 Walter Lippmann, Heidi PDS 18.05.2001 Lörcher, Christa SPD 18.05.2001* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 18.05.2001 Erich Mogg, Ursula SPD 18.05.2001 Ost, Friedhelm CDU/CSU 18.05.2001 Ostertag, Adolf SPD 18.05.2001 Pieper, Cornelia F.D.P. 18.05.2001 Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 18.05.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 18.05.2001 Scharping, Rudolf SPD 18.05.2001 Dr. Scheer, Hermann SPD 18.05.2001 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 18.05.2001 Christian Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 18.05.2001 Hans Peter Schöler, Walter SPD 18.05.2001 Freiherr von CDU/CSU 18.05.2001 Schorlemer, Reinhard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 18.05.2001 Schultz (Everswinkel), SPD 18.05.2001 Reinhard Schütz (Oldenburg), SPD 18.05.2001 Dietmar Sebastian, CDU/CSU 18.05.2001 Wilhelm-Josef entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 18.05.2001 Sigrid Dr. Spielmann, Margrit SPD 18.05.2001 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 18.05.2001 Steinbach, Erika CDU/CSU 18.05.2001 Dr. Freiherr von CDU/CSU 18.05.2001 Stetten, Wolfgang Störr-Ritter, Dorothea CDU/CSU 18.05.2001 Wieczorek-Zeul, SPD 18.05.2001 Heidemarie Wiesehügel, Klaus SPD 18.05.2001 Wissmann, Matthias CDU/CSU 18.05.2001 Wistuba, Engelbert SPD 18.05.2001 Wohlleben, Verena SPD 18.05.2001 Zapf, Uta SPD 18.05.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 18.05.2001** Zöller, Wolfgang CDU/CSU 18.05.2001 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergän- zung des Anspruchs- und Anwartschaftsüber- führungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 18 a) Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich an den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundes- sozialgerichts und berücksichtigt nicht die besonderen Ansprüche, die aus der strukturellen Gestaltung der Al- tersversorgung der DDR heraus einem großen Teil der Bevölkerung der neuen Bundesländer zustehen. Dies betrifft mithelfende Familienangehörige in der Land- und Forstwirtschaft, Beschäftigte der Deutschen Post und der Reichsbahn der DDR wie auch Behinderte und Angehörige bestimmter Berufsgruppen – Gesund- heitswesen der DDR – ebenso wie alle in die willkürlich festgelegte Kategorie „staatsnah“-eingestuften Bürger. Letztere sind meist Angehörige der Intelligenz der DDR wie Theaterregisseure, Filmemacher, Direktoren, Ärzte, Musiker etc. Unserer Verantwortung als Abgeordnete haben wir für die Bürger in Ost und West gleichermaßen gerecht zu wer- den. An uns liegt es, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, sondern sie zu korrigieren. Die heute zur Abstimmung stehende abschließende Regelung der Rentenansprüche der Bürger der neuen Bundesländer trägt diesem Anspruch nicht ausreichend Rechnung; siehe oben genannte Beispiele. Aus diesem Grund lehne ich diesen Gesetzesentwurf ab. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) zurAbstimmung über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des An- spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 18 a) Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Än- derungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG) werden die Reste po- litisch motivierter Entgeltbegrenzungen – in der Öffent- lichkeit kurz „Rentenstrafrecht“ genannt – leider nicht beseitigt. Vielmehr wird nur eine halbherzige Korrektur bisher geltender Regelungen vorgenommen. Ich halte es für falsch, die Gesetzesnovellierung nur auf die Umsetzung dessen zu beschränken, was sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf diesem Gebiet unmittelbar zwingend ergibt, aber die dem Gesetzgeber gegebenen Möglichkeiten für Verbesserun- gen, die aus staatspolitischer Weitsicht im Interesse unse- res Landes geboten sind, nicht wahrzunehmen. Gerade darauf kommt es aber an, um den Menschen in Deutschland den hohen Wert des Rechtsstaates zu ver- deutlichen, der wegen der Wertneutralität des Renten- rechts die bestehenden Ungleichbehandlungen nicht zulässt. Meine Kritikpunkte beziehen sich auf folgende Rege- lungen, die mit der heutigen Novellierung des Renten- rechts hätten beseitigt werden sollen: Regelung in § 6 AAÜG in der Fassung des Renten- überleitungs-Ergänzungsgesetzes für den Personenkreis, der aufgrund der Wahrnehmung politischer Verantwor- tung oder Mitverantwortung in der DDR ein besonders hohes Einkommen hatte, bei der es auch nach der Geset- zesnovellierung bleiben soll. Diese Regelung wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung selbst als „nicht unproblematisch“ bezeichnet, „da sich das Bun- desverfassungsgericht bislang zwar nicht ausdrücklich mit dieser Frage befasst hat, aber bereits Verfahren an- hängig sind, die offensichtlich lediglich wegen der Akti- vitäten des Gesetzgebers zum Ruhen gebracht wurden“. Mit einer solchen Verfahrensweise wird aus meiner Sicht der Vorwurf in der Öffentlichkeit genährt, dass politische Verantwortung von Legislative und Exekutive auf das Bundesverfassungsgericht abgeschoben wird. Beibehaltung der generellen Entgeltbegrenzung bei den Renten für ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, das heißt lediglich Anhe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116792 (C) (D) (A) (B) bung der Begrenzung von jetzt 70 Prozent des DDR-Ein- kommensdurchschnitts auf 100 Prozent des DDR-Ein- kommensdurchschnitts. Ich habe mich, wie auch andere Mitglieder des Deut- schen Bundestages, stets und insbesondere gegenüber den Wählerinnen und Wählern in meinem Wahlkreis gegen jegliche Ungleichbehandlung im Rentenrecht ausgespro- chen und für den Fall meiner Wiederwahl 1998 meinen aktiven Einsatz in diesem Sinne zugesagt. Zu diesem Wort stehe ich und werde gegen die heute zur Abstim- mung stehende Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgeset- zes trotz der darin enthaltenen Verbesserungen – zum Bei- spiel für die ehemaligen Mitarbeiter von Reichsbahn und Post in der DDR – stimmen, da ich die Beibehaltung der dargestellten Entgeltbegrenzungen nicht mittragen kann. Dabei ist mir bewusst, dass diese meine Auffassung nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Öffentlichkeit – insbesondere bei den Opfern des SED-Regimes, für de- ren berechtigte Interessen ich mich immer eingesetzt habe – stoßen wird. Trotzdem halte ich eine Instrumenta- lisierung des Rentenrechts zur Auseinandersetzung mit SED-Unrecht und dem DDR-Staat wegen des begrenzten Erfolgs anderer Formen der Auseinandersetzung bzw. Aufarbeitung prinzipiell für falsch und warne davor, die politische Wertneutralität des Rentenrechts, die ein tragen- der Grundsatz des Rechts der Bundesrepublik Deutsch- land ist, weiter zu verletzen. Meine Auffassung wird auch dadurch bestärkt, dass im Zuge der Novellierung des AAÜG Rentenkappungen für Funktionäre der SED und der Blockparteien – bis auf die bereits erwähnte Gruppe, die aufgrund ihrer politischen Verantwortung oder Mitverantwortung in der DDR ein besonders hohes Einkommen hatte – aufgehoben wurden. Somit realisieren frühere Funktionäre des SED-Partei- und Staatsapparates, die nach dem Staatsverständnis der DDR auch gegenüber dem MfS die „führende Rolle“ aus- übten, ihre vollen Rentenansprüche, abgesehen von der allgemeinen 1.8-Entgeltpunktebegrenzung. Dazu kommt, dass die bestehenden und von mir kriti- sierten Rentenkappungen in keiner Weise bei höheren und hohen Funktionsträgern des NS-Staates und seinen „Son- dergliederungen“ vorgenommen wurden, sondern Versor- gungsansprüche von Personen, die am 8. Mai 1945 im öf- fentlichen Dienst standen, nach meiner Kenntnis – gemäß der Intention des Art. 131 GG – gleichwertig übergeleitet wurden. Die bestehenden kollektiven rentenrechtlichen Kap- pungen für Dienstverhältnisse während der DDR-Zeit ohne Prüfung der individuellen Anspruchsverwirkung er- scheinen im Übrigen nicht nachvollziehbar, wenn man die Dienst- und Rechtsverstöße von Verantwortungsträgern aus Politik und öffentlicher Verwaltung der Bundesrepu- blik Deutschland – nicht nur in der jüngsten Zeit – in Be- tracht zieht, die keinerlei Auswirkungen auf bereits er- worbene versorgungsrechtliche Anwartschaften hatten. Besonders bedaure ich, dass es nicht gelungen ist, eine Mehrheit dafür zu finden, eine Änderung des Regie- rungsentwurfs zum 2. AAÜG-Änderungsgesetz im Sinne von Vorschlägen aus dem Kreis der Betroffenen vorzu- nehmen. Diese hatten bekanntlich als Kompromiss vor- geschlagen, zusätzlich zum Durchschnitt (1.0-Entgelt- punkte) lediglich die Hälfte des darüber hinausgehenden Gehalts bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenbe- rechnung zugrunde zu legen. Aus allen diesen Gründen werde ich gegen das 2. AAÜG-Änderungsgesetz stimmen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/ CSU) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesordnungspunkt 21 a) Der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Verpackungs- verordnung werde ich zustimmen. Begründung: Die unter der CDU/CSU-geführten Bun- desregierung erlassene Verpackungsverordnung vom 21. August 1998 (Bundesgesetzblatt I Seite 2379) sieht – wie bereits die Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 (Bundesgesetzblatt I Seite 1234) – einen besonderen Schutz für ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackun- gen, also regelmäßig Mehrwegverpackungen, vor. Als In- strument dient eine Pfandpflicht für Einweg-Getränke- verpackungen, die im Falle des Unterschreitens eine Mehrwegmindestquote von bundesweit 72 Prozent in den Getränkebereichen greift, bei denen der Anteil von Mehr- wegverpackungen des Jahres 1991 unterschritten ist. Nachdem in den letzten Jahren eine starke Beschleuni- gung des Abwärtstrends des Anteils der umweltfreundli- chen Mehrwegverpackungen festzustellen war, wäre nach geltendem Recht noch im Jahre 2001 eine Pfandpflicht in den Bereichen Bier und Mineralwasser einzuführen. Mit der vom Bundeskabinett am 2. Mai 2001 be- schlossenen Zweiten Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung soll nunmehr ab 1. Januar 2002 ein Pflichtpfand in Höhe von mindestens 0,25 Euro für alle Getränkeverpackungen gelten, die keine ökologisch vor- teilhaften Verpackungen sind; ab einem Füllvolumen von mehr als 1,5 Liter beträgt dieses Pfand mindestens 0,50 Euro. Ausgenommen sind die Getränkebereiche Wein, Sekt und Spirituosen. Die vorgeschlagene Novellierung der Verpackungsver- ordnung trägt dem Ziel, ökologisch vorteilhafte Geträn- keverpackungen zu stabilisieren und zu fördern, um damit Abfall zu vermeiden und Ressourcen zu schonen, Rech- nung und führt zu einer Vereinfachung der bisherigen Rechtslage. Sowohl wissenschaftliche Untersuchungen als auch Erfahrungen im Ausland belegen, dass eine Pfand- pflicht für Einweg-Getränkeverpackungen Lenkungswir- kung pro Mehrweg entfaltet. Mit der Neuregelung wird das Abstellen auf die Unterschreitung einer Mehrweg- mindestquote von 72 Prozent entbehrlich. Auch werden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16793 (C) (D) (A) (B) alle Getränkebereiche, für die die Pfandpflicht gilt, gleich behandelt, während nach der geltenden Rechtslage zum gegenwärtigen Zeitpunkt beispielsweise Bierdosen mit 50 Pfennig Pfand belegt werden würden, wohingegen dies für Erfrischungsgetränke wie Coca-Cola aber nicht der Fall wäre. Der Schutz der Abfall vermeidenden und umwelt- freundlichen Getränkemehrwegsysteme hat besonders für den Freistaat Bayern Bedeutung. Bayern hat neben Ba- den-Württemberg bundesweit die höchsten Mehrwegquo- ten und zeichnet sich durch eine funktionierende mittel- ständische Getränkewirtschaft aus. Dies gilt vor allem für die Brauwirtschaft, da 667 von insgesamt noch 1 270 deut- schen Brauereien in Bayern beheimat sind. Gerade mein Bundeswahlkreis Bayreuth zeichnet sich durch eine hohe Dichte kleiner und mittelständischer Brauereien aus. Ge- meinsam mit der Stadt und dem Landkreis Bayreuth ha- ben diese Brauereien eine vorbildliche Aktion „Let’s go Mehrweg“ ins Leben gerufen, die in der Bevölkerung großen Zuspruch gefunden hat. Brauereien, Getränkeabfüller sowie Getränkefach- großhandel und Getränkeeinzelhandel befürworten das Pflichtpfand auf ökologisch nachteilige Getränkever- packungen und haben im Vertrauen auf die seit 1991 gel- tende Verpackungsverordnung alleine in Bayern Hunderte von Millionen DM in das Getränkemehrwegsystem inves- tiert. Die Kosten für den Aufbau eines Einweg-Rücknah- mesystems für Hersteller und Vertreiber sind vertretbar, wobei sich Erlöse für das in die Verwertung eingebrachte Sekundärmaterial, das darüber hinaus zu einer sortenrei- nen Erfassung führt, kostenreduzierend auswirken. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bernhard Brinkmann (Hil- desheim), René Röspel, Willi Brase, Heino Wiese (Hannover) und Andrea Nahles (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Zweite Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung (Tagesordnungspunkt 21 a) Wir stimmen der Änderung der Verpackungsverord- nung zu, obwohl wir in einigen Bereichen grundsätzliche umweltpolitische Bedenken haben, die wir nachfolgend noch einmal deutlich benennen möchten. Die Ver- packungsverordnung von 1991 und die Novellierung von 1998 sehen bei Unterschreiten einer Mehrwegquote die Einführung eines Pfandes für Getränkeeinwegverpackun- gen vor. Ohne hier auf die einzelnen Unzulänglichkeiten der alten Verpackungsverordnung einzugehen, möchten wir feststellen, dass für uns eine Abgabe auf Einwegver- packungen die deutlich bessere Lösung darstellen würde. Trotz intensiver Verhandlungen ist es der Bundesregie- rung nicht gelungen, die Wirtschaftsverbände von der Vorteilhaftigkeit einer Abgabe zu überzeugen. Der BDI hat im Sommer des Jahres 2000 grundsätzliche ordnungs- politische Bedenken geäußert. Daher wurde dieses Ziel nicht mehr weiter verfolgt. Ob die jetzt vom Bundestag zu verabschiedende Ver- packungsverordnung wirklich die ökologischen Auswir- kungen hat und zu einem Anstieg oder auch nur zu einer Stabilisierung der Mehrwegquote führt, halten wir für fraglich. Jedenfalls lassen die Erfahrungen aus Schweden einen solchen Schluss nicht zwingend zu. Allerdings sind die vorliegenden alternativen Überle- gungen aus den Bundesländern und den Oppositionsfrak- tionen nicht weiterführend, sondern würden einen um- weltpolitischen Offenbarungseid bedeuten. Im Kern zielen sie auf ein Moratorium, was zu einer weiteren Ab- senkung der Mehrwegquote führen würde, die nach neu- esten Erhebungen im Frühjahr des Jahres 2001 nur noch bei 66 Prozent liegt. Eine wirksame Erhöhung der Mehrwegquote kann nur dann erreicht werden, wenn die Getränke in ökologisch nachteiligen Einwegverpackungen deutlich verteuert werden und somit auch durch Quersubventionierungen kein Preisvorteil mehr erzielt werden kann. Statt einer Abgabe hätte man hier auch an eine Verteuerung der Li- zenzentgelte denken können, die den Verteuerungseffekt gebracht hätten. Auch hierfür gab es leider keine Mehr- heiten. Wir stimmen somit der zweitbesten Lösung zu, da die anderen zur Abstimmung stehenden Alternativkonzepte ökologisch und ökonomisch keinen Sinn machen. Insbe- sondere muss neben den umweltpolitischen Vorstellungen auch wirtschaftspolitisch vernünftig gehandelt werden. Hierbei geht es uns insbesondere um die Sicherung der mittelständischen Brauereien und Mineralwasserbrun- nen, die angesichts der Einwegflut erhebliche wirtschaft- liche Probleme bekommen. Die Aufrechterhaltung mittel- ständischer Strukturen in allen Wirtschaftsbereichen ist ein wichtiger Baustein einer nachhaltigen Politik. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine wirksame und vernunftgeleitete Chemikaliengesetzgebung (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Carola Reimann (SPD): Zum zweiten Mal inner- halb von zwei Sitzungswochen steht heute die Chemiepo- litik auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages. Daran können die Bürgerinnen und Bürger ablesen, dass wir uns mit diesem Thema auseinander setzen. Und daran lässt sich ablesen, dass wir uns derzeit intensiv mit diesem Themenbereich beschäftigen. Thema heute ist das vorliegende Weißbuch zur Che- mikalienpolitik. Bislang besteht die unbefriedigende Si- tuation, dass Stoffe, die seit 1981 auf den Markt kommen, einem Zulassungsverfahren unterliegen, in dem die Ge- fährdung für Mensch und Umwelt beurteilt wird. Alle Stoffe, die jedoch vor 1981 bereits auf dem Markt waren – und das ist die Mehrzahl aller verwendeten Chemika- lien –, sind niemals einer systematischen Bewertung hin- sichtlich ihrer Gefährlichkeit für Umwelt und Gesundheit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116794 (C) (D) (A) (B) von Verbrauchern und Verbraucherinnen unterzogen wor- den. Derzeit gibt es nur einzelne Regelungen zu einzelnen Stoffen und Zubereitungen. Das ist der Grund, weshalb wir uns letzte Woche mit den kurzkettigen Chlorparaffi- nen auseinander setzen mussten. Aber es fehlt eine um- fassende Regelung; sonst sitzen wir hier Woche für Wo- che, um für jeden Stoff die Diskussion von vorne zu beginnen. Einen Vorgeschmack boten die kurzkettigen Chlorparaffine – die Kette der zu behandelnden Stoffe ist dagegen lang. Die gegenwärtige Chemikalienpolitik der EU ist dabei durch enorme Datenlücken, Bewertungs- rückstände und Managementdefizite bei den Altstoffen gekennzeichnet. Das vorliegende Weißbuch sieht jetzt eine einheitliche, systematische Beurteilung aller Chemikalien vor – nicht nur der Neustoffe, sondern auch der Altstoffe. Dies möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen. Eine nachhaltige, verbraucherschutzorientierte Chemikalien- politik braucht eine systematische, seriöse Datengrund- lage. Herz des Weißbuches für eine zukünftige Chemikali- enpolitik ist ein Verfahren zur Registrierung, Evaluierung und Zulassung von Chemikalien, kurz REACh genannt. Auch diesen Vorschlag des Weißbuches möchte ich aus- drücklich begrüßen. Die darin von der Kommission vor- gelegte Strategie ist ein richtiger, ein positiver Schritt hin zu einem zukunftsorientierten und in sich schlüssigen Ri- sikomanagement. Das vorgeschlagene REACh-System bietet eine realistische Perspektive zur Beseitigung der enormen Datenlücken und Bewertungsrückstände. Das System basiert auf Kooperation der Behörden und der In- dustrie, die ich ausdrücklich begrüße. Dennoch bedarf es weiterer Konkretisierungen; wich- tige Detailfragen für die Umsetzung sind noch zu klären. Dabei berücksichtigen die Kollegen der F.D.P. mit den von ihnen aufgeführten Punkten nur einzelne Bereiche. Konkretisierungen im Sinne des Umwelt- und Verbrau- cherschutzes kommen da zu kurz. Lassen sie mich exem- plarisch drei nennen. Wir müssen auch Stoffe in Produkten berücksichtigen. Wer einen gefährlichen Stoff in einem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union herstellt und verarbeitet, darf nicht anderen Bestimmungen unterliegen als jemand, der ein Produkt einführt, das denselben gefährlichen Stoff verarbeitet enthält. Das benachteiligt die Produzenten in- nerhalb der Europäischen Union gegenüber den Impor- teuren. Das benachteiligt die chemische Industrie in Deutschland und bietet keinen wirksamen Schutz von Umwelt und Gesundheit vor gefährlichen Stoffen. Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen wir eine Kennzeichnungspflicht. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden kön- nen, welche Inhaltsstoffe sie mit ihrem Kauf unterstützen. Die Beweislast für die Unschädlichkeit eines Produk- tes wird in Zukunft bei den Unternehmen liegen, die diese Stoffe herstellen oder importieren. Bei der Erhebung der Daten in Kooperation mit der Industrie müssen wir den zügigen Informationstransfer sicherstellen. Das bedeutet auch, dass wir Sanktionen brauchen, wenn Fristen nicht eingehalten werden. Sie sehen selbst: Der Antrag, den wir heute diskutieren, ist in vielen Punkten unvollständig. Aber ich freue mich besonders, dass Sie sich positiv auf die Bundesregierung beziehen, wenn Sie ganz im Sinne der Antwort der Bun- desregierung auf Ihre kleine Anfrage das weitere Handeln fordern. Übereinstimmungen bestehen hier im Hause ge- nug. Ich hoffe, dass wir über unsere unterschiedlichen An- sichten konstruktiv streiten und uns auseinander setzen können. Unsere Ziele in der Chemiepolitik sind eindeutig: Wir wollen den Schutz des Menschen und der Umwelt errei- chen und wir wollen den für uns wichtigen Bereich der chemischen Industrie international wettbewerbsfähig er- halten. Wir wollen die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Produkte, die sie benutzen, aufklären und Ge- fahrstoffe aus dem Verkehr ziehen. Um diese Ziele zu er- reichen, ist das vorliegende Weißbuch ein Schritt in die richtige Richtung. Die von mir genannten Punkte wollen wir in der Dis- kussion ergänzen und dann gemeinsam politische Lösun- gen auf EU-Ebene erreichen, die den Menschen sowie der Umwelt nützen und mit der die chemische Industrie ar- beiten kann. Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): Das Chemikalienrecht ist stoff- und produktbezogen und wird deshalb weitge- hend von der Europäischen Union gesetzt und ausgestal- tet. Es ist in viele Einzelrichtlinien aufgesplittert und ist inzwischen überkompliziert, unübersichtlich und im Voll- zug unnötig bürokratisch und ineffizient geworden. Die EU-Altstoff-Verordnung von 1993 ist gründlich fehlge- schlagen. Wir begrüßen deshalb, dass die Europäische Union die systematische Reform und grundlegende Modernisierung des Chemikalienrechts in Angriff genommen hat. Die Kommission hat dazu ein Weißbuch mit Eckpunkten vor- gelegt, das bis Mitte dieses Jahres im Europäischen Par- lament und vom Ministerrat beraten wird. Danach wird die Kommission einen Gesetzentwurf, vermutlich in Form eines Richtlinienentwurfs, vorlegen. Es ist also jetzt der richtige Zeitpunkt, um aus deutscher Sicht im Inte- resse des Chemiestandorts Deutschland Stellung zu neh- men. Es ist das Verdienst der F.P.D.-Fraktion, mit ihrer Initiative dazu Gelegenheit zu geben. Die im Weißbuch für eine zukünftige Chemikalienpo- litik enthaltenen Zielsetzungen werden von uns ganz überwiegend gutgeheißen, insbesondere auch das einheit- liche Konzept für neue und alte Stoffe. Bei der Lektüre des Weißbuches hat man allerdings den Eindruck, als müsse der Prozess der Risikobewertung von Altstoffen erst noch beginnen. In staatlicher Regie gemäß der EU- Altstoff-Verordnung sind in der Tat erst ganz wenige der über 100 000 Chemikalien, die schon vor September 1981 auf dem Markt waren, abschließend untersucht worden. In Deutschland hat sich die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie bereits seit dem Jahr 1977 mit der Prüfung von Altstoffen befasst und für nunmehr 224 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16795 (C) (D) (A) (B) Stoffe toxikologische Bewertungen ausgearbeitet. Wir be- grüßen ausdrücklich, dass die Kommission in Anlehnung an das deutsche Verfahren vorschlägt, die systematische Überprüfung der etwa 1 000 in Deutschland produzierten Großstoffe in die Hauptverantwortung der Industrie zu le- gen. Wir merken aber kritisch an, dass es an einem einfa- chen und transparenten Schutz der Eigentumsrechte an Daten und Risikobewertungen der Hersteller, Weiterver- arbeiter und Anwender gegenüber ihren Wettbewerbern noch fehlt. Die Kommission will den Verbrauchern Zugang zu In- formationen über Chemikalien geben, damit sie selbst entscheiden können, welche Chemikalien sie benutzen wollen. In der jüngsten Ergänzungslieferung der Berufs- genossenschaft finden wir Untersuchungsergebnisse für 17 Stoffe wie zum Beispiel Chlornitrobenzole, Triisobu- tylphosphat, Vinylethylether oder Carbamidsäurebutyles- ter. Wir finden Angaben unter anderem über akute und subakute, chronische und subchronische Toxizitäten, Gen-, Neuro- und Reproduktionstoxizitäten, Toxikokine- tik und Metabolismus, parenterale und dermale Applika- tionen und ich bezweifle, ob der normale Verbraucher ir- gendetwas Vernünftiges damit anfangen kann. Man hat Umfragen gemacht und Mütter befragt, ob sie ihren Kindern Nahrungsmittel anbieten würden, die Dihy- drogenoxid enthalten. Dieses Ansinnen wurde entrüstet zurückgewiesen. Nur wenige erkannten, dass es sich da- bei um H2O, also um Wasser handelt. Auch die Europäische Kommission wird dem informa- tionsbedürftigen Verbraucher nicht helfen können, wenn sie nicht gemeinsam getragene Arbeitsregelungen und Konventionen für allgemein verständliche Bewertungen für die Öffentlichkeit vorschlägt. Wir fordern sie dazu auf. Wir begrüßen im Weißbuch die Zielsetzung, unnötige Tierversuche zu vermeiden. Wir kritisieren, dass ein sehr starres bürokratisches, zeitaufwendiges Zulassungsver- fahren für Chemikalien vorgesehen ist. Dazu gibt es in- novationsfreundliche, effizientere Alternativen. In Japan und den USA werden risikoabhängige Testsysteme ver- wendet, bei denen die jeweils anfallenden Testergebnisse dazu benutzt werden, über weitere Prüfanforderungen zu entscheiden. Dadurch werden risikoreichere Substanzen genauer analysiert, bei risikoärmeren Stoffen aber kann der Testbedarf reduziert werden. Bei der Masse der risi- koarmen Chemikalien können Zeit und Kosten gespart werden. Auch für kritische Verwendungen von Substanzen mit bestimmten, besorgniserregenden Eigenschaften können die Entscheidungen über erforderliche Schutzmaßnah- men, Verwendungsbeschränkungen und -verbote effizien- ter und schneller getroffen werden, als dies im vorgesehe- nen so genannten REACh-System möglich ist. Für persistente organische, krebserregende, frucht- und erb- gutschädigende Stoffe hat der Verband der Chemischen Industrie ein praktikables Entscheidungsverfahren vorge- schlagen, das es zumindest verdient, sorgfältig geprüft zu werden. Die Kommission betont im Weißbuch, dass das Vor- sorgeprinzip die Grundlage der chemikalienpolitischen Neuausrichtung ist. Sie hat sich in einer Mitteilung vom vergangenen Jahr ausführlich zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips geäußert. Dort heißt es, dass die Ent- scheidungsträger ständig mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert sind, die Freiheiten und Rechte von Einzel- personen, Unternehmen und Verbänden einerseits und die Notwendigkeit einer Verringerung der Gefahr negativer Folgen für Umwelt und Gesundheit andererseits abzuwä- gen. Alles, was im Vorsorgebereich getan wird, muss ver- hältnismäßig sein, also daraufhin geprüft werden, welche Kosten und welcher Nutzen damit verbunden sind. Eine nachhaltige Chemiepolitik umfasst entsprechend dem Dreisäulenkonzept neben den ökologischen auch ökono- mische und soziale Aspekte. Das Weißbuch ist aber sehr einseitig und beachtet den bereits erreichten hohen Stan- dard des Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzes nicht. Neben der Erhaltung dieses hohen Schutzniveaus müssen aber auch die Standortinteressen der Betriebe und der Millionen Arbeitnehmer der chemischen Indu- strie und der von ihr abhängigen Branchen nachdrück- lich verteidigt werden. Der Ministerrat hat in seinen Schlussfolgerungen zur EU-Chemikalienpolitik vom 24. Juni 1999 nicht nur gefordert, die chemikalienpoliti- schen Rechtsakte effizient, integriert und leicht durch- führbar auszugestalten, sondern auch die Kohärenz mit anderen Rechtsbereichen herzustellen. Davon ist bisher nichts zu sehen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich bei den derzeit laufenden Beratungen nach Kräften für ein in sich schlüssiges und ausgewogenes Ge- samtkonzept des neuen Chemikalienrechts einsetzt. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Titel des F.D.P.-Antrags gibt einem ja wahrlich zu denken: „Für eine wirksame und vernunftgeleitete Che- mikaliengesetzgebung“. Der sagt ja schon viel über den Charakter des Antrags und die Denkweise der F.D.P. aus. Wer würde schon für eine unwirksame und unvernünftige Chemiepolitik sein? Da stellt sich einem doch sofort die Frage: Ja, welche Vernunft meint die F.D.P. denn? Meint sie die Vernunft der 16 Jahre Kohl-Regierung, in der das chemische Dreigestirn Hoechst, BASF und Bayer mit F.D.P.-Hilfe bis in das Chemikalien- und Gefahrstoffrecht hineinregierte? Dann halte ich es mit Mephisto: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“. Oder meinen Sie die neue Vernunft der ökologischen Modernisierung der Chemie- politik – die neue Vernunft des Weißbuchs und damit auch unsere Vernunft der nachhaltigen Entwicklung? Diese lautet: Risikominimierung und Vorsorge vor Schäden durch gefährliche Chemikalien, Beseitigung der Informationsdefizite über Chemikalien – besonders über die so genannten Altstoffe – als Voraussetzung für einen wirkungsvollen Schutz, und Beweislastumkehr der che- mischen Industrie, so wie sie im neuen EU-Weißbuch zur Chemikalienpolitik als Produktverantwortung angelegt ist – und das alles in einem straffen Zeitplan und unter strenger behördlicher Überwachung, so wie es das Weiß- buch vorsieht. Man sollte nicht – wie die F.D.P. an einigen Stellen ih- res Antrags – so tun, als sei das Weißbuch in seiner jetzi- gen Fassung das Ende der chemischen Produktion in Deutschland. Die ganzseitigen Anzeigen des deutschen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116796 (C) (D) (A) (B) Chemieverbandes erwecken jedoch diesen Eindruck. Der von der F.D.P. besonders hervorgehobene Mittelstand der Recyclingwirtschaft jedenfalls – die Reyclingbranche wird im Antrag explizit genannt – begrüßte ausdrücklich das Weißbuch. Summa summarum: Der Antrag der F.D.P. bedeutet keine „konstruktive“ Stellungnahme zum Weißbuch, wie diese von der Bundesregierung gefordert wird. Er ist nicht nur inhaltsleer, schlimmer noch, er strotzt vor Phrasen. Sehen wir einmal auf das Vokabular und die Zumutung, die die F.D.P. dem Leser oder Zuhörer damit abverlangt: Die Bundesregierung soll vernunftgeleitet, rational, ein- fach und praktikabel, verantwortungsvoll, intensiv be- gleitend und beeinflussend, dabei aber nicht unangemes- sen und keinesfalls sachlich nicht begründbar, flexibel, qualifiziert und konstruktiv, angemessen, ausgewogen, aber wirksam die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft wie überhaupt der ge- samten Industrie, insbesondere der kleinen und mittel- ständischen Unternehmer und nicht ohne Beachtung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung handeln und dafür das Steuerungsinstrument der freiwilligen Selbstverpflich- tung nutzen. Alle Achtung vor so viel erschöpfender Leer- formel-Rhetorik! Um mit einem bedeutenden Automobil- hersteller zu sprechen: „Wir haben verstanden!“ Wir haben verstanden, dass die F.D.P. Chemiepolitik noch im- mer vor allem ausschließlich marktwirtschaftlich betrach- tet und Arbeits-, Umwelt-, Verbraucher- und Gesund- heitsschutz als eher zweitrangig außer Acht lässt. Unsere Vorstellungen einer vorsorgeorientierten, einer „wirksa- men und vernunftgeleiteten Chemiekaliengesetzgebung“ werden wir Ihnen gern in der nächsten Sitzungswoche präsentieren. Birgit Homburger (F.D.P.): Mit ihrem Weißbuch hat die EU-Kommission die Weichen für einen neuen Rah- men der Chemikalienpolitik in Deutschland und in ganz Europa gestellt. Die Vorschläge für ein gemeinschaftli- ches Vorgehen im Bereich der Chemikalienpolitik werden weitreichende Folgen für die gesamte Industrie sowie für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland und Europa haben. Die Konsequenzen müssen aus ökologischer und ge- sundheitspolitischer sowie aus ökonomischer Sicht sorg- fältig geprüft werden. Wichtigstes Ziel der Chemikalien- politik ist es, für Mensch und Umwelt die Sicherheit im Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten. Wir nehmen dieses Ziel ernst: Als erste Fraktion im Deutschen Bun- destag legt die F.D.P. mit ihrem Antrag eine konkrete Be- ratungsgrundlage für den künftigen Rahmen der Chemi- kalienpolitik in Deutschland und auf europäischer Ebene vor. Der F.D.P. geht es um eine wirksame und vernunft- geleitete Chemikaliengesetzgebung. Die F.D.P. unter- stützt das Ziel einer systematischen Überprüfung alter und neuer Stoffe nach einem einheitlichen Konzept mit klaren Fristsetzungen. Die Neuausrichtung der Chemika- lienpolitik muss dafür genutzt werden, ein widerspruchs- freies, transparentes und praktikables System zu schaffen. Die Bundesregierung darf dabei auch die wirtschaftlichen Folgen für den Chemiestandort Deutschland nicht aus dem Blick verlieren. Umweltminister Trittin trägt hier be- sondere Verantwortung. Bei der Chemikaliensicherheit müssen alle Beteiligten mit verantwortlichem Handeln angemessen in die Pflicht genommen werden. Der Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen muss gewährleistet sein, ohne die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft unnötig zu beeinträchtigen. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der F.D.P. hat die Bun- desregierung die bedeutenden Beiträge der deutschen Chemiewirtschaft im Sinne von Selbstverpflichtungen und freiwilligen Kooperationsleistungen ausdrücklich ge- würdigt. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, die- sen Worten auch Taten folgen zu lassen. Gewährleistet werden muss eine sichere Anwendung gefährlicher Stoffe. Problematisch ist jedoch eine be- stimmte Grundlinie des Weißbuchs. Das mit Chemikalien verbundene Risiko soll demnach vor allem aus den Ei- genschaften bestimmter Stoffe abgeleitet werden. Ent- scheidend für eine Risikobewertung ist neben diesen Ei- genschaften aber vor allem die Art der Anwendung von Chemikalien. Gefahren entstehen nämlich erst durch die Anwendung: Ein Abflussreiniger ist nicht giftig und ge- fährlich, weil er Natronlauge enthält oder freisetzt, son- dern beispielsweise wenn man ihn verschluckt. Auch eine noch so sorgfältige und vorsorgliche Stoffbewertung kann Risiken also nicht völlig ausschließen. Eine allein stoffbezogene Risikobewertung wird der Sache nicht gerecht und kann bürokratische und kosten- trächtige Folgen haben, ohne dass damit ein gesundheits- oder umweltpolitischer Nutzen verbunden wäre. Der Ak- zent im Weißbuch ist also falsch gesetzt. Entscheidend für Umwelt und Gesundheit sind die konkreten Verarbei- tungsbedingungen sowie die Anwendungen und sich da- raus ergebende Expositionsszenarien. Die Verantwortung für Chemikalien im Sinne eines vernünftigen Sicher- heitsmanagements liegt damit in erster Linie bei den Her- stellern, Weiterverarbeitern und Anwendern. Dabei darf nicht vergessen werden, dass in Deutschland jetzt bereits strenge Vorschriften für den umsichtigen Gebrauch von Chemikalien gelten. Diese Standards müssen verpflich- tend sein und bleiben; daran lässt die F.D.P. keinen Zwei- fel. Insbesondere für kleinere Unternehmen sind die im Weißbuch vorgesehenen Regelungen nicht praxistaug- lich. Ökologisch sinnlose Anforderungen bei der Regis- trierung und Bewertung von Stoffen dürfen nicht dazu führen, dass die Existenz und Wettbewerbsfähigkeit klei- ner und mittelständischer Unternehmen gefährdet wird. Wichtig ist dabei auch die Sicherung von Eigentumsrech- ten an Stoffdaten. Das für bestimmte Stoffgruppen vor- gesehene Zulassungsverfahren ist in der im Weißbuch vorgeschlagenen Form jedenfalls zu bürokratisch; es wirkt entscheidungsverzögernd und innovationshem- mend, ohne dass für Umwelt und Gesundheit etwas Sinn- volles erreicht würde. Das geplante Zulassungsverfahren bedeutet massive, ökologisch und gesundheitspolitisch nicht gerechtfer- tigte Wettbewerbsnachteile für die deutsche chemische Industrie und den Mittelstand. Erforderlich sind faire Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16797 (C) (D) (A) (B) Bestimmungen auch für importierte Erzeugnisse, die im Nicht-EU-Ausland mit ungeprüften und nicht registrier- ten – und somit billigeren – Chemikalien hergestellt wer- den. Ansonsten drohen Wettbewerbsnachteile für die in Europa produzierten Chemikalien und Produktionsverla- gerungen ins außereuropäische Ausland. Wenn überzoge- ner Dirigismus zu Standortverlagerungen führt, fügt dies dem Gesundheits- und dem Umweltschutz letztlich Scha- den zu. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, unverzüg- lich konkrete Vorschläge für eine wirksame und vernunft- geleitete Chemikaliengesetzgebung in Deutschland und Europa vorzulegen. Es geht um wichtige Entscheidungen. Der erforderliche Schutz für Mensch und Umwelt beim Umgang mit Chemikalien muss gewährleistet werden. Dies ist jedoch auch mit weniger bürokratischen und teu- ren Verfahren möglich. Die Bundesregierung muss recht- zeitig, engagiert und kompetent handeln. Umweltminister Trittin ist in der Pflicht. Er muss seiner besonderen Ver- antwortung für den Chemiestandort Deutschland gerecht werden. Eva Bulling-Schröter (PDS): Wenn nächste Woche in Stockholm die Zeichnungskonferenz zu der völker- rechtlich bindenden POP-Konvention zu einigen der schlimmsten Giftstoffe („Dreckiges Dutzend“) statt- findet, dann kann man sicherlich einerseits von einem Meilenstein der globalen Chemiepolitik sprechen. Doch andererseits werden damit Stoffe weltweit verbannt, de- ren Gefährlichkeit schon seit Jahrzehnten bekannt war, die daher schon in den Industriestaaten verboten oder mit scharfen Grenzwerten versehen waren. Das Gros der gefährlichen Chemikalien bleibt jedoch vorerst ohne Regelung und die Chemieindustrie sorgt dafür, dass ihre Zahl nicht gerade abnimmt. Von daher er- warten wir, dass die Bundesregierung die wesentlichen Komponenten für die Erweiterung der Konvention schon jetzt zu nutzen beginnt. Die erfreulicherweise gelungene Implementation des Vorsorgeprinzips gerade bei der Neu- aufnahme von Stoffen sowie die entfallende Ratifizie- rungsnotwendigkeit gebietet dies geradezu. Beispielhaft möchten wir nur das Pentachlorphenol nennen, das auch heute noch Haupteintragspfad für die unter die Konvention fallenden polychlorierten Dioxine und Furane ist, ein Pfad, der endlich verstopft werden muss. Es sei auch noch das teuflische Herbizid Paraquat genannt, von dem man seit kurzem weiß, dass es Parkin- son-typische Hirnschäden auslösen kann. Auf dem nationalen Parkett könnte die Bundesregierung wegweisende Schritte hin zu einer modernen Chemiepoli- tik einleiten. Die von der Bundesregierung geforderte Agrarwende wäre – würde sie denn jemals kommen unter dieser Regierung – im Kern auch eine kleine Chemie- wende. Denn viele Bauern hängen doch am Tropf der Che- mie. Weniger Chemie in der Landwirtschaft müsste also schnellstens das Motto dieser Bundesregierung sein. Auch in einem speziellen Bereich könnte die Bundes- regierung Modernität und konsequente Vorsorge walten lassen. Es ist ein Skandal, wenn von einem Stoff wie dem 3,4-Benzpyren die Gefährlichkeit bestens bekannt ist, wenn er bei der beruflichen Exposition strengsten Be- schränkungen unterworfen ist und wenn dann die Bun- desregierung für den privaten Bereich eine Übertragung dieser strengsten Beschränkungen ablehnt – so geschehen im Fall der mit 3,4-Benzpyren und anderen Giftstoffen verseuchten Wohnungen aus der Hinterlassenschaft der alliierten Streitkräfte. Die von der Bundesregierung her- ausgegebenen so genannten PAK-Hinweise dokumentie- ren somit, dass es ihr gar nicht um die Herstellung beden- ken- und gefahrloser Wohnverhältnisse geht, sondern allein um eine kostensparende Vorgehensweise. Wir for- dern die Bundesregierung auf, auch in diesen Fällen eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips zu prakti- zieren oder durchzusetzen. Alles andere wäre eine Verlet- zung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit. Was die EU-Chemikalienpolitik Deutschlands angeht, so stimmt bedenklich: Vor zwei Wochen hat Kanzler Schröder vor der Industrie verkündet, die Umsetzung des Ckemikalien-Weißbuches der EU-Kommission würde „zur Vertreibung der Chemieindustrie aus Europa führen“. Doch dieses Weißbuch will für die Zulassung be- sonders gefährlicher Stoffe die Beweislast dafür umkeh- ren, dass mit den betreffenden Produkten sicher umge- gangen werden kann. Die Hersteller sollen hier in die Pflicht genommen werden, nicht mehr die Behörden. Was, so frage ich den Kanzler, soll daran schlecht sein? Wollen die Deutschen in Brüssel wieder mal den VCI-Vertreter geben? In dieser Richtung liest sich letztlich auch der Antrag der F.D.P., den wir darum auch ablehnen werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus (Zensusvorbereitungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 22) Barbara Wittig (SPD): Volkszählungen liefern wich- tige und unverzichtbare Daten über die Bevölkerung, die Erwerbstätigkeit oder die Wohnsituation. Mit einer Volks- zählung wird unter anderem die amtliche Einwohnerzahl festgestellt. Diese ist die maßgebliche Bemessungsgrund- lage für den Finanzausgleich zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen. Darüber hinaus werden diese Daten für die Mittelausstattung der Strukturfonds der Europäischen Union benötigt. Der derzeit gültige Fi- nanzrahmen umfasst die Jahre 2000 bis 2006. Auch für die Einteilung der Wahlkreise sind aktuelle und verlässli- che Zahlen unabdingbar. In den alten Bundesländern fand die letzte Volkszäh- lung im Jahre 1987 statt. In den neuen Bundesländern wurde 1995 nur eine Gebäude- und Wohnraumzählung durchgeführt. Wünschenswert wäre es, etwa alle zehn Jahre einen Zensus durchzuführen, damit für Bund, Län- der und Gemeinden aktuelle Grundinformationen bereit- gestellt werden können, die wiederum die Basis für die Bevölkerungsfortschreibung darstellen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116798 (C) (D) (A) (B) Da sowohl Fortschreibungs- als auch Stichproben- ergebnisse mit der Zeit zunehmend ungenauer werden, wird es höchste Zeit, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland unseren nächsten Zensus durchführen. Eine primärstatistische Vollerhebung mit Befragungen aller Einwohner nach dem Vorbild der Volkszählung 1987 ist sowohl aus Kostengründen als auch aus Gründen der Ak- zeptanz bei der Bevölkerung problematisch. Auch die alte Bundesregierung sah dies bereits so. Dazu muss man wis- sen, dass ein Zensus der herkömmlichen Art Kosten in Höhe von circa 2 Milliarden DM verursachen würde. Deshalb wurde eine Arbeitsgruppe mit Statistikexper- ten aus Bund und Ländern eingesetzt, die alternativ zur herkömmlichen Zählung brauchbare Konzepte für einen registergestützten Zensus zu entwickeln hatte. Diesen Experten sei an dieser Stelle Dank gesagt für ihre mühevolle Kleinarbeit. Ihnen ist es letztlich zu ver- danken, dass die amtliche Statistik mit dem Methoden- wechsel hin zum registergestützten Zensus auch dem weit vorangeschrittenen Einsatz moderner Informationstech- nologien in den öffentlichen Verwaltungen Rechnung trägt und dass eine enorme Einsparung von Kosten mög- lich wird. Mit dem Methodenwechsel von einer primärstatisti- schen Vollerhebung zu einer hauptsächlich registerge- stützten Datengewinnung kann von einer Befragung der Bevölkerung weitestgehend abgesehen werden, denn der registergestützte Zensus wird die Bevölkerung von Aus- kunftspflichten entlasten. Der Methodenwechsel ist für die amtliche Statistik eine große Herausforderung. Zunächst müssen die Register und Verfahren getestet wer- den, um beurteilen zu können, worauf bei einem künfti- gen Zensus verzichtet werden kann bzw. wodurch die Qualität der Zensusergebnisse noch verbessert werden kann. Wichtig ist mir im Zusammenhang mit allen Vorberei- tungen und Durchführungen der Testerhebungen, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz keine Bedenken und Einwände hinsichtlich des Datenschutzes geäußert hat. Wir können also davon ausgehen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung voll gewährleistet ist. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen exemplarisch darstellen: Alle personenbezogenen Daten fallen unter die statisti- sche Geheimhaltung. Sie werden nur in besonders abge- schotteten Räumen der statistischen Landesämter bzw. des Statistischen Bundesamtes bearbeitet und so bald wie möglich anonymisiert. Rückmeldungen an die register- führenden Verwaltungsbehörden sind nicht zulässig. Ich wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den statistischen Ämtern viel Erfolg bei ihrer verantwor- tungsvollen Arbeit. Beatrix Philipp (CDU/CSU): Viele von Ihnen werden sich noch gut an die Begleitumstände erinnern, mit denen im Jahr 1987 die Volkszählung durchgeführt wurde. Boy- kottaufrufe, Demonstrationen ... Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass die, die damals zum Boykott auf- und das Bundesverfas- sungsgericht anriefen, heute zu denen gehören, die unter anderem aus „Kosten- und Akzeptanzgründen“ einen Wechsel zu einem registergestützten Zensuskonzept befürworten. Aber das nur nebenbei. Schon 1998 hat die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder die Resultate einer Arbeitsgemein- schaft, die Alternativen zur Vollerhebung, wie sie 1987 durchgeführt wurde, entwickeln sollte, positiv zur Kennt- nis genommen. Das Ergebnis einer von der damaligen Bundesregierung beauftragten Arbeitsgemeinschaft war der Vorschlag eines Wechsels von einer so genannten „Volkszählung“, der primärstatistischen Vollerhebung, zu einer registergestützten Datengewinnung. Hier liegt nun heute das Ergebnis vor, das im Zuge der Planung der EU, im Jahr 2001 einen gemeinschaftsweiten Zensus durchzuführen, entstanden ist. Die neue Methode soll durch einen Test geprobt werden. Und dieser Gesetz- entwurf ist nun die rechtliche Grundlage für diesen Test. Der Gesetzentwurf sieht zur Vorbereitung des Zensus Testerhebungen vor, die die Qualität der als Datenquellen vorgesehenen Registerdaten und die statistischen Verfah- ren bzw. methodischen Untersuchungen überprüfen. Als Datenquellen sind die Melderegister und die Dateien der Bundesanstalt für Arbeit, Gebäude- und Wohnungsstich- proben und Befragung von Personen vorgesehen. Zahlen zur amtlichen Einwohnerzahl werden dringend benötigt. So bilden sie beispielsweise die Bemessungs- grundlage für den Finanzausgleich von Bund und Län- dern, sind aber auch Kriterium für die Einteilung der Wahlkreise. Bevölkerungsdaten werden insbesondere auch im Rahmen der EU-Politik benötigt – so sind diese Zahlen nicht nur für die Regional- und Sozialpolitik von Bedeutung, sondern sind auch entscheidende Bewer- tungskriterien bei der Vergabe von Mitteln aus den EU-Strukturfonds. Nach persönlicher Rücksprache mit dem Bundesda- tenschutzbeauftragten, Dr. Jacob, gibt es keine daten- schutzrechtlichen Bedenken zu sehen. Auch Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte und die informationelle Selbst- bestimmung der Bürgerinnen und Bürger sind bei einer solchen Erhebung nicht zu befürchten. Obwohl wir diesem Gesetzentwurf positiv gegenüber- stehen, gibt es von unserer Seite Kritikpunkte bzw. Fra- gen: Erstens. Dass die Bundesregierung nun Zeitdruck bei diesen Beratungen aufkommen lässt, ist nicht zu verste- hen. Aus dem EU-Arbeitspapier geht hervor, dass der ge- meinschaftsweite Zensus bis Mai 2001 durchgeführt wer- den soll. Nun haben wir bereits Mai und debattieren im Deutschen Bundestag noch über einen Gesetzentwurf über ein Testverfahren. Wann beabsichtigt die Bundesre- gierung denn nun dem europäischen Drängen Rechnung zu tragen, das heißt mit der Durchführung zu beginnen? Zweitens. Wer garantiert, dass die Daten dieser Erhe- bung repräsentativ sind und wie wird dies kontrolliert? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16799 (C) (D) (A) (B) Drittens. Was passiert eigentlich, wenn der Test nega- tiv verläuft oder gar fehlschlägt, das heißt, wie wird das festgestellt? Viertens. Die Kostenfrage ist unzureichend geklärt. Die Hauptlast der Kosten tragen wieder einmal die Län- der – 27,1 Millionen DM versus Bund mit 11,6 Millionen DM. Insbesondere die Kommunen werden erneut mit ei- nem beträchtlichen Teil der Kosten bei der Durchführung dieser Zensusvorbereitung – 5,8 Millionen DM – belastet. Hinzu kommt ein nicht kalkulierbarer Mehraufwand an Personal für die Koordination zwischen den Meldebehör- den und den statistischen Ämtern. Der Bundesrat hat die Bundesregierung in seiner Stel- lungnahme vom 9. März 2001 aufgefordert, die Beteili- gung des Bundes in Höhe von mindestens 50 Prozent an den Kosten der Länder und Gemeinden zu übernehmen. Ich denke, dass es an dieser Stelle noch einmal ange- bracht ist, an die Bundesregierung zu appellieren, die zur- zeit sowieso schon stark belasteten Kommunen mit die- sem Vorhaben nicht noch stärker in Anspruch zu nehmen. Das heißt: „nachbessern“. Eine Vokabel, die – wie wir alle wissen – zum Standardwortschatz dieser Bundesregie- rung gehört. Wie gesagt: Der heute beratene Gesetzesentwurf dient lediglich zur Durchführung des Tests der registergestütz- ten Zensusdurchführung. Trotz unserer eben vorgetra- genen Fragen stimmen wir zu, auch wenn eine viel frühere Befassung mit dieser Thematik vielleicht der Sache dien- licher gewesen wäre. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Liest man den Namen „Entwurf eines Gesetzes zur Vorberei- tung eines registergestützten Zensus“, wird die eigentli- che Bedeutung dieses Tages nicht recht deutlich. Wenn ich hier meine große Zufriedenheit ausdrücke, hat dies ei- nen ganz konkreten Anlass: Wir haben eine neue Volks- zählung verhindert. Eigentlich wäre dieses Jahr nach den Planungen der EU ein erneutes Volkszählungsjahr. Den Bürgerinnen und Bürgern kommen aber anders als 1987 keine Zähler ins Haus. Die vielen bürgerrechtlichen Probleme im Zusam- menhang mit diesen unwillkommenen Heimsuchungen bleiben den Menschen erspart – die hohen Kosten und der enorme Verwaltungsaufwand ebenfalls. Die benötigten Daten werden nicht mehr im Wohn- zimmer abgeholt, sondern – versuchsweise – den vorhan- denen Verwaltungsdateien wie den Melderegistern ent- nommen. Hier kommt die Koalition auch einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Volkszäh- lungsurteil nach. Das Gericht hatte schon 1983 die Ent- wicklung neuer Methoden der Informationserhebung und -verarbeitung verlangt. In den kommenden beiden Jahren wird getestet, ob und inwieweit die infrage kommenden Verwaltungsregister brauchbar und aktuell sind. Es wird ebenfalls untersucht, wie die Daten aus den unterschiedlichen Quellen zusam- mengeführt werden können. Dies ist technisch ein durch- aus anspruchsvolles Unterfangen. Getestet wird auch, wie die Vielfalt der Daten gegen Verlust, Verfälschung und Missbrauch geschützt werden kann. Ich habe meine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir keine Volkszählung bekommen wer- den. Das heißt aber nicht, dass wir die realen daten- schutzrechtlichen Probleme anderer Erhebungsverfahren nicht zur Kenntnis nehmen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Zunächst einmal verweise ich darauf, dass wir hier eine Art Probegesetz verabschieden. Wir müssen erst Erfah- rungen machen, auswerten und dann gesetzlich umsetzen. Ich teile ausdrücklich die Auffassung des Bundesda- tenschutzbeauftragten, dass der leichtere Zugang zu Ver- waltungsdaten nicht zu einem größeren Informationshun- ger der Statistiker führen darf. Es müssen hier – auch darin stimme ich mit Herrn Jacob überein – Alternativen ge- prüft werden. Er wirft hier die berechtigte Frage auf, ob statistische Ergebnisse nicht auch ohne Qualitätseinbußen aus Stichproben und Hochrechnungen anstelle von Total- erhebungen gewonnen werden können. Wir dürfen auch nicht die Augen vor den Gefahren ei- nes Verbundes der Melderegister verschließen. Eine in- stitutionalisierte Vernetzung von Melderegistern würde erhebliche Datenschutzprobleme aufwerfen. Bei der Ab- gleichung von Daten aus verschiedenen Registern könn- ten letztlich zu umfangreiche Datensammlungen generiert und bedenkliche Persönlichkeitsprofile erstellt werden. Die Register sind keine Milchkühe, die nach Belieben ausgemolken werden dürfen. Es darf kein zentrales Melderegister entstehen, in dem die Daten unterschiedlicher Register dauerhaft erfasst und für beliebige Verwaltungszwecke verwendet werden. Ge- nau so wenig darf es dazu kommen, dass über den Umweg des Zensus eine personenbezogene Verknüpfung ver- schiedenster in der öffentlichen Verwaltung geführter Re- gister stattfindet. Eine solche Entwicklung würden wir nicht mittragen. Wir werden daher ein wachsames Auge auf die Vorberei- tungen haben. Ich möchte Sie bitten, dem Gesetzentwurf zuzustim- men. Es handelt sich hier um ein Testgesetz. Spätestens ab Januar 2004 werden sämtliche Daten gelöscht. Von daher sind die datenschutzrechtlichen Probleme beherrschbar. Angesichts des so erreichten Verzichts auf die Volkszäh- lung sollte ein Ja daher nicht schwer fallen. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Mit dem heute abschließend zu beratenden Gesetzentwurf sollen die rechtlichen Grundlagen für Tests geschaffen werden, um zu prüfen, ob statistisch benötigte Basisdaten künftig durch so genannte registergestützte Erhebungen gewon- nen werden können. Spätestens seit den Erfahrungen mit der letzten Volkszählung im Jahre 1987 wird nach alter- nativen Methoden gesucht, um Bestands- und Strukturda- ten der Bevölkerung zu ermitteln, die als Grundlage für den politischen Planungsprozess unentbehrlich sind. Für die F.D.P. steht die Notwendigkeit, diese Daten zu gewin- nen, außer Frage. Die Suche nach Alternativen zu der so Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116800 (C) (D) (A) (B) genannten primärstatistischen Vollerhebung, also einer Befragung aller Einwohner, ist dem Gesetzgeber durch das so genannte Volkszählungsurteil des Bundesverfas- sungsgerichts vom 15. Dezember 1983 aufgegeben wor- den. Das Gericht hat festgestellt, dass nach dem damali- gen Erkenntnis- und Erfahrungsstand die möglichen Alternativen zu einer Totalerhebung noch mit zu großen Fehlerquellen behaftet seien. Vor künftigen Entscheidun- gen für eine Erhebung werde sich der Gesetzgeber jedoch erneut mit dem dann erreichten Stand der Methodendis- kussion auseinander setzen müssen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang die herkömmlichen Methoden der Informationserhebung und -verarbeitung beibehalten werden können. Der Gesetzgeber dürfe die Weiterent- wicklung der Methoden der amtlichen Statistik und der Sozialforschung nicht unberücksichtigt lassen. Dies ge- biete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insofern kommt der Deutsche Bundestag heute also einer aus- drücklichen Aufforderung des Bundesverfassungsge- richts nach. Bereits die frühere Bundesregierung hat sich aus Kos- ten- und Akzeptanzgründen für die Zukunft gegen eine herkömmliche Vollerhebung nach dem Vorbild der Volks- zählung von 1987 ausgesprochen. Diese Entscheidung hat der Deutsche Bundestag im Jahre 1998 unterstützt und die Überlegungen der Bundesregierung begrüßt, eine stich- tagsbezogene Auswertung der Melderegister vorzuneh- men. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in seinem 16. Tätigkeitsbericht auf die Vorteile einer Registerauswer- tung als Alternative zur Volkszählung herkömmlicher Art hingewiesen, gleichzeitig aber die berechtigte Frage aufge- worfen, ob die Melderegister tatsächlich präzise genug sind, um den statistischen Anforderungen gerecht zu wer- den. Er hat deshalb folgerichtig die Untersuchung der Re- gisterqualität – mit akzeptablen Ergebnissen – als unab- dingbare Voraussetzung für das Ersetzen der Befragung durch die Auswertung der Melderegister bezeichnet. Genau dies soll durch den vorliegenden Gesetzentwurf geschehen. Es liegt auf der Hand, dass die Ergebnisse einer regis- tergestützten Erhebung umso genauer sind, je mehr per- sonenbezogene Informationen miteinander verknüpft werden. Deshalb müssen wir darauf achten, dass wir nicht zu weit gehen. Statistik geht nicht über Datenschutz. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich festgestellt, dass die Übernahme sämtlicher Daten aus bereits vorhandenen Dateien der Verwaltung keine zulässige Alternative zu ei- ner Totalzählung ist. Ferner ist großer Wert auf die Trans- parenz gegenüber den Bürgern zu legen. Eine Volkszäh- lung hinter dem Rücken der Bürger darf es nicht geben! Nur so erreichen wir die erforderliche Akzeptanz, die bei der letzten Volkszählung vielfach gefehlt hat. Niedrigere Kosten oder eine gegenüber einer Volkszählung geringere Belästigung der Bürger durch Hausbesuche sind sicher gute Gründe für eine registergestützte Erhebung. Aus- schlaggebend dürfen sie, wenn es um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geht, nicht sein. Einen gläsernen Bürger wollen wir nicht. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf bestehen diese Befürchtungen jedoch nicht. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat ausdrück- lich bestätigt, dass durch den Testlauf die von den Verfas- sungsrichtern aufgestellte Messlatte für Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht unangetastet bleibt. Er hält den Gesetzentwurf für ausgewogen und mit dem Datenschutz vereinbar. Die F.D.P. legt allerdings Wert darauf, dass durch die Testerhebung noch keine Festlegung der Methodik für ei- nen späteren Zensus erfolgt. Es handelt sich jetzt nur um eine Sondierung, welche Daten und Verfahren tragfähig sind und welche nicht. Erst nach Auswertung dieser Pro- beerhebung wird bestimmt, wie eine zukünftige Volks- zählung durchgeführt werden soll. Das hat auch der Bun- desdatenschutzbeauftragte gefordert. Dieser Gesichtspunkt wird in dem Gesetzentwurf nicht deutlich genug herausgestellt. In der Begründung wird vielmehr der Eindruck erweckt, als sei der Methoden- wechsel zu einem registergestützten Zensus bereits vor- genommen. Die F.D.P. sieht diese Entscheidung dagegen noch als offen an. Mit dieser Maßgabe stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Fritz Rudolf Körper, Parlamentarischer Staatssekre- tär beim Bundesminister des Innern: Mit dem vorliegen- den Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung eines regis- tergestützten Zensus will die Bundesregierung einen Methodenwechsel zu einem neuen Zensusverfahren ein- leiten. Anstelle einer herkömmlichen Volkszählung durch Befragung aller Einwohner sollen so weit wie möglich Daten aus Verwaltungsregistern und -dateien genutzt wer- den; dadurch können die Bürger entlastet und die Kosten eines Zensus erheblich reduziert werden. Damit will die Bundesregierung einen weiteren Beitrag zur Modernisie- rung der Verwaltung leisten und der Forderung Rechnung tragen, anstelle von Primärerhebungen verstärkt vorhan- dene Verwaltungsdateien für Zwecke der amtlichen Sta- tistik zu nutzen. Der Einsatz moderner Informationstech- nologie in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, insbesondere die Automatisierung der Melderegister, ver- anlasst die Bundesregierung, die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für einen Methodenwechsel zu einem re- gistergestützten Zensus zu nutzen. Volkszählungen sind in größeren Zeitabständen not- wendig. Sie liefern Grunddaten über die Bevölkerung, de- ren Erwerbstätigkeit und Wohnsituation. Die Ergebnisse sind Grundlage für politische Planungen und Entschei- dungen auch der Europäischen Union sowie wissen- schaftliche Untersuchungen. Wesentliches Ziel eines Zen- sus ist die Feststellung der amtlichen Einwohnerzahl des Bundes, der Länder und Gemeinden. Sie ist eine vielfäl- tig verwendete Bemessungsgrundlage, unter anderem für den horizontalen und vertikalen Finanzausgleich sowie die Einteilung der Wahlkreise. Die amtliche Statistik benötigt die Zensusergebnisse beispielsweise als Aus- wahlgrundlage und Hochrechnungsrahmen für Stichpro- benerhebungen, als neue Basis der Bevölkerungsfort- schreibung. Die Europäische Union hat ihren Mitgliedstaaten für das Jahr 2001 einen gemeinschaftsweiten Zensus emp- fohlen. Herkömmliche Volkszählungen verursachen er- hebliche Kosten und werden von der Bevölkerung immer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16801 (C) (D) (A) (B) wenig akzeptiert. So wurden für die letzte traditionelle Zählung im Jahre 1987 im alten Bundesgebiet rund 500 000 Zähler gebraucht, sie kostete nahezu 1 Milli- arde DM. Eine neue Zählung in dieser Form würde schät- zungsweise 2 Milliarden DM kosten. Deutschland hat aus den genannten Gründen die Auf- forderung der Europäischen Union, im Jahr 2001 ge- meinschaftsweit die Bevölkerung zu zählen, zum Anlass genommen, ein Alternativkonzept zu entwickeln, bei dem so weit wie möglich auf vorhandene Verwaltungsregister zurückgegriffen werden soll. Die demographischen Daten sollen aus den Melderegistern und erwerbsstatistische Daten aus den Dateien der Bundesanstalt für Arbeit ge- wonnen werden. Gebäude- und Wohnungsdaten müssen bei den Gebäudeeigentümern erfragt werden, da es keine Registerdaten gibt. Ein solcher Methodenwechsel bedarf eingehender vorbereitender Verfahrenstests, einer Prü- fung der Qualität der relevanten Register sowie der Vali- dität der aus den verschiedenen Quellen gewonnenen Da- ten. Diese Tests ordnet der vorliegende Gesetzentwurf an. Dem Datenschutz der Bürger wird entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Ur- teil zur Volkszählung 1983 in vollem Umfang Rechnung getragen. Alle für die Testuntersuchungen erforderlichen personenbezogenen Daten werden von den statistischen Ämter der Länder und dem Statistischen Bundesamt er- hoben und verarbeitet. Die Einzeldaten verbleiben in den besonders geschützten Bereichen der statistischen Ämter und fallen unter die strikte statistische Geheimhaltung. Eine Rückübermittlung der Daten an die registerführen- den Verwaltungsbehörden ist nicht zulässig. Mit dem Gesetzentwurf, der das Informationsinteresse der Länder umfassend berücksichtigt, wird der Grund- stein zu einem Zensusverfahren gelegt, das die öffentli- chen Haushalte spürbar entlasten wird. Diese entlastende Wirkung wird meines Erachtens übersehen, wenn der Bundesrat verlangt, der Bund solle neben seinen eigenen Kosten mindestens 50 Prozent des Aufwandes der Länder und Gemeinden für die Tests tragen. Der Hinweis, der Bund habe sich bei früheren herkömmlichen Volkszäh- lungen an den Belastungen der Länder und Gemeinden beteiligt, geht fehl. Wir befinden uns noch in einer Vorbe- reitungsphase; im Vergleich zum Aufwand für eine her- kömmliche Zählung sind die Kosten der Testuntersu- chungen eher niedrig. Bund, Länder und Kommunen sollten deshalb gemeinsam das angestrebte Ziel finanzie- ren, die Kosten eines Zensus nachhaltig zu reduzieren. Es geht, wenn Sie es so sehen, um eine lohnende Investition in die Zukunft. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft (Tagesordnungspunkt 10) Dr. Peter Eckardt (SPD): Als ich vor einem Monat den Gesetzentwurf der PDS zum ersten Mal gelesen habe, fühlte ich mich in die Zeit meines Studiums an der FU in Berlin in den 60er-Jahren zurückversetzt. Die damalige Studentengeneration protestierte gegen die Beschränkun- gen ihrer Rechte, als das Land Berlin für die FU und an- dere Hochschulen 1969 die verfasste Studentenschaft für zehn Jahre abschaffte. In den 70er-Jahren folgten die Län- der Bayern und Baden-Württemberg und beendeten eben- falls die verfasste Studentenschaft als selbstverwaltete Körperschaft mit allgemeinen Rechten. Nun sind die Zeiten weitergegangen und die Studen- tengeneration des Jahres 2001 ist eine andere – mit ande- ren Interessen, mit einem anderen Demokratieverständ- nis, mit einer anderen Lebenswelt, in der die Hochschule nicht mehr der zentrale Lebensmittelpunkt wie früher ist und das Interesse an den studentischen Selbstverwaltun- gen stark nachgelassen hat, was zwar zu bedauern, aber Tatsache ist. Diese Veränderungen scheint die PDS nicht wahrgenommen zu haben und sie ließe sich, wenn sie sie wahrnähme, davon vermutlich auch nicht beeindrucken. Sie ist auf dem Stand der 60er-Jahre in der alten Bundes- republik stehen geblieben. Gestern abend formuliert die Kollegin Maritta Böttcher über die Presse der PDS, sie unterstütze vorbe- haltlos die Aktion „Demokratie statt Zwang – Aufstehen für freie Bildung und kritische Wissenschaft“ ihrer Klien- tel an den Hochschulen; sie sehe die innerparlamentari- sche Opposition der PDS gegen die Hochschulpolitik der leeren Versprechungen der Bundesregierung bestätigt. Offensichtlich soll das Thema Studierendenschaft als vor- zeitiges Wahlkampfthema genutzt werden. Aber zur realen Situation an deutschen Hochschulen. Das Kampfbündnis der PDS am bundesweiten studenti- schen Aktionstag am Mittwoch dieser Woche ist nach meinen Kenntnissen an den Hochschulen nicht so recht in Gang gekommen. An vielen Unis wurde noch nicht ein- mal ein Infostand der PDS am Eingang zur Hauptmensa gesichtet. Die PDS sollte sich deshalb im Jahre 2001 von der Erkenntnis verabschieden – was schmerzlich ist, wie ich selbst weiß – die Herbert Marcuse einst formuliert hat: Die Universitäten und ihre Angehörigen allein seien die Quelle gesellschaftlicher revolutionärer Umwälzungen und die hochschulpolitischen Aktivitäten im Deutschen Bundestag könnten diese Wünsche verstärken. Die Frage, die heute hier ansteht, ist sehr viel pragma- tischer: Sollen wir § 41 des Hochschulrahmengesetzes än- dern und alle Länder verpflichten, in ihre Hochschulge- setze die verfasste Studierendenschaft aufzunehmen? Die Antwort auf diese Frage einer möglichen Veränderung des § 41 HRG muss nüchtern, ohne ideologischen Ballast und unter Beachtung der vorherrschenden Realitäten gesehen werden. Konkret heißt dies heute: Welche Rechte haben gewählte Studentenvertreter im Rahmen der Körperschaft „verfasste Studentenschaft“ oder außerhalb dieser Kör- perschaft innerhalb der Hochschule und Öffentlichkeit? Diese Frage hat in den letzten 20 Jahren bisher jeden begleitet, der in dieser Zeit Kontakt mit engagierten und politisch interessierten Studierenden hatte und sich für dieses Thema interessierte. Die PDS kann also nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie dieses Thema für sich allein entdeckt hat. Auch ihre Behauptung, die Arbeit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116802 (C) (D) (A) (B) Studierendenvertreter sei zunehmend Verunsicherungen ausgesetzt, stimmt nicht. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen, die allerdings nicht zur Zierde unserer Hochschulpolitik in den letzten Jahren zu zählen sind. 1994: OVG NRW gegen den AStA Münster, es werde untersagt, politische Erklärungen ab- zugeben. 1997: VGH Hessen gegen den AStA Gießen; 10 000 DM Ordnungsgeld wegen eines Antrages an das StuPa. 2000: Verfassungsgerichtshof NRW entscheidet gegen die CDU-Landtagsfraktion, die behauptet hatte, §§ 3 und 71 des Hochschulgesetzes NRW verstießen ge- gen die Verfassung. 1999: Staatsanwaltschaft Marburg gegen Studenten wegen Veruntreuung von AStA-Geldern, zum Beispiel für den Kauf von Büchern für ein „Feminis- tisches Archiv Marburg“. 1997: OVG Bremen untersagt dem AStAAktivitäten gegen die Castortransporte. 1999: VerwG Berlin verhängt gegen den AStA der Humboldt- Universität ein Ordnungsgeld wegen eines Verstoßes gegen das Hochschulrecht: nicht spezifische und unmit- telbar hochschulbezogene Äußerungen; Erklärungen, Forderungen, Stellungnahmen. Diese Liste könnte ich fortsetzen. Es geht also politisch bei der Frage nach der verfassten Studentenschaft um zwei Probleme: Erstens. Haben die gewählten Studierendenvertreter ein politisches Mandat zur Abgabe von allgemeinen Erklärungen und Stellung- nahmen im Namen der Studierenden? Zweitens. Darf der AStA oder Vertreter des AStA für die Aktivitäten Finanz- mittel des AStA, die aus allgemeinen Gebühren der Stu- dierenden stammen, einsetzen oder macht er sich dann der Untreue schuldig und ist persönlich schadenersatzpflich- tig? In NRW ist der Handlungsspielraum der Studieren- denvertreter aufgrund der Formulierung im Hochschulge- setz, sie hätten die Aufgabe, „die politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Be- reitschaft zur aktiven Toleranz ihrer Mitglieder (zu) för- dern“, hinreichend genau formuliert. Diese Formulierun- gen sind in anderen Ländern nicht so präzise. Das HRG formuliert bisher, dass der Landesgesetzge- ber die Möglichkeit – nicht die Pflicht – hat, an den Hoch- schulen Studentenschaften zu bilden. Diese sind dann aber Zwangskörperschaften im Rahmen der Körperschaft Hochschule und dürfen kein allgemeinpolitisches Mandat wahrnehmen. Diese Bestimmung des § 41 zu ändern, so wie es die PDS vorschlägt, greift tief in das föderale Verständnis der Bundesländer ein und ist weder schnell noch etwa als Ergänzung zur Novelle der Dienstrechtsreform zu leis- ten. Die Länder haben kein eigenes Gestaltungsrecht der Inhalte des § 41 HRG und werden ihre Interessen im Bundesrat, dessen Zustimmung benötigt wird, vorbrin- gen. In § 41 Abs. 3 der Studierendenschaft das Recht zum allgemeinen politischen Mandat zu geben und dazu die Finanzmittel des ASta als Zwangsmitgliedschaft zu nut- zen stößt nach der Rechtssprechung auf erhebliche Be- denken. Es ist richtig, dass die Trennung von Wissen- schaft, Forschung und allgemeiner Politik antiquiert ist und nicht der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft entspricht. Insofern müssen wir über das Thema HRG § 41 nachdenken. Ich sage zu, dass es eine Koalitions- initiative zum Thema geben wird, sobald die Dienst- rechtsreform im Deutschen Bundestag und Bundesrat er- folgreich verabschiedet worden ist. Es bleibt der PDS aber unbenommen, über eine mögli- che Bundesratsinitiative das Thema erneut aufzugreifen. Wir sollten Ihren Gesetzentwurf heute erst einmal an die Ausschüsse überweisen. Thomas Rachel (CDU/CSU): Die PDS-Fraktion hat der rot-grünen Bundesregierung heute ein besonderes Ei ins Nest gelegt. So legt die PDS einen Gesetzentwurf zur Absicherung der verfassten Studierendenschaften im Hochschulrahmengesetz vor. Damit tut sie genau das, was – übrigens leichtfertigerweise – SPD und Grüne in ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung zu Beginn dieser Legis- laturperiode angekündigt haben. Wie heißt es doch, Frau Ministerin Bulmahn, in der von SPD und Grünen in Person von Gerhard Schröder und Joschka Fischer unterzeichneten Koalitionsvereinba- rung? Ich zitiere: Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einver- nehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und die verfasste Studierendenschaft absichern. Dieses Koalitonsversprechen war nicht nur leichtfertig, sondern es war von der Sache her falsch, weil es die Län- derrechte nicht berücksichtigt. Aber eines wird durch den vorliegenden Gesetzesantrag ganz klar: SPD und Grüne haben ihr Versprechen aus dem Wahlkampf und ihre schriftliche Zusage in der Koalitionsvereinbarung gebro- chen; denn bis heute haben sie ihre Zusage nicht eingelöst und Rot und Grün werden gegen den Antrag der PDS, der ihr eigenes Vorhaben beinhaltet, stimmen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen himmelweit auseinander. Dies ist Kennzeichen sozialdemokratischer und grüner Hoch- schulpolitik. Wie stellt sich denn eigentlich der Sachverhalt dar? Im geltenden Hochschulrahmengesetz ist in § 41 geregelt: Das Landesrecht kann vorsehen, dass an den Hoch- schulen zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studierenden, zur Pflege der überregionalen und internationalen Studentenbeziehungen sowie zur Wahrnehmung studentischer Belange in Bezug auf die Aufgaben der Hochschulen Studentenschaften gebildet wer- den. Dies zeigt: Das Hochschulrahmengesetz lässt sehr wohl verfasste Studentenschaften zu. Die Regelung wird der Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer überlassen. Diese Regelung entspricht der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes und der besonderen Rolle der Bundeslän- der. Die derzeit gültige Fassung des § 41 kam im Übrigen nur nach einem langen Tauziehen zwischen Bundestag und Bundesrat zustande. Die Bildung von Studenten- schaften soll dem Ermessen und der Entscheidung der Länder überlassen sein. Dies hat sich grundsätzlich be- währt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16803 (C) (D) (A) (B) Entscheidet sich der Landesgesetzgeber dafür, eine Studentenschaft zu bilden, so fasst er die immatrikulierten Studenten einer Hochschule in einer Zwangskörperschaft im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Hochschule zusammen. Aus dieser Form der Zwangskör- perschaft ergeben sich bestimmte Konsequenzen. Unter anderem ergibt sich diejenige, dass die Studentenschaften ein hochschulpolitisches Mandat haben, nicht aber ein all- gemeinpolitisches Mandat. Damit sind wir auch mitten beim Kernpunkt des An- trags der PDS. Wer den Gesetzesantrag aufmerksam liest, wird feststellen, dass es der PDS gar nicht um die Studie- rendenschaft im eigentlichen Sinne geht, sondern darum, ein so genanntes allgemeinpolitisches Mandat durchzu- setzen. Heute haben die Studierendenschaften ein hoch- schulpolitisches Mandat, das ihnen die Möglichkeit gibt, zu allen hochschulrelevanten Themen und der spezifi- schen Situation ihrer Ausbildung Stellung zu beziehen. Dies hat sich als richtig herausgestellt, zumal so die Stu- dienbedingungen kritisiert und Verbesserungen durchge- setzt werden können. Darum geht es der PDS aber nicht. Sie will ein allge- meinpolitisches Mandat, das manche ASten in der Ver- gangenheit schon rechtswidrig in Anspruch zu nehmen versucht haben. Ich erinnere mich gut an Aktivitäten von ASten, die, mit riesigen Steuergeldern finanziert, rechts- widrig Kampagnen für Kuba und Nicaragua und gegen den NATO-Doppelbeschluss veranstaltet haben. Dies ging zulasten der Steuerzahler. Es nervte die Studieren- den, die wollten, dass sich die ASten endlich um ihre konkrete hochschulpolitische Situation kümmern und nicht eine allgemeine Politik der Weltverbesserung be- treiben. Eine Veränderung, die die politische Linke bisher nicht hat durchsetzen können und die die deutschen Gerichte bis zum Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 1969 eben- falls untersagt hat, versucht die PDS nun in einem neuen Aufgalopp mittels einer Gesetzesänderung durchzuset- zen. Das allgemeinpolitische Mandat ist auch deshalb un- zweckmäßig und ein Rechtsverstoß, weil es sich bei ein- gerichteten Studentenschaften um Zwangskörperschaften handelt. So hat auch das Oberverwaltungsgericht in Müns- ter am 6. September 1994 entschieden, dass eine nicht unmittelbar auf den Bereich der Hoch- schule und die spezifischen Interessen von Studenten begrenzte politische Betätigung der Studentenschaft verfassungswidrig in den individuellen Freiheitsbe- reich der Mitglieder eingreift. Da sich die Studierenden unsinniger und ideologischer Äußerungen oder allgemeinpolitischer Kampagnen von ASten nicht durch Austritt aus der Studentenschaft als Zwangskörperschaft entziehen können, stellt die Wahr- nehmung des allgemeinpolitischen Mandats durch Stu- dentenvertretungen einen verfassungswidrigen Eingriff in den individuellen Freiheitsbereich der Studierenden dar. Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestags- fraktion ein allgemeinpolitisches Mandat für die Studie- rendenschaften weiterhin nachdrücklich ab. Der Gesetz- entwurf der PDS wird im Plenum und im Bildungs- und Forschungsausschuss auf unsere Ablehnung stoßen. An- gesichts der Identität zwischen dem Gesetzesantrag der PDS zur Absicherung der verfassten Studierendenschaf- ten im Hochschulrahmengesetz und derselben Ankündi- gung im rot-grünen Koalitionsvertrag sollten SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Schamesröte nicht mehr aus dem Gesicht weichen. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/ DIE Grünen haben sich im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die verfassten Studierendenschaften bundesweit festzuschreiben. Dies war kein Lippenbe- kenntnis, sondern steht weiterhin auf der Agenda. Im Dia- log mit den Studierendenvertretern und -vertreterinnen und in enger Abstimmung mit der Bundestagsfraktion der SPD erarbeiten wir eine entsprechende Novellierung des § 41 HRG, die wir nach der Sommerpause in den parla- mentarischen Prozess einbringen wollen. Insofern unter- stützen wir das Anliegen der PDS, da es auch unseres ist, die verfassten Studierendenschaften zu verankern. Wir setzen uns über die rechtliche Festschreibung der verfassten Studierendenschaften hinaus auch für gute Ar- beitsbedingungen der Studierenden ein, weil wir der Mei- nung sind, dass die verfassten Studierendenschaften ganz wesentlich dazu beitragen, die demokratische Kultur an den Hochschulen zu verbessern – nur dort, wo die Mit- glieder einer Institution auch die Möglichkeit haben, ak- tiv mitzugestalten und ihre Interessen einzubringen, ent- stehen auch Anreize, sich mit der Institution zu identifizieren –, dass verfasste Studierendenschaften die Grundlage für eine demokratische Gestaltung an den Hochschulen bieten und dass dann, wenn das Recht der Studierendenschaften zur kritischen Reflexion über gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die wiederum ei- nen maßgeblichen Einfluss auf ihre Situation als Studie- rende haben, fundamental eingeschränkt wird, eine aktive Vertretung keinen Sinn mehr macht. Positiv beurteilen wir die Regelung zu den verfassten Studierendenschaften im neuen Hamburger Hochschulge- setz. Hier hat die grüne Wissenschaftssenatorin Krista Sager Maßstäbe gesetzt: zum einen mit dem moderierten Verfahren, mit dem das Hamburger Hochschulgesetz in Kooperation mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen erarbeitet wurde und zum anderen auch mit der Einbeziehung der Studierenden. In Bezug auf die verfassten Studierendenschaften garantiert das Gesetz die Bildung von Fachschaften durch die Studierenden in den Selbstverwaltungseinheiten. Die Fachschaften können wiederum eigene Organe wählen. Ebenfalls wurde das politische Mandat der Studieren- den erweitert. Die Studierendenschaft nimmt demnach die Belange der Studierenden wahr und kann sich in die- sem Rahmen mit allen Fragen befassen, die die Grund- rechte, die gesellschaftliche Aufgabenstellung der Hoch- schulen und das Hochschulwesen berühren und die erkennbar an hochschulpolitische Themen anknüpfen. Im verfassungsrechtlichen Rahmen kann sie sich in der poli- tischen Bildung der Studierenden engagieren und für die Grund- und Menschenrechte eintreten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116804 (C) (D) (A) (B) Da wir eine eigene, umfassende Gesetzesinitiative er- greifen werden, lehnen wir den Antrag der PDS ab. Ulrike Flach (F.D.P.): Über diesen PDS-Antrag kann man wirklich nur staunen. – Sie versuchen, die alten Schlachten der westdeutschen Hochschulgeschichte noch einmal zu schlagen –, vor allem wenn man sieht, dass die Personen, die den Antrag eingereicht haben, nicht im Westen studiert haben, sondern in einem Hochschulsys- tem, in dem es eine verfasste Studentenschaft überhaupt nicht gab – von der Möglichkeit, zu allgemeinpolitischen Themen Stellung zu nehmen, ganz zu schweigen. Ich habe in den 70er-Jahren studiert und sage Ihnen: Die Diskussion um das allgemeinpolitische Mandat ist ein so alter Hut, der wird auch dadurch nicht neuer, dass ihn sich jemand anders aufsetzt. Die verfasste Studentenschaft ist die Vertretung der Studierenden in ihrer Eigenschaft als Studierende. Es ist nicht Aufgabe der ASten, zu allen politischen Themen Stellung zu nehmen. Das ist geltende Rechtslage und das soll so bleiben. Im Übrigen ist das hochschulpolitische Mandat recht weit gefasst: Man kann darunter schon einiges fassen, wenn man es phantasievoll anstellt. Und dass es in den po- litischen Hochschulgruppen einige Leute gibt, die sich gern mit Unterlassungsklagen überziehen, werden Sie da- mit auch nicht abstellen. Gehen Sie mal an eine Hoch- schule und fragen nach: Die allermeisten Studierenden haben für den Streit um das allgemeinpolitische Mandat nur ein mitleidiges Lächeln übrig. Wenn Sie sich die AStA- und StuPa-Wahlen der letzten Jahre einmal ansehen, dann stellen Sie einen Trend fest: Erfolgreich sind Gruppen, die Service für die Studie- renden anbieten. Die Zeit der Ideologien ist vorbei; heute geht es darum; die Studienbedingungen konkret zu ver- bessern. Der Antrag enthält noch zwei Forderungen, zu denen ich kurz Stellung nehmen möchte. Sie wollen, dass die verfasste Studierendenschaft in § 41 HRG festgeschrie- ben wird. In einer Zeit, wo wir mehr Unterschiedlichkeit, Autonomie und Eigenständigkeit an den Hochschulen brauchen, wollen Sie den Bundesländern Regelungen auf- zwingen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Studie- renden in Bayern und Baden-Württemberg darunter lei- den, dass es dort seit 1974 bzw. 1977 keine verfasste Studentenschaft gibt. Alles alte Kamellen, die Sie hier bringen! Sie wollen den Hochschulen im § 2 Abs. 1 HRG eine Forschungsfolgenabschätzung verordnen, die Sie Re- flexionspflicht nennen. Gehen Sie doch mal an eine Uni- versitätsklinik und sprechen mit dem Ethikrat, dann wer- den Sie sehen, dass diese Reflexion bereits vielfach Praxis ist. Natürlich sind Ihre Beispiele in der Begründung ver- räterisch. Sie nennen angebliche „Risikotechnologien“ wie Atom- und Gentechnologie, bei denen die Reflexion besonders notwendig wäre. Das sind die Technologien, die Ihre Fraktion ablehnt. Wir brauchen eine Entrümpelung des HRG von büro- kratischen Vorschriften. Die Hochschulen sollen sich selbst verwalten und selbst organisieren. Dazu kann auch eine Verpflichtung zur Folgenabschätzung der eigenen Forschungsergebnisse gehören, aber dann in einer von den Hochschulen selbst erlassenen Satzung und nicht per staatlicher Verordnung. Ihr Antrag soll einigen Alt-68ern Balsam auf die wun- de Seele schmieren. Mit der Wirklichkeit der heutigen Hochschulen und der Lebenswelt der allermeisten Studie- renden hat das wenig zu tun. Lassen Sie uns über diesen Antrag schnell abstimmen und uns wieder an die Arbeit machen für leistungsfähige und moderne Hochschulen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenrechts – des Antrags: Unzumutbare Belastungen in der Hin- terbliebensicherung zurücknehmen (Tagesordnungspunkt 24 und Zusatztagesordnungs- punkt 11) Erika Lotz (SPD): Die Frage, wie viel Rente Witwen bekommen, hat in den letzten Monaten für viel Aufregung gesorgt. Dabei ist eigentlich schon seit Jahren klar, dass die Hinterbliebenenversorgung reformiert werden muss. Wie junge Familien heute leben, das unterscheidet sich erheblich davon, wie ihre Eltern gelebt haben. Den übli- chen Alltag der 50er-Jahre – heiraten, Kinder bekommen, Vater arbeitet und Mutter erzieht die Kinder – gibt es heute nur noch in seltenen Fällen. Damals haben die Trümmerfrauen ihre Arbeitsplätze für die Männer ge- räumt, die aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrt sind. Heute erobern sie mit jedem Jahr ein weiteres Stück der Arbeitswelt. Seit der Nachkriegszeit hat sich noch viel mehr verän- dert: Die Zahl der Scheidungen und der Alleinerziehen- den steigt an. Es wird immer selbstverständlicher, dass Frauen schon kurz nach der Geburt wieder erwerbstätig werden – entweder weil sie den Anschluss nicht verpas- sen wollen oder weil es für die Familie existenziell not- wendig ist, dass beide Partner Geld verdienen. Ebenso steigt aber auch die Zahl der Frauen, die überhaupt keine Kindern haben. Beruf und Familie miteinander zu verein- baren ist auch heute noch sehr schwierig und bleibt meis- tens an den Frauen hängen. Viele Frauen entscheiden, keine Kinder haben zu wollen. Kurz und gut: Die Le- bensentwürfe sind vielfältiger und bunter geworden, und das nicht erst seit gestern. Das alles wirkt sich im Alter aus. Unsere Hinterbliebe- nenversorgung, wie wir sie heute haben, passt darauf nicht mehr. Deshalb haben wir sie schon mit der Rentenstruk- turreform den neuen Lebensentwürfen angepasst. Jetzt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16805 (C) (D) (A) (B) – nach den Verhandlungen und Beschlüssen im Vermitt- lungsausschuss – nehmen wir noch einmal ein paar Än- derungen vor. Damit holen wir ein Versäumnis unserer Vorgängerre- gierung nach. Warum Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, sich so gegen diese Reform gesträubt ha- ben, das war und ist für mich unverständlich. Dass die jet- zige Hinterbliebensicherung für die jungen Frauen, die in 25 Jahren in Rente gehen, nicht mehr zeitgemäß ist, das ist schon lange bekannt. In 16 Jahren Kohl-Regierung ist trotzdem nichts passiert. Es ist nichts passiert, weil die Union will, dass Familien nach ihrem Leitbild leben: Va- ter bei der Arbeit und Mutter zu Hause bei den Kindern. Aber so leben Familien schon lange nicht mehr, und sie haben so auch nicht gelebt, als Sie ihnen das noch schmackhaft machen konnten. Was wir jetzt tun, ist schon lange überfällig: Wir voll- ziehen mit der Reform der Hinterbliebenenrente Ände- rungen in der Gesellschaft nach. Wir tun das ganz frei- willig. Bis zum Regierungswechsel mussten Frauen sich die Verbesserungen des Systems, die ihnen zugute kamen, regelmäßig vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten. Ich erinnere da nur an die Anerkennung von Erziehungs- zeiten oder die gleichzeitige Anerkennung von Erziehung und Erwerbstätigkeit. Beides wurde erst nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts beschlossen. Beides waren damals schon alte Forderungen der SPD. Mit dieser Ren- tenreform setzen wir jetzt noch weitere Verbesserungen für Frauen um. Wir haben die Hinterbliebenensicherung zielgenau re- formiert: für Frauen und Männer, die unter 40 sind, und für die Ehen, die in Zukunft geschlossen werden. Wir verändern nichts an den Renten, die jetzt schon ge- zahlt werden. Auch die Renten der Frauen, die erst in den nächsten Jahren Witwen werden, werden weiterhin nach jetzt geltendem Recht gezahlt. Erst die Frauen, die in 25 Jahren in Rente gehen, werden die Veränderungen er- leben, die wir mit dem Altersvermögensgesetz beschlos- sen haben und heute auf den Weg bringen. Ich sage das alles deshalb so deutlich, weil es genau an diesem Punkt die größten Unsicherheiten und Ängste gibt. Angst haben dabei vor allem diejenigen, die gar keine Änderung zu erwarten haben: 80-jährige Männer zum Beispiel, die fürchten, dass ihre Frauen nach ihrem Tod von der Witwenrente nicht mehr leben können. Sie fürchten sich, weil Sie, meine Damen und Herren von der Union, versuchen, mit den Ängsten älterer Leute Stim- mung zu machen. Sie versuchen, ihnen einzureden, sie müssten um ihre wohlverdiente Rente fürchten. Sie schüren diese Ängste, obwohl Sie genau wissen, dass sie völlig unbegründet sind. Das ist nicht einfach nur der unsportliche Versuch, uns schlecht aussehen zu lassen. Darüber könnten wir milde lächeln und weiter tun, was richtig ist. Was mich wirklich zornig macht, das ist die gemeine und unredliche Art, sich der Angst von jemand anderem zu bedienen. Das werden wir nicht vergessen, und daran werden sich im nächsten Jahr ganz sicher auch die Rentnerinnen und Rentner in diesem Land erinnern. Deshalb ist es auch besonders wichtig, gerade an die- sem Punkt – bei der Hinterbliebenensicherung – die Än- derungen genau zu erklären. Das tue ich jetzt. Vorher muss ich aber wie jedes Mal betonen: Die beste Alterssi- cherung ist es, erwerbstätig zu sein und Beiträge in die Rentenversicherung einzuzahlen. Das wissen die Frauen auch und verhalten sich entsprechend. Sie bleiben er- werbstätig, auch wenn sie Kinder bekommen, verheiratet oder nicht. Sie verlassen sich heute nicht mehr darauf, dass ein Ehemann sie versorgt, weder aktuell noch fürs Alter. Frauen wollen heute arbeiten – um unabhängig zu sein, weil sie das Geld brauchen, weil es Spaß macht. Uns geht es darum, dass im Alter die Leistungen dieser Frauen und Männer anerkannt werden: die Leistungen derjenigen, die Kinder erzogen haben und damit dazu bei- getragen haben, dass diese Gesellschaft und unser Ren- tensystem Bestand haben. In Zukunft werden Rentenanwartschaften von Frauen, die in den ersten zehn Lebensjahren ihres Kindes nur we- nig verdienen, um die Hälfte erhöht. Davon profitieren alle Mütter, vor allem auch die Alleinerziehenden, die ge- zwungen sind, erwerbstätig zu bleiben, und oft schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen. Diejenigen, die nicht erwerbstätig sein können – weil sie mehr als ein Kind oder ein pflegebedürftiges Kind ha- ben –, werden ebenfalls gefördert: mit einem Drittel Ent- geltpunkt während der zehn Jahre Kinderberücksichti- gungszeit. Das erhöht die Renten von Frauen, die Kinder erzogen haben – unabhängig davon, ob sie verheiratet wa- ren oder nicht. Darauf legen wir Wert. Auch bei der Hinterbliebenenrente selbst bekommt die Kindererziehung ein stärkeres Gewicht. In Zukunft wird es immer weniger Frauen geben, die im Alter ausschließ- lich darauf angewiesen sind, und es wird fast keine Frauen mehr geben, die nur von Witwenrente leben, obwohl sie keine Kinder haben. Die maßvolle Absenkung der Hinterbliebenenrente in 25 Jahren ist also geboten. Bei Müttern wird diese Ab- senkung vom ersten erzogenen Kind an durch die Kin- derkomponente ausgeglichen. Sie bekommen für das erste Kind zusätzlich zur Hinterbliebenenrente zwei Ent- geltpunkte. Bei einer durchschnittlichen Rente macht das in Mark und Pfennig im alten und neuen System dasselbe – rund 1 200 Mark im Monat bei aktueller Berechnung. Diejenigen, die eine unterdurchschnittliche Rente be- kommen, stehen sich nach der Rentenreform besser. Auch die Situation der Mütter, die mehrere Kinder erzogen ha- ben, verbessert sich. Für jedes weitere Kind gibt es einen weiteren Entgeltpunkt und damit nach heutigem Stand rund 50 DM pro Monat. Das alles gilt für Ehen, die heute noch nicht geschlossen sind oder bei denen beide Partner unter 40 sind; ich wiederhole das ganz bewusst. Wie wir alle wissen, ist Altersarmut vorwiegend weib- lich. Ich weise deshalb auch noch darauf hin, dass es in Zukunft für alle diejenigen, die sich keine existenzsi- chernde Rente erarbeiten konnten, die bedarfsorientierte Grundsicherung geben wird, und die wird es nicht erst in 25 Jahren geben, sondern sobald die Rentenreform in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116806 (C) (D) (A) (B) Kraft getreten ist, also zu Beginn des nächsten Jahres. Da- mit helfen wir vor allem den derzeitigen Rentnerinnen. Da das Altersvermögensgesetz bereits verabschiedet ist, geht es heute um ein weiteres, ergänzendes Gesetz, das Gesetz zur Verbesserung des Hinterbliebenenrechts. Dazu gehören zwei der Verbesserungen, die ich schon erwähnt habe: ein weiterer Entgeltpunkt für das erste erzogene Kind, und der Grundfreibetrag bei der Einkommensan- rechnung wird auf Dauer dynamisch bleiben. Diese Regelungen werden auch in der Alterssicherung der Landwirte und in der gesetzlichen Unfallversicherung nachvollzogen. Darüber hinaus wird die Zuständigkeit der Bundesknappschaft auf alle Versicherten mit mindes- tens einem Monat Beitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung ausgedehnt. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Frauen erhalten in Deutschland eine wesentlich geringere Rente als Män- ner. Die durchschnittliche Rente der Männer liegt bei fast 2 000 DM, die der Frauen bei nur 950 DM. Deshalb wären Verbesserungen für die Frauen bei der Rente dringend er- forderlich. Herr Riester brüstet sich damit, dass die Frauen in der Rentenversicherung mit Ihrer Reform jetzt besser gestellt werden. Das ist aber nicht wahr. Genau das Gegenteil ist der Fall. Frauen sind eindeutig die großen Verliererinnen Ihrer Rentenreform. Wir haben daher unseren Antrag in den Bundestag eingebracht und fordern die Bundesregie- rung auf, unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebe- nensicherung zurückzunehmen. Mit Ihrem Nachbesserungsgesetz, über das wir heute beraten, nehmen Sie lediglich einen Teil der drastischen Benachteiligungen von Frauen zurück; und das sind Be- nachteiligungen, die Sie selbst eingeführt haben. Deshalb ist auch der Titel Ihres Gesetzes „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenenrechts“ ein Witz. Auch ist Ihr Nachbesserungsgesetz typisch für die Entste- hungsgeschichte Ihrer Rentenreform, die von Durchei- nander und Chaos geprägt war. Bevor das Gesetz in Kraft tritt, müssen wir bereits über die ersten Änderungen Ihrer Rentenreform beschließen. Wir haben gegen die von Ihnen beschlossenen massi- ven Einschnitte in der Hinterbliebenensicherung gekämpft. Wir haben immer wieder gefordert, dass die Witwenrente erhalten bleiben muss. Dass Sie jetzt dieses Nachbesserungsgesetz vorlegen, ist unser Verdienst. Nur weil wir im Vermittlungsausschuss hart geblieben sind, haben Sie sich in letzter Sekunde doch noch bewegt. Al- lerdings geben Sie den Frauen damit nur zurück, was Sie ihnen vorher genommen haben. Die SPD ist mit dem Versprechen angetreten, die ei- genständige Alterssicherung für Frauen zu verbessern. Aber die rot-grüne Rentenreform bewirkt genau das Ge- genteil: Sie bringt massive Verschlechterungen für die Frauen. Die willkürliche Kürzung des staatlich garantierten Rentenniveaus auf 64 Prozent trifft Frauen doppelt. Ei- nerseits wird ihre eigene Rente gesenkt, andererseits zu- sätzlich auch die Witwenrente. Da Frauen durchschnitt- lich erheblich weniger Beitragsjahre aufweisen als Män- ner, wird das tatsächliche Rentenniveau vieler Frauen da- her im Jahr 2030 unter 50 Prozent sinken. Hinzu kommt, dass jetzt auch Vermögenswerte wie Miete oder Kapitaleinkünfte und nicht nur wie bisher Er- werbseinkommen und Sozialleistungen auf die Hin- terbliebenenrenten angerechnet werden. Dadurch werden die Menschen diskriminiert, die sich neben ihrer Rente noch selber etwas angespart haben, um sich den Lebens- standard im Alter etwas aufzubessern. Darüber hinaus kürzen Sie die Witwenrente von 60 auf 55 Prozent. Trotz der geplanten Kinderzuschläge werden Witwen schon bald deutlich weniger Witwenrente erhal- ten. Ihre Rentenpolitik ist eine Rentenpolitik mit der Pla- nierraupe – ohne Rücksicht auf Verluste. Im Gegenteil, Verluste sind sogar eingeplant. Auch die Ausgestaltung der zusätzlichen privaten Al- terssicherung richtet sich gegen die Frauen. Gleiche Ta- rife für Männer und Frauen – Unisex – bei der geförder- ten zusätzlichen Alterssicherung sind nicht vorgesehen. Frauen bekommen bei gleicher Sparleistung um bis zu 15 Prozent geringere Erträge. Auch das ist nicht akzepta- bel. Rentnerinnen in den neuen Bundesländern, die arbeits- los geworden sind, sind durch eine weitere Maßnahme hart getroffen, und zwar durch die von Ihnen durchge- setzte Herabsetzung der Beitragszahlungen für die Bezie- her von Arbeitslosenhilfe. Das entspricht einer Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge und infolge der Renten um mehr .als die Hälfte. Die Union hat dagegen während ihrer Regierungszeit eine ausgewogene und sozial gerechte Rentenpolitik be- trieben, die Frauen und Familien mit Kindern bei der Rente besser gestellt hat. 1986 haben wir die Kinderer- ziehungszeiten eingeführt. 1992 haben wir dann die An- rechnung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre für Geburten nach 1991 verlängert und erstmals Rentenan- sprüche für häusliche Pflegezeiten anerkannt. Mit dem Rentenreformgesetz 1999 haben wir eine höhere Bewer- tung der Kindererziehungszeiten und die additive An- rechnung von Kindererziehungszeiten erreicht. Wir haben also etwas für Frauen und Familien mit Kindern getan. Sie machen das jetzt wieder kaputt. Die Union hatte während ihrer Regierungszeit von ei- ner Änderung der Witwenrente Abstand genommen, so- lange keine verlässlichen Daten vorlagen. Seit Vorliegen der von Norbert Blüm in Auftrag gegebenen AVID-Studie ist die Union der Auffassung, dass auf absehbare Zeit auf die Witwenrente als wichtiges Element der Altersversor- gung von Frauen nicht verzichtet werden kann. Denn nach diesen Expertenberechnungen werden Frauen auch in 30 Jahren im Durchschnitt nur halb so viel eigene Rente haben wie Männer. Ein weiterer Punkt: Sie tricksen bei der Hinterbliebe- nensicherung herum, wie es Ihnen gerade gefällt. Ein Beispiel: Bei den Gesprächen im Vermittlungsausschuss zum Altersvermögensgesetz haben Sie uns immer vorge- worfen, wir würden unbezahlbare Forderungen bei der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16807 (C) (D) (A) (B) Hinterbliebenensicherung stellen. Sie präsentierten uns verschiedene Berechnungen mit astronomischen Zahlen. Nach Ihren Berechnungen im Vermittlungsausschuss sollte etwa ein Kinderzuschuss von einem Entgeltpunkt pro Kind 1,4 Milliarden DM kosten. Jetzt haben Sie in diesem Gesetz selber den Kinderzuschuss um einen Ent- geltpunkt erhöht. Und plötzlich kostet ein Entgeltpunkt nur noch 800 Millionen DM, also eine halbe Milliarde weniger. Wenn wir etwas fordern, rechnen Sie es teuer, wenn Sie es selber machen, kostet es plötzlich nur noch die Hälfte. Das ist unredlich. Ein weiteres Beispiel: Sie dynamisieren den Freibetrag bei der Einkommensanrechnung bei Witwen- und Wit- werrenten wieder. Das ist zu begrüßen. Aber eigentlich müsste der Beitragssatz durch diese Maßnahme steigen, nach Ihren Berechnungen um 2,5 Milliarden DM im Jahr 2030. Bei Ihnen sinkt der Beitragssatz aber von 22,0 auf 21,8 Prozent, und zwar nur deshalb, weil Sie wieder trick- sen. Sie erhöhen einfach die Zuwanderungsquote von 150 000 auf 200 000. Das ist keine seriöse Rentenpolitik. Das ist mit uns nicht zu machen. Auch ist das von Ihnen vorgesehene Rentensplitting ein unzumutbares Rentenroulette. Die Wahlmöglichkeit zwischen Splitting der Anwartschaften und der bisherigen abgeleiteten Hinterbliebenenrente ist unzumutbar. Die Höhe der Rente ist davon abhängig, ob das Rentensplit- ting oder die traditionelle Hinterbliebenenrente gewählt wird. Die Wahl führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, welcher Ehegatte zuerst stirbt. Die Ehegatten können also die für sie günstigere Wahl nur treffen, wenn Sie wissen, wer von ihnen überleben wird. Eine solche Entscheidung darf den Eheleuten aber nicht zugemutet werden. Die Union schlägt dagegen ein Konzept vor, das zur besseren sozialen Absicherung von Familien und zum Ausbau der eigenständigen Alterssicherung der Frau führt. Frauen müssen insbesondere durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf günstigere Chancen zum Erwerb eigenständiger Anwartschaften haben. Familienarbeit muss deshalb in der Rentenversiche- rung stärker honoriert werden. Deshalb sollen Zeiten der Kindererziehung besser als bisher in der Alterssicherung berücksichtigt werden. Auch soll die Witwen-/Witwer- rente den Charakter einer eigenständigen Sicherung er- halten. Folglich soll neben der selbst erworbenen Rente ein angemessener Teil der Rentenanwartschaften aus der Hinterbliebenenrente in eine neue Ehe mitgenommen werden können. Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie die unsozialen Ren- tenkürzungen in der Hinterbliebenensicherung zurück. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Katrin Göring-Eckhardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wenn ich die Verhandlungen um die Rentenreform noch einmal in Erinnerung rufe, dann fällt auf, dass Sie, verehrte Damen und Herren von der Opposition, an Kon- zepten nur unrealistische Blütenträume vorgelegt oder sich in trotziger und unentschlossener Manier der Moder- nisierung der Rentenversicherung bis zum Schluss ver- weigert haben. Was haben wir gemacht? Wir haben eine Rentenreform beschlossen, die die Generationengerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Gerecht heißt für uns: Die Beitrags- sätze bleiben langfristig stabil. Das schafft eine verlässli- che Grundlage für die heute jungen und die zukünftigen Generationen. Die Beitragssatzstabilität ist und bleibt ein vorrangiges Ziel dieser Regierung. Und das ganz im Gegensatz zu Po- litik der Opposition, die die Beitragssätze jahrelang in horrende Höhen getrieben hat, ohne dass die Menschen dafür eine adäquate Gegenleistung bekommen hätten. Wir wollen mit den niedrigen Beiträgen erreichen, dass junge und ältere Menschen bessere Chancen auf dem Arbeits- markt haben. Wir wollen der jungen Generation eine eigenständige Altersvorsorge an die Hand geben. Mit einer staatlichen Förderung, die sich für sie lohnt, selbst vorzusorgen. Mit der Förderung werden gerade Familien bevorzugt. Wir haben innerhalb der Rentenreform wegweisende Schritte unternommen, Kindererziehung als eigenständige Leis- tung, ähnlich der einer „normalen Arbeit“, anzuerkennen. Denn nach der Rentenreform erhalten Eltern, welche in den ersten zehn Lebensjahren eines Kindes lediglich un- terdurchschnittliche Beiträge zur Rentenversicherung zahlen konnten, zudem eine Höherbewertung ihrer einge- zahlten Beiträge. Ihre Beiträge werden um 50 Prozent auf- gewertet. Konnten sie wegen der Erziehung von zwei und mehr Kindern keine Beiträge zur Rentenversicherung leisten, erhalten sie eine pauschale Gutschrift. Für Eltern von pflegebedürftigen Kindern gilt dies sogar bis zum 18. Lebensjahr des Kindes. Das Argument, die Rentenre- form benachteilige die Frauen, ist also schlicht falsch. Dieses Argument ist auch aus dem Grund falsch, weil wir durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss die Versorgung von Hinterbliebenen deutlich verbessert haben. Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zur Um- setzung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses wird die Kinderkomponente für das erste Kind von einem Entgeltpunkt auf zwei Entgeltpunkte erhöht. Außerdem wird der Grundfreibetrag für andere Einkünfte bei der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten wei- terhin dynamisiert. Das bedeutet, wir lassen diesen Grund- freibetrag auch weiterhin steigen. Wir haben die Hinterbliebenenrenten modern und zu- kunftsfähig gemacht. Der Versorgungssatz wird lediglich für die kinderlosen Hinterbliebenen verringert. Dies ist annehmbar, denn angesichts der zunehmenden Berufs- tätigkeit von Frauen werden diese Frauen eigene Renten- ansprüche aufgebaut haben und sind nicht, wie viele heu- tige Witwen, auf die Hinterbliebenrente des Mannes angewiesen. Für die heutigen Witwen ändert sich nichts, denn die neuen Regelungen gelten erst für die unter 40-Jährigen. Diese Frauen haben meist ihren Beruf auf- gegeben, um sich um die Erziehung ihrer Kinder zu küm- mern. Diese Erziehungsleistung erkennen wir an. Für die Zukunft wollen wir aber eine eigenständige Alterssiche- rung der Frauen – auch damit sie im Falle einer Scheidung besser abgesichert sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116808 (C) (D) (A) (B) Wir wollen bei der Rentenreform keine sozialen Här- ten. Für die meisten ist das Häuschen die Altersvorsorge schlechthin. Deshalb bin ich erfreut, dass uns die Einbe- ziehung des Wohneigentums als nahezu gleichrangige Form der privaten Alterssicherung gelungen ist. Familien müssen die Chance haben, beides zu tun: für das Alter vorzusorgen und die eigenen vier Wände zu finanzieren. Verehrte Damen und Herren der Union, das müssen Sie den Menschen erst einmal erklären: Warum sie nicht wol- len, dass sich die Menschen eine eigenständige, zweite Altersvorsorge aufbauen können, mit der sie auch ihr Häuschen zwischenfinanzieren können. Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.): Die F.D.P. be- grüßt, dass jetzt doch noch Veränderungen am bereits ver- abschiedeten Rentenreformgesetz gemacht werden. Da- durch wird die Tatsache nicht aus der Welt geschafft, dass diese Reform insgesamt zu kurz gegriffen hat. Aber we- nigstens wird die Verunsicherung der Frauen abgebaut, die sich besorgt gefragt haben, wie ihre Hinterbliebenen- versorgung aussieht. Die gute Botschaft des heutigen Ta- ges lautet: Auch für die jüngeren Frauen ist sichergestellt, dass sie mit ihrer Gesamtversorgung im Alter an der all- gemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Festhalten darf ich allerdings, dass der Titel des Regie- rungsentwurfs – höflich formuliert – eine staunenswerte Frechheit ist. In Wirklichkeit geht es nicht um eine Ver- besserung, sondern um die Rücknahme der im kürzlich verabschiedeten Altersvermögensergänzungsgesetz von der rot-grünen Mehrheit beschlossenen Verschlechterung der Hinterbliebenenversorgung. Dass wir hier darüber de- battieren, dürfte ein wesentlicher Erfolg des Vermitt- lungsverfahrens sein. Wir begrüßen, dass bei der Rentenberechnung die bis- her auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinder- komponente für das erste Kind auf zwei Entgeltpunkte erhöht wird. Wir begrüßen gleichermaßen, dass der Grundfreibetrag bei der Einkommensanrechnung auf Witwen- und Witwerrenten, der durch das Altersvermö- gensergänzungsgesetz eingefroren wurde, auf Dauer dy- namisiert bleibt. Wir bezweifeln die Sinnhaftigkeit der geforderten Ausdehnung der Zuständigkeit der Bundes- knappschaft im Leistungsfall auf alle Versicherten mit mindestens einem Monat Beitragszeit in der knapp- schaftlichen Rentenversicherung. Es ist sicher richtig, zu sagen, dass hier eine Behörde, die offensichtlich nach neuen Aufgabengebieten sucht, bedacht und der Minis- terpräsident eines großen Bundeslandes besänftigt wer- den soll. Einen wichtigen Punkt monieren wir nach wie vor: Leider fehlt in dem Entwurf der Bundesregierung die For- derung, dass die Anrechnung von Vermögenseinkünften in der Hinterbliebenensicherung auf Dauer unterbleibt. Eine vollständige Anrechnung aller Einkommensarten hat die F.D.P. abgelehnt, da dies mit dem Anreiz zur pri- vaten Eigenvorsorge nicht vereinbar ist. Wenn Vermö- genseinkommen wie Miete und Kapitaleinkünfte und nicht nur wie bisher Erwerbseinkommen auf die Hin- terbliebenenrenten angerechnet werden, werden die Men- schen diskriminiert, die sich neben ihrer Rente noch sel- ber etwas angespart haben, um sich den Lebensstandard im Alter aufzubessern! Nicht angerechnet wird Einkom- men, wenn bei In-Kraft-Treten der Reform in einer Ehe einer der Partner das 40. Lebensjahr erreicht hat. Wir wer- den dies in den Ausschussberatungen nochmals themati- sieren. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Nach der Wahl ist vor der Wahl. Wir alle kennen diesen schönen Spruch. Er lässt sich auch auf die Rentenreform anwenden. Nach der Rentenreform ist vor der Rentenreform. Dagegen wäre ja auch wenig zu sagen, wenn nicht gerade die Regierung immer von einem Jahrhundertwerk gesprochen hätte, das nun in einem Guss auf Jahrzehnte Bestand hat. Warum nicht ein bisschen bescheidener, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Regierungskoalition. Die Pro- bleme der Alterssicherung sind doch nicht in einem Wurf, schon gar nicht in einem Jahrhundertwurf zu lösen, son- dern verlangen Reformschritte, die als Prozess begriffen werden. Die Prognose, dass die heutige Debatte im Zu- sammenhang mit Nachbesserungen, die aufgrund des Er- gebnisses der Sitzungen des Vermittlungsausschusses notwendig sind, nur die erste von einer Reihe weiterer Debatten zur Veränderung der jetzt beschlossenen Re- form ist, kommt nicht nur von der PDS. Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und den Rentenversiche- rungsträgern gehen davon aus, dass Ihre Annahmen zu optimistisch sind, die Finanzierungsgrundlage nicht ab- gesichert ist und schon in kurzer Zeit die Diskussion er- neut begonnen werden muss. Heute geht es neben Regelungen zur knappschaftli- chen Rentenversicherung um Verbesserungen der Hin- terbliebenenrente. Kindererziehungszeiten sollen aufge- wertet werden, um die Absenkung der Witwenrente von 60 Prozent auf 55 Prozent zu kompensieren. Eine Besser- stellung sicher – aber kinderlose Witwen müssen weiter mit der Kürzung ihrer Hinterbliebenrente rechnen. Auch der Grundfreibetrag für die Einkommensanrech- nung soll dynamisiert werden – auch ein wichtiger Schritt zur Absicherung der Lebenssituationen von Hinterbliebe- nen. Die Regierung muss sich allerdings fragen lassen, warum solche wichtigen sozialen Weichenstellungen erst unter dem Druck der notwendigen Mehrheitsbeschaffung für das Jahrhundertwerk Rente zustande kommen. Es stellt sich auch die Frage, wie die offensichtlichen sozialen Besserstellungen der Witwen und Witwer nun plötzlich trotz stabiler Beiträge finanziert werden können. Aber zurück zur Hinterbliebenenrente und der dort zu- sätzlich vorgesehenen Aufwertung der Kindererziehung. Die PDS ist der Auffassung, wenn diese Debatte schon wieder neu aufgemacht wird, sollte gleichzeitig eine ge- rechte Lösung im Interesse der erziehenden erwerbstäti- gen Frauen angepackt werden. Die mit der Rentenreform beschlossene Ungleichbehandlung von Kindererziehung ist nicht verfassungskonform, wie bereits 1992 vom Bun- desverfassungsgericht festgestellt wurde. Schon hier wurde der Grundsatz, dass die Erziehung eines Kindes un- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16809 (C) (D) (A) (B) abhängig vom Einkommen der Erziehenden einheitlich zu bewerten ist, aufgestellt. Genau dies aber leistet die Rentenreform nicht. Die PDS hatte bereits während der Beratung der Ren- tenreform einen Antrag eingebracht, der die hier einkom- mensunabhängige lineare Aufwertung von Kindererzie- hungszeiten für erwerbstätige Mütter und Väter regelt. Wir werden in der weiteren Beratung einen Vorstoß in diese Richtung machen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung illegaler Betätigung im Bauge- werbe (Tagesordnungspunkt 25) Dieter Grasedieck (SPD): 500000 Arbeitsplätze ge- hen durch die Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung verloren. 125 Milliarden DM Steuern fehlen dadurch den Kommunen, den Ländern und dem Bund. Schwarzarbeit vernichtet aber auch 110 Milliarden DM Sozialversiche- rungsbeiträge. 10 Prozent der Arbeitsplätze am Bau sind nachweislich illegale Arbeitsplätze. Legal handelnde Be- triebe werden vom Markt gedrängt. Sie haben keine Chance gegen Subunternehmen, die keine Steuern und keine Versicherungen zahlen. Sie können gegen einen Stundenlohn von 5 DM bis 8 DM nicht konkurrieren. Le- gale Arbeitsplätze fallen weg, weil die illegale Beschäfti- gung mehr und mehr professionell betrieben wird. Es ent- steht ein Geflecht von vielen unüberschaubaren Ketten von Subunternehmern. Viele Menschen aus dem Ausland suchen einen Arbeitsplatz auf dem deutschen Schwarz- markt, weil das Gefälle beim Arbeitslohn zu groß ist. 100 000 verhinderte illegale Beschäftigungen können zu mehr als 60 000 legalen Beschäftigungsverhältnissen füh- ren. Deshalb muss die illegale Beschäftigung mit allen Mitteln bekämpft werden. Wir müssen unsere Anstren- gungen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit erhöhen. Wie können wir das erreichen? An der Bundesgrenze darf die Ermittlung gegen Steu- erkriminalität nicht enden. Unsere Finanzämter an den Grenzen zu den Niederlanden, zu Belgien und Frankreich und zu den osteuropäischen Ländern müssen direkt mit den ausländischen Finanzämtern kooperieren können. Der heutige Umweg über die Bundeszentralen führt zu unnötigen Zeitverzögerungen. Wechselseitige Informa- tionen sind dringend erforderlich. Das neue Gesetz will die Lücke in der Bekämpfung der illegalen Arbeit schließen. Alle Organisationen begrüßen diesen Gesetzesvorschlag des Bundesrates. Das Hearing im Finanzausschuss zeigte das sehr deutlich. Der Arbeit- geber unterstützte den Gesetzentwurf genauso wie die Gewerkschaft. Das Gesetz berücksichtigt das EU-Recht. Vereinfachungen bei der Ausstellung der Freistellungsbe- scheinigung sind ebenso vorgesehen wie eine zügige Er- stattung des Abzugsbeitrages. Der Steuerabzug von 15 Prozent der Gesamtkosten wird an der Quelle beim Auftraggeber – Bauherr – vorgenommen. Inländische und ausländische Unternehmen müssen vor Beginn der Arbeit eine Anzeige beim Finanzamt abgeben. Nur so kann die Steuerhinterziehung effektiv bekämpft werden. Natürlich kann der Steuerabzug unterbleiben, falls der Unternehmer eine Freistellung vorlegt. Selbstverständlich kann der Leis- tungsempfänger die Kosten als Betriebsausgaben abzie- hen, wenn 15 Prozent der Gesamtkosten dem Finanzamt überwiesen wurden. Kritisch hinterfragt wurde bei dem Hearing: Welches Finanzamt überprüft den Auftrag? – Ich meine, es spricht vieles für eine zentrale Zuständigkeit durch das Finanz- amt am Unternehmenssitz. Nur durch diese gebündelten Informationen über die Aufträge der Firma können Steu- erkriminalität und Missbrauch bekämpft werden. Selten ist ein Gesetz so einheitlich positiv beurteilt worden. Unsere Unternehmen und unsere Bauarbeiter warten auf das Gesetz. Ehrliche Unternehmen dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Steuerkriminalität, Steuer- missbrauch und Steuerflucht dürfen keine Zukunft haben. Elke Wülfing (CDU/CSU): Anfang dieser Woche ha- ben Münchener Steuerfahnder einen millionenschweren Steuerbetrug im Baugewerbe aufgedeckt. Der Schaden durch Hinterziehung von Lohnsteuer und Sozialabgaben beträgt mindestens 34 Millionen DM. Es scheint so zu sein, dass ein unübersichtliches Netz von Scheinfirmen und Nachfolgefirmen gegründet worden ist, zwischen de- nen Verträge und illegale Arbeitskräfte hin und her ge- schoben wurden. Auf diese Weise wurden sowohl die Lohnsteuer, die Umsatzsteuer als auch Sozialabgaben in Deutschland hinterzogen. Leidtragende dieser Praktiken sind vor allem ausländische Arbeitnehmer, die oft zu Hun- gerlöhnen arbeiten müssen. Leidtragende sind aber auch die deutschen arbeitslosen Bauarbeiter, die durch die Be- schäftigung illegaler Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz finden können. Leidtragende sind vor allem aber die große Zahl deutscher Baufirmen, die gesetzestreu Steuern und Sozialversicherungsabgaben entrichten. Sie gehen in Konkurs, weil Steuern und Lohnnebenkosten in Deutsch- land zu hoch sind und weil sie deswegen im Wettbewerb mit der illegalen Konkurrenz im Preis hoffnungslos un- terlegen sind. Diese Art illegaler Betätigung im Baugewerbe gibt es in ganz Europa, aber leider sind alle Bemühungen um eine einheitliche EU-weite Regelung gescheitert. Die rot- grüne Bundesregierung ist mit ihrem 25-prozentigen Pflichtsteuerabzug für ausländische Werksvertragsunter- nehmen im Steuerentlastungsgesetz 1999 allerdings an dem von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsver- letzungsverfahren ebenfalls gescheitert. Inzwischen ha- ben die Niederlande, Belgien, Großbritannien und Irland nationale Regelungen zur Eindämmung illegaler Betäti- gung auf dem Bausektor geschaffen. Sie schreiben zum Beispiel einen pauschalen Vorausabzug von einem Teil der Steuern und Sozialabgaben von der Rechnung vor. Trotz der immer rascher ansteigenden illegalen Betäti- gung im Bausektor hat die rot-grüne Bundesregierung zwei Jahre untätig zugesehen, wie die deutsche Bauwirt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116810 (C) (D) (A) (B) schaft aufgrund der illegalen und unfairen Wettbewerbs- situation den Bach herunterging. Das CDU/F.D.P. regierte Hessen hat auf diese Situation reagiert und Ende letzten Jahres mit Unterstützung der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg im Bun- desrat einen EU-konformen Gesetzentwurf eingebracht, der einen 15-prozentigen Pflichtabzug für Steuern aus in- ländischen wie ausländischen Subunternehmerverträgen einführt. Die deutsche Bauindustrie, der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt haben sich vehement für diese ge- setzliche Regelung zum Schutz vor illegaler Konkurrenz ausgesprochen. In der öffentlichen Anhörung des Finan- zausschusses zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates ist gerade von den Vertretern des mittelständischen Bauge- werbes geäußert worden, dass die Konjunkturlage in der Bauwirtschaft stark angegriffen sei, die Tendenzen Null- wachstum zeigen und es noch weiter bergab gehe. Durch die Dumpingpreise, die illegale Firmen auf den deut- schen Markt einschleusen und ihn damit weiter belasten, sei zu befürchten, dass sich der Mittelstand selbst bei anziehender Konjunkturlage nicht erholen könne. Dar- um befürwortet die Baubranche diesen Gesetzentwurf sehr. Bei illegaler Betätigung sind drei Gruppen zu unter- scheiden: erstens Besteuerung des ausländischen Bauun- ternehmens einschließlich der Lohnsteuer der von ihm im Inland eingesetzten Arbeitnehmer, zweitens Besteuerung der im Inland eingesetzten Arbeitnehmer des ausländi- schen Bauunternehmens, und drittens Erfassung der grenz- überschreitenden Arbeitnehmerüberlassung. Aus denAnregungen der Experten bei der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses hat das Bundesfinanz- ministerium in Zusammenarbeit mit den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Gesetzesänderungen erarbeitet, die sowohl den Begriff der Bauleistung, den Unternehmensbegriff, die Erlan- gung einer Freistellungsbescheinigung, die Haftung des Leistungsempfängers und den Betriebsausgabenabzug präziser regeln. Damit hat der Finanzausschuss Kri- tikpunkte des Deutschen Industrie- und Handelstages und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks aufge- griffen, die sich zum Beispiel darauf bezogen, dass jeder private Vermieter, der sein Haus renoviert, der Abzug- steuer unterliegt. Wir haben den Begriff des Unterneh- mers präzisiert und die Bagatellgrenze für private Ver- mieter auf 30 000 DM angehoben. Auch die Kritik an der Haftung des Leistungsempfängers haben wir aufgegriffen und formuliert, dass die Haftung nur bei grober Fahrläs- sigkeit eintritt. Des Weiteren war die Regelung zum Be- triebsausgabenabzug in der Anhörung kritisiert worden. Deswegen haben wir beschlossen, dass der Betriebsaus- gabenabzug nach Vorlage der Freistellungsbescheinigung bzw. nach Durchführung des Steuerabzugs für den deut- schen Auftraggeber in voller Höhe gesichert ist. Die Frage nach einer zusätzlichen Abzugsregelung der Sozialversicherungsbeiträge wird im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung im Baubereich auch immer wie- der gestellt. Der Finanzausschuss hat diesen Bereich nicht neu geregelt, da die Einbeziehung der Sozialversiche- rungsbeiträge in ein Steuergesetz sachfremd wäre. Ganz abgesehen davon gibt es ein solches Abzugsverfahren im Baubereich. Ein ausländischer Bauunternehmer muss 14,5 Prozent der Lohnsumme in die Urlaubs- und Aus- gleichskasse zahlen. Die Anwendung und vernünftige Durchführung dieses schon vorhandenen Abzugsverfah- rens ist, glaube ich, eher das Problem. Den in weiten Bereichen in krimineller Absicht began- genen Verstößen gegen die Abgabenordnung, das Ein- kommensteuergesetz sowie das Umsatzsteuergesetz wer- den wir hoffentlich mit diesem Gesetzentwurf besser begegnen können. Die ausgeklügelte Einschaltung von unseriös operierenden Subunternehmen oder Scheinfir- men, die zu Wettbewerbsverzerrung führt und die seriöse Anbieter vom Markt verdrängt, kostet nach Angaben des Bundesfinanzministeriums jährlich 500 000 deutsche Arbeitsplätze, 125 Milliarden DM Steuerausfälle und 110 Milliarden DM Sozialversicherungsbeiträge. Diese Zahlen machen deutlich, dass offensichtlich immer weiter verfeinerte Verschleierungs- und Umgehungsmethoden zum Schaden der gesetzestreuen Arbeitgeber und Arbeit- nehmer und zum Schaden des Gemeinwohls in kriminel- ler Absicht entwickelt wurden. Daher war dringender Handlungsbedarf gegeben. Ich bin deshalb den Bundesländern Hessen, Baden- Württemberg und Bayern für diese Bundesratsinitiative außerordentlich dankbar und bin auch froh darüber, dass sich die Bundesregierung wie auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen dazu durchringen konnten, diesen Gesetzentwurf mit den Oppositionsfraktionen im Bun- destag gemeinsam zu beschließen. Möge die Übung ge- lingen. Trotzdem kann ich mir zum Schluss die Bemerkung nicht verkneifen: Das Grundübel in Deutschland ist die zu hohe Steuer- und Sozialabgabenbelastung. Sie verteuert die Produkte und Dienstleistungen und führt direkt in die Schwarzarbeit. Deshalb: Ceterum censeo: Runter mit den Steuern und den Lohnnebenkosten. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir wollen die illegale Betätigung im Baugewerbe zurückdrängen. Schwarzarbeit ist zu einem volkswirt- schaftlichen Problem geworden, dem in der Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Die IG Bauen-Agrar-Umwelt hat uns auf der Anhörung einen Umfang der Schwarzarbeit von jährlich ca. 640 Milliar- den DM genannt. Sie geht davon aus, dass die illegale Bestätigung und Schwarzarbeit in den letzten 4 Jahren 170 000 Arbeitsplätze allein im Baugewerbe gekostet hat. Auch wenn diese Mittel zum Teil wieder in den normalen Wirtschaftskreislauf zurückfließen, sie fehlen den Sozial- versicherungen und dem Fiskus. Wir müssen hier Abhilfe schaffen, auch deshalb, weil man es dem, der ehrlich und pünktlich seine Steuern und Abgaben bezahlt, nicht zu- muten kann, mit schwarz arbeitenden Firmen um Auf- träge konkurrieren zu müssen. Grundsätzlich können wir Schwarzarbeit vor allem dadurch reduzieren, dass wir die Steuersätze und die Lohnnebenkosten senken. Eine nied- rige Belastung senkt den Anreiz zur Schwarzarbeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16811 (C) (D) (A) (B) erheblich. Diesen Weg haben wir seit 1998 konsequent verfolgt. Innerhalb weniger Jahre haben wir bei der Einkommensteuer den Eingangssteuersatz um knapp 11 Prozentpunkte und den Spitzensteuersatz um genau 11 Punkte gesenkt. Gleichzeitig haben wir bei der Ren- tenversicherung den Beitragssatz von 20,3 Prozent auf 19,1 Prozent dieses Jahr gesenkt und er wird weiter sin- ken – dank Ökosteuer und Rentenreform. Wir haben einiges erreicht! Aber: Null-Mark-Belas- tung kann man nicht weiter unterbieten. Es wäre naiv zu glauben, dass man allein durch Steuer- und Abgaben- senkung der Schwarzarbeit den Hahn abdreht. Wir bauen deshalb auch die Kontrollmöglichkeiten aus. Die Zolläm- ter haben schon im letzten Jahr 700 zusätzliche Stellen be- kommen und in diesem Jahr werden noch einmal 700 Stellen eingerichtet. Zoll und Arbeitsämter organisieren sich effektiver und haben ihre Zusammenarbeit verbes- sert. Auch die Steuerfahndung hat ihre Ergebnisse ver- bessert. 1999 holten die Steuerfahnder 2,9 Milliarden DM zusätzliche Steuereinnahmen herein, das sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Aber bei allen diesen Bemühungen ist es mir wichtig festzuhalten: wir können und wir wol- len nicht hinter jedes kleine Bauunternehmen einen Be- amten stellen, der es überwacht. Wir wollen aber den steuerehrlichen und abgabenehrlichen Firmen die Chance geben zu überleben, denn die starken Wettbe- werbsverzerrungen durch Schwarzarbeit führen zuneh- mend zur Verdrängung von seriösen Anbietern. Wir haben deshalb den Vorschlag des Bundesrates, eine 15-prozentige Abzugssteuer im Baugewerbe einzu- führen, genau geprüft. Besonders auch, weil wir ja 1999 schon einmal eine solche Abzugssteuer eingeführt hatten und wir diese aber wegen EU-rechtlicher Bedenken gleich wieder abschaffen mussten. Wir hatten vor allem drei Fragen: Ist eine solche Regelung wirksam? Ist sie EU-Recht konform? Ist die Neuregelung verwaltungssei- tig angemessen und umsetzbar? Die Experten in der Anhörung, auch die Bauwirtschaft selbst, haben uns be- stätigt, dass eine Abzugsbesteuerung ein erfolgverspre- chender Weg ist, Schwarzarbeit einzudämmen. Die Neu- regelung bedeutet zunächst einmal mehr Bürokratie für die Unternehmen und für die Finanzverwaltung – darüber muss man sich klar sein. Aber: Mittel- bis langfristig wird sich eine solche Regelung auszahlen. Gerade für die be- troffenen Unternehmen. Denn bisher bestand ja zum Bei- spiel immer das Risiko, dass das Finanzamt im nachhi- nein Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben anerkannt und den Vorsteuerabzug verweigert hat, weil sich heraus- gestellt hat, dass der Auftragnehmer illegal tätig war. Darüber hinaus haben wir viele Anregungen der Sachver- ständigen zu Verwaltungsvereinfachung und zu EU-recht- lichen Bedenken in die Ausschussempfehlung aufgenom- men und insbesondere die kleinen Vermieter sind jetzt durch eine hohe Freigrenze von 15 000 Euro in diesem Bereich im wesentlichen nicht mehr betroffen. Wir kön- nen also heute die drei Kernfragen mit Ja beantworten. Der Gesetzentwurf ist wirksam, er entspricht dem EU- Recht und der entstehende Verwaltungsaufwand ist ange- messen und zu bewältigen. Ich stimme dem Gesetzent- wurf deshalb zu. Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Der Anlass zur Bera- tung dieses Gesetzes muss uns allen Grund zu Sorge ge- ben: Nach dem Gesetzentwurf des Bundesrates, der maß- geblich von den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen betrieben wurde, nimmt die illegale Beschäfti- gung in allen Bereichen zu. Nach den Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen gehen durch Schwarz- arbeit circa 500 000 Arbeitsplätze und jährlich etwa 125 Milliarden DM Steuereinnahmen und rund 110 Mil- liarden DM Sozialversicherungsbeiträge verloren. Des- halb hat die F.D.P. immer wieder darauf gedrängt, dass die Steuer- und Abgabenquote gesenkt wird. Nur wenn es uns gelingt, die Differenz zwischen Brutto und Netto für je- den einzelnen Arbeitnehmer zu verringern, werden wir Anreize für illegale Beschäftigung unterbinden können. An dieser Stelle versagt die rot-grüne Bundesregie- rung. Durch die Ökosteuer, durch eine auf fast 3 Prozent gestiegene Inflation, durch die Verschlechterungen der Abschreibungsbedingungen – um nur einige wenige Bei- spiele zu nennen – werden die Bürger, die Selbstständigen und die Unternehmer in unserem Land Jahr für Jahr stär- ker belastet. Die Entlastung durch die Steuerreform droht zu verpuffen. Es ist deshalb im Interesse des Mittelstan- des, der Selbstständigen und der Unternehmer erforder- lich, die weiteren Stufen der Steuerreform vorzuziehen, damit hier eine echte Entlastung für alle erfolgt. Dem Bür- ger muss endlich mehr von dem verbleiben, was er selbst erarbeitet hat. Die Differenz zwischen Brutto und Netto muss sinken. Wenn dieses geschieht, sinkt auch automa- tisch der Anreiz für Schwarzarbeit. Den heute hier zu debattierenden Gesetzentwurf hat deshalb die F.D.P. immer wieder als „second best“, also als die zweitbeste Lösung, bezeichnet. Die F.D.P. hofft, dass mit dieser Regelung die illegale Betätigung im Bau- gewerbe maßgeblich eingeschränkt werden kann. Auch auf Betreiben der F.D.P. hat es zu diesem Ge- setzentwurf eine öffentliche Anhörung gegeben. Durch nachfolgende Beratungen konnten maßgebliche Verbes- serungen am Gesetzentwurf erreicht werden. Für die F.D.P. stand von vornherein im Vordergrund, unnötige zusätzliche Bürokratie auf ein notwendiges Mi- nimum zu reduzieren. Deshalb begrüßen wir es, dass schon direkt nach Beschlussfassung dieses Gesetzes die Unternehmen die Möglichkeit erhalten, eine Freistel- lungsbescheinigung bei den zuständigen Behörden anzu- fordern. Zudem ging es der F.D.P. darum, dass die Auf- traggeber von Bauleistungen nicht einer zu starken unnötigen Bürokratie ausgesetzt sind. Deshalb begrüßen wir, dass die Haftung des Leistungsempfängers auf Fälle grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz beschränkt wird. Die F.D.P. bedauert es natürlich, dass unser Antrag, die Bagatellgrenze für den Steuerabzug bei der umsatzsteuer- freien Vermietung von 15 000 Euro auf 25 000 anzuheben, bei Enthaltung der Union mit den Stimmen von Rot-Grün abgelehnt wurde. Gerade im Bereich der privaten Bau- herren ist eine Akzeptanz dieser Regelung dringend er- forderlich. Diese Akzeptanz kann gefährdet sein, wenn die Bagatellgrenze zu niedrig angesetzt ist. Die F.D.P. setzt sich ferner dafür ein, dass das Steuerabzugsverfah- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116812 (C) (D) (A) (B) ren nach entsprechender Erfahrung mit seiner Anwen- dung überprüft wird. Trotz dieser Bedenken stimmt die F.D.P. dem heutigen Gesetzentwurf zu und hofft, dass dieses Gesetz die Hand- habe dafür bietet, illegale Betätigung im Baugewerbe ein- zudämmen. Heidemarie Ehlert (PDS): Die Problematik, um die es im vorliegenden Gesetzentwurf geht, ist nicht neu, um nicht zu sagen, wir haben es doch schon immer gewusst. Zumindest haben wir schon im November 1999 im Zu- sammenhang mit der Diskussion um das Steuerbereini- gungsgesetz 1999 in einem Änderungsantrag darauf ver- wiesen, dass der Steuerabzug von Vergütungen an ausländische Werkunternehmer – § 50 a Abs. 7, § 52 Abs. 58 des Einkommensteuergesetzes – bis zu einer grund-sätzlichen Neuregelung zumindest für das Bauge- werbe als branchenspezifische Sonderregelung beibehal- ten werden sollte. Die bis dahin übliche Form der Rege- lung des Steuerabzugs hatte sich gerade in der Bauwirtschaft, wo das Problem der illegalen Tätigkeit am größten war, bewährt. Es gab nachweisbare erste Erfolge im Kampf gegen illegale Scheinfirmen, die durch die Auf- hebung der damals gültigen Regelung des Steuerabzugs von Vergütungen an ausländische Werkunternehmer im Zuge des Steuerbereinigungsgesetzes zunichte gemacht wurden. Unser Antrag wurde damals einhellig von den Koalitionsparteien wie auch von den anderen Oppositi- onsparteien abgelehnt. Aber so unrecht hatten wir wohl damals doch nicht – nur mussten jetzt die Länder die In- itiative ergreifen. Zunehmende Pleiten und steigende Ar- beitslosenzahlen haben die Situation im Baugewerbe zu- gespitzt. Betriebe, die nach Tarif zahlen, geraten mehr und mehr ins Abseits. Die illegale Betätigung im Baugewerbe gehört zu den drückendsten Problemen. Der Bundesrat ging deshalb mit einem Gesetzentwurf in die Offensive. Das ist zu begrüßen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist nun ein ernst- hafter Anfang gemacht, Lösungen, die auch mit den Vor- stellungen der EU konform gehen, anzubieten. Die PDS- Fraktion unterstützt die Gesetzesinitiative, auch wenn wir sie uns an manchen Stellen noch konkreter und fassbarer gewünscht hätten. Die ursprünglichen Überlegungen zur Änderung der Abgabenordnung – im Entwurf § 138 a – hätten an ausländische Bauunternehmer hohe Anforde- rungen gestellt, aber zumindest Voraussetzungen geschaf- fen, um illegale Betätigung besser erfassen zu können. Aber abgesehen davon, dass diese Fassung nicht EU-kon- form gewesen wäre, wären damit nicht die illegal Be- schäftigten bei deutschen Unternehmen erfasst worden, denn auch so etwas soll es geben. Diese illegal Beschäf- tigten sind auch nach dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht viel besser dran. Sollte ihr Unternehmen auffliegen, stehen sie nicht nur ohne die paar Pfennige da, die sie mühsam verdient haben, sondern auch ohne jeden An- spruch auf Versicherungsleistungen. Eine Einbeziehung auch der Sozialversicherungsbeiträge in das Abzugsver- fahren halte ich deshalb für notwendig. Die Meldepflicht kann nach wie vor umgangen werden, da man die ur- sprüngliche Erweiterung der Meldepflicht nach § 3 Ar- beitnehmerentsendegesetz zurückgenommen hat, um nicht in die gemeinschaftsrechtlich garantierte Dienstleis- tungsfreiheit im Ausland ansässiger Unternehmen einzu- greifen. Diese Meldepflicht hätte doch auch auf die inlän- dischen Unternehmen ausgedehnt werden können, denn, wie gesagt, schwarze Schafe gibt es auch hier. In der Hoffnung, dass durch diese gesetzliche Neure- gelung Arbeitsplätze geschaffen werden, Steuermehrein- nahmen und Sozialversicherungsbeiträge erzielt werden, stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu. Anlage 11 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 763. Sitzung am 11. Mai 2001 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Umstellung von Vorschriften im land- und forstwirtschaftlichen Bereich auf Euro (Fünftes Euro- Einführungsgesetz) – Zweites Gesetz zur Änderung des Künstlersozial- versicherungsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgeset- zes und anderer Gesetze – Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungs- ausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersu- chungsausschussgesetz) – Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) – Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) – Gesetz zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern – Gesetz zur Umstellung soldatenversorgungsrechtli- cher und anderer Vorschriften auf Euro (Elftes Euro-Einführungsgesetz) – Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechts- hilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Er- leichterung seiner Anwendung – Gesetz zu dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins – Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsor- gevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16813 (C) (D) (A) (B) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Nach Zustimmung zum Altersvermögensgesetz erwar- tet der Bundesrat, dass die Bundesregierung dem Gesetz- geber folgende Vorschläge unterbreitet: 1. Zur Verbesserung der im Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Renten- versicherung und zur Förderung eines kapitalge- deckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermö- gensergänzungsgesetz – AVmEG) geregelten Hinterbliebenenversorgung: – Die nach dem Altersvermögensergänzungsge- setz auf einen Entgeltpunkt je Kind festgesetzte Kinderkomponente wird für das erste Kind auf zwei Entgeltpunkte erhöht. Damit soll für Wit- wen und Witwer, die Kinder erzogen haben, die Absenkung des Versorgungssatzes bei der gro- ßen Witwenrente von 60 auf 55 Prozent ange- messen ausgeglichen werden. – Der Grundfreibetrag bei der Einkommens- anrechnung auf Witwen- und Witwerrenten, der durch das Altersvermögensergänzungsgesetz eingefroren worden ist, bleibt auf Dauer dyna- misiert. – Beide Änderungen werden auch in der gesetzli- chen Unfallversicherung und in der Alterssi- cherung der Landwirte nachvollzogen. 2. Zur Neuregelung der Zuständigkeit der Bundes- knappschaft: Die Zuständigkeit der Bundesknappschaft wird im Leistungsfall auf alle Versicherten mit mindestens einem Monat Beitragszeit in der knappschaftli- chen Rentenversicherung ausgedehnt. Dies führt zu Effizienzgewinnen in der Rentenversicherung insgesamt und zu einer entsprechenden Kostenre- duktion. Angesichts des Ziels der Beitragssatzsta- bilisierung müssen auch innerhalb der Verwaltung der Rentenversicherung alle Einsparmöglichkei- ten genutzt werden. Die Änderungen sollten zeitgleich mit dem Altersver- mögensgesetz in Kraft treten. – Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – (SGB IX) Reha- bilitation und Teilhabe behinderter Menschen Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Die Drucksache 278/01 weicht gegenüber der Ent- wurfsfassung des SGB IX, die den Beratungen des Bun- desrates im Februar/März dieses Jahres zugrunde lag, in einer Reihe von finanzwirksamen Regelungen für Teilha- beleistungen ab. Dies betrifft vor allem Leistungen, die seitens der Sozial- und Jugendhilfeträger zu finanzieren sind. Die von der Bundesregierung ursprünglich vorge- legten Kostenschätzungen sind daher nicht mehr aktuell. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, in dem laut § 66 SGB IX zu erstattenden „Bericht über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung der Teilhabe“ die tatsächlichen und finanziellen Folgewirkungen für die Träger der Sozialhilfe und Jugendhilfe, unter besonderer Berücksichtigung der erst im Laufe des Beratungsverfah- rens aufgenommenen Teilhaberegelungen, ausführlich zu berichten und die Erhebungsvariablen sowie die Kosten- Refinanzierungsrechnung für die Jugend- und Sozialhil- feträger im Vorfeld mit den Vertretern der Länder im Bei- rat für die Teilhabe behinderter Menschen abzustimmen. Ergeben sich nach den Ergebnissen der Evaluation in- folge der gesetzlichen Neuregelungen nicht kompensierte finanzielle Mehraufwendungen für die Träger der Sozial- und Jugendhilfe, sind diese zwischen Bund und Ländern mit dem Ziel des Ausgleichs zu verhandeln. Der Bundesrat hat in seiner 763. Sitzung am 11. Mai 2001 beschlossen, dem nachstehenden Gesetz gemäß Ar- tikel 84 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht zuzustimmen: – Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- setzes Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 15. Mai 2001 den Antrag der Koalitionsfraktionen „Initiative des Europäischen Parlaments zur Buchpreisbindung in Europa unterstützen“ – Drucksache 14/5976 – zurück- gezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Ver- sammlung der Westeuropäischen Union über die Tagungen der Versammlung vom 14. bis 17. Juni und vom 29. November bis 2. Dezember 1999 in Paris – 45. Sitzungsperiode – Drucksachen 14/3932, 14/4093 Nr. 1.5 – – Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentari- schen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland über die 103. Interparlamentarische Konferenz vom 30. April bis 6. Mai 2000 in Amman/Jordanien – Drucksachen 14/5073, 14/5729 Nr. 1 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparates für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 2001 – Drucksachen 14/5063, 14/5275 Nr. 1 – Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeit- raum 2000 bis 2003 – Drucksache 14/3498 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 200116814 (C) (D) (A) (B) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestaltung derGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derAgrarstruk- tur und des Küstenschutzes“ (GAK)hier: Rahmenplan 2001 bis 2004 – Drucksache 14/4472 – Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und über das Unfall- und Be- rufskrankheitengeschehen in der Bundesregierung Deutsch- land 1997 – Unfallverhütungsbericht Arbeit 1997 – – Drucksache 14/156 – Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 1999 (Subsidiaritäsbericht 1999) – Drucksache 14/4017 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 14/5730 Nr. 2.44 Haushaltsausschuss Drucksache 14/5503 Nr. 2.2 Drucksache 14/5503 Nr. 2.5 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/5281 Nr. 2.1 Drucksache 14/5281 Nr. 2.3 Drucksache 14/5281 Nr. 2.17 Drucksache 14/5281 Nr. 2.21 Drucksache 14/5281 Nr. 2.22 Drucksache 14/5610 Nr. 2.6 Drucksache 14/5610 Nr. 2.41 Drucksache 14/5610 Nr. 2.42 Drucksache 14/5610 Nr. 2.43 Drucksache 14/5610 Nr. 2.48 Drucksache 14/5610 Nr. 2.50 Drucksache 14/5610 Nr. 2.55 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/5281 Nr. 2.18 Drucksache 14/5503 Nr. 1.1 Drucksache 14/5503 Nr. 2.4 Drucksache 14/5503 Nr. 2.10 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/5503 Nr. 2.22 Drucksache 14/5610 Nr. 2.20 Drucksache 14/5836 Nr. 1.3 Drucksache 14/5836 Nr. 1.4 Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/3341 Nr. 2.16 Drucksache 14/4665 Nr. 3.2 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 171. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001 16815 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417100000
Guten
Morgen, werte Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Ich rufe den gestern Morgen aufgesetzten Zusatz-
punkt 13 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Hermann Bachmaier, Bernhard
Brinkmann (Hildesheim), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Schuldrechts
– Drucksache 14/6040 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Wie gestern beschlossen, beträgt die Dauer der Aus-
sprache eine Stunde.

Ich eröffne die Aussprache.
Als erste Rednerin spricht für die Bundesregierung die

Bundesministerin Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beginnen heute mit den parlamentarischen Beratun-
gen zu dem wirklich besonderen Vorhaben, drei bzw.
zweieinhalb europäische Richtlinien umzusetzen. Das
klingt zunächst einmal harmlos; das tun wir schließlich
häufiger. Die Besonderheit liegt aber darin, dass eine die-
ser Richtlinien ganz zentral in unser deutsches Schuld-
recht eingreift. Wir setzen diese Richtlinien um, indem
wir unser Schuldrecht modernisieren, indem wir es für die
Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und für die
Richterinnen und Richter sehr viel leichter anwendbar

machen und indem wir es europäisch und zugleich inter-
national kompatibel gestalten.

Besonders ist dieses Vorhaben aber auch wegen seines
Hintergrundes. Jeder von uns weiß, dass gerade das deut-
sche Schuldrecht seit mehreren Jahrzehnten als moderni-
sierungsbedürftig gilt. Seit dem Ende der 70er-Jahre hat
man in einem ersten Ansatz, später auch durch eine
Schuldrechtskommission versucht, zu vernünftigen Er-
gebnissen zu kommen. Diese wurde in den 80er-Jahren
eingesetzt. Sie hat 1991 ihren Bericht vorgelegt, einen Be-
richt, der nicht nur von der damaligen Regierung – seiner-
zeit war Herr Dr. Kinkel Justizminister – sehr gut aufge-
nommen wurde, sondern der auch vom Deutschen
Juristentag im Jahr 1994 begrüßt wurde.

Dieser Bericht wurde allerdings nicht in eine gesetzli-
che Änderung umgearbeitet, wahrscheinlich weil es zum
einen Schwierigkeiten mit dem einen oder anderen Wirt-
schaftsverband gab und weil zum anderen damals abseh-
bar war, dass in zentralen Punkten beispielsweise bei der
Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf Arbeiten auf
europäischer Ebene stattfinden sollten. Die Beendigung
dieser Arbeiten wollte man abwarten. Das halte ich für ei-
nen vernünftigen Grund. Die genannte Richtlinie liegt
jetzt vor.

Da uns völlig klar war, dass die integrierte Umsetzung
große Anforderungen stellen würde, habe ich bereits 1999
mit den Justizverwaltungen der Länder Kontakt aufge-
nommen. Mit den Justizministern und deren Vorgängern
habe ich, lieber Herr Kollege Birkmann, dieses Verfah-
ren – schicksalsbedingt – abgesprochen und überlegt, wie
die integrierten Regelungen zum Beispiel der Verbrauchs-
güterkauf-Richtlinie, der Zahlungsverzugsrichtlinie und
die vertragsrechtlichen Bestimmungen der E-Commerce-
Richtlinie am vernünftigsten gemeinsam umzusetzen
seien.

Wie häufig im Leben gibt es zwei grundsätzlich unter-
schiedliche Wege zur Umsetzung: Zum einen gibt es die
1:1-Umsetzung, von der ich höre, dass sich die Opposi-
tion für sie entschieden habe, wahrscheinlich schon des-
wegen, weil sie weiß, dass wir den anderen Weg wählen.

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(B)


171. Sitzung

Berlin, Freitag, den 18. Mai 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Betrachten wir aber einmal diese 1:1-Umsetzung. Was
würde sie uns bringen? Sie würde, was die zeitliche Dimen-
sion angeht, gar nichts ändern, weil uns die EU aufgegeben
hat, diese wichtige Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie bis
Ende dieses Jahres umzusetzen. Wir können diese Richtli-
nie nicht später umsetzen, wenn wir vermeiden wollen,
dass die Bundesrepublik schadensersatzpflichtig wird. Das
ist ein ganz wichtiger Punkt. Sie wissen: Das hat es unter
der früheren Regierung im Zusammenhang mit der Pau-
schalreiserichtlinie schon gegeben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sehr wahr!)

Das war nicht nur blamabel, sondern auch teuer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber die 1:1-Umsetzung würde bedeuten, dass die
Wirtschaft und alle, die mit Gesetzen zu tun haben, er-
heblichen Änderungsbedarf hätten. Dies würde zudem
sehr hohe Umstellungskosten, aber auch Schwierigkei-
ten in der Praxis bei den Wirtschaftsverbänden und
Rechtsanwendern mit sich bringen. Das heißt, die ganzen
Transaktionsprobleme und -kosten hätten wir bei der
1:1-Umstellung in ähnlichem Umfang wie bei einer inte-
grierten Lösung.

Es gibt noch ganz andere Nachteile. Wir hätten nicht
nur einen erheblichen Aufwand, sondern zusätzlich noch
eine Rechtszersplitterung in mehreren Bereichen, nämlich
im Verbraucherrecht und im Verbraucherschutzrecht, die
wir dann in den kommenden Jahren beheben müssten. Wir
hätten in diesem Fall die Umstellungsprozesse und Trans-
aktionskosten mehrfach. Auch das war einer der Gründe,
warum man in den Jahren 1991 bis 1994 entschieden hat,
dies zusammen mit der EU-Richtlinie zu machen.

Wir hätten – das ist ein weiterer Nachteil – eine weitere
Entwertung des Bürgerlichen Gesetzbuches, das schon
heute die wirklich wichtigen Wirtschaftsbereiche nicht
mehr erfasst. Das Verbraucherkaufrecht wäre dann ein zu-
sätzlicher Bereich. Das wollen wir nicht. Bei der Verab-
schiedung unserer Mietrechtsreform haben Sie gesehen,
dass wir die Absicht haben und diese auch durchsetzen,
das Bürgerliche Gesetzbuch wieder zu dem zu machen,
was es einmal war, nämlich ein Buch, in dem man nach-
schlagen kann, was in den wichtigsten privatrechtlichen
und wirtschaftlichen Bereichen Recht und Verpflichtung
sein soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor allem aber wäre ein weiterer Nachteil zu befürch-
ten. Wir hätten nämlich unter Umständen vier unter-
schiedliche Systeme des Kaufrechts. Es gäbe also nicht
nur das Kaufrecht für Verbraucher – das ist ohne Zweifel
eine ganz wichtige Frage –, sondern auch den normalen
BGB-Kauf. Wir hätten zudem den Kauf nach dem UN-
Kaufrecht und den Handelskauf. All diese Systeme des
Kaufrechts müssten noch an die verschiedenen Formen
des Kaufs angepasst werden, die wir heute haben: vom
Haustürgeschäft bis hin zum E-Commerce. Dies wäre
wirklich ein Chaos für Anwender, Bürgerinnen und Bür-
ger, das wir nicht wollen.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen haben wir diesen falschen und kurzsichtigen
Weg nicht gewählt, abgesehen davon, dass uns natürlich
die Wissenschaftler, die Anwender in der Praxis und mög-
licherweise auch die Kolleginnen und Kollegen von der
Union genau diesen Weg um die Ohren gehauen hätten,
wenn wir ihn gewählt hätten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hätten wir mit Sicherheit gemacht!)


Wir haben uns deshalb in Absprache mit Fachleuten
aus der Wissenschaft, der Praxis und den Ländern für den
integrierten Weg entschieden, der diese ganzen Nach-
teile zwar vermeidet, aber von uns – das ist gar keine
Frage – eine Menge verlangt, ebenso wie von den Län-
dern, die seit Dezember letzten Jahres in Bund-Länder-
Kommissionen mitarbeiten, wofür ich mich herzlich be-
danke. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die
Wissenschaftler erwähnen, die in einem Ausmaß mit-
arbeiten, das besonders gewürdigt werden soll.

Wir wählen den Weg der integrierten Umsetzung und
gleichzeitig auch der Modernisierung. Wir haben – das
will ich nochmals mit Dankbarkeit erwähnen – nicht nur
die Creme der deutschen Zivilrechtswissenschaft auf un-
serer Seite, angefangen von Canaris über Medicus bis hin
zu Heldrich, sondern von den insgesamt etwa 600 Wis-
senschaftlern – einige sind immer außen vor – die abso-
lute Mehrheit, etwa drei Viertel der Wissenschaftler.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ausdrücklich festhal-
ten, dass wir mit Sicherheit auch die sachlichen Argu-
mente derjenigen berücksichtigen werden – wenn sie
denn welche bringen –,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie bringen welche!)


die zögern oder die aus anderen Motiven meinen, sie
müssten jetzt in der Öffentlichkeit so tun, als sei die Zivil-
rechtswissenschaft anderer Meinung; denn der gesamte
Prozess ist außerordentlich stark auf breite Diskussion an-
gelegt.

Drei wichtige Veränderungen: Erstens. Wir führen all-
gemeine Verjährungsregelungen ein. Das sind aber
keine neuen Ordnungsprinzipien, sondern sie orientieren
sich an § 852 BGB und dem Rechtsgrundsatz, den wir
lange kennen.

Zweitens. Wir sind der Meinung, dass wir in der Tat im
Leistungsstörungsrecht einen allgemeinen Tatbestand der
Pflichtverletzung einführen sollten. Auch das ist ver-
nünftig. Das mag manchem, der viele elegante und diffe-
renzierte Kurven hat lernen und anwenden müssen, ein
wenig zu Herzen gehen. Aber die Vorläufer dafür finden
wir bei der Rechtsprechung des Reichsgerichts ebenso
wie im UN-Kaufrecht und natürlich auch in der Ver-
brauchsgüterkauf-Richtlinie.

Drittens. Im Kaufrecht selbst haben wir neben den Än-
derungen beim Fehlerbegriff auch Änderungen bei den
Rückgriffsregelungen und beim Nachbesserungsrecht
vorgenommen. Aber auch all das sind Dinge, die die
Rechtsprechung neben dem Gesetz längst entwickelt hat
und mit denen sie sehr gut zurechtkommt.




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind dankbar, dass die internationalen Kommissio-
nen, vertreten durch Unidroit, Professor Schlechtriem als
deutsches Unidroit-Kommissionsmitglied, daran beteiligt
sind. Wir sind auch dankbar, dass die Wissenschaft, die
Wirtschaft und die Verbraucherverbände erkennen, dass
es in der Tat auch für sie eine Menge vernünftiger Ände-
rungen gibt. Lassen Sie mich drei erwähnen:

Die Verbraucher werden als Gewährleistungsfrist nicht
die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten, sondern
eine Verjährung von zwei Jahren erhalten, was sehr güns-
tig ist.

Die Handwerker und der Mittelstand kommen aus der
so genannten Gewährleistungsfalle heraus, die sich bisher
häufig ergab. Ich schildere das an einem Beispiel, das man
sich sehr plastisch vorstellen kann. Ein Handwerker baut
Fenster ein und kauft die Dichtungen für die Fenster dazu.
Die Dichtungen gehen kaputt. Dann haftet er gegenüber
seinem Kunden länger für die Dichtungen, als er an Ga-
rantie oder Gewährleistung von seinem Lieferanten be-
kommen hat. Auch diese Gewährleistungsfalle werden
wir also schließen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines
dazu sagen. Im letzten September haben wir den ersten
Entwurf, den Diskussionsentwurf, den Ländern ebenso
zugestellt wie Ihnen. Ich bedanke mich nochmals für die
Bereitschaft der Länder, sehr breit mitzudiskutieren. Die
Bereitschaft des Bundesministeriums der Justiz, dem Par-
lament, zum Beispiel in Berichterstattergesprächen, sehr
schnell und ausreichend zur Verfügung zu stehen, möchte
ich an dieser Stelle ausdrücklich erklären. Ich freue mich
auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Damen und
Herren. Ich glaube, es ist in der Tat ein gutes und ein be-
sonderes Vorhaben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1417100100
Als nächster Redner
hat der Kollege Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1417100200
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! 101 Jahre ist das Bürgerliche
Gesetzbuch Anfang dieses Jahres alt geworden. Am 1. Ja-
nuar 1900 trat es in Kraft.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sehr alt! – Ludwig Stiegler [SPD]: Wir machen es wieder jung!)


So alt können Sie gar nicht werden.
Seit 101 Jahren gilt damit auch – in natürlich immer

wieder veränderter und ergänzter Form – das im Bürger-
lichen Gesetzbuch geregelte Schuldrecht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Man sollte der Gnade des Herrn keine Grenzen setzen!)


– Sie sollten sich angesichts Ihres Alters durchaus zurück-
halten.

Trotz zahlreicher Nebengesetze und Ergänzungen,
trotz der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung
blieb jedoch die dem Schuldrecht zugrunde liegende Sys-
tematik weitgehend unverändert. Einer der Hauptgründe
hierfür ist die hervorragende fachliche und intellektuelle
Arbeit der damals an der Entwicklung und Zusammen-
fassung des Zivilrechts in Deutschland beteiligten Juris-
ten. Über Jahre wurde an dem Gesetzeswerk gearbeitet.
Fachliche Überlegungen dominierten und sachliche
Lösungen siegten über die meist parteipolitischen Inter-
essen.

Das Resultat dieser Arbeit konnte und kann sich noch
immer sehen lassen. Das Bürgerliche Gesetzbuch und da-
mit das Schuldrecht sucht hinsichtlich der juristischen
Qualität seinesgleichen: kurze, verständliche Paragra-
phen, eine geradezu mathematische Genauigkeit der De-
finitionen, eine klare, von juristischem Sachverstand ge-
prägte Struktur. Das alles soll sich nun nach dem Entwurf,
den wir heute hier diskutieren, ändern – ein bemerkens-
werter Vorgang.

Im Vergleich zu vielen heutzutage erlassenen Gesetzen
mit ihren Bandwurmparagraphen und ihren technischen
und zum Teil unverständlichen Formulierungen ist das
BGB ein juristisches Meisterwerk, im wahrsten Sinne des
Wortes ein Jahrhundertwerk. Angesichts der Bemühun-
gen der Schöpfer des BGB mutet der vorliegende Gesetz-
entwurf dagegen – ich drücke mich einmal vorsichtig
aus – bescheiden an. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein
mit heißer Nadel gestrickter Gesetzentwurf soll hier mit
aller Gewalt durch den Gesetzgebungsvorgang getrieben
werden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wo waren Sie denn in den letzten 25 Jahren, Herr Pofalla?)


Begründet wird diese Eile zunächst mit dem Ablauf der
Umsetzungsfristen dreier EU-Richtlinien bis Mitte
nächsten Jahres. Der Gesetzentwurf hämmert nun die
Umsetzung der Richtlinien und die neun Jahre zurücklie-
genden Ergebnisse der Schuldrechtskommission zusam-
men und verbindet sie mit der Aufnahme zahlreicher so-
zusagen verwandter Nebengesetze in das BGB. Dann
werden die Paragraphen noch schnell angeglichen und
fertig ist das große Reformvorhaben des Schuldrechts.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist unerhört!)


Diese Schuldrechtsreform wurde zwar seit Jahren ge-
fordert. Es gab aber gute Gründe für die Vorgängerbun-
desregierungen, das bewährte, in seiner Klarheit und
Deutlichkeit einzigartige Schuldrecht keiner kurzfristigen
Reform zu unterziehen. Es gibt eben kein besseres und
qualifizierteres Schuldrecht; ein solches wäre auch nur
über eine jahrelange Vorbereitung durch Wissenschaft
und Praxis zu erarbeiten.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau das haben wir gemacht!)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren von der SPD und von Bünd-
nis 90/Die Grünen, Reformvorhaben sind nicht so einfach
vorzubereiten, wie Sie glauben, das tun zu können.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben es ja in 16 Jahren nicht geschafft! Sie waren ja unfähig, Herr Pofalla!)


Natürlich gab es Gründe dafür, warum die Schuldrechts-
reform nicht schon längst durchgeführt worden ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Weil Sie unfähig waren!)


Ein über 100 Jahre altes Gesetz bedarf selbstverständlich
einer kritischen Überprüfung und gegebenenfalls einer
Angleichung an veränderte gesellschaftliche, ökonomi-
sche und sonstige Gegebenheiten. Doch ein Gesetz kann
nicht beliebig dem jeweiligen Zeitgeist angepasst werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Alfred Hartenbach [SPD] [zur CDU/CSU gewandt]: Das ist ja typisch! Beim Wort „beliebig“ klatscht ihr!)


– Herr Hartenbach, wenn ich Ihre Erregung sehe, nehme
ich an, dass in Ihrer Arbeitsgruppe und in Ihrem Gesetz-
entwurf einiges in Unordnung ist; sonst hätten Sie keine
Veranlassung, sich so aufzuregen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ein Gesetz muss zwar den gesellschaftlichen Realitä-
ten angepasst werden; aber ein Gesetzgebungsvorgang
von dieser Bedeutung muss Regelungen im Blick haben,
die eine dauernde Geltung beanspruchen können und
nicht wieder in wenigen Jahren – das ist bei Ihrem Ent-
wurf vorhersehbar – einer Änderung unterzogen werden
müssen.

Was ebenfalls wichtig ist: Es darf durch diese Volks-
vertretung kein schlechtes Recht geschaffen werden. Es
muss vermieden werden, dass infolge von zu großer Hast
im Gesetzgebungsverfahren Lücken entstehen oder Dinge
ungeregelt bleiben. Nicht umsonst haben unsere Vormüt-
ter und Vorväter das BGB gründlich vorbereitet, bevor es
in Kraft getreten ist. Die vergleichsweise wenigen Lücken
und Ungenauigkeiten beweisen dies eindrucksvoll.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, warum muss jetzt eine Gesetzesänderung übers Knie
gebrochen werden, warum muss zum jetzigen Zeitpunkt
mit aller Macht eine Veränderung vorgenommen werden,
obwohl das Ergebnis dieser Arbeit um Längen schlechter
sein wird als das bestehende, geltende Recht?


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist voraussehbar!)


Es ist richtig: Die EU-Richtlinien müssen umgesetzt
werden. Aber warum, um Himmels willen,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt ruft er auch noch den Himmel an!)


muss diese Umsetzung mit der vollständigen Reform des
Schuldrechts verbunden werden? Warum müssen auch
die Nebengesetze in das BGB integriert werden, obwohl

damit unter Umständen die filigrane Systematik des be-
stehenden Gesetzeswerkes zerstört wird?

Ich will an dieser Stelle noch nicht auf die einzelnen im
Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen eingehen, will
aber zumindest zu bedenken geben, dass es im Sinne der
Sache, im Zusammenhang mit der Suche nach einem
guten neuen Recht, doch konstruktiver wäre, wenn mit
größerer Ruhe und weniger Eile an der Reform des
Schuldrechts gearbeitet werden könnte.

Mir stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Ne-
bengesetze, die hauptsächlich dem Verbraucherschutz
dienen, nicht in einem mit dem BGB korrespondierenden
eigenen Gesetz zusammengefasst werden; die neu umzu-
setzenden EU-Richtlinien könnten dabei gleich mit inte-
griert werden. Über die notwendigen Änderungen des im
BGB verankerten Schuldrechts ließe sich dann in einer
viel unverkrampfteren Art diskutieren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Um es hier gleich zu Beginn der Diskussion über eine

Reform des Schuldrechts festzustellen: Die Union ver-
schließt sich keinesfalls einer Reform des Schuldrechts.
Wir verschließen uns allerdings einer Reform, die auf Er-
gebnisse hinausläuft, die qualitativ schlechter, unsyste-
matischer und ungenauer sein werden als das bestehende
Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich angesichts dieser Überlegungen an meine

Ausgangsfrage denke, warum hier eine solche Eile bei der
Reform des Schuldrechts an den Tag gelegt wird, so
drängt sich mir der Eindruck auf, dass hier ausschließlich
parteipolitische Interessen verfolgt werden.


(Widerspruch bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Schuldrecht gewinnt man keine Wahl, Herr Pofalla!)


Es soll bewährtes Recht geopfert werden, damit die Re-
gierungskoalition und die von ihr getragene Bundesregie-
rung als die großen Reformer in den nächsten Wahlkampf
ziehen können. Frau Ministerin, Sie wollen von Ihrer ge-
scheiterten ZPO-Reform ablenken.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Die haben wir doch gestern durchgebracht! Wo waren Sie denn da?)


– Lesen Sie doch die heute erschienenen Zeitungen! Der
Artikel in der heutigen Ausgabe der „FAZ“ zu Ihrer Re-
form, Frau Ministerin, trägt die Überschrift: „Zu-
rechtgestutzt – Von den Plänen der Bundesjustizministe-
rin zur Reform des Zivilprozesses ist nicht viel übrig“. So
sehe auch ich es und so sieht es meine Fraktion ebenfalls.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Zum Schuldrecht hat er nichts zu sagen!)


Frau Ministerin, Sie sind mit dem gestern verabschie-
deten Gesetz an einer ganz zentralen Frage der von Ihnen
beabsichtigten Politik gescheitert. Sie wollen durch eine
andere umfassende Reform davon ablenken, die ungenü-
gend vorbereitet und in der Sache schlecht ausgeführt




Ronald Pofalla
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(C)



(D)



(A)



(B)


worden ist und bei der viele Gelegenheiten, mit den Ab-
geordneten des Deutschen Bundestages zu diskutieren,
ausgelassen worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Stünker [SPD]: Herr Pofalla, Sie wissen überhaupt nicht, wovon Sie reden!)


Ich verstehe deshalb Ihr Anliegen.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Peinlich!)

Aber ich sage Ihnen: Das ist keine Entschuldigung dafür,
dass die Reform des Schuldrechts in dieser Art und Weise
vorbereitet worden ist.

Die Bundesregierung hat, wenn ich mich richtig erin-
nere, auf ihrer vorletzten Kabinettssitzung einen Gesetz-
entwurf beschlossen, der mit dem jetzt vorliegenden wort-
gleich ist. Ich sage denjenigen, die heute zuhören,
Folgendes, damit sie Bescheid wissen: Die Bundesregie-
rung hätte ihren Gesetzentwurf heute nicht zur Beratung
in den Deutschen Bundestag einbringen können; denn er
ist zustimmungspflichtig und der Bundesrat hätte an den
Beratungen beteiligt werden müssen. Das wollte die Bun-
desregierung nicht. Deshalb haben die Koalitionsfraktio-
nen den Gesetzentwurf der Bundesregierung wortgleich
übernommen, um wochenlange Diskussionen mit dem
Bundesrat und weitere Vorbereitungen abzublocken und
so bereits heute eine Diskussion über den Gesetzentwurf
zu ermöglichen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Die Ökosteuer haben Sie vergessen!)


Das ist ein Vorgehen, das für sich selber spricht und das
wir entschieden ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist die volle Wahrheit!)


Ihrem parteipolitischen Eifer um jeden Preis ist jetzt
schon die Reform der Rente, des Betriebsverfassungsge-
setzes, gestern die der Zivilprozessordnung und vor eini-
gen Wochen des Mietrechts


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie nie gemacht? Das kennen Sie von früher überhaupt nicht? Ein völlig neues Verfahren? Erstaunlich!)


– ich weiß, dass Sie es nicht gerne hören – zum Opfer ge-
fallen. In der Sache sind Lösungen gefunden worden, die
Sie selber schon in wenigen Monaten und Jahren korri-
gieren müssen; denn die Reformen sind nicht ausgereift.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann sind sie nicht mehr an der Regierung! – Alfred Hartenbach [SPD]: Soll ich Ihnen ein Taschentuch für Ihre Tränen geben?)


Wir sollten vermeiden, dass wieder einmal ein halb ga-
res Gesetz dieses Haus verlässt. Wir sollten alles daran
setzen, die Teile aus dem Gesetzentwurf herauszuneh-
men, die jetzt umgesetzt werden müssen. Das betrifft im
Kern die Teile, mit denen die drei EU-Richtlinien in na-
tionales Recht umgesetzt werden sollen. Ich biete Ihnen
für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion an, in der nächsten

Legislaturperiode – dann natürlich unter unserer Füh-
rung –


(Beifall bei Abgordneten der CDU/CSU)

eine grundlegende Reform des Schuldrechts vorzuneh-
men, die durchdacht und qualifiziert sein wird, sich am
Markt orientieren und in der Sache deutlich besser sein
wird als das, was diese Bundesregierung und die Koaliti-
onsfraktionen jetzt vorgelegt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie haben keine Vorchläge vorgelegt! – Alfred Hartenbach [SPD]: Der rheinische Karneval kommt erst im nächsten Jahr!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417100300
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volker Beck
von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der große Meister der Jurisprudenz!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417100400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was die
Kollegen von der Union in den rechtspolitischen Debat-
ten aufführen, ist mittlerweile kabarettreif. Gestern
musste Herr Geis einen Eiertanz aufführen, als er entdeckt
hat, dass sein eigener Gesetzentwurf nichts taugt und er
ihn deshalb zurückziehen muss.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ach ja?)

Auf einmal standen Sie, Herr Geis, bei der Justizreform
ohne Hemd und ohne Konzept da. Wir haben unsere Jus-
tizreform durchgesetzt. Sie wird sich bewähren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Nun haben Sie heute, Herr Pofalla, einen ganz beson-
deren Sündenfall der Koalition festgestellt, den ich auch
frei bekenne. In der Tat: Die Koalitionsfraktionen haben
einen Gesetzentwurf eingebracht und das Kabinett hat
den gleichen beschlossen. Der Bundesratwird jetzt seine
Stellungnahme abgeben können und dann werden wir bei-
des gemeinsam in die Ausschussberatungen einbeziehen.
Dieses Verfahren haben Sie in der letzten Wahlperiode
wahrscheinlich mindestens 20-mal selber gewählt; aber
wenn wir das machen, ist das natürlich ein besonderes De-
likt und verdient fast schon eine strafrechtliche Würdi-
gung.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Acht Jahre Regierungshoheit!)


Das ist wirklich Unsinn!
Wenn wir frühzeitig etwas einbringen, damit sich auch

das Parlament rechtzeitig damit befassen kann, dann
wahrt dies doch gerade die Rechte der Opposition, weil
wir nicht im stillen Kämmerlein und in der Koalition be-
raten, sondern eine Anhörung im Rechtsausschuss durch-
führen und Berichterstattergespräche führen, sodass wir




Ronald Pofalla

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(C)



(D)



(A)



(B)


hinreichend Zeit haben, die fachlichen Einwände und Vor-
schläge von Ihrer Seite und von den Sachverständigen zu
prüfen und eine vernünftige Reformdiskussion zu führen.

Dass wir einerseits diese Reform hinbekommen und
andererseits aber auch den Sachverstand und die Diskus-
sion in der Gesellschaft und in den Fachkreisen umfas-
send einbeziehen, das verunsichert Sie ja so. Dass das
Angst macht, verstehe ich, weil diese Koalition bei den
Reformen durchaus etwas eifrig ist. Das liegt einfach da-
ran, dass wir einen riesigen Reformstau vorgefunden ha-
ben, den wir abarbeiten müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit der Reform des Schuldrechts entrümpeln wir unser
angestaubtes Bürgerliches Gesetzbuch und bringen es
wieder auf Hochglanz. Wir gleichen das BGB internatio-
nalen Standards an und machen es für die Rechtsanwen-
der, also für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Lande, verständlicher.

Diese Modernisierung ist auch zu Recht umfassend;
denn die Umsetzung der EU-Richtlinien allein hätte
eine unerträgliche Rechtszersplitterung zur Folge gehabt.
Die Modernisierung des Schuldrechts verhilft dem BGB
wieder zu der herausragenden Bedeutung, die es ur-
sprünglich einmal besaß.

Mit der Integration wichtiger Gesetze wie des Ver-
braucherkreditgesetzes oder des Fernabsatzgesetzes in
das BGB wird dieses wieder zu dem zentralen Gesetzbuch
für die Bürgerinnen und Bürger. Die Schuldrechtsreform
ist eine Reform für die Verbraucher und sie dient letztlich
sogar dem Umweltschutz.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich fürchte, Sie verstehen nicht viel davon!)


Denn die Verlängerung der kaufrechtlichen Gewährleis-
tungspflicht von sechs Monaten auf zwei Jahre wird dazu
beitragen, dass in den Regalen künftig weniger Ramsch
zu finden sein wird. Die verlängerten Garantiefristen sind
auch ein Nachhaltigkeitsförderungsprogramm. Billigpro-
dukte, die nach einigen Monaten ihren Geist aufgeben und
auf Mülldeponien landen, werden auf dem Markt früher
oder später unter diesen neuen rechtlichen Rahmenbedin-
gungen schlechtere Chancen haben. Der Ramsch ver-
schwindet, Qualität wird sich durchsetzen.

Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass meine Fraktion
auch mit einer Garantiezeit von drei Jahren, wie sie ur-
sprünglich noch im Diskussionsentwurf angedacht war,
kein Problem gehabt hätte. Die Bedenken der Wirtschaft,
es werde zu unverhältnismäßig großen Belastungen für
den Handel kommen, teile ich ausdrücklich nicht. Denn
einer Studie zufolge treten Mängel jedenfalls bei industri-
ellen Massengütern ganz überwiegend während der ersten
sechs Monate auf. Diese Studie wird auch in der Geset-
zesbegründung zitiert.

Eine weitere Befürchtung haben wir dem Handel ge-
nommen: Mit dem Rückgriffsanspruch des Händlers ge-
gen den Hersteller werden die Letztverkäufer den An-
sprüchen der Käufer nicht mehr schutzlos ausgesetzt. Ist

eine Sache mangelhaft und ist der Fehler nicht im Bereich
des Letztverkäufers entstanden, so ist es nur gerecht,
wenn der Einzelhandel hier entsprechend gestärkt wird.
Ich freue mich darüber, dass unter anderem auch wegen
dieser Regelung die Reform seitens des ZDH uneinge-
schränkte Zustimmung erfährt.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: So ist es!)


Ob zwei oder drei Jahre Garantie: Es kommt zu einer
deutlichen Verbesserung des Verbraucherschutzes.

Wir Bündnisgrünen haben im Verlauf der Beratungen
entscheidend dazu beigetragen, dass die so verbesserte
Rechtstellung des Käufers an anderer Stelle des Entwurfs
nicht wieder ausgehöhlt wird: Ich meine die noch im Dis-
kussionsentwurf vorgesehene Pflicht, den Mangel einer
Ware innerhalb von zwei Monaten zu rügen. Mit solch ei-
ner Regelung wäre die Ausdehnung der Garantiezeit quasi
leer gelaufen. Ich freue mich deshalb, dass diese Pflicht
jetzt vom Tisch ist.

Der Entwurf macht auch Schluss mit dem Ver-
jährungsfristen-Wirrwarr im BGB. Für uns ist eine Re-
gelverjährungsfrist von drei Jahren akzeptabel und für
den Bürger ist das eine große Hilfe bei der Rechtsanwen-
dung. Auch hier hat meine Fraktion auf eine maßgebliche
Änderung im Vergleich zum Diskussionsentwurf ge-
drängt. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Ver-
jährung erst mit Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Un-
kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände
beginnt; auch die Person des Schuldners muss bekannt
sein. Das ist jetzt eine faire Regelung.

Meine Damen und Herren, sicherlich wird es Umstel-
lungen vor allem für diejenigen geben, die täglich mit dem
BGB arbeiten. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Ein
Gesetzbuch, das über 100 Jahre alt ist und das den Haupt-
fall der vertraglichen Leistungsstörungen, die so genannte
positive Vertragsverletzung, noch nicht einmal explizit
enthält, sondern mittlerweile alles der Rechtsprechung
überlässt, gehört auf Vordermann gebracht.

Dies tun wir jetzt zum Beispiel mit der Einführung ei-
nes einfachen und praktikablen Haftungssystems. Mit
dieser Lösung orientieren wir uns auch an dem Leis-
tungsstörungsrecht des UN-Kaufrechts, das die interna-
tionale Rechtsentwicklung und auch die europäischen
Vertragsrechtsprinzipien entscheidend prägt. Daher bin
ich mir sicher, dass wir uns bei den anstehenden Ver-
handlungen über ein gemeinsames Europäisches Zivilge-
setzbuch, die wir beeinflussen und auch vorantreiben wol-
len, mit diesem neuen BGB nicht verstecken müssen.

Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben hatte einen
Beratungsvorlauf wie zuvor kaum ein anderes: Es ist auf
nationaler und auch auf internationaler Ebene ausführ-
lichst erörtert und vorbereitet worden. Bis zuletzt hat das
BMJ mit Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf die
Bedenken und Anregungen aus Rechtswissenschaft und
Praxis reagiert. Die Kritiker sind eingeladen worden, sich
in Arbeitsgruppen einzubringen, und ihre Vorschläge sind
berücksichtigt worden. Diese Offenheit hat maßgeblich
dazu beigetragen, dass die Schuldrechtsreform „querbeet“,




Volker Beck (Köln)

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(D)



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also bei Anwälten und Richtern, bei Verbraucherverbän-
den und Wirtschaft sowie in den Ländern, auf große Zu-
stimmung stößt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die wissen doch gar nicht, was darin steht!)


– Herr Kollege Geis, trotzdem werfen Sie uns vor, wir
würden den totalen Umbau des Schuldrechts durchpeit-
schen; Herr Pofalla hat das auch gesagt.

Ich erinnere Sie nur an Folgendes: Seit den 70er- und
80er-Jahren haben diverse Zivilrechtslehrertagungen
stattgefunden, unzählige Gutachten sind eingeholt wor-
den und sieben Jahre lang hat sich die berühmte Schuld-
rechtskommission mit dem Vorhaben beschäftigt. Wie er-
folgreich diese Expertenkommission gearbeitet hat, sieht
man nicht nur daran, dass viele ihrer Vorschläge letztend-
lich in diesen Entwurf eingeflossen sind. Die Ergebnisse
der Schuldrechtskommission haben auch ganz massiv die
EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie beeinflusst. Diese
verbraucherfreundliche Richtlinie setzen wir heute eben-
falls in nationales Recht um, und zwar pünktlich und frist-
gerecht. Denn anders, als es die Vorgängerregierung zum
Beispiel beim Reisevertragsrecht gemacht hat, wollen wir
unser Land nicht in die Gefahr von Schadensersatzforde-
rungen bringen.

Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn
Sie uns gleichwohl vor dem Hintergrund dieser Historie
des Gesetzes vorwerfen, wir würden hier Rechtspolitik
„mit der Brechstange“ betreiben und alles übereilen, so
spricht daraus der blanke Neid.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])


Sie müssen ein weiteres Mal mit ansehen, wie die rot-
grüne Koalition nicht nur über Verbesserungen redet, son-
dern diese auch mutig umsetzt.

Herr Kollege Funke, was die „erhebliche Rechtsunsi-
cherheit“ anbelangt, die Sie in Ihrer Presseerklärung vom
10. Mai heraufbeschwören, so sollten Sie sich einmal die
Mühe machen, die Grundzüge der Reform zu verinnerli-
chen. Sie tun ja so, als würden wir das BGB abschaffen
wollen und als würden in unserem Land ab nächstem Jahr
völlig neue Rechtsprinzipien gelten. Das Gegenteil ist
richtig: Wir restaurieren mithilfe europäischer Richtlinien
das BGB; das geschieht auf der Grundlage der bisherigen
Kriterien. Aber in der Tat braucht man zu einer solchen
Modernisierung etwas Mumm, und der fehlt den Libera-
len ja häufig.


(Lachen bei der F.D.P. – Alfred Hartenbach [SPD]: Mumm haben die nur, wenn sie Sekt trinken!)


Es wird sich immer der eine oder andere Hochschullehrer
finden lassen, der eine derart umfassende Reform kriti-
siert. Diese Kritik muss man auch aushalten können.

Verehrte Kollegen von der F.D.P., es war Ihr damaliger
Justizminister Kinkel, der 1991 den Abschlussbericht der
Schuldrechtskommission mit den Worten kommentierte:

Ich hoffe, dass … wir in absehbarer Zeit zu einem
Gesetzentwurf kommen werden.

Herr Kinkel, Ihre Hoffnung erfüllt sich heute mit diesem
großartigen Reformwerk der rot-grünen Koalition. Meine
lieben Kollegen von der F.D.P., es erweist sich wieder
einmal: Mit Rot-Grün werden liberale Träume wahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der F.D.P. – Norbert Geis [CDU/CSU]: Träumer!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417100500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Frak-
tion.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt gediegene Ausführungen zum deutschen Schuldrecht!)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1417100600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Bundesjustizministerin nimmt die Ver-
pflichtung zur Umsetzung der schon erwähnten drei euro-
päischen Richtlinien zum Anlass, das gesamte Schuld-
recht des BGB einer Revision zu unterziehen und zu
verändern. Hierzu wird uns eine 686-seitige Drucksache
vorgelegt, die in kürzester Zeit im Bundestag zu beraten
sei. Dabei wird der übliche Weg einer Gesetzesinitiative
der Bundesregierung – von der Bundesregierung zum
Bundesrat, von dort wieder zurück zur Bundesregierung
und erst dann zum Bundestag – nicht verfolgt. Die fleißi-
gen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben es
übernommen, diese 686 Seiten durch Handauflegen in
den Bundestag einzubringen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Fleiß wird nicht bestritten!)


Ich möchte ganz offen sagen: Dieses verkürzte Verfah-
ren hat natürlich auch Vorzüge. Dadurch erhalten wir
nämlich die Möglichkeit, etwas länger über dieses Gesetz
zu beraten. Zugleich wird aber das Verfassungsorgan
Bundesrat missachtet.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Der Bundesrat wird sicherlich auch eine Stellungnahme
abgeben wollen. Diese Stellungnahme kann aber bei die-
sem Verfahren im Bundestag gar nicht bzw. nur verspätet
berücksichtigt werden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es! – Zuruf von der CDU/CSU: Und sie wäre ganz bestimmt hilfreich!)


Man fragt sich ganz automatisch: Warum diese Hast?
Dadurch können nur Fehler passieren, wie sie der Bun-
desregierung bei § 284 Abs. 3 BGB, der beim Gesetz zur
Beschleunigung fälliger Zahlungen geändert wurde, un-
terlaufen sind. Dieses Missgeschick in § 284 Abs. 3 BGB
wollen Sie jetzt schnell wieder ausbügeln. Auch kleine re-
daktionelle Fehler sind vorhanden; ich möchte nur § 309
BGB erwähnen, in dem Sie von Wertungswertungsmög-
lichkeit, nicht von Wertungsmöglichkeit sprechen. Das ist
sprachlich nicht in Ordnung. Das passiert, wenn man
große Hast an den Tag legt.

Auch der Hinweis auf die drei umzusetzenden europä-
ischen Richtlinien geht fehl, denn diese könnten, wie an-
dere Richtlinien vorher auch – im Übrigen mit Ihrer Un-
terstützung –, durch Sondergesetze in nationales Recht




Volker Beck (Köln)


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umgesetzt werden. Wir bräuchten dazu nicht das gesamte
BGB und insbesondere das Schuldrecht zu ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Es ist durchaus richtig, dass die Grundzüge des Schuld-
rechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit über 100 Jahren
gelten. Was sich 100 Jahre bewährt hat, muss nicht unbe-
dingt schlecht sein. Vieles, was sich an wirtschaftlichen
und gesellschaftspolitischen Entwicklungen getan hat, ist
durch Gesetzesänderungen und durch die Rechtsprechung
aufgefangen worden. Dadurch wurden adäquate Ergän-
zungen vorgenommen. Herr Kollege Beck, Sie erwähnen
die positiven Vertragsverletzungen. Regelungen dazu hat
bereits das Reichsgericht entwickelt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird Zeit, dass es einmal ins Gesetz geschrieben wird!)


Dies gilt auch für die culpa in contrahendo. Es ist nicht
notwendig, für diese Regelungen eine Änderung des
Schuldrechts vorzunehmen.

Die Praxis – darauf weisen auch zahlreiche Wissen-
schaftler hin – kann mit dem derzeit geltenden Schuld-
recht vernünftig umgehen. Der Rechtsschutz des Bürgers
ist in keiner Weise gefährdet. Eine hastige Umsetzung des
Reformvorhabens ist nicht geboten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielmehr sollten Anregungen und Bedenken der Schuld-
rechtskommission und der Schuldrechtslehrer, die in Re-
gensburg und Berlin auf ihren extra durchgeführten Son-
dertagungen heftige Kritik geäußert haben – Frau
Ministerin, das haben Sie nicht erwähnt –, berücksichtigt
werden.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen war ich dabei!)


– Ich war auch dabei.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist aber fein! Wann denn?)

Sie waren am Sonnabend dort und ich am Freitag.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Freitag dauerte es zwei Stunden und es gab keine Kritik!)


– Ihr Staatssekretär Geiger saß neben mir. Frau Ministe-
rin, Sie sind erst am Sonnabendmorgen gekommen.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Nein, ich war den ganzen Tag da! Deswegen weiß ich genau, was diskutiert wurde!)


– Das ist sehr schön.
Ich habe genauso wie Sie in der „ZIP“ – die entspre-

chende Ausgabe der „ZIP“ ist uns in den letzten Tagen zu-
gegangen – die Erörterung der Schuldrechtslehrer nach-
gelesen. Der Gesetzentwurf wirft eine Vielzahl neuer,
schwieriger Probleme auf, die mit den Praktikern in der
Wirtschaft und auch sicherlich mit den Schuldrechtsleh-
rern eingehend diskutiert werden müssen.

Das BGB ist sechs Jahre lang im Reichstag beraten
worden, nachdem die Wissenschaft viele Jahre darüber
diskutiert hatte. Wir aber sollen im Bundestag in wenigen
Wochen – es sind nur wenige Wochen, wenn man die
Sommerpause abzieht – über dieses Gesetz beraten. Ich
glaube nicht, dass das eine angemessene Zeit ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Eine Zumutung der Regierung ans Parlament!)


Nun will ich gar nicht beanspruchen, dass es hier einen
solch langen Zeitraum wie bei der Beratung des BGB im
Reichstag geben muss. Aber die wenigen Wochen, die wir
für die Beratung haben, reichen mit Sicherheit nicht aus.
Es kann jedenfalls nicht richtig sein, dass das Bundes-
ministerium der Justiz mit all seinen hoch qualifizierten
Beamten zwei Jahre Vorbereitungszeit für diesen Gesetz-
entwurf hat, während der Bundestag als zentrales Gesetz-
gebungsorgan innerhalb weniger Wochen dieses so wich-
tige Gesetz abnicken soll.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Und das von der Verfassungsministerin! – Zuruf von der CDU/ CSU: Ungeheuerlich!)


Aber so stellen Sie sich anscheinend die Arbeit des Parla-
ments vor.

Die einzelnen Probleme des Entwurfs können auch
nicht durch eine eintägige Anhörung von Sachverständi-
gen hinreichend erörtert werden. Wir müssen die einzel-
nen Gebiete miteinander gründlich beraten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir brauchen fünf Anhörungen!)


Wir haben über viele Jahre gesagt – im Übrigen auch
von der Bundesjustizministerin, damals noch Oppositi-
onsabgeordnete, unterstützt –, wir wollen die europä-
ischen Richtlinien nicht ins BGB einstellen. Wir und auch
das Bundesjustizministerium haben aus guten Gründen
immer die Lösung favorisiert, aus den Richtlinien Son-
dergesetze zu machen, um die Systematik des BGB nicht
zu zerstören. Sie aber haben eine Kehrtwendung gemacht
und wollen die europäischen Richtlinien sowie die vielen
Nebengesetze in das BGB integrieren. Das kommt der
Systematik des BGB sicherlich nicht entgegen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Man kann dann auch nicht mehr von Transparenz re-

den, wie das Herr Beck getan hat. Wir sollten uns um der
Systematik des BGB willen auf die Aufnahme grundle-
gender Änderungen beschränken und die vielen europä-
ischen Richtlinien in Nebengesetze – meinetwegen in ein
Verbrauchergesetz – aufnehmen.

Meine Anregung ist daher: Lassen Sie uns zügig an die
Beratung hinsichtlich der Umsetzung der drei europä-
ischen Richtlinien in nationales Recht gehen. Von unserer
Seite sichere ich Ihnen fristgerechte Umsetzung zu. Hin-
sichtlich der Schuldrechtsmodernisierung sehen wir auch
aufgrund der Berichte der Schuldrechtskommission
Handlungsbedarf. Wir wollen die notwendigen Änderun-
gen, zum Beispiel im Bereich der Verjährung und der Ge-
währleistung, gemeinsam mit Ihnen gründlich beraten,




Rainer Funke
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ohne dass Verzögerungen eintreten. Aber es ist völlig aus-
reichend, wenn diese Schuldrechtsmodernisierung im
nächsten Jahr ohne Hast beschlossen wird


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr vernünftig!)

und dann etwa ein Jahr oder eineinhalb Jahre später in
Kraft tritt.

Denken Sie bitte bei der Frage des In-Kraft-Tretens
auch daran, dass Sie der Wirtschaft und ebenso den Ver-
brauchern zum 1. Januar 2002 einiges zumuten:


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es!)

Am 1. Januar 2002 soll nämlich die Änderung der ZPO in
Kraft treten. Außerdem werden sich die Verbraucher und
die Wirtschaft auf den Euro einstellen müssen. Jetzt soll
auch noch das Schuldrecht hinzukommen. Dessen Re-
form wird wahrscheinlich im November oder im Dezem-
ber dieses Jahres im Bundesgesetzblatt stehen. Wer ein
bisschen von der Wirtschaft versteht – das sollte eigent-
lich auch eine Justizministerin –, der weiß –


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Gott sei Dank haben wir ja Sie, Herr Funke!)


– deswegen sage ich das; offensichtlich ist es notwendig,
Frau Ministerin –,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Welt braucht einfach mehr Oberlehrer!)


dass sich das Wirtschaftsleben nicht nur an Paragraphen
wie denen im BGB orientiert.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Er weiß alles!)


Zunächst müssen die Voraussetzungen geschaffen wer-
den, damit Paragraphen in die Praxis umgesetzt werden
können: Man braucht Formulare, man muss die Software
ändern; die Ziviljustiz muss Vorbereitungen treffen, man
braucht eine gewisse Kommentierung und Handreichun-
gen durch die Verbände. All das – das müsste doch jeder
einsehen – kann man nicht zwischen November 2001 und
1. Januar 2002 schaffen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Das müsste auch einer Justizministerin einleuchten!)


Die von Ihnen vorgesehene Frist für die Umsetzung bis
zum 1. Januar 2002 ist nicht nur unpraktikabel, sondern
sie wird uns in der Wirtschaft auch ganz erhebliche
Schwierigkeiten bereiten. Wir sind auf jeden Fall zur kon-
struktiven Mitarbeit bereit, allerdings ohne Hast. Wir wol-
len eine gründliche Beratung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417100700
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von
der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1417100800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gerade erst wurde die Justiz-
reform beschlossen und schon folgt die Reform des Bür-
gerlichen Gesetzbuches. Eine Herausforderung jagt die
andere.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ja, so ist das Leben, Frau Dr. Kenzler!)


– Richtig.
So neu ist der Wunsch, das Schuldrecht zu reformie-

ren, bekanntlich nicht. Die Bemühungen um eine grund-
legende Schuldrechtsreform dauern bereits 20 Jahre an.
Die Umsetzung der drei EU-Richtlinien ist durchaus ein
geeigneter Moment, um die Überarbeitung des Schuld-
rechts in Angriff zu nehmen. Aber der Entwurf kommt
angesichts des Zieles, ihn bereits in sieben Monaten in
Kraft zu setzen, sehr spät. Ich sage das, auch wenn ich
nicht verkenne, dass es dafür durchaus objektive Zwänge
gibt.

Das Problem ist meines Erachtens nicht so sehr die
Einhaltung der Zeitschiene im Parlament – daran sind wir
gewöhnt –, sondern die Umsetzung in der Rechtspraxis.
Im Moment wissen viele praktizierende Juristen und von
der Reform betroffene Unternehmen in Wirtschaft und
Handel noch nicht, dass es jetzt wirklich ernst wird. Ein
Problem bei solchen Endlosdebatten ist ja, dass am
Schluss kaum noch jemand an ein greifbares Ergebnis
glaubt. Das wird ein logistisches Problem, das noch aus
dem Weg geräumt werden muss.

Nun zu der Reform selbst. Sie werden mir nachsehen,
dass ich die über 28 000 Zeilen mit mehr als 1,5 Milli-
onen Zeichen – die Leerzeichen eingerechnet – auf fast
700 Seiten nicht in fünf Minuten Redezeit auch nur in
groben Umrissen abhandeln kann. Ich bin zwar einiges
gewöhnt; aber ein solches Missverhältnis zwischen der
Redezeit und der Bedeutung der heutigen Debatte stellt
ein groteskes Ausmaß dar.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zunächst begrüße ich die Aktualisierung und die Mo-
dernisierung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wenn der
angestrebte Zuwachs an Übersichtlichkeit, Rechtssicher-
heit und Europafähigkeit erreicht werden könnte, dann
wäre das in der Tat ein großer Gewinn. Positiv sind
grundsätzlich die Schaffung eines einheitlichen Tatbe-
standes der Pflichtverletzung, die Verlängerung der
gesetzlichen Gewährleistungsfrist, die konsumenten-
freundliche Beweislastumkehr in § 476 BGB, die Ver-
pflichtung des Verkäufers, eine mangelfreie Ware zu lie-
fern, einschließlich seiner Haftung für die versprochenen
Eigenschaften und nach unserer Auffassung auch die In-
tegration der verstreuten Verbraucherschutzgesetze in das
Schuldrecht.

Problematisch erscheint mir dagegen die Reduzierung
der regelmäßigen Verjährungsfrist auf drei Jahre. Diese
Frist ist extrem knapp und wird wohl nicht selten zum
Verlust berechtigter Ansprüche führen. Schließlich wird
die Chance versäumt, auch völlig überholte Vorschriften




Rainer Funke

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(A)



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anderer Titel des BGB der europäischen Rechtslage anzu-
passen. So ist die Stellung einer Bürgschaft gemäß
§ 232 Abs. 2 BGB weiterhin als Ausnahmefall geregelt
und § 239 BGB verlangt noch immer einen inländischen
Sitz. Jedenfalls die letztere Regelung entspricht nicht
mehr primärem europäischen Gemeinschaftsrecht und
sollte ebenfalls angepasst werden.

Alles in allem bin ich aber sehr gespannt auf die Ex-
pertenanhörung. Abgesehen von Lob, Kritik und Vor-
schlägen zum Regelungsinhalt erwarte ich auf der An-
hörung zu dieser Reform auch Aussagen zur
Verständlichkeit, also zur Übersichtlichkeit und Transpa-
renz der Regelung.


(Beifall bei der PDS)

Auch diesbezüglich scheint mir die eine oder andere
Nachbesserung zumindest wünschenswert.

Mit einem Sprachbruch zugunsten der Allgemeinver-
ständlichkeit und damit im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger sollten Juristen auch leben können. Um nur ein
Beispiel zu nennen: Was klimatisierte Räume sind, weiß
man, aber was soll sich der Bürger unter Verträgen vor-
stellen, die „unter Verwendung von ... automatisierten Ge-
schäftsräumen“ geschlossen werden, § 312 b?


(Beifall des Abgeordneten Rainer Funke [F.D.P.])


Da wir gestern erst die Justizreform verabschiedet ha-
ben, möchte ich abschließend auf Folgendes aufmerksam
machen – Herr Funke hat bereits in der Richtung argu-
mentiert –: Mit der Schuldrechtsmodernisierung wird die
Justizreform vor ihre erste richtige Bewährungsprobe ge-
stellt. Die Amtsrichter haben mit Beginn des neuen Jahres
gleich mit einer dreifachen Belastung zu kämpfen: Ers-
tens sind es die Anforderungen aufgrund der Justizreform.
Zum Zweiten sind es die neuen Anforderungen aus der
Schuldrechtsmodernisierung in Verbindung mit ihrer ei-
genen Qualifizierung. Zum Dritten ist es auch die gewiss
ansteigende Zahl von Klagen aufgrund der Unsicherhei-
ten und Fehler, die bei der Anwendung des neuen Rechts
gemacht bzw. durch ihre Nichtanwendung entstehen
werden.

Dass diese Reform die öffentlichen Haushalte nichts
kostet, wie es im Entwurf heißt, kann ich angesichts des
ganz erheblichen Fortbildungsbedarfs nicht glauben, auch
nicht angesichts der Notwendigkeit, in erheblichem Um-
fang neue Literatur anschaffen zu müssen. Da wird es
nicht bei den Nachlieferungen für den „Schönfelder“ blei-
ben können.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417100900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Frak-
tion.


Dirk Manzewski (SPD):
Rede ID: ID1417101000
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Nach der Mietrechtsreform und der Zi-
vilrechtsreform packt die Bundesregierung mit der

Schuldrechtsreform nun ein weiteres großes Gesetzesvor-
haben zur Modernisierung von Recht und Justiz an. Mit
dem vorgelegten Gesetzentwurf werden nicht nur drei
EU-Richtlinien, unter anderem die so bedeutsame Ver-
brauchsgüterkauf-Richtlinie, in deutsches Recht umge-
setzt. Das deutsche Schuldrecht wird auch – endlich, muss
man wohl sagen – modernisiert und den heutigen Anfor-
derungen angepasst.

Was bedeutet das nun im Wesentlichen konkret, liebe
Kolleginnen und Kollegen? Das Schuldrecht wird über-
sichtlicher und vor allem vollständiger gestaltet werden.
Insbesondere bisher in Sondervorschriften geregelte Ver-
brauchergesetze wie das Haustürwiderrufsgesetz oder der
materielle Teil des Gesetzes über die Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen werden in das Bürgerliche Gesetz-
buch integriert. Das BGB wird dadurch wieder zu dem,
was es einmal war, nämlich die zentrale umfassende zi-
vilrechtliche Gesetzessammlung.

Das Vertragsrecht wird wieder übersichtlicher, da das
geltende Recht nicht mehr aus den unterschiedlichsten
Gesetzen zusammengesucht werden muss. Für den
Rechtsanwender wird dies mehr Rechtsklarheit und
Transparenz bedeuten. Nichtjuristen werden eher in die
Lage versetzt werden, die sie betreffenden Vorschriften
überhaupt zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das so eminent wichtige Verjährungsrecht wird end-
lich eine Systematik erhalten. Allein das Bürgerliche Ge-
setzbuch kennt Verjährungsfristen von sechs Wochen, von
sechs Monaten, von einem, zwei, drei, vier, fünf oder
dreißig Jahren. Derzeit befinden sich in über 80 Gesetzen
mehr als sage und schreibe 130 Verjährungsvorschriften.
Dass hier kaum noch jemand durchblickt, ist nachvoll-
ziehbar, zumal diese Regelungen weder aufeinander ab-
gestimmt sind noch vielfach den heutigen Erfordernissen
im Rechtsverkehr gerecht werden.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist richtig!)

Mit der Vereinheitlichung und Anpassung wird mit die-
sem Durcheinander Schluss gemacht. Das Verjährungs-
recht wird hierdurch endlich verständlich und auf
die tatsächlichen Bedürfnisse im Rechtsverkehr zuge-
schnitten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Das begrüßen wir! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Auch wir begrüßen das, ich habe es gesagt!)


Das Leistungsstörungsrecht wird neu geregelt. Die am
häufigsten auftretende Art der Leistungsstörung, die
Schlechtleistung, ist bislang im BGB nicht direkt geregelt
gewesen. Die hierzu deshalb von der Rechtsprechung ent-
wickelten Rechtsinstitute werden nun endlich – es ist
längst überfällig – festgeschrieben. Die Voraussetzungen
und Rechtsfolgen der Verletzung von Verträgen werden
einfacher geregelt werden. Die bisherige Alternativität
von Rücktritt und Schadensersatz wird zugunsten eines
Rücktritts mit Schadensersatzanspruch aufgegeben. Das




Dr. Evelyn Kenzler
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(C)



(D)



(A)



(B)


Recht auf Rücktritt wird davon abhängig gemacht, dass
der Schuldner eine ihm vom Gläubiger gesetzte Nachfrist
ungenutzt verstreichen lässt.

Das bedeutet, die Regularien bei Vertragsverletzung
werden vereinheitlicht, verständlicher und dadurch
schlicht vereinfacht.


(Beifall bei der SPD)

Den Vertragsparteien werden ihre Rechte und Pflichten
hierdurch klarer werden.

Die Stellung der Verbraucher – auch dies ist bereits zur
Sprache gekommen – im alltäglichen Geschäftsverkehr
wird unabhängig von der grundsätzlichen Vereinfachung
von Vertragsrecht, Verjährung und Leistungsstörungs-
recht weiter gestärkt. So soll der Verkäufer zukünftig zum
Beispiel auch dafür haften, dass eine Sache die angeprie-
senen Eigenschaften aufweist, die der Hersteller in seiner
Werbung und Etikettierung angepriesen hat. Eine eigene
Zusicherung ist nicht mehr nötig.

Ich bin mir durchaus bewusst, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, dass nicht nur viele Juristen
dieses Gesetzesvorhaben etwas ängstlich begleiten wer-
den, bedeutet es für sie doch in vielen Punkten ein Um-
denken und die Aufgabe vieler lieb gewonnener Gewohn-
heiten, was – das wissen wir alle – für Juristen nicht
immer leicht ist.

Soweit behauptet wird, dass das Gesetzgebungsverfah-
ren viel zu zügig durchgeführt wird – auch das ist hier bei
Ihnen zur Sprache gekommen –,


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist doch auch gut!)


kann ich das nicht ganz nachvollziehen. Ich erinnere an
Folgendes: Der dem Gesetzentwurf vorangegangene
„Diskussionsentwurf“ ist schon Mitte letzten Jahres vor-
gelegt worden.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Dieser wiederum basiert ganz maßgeblich auf den Ergeb-
nissen der „Kommission zur Überarbeitung des Schuld-
rechts“, die sich über einen Zeitraum von acht Jahren in-
tensiv mit der Überarbeitung des Schuldrechts befasst
hatte. Deren Abschlussbericht wurde im Übrigen bereits
1992 veröffentlicht.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Wer sich also informieren wollte, konnte dies auch recht-
zeitig tun. Insoweit bin ich über die Verwunderung, die
Sie hier an den Tag legen, ein bisschen erstaunt.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich ist es richtig, dass sich das Ministerium für

das Gesetzgebungsverfahren einen äußerst ehrgeizigen
Zeitplan gesetzt hat. Meiner Auffassung nach muss es das
aber auch. Der enge Zeitplan ist nun einmal wegen der bis
Ende des Jahres notwendigen Umsetzung der so genann-
ten EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zwingend not-
wendig. Ich halte es dabei trotz des Zeitdrucks aus fachli-
chen Gründen für völlig richtig, dass die Bundesregierung

dies für eine umfangreiche Schuldrechtsüberarbeitung ge-
nutzt hat.

Wäre nur die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie umge-
setzt worden, hätte dies bedeutet, dass für eine Vielzahl
von Bereichen nicht mehr die Bestimmungen des BGB,
sondern Sondernormen anzuwenden gewesen wären.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dann wäre der Geis überhaupt nicht mehr durchgestiegen!)


Das BGB hätte damit an Bedeutung nicht gewonnen, wie
es hier vorhin behauptet worden ist, sondern verloren. Für
den Rechtsuchenden wäre es immer komplizierter gewor-
den, die für seinen Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften
überhaupt zu finden.

Zudem wäre dies – auch da bin ich völlig anderer Mei-
nung als Sie, Herr Kollege Funke – für den Wirtschafts-
verkehr verheerend gewesen. Wirtschaft und Verbraucher
wollen wissen, woran sie sind, und sich nicht im Zustand
der Rechtsunsicherheit befinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist richtig!)


Aber nichts anderes wäre doch eingetreten, Kollege
Funke, wenn das Schuldrecht nach kurzer Zeit noch ein-
mal hätte geändert werden müssen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Der Unterschied ist nur, dass er mehr Ahnung hat! Er bewegt sich im Unterschied zu Ihnen in der wirtschaftlichen Praxis!)


Allein aus Gründen der Rechtssicherheit, Kollege Hirche,
ist damit die umfassende Reform des Schuldrechts ge-
boten.

Ich will Ihnen noch einen weiteren Gesichtspunkt nen-
nen, der mir in diesem Zusammenhang ebenso wichtig er-
scheint. Dabei geht es um die Entwicklung des Zivilrechts
auf europäischer Ebene. Wer auf europäischer Ebene Ein-
fluss auf eine zukünftige zivilrechtliche Gesamtkodifika-
tion nehmen will, kann dies nur, wenn hierfür eine um-
fassende nationale Regelung vorliegt, die modernen
Ansprüchen genügt. Das ist wichtig. Der zurzeit beste-
hende deutsche „Flickenteppich“ aus BGB, Sonder- und
Nebengesetzen führt auf europäischer Ebene dazu, dass
andere nationale Gesetzesregelungen, zum Beispiel die
niederländische, von der Mehrheit der EU-Nationen zur
Grundlage der Diskussion gemacht werden. Dies kann
doch niemand von uns ernsthaft wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich abschließend jemanden zitieren, der
diese ganze Angelegenheit viel besser auf den Punkt
bringt, als ich es jemals könnte:

Wir sollten uns keine Illusionen machen – die Tür
steht uns vermutlich nur jetzt offen. Denn sich
zunächst auf eine Umsetzung der Richtlinie über den
Verbrauchsgüterkauf zu beschränken und darauf zu
vertrauen, dass man das Leistungsstörungsrecht spä-
ter immer noch reformieren könne, halte ich für




Dirk Manzewski

16729


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ebenso unrealistisch wie unökonomisch, weil die mit
der Änderung verbundenen Kosten und Lasten dann
zweimal anfallen würden.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Wer für eine „kleine“ Lösung plädiert, nimmt daher
in Wahrheit zugleich das Risiko in Kauf – oder strebt
es sogar unausgesprochen an –, dass es eine „große“
Lösung auf unabsehbare Zeit nicht geben wird – und
zwar weder hinsichtlich des Kaufrechts noch hin-
sichtlich der Reform des allgemeinen Leistungs-
störungsrechts, sodass dieses auf Dauer in seinem
derzeitigen

– darauf verweise ich jetzt besonders –
antiquierten und teilweise desolaten Zustand verhar-
ren wird ...

(Walter Hirche [F.D.P.]: Trotzdem brauchen Sie es nicht durchzupeitschen!)

– Kollege Hirche, dieses Zitat ist vom gestrigen Tage aus
der „JZ“ und stammt von niemand Geringerem als von
Professor Dr. Claus-Wilhelm Canaris, einer der größten
juristischen Koryphäen unseres Landes.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der aber nichts mit Schuldrecht zu tun hat!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo der Mann Recht hat,
hat er Recht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417101100
Das Wort
hat jetzt der Justizminister des Freistaates Thüringen,
Dr. Andreas Birkmann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417101200
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur
wenige Stunden nach der Verabschiedung des von den
Ländern in der ursprünglichen Fassung hart attackierten
Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses muss sich das
Hohe Haus heute – ich glaube, etwas überraschend – mit
einem weiteren so genannten Reformwerk beschäftigen.
Ich meine, es wäre gut gewesen, wenn die Länder vorher
Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätten und Sie
das Gesetzesvorhaben erst im Anschluss daran beraten
würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Wie lange liegt es in der Amtsstube?)


Denn dann könnten von Anfang an all die Argumente ein-
fließen, die aus der Sicht der Länder vorzutragen sind. Ich
kann Ihnen sagen: Auch dieses Reformwerk ist bei den
Ländern nicht unumstritten.

Es handelt sich bei dem Entwurf des Schuldrechts-
modernisierungsgesetzes um ein Reformwerk, das in
seinen Auswirkungen sicherlich noch weitreichender als

das gestern verabschiedete Gesetz sein dürfte. Eben ist
unter dem Aspekt der Redezeit das Volumen angespro-
chen worden. Alleine im BGB gehen die Änderungen so
weit, dass auch das tiefste Erbrecht erfasst wird, und
zwar – ich habe eben einmal nachgeschaut und gehe da-
von aus, dass wir alle den Entwurf sehr gründlich gele-
sen haben, wenn wir heute darüber sprechen – bis zum
§ 2376 BGB.

Meine Damen und Herren, es ist keine Frage: Eine
Modernisierung vor allem des schuldrechtlichen Teils
des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nötig. Was mich und
mit mir die große Mehrheit der juristischen Fachöffent-
lichkeit aber mit großer Sorge erfüllt, ist die Geschwin-
digkeit,mit der die Bundesregierung versucht, ein so be-
deutsames Gesetzgebungswerk wie die Reform des
Schuldrechts auf dem Rücken der Fachwelt und der Bür-
ger durchzusetzen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir leben im Zeitalter der Globalisierung! Da geht es etwas schneller! Im Postkutschenzeitalter konnte man sechs Jahre warten!)


Geht es nach den Vorstellungen des Bundesregierung,
müssen wir uns zum 1. Januar 2002 auf ein in wesentli-
chen Teilen geändertes Zivilrecht einstellen, ohne darauf
auch nur ansatzweise vorbereitet zu sein. Ich spreche in-
sofern von den Bürgern und damit von denen, die mit dem
Recht umgehen müssen. Selbst wenn der Gesetzentwurf
im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gebracht
wird, kann das Gesetz – der Abgeordnete Funke hat be-
reits darauf hingewiesen – erst kurz vor Jahresbeginn ver-
abschiedet werden; und wir können sicher sein, dass die-
ses Gesetz bis zu diesem Zeitpunkt noch eine Menge
Veränderungen erfahren wird.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hoffentlich!)

Schon in den letzten Monaten hat das Bundesjustizmi-

nisterium quasi im Monatsrhythmus immer wieder neue
Entwürfe vorgelegt, mit denen hektisch auf die Kritik aus
Wissenschaft und Praxis reagiert wurde. Auch der Inhalt
der Regelungsmaterie änderte sich ständig: Einmal ist
eine umfangreiche Änderung des Werkvertragrechts
dem Gesetzentwurf einverleibt, ein anderes Mal nicht.
Die letzten Entwürfe – so auch der heute zu beratende –
sehen nunmehr massive Änderungen des Gewährleis-
tungsrechts beim Werkvertrag vor.

Durch das Gesetz sollen das gesamte Kaufrecht – das
Herzstück des besonderen Teils des Schuldrechts – sowie
das gesamte Leistungsstörungsrecht – der Kernbereich
des allgemeinen Teils des Schuldrechts – völlig umge-
staltet werden. Gleiches gilt für das in der Praxis beson-
ders bedeutsame Recht der Verjährung. Das alles muss
innerhalb kürzester Zeit zur Umsetzung vorbereitet wer-
den. Herr Abgeordneter Funke hat auf die technischen
Schwierigkeiten hingewiesen. Jeder, der im Rechts- und
Geschäftsleben steht, weiß, welches Rechtschaos uns
dann blüht. Herr Abgeordneter Beck, auch Sie haben auf
die Schwierigkeiten bei der Umstellung hingewiesen; ich
wundere mich, dass Sie dem dann nicht Rechnung tragen
wollen.




Dirk Manzewski
16730


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(B)


Im Übrigen stehe ich mit meinen Befürchtungen nicht
allein da. Sie haben soeben 600 Zivilrechtsprofessoren
erwähnt. Unlängst haben aber 149 andere renommierte
Zivilrechtsprofessoren


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aus der zweiten Liga! – Alfred Hartenbach [SPD]: Regionalliga, höchstens! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Nur keine Wertungen!)


in einer gemeinsamen Erklärung genau diese Befürchtun-
gen zum Ausdruck gebracht. Professor Wolfgang Ernst
aus Bonn, einer der Mitunterzeichner der Erklärung,
brachte es auf einer Diskussionsveranstaltung zu diesem
Entwurf auf den Punkt: „Wir fahren mit geschlossenen
Augen über die rote Ampel.“


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie machen das! – Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Wir nicht!)


– Sehr geehrter Herr Hartenbach, ich gehe noch ein
Stückchen weiter: Die gleichen Töne werden sogar von
Fachleuten angeschlagen, die wahrlich nicht in dem Ver-
dacht stehen, der Bundesregierung im Allgemeinen und
der Bundesjustizministerin im Besonderen übel gesonnen
zu sein. So hat der bekannte innen- und rechtspolitische
Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert
Prantl, in einem Kommentar vom 17. April dieses Jahres
Folgendes ausgeführt:

Im Schweinsgalopp kann die epochale Reform aber
wirklich nicht bewältigt werden, ohne dass das
Rechtswesen in den GAU stürzt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zumindest Prantl muss man gelesen haben! – Alfred Hartenbach [SPD]: Den lesen wir immer! – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Diesen Eindruck habe ich auch!)


Warum also diese ungeheuere Eile? Schuld soll, so
heißt es seitens der Bundesregierung, Europa sein, und
zwar die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Ver-
brauchsgüterkauf und zweier weiterer Richtlinien in na-
tionales Recht bis Ende dieses Jahres. Der Ihnen heute
vorliegende Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungs-
gesetzes geht weit über die Umsetzung dieser drei EU-
Richtlinien hinaus; das ist heute schon gesagt worden. Die
geplanten neuen Regelungen zum Kaufrecht sind viel
weitgehender, als dies die EU-Richtlinie zum Ver-
brauchsgüterkauf vorsieht. Während sich die Richtlinie
nur auf das Verhältnis des Verbrauchers zum gewerbli-
chen Verkäufer bezieht, sieht der Entwurf in großen Tei-
len die Umsetzung der Richtlinie für alle Kaufverträge,
also insbesondere auch für solche unter Unternehmern
oder unter Verbrauchern, vor.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Was haben Sie gegen Vereinfachung?)


– Dazu werde ich gleich kommen. Dann werden Sie se-
hen, wie nachteilig die Vereinfachung ist.

Mit einer solchen Übererfüllung der Richtlinie ste-
hen wir in Europa völlig isoliert da. Deshalb mein Appell
an die Bundesregierung: Lassen Sie uns gemeinsam für
eine saubere, fristgemäße Umsetzung der EU-Richtlinien
zum 1. Januar 2002 sorgen und beschäftigen wir uns dann

in Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt mit der Novellie-
rung des übrigen Schuldrechts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich kann hier nur das wiederholen, was gestern schon

einmal gesagt wurde: Der Grundsatz „Tempo vor Sorg-
falt“ sollte nicht zum Tragen kommen. Ich weiß, dass ich
mit dieser Forderung unzähligen Juristen aus der Seele
spreche, nicht nur den bereits erwähnten 149 Zivilrechts-
lehrern.

Verschiedentlich wurde der Vorschlag unterbreitet,
man könne das anstehende Chaos dadurch verhindern,
dass man den Inkraftsetzungszeitpunkt für den Restteil,
also für das, was über die EU-Richtlinie hinausgeht, auf
das Jahr 2004 verschiebt. Ich denke, das ist Augenwi-
scherei. Das löst das eigentliche Problem nicht. Wir
benötigen weitere Zeit, um den vorliegenden – immerhin
fast 700 Seiten – starken Entwurf in intensiver fachlicher
Diskussion zu überarbeiten.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das für viele steht
und zeigt, wie unausgegoren der Gesetzentwurf an vielen
Stellen noch ist. Professor Löwisch, der bekannte Ar-
beitsrechtler aus Freiburg, hat es vor wenigen Tagen in der
„Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht“ formuliert: Die Neu-
regelung des Leistungsstörungsrechts hat die – vom geis-
tigen Urheber offensichtlich nicht bedachte – Folge, dass
der durch die Neuregelung eingeführte erhöhte Verzugs-
zinssatz für Schuldner auch für Arbeitnehmer gilt.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Nein!)

Dies dem Justizministerium vorgetragen, führt zu der
lapidaren Antwort: Dann sind Arbeitnehmer eben Ver-
braucher,


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sind sie zum Teil doch auch! Herr Kollege, auch Sie sind manchmal Verbraucher!)


getreu der Devise: Osterhasen sind Weihnachtsmänner im
Sinne der Verordnung.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Aber die meisten Osterhasen werden schon vor Weihnachten produziert, jedenfalls in der Schokoladenindustrie! – Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Herr Kollege, gelegentlich sind sogar Sie Verbraucher!)


– Ich gebe Ihnen ja Recht. – Die Antwort ist zwar origi-
nell; aber das Problem löst sich dadurch nicht. Wie immer
steckt auch hier der Teufel im Detail.

Lassen Sie mich – meine Redezeit geht bald zu Ende –
noch ein anderes Beispiel nennen: Der durch § 439 des
Entwurfs neu eingeführte Nachbesserungsanspruch gilt
nicht nur für den Verbrauchsgüterkauf, sondern für alle
Kaufverträge. Dies hat – wenn ich einmal die praktischen
Auswirkungen darlegen darf – zur Folge, dass ein Stu-
dent, der seinen 15 Jahre alten Gebrauchtwagen für
2 000 DM an einen Kommilitonen verkauft, für eventu-
elle Mängel genauso haftet und in Anspruch genommen
werden kann wie ein professioneller Gebrauchtwagen-
händler. Ist der Gebrauchtwagen mangelhaft, so haftet un-
ser Student nach dem Gesetz – entgegen der wirtschaftli-
chen Vernunft – seinem Kommilitonen zwei Jahre lang




Minister Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)


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(B)


auf Nachlieferung oder Nachbesserung, falls sich in die-
ser Zeit herausstellt, dass der Wagen beim Verkauf einen
Mangel aufgewiesen hat. Ich denke, ein Bedürfnis dafür,
den Verbraucherschutz auch auf Verträge zwischen Ver-
brauchern zu erstrecken, ist schwer nachvollziehbar.

Damit komme ich auf die eben gestellte Frage: Der
Diskussionsbedarf im Einzelnen ist noch groß. Das
Thüringer Justizministerium plant, in diesem Sommer ein
umfangreiches Symposium zum Thema der Schuld-
rechtsmodernisierung durchzuführen. Ich möchte Sie,
Frau Bundesjustizministerin, schon jetzt herzlich nach
Thüringen einladen, um über dieses so wichtige Thema zu
diskutieren. Lassen Sie uns die notwendige Reform des
Schuldrechts gemeinsam und mit der gebotenen Sorgfalt
angehen. Wir sind dazu gerne bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417101300
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der
Kollege Alfred Hartenbach von der SPD-Fraktion das
Wort.


(Zurufe von der CDU/CSU: Es bleibt einem auch nichts erspart!)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1417101400
Ich begrüße Sie sehr herz-
lich, Herr Präsident! Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sie Interesse an der Rechtsdiskussion
haben. Und ich begrüße die Lümmel in der vierten Bank
bei der CDU/CSU. Diese Reform wird eine spannende
Sache, aber zunächst einmal freue ich mich, dass das
Drehbuch manchmal richtig gut ist: Ich freue mich, dass
der ehemalige Bundesjustizminister und Bundesaußenmi-
nister Kinkel heute hier ist und miterleben darf, wie nun
endlich das, was Sie, Herr Dr. Kinkel, eigentlich auch ge-
wollt haben, woran Sie aber von der CDU gehindert wor-
den sind, in die Tat umgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eben war auch noch Herr Professor Dr. Schmidt-
Jortzig anwesend, der genauso daran gehindert worden
ist, hier tätig zu werden. Ich weiß, dass er es wollte, aber
nicht durfte.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann kennen Sie die Interna aber sehr gut!)


Er ist von seinem Parlamentarischen Staatssekretär, dem
ewiggestrigen Herrn Funke, gehindert worden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Herr Pofalla, wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Ich
bin gern bereit, dieses auch zu konzedieren. Auch ich
hätte mir gewünscht – was Sie gestern bei der ZPO-Re-
form beklagt haben –, dass vom Einbringen dieses wich-
tigen Gesetzes, das wir extra in eine gute Debattenzeit
gelegt haben, damit die Bevölkerung in Deutschland da-

von Kenntnis nimmt, heute hier mehr Kollegen Kenntnis
genommen hätten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das gilt auch für die SPD-Fraktion!)


Denn dies ist ein Gesetz, welches die persönlichen Ver-
hältnisse aller,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

ob sie nun Rechtsanwälte sind, ob sie einfache Bürger
sind, ob sie in der Industrie sind oder wo auch immer, re-
geln wird, und zwar besser als das bisherige Gesetz regeln
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr, aber ob es besser ist, ist eine andere Frage!)


– Norbert, nun sei doch mal still.
Nun beklagen Sie, meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen, und ziehen als Beispiel die Beratung des BGB von
vor 116 oder 118 Jahren heran, dass hier zu wenig Vor-
beratungszeit gegeben sei. Zunächst einmal stelle ich
fest, dass sich seit 1974 namhafte Schuldrechtler mit der
Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches befassen. Seit
über einem Jahr steht der Gesetzestext in wesentlichen
Formulierungen allen zur Beratung zur Verfügung. Nun
beklagen Sie einen Akt, den wir hier begehen, nämlich
dass wir nun die parlamentarische Beratung möglichst
schnell beginnen wollen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es geht darum, dass Sie es schnell durchführen wollen! – Ludwig Stiegler [SPD]: Er will nicht lesen!)


– Lieber Norbert, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ver-
stehe ich nun den selbstbewussten, frei gewählten und
hier mit der ganzen Kraft seines Wortes stehenden Abge-
ordneten nicht mehr. Wollen Sie denn wirklich warten, bis
uns Verwaltungsbeamte vorgegeben haben, wie dieses
Gesetz aussehen soll?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir wollen genügend Zeit zur Beratung haben!)


– Ich komme gleich noch dazu.
Das zeigt – gestern habe ich es angekündigt, Herr

Gerhardt –, dass Sie rechtspolitisch entwöhnt sind. Sie ha-
ben 16 Jahre lang keine eigenen Ideen, keine eigenen Ge-
danken in der Rechtspolitik gehabt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Nur eingeschlafene Füße! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum beleidigen Sie uns denn immer so?)


– So etwas macht man aber nicht. – Wir wollen Sie nun
langsam wieder dahin führen, dass Sie eine eigenständige
Rechtspolitik machen können.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist aber gnädig!)


Dafür sollten Sie uns eigentlich dankbar sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich werde heute voller Dankbarkeit aus dem Saal gehen!)





Minister Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)

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(B)


Sie haben hier beklagt, dass wir angesichts der Tat-
sache, dass das BGB im Reichstag sechs Jahre lang bera-
ten worden ist, zu schnell vorgingen. Damals musste über
das gesamte BGB, das fünf Bücher umfasst, beraten wer-
den und es gab weder Fax noch Kopiergerät, auch kein In-
ternet. Alles musste mit der Hand geschrieben werden.
Deshalb dauerte es sechs Jahre.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Das ist ein starkes Argument!)


Wir beraten heute über ein einziges Buch, nämlich über
das Schuldrecht, und brauchen dafür ein Jahr. Das passt
doch zeitlich hundertprozentig zusammen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben darauf hingewiesen, dass es in diesem Zu-

sammenhang unterschiedliche Lehrmeinungen gibt. Die
meisten, die ich hier sitzen sehe – bei einigen ist es schon
so lange her, dass es in Vergessenheit geraten ist –, haben
einmal Jura studiert. Sie auch, Herr Gehb, oder?


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ja, mit Erfolg!)

– Wunderbar. – Sie wissen also, dass es immer eine
herrschende Meinung gibt, aber in jedem Kommentar
zu jedem Paragraphen auch diejenigen angeführt wer-
den, die anderer Ansicht sind. Im Palandt gibt es immer
mindestens fünf. Deswegen finde ich es überhaupt nicht
schlimm, wenn ein Teil der hoch qualifizierten Schuld-
rechtslehrer anderer Ansicht ist als die große Mehrheit.
Das ist ein Stück weit Freiheit von Forschung und
Lehre.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Anderer Ansicht: Alfred Hartenbach!)


Wir sollten uns diese Freiheit gewissermaßen zunutze ma-
chen und dies in unsere Beratungen einbeziehen.

Sie haben natürlich Recht: Das BGB ist ein Denkmal.
Wenn Sie sich aber einmal meine abgegriffene Paper-
back-Ausgabe anschauen, dann sehen Sie, dass sie ei-
gentlich renovierungsbedürftig ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich schenke Ihnen eine neue!)


Genauso ist es mit dem BGB als solchem. Ein Denkmal
muss gepflegt werden. Wenn es nicht gepflegt wird, stürzt
es in sich zusammen und ist kaputt.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unser BGB ist kurz davor, weil Sie 16 Jahre lang nichts
gemacht haben. Sie haben noch nicht einmal den Tauben-
dreck weggewischt, Herr Geis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden dieses Denkmal so renovieren, dass es zu

unseren neuen internationalen Beziehungen, in denen wir
als Rechtsnation stehen, passt. Wir müssen diese EU-
Richtlinien umsetzen, wenn wir im internationalen Kon-
zert mithalten wollen.

Nun haben Sie gesagt, man könne ja das eine so und
das andere so machen. Alle meine Vorredner haben aber

schon gesagt, wie wichtig es ist, ein Schuldrecht aus ei-
nem Guss zu haben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)

Ich weiß, dass es in der Praxis keine Probleme mit der
Anwendung der ZPO und des neuen Mietrechts, wenn es
in Kraft tritt, geben wird. Genauso wird es keine Probleme
mit der Anwendung des neuen Schuldrechts geben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Für Herrn Geis machen wir ein Repetitorium!)


Als ich 1976 junger Staatsanwalt war, trat das Sechste
Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft. Zwei meiner dama-
ligen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Kassel sind da-
raufhin in Pension gegangen; denn sie wollten die neuen
Vorschriften nicht mehr lernen. Ich habe damals als jun-
ger, dynamischer Staatsanwalt gesagt: Es ist gut, dass die
in Rente gehen. Wenn es nun tatsächlich unter den Rich-
tern und Rechtsanwälten einige geben sollte, die es nicht
anwenden wollen – es werden nur ganz wenige sein, weil
die große Mehrzahl dieses Gesetz richtig und vernünftig
anwenden wird –, dann wäre es kein Schaden, wenn auch
sie frühzeitig in Pension gingen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die sollen ins Rechtshistorische Institut gehen! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nein! Sie wollen es ja anwenden!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der F.D.P., ich bitte Sie einmal, darüber
nachzudenken,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ob Sie nicht in Rente gehen!)


ob Sie nicht angesichts der Töne hier ein bisschen früh in
den Bundestagswahlkampf gestartet sind. Auch Sie könn-
ten in Rente gehen; das wäre kein Problem.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Diesen Gefallen tue ich euch nicht!)


Ich lade Sie wirklich ein: Zeigen Sie endlich einmal,
dass Sie sich von der Rechtspolitik des früheren Ministers
Kanther und von der Rechtspolitik in Bayern abgenabelt
haben!


(Ludwig Stiegler [SPD]: Von der Fußfessel – Norbert Geis [CDU/CSU]: Bayern ist bekannt für eine hervorragende Rechtspolitik!)


Heute mussten Sie sich von Herrn Birkmann, weil Sie
nicht genügend Redner zu diesem wichtigen Thema ha-
ben, sagen lassen, dass Sie sich von Ihren Ländern ab-
genabelt haben. Zeigen Sie, dass Sie eine eigenständige
Rechtspolitik machen können! Dazu lade ich Sie sehr
herzlich ein, auch unser Misanthröpchen Funke.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Auf zur Freiheit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417101500
Ich
schließe die Aussprache.




Alfred Hartenbach

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(D)



(A)



(B)


Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf der Drucksache 14/6040 zur federführenden Be-
ratung an den Rechtsausschuss, zur Mitberatung an den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Aus-
schuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung sowie
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b sowie
den Zusatzpunkt 8 auf:
15 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang

Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in
Asylverfahren überarbeiten
– Drucksache 14/5759 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
EU-Richtlinienvorschlag zur Gewährung vo-
rübergehenden Schutzes im Falle eines Mas-
senzustroms überarbeiten
– Drucksache 14/5754 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Carsten Hübner, Uwe Hiksch, Petra Pau
und der Fraktion der PDS
EU-Richtlinienvorschlag zu Mindeststandards
in Asylverfahren ist ein wichtiger Schritt für
einen wirksamen Flüchtlingsschutz in Europa
– Drucksache 14/6050 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1417101600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man einmal beschreiben will, was in den Bereichen
Asyl und Einwanderung in Brüssel nahezu unbemerkt
von der Öffentlichkeit geschieht, so kann man es mit fol-
genden Worten auf den Punkt bringen: In Brüssel be-
schließt man etwas, stellt es dann in den Raum und war-
tet, was passiert. Wenn es kein großes Geschrei und keine
Aufstände gibt, weil die meisten gar nicht begreifen, was
dort beschlossen wird, dann macht man weiter, und zwar
Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. Das ist
Brüssel. Die Bundesregierung, Herr Bundesinnenmi-
nister, schaut zu – mehr nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir reden hier nicht über irgendetwas. Wir reden über

ein Thema, das im Zentrum der innenpolitischen Ausei-
nandersetzungen steht: die Gestaltung unseres zukünfti-
gen Zuwanderungs- und Asylrechts. Seit 1999 – Sie wis-
sen das – ist nach dem AmsterdamerVertrag nicht mehr
Deutschland dafür zuständig. Wir, die Union, haben ein
geschlossenes Gesamtkonzept mit Zahlenbegrenzung, so-
zialer Steuerung und Integration. Der europäische Be-
reich nimmt bei uns einen breiten Raum ein. Nach unse-
rer Auffassung muss bereits auf europäischer Ebene alles
getan werden, um den Zuwanderungsdruck aus den Staa-
ten der Dritten Welt nach Europa zu reduzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen wollen wir gleiche Regelungen für die Auf-

nahme, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung.
Wir wollen vor allen Dingen eine gerechte europäische
Lastenverteilung bei Asylbewerbern und Bürgerkriegs-
flüchtlingen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb, Herr Bundesinnenminister, darf Deutschland die
vorliegenden Vorschläge der Europäischen Kommis-
sion nicht akzeptieren. Sie führen zu einer Ausweitung
der ungesteuerten Zuwanderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber Sie, meine Damen und Herren von der Bundes-

regierung, haben bisher kein Konzept zur Zuwanderungs-
steuerung vorgelegt. Das gilt für die SPD-Fraktion und
auch für Sie, Herr Bundesinnenminister. Sie können es
nämlich nicht. Während die eine Seite bei Ihnen immer
noch von der multikulturellen Gesellschaft träumt und an-
gesichts des Verhaltens der EU Morgenluft wittert, bietet
die andere Seite mit Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesin-
nenminister, einen Minister auf, der in den eigenen Rei-
hen leider völlig isoliert ist und im Parlament höchstens
von der Union unterstützt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Oje! – Susanne Kastner [SPD]: Lieber Gott!)


Ich gebe Ihnen Beispiele en masse. Ein Beispiel sind
die Familienzusammenführungsrichtlinien aus Brüs-
sel. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben davor gewarnt,
diese zu akzeptieren. In Brüssel haben die Sozialisten und
die Grünen dazu Ja gesagt. Die SPD-Bundestagsfraktion




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
16734


(C)



(D)



(A)



(B)


und die grüne Bundestagsfraktion haben Ja gesagt, und
zwar gegen Ihren ausdrücklichen Willen und gegen Ihre
Warnung, dass dann 200 000 bis 300 000Ausländer unge-
steuert nach Deutschland kommen können, Herr Bun-
desinnenminister.

Ein weiteres Beispiel: Während Sie fordern, die Dritt-
staatenregelung zu erhalten, während Sie einfache und
kurze Rechtswege fordern, sagen die Grünen und die SPD
in einer Bundestagsinitiative ganz genau das Gegenteil.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Legen Sie doch als Fraktion endlich ein Konzept vor, das
eine vernünftige Zuwanderungssteuerung, eine vernünf-
tige Zuwanderungsbegrenzung enthält!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit diesem Mangel an Handlungsfähigkeit lassen sich

in Brüssel keine Verhandlungen führen. Also, meine Da-
men und Herren, entweder handeln Sie jetzt oder – noch
besser – handeln Sie nicht, sparen Sie sich die Arbeit und
schließen Sie sich ohne Wenn und Aber dem Konzept von
CDU und CSU an!


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind ja abgewählt worden!)


– Herr Kollege Stiegler, Sie täten uns damit einen kleinen
Gefallen, unserem Land aber einen riesengroßen Ge-
fallen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind abgewählt worden!)


Denn was auf uns zukommt, ist mehr als beunruhigend.
Brüssel hat vor allen Dingen kein Gesamtkonzept. Es
werden punktuelle Lösungen angeboten. Wer aber diese
komplexe Problemstellung – Zuwanderung, Asylrecht –
ohne Berücksichtigung von Zusammenhängen erledigen
will, verliert zwangsläufig den Überblick. Sie, meine Da-
men und Herren, wollen ein Haus bauen, aber Ihnen fehlt
der Bauplan, und das kann nicht gut gehen.

Herr Minister, Ihre jüngste Äußerung, es sei Ihnen
wichtig, die Diskussion nicht auf das Schlagwort eines
Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes einzuengen, und Ihr
Hinweis, neben der Zuwanderung aus wirtschaftlichen
Gründen müssten auch Verbesserungen eintreten, bedeu-
ten doch nichts anderes als den Beginn des Rückzuges
vom ambitioniertesten Gesetzesvorhaben der Regierung
in dieser Legislaturperiode. Das ist doch die Ankündi-
gung, dass eben kein notwendiges Zuwanderungssteue-
rungs- und -begrenzungsgesetz von Ihnen vorgelegt wird,
Herr Bundesinnenminister, und das ist problematisch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Kaffeesatzleser! Voodoo-Zauberer!)


In Brüssel spielt die Musik, in Brüssel werden Ent-
scheidungen gefällt. Wenn die Richtlinien zu Mindest-
standards in Bezug auf das Asylverfahren Wirklichkeit
werden, wird unser bestehendes Asylrecht auf den Kopf
gestellt. Denn Brüssel will, was Sie bisher in diesem
Hause noch gar nicht diskutiert haben – deswegen müs-
sen wir dies den Menschen in unserem Lande sagen –,

unser Asylrecht nahezu abschaffen. Die Drittstaatenrege-
lung, die Flughafenregelung und die Herkunftsstaatenre-
gelung sollen gekippt werden. Man will verfahrensbe-
schleunigende Maßnahmen aufheben, man will ein
dreistufiges Verfahren mit zwei Überprüfungsinstanzen,
man will keine Beschleunigung bei Folgeanträgen, ob-
wohl 30 Prozent der Asylanträge Folgeanträge werden.

Ich wiederhole: Unser Asylrecht wird dann auf den
Kopf gestellt. Unser Asylrecht war erfolgreich. Sie wis-
sen, dass wir gegenüber fast 450 000 Asylbewerbern im
Jahr 1993 nur noch rund 80 000 im vergangenen Jahr
hatten.

Auch das noch einmal zur Erinnerung: Sie wissen, dass
der jetzige Bundeskanzler, damals Ministerpräsident von
Niedersachsen, zu diesem Asylkompromiss Nein gesagt
hat. Aber unser Asylrecht war erfolgreich und soll nun
von Europa her abgeschafft werden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das Kriterium?)


Sie wollen ein Asylrecht mit subjektiven Ansprüchen
schaffen. Das kann nicht gut gehen.

Ich appelliere an die Bundesregierung: Investieren Sie
weniger Zeit in Medienauftritte, kehren Sie zu Sachde-
batten zurück, bieten Sie sachgerechte Lösungen an!
Bremsen Sie in Europa Herrn Vitorino und die rot-grüne
Europafraktion! Sie haben eine historische Chance zur
Gestaltung eines modernen Ausländer- und Asylrechts,
zur Gestaltung eines Zuwanderungsbegrenzungsrechts.
Aber Sie haben auch eine historische Verpflichtung. Bis
zum Jahre 2004 ist nach dem Amsterdamer Vertrag die
Vergemeinschaftung der Asyl- und Flüchtlingspolitik
zu vollziehen, und nur bis dahin gilt das Prinzip der Ein-
stimmigkeit. Seien Sie sich deswegen der außergewöhn-
lichen Verantwortung bewusst! Was Sie jetzt mittragen
oder initiieren, wird nie wieder rückgängig zu machen
sein.
Deswegen rufe ich Sie auf: Gehen Sie verantwortungsvoll
mit dieser historischen Verpflichtung um!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Folgen Sie unseren Anträgen und setzen Sie sich in

Brüssel durch, damit das, was dort geplant ist, nicht Wirk-
lichkeit wird. Herr Bundesinnenminister, legen Sie end-
lich ein Gesamtkonzept zur Zuwanderung, Integration,
Arbeitsmigration und zur Zuwanderungsbegrenzung vor!
Die Menschen in unserem Lande wollen ein solches Ge-
samtkonzept, Herr Bundesinnenminister. Es ist auch nicht
unanständig, die Interessen von 80 Millionen Menschen
kraftvoll zu vertreten; das ist unsere und das ist auch Ihre
Pflicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417101700
Das Wort
hat jetzt der Herr Bundesminister Otto Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1417101800
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr
Marschewski, Sie vermissen gegen Vorhaben in Brüssel




Erwin Marschewski (Recklinghausen)


16735


(C)



(D)



(A)



(B)


Geschrei und Aufstand. Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass
Ihrerseits das Geschrei heute Morgen relativ moderat aus-
gefallen ist. Ich kann Ihnen sagen: In Brüssel werden Sie
mit Aufständen nicht sehr weit kommen.

Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis dafür, dass
Sie für die CDU/CSU-Fraktion den Versuch unterneh-
men, wieder etwas europapolitische Kompetenz zurück-
zugewinnen. Ob Sie das allerdings mit Ihrem heutigen
Beitrag geleistet haben, muss ich mit einem großen Fra-
gezeichen versehen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Sehr wahr!)

Ich finde, die Sportart „Offene Türen einrennen“ ist auch
nicht besonders eindrucksvoll. Man kann sich dabei übri-
gens Verletzungen zuziehen, Herr Marschewski.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Deshalb, meine ich, sollten wir die Kirche im Dorf lassen.

Wir haben doch gemeinsam – so hat sich die
CDU/CSU früher geäußert – in die Europapolitik die Vor-
stellung eingebracht, dass wir eine Europäisierung des
Asyl- und Zuwanderungsrechtes wollen. Sie haben doch
die Amsterdamer Verträge ausgehandelt; das hat doch
nicht diese Regierung getan, die alte Regierung hat sie
ausgehandelt. Nun können Sie sich doch nicht darüber be-
klagen, dass das so geschehen ist und wir auf diesem
Wege weitergehen müssen.

Sie haben selbstverständlich darin Recht, dass wir uns
über die Einzelheiten unterhalten müssen. Sie werden
wissen, dass ich mich in Brüssel sowie auf den Justiz- und
Innenministerkonferenzen stets dafür eingesetzt habe,
auch auf der europäischen Ebene ein konsistentes Pro-
gramm zu entwickeln, das alle Aspekte umfasst. Leider
entspricht das methodische Vorgehen der Kommission
nicht ganz meinem Wunsch. Die Kommission hat sich
– man muss dabei natürlich die Fristsetzungen, das Score-
board, das hinsichtlich des Fortschritts bestimmte Vorha-
ben vorsieht, vor Augen haben; insofern muss man Ver-
ständnis für die Kommission haben – nun auf den Weg
begeben, Einzelmaßnahmen vorzuschlagen.

Wenn ich von der Bundestagsverwaltung richtig unter-
richtet worden bin, Herr Kollege Marschewski, unterhal-
ten wir uns heute Morgen über zwei Vorschläge der Kom-
mission. Ich will auf beide kurz eingehen, damit wir zu
einer sachlichen Diskussion kommen. Wir werden noch
Gelegenheit haben, über das andere Thema, das Sie ange-
sprochen haben, ausführlich zu reden. Ich will am Schluss
meiner Ausführungen aber einige Bemerkungen dazu ma-
chen.

Es geht zunächst um den Richtlinienvorschlag zur Ge-
währung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Mas-
senzustromes. An dieser Stelle will ich sagen: Ich begrüße
ausdrücklich, dass die Kommission einen Vorschlag ge-
macht hat und die schwedische Präsidentschaft versucht,
diesen Richtlinienvorschlag noch während der Dauer ih-
rer Präsidentschaft zu verabschieden. Das ist eine sehr
vernünftige Initiative. Es war ja auch das Anliegen der al-
ten Bundesregierung, insoweit eine EU-weite Regelung
zu erreichen.

Die Verhandlungen über einzelne Fragen des Entwurfs
sind noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich der noch be-
stehenden Streitpunkte bin ich der Meinung, dass der Vor-
schlag seitens der Kommission eine gute Grundlage für
eine Regelung ist. Das gilt insbesondere für das Verhält-
nis von vorübergehendem Schutz und Asylverfahren. Der
Richtlinienvorschlag gibt den Mitgliedstaaten ausdrück-
lich die Möglichkeit vorzusehen, dass die sich aus dem
vorübergehenden Schutz ergebenden Rechte nicht mit
dem Status eines Asylbewerbers, dessen Antrag geprüft
wird, kumuliert werden können. Das ist doch auch eines
Ihrer Anliegen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Ge-
gen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten hat sich die
Bundesrepublik mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die Prü-
fung von Asylanträgen für die Dauer des vorübergehen-
den Schutzes ausgesetzt werden kann.

Beim Stimmenquorum zur Auslösung und Beendi-
gung des vorübergehenden Schutzes – auch das haben
Sie, Herr Kollege Marschewski, angesprochen – sprechen
die besseren Gründe für eine qualifizierte Mehrheit. Das
Erfordernis der Einstimmigkeit, das Sie favorisieren, hat
einen großen Nachteil, nämlich den, dass das Veto nur ei-
nes Mitgliedstaates eine EU-weite Gewährung des vo-
rübergehenden Schutzes verhindern kann. Es ist absehbar,
dass dann ein vorübergehender Schutz in der EU nur sel-
ten oder überhaupt nicht gewährt würde. Wir wären dann
bei der Kosovo-Krise möglicherweise blockiert gewesen.
Ich erinnere mich an die damaligen Diskussionen noch
sehr genau.

Ohne eine gesamteuropäische Lösung der Aufteilung
der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten, also ohne
jegliche Regelung würde die Bundesrepublik voraus-
sichtlich die Hauptlast des Flüchtlingsstromes tragen und
würde es anderen Mitgliedstaaten erleichtert, sich vor der
Verantwortung, eine nennenswerte Anzahl von Vertriebe-
nen aufzunehmen, zu drücken. Sie wissen doch, was da-
mals – Sie waren an der Regierung – geschehen ist, als der
Konflikt in Bosnien-Herzegowina ausgebrochen ist. Da-
mals kamen rund 350 000 Flüchtlinge aus Bosnien-Her-
zegowina in Deutschland an. Von Lastenteilung konnte
keine Rede sein.

Gleiches gilt für die Aufhebung des vorübergehenden
Schutzes. Auch hier könnte bei einem Einstimmigkeitser-
fordernis das Veto eines Mitgliedstaates – zum Beispiel
eines Staates, der nur eine sehr geringe Zahl von
Vertriebenen aufgenommen hat – einen Aufhebungsbe-
schluss verhindern. Das kann nicht in unserem Interesse
sein; denn dadurch würde eine schnelle Rückführung der
Vertriebenen bei einer Verbesserung der Situation im Her-
kunftsland verhindert und würde die im CDU/CSU-An-
trag geforderte Rückkehrorientierung der Richtlinie ge-
rade nicht erreicht.

Die Lastenteilung – darüber haben wir, Herr
Marschewski, oft gesprochen; ich bevorzuge übrigens
den Ausdruck Solidarität, weil ich glaube, dass er der bes-
sere ist; aber darüber müssen wir uns nicht streiten – ist
ein Kernstück des Richtlinienentwurfs. Die Verknüpfung
von vorübergehendem Schutz und einer ausgewogenen
Verteilung der Belastungen bei der Aufnahme von Flücht-
lingen und Vertriebenen ist von der Bundesrepublik und




Bundesminister Otto Schily
16736


(C)



(D)



(A)



(B)


insbesondere von dieser Bundesregierung stets massiv
gefordert worden. Der Vorschlag der Kommission reali-
siert diese Forderung und konkretisiert die Solidarität
durch das so genannte Bietungs- bzw. „pledging“-Verfah-
ren, das auf einen im Jahre 1999, also während der deut-
schen Ratspräsidentschaft, von mir eingebrachten Vor-
schlag zurückgeht. Dieses Verfahren führt nicht dazu,
dass sich die Vertriebenen das Land mit den besten sozia-
len Leistungen einfach aussuchen können. Das wollen wir
auch nicht. Eine Aufnahme von Vertriebenen erfolgt nur
in der Größenordnung, die der jeweilige Mitgliedstaat bei
der Auslösung des vorübergehenden Schutzes angegeben
hat.

Die Funktionsfähigkeit dieses Modells hat sich in der
Kosovo-Krise bewährt. Ich muss Sie daran erinnern, was
wir während der Kosovo-Krise erreicht haben:

Erstens. Wir haben dafür gesorgt, dass der übergroße
Teil der Flüchtlinge in der Region Schutz gefunden hat.
Zweitens. Als die Notwendigkeit bestand, einen Teil der
Flüchtlinge aus Mazedonien nach Europa zu evakuieren,
haben wir eine Lastenteilung durchgesetzt. Deutschland
hat von insgesamt etwa 100 000 Flüchtlingen nur 15 000
aufgenommen. Sie sehen also, dass diese gute Lösung ist.

Zu der von Ihnen immer wieder geforderten Quoten-
lösung muss ich Ihnen, Herr Marschewski, sagen, dass
Sie offenbar den Stand der europäische Diskussion nicht
kennen. Man weiß seit Jahren, dass diese Lösung nicht
durchsetzbar ist. Sie werden die Franzosen von der Quo-
tenlösung nie überzeugen können, ganz egal, welche po-
litische Kraft in Frankreich an der Regierung ist.

Eine an der Einwohnerzahl orientierte Quorumsrege-
lung – auch daran muss ich Sie erinnern – liegt außerdem
gar nicht im deutschen Interesse, weil sie Deutschland so-
gar verpflichten könnte, noch mehr Flüchtlinge als bisher
aufzunehmen. Das lässt sich durch die Entwicklung der
Asylbewerberzahlen belegen. Im vergangenen Jahr hat
Deutschland, gemessen an seiner Einwohnerzahl – auch
das sollten Sie der Öffentlichkeit einmal deutlich ma-
chen –, bei der Aufnahme von Flüchtlingen nur einen Mit-
telplatz belegt. Deutschland steht keineswegs mehr an der
Spitze, auch nicht bei den absoluten Zahlen. Großbri-
tannien hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Wir
hatten im vergangenen Jahr rund 80 000 Asylbewerber
und Großbritannien rund 100 000. Wenn Sie die Ein-
wohnerzahlen zugrunde legen, verändern sich die Propor-
tionen noch mehr.

Ich glaube also, dass wir bei dieser Richtlinie auf ei-
nem guten Wege sind. Es gibt ein paar Fragen, die noch
nicht zu Ende diskutiert sind. Dazu gehört die Familien-
zusammenführung. Man kann – ich habe mit Herrn
Kommissar Vitorino darüber gesprochen – sich überle-
gen, ob wir die Familienzusammenführung aus der Richt-
linie überhaupt ausklammern und sie lieber in der allge-
meinen Richtlinie regeln. Darüber sind wir im Gespräch.
Die Regelungen dürfen auch nicht zu weit gehen, damit
wir nicht Dinge regeln, die sich eigentlich aus der Praxis
viel besser ergeben. Ich erinnere noch einmal an das Ko-
sovo. Wir haben selbstverständlich, als wir aus Mazedo-
nien evakuiert haben, in erster Linie Frauen, Kinder und
Kranke berücksichtigt und im Einvernehmen und in Zu-

sammenarbeit mit dem UNHCR natürlich auch dafür
gesorgt, dass die Familien nicht auseinander gerissen
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu braucht man keine verrechtlichte Regelung. Das
geht auch, wenn man darüber vernünftig diskutiert.

Nun bin ich bei dem zweiten Punkt. Dazu muss ich al-
lerdings sagen: Bei der Richtlinie über Mindestnormen
in Asylverfahren gibt es noch ganz erheblichen Diskus-
sionsbedarf.


(Ulla Jelpke [PDS]: Das habe ich mir gedacht!)


– Ja, Frau Jelpke, da haben Sie einen anderen Standpunkt.
Das ist in Ordnung. Aber ich habe eine andere Verant-
wortung als Sie.

Diese Mindestnormen sind so nicht akzeptabel. Sie ha-
ben einige Stichworte genannt: Die Drittstaatenregelung
ist so, wie sie dort ausformuliert ist, für uns nicht akzep-
tabel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU)


Nicht akzeptabel ist die Regelung bei den offensicht-
lich unbegründeten Anträgen, bei den Folgeanträgen und
bei vielen anderen Stichworten mehr. Ich will das hier gar
nicht im Einzelnen darstellen. Ich habe Ihnen den Stand-
punkt der Bundesregierung dazu schon in verschiedenen
Darstellungen vor dem Innenausschuss mitgeteilt. Ich bin
aber gerne bereit, noch einmal in den Innenausschuss zu
kommen, um das im Detail darzulegen.

Es ist übrigens auch nicht so, dass es quasi nur die Bun-
desregierung, die Kommission, den Bundestag und das
Europaparlament gibt, Herr Marschewski. Es gibt auch
den Ministerrat, der ein Wörtchen mitzureden hat.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das weiß ich sogar!)


Im Ministerrat ist die Kritik an diesem Richtlinienentwurf
nun wahrlich nicht auf den deutschen Innenminister be-
schränkt.

Sie können sich vorstellen, dass ich in dieser Richtung
auch mit meinen Innenministerkollegen in Europa rede
und mit ihnen sehr intensive Gespräche führe. Das wird
eine Zeit dauern. Die Sachen sind erst andiskutiert wor-
den. Nun seien Sie an der Stelle mal nicht so hektisch! Sie
brauchen sich in der Richtung keine Sorge zu machen,
wir würden die Dinge so regeln, dass wir dabei Schaden
nehmen.

Allerdings stehen diese Fragen in der Tat in einem Zu-
sammenhang mit anderen Fragen. Ich würde es begrüßen,
wenn wir in der europäischen Diskussion wie auch in
Deutschland zu einem Einvernehmen über ein Gesamt-
konzept gelangten. Das ist übrigens auch der Ehrgeiz der
belgischen Präsidentschaft, die dazu eine Konferenz ein-
berufen wird. Ich hoffe, dass man auf dem Wege voran-
kommen wird.




Bundesminister Otto Schily

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(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich zum Schluss – wenn es der Herr Prä-
sident erlaubt – noch einige wenige Sätze zu Ihren allge-
meinen Bemerkungen über Zuwanderungspolitik und
Ähnliches anfügen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich be-
grüße, dass die CDU unter dem Vorsitz von Herrn Mi-
nisterpräsidenten Müller ein ausführliches Papier erar-
beitet hat. Das Papier kann ich nur loben. Es enthält sehr
gute Passagen. Ich halte es für ein gutes Papier, um auf
dessen Grundlage und auf der Grundlage anderer Über-
legungen, die es bei der F.D.P. gibt, die es bei der SPD
gibt, die es bei den Grünen und auf welcher Seite immer
gibt, zu einem allgemeinen Konsens in diesen Fragen zu
kommen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Die CSU haben Sie noch vergessen! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Wir waren die Ersten!)


– Auch die CSU, Entschuldigung! Die CSU, die Schwes-
terpartei, hat auch ein interessantes Papier vorgelegt.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Außerordentlich wichtig!)


– Ja, natürlich: eine außerordentlich wichtige Partei.
Sie wissen, dass ich eine Kommission unter dem Vor-

sitz eines Mitglieds Ihrer Fraktion, einer herausragenden
Persönlichkeit, Frau Professor Süssmuth, einberufen
habe. Diese Kommission hat eine interessante Zusam-
mensetzung, weil sie nämlich alle Gesichtspunkte, die
bei einer Zuwanderungsregelung zu berücksichtigen
sind, repräsentiert. Ich denke, allein die Tatsache, dass
sich viele um die Zugehörigkeit zu dieser Kommission
bemüht haben, beweist, dass es richtig war, eine solche
Kommission einzuberufen. Alle Wirtschaftsverbände ha-
ben sich gedrängt, in dieser Kommission mitzuarbeiten.
Ich bin denjenigen sehr dankbar, die sich dazu bereit ge-
funden haben.

Diese Kommission wird ihre Vorschläge demnächst
vorlegen. Sie hat übrigens alles das, was etwa von Ihrer
Parteikommission oder von anderen vorgelegt worden ist,
in ihre Überlegungen einbezogen.

Ich glaube, dass wir zu einer vernünftigen Regelung
kommen können, die sowohl eine Steuerung und Be-
grenzung erlaubt als auch die Wahrung der humanitären
Grundsätze, auf die wir uns in der Verfassung festgelegt
haben. Deshalb appelliere ich an alle, an diesem Konsens
mitzuwirken. Herr Marschewski, wenn Sie dazu auch ei-
nen Beitrag leisten wollen und auf Geschrei und Auf-
ständigkeit verzichten, dann würde ich das sehr be-
grüßen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Bis auf das Letzte war das ganz ordentlich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417101900
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Max Stadler
von der F.D.P.-Fraktion.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1417102000
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Oft ist es ganz nützlich,
wenn man bei Anträgen, über die hier zu diskutieren ist,
auch das liest, was nicht ausdrücklich in ihnen enthalten
ist. So scheinen sich die beiden Anträge der CDU/CSU
dem Wortlaut nach an die Bundesregierung zu richten, in-
dem sie aufgefordert wird, in bestimmter Weise in Brüs-
sel zu agieren. Man kann sich aber unschwer ausmalen,
dass Adressat der Anträge natürlich auch die eigenen Par-
teimitglieder und Anhänger sind; denn, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, es war ja für Sie ein
weiter Weg von der Position, dass Deutschland kein Ein-
wanderungsland sei, bis zu dem Papier, das Sie dankens-
werterweise jetzt vorgelegt haben. Es war ein langer Weg
nach Tipperary.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Die sind vom Wandern müde!)


Man kann sich leicht vorstellen, dass viele bei Ihnen
diesen Weg nicht so schnell mitzugehen bereit sind. Da ist
es natürlich der innerparteilichen Willensbildung förder-
lich, wenn man diesen Schwenk und diese neue Erkennt-
nis, dass Deutschland faktisch natürlich ein Einwande-
rungsland ist, mit einer besonders kritischen Haltung
gegenüber dem Asylverfahren und dem garniert, was in
Brüssel dazu vorgeschlagen wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Ein Gleitmittel! – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr weit hergeholt!)


Unabhängig davon ist es berechtigt und verdienstvoll,
dass Sie dieses Thema hier zu Debatte stellen und dass
aufgrund Ihrer Anträge und des Antrags der PDS der
Deutsche Bundestag überhaupt über einen Richtlinienent-
wurf der EU diskutiert. Es ist ja ein zentrales Thema, hin-
sichtlich dessen wir uns im Innenausschuss seit langem
Gedanken darüber machen, wie wir es besser bewältigen
können, dass wichtigste Entscheidungen, die die deutsche
Innenpolitik maßgeblich verändern, in Brüssel in einer
Situation getroffen werden, in der das Europaparlament
immer noch keine echte Mitsprachemöglichkeit hat und
in der der Deutsche Bundestag nur zur Kenntnis nimmt,
was in einer Richtlinie vorgegeben wird.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass die Anträge
Gelegenheit geben, einiges klarzustellen.

Die Debatte über das Asylrecht und die Europäisierung
des Asylrechts ist von Teilen der deutschen Öffentlichkeit
von vorneherein mit einer falschen Erwartungshaltung
geführt worden. Manche, denen unser Asylrecht immer
noch zu liberal ist, haben nämlich die Hoffnung damit ver-
bunden, dass sich – so wurde immer behauptet – das deut-
sche Grundrecht auf Asyl nicht mehr halten lasse, wenn
eine Europäisierung dieses Rechtsgebiets erfolge. Nun
müssen Sie zu Ihrer Enttäuschung, meine Damen und
Herren von der Union, feststellen: Art. 16 a des Grundge-
setzes kann auch im europäischen Kontext sehr wohl Be-
stand haben. Im Gegenteil: Zu Ihrer Überraschung wer-
den vonseiten der EU zum Teil weitreichendere und




Bundesminister Otto Schily
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(A)



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liberalere Vorstellungen geäußert, als wir sie im Asyl-
kompromiss seinerzeit vereinbart haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dies hätten Sie schon seit langem wissen können, wenn
Sie sich genauer informiert hätten.

Das Flughafenverfahren in Frankreich zeichnet sich
zum Beispiel dadurch aus, dass dann, wenn innerhalb von
18 Tagen keine Entscheidung über die Anerkennung oder
Nichtanerkennung eines Bewerbers gefallen ist, der Be-
werber in Frankreich einreisen darf und das weitere Asyl-
verfahren im Inland geführt wird. Dieses Verfahren geht
viel weiter als die bei uns bestehende Regelung. So
braucht es einen nicht zu verwundern, dass auch die EU
über die deutschen Regelungen hinausgehende Vor-
schläge macht.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Habt ihr während eurer Regierungszeit als F.D.P. auch nicht hinbekommen! – Zuruf von der CDU/CSU: Was will die F.D.P.?)


Das lässt einen interessanten politischen Aspekt in ei-
nem anderen Licht erscheinen: Die Union wird jetzt von
ihrer These eingeholt, die europäische Integration zwinge
zu einer Verschärfung des deutschen Asylrechts. Da sich
diese These offenkundig nicht bewahrheitet, stellt sie nun
eigene Anträge, um diese Verschärfung zu propagieren.
Das nennt man Dialektik.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD – Zuruf von der SPD: Das nennt man Bremserhäuschen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417102100
Herr Kol-
lege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Jelpke?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1417102200
Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417102300
Frau
Jelpke, bitte schön.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417102400
Herr Kollege Stadler, wir haben
diese Frage ja schon einmal diskutiert. Sie haben eben das
französische Modell vorgestellt. Ich persönlich würde es
sehr befürworten, wenn es bei uns eingeführt würde, um
eine menschenwürdige Regelung für Flüchtlinge herzu-
stellen. Geben Sie mir Recht, dass Sie einem Antrag der
PDS im Innenausschuss, der genau in diese Richtung ten-
diert hat, nämlich das Flughafenverfahren abzuschaffen
und die Asylbewerber nicht zu inhaftieren, wenn man das
Asylverfahren nicht rasch abschließen kann, nicht zuge-
stimmt haben?


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1417102500
Frau Kollegin Jelpke, ich
bestätige Ihnen gerne, dass wir den allermeisten Ihrer An-
träge im Innenausschuss und im Plenum nicht zustimmen.
Das geschieht allerdings nicht aus einem Automatismus
heraus. Gerade beim G-10-Gesetz haben wir ja eine ge-

meinsame Position vertreten und diese ist auch bei den
Abstimmungen zum Ausdruck gekommen. Aber – da
gebe ich Herrn Schily Recht – es bedarf für den gesamten
Bereich einer Gesamtkonzeption, auf die ich gleich zu
sprechen komme. Unabhängig davon sind etwa in der
Praxis des Flughafenverfahrens ohne Änderung der
Rechtsgrundlage sehr wohl Verbesserungen möglich und
notwendig. Sie wurden uns von der rot-grünen Regie-
rungskoalition auch schon seit langer Zeit versprochen,
ohne dass sie bisher verwirklicht wurden.

Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass ein
Gesamtkonzept für die Zuwanderungspolitik nötig sei.
Die F.D.P. hat daher als erste Partei ein Zuwanderungs-
gesetz in den Bundestag eingebracht.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das haben alle anderen Fraktionen abgelehnt. Wir haben
mit dem Gesetzentwurf vom 2. Juni 2000 einen neuen
Versuch unternommen. Wir hoffen nun, dass jetzt wirk-
lich das gesamte Parlament eine Gesetzesinitiative er-
greift.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Placebo-Gesetz!)

– Herr Kollege Stiegler, Sie tragen dafür die Hauptver-
antwortung; denn Sie leiten die im Geheimen tagende Ar-
beitsgruppe der SPD. Sie tagt so sehr im Verborgenen,
dass man bis heute nicht weiß, was sie vorschlagen wird.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wir können eben Disziplin halten, das Wasser halten!)


Ihre Fraktion war sogar die einzige, die sich geweigert
hat, vor der Süssmuth-Kommission ihre Vorstellungen
vorzutragen. Wir sind sehr neugierig, was Sie machen
werden, wenn die Süssmuth-Kommission ihren Schluss-
bericht vorlegt. Dann ist es nämlich allerhöchste Zeit,
dass die Zuwanderungsproblematik gesetzlich geregelt
wird.

Nach Auffassung der F.D.P. muss sich die Zuwande-
rungspolitik auf zwei Säulen stützen: zum einen auf die
Zuwanderung, die wir aus eigenem wirtschaftlichen Inte-
resse und arbeitsmarktpolitischen Gründen brauchen
– hierbei hilft solches Flickwerk wie die Green-Card-
Regelung überhaupt nicht –, zum anderen auf die Einhal-
tung der Verpflichtungen, die wir aus humanitären Grün-
den eingegangen sind. Deshalb bleiben für uns das
Grundrecht auf Asyl und ebenso die Verfahrensgarantie
des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für Asylbewerber bestehen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Willkommen im Klub!)


Wir fühlen uns durch den Entwurf der EU-Richtlinie in
unseren Positionen bestätigt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Meine Redezeit reicht nicht aus, die 15 Detailpunkte,
die die Union in ihren Anträgen aufgeführt hat, im Plenum
auch nur anzusprechen. Das bleibt der Diskussion im Aus-
schuss vorbehalten. Ich meine nur, dass die Union in ihrer
Gesamttendenz insofern falsch liegt, als in ihrem Antrag
nach einem kurzen pflichtschuldigen Lob dafür, dass sich




Dr. Max Stadler

16739


(C)



(D)



(A)



(B)


auf europäischer Ebene überhaupt etwas bewegt, ein
Trommelfeuer von Kritik kommt, die nur in einigen Punk-
ten berechtigt ist. Zwar wollen auch wir keine Erschwe-
rungen bei der Ablehnung von Asylfolgeanträgen, wir
meinen aber, dass die Lage in anderen Punkten von Ihnen
zu skeptisch gesehen wird. Das betrifft zum Beispiel die
Drittstaatenregelung, die immer umstritten war, auf die
wir uns aber im Asylkompromiss geeinigt haben. Sie wird
nämlich ihre Bedeutung in dem Moment fast komplett
einbüßen, in dem die EU-Osterweiterung über die Bühne
gegangen ist. Danach wird Deutschland mit Ausnahme
der Schweiz nur noch von EU-Mitgliedstaaten umgeben
sein. Der ewige Streit um die Drittstaatenregelung erle-
digt sich dann gewissermaßen von selbst.

Ich komme zum Schluss. Sie von der Union erwecken
den Eindruck, als könne man bei einer EU-Beschlussfas-
sung das deutsche Recht hundertprozentig durchsetzen.
Das muss nicht sein und wird auch nicht gelingen. Wir
glauben, dass mit dieser Richtlinie ein richtiger Weg in
Richtung Harmonisierung des europäischen Asylrechts
beschritten wird. Wir als F.D.P. bleiben dabei, dass wir
eine Zuwanderung nach Deutschland im eigenen Inte-
resse brauchen


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Ihr braucht mehr Wähler!)


und dass wir die humanitären Verpflichtungen, die uns das
Grundgesetz aufgegeben hat, auch in diesem Zusammen-
hang voll erfüllen müssen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1417102600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marieluise Beck vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich stimme Herrn Stadler zu, dass
die beiden Anträge der Union, die vom April datieren, ein
anderes Gewicht gehabt hätten, wenn damals schon die
Müller-Kommission mit ihren Ergebnissen an die Öffent-
lichkeit getreten wäre. Man kann daran sehen, dass es in-
nerhalb der Union eine heftige Bewegung in Richtung
Realitätstüchtigkeit gegeben hat.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Die ist zuerst bei den Grünen wichtig!)


Die Realität ist nämlich, dass man auf dem huma-
nitären Gebiet des Asyls und des Flüchtlingsschutzes
nicht einfach drauflos fuhrwerken kann. Es gibt eben völ-
kerrechtliche – international und auch EU-weit – Ver-
bindlichkeiten, bei denen sich Deutschland nicht einfach
auf einen Sonderweg begeben und sich zum Außenseiter
machen kann. Mit unserer Position sozusagen in der Mitte
der Auffassungen der EU-Länder sind wir gut aufge-
hoben.

Insofern muss ich feststellen, dass es einen offensicht-
lichen Widerspruch gibt zwischen Herrn Marschewski auf
der einen Seite und Herrn Stoiber und Frau Merkel auf der
anderen Seite, die sich in diesen Fragen geeinigt haben.
Das muss man einmal sehr deutlich hervorheben.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das kann nicht sein! Ich habe letzte Woche mit meiner Vorsitzenden eine Stunde gesprochen! Völlige Deckungsgleichheit!)


Durch die Einlassungen in diesen Anträgen wird der
Eindruck erweckt, als ob man Asylbewerberzahlen
durch die Art, wie man Gesetze formuliert, drücken
könnte. Diese Auffassung vernebelt einen ganz wichtigen
Zusammenhang: Asylbewerberzahlen steigen nämlich
dann, wenn es Krisen vor der eigenen Haustür gibt. So
hatten wir in den 90er-Jahren hohe Asylbewerberzahlen,
weil wir vor der Haustür vier Kriege hatten. Die Men-
schen gingen über die Grenze, um bei uns Schutz zu su-
chen. Der Zusammenhang aber, den Sie immer wieder
herstellen, nämlich dass ausschließlich der Asylkompro-
miss von 1993 mit einer massiven Beschneidung von
Rechten die Asylbewerberzahlen gedrückt hätte, ist nicht
richtig.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: So ein dummes Zeug! Wer hat Ihnen diesen Unsinn aufgeschrieben?)


– Sie haben den Bosniern, die zu uns kamen, einen ande-
ren Status gegeben. Trotzdem hat es sich um Schutzsu-
chende gehandelt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist auch wichtig, noch einmal deutlich zu machen,
dass Deutschland nicht das Asylbewerberland Nummer
eins ist. Ich halte es für gefährlich, diesen Eindruck in der
Bevölkerung aufrechtzuerhalten; denn dann entsteht in
der Tat die falsche Einschätzung, alle Asylsuchenden kä-
men nach Deutschland, weil wir die höchsten Schutznor-
men haben. Wir bewegen uns im europäischen Mittelfeld;
wir haben keine herausragenden Standards. Sowohl
Art. 16 a des Grundgesetzes als auch die Umsetzung der
Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen weitgehend
europäischen Standards und Normen.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Auch das ist Unsinn!)


Nun zum EU-Richtlinienentwurf zur Gewährung
vorübergehenden Schutzes. Es ist richtig und gut, dass
die schwedische Präsidentschaft das Verfahren noch im
Mai zum Abschluss bringen möchte. Wenn Sie ernsthaft
fordern, dass es eine Flexibilität im europäischen Auf-
nahmeverhalten geben muss, aber gleichzeitig auf das
Einstimmigkeitsprinzip setzen, dann konstruieren Sie
einen Widerspruch; denn wir wissen aus Erfahrung, dass
gerade das Einstimmigkeitsprinzip jedem Mitgliedstaat
eine Blockademöglichkeit eröffnet. Wenn Sie wirklich an
Flexibilität interessiert sind, dann können Sie nicht für das
Einstimmigkeitsprinzip, sondern dann müssen Sie für ein
Mehrheitsprinzip plädieren. Nur das wird uns die not-




Dr. Max Stadler
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(A)



(B)


wendige Beweglichkeit bei Entscheidungen innerhalb der
Europäischen Union geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden darüber im Innenausschuss noch einmal dis-
kutieren. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie diesen Wi-
derspruch auflösen wollen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Während der Kosovo-Krise hat sich auch gezeigt – im
Gegensatz zur letzten Bundesregierung war diese Bun-
desregierung in dieser Hinsicht erfolgreich –, dass in die
Europäische Union im Hinblick auf Absprachen über die
Aufnahme von Flüchtlingen tatsächlich Bewegung ge-
kommen ist. Uns ist die gerechte Lastenverteilung sehr
wichtig. Klar ist aber auch, dass sich alle Staaten sowohl
bei der Aufnahme von Flüchtlingen als auch bei der „Ver-
teilung der Solidarität“ – so hat es der Bundesinnenmi-
nister eben genannt – schwer tun.

Zu Zeiten des Kriegs in Bosnien hatten wir es innerhalb
der EU mit einer Blockade zu tun und es kam dazu, dass
Deutschland die überwiegende Zahl von Flüchtlingen
aufgenommen hat. Das Pledging-Verfahren in der Ko-
sovo-Krise war ein erster großer Schritt hin zu einer Ver-
ständigung der europäischen Länder über die Aufnahme
von Flüchtlingen. Der damals eingeschlagene Weg war
gut und es ist begrüßenswert, ihn in die Richtlinie aufzu-
nehmen.

Ich möchte die Familienzusammenführung anspre-
chen. Ich kann schwer nachvollziehen, dass eine Partei,
die für sich ehrlicherweise in Anspruch nimmt, aufseiten
der Familie zu stehen, eine solch rigide Haltung in Sachen
Familienzusammenführung einnimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es geht bei der Aufnahmeentscheidung um Menschen,
bei denen man ohne Zweifel festgestellt hat, dass sie we-
gen Menschenrechtsverletzungen, wegen Bedrohungen
Schutz bekommen müssen. Vor diesem Hintergrund zu
sagen: „Die Familien dürfen nicht zusammenkommen“,
das ist eine Haltung, die ich überhaupt nicht nachvollzie-
hen möchte. Ich glaube, dass es für eine solche Härte
gegenüber den Flüchtlingen innerhalb der Bevölkerung
keine Mehrheit gibt. Wir brauchen Regelungen, die eine
Familienzusammenführung ermöglichen. Wir Grünen
wünschen uns einen entsprechenden Anspruch; zumin-
dest muss es ein sich in Richtung Anspruch verdichtendes
Ermessen geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun möchte ich noch einige integrationspolitische
Überlegungen anstellen. Es ist klar, dass wir uns mit der
Richtlinie zum vorübergehenden Schutz auf eine schiefe
Ebene begeben, weil die Genfer Flüchtlingskonvention
für die Dauer der Anwendung dieser Richtlinie ausgehe-
belt wird. Das bedeutet, dass wir wirklich attraktive An-
gebote schaffen müssen und den Flüchtlingen, die unter

den temporären Schutz fallen – durch ihn sind sie vom ge-
sellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen –,
nicht abverlangen dürfen, auf die Rechte, die sie durch die
Anerkennung als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flücht-
lingskonvention bekämen, zu verzichten.

Wir sollten bei der Umsetzung in innerstaatliches
Recht darauf achten, dass die Zugänge zur Gesellschaft
– das sind Arbeitsmarkt und auch Familienzusammen-
führung – offen stehen, damit nicht diejenigen Flüchtlinge
bestraft werden, die sich darauf einlassen, unter der Richt-
linie über den Massenzustrom subsumiert zu werden, statt
ihre Rechte als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flücht-
lingskonvention individuell zu beantragen.

Ich möchte noch einige Sätze über die Richtlinie zu
Mindestnormen für Asylverfahren in den EU-Staaten sa-
gen. Es ist eindeutig, dass die Europäische Union nicht
vorhat, einzelne Mitgliedstaaten zu Verfassungsänderun-
gen zu zwingen. Die Kommission strebt an, dass die ver-
fassungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten
weiterhin ihren Bestand haben. Die von Ihnen geäußerte
Befürchtung, die Drittstaatenregelung werde abgeschafft,
ist so nicht haltbar.

Eines ist aber klar: Die Drittstaatenregelung verliert
sowieso an Bedeutung; denn durch die Erweiterung der
Europäischen Union nach Osten wird das Dubliner
Abkommen eine zentrale Rolle bei der Beantwortung der
Frage nach dem Aufnahmeland der Flüchtlinge spie-
len. Wir werden künftig auf der Grundlage des Dub-
liner Abkommens verhandeln. Damit kommt Art. 16 a
Abs. 5 GG zum Tragen und es wird nicht mehr um die
Drittstaatenregelung gehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 1991 fest-
gestellt – auch das ist wichtig für die nationale Debatte –,
dass sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention bei der
Umsetzung in Deutschland ein subjektives Recht und
damit ein Anspruch auf Schutzgewährung ergibt.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)


Das sollten auch Sie vonseiten der Union endlich einmal
akzeptieren. Deswegen liegt es nicht am Richtlinienent-
wurf der EU, wenn hier ein subjektives Recht besteht,
sondern es liegt an Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, in dem die
Rechtswegegarantie festgelegt ist, und an den Formulie-
rungen in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, so-
dass wir es zu tun haben mit dem subjektiven Recht der
Flüchtlinge auf Schutz. Die entsprechenden Verfahren
müssen einer rechtlichen Überprüfung standhalten kön-
nen.

Wir Grünen sehen in dieser Richtlinie für Mindest-
normen in kleinen Bereichen noch Änderungsbedarf,
ebenso wie die Fachverbände Caritas und Diakonisches
Werk. Die Vorgaben für offensichtlich unbegründete
Asylanträge scheinen weiter zu sein als in Deutschland.
Wir gehen davon aus, dass sich die Ablehnung als offen-
sichtlich unbegründet nicht ausschließlich auf formale
Gründe berufen darf, sondern dass der Antrag auch in-
haltlich unbegründet sein muss, wie das in Art. 30 Abs. 3
Asylverfahrensgesetz festgeschrieben ist.




Marieluise Beck (Bremen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Noch ein Wort zur nationalen deutschen Debatte. Wir
alle sind für die Harmonisierung; auch Sie sind ja nicht
gegen die Harmonisierung in der EU. Man kann in Brüs-
sel einiges Kopfschütteln über die hoch emotionalisierte,
aufgeladene und auch ideologisch angereicherte Diskus-
sion um Flüchtlingsschutz und Asyl wahrnehmen. Gerade
in Zeiten, in denen die Asylbewerberzahlen dramatisch
nach unten gehen, sollten wir uns mit großer Sachlichkeit
dieser humanitären Verpflichtung, die zum Glück inner-
halb der Europäischen Union anerkannt wird, stellen und
nicht darüber klagen, sondern sie im Konzert der europä-
ischen Nationen mit erfüllen.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417102700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417102800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die CDU/CSU hat heute zwei Anträge vor-
gelegt, mit denen wieder einmal der Versuch gemacht
wird, die Harmonisierung des Asylrechts auf europä-
ischer Ebene abzubremsen. Es wundert mich, ehrlich ge-
sagt, nicht, dass Herr Schily auch gleich wieder bereit ist,
die Bremse zu ziehen.

Zur Erinnerung: Als der berüchtigte Asylkompromiss
beschlossen wurde, hat man gesagt: Wir müssen unsere
Standards absenken, damit Deutschland die Harmonisie-
rung des Asylrechts in Europa nicht behindert. Heute sagt
eine unheilige Allianz von Union und Innenminister
Schily: Europa muss die Standards absenken, damit
Deutschland zustimmen kann.

Herr Schily, Sie haben schon in vielerlei Hinsicht be-
wiesen, wie wenig kompromissbereit Sie bei europä-
ischen Vorschlägen sind. Ich erinnere daran, dass der Bun-
destag zwar beschlossen hat, die Kinderrechtskonvention
zu unterzeichnen, dass Sie es aber bis heute nicht getan
haben, was dazu führt, dass Rechte von Kindern erheblich
eingeschränkt werden. Die Wanderrechtskonvention ist
nicht unterzeichnet worden, nach der Menschen, die hier
zuwandern, tatsächlich sozial gleichgestellt würden.
Nicht zuletzt wurde die Staatsbürgerschaftskonvention
nicht unterzeichnet, weil dann Deutschland auch die
Mehrstaatlichkeit hätte akzeptieren müssen.

Ich komme zu den Richtlinien und möchte wenige Bei-
spiele aufgreifen. Um welche Punkte geht es eigentlich? In
der Tat schlägt die EU-Richtlinie vor, die Drittstaatenrege-
lung etwas aufzuweichen und nicht – das bemerke ich – sie
abzuschaffen. Gegenwärtig ist ein Flüchtling grundsätz-
lich vom Asylverfahren ausgeschlossen, wenn er über ei-
nen so genannten Drittstaat, also über unsere Nachbar-
staaten, nach Deutschland einreist und Asyl begehrt.

Die einzige Änderung durch diese Richtlinie wäre,
dass ein Flüchtling auch dann das Recht hätte, in Deutsch-
land einen Asylantrag zu stellen, wenn er nicht sicher sein
kann, dass er in dem Drittstaat ins Asylverfahren kommt
bzw. ob ihm entsprechende Folgen drohen.

Das ist nicht viel. Das wäre ein Akt der Humanisierung,
dem wir zustimmen könnten. Ich verstehe auch nicht die
Forderungen nach Änderung des Art. 16 a des Grundge-
setzes. Da gibt es auch Fachleute, die genau das Gegen-
teil sagen. Wir werden diese Frage mit Sicherheit weiter-
hin im Innenausschuss diskutieren.

Besonders wichtig an dem Richtlinienvorschlag der
EU-Kommission ist, dass minderjährige Flüchtlinge
mehr Rechte erhalten sollen. Das ist eine Grund-
satzforderung, die viele in diesem Haus, besonders aber
die PDS, immer vertreten haben. Volljährig ist man mit
18 Jahren und nicht mit 16 Jahren. Das würde bedeuten,
dass Minderjährige sich nach dieser Richtlinie nicht mehr
einem Asylverfahren unterziehen müssten; das wäre erst
ab 18 Jahren möglich.

Meiner Meinung nach hätte das erhebliche Folgen. Ich
muss mir nur anschauen, wie in einigen Städten gegen-
wärtig wieder Versuche unternommen werden, Minder-
jährige abzuschieben, wie gerade heute Nacht einen
16-Jährigen nach Sierra Leone, in ein Bürgerkriegsland;
auch in Berlin gibt es solche Fälle. Ich hoffe jeden-
falls, dass die Richtlinien wesentliche Verbesserungen
bringen.

Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht,
mit dem wir unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen,
dass sich der Bundestag in dieser Debatte eindeutig dazu
bekennt, dass es hier um den Schutz von Menschenrech-
ten und um Asylschutz in Europa insgesamt geht, dass
ein verfolgter Mensch hier Schutz finden kann, dass
Flüchtlinge hier sicher und menschenwürdig leben kön-
nen. Nicht zuletzt fordern wir in unserem Entsch-
ließungsantrag ein Schutzsystem in Europa, das die
Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Men-
schenrechtskonvention und andere Verträge umfassend
verwirklicht.

In diesem Sinne werden wir viele Dinge zu diskutieren
haben. Ich werde mich auf die Richtlinie zur Massenein-
wanderung nicht weiter beziehen. Das ist in der Tat etwas
komplizierter; man kann das nicht in wenigen Minuten
diskutieren. Aber ich denke, wir werden im Ausschuss
dazu Zeit haben.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417102900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1417103000
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jahrelang
war Deutschland durch den massenhaften Asylmiss-
brauch wie gelähmt.


(Widerspruch bei der SPD)

Erst durch den Asylkompromiss, Frau Marieluise Beck,
und die entsprechende Grundgesetzänderung haben wir
unsere Handlungsfähigkeit in Teilbereichen wieder-
erlangt.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Marieluise Beck (Bremen)

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(D)



(A)



(B)


Wenn Sie dies bis heute noch nicht erkannt haben, können
wir Ihnen wirklich nicht helfen.

Helfen können wir Ihnen aber auch nicht, Herr Minis-
ter Schily, wenn Sie von solchen Geistern, die die Realität
nicht zur Kenntnis nehmen können, politisch umgeben
sind.

Wir, die CDU/CSU, haben immer gesagt: Zuwande-
rung muss man nicht schicksalhaft hinnehmen, sondern
Zuwanderung muss man regeln, steuern, begrenzen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr! – Lilo Friedrich [Mettmann] [SPD]: Hätten Sie es mal gemacht!)


Doch kaum haben wir unsere eigene Handlungsfähig-
keit wiedererlangt, schon droht uns durch Bevormundung
aus Brüssel eine neue Handlungsunfähigkeit. Es ist richtig,
Herr Minister Schily – Sie haben darauf hingewiesen –:
Über den Amsterdamer Vertrag ist in der letzten Legisla-
turperiode verhandelt worden und er ist 1999 in Kraft ge-
treten. Aber es ist auch richtig, dass wir niemals gewollt
haben, dass die deutschen Interessen durch den Vollzug
dieses Vertrages auf der Strecke bleiben. Wir befinden uns
jetzt in dieser fünfjährigen Phase, in der wir noch drei
Jahre Restlaufzeit haben, in einer kritischen Zeit; denn wir
können nach dem Einstimmigkeitsprinzip zurzeit noch
die Weichen stellen. Wir können noch unser Veto einle-
gen, wir können noch nicht überstimmt werden. Diese
Zeit, Herr Minister Schily, müssen wir natürlich nutzen,
damit uns Brüssel nicht mit falschen Regelungen bevor-
mundet. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist schon sachlich völlig falsch!)


Dankenswerterweise hat der Bundesrat diesen Richtli-
nien zum Asylrecht bereits nicht zugestimmt. Jetzt kommt
es darauf an, dass auch der Bundestag diese Richtlinien
ablehnt, damit Ihre Verhandlungsposition in Brüssel
durch ein negatives Votum beider deutscher Kammern ge-
stärkt wird.

Wir führen zurzeit eine bundesweit breit angelegte
Zuwanderungsdebatte. Dabei sind wir froh und dank-
bar, dass man jetzt endlich auch in Kreisen der Regie-
rungskoalition die richtigen Fragen stellen darf, dass das
Tabu gebrochen ist. Es verstößt jetzt nicht mehr gegen die
Political Correctness, zu fragen, wie viele Ausländer das
Land verträgt; es verstößt nicht mehr gegen die Political
Correctness, zu fragen, welche Ausländer das Land
braucht. Das darf man jetzt aussprechen, ohne gleich in
eine bestimmte Ecke gestellt zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In den Kommissionen wird in überraschender Ge-

meinsamkeit verhandelt. Das geschieht übrigens, Frau
Beck, überhaupt nicht hoch emotionalisiert. Vielmehr
werden ganz nüchtern, ganz gelassen, ganz ruhig sehr
konstruktive, tief greifende Debatten über das richtige
Maß an Zuwanderung geführt – angesichts unserer demo-
graphischen Probleme, unserer vielen nicht besetzbaren
Stellen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch der drückenden
Belastung durch 4 Millionen Arbeitslose.

Der Kollege Stadler hat gemeint, er müsse uns vorhal-
ten, einen langen Weg hinter uns zu haben.


(Lilo Friedrich [Mettmann] [SPD]: Da hat der Stadler Recht!)


Herr Stadler, wer noch die damalige Debatte zum Asyl-
kompromiss in Erinnerung hat, der weiß, was für ein
quälender Prozess es war, Ihren Kollegen Burkhard
Hirsch von seinem Holzweg abzubringen. Deshalb sollten
Sie uns nicht vorwerfen, wir hätten einen langen Weg hin-
ter uns. Ich glaube, Herr Kollege Stadler, es ist Ihre Par-
tei, die einen langen Weg vor sich hat: hin zur selbst er-
nannten Volkspartei mit 18 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darf ich Ihnen übrigens einen Rat geben? Wenn wir – als
Mitglieder einer anerkannten Volkspartei – einmal nur
18 Prozent haben sollten, dann würden wir uns nicht mehr
Volkspartei nennen. Dann sind wir nämlich eine Klientel-
partei, die irgendwelche Partikularinteressen vertritt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja nicht mehr so lange!)


In die nationale Zuwanderungsdebatte, die wir auf al-
len Ebenen und in allen Gremien führen, platzt jetzt eine
Richtlinie nach der anderen aus Brüssel. Diese europä-
ischen Gesetzentwürfe – sollten sie wirklich Recht wer-
den – machen unsere Zuwanderungskommissionen –
Herr Minister Schily, auch die Ihrige – zu reinen Sandkas-
tenspielen. Es kann nicht im Interesse des deutschen Par-
laments sein, dass Parteien und die Regierung mit großem
Ernst Diskussionen in Zuwanderungskommissionen
führen und dass im Parlament nicht zur Kenntnis genom-
men wird, welche Rechtsetzungsakte an anderer Stelle,
wo wir nur Zaungast sind, über unseren Kopf hinweg be-
schlossen werden und die deshalb unabänderlich auf uns
zukommen.

Wir müssen diese Rechtsetzungsakte aus der Geheim-
diplomatie der Ministerratssitzungen herausbringen. Sie
müssen in den Bundestag und müssen einer breiten öf-
fentlichen Debatte zugeführt werden. Bei dieser Debatte
wird sich herausstellen, dass der Geist der Brüsseler Zu-
wanderungspolitik von einem ziemlich freien Spiel der
Kräfte getragen ist. Aus vorwiegend ökonomischen Grün-
den will man eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung
von Drittstaatlern in großer Zahl zulassen. In Brüssel sieht
man darin den Vorteil des Wachsens europäischer Volks-
wirtschaften.


(Rüdiger Veit [SPD]: Auch das ist wieder völlig neben der Sache!)


– Das ist nicht neben der Sache: Man sieht darin in der Tat
den Vorteil des Wachsens europäischer Volkswirtschaf-
ten. Man hat in Brüssel nicht die bitteren Erfahrungen ge-
macht, die wir – vor allem als Kommunalpolitiker in den
Großstädten – mit der Integration von einer Vielzahl von
Ausländern gemacht haben. Diese Art von Manchester-
tum in der Zuwanderungspolitik lehnen wir strikt ab, weil
es die komplexen Zusammenhänge des Zusammenlebens
zwischen Fremden und Einheimischen nicht zur Kenntnis
nimmt, sondern unter den Tisch kehrt.




Dr. Hans-Peter Uhl

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(D)



(A)



(B)


Es ist überhaupt kein Zufall, dass die unsensibelsten
Vorschläge hinsichtlich einer Zuwanderungspolitik von
Europabeamten kommen. Denn deren Schreibtische sind
am weitesten von den Problemen vor unserer Haustür ent-
fernt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kommunalpolitiker gehen mit dem Thema der Integration
von Ausländern viel sensibler um als Europapolitiker in
Brüssel.


(Rüdiger Veit [SPD]: Die Union überschlägt sich in Europafreundlichkeit!)


Im Bereich des Asylrechts darf eine Rechtsharmoni-
sierung nicht zur Ausweitung ungesteuerter Zuwande-
rung in die EU führen. Wir dürfen unsere Ziele nicht aus
den Augen verlieren. Wir müssen die immer noch zu hohe
Zahl der Asylbewerber in Europa verringern. Wir müssen
im gesamten EU-Raum die gleichen Regelungen für Auf-
nahme, Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung schaffen.
Das geht nur, wenn wir ein weitgehend angeglichenes,
schnelles und den rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen-
des Asylverfahren bekommen.

Was macht Brüssel? Es präsentiert uns eine Richtlinie,
die über das Niveau des deutschen Asylrechts, das welt-
weit das höchste ist, noch hinausgeht. Es wäre besser,
diese Richtlinie nicht „Mindeststandards in Asylverfah-
ren“ zu nennen, wie man es in Brüssel tut, sondern „Neue
Höchststandards zur Verlängerung von Asylverfahren“.
Würden eine Fülle der EU-Vorschläge umgesetzt, würden
Verfahren verschleppt, neue Verfahren betrieben und der
Aufenthalt abgelehnter Asylbewerber verlängert werden
können. Die Richtlinie hat erkennbar zum Ziel, den Asyl-
bewerbern immer mehr und immer weitere Rechtsan-
sprüche zuzubilligen.

Wir sind zunächst einmal froh darüber, dass Sie, Herr
Minister Schily, gesagt haben, dass Sie hinsichtlich die-
ser Richtlinie einen ganz erheblichen Diskussionsbedarf
sehen. Sie haben dafür unseren Applaus bekommen. Uns
ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass sich in
den Kreisen der SPD und der Grünen keine Hand gerührt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rüdiger Veit [SPD]: Ich habe geklatscht!)


Wenn man Frau Marieluise Beck zu diesem Thema gehört
hat, wird es verständlich, dass sich keine Hand gerührt
hat. Denn in dieser Sache gibt es zwischen großen Teilen
von Rot-Grün keine Gemeinsamkeiten. Deswegen bitte
ich Sie, Herr Schily: Kommen Sie mit Ihren Problemen in
den Innenausschuss. Wir werden dort offen über diese
Dinge diskutieren und dafür sorgen, dass Sie wenigstens
unsere Unterstützung, die der Union, bekommen, wenn
Sie schon die von Rot-Grün nicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen hier die richtigen Signale aussenden. Alle
Migrationsforscher sind sich einig, dass es so nicht
weitergeht, dass die Zuwanderung eher noch zunimmt
und nicht abnimmt und dass wir uns davor bewahren
müssen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Natürlich muss
Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nach-
kommen und wird ihnen auch immer nachkommen. Wir
sollten es hier mit dem großen Sozialdemokraten Carlo
Schmid halten, der sich 1948 im Parlamentarischen Rat zu
diesem Thema wie folgt geäußert hat: Die Asylgewährung
ist eine Frage der Generosität. Wenn man generös sein
will, muss man riskieren, sich gegebenenfalls in der Per-
son geirrt zu haben. – Er sprach von der einzelnen Person.
Er hätte niemals formuliert: Wenn man generös sein will,
muss man riskieren, sich gegebenenfalls bei 100 000 Per-
sonen geirrt zu haben. – So viel zu Carlo Schmid.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wir sollten die Bundesregierung heute zu Folgendem
auffordern: Erstens: Schluss mit der Geheimdiplomatie in
Ministerratssitzungen! Zweitens: Strikte Ablehnung der
beiden Richtlinienentwürfe! Drittens: Die Bundesregie-
rung muss dem Parlament darlegen, wie sie die deutschen
Interessen in Brüssel umsetzen will und was sie dabei er-
reicht hat – und dies nicht mit Geschrei, sondern ganz ru-
hig und sachlich. Im Übrigen sollten wir alle zusammen,
Bundesregierung und Bundesländer, dafür sorgen, dass an
den entscheidenden Stellen in der Brüsseler Kommis-
sion, in der diese Richtlinien durchweg produziert wer-
den, mehr deutsche Vertreter anzutreffen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417103100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rüdiger Veit.


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1417103200
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Dieses Strickmuster, lieber
Herr Uhl, kennen wir eigentlich schon zur Genüge: die
CDU/CSU, Herr Marschewski, in der Rolle der ungebe-
tenen Hilfstruppen des ach so allein gelassenen bundes-
deutschen Innenministers. Sie haben auch aus seinem
Mund gehört, dass das zumindest in Ansehung der EU-
Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes
völlig neben der Sache ist und dass das übrige Haus in-
haltlich völlig mit dem übereinstimmt, was uns die Richt-
linie vorschlägt. Ich will Ihnen einmal sagen: Nach mei-
ner Wahrnehmung sind Sie diejenigen, die sich isolieren.

Ich möchte aus dem Beitrag des Kollegen Ingo Schmitt
aus Berlin, Europaabgeordneter der CDU, zitieren. Er hat
in der Debatte vom 15. Juni 2000, als die Eckpunkte für
diese Richtlinie auf den Weg gebracht worden sind, unter
anderem Folgendes ausgeführt:

Ich weiß, dass das Asylrecht ein sehr schwieriges
und politisch sensibles Thema ist. Wir haben aber
aus meiner Sicht in den letzten Monaten in der Dis-
kussion im Ausschuss einen Anfang gemacht. Dort
haben wir sehr konstruktiv und fair miteinander dis-
kutiert. Diese Diskussion hat mir Mut gemacht und
ich bin jetzt davon überzeugt, dass wir in der Lage
sind, als Parlament gemeinsam das weitere Geset-
zesvorhaben zu begleiten




Dr. Hans-Peter Uhl
16744


(C)



(D)



(A)



(B)


– gemeint ist dasjenige, über das wir hier und heute
reden –

und möglicherweise auch andere schwierige Themen
wie ein Zuwanderungsgesetz miteinander konstruk-
tiv zu diskutieren.

Das sollten wir in der Tat tun.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417103300
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Marschewski?


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1417103400
Ja.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1417103500

Herr Kollege Veit, Sie haben auf das Verhältnis der SPD-
Fraktion zu Herrn Bundesminister Schily Bezug genom-
men. Ist es richtig, dass Sie vor ein paar Wochen in einer
Debatte zu mir gesagt haben, ich müsse mich langsam da-
ran gewöhnen, dass Herr Minister Schily der CDU und
mir näher stehe als Ihnen?


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1417103600
Nein, genau das habe ich nicht
gesagt. Ich habe vielmehr darauf hingewiesen, dass zu
manchen Positionen unterschiedliche Auffassungen be-
stehen. Das ist richtig, das kann man nicht leugnen. Das
soll man auch nicht verschweigen und zu vertuschen ver-
suchen.

Ich hoffe, Sie haben hier und heute genau zugehört und
dann auch vernommen, dass der Innenminister etwa be-
züglich der Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden
Schutzes der Auffassung ist, sie sei, von wenigen kleinen
Punkten abgesehen, im Grundsatz richtig. Diesen Aus-
führungen möchte ich mich – auch wenn Sie das jetzt
überrascht – mit einer kleinen Ausnahme, auf die ich
gleich zu sprechen komme, ausdrücklich anschließen.

Diese Ausnahme, Herr Marschewski, betrifft die Frage
der Familienzusammenführung. Ich denke, hier kann
man die CDU an ihre eigene familienpolitische Position
erinnern.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das steht aber wörtlich im Protokoll! Ich hole es gleich und lese es vor!)


– Das können Sie machen und vorlesen. Dann werden Sie
sehen, dass ich Recht habe und nicht Sie.

Nun zurück zur Familienzusammenführung, denn hier
müssen wir ein wenig Nachhilfe leisten, Herr Marschewski.
Wenn Sie von Familienzusammenführung im Zusammen-
hang mit der Gewährung vorübergehenden Schutzes reden,
verkennen Sie, dass diese Richtlinie die Zusammenführung
der Familien in dem Sinne meint, wie die Familie in ihrem
Herkunftsland, aus dem sie geflohen sind, bestanden hat und
auf der Flucht auseinander gerissen wurde. Auch hierzu hat
Herr Bundesminister Schily inhaltlich eine klare Position
vertreten; übrigens auch Sie selber. Sie schreiben in Ihrem
entsprechenden Antrag, man wolle Familien gerade nicht
auseinander reißen. Daher verstehe ich auch nicht, warum
Sie das an dieser Stelle so aufblasen wollen.

Schwierig – das ist einzuräumen – ist der EU-Richtli-
nienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren.
Hierzu steht der Diskussionsprozess noch am Anfang, ein
Diskussionsprozess, an dem Sie sich beteiligt haben, an
dem sich die PDS beteiligt hat, und an dem sich auch die
SPD-Fraktion beteiligt. Sie arbeitet an dem Thema, hat
aber die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Das
will ich Ihnen ausdrücklich sagen.

Gelegentlich ist es hilfreich, sich mit besonders Sach-
kundigen zu unterhalten. Ich glaube, dass der Europäische
Kommissar für Inneres und Justiz, Vitorino, mit dem ver-
gangenen Montag einige Mitglieder der Arbeitsgruppe
unter anderem auch dieses Problem haben besprechen
dürfen, außerordentlich sachverständig ist. Er hat uns klar
gesagt: Selbstverständlich ist die deutsche Position wich-
tig. Die nimmt er sehr ernst. Aber natürlich ist die deut-
sche Position nicht die einzige, die er zu vertreten hat. Es
gibt bekanntlich noch ein paar andere europäische Länder
und andere europäische Interessen.

Ich sage bei dieser Gelegenheit, dass ich es schon sehr
bemerkenswert und erstaunlich finde, welche europapoli-
tische Grundhaltung in den Beiträgen von Herrn
Marschewski und Herrn Uhl zum Ausdruck kommt. Es
geht nach dem Motto: Wenn in Europa nicht alles nach un-
serem Willen geht – 1:1, nicht die geringste Abweichung
wird zugelassen –, ist Europa schlecht. Nur wenn alle an-
deren das machen, was wir wollen, ist Europa gut.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


Dann hätten Sie aber diese Verträge nicht schließen
dürfen.

Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Herr Kollege Uhl,
vor Ihrem nächsten Diskussionsbeitrag diese Verträge
noch einmal zu lesen. Sie haben versucht, uns alle ein
wenig in Torschlusspanik zu versetzen, nach dem Motto:
Wir haben nur noch drei Jahre, danach ist das
Einstimmigkeitsprinzip komplett weg. – Was sich än-
dert, ist lediglich, dass nur noch die Kommission – nicht
mehr die nationalen Regierungen – Vorschläge für In-
itiativen machen darf. Ansonsten ändert sich insoweit
nichts. Schauen Sie also freundlicherweise noch einmal
in die Verträge!

Ich möchte zum Schluss kommen und sagen: Die meis-
ten Redner haben es mir als letztem Redner in dieser De-
batte leicht gemacht, freundlich und sachlich sprechen zu
können. Es gab aber auch einige Zinken, zum Beispiel den
Ausdruck der „unheiligen Allianz“ durch Frau Jelpke, die
ich bitten möchte, ihn bei Gelegenheit wieder einzusam-
meln. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich jedoch für
die Ausführungen des Kollegen Dr. Stadler,


(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])

die ich hundertprozentig, auch in dem Umfang, teile. Auf
diese Art und Weise kann ich auf fast sieben Minuten mei-
ner Redezeit verzichten.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Dann tun Sie es doch!)


– Das tue ich auch.




Rüdiger Veit

16745


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit diese Debatte versöhnlich ausklingt und wir
nicht nur den Eindruck erwecken, als würden wir uns auf
einen gemeinsamen Pfad begeben, was Ausländer-, Asyl-
und Zuwanderungsfragen betrifft, und diesbezüglich zu
gemeinsamen Beschlüssen kommen, will ich auf einen
Punkt in dem Antrag von CDU/CSU aufmerksam ma-
chen, der mich ganz besonders überrascht und auch ge-
freut hat. Dort steht zu lesen:

Das bedeutet, dass künftig jede drohende Verletzung
von (u. a.) Artikel 3 EMRK, wonach niemand der
Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender
Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf,
zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen
kann. Nach nationaler Rechtslage sind diese Völker-
vertragsrechtsnormen Teil des ausländerrechtlichen
Abschiebungsschutzes

– in der Tat; das ist in § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes
geregelt –

und nicht der Asylzuerkennung. Dagegen ist eine
Verbesserung des derzeitigen ausländerrechtlichen
Aufenthaltsstatus zu erwägen.

Da ich langsam vorgelesen habe, muss ich die Passage
nicht wiederholen. Sie haben zugehört.

Ich will Ihnen sagen, was daran sensationell ist. – Ich
weiß nicht, wer der Verfasser ist, ob es jemand von Ihnen
war, und ob dieser die Tragweite des Passus begriffen hat.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Natürlich! Wir beide haben es verfasst!)


– Sie haben es selber verfasst, Herr Marschewski?

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Ja, sicher!)

– Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich und sage:
Willkommen im Klub! Wissen Sie nämlich, was dieser
Passus bedeutet? – Sie sagen damit, dass Ihnen bei nicht
staatlicher Verfolgung oder beispielsweise geschlechts-
spezifischer Menschenrechtsverletzung,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nein, das heißt es nicht!)


wie sie die GFK und die EMRK kennen, der Abschiebe-
schutz, den § 53Abs. 6 des Ausländergesetzes gewährleis-
tet, nicht reicht.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Folterkonvention!)


Das ist eine ausgezeichnete Auffassung. Wir stimmen Ih-
nen ausdrücklich zu. Lassen Sie uns gemeinsam darüber
reden, in das Gesetz aufzunehmen, dass jemand, der nicht
staatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung unter-
worfen ist, in Deutschland als Flüchtling anerkannt wird
und somit geschützt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: MRK!)


Wenn Sie dies mit dieser Initiative meinen, dann bin ich
außerordentlich froh darüber.

Ich war sehr erstaunt, diese Passage in Ihrem Antrag zu
lesen. Und wenn ich jetzt höre, dass Sie, Herr Uhl und
Herr Marschewski, diese eigenhändig verfasst haben,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Für die Menschenrechtskonvention, nicht für die geschlechtsspezifische Verfolgung!)


dann bin ich guter Hoffnung, dass wir in den nächsten Jah-
ren zu einer mit breiter Unterstützung getragenen Asyl-,
Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik kommen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417103700
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5759, 14/5754 und 14/6050 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie
Zusatzpunkt 9 auf:
16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jella

Teuchner, Matthias Weisheit, Brigitte Adler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so-
wie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Vorsorgende Verbraucherpolitik gestalten und
stärken
– Drucksache 14/6067 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherschutz auf nationaler und EU-
Ebene fortentwickeln
– Drucksache 14/6039 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss




Rüdiger Veit
16746


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Acht Maßnahmen für eine umfassende und
eigenständige Verbraucherpolitik
– Drucksache 14/6053 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Frau Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen sechs Punkte
zum vorbeugenden Verbraucherschutz nennen.

Erstens. Verbraucherschutz heißt, Gerechtigkeit her-
zustellen; denn Verbraucherschutz ist insofern eine Frage
der Gerechtigkeit, als die Verbraucher gegenüber den Pro-
duzenten auf gleicher Augenhöhe sein müssen. Es ist das
gute Recht der Verbraucher, dass wir uns vorbeugend Ge-
danken um ihre Sicherheit und Gesundheit machen und
dass wir uns für die wirtschaftlichen Interessen der Ver-
braucher einsetzen. Dies gilt ebenso für kommende
Generationen. Auch das ist eine Definition der Gerechtig-
keit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerechtigtkeit regelt sich nicht allein über den Markt.
Der Markt ist nicht der Interessenvertreter der Verbrau-
cher. Das regelt sich nur, wenn es Markttransparenz und
Informationen gibt, sodass die Verbraucher wirklich ra-
tional über Kauf- und Konsuminteressen entscheiden
können und wissen, was sie in der Hand haben.

Dem Staat obliegt dabei die Pflicht, eine aktive Rolle
einzunehmen. Das Bundesministerium für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft – diese Bundesre-
gierung – und auch die Koalitionsfraktionen tun dies.

Künftig sitzen die Verbraucherinnen und Verbraucher
mit am Tisch. Andere haben jahrelang darüber geredet.
Seit Anfang dieses Jahres ist es so: Wir reden nicht nur
mit Landwirten, der Lebensmittelindustrie und weiteren
Lobbyisten und Interessenvertretern,


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber handeln tun Sie nicht! Das ist der Unterschied!)


sondern die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Wa-
rentest werden immer mit angehört und sind das Sprach-
rohr der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sagen un-
abhängig, was deren Interesse ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Verbraucherschutz geht nicht ohne eigen-
verantwortliche Verbraucher. Sie wirken mit. Moderne
Verbraucherschutzpolitik heißt, dass der Staat nicht nur
reguliert, sondern dass die Verbraucher mit ihrem Han-
deln – ich sage immer: mit dem Einkaufskorb – Politik
machen. Insofern ist dies tatsächlich das Passstück zu In-
formation und Transparenz in der Wirtschaft.

Drittens. Wir wollen durch vorbeugenden Verbrau-
cherschutz die Marktwirtschaft sozial und ökologisch
prägen. Verbraucherschutzpolitik, wie ich sie verstehe, ist
genau dafür eine entscheidende Voraussetzung. Um nicht
einseitig zu sein, dient sie aber auch den Interessen der
Unternehmen; denn sie hilft den Unternehmen, ihre Stel-
lung am Markt zu behaupten oder sogar auszubauen. Sie
sollen sagen können: Wir wirtschaften erfolgreicher, in-
dem wir an die Verbraucher denken und ökologisch und
sozial handeln. Verbraucherschutzpolitik hilft auch der
Wirtschaft und den Unternehmen, weil sie dazu beiträgt,
den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie hilft im Übrigen auch – das merke ich bei vielen
Diskussionen –, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie auf dem Weltmarkt zu verbessern. Was ist unsere
Stärke? Wo andere niedrigere Arbeitslöhne haben, müssen
wir in sozialer Verantwortung für die Sicherung von Ar-
beitsplätzen sorgen. Aber Qualität, nachhaltige Erwirt-
schaftung, „consumer interests“ zu wahren, mit Trans-
parenz und Informationen vorzugehen, ist etwas, was auf
internationaler Ebene für uns tatsächlich ein Wettbewerbs-
vorteil ist. Ich habe gerade gestern bei Gesprächen mit der
Lebensmittelwirtschaft gemerkt, dass diese genau weiß:
Da liegen ihre Expansionsmöglichkeiten.

Viertens. Verbraucherschutzpolitik heißt für uns, si-
chere und hochwertige Lebensmittel zu schaffen. Auch
dies ist eine Frage der Gerechtigkeit: Sichere Lebensmit-
tel und hohe Qualität dürfen nichts Elitäres sein, etwas,
was sich nur die mit viel Geld leisten können. Nahrungs-
mittelsicherheit ist nach unserer Vorstellung unteilbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir passen die rechtlichen Standards an. Wir heben

den Sicherheitsstandard.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wo denn?)





Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

16747


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind für die rasche Einrichtung einer europäischen
Lebensmittelbehörde. Wir schaffen ein Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wir deh-
nen das Überwachungskonzept für Lebensmittel zusam-
men mit den Ländern durch bundeseinheitliche Regelun-
gen aus. Was haben wir an der Stelle schon getan? Wir
haben beispielsweise nach vielen Jahren endlich Krebs er-
regende Aromastoffe verboten. Wir haben dem Bundesrat
den Verordnungsentwurf für ein Stallbuch vorgelegt, um
antibiotische Zusatzstoffe im Fleisch zu verhindern, und
manches andere mehr.

Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Das ist uns be-
wusst. Aber wir wissen eines: dass in Wahrheit Qualität
am Ende nicht nur mit dem Geldbeutel zu tun hat, sondern
auch etwas mit dem Bewusstsein der Menschen.

Trotzdem ist eines klar – das ist der fünfte Punkt beim
Verbraucherschutz –: Wir werden auch die wirtschaftli-
chen Interessen der Verbraucher schützen. Was heißt das?
Wir werden als ersten Schritt – als Ergänzung zu ihrem
Handeln und zu Klarheit und Transparenz – in der nächs-
ten Woche nach einem weiteren Gespräch mit den Betrof-
fenen das Ökosiegel vorstellen. Ich bin sehr zuversicht-
lich, dass wir dann sagen können: „Alle machen mit“ –
etwas, was viele Jahre lang in Deutschland nicht geschafft
wurde.

Wir werden den Verbrauchern nicht nur diese Handrei-
chung geben, sondern auch dafür sorgen, dass die wirt-
schaftlichen Interessen der Verbraucher insofern ge-
schützt werden, als auch aktuelle wirtschaftliche und
technologische Entwicklungen aufgenommen werden. Es
kann nicht sein, dass alles, was neu ist, dazu führt, dass
den Verbrauchern Schaden zugefügt wird.

Zur Gerechtigkeit gehört auch, dass mit den neuen
Technologien kein Schindluder mit personenbezogenen
Daten getrieben wird, zum Beispiel im Onlinehandel.
Die Privatsphäre muss Tabu bleiben. Beim Onlinebanking
muss sichergestellt werden, dass sich der Verbraucher auf
die technologischen Systeme, auf seinen persönlichen
Datenschutz verlassen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen – sechstens – dafür sorgen, dass auch an-
gesichts von Marktöffnung und Deregulierung nicht die
Verbraucher selbst zusehen müssen, wo sie bleiben, son-
dern dass ihnen auch Vorteile bleiben, zum Beispiel bei
den Versorgungsdienstleistungen im Zusammenhang mit
der privaten Rente. Gemeinsam mit der Stiftung Waren-
test werden der Kollege Riester und ich die Verträge, die
angeboten werden, genau betrachten und bewerten.

Das kann man weiterführen bis in den Bildungsbe-
reich hinein: Mit der Stiftung Warentest geht es auch da-
rum – die Gewerkschaften planen dies auch –, eine Wei-
terbildungsinitiative mit der Kontrolle der angebotenen
Weiterbildung zu begleiten. Die Verbraucher können
oftmals nicht selbst entscheiden, was gute Angebote
sind, die ihnen auf dem Markt weiterhelfen werden. Sie
sind den Anbietern ausgesetzt. Wir werden dafür sorgen,
dass eine systematische Kontrolle dieser Angebote statt-
findet.

Wir werden dafür sorgen, dass im Gesundheitssystem
Patienten und Kunden auf gleicher Höhe mit Kranken-
kassen, Ärzten und Dienstleistern stehen. Es ist eine Frage
der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass zwar der Wechsel
zwischen den Krankenkassen möglich ist, dass sich junge
Menschen und wohlhabendere Menschen aber nicht stän-
dig, quasi per Krankenkassen-Hopping, die billigsten
Krankenkassen aussuchen können. Ulla Schmidt hat
kürzlich auf diesem Gebiet für einen Ausgleich gesorgt
und, wie ich meine, das Notwendige getan.


(Zuruf der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


– Sie sind ja gleich dran; was ist denn los?
Wir wollen beides sicherstellen: dass einerseits die

gleiche Versorgung für alle gewährleistet ist und dass es
andererseits Vertragsfreiheit gibt.

Wir haben im Verbraucherschutz – das haben Sie heute
Morgen diskutiert – durch die Vorlage „Modernisierung
des Schuldrechts“ die Rechte der Verbraucher erweitert.
Nun muss man nicht mehr alle Gesetze durchblättern,
sondern findet an einer Stelle, was Recht ist, mit einer
Gewährleistungsfrist, die viel länger ist als alle Fristen
vorher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Verbraucher-
schutzverbände, die Stiftung Warentest und unabhängige
Verlage ihre Arbeit fortführen können und dazu auch fi-
nanziell in die Lage versetzt werden. Auch deshalb haben
wir sie alle mit an unserem Tisch.

Für uns gilt, dass beim Verbraucherschutz der Staat
Pflichten hat, aber dass wir auch Respekt gegenüber den
Verbrauchern üben müssen. Sie haben Recht auf Sicher-
heit, auf Information, auf Wahlfreiheit und auch ein Recht
darauf, gehört zu werden. Ich sehe deshalb mit Freuden,
dass sich die Verbraucher weiter organisieren. Vielleicht
schaffen wir es, dass tatsächlich wie in den USA die Ver-
braucher zu einer Art Bürgerbewegung werden. Wir als
Bundesregierung werden versuchen, ihre Anwältin zu
sein. Ich finde, wir haben dazu in den letzten vier Mona-
ten mehr Schritte unternommen und mehr erreicht als an-
dere in vielen Jahrzehnten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417103800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Lippold.


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1417103900
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Frau Ministerin, die Bilanz, die Sie gerade vorgelegt ha-
ben, war ungeheuer geschönt. Sie haben im Zusammen-
hang mit Ihren Aktivitäten auf EU-Ebene davon gespro-
chen, dass jetzt Antibiotika nicht mehr verfüttert werden
dürfen. Sie haben verschwiegen, dass das erst in fünf Jah-
ren der Fall ist und dass Sie keine bessere Regelung
durchsetzen konnten. Sie haben auch nicht von den vielen




Bundesministerin Renate Künast
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(C)



(D)



(A)



(B)


Initiativen gesprochen, die Sie sowohl hier im Parlament
als auch gegenüber den Medien angekündigt haben, von
denen Sie aber keine umgesetzt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Verehrte Frau Ministerin, es ist schon eine gewisse Zu-
mutung, wenn Sie den Begriff der Gerechtigkeit in den
Vordergrund stellen und dabei auf die Krankenkassen ver-
weisen – nachdem Sie doch gerade die Wahlmöglichkei-
ten der Patienten in Bezug auf den Wechsel der Kran-
kenkasse eingeschränkt haben. Sie tun genau das
Gegenteil dessen, was Sie hier gesagt haben!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das heißt: Sie haben das Prinzip der Gerechtigkeit durch
Ihre Worte verletzt. Wenn Ihre Regierung die Kassen-
wahlfreiheit einschränkt, so wie Frau Ministerin Schmidt
das gemacht hat, können Sie sich doch nicht hinstellen
und sagen, es sei alles ganz anders.

Es gibt in Ihrem Koalitionsantrag einen zweiten Punkt,
den ich – ich sage es einmal so – für sehr kühn halte. Sie
wollen, so lese ich unter anderem „Maßnahmen ... ergrei-
fen, damit die Vorteile des offenen Wettbewerbs auf dem
Energiemarkt im vollen Maße auch den privaten Strom-
verbrauchern zugute kommen“. Das ist wirklich der
Hohn. Wir haben das Energiewirtschaftsrecht novelliert.
Daraufhin sind die Preise gefallen. Danach hat es eine
Reihe von Maßnahmen gegeben, durch die Sie kontinu-
ierlich dafür gesorgt haben, dass die Preise wieder steigen.
Sie belasten die Verbraucher auf diesem Feld mit zusätz-
lich rund 15 Milliarden DM. Damit sind die Vorzüge, die
das Energiewirtschaftsgesetz möglich machte, wieder
aufgezehrt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das
ist unsozial.

Wie sehr Ihre Politik gerade die Kleinen, die sozial
Schwachen, trifft, werden diese feststellen, wenn neben
der Miete die Zusatzkosten abgerechnet werden. Die
Leute werden dann begreifen, was Sie auf diesem Feld
angestellt haben. Sie gehen noch weiter: Mit der Öko-
steuer planen Sie zusätzliche Belastungen, die genauso
unsozial sind. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und spre-
chen von Gerechtigkeit. Frau Ministerin, man könnte Sie
Satz für Satz widerlegen, wenn man hinreichend Zeit
hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Nach unserem Dafürhalten sind bestimmte Punkte, die
Sie angesprochen haben, schlicht selbstverständlich. Dass
die Lebensmittel in den Regalen unserer Geschäfte sicher
sind, ist doch wohl die mindeste Voraussetzung. Nur wenn
diese erfüllt ist, können wir überhaupt das Vertrauen der
Verbraucher gewinnen. Das zu erreichen muss oberstes
Ziel sein. Dafür müssen Sie aber auch auf die Instrumente
eingehen und sagen, wie das erreicht werden kann. Das,

Frau Ministerin, haben Sie in Ihrem Beitrag nicht ge-
macht. Ich meine, das muss anders werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Für uns wird dieser Punkt sehr wichtig sein, weil wir
Gesundheitsfürsorge als zentrales Element unseres
Konzepts sehen. Wir wollen Gesundheitsfürsorge aber
nicht nur über das Ordnungsrecht durchsetzen, Frau Mi-
nisterin, sondern wollen dafür auch Instrumente des
Marktes nutzen. Wir wollen auf marktwirtschaftliche Pro-
zesse setzen. Was meine ich damit? Sie haben zu Recht
die Eigenverantwortung des Verbrauchers angesprochen.
In diesem Punkt haben wir einen Konsens; das will ich gar
nicht bestreiten. Auch wir wollen Verbraucherbildung,
wollen einen mündigen Verbraucher.

Wir brauchen aber auch die andere Seite, Frau Minis-
terin, die Eigenverantwortung der Produzenten.Davon
haben sie überhaupt nicht gesprochen. Auch diese Eigen-
verantwortung muss gestärkt werden, denn Sie können
die Lebensmittelsicherheit, die wir alle wollen, doch
überhaupt nicht garantieren, Frau Künast. Staatliche Kon-
trolle reicht da nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn wir nicht das Instrument der Eigenverantwortung
der Produzenten stärken, ist das alles nichts. Sie müssen
doch den gesamten Lebensmittelbereich sehen und nicht
nur die Probleme im Zusammenhang mit der BSE-Krise.
Wenn wir derart umfangreiche Kontrollvorschriften, wie
wir sie bei BSE haben, auf dem gesamten Lebens-
mittelmarkt durchsetzen wollten, wären wir doch hoff-
nungslos überfordert.

Also muss staatliche Kontrolle in einem Maße stattfin-
den, wie das nötig ist, aber auch die Eigenverantwortung
der Produzenten muss gestärkt werden. Hier müssen Sys-
teme, die es in einigen Bereichen schon gibt, flächen-
deckend werden. Frau Künast, sehen Sie sich einmal die
Fruchtsaftindustrie an: Hier haben sich kleinere und
größere mittelständische Betriebe zusammengetan, um
Qualität von Anfang an zu garantieren. Sie haben ein ei-
genes System aufgebaut, das beim Erzeuger – auch in fer-
nen Ländern – ansetzt. So etwas würden Sie doch poli-
tisch überhaupt nicht hinbekommen. Sie müssten das über
die WTO erreichen, aber das schaffen Sie nicht. Sie müss-
ten dann wenigstens versuchen, das auf europäischer
Ebene zu erreichen. Auf diesem Feld aber – ich habe es
eben schon gesagt – haben Sie versagt.

Die Fruchtsaftmittelindustrie hat es erreicht, dass bei
ihren Produzenten Qualitätssicherungskontrollen vorge-
nommen werden. Man hat verabredet, dass derjenige, der
gegen die verabredeten Regeln verstößt, mit Sanktionen
belangt und notfalls gerichtlich gegen ihn vorgegangen
wird. Das schafft der Markt, Frau Künast. Deshalb sollten
Sie nicht einseitig auf administrative Maßnahmen, also
auf den behördlichen Vollzug, setzen. Beide Komponen-
ten – staatliche Kontrolle und industrielle Selbstkontrol-
le – sind wichtig. Wir wollen ein besser konzipiertes und
schlankeres Verbraucherschutzgesetz als das, das Sie
nach der BSE-Krise hastig hingeschludert haben, damit




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


16749


(C)



(D)



(A)



(B)


entsprechende Kontrollinstrumentarien geschaffen wer-
den können. Wir fordern: Administration nur so weit wie
nötig! Mehr Transparenz sowohl für die Verbraucher als
auch für die Wirtschaft durch eine entsprechende Ver-
braucherschutzgesetzgebung!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Künast, ich sage Ihnen ganz deutlich: Nationale

Alleingänge werden uns nichts bringen. Wenn in den an-
deren Ländern die Lebensmittelsicherheit nicht genauso
gewährleistet ist wie bei uns, dann importieren wir unsi-
chere Lebensmittel. Hier muss man ansetzen. Nicht der
nationale Alleingang, sondern eine abgestimmte Vorge-
hensweise zumindest auf der europäischen Ebene ist ent-
scheidend. Wir wünschen uns, dass Sie in diesem Sinne in
Zukunft wesentlich erfolgreicher sind als in der Vergan-
genheit. Wenn wir nur auf nationaler Ebene für entspre-
chende Regelungen sorgen – das gilt auch für den Tier-
schutz –, dann verlagert sich die Produktion in das
benachbarte europäische Ausland. Es ist völlig egal, wie
hoch unsere Ansprüche sind, wenn die Produktion zum
Beispiel nach Frankreich verlagert wird und wir die Pro-
dukte dann von dort importieren. Frau Ministerin, Sie
müssen für ein abgestimmtes Vorgehen sorgen.

Die Koalition hatte ja versprochen, vieles anders und
manches besser zu machen. In der Verbraucherschutzpo-
litik kann davon zurzeit keine Rede sein. Sie ergehen sich
nur in Aktionismus und stellen immer wieder ein neues
Wort in den Mittelpunkt Ihrer Reden. Heute haben Sie von
Gerechtigkeit gesprochen. Dass es die im Augenblick
nicht gibt, habe ich dargelegt. Bei der nächsten Rede wer-
den Sie sicherlich ein anderes Wort in den Mittelpunkt
stellen. Aber es geht nicht um das Reden, sondern um das
Handeln. Letzteres vermissen wir bei Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417104000
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Jella Teuchner.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1417104100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Der CDU/CSU-Antrag trägt den Titel: „Verbraucher-
schutz auf nationaler und EU-Ebene fortentwickeln“. Es
verwundert mich, dass Herr Lippold trotzdem nur Allge-
meinplätze verwendet hat, die auch noch widersprüchlich
waren. Am Anfang seiner Rede hat er eine Regelung auf
nationaler Ebene und zum Schluss eine auf europäischer
Ebene gefordert. Das kann man in einer solchen Debatte
nicht machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann es nur begrüßen, dass die Bundesregierung
die politische Verantwortung für den Verbraucherschutz
in einem Ressort gebündelt hat. Ich begrüße es auch, dass
wir nicht nur die Zuständigkeit des Landwirtschafts-
ausschusses um den Verbraucherschutz erweitert haben,
sondern ihm durch eine Vergrößerung auch ein größeres
Gewicht gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass auf-
grund der organisatorischen Stärkung der Verbrau-

cherpolitik die Verbraucherinteressen auch inhaltlich
stärker berücksichtigt werden. Ministerin Renate Künast
hat in ihrer Rede deutlich gemacht, dass sie ihre Aufgabe
nicht nur in der Gewährleistung der Lebensmittelsicher-
heit sieht und dass die Kritik der CDU/CSU ins Leere
läuft. Im Verbraucherschutzministerium wird die ganze
Themenvielfalt der Verbraucherpolitik bearbeitet.

Wir alle sind uns doch darüber einig, dass eine umfas-
sende Verbraucherpolitik weit über sichere Lebensmittel
hinausgeht. Eine gute Grundlage für die Definition der
Ziele der Verbraucherpolitik bietet Art. 153 Abs. 1 des
Vertrages von Amsterdam:

Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und
zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutz-
niveaus leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum
Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirt-
schaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur
Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung
und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer
Interessen.

Verbraucherpolitik heißt also zum einen, Chancen-
gleichheit zwischen Anbietern und Verbrauchern herzu-
stellen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind ten-
denziell in einer schwächeren Position. Aber soziale
Marktwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn die
Verbraucher ihre Entscheidungen bewusst treffen können
und der Informationsvorsprung der Anbieter ausgeglichen
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Politik muss daher mit rechtlich vorgeschriebe-
nen Produktstandards und über Garantie- und Haftungs-
vorschriften die Qualität von Waren und Dienstleis-
tungen sicherstellen und durch Verbraucherberatung
und Kennzeichnungspflichten die Eigenschaften von
Waren und Dienstleistungen transparent machen. Sie
muss auch ein Gegengewicht zur kommerziellen Wer-
bung aufbauen.

Verbraucherpolitik heißt zum anderen, die Gesundheit
und Sicherheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern
zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
beinhaltet eine staatliche Schutzpflicht. Der Staat ist hier
aktiv gefordert. Er muss über Gebote und Verbote sicher-
stellen, dass angebotene Produkte die Konsumenten nicht
gefährden.

Die Kontrolle der rechtlichen Vorschriften und Selbst-
verpflichtungen der Wirtschaft sind weitere Instrumente,
um die verbraucherpolitischen Ziele zu erreichen.

Verbraucherpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie
vorsorgend ist. Insbesondere beim Gesundheitsschutz
müssen wir das Vorsorgeprinzip konsequent anwenden.
Der Europäische Rat hat mittlerweile Kriterien für die An-
wendung des Vorsorgeprinzips beschlossen und festge-
legt, wie wir mit wissenschaftlich noch nicht erfassbaren
Risiken umgehen müssen. Wir können und dürfen nicht
abwarten, bis Risiken wissenschaftlich bestätigt sind. Ich
denke, das haben wir alle aus der BSE-Krise gelernt. Wir




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

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(C)



(D)



(A)



(B)


müssen Maßnahmen ergreifen, wenn mit dem Eintreten
gefährlicher Folgen gerechnet werden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind uns – davon gehe ich aus – alle einig, dass Ver-
braucherschutz ein Querschnittsthema ist, das alle Res-
sorts betrifft. Der Wettbewerb im Energiemarkt, Bil-
dungsangebote, Finanzdienstleistungen, Ernährung und
Onlinehandel sind einige Stichworte, die die Bandbreite
der Verbraucherpolitik aufzeigen. Sogar das Auswärtige
Amt entscheidet mit seinen Reisewarnungen über Rei-
serücktrittsrechte von Urlaubern.

Wir sind uns sicher auch einig, dass der Verbraucher-
schutz immer wieder vor neuen Herausforderungen steht.
Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr ändern sich
die Gefahren und Geschäftsmodelle. Gerade in diesem
Wandel brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher
verlässliche Orientierungshilfen.

Deutlich werden die Herausforderungen für die Ver-
braucherpolitik zum Beispiel im Onlinehandel. Den Ver-
braucherinnen und Verbrauchern fehlen Orientierungs-
punkte. Den „Laden um die Ecke“ können wir
einschätzen: Man sucht sich die Ware aus, geht zur Kasse
und weiß, wohin man sich bei Reklamationen wenden
muss. Im Internet sieht dies aber anders aus: Wir können
oft nicht einschätzen, ob ein Händler seriös ist. Wir fühlen
uns nicht wohl, wenn wir unsere Kreditkartennummer
übers Netz verschicken, und Reklamationen sind schwie-
riger abzuwickeln.

Der Handel im Internet lebt davon, diese Barrieren zu
überwinden. Tests von Onlineshops ergeben aber immer
wieder eine mangelnde Verbraucherorientierung. Der Da-
tenschutz wird oft nicht beachtet. Der Bundesdaten-
schutzbeauftragte erklärte zum Datenschutz in seinem
18. Tätigkeitsbericht: „Was mich im Berichtszeitraum vor
allem störte: Das Interesse der privaten Wirtschaft an
Transparenz und Aufklärung ihrer Kunden war nicht sehr
ausgeprägt.“

Die Politik ist daher gefordert, den Verbraucherinnen
und Verbrauchern verlässliche Rahmenbedingungen zu
schaffen. Das Fernabsatzgesetz war dazu ein wichtiger
Schritt. Sie ist auch gefordert, die Entwicklung der Tech-
nik zu begleiten und so zu steuern, dass die Rechtssicher-
heit, die Sicherheit der finanziellen Interessen der Ver-
braucherinnen und Verbraucher, aber auch der Schutz
ihrer Daten und ihrer Privatsphäre gewährleistet werden.

Sicher spielen rechtliche Vorschriften eine wichtige
Rolle in der Verbraucherpolitik. Ebenso wichtig sind aber
die Verbraucherinformation und die Transparenz der
Märkte. Verbraucherinnen und Verbraucher können und
sollen ihre Entscheidungen am Markt selbst treffen, wenn
sie die notwendigen Informationen haben. Sie müssen die
Technik im Onlinehandel so weit kennen, dass sie die Ri-
siken abschätzen können. Sie müssen die Inhaltsstoffe
von Lebensmitteln kennen und sie brauchen eine unab-
hängige Verbraucherberatung.

Gerade in Bereichen wie der privaten Altersvorsorge,
im liberalisierten Energiemarkt oder im Bildungsmarkt,

gerade in den Bereichen also, die schwer zu überblicken
sind, können Produktlabels und Zertifizierungen den
Verbraucherinnen und Verbrauchern eine sinnvolle Ori-
entierung bieten.

Wenn wir dazu noch die Kennzeichnungsregeln ver-
ständlich und transparent gestalten und über die Stärkung
der Verbraucherorganisationen und der Stiftung Warentest
eine unabhängige Verbraucherberatung sicherstellen,
sind wir auf einem guten Weg, die Interessen der Ver-
braucherinnen und Verbraucher zu schützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der Stiftung Warentest haben Sie doch gerade das Geld genommen!)


Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass wir diesen Weg
mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinsam
gehen müssen. Außerdem müssen wir die Verbraucheror-
ganisationen bei relevanten Entscheidungen einbeziehen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, auch wenn wir heute über einzelne Maßnahmen
diskutieren und über die richtige Organisation der Ver-
braucherpolitik debattieren, sind wir uns doch in den Zie-
len der Verbraucherpolitik sehr nahe, was auch Ihr vorge-
legter Antrag bestätigt. Darüber freue ich mich. Dies
gibt mir die Zuversicht, dass die Interessen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in Zukunft an Gewicht ge-
winnen werden. Dazu bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417104200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1417104300
Frau Präsidentin! Sehr ge-
ehrte Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie ha-
ben das Wort „Gerechtigkeit“ ins Zentrum Ihrer Rede ge-
stellt. Wir, die F.D.P.-Bundestagsfraktion, erwarten von
Ihnen eigentlich eine Bilanz der Redlichkeit. Eine solche
Bilanz hat es heute Morgen nicht gegeben; keinerlei kon-
krete Aussagen haben wir dazu gehört.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Es gibt keine Regierungserklärung, es gibt Anträge!)


Ich komme jedenfalls zu dem Schluss, dass von Ihnen
bisher weder Klasse noch Masse an substanzieller, kon-
kreter Verbraucherpolitik geleistet wurde. Nicht nur ich,
sondern auch viele Menschen außerhalb dieses Hauses,
die große Erwartungen an die Übernahme Ihres Amtes
knüpften, sehen sich ernüchtert und bitter enttäuscht. Als
einziges Beispiel nenne ich die riesigen Restbestände an
Tiermehl, die nicht einmal verbrannt wurden und hin-
sichtlich deren überhaupt nicht geklärt ist, was mit ihnen
geschieht. Ich halte dies für unverantwortlich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Die gesamte Agrardebatte zeigt, dass Sie sich bisher in
erster Linie bemüht haben, die Krisen um BSE und MKS




Jella Teuchner

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(C)



(D)



(A)



(B)


zu bewältigen, was aber längst noch nicht gelungen ist.
Begriffe wie Massenschlachtungen, „Herodes-Prämie“,
Tötungen zur Marktbereinigung zeigen allerdings in
wirklich beschämender Art und Weise, welches Verständ-
nis bei Ihnen vom Umgang mit Tieren vorherrscht. Ich
hätte nicht gedacht, dass so etwas unter grüner Regie
möglich wäre. Daher wird die F.D.P.-Bundestagsfraktion
in Kürze zum dritten Mal den Antrag auf Aufnahme des
Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz einreichen.


(Beifall bei der F.D.P. – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie ist es mit Perspektiven für die so genannte Agrar-
wende? Kein Wort haben wir davon gehört, nichts ist zu
sehen. Deshalb sage ich Ihnen, worauf wir, die F.D.P.-
Bundestagsfraktion, hinaus wollen:

Wir wollen für die Landwirte weniger Plan und sehr
viel mehr Markt. Wir wollen von den Quoten weg.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir dem Herrn Heinrich!)


– Ja, das können Sie ruhig machen. – Ferner wollen wir
eine produktunabhängige Grundprämie für die Pflege der
Kulturlandschaft, nicht aber neue Regelungen und Gän-
gelungen, wie wir sie bisher gehabt haben.


(Ilse Janz [SPD]: Wer gängelt wen? – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuckermarktordnung! Sagen Sie mal was dazu!)


– Denken Sie doch nur daran, dass Rot-Grün noch vor we-
nigen Wochen im zuständigen Ausschuss unser Modell-
projekt zur Förderung des Heil- und Gewürzpflanzenbaus
kategorisch abgelehnt hat.


(Jella Teuchner [SPD]: Das ist aber alt! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Wahlkampf!)


Das wäre der richtige Beginn einer Kooperation zwischen
Landwirten und Wirtschaft gewesen.


(Zustimmung bei der F.D.P.)

Auch wir sagen Ja zur Förderung des ökologischen

Landbaus und von Ökoprodukten. Sie aber wollen nach
dem, was wir bisher der Presse entnommen haben, ein
neues Ökodiktat. Dem werden wir nicht folgen. – Es wäre
sehr freundlich, Frau Ministerin, wenn Sie einmal zu-
hörten.

Wir stellen den Verbraucher mit Einkaufskorb in den
Mittelpunkt. Das bedeutet, dass der Verbraucher die Öko-
produkte annehmen und insoweit auch bereit sein muss,
höhere Preise zu zahlen. Umgekehrt geht es nicht.


(Beifall bei der F.D.P.)

Des Weiteren fordern wir, dass die Förderung der Prio-

nen- und Eiweißforschung gestärkt und nicht vernachläs-
sigt werden sollte. Sie haben nichts dazu gesagt, wie es
mit einer umfassenden Produktkennzeichnung weiterge-
hen soll. Sie haben jetzt die Einführung eines Öko-Prüf-
zeichens angekündigt; es wäre ja hervorragend, wenn es
endlich ein verlässliches gäbe. Die F.D.P.-Bundestags-
fraktion möchte aber kein weiteres Label für Produkte ha-

ben, die im konventionellen Landbau hergestellt werden
und die stigmatisiert werden, indem es nur für die Einhal-
tung von Mindeststandards bürgt. Dabei bleibt ja auch
noch die Frage offen, was Sie unter Mindeststandards ver-
stehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich nenne Ihnen acht Forderungen, zu denen Sie

heute Morgen kaum etwas gesagt haben: Sie haben
nichts dazu gesagt, wie Sie Mindest- und Qualitätsstan-
dards für Produkte und Dienstleistungen einführen wol-
len. Sie haben nichts dazu gesagt, wie Sie sich die Um-
setzung einer verständlichen Produktkennzeichnung
vorstellen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie? Wir warten darauf, dass Sie etwas sagen!)


Nichts wurde zum Thema Weiterentwicklung von Pro-
dukthaftung mit Versicherungspflicht gesagt. Kein Wort
wurde zur Verbesserung der Sicherheitsinfrastruktur bei
Internetnutzung gesagt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie, Frau Kopp, getan?)


Kein Wort kam zum Thema Vermittlung von Verbraucher-
informationen schon an Schulen und an Weiterbildungs-
einrichtungen für Erwachsene.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Vielleicht muss man das nicht ständig wiederholen, das kann schon sein! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Schreien Sie doch nicht so. Hören Sie zu!

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kein Wort kam zu Transparenz von Informationen im Ge-
sundheitsbereich. Jetzt kommt das Allerschärfste: Sie
stellen sich hier als Förderer der Stiftung Warentest dar,
dabei waren Sie es, die im vergangenen Jahr deren Mittel
erheblich kürzen wollten.


(Beifall der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


Die Grünen haben – das wurde sogar von Ihnen, Frau
Ministerin Künast, unterstützt – an eine Sonderabgabe
der Verbraucher für die Stiftung Warentest zum Aufbau
eines Stiftungskapitals gedacht. Ich finde, das ist skan-
dalös.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie wollen ein Konzept zur Weiterbildung und Alters-
vorsorge gemeinsam mit der Stiftung Warentest erarbei-
ten. Wie Sie sich das vorstellen – mehr Arbeit und weni-
ger Geld –, müssen Sie uns einmal erklären. Nach unserer
Vorstellung hat die Bundesregierung die Verpflichtung,
die Stiftung Warentest nachhaltig zu unterstützen, und
zwar auch durch den Aufbau von Stiftungskapital, damit
diese hervorragende Stiftung auch in Zukunft ihre Arbeit
weiterhin unbehelligt leisten kann.




Gudrun Kopp
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(D)



(A)



(B)


Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, dass dringend ein
eigenständiger Verbraucherausschuss eingerichtet wer-
den muss.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es reicht nicht aus, dem Agrarausschuss lediglich diese
Thematik zuzuweisen. Dabei bleiben all die Inhalte, die
ich eben genannt habe, automatisch außen vor.

Frau Künast, ein letztes Wort: Sie bezeichneten die
Verbraucher als Bürgerbewegung. Passen Sie auf, dass
sich diese Bürgerbewegung nicht gegen Sie selbst richtet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417104400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417104500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ob als Kunde, als Patient, als Rei-
sender, als Versicherungsnehmer, als Bausparer oder als
Internetsurfer – die Verbraucher haben so ihre Erfahrun-
gen mit unzureichender Verbraucherschutzpolitik ge-
macht. Zu oft standen hausgemachte Produkt- oder Steu-
erskandale in fast allen Wirtschaftsbereichen auf der
Tagesordnung; diese sind mittlerweile im Bewusstsein
der Verbraucher verankert.

Vor allem gegen die allgemeinen Verbraucherrechte
wird tagtäglich verstoßen. Der Missbrauch wirtschaftli-
cher Macht gehört auch in Deutschland zum System: Ich
denke da nur an die monopolartige Gestaltung der Ben-
zinpreise, das Vitaminkartell, Abzockerei von Finanzbe-
ratern oder an Produkte, die mittels Kinderarbeit herge-
stellt werden. Die meisten der Betroffenen haben keine
Lobbyisten und können ihren Rechtsanspruch nicht
durchsetzen. Das soll sich ja jetzt alles ändern.

Man glaubt es kaum, was für eine Lawine durch BSE,
eigentlich nur von einem kleinen Eiweißbaustein, dem
Prion, losgetreten worden ist und wie sie ganze Branchen
sowie die Politik in die Knie zwingt. Die Fraktionen über-
treffen sich plötzlich geradezu an Vorschlägen, wie man
den Verbraucherschutz besser ausgestalten sollte. Dabei
muss die F.D.P. wohl erst noch lernen, was Verbraucher-
schutz heißt; nämlich gerade nicht, marktgerechtes Ver-
halten, möglichst schon bei Kindern, anzuerziehen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wäre ja noch schöner, wenn entsprechendes Verbrau-
cherverhalten gleich mit der „Muttermilch“ der Konzerne
eingesogen werden könnte.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, mit
Ihrem Antrag haben Sie sich ja wirklich viel vorgenom-
men. Er zeigt die ganze Bandbreite dessen, was in der
Marktwirtschaft bezüglich Verbraucherschutz auf dem
Kopf steht und jahrelang vernachlässigt wurde. Ich hoffe
nur, Sie sind sich der Tragweite Ihres Antrages bewusst.
Die PDS wird die politische Umsetzung in Zukunft an der
Entwicklung und Ausgestaltung von Verbraucherschutz
und Verbraucherrechten messen.

Gleich die erste Forderung Ihres Antrages stellt den po-
litischen Umgang mit den Interessen von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern als demokratisches Prinzip end-
lich vom Kopf auf die Füße. Ich zitiere – das muss man
sich auf der Zunge zergehen lassen –:

Der Bundestag fordert: den Verbraucherschutz als ei-
nes der durchgängigen Leitprinzipien anzuerkennen
und bei politischen ... Maßnahmen dazu beizutragen,
dass die Interessen von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern zur Richtschnur der Politik bei allen Ent-
scheidungen ... werden.

Wenn sich diese Forderung tatsächlich politisch in der ge-
samten Breite dieser Aussage durchsetzen soll, dann muss
in vielen Fällen das marktwirtschaftliche Profit- und El-
lenbogensystem stark zurückgedrängt werden.


(Beifall bei der PDS)

Demnach müsste – so interpretiere ich das jetzt hinein;

aber die Koalition kann mich da gern aufklären – folgen-
des Exempel politisch für die Zukunft recht schnell ge-
klärt werden: Die Verbraucher lehnen seit Jahren und
sogar zunehmend genveränderte Lebensmittel, Gen-Fut-
termittel und die Freisetzung von gentechnisch modifi-
zierten Pflanzen zu 70 bis 80 Prozent ab. 70 bis 80 Pro-
zent: Von so einem Abstimmungsergebnis träumt so
mancher Politiker.

Selbst Professor Jany vom Wissenschaftlerkreis
„Grüne Gentechnik“ konnte in einer ARD-Sendung trotz
hinreichender Pro-und-Kontra-Diskussion kaum Ver-
braucher auf seine Seite ziehen. Nun stellen Sie sich ein-
mal vor, es würde tatsächlich basisdemokratisch zugehen.
Abzusehen ist dennoch, dass die Wirtschaft den längeren
Arm hat und bestimmt, was, wie und in welcher Qualität
auf den Markt kommt.

In allen Anträgen spielt die Kennzeichnung von Pro-
dukten eine besondere Rolle, wobei es das Geheimnis der
Antragsteller bleibt, was sie denn mit „vollständiger“,
„transparenter“ oder gar „offener“ Kennzeichnung nun
wirklich meinen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, dass der
Verbraucher mit der bestehenden Kennzeichnung ohnehin
maßlos überfordert ist.

Die Zusammensetzung von Keksen, wie man sie
gemäß den Richtlinien in ganz kleinen Buchstaben
– meist gleich in mehreren Sprachen – auf der Rückseite
einer handelsüblichen Packung lesen kann, lautet: Wei-
zenmehl, Zucker, Pflanzenfett, modifizierte Maisstärke,
Invertierzuckersirup, Malzextrakt, Salz, Backtriebmittel,
Ammoniumhydrogencarbonat, Natriumhydrogencarbonat,
Diphosphornatriumsäure, Sojalecithinemulgat, Säuremit-
tel E 330, Emulgator E 322, Aromastoffe und Mager-
milchpulver. Nun muss aber gemäß einer neuen Verord-
nung auf diesem Etikett noch angegeben werden, ob
gentechnisch veränderte Organismen verwendet wurden.

Will man also sein Recht auf freie Auswahl ernsthaft
wahrnehmen, muss man zukünftig alles auf der Ver-
packung aufmerksam lesen: die Zusammensetzung, den
Preis, das Gewicht, das Verpackungsdatum, das Verfalls-
datum, das Herkunftszertifikat, ja, sogar den Rückver-
folgbarkeitsnachweis. Wenn man bei jedem Produkt, das




Gudrun Kopp

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(A)



(B)


man kauft, eine solche Leseorgie veranstalten muss, dau-
ert es vermutlich länger, die Kekse auszuwählen, als sie
selbst zu backen.


(Ute Kumpf [SPD]: Das macht nicht dick!)

Der Verbraucher möchte aber nicht das Handbuch der Le-
bensmittelchemie ständig bei sich tragen, sondern würde
einfach nur gern Waren kaufen, die gesund und sicher
sind – egal ob für Groß oder Klein, Jung oder Alt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim
nächsten Einkauf und beim Lesen von Packungshinwei-
sen. Wie heißt es so schön in der Werbung? – Bei Risiken
und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Verbraucherschutz-
ministerin.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417104600
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Ilse Janz.


Ilse Janz (SPD):
Rede ID: ID1417104700
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auf der Seite von CDU/CSU und F.D.P.
hatte ich eben den Eindruck, als seien Sie ein bisschen
neidisch auf unsere zupackende Ministerin.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gudrun Kopp [F.D.P.]: Oh!)


Sie haben weder konstruktive Vorschläge gemacht, noch
haben Sie gesagt, in welche Richtung Sie eigentlich gehen
wollen. Ich bin deshalb umso überraschter von Ihren Bei-
trägen.

Wenn ich mir die Anträge von CDU/CSU und F.D.P.
durchlese, dann muss ich feststellen, dass sie eine Reihe
von Punkten enthalten, die auch im Antrag der SPD-Frak-
tion zu finden sind und deren Umsetzung wir seit Jahren
fordern. Wenn Sie, liebe Opposition, zum Beispiel 1996
unserem Antrag „Vorsorgende Verbraucherpolitik“ zuge-
stimmt hätten, dann wären wir in diesem Hause schon ein
ganzes Stück weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dass Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe ist
und nicht nur auf den Teil Ernährung beschränkt werden
darf, das wissen wir alle seit Jahren. Gehandelt haben Sie,
meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in
Ihrer Verantwortung allerdings nicht. Sie hatten bisher
und haben eine andere Vorstellung. Ihre damalige Kolle-
gin Limbach hat immer nur von mehr Eigenverantwor-
tung der Verbraucherinnen und Verbraucher geredet. Ver-
stärktes Handeln durch den Bund hat sie – zumindest für
die CDU/CSU – konsequent abgelehnt. Das ist nachzule-
sen in ihrer Rede aus dem Jahre 1996.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es aber richtig ist, dass auch die Eigenverant-
wortung der Verbraucher gestärkt werden muss, dann
kann dies nur mit dem Marktgleichgewicht zwischen Ver-
brauchern und Anbietern einhergehen. Aktives staatliches
Handeln zum Schutz der Verbraucher ist notwendig. Das

heißt klar und deutlich: Die Möglichkeiten für den Ver-
braucher, Information und Aufklärung zu erhalten, müs-
sen produktunabhängig und vielfältig sein. Dafür zu sor-
gen sind Bund und Länder nach unserer Auffassung
verpflichtet; sie können nicht, wie es von Ihnen – Ihre
Fraktion ist eine ehemalige Regierungsfraktion – bisher
propagiert wurde, den Staat möglichst außen vor lassen
und die Verantwortung nur den Verbraucherinnen und
Verbrauchern zuschieben.


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Das wollen wir ja gar nicht!)


Ein Schritt in diese Richtung ist – die Bundesregie-
rung hat dies bereits angekündigt – die Einrichtung einer
Behörde für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit. Die Einrichtung dieser Behörde geht weit über
Ihren Vorschlag, die Kompetenzen des Bundesinstituts
für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinär-
medizin zu erweitern, hinaus. Es kann nicht sein, dass wir
bei der Bündelung der Maßnahmen – in Ihrem Redebei-
trag eben wurde das bereits getan – immer wie das Ka-
ninchen auf die Schlange starren. Wir dürfen nicht nur
auf europäischer Ebene nach Lösungen suchen. Wenn
sich Europa – in diesem Fall ist es sozusagen die
Schlange – nicht bewegt, dann brauchen wir dringend na-
tionale Lösungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Verbraucher werden es nämlich nicht hinnehmen,
dass wir politische Lösungen immer auf die EU-Ebene
abschieben.

Vorhin hat der Kollege Carstensen – jetzt ist er weg –
einen Zwischenruf gemacht, der sich auf die Stiftung Wa-
rentest bezog. Dazu kann ich nur sagen: Unsere Fraktion
begrüßt sehr, dass die Ministerin angekündigt hat, die
Stiftung Warentest zu stärken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage ganz klar, dass die Verbraucherzentralen und die
Verbraucherschutzverbände deutlich gestärkt werden
müssen. Das gilt nicht nur für den Bund, der die Projekt-
förderung betreibt, sondern auch für Länder und Kom-
munen, die in einigen Fällen ausgerechnet auf diesem
Gebiet Einsparpotenziale erkennen. Frau Ministerin, Sie
können sicher sein: In diesem Fall stehen wir auf Ihrer
Seite und wir kämpfen mit dem Finanzminister darum,
dass der Haushalt an den entsprechenden Stellen aufge-
stockt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle haben doch ernsthaft vor, weg von der Repa-
ratur und hin zur vorsorgenden Verbraucherpolitik zu
kommen; denn eine vorausschauende Verbraucherpolitik
ist die Sicherheit für unsere natürlichen Lebensgrund-
lagen. Sie ist gleichzeitig ein dauerhafter Anreiz zur Pro-
duktverbesserung und sichert damit Absatzchancen sowie
Ar-beitsplätze. Verbraucherschutz ist eben keine Bremse
für die Wirtschaftsentwicklung. Im Gegenteil, sie sorgt




Kersten Naumann
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dafür, dass leistungsfähige Unternehmen erfolgreicher
sind, dass sich die besten Produkte durchsetzen und dass
eine ständige Produktverbesserung erfolgt. Verbrauche-
rinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information
und Aufklärung. Sie haben ein Recht auf Schutz vor Ge-
sundheitsgefahren und auf Unterstützung bei der Durch-
setzung von Schadenersatzansprüchen.

Für Lebensmittel sind klare Kennzeichnungsregelun-
gen erforderlich. Nur durch eine lückenlose Etikettierung
kann der Verbraucher den Weg des Lebensmittels verfol-
gen und nur dadurch kann Vertrauen zurückgewonnen
werden. Es muss eine umfassende Information geben:
Was ist enthalten? Woher kommt es? Wie wurde das Pro-
dukt hergestellt? Welche Risiken gibt es? – Die Auf-
klärung muss gut vergleichbar und auch gut verständlich
sein. Klar muss auch sein, dass Hersteller und Anbieter
die Verantwortung für ihre Produkte tragen.

Durch Kaufentscheidungen können alle Verbrauche-
rinnen und Verbraucher dazu beitragen, dass neue ökolo-
gische Ziele erreicht werden. In diesem Punkt muss aus
Sicht der SPD-Fraktion auch in Schulen und Weiterbil-
dungseinrichtungen etwas passieren. Nur gut informierte
Schülerinnen und Schüler können kritische Verbraucher
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb muss unsere Bitte, wenn nicht gar unsere For-
derung an die Länder immer wieder lauten: Die Ver-
braucherbildung muss in die Lehrpläne aufgenommen
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dazu wird auch noch mein Kollege Heinz Schmitt etwas
ausführen.

Die Verbraucherorganisationen haben sich eine neue
Struktur gegeben, die ab dem 1. Juli greift. Dies ist aus un-
serer Sicht eine erhebliche Verbesserung für alle Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, da die Tätigkeiten der bishe-
rigen drei Organisationen erheblich effizienter gestaltet
werden können. Die Forderung des neuen Bundesverban-
des BVZV, ein Verbraucherinformationsgesetz zu schaf-
fen, muss meines Erachtens unbedingt auf Machbarkeit
geprüft werden.

Wir, die Politiker, müssen die entsprechenden Rah-
menbedingungen schaffen. Wir müssen die rechtlichen
Lücken schließen und die Kontrollen verbessern. Das
müsste aus meiner Sicht das Haus gemeinsam machen. In
den vorliegenden Anträgen gibt es ja auch viele Gemein-
samkeiten, obwohl ich bei Ihnen, Frau Kollegin Kopp,
festgestellt habe, dass zumindest Ihre Rede nicht mit
Ihrem Antrag übereingestimmt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Ute Kumpf [SPD]: Das war das falsche Manuskript!)


Vielleicht gelingt es uns ja in der Ausschussdebatte, einen
gemeinsamen Weg herauszuarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417104800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Albert Deß.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1417104900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir da-
rüber streiten, wie der Verbraucherschutz gerade im
Ernährungsbereich weiter verbessert werden kann. Aber
es ärgert mich und viele Landwirte in Deutschland, dass
von bestimmten Seiten in den letzten Monaten der Ein-
druck erweckt worden ist, es hätte bisher keinen Ver-
braucherschutz gegeben bzw. er müsste neu erfunden
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deutschland zählte auch schon bisher zu den Ländern mit
den strengsten Vorschriften und Auflagen für die Erzeu-
gung und Veredelung von Lebensmitteln.

Es geht heute darum, den hohen Stand an Lebensmit-
telsicherheitweiter zu verbessern und gewisse Schwach-
stellen zu beseitigen. Wer wie Frau Ministerin Künast und
Bundeskanzler Schröder die Bauern in ihrer Gesamtheit
an den Pranger stellt, handelt schlichtweg unverantwort-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer versucht, die Landwirtschaft in eine gute und eine schlechte Landwirtschaft einzuteilen, wird seiner Verantwortung weder den Landwirten noch den Verbrauchern gegenüber gerecht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion tritt dafür ein, dass alle Nahrungsmittel, die in unserem Land produziert werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine nach heutigem wissenschaftlichen Stand höchstmögliche Sicherheit geben. Am Beispiel der Milchproduktion sieht man, dass Milcherzeuger und -verarbeiter auch ohne staatliche Auflagen ein Interesse daran haben, unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern eine höchstmögliche Sicherheit zu geben. Ich trage seit vielen Jahren Verantwortung bei den Milchwerken in Regensburg. Dort haben wir bereits vor der BSE-Krise beschlossen, in unsere Milchsammeltankwagen eine moderne Technik einzubauen. Es wird jeden Tag von jedem Landwirt eine Probe genommen. (Ute Kumpf [SPD]: Vom Landwirt? – Heiterkeit)


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Von der Milch jedes Landwirts wird eine Probe genom-
men. Entschuldigung! – Auf der Fahrt von der letzten
Sammelstelle zum Milchhof wird in einem Schnelltest-
verfahren festgestellt, ob in der Milch aus dem Milchtank




Ilse Janz

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(D)



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Antibiotikarückstände enthalten sind. Wenn Antibioti-
karückstände enthalten sind, gelangt diese Milch nicht in
den Produktionskreislauf. Anhand der Einzelproben kann
festgestellt werden, welcher Landwirt antibiotikahaltige
Milch abgeliefert hat. Dieser Landwirt ist dann verant-
wortlich für die Kosten, die für die Beseitigung dieser
Milch entstehen. An diesem Beispiel sieht man, dass die
Wirtschaft ohne staatliche Auflagen bereit ist, selbst höchs-
te Qualitätsstandards zu erfüllen.


(Ute Kumpf [SPD]: Und das in Bayern!)

Eines geht jedoch nicht: in Deutschland höchste Stan-

dards verlangen und unsere Bauern dem europäischen
und weltweiten Wettbewerb aussetzen. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten: Entweder gelten EU-weit die gleichen
Bedingungen, oder Produkte, die nicht unseren Standards
entsprechen, dürfen nicht nach Deutschland geliefert wer-
den. Das gilt auch für Einfuhren aus Drittländern. Wie soll
denn der Verbraucherschutz gesichert werden, wenn in ei-
nem freien europäischen Markt unterschiedliche Bedin-
gungen gegeben sind? Es reicht nicht aus, Frau Künast,
wenn in Deutschland schrille Töne zu hören sind und in
Brüssel nichts umgesetzt wird.

Bis heute haben wir in der Kälberfütterung unter-
schiedliche Standards. In anderen Ländern darf weiter tie-
risches Fett eingesetzt werden, mit der Folge, dass dort
wesentlich billiger produziert werden kann. Mir ist nicht
bekannt, Frau Künast, dass Kalbfleisch, das unter diesen
Bedingungen produziert wird, nicht nach Deutschland ge-
liefert werden darf. Wo bleibt denn hier der Verbraucher-
schutz?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie werden Ihrer Verantwortung schlichtweg nicht ge-
recht.

Unverantwortlich ist aber auch das Verhalten be-
stimmter Medien; das muss heute hier einmal angespro-
chen werden. Wenn Hysterie verbreitet wird und die Ver-
braucher verunsichert werden, steigen anscheinend die
Auflagen und die Einschaltquoten; das gilt aber nicht für
die Qualität.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Eine große deutsche Zeitung mit vielen Bildern hat am

22. Januar 2001 geschrieben:
Jetzt erschüttert ein neuer Skandal Bayern und
Österreich. Schweine sollen flächendeckend mit
Antibiotika und anderen Medikamenten gemästet
worden sein. Experten befürchten: Die Schwei-
nepillen sind für die Verbraucher noch gefährlicher
als BSE.

Vor kurzem stand in einer Passauer Zeitung

(Jella Teuchner [SPD]: Es gibt nur eine!)


unter der Überschrift „Landwirte gaben keine verbotenen
Medikamente“:

Die Großrazzia auf 33 Bauernhöfen in Ostbayern
Anfang Februar hat sich als Schlag ins Wasser
erwiesen. Die Testergebnisse der bei den Schwei-
nen genommenen Blut- und Urinproben fielen ne-

gativ aus: Sie enthielten keine verbotenen Sub-
stanzen.

Und der Leitende Oberstaatsanwalt in Regensburg er-
klärte:

Es gibt ... keine Erkenntnisse, dass die Landwirte
ihren Tieren unerlaubte Mittel gegeben haben.

Wo bleiben die Entschuldigungen von denen, die hier
Verdächtigungen ausgesprochen haben, die die Bauern
kriminalisiert haben? Auch hier im Parlament haben sich
Mitglieder von SPD und Grünen damals massiv an den
Anschuldigungen beteiligt.


(Widerspruch bei der SPD)

Wenn Sie Charakter haben, gehen Sie nun ans Rednerpult
und entschuldigen Sie sich für die vollmundigen Vor-
würfe und Verdächtigungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider ist die Kollegin Wright heute nicht anwesend, die
damals die größten Verdächtigungen ausgesprochen hat.

Was machen bestimmte Medien? Sie sind nicht einmal
bereit, die Meldungen über das Ergebnis der staatsan-
waltschaftlichen Ermittlungen zu bringen. Ich glaube, es
wäre in unserem Land notwendig, nicht nur über ein Pro-
dukthaftungsgesetz nachzudenken, sondern auch über ein
Medienhaftungsgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer bezahlt den Schaden, der von einer zum Teil unver-
antwortlichen Berichterstattung verursacht wurde?

Was wir brauchen, ist neben einem überzeugenden
Verbraucherschutz auch eine Perspektive für unsere Bau-
ern. Unsere Bauern waren in ihrer großen Mehrzahl bis-
her bereit, eine hohe Qualität zu produzieren, und haben
es nicht verdient, von Rot-Grün an den Pranger gestellt zu
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was unternimmt der Kanzler der Beliebigkeit, um un-

seren Bauern eine Perspektive zu geben? – Fehlanzeige
auf der ganzen Linie. Er kassiert von der EU 4 Milliar-
den DM, die zurückfließen, und ist nicht bereit, Geld für
eine Weiterentwicklung der deutschen Landwirtschaft
und des Verbraucherschutzes auszugeben. Bayern allein
nimmt mehr Geld in die Hand, um seine Bauern zu un-
terstützen und den Verbraucherschutz zu verbessern, als
die Bundesrepublik Deutschland.

Geradezu lächerlich wirkt Rot-Grün mit der Forderung
nach mehr Ökolandwirtschaft. In den Bundesländern
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo Rot-
Grün regiert, gibt es die geringsten Flächenprämien für
den ökologischen Landbau.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Eine Aufstellung der „FAZ“ vom 2. Februar 2001 zeigt
die Zahlen: Bayern gibt für den ökologischen Landbau
pro Hektar 707 DM aus. Zweitbestes Land – das gebe ich




Albert Deß
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gerne zu – ist Rheinland-Pfalz. Aber dort regiert nicht
Rot-Grün, sondern Rot-Gelb.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Rheinland-Pfalz gibt immerhin noch 392 DM aus. In
Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert, sind es
191 DM


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist eine Verhöhnung der Bauern!)


und in Schleswig-Holstein 60 DM, nicht einmal ein Zehn-
tel dessen, was in Bayern ausgegeben wird. Entlarvender
können Zahlen gar nicht sein. So groß ist die Diskrepanz
zwischen rot-grünem Gerede und rot-grünem Handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die CDU/CSU wird dafür sorgen, dass dieses Schau-

spiel entlarvt und eine bessere Alternative dagegengesetzt
wird.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105100
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Der Deutsche Bundestag hat heute erstmals die Ge-
legenheit, derartig umfassend über Verbraucherschutz zu
diskutieren. Aber Herr Deß nimmt diese Gelegenheit
nicht wahr; er diskutiert über die Abschaffung der Presse-
freiheit und darüber hinaus äußerst widersprüchlich über
die EU-Standards.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Wenn Sie die Pressefreiheit abschaffen wollen, müssen Sie bei Oskar Lafontaine in die Schule gehen!)


Auf der einen Seite sollen wir sie alle einhalten, auf der
anderen Seite aber wird beim Thema BSE ein Alleingang
der Bundesrepublik, möglichst Bayerns, gefordert. Ich
denke, so geht das nicht.

In dem Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir un-
seren politischen Willen zur Schaffung eines umfassen-
den Verbraucherschutzes erklärt. Durch eine vorsorgen-
de Verbraucherpolitikwollen wir Verbraucherinnen und
Verbraucher unter gesundheitlichen und unter finanziel-
len Aspekten schützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen die Stellung der Verbraucher im Verhältnis zu
den Anbietern deutlich stärken; wir wollen bessere Markt-
transparenz und bessere Information.

Frau Naumann, natürlich ist Verbraucherpolitik ein
Teil der Wirtschaftspolitik und der sozialen Marktwirt-
schaft. Verbraucherschutz muss ressortübergreifend sein
und als Querschnittsaufgabe in alle relevanten Bereiche
der Politik aufgenommen werden. Unser Antrag und das
Handeln der Bundesregierung weisen ganz im Gegensatz

zu dem, was Sie in der Regierungszeit von CDU/CSU und
F.D.P. praktiziert haben, genau in diese Richtung.

Das Beispiel BSE hat gezeigt, wie fatal die Vernach-
lässigung vorsorgender Verbraucherschutzpolitik gewe-
sen ist. Dazu muss man einmal sagen, dass uns das unter
Ihrer Regierungsverantwortung geltende Denkverbot, die
Tabuisierung und die Vernachlässigung, ja die Fahrlässig-
keit im Verbraucherschutz, in die Situation gebracht ha-
ben, in der wir jetzt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war auch im Hinblick auf Herrn Lippold nachzu-
tragen.

Wir werden den Verbraucher auch in anderen Berei-
chen als dem Lebensmittelbereich in den Mittelpunkt
stellen. Tatsächlich war es doch bisher so, dass Ressort-
denken und Lobbyismus hinsichtlich einzelner Wirt-
schaftsanliegen vor der Betrachtung und Berücksichti-
gung von Verbraucherinteressen gestanden haben.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Sie wollen doch nur bestimmen, was die Verbraucher denken!)


Ich sage es noch einmal: Verbraucherschutz und Verbrau-
cherpolitik müssen Teil der Wirtschaftspolitik und – darin
unterstütze ich die Ministerin – ein wichtiges Mittel zur
Schaffung sozialer Gerechtigkeit sein. Was Herr Lippold
hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit fordert, das ist, ge-
rade soweit Gesundheitspolitik betroffen ist, in Wirklich-
keit ein Angriff auf das Solidarsystem: Abschaffung und
Plattmachen der Gesundheitsversorgung für die ärmeren
und kränkeren Bevölkerungsteile. Es geht darum, eine
Balance zu finden. Wir werden diese Balance finden; Ihre
Politik aber geht in eine völlig falsche Richtung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung hat bereits das Ministerium für
Verbraucherschutz geschaffen – das ist ein Paradigmen-
wechsel –, dort die Ministerin Renate Künast einge-
setzt – auch das ist ein Paradigmenwechsel –


(Walter Hirche [F.D.P.]: Was sagt denn dazu die SPD?)


und die strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung
der Ziele des Verbraucherschutzes geschaffen. Bis Juni
werden die Vorschläge für die weiteren Schritte in Rich-
tung eines Bundesamtes für den Verbraucherschutz zu
einer besseren Koordination zwischen Bund, Ländern und
der EU vorliegen.

Es ist richtig: Die Politik kann und soll nicht alle Be-
reiche des täglichen Lebens regeln. Sie muss aber die
Rahmenbedingungen und die Instrumente schaffen, um
den Verbrauchern eine Orientierung gegenüber der Wirt-
schaft, den Finanzanbietern, den Krankenhäusern, den
neuen Kommunikationstechniken und insgesamt den ra-
schen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen
zu geben.

Dazu will ich ein Beispiel wählen. Im Bereich des
Energiemarktes – das hat Herr Lippold schon erwähnt –




Albert Deß

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(B)


haben wir die Situation, dass die mangelhafte Aufklärung
beim Kauf von Elektrogeräten mit Stand-by-Funktion
und Leerlaufverbrauch dazu geführt hat, dass sich die
Leerlaufkosten allein in den privaten Haushalten auf jähr-
lich 4,5 Milliarden DM addieren. Das ist ein Beispiel für
die bisherige Vernachlässigung von Verbraucherschutz-
politik und für die Weichenstellung, die Sie in Ihrer Re-
gierungszeit vorgenommen haben. Sie mögen immer über
die Ökosteuer schimpfen; aber dieses Beispiel zeigt doch,
wie man durch Installation einer vernünftigen Verbrau-
cherpolitik in einer sinnvollen Art und Weise umsteuern
kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein anderes Beispiel, bei dem die Weichenstellungen
von der jetzigen Opposition vorgenommen worden sind,
sind die Handys, die die Kommunikation enorm erleich-
tert haben. Wir haben zwar ein Telekommunikationsge-
setz; aber es gibt eine ganze Reihe von offenen Fragen, die
wir im Zusammenhang mit einer übergreifenden und um-
fassenden Verbraucherschutzpolitik diskutieren werden.
Das fängt damit an, dass Jugendliche mit finanziellen
Nachforderungen konfrontiert werden: Ohne dass sie es
wissen, haben sie mit ihren SMS ihre Prepaid Card über-
zogen. Es gibt ernst zu nehmende Hinweise auf eine Ge-
sundheitsgefährdung durch elektromagnetische Strahlen.

Aus Vorsorgegründen werden wir darüber diskutieren,
ob die zulässigen Grenzwerte zu senken sind; ich denke in
diesem Zusammenhang beispielsweise an Italien und die
Schweiz. In Zusammenarbeit mit den Ländern sollen Si-
cherheitsabstände zu besonders sensiblen Bereichen, also
zu Schulen und Kindergärten, eingeführt werden. Eine
entscheidende Rolle kommt auch hier der Zusammen-
arbeit mit der Wirtschaft und dem Handel zu.

Die Strahlungsleistungen der Handys sind sehr un-
terschiedlich. Die jeweiligen Werte müssen transparent
gekennzeichnet werden. Das jetzige Verfahren, auf die
Handys einfach Zahlen zu schreiben, die die Verbraucher
nicht verstehen können, kann es nicht sein. Wir werden
hier weitere Vorschläge entwickeln, zum Beispiel die
Handys mit entsprechenden Labels, anhand deren er-
kennbar wird, ob die Strahlenbelastung durch das jewei-
lige Handy gering, mittelstark oder hoch ist, zu versehen.
Es geht darum, das Kommunikationsinstrument Handy
sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig die Verbraucher zu
schützen.

Wir haben – das ist richtig – in Bezug auf unsere künf-
tige Verbraucherschutzpolitik einen hohen Anspruch ge-
setzt. Wir erwarten in diesem Bereich eine konstruktive
Haltung der Opposition. Die genannten Beispiele sind
recht deutlich. Wir unterstützen vor allem Ministerin
Renate Künast bei der Umsetzung dieser anspruchsvollen
Aufgabe.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417105300
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Selten ist der
Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit derart breit
und tief gewesen wie in der Verbraucherschutzpolitik die-
ser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Seit mehr als vier Monaten ist die neue Verbraucher-
schutzministerin jetzt im Amt. Selbst die Vertreter der Ko-
alition haben Mühe, zu erklären, worin denn die substan-
ziellen Beiträge von Frau Künast zum Verbraucherschutz
eigentlich liegen. Auf welchen Feldern hat sie in der Eu-
ropäischen Union greifbare Fortschritte erzielt, außer dass
sie im Ministerrat von einer Abstimmungsniederlage zur
anderen eilt? Auf welchen Feldern hat sie dort, wo sie es
könnte, nämlich in der nationalen Agrarpolitik, irgend-
etwas bewegt? Selbst der nordrhein-westfälische Minis-
terpräsident Clement wirft ihr per Zeitungsinterview jede
Menge Versäumnisse vor und stellt fest, sie selbst habe
bislang für die von ihr pausenlos als überfällig bezeich-
nete Agrarwende nichts getan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Man kann die Verbraucherschutzpolitik von Frau
Künast nicht besser zusammenfassen, als es Thomas
Gack vor wenigen Tagen in der „Stuttgarter Zeitung“ ge-
tan hat: „Schlagworte, die auf Dauer eine wirksame Poli-
tik nicht ersetzen können“, „Etikettenschwindel“,
„Ankündigungen“ und „wortreiche Tatenlosigkeit“.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Denn selbst auf den Feldern, auf denen Frau Künast un-
bestritten zuständig ist, arbeitet sie entweder halbherzig
oder überhaupt nicht.

In dieser Woche kündigten Sie, Frau Künast, eine
„Qualitätsoffensive bei Lebensmitteln mit zwei Sorten
von Gütesiegeln“ an: einem Ökogütesiegel für Produkte
aus dem Ökolandbau und einem zweiten Gütesiegel für
Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft.
Das hört sich auf Anhieb gut an. Heute allerdings haben
Sie darüber kein einziges Wort verloren. Wie lässt sich
dies erklären? Wenn man der Sache auf den Grund geht,
stellt man fest, dass die erforderlichen Standards wohl
auf den niedrigsten Level heruntergefahren werden sol-
len, nämlich auf EU-Standard. Ergebnis: Mit einem
Schlag wird es in den Regalen Ökoprodukte in Hülle und
Fülle geben, weil auf einmal fast alles öko wird. Der
Standard wird gesenkt, damit die Ökoquoten steigen;
das ist staatlich organisierter Etikettenschwindel. Das
zarte Pflänzlein Ökonische wird dadurch kaputtge-
macht, weil auf einmal fast alles öko ist, nur eben öko-
light, Frau Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Schwachsinn! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn gerade der Herr Deß gesagt?)





Ulrike Höfken
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(B)


– Dann sprechen Sie doch mit Naturland, mit Demeter
oder mit Bioland. Diese Befürchtungen bestehen. Es ist
doch verwunderlich, dass wir nichts dazu hören. Frau
Künast, Sie haben die Messlatte wieder einmal hoch ge-
legt. Jetzt springen Sie einmal mehr darunter durch.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105400
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417105500
Ja.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105600
Es ist
erstaunlich, innerhalb einer einzigen Fraktion derart dia-
metral entgegengesetzte Aussagen zu hören.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Volkspartei! – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie müssen nicht über das Innenleben der Grünen berichten!)


Ich frage Sie deshalb, wie Sie denn dann zur Aussage des
Kollegen Deß stehen, man solle eine Harmonisierung der
EU-Standards möglichst unterstützen, da es keinerlei
Möglichkeiten gebe, von diesen abzuweichen, wenn man
eine richtige Politik machen würde.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1417105700
Liebe Frau
Höfken, Ihre Fraktion und Ihre Ministerin sind vor vier
Monaten hier angetreten und haben verkündet: Deutsch-
land soll bei den Ökoprodukten einen Anteil von 20 Pro-
zent erreichen.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sollen die Frage beantworten! Sie können nicht einmal eine Frage beantworten!)


Sie wollen viel Geld in die Förderung des Ökolandbaus
stecken, damit wir über die Ökoprodukte mehr Produkte
mit dem hohen deutschen Qualitätsniveau in den Regalen
haben. Wenn Sie den angedachten Weg gehen, diese Quo-
ten durch eine Reduzierung auf den europäischen Stan-
dard zu erreichen, mag das formal zu dem richtigen Er-
gebnis führen. Aber Sie werden so Ihrem Anspruch, den
Sie sich selbst gestellt haben, nicht gerecht werden.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie fragt nach Herrn Deß und seinen Äußerungen!)


Hiermit werden Sie Ihre Glaubwürdigkeit verspielen und
es ist das Recht der Opposition, die Widersprüche in Ihrer
Politik hier klar aufzuzeigen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Thema verfehlt!)


Wie sieht es denn auf den anderen Feldern des Ver-
braucherschutzes aus? Die Antwort ist: Bis jetzt haben wir
zu all den Themen, die heute angesprochen wurden, über-
haupt nichts gehört. Verbraucherschutz wurde in den letz-
ten vier Monaten ausnahmslos auf Lebensmittel und
Ernährung reduziert. Bei allen anderen Themen, die die
Verbraucher betreffen, herrscht Funkstille.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist auch Quatsch!)


Warum muss denn bitte Herr Jauch Pressekampagnen ma-
chen? Unsere Verbraucherschutzministerin hat sich zur
Euro-Umstellung nicht im Sinne der Verbraucherinnen
und Verbraucher geäußert. Hier wären klare Aussagen im
Sinne der Menschen in unserem Land längst überfällig
gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Bürger wollen sich nicht nur vor BSE geschützt
wissen, sondern auch vor anderen Risiken, denen sie im
täglichen Leben ausgesetzt sind. Die Stichworte sind ge-
fallen: Euro-Umstellung, Finanzdienstleistungen, Schutz
im täglichen Geschäftsverkehr, Elektrosmog, Strom-
preise, Patientenschutz und Versichertenrechte, E-Com-
merce und, und, und.

Bei Ihrem Antrag, zu dem Sie nun nach den langen Ver-
handlungen, die es wohl zwischen den Koalitionsfrak-
tionen gegeben hat, gekommen sind, muss man genau auf
die Wortwahl schauen: „prüfen“, „prüfen“, „prüfen“,
„Vorschläge erarbeiten“, „Absichten unterstützen“, aber
nichts Konkretes.

Die Verbraucherschutzpolitik dieser Bundesregierung
hat bis heute keine effiziente Struktur, es gibt kein Perso-
nal – und Geld schon gar nicht. Bis zum heutigen Tag wur-
den weder die Aufgaben innerhalb der Bundesregierung
im Sinne eines ganzheitlichen Verbraucherschutzes klar
geregelt, noch wurden der Ministerin umfassende und
klar umrissene Zuständigkeitsbereiche zugewiesen. Das
beste Beispiel dafür ist, dass der Arbeitsgruppe im Justiz-
ministerium zur Abschaffung des Rabattgesetzes zwar
Vertreter der Verbraucherverbände angehören, aber nie-
mand aus Ihrem Hause. Dies ist keine effiziente Struktur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

All Ihre Ankündigungen für einen vorsorgenden Ver-

braucherschutz sind angesichts dessen, wie der Bund die
Verbraucherzentralen finanziell ausbluten lässt, nichts
als Schalmeienklänge. Sie haben Kürzungen vorgenom-
men, erklären aber, wie sehr Sie sie fördern wollen. Wenn
Sie heute einmal einen Betrag genannt hätten, den Sie in
die Haushaltsplanverhandlung einbringen wollten, wäre
das einmal eine konkrete Angabe gewesen, die den Men-
schen in unserem Land auch etwas gebracht hätte. Aber es
ist nichts Konkretes dazu zu hören, wie viel Herrn Eichel
die Stärkung des Verbraucherschutzes in der Bundesrepu-
blik wert ist. Wir werden es sehen; aber Antworten haben
wir heute nicht erhalten.

Der Bericht der Wedel-Kommission liegt bis zum
heutigen Tag nicht vor. Der Verbraucherbeirat der Bun-
desregierung hat seit Ihrem Amtsantritt, Frau Künast,
noch nicht ein einziges Mal getagt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Na so was! Das ist ja hochinteressant!)


Es reicht nicht aus, den Titel des Landwirtschaftsministe-
riums um den Begriff „Verbraucherschutz“ zu erweitern,
die Reihenfolge im Namen zu ändern und zu glauben, da-
mit sei dem Verbraucherschutz Genüge getan. Ein Tür-
schild allein sagt noch lange nichts darüber aus, ob dort




Annette Widmann-Mauz

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(B)


auch jemand wohnt. Man könnte fast meinen, wir spre-
chen hier nicht über ein Verbraucherschutzministerium,
sondern über eine Briefkastenfirma.


(Ute Kumpf [SPD]: Da haben Sie mehr Erfahrung! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, da haben Sie ja mit Liechtenstein große Erfahrungen! – Ilse Janz [SPD]: Sie haben große Erfahrungen mit solchen Firmen, scheint mir!)


– Ganz ruhig bleiben. Es scheint Sie sehr zu treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Verbraucherschutz gehört zu den zentralen politi-
schen Aufgaben in Deutschland. Die Menschen erwarten
klare Konzepte für eine ganzheitliche Verbraucherschutz-
politik, die auf Grundpfeilern wie Transparenz, Eigenver-
antwortung bzw. Kontrolle und Nachhaltigkeit aufbaut.

Deshalb fordert die Unionsfraktion die Bundesregie-
rung auf, endlich klare und einheitliche Regeln für den
Verbraucherschutz in Deutschland zu schaffen. Deshalb
fordern wir in unserem Antrag, dass der Verbraucher-
schutz in einem eigenständigen Ressort gebündelt wird
und damit von Anfang an Interessenkonflikte vermieden
bzw. transparent gemacht werden. Deshalb fordern wir
die Bundesregierung auf, in einem jährlichen Verbrau-
cherschutzbericht Stellung zu allen verbraucherrele-
vanten Fragen zu nehmen, wie dies in anderen Ländern,
zum Beispiel den USA, üblich ist.

Verbraucherschutzpolitik ist für uns ein fester Be-
standteil unserer sozialverpflichteten marktwirtschaft-
lichen Ordnung. Transparenz und Wettbewerb, Eigenver-
antwortung, Kontrolle und Nachhaltigkeit – dies alles
gehört zusammen. Dies sind – ganz ideologiefrei – die
Grundpfeiler einer Politik für einen ganzheitlichen, vor-
sorgenden Verbraucherschutz, wie er von unserer Frak-
tion vertreten wird.

Verbraucherschutzpolitik braucht keine staatliche Be-
vormundung und Umerziehung; Verbraucherschutzpoli-
tik braucht auch keine ideologischen Zwangsjacken. Ver-
braucherschutzpolitik hat möglichst nah am Menschen zu
sein. Es geht um individuelle Verantwortung, Wettbewerb
und sozialen Schutz. Eigeninteresse und Kontrolle, beides
gehört zusammen: So viel Eigenverantwortung wie mög-
lich, so viel Kontrolle wie nötig. Deswegen ist der „auf-
geklärte Verbraucher“ keine bloße Floskel, sondern ein
Grundanliegen unserer sozialen Marktwirtschaft und da-
mit ein Grundanliegen gerade der Christlich Demokrati-
schen Union.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417105800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1417105900
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Vorsorgender Verbraucherschutz
funktioniert nur mit gut informierten und entsprechend
vorgebildeten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir

brauchen den kritisch mitdenkenden und mündigen Kun-
den, aber natürlich auch den verantwortungsvollen Poli-
tiker.

Frau Kopp, Frau Widmann-Mauz, Herr Lippold und
Herr Deß, wenn man die Anträge Ihrer Fraktionen liest,
hat man fast das Gefühl, Sie vollzögen einen Bewusst-
seinswandel, Sie hätten die Gefahren erkannt und den
Handlungsbedarf gesehen. Nach Ihren Reden hier bleibt
aber nichts übrig außer billiger Polemik und der Ablen-
kung auf Politikbereiche, die mit diesem Thema über-
haupt nichts zu tun haben. Sie haben die Ökosteuer und
die Pressefreiheit angesprochen; Sie redeten von Etiket-
tenschwindel. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P. und der CDU/CSU, eine solche Polemik wollen die
Menschen in diesem Land nicht mehr hören.


(Beifall bei der SPD)

Die Menschen in diesem Land wollen gesunde Lebens-
mittel. Sie wollen Nahrungsmittel kaufen, die sie mit Ge-
nuss verzehren können. Verbraucherschutz als ressort-
übergreifende Aufgabe bedeutet also neue Aufgaben für
die Bildungspolitik.

Man hat das Gefühl, dass Sie durch Ihre Redebeiträge
von Ihrem Fehlverhalten, von Ihrer Passivität in den letz-
ten 16 Jahren ablenken wollen, aber erwarten, dass die
Agrarwende in unserem Land in vier Monaten vollzogen
wird. Dies ist in der kurzen Zeit nicht zu bewerkstelligen.
Wir werden diese und auch die nächste Legislaturperiode
dazu verwenden, die Agrarwende zu vollziehen. Darauf
können Sie bauen.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Dafür müssen Sie erst einmal die nächste Wahl abwarten!)


Wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher schützen
wollen, etwa vor Risiken bei der Ernährung, dann brau-
chen wir auf der einen Seite sicherlich eine staatliche
Kontrolle zum Schutz vor gesundheitlichen Risiken und
Gefährdungen. Auf der anderen Seite aber müssen wir die
Menschen auch dazu befähigen, Entscheidungen kompe-
tent zu treffen, um als Nachfrager größeren Einfluss auf
das Angebot nehmen zu können.

Die Entscheidung über die Güte und die Qualität der
Produkte und damit im Endeffekt die Entscheidung über
die Güte und die Qualität der Produktion wird letztlich an
der Ladentheke getroffen. Dies gilt insbesondere für un-
sere Ernährung, für unsere Nahrungs- und Lebensmittel.
Neben der staatlichen Sicherheits- und Qualitätskon-
trolle muss Verbraucherschutz also auch der Aufklärung
dienen. Bei einem oftmals erschlagenden und unüber-
schaubaren Produktangebot braucht der Kunde zu seiner
Orientierung ein umfangreiches Wissen. Die Kennzeich-
nung der Herkunft und der Inhalte, Prüfsiegel und
Qualitätszertifikate sind nur die eine Seite. Auf der ande-
ren Seite sind Information und Verbraucherbildung un-
erlässlich, damit die Menschen souverän und bewusst
über das Angebot entscheiden können.

Es gibt bereits ein breites Angebot an Aufklärung. Es
kann auf Ratgeber und Ernährungsseminare zurückge-
griffen werden. Aber das Problem dabei ist, dass dies fast
ausnahmslos mit einem hohen persönlichen Einsatz ver-




Annette Widmann-Mauz
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(B)


bunden ist und zum Teil das Engagement des Einzelnen
überfordert. Weniger engagierte Kunden verlieren immer
mehr die Übersicht.

Durch Fastfood und Lebensmittelveredelung sind im
Ernährungsbereich viele ehemals vorhandene Kenntnisse
über gesunde Ernährung bereits in Vergessenheit geraten.
Der technische Standard heutiger Hightech-Küchen steht
oftmals im krassen Gegensatz zu den genormten Speisen
und Gerichten, die darin zubereitet werden.


(Beifall bei der SPD)

Alles muss billig und schnell sein – so das Credo der

Lebensmittelindustrie. Falsche Ernährung, zu hoher
Fleisch- und Zuckerkonsum und Übergewicht führen zu-
dem zu den bekannten gesundheitlichen Problemen.
Wenn wir also die neue Wertigkeit von Verbraucherschutz
mit Leben füllen wollen, muss die Verbraucherinforma-
tion und Verbraucherbildung auf eine breite, grundle-
gende Basis gestellt werden.

Infolge der BSE-Krise und der Maul- und Klauenseu-
che haben wir uns im Ernährungsbereich die Agrarwende
vorgenommen. Wir wollen eine umweltgerechte Agrar-
produktion fördern. Ein solches Umsteuern ist nur dann
möglich, wenn es gelingt, die Verbraucherinnen und Ver-
braucher für eine solche Politik zu gewinnen. Dazu gehört
zwingend ein vorsorgender Verbraucherschutz durch In-
formation, Bildung und Verbesserung der Kenntnisse
der Verbraucher, um deren Stellung im Marktprozess zu
stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Bildungsbereich gibt es hierzu vieles zu tun. Zum
Beispiel wäre ein Besuch in so genannten Agrarfabriken
mit der typischen Massentierhaltung, wo oftmals der Tat-
bestand der Tierquälerei erfüllt wird, gerade für junge
Menschen sicherlich eine wichtige Erfahrung und könnte
zu einer lebenslangen Bewusstseinsbildung beitragen.
Aufklärungsarbeit muss bereits bei Kindern und Ju-
gendlichen in den allgemein- und berufsbildenden Schu-
len beginnen. Darum regen wir an, dass in den Ländern
entsprechende Informations- und Lehrangebote an Schu-
len beginnen.

Die Grundlagen des Verbraucherschutzes müssen ei-
nen Platz in den Lehrbüchern bekommen. Wir denken da-
bei nicht an zusätzliche neue Fächer; denn diese Inhalte
können in den bestehenden Fächern wie Chemie, Biolo-
gie und Sozial- und Naturkunde ihren Platz finden. Auch
im Bereich der Erwachsenenbildung und der beruflichen
Bildung sowie der Weiterbildung sollten die genannten
Lehrinhalte stärker Zugang finden.

Um diesen Prozess zu beschleunigen, müssen wir in
der Lehrerfortbildung, im Ernährungs- und Verbraucher-
schutz Themen besetzen. Wir müssen die Lehrkräfte be-
fähigen, entsprechende Unterrichtsinhalte zu vermitteln.
Wir wollen dabei der Schule nicht noch mehr gesell-
schaftliche Pflichten aufhalsen. Wir wissen, dass Lehre-
rinnen und Lehrer oftmals schon jetzt über Gebühr be-
lastet sind. Wir erhoffen uns durch die Beteiligung vieler
gesellschaftlicher Kräfte eine Atmosphäre, die das Um-
steuern bei Verbrauchern und bei Produzenten dauerhaft

in Gang setzt. Auch die Werbewirtschaft könnte mit einer
Selbstverpflichtung einen guten Beitrag dazu leisten.

Unser vorliegender Antrag beschreibt sehr genau die
Handlungsansätze, wie wir auf Dauer mit einer Mischung
aus Anreizen und Angeboten eine vorsorgliche Verbrau-
cherpolitik realisieren werden. In vielen Ihrer Beiträge
und in den Anträgen war sehr oft Übereinstimmung wahr-
zunehmen. Das kann man nachlesen. Ich denke, es dürfte
Ihnen aus diesem Grunde sicherlich nicht schwer fallen,
unserem Antrag zuzustimmen.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417106000
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6067, 14/6039 und 14/6053 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Günter Nooke, Ulrich Adam, Hartmut
Büttner (Schönebeck), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung

(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED – UnBerG)

– Drucksache 14/3665 –

(Erste Beratung 112. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Angelegenheiten der neuen
Länder (17. Ausschuss)

– Drucksache 14/6064 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Günter Nooke


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/6065 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Hans Jochen Henke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der
Fraktion der PDS
Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung
und Entschädigung für Opfer der politischen
Verfolgung in der DDR




Heinz Schmitt (Berg)


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(D)



(A)



(B)


– Drucksachen 14/2928, 14/6062 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Günter Nooke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst die Ab-
geordnete Barbara Wittig.


Barbara Wittig (SPD):
Rede ID: ID1417106100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Am 17. Juni 1992 bezeugte der Deutsche
Bundestag mit einer Ehrenerklärung all jenen tiefen
Respekt und Dank, die durch ihr persönliches Opfer dazu
beigetragen haben, das geteilte Deutschland in Freiheit
wieder zu einen. Diese Ehrenerklärung ist heute, wenn
wir über ein Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
sprechen, aktueller denn je.

Die Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen,
die in der DDR und zuvor in der sowjetischen Besat-
zungszone Opfer politischer Verfolgung geworden sind,
kann nur eine Anerkennung des Leids der Verfolgten und
ihrer Widerstandsleistung sein. Das erlittene Schicksal,
das ihnen zugefügte Unrecht ist, mit wie viel Geld auch
immer, nicht aufzuwiegen und wieder gutzumachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Den Freiheitsentzug können wir nicht rückgängig ma-
chen, das erlittene Unrecht nicht ungeschehen.

Die Rehabilitierungsgesetze der alten CDU/CSU-
F.D.P.-Regierung hatten viele Lücken und Mängel. Sie
hatten damals einen Entwurf vorgelegt, der eine Kapital-
entschädigung in Höhe von 300 DM pro Monat vorsah.
Erst im Vermittlungsausschuss wurde auf Druck der SPD-
Seite für diejenigen, die nach der Haft in der damaligen
DDR verbleiben mussten, der Betrag auf 550 DM ange-
hoben.

Von Anfang an gab es Kritik. Doch was sagte der da-
malige Parlamentarische Staatssekretär Funke am 10. Fe-
bruar 1993?

Ein weiteres SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zur
Schließung verbleibender Lücken wird es nicht
geben.

Herr Büttner, Sie haben uns vorgehalten:
... liebe Fraktion der SPD, mit Blick auf die ange-
spannte Lage der Staatsfinanzen und die finanziellen
Leistungen des Bundes für die neuen Länder wissen
wir, dass wir nicht alle notwendigen Aufgaben
gleichzeitig finanzieren können.

Außerdem sei es nicht zu verantworten, die Verschul-
dung unseres Staates zulasten künftiger Generationen zu
erhöhen. Jede Entschädigungshöhe löse Fragen der Haus-
haltsgerechtigkeit aus.

Auch eine einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe
von 600 DM, die unser Gesetzentwurf in der 13. Legisla-
turperiode beinhaltete, wurde nicht akzeptiert.

In diesem Zusammenhang muss ich noch einmal auf
die Plenardebatte am 17. Juni 1992 zurückkommen.
46 Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU hatten sich
der Erklärung des Abgeordneten Hartmut Büttner ange-
schlossen, mit der sie klarstellten, dass sie eine monatli-
che Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für ange-
messen hielten. Zu den Unterzeichnern gehörten auch
Frau Dr. Angela Merkel und Dr. Paul Krüger.

Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU: Wenn Ihnen die Forderungen der Opferver-
bände so wichtig waren, wie Sie es in Ihrer Erklärung be-
tont haben, warum haben Sie diese dann bei Theo Waigel
nicht durchgesetzt?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erst die neue Bundesregierung hat trotz aller Spar-
zwänge und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten
die Kritik der Verbände aufgegriffen und umgesetzt, Un-
zulänglichkeiten und Härten beseitigt und die Entschädi-
gungsleistungen verbessert. Mit unserem ab dem 1. Ja-
nuar 2000 geltenden Gesetz haben wir genau das
gemacht, was bei Ihnen nur Lippenbekenntnis geblieben
ist,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


nämlich einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe von
600 DM pro Monat rechtsstaatswidriger Haft und Verbes-
serung der Anerkennung haftbedingter Gesundheits-
schäden. Denn parallel zu der in Kraft getretenen Novelle
hatte die Bundesregierung die Bundesländer gebeten, alle
seit 1991 abgelehnten Anträge auf Anerkennung gesund-
heitlicher Verfolgungsschäden nochmals zentral von
Amts wegen zu überprüfen und in Zukunft in den Fällen,
in denen eine Ablehnung des Antrags beabsichtigt ist, eine
zentrale Überprüfung durch besonders geschulte und er-
fahrene Gutachter vorzunehmen. Die Länder zeigten sich
dabei übrigens sehr kooperativ. An dieser Stelle möchte
ich darauf verweisen, dass noch vor der Sommerpause ein
Bericht der Bundesregierung zu diesem Bereich vorgelegt
werden wird.

Weiterhin gehört zu diesen Verbesserungen, dass die
Leistungen für die Hinterbliebenen dahin gehend verän-
dert wurden, dass die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge ohne Einkommensprüfung Zahlungen leistet. In
den Jahren 2000 bis 2005 werden der Stiftung zusätzlich
1,2 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. So
können auch die aus den Gebieten östlich von Oder und
Neiße Verschleppten besser unterstützt werden. 2001
wurden die Mittel der Stiftung um weitere 5 Mil-
lionen DM aufgestockt. Schließlich haben wir die An-
tragsfristen verlängert. – Dies sind die Verbesserungen,
die wir vorgenommen haben.

Sie gestatten, dass ich an dieser Stelle aus dem „Sta-
cheldraht“ 6/99, dem Infoblatt des Bundes der stalinis-
tisch Verfolgten, zitiere:

Damit geht das Jahrtausend doch noch erfolgreich
für uns zu Ende, wird der Einsatz für Demokratie und
Menschenrechte gewürdigt.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
16762


(C)



(D)



(A)



(B)


Unser Dank gilt der rot-grünen Bundesregierung, die
sich unseren Forderungen angenommen hat, und al-
len Politikern, gleich welcher Ebene, die mit uns und
für uns gekämpft haben.

Soweit das Zitat aus dem „Stacheldraht“ 6/99.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr interessant!)


Dass diese Verbesserungen im federführenden Aus-
schuss für Angelegenheiten der neuen Länder einstimmig
gebilligt wurden – also auch mit Ihrer Stimme –, scheinen
Sie auch schon wieder vergessen zu haben. Sie wollen die
gerade erst erhöhte Kapitalentschädigung von 600 DM
auf 1 000 DM erhöhen und Sie wollen eine Ehrenpension.
Die Kosten für die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs be-
ziffern Sie mit 1,5 Milliarden DM. Sie schweigen sich
aber darüber aus, woher wir diese Summe, die Sie früher
nie einzusetzen bereit waren, jetzt nehmen sollen. Sie
bringen keinen Deckungsvorschlag, weil Sie dazu nicht in
der Lage sind. Sie hätten es doch während Ihrer Regie-
rungszeit in der Hand gehabt, eine Ehrenrente in Höhe
von 1 000 DM für jeden Betroffenen zu beschließen.
Warum haben Sie es nicht gemacht? Diese Frage müssen
Sie sich gefallen lassen und auf diese Frage müssen Sie
eine Antwort geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hinzu kommt, dass die seit mehreren Jahren angewen-

deten Rehabilitierungsgesetze Ausgleichsleistungen vor-
sehen – ich habe sie vorhin genannt –, eine Ehrenpension
aber eine Pauschalentschädigung wäre. Das heißt, die
Einführung einer Ehrenpension bei einer Verfolgtenrente
wäre mit dem konzeptionellen Ansatz der Rehabilitie-
rungsgesetze nicht vereinbar, da zusätzlich zu den nach
dem Baukastensystem gewährten Ausgleichsleistungen
keine Pauschalentschädigung gewährt werden kann.
Außerdem werfen Sie unterschiedlich schwere Schicksale
in einen Topf.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Wir stellen fest:
Erstens. Selbst in der Regierungsverantwortung war

die CDU/CSU nicht bereit, wirkliche Verbesserungen re-
habilitierungsrechtlicher Vorschriften vorzunehmen.

Zweitens. Obwohl sofort nach dem Regierungswech-
sel die Leistungen für die Opfer im Rahmen des beste-
henden Regelwerks – auch mit Ihren Stimmen – wesent-
lich verbessert wurden, hat die CDU/CSU weitere
unerfüllbare Hoffnungen bei den Betroffenen geweckt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417106200
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Barbara Wittig (SPD):
Rede ID: ID1417106300
Mein letzter Satz: Dies ist
unverantwortlich gegenüber den Betroffenen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417106400
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Günter Nooke.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417106500
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten gestern in
diesem Hause über den Aufbau Ost gestritten. Kollege
Werner Schulz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
übte sich dabei in heftiger Polemik gegen den von meiner
Fraktion eingebrachten Antrag zum Leitbild für den Osten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil das kein Leitbild war!)


Er hat unter anderem kritisiert, dass das Thema Erinne-
rungskultur nach seinem Geschmack viel zu knapp aus-
gefallen war. Kollege Schulz hatte dabei leider nicht bis
zum Ende gelesen; denn in unserem Antrag sind wir auch
auf das Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz einge-
gangen, das jetzt Tagesordnungspunkt ist. Dieser Gesetz-
entwurf ist für uns ein Element, zur Erinnerung an die
zweite deutsche Diktatur beizutragen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut! Wir erinnern uns gerne an das, was die CDU in der Vergangenheit nicht gemacht hat!)


Mindestens an diesem einen Punkt wird mit der heuti-
gen Tagesordnung die Debatte von gestern fortgesetzt, und
die Sorgen des Kollegen Werner Schulz, unsere Fraktion
würde zu wenig zur Erinnerungskultur in diesem Lande
beitragen, können spätestens heute zerstreut werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ihr seid unglaubwürdig!)


Nur ist unverständlich, warum heute von Rot-Grün ge-
nau das Gegenteil gesagt wird, nämlich dass die in unse-
rem Gesetzentwurf vorgesehenen Zahlungen nicht zu
knapp, sondern zu üppig ausfallen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen es ja nicht bezahlen!)


Auch der Verweis darauf, Frau Wittig, dass Unrecht auch
mit noch so viel Geld nicht ungeschehen gemacht werden
kann, hilft da nicht weiter. Das wissen wir auch.

Es geht um etwas ganz anderes: Die Mitglieder dieses
Hohen Hauses haben heute darüber abzustimmen, was ih-
nen das Erinnern an Diktatur wert ist. Aber nicht nur das:
Wir haben auch darüber abzustimmen, wie ernst wir es
mit dem bürgerschaftlichen Engagement meinen. Zu
einem solchen Engagement wird ja immer aufgerufen.
Diejenigen, für die wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet
haben – übrigens unter erheblicher Beteiligung der Be-
troffenen und in Zusammenarbeit mit ihnen –, haben un-
ter schwierigsten Bedingungen dieses bürgerschaftliche
Engagement gezeigt, nämlich unter den Bedingungen ei-
ner kommunistischen Diktatur.

Wir haben für unseren Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
führung einer Ehrenpension in den bisherigen parlamen-
tarischen Beratungen keine Mehrheit bei Rot-Grün ge-
funden. Nicht einmal den Mut zur freien Abstimmung
haben SPD und Grüne aufgebracht.


(Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)





Barbara Wittig

16763


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Situation, über die wir heute diskutieren, hat sich
aber – deshalb ist der Verweis auf die Kassenlage von
Theo Waigel auch nicht richtig –, seit dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts vom April 1999 verändert.


(Zuruf von der SPD: Zum Besseren!)

Wenn wir das in der Tagesordnung nachfolgende Ren-

ten-Überleitungsgesetz für Mitarbeiter der Staatssicher-
heit und für viele Privilegierte im SED-System in unsere
Betrachtungen einbeziehen, dann ist die Situation eindeu-
tig: Diejenigen, die die SED-Diktatur zu verantworten
hatten oder von ihr profitierten und gegen Freiheit kämpf-
ten, werden vom freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat,
vom wiedervereinigten Deutschland, belohnt. Diejeni-
gen, die für Freiheit und Demokratie kämpften, gehen leer
aus


(Barbara Wittig [SPD]: Dann haben Sie meine Rede nicht verstanden!)


und müssen zum Teil sogar von Sozialhilfe leben. Das,
was heute hier geschieht, können die Opfer der SED-Dik-
tatur zu Recht nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)


Politiker, die heute zum Kampf gegen Extremismus
aufrufen, sind unglaubwürdig, wenn sie nicht bereit sind,
denjenigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die so-
gar in einer Diktatur bereit waren, sich gegen den Staats-
terror zu stellen, und mit Verlust von Beruf und Gesund-
heit sowie nicht selten sogar mit dem Leben dafür bezahlt
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Frau Wittig, es entsteht leider der falsche Eindruck,
dass die Opfer der beiden deutschen Diktaturen des ver-
gangenen Jahrhunderts in der Öffentlichkeit und von Rot-
Grün bewusst unterschiedlich behandelt werden. Noch
immer hängt die 68er-Generation dem falschen linken
Weltbild an, dass der Sozialismus bzw. Kommunismus
eine gute und fortschrittliche Sache sei


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


und dass nur die Mittel der Stalinisten, der MfS-Offiziere
und der Parteisekretäre problematisch gewesen seien.


(Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Geschichtsklitterung!)


– Hören Sie bitte zu! – Anders als beim totalitären
System der Nazidiktatur erfindet man, zum Beispiel Ihr
Kollege Bahr, für die DDR Begriffe wie „undemo-
kratischer Rechtsstaat“. Dass SPD und Grüne den anti-
totalitären Konsens schon 1968 verlassen haben, ist ja
bekannt.


(Zuruf von der SPD: Das ist eine Unverschämtheit!)


Aber das hat heute leider Auswirkungen auf die Entschä-
digung der Opfer der zweiten Diktatur in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie reden doch nur Müll, wirklich nur Müll!)


Das, über was wir hier diskutieren, passt nicht in Ihr poli-
tisches Koordinatensystem. Wer den Unterschied zwi-
schen Diktaturen stärker betont als den zwischen Diktatur
und Demokratie, der macht sehr schnell auch einen Un-
terschied bei der Entschädigung der Opfer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo sind Sie nur gelandet, Herr Nooke?)


Insofern ist die heutige Debatte auch ein Aufschrei gegen
die öffentliche Meinungsbildung: Rechts ist gleich rechts-
extrem; links ist einfach nur gut; linksextrem hat es nie
gegeben und gibt es auch heute nicht.


(Barbara Wittig [SPD]: Das ist doch völliger Quatsch, was Sie erzählen!)


Seit knapp einem Jahr liegt unser Entwurf eines Drit-
ten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht in den
Ausschüssen vor. Sie wollen ihn heute niederstimmen.
Wir haben heute darüber abzustimmen, was uns das
Engagement einzelner Menschen für Demokratie und
Rechtsstaat wert ist. Diese konkrete Form der Erinne-
rungskultur hat nicht nur etwas mit der Vergangenheit,
sondern auch sehr viel mit der Zukunft unseres Landes zu
tun. Dessen sollten sich alle bewusst sein.

Wir müssen genau hinhören und hinschauen, wie unser
Umgang im Deutschen Bundestag mit 40 Jahren SED-
Diktatur von den Opfern wahrgenommen wird, die sich
dagegen aufgelehnt haben. Die Hoffnungen derjenigen,
die bis 1989 dem politischen System der DDR Opposition
und Widerstand entgegengesetzt haben,


(Monika Ganseforth [SPD]: Die werden von Ihnen missbraucht!)


haben sich allerdings nur zum geringen Teil erfüllt. Ich
wiederhole als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion und de-
ren stellvertretender Vorsitzender ganz bewusst das, was
ich schon vor knapp einem Jahr hier gesagt habe: In die-
sem Hohen Hause ist bisher zu wenig für die Opfer der
SED-Diktatur getan worden, und das trifft auch auf unsere
Fraktion zu.


(Zuruf von der SPD: Da hat er Recht!)

Aber bitte: Ich halte es für richtig, dass wir uns auch an-
gesichts dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils vom
April 1999 jetzt noch einmal die Frage stellen, ob die Wür-
digung der Opfer der SED-Diktatur wirklich angemessen
ist und ob wir hier nicht die Chance haben, auch einen po-
litischen Willen zu demonstrieren. Es kann doch nicht
sein, dass wir als Gesetzgeber nur Geld haben, wenn uns
das Verfassungsgericht dazu zwingt, und politisch über-
haupt keine eigene Meinung dazu haben, wie wir für das,
was wir politisch für richtig halten, Mittel bereitstellen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Günter Nooke
16764


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, wir, die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, sollten den politischen Willen
demonstrieren und durchsetzen, eine solche angemessene
Entschädigung auf den Weg zu bringen, und zwar jetzt.


(Zuruf von der SPD: Ich habe selten so viel Heuchelei auf einmal gehört!)


Eine Behandlung des Themas ausschließlich nach Kas-
senlage halte ich für schädlich und unaufrichtig.


(Barbara Wittig [SPD]: Warum haben Sie es denn damals nicht gemacht?)


– Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es heute eine andere
Situation gibt. Das werden wir gleich beim nächsten Ta-
gesordnungspunkt behandeln.

Die Nachzahlungen für die Zusatz- und Sonderversor-
gungssysteme, die viele ehemalige SED-Kader in An-
spruch genommen haben und noch nehmen werden, er-
fordern letztendlich auch viel Geld. Die Größenordnung
dieser Nachzahlungen ist dieselbe wie die für die von uns
vorgeschlagene Ehrenpension. Alle rechtspositivistischen
Argumente, man könne das eine nicht mit dem anderen
vermengen, sind politisch nicht akzeptabel.


(Zuruf von der SPD: Sie machen das ganz bewusst!)


Übrigens hat ja gerade unser Gesetzentwurf auch den
Vorteil, dass die Entschädigung für Haftopfer und die An-
erkennung und Würdigung von Opposition und Wider-
stand in der DDR eben nicht über das Rentensystem
verwirklicht werden soll. Wir haben das bewusst „Ehren-
pension“ genannt.

Die Fraktion der CDU/CSU möchte mit dem vorlie-
genden Entwurf für ein Drittes Gesetz zur Bereinigung
von SED-Unrecht eine abschließende und, wie wir mei-
nen, auch allgemein akzeptable Würdigung von Opposi-
tion und Widerstand erreichen. Wir halten die jetzige
Regelung für politische Opfer des SED-Regimes für nicht
ausreichend und demzufolge für ungerecht. Auch Oppo-
sition und Widerstand gegen die SED-Diktatur, die diese
schließlich ja beseitigt haben, gehören zu den historischen
Leistungen, auf die alle Deutschen mit Recht stolz sein
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber solange sich die Opfer des SED-Regimes wie poli-
tische Opfer zweiter Klasse fühlen müssen, so lange ist
nach meiner Auffassung der Rechtsstaat und sind wir hier
in der Pflicht.

Der materielle Wert dieser Ehrenpension kann natür-
lich nicht die verlorenen Jahre der Haft wiederbringen
oder die intensive Verfolgung durch die Staatssicherheit
der DDR ungeschehen machen. Das wissen wir. Das hat
übrigens auch nie einer der Betroffenen gefordert. Aber
wir wissen auch, dass uns dieses Thema bei einem nega-
tivem Votum, wie ich es aus Ihren Zwischenbemerkungen
hier heraushöre, trotzdem noch lange beschäftigen wird.
Die von uns vorgeschlagene Ehrenpension ist nicht nur
aus dem Blickwinkel des Haushalts zu betrachten.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, ich fordere Sie noch einmal eindringlich auf, hier
jetzt über Ihren Schatten zu springen und ein Zeichen zu
setzen, ein politisches Zeichen mit Langzeitwirkung.
Wenn nicht, so wird auch das von langer Wirkung sein,
aber es nützt keinem von uns, und meines Erachtens scha-
det es sogar der Freiheit und der Demokratie.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417106600
Jetzt spricht der Herr
Kollege Christian Ströbele für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Das war unter Ihrem Niveau, Herr Kollege Nooke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der SPD: Nein, das war sein Niveau! – So ist er!)


Sie versuchen, die Hoffnungen und Sorgen der Verfolgten
für parteipolitische Ziele zu missbrauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wissen genau, dass es für Bündnis 90/Die Grünen seit
ihrer Gründung, seit der Vereinigung, ein Anliegen von
grundsätzlicher Bedeutung, geradezu ein Gründungsan-
liegen war, sich um die Verfolgten und deren Rechte und
soziale Sicherheit zu kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daran waren Sie beteiligt, so lange Sie noch bei den Grü-
nen gewesen sind.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ich war nie bei den Grünen!)


Auch wissen Sie ganz genau, dass alle unsere Versuche
in der Zeit von 1990 bis 1998 Jahr für Jahr, Legislaturpe-
riode für Legislaturperiode ins Leere gelaufen sind,


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Dann machen Sie es doch jetzt!)


weil die Bundesregierung und die damalige Koalition
nicht bereit waren, irgendetwas zu tun. Sie, Herr Nooke,
haben sich damals selbst darüber aufgeregt, dass die alte
Koalition es für richtig gehalten hat, dass man den in der
DDR Inhaftierten nur die Hälfte der Haftentschädigung
gibt, die Gefangene in der Bundesrepublik bekommen
hätten.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Haben Sie nicht zugehört?)


Über diese Ungerechtigkeit haben Sie sich damals aufge-
regt. Wo ist heute Ihre Empörung?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Günter Nooke [CDU/CSU]: Das habe ich doch gesagt!)


Herr Kollege Nooke, wir haben unsere Versprechun-
gen gehalten. Wir haben – das wissen Sie auch, weil Sie




Günter Nooke

16765


(C)



(D)



(A)



(B)


dabei waren – nie eine Ehrenpension oder eine Ehrenrente
gefordert. Dieses Instrument stammt aus DDR-Zeiten; es
ist eine Erfindung der DDR. Deshalb gibt es dieses In-
strument im System der Entschädigung für politisch Ver-
folgte in der Bundesrepublik grundsätzlich nicht.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Wir zahlen das aber für die Altopfer!)


Sie wissen auch, dass das, was wir nachher diskutieren
werden, nämlich die Schlussfolgerungen aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts, dass die Renten der
Stasi-Mitarbeiter angepasst werden müssten, keine rot-
grüne Erfindung ist. Das haben wir uns doch nicht ausge-
dacht! Aber wir müssen dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts folgen. Das wissen Sie und das ist kein
Anlass, hier eine solche Regelung vorzuschlagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich!)

Wir sind erstens deshalb gegen diese gesetzliche Rege-

lung, weil sie nicht finanzierbar ist. Unter dem Strich kos-
tet sie pro Jahr nicht 1,5 Milliarden DM, sondern bis zu
2 Milliarden DM. Sie wollen diese Regelung mindestens
zehn Jahre lang anwenden; in dieser Zeit werden dafür
mindestens 20 Milliarden DM aufzubringen sein. Eine
Aussage, woher wir dieses Geld angesichts der leeren
Kassen nehmen sollen, die Sie uns hinterlassen haben,
vergessen Sie in Ihrem Entwurf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind zweitens deshalb gegen diese Regelung, weil
sie in sich ungerecht ist und in dem System der Entschä-
digung, das in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahr-
zehnten praktiziert wird, neue Ungerechtigkeiten schaffen
würde. Wir sind der Auffassung, dass die Leute, die sei-
nerzeit im Gefängnis gewesen sind, dafür die Entschädi-
gung bekommen sollen, die sie auch in der Bundesrepu-
blik bekommen hätten. Deshalb haben wir trotz der
Kassenlage, die Sie uns hinterlassen haben, eine Rege-
lung gefunden – eine solche Regelung haben wir früher
immer gefordert; für sie sind die Bündnisgrünen und die
SPD in den Wahlkampf gegangen –, die eine Verdoppe-
lung der Entschädigung beinhaltet. Diese Leistung haben
Sie in den acht Jahren zuvor, in denen die CDU an der Re-
gierung war, nicht fertig gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417106700
Herr Kollege
Ströbele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Nooke?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wird.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417106800
Herr Kollege Ströbele,
ich wollte heute über Ihre Politik und Ihren politischen
Willen reden. Aber Sie haben jetzt wieder die Kassenlage
nach vorne geschoben. Ich frage Sie, ob Sie für die Opfer
der SED-Diktatur Verständnis haben, wenn sie heute sa-

gen, sie hätten dieses wiedervereinigte Deutschland
1989/90 ein Stück weit auf den Weg gebracht, ohne sie
gäbe es dieses wiedervereinigte Deutschland nicht. Ohne
diese Opfer würden wir heute hier nicht stehen, ohne diese
Opfer hätte auch der Finanzminister seine Mobilfunkli-
zenzen nicht für ganz Deutschland, sondern nur für eine
um ein Fünftel kleinere Bevölkerung verkaufen können.


(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses eine Fünftel macht schon die 20 Milliarden DM
aus, die Sie gerade angesprochen haben, wobei die Zahl
übrigens falsch ist. Die von Ihnen vorgetragenen Zahlen
sind viel zu hoch. Es kostet weniger; gucken Sie in unse-
ren Gesetzentwurf.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nerung habe, hat Ihre Partei die UMTS-Milliarden schon
mehrfach ausgegeben.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wo?)

Sie können also nicht immer wieder mit diesem Geld ar-
gumentieren.


(Zustimmung bei der SPD)

Wir versuchen, mit diesem Geld – das ist von diesem

Podium aus schon häufig genug gesagt worden – ein biss-
chen von dem wiedergutzumachen, womit Sie die ge-
samte Bundesrepublik Deutschland geschädigt haben,
nämlich von dem Schuldenberg, der die vernünftige Poli-
tik, die wir uns vorstellen, leider nicht vollständig mög-
lich macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)


Wir können ja nur in einem bestimmten Rahmen agieren,
weil wir ununterbrochen damit beschäftigt sind, Ihre alten
Schulden abzubauen.

Nun sage ich Ihnen, warum Ihr Vorschlag in sich un-
gerecht ist: Sie setzen es gleich, ob jemand ein Jahr oder
fünf Jahre oder 15 Jahre lang in der ehemaligen DDR in
Haft gewesen ist oder ob er mit anderen Maßnahmen
außerhalb von Haftanstalten, etwa durch Observation, ge-
schädigt worden ist. Sie wollen dem, der 15 Jahre in Baut-
zen gewesen ist, genau so viel Pension wie dem geben, der
zwei Jahre lang Observationsmaßnahmen ertragen
musste. Das war schlimm genug. Aber das eine war ein
Vermögensschaden, während das andere ein unendlich
großer Schaden für seine Person, seine Familie und seine
Gesundheit war. Man kann das nicht gleichsetzen. Dieser
Vorschlag ist deshalb in sich ungerecht. So kann man es
auf gar keinen Fall machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Vorschlag passt aber auch nicht in das System. In
der Bundesrepublik Deutschland gibt es im System der
Entschädigung politisch Verfolgter keine Ehrenpension.
Es wäre ungerecht, wenn wir für diesen Teil der politisch




Hans-Christian Ströbele
16766


(C)



(D)



(A)



(B)


Verfolgten eine entsprechende Regelung schaffen wür-
den. Dies würde zu erheblichen Ungleichbehandlungen
und schwer hinnehmbaren Tatbeständen im Vergleich zu
anderen politisch Verfolgten in der Bundesrepublik, über
die wir gerade in der letzten Zeit so viel reden, führen. Wir
müssen zu gerechten Lösungen kommen.

Bündnis 90/Die Grünen ist mit seinen Bemühungen
auch noch nicht am Ende.


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Noch nicht!)

Wir werden vorschlagen, zu überprüfen, ob Verbesserun-
gen für politisch Verfolgte, die in eine soziale Notlage ge-
raten sind, möglich sind. Wir sind bereit, darüber nachzu-
denken, und werden die Bundesregierung drängen,
genaue Berichte dazu vorzulegen, wie politisch Verfolgte
im Rentensystem der Bundesrepublik heute behandelt
werden. Es muss geprüft werden, ob in diesem Bereich
Verbesserungen vorgenommen werden können und ob die
Haft- bzw. Nachhaftzeiten mehr als in der Vergangenheit
angerechnet werden müssen.

Zusätzlich zu den Leistungen, die diese Bundesregie-
rung auf den Weg gebracht hat, wollen wir, dass weitere
soziale Leistungen erbracht werden. Wir sind uns darin ei-
nig, dass man die Wiedergutmachung der Leiden niemals
mit Geld erreichen kann. Man kann auch jahrzehntelange
Gefängnisaufenthalte nicht wiedergutmachen und kann
die dem Betroffenen und seiner Familie entstandenen
Schäden nicht mit Geld aufwiegen. Man kann aber dazu
beitragen, dass diese Menschen heute ein einigermaßen
sozial gesichertes Leben führen können. Wir sind bereit,
weiter über Verbesserungsvorschläge nachzudenken, sie
zu beraten und möglicherweise in Zukunft auch umzuset-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417106900
Nächster Redner ist
für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Jürgen Türk.


Jürgen Türk (FDP):
Rede ID: ID1417107000
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Ströbele, es
reicht nicht aus, immer wieder damit zu argumentieren,
dass die Vorgängerregierung es nicht gemacht habe und
die jetzige Regierung es deshalb ebenfalls nicht machen
müsse.


(Zurufe von der SPD: Doch!)

Das ist wirklich billige Polemik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch etwas gemacht! Sie nicht!)


Im November 1999 hat die F.D.P. – natürlich viel zu
spät – einen Entschließungsantrag zum Entwurf eines
Zweiten Rehabilitierungsgesetzes der Bundesregierung in
den Bundestag eingebracht.


(Ilse Janz [SPD]: Vorher habt ihr euch nicht getraut, als ihr regiert habt!)


Wir haben aus vollster Überzeugung eine Opferpension
gefordert. Da wir eben nicht beratungsresistent sind, for-
dern wir, dass in diesem Bereich noch etwas passieren
muss. Man kann das Leid zwar nicht ganz mit Geld auf-
wiegen, man muss aber zum Ausdruck bringen, dass hier
etwas wiedergutzumachen ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gemäß dem alten Spiel „Wenn die Opposition einen
Vorschlag unterbreitet, wird dieser generell abgelehnt“ ist
auch dieser Entschließungsantrag leider abgelehnt wor-
den. Jetzt aber haben wir die Gelegenheit, ein Stück weit
mehr Gerechtigkeit für die Betroffenen herzustellen, ge-
rade im Vergleich zum AAÜG – das kann zwar niemand
aussprechen, aber es muss in dem Zusammenhang beach-
tet werden –,


(Barbara Wittig [SPD]: Das muss man nicht!)

gemäß dem die Täter teilweise mehr Geld bekommen sol-
len. Das muss man ganz einfach in Bezug setzen und auch
den Opfern mehr Geld geben. Sie sagen ja immer wieder
gebetsmühlenartig, dass Sie dies nicht regeln müssen,
weil wir es auch nicht geregelt hätten. Das ist wirklich
kein Argument.


(Barbara Wittig [SPD]: Wir haben das gemacht, was in der Erklärung steht! 600 DM!)


Es ist richtig, dass man in dieser Sache mehr hätte machen
müssen; das bestreiten wir gar nicht. Aber jetzt ist die Ge-
legenheit da!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um einmal Ihre alten Sprüche aufzuwärmen: Sie haben
gesagt, Sie wollten alles besser machen. Machen Sie es
doch jetzt ganz einfach mit uns zusammen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir doch! Wir haben die Entschädigungen verdoppelt!)


Lassen Sie uns mit der Opferrente den Mut der Menschen,
die überdurchschnittlich viel Zivilcourage gezeigt haben
– das waren ja nicht ganz so viele –, anerkennen. Wenn
wir das gemeinsam hinbekommen, werden sich diese
Menschen bei uns gemeinsam bedanken.


(Zuruf von der SPD: Hören Sie doch auf!)

Es wird nun immer geklagt, es sei zu wenig Geld vor-

handen. Als wenn unser Handeln nur vom Geld abhängig
wäre! Ich glaube, es kommt auf den Willen an – siehe Kin-
dergeld.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drucken wir es einfach, oder wie?)


Ich will einen ganz praktischen Vorschlag machen. Wir
stellen richtigerweise Mittel für die Nazi-Opfer bereit.
Dieser Personenkreis nimmt natürlich immer mehr ab.




Hans-Christian Ströbele

16767


(C)



(D)



(A)



(B)


Warum können wir nicht gemeinsam darüber nachden-
ken, wie wir diese Mittel schrittweise umschichten kön-
nen, um damit auch in der DDR politisch Verfolgten zu
entschädigen?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Welche Mittel?)


Ich sage es noch einmal: Wo ein politischer Wille ist
– den kann ich allerdings bei Ihnen nicht erkennen –, ist
auch ein Weg.


(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Den Willen haben wir!)


Da dieser Wille aber im Entwurf der CDU/CSU zu erken-
nen ist, bitte ich Sie, wie wir diesem Entwurf zuzustim-
men und den PDS-Antrag nicht abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417107100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Werner Schulz das
Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Günter Nooke hat mich in Bezug auf die gestrige
Debatte persönlich angesprochen. Er scheint diese De-
batte noch nicht verdaut zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will deutlich sagen: Es geht hier nicht um Erinne-

rungskultur. Während Christian Ströbele gesprochen hat,
habe ich das Schlagwort „RAF-Rente“ gehört.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Hier geht es nicht um Erinnerungskultur, sondern es geht
Ihnen darum, auf dem Rücken der Opfer eine parteipoli-
tische Auseinandersetzung um ein diffuses, anachronisti-
sches Links/Rechts-Verständnis auszutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Um es ganz klar zu sagen: Ich lehne den von Ihnen ein-
gebrachten Gesetzentwurf ab. Herr Klinkert, ich lehne
aber nicht den Auftrag und die Verantwortung ab, dass wir
uns für eine bessere materielle Entschädigung der Opfer
politischer Verfolgung und für ihre bessere gesellschaftli-
che Anerkennung einsetzen müssen. Aber genau da liegt
der wunde Punkt in Ihrem Antrag: Was haben Sie denn in
der Zeit von 1990 bis 1998 getan? Wir sind es, die heute
Reparaturarbeiten durchführen müssen. Das gilt auch für
den nächsten Tagesordnungspunkt, die Stasi-Renten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Günter Nooke hat öffentlich auf zynische Art und
Weise den Zusammenhang hergestellt, dass wir die Täter
belohnen würden, aber nichts für die Opfer täten.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Zu wenig!)


Sie waren es, die das Rentenrecht als Strafrecht miss-
braucht haben.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das habt ihr mitbeschlossen!)


Wir haben hier ein Defizit der Ära Kohl zu beseitigen. Es
tut mir bitter weh, dass wir das tun müssen. Es gab bei-
spielsweise für einen Fluchthelfer aus Westdeutschland
300 DM pro Monat Haftentschädigung, wenn er in Baut-
zen einsaß. Aber Willi Stoph, der ehemalige Ministerprä-
sident und Verteidigungsminister der DDR, bekam für
seine Untersuchungshaft im vereinigten Deutschland eine
Haftentschädigung von 600 DM pro Monat. Mit diesem
Unrecht konnten Sie locker leben.

Die neue Bundesregierung gesteht jedem Opfer diese
600 DM pro Monat Entschädigung zu, Herr Büttner.


(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Überhaupt nicht!)


Es gibt Nachzahlungen und verbesserte Entschädigungs-
zahlungen. Wir haben das getan, wozu Sie nicht bereit
waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihr Gesetzentwurf ist unglaubwürdig, ungerecht und
unbezahlbar. Er ist im Grunde genommen unverschämt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417107200
Zur Erwiderung, Herr
Kollege Nooke, bitte.


(Dr. Christine Lucyga [SPD]: Noch einmal? Schmerz lass nach!)



Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417107300
Lieber Kollege Werner
Schulz, ich sage ganz deutlich, dass ich in puncto Zynis-
mus nicht mit Ihnen in Konkurrenz treten will. Ich glaube
auch nicht, dass ich das könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Arroganter Hund! – Weitere Zurufe)


– Wer hier was nicht verarbeitet hat, lassen wir einmal da-
hingestellt.

Unsere Fraktion und ich persönlich haben ganz klar ge-
sagt: Wir haben bis 1998 zu wenig für die Entschädigung
der Opfer der SED-Diktatur getan.


(Zuruf von der SPD: Späte Einsicht!)

– Daran gibt es jetzt überhaupt nichts zu kritisieren. Es
muss doch möglich sein – Herr Türk hat es bereits ge-
sagt –, aufgrund neuer Situationen wieder nachzudenken
und zu neuen Schlussfolgerungen zu kommen.

Wir haben nicht nur Schulden hinterlassen, sondern ha-
ben auch eine ganze Menge für die deutsche Einheit ge-
tan. Trotzdem kann man sich fragen, wo es noch offene
Punkte gibt. Wir wurden durch das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts gezwungen, einer anderen Gruppe




Jürgen Türk
16768


(C)



(D)



(A)



(B)


höhere Renten zu gewähren. Wenn wir diejenigen beloh-
nen müssen, die gegen Freiheit und Demokratie waren,
dann müssen wir uns schon fragen, ob wir nicht auch für
diejenigen Geld haben, die Freiheit und Demokratie er-
kämpft haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrich Kasparick [SPD]: Ich gehörte zur Opposition! Sie haben damals nur zugeguckt! Sie sind so etwas von verlogen! Ich gehöre zu denen, die da gestanden haben! Unglaublich! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Reg dich wieder ab! – Weitere Zurufe von der SPD: Unerträglich!)


– Kollege, zurzeit habe ich hier das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417107400
Herr Kollege Nooke,
bitte beenden Sie die Diskussion und fahren Sie mit Ihrer
Kurzintervention fort.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417107500
Ich will auf die
Links-rechts-Diskussion nicht eingehen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Ich habe meine Meinung dazu gesagt. –Auf das, was der
Kollege Werner Schulz hier geäußert hat, möchte ich ent-
gegnen: Wieso wird denn sonst nicht bei einer Diskussion
über die Entschädigung von Opfern die Kassenlage
bemüht, sondern nur Moralität ins Gespräch gebracht?
Auch in Bezug auf die Opfer der zweiten Diktatur in
Deutschland sollte es nicht – jedenfalls nicht in erster Li-
nie – um die Kassenlage gehen, sondern um unseren po-
litischen Willen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ulrich Kasparick [SPD]: Unglaublich!)


Auf 5 Milliarden DM der deutschen Wirtschaft kann man
ganz nebenbei verzichten.


(Zuruf von der SPD: Mischen Sie diese Sachen nicht zusammen! – Weitere Zurufe von der SPD: Unglaublich!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417107600
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte darum, dem Kollegen Nooke die
Möglichkeit zu lassen, seine Kurzintervention zu be-
enden.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1417107700
Als Letztes : Als wir die-
sen Gesetzentwurf im Sommer des vergangenen Jahres
hier eingebracht haben, ging ich davon aus, dass wir es
– der Kollege Ströbele hat es gesagt – mit keiner einfa-
chen Gesetzgebungsmaterie zu tun haben; denn es gilt zu
klären, wie hoch, wie gerecht und in welcher Form man
die Entschädigung konzipiert. Ich habe gehofft, dass wir
darüber einmal reden und vielleicht genau überprüfen,
wie viel Geld uns zur Verfügung steht. Dass Sie sagen,
eine Ehrenpension sei zu teuer und funktioniere nicht,
dass Sie sie im Prinzip ablehnen und dass Sie sich wei-
gern, mit uns in der Sache zu diskutieren, wird eine Lang-

zeitwirkung haben. Wir sind mit diesem Thema heute
nicht fertig.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben nicht zugehört! Das hat keiner gesagt!)


– Je lauter Sie schreien, desto lauter wird das Echo von
draußen sein.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417107800
Nächster Redner ist
der Staatsminister Rolf Schwanitz.


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1417107900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will fol-
gende Bemerkung vorausschicken. Ich habe davor Res-
pekt, dass die Opfer von SED-Unrecht eine Ehrenpension
wollen und dafür streiten. Diese Menschen mussten übri-
gens acht Jahre lang warten, bis sie 600 DM Kapitalent-
schädigung bekommen konnten. Dieses Geld haben sie
erst nach dem Regierungswechsel erhalten. Bei diesen
Menschen sind Bitterkeit und Verletzungen entstanden.
Das ist ganz schwierig.

Man muss den Betroffenen aber auch sagen, dass das
Modell Ehrenpension nicht realisierbar ist, und zwar nicht
nur, weil Sie die Zahlen schönrechnen. Sie wissen doch
selbst, dass die Ehrenpension ein Element der Entschä-
digung ist, die es nur für NS-Opfer in den neuen Bundes-
ländern, die dort schon zur DDR-Zeit gelebt haben, gibt.
Dass das Recht auf den Bezug einer solchen Pension ver-
längert worden ist, hat weniger etwas damit zu tun, dass
man die NS-Opfer in gleichem Maße entschädigen wollte,
als vielmehr damit, dass die DDR vor allen Dingen in
ihrem diplomatischen Verhältnis zu Israel Schindluder ge-
trieben hatte. Man wollte die deutsche Einheit nicht her-
beiführen und zuallererst das Recht auf den Bezug der Eh-
renpension streichen. Das war das eigentliche Thema.

Wenn man jetzt – das wissen Sie – alle SED- und
SBZ-Opfer diesbezüglich mit den NS-Opfern gleichstel-
len wollte, dann hätte das weit über dieses Thema und
weit über Deutschland hinaus auf alle NS-Opfer eine prä-
judizierende Wirkung. Darüber haben wir im Ausschuss
intensiv gesprochen, auch wenn Sie das hier nicht mehr
wahrhaben wollen.


(Jürgen Türk [F.D.P.]: Es geht doch gar nicht um die Beteiligung!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108000
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?


Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1417108100

Nein. Ich habe ruhig und geduldig zugehört; jetzt hören
Sie auch mir einmal zu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass gerade Sie jetzt parlamentarisch für die Ehren-

pension eintreten, das finde ich einfach unanständig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Günter Nooke

16769


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage Ihnen, warum:
Erstens. Sie haben die Emotionen durch Ihren Umgang

mit diesem Verfassungsgerichtsurteil und mit dem Thema
Stasirenten ganz bewusst angeheizt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe alles gelesen, was in dieser Hinsicht geschrieben
und von Ihnen entsprechend kommentiert worden ist:
Superrenten würden da gemacht. Wir werden den Tages-
ordnungspunkt nachher diskutieren, ich will dem nicht
vorgreifen. In der Regelung wird keinen Zentimeter über
das hinausgegangen,


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das haben wir Ihnen nicht vorgeworfen!)


was das Verfassungsgericht dem Deutschen Bundestag
als Pflichtenlage aufgetragen hat. Das haben wir uns nicht
ausgesucht, sondern – Sie haben darauf hingewiesen,
Herr Schulz auch noch einmal – das ist Ihr Recht ge-
wesen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Gemeinsames Recht! Das haben wir gemeinsam beschlossen, Sie mit!)


Über das verfassungsrechtliche Risiko ist im Deutschen
Bundestag intensiv diskutiert worden, damals übrigens
mit anderen Anträgen von der Opposition. Tun Sie nicht
so, als sei das alles überraschend gekommen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das haben wir gemeinsam beschlossen!)


Der zweite Punkt: Ich habe mir die Liste mit den Na-
men derer angesehen, die Ihren Antrag unterschrieben ha-
ben. Ein großer Teil derer, die sich auf die Unterschrif-
tenliste gedrängt und den Antrag unterschrieben haben,
hat in der namentlichen Abstimmung damals gegen die
600 DM Kapitalentschädigung gestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)


Sie, Herr Nooke, waren damals noch nicht im Deutschen
Bundestag, aber ich erinnere mich daran, dass Sie als
Volkskammerabgeordneter 1990 noch nicht einmal für
den Einigungsvertrag stimmen konnten, in dem das Re-
habilitierungsrecht enthalten war. Sie haben gar keinen
moralischen Anspruch, heute so etwas politisch hier zu
vertreten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie Sie das als ostdeutscher Interessenvertreter hin-
kriegen, ohne für den Einigungsvertrag gestimmt zu ha-
ben, müssen Sie in Ihren eigenen Reihen irgendwann ein-
mal klären, vielleicht auch vor dem Parlament.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Erklärung zum Abstimmungsverhalten! – Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämt!)


Meine Damen und Herren, Sie wollen heute von Ihrem
politischen Versagen in doppelter Art und Weise profitie-
ren: einmal, weil sie den Opfern wichtige Verbesserungen

der Leistungen vorenthalten haben, und zum Zweiten,
weil Sie die Ursache für dieses Verfassungsgerichtsurteil
gesetzt haben. Das finde ich perfide. Ich würde still sein,
leise sein, ruhig sein und nicht versuchen, politisches Ka-
pital daraus zu schlagen, was Sie hier tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit, was Sie da machen! Das passt zu dieser Regierung!)


Wir werden – das haben wir mit dem Verbesserungs-
gesetz 1999 auch erklärt – die offenen Fragen weiter an-
gehen: die Auswertung der Überprüfung der Anerken-
nung gesundheitlicher Haftschäden, die Antragsfrage,
die wir noch in diesem Jahr behandeln müssen, und auch
die Empfehlung des Bundesrates, bei den verfolgten
Schülern im Rentenrecht in die Prüfung einzutreten. Das
haben wir zugesagt, und das werden wir auch tun. Im
Herbst werden wir darüber reden. Aber hören Sie auf, sol-
che Schaufensteranträge zu stellen. Das ist nichts anderes
als die politische Instrumentalisierung der Wünsche und
Hoffnungen der Opfer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Pfui!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108200
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Petra Pau für die PDS-
Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108300
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es stimmt, 1999 hatten wir in der De-
batte um das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Rehabi-
litierung hier sehr große Einigkeit, was sich dann auch in
den Abstimmungsergebnissen ausdrückte. Drei Fragen
spielten aber auch damals schon eine Rolle, sowohl in der
Anhörung als auch hier in der Debatte und in den Ge-
sprächen und Treffen mit den Betroffenen einschließlich
ihrer Verbände.

Nachdem dieses Gesetz nun über ein Jahr gilt, zeigt die
Praxis, dass diese Probleme nach wie vor auf der Tages-
ordnung stehen. Es geht um die Frage der Nachzahlung
von Amts wegen. Offensichtlich ist die Hürde der Infor-
mation und Antragstellung für die einzelnen Betroffenen
nach wie vor zu hoch. Es geht um die verfolgten Schüler,
welche – bis auf eine ganz kleine Gruppe – weiter von ei-
ner Entschädigung ausgeschlossen sind. Und es gibt in der
Praxis nach wie vor erhebliche Probleme beim Nachweis
und bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden durch
Haft oder Verfolgung.

Ich finde, das Argument, welches uns in den Aus-
schussberatungen entgegen gehalten wurde, der Auf-
wand, sich diesen drei Themen zuzuwenden und insbe-
sondere von Amts wegen tätig zu werden, sei zu hoch, ist
kein Argument, wenn wir uns klar machen, dass es hier
um konkrete Schicksale, um Menschen geht, die offen-
sichtlich auch über das Gesetz und die Ansprüche hinaus
Hilfestellung brauchen, um diese Ansprüche überhaupt
geltend machen zu können.

So weit zu dem Antrag der PDS. Ich habe eben ver-
nommen, dass Sie sich dem Thema im Herbst zuwenden




Staatsminister Rolf Schwanitz
16770


(C)



(D)



(A)



(B)


wollen. Es sollte Ihnen deshalb leicht fallen, diesem An-
trag heute zuzustimmen; denn darin werden Sie nur
aufgefordert, tätig zu werden. Wir haben ja nicht gesagt,
wie das Gesetz aussehen soll.


(Beifall bei der PDS)

Nun zum CDU/CSU-Entwurf. Kollege Nooke, ich

gebe zu: Sie machen es mir sehr schwer, meine Empfeh-
lung an meine Fraktion auf Zustimmung zu Ihrem Antrag
aufrechtzuerhalten. Denn wer heute in der Debatte und im
folgenden Schlagabtausch Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter und Verfolgte des Naziregimes gegen die-
jenigen stellt, die in der DDR Opfer geworden sind, – wie
Sie es auch gerade mit Ihrem Zwischenruf wieder getan
haben – zeigt mir, dass es ihm offensichtlich tatsächlich
nicht um diejenigen geht, die betroffen sind, sondern dass
er hier nur ein ideologisches Spiel betreibt.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem ganz kurz noch zu diesem Antrag. Wir haben
in Gesprächen mit den Verfolgten des Stalinismus deut-
lich gemacht, dass wir uns mit dem Begriff der Ehren-
pension – nicht nur aufgrund der Gleichsetzung – nicht
anfreunden können, dass wir aber dem Gedanken einer
pauschalisierten Zahlung an die Betroffenen, der schon
damals in den Anhörungen eine Rolle spielte, durchaus
näher treten können, aus diesem Grunde unsere Vorbe-
halte gegen die Begründungen, die letztendlich nicht ab-
gestimmt werden, zurückstellen und im Interesse der
Menschen einem solchen Antrag zustimmen; denn es geht
um ihr Schicksal und die Anerkennung nicht nur ihrer Le-
bensleistung, sondern vor allem dessen, was ihnen wider-
fahren ist.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes der Fraktion
der CDU/CSU; es handelt sich um die Drucksache
14/3665. Der Ausschuss für Angelegenheiten der neuen
Länder empfiehlt auf Drucksache 14/6064, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion bei einer Enthal-
tung bei Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem
Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Erleichterte
und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für
Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“, Drucksa-
che 14/6062. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/2928 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltung? –

Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU- und F.D.P.-
Fraktion sowie eine Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungs-

(2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜGÄndG)

– Drucksache 14/5640 –

(Erste Beratung 161. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Arbeit und Sozialordnung

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/6063 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/6073 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Hans-Joachim Fuchtel
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia

Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Luther,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Einheitliches Versorgungsrecht für die Ei-
senbahner herstellen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Monika Balt, Heidemarie
Lüth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwart-
schaften aus den Systemen der Altersver-
sorgung der Deutschen Reichsbahn und
der Deutschen Post der DDR

– zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten
von Selbstständigen und deren mithelfen-
den Familienangehörigen in Land- und
Forstwirtschaft und im Handwerk derDDR

– zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS




Petra Pau

16771


(C)



(D)



(A)



(B)


Anerkennung der Rentenversicherungszei-
ten von Blinden- und Sonderpflegegeld-
empfängerinnen und Sonderpflegegeld-
empfängern der DDR
– Drucksachen 14/2522, 14/2729, 14/4038,
14/4041, 14/6063 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz

Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergän-
zung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsge-
setzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
und fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Weiterhin liegen vier Entschließungsanträge vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in dieser
Debatte ist die Berichterstatterin Erika Lotz.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1417108500
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Ich muss hier nur eine Änderung
vortragen. In der Beschlussempfehlung, Drucksache
14/6063, sind zwei kleine redaktionelle Berichtigungen
vorzunehmen.

Erstens. Auf Seite 8 muss es in der rechten Spalte
rechtsförmlich korrekt heißen: „2. § 6 wird wie folgt geän-
dert“.

Zweitens. Auf Seite 16 fehlt bei Punkt 8 in der rechten
Spalte das Wort „unverändert“.

Nur so viel, damit die Beschlussempfehlung korrekt
wird.

Danke schön.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108600
Ich danke Ihnen, Frau
Kollegin. Wir beachten das bei der entsprechenden Ab-
stimmung.

Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin im
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike
Mascher.

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1417108700
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der zur Beratung anste-
hende Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetzes setzt die zwingenden Vor-
gaben des Bundesverfassungsgerichtes um. Das Ge-
richt hat mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den
Gesetzgeber beauftragt, verfassungswidrige Teile der
Überleitung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme
der ehemaligen DDR in das bundesdeutsche Rentenrecht
dem Grundgesetz entsprechend zu ändern. Gleichzeitig
hat das Gericht die Grundsatzentscheidung des Gesetzge-
bers bestätigt, die Ansprüche und Anwartschaften aus Zu-
satz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche
Rentenversicherung zu überführen.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
und die konkretisierende Rechtsprechung des Bundes-
sozialgerichts haben die notwendige Klärung herbeige-
führt. Bei der Umsetzung der Vorgaben der Gerichte für
eine verfassungskonforme Regelung der Überführung
setzt der Gesetzgeber die zwingenden Vorgaben des Ge-
richts 1:1 verbindlich um. Die daraus resultierenden Kor-
rekturen, für die vom Bund und von den neuen Ländern
erhebliche finanzielle Leistungen erbracht werden müs-
sen, haben für die betroffenen Menschen ganz erhebliche
Auswirkungen.

Im Einzelnen regelt der Gesetzentwurf Folgendes: Der
Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge wird auf den
Zeitraum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in ver-
fassungskonformer Auslegung geforderte Dynamisie-
rung des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entspre-
chend der Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den
Anpassungswerten der alten Bundesländer durchgeführt.
Die Zahlbetragsbegrenzung wird für die nicht system-
nahen Zusatzversorgungssysteme aufgehoben; im Übri-
gen bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für
Sonderversorgungs- und systemnahe Zusatzversorgungs-
systeme bestehen.

Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssys-
tem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Am-
tes für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform
festgelegt. Sie orientiert sich an den Bestimmungen des
Volkskammergesetzes über die Aufhebung der Versor-
gungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssi-
cherheit. Die Entgeltbegrenzung für die Bemes-
sungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige
des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssi-
cherheit wird von 70 Prozent auf 100 Prozent des Durch-
schnittsentgelts angehoben. Entsprechend den Vorgaben
des Bundessozialgerichtes wird die Neuberechnung von
Bestandsrenten zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung im
Wege der Vergleichsberechnung vorgenommen.

Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hi-
naus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post. Sie
berücksichtigen die Entscheidungen des Bundessozialge-
richts vom 10. November 1998 über die Anrechnung des
Arbeitsverdienstes oberhalb von 600 Mark für Beschäfti-
gungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deut-
schen Post. Dabei wird klargestellt, dass auch für Be-
schäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei
der Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätz-
lich nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Ent-
geltpunkte eingeht.

Für Beschäftigungszeiten vom 1. März 1971 bis zum
31. Dezember 1973 soll das tatsächlich erzielte Arbeits-
entgelt auch ohne Beachtung der Beitragszahlung zur
Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen
DDR berücksichtigt werden. Für Versicherte, die am
31. Dezember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen
Reichsbahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt ge-
wesen sind, soll für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis
zum 30. Juni 1990 ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark
monatlich ebenfalls ohne Beitragszahlung zur FZR
berücksichtigungsfähig sein.




Vizepräsidentin Petra Bläss
16772


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte es bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz
klar sagen: Die beabsichtigten Rechtsänderungen ergeben
sich daraus, dass von 1956 bis 1973 für Post und Reichs-
bahn besondere betriebliche Alterssicherungssysteme be-
standen haben, die ab dem 1. Januar 1974 bereits in die
Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführt wor-
den sind. Wegen dieser betrieblichen Alterssicherung hat-
ten Beschäftigte mit langjähriger Betriebszugehörigkeit
von März 1971 bis Dezember 1973 keine Veranlassung,
der FZR beizutreten. Denn eine Beitragszahlung zur FZR
hätte nicht zu höheren Rentenanwartschaften geführt, als
sie bereits die zusätzliche Alterssicherung einräumte.

Für andere wären solche Beitragszahlungen zur FZR
wegen des Versorgungsanspruches nach den ab 1. Januar
1974 bei der Überleitung der Ansprüche und Anwart-
schaften in die allgemeine Sozialversicherung geltenden
Vorschriften nicht wirtschaftlich gewesen. Die Verbes-
serungen bei der rentenrechtlichen Bewertung der Be-
schäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei
der Deutschen Post sollen deshalb für einen großzügig be-
messenen Zeitraum, nämlich bis 30. Juni 1990, gelten.

Allerdings wollen wir nicht die Regelungen der bereits
1974 geschlossenen betrieblichen Altersvorsorgesysteme
der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post un-
eingeschränkt in das Rentenrecht des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch übertragen. Denn bei der beabsichtigten
Neuregelung ist nicht nur die Grundentscheidung der
Rentenüberleitung zu beachten, nämlich nur die Arbeits-
verdienste rentenwirksam zu machen, für die tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind. Auch zu berücksichtigen
sind die sozialversicherungsrechtlichen Bedingungen an-
derer Beschäftigtengruppen in der ehemaligen DDR, die
eine höhere Alterssicherung ausschließlich über eine Bei-
tragszahlung an die FZR erlangen konnten. Dies trifft zum
Beispiel für Personen zu, die zum Zeitpunkt der Überlei-
tung der Versorgungsregelungen in die allgemeine Sozial-
versicherung Berufsanfänger waren und demzufolge noch
nicht zehn zusammenhängende Beschäftigungsjahre vor-
weisen konnten.

Der Gesetzentwurf hat sich im parlamentarischen
Verfahren bzw. in den Erörterungen in den zuständigen
Ausschüssen als sachgerecht erwiesen. Die von verschie-
denen Seiten erhobenen Forderungen würden demge-
genüber nicht nur erhebliche weitere Kosten auslösen. Sie
würden auch den von der Rechtsprechung vorgegebenen
rechtlichen Rahmen sprengen und darüber hinaus im Wi-
derspruch zu den im Einigungsvertrag getroffenen Rege-
lungen stehen. Ich spreche hier zum Beispiel von der For-
derung, die Vertrauensschutzregelung über den 30. Juni
1995 hinaus zu verlängern. Wer eine Erweiterung des Be-
standsschutzes über den 30. Juni 1995 hinaus fordert, wi-
derspricht damit den im Einigungsvertrag festgelegten
Regelungen und verlässt den Grundsatz einer 1:1-Umset-
zung des Bundesverfassungsgerichtsurteils.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Nein, das nun wirklich nicht!)


Dann zur Forderung, den bestandsgeschützten Zahlbe-
trag gemäß dem Rentenwert Ost anzupassen: Auch diese
steht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtspre-
chung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass

der bestandsgeschützte Zahlbetrag zu dynamisieren ist,
und hat es dem höchsten deutschen Fachgericht, dem
Bundessozialgericht, überlassen, festzulegen, mit wel-
chem Betrag zu dynamisieren ist. Das Bundessozialge-
richt hat, diesen Vorgaben folgend, in seiner Entscheidung
vom 3. August 1999 festgelegt, dass die Dynamisierung
dieses Vertrauensschutzbetrages mit dem aktuellen Ren-
tenwert, also mit dem Westwert, zu dynamisieren ist.
Denn Grundlage für die Anpassung mit dem Rentenwert
Ost sind Renten, denen ihrerseits Entgeltpunkte Ost zu-
grunde liegen.

Bei dem bestandsgeschützten Zahlbetrag handelt es
sich dagegen um einen Zahlbetrag, der sich gerade nicht
auf die jeweiligen Entgelte des Versicherten während sei-
nes gesamten Versicherungslebens bezieht, sondern der
vielmehr auf das letzte Gehalt abstellt. Das Bundesver-
fassungsgericht hat betont, dass sich der Mehraufwand,
der durch die Dynamisierung des bestandsgeschützten
Betrages ergibt, laufend durch die Anpassung der neu
berechneten SGB-VI-Rente vermindert. Diese vom Bun-
desverfassungsgericht beschriebene Folge wäre aber aus-
geschlossen, wenn eine Dynamisierung der SGB-VI-
Rente und auch des bestandsgeschützten Betrages mit den
gleichen Werten erfolgen würde. Auf all dies hat das Bun-
dessozialgericht hingewiesen. Daran hat sich auch der
Gesetzgeber zu halten.

Nun zur Forderung, auch Nachzahlungen für die Zeit
vor dem 1. Mai 1999 in den Fällen vorzunehmen, in de-
nen ein Überführungsbescheid oder Rentenbescheid be-
reits bestandskräftig geworden ist: Der Gesetzgeber war
aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichtes von Verfassung wegen nicht verpflichtet, die
Wirkung der vorliegenden Entscheidungen auf bereits
bestandskräftige Bescheide zu erstrecken. Dies ent-
spricht allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsät-
zen und ist sowohl im Steuerrecht als auch im Sozial-
recht üblich.

Wir haben das im Gesetz noch einmal klargestellt.
Auch wenn das Argument für den einzelnen Betroffenen
nicht einsichtig sein mag: Würde man – entgegen der dem
Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht eingeräum-
ten Möglichkeit – Nachzahlungen nicht auf die Personen
beschränken, die Rechtsmittel gegen die Bescheide von
Rentenversicherungsträgern und Versorgungsträgern ein-
gelegt haben, würden sich die Kosten für Nachzahlungen
rund verfünffachen auf ein Ausgabevolumen von rund
3,25Milliarden DM. Dies hält der Gesetzgeber angesichts
der aktuellen Notwendigkeit zur Stabilisierung der finan-
ziellen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
aber für nicht tragbar.

Der Gesetzentwurf hält sich an die höchstrichterlichen
Vorgaben: die des Bundesverfassungsgerichts und die des
Bundessozialgerichts. Er beachtet sie und setzt sie verfas-
sungsgemäß um. Deshalb bitte ich Sie, unserem Entwurf
zuzustimmen.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

16773


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417108800
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Claudia Nolte.


Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1417108900
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Schon beim vorhergehenden
Tagesordnungspunkt haben wir gespürt, dass diese beiden
Themen sehr eng zusammengehören.


(Barbara Wittig [SPD]: Eben nicht! Dann haben Sie nicht richtig zugehört!)


– Doch, das eine hat sehr wohl mit dem anderen zu tun.
Dieses unaussprechliche Gesetz, das AAÜG, behandelt
rentenrechtliche Fragen der Überführung von DDR-Recht
auf heute bundesdeutsches Recht. Aber es enthält natür-
lich Teile, die uns – das sage ich zumindest für mich – aus
den neuen Ländern sehr wohl berühren. Ich hatte auch den
Eindruck, dass es Ihnen zum Teil genauso ging, als die Ur-
teile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundes-
sozialgerichts verkündet worden sind.

Mich hat die Schärfe in dieser Auseinandersetzung
schon sehr überrascht. Es kann – positiv unterstellt – ei-
gentlich nur daran liegen, dass Sie uns, wenn es nach
Ihrem Herzen ginge, eigentlich gern folgen würden, es
aber aus fiskalischen Gründen nicht dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann mir wirklich nicht vorstellen – das haben die
Redner Ihrer Partei in meinen Augen auch nicht plausibel
machen können –, dass es sachliche Gründe dagegen gibt,
mehr für die Opfer des alten Systems zu tun, vor allem
wenn wir beauflagt werden, etwas zu tun, was nicht un-
bedingt unserer Überzeugung entspricht, nämlich Ren-
tensteigerungen für ehemalige Mitarbeiter des MfS
durchzusetzen, ohne auf der anderen Seite etwas für Op-
fer zu tun, die genau unter diesen Leuten gelitten haben.
Das passt nicht zusammen, ist nicht zu verstehen und auch
nicht nach außen hin zu vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Balken biegen sich schon!)


Ich finde es unerträglich und nicht akzeptabel, dass Sie
uns hier unterstellen, die Opfer zu instrumentalisieren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ja!)

Nur weil wir uns intensiv mit ihnen zusammensetzen, mit
ihnen sprechen und deren Belange verstehen und ihnen
entgegenkommen wollen,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das macht ihr schlechtes Gewissen deutlich!)


können Sie uns diese Instrumentalisierung nicht unter-
stellen. Auch Sie wissen, dass bestimmte Dinge Anfang
der 90er-Jahre nicht so leistbar waren, wie wir sie leisten
wollten.

Die Abgeordneten meiner Fraktion aus den neuen Län-
dern haben auch damals dafür gefochten, dass wir eine
Haftentschädigung in Höhe von 600 DM statt 300 DM
bekommen. Auch wir unterlagen diesen fiskalischen
Zwängen. Deswegen haben wir auch Verständnis für die

Zwänge auf Ihrer Seite. Aber dann sagen Sie dies ehrlich
und tun Sie nicht so, als ob wir in der Sache auseinander
wären. Meines Erachtens gibt es keinen Grund für Diffe-
renzen in der Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wir haben die 600 DM gemacht!)


Ich halte es auch für fatal, wenn sich hier die demo-
kratischen Parteien Kampfbegriffe der PDS zu Eigen
machen. Dazu gehört unter anderem der Begriff „Renten-
strafrecht“. Ich weiß nicht, wer von Ihnen mit in der
Volkskammer war. Aber ich glaube, damals gab es aus tie-
fer Überzeugung einen sehr großen Konsens unter uns
Abgeordneten der deutschen Volkskammer darüber,
durch unsere Gesetzgebung wenigstens ein Stück weit
Dinge zurechtzurücken, Ungerechtigkeiten abzumildern.
Dazu gehörten auch die Pensions- und Rentenansprüche
von bestimmten Berufsgruppen der ehemaligen DDR.
Jetzt kann man zu Recht sagen, dass wir vielleicht mit zu
viel Überschwang gehandelt und vielleicht an einigen
Stellen überzogen haben. Im Bundestag haben wir in der
Tat noch einmal eine Verschärfung gegenüber dem Volks-
kammerrecht vorgenommen.

Aber jetzt haben wir durch das Bundesverfassungsge-
richt sogar ausdrücklich bestätigt bekommen, dass die
Entgeltbegrenzung auf 100 Prozent in Ordnung ist. Also
lassen Sie uns an dieser Stelle nicht von Rentenstrafrecht
sprechen, sondern von einer Schaffung eines stückweiten
Ausgleichs für in einem Unrechtssystem geschehene
Dinge, welche sich nach so langer Zeit in der Tat nur
schwer beseitigen lassen. Ungerechtigkeiten bleiben be-
stehen.

Ich denke, wir werden in unseren Sprechstunden die
gleichen Überraschungen erleben wie schon zu Zeiten der
Volkskammer. Dort wird nämlich gefragt werden: Kann
es denn wirklich sein, dass die Leute vom MfS jetzt mehr
Geld bekommen? Was wird für uns getan? – In Ihre
Sprechstunden kommen doch auch diese Menschen. Mir
fällt es schwer, zu begründen, warum wir hier etwas tun,
auf der anderen Seite aber nichts, obwohl Anträge vor-
liegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unser Fraktionsvorsitzender, Herr Friedrich Merz, hat

den Bundeskanzler rechtzeitig angeschrieben mit der
Bitte, über diese Frage zu sprechen. Dies ist auch in der
Sache vernünftig, wenn wir einen Konsens zum AAÜG
herstellen wollen. Sie waren aber nicht einmal bereit, über
die so genannte Bonzenklausel zu sprechen, also über die
Überlegung, diejenigen, die gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit verstoßen haben, von der Aufhebung der
Rentenbegrenzung auszuschließen. Wenn so wenig Ge-
sprächsbereitschaft besteht, dann können wir Ihnen die
Hand nicht reichen. Das habe ich für unsere Fraktion
schon in der Rede zur Einbringung dieses Gesetzentwur-
fes sehr deutlich gesagt.

Dieser Gesetzentwurf behandelt aber noch einige an-
dere Fragen. Ich muss Ihnen sagen, sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, dass ich mit Ihnen in einigen Punkten
nicht übereinstimme. Sie sagen, dass Sie sich hier streng
an Urteilen orientieren und versuchen, keine Ungleich-
heiten zu schaffen. Es gibt aber sehr wohl Punkte, wo man






(C)



(D)



(A)



(B)


hätte anders entscheiden können; darüber haben wir be-
reits im Ausschuss diskutiert.

Hier geht es insbesondere um die Überführung der Zu-
satz- und Sonderversorgungssysteme in die Rentenver-
sicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufge-
tragen, bei diesen Renten eine Dynamisierung
vorzunehmen. Dies ist derzeit nicht der Fall; denn als die
Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche
Rentenversicherung übernommen wurden, hat man ga-
rantierte Zahlbeträge festgelegt. Wir hatten damals durch-
aus eine Begründung dafür, die wir für rechtens hielten:
Da diese Renten nicht beitragsbezogen sind, gibt es kei-
nen Grund, sie wie eine normale Rente zu dynamisieren.

Das Bundesverfassungsgericht sagt hierzu eindeutig
etwas anderes; in diesem Punkt mussten wir uns belehren
lassen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Richtig!)

Das Bundesverfassungsgericht kam zu der Auffassung,
dass die Entscheidung, alle Zusatz- und Sonderversor-
gungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung zu
überführen, nur dann mit der Verfassung in Übereinstim-
mung gebracht werden kann, wenn die Besonderheiten
dieses Systems berücksichtigt werden. Zu diesen Beson-
derheiten gehört natürlich, dass aufgrund der individuel-
len Erwerbsbiografien und der Stellung im Berufsleben
unterschiedliche Ansprüche erwachsen sind. Dieser Un-
terschied im Niveau darf laut Bundesverfassungsgericht
durch die Überführung in die gesetzliche Rentenversiche-
rung nicht nivelliert werden. Er wird aber nivelliert, wenn
man einen fixen Betrag festsetzt. Ergo muss dynamisiert
werden.

Diese Nivellierung findet aber auch dann statt, wenn
ein im Vergleich zu anderen Renten deutlich geringerer
Dynamisierungsfaktor gewählt wird. Wenn man also das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen will, ent-
spricht es doch der Logik, den gleichen Faktor für die Dy-
namisierung zu verwenden, wie er auch für die anderen
Renten gilt, also den Rentenwertfaktor Ost.

Nun stützt sich die Bundesregierung auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts. Sie wissen aber genauso gut wie
wir, dass dieses Urteil durchaus juristisch umstritten ist.
Als Gesetzgeber haben wir aber die Freiheit zu sagen:


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wir machen mehr!)


Wir möchten das umsetzen, was unserer Meinung nach
dem Sinn des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ent-
spricht.

Es gibt noch andere Punkte, zum Beispiel die Berech-
nung nach dem 20-Jahres-Zeitraum – darüber haben wir
im Ausschuss bereits ausführlich gesprochen – und die
Frage der besonderen Steigerungssätze für andere
Berufsgruppen, zum Beispiel für die Beschäftigten im
Gesundheitswesen. Ich möchte dazu nur sagen, dass wir
auch hier eine andere Regelung vorgezogen hätten.

Dies gilt auch für die Frage der Übergangszeiten. Es
ist richtig, Frau Mascher, dass im Einigungsvertrag als
Übergangsdatum Mitte 1995 festgelegt worden ist. Wir
haben aber recht schnell festgestellt, dass dieser Zeitraum

nicht ausreicht, und deshalb schon beim Renten-Überlei-
tungsgesetz ein anderes Übergangsdatum gewählt, näm-
lich Ende 1996. Wenn man also schon von Gleichbehand-
lung spricht, wenn man die Zusatz- und Sonderversorgten
den übrigen Rentnern gleichstellen will, dann bietet es
sich doch an, den Vertrauensschutz in diesem Fall auf das
gleiche Datum auszudehnen, also auf den 31. Dezem-
ber 1996.

Die Tatsache, dass wir zu den Punkten, die ich ange-
sprochen habe, keine eigenen Änderungsanträge einge-
bracht haben – es wird schnell nachgefragt: Warum bringt
ihr keine eigenen Anträge ein? –, erklärt sich zum einen
daraus, dass wir dieses Gesetz aus grundsätzlichen Erwä-
gungen ablehnen. Daher macht es keinen Sinn, eigene
Änderungsanträge einzubringen. Zum anderen muss man
respektieren, dass die neuen Bundesländer höchstwahr-
scheinlich anders abstimmen werden, wobei sie dafür si-
cherlich ihre Gründe haben werden.

Es ist mir wichtig, einen Punkt anzusprechen, der in
diesem Gesetzentwurf in der Tat befriedigend geregelt
worden ist. Das sind die Überführungen der Ansprüche
der Reichsbahner und der Postler.Wir haben uns um die-
ses Thema sehr bemüht und – das weiß auch Frau
Mascher – viele Gespräche geführt.


(Lachen bei der SPD und der PDS)

– Das ist in der Tat so. Sie können die betroffenen Grup-
pen selber fragen. Diese werden Ihnen dies guten Gewis-
sens bestätigen können.

Wir haben uns sehr darum bemüht, dass es mit diesem
Gesetzentwurf zu einer befriedigenden Regelung kommt.
Die betroffenen Gruppen bekommen sowohl den
anderthalbprozentigen Steigerungssatz als auch die FZR
zuerkannt. Auch das Problem der Anrechnungszeiten zwi-
schen 1971 und 1973 wird geregelt.

Was offen bleibt – das ist allerdings ein Punkt, der nicht
im AAÜG geregelt werden kann; das wissen wir –, ist die
betriebliche Versorgung. Ich finde, das Verkehrsministe-
rium sollte noch einmal prüfen, inwieweit es nicht auch
für die Reichsbahner äquivalent zu den Bundesbahnern
die betriebliche Altersversorgung endlich einräumt und
gewährleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte – das ist

deutlich geworden –, dass das Ziel dieses Gesetzentwurfs,
Rechtsfrieden zu schaffen, verfehlt wird. Es wird zu
neuen Klagen kommen. Vor dem Bundesverfassungsge-
richt, vor dem Bundessozialgericht und den Sozialgerich-
ten der Länder werden neue Klagen eingereicht werden,
sodass ich vermute, dass wir zu diesem Thema nicht die
letzte Debatte hatten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417109000
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ekin
Deligöz.




Claudia Nolte

16775


(C)



(D)



(A)



(B)



Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1417109100
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Staatssekretärin Frau Mascher hat bereits alles Wesent-
liche zu diesem Gesetzentwurf ausgeführt, sodass ich zu
ihren Ausführungen in der Sache nicht mehr viel zu er-
gänzen habe. Ich kann sie nur unterstützen und ihr zu-
stimmen.

Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht darum, dass
wir auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts bestimmte Festlegungen treffen, wobei wir
uns streng an die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts halten und diese in Bezug auf die Anwartschaf-
tenüberführungen umsetzen.

Eines möchte ich noch ergänzen. Frau Nolte, bei Ihnen
klang es so, als ob uns das Ganze überhaupt nichts kosten
würde und wir das Gesetz ohne Probleme umsetzen könn-
ten. Das stimmt nicht. Dieses Gesetz kostet uns etwas. Es
führt beim Bund und bei den Ländern zu Mehrausgaben:
für die Nachzahlung bis zum Jahr 1999 in Höhe von rund
690 Millionen DM und zu weiteren jährlichen Mehrauf-
wendungen von rund 325 Millionen DM. Das ist die
Summe, die uns das Ganze kostet. Sie können also nicht
davon sprechen, dass wir in diesem Bereich finanzielle
Kriterien zugrunde legen.

Wir sollten diese ganze Debatte sehr nüchtern und sehr
sachlich führen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Wir hatten Gespräche angeboten, aber dafür waren Sie zu arrogant!)


Wenn Sie schon eine Verbindung zwischen der vorherigen
und der jetzigen Debatte herstellen, dann sollten Sie auch
erwähnen – das ist untergegangen –, dass wir in diesem
Rahmen bereits eine sehr intensive Debatte hatten, in der
es um die Verbesserung von rehabilitationsrechtlichen
Vorschriften für die Opfer von politisch Verfolgten der
ehemaligen DDR gegangen ist.

Ich möchte nur einiges von dem nennen, was wir schon
erreicht haben, um manches von dem, was Sie gesagt ha-
ben, richtig zu stellen. Wir haben bereits eine einheitliche
Erhöhung der Kapitalentschädigung auf 600 DM pro
Haftmonat erreicht. Seit dem 1. Januar 2000 sind verbes-
serte Leistungen für Hinterbliebene in Kraft getreten. Wir
haben Verbesserungen der Leistungen nach dem Häft-
lingsgesetz für Verschleppte aus den Gebieten jenseits
von Oder und Neiße durchgesetzt. Die Antragsfristen hin-
sichtlich der Reha-Gesetze wurden verlängert. Die Aner-
kennung von haftbedingten Gesundheitsschäden wurde
erleichtert. Wir haben also bisher eine ganze Menge ge-
macht.

Wir setzen jetzt die Vorgaben des Bundesverfassungs-
gerichts um. In der Tat, wir stehen nicht dafür, in irgend-
einer Form weitere Leistungsverbesserungen für Privile-
gierte aus der ehemaligen DDR zu verstetigen oder sie
besser zu stellen. Wir haben in diesem Gesetz vielmehr
die Verbesserungen vorgesehen, die sich aus diesem Ur-
teil ergeben, die in diesem Urteil zwingend vorgegeben
werden. Es geht uns nicht darum, irgendwelche Bonbons
zu verteilen, sondern die Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts zu erfüllen.

In diesem Sinne sollten wir dem Ganzen zustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417109200
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1417109300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung
hält sich mit ihrem Gesetzentwurf eng an die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundessozialge-
richtes, kann aber keineswegs den berechtigten Wün-
schen und Interessen der Betroffenen genügen. Der
Wunsch, mit diesem Gesetz Rechtsfrieden herzustellen,
ist die pure Illusion.


(Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Claudia Nolte [CDU/CSU])


Die F.D.P. hat mit unterschiedlichen Gruppen von An-
spruchsberechtigten gesprochen und kommt deshalb ins-
gesamt zu einer Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Ich
bedauere, dass sich die Mehrheit offensichtlich zu fein
war, unser Gesprächsangebot für gemeinsame Lösungen
anzunehmen. Dies ist in der üblichen Art der Arroganz der
Mehrheit einfach durchgepeitscht worden. Ich glaube, im
Interesse der Betroffenen wäre es besser gewesen, zumin-
dest zu versuchen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich kurz sechs Anmerkungen machen.
Erstens. Die F.D.P. hat sich immer dagegen ausgespro-
chen, das Rentenrecht mit politischen Motiven zu ver-
knüpfen. Deshalb akzeptieren wir, dass das Bundesver-
fassungsgericht nun die Versorgung der Bediensteten in
staatsnahen Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen auf
etwa die Höhe angehoben hat, die die Volkskammer 1990
empfohlen hat. Für weitergehende Verbesserungen, wie in
den Anträgen der PDS gefordert, sehen wir allerdings
keine Notwendigkeit.

Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf führt zu ei-
ner Besserstellung der für die Beschäftigungszeiten bei
der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post
berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste, und zwar
auch dann, wenn keine Beiträge zur Freiwilligen Zusatz-
rentenversicherung gezahlt worden sind. Wir begrüßen
dies als eine notwendige Klarstellung, meinen aber, dass
es durchaus wünschenswert wäre, für diesen Personen-
kreis zu Regelungen zu kommen, die ein wenig stärker an
das anknüpfen, was für die Bediensteten der Deutschen
Bundesbahn in bestimmten Bereichen gilt.

Drittens. Ein Thema, das völlig unzureichend behan-
delt wurde, ist die Altersversorgung vieler Hochschuldo-
zenten. Die F.D.P. ist der Auffassung, dass man sie anders
bewerten muss als viele andere in den systemnahen Son-
der- und Zusatzversorgungssystemen, einfach weil die
Position der Professoren in der ehemaligen DDR nicht mit
der in den Ministerien oder der Stasi zu vergleichen ge-
wesen ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen hat die F.D.P. in einem Entschließungsantrag
beantragt, dass, anders als im Gesetzentwurf vorgesehen,
der so genannte Zahlbetrag rückwirkend vom 1. Januar
1992 an zu dynamisieren ist, also der Einkommensent-
wicklung angepasst wird.

Wir legen außerdem Wert darauf, dass die Dynamisie-
rung nicht mit den niedrigen Westwerten, sondern mit den
höheren Ostwerten für diesen Personenkreis vollzogen
wird. Frau Mascher, es ist zwar richtig, dass das Bundes-
sozialgericht zugelassen hat, dass die niedrigere West-
anpassung zugrunde gelegt wird, aber es hat die höhere
Ostanpassung natürlich nicht ausgeschlossen. Deswegen
ist es gerechtfertigt, dies für den Personenkreis der Pro-
fessoren anders zu machen als für andere.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Viertens. Eine Gruppe ist in diesem Gesetzentwurf

überhaupt nicht berücksichtigt: der mittlere medizini-
sche Dienst der DDR. Seine Mitarbeiter hatten ein ver-
gleichsweise geringes Einkommen, obwohl sie sehr
verantwortungsvolle Tätigkeiten mit erheblichen Belas-
tungen ausgeübt haben. Häufig war es ihnen nicht einmal
möglich, der damaligen Freiwilligen Zusatzrentenversi-
cherung beizutreten. Gleichwohl wird im Renten-Über-
leitungsgesetz jedenfalls denjenigen, die erst nach dem
1. Januar 1997 in Rente gingen, der an sich für sie vorge-
sehene Steigerungssatz von 1,5 Punkten verweigert. Dazu
sind noch einige Klagen beim Bundesverfassungsgericht
anhängig. Dennoch möchte ich für uns heute schon sagen,
dass diesem Missstand abgeholfen werden muss. Auch
diejenigen, die nach 1997 in Rente gegangen sind, müs-
sen den Steigerungssatz von 1,5 Punkten bekommen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fünftens. Die Berücksichtigung der kommunalen
Wahlbeamten haben Sie bisher immer ausgeklammert.
Ich frage mich, ob das für Sie ein Personenkreis ist, der
Ihnen nur lästig ist. Es geht darum, dass die Demokraten
der ersten Stunde nach dem Mai 1990 in beiden Systemen,
in der gesetzlichen Rentenversicherung wie in der Beam-
tenversorgung, vielfach durch den Rost gefallen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Das wollen wir mit unserem ausformulierten Gesetzent-
wurf korrigieren. Ich bedaure es, dass Sie im Ausschuss
nicht einmal darüber diskutiert oder nachgefragt haben.
Sie interessieren sich für diesen Personenkreis nicht. Wir
werden diese Tatsache bei ostdeutschen Wahlen zur Spra-
che bringen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417109400
Frau Kollegin
Schwaetzer, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1417109500
Zum Schluss
sechstens: Wir halten es für nicht erträglich, dass Sie es
abgelehnt haben, in eine Debatte über eine bessere Ent-
schädigung der Opfer durch eine Ehrenrente oder eine

stärkere Rentenanpassung als Ersatz und Ausgleich für
verloren gegangene Lebenschancen einzutreten. Deswe-
gen sehen wir hier eine Verknüpfung – wie es bereits ge-
sagt worden ist – und wir bestehen darauf, dass diese Ele-
mente zusammen verhandelt werden.

Danke schön.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417109600
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Monika Balt für die PDS-
Fraktion.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1417109700
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Weil die PDS so beharrlich gestritten und
gekämpft hat, verändern sich ab 1. Juli die Renten-
ansprüche für die ehemaligen Beschäftigten von Post und
Bahn der DDR in positiver Weise.


(Beifall bei der PDS – Lachen bei der SPD)

Nach zehn Jahren deutscher Einheit erhalten Wissen-

schaftler, Ärzte, Ingenieure, Polizisten, Zöllner und viele
andere immer noch nicht die ihnen zustehende Rente. Ih-
nen wird unterstellt, ihren Beruf in der DDR missbraucht
zu haben, Täter zu sein und völlig überhöhte Gehälter kas-
siert zu haben. Seit zehn Jahren werden permanent Sozi-
alrecht und Strafrecht vermischt, werden Renten willkür-
lich gekürzt und Beitragszahlungen einfach ignoriert.

Nun gibt es aber 310 000 offene Ansprüche und
3,5 Millionen Anwartschaften aus den eingezahlten
Beiträgen in die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme
der ehemaligen DDR. Ich frage Sie, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition: Ist es nicht zutiefst
inhuman, dem Einzelnen ohne Nachweis einer individu-
ellen Schuld mit einer Rentenstrafe als Racheakt zu be-
gegnen? Wieso wird bei der Rentenberechnung Ost die
politische Biografie berücksichtigt, wo doch im anderen
Teil der Bundesrepublik jeder ohne Ansehen seiner Per-
son eine Rente entsprechend seinen Beitragsleistungen
bekommt?

Wie entsprechende Gutachten, die dem Bundesverfas-
sungsgericht vorliegen, nachweisen, ist es keinesfalls so,
dass aus Staats- und Systemnähe allein die Vermutung ab-
geleitet werden kann, diesen Personengruppen seien
Löhne und Gehälter gezahlt worden, die nicht durch Leis-
tung und Arbeit gerechtfertigt gewesen seien. Wollen Sie
trotz dieser Erkenntnisse hinter den Urteilen des Bundes-
verfassungsgerichtes zurückbleiben?

Der Gesetzentwurf beseitigt nicht das seit zehn Jahren
bestehende Rentenstrafrecht. Die um eine gerechte
Rente geprellten Ostdeutschen werden erneut klagen. Ich
höre immer wieder die Argumente der Abgeordneten von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Was wollen die denn
noch? Mehr geht eben nicht! Ich wiederhole: Sie wollen
eine Rente für ihre Lebensarbeitsleistung,so wie sie für
jeden Mann und jede Frau gewährt wird.


(Beifall bei der PDS – Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Lebensarbeitsleistung haben sie 1989 zu Ende gebracht!)





Dr. Irmgard Schwaetzer

16777


(C)



(D)



(A)



(B)


Was sagen Sie einem Facharzt und Prof. Dr. habil. der
Militärmedizinischen Akademie? Ihm werden immer
noch 13 seiner beitragspflichtigen Jahre auf 1,0 Entgelt-
punkte gekürzt. Nach der Versorgungsordnung der NVA
hätte seine Rente 3 010 DM betragen. Im Juli 1990 wurde
sie auf 2 010 DM gekürzt. Er hätte jetzt Anspruch auf
3 600 DM, wenn eine Dynamisierung nach dem Renten-
wert Ost erfolgt wäre.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wenn der Sozialismus gewonnen hätte, hätte er mehr bekommen!)


Seine Rente nach dem SGB VI beträgt jetzt 2 270 DM;
ohne Kürzung auf das Niveau eines Krankenpflegers über
einen Zeitraum von 13 Jahren erhielte er wenigstens
2 750 DM. Sind das überhöhte Ansprüche eines hoch qua-
lifizierten Arztes?

Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum die PDS fordert,
dass die besitzgeschützten Zahlbeträge nach den aktuel-
len Rentenwerten Ost anzupassen sind und alle Entgelt-
kürzungen fallen müssen.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, in einem können Sie ganz sicher sein – das wird Sie
sicherlich nicht verwundern –: Die PDS wird sich auch
weiterhin für die Beseitigung des Rentenstrafrechts ein-
setzen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417109800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, teile ich
mit, dass die Kollegin Sylvia Voß von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Kollege Hans-
Joachim Hacker von der SPD-Fraktion schriftliche
Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben
haben.1)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs-
und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, Drucksachen
14/5640 und 14/6063. Der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. und fünf Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6105? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und
PDS abgelehnt.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ände-
rungsanträge der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-

che 14/6087? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abge-
lehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6088? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung
aus der SPD-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6089? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion und eine Stimme aus der SPD-
Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6090? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der
SPD-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6091? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der
SPD-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte-
rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS
angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS bei einer Stimme aus der SPD-Fraktion
angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/6106? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6086? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6104? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Auch dieser Entschließungsan-
trag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6092? – Wer stimmt dage-




Monika Balt
16778


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 2 und 3

gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6063 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Einheitliches Versorgungsrecht
für die Eisenbahner herstellen“, Drucksache 14/2522.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-
Fraktion angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS zur „Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften
aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen
Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR“, Druck-
sache 14/2729. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.

Weiterhin unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS zur „Anerkennung von rentenrechtli-
chen Zeiten von Selbstständigen und deren mithelfenden
Familienangehörigen in Land- und Forstwirtschaft und
im Handwerk der DDR“, Drucksache 14/4038. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-
Fraktion angenommen.

Ebenfalls unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der PDS zur „Anerkennung der Rentenversicherungszei-
ten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfängerinnen
und Sonderpflegegeldempfängern der DDR“, Druck-
sache 14/4041. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei
Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Damit haben wir die Abstimmungen überstanden.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b

auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Zweite Verordnung zur Änderung der
Verpackungsverordnung
– Drucksachen 14/5941, 14/6019 Nr. 2.2, 14/6072 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Werner Wittlich
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz

und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike
Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der F.D.P.
Novellierung der Verpackungsverordnung und
Flexibilisierung der Mehrwegquote
– Drucksachen 14/3814, 14/5301 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Werner Wittlich
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Zur Verordnung der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor, über den
wir nachher abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Ulrich Kelber.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1417109900
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Lassen Sie uns heute gemeinsam an dieser Stelle
etwas tun! Lassen Sie uns gemeinsam Schluss machen mit
Dosen im Wald, am Strand, auf Berggipfeln und in den
Parks! Verhindern wir gemeinsam angeschwemmte Plas-
tikflaschen an den Ufern unserer Seen und Flüsse und ak-
zeptieren wir nicht länger, dass unsere Landesstraßen, un-
sere Bundesstraßen und unsere Autobahnen aussehen, als
ob dort ein Müllfahrzeug seine Ladung verloren hätte!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können dies alles mit einer intelligenten Lösung
tun, die die Vermüllung vermeidet, anstatt darauf zu set-
zen, den Müll nachträglich einzusammeln; einer intelli-
genten Lösung, die effizient mit Rohstoffen und Energie-
verbrauch umgeht; einer intelligenten Lösung, die kleine
und mittlere Unternehmen schützt und fördert; einer in-
telligenten Lösung, die nach letzten Umfragen von fast
drei Vierteln aller Bürgerinnen und Bürger unseres Lan-
des unterstützt wird. Diese intelligente Lösung heißt
Pfand auf ökologisch nachteilige Verpackung.

Das Pfand ist gut gegen die Vermüllung unserer Land-
schaft. 25 Prozent dieses Mülls, der umherfliegt, der um-
herkullert, stammt schon heute von Getränkeverpackun-
gen. Die Tendenz ist weiter steigend.


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Aber nicht von Dosen!)


Freiwillige Vereinbarungen oder Abgaben, wie sie
CDU und F.D.P. vorschweben, lösen dieses Problem lei-
der nicht.


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Ihre aber auch nicht!)





Vizepräsidentin Petra Bläss

16779


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich nenne dafür ein Beispiel: In dem Angebot, das von
Teilen der Wirtschaft gemacht wird – die Wirtschaft ist ja
in dieser Frage in ihrer Auffassung sehr gespalten –,
wurde vorgeschlagen, 250 Millionen DM für die
nachträgliche Beseitigung des Einwegmülls in der Land-
schaft auszugeben. Damit man sich vorstellen kann, was
das für eine Größenordnung wäre: Nur für die Reinigung
des Umfelds der Container des Dualen Systems werden
heute schon 125 Millionen DM ausgegeben. Wie sollte
dann das Geld reichen, quer durch die Nationalparks, ent-
lang den Flussläufen, quer durch die Parks und Innen-
städte den gesamten Müll einzusammeln? Nachträgliches
Einsammeln von Müll in der Landschaft ist ohnehin keine
besonders schlaue Lösung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich halte die Lösung, das Problem über Pfand in den
Griff zu bekommen, für die einfachere: Niemand wird be-
pfandete Verpackungen in die Landschaft werfen. Oder
werfen Sie ein Fünfzigpfennigstück oder ein Markstück
einfach so ins Gras oder ins Wasser?


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Die anderen Verpackungen liegen genauso da!)


Worauf Politik immer auch achten muss, ist die Frage,
wie eine Lösung akzeptiert wird, mit der man ein Problem
angeht. Dazu ist Folgendes festzustellen: Die Akzeptanz
für eine Pfandlösung ist in der Bevölkerung und auch in
der Wirtschaft hoch. Je nach Umfrage stimmen 67 bis
74 Prozent der Verbraucher einer Pfandlösung zu, auch
deswegen, weil sie wissen, dass sie das Pfand zurückbe-
kommen. Auch die kleinen und mittleren Unternehmen
unterstützen dieses System, weil sie wissen, dass der
Wettbewerb bei Brauereien und Mineralwasserbrunnen,
bei Abfüllern, beim Handel und in der Entsorgungsbran-
che gestärkt wird.

Ich nenne zwei Zahlen, die gleichzeitig die hohe Ak-
zeptanz zeigen und auch schon eine Aussage zur ökologi-
schen Lenkungswirkung machen: 57 Prozent aller Käufer
von Einwegverpackungen wollen, wenn es ein Pfand auf
Einweg gibt, wieder verstärkt zu Mehrweg greifen, also
den richtigen Weg beschreiten. Fast die Hälfte aller klei-
nen Läden will, wenn das Pfand auf Einweg kommt, Ein-
weg aussortieren und nur 2,6 Prozent will mehr auf Ein-
weg setzen. Auch das zeigt schon, wohin es geht: in
Richtung einer ökologischen Lenkungswirkung.

Wir haben über die Frage, ob das Pfand seine ökologi-
sche Lenkungswirkung, also eine Stabilisierung von
Mehrweg, erreicht oder nicht, ja öffentlich Streit geführt.
Dazu gibt es eine unparteiische Studie des Umweltbun-
desamtes, aus der ich zitiere:

Bei Abwägung aller Faktoren erscheint ein positiver
Lenkungseffekt wahrscheinlich, ein kontraproduk-
tiver Effekt unwahrscheinlich. Zusätzlich werden
durch ein Pfand Qualität und Menge der verwerteten
Materialien erhöht und insbesondere die Land-
schaftsverschandelung durch herum liegende Fla-
schen und Dosen weitgehend beendet.

Es gibt viele Studien, die zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen kommen. Die Studie, für die die meisten

Menschen befragt wurden und die nicht nur auf Annah-
men gesetzt hat, die Sprenger-Studie, kommt zum selben
Ergebnis wie das Umweltbundesamt. Auch das Beispiel
Schweden, wo Pfand eingeführt wurde, hat zwei
Dinge gezeigt: Erstens reagierte der Markt auf die Ein-
führung des Pfandes und zweitens wurde der Anteil
von Mehrweg nicht nur stabilisiert, sondern stieg sogar
wieder.

Die bequeme Ex-und-Hopp-Mentalität, die Einweg so
prägt – ich kaufe etwas und bin danach nicht mehr ver-
antwortlich; wenn es hoch kommt, werfe ich es noch in ei-
nen Müllkorb –, ist mit dem Pfand beendet.

Es gibt einen weiteren Hinweis auf die ökologische
Lenkungswirkung. Beobachten Sie die Diskussion genau:
Alle, die kein Interesse daran haben, dass es Mehrweg
gibt, weil sie zum Beispiel ihr Geld mit Einweg verdie-
nen, sind gegen das Pfand. Diejenigen, die ein Interesse
an Mehrweg haben, und die Umweltverbände sind für das
Pfand. Das gibt mir persönlich ein sicheres Gefühl, dass
wir mit dem Pfand den Anteil von Mehrweg stabilisieren
und eher sogar steigern werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Teile der Wirtschaft haben im April noch einmal einen
Alternativvorschlag vorgelegt. Damit ich diesen jetzt
nicht selber bewerten muss, beziehe ich mich auf das
„Handelsblatt“, eine eher wirtschaftsnahe Zeitung, die
dieses Angebot am 19. April 2001 als „dürftig“ bezeich-
net hat:


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Zu Recht!)


weil die Vermüllung nicht gelöst wird, weil Mehrweg
nicht stabilisiert wird – im Gegenteil, es wird sogar ver-
sucht, den Mehrweganteil, der heute die vorgegebene
Zielgröße nicht erreicht, noch einmal zu unterschreiten –
und weil für die Unterschreitung keine Sanktionen vorge-
sehen sind.

Auch CDU/CSU und F.D.P. lassen in dieser Frage die
Umweltpolitik wieder einmal im Stich.


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil, Herr Kollege!)


Das ist umso weniger verständlich, als die Ver-
packungsverordnung doch von CDU/CSU und F.D.P.
stammt. Sie wurde 1991 von CDU-Minister Töpfer vor-
gelegt und am 21. August 1998 von der CDU-Ministerin
Merkel bekräftigt. Jetzt geben CDU/CSU und F.D.P.
Mehrweg auf.


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


– Dann belege ich das mit einem Zitat: Herr Dr. Paziorek,
umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, hat am 10. Mai 2001


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Wir wollen kein Zwangspfand!)


eine eindeutige Erklärung abgegeben:




Ulrich Kelber
16780


(C)



(D)



(A)



(B)


Da Mehrweg-Getränkeverpackungen im Getränke-
markt fest etabliert sowie die Rücknahme und
Verwertung von Einweg-Getränkeverpackungen si-
chergestellt sind, bedarf es keiner gesetzlichen Schutz-
maßnahmen mehr.

Das heißt, Sie wollen Mehrweg nicht mehr schützen.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Deswegen geben wir den Mehrweg nicht auf! Wir sind für Mehrweg!)


Das ist ein eklatanter Vertrauensbruch. Frau Merkel hatte
nämlich den Betreibern von mittelständischen Brauereien
und Abfüllanlagen beim Erlass des Gesetzes ihr Wort ge-
geben. Diese haben im Vertrauen auf ihr Wort und auf das
Gesetz Milliarden DM in Mehrweg investiert. Diese Un-
ternehmen stellen bis zu 250 000 Arbeitsplätze, die durch
Mehrweg in diesem Land gesichert werden. Die Inhaber
dieser Arbeitsplätze werden jetzt im Stich gelassen, weil
das Wort vom August 1998 nicht mehr gelten soll.

Die großen Abfüller und die großen Brauereien würden
ohne einen gesetzlichen Schutz von Mehrweg den Markt
mit Einwegverpackungen überfluten. Die Kleinen könn-
ten nicht gegenhalten, weil sie nicht das Geld dazu haben,
um noch einmal in neue Anlagen zu investieren. Sie wür-
den vom Markt verschwinden und es würde ein Monopol
entstehen. Damit einher gingen höhere Preise. All das ist
die Folge davon, dass Frau Merkel sich in dieser Frage
wie bei anderen umweltpolitischen Fragen nicht mehr an
das erinnern will, was sie einst als Umweltministerin ver-
sprochen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


CDU und F.D.P. versuchen den Eindruck zu erwecken,
als würden SPD und Grüne jetzt zum ersten Mal in der
Geschichte dieses Landes ein Zwangspfand einführen
wollen. Dabei ist das Gegenteil richtig: Ohne unsere No-
velle wäre immer noch altes CDU/CSU-F.D.P.-Recht in
Kraft. Das würde bedeuten: Pfand auf Bier-, Wasser- und
übrigens auch auf Weinflaschen, was ja keiner will, dafür
kein Pfand auf Cola-Dosen. Es würde kein Verbraucher
verstehen, warum er für das eine Pfand, für das andere
aber kein Pfand bezahlen müsste.

Der heute ebenfalls vorliegende F.D.P.-Vorschlag setzt
auf eine Selbstverpflichtung.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Nein, das steht da nicht drin! Durchlesen!)


Dabei ist schon 1991 die Verpackungsverordnung in Kraft
gesetzt worden, weil die Versuche mit Selbstverpflichtun-
gen und festen Vorgaben gescheitert sind. Selbst wenn bei
Nichterfüllung Sanktionen angedroht werden, ist zu fra-
gen: Wer in der Wirtschaft würde glauben, dass CDU und
F.D.P. eine solche Sanktion durchsetzen würden?


(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Werden wir! – Gegenruf des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nie!)


Die Sanktionen, die Sie 1998 angedroht haben, trauen Sie
sich ja heute auch nicht umzusetzen. Noch vor drei Jahren
haben Sie angedroht, dass ein Pfand eingeführt wird,

wenn die Wirtschaft sich nicht an die ökologischen Rah-
menbedingungen hält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Werner Wittlich [CDU/CSU]: Kommen Sie doch nicht mit Ihrem umweltpolitischen Unsinn!)


Auch Sie, Herr Wittlich, waren ja als CDU-Parlamen-
tarier bei der Sitzung des Umweltausschusses am Mitt-
woch dabei und sollten gehört haben, was Ihr Partei-
freund, der Chef des Umweltbundesamtes, Herr Professor
Dr. Troge, gesagt hat. Sie hätten einmal zuhören sollen,
als er dort sagte: Wenn Politik glaubwürdig und ökolo-
gisch sein will, muss sie jetzt das Pfand umsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Werner Wittlich [CDU/ CSU]: Muss ja nicht alles richtig sein, was er sagt!)


Die Novelle der Verpackungsverordnung, die von uns
vorgeschlagen wurde, stellt eine intelligente Lösung dar,
weil sie zum Beispiel auf die spezifische Situation der
Weinbauern Rücksicht nimmt und die Weinflaschen vom
Pfand ausnimmt. Die CDU wollte vor zwei Jahren noch
das Gegenteil. Es ist intelligent, ein einheitliches Pfand
zu erheben und nicht nach Getränkearten zu unterschei-
den, wie es CDU und F.D.P. noch 1998 wollten. Es ist in-
telligent, zuerst auf die Vermeidung von Müll zu setzen,
statt zuzulassen, dass Müll entsteht und weggeschmissen
wird, und ihn dann erst aufzusammeln und zu verwerten.
Es ist außerdem intelligent, zwischen ökologisch vorteil-
haften und ökologisch nachteiligen Verpackungen zu un-
terscheiden, weil dadurch die Hersteller angespornt wer-
den, ökologisch immer vorteilhaftere Verpackungen
herzustellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe trotz all der Polemik, die insbesondere in den
Zwischenrufen zum Ausdruck kam, auch auf Zustim-
mung aus den Reihen der Opposition. Der Bayerische
Landtag hat ein gutes Beispiel gegeben, als er mit den
Stimmen der CSU dafür stimmte – zu Recht: Es ist näm-
lich schöner, Bier aus dem Glas zu trinken als aus der
Dose.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])


Schließlich haben sich auch alle bayerischen Brauereien
für das Pfand ausgesprochen. Auch in den meisten Städ-
ten wurden mit den Stimmen von CDU oder CSU dem-
entsprechende Beschlüsse gefasst.

Die Gesellschaft muss aufhören, wider besseres Wis-
sen Problemabfälle zum Beispiel durch Einwegver-
packungen zu produzieren. Mehrweg stellt hier eine in-
telligente Lösung dar, um diese zu vermeiden. Deswegen
brauchen wir jetzt das Pfand auf ökologisch nachteilige
Getränkeverpackungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Ulrich Kelber

16781


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417110000
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Werner Wittlich.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheit für die Dose!)



Werner Wittlich (CDU):
Rede ID: ID1417110100
Freiheit für Ihre Fla-
sche! – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Der Entwurf der Bundesregierung, der ein
Zwangspfand für Getränkeflaschen vorsieht, wird von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Barbara Wittig [SPD]: Das ist aber schade!)


Dieser ist ökologisch falsch und in wirtschaftlicher Hin-
sicht nicht vertretbar. Die 1991 von der CDU/CSU und
F.D.P. unter dem damaligen Umweltminister Töpfer er-
lassene Verpackungsverordnung war erfolgreich. Sie hat
dazu geführt, dass in Deutschland mehr Verpackungen
gesammelt und verwertet werden als in irgendeinem an-
deren Land der Welt. Das gilt gerade auch für Getränke-
verpackungen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Beispielsweise ist das Altglasrecycling für viele Bürger
geradezu der Inbegriff gelebten Umweltschutzes gewor-
den. Diese ökologische Erfolgsgeschichte will der Bun-
desumweltminister Trittin nun mit seinem Zwangspfand
zerstören.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Die geltende Verpackungsverordnung hat auf dem Ge-

biet des Mehrwegschutzes die richtigen Signale gesetzt:
1991 wurden in Deutschland 19,4 Milliarden Liter Ge-
tränke in Mehrwegflaschen abgefüllt. 1998 waren es nach
uns vorliegenden Informationen mehr als 22,5 Milliarden
Liter. Das ist kein Rückgang, sondern eine Steigerung um
16 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich verwahre mich dagegen, dass der Bundesumwelt-

minister entgegen dieser Fakten den Mythos schaffen
will, die Wirtschaft hätte in den zurückliegenden Jahren
die Verpackungsverordnung sozusagen mit Füßen getre-
ten und müsste deshalb bestraft werden. Das Gegenteil ist
der Fall: In wohl keinem anderen Umweltbereich hat die
Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren mehr getan als
bei der Verminderung und Verwertung von Verpackungs-
abfällen.


(Zuruf von der SPD: Märchen!)

Damit die positive Entwicklung der zurückliegenden

Jahre weitergeht, muss Mehrweg – Herr Kollege Kelber,
ich sage ausdrücklich: Mehrweg – in zeitgemäßer Form
geschützt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der technische Fortschritt und der Wandel der Lebens-
verhältnisse müssen berücksichtigt werden. Es gibt einen
anhaltenden Trend zu Klein- und Singlehaushalten. Es
gibt auch einen Trend zu neuen Getränkearten, beispiels-
weise zu Sport- und Gesundheitsgetränken.

Zudem haben vom Umweltbundesamt anerkannte
Ökobilanzen ergeben, dass recyclingfähige Einwegver-
packungen genauso umweltfreundlich sein können wie
Mehrweg. Deshalb will die CDU/CSU-Fraktion, dass die
Wirtschaft künftig sicherstellen muss, dass mindestens
24 Milliarden Liter Getränke in ökologisch vorteilhaften
Verpackungen abgefüllt werden. Das unterstützt auch die
mittelständischen Kleinbrauereien.

Zugleich streben wir an, dass der Anteil der erfassten
und verwerteten Einwegverpackungen deutlich erhöht
wird. Die Wirtschaft bekommt damit eine neue Messlatte,
die Mehrwegschutz auf hohem Niveau mit Flexibilität
verbindet. Diese anspruchsvolle Verpflichtung der Wirt-
schaft soll mit harten Sanktionsmechanismen verbunden
werden,


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche? – Gegenruf der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]: Lizenzmodelle!)


falls die Ziele nicht erreicht werden.
Es ist enttäuschend und verantwortungslos, dass die

Mehrheit im Umweltausschuss unser Angebot abgelehnt
hat, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Stattdessen treibt der Bundesumweltminister sein Zwangs-
pfand voran, ohne sich mit den eigentlichen Konsequen-
zen zu befassen. Es geht ihm augenscheinlich nicht mehr
um den Schutz von Mehrweg, sondern schlicht um eine
politische Machtdemonstration.


(Lachen des Abg. Horst Kubatschka [SPD])

Was würde denn durch das Zwangspfand erreicht? –

Der Einzelhandel wäre gezwungen, Rücknahmeautoma-
ten für leere Flaschen und Dosen aufzustellen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! So steht es in Ihrer Verpackungsverordnung!)


Nach Berechnung von Roland Berger wird dies fast 3Mil-
liarden DM kosten, nach Schätzung der Bundesregierung
immerhin noch fast 2 Milliarden DM. Dazu kommen je-
des Jahr erhebliche Betriebskosten und wirtschaftliche
Risiken.

Mit diesem großen Aufwand wird nur erreicht – das
muss man sich wirklich einmal vor Augen halten –, dass
Verpackungen, die der Bürger bisher in Altglas-Iglus oder
in die Wertstofftonne gegeben hat, in teuren Automaten
erfasst werden müssen. Im Ergebnis wird der Einzelhan-
del gezwungen sein, das neue System so wirtschaftlich
wie möglich zu gestalten. Darum schafft das Pfand einen
ökonomischen Zwang, mehr Einweg zu verkaufen als bis-
her. Vor dieser Entwicklung haben besonders auch die
Umweltverbände gewarnt. Eine Vielzahl wissenschaft-
licher Untersuchungen ist zum gleichen Ergebnis ge-
kommen.

Auch in der Praxis hat sich bestätigt, dass das Zwangs-
pfand dem Mehrweg überhaupt nicht hilft. In Schweden,
wo es seit Jahren ein Zwangspfand gibt, ist der Mehr-
weganteil bei Bier nicht einmal mehr halb so hoch wie in
Deutschland. Heute Morgen konnte man den Nachrichten






(C)



(D)



(A)



(B)


entnehmen, dass es in Schweden wegen illegaler Einfuhr
aus anderen Ländern bei Dosen einen Rücklauf von – man
höre und staune – 120 Prozent gibt.

Der Bundesumweltminister hat offenbar keinen einzi-
gen neutralen Gutachter gefunden, der ihm eine positive
Lenkungswirkung seines Zwangspfandes bescheinigt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe Ihnen gerade einen in meiner Rede genannt! Sie hören nicht zu!)


– Ich komme darauf zurück.
Außer einem wenige Seiten langen Papier des Um-

weltbundesamtes, nach dem eine positive Wirkung des
Zwangspfandes, Herr Kollege Kelber, nicht ausgeschlos-
sen werden kann, hat er nichts, aber auch gar nichts vor-
zuweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe die Sprenger-Studie genannt! Kennen Sie die?)


Damit ist die berechtigte Forderung der Länder nicht er-
füllt, vor Erlass der Vorschrift nachzuweisen, dass sie der
Umwelt tatsächlich nutzt.

Das Gleiche gilt für die angebliche Landschaftsver-
schmutzung durch Getränkeverpackungen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Angeblich? Sind Sie schon einmal am Straßenrand entlanggegangen?)


Eine repräsentative Untersuchung des TÜV hat ergeben,
dass nur 6 Prozent der Verschmutzung der Innenstädte
und der sonstigen öffentlichen Flächen durch Dosen oder
Flaschen hervorgerufen werden. Laut TÜV würde das
Zwangspfand kaum etwas dazu beitragen, Deutschlands
Straßen und Plätze sauberer zu machen. All diese Gut-
achten können Sie gar nicht widerlegen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Ja, aber von wem werden sie bezahlt? Das ist die Frage!)


Es steht fest, dass umfassende Maßnahmen – Ver-
braucherinformationen, mehr Sammelbehälter, Reini-
gung von Verschmutzungsschwerpunkten, konsequenter
Vollzug des Ordnungsrechts – viel mehr bewirken wür-
den. Dieses Vorgehen wird durch die Zusage der Wirt-
schaft erleichtert, die Kommunen um Kosten in Höhe von
250 Millionen DM zu entlasten, damit gegen die Land-
schaftsverschmutzung besser vorgegangen werden kann.
Weil die Sachargumente ausgegangen sind, klammern
sich SPD und Grüne an Meinungsumfragen, die von den
Anhängern des Zwangspfandes in Auftrag gegeben wur-
den. Ähnliche Umfrageergebnisse gab es auch für die
Ökosteuer, solange sich die Bürger über die Konsequen-
zen nicht im Klaren waren.

Wenn die Verbraucher an einem Samstag zum ersten
Mal vor den Zwangspfandautomaten Schlange stehen,
dann wird die Stimmung umschlagen. Das Zwangspfand
führt zu einer Verteuerung der Getränke,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wie bei den Flaschen, die man zurückgeben muss!)


weil die Milliardenkosten für das neue Rücknahmesystem
gar nicht anders finanziert werden können. Zudem bürdet
es den Verbrauchern erkennbar sinnlose Tätigkeiten auf.
Das Zwangspfand wird in der Praxis genauso unbeliebt
wie das Abkassieren des Autofahrers an der Zapfsäule
sein. So bleibt dem Bundesumweltminister als letzte Zu-
flucht nur noch die Drohung, dass er die alte Ver-
packungsverordnung anwenden werde, wenn sein
Zwangspfand scheitere.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die muss er nicht anwenden, die hat Rechtskraft!)


Dazu sage ich: Nur zu, Herr Minister! Weder die Union
noch die Länder werden sich dadurch einschüchtern las-
sen. Bei korrekter Anwendung des geltenden Rechts wird
es in dieser Legislaturperiode nämlich kein Zwangspfand
geben.


(Ulrich Kelber [SPD]: Quatsch!)

Das Verfahren wurde von Herrn Trittin in den ersten

Monaten seiner Amtszeit eingeleitet, obwohl die prozen-
tuale Mehrwegquote gar nicht eindeutig unterschritten
war.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Vielmehr war der Messfehler der amtlichen Statistik
größer als die angebliche Unterschreitung der Mehrweg-
quote. Der Vollzug wäre daher wohl rechtswidrig. Dage-
gen klagen bereits betroffene Unternehmen vor dem Ver-
waltungsgericht Berlin. Außerdem gibt es einen breiten
politischen Konsens, dass Wein, Getränkekartons und
Diätgetränke nicht bepfandet werden sollen. Zudem fehlt
bisher jede fundierte Aussage darüber, ob nicht auch
PET-Einwegflaschen das Prädikat der ökologischen Vor-
teilhaftigkeit erwerben werden.

Eine Bewertung als „ökologisch vorteilhaft“ ist auch
dann möglich, wenn eine solche Verpackung in der vom
Dualen System zu erbringenden Rücklaufquote einer
hochwertigen Verwertung zugeführt wird. Das zeigt das
Beispiel der Kartonverbundverpackungen. Behauptungen
aus dem Bundesumweltministerium, ein solches Ergebnis
sei nur über hohe Rücklaufquoten im Rahmen einer Pfand-
regelung möglich, sind daher haltlos. Deswegen muss der
Vollzug der geltenden Regelung ausgesetzt werden. In
der nächsten Legislaturperiode werden wir dann aus einer
anderen Position gerne daran mitwirken, die Ver-
packungsverordnung umfassend zu novellieren.

Um seine Niederlage noch abzuwenden, schaltet der
Bundesumweltminister jetzt sogar Anzeigen, in denen er
für seinen Zwangspfand wirbt. Die Bundesregierung ist
nicht berechtigt, mit dem Geld des Steuerzahlers Werbung
zu bezahlen, um in einer laufenden Beratung die politi-
sche Opposition niederzuwalzen. Der Bundesumweltmi-
nister wird sein Ziel nicht erreichen, sondern Opposition
und Länder nur noch weiter gegen sich aufbringen. Er
wird nicht verhindern können, dass am Ende des Weges
ein Kompromiss ohne Zwangspfand steht, der für Um-
welt, Verbraucher und Wirtschaft die bessere Lösung ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





WernerWittlich

16783


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417110200
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, noch ein Nachtrag zu Tages-
ordnungspunkt 18: Bei den vielen Abstimmungen ist eine
Zustimmung aus der SPD-Fraktion zum Entschließungs-
antrag der PDS im Gewühl untergegangen.

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesumweltminister
Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! 9 Milliarden Liter Getränke werden
jedes Jahr in Einwegverpackungen abgefüllt, davon
– Tendenz: steigend – 3 Milliarden in Dosen. All die Bei-
spiele, die Sie hier genannt haben, können überhaupt nicht
erklären, warum man diese neuen Getränke in Dosen ab-
füllen muss. Es gibt viele andere Möglichkeiten.

Damals hat Klaus Töpfer einen Mechanismus festge-
schrieben, der besagt: Wenn die Quote der Mehrweg-
verpackungen von 72 Prozent unterschritten wird, tritt
eine Sanktion in Kraft. Sie haben noch 1998 unter meiner
Amtsvorgängerin dieses alles bestätigt und ausgebaut.
Sie, Herr Kollege Wittlich, haben eine Rede gehalten ge-
gen die Position von Frau Merkel und gegen die Position
von Herrn Töpfer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Werner Wittlich [CDU/ CSU]: Das sind alles Märchen! Dummes Zeug!)


Wenn ich höre: „Wir brauchen eine Selbstverpflich-
tung“, sage ich: Das, was 1991 verabschiedet worden ist,
war eine Selbstverpflichtung. – Der Staat hat nicht gesagt:
„Macht das so oder so“, sondern der Staat hat gesagt: Ihr
müsst die Quote halten. Wie ihr es erreicht, das ist eure Sa-
che. – Jetzt sagen Sie: Wir müssen eine neue Messlatte an-
legen. –Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie ein
Hochspringer, der dreimal gerissen hat und sagt: Dann
hänge ich das Ganze 50 Zentimeter tiefer. Das ist das Ge-
genteil einer glaubwürdigen Umweltpolitik!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Werner Wittlich [CDU/CSU]: Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie eine leere Flasche, die man entsorgen muss!)


Ich hätte mich ja auch des Nichtstuns befleißigen können.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das wäre manchmal besser!)

Wissen Sie, was dann käme? Dann käme jetzt das Merkel-
Pfand. Das hieße, Bier und Mineralwasser würden be-
pfandet, Pepsi und Cola nicht, Weinflaschen hingegen
doch.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie hätten sich stattdessen intelligent betätigen können!)


– Das ist eine intelligente Lösung, Frau Homburger. Das
glaube ich in der Tat.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Aber ganz sicher nicht, Herr Minister!)


Die Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind,
brauchen Rechtssicherheit. Die Verpackungsverordnung

ist vor zehn Jahren eingeführt worden. Im Vertrauen auf
diese Regelungen haben deutsche Brauereien über 1 Mil-
liarde DM in modernste Mehrwegsysteme investiert. Sie
verdienen von unserer Seite, vonseiten des Bundestages,
des Bundesrates und der Bundesregierung, für diese In-
vestition einen Vertrauensschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben lange über Alternativen zum Pfand verhan-
delt. Das wissen Sie. Aber eines ist auch wahr: Einige sa-
gen, es gebe bessere Sanktionsmöglichkeiten. Bevor Sie
die aber zitieren, sollten Sie zu Ende lesen. Die sagen
nämlich: Pfand vielleicht nicht, stattdessen machen wir
eine Abgabe oder gar eine Verpackungssteuer. Ich freue
mich schon darauf, wenn die Landesregierung von Ba-
den-Württemberg eine neue Verpackungssteuer einführen
will, da in der gestrigen Umweltministerkonferenz deut-
lich geworden ist, dass als Erste die Hessen in dieser
Frage Nein rufen.

Halten wir also fest: Alternativen sind nach dreijähri-
gen Verhandlungen entweder nicht mehrheitsfähig oder
sie stellen nichts anderes dar als die Absenkung der alten
Quote im Rahmen der Selbstverpflichtung. Sie haben
keinerlei ökologische Lenkungswirkung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben eine sehr präzise und überschaubare Zu-
sammenfassung aller Erkenntnisse über die ökologische
Lenkungswirkung in Form des Gutachtens des Umwelt-
bundesamtes vorgelegt. Das ist präzise nachzulesen. Das
Umweltbundesamt kommt zu einem eindeutigen Er-
gebnis, Herr Kelber hat das Gutachten zitiert. Aber wis-
sen Sie, was mich viel mehr überzeugt als das Gutachten
meines eigenen Umweltbundesamtes? Es ist die inzwi-
schen sehr stark zunehmende Zahl von Schreiben derjeni-
gen, die Einwegverpackungen herstellen. Wenn Ihre Be-
hauptung stimmen würde, dass das Pfand dem Mehrweg
nicht hilft, warum läuft dann die ganze Einwegindustrie
dagegen Sturm? Die müssten doch Hurra schreien, da
müssten doch die Champagnerkorken knallen, wenn das
richtig wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Stellungnahmen derjenigen, die davon unmittelbar
betroffen sind, sind in der Tat völlig eindeutig.

Bevor Sie noch einmal ein TÜV-Gutachten zur Ver-
müllung der Landschaft zitieren, Herr Kollege Wittlich,
will ich Sie auf Folgendes hinweisen. Der TÜV hat unter-
sucht, wie groß die Fläche ist, die inzwischen von Müll
bedeckt ist, und hat herausgefunden, dass es 6 Prozent
sind. Das finde ich schon ziemlich erschreckend. Aber er
hat nicht gesagt, dass nur 6 Prozent des in der Landschaft
herumliegenden Mülls Getränkeverpackungen sind.
Nein, der Anteil der Getränkeverpackungen beträgt
20 Prozent, ein Fünftel des in der Landschaft herumlie-
genden Mülls.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Jawohl!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Dann hat der TÜV noch einen Fehler gemacht. Er hat
nämlich nur die Landschaft und nicht die Autobahnen und
ihre Ausfahrten betrachtet; er hat also 11 000 Kilometer
aus der Betrachtung herausgelassen. So solide sind Ihre
Gutachter. Sie sollten das demnächst nachlesen, bevor Sie
einfach einen Text vortragen, den Ihnen jemand anders
aufgeschrieben hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen glaube ich: Für die Menschen in diesem
Lande liegen die Argumente für das Dosenpfand im wört-
lichen Sinne auf der Straße. Sie wollen sich mit der zu-
nehmenden Vermüllung unserer Parks und der ganzen
Landschaft nicht abfinden. Sie haben sehr wenig Ver-
ständnis für Vorschläge wie: „Wir haben ein Müllpro-
blem, deshalb geben wir jetzt im Rahmen einer freiwilli-
gen Selbstverpflichtung eine viertel Milliarde oder gar
eine halbe Milliarde aus, um den ganzen Müll wieder ein-
zusammeln“, wenn es eine Alternative gibt, dass dieser
Müll gar nicht erst in die Landschaft kommt. Die Alter-
native ist das Pfand; denn es bleibt wahr: Niemand
schmeißt ohne Grund Geld auf die Straße.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Werner Wittlich [CDU/CSU]: Was machen Sie denn mit den anderen Verpackungen? Die liegen doch nach wie vor da!)


Ich will Sie nur noch an eines erinnern. Sie sollten das
nicht unter dem Stichwort „machtpolitische Spielchen“
oder Ähnlichem abtun. Es hat 1991 eine Entschließung
des Bundesrates zur Verpackungsverordnung gegeben.
Damals hat man gesagt, das Ziel einer Mehrwegquote
von 72 Prozent sei nicht ambitioniert genug; wir bräuch-
ten ein ambitionierteres Ziel. Deshalb hat der Bundesrat
die Bundesregierung in einer Entschließung aufgefordert,
die Mehrwegquote nicht etwa zu halten, sondern sie zu
dynamisieren. Nach dem Beschluss des Bundesrates, da-
mals mit den Stimmen von CDU- und CSU-Ländern ge-
fasst, müssten wir heute eine Mehrwegquote von 81 Pro-
zent haben.


(Zuruf von der SPD: Schön wär’s!)

Wenn Sie das berücksichtigen, dann dürfte es Sie nicht

wundern, dass das Ganze für einen parteipolitischen Streit
überhaupt nicht taugt. Deswegen freue ich mich, dass der
Bayerische Landtag in Kenntnis der Situation in Bayern
so beschlossen hat, wie er beschlossen hat. Es ist nämlich
auch in Bayern deutlich geworden: Es geht hier nicht nur
um umweltgerechte Kreislaufwirtschaft, es geht auch und
gerade darum, Zehntausende von Arbeitsplätzen in der
mittelständischen Brauereiwirtschaft, in den mittelstän-
dischen Getränkefach- und -großhandlungen zu erhalten.
Es geht, jenseits aller Umweltpolitik und aller wirt-
schaftspolitischen Auswirkungen, auch darum, das zu er-
halten, was unsere Kultur sehr prägt, nämlich die Vielfalt
kleiner Brauereien und der unterschiedlichen Traditionen
in diesem Lande, Bier zu produzieren. Das soll nicht
durch die Dose und durch Einweg platt gemacht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417110300
Jetzt spricht die Kol-
legin Birgit Homburger für die F.D.P.-Fraktion.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Freiheit des Wettbewerbs für die Dose!)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1417110400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das uns heute
hier beschäftigt, beschäftigt auch die Menschen im Land.
Sie aber diskutieren das Thema hier in einer halben
Stunde; es wird im Plenum durchgepeitscht. Das halte ich
für absolut unangemessen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist bezeichnend für die Koalition: nur nicht viel Zeit für
eine Sachdebatte, für Inhalte; sie könnte ja dazu genutzt
werden, Ihre Argumente zu entkräften.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb gilt für Sie trotz vielfältiger Bedenken der
Länder, der EU-Kommission, der Wirtschaft oder auch
des BUND, der nicht in Verdacht steht, der F.D.P. nahe zu
stehen: Sie wollen die Sache jetzt durchtrotzen, obwohl
klar ist, dass das Zwangspfand ökologisch und ökono-
misch unsinnig, ein Bärendienst für die Umwelt ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Bringen Sie endlich mal ein Argument!)


Aus diesem Grunde lehnt die F.D.P. die Novelle der
Verpackungsverordnung ab. Uns ist ökologische Sachpo-
litik wichtiger als ideologische Prestigeobjekte zur Ret-
tung der Grünen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die aktuellen Ökobilanzen des Umweltbundesamtes

zeigen ohnehin, dass Mehrwegverpackungen nicht durch-
gängig als ökologisch vorteilhaft bezeichnet werden kön-
nen. Vielmehr sind moderne Getränkekartons der Glas-
mehrwegflasche ökologisch gleichwertig. Das erkennt
die von Ihnen vorgelegte Novelle ja nun auch durch die
Einteilung in ökologisch vorteilhafte und ökologisch
nachteilige Verpackungen an. Konsequenterweise müsste
Herr Trittin jetzt aber auch zugeben, dass der Anteil öko-
logisch sinnvoller Verpackungen in den letzten Jahren
eben nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Wir sind jetzt
bei einem Anteil von ungefähr 80 Prozent.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aus ökologischer Sicht gibt es also überhaupt keinen
Grund, ein Zwangspfand zu erheben. Das Ganze ist ein
Schildbürgerstreich erster Klasse.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Herr Trittin, ich kann Ihnen nur sagen: Bei Ihnen siegt

einmal mehr ideologische Verbohrtheit über ökologische
Erkenntnis und intellektuelle Redlichkeit.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hören Sie endlich auf zu sagen, wir wollten nichts mehr
von dem wissen, was wir früher gemacht haben! Die alte




Bundesminister Jürgen Trittin

16785


(C)



(D)



(A)



(B)


Verpackungsverordnung und die Novelle von 1998 sind
zu einer Zeit entstanden, als die neuen Erkenntnisse noch
nicht vorlagen; sie sind auf dem damaligen Stand der Wis-
senschaft.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir sind lernfähig und wollen die neuen Erkenntnisse in
der neuen Verordnung umsetzen.


(Unruhe bei der SPD – Renate Rennebach [SPD]: Das wäre aber neu!)


– Wenn Sie so dazwischenrufen, zeigt das, dass man Sie
getroffen hat.

Die Politik ist nun einmal nicht dazu da, Steckenpferde
vor sich herzutragen, sondern muss neue wissenschaftli-
che Studien zur Kenntnis nehmen. Deshalb ist eines ganz
klar: Weder die von Ihnen vorgelegte Novelle noch die
alte Verpackungsverordnung ist eine Lösung für die Zu-
kunft.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es muss eine komplette Neufassung im Sinne des F.D.P.-
Antrags her. Herr Trittin, Ihr Entwurf ist nicht die bessere,
sondern die schlechtere Alternative.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Als Gegenleistung für einen ins Groteske steigenden

Sammel- und Transportaufwand müssen die Verbrau-
cher höhere Preise zahlen, weil – ich will nur den Grünen
Punkt als ein Beispiel nennen – die Einnahmeausfälle
durch das Zwangspfand auf die restlichen Verpackungen
umgelegt werden. Das Zwangspfand ist also eine Veral-
berung der Bürgerinnen und Bürger: Je mehr gesammelt
und getrennt wird, desto teurer wird der Spaß.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Im Übrigen lässt sich das Problem der Vermüllung

der Landschaft nicht durch ein Zwangspfand lösen. Ich
danke Herrn Trittin, dass er Herrn Kelber in diesem
Punkt korrigiert hat. Die Getränkeverpackungen haben
nämlich nur einen Anteil von 20 Prozent und nicht von
25 Prozent.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja der Riesenunterschied!)


Spielen Sie doch nicht ständig den Menschen vor, die
Landschaft würde wieder sauber, wenn dieser Anteil aus-
sortiert worden ist! In der Landschaft liegt doch noch viel
mehr. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! Wir wollen,
dass Sie nicht weiter verantwortungslos handeln, sondern
dass insgesamt Lösungen für die Zukunft gefunden
werden.

Deswegen werden wir überlegen müssen, wie man der
Vermüllung der Landschaft entgegenwirken kann. Anstatt
dass Sie Trittin als Dosenpolizist in Stellung bringen, soll-
ten Sie sich besser einmal Gedanken darüber machen, was
man in Umweltbildung und Umwelterziehung Sinnvolles
tun könnte!


(Beifall bei der F.D.P.)


Warum machen Sie nicht beispielsweise Aktionen zusam-
men mit den Herstellern von Dosen und richten einen
Fonds ein? Wenn Ihnen so sehr daran liegt, dann starten
Sie doch Aktionen zum Sammeln von Dosen! Das wäre
dann ein Beitrag zur Umweltbildung und -erziehung und
für eine bessere umweltpolitische Zukunft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Vier Minuten ohne Argument!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1417110500
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1417110600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss
ich Frau Homburger Recht geben, denn auch ich halte
eine halbe Stunde Diskussion für sehr kurz.

Ich habe zu diesem Thema einen praktischen Vor-
schlag. Man könnte dem Problem doch in Form einer
Bierprobe näher treten: Weizenbier aus einem schönen
Glas und Weizenbier aus der Dose. Vielleicht, Herr
Wittlich, würden Sie dann ganz anders über diese Frage
denken, denn sie entscheidet sich doch letztlich in der
Kaufhalle.

Worum ging es denn in der Verpackungsverordnung?
Was war denn die Intention ihrer Einführung? Es ging ja
nicht nur um die Vermüllung der Umwelt und der Land-
schaften. Das ist zwar sicher ein Problem, aber es ging
doch auch um Ressourcenschonung und um Kreislauf-
wirtschaft.Darüber hat heute leider niemand gesprochen.
Gestern habe ich tolle große Reden zum Thema Nach-
haltigkeit in Europa gehört. Ich denke, Nachhaltigkeit ist
auch im Bereich der Müllvermeidung ein wichtiges
Thema. Nicht zuletzt deswegen wurde die Verpa-
ckungsverordnung eingeführt.

Wir haben darüber im Umweltausschuss diskutiert.
Die PDS hat einen entsprechenden Antrag eingebracht.
Wir wollten, dass § 9 der Verpackungsverordnung weiter-
hin eine gesetzliche Überprüfungspflicht vorsieht. Lei-
der haben alle übrigen Fraktionen des Hauses das abge-
lehnt. Offensichtlich wurde ich auch missverstanden.
Jetzt gibt es diese gesetzliche Verpflichtung zur Über-
prüfung leider nicht mehr.

Wir wollten darüber hinaus eine verbindliche Mehr-
wegquote festschreiben, die in § 9 der Verpackungsver-
ordnung jetzt auch nicht mehr vorhanden ist. Ich denke,
das ist sehr schade. Sie vergeben sich damit etwas. Mal se-
hen, ob in Zukunft, wenn es also keine gesetzliche Über-
prüfungspflicht mehr gibt, noch so überprüft wird wie
bisher. Das wäre eine wichtige Sache gewesen. Ich finde
es schade, dass Sie hier nicht mitgehen konnten.


(Beifall bei der PDS)

Im Zusammenhang mit den Dosen wurde über den

Wandel der Verhältnisse gesprochen. Ich denke, das ist
auch eine Frage der Mischkalkulation der Kaufhäuser.
Darüber sollten wir noch einmal sprechen. Auch über
ökologische Bilanzen wurde hier schon diskutiert. Es ist




Birgit Homburger
16786


(C)



(D)



(A)



(B)


wirklich so, dass bei der Ökobilanz von Dosen Entfer-
nungen durchaus eine Rolle spielen. Auch sollten wir
über regionale Kreisläufe sprechen. Das ist nicht getan
worden.

Ich meine, Einweg kann kein Weg sein. Die Novellie-
rung der Verpackungsverordnung ist ein erster Schritt. Al-
lerdings würde ich gerne von Herrn Trittin wissen – leider
kann er mir nicht mehr antworten –, was mit dem
Zwangspfand passiert, wenn die Quoten weiter sinken.
Auf diese Frage kann ich heute leider keine Antwort mehr
erhalten. Ich hoffe, dass wir uns nächstes Jahr wieder da-
rüber unterhalten.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1417110700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Es liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung vor, und zwar seitens der SPD-Fraktion
von Andrea Nahles, Bernhard Brinkmann (Hildesheim),
René Röspel, Willi Brase und Heino Wiese (Hannover)

sowie seitens der CDU/CSU-Fraktion von Hartmut
Koschyk.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur
Zweiten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung
der Verpackungsverordnung, Drucksachen 14/5941 und
14/6072. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der
Bundesregierung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthaltun-
gen? – Bei Zustimmung der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen sowie einiger Kollegen der CDU/CSU-
Fraktion


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Zwei!)

– ich hatte drei gesehen; also gut, von genau zwei Abge-
ordneten der CDU/CSU –, bei Ablehnung der CDU/CSU
im Übrigen, bei Ablehnung der F.D.P. sowie bei Enthal-
tung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6103 ab. Wer ist
für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist abgelehnt.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
F.D.P. zur Novellierung der Verpackungsverordnung und
Flexibilisierung der Mehrwegquote, Drucksache 14/5301.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3814 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für eine wirksame und vernunftgeleitete
Chemikaliengesetzgebung
– Drucksache 14/5761 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zu
diesem Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben
worden.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der
F.D.P. auf Drucksache 14/5761 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? – Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus

(Zensusvorbereitungsgesetz)

– Drucksache 14/5736 –

(Erste Beratung 164. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/6068 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Beatrix Philipp
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/6069 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber
Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft

Ich eröffne die Aussprache. Auch bei diesem Tages-
ordnungspunkt sind Reden zu Protokoll gegeben wor-
den.3)

Für die PDS spricht die Kollegin Petra Pau.




Eva Bulling-Schröter

16787


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4 und 5
2) Anlage 6
3) Anlage 7


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1417110800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Das, was jetzt auf der Tagesordnung
steht, klingt im Verhältnis zu den Dingen, die wir heute
bereits debattiert haben, vergleichsweise harmlos:


(Barbara Wittig [SPD]: Ist es auch!)

„Vorbereitung eines registergestützten Zensus.“ Aber
schon die Überschrift führt uns in die Irre.

Worum geht es eigentlich? Es geht um nicht mehr und
nicht weniger als um ein Gesetz, welches dem vom Bun-
desverfassungsgericht vorgegebenen und kreierten infor-
mationellen Selbstbestimmungsrecht von Bürgerinnen
und Bürgern zumindest in Teilen widerspricht.


(Barbara Wittig [SPD]: Nein, stimmt nicht!)

In einem noch unter der Vorgängerregierung gefassten
Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 1998 begrüßte der
Deutsche Bundestag ausdrücklich, zukünftige Erhebun-
gen und Volkszählungen nur noch in Form einer stich-
tagsbezogenen Auswertung der Melderegister vorzuneh-
men.

In diesem Gesetz aber – wenn es denn hier angenom-
men wird – nehmen wir uns vor, erstens eigens das
Sozialgesetzbuch zu ändern, zweitens die Daten der Mel-
deregister und der Bundesanstalt für Arbeit zusammenzu-
führen und drittens 750 000 Bürgerinnen und Bürger mit
einem Fragebogen mit 120 bis 150 Fragen zu belästigen.
Wenn sie nicht bereit sind, diese Fragen – sowohl zu ihrer
Person als auch zu bisher geschlossenen und geschiede-
nen Ehen sowie dem Zusammenleben in nicht ehelichen
Lebensgemeinschaften – zu beantworten, sind sie entspre-
chend dem Statistikgesetz auch Sanktionen unterworfen.

Letztendlich geht es also um einen erheblichen Eingriff
in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bür-
gerinnen und Bürger.


(Barbara Wittig [SPD]: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gewährleistet!)


Es besteht die Gefahr, welche nicht nur von uns, sondern
auch von einzelnen Landesdatenschutzbeauftragten gese-
hen wird,


(Barbara Wittig [SPD]: Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat keine Einwände!)


dass, über die eigentliche Erhebung der Statistik hinaus,
Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Das
heißt, die Methoden, die hier getestet werden, erlauben es,
die Bürger über die Statistik hinaus zu katalogisieren und
zu registrieren.

Letztendlich beschließen wir hier eine Volkszählung
hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger. Ehrlich
wäre es gewesen, als Überschrift zu wählen: „Gesetz über
eine neue Form der Volkszählung“. Deshalb lehnen wir
diesen Gesetzentwurf ab.


(Beifall bei der PDS – Barbara Wittig [SPD]: Das ist schade!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1417110900
Da die übrigen Reden
zu Protokoll gegeben worden sind, kann ich die Ausspra-
che schließen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Zensusvor-
bereitungsgesetzes, Drucksache 14/5736. Der Innen-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6068, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der
PDS angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia Maier, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absiche-
rung der verfassten Studierendenschaft
– Drucksache 14/5760 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. sind zu Proto-
koll gegeben worden.1)

Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher für die PDS-
Fraktion das Wort.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1417111000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Aufsetzung dieses Tagesordnungs-
punktes hat die PDS beantragt; daher möchte ich schon
unseren Standpunkt darlegen. Es liegt nicht an mir, dass
er erst um diese Zeit behandelt wird.

„Demokratie statt Zwang – Aufstehen für freie Bildung
und kritische Wissenschaft!“ – So lautete das Motto eines
bundesweiten Aktionstages an diesem Mittwoch, zu dem
zahlreiche Studierendenvertretungen und studentische
Organisationen aufgerufen hatten.

„Demokratie statt Zwang“ könnte auch über unserem
Gesetzentwurf stehen. Die PDS fordert den Deutschen
Bundestag zur Lösung eines Problems auf, mit dem wir es
seit über 30 Jahren zu tun haben, spätestens seit 1968, als
der Studierendenschaft der Universität Tübingen gericht-
lich untersagt wurde, gegen die Erschießung des Studen-
ten Benno Ohnesorg zu protestieren. Denn – so führte das
Verwaltungsgericht damals aus – „nicht jeder Tod eines
Studenten ist hochschulbezogen.“






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

Demokratisch gewählte Studierendenvertretungen
müssen sich immer wieder wegen rechtswidriger Wahr-
nehmung des so genannten allgemeinpolitischen Mandats
vor Gericht verantworten. Studentenausschüssen und Stu-
dentenräten drohen Ordnungsgelder in Höhe von bis zu
500 000 DM. Deren Vorsitzende wurden wiederholt auch
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.

Insbesondere an den Hochschulen in den neuen Län-
dern stößt diese Rechtslage auf absolutes Unverständnis;
denn gerade dort hat 1989 eine demokratische Studenten-
bewegung für das Recht auf Mitbestimmung und Selbst-
verwaltung sowie für Meinungs- und Demonstrationsfrei-
heit gestritten.


(Beifall bei der PDS)

In den letzten Jahren hat die Zahl der Klagen und

Gerichtsentscheidungen gegen Studierendenvertretungen
wieder deutlich zugenommen. Immer häufiger wird sogar
das Engagement gegen Rechtsextremismus, Antisemi-
tismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die kritische
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als
verbotene Wahrnehmung des so genannten allgemein-
politischen Mandats unterbunden und kriminalisiert. So
wurde beispielsweise der AStA der Freien Universität
Berlin mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 10 000 DM
bestraft, weil er eine Veranstaltung zum Thema „Rassisti-
sche Diskurse – Rassistischer Alltag“ organisiert hatte.
Der AStA der Universität Münster musste ebenfalls ein
Ordnungsgeld bezahlen, weil die Fachschaftsvertretung
für Geschichte ein Zeitzeugengespräch mit dem ehe-
maligen KZ-Häftling und Widerstandskämpfer Emil
Carlebach veranstaltet hatte.

Es ist doch geradezu absurd: Politikerinnen und Politi-
ker, aber auch die Hochschulrektorenkonferenz – so mit
ihrer Erklärung vom Oktober 2000 – rufen die Hoch-
schulmitglieder aus Sorge um das internationale Ansehen
zu Recht dazu auf, gegen Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit und Antisemitismus einzutreten.


(Beifall bei der PDS)

Gewählte Studierendenvertreter, die diese Appelle ernst
nehmen, begeben sich aber buchstäblich mit einem Bein
ins Gefängnis. Das dürfen wir nicht länger zulassen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion beantragt daher eine Änderung des

Hochschulrahmengesetzes. Studentinnen und Studenten
müssen an der Debatte über die gesellschaftlichen Grund-
lagen und Rahmenbedingungen von Forschung, Lehre
und Studium aktiv teilhaben können,


(Beifall bei der PDS)

erst recht dann, wenn es um die Autonomie der Hoch-
schulen geht; darin stimmen Bund und Länder überein.
Hierzu gehört auch das Recht – nach meinem Verständnis
sogar die Pflicht –, zu allen gesellschaftlichen Fragen
Stellung beziehen zu können.

Wie der Deutsche Industrie- und Handelstag, ebenfalls
eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Pflichtmit-
gliedschaft, ganz selbstverständlich über sein so genann-
tes wirtschaftspolitisches Mandat hinaus beispielsweise

die Einführung von Studiengebühren fordert, müssen sich
auch Studierendenvertretungen in aktuelle Auseinander-
setzungen um die Rentenversicherung oder die Steuerge-
setzgebung einmischen dürfen.


(Beifall bei der PDS)

Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik lassen sich

nicht künstlich trennen. Sollen sich die Studierenden zur
BAföG-Reform äußern, aber schweigen, wenn es um
die haushaltspolitische Deckung, zum Beispiel durch
Senkung der Rüstungsausgaben, geht? Nein, nicht mit
uns!

SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben 1998 im Wahl-
kampf versprochen, durch eine Änderung des Hochschul-
rahmengesetzes die verfasste Studierendenschaft abzusi-
chern. In Kürze wird die Bundesregierung aus Anlass der
Reform des Hochschuldienstrechts einen Entwurf für eine
HRG-Novelle vorlegen, jedoch ohne die versprochene
Absicherung. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von
den Koalitionsfraktionen: Worauf warten Sie eigentlich
noch? Ich weiß, dass die Studierenden, auch soweit sie in
den Jugendverbänden der Regierungsparteien organisiert
sind, keine Geduld mehr mit Ihnen haben.

Mit unserem Gesetzentwurf zeigen wir Ihnen auf, wie
einfach es wäre, Wahlversprechen zu erfüllen. Und in die-
sem Fall kostet es noch nicht einmal etwas.

Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu! Ich habe
ein offenes Ohr für begründete Änderungsanträge. Eine
Ablehnung aber wäre wirklich ein Schlag in das Gesicht
der Studentinnen und Studenten, die übrigens – das
möchte ich Ihnen fairerweise sagen – vor der Tür warten
und der Entscheidung entgegensehen.


(Beifall bei der PDS – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Heute ist die erste Lesung!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1417111100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5760 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie den
Zusatzpunkt 11 auf:
24. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung des Hinterbliebenenrechts
– Drucksache 14/6043 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Horst Seehofer, Karl-Josef Laumann,




Maritta Böttcher

16789


(C)



(D)



(A)



(B)


weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Unzumutbare Belastungen in der Hinterblie-
benensicherung zurücknehmen
– Drucksache 14/6042 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden sind alle zu Protokoll gegeben worden.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksache 14/6043 und 14/6042 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
25. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein-
dämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe
– Drucksache 14/4658 –

(Erste Beratung 143. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6071 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Elke Wülfing

Carl-Ludwig Thiele
Heidemarie Ehlert

Auch hier sind die Redebeiträge zu Protokoll gegeben
worden.2)

Damit kommen wir sogleich zur Abstimmung über den
vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Ein-
dämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe, Drucksa-
chen 14/4658 und 14/6071. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen worden.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich
stelle mit großer Freude fest, dass der Gesetzentwurf ein-
stimmig, also mit der Zustimmung aller Fraktionen, ange-
nommen worden ist.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 30. Mai 2001, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.