Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Er-
richtung einer Stiftung Jüdisches Museum Berlin.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegen-
heiten der Kultur und der Medien, Staatsminister Profes-
sor Dr. Julian Nida-Rümelin.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Da-
men und Herren Abgeordneten! Durch den heute von mir
vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung soll das
Jüdische Museum Berlin von einer öffentlich-rechtlichen
Stiftung des Landes Berlin in eine Bundesstiftung umge-
wandelt werden. Dieser Entwurf wurde heute vom Kabi-
nett beschlossen.
Parallel zum vorliegenden Gesetzentwurf wird der
Berliner Senat einen Gesetzentwurf zur Auflösung der
Landesstiftung in das Abgeordnetenhaus einbringen. Der
Zeitplan sieht so aus, dass mit Sicherheit am 9. Septem-
ber dieses Jahres die Eröffnung stattfindet. Ich habe mich
noch einmal mit Herrn Blumenthal abgestimmt, weil man
bei solchen Vorbereitungen oft in Zeitnot gerät. Es wäre
misslich, wenn das Gesetz bis dahin nicht in Kraft getre-
ten wäre. Dies sollte also vor dem 9. September 2001 der
Fall sein.
Mir ist das sehr wichtig und uns allen sollte das wich-
tig sein. Lassen Sie mich deshalb kurz den Zeitplan skiz-
zieren: Der erste Durchgang im Bundesrat soll am
11. Mai 2001 sein. Die erste Lesung im Bundestag soll am
17./18. Mai 2001, die zweite und dritte Lesung am
21./22. Juni 2001 – eventuell eine Woche später – statt-
finden, sodass der zweite Durchgang im Bundesrat am
13. Juli und das In-Kraft-Treten am 1. September erfolg-
ten kann.
Mit dem Übergang auf den Bund wird der Thematik,
die das Jüdische Museum behandelt, aber auch dem Bau-
werk besonderer Nachdruck verliehen, das schon jetzt
ohne ein museales Angebot international große Aufmerk-
samkeit genießt. Seit Februar 1999 haben sich bereits
300 000 Gäste – das muss man sich einmal vorstellen –
dieses Bauwerk angesehen.
Unter der Museumsleitung des früheren amerikani-
schen Finanzministers der Carter-Regierung, Professor
Blumenthal, wurde in den vergangenen zwei Jahren ein
faszinierendes Konzept für dieses Jüdische Museum er-
arbeitet. Im Zentrum dieses Konzeptes stehen zwei Jahr-
tausende jüdischen Lebens in Deutschland. Dabei – ich
verwende diese Terminologie bewusst, obwohl sie, wie
wir wissen, nicht ganz unproblematisch ist – geht es um
die wechselhaften Entwicklungen der deutsch-jüdischen
Geschichte einschließlich der Katastrophe von Völker-
mord und Verfolgung durch die Nazis.
Das Museum wird nicht ausschließlich – nicht einmal
primär – ein Holocaust-Museum sein. Aber der Holocaust
wird in dieser Gesamtpräsentation eine wichtige Rolle
spielen. Es geht uns und den Verantwortlichen darum,
dass mit diesem Jüdischen Museum, das dann die zentrals-
te Einrichtung dieser Art und sicherlich auch die interna-
tional am meisten beachtete Einrichtung dieser Art sein
wird, ein Signal hinsichtlich der Zukunft jüdischen Le-
bens, jüdischer Kultur, jüdischer Religiosität in Deutsch-
land und Europa und der Vielfalt jüdischen Lebens und
jüdischer Kultur in der Gegenwart auch international ge-
geben wird. Diese Programmatik in diesem Museum so zu
präsentieren, dass sie für alle Besucherinnen und Besu-
cher, egal, woher sie kommen und welche Vorkenntnisse
sie haben, erfahrbar und einsichtig gemacht wird, ist eine
große Aufgabe. Das, was ich bisher kennen gelernt habe,
lässt mich sehr zuversichtlich sein, dass die Programma-
tik überzeugend umgesetzt werden wird.
Neben einer Dauerausstellung wird es ein Informati-
onszentrum, eine Bibliothek, ein Archiv und außerdem
ein internationales Bildungs- und Forschungszentrum ge-
ben. Damit gerade für die Berlinerinnen und Berliner so-
wie für diejenigen, die häufiger in Berlin sind, immer
15593
160. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Beginn: 13.00 Uhr
wieder Neues zu sehen sein wird, wird sowohl Wechsel-
ausstellungen als auch einem begleitenden Diskurs in
Form eines Vortrags- und Diskussionsprogramms ein
großes Augenmerk eingeräumt.
Das Jüdische Museum verfolgt eine aufklärerische In-
tention. Es ist stärker als andere Museen in Deutschland
von einer – ich sage das bewusst – pädagogisch-didakti-
schen Zielsetzung geprägt. Eine solche ist für die Mu-
seumslandschaft der USA wesentlich charakteristischer
als für die deutsche. Ich denke, das ist gerade bei dieser
Thematik eine sinnvolle Ausrichtung.
Es geht um konkrete Lernprozesse, die man dem Be-
reich der politischen Bildung zuordnen kann, nämlich um
Respekt und Anerkennung für Minderheiten, somit um
Toleranz im eigentlichen Sinne, und zwar nicht als Indif-
ferenz, sondern als Anerkenntnis von Andersheit als Ba-
sis einer Demokratie und einer Kultur, die zunehmend
von Vielfalt geprägt ist. Debatten, Nachdenken und Aus-
tausch zu initiieren und Perspektiven aufzuzeigen sind
Ziele dieses Museums.
Zwischen dem Land Berlin und dem Bund wurde im
vergangenen Jahr darüber Einvernehmen erzielt, dass die
Dimensionen sowohl des Konzeptes als auch des entstan-
denen Gebäudes von einer bundesweiten – man kann
durchaus sagen: nationalen – und internationalen Bedeu-
tung sind und dass es deswegen begründet ist, dass dieses
Museum zu 100 Prozent in die institutionelle Förderung
des Bundes übergeht. Im Bundeshaushalt 2001 und im Fi-
nanzplan des Bundes bis zum Jahre 2004 sind als Teil der
Hauptstadtkulturförderung jährliche Zuschüsse in Höhe
von 24 Millionen DM vorgesehen. Zwar hätte diese 100-
prozentige Förderung weiterhin der Landesstiftung
zukommen können, es besteht jedoch Einvernehmen zwi-
schen Land und Bund, die entsprechenden organisatori-
schen Konsequenzen in Form der Umwandlung in eine
Bundesstiftung zu ziehen.
Das Museumsgebäude selbst bleibt vorerst im Eigen-
tum des Landes Berlin. Mit dem Berliner Senat ist aller-
dings abgestimmt, dass es der Bundesstiftung, ebenso wie
bisher der Landesstiftung, unentgeltlich zur Verfügung
steht.
Der Stiftungsrat wird siebenköpfig sein, wobei die
Bundesregierung zwei Vertreter, das Land Berlin und der
Zentralrat der Juden in Deutschland je einen Vertreter ent-
senden werden; ein Mitglied wählt der Bundespräsident
und zwei Mitglieder sollen sachverständige Persönlich-
keiten sein. Damit wird deutlich, dass diese Einrichtung
eine Gesamtverantwortung des Bundes, des Landes und
der interessierten Öffentlichkeit erforderlich macht und
die Verantwortung dafür nicht allein vom Bund wahrge-
nommen werden kann.
Ich denke, das ist das Wichtigste in Grundzügen.
Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Staats-
minister.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. Die ersten Wort-
meldungen liegen bereits vor. Erster Fragesteller ist der
Kollege Dr. Norbert Lammert.
Herr Staatsmi-
nister, das Jüdische Museum Berlin liegt im gemeinsamen
Interesse des Deutschen Bundestages und des Abgeord-
netenhauses von Berlin. Insofern sind Vorbereitungen, ei-
nen geeigneten Rechtsrahmen zu finden, gewiss nicht zu
beanstanden.
Nun gibt es aber doch ganz offenkundig – Sie haben die
beabsichtigte Änderung der Rechtsform und der Träger-
schaft angesprochen – einen unmittelbaren und nicht auf-
lösbaren Zusammenhang zwischen der jetzt vorgesehe-
nen Stiftungsgründung und dem Hauptstadtkulturvertrag,
durch den erst der Übergang der Zuständigkeit vom Land
Berlin auf den Bund geregelt werden soll. Meine Frage:
Ist der Hauptstadtkulturvertrag eigentlich inzwischen
unterschrieben, und wenn nein, warum nicht? Sehen die
Planungen der Bundesregierung – Sie haben jetzt aus-
schließlich den Zeitplan für die Verabschiedung des vor-
liegenden Gesetzentwurfes vorgetragen, nicht aber den
Zeitplan für die Unterzeichnung des Hauptstadtkultur-
vertrages, der die Voraussetzung für das Gesetzge-
bungsverfahren ist – eigentlich vor, den Hauptstadtkultur-
vertrag noch vor Eröffnung des Jüdischen Museums
Berlin zu unterzeichnen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, die Frage ist nachvollziehbar. Ich hatte
auch schon öffentlich gesagt, dass der Hauptstadtkultur-
vertrag aus meiner Sicht ausgehandelt und inhaltlich
unterschriftsreif ist. Sie haben Recht: Er ist noch nicht un-
terzeichnet. Es gibt innerhalb der Bundesregierung in der
Tat noch Klärungsbedarf, der allerdings nur Detailpunkte
betrifft, nicht aber die Grundfrage, nämlich Übernahme
von vier Einrichtungen durch den Bund mit den daraus re-
sultierenden Konsequenzen.
Ich möchte dringend davor warnen, dergestalt vorzu-
gehen: Wir lassen das jetzige Gesetzesvorhaben erst ein-
mal liegen und klären zuallererst die letzte Detailfrage
hinsichtlich des Hauptstadtkulturvertrags. Wenn wir das
tun, laufen wir Gefahr, dass wir das Jüdische Museum bis
zu seiner Eröffnung am 9. September noch nicht auf si-
cheren Grund gestellt haben. Es gibt keinen Dissens über
die Stiftung Jüdisches Museum Berlin. Wir sollten all das,
über das es keinen Dissens gibt, so rasch wie möglich ab-
schließen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Lammert hat
eine Zusatzfrage. – Bitte.
Herr Staatsmi-nister, es wird Ihnen nicht entfallen sein, dass ich auchnicht den Vorschlag gemacht habe, das Gesetzesvorhabenliegen zu lassen. Genauso wenig haben wir den Vorschlaggemacht, den Hauptstadtkulturvertrag liegen zu lassen,bis die operativen Schlussfolgerungen aus demselben
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin15594
schon aus Gründen der zeitlichen Abfolge dringend gezo-gen werden müssen.Sie haben freundlicherweise unmittelbar vor Beginnder Sitzung den heute im Kabinett beratenen Entwurf derStiftungssatzung zur Verfügung gestellt. Ich möchte gerneauf einen Punkt näher eingehen, den Sie auch in IhremBericht erwähnt haben. In § 2 der Satzung, in dem derZweck der Stiftung geregelt wird, werden in Ziffer 5 alsStiftungszweck unter anderem die Einrichtung und Un-terhaltung eines Informationszentrums, einer Bibliothek,eines Archivs, eines internationalen Bildungs- und For-schungsinstituts sowie sonstige Einrichtungen im Sinnedes Stiftungszwecks angekündigt. Diese Liste hat eineauffällige Ähnlichkeit mit dem Katalog, der in Verbin-dung mit dem Mahnmal für die ermordeten Juden Euro-pas steht, der von Ihrem Amtsvorgänger vorgeschlagenwurde und der dann schließlich nach umfänglicher Bera-tung im Deutschen Bundestag – in Form der Ergänzungdes Mahnmals um einen Ort der Information – angenom-men wurde. Ich finde in § 2 der Stiftungssatzung den Hin-weis, dass der Zweck der Stiftung die Übernahme des Jü-dischen Museums mit den genannten Funktionen sowiedie Schaffung eines Ortes der Begegnung sei.Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Zusammenhangzwischen dem einen und dem anderen Projekt verdeutli-chen könnten, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt ei-nes möglichst effizienten Einsatzes der von Ihnen geradegenannten und in der mittelfristigen Finanzplanung desBundes eingestellten Haushaltsmittel. Vielleicht könnenSie auch die Frage beantworten, welche sonstigen Ein-richtungen die Bundesregierung neben den bereits präzisebenannten plant.D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wird sicherlich im Laufe der nächsten
Jahre Entwicklungen geben. Die Bestimmung des
Zweckes soll Spielraum für diese Entwicklungen schaf-
fen. Ein Beispiel kann ich konkret nennen: Es ist unter an-
derem die Einrichtung einer Blindenwerkstatt geplant,
also ein spezielles Angebot für blinde Besucherinnen und
Besucher. Ich kann Ihnen zwar jetzt keine Details nennen.
Aber Einrichtungen dieser Art sind im Rahmen des Kon-
zeptes denkbar und sinnvoll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Hans-Joachim Otto.
Herr Staats-
minister, ich möchte zunächst einmal an die Frage des
Kollegen Dr. Lammert anknüpfen. Ich entnehme Ihrer
Antwort auf seine Frage, dass es der Bund ist, der noch
Klärungsbedarf hinsichtlich des Hauptstadtkulturvertra-
ges hat. Deswegen richte ich an Sie die Frage: Wir dürfen
doch davon ausgehen, dass der Hauptstadtkulturvertrag
unterzeichnet sein wird, bevor im Parlament die letzte Le-
sung des Gesetzentwurfes stattfinden wird?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Danke.
Dann komme ich zu meiner eigentlichen Frage. Wenn
die Landesstiftung aufgelöst wird, stellt sich doch die
Frage des Verbleibs des Vermögens dieser Stiftung. Gab
es eine Ausstattung dieser Landesstiftung mit Vermögen?
Wird das Vermögen – sofern die Landesstiftung über ei-
nes verfügte – auf das Land zurückübertragen oder wird
es auf die neue Bundesstiftung übertragen?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meines Wissens hat es kein spezifisches Ver-
mögen der Landesstiftung gegeben. Ich muss Ihnen das
aber schriftlich beantworten; ich will das überprüfen. Ein
eventuelles Vermögen würde jedenfalls nicht an das Land
zurückübertragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Hartmut Koschyk.
Herr Staatsminister,
ich bin leider der Auffassung, dass Sie die Frage des Kol-
legen Dr. Lammert nach einem gewissen Zusammenhang
und nach einer Abgrenzung zwischen dieser neuen bun-
desunmittelbaren Stiftung Jüdisches Museum und den
dort vorgesehenen Einrichtungen und den im Zusammen-
hang mit dem Holocaust-Mahnmal vorgesehenen Ein-
richtungen nicht hinreichend beantwortet haben. Ich
möchte in diesem Zusammenhang noch eine dritte Ein-
richtung nennen, weil wir durch Anträge und durch Sach-
vorträge im zuständigen Ausschuss, aber auch hier im
Parlament immer deutlich gemacht haben, dass wir noch
den Zusammenhang mit einer weiteren Einrichtung in
Berlin sehen. Ich möchte Sie daher fragen, ob auch die
Zukunft der Einrichtung „Topographie des Terrors“ bei
der Beratung im Bundeskabinett, vor allem bei der haus-
haltsmäßigen Unterlegung dieser Stiftungsneugründung,
eine Rolle gespielt hat.
Zweitens. Es fällt beim Blick in die Stiftungsgremien
auf, dass es bei einer bundesunmittelbaren Stiftung über-
haupt keine parlamentarische Begleitung geben soll. Wel-
chen Grund hat es, dass sowohl der Berliner Senat als
auch die Bundesregierung zu dem Schluss gelangt sind,
dass weder Vertreter des Berliner Abgeordnetenhauses
noch des Deutschen Bundestages in das Gremium der
Stiftung aufgenommen werden sollen? Ich stelle diese
Frage vor allem vor dem Hintergrund, dass es in der Sat-
zung heißt, dass die Zahl der Stiftungsratsmitglieder von
sieben auf zwölf erhöht werden kann, dass aber dann das
Benennungsrecht für diese weiteren Mitglieder aus-
drücklich bei der Bundesregierung liegen muss, wie es im
Gesetzentwurf heißt. Man könnte die etwas ironisch ge-
meinte Frage stellen, ob Bundesregierung und Berliner
Senat der Auffassung sind, dass sich eine parlamentari-
sche Begleitung störend im Hinblick auf den Erfolg des
Vorhabens auswirken könnte.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst zur ersten Frage: Es steht ganzaußer Zweifel, dass es zwischen Mahnmal, Jüdischem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Dr. Norbert Lammert15595
Museum und „Topographie des Terrors“ einen engen Zu-sammenhang gibt. Wir haben darüber sowohl im Aus-schuss wie auch hier im Bundestag schon mehrfach ge-sprochen.Hinsichtlich des Mahnmals ist die Entscheidung gefal-len, dort auch einen Ort der Information zu schaffen. Nunkann man sagen, das solle hauptsächlich der Inhalt des Jü-dischen Museums sein. Das ist richtig; diese Debattebrauchen wir nicht zu wiederholen. Die Überlegung war,dass der Eindruck durch das Kunstwerk und die künstle-rische Auseinandersetzung mit dieser Thematik durcheine kognitive – übrigens nicht nur kognitive, sonderndurchaus auch emotionale – Komponente ergänzt werdensollte, und zwar am Ort des Mahnmals. Das Konzept mitseinen verschiedenen Inhalten, die vorgesehen sind – Siekennen es ja –, ist faszinierend.Wir sind unterschiedlicher Meinung – ich nehme an,dass Sie auf diesen Punkt anspielen wollten –, ob die 100-prozentige Übernahme der finanziellen Verantwortungfür das Jüdische Museum und für das Mahnmal nicht auchimpliziert, dass der Bund die 100-prozentige finanzielleVerantwortung für die „Topographie des Terrors“ über-nimmt. Auch wenn ich mich wiederhole, möchte ich Fol-gendes ganz knapp sagen: Ich erkenne dieses Argumentan; der inhaltliche Zusammenhang ist ein wichtigerAspekt. Für mich ist aber in höherem Maße der Aspektausschlaggebend, dass wir uns im Rahmen des Gedenk-stättenkonzepts in Deutschland – es gibt Gedenkstättenvon zweifellos bundesweiter Bedeutung – darauf festge-legt haben, dass die Kommunen und die Länder in derVerantwortung, auch in der finanziellen, bleiben und dassdie Förderung durch den Bund nur bei bis zu 50 Prozentliegen sollte.Wenn wir das bei der „Topographie des Terrors“ andersmachten, dann wäre das ein Signal in die falsche Rich-tung. Berlin ist in vieler Hinsicht zwar ein absoluter Son-derfall; das bedeutet aber nicht, dass nicht doch eine ge-meinsame Verantwortung für die Gedenkstätten besteht.Ein weiteres falsches Signal eines solchen Vorgehenswäre, dass diese Verantwortungsteilung auch im Hinblickauf andere Einrichtungen von bundesweiter Bedeutunginfrage gestellt wird. Deswegen bin ich nach Abwägungder Argumente zu dem Ergebnis gekommen, dass derzweite Grund in höherem Maße ausschlaggebend ist unddass wir – vorausgesetzt, die Kosten explodieren nicht insUnermessliche – bei der 50-Prozent-Beteiligung des Bun-des an der „Topographie des Terrors“ bleiben sollten.Was die zweite Frage angeht: Die Satzung sieht vor,dass dem siebenköpfigen – ich bleibe erst einmal bei derZahl sieben – Stiftungsrat zwei Vertreter der Bundesre-gierung und auf Vorschlag der Bundesregierung weitereSachverständige angehören. Die Intention ist sicherlichnicht, dass die Beteiligung etwa von Parlamentariern amStiftungsrat eine Behinderung der Arbeit bedeutet. Die In-tention war eher, die Größe des Stiftungsrats nicht zu sehrauszudehnen, sondern klein zu halten. Rein formal wärees im Übrigen denkbar, dass Parlamentarier diesem Gre-mium angehören. Aber Sie haben Recht: Wir haben die-sen Gedanken nicht als Kriterium in die Satzung aufge-nommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Koschyk, eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister,
es ist mir im Zusammenhang mit diesem Stiftungsgesetz
nicht darum gegangen, die Regelung der hälftigen Finan-
zierung der „Topographie des Terrors“ durch den Bund
und das Land Berlin kritisch zu hinterfragen. Im Entwurf
eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Jüdisches
Museum ist allgemein von der Einrichtung und Erhal-
tung eines Informationszentrums, einer Bibliothek, eines
Archivs, eines internationalen Bildungs- und Forschungs-
instituts sowie sonstiger Einrichtungen im Sinne des Stif-
tungszwecks die Rede. Das ist doch eine sehr weitge-
hende Formulierung, die auch Sie leider Gottes nicht
präzisiert haben. Daher drängt sich nahezu die Frage der
Abgrenzung gegenüber Einrichtungen auf, die im Zusam-
menhang mit dem Holocaust-Mahnmal und auch der „To-
pographie des Terrors“ stehen. Wird die Bundesregierung
im Hinblick auf die weitere konzeptionelle Entwicklung
wirklich für eine Abgrenzung sorgen und wird sie auch
den Dialog mit anderen Einrichtungen suchen, damit – ge-
rade vor dem Hintergrund des Aspektes der Finanzierung,
den Sie soeben angeschnitten haben – nicht die Gefahr ei-
ner Doppelgleisigkeit besteht?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In einem Punkt möchte ich sogar über das hi-nausgehen, was Ihnen zu Recht am Herzen liegt: Natür-lich sollten die einzelnen Einrichtungen nicht isoliertnebeneinander arbeiten – auf diese Weise würde es zuDoppelarbeit kommen –; vielmehr sollte es eine Ver-knüpfung der inhaltlichen und der programmatischen Ar-beit dieser Einrichtungen geben. Ich möchte aber insofernnoch einen Schritt weitergehen: Das Jüdische MuseumBerlin wird im Vergleich zu anderen, kleineren Einrich-tungen in Deutschland zweifellos eine zentrale Rolle spie-len. Mein Wunsch ist es daher, dass die Arbeit, die an jü-dischen Zentren, in jüdischen Gemeinden und vor allemauch in jüdischen Museen – sei es in Fürth, Frankfurt oderMünchen – geleistet wird, mit dieser zentralen Einrich-tung verknüpft wird.Man muss zwei Punkte unterscheiden: Zum einen gehtes darum, wie man den Stiftungszweck bestimmt. Mandarf nicht vergessen, dass wir uns mit der Bestimmungdes Stiftungszwecks – er hat ja sozusagen einen Ewig-keitscharakter – auf unabsehbare Zeit festlegen. Deswe-gen muss der Stiftungszweck so gefasst sein, dass wirnicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten bereuen müssen,das eine oder andere nicht zugelassen zu haben.Zum anderen geht es um die konkrete Form der Ko-operation. Die Politik wird sich diesbezüglich im Hinter-grund halten. Sie wird zwar eine Kooperation begrüßenund auch anregen. Die Programmverantwortung liegtaber bei den jeweiligen Einrichtungen. Wenn wir aller-dings den Eindruck haben sollten, dass die Kooperationzwischen den Einrichtungen in Berlin, aber auch dieKooperation in Deutschland insgesamt, die ich mir wün-sche, nicht gut genug ist, dann muss darüber im Stif-tungsrat diskutiert werden und dann müssen für die Lei-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin15596
tung der jeweiligen Häuser entsprechende Vorgaben ge-macht werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Dr. Heinrich Fink.
Herr Staatsminister, ich
komme auf Ihre Antwort auf die Frage von Herrn
Koschyk zurück, in der Sie als Begründung geäußert ha-
ben, dass das Jüdische Museum von nationaler Bedeutung
sei. Aus diesem Grund kann es doch nicht angehen, dass
die „Topographie des Terrors“ auf die Gedenkstättenkon-
zeption – das soll nicht negativ gemeint sein – abgescho-
ben wird. Denn auch die „Topographie des Terrors“ ist
von nationaler Bedeutung; der Begriff „national“ ist aber
nicht steigerbar.
Es wird immer von einer Trias gesprochen, also von Jü-
dischem Museum, „Topographie des Terrors“ und Mahn-
mal für die ermordeten Juden Europas. Man kann doch in
diesem Zusammenhang der „Topographie des Terrors“
nicht eine geringere nationale Bedeutung beimessen;
denn sie war der Ausgangspunkt.
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich empfehle, dass man
diese Thematik nicht übermäßig – ich würde fast sagen:
ideologisch – auflädt. Die Entscheidung, dass der Bund
Einrichtungen wie die „Topographie des Terrors“ oder das
Jüdische Museum wesentlich fördert, hängt mit der natio-
nalen Bedeutung dieser Einrichtungen zusammen. Das
gilt auch für das Gedenkstättenkonzept; denn im Rahmen
dieses Konzeptes werden diejenigen Einrichtungen durch
den Bund besonders gefördert, die eine ähnlich große Be-
deutung haben.
Für die Übernahme von vier Einrichtungen in die 100-
prozentige Verantwortung des Bundes gab es – das wissen
Sie so gut wie ich – sehr pragmatische Gründe. Einer
dieser Gründe war, dass die Förderung, die für die kultu-
rellen Einrichtungen des Bundes in Berlin gedacht war,
oftmals nicht so effektiv war, wie es sich der Bund vorge-
stellt hat. An dieser Stelle wurde die Richtungsentschei-
dung getroffen – ich gebe zu, dass dieser damals erfolgte
Zuschnitt der Förderung nicht zwingend war –, dass der
Bund für einige Einrichtungen die 100-prozentige Verant-
wortung übernimmt und dass für andere Einrichtungen
die Verantwortung beim Land Berlin bleibt.
Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn die Bundesre-
gierung der Meinung ist, dass die Verantwortung für die
„Topographie des Terrors“ nicht zu 100 Prozent vom
Bund übernommen werden sollte, dann wird damit nicht
zugleich ausgesagt, dass die „Topographie des Terrors“
von geringerer Bedeutung sei. Sie ist selbstverständlich in
gleicher Weise bundesweit bedeutsam. Deswegen ist der
Bund bereit, bis zu 50 Prozent der Förderung zu überneh-
men.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Fragestellerin
ist die Kollegin Monika Griefahn.
Herr Staatsminister, es ging
um die Abgrenzung zwischen dem Jüdischen Museum
und dem Holocaustmahnmal und zwischen dem Ort der
Information und dem Ort der Begegnung. Habe ich das
richtig verstanden, dass das Museum selbst das gesamte
jüdische Leben, also nicht nur den Holocaust, darstellen
und auch ein Ort der Begegnung sein soll, während mit
dem Holocaustmahnmal der ermordeten Juden in Europa
gedacht und im Ort der Information dazu ein erster Hin-
weis auf die anderen, weiter gehenden Informationsstät-
ten – sprich: die „Topographie des Terrors“, sprich: das
Jüdische Museum – gegeben werden soll, sodass die Ab-
grenzung eigentlich sehr deutlich und klar zum Ausdruck
kommt?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe das deswegen nicht ausdrücklich be-
tont, weil es Ihnen allen bekannt ist. Ich hatte eingangs
auch gesagt, dass es als programmatischer Inhalt des Jüdi-
schen Museums überwiegend um 2000 Jahre deutsch-
jüdische Geschichte geht, während es beim Holo-
caustmahnmal um einen, den schrecklichsten Teil der
jüdischen Geschichte geht, nämlich die Verfolgung und
den Völkermord durch die Nazis an den Juden. Das ist der
Fokus. Insofern ist auch die Information beim Mahnmal
ganz anders fokussiert, als das beim Jüdischen Museum
der Fall ist.
Dennoch – so ist jetzt auch die Vorstellung beider Lei-
tungen – soll beides möglichst eng miteinander vernetzt
sein und als wechselseitiger Hinweis verstanden werden.
Diejenigen, die beim Mahnmal waren und das Ganze in
einen größeren Kontext stellen wollen, werden sich nicht
mit dem Ort der Information beim Mahnmal begnügen,
sondern werden sich aufgefordert fühlen, das Jüdische
Museum zu besuchen, wenn sie es noch nicht getan ha-
ben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Fragesteller zu
diesem Themenbereich ist der Kollege Hans-Joachim
Otto.
Herr Staats-
minister, Sie haben eben davon gesprochen, dass das neue
Jüdische Museum in Berlin mit den bisherigen kommu-
nalen jüdischen Museen in Fürth, München und Frankfurt
verknüpft werden solle. Ganz konkrete Frage: Meinen Sie
Kooperation oder mehr als Kooperation, auch tatsächli-
che Verknüpfung? Heißt Verknüpfung organisatorische
Eingliederung oder zumindest finanzielle Mitverantwor-
tung des Bundes für diese drei Häuser?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das heißt es nicht. Sie haben ja zuvorgehört, dass der Diskurs, zum Beispiel die Auseinander-setzung auch mit Forschungsergebnissen, ein wesentli-cher Teil der Arbeit des Jüdischen Museums Berlin seinwird. Das wird in kleinerem Umfang zum Teil auch inanderen jüdischen Museen in Deutschland geleistet,aber auch an Lehrstühlen, die es inzwischen gibt; der inMünchen konzentriert sich sogar ganz auf jüdische
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin15597
Geschichte. Ich denke, dass das Jüdische Museum eineArt Leitfunktion hat – bei allem Respekt vor der Arbeit,die in einzelnen kleineren Museen und Einrichtungen die-ser Art geleistet wird. Ich denke, dass wir – ich will jetztden Leitern des Hauses nicht vorgreifen – hier einen dau-erhaften Gesprächskontakt, einen Diskurszusammenhangam Jüdischen Museum in Berlin etablieren sollten. Dasbedeutet aber keine finanzielle Mitverantwortung, organi-satorische Verbindung oder Ähnliches.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es verbleiben jetzt
noch fünf Minuten für die Regierungsbefragung. Gibt es
weitere Fragen an die Bundesregierung? – Die erste Wort-
meldung kommt von der Kollegin Ina Lenke.
Ich möchte zu dem Komplex
Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft fragen. Gestern
hat der Bundeskanzler mit den Spitzen der Wirtschaft
über ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft disku-
tiert. Ich habe dazu eine Frage: Will der Bundeskanzler
die Grundstrukturen des Gleichstellungsgesetzes für die
Wirtschaft so beibehalten, wie sie die Frauenministerin
Bergmann im September letzten Jahres vorgelegt hat?
Das hieße, die Betriebe hätten aufgrund des Forderungs-
kataloges des Gesetzes, der etwa Frauenförderpläne in
den Betrieben, betriebliche Maßnahmen gegen sexuelle
Belästigung am Arbeitsplatz, die Erhöhung des Frauen-
anteils in Führungspositionen und die Bereitstellung or-
ganisierter Kinderbetreuung beinhaltet, Maßnahmen
durchzusetzen und es würde gleichzeitig die Vergabe öf-
fentlicher Aufträge an Betriebe, die sich daran nicht hal-
ten, verboten sein. Hat der Bundeskanzler diese Position
in dem Gespräch vertreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer antwortet für die
Bundesregierung? Herr Staatsminister?
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich denke, dass wir hier zwei kompetente Ver-
treterinnen haben, eine aus dem Frauenministerium und
eine aus dem Wirtschaftsministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann antwortet die
Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf.
M
Sehr geehrte
Frau Kollegin, es hat ein Gespräch zwischen dem Bundes-
kanzler, dem Wirtschaftsminister, der Frauenministerin
und Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft stattge-
funden. Die Diskussion verlief harmonisch. Man hat sich
ausgetauscht und wird bei einem weiteren Treffen in ab-
sehbarer Zeit das weitere Verfahren beraten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Lenke zu einer
Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, Ihre Aus-
führungen entsprechen dem Stil dieser Regierung, näm-
lich auf Fragen keine Antworten zu geben. Ich möchte
meine Frage noch einmal verdeutlichen. Ich hatte gefragt,
ob der Bundeskanzler dieselbe Position wie die Frauen-
ministerin bei diesem Treffen vertreten hat. Ich möchte
meine Frage jetzt erweitern: Steht der Bundeskanzler da-
hinter, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge von der Ein-
haltung der Grundstrukturen dieses neuen Gesetzes ab-
hängig gemacht wird? Hat sich der Bundeskanzler dazu
geäußert, ab welcher Betriebsgröße dieses Gesetz gelten
soll? Vom Frauenministerium ist diese ja bisher nicht fest-
gelegt worden.
M
Verehrte Frau
Kollegin, ich habe gesagt, dass wir uns am Anfang der De-
batte befinden. Ich kann Ihnen in der Tat bis jetzt noch nicht
über die von Ihnen angesprochenen Punkte Auskunft ge-
ben. Da müssen Sie sich, mit Verlaub, noch etwas gedulden.
Das hat nichts mit dem Stil dieser Bundesregierung zu
tun. Vielmehr führen wir erst die Diskussion mit allen Be-
teiligten, bevor wir am Ende oder im Laufe dieser Dis-
kussion – gestern war, wie gesagt, das erste Gespräch –
eine abschließende Position der Bundesregierung respek-
tive des Bundeskanzlers mitteilen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Nach-
frage des Kollegen Hirche.
Frau Staatssekretärin, darf ich
aus Ihrer Bemerkung, es sei ein harmonisches Gespräch
gewesen, und Ihrer anschließenden Antwort, es sei nicht
über Einzelheiten gesprochen worden, schließen, dass es
sich um ein Kaffeetrinken auf Staatskosten gehandelt hat,
bei dem keine Details erörtert wurden und bei dem der
Bundeskanzler keine konkrete Position bezogen hat?
M
Nein, verehrter
Herr Kollege. Wir neigen aber nicht dazu, Politik am grü-
nen Tisch zu machen. Wir unterhalten uns in aller Regel
mit den Betroffenen, bevor wir Gesetze verfassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich lasse jetzt noch
eine Frage zu, nämlich die angemeldete Frage des Kolle-
gen Eckart von Klaeden.
Die niedersächsi-sche Landesvorsitzende der Grünen hat heute anlässlich derCastortransporte an das Wahlversprechen des Bundeskanz-lers aus dem Jahre 1998 erinnert, das wörtlich lautete: DasEndlager mache ich euch weg. – Ich frage die Bundesregie-rung, ob sie sich an dieses Wahlversprechen noch erinnernkann und welche Maßnahmen eingeleitet werden sollen, umes zu erfüllen. Kann sich jemand erinnern?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Staatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin15598
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer antwortet für die
Bundesregierung? – Ich erteile das Wort der Parlamenta-
rischen Staatssekretärin Gila Altmann.
G
Auf den letzten Teil der Frage, ob sich die Bundesregie-
rung an ihre Versprechen erinnert, kann ich mit einem ein-
deutigen Ja antworten. Dies schlägt sich letztendlich auch
in den Ergebnissen des Atomkonsenses mit der Wirtschaft
nieder.
Darüber hinaus wird dieses Thema in der Aktuellen
Stunde noch ausführlich behandelt werden. Ich denke,
dass dort Ihre Frage von Minister Trittin noch einmal sehr
differenziert beantwortet werden wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich beende die Regie-
rungsbefragung und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/5637 –
Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen
der Kollegin Elke Leonhard werden schriftlich beantwor-
tet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatsse-
kretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Ernst Hinsken auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass von im Ausland ansäs-
sigen Providern auch sadistische Darstellungen wie zum Beispiel
das Verzehren eines gebratenen und verstümmelten menschlichen
Babys im Internet gezeigt werden, und, wenn ja, was gedenkt sie
zu unternehmen, dass solche Gewalt verherrlichenden Seiten
nicht in deutsche Kinderzimmer gelangen?
D
Herr Kollege Hinsken, es trifft zu, dass insbesondere aus
dem Ausland extreme Gewaltdarstellungen in das Internet
eingestellt werden. Die Verbreitung von medialen Dar-
stellungen, die grausame oder sonst unmenschliche Ge-
walttätigkeiten gegen Menschen schildern, ist gemäß
§ 131 des Strafgesetzbuches strafbar. Der Bundesge-
richtshof hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2000
klargestellt, dass sich nach den Vorschriften des Strafge-
setzbuches auch strafbar macht, wer als Ausländer von
ihm verfasste Seiten auf einem ausländischen Server, der
Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, in das In-
ternet einstellt, wenn die Inhalte konkret zur Friedens-
störung im Inland geeignet sind. Nach diesen Grundsät-
zen ist von einer deutschen Strafgerichtsbarkeit auch in
den Fällen des § 131 Strafgesetzbuch auszugehen.
Gewalt verherrlichende Schriften sind des Weiteren
nach § 6 Nr. 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugend-
gefährdender Schriften und Medieninhalte kraft Gesetzes
indiziert. Darüber hinaus hat die Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Schriften im Jahr 2000 insgesamt
136 Internetangebote auf die Liste der jugendgefährden-
den Schriften gesetzt, also indiziert. Nach den §§ 3 bis 5
des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender
Schriften und Medieninhalte sind damit weit reichende
Vertriebs-, Werbe- und Weitergabeverbote verbunden.
Die Verfolgung von Verstößen gegen strafrechtliche Vor-
schriften obliegt den Strafverfolgungsbehörden. Die un-
beschränkte Verbreitung indizierter Angebote ist nach
§ 21 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährden-
der Schriften und Medieninhalte strafbar und somit auch
von den Strafverfolgungsbehörden aufzugreifen.
Der Einsatz moderner Informationstechnik ist eine
Grundvoraussetzung für eine effektive Bekämpfung von
Kriminalität im Internet. Mit dem Ziel, die Fahndungsar-
beit gezielter, schneller und damit effizienter zu gestalten,
entwickelt das Bundesamt für Sicherheit in der Informa-
tionstechnik ein Softwarepaket „Internet-Ermittlungs-
tool“, kurz „Intermit“. „Intermit“ ermöglicht eine auto-
matisierte Recherche im Internet. Neben den gesetzlichen
Vorschriften und der freiwilligen Selbstkontrolle der
Wirtschaft ist der Einsatz von Filtertechnologien für den
Kinder- und Jugendschutz insbesondere im Hinblick auf
ausländische Angebote besonders bedeutsam, um unter
anderem menschenverachtenden Inhalten im Internet zu
begegnen.
Gegenwärtig kann durch den Einsatz von Filtertechno-
logien die Verbreitung dieser Inhalte im Internet jedoch
nicht vollständig unterbunden werden. Eine vom Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte
Studie zu Filtertechnologien im Internet sowie die Studie
der länderübergreifenden Stelle „jugendschutz.net“ kom-
men zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass am Markt
zwar eine Reihe von Filtertechnologien zur Verfügung
steht, deren Treffsicherheit bzw. Manipulationsschutz
aber unzureichend sind. Die Bundesregierung wird die
technische Entwicklung weiterhin sorgfältig beobachten
und bei ihren weiteren Überlegungen zur Bekämpfung
von strafbaren Inhalten im Internet berücksichtigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hinsken, bitte, eine Nachfrage.
Sie haben mir eine sehr
umfangreiche Antwort gegeben, Frau Staatssekretärin,
aber sie trifft den Kern der Sache nicht ganz. Deshalb
frage ich nach, was andere – und welche – Länder gegen
die negativen Auswüchse unternehmen, die wir auf dem
Gebiet, das Sie eben angesprochen haben, derzeit zu ver-
zeichnen haben.
D
Herr Hinsken, die Strafverfolgungsbehörden aller Länderarbeiten zusammen, weil hier zumeist internationaleRinge tätig werden. Gerade heute wird in den Tageszei-tungen – ich denke beispielsweise an die „FAZ“ – ge-schildert, dass es gelungen sei, einen internationalen Ringvon Händlern schlimmen pornographischen Materials
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001 15599
dingfest zu machen, der von Moskau über Europa bis indie USA reicht. Hier findet also eine Zusammenarbeit derStrafverfolgungsbehörden statt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Frage,
bitte, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
wie bewerten Sie die bundesweiten Aktionen der Polizei-
gewerkschaft und des Richterbundes, um die bundes-
deutsche Gesellschaft aufzurütteln, endlich aktiv zu wer-
den?
Mir geschieht auf diesem Gebiet nämlich viel zu we-
nig. Wenn wir als Politiker nur den guten Vorsatz fassen,
etwas zu unternehmen, so ist das zu wenig, um weltweit
aufrüttelnd zu wirken. Deshalb frage ich nach der Be-
wertung dessen, was von diesen beiden Organisationen
unternommen wird.
D
Jede Initiative aus der Gesellschaft, hier für Aufklärung zu
sorgen, ist natürlich willkommen. Unser Ministerium hat
einige Schriften herausgegeben, die insbesondere der
Aufklärung der Jugendlichen dienen sollen. Denn, wie
Sie richtig sagen, gehört zu diesem Sachverhalt in erster
Linie Medienkompetenz. Wir werden noch so viel versu-
chen können, Straftäter dingfest zu machen – das Aller-
erste, was wir in der Gesellschaft brauchen, ist Auf-
klärung; ferner brauchen wir Medienkompetenz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Nachfrage, diesmal des Kollegen Hans-Joachim Otto.
Frau Staats-
sekretärin, Sie haben eben in Ihrer Antwort gesagt, dass
bisher durch Filtertechnologien gesetzwidrige Inhalte von
der Art, über die wir hier reden, aus technologischen
Gründen noch nicht vollständig unterbunden werden kön-
nen.
Meine Frage: Ist die Bundesregierung der Auffassung,
dass solche Filtertechnologien flächendeckend – also
nicht nur nutzerautonom am einzelnen PC – für das Ge-
biet der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden
sollten, damit sie wirksam werden können?
D
Sie meinen, seitens der Provider sollten diese Filter
flächendeckend eingesetzt werden?
Nein, die
Bundesregierung war gefragt.
D
Bei der Anwendung von Filtertechnologien wird zunächst
einmal davon ausgegangen, dass sie vom Empfänger ein-
gesetzt werden.
Nutzer-
autonom?
D
Ja, genau.
Diese Filtertechnologien werden noch nicht hinrei-
chend genutzt. Wir sind allerdings – das wissen Sie si-
cherlich – nach der Vorlage des IuK-DG-Berichts dabei,
ein neues Jugendschutzgesetz zu erarbeiten. Dabei müs-
sen wir dafür sorgen, dass bestimmte Inhalte nur
geschlossenen Benutzergruppen, etwa Erwachsenen, zu-
gänglich gemacht werden dürfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine Nach-
frage des Kollegen Wolfgang Dehnel.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie wissen, dass wir vor einigen Wochen zu diesem
Thema eine Anhörung durchgeführt haben. Sie hatten da
als Bundesregierung versprochen, dass auch europaweit
die Kontrollen auf diesem Gebiet verbessert werden sol-
len.
Inwieweit sind jetzt entsprechende Schritte eingeleitet
worden? Inwieweit werden die Kontrollen jetzt europa-
weit verschärft?
D
Herr Dehnel, ich glaube, es ist sehr unüblich, dass die
Bundesregierung auf einer Anhörung des Deutschen Bun-
destages ein Versprechen abgibt. Insofern muss das nicht
richtig zugeordnet worden sein.
Dennoch ist es so, dass wir als Bundesregierung auf eu-
ropäischer, aber darüber hinaus auch auf internationaler
Ebene in allen Gremien intensiv daran arbeiten, die Zu-
sammenarbeit auf diesem Gebiet und die Kontrolle zu
verbessern. Das ist ein fließender Prozess.
Wenn Sie jetzt gern hören möchten, dass wir gestern ir-
gendwo angerufen haben und seither europaweit alles ge-
laufen ist, muss ich Ihnen sagen: So schnell geht es nicht.
Sie können aber sicher sein, dass dies für die Bundesre-
gierung ein Thema ersten Ranges ist und wir unsere Mög-
lichkeiten auf internationaler Ebene überall kräftig nut-
zen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 4 des Abgeordneten Ernst Hinsken auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich für ein weltweites Verbot
der Verbreitung solcher sadistischen Darstellungen einzusetzen,
und, wenn ja, was wird sie hierzu unternehmen?
D
Der Schutz der Jugend und die Bekämpfung von illegalen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis15600
und schädigenden Inhalten in den Netzen ist ein wichtigesThema der internationalen Zusammenarbeit; wir habenaufgrund der Frage von Herrn Dehnel schon darüber ge-redet. Die mit der weltweiten Vernetzung von Informati-onssystemen verbundene Globalisierung wirkt sich auchauf die Kontrolle Gewalt verherrlichender, rassistischerund pornographischer Inhalte aus. Der Kinder- und Ju-gendschutz im Multimediazeitalter stellt daher neue, na-tionale und internationale Anforderungen.Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters desInternets hält die Bundesregierung die Schaffung welt-weiter Mindeststandards zur wirksamen Bekämpfung ju-gendgefährdender Netzinhalte für erforderlich. Sie hat imRahmen ihrer Zuständigkeit in der OECD, innerhalb derG-8-Staaten, im Europarat und in der UNESCO wesent-lich zur Begründung der internationalen Bemühungenbeigetragen.Die Bundesregierung wird sich auf internationalerEbene auch in Zukunft nachdrücklich dafür einsetzen,dass der Jugendschutz und die Würde des Menschen inden Datennetzen den Schutz erfahren, dessen sie bedür-fen. Einzelheiten zu den Maßnahmen der Bundesregie-rung können Sie, Herr Hinsken, der Antwort der Bundes-regierung auf die Frage 22 der entsprechenden GroßenAnfrage der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache14/1866 – entnehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hinsken
zu einer Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin,
selbstverständlich werde ich nachlesen, was dazu in der
Antwort auf die diesbezügliche Große Anfrage steht.
Trotzdem möchte ich Ihnen noch die Frage stellen, ob
Pressemeldungen zutreffen, wonach eine Zusammenar-
beit mit den USA schwer ist, weil man dort zurzeit andere
Prioritäten setzt und man sich momentan auf die Bekämp-
fung der Kinderpornographie konzentriert.
D
Wer ist jetzt „man“, die USA oder wir?
Die USA.
D
Eine Zusammenarbeit mit den USA ist im Rahmen der in-
ternationalen Verhandlungen kein Problem. Sie müssen
immer bedenken, dass das, was auf nationaler Ebene
strafbewehrt ist, auch nur im nationalen Rahmen der
Wertmaßstab ist. Wie Sie wissen, haben wir, was rassisti-
sche oder rechtsextreme Inhalte im Internet anbetrifft, das
Problem, dass in anderen Ländern nicht solche scharfen
gesetzlichen Vorschriften existieren wie in der Bundes-
republik Deutschland. Das betrifft nicht nur die USA,
sondern auch andere Länder. Ich wäre sehr dankbar dafür,
wenn wir auf internationaler Ebene dazu kommen könn-
ten, dass zumindest die Verbreitung von rassistischem und
rechtsextremem Gedankengut so strafbewehrt wäre, wie
das in Deutschland der Fall ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hinsken
zu einer zweiten Nachfrage, bitte.
Diese Frage möchte ich
stellen, weil sie unmittelbar an die gerade gegebene Ant-
wort anschließt. Frau Staatssekretärin, wie gehen die
Strafverfolgungsbehörden in anderen Ländern gegen Pro-
vider vor, wenn Meldungen und Anzeigen wegen sadisti-
scher Darstellungen vorliegen, und wie wollen Sie kon-
kret verhindern, dass Schulhöfe und Pausenplätze eine
Börse für solche Internetadressen werden?
D
Wie ich etwas, was in den USA und zudem im Internet,
das global ist, stattfindet, von hier aus, von diesem klei-
nen Tisch aus, verhindern soll, ist mir nicht ganz klar. Ich
kann Ihnen nur immer wieder sagen – Sie wissen das –:
Hier bedarf es internationaler Verhandlungen. Die führen
wir, und zwar intensiv.
Als Zweites haben Sie gefragt, wie verhindert werden
kann, dass Schulhöfe bzw. Pausenplätze zu Börsen für
solche Internetadressen werden. In einer Antwort auf eine
vorhergehende Frage hatte ich gesagt, dass gerade unser
Haus intensiv darum bemüht ist, die Medienkompetenz
der Jugendlichen zu stärken. Wir haben eine Reihe von
Broschüren und Aufklärungsmaßnahmen vorgelegt. Da-
rüber hinaus denke ich, dass Lehrerinnen und Lehrer den
Auftrag haben, ihrerseits die Medienkompetenz der Schü-
lerinnen und Schüler zu stärken.
Sie werden es beim Medium Internet nicht schaffen, al-
les zu kontrollieren. Sie werden sich bei diesem weltweit
wirkenden Medium zum Zwecke der Strafverfolgung im-
mer wieder an solche Anbieter herantasten und versuchen
müssen, sie aufzufinden. Ich glaube nicht – so Leid es mir
tut –, dass wir angesichts der internationalen Erschei-
nungsformen dieses Mediums die Möglichkeit haben, sol-
che Darstellungen vollständig zu verhindern.
Herr KollegeHinsken, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen gestellt; Siedürfen keine weitere stellen. Durch den Wechsel im Prä-sidium wäre es fast dazu gekommen, dass Sie eine weiteregestellt hätten.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriumsfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Beiden Fragen 5 und 6 ist um schriftliche Beantwortung ge-beten worden.Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der HerrParlamentarische Staatssekretär Pick zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis15601
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten WolfgangDehnel auf:Wird die Bundesregierung angesichts der vergangenen Mordeund des neuerlichen Mordes mit sexuellem Hintergrund an einemjungen Mädchen die Initiative von einigen Innenministern, insbe-sondere des Sächsischen Staatsministers des Innern, KlausHardraht, einer Ausweitungsmöglichkeit zum freiwilligen Gen-test unterstützen und ist sie gegebenenfalls auch bereit, die Mög-lichkeiten der zwangsweisen Anordnung zur Abnahme des gene-tischen Fingerabdrucks zu erweitern?D
Herr Kollege, eine Initiative einiger
Innenminister zur Ausweitung freiwilliger Gentests ist
der Bundesregierung nicht bekannt. Sie beziehen sich mit
Ihrer Frage sicher auf eine Pressemitteilung des Sächsi-
schen Staatsministers des Innern, Herrn Hardraht.
Freiwillige Gentests sind heute schon zulässig. Des-
halb würde eine Initiative zu ihrer Ausweitung wenig Sinn
machen. So wurden schon in der Vergangenheit in spek-
takulären Einzelfällen die Männer einer bestimmten Re-
gion zu freiwilligen Gentests aufgerufen. Damit hat man,
beispielsweise im Mordfall Christina Nytsch, eindrucks-
volle Erfolge erzielt. Diese Ermittlungsmethode ist aber
sehr aufwendig und schon deshalb nur in Einzelfällen an-
wendbar. Ihr Erfolg wird außerdem ganz entscheidend
von der Bereitschaft der Bevölkerung zur Mitwirkung be-
stimmt. Die Teilnahme an einem freiwilligen Gentest lässt
sich nicht anordnen.
Das geltende Recht enthält aber auch bereits ausrei-
chende Möglichkeiten zur Anordnung von zwangsweisen
Gentests.
Erstens. Nach § 81 a Abs. 1 und § 81 e der Strafpro-
zessordnung können einem Beschuldigten Blut- und Kör-
perzellen entnommen werden, um durch einen Gentest
festzustellen, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem
Beschuldigten stammt.
Zweitens. Gentests können nach § 81 g Abs. 1 der
Strafprozessordnung auch zum Zwecke der Identitätsfest-
stellung in zukünftigen Strafverfahren angeordnet wer-
den, wenn der Beschuldigte einer Straftat von erheblicher
Bedeutung verdächtigt wird und anzunehmen ist, dass
auch künftig wegen solcher Straftaten gegen den Be-
schuldigten ermittelt werden wird.
Drittens. Unter denselben Voraussetzungen können
Gentests auch bei bereits rechtskräftig verurteilten Tätern
oder Personen angeordnet werden, die wegen Schuldun-
fähigkeit oder Strafunmündigkeit nicht verurteilt worden
sind. Das ergibt sich aus § 2 des DNA-Identitätsfeststel-
lungsgesetzes.
Die Bundesregierung sieht deshalb auch vor dem Hin-
tergrund der schrecklichen Taten aus jüngster Zeit keinen
Anlass, die gesetzlichen Grundlagen auszuweiten.
Zusatzfrage des
Kollegen Dehnel, bitte.
Herr Staatssekretär,
Sie haben richtig gesehen, dass ich die Frage auf eine
Pressemitteilung des Herrn Staatsministers Hardraht hin
gestellt habe. Ich habe sie aber auch aus einem ganz ande-
ren Grunde gestellt. Sie wissen, dass der Mord an der
kleinen Ulrike aus Eberswalde tiefe Betroffenheit und
Mitgefühl in der gesamten Bevölkerung nicht nur in
Eberswalde ausgelöst hat. Ich lese zwei Schlagzeilen vor:
„Fall Ulrike: Rechtsprechung hat aus vergangenen Mor-
den nichts gelernt“ – „Nach dem Mord an Ulrike sollten
wir unsere Gesetze verbessern“. Das sind sehr große
Schlagzeilen, die die Meinungen sehr vieler Leser wie-
dergeben. Unter anderem fordern die Bürger, dass die
Rechtsprechung und der Strafvollzug verschärft werden.
Sie fordern, dass Mehrfachtäter in diesem Bereich nicht
schnell aus dem Gefängnis entlassen werden und keinen
vereinfachten Strafvollzug bekommen. Wie sehen Sie vor
diesem Hintergrund Ihre Aussage, es bestehe kein Hand-
lungsbedarf?
D
Herr Kollege, ich habe mich natür-
lich auf Ihre Frage zum DNA-Identitätsfeststellungsgesetz
bezogen.
Wir haben eine lückenlose Strafbarkeit in all diesen
Fällen. Ich denke, die Diskussion in den letzten Monaten
hat gezeigt, dass es nicht an den Strafgesetzen liegt, dass
bestimmte Täter nicht so verurteilt worden sind, wie das
vielleicht von einem Teil der Bevölkerung erwartet wird.
Das ist Sache der unabhängigen Justiz. In sie wird sich
und darf sich die Bundesregierung nicht einmischen.
Grundsätzlich kann ich sagen: Die Gesetze reichen aus.
Der Strafvollzug ist, wie Sie wissen, eindeutig Sache
der Länder. Ich denke, dass die Behörden im Einzelfall
immer zwischen den Belangen der Allgemeinheit und ih-
res Schutzes vor weiteren Straftaten einerseits und der
Persönlichkeit des Täters andererseits abwägen müssen.
Zusatzfrage des
Kollegen Dehnel.
Sie haben zwar rich-
tig gesagt, dass der Strafvollzug in den Zuständigkeitsbe-
reich der Länder fällt. Aber wenn die Bundesregierung die
Innenministerkonferenz oder die Justizministerkonferenz
einberuft, kann sie doch darauf drängen – das ist ihr
Recht –, dass man gerade bei diesen sich strafverschär-
fend auswirkenden Tatmotiven wirksam handeln muss.
Das wäre doch sicher – schlussfolgernd aus diesen Fällen –
eine richtige Maßnahme.
D
Herr Kollege, Sie können davonausgehen, dass auch dieses Thema regelmäßig Gegen-stand der Beratungen der Justizministerkonferenz und derInnenministerkonferenz der Länder ist, an denen auch derBund teilnimmt, und über die Erfahrungen in den einzel-nen Bundesländern gesprochen wird. Insofern steht diesesThema immer auf der Tagesordnung. Auch kann jedesBundesland beantragen, dass dies auf die Tagesordnunggesetzt wird. In diesem Forum ist es immer möglich, sol-che Fragen konkret anzusprechen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer15602
Zusatzfrage des
Kollegen Otto.
Herr Staatssekre-
tär, warum lehnen Sie eigentlich den Kompromissvor-
schlag ab, wonach Gentests über den bisher von Ihnen
geschilderten Umfang hinaus von allen zu einer Frei-
heitsstrafe verurteilten Straftätern abgenommen werden
können, zumal es kriminologische Erkenntnisse gibt, dass
viele Sexualstraftäter durchaus auch in anderen Strafbar-
keitsbereichen auffallen?
D
Herr Kollege, dieser Bundestag hat
1998 die Voraussetzungen bestimmt, unter denen solche
Gentests stattfinden dürfen. Wie Sie wissen, geht dies we-
gen der DNA-Problematik nur mit richterlicher Anord-
nung. Die damalige Mehrheit hat sich beim Gesetzes-
wortlaut ganz bewusst auf die Formulierung „Straftaten
von erheblicher Bedeutung“ verständigt. Hierunter fallen
zum Beispiel alle Verbrechen, herausgehoben insbeson-
dere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung,
aber auch Erpressung und unter Umständen schwerer
Diebstahl. Von daher hat der Bundestag eine Wertung vor-
genommen, die im Einzelfall entsprechend nachvollzo-
gen werden muss. Damit ist es möglich, in den von Ihnen
genannten Fallvarianten zu einer entsprechenden Analyse
zu kommen. Es gibt also keinen abgeschlossenen Strafta-
tenkatalog, sondern es ist ganz bewusst in dieser Offen-
heit formuliert worden, dass Straftaten von erheblicher
Bedeutung vorliegen müssen; diese Begrenzung ist schon
wegen des Aufwands notwendig, der sich ergeben würde,
wenn man alle Straftaten einbeziehen wollte.
Gibt es weitere
Zusatzfragen? – Das ist nicht der Fall. Dann danke ich
Herrn Staatssekretär Pick.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen wird
der Parlamentarische Staatssekretär Andres beantworten.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Gottfried Haschke
auf:
Wer hat sich an der öffentlichen Ausschreibung für den Neu-
bau des Arbeitsamtes in Zwickau beteiligt und welcher Bewerber
hat den Zuschlag bekommen?
G
Frau Präsidentin, wenn
der Abgeordnete Haschke einverstanden ist, würde ich
gern die Fragen 8 und 9 gemeinsam beantworten.
Da der Abge-
ordnete einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 9 auf:
Welche Wirtschaftlichkeitsberechnungen waren für die Ent-
scheidung maßgeblich und welche Kriterien waren für die Bau-
kommission der Bundesanstalt für Arbeit entscheidend?
G
Ich beantworte zunächst
die Frage 8. Angebotsunterlagen für den Neubau des Ar-
beitsamtes Zwickau wurden von 19 Firmen angefordert.
Es wurden zehn Angebote abgegeben. Der Zuschlag
wurde noch nicht erteilt. Im Hinblick auf das noch nicht
abgeschlossene Verfahren ist es mir verwehrt, die Namen
der Unternehmen, die ein Angebot abgegeben haben, zu
nennen.
Die Frage 9 möchte ich wie folgt beantworten: Die An-
gebote werden nach der Barwertmethode für einen Be-
trachtungszeitraum von zehn Jahren untersucht sowie einer
baufachlichen Bewertung – dazu gehören die Wirtschaft-
lichkeit der Planung, die bauliche Umsetzung der Ge-
schäftspolitik und die Funktionalität – unterzogen. Im Rah-
men einer Nutzwertanalyse werden beide Bewertungen
zusammengeführt. Dabei erfolgt die Gewichtung der Kos-
tenkriterien mit 60 Prozent und die der baufachlichen Kri-
terien mit 40 Prozent.
Haben Sie Zu-
satzfragen? – Der Kollege Haschke hat keine Zusatzfra-
gen, aber der Kollege Luther, bitte.
Herr Staatssekretär,
stimmt es, dass in der letzten Woche die Entscheidung
über die Vergabe des Auftrags „Bau des Arbeitsamtes
Zwickau“ fallen sollte? Und wenn es stimmt, dass die
Entscheidung verschoben worden ist, möchte ich wissen,
warum sie verschoben worden ist?
G
Nach meinem Kennt-
nisstand sollte der Bauausschuss bei der Bundesanstalt für
Arbeit in der letzten Woche darüber entscheiden. Diese
Entscheidung ist nicht getroffen worden, weil es offen-
sichtlich – Ihre Fragen müssen ja irgendwelche Hinter-
gründe haben – öffentliche Auseinandersetzungen um die
Frage des Neubaus des Arbeitsamtes oder der Anmietung
gibt. Das soll zunächst geklärt werden. Erst dann erfolgt
ein Zuschlag.
Zusatzfrage des
Kollegen Fuchtel.
Herr Staatsse-
kretär, können Sie etwas dazu sagen, ob die Firma Philipp
Holzmann bei der Projektierung des gesamten Ausschrei-
bungsprojekts irgendeine Rolle gespielt hat und ob sie zu
den Firmen gehört hat, die ein Angebot abgegeben haben?
G
Nein.
– Ihre Frage, Herr Fuchtel, lautete: Können Sie etwasdazu sagen? Diese Frage beantworte ich klar mit Nein.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001 15603
Herr Fuchtel,
bitte.
Herr Staatsse-
kretär, würden Sie uns dann bitte die Möglichkeit ver-
schaffen, dass wir als Parlamentarier sämtliche Unterla-
gen zu dem Vorgang, die der Bundesregierung zugänglich
gemacht werden, ebenfalls erhalten? Denn die Bundesan-
stalt für Arbeit wird nach wie vor in starkem Maße vom
Bund gefördert.
G
Herr Kollege Fuchtel,
als Mitglied des Haushaltsausschusses kommen Sie – das
ist völlig klar –, wenn Sie es wollen, an alle Unterlagen
heran.
Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass
ein Zuschlag noch nicht erfolgt ist und wir damit faktisch
noch im Vergabeverfahren sind. Nach den Vorschriften
der Verdingungsordnung für Leistungen können Unterla-
gen erst dann zur Verfügung gestellt werden, wenn das
Vergabeverfahren abgeschlossen ist. Aus genau diesem
Grund habe ich die Frage, die Sie zuvor gestellt haben, mit
Nein beantwortet.
Dann rufe ich
die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Michael Luther auf:
– Selbstverständlich haben Sie zu jeder Frage zwei Zu-
satzfragen.
Dann rufe ich
auch die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Michael Luther
auf:
Wie wurden die Planung und die Entscheidungsfindung desAusschreibungsverfahrens durchgeführt und sind einzelne Teileder Planung den Bewerbern vorher bekannt gewesen?
G
Die Frage 10 möchte ich
wie folgt beantworten: Einziges Kriterium für die Stand-
ortwahl war eine gute Erreichbarkeit. Darunter verstehen
wir zentrale Lage, Anbindung an öffentliche Verkehrsmit-
tel und Straßennetz. Dem entsprachen acht der zehn ab-
gegebenen Angebote. Davon wurde ein Angebot wieder
zurückgezogen. Im weiteren Verfahren war die Standort-
frage deshalb nicht relevant.
Die Frage 11 beantworte ich wie folgt: Zur Herstellung
der Markttransparenz erfolgte ein nicht auf den Allgemei-
nen Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen –
VOL/A– basierendes öffentliches Ausschreibungsverfah-
ren. Die Angebote wurden nach der Barwertmethode für
einen Betrachtungszeitraum von zehn Jahren untersucht
sowie einer baufachlichen Bewertung – das habe ich eben
schon bei der Beantwortung der Frage des Kollegen
Haschke erläutert – unterzogen.
Im Rahmen einer Nutzwertanalyse wurden beide Be-
wertungen zusammengeführt. Dabei erfolgte die Gewich-
tung der Kostenkriterien mit 60 Prozent und der baufachli-
chen Kriterien mit 40 Prozent. Der bisherige Vermieter der
Räumlichkeiten des Arbeitsamtes Zwickau wurde bereits
im September 2000 zu einer Angebotsabgabe aufgefordert.
Daher war ihm ein Teil der späteren Ausschreibungsunterla-
gen bekannt. Sein Angebot machte das oben angeführte
Markterkundungsverfahren erforderlich.
Zusatzfragen? –
Bitte.
Herr Staatssekretär,
ich habe noch einmal eine Nachfrage zur Standortwahl.
Da das meiner Ansicht nach für die Stadt und für die Re-
gion Zwickau eine wichtige Entscheidung ist, möchte ich
Sie fragen: In welcher Weise wurde die Stadt Zwickau in
die Standortsuche, gerade hinsichtlich des Kriteriums ver-
kehrsgünstiger Standort, als Beraterin einbezogen? Denn
der Standort, der jetzt im Gespräch ist, hat weder einen
Straßen- noch einen Regiosprinteranschluss noch gibt es
einen besonders günstigen Anschluss für den Busverkehr.
Auch für den Autoverkehr ist der Standort aus meiner
Sicht nicht besonders günstig.
G
Herr Abgeordneter
Dr. Luther, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Arbeitsamt Zwickau
gegenwärtig in drei unterschiedlichen Liegenschaften un-
tergebracht ist, es also faktisch drei verschiedene Standorte
gibt. Das Arbeitsamt Zwickau ist in das Modellprojekt
„Arbeitsamt 2000“ einbezogen, in dessen Rahmen der
Versuch unternommen werden sollte, die unterschiedli-
chen Liegenschaften in einem geeigneten Objekt unterzu-
bringen. Deswegen ist dieses Verfahren gewählt worden.
Inwieweit die Stadt in dieses Verfahren einbezogen
worden ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen; darüber
habe ich keine Kenntnisse.
Weitere Zusatz-
fragen? – Bitte.
Dann stellt sich fürmich die Frage, ob diese Zusatzinformationen nachge-reicht werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 200115604
G
Ja.
Ich denke, das wäre
für die Öffentlichkeit – auch angesichts der Kritik, die laut
geworden ist – sehr wichtig. In dieser Frage sollte ja letzte
Woche die Baukommission entscheiden. Offensichtlich
aber gab es Gründe, die Entscheidung zu vertagen.
Deshalb will ich die Frage nachschieben: Hat letztend-
lich die Kritik der Mitbewerber an dem Vergabeverfahren
bei der Standortsuche dazu geführt, dass diese Entschei-
dung vertagt worden ist?
G
Es gibt öffentlich
geäußerte Kritik. Aber das ist Angelegenheit derer, die
diese äußern. Die Bundesanstalt für Arbeit hat, wie ich das
schon eben geschildert habe, die Entscheidung vertagt
und lässt das Vergabeverfahren bzw. den Stand der Ver-
gabe überprüfen.
Ich habe noch eine
Zusatzfrage: Wann ist mit der Entscheidung zu rechnen?
G
Das kann ich Ihnen
nicht sagen. Das hängt davon ab, wann das Prüfverfahren
abgeschlossen ist. Nach meinem Kenntnisstand besteht
einiger Zeitdruck, weil das neue Objekt bezogen werden
muss.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Fuchtel.
Herr Staatsse-
kretär, könnten Sie kurz die Historie des Prozesses auf-
zeigen und erklären, wieso im Zuge dieser Ausschreibung
– deren Frist sogar noch verlängert wurde – auf einmal ein
unerklärlicher Wechsel in den Auffassungen erfolgt ist
und wie man zu diesem Standort gekommen ist, obwohl
man schon einen anderen Standort vorgesehen hatte? Wie
ist man auf das Philipp-Holzmann-Gelände gekommen?
G
Herr Abgeordneter
Fuchtel, ich habe nicht von Philipp Holzmann gespro-
chen; das haben Sie getan. Ich kann auch die Historie
nicht aufzeigen, weil ich sie – offensichtlich im Gegensatz
zu Ihnen – nicht kenne. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es
ein Ausschreibungsverfahren gegeben hat, an dem sich
mehrere Bieter beteiligt haben. Die Namen der Bieter
kann ich nicht nennen; das habe ich vorhin schon erläu-
tert. Ich kann Ihnen lediglich sagen, dass der Bauaus-
schuss der Bundesanstalt in der letzten Woche eine Ent-
scheidung treffen sollte. Diese Entscheidung ist wegen in
diesem Zusammenhang öffentlich geäußerter Kritik nicht
getroffen worden. Dieser Kritik wird nachgegangen und
dann wird ein Vergabebeschluss herbeigeführt.
Keine weiteren
Zusatzfragen. Die Frage 12 wird schriftlich beantwortet.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Andres.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Die Parlamentarische
Staatssekretärin Brigitte Schulte wird die Fragen beant-
worten. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Fuchtel
auf:
Ist die Bundesregierung bereit, aufgrund jüngster Interventio-nen auf die Reduzierung des Bundeswehrstandortes Horb zu ver-zichten?
B
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Fuchtel, mit
dem Entwurf des Ressortkonzeptes zur Feinausplanung
und Stationierung vom 29. Januar 2001 hat Bundesvertei-
digungsminister Scharping dem Verteidigungsausschuss
des Deutschen Bundestages, den Landesregierungen, der
Öffentlichkeit und den Angehörigen der Bundeswehr
seine Planungen für die zukünftige Stationierung der Bun-
deswehr vorgestellt.
Der Entwurf war Gegenstand einer Regierungs-
erklärung. Er wurde im Deutschen Bundestag beraten und
in Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder
nochmals erörtert. Die abschließende Entscheidung zu
den Standorten hat Bundesminister Scharping am 16. Fe-
bruar getroffen. In dem Zusammenhang hat er als Ergeb-
nis festgehalten, dass der Standort Horb umgegliedert
wird.
Ihre Zusatz-
frage, bitte.
Frau Staatsse-
kretärin, wie ist es zu verstehen, dass von einer SPD-Kol-
legin am 30. Januar dieses Jahres im „Schwarzwälder Bo-
ten“ berichtet wurde, die Zitterpartie sei zu Ende, das
Stationierungskonzept für die Neuausrichtung der Bun-
deswehr habe keine Auswirkungen auf die Standorte? Et-
was weiter unten steht in dem Artikel, dass dort 1 000 Sol-
daten stationiert werden. Wie kommt es dazu, dass Sie
hier ganz andere Äußerungen machen?
B
Ob ich andere Äußerungen ma-che, will ich einmal dahingestellt sein lassen; denn jetztgeben Sie mir durch Ihre Zusatzfrage die Gelegenheit, zusagen, was dort vor sich gegangen ist, Herr KollegeFuchtel.Dieser Bundeswehrstandort beherbergte vorher ein Sa-nitätsregiment mit 930 militärischen und zivilen Dienst-posten zuzüglich 463 Lehrgangsteilnehmern. Es wird inZukunft folgendermaßen sein: Das Sanitätsregiment 10wird unter Heranziehung des KrisenreaktionslazarettsUlm in ein Lazarettregiment umgegliedert. Damit ist klar,
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dass ein Schwerpunkt die internationalen Einsätze seinwerden.Dabei bleiben Teile dieses Lazaretts, zum Beispielzwei Kompanien mit der Containerausstattung – auch ausPlatzgründen – am Standort Dornstadt. Aber hinsichtlichder künftigen Ausbildung erfolgt eine Umgliederung.Deshalb brauchen wir zwar nicht so viel Stammpersonal,aber die Zahl der Lehrgangsteilnehmer wird sich nicht er-heblich reduzieren. Wir gehen davon aus, dass bei 580mi-litärischen wie zivilen Dienstposten ein hoher Bedarf anAusbildung an dem Standort Horb besteht. Deshalb brau-chen wir Kapazitäten für die Unterbringung von über tau-send Soldaten. Damit haben wir eine Verringerung bei denAusbildungskapazitäten von vielleicht 10 Prozent. Dashätte ich Ihnen sonst zu Ihrer nächsten Frage gesagt. Wirkönnen die vorhandenen Unterbringungskapazitäten auchin Zukunft weiter nutzen.
Frau Staatsse-
kretärin, ich verstehe, dass Sie nicht so recht mit der Spra-
che heraus wollen. Ich muss Sie aber doch noch einmal
fragen: Ist es nicht so, dass zunächst in Ihrem Konzept
stand, den Standort Horb ohne jegliche Einschränkung zu
erhalten, und anschließend diese Einschränkungen – sehr
zur Überraschung der gesamten Region – durch Staatsse-
kretär Kolbow vor Ort bekannt gegeben wurden, was auf
einen Dissens in Ihren Planungen schließen lässt?
B
Lieber Herr Kollege Fuchtel,
Sie gehören dem Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages an. Sie werden deshalb weniger als andere
Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion bestreiten kön-
nen, dass die Bundeswehr für internationale Einsätze in
Teilen falsch strukturiert war. Sie wissen genau, dass wir
für diese internationalen Einsätze auch das Sanitätskon-
zept geändert haben. Zu Ihrer Regierungszeit haben Sie
eine Verteilungsaktion vorgenommen, wir gehen jetzt
nach Effizienzkriterien vor.
Die Bausubstanz und der Unterkunftsbedarf bleiben.
Auch die Zahl der Soldaten und zivilen Mitarbeiter wird
in einem beachtlichen Maße erhalten. Wir hoffen sogar,
dass wir bei der Feinplanung den einen oder anderen
Dienstposten möglicherweise von einem militärischen in
einen zivilen umwandeln können. Das wird sich ergeben.
Vielleicht kommt es auch durch die Kombination dieses
Krisenreaktionslazaretts und der Sanitätsausbildung zu
der einen oder anderen Einsparung. Es muss sehr in Ihrem
Sinne sein, dass wir so vorgehen.
Ich rufe jetzt die
Frage 14 des Kollegen Fuchtel auf:
Wie ist die räumliche Auslastung für den Fall der Reduzierungangesichts der erst vor wenigen Jahren in der jetzigen Dimensionausgebauten Kaserne künftig für den Fall vorgesehen, dass die Re-duzierung tatsächlich stattfindet?
B
Die Hohenberg-Kaserne
wurde 1988, also vor der deutschen Einheit, instand ge-
setzt und verfügt über eine gute Bausubstanz. Das haben
mir zumindest meine Männer aufgeschrieben. Ich hoffe,
Sie können das bestätigen.
Sie hat 1 270 Unterkunftseinheiten.
Im Ressortkonzept Stationierung sind die Stationie-
rungsumfänge ohne die zukünftige Zahl der Lehrgangs-
teilnehmer an Ausbildungseinrichtungen aufgeführt, da
diese noch der weiteren Feinausplanung bedürfen. Bei der
vorgesehenen Reduzierung des Stationierungsumfangs
am Standort Horb bleibt eine wirtschaftliche Auslastung
der Liegenschaften auch deshalb gegeben, weil sich die
Ausbildungskapazität für unterkunftspflichtige Lehr-
gangsteilnehmer nach den derzeitigen Planungen nur ge-
ringfügig, etwa um 10 Prozent, reduziert.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Fuchtel, bitte.
Frau Staatsse-
kretärin, Sie verwirren mich immer mehr, da mir aus Krei-
sen der Bundeswehr gesagt wurde, die Entscheidungsfin-
dung für den von Ihnen jetzt vorgetragenen Weg beruhe
auf Unterlagen, die mehr als zwei Jahre alt seien. Ich
werde nur aus Gründen des Datenschutzes an dieser Stelle
nicht konkreter. Solange Sie die Ursachen für solche
Äußerungen aus der Bundeswehr nicht beseitigen, tun
Sie, egal, welches Konzept Sie verfolgen, der Sache kei-
nen Gefallen. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die be-
stehenden Verwirrungen hinsichtlich der Frage, ob der
Standort im jetzigen Umfang erhalten bleibt, beseitigt
werden?
B
Herr Kollege Fuchtel, ich kann
Ihnen nur bestätigen: Aus dem Sanitätsregiment, das wir
in dieser Form nicht mehr benötigen, wird unter Heran-
ziehung des Krisenreaktionslazaretts eine Ausbildungs-
stätte, um Kapazitäten für immer häufigere Einsätze im
Bereich von Krisen regulierenden Maßnahmen und inter-
nationalen Hilfsmaßnahmen zu schaffen. An dieser Aus-
bildungsstätte werden sowohl Ausbilder, teilweise ziviles
Personal, als auch vor allen Dingen Auszubildende, näm-
lich Soldaten, die für entsprechende Einsätze qualifiziert
werden, tätig sein. Deswegen sehe ich im Moment keine
Verwirrung. Der Bedarf an Auszubildenden wird bleiben,
während der Bedarf an dort ständig stationiertem Perso-
nal reduziert wird. Das ist deswegen richtig, weil uns in
vielen Bereichen militärisches Personal fehlt, was teil-
weise auf Entscheidungen der Vorgängerregierung
zurückgeht. Insoweit bin ich gerne bereit, Ihnen dazu ei-
niges zu berichten, wenn Sie mir einen Brief schreiben.
Letzte Bemer-kung: Dass diese Kaserne gut ausgebaut ist, rührt daher,dass ein guter Abgeordneter daran gearbeitet hat.
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Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15606
Ich würde gerne noch etwas über den Zeithorizont er-fahren, wann im konkreten Fall eine Neustrukturierungmit Blick auf die künftigen Aufgaben durchgeführt wer-den soll.B
Herr Kollege Fuchtel, mir ist
im Augenblick nicht bekannt, ob Sie 1988 schon im Par-
lament saßen. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass der Ausbau
bereits 1988 erfolgt ist. Ich werde mich im Übrigen hüten,
mich über Ihre Qualitäten auszulassen.
Ich rufe die
Frage 15 des Abgeordneten Koschyk auf:
Bis zu welchem Zeitpunkt soll nach dem Willen des Bundes-ministeriums der Verteidigung die Auflösung des II. Luftwaffen-ausbildungsbataillons 3 in Bayreuth vollzogen werden, und wel-che Nachfolgenutzung des Areals der Markgrafenkaserne inBayreuth strebt der Bundesminister der Verteidigung, RudolfScharping, an?
B
Herr Kollege Koschyk, die
Auflösung des II. Bataillons des Luftausbildungsregi-
ments 3 in Bayreuth ist in dem Zeitraum von Okto-
ber 2003 bis Dezember 2004 vorgesehen. Zurzeit wird
geprüft, ob ein begrenzter Bereich der Markgrafenkaserne
für eine Unterbringung des Verteidigungsbezirkskom-
mandos benötigt wird. Die freizugebenden Teile der Ka-
serne werden dem allgemeinen Grundvermögen des Bun-
des zugeführt und von den dem Bundesministerium der
Finanzen nachgeordneten Behörden der Bundesvermö-
gensverwaltung verwertet.
Frau Staatssekretä-
rin, bevor ich zu einem anderen Punkt komme: Mich hat
überrascht, zu hören, dass der möglicherweise freizuge-
bende Teil an das Finanzministerium zurückgegeben und
nach allgemeinen Gepflogenheiten verwertet wird.
Warum ist in diesem Zusammenhang nicht die extra ge-
gründete Verwertungsgesellschaft GEBB zuständig?
B
Man muss ganz deutlich sehen,
dass es bezüglich der Liegenschaften unterschiedliche In-
teressenlagen gibt. Wir können nicht alle Liegenschaften
– wir haben noch eine ganze Reihe von Liegenschaften in-
folge von Schließungen durch die alte Regierung zu ver-
werten – durch die GEBB verwerten lassen. Der Bund, in
dieser Beziehung gewissermaßen ein Großgrundbesitzer,
muss Schwerpunkte setzen. Diese liegen in Bereichen,
von denen wir glauben, dass eine Nutzung wirtschaftli-
cher erfolgen kann, oder wo wir froh sind, dass, mögli-
cherweise in Übereinstimmung zwischen Land, Bund und
den betreffenden Kommunen, überhaupt eine vernünftige
Nachnutzung erfolgt.
Der Bundeswehrstandort in Bayreuth – der Oberbür-
germeister von Bayreuth war ja auch bei mir – gehört
wohl eher zu den Liegenschaften, bei denen der Bund
zunächst prüft, ob er sie selber behalten soll. Ich muss Ih-
nen natürlich nicht sagen, dass ein Verteidigungsbezirks-
kommando kleiner als das frühere Luftwaffenausbil-
dungsregiment ist. Alles andere wird man sehen.
Möglicherweise gibt es noch Bedarf auf Bundes- oder
Landesseite. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
Wir haben die Liegenschaften auf unterschiedliche
Weise geprüft. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der
Liegenschaften weiterhin durch die Bundesvermögens-
verwaltung geordert werden.
Eine Zusatz-
frage, bitte.
Sie haben im Hin-
blick auf die Auflösung einen zeitlichen Horizont von
2003 bis 2004 genannt. Wenn man sich die vom Bundes-
verteidigungsministerium veröffentlichten Entscheidungs-
kriterien bezüglich der drastischen Reduzierung der Zahl
der Standorte – auch Bayreuth ist, wie gesagt, davon be-
troffen – in Erinnerung ruft, dann stellt man fest, dass so-
wohl Arbeitsmarkt- als auch Strukturdaten berücksichtigt
werden sollten. Nun gibt es in jüngster Zeit eine die Ar-
beitsmarkt- und Strukturdaten verschlechternde Entwick-
lung am Bundeswehrstandort Bayreuth. So hat ein großes
Unternehmen das Insolvenzverfahren beantragt und auch
die Firma Grundig hat angedeutet, dass sie ihr Werk in
Bayreuth möglicherweise schließen wird. Können Verän-
derungen der Arbeitsmarkt- und Strukturdaten in dem län-
gerfristigen Zeitraum, den Sie genannt haben, dazu
führen, dass die Entscheidung, das Luftwaffenausbil-
dungsbataillon 3 in Bayreuth zwischen 2003 und 2004 zu
schließen, im Lichte der neueren Entwicklung im Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktbereich noch einmal geprüft
wird?
B
Herr Koschyk, die Luftwaffehat es bei ihren Planungen nicht ganz so schwer wie dasHeer mit seinen vielen Liegenschaften. Sie wissen, dasswir ab dem Jahr 2002 die Zahl der Wehrpflichtigen redu-zieren müssen. In Bayreuth handelt es sich ja um ein Aus-bildungsregiment. Ich habe – ich war überrascht – deswe-gen nachgefragt, ob es tatsächlich erst 2003 bzw. 2004aufgelöst werden wird. Auch die Luftwaffe muss schließ-lich die Zahl ihrer Standorte reduzieren und sich Gedan-ken machen, wie die Ausbildung in Zukunft angesichtseiner verringerten Zahl von Wehrpflichtigen aussehenwird, wenn die Umstrukturierung abgeschlossen ist. Vordiesem Hintergrund kann ich mir nicht vorstellen, dass dieAuflösung des Bundeswehrstandortes in Bayreuth überdas Jahr 2004 hinaus verschoben werden kann. Ich kannIhnen mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass dieserTermin eingehalten wird, weil die Zahl der Wehrpflichti-gen erst langsam zurückgeführt wird. Ich sehe mit Inte-resse, dass die Planungen in anderen Bereichen manchmalschneller vorankommen, weil die Soldaten an andererStelle benötigt werden.Ein zweites interessantes Moment ist für mich: Es gibterstaunlicherweise doch mehr Interessenten für die Lie-genschaften der Bundeswehr, als ich mir das vorstellenkonnte, und zwar – ich sage das nicht nur ausdrücklich im
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Hans-Joachim Fuchtel15607
Hinblick auf Bayreuth – an verschiedenen Standorten. Ichhabe dem Oberbürgermeister von Bayreuth, der mir da-mals seine Sorgen vorgetragen hat, ausdrücklich gesagt:Man muss einmal schauen; denn es handelt sich um guterschlossene Liegenschaften, die auch aufteilbar sind.Unter realistischen Gesichtspunkten halte ich den Zeit-punkt 2003/2004, bis zu dem der Bundeswehrstandort inBayreuth aufgelöst werden soll, für den allerletzten Ter-min, gerade weil es sich um ein Luftwaffenausbildungs-regiment handelt.Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Wirtschaftskraft inden von Bundeswehrstandortschließungen betroffenenRegionen nicht wesentlich nachlassen wird. Es wird zwarwirtschaftliche Veränderungen geben, von denen auchBayreuth betroffen sein wird. Aber ich glaube, dass Bay-reuth durch die Förderung der mittelständischen Industrieeine Chance haben wird, den Verlust an Wirtschaftskraft,der durch die Schließung des Bundeswehrstandortes ent-steht, zu kompensieren. Ich werbe ausdrücklich dafür,dass sich gerade die kleinen und mittleren Städte darumbemühen, die eigene mittelständische Industrie zu för-dern. Ich bin realistisch genug, zu wissen, dass dies indem einen oder anderen Fall nicht funktionieren wird.Aber das Schlimmste wäre, wenn die Liegenschaften überJahre hinweg leer stünden; denn dann würde die Substanzder Liegenschaften kaputtgehen und dann wäre der Ver-lust am größten.
Ich rufe
Frage 16 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf:
Wie bewertet der Bundesminister der Verteidigung, RudolfScharping, die in dem Schreiben des Oberbürgermeisters der StadtBayreuth vom 2. März 2001 an ihn geäußerte Auffassung, wonacheine „Konversion der Kasernenanlage auf zivile, etwa gewerbli-che Nutzung auf lange Zeit nicht gelingen wird“, und inwieweitberücksichtigt der Bundesminister der Verteidigung, RudolfScharping, die Position der Stadt Bayreuth bei seinen Überlegun-gen im Hinblick auf die künftige Nutzung der Markgrafenka-serne?
B
Bei der Entscheidung über den
Standort Bayreuth stand natürlich der Aspekt des Abbaus
von Ausbildungskapazitäten im Vordergrund. Die Bundes-
wehr strebt eine Verwertung der Liegenschaft im Hinblick
auf eine zivile Anschlussnutzung an. Hierbei wurde die
erforderliche Kooperation mit der Stadt Bayreuth herbei-
geführt bzw. gesucht. Auch hier bitte ich Sie und auch die
Kollegen der anderen Fraktionen, gemeinsam zu überle-
gen, wie das Land, die Kommune, aber auch der Bund bei
der Vermarktung der Liegenschaft helfen können. Mögli-
cherweise kann auch eine Teilvermarktung erfolgen. Es
sollte nicht an uns scheitern, wenn man im Rahmen der
Kooperation zu dem Ergebnis kommt, dass es sinnvoll
wäre, die Auflösung entweder früher oder später vorzu-
nehmen.
Frau Staatssekretä-
rin, ich stelle fest, dass Sie den Teil meiner Frage nicht be-
antwortet haben, in dem ich ausdrücklich gefragt habe,
wie der Bundesminister der Verteidigung das Schreiben
des Oberbürgermeisters der Stadt Bayreuth bewertet, in
dem dieser darauf hingewiesen hat, dass er die Konver-
sion der Kasernenanlage auf zivile, etwa gewerbliche,
Nutzung auf lange Zeit als nicht möglich ansieht. Er hat
in dem Schreiben an den Minister ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass er ein fehlendes ziviles und öffentli-
ches Interesse gerade im Hinblick auf eine Konversion zu
Gewerbeflächen sieht, nachdem die Stadt Bayreuth ge-
rade erst umfangreiche Gewerbegebiete ausgewiesen hat,
die sofort verwertbar sind. Auch aufgrund der allgemei-
nen wirtschaftlichen Lage ergibt sich momentan nur ein
bedingtes Interesse. Daher erlaube ich mir die Frage:
Kann denn der Bundesminister der Verteidigung hinsicht-
lich einer Verwertung nach außen hin Optimismus artiku-
lieren, wenn der betroffene Oberbürgermeister sehr deut-
lich macht, dass er aufgrund der Situation vor Ort nicht
von einer Verwertung ausgehen kann?
B
Die Gemeinde Stadt Olden-
dorf, die zu meinem sehr schönen Bundestagswahlkreis
gehört, hat eine ähnliche Vorstellung gehabt; auch die
Klagen meines Bürgermeisters waren ähnlich. Er wurde
dabei natürlich durch die Beiträge der Unionskollegen aus
Landtag und Bundestag unterstützt. In Wirklichkeit haben
wir aber mit Erstaunen festgestellt, dass es eine Reihe von
mittelständischen Industriebetrieben gibt, die den Weg zu
größeren Kapazitäten suchen, wenn die nötigen finanziel-
len Bedingungen dafür gegeben sind. Ich würde einmal
schlichtweg sagen: Die Tatsache, dass bei unseren Hoch-
bauten – ich kenne die Bayreuther Kasernenanlagen nicht –
eine völlig erschlossene Infrastruktur – nämlich Gas,
Warmwasser, Abwasser usw. – vorhanden ist, eröffnet er-
staunliche Möglichkeiten. Ich war vor einigen Tagen in
Verden. Dort ist eine riesige Anlage der Briten umgear-
beitet worden. Dort hat sich die Kommune zusammen mit
dem Landkreis sehr schnell dazu entschlossen, eine Nut-
zung, an die früher nicht gedacht war, vorzunehmen und
gleichzeitig einen Teil der Liegenschaften abzureißen, um
dort eine gemeinsame sinnvollere Neugestaltung in An-
griff zu nehmen.
Ich bin also nicht so pessimistisch und bitte Sie sehr,
Herr Kollege Koschyk, ein bisschen mitzuhelfen, da es
schwierig ist, in Deutschland solche Liegenschaften zu
nutzen. Sie dürfen vor allen Dingen nicht leer stehen.
Eine Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretä-rin, das möchte ich aufgreifen – ich muss das einfach vormeine Frage stellen, Frau Präsidentin –: Das ist ein Areal,das auf zwei Kampfbataillone der Bundeswehr ausgelegtist, mit sehr massiv in den Boden hineingebauten Luft-schutzbunkern. Dort waren Panzer stationiert. Dort istviel Beton verarbeitet worden. Es gibt unterschiedlicheAussagen über mögliche Altlasten. Wir haben bereits Er-fahrungen mit der Konversion, nämlich der Konversioneines von den Amerikanern zu Beginn der 90er-Jahrezurückgelassenen Areals, auf dem ebenfalls ein Panzer-bataillon stationiert war. Ich kann ein Lied von der Dauerder Konversionen in diesem Bereich singen. Daher
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15608
möchte ich von Ihnen wissen: Wie können Sie sicherstel-len, dass die optimistische Erwartung, die hier im Hin-blick auf eine Konversion geäußert wird, obwohl Ihnender betroffene Oberbürgermeister sowohl im persönli-chen Gespräch als auch noch einmal schriftlich eine an-dere Auffassung mitgeteilt hat, nicht an der örtlichenSituation vorbeigeht? Gerät dadurch nicht das Verwer-tungskonzept des Bundesministeriums der Verteidigunginsgesamt ins Wanken?Frau Staatssekretärin, ich sage das auch vor dem Hin-tergrund, dass ich eine Anfrage an die Bundesregierunggestellt habe, wie die Verwertungssituation bei den auf-gegebenen Bundesgrenzschutzstandorten aussieht. DieBundesregierung hat sich leider außerstande gesehen, da-rüber Auskunft zu geben. Sie hat sich in die Ausrede ge-flüchtet, dass es darüber keine gesonderten Statistikengebe. Wenn sie darüber Auskunft geben würde, hätten wireinen Erfahrungswert, wie es gelungen ist, durch dieBGS-Reform aufgegebene BGS-Liegenschaften zu ver-werten. Ich befürchte, auch hierbei wird ein Optimismusverbreitet, der nicht mit der Realität vereinbar ist.B
Herr Koschyk, der Vorteil ist,
dass ich eine ganze Reihe von Jahren auch die kommu-
nalpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
war; ich habe mich nicht nur um Verteidigung geküm-
mert. Außerdem war ich lange Jahre Mitglied des Haus-
haltsausschusses.
Erstens. Wir müssen in einem so dicht besiedelten
Land wie der Bundesrepublik Deutschland – Deutschland
ist dicht besiedelt genug! – darauf achten, dass wir bereits
erschlossene Liegenschaften nutzen, anstatt ständig neue
Gebiete auf freiem Felde zu erschließen.
Zweitens. Es war natürlich ein Fehler – Sie haben das
zu Recht beschrieben; was ich jetzt sage, wollte ich Ihnen
eigentlich ersparen –, eine mit zwei Bataillonen besetzte,
viel zu große Kasernenanlage – das hat für den Bund stän-
dig Folgekosten bedeutet – anschließend mit einem
Luftwaffenausbildungsregiment zu besetzen. Wahr-
scheinlich wäre es leichter gewesen, wenn das immer ein
typischer Luftwaffenplatz gewesen wäre. Das war es aber
nicht; Sie haben das freundlicherweise beschrieben.
Zu Beginn der 90er-Jahre hat der arme Herr Waigel zu-
sammen mit den Ländern auf 2 Prozentpunkte der Mehr-
wertsteuer zurückgreifen müssen, damit die Länder ein
Konversionsprogramm durchführten. Einige haben das an
verschiedenen Stellen hervorragend gemacht – ich kenne
solche Beispiele aus Bayern – und andere haben gesagt:
Lasst doch bitte die Bundeswehr dort weiterhin statio-
niert. Die Situation in Bayreuth kann ich gut verstehen.
Da ist die Gemeinde gekommen und hat gesagt: Wir ha-
ben sonst zwei Bataillone gehabt und jetzt haben wir nur
noch ein Ausbildungsregiment. – Die Kosten für den Staat
Bundesrepublik Deutschland sind zu hoch gewesen.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir unterstützen Ihre
Auffassung, dass bei der Räumung der Liegenschaften
Möglichkeiten gefunden werden müssen. Wir sind des-
wegen aber nicht der Meinung, dass jede dieser Liegen-
schaften im Hinblick auf die durch ihren Verkauf erziel-
ten Erlöse optimiert werden muss; vielmehr muss auch
auf die Region Rücksicht genommen werden. Deswegen
geschieht die Vermarktung durch die bundeseigene Ver-
mögensverwaltung. Es kommt jetzt wirklich darauf an,
dass Sie alle mithelfen, schnell Möglichkeiten der Nach-
nutzung zu finden, damit die Standorte nicht leer stehen;
denn das wäre ein Substanzverlust.
Ich habe mir die Lösung der Probleme in Bayreuth ein
bisschen auf meine Fahne geschrieben. Ich wage voraus-
zusagen, dass es auch dort Nutzungsmöglichkeiten gibt.
Das ist kein Zweckoptimismus. Der Gedanke, der dahin-
tersteht, lautet: Wir haben in Deutschland gar nicht so
viele geeignete Freiflächen, dass wir alles beliebig er-
schließen könnten. Gemeinden haben Gewerbegebiete er-
schlossen, die nie bebaut worden sind. In Bayreuth sind
die notwendige Infrastruktur und die notwendigen An-
schlussmöglichkeiten vorhanden. Lassen Sie uns beide in
einem Jahr noch einmal darüber sprechen.
Ich rufe jetzt die
Frage 17 des Abgeordneten Spranger auf:
Welche Pläne verfolgt die Bundesregierung hinsichtlich derSchließung des Bundeswehrstandortes Heidenheim in Westmit-telfranken in Bezug auf den genauen Zeitpunkt der geplantenSchließung, die infrastrukturellen Ausgleichsmaßnahmen für dieRegion, die Weiterbeschäftigung von 80 zivilen Mitarbeitern so-wie eine mögliche Weiterverwendung des Standortgeländes unddie damit eventuell verbundenen Investitionsförderungsmaßnah-men?
B
Herr Kollege Spranger, auch
für Sie gilt: Das Bundesministerium der Verteidigung hat
am 16. Februar 2001 die Aufgabe des Standortes Heiden-
heim beschlossen. Das Panzerbataillon wird wie andere
Panzerbataillone aufgelöst. Die Panzerpionierkompa-
nie 300 wird nach Külsheim verlegt. Die Hahnen-
kamp-Kaserne wird in das allgemeine Grundvermögen
übergehen.
Ein genauer Zeitpunkt der Schließung des Standortes
Heidenheim kann zurzeit noch nicht genannt werden. Er
wird aber mit den Betroffenen zeitgerecht besprochen
werden. Die vom Umstrukturierungsprozess betroffenen
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Solda-
tinnen und Soldaten können – das hat der Bundesvertei-
digungsminister im Parlament und in der Öffentlichkeit
oft betont – darauf vertrauen, dass die Umsetzung der Ent-
scheidung in sozial verträglicher und verantwortbarer
Weise erfolgen wird.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Spranger, bitte schön.
Frau Staatssekre-tärin, ist der Bundesregierung bekannt, dass die Schlie-ßung dieses Standortes in dieser Region besondersschwierige wirtschaftliche, soziale und strukturelle Pro-bleme aufwirft? Ist die Bundesregierung gemäß dem Ver-ursacherprinzip deshalb nicht besonders verpflichtet,diese Probleme durch notwendige Ausgleichsmaßnahmenzu lösen?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Hartmut Koschyk15609
B
Herr Kollege Spranger, wie Sie
wissen, gehöre ich dem Parlament lange an: Ich habe eine
sozialliberale Bundesregierung miterlebt, ich habe eine
christdemokratisch geführte Bundesregierung miterlebt
und jetzt regieren wir das Land. Erfreulicherweise befin-
den wir uns jetzt in der Situation – das ist entscheidend –,
dass wir weniger Soldaten brauchen. Außerdem sind diese
Soldaten jetzt stärker als je zuvor im täglichen Einsatz ge-
fordert. Darüber hinaus hat die alte Bundesregierung lei-
der Panzerbataillone aufrechterhalten, die wir nicht ge-
braucht haben. Unsere jetzige Strukturpolitik vor diesem
Hintergrund in Zweifel zu ziehen halte ich geradezu für
hanebüchen.
Wir werden kaum Probleme haben – uns fehlen bereits
14 000 Zeit- und Berufssoldaten –, bestimmte Gruppen
von Soldaten unterzubringen. Ein Problem sind die 80 zi-
vilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen
schauen, ob ein Teil von ihnen an einer anderen Stelle der
Bundeswehr eine Aufgabe bekommt oder ob wir durch
Tarifverträge mit der neuen, großen Gewerkschafts-
organisation Verdi Lösungen finden.
Meine Sorge gilt den Teilzeitkräften und da vor allen
Dingen den Küchenkräften. Ich bin davon überzeugt, dass
alle anderen eine Chance haben, entweder bei der Bun-
deswehr weiter beschäftigt zu werden, weil sie an anderer
Stelle eingesetzt werden können, oder woanders einen
Arbeitsplatz zu finden, wenn sie jung genug sind.
Die Schließung eines Standortes mit nur 80 zivilen
Mitarbeitern bereitet mir nicht so große Sorgen wie die
Schließung von Standorten, an denen eine größere Zahl
von zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt
ist. Es kann nicht sein, dass wir einen Standort erhalten,
obwohl er nicht benötigt wird.
Zweite Zusatz-
frage, bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, nicht nur mir, sondern auch der Bevölkerung in
Westmittelfranken ist bewusst geworden, dass Sie – wie
Sie so schön sagen – das Land regieren. Die Menschen er-
warten von Ihnen daher, dass Sie sich nicht nur in memo-
riam mit diesem Thema beschäftigten, sondern dass Sie
nach vorne schauen und ihnen mitteilen, welche Aus-
gleichsmaßnahmen Sie planen, um die durch Ihre Ent-
scheidungen entstandenen Herausforderungen zu bewäl-
tigen.
B
Wir räumen das auf, was Sie
aufgrund Ihres Hochmuts nicht weggeräumt haben.
Wir haben Sie schon 1991 darum gebeten – ich war be-
reits damals in diesem Bereich tätig –, eine Strukturkom-
mission des Bundestages einzusetzen, um gemeinsam
Pläne für eine auf die Zukunft ausgerichtete Struktur der
Bundeswehr zu entwickeln. Herr Kollege Spranger, das
haben Sie schlichtweg abgelehnt.
Das Stationierungskonzept von Herrn Stoltenberg, mit
dem Standorte erhalten wurden, war ein Kompromiss, um
keinen politischen Ärger vor Ort zu bekommen. Heute
fehlt uns aufgrund der hohen Staatsverschuldung, die wir
vorgefunden haben, aber auch aufgrund der mangelhaften
Struktur der Bundeswehr das Geld.
– Frau Kollegin, das müssen Sie sich schon anhören. Sie
waren damals ebenfalls dabei. – Das ist schlicht und ein-
fach die Wahrheit.
Ich setze mich dafür ein – das gilt auch für die Kolle-
gen im Verteidigungsausschuss –, bezüglich der Statio-
nierung eine Sicherheit für die Standorte zu erreichen.
Weiterhin setze ich mich dafür ein, dass es mehr einsatz-
fähige Soldaten gibt. Wir haben heute noch nicht die
Struktur – wir müssen sie aber schnell erreichen –, um
Soldaten geschlossen in Kompanien und Verbänden in
Einsätze zu schicken.
Herr Spranger, ich möchte mich für meine heftige Ant-
wort entschuldigen. Aber die Fakten sind leider so, wie
von mir geschildert. Ich kann deswegen bedauerli-
cherweise nur sagen: Es muss schnell gehandelt werden.
Verbände, die wir nicht mehr brauchen, müssen aufgelöst
werden.
Ich rufe die
Frage 18 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf:
Wie sieht konkret das Ausgleichsprogramm der Bundesregie-
rung für den betroffenen Landkreis Weißenburg/Gunzenhausen
und die umliegenden Gemeinden aus?
B
Die Bundesregierung ist
bemüht – das will ich ausdrücklich zusagen –, zusammen
mit den betroffenen Kommunen und dem Land eine
Nachnutzung der Liegenschaften zu erreichen. Ein spezi-
elles Ausgleichsprogramm des Bundes ist aber nicht ge-
plant.
In diesem Zusammenhang weise ich auf die Tatsache
hin, dass der Bund 1993 im Rahmen des Finanzausgleichs
2 Prozentpunkte bei der Mehrwertsteuer abgegeben hat
und dass es ein Programm gibt, das jedem Standort ge-
recht wird.
Wir werden morgen über die Bundeswehrstandorte de-
battieren. Aber schon heute will ich darauf hinweisen,
dass wir bereits im Rahmen von Bundesprogrammen hel-
fen, zum Beispiel bei der Stadtsanierung, bei der Ver-
kehrsanbindung und bei der wirtschaftlichen Förderung.
Mit Mitteln aus diesen Programmen kann man ebenfalls
die jeweiligen Standorte unterstützen.
Frau Staatssekre-tärin, ich akzeptiere gerne Ihre Entschuldigung. Ich muss
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 200115610
aber feststellen, dass es absurd ist, die Schließung vonStandorten heute in Verbindung mit der Politik des ehe-maligen Verteidigungsministers Stoltenberg zu bringen.
Das ist eine ähnlich absurde Vorstellung wie die, mit demFinanzausgleich des Jahres 1993 seien die Folgelastenaufgrund der heutigen Standortschließungen abgegolten.Diese Argumentation kann man wirklich nur als absurdbezeichnen.Sie haben noch nicht einmal angedeutet, wie Sie not-wendige Infrastrukturmaßnahmen in dieser Region för-dern wollen. Die Folgen eventueller Standortschließun-gen für die Infrastruktur und die Wirtschaft der Regionhätten eigentlich in die Überlegungen gemäß den Krite-rien des Herrn Verteidigungsministers einbezogen werdenmüssen. Gemäß dem Verursacherprinzip muss sich dieBundesregierung an den Ausgleichsmaßnahmen beteili-gen. Meine Zusatzfrage lautet daher: Mit welchen Maß-nahmen können die Menschen und die Region rechnen?B
Leider ist unsere Staats-
verschuldung Realität und nicht Absurdität. Außerdem
brauchen wir eine Bundeswehr, die einsatzfähig ist.
Panzerbataillone haben wir zu viele, Herr Kollege.
Die hat nicht die sozialdemokratisch geführte Bundesre-
gierung eingerichtet, sondern die haben wir ab 1990 in der
vorhandenen Zahl nicht gebraucht.
Das ist schlichtweg unser Problem.
Zu Ihrer Frage. Wir werden dabei helfen, dass eine
Nachnutzung der Liegenschaften zügig erfolgen kann.
Jetzt sind die Ideen der Region gefragt. Gefragt ist in der
Tat natürlich auch das Land Bayern.
Bitte.
Frau Staatssekre-
tärin, können Sie mir wenigstens ansatzweise sagen, wie
Sie sich die Verwertung dieses Geländes vorstellen? Denn
das, was Sie gegenüber Herrn Kollegen Koschyk gesagt
haben, da solle jetzt der Mittelstand einsteigen, ist bei die-
sen 400 Hektar hügeligen Gelände im Grunde ausge-
schlossen. Hier hätte ich gerne Tipps, auch für die dorti-
gen Kommunalpolitiker, damit sie wissen, in welche
Richtung sie sich bewegen sollen, wenn sich schon die
Bundesregierung nicht bewegt.
B
Die Bundesregierung ist hier
Erbe von Liegenschaften, die auch in der Vergangenheit
nicht immer nach dem Konzept „Was braucht die Bun-
deswehr?“, sondern eher nach der Frage „Wie erhalte ich
Standorte, für die andere keine Ideen haben?“ betrieben
wurden.
Ich bin überzeugt, dass wir Ideen finden werden, Herr
Spranger. Ich bin ausdrücklich auch bereit, Ihnen und
Ihren Kommunen entsprechend behilflich zu sein. Das
will ich deutlich sagen, weil ich verstehe, welchen
Schrecken diese Umstände für jede Kommune hervorru-
fen. Aber Sie müssen dann auch so fair sein, wenige Jahre
später zu sagen: Es ging besser, als ich dachte.
– Das würde ich auch für richtig halten.
Herr Kollege
Spranger, wir möchten Ihnen gerne zum heutigen Ge-
burtstag gratulieren, von dem ich gerade erfahren habe.
Das wollen wir doch bei allem Streit in einer Fragestunde
nicht vergessen.
Jetzt rufe ich die Frage 19 des Abgeordneten Christian
Schmidt auf:
Geht das Bundesministerium der Verteidigung trotz des Ur-teils des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Dezember 2000von einer künftigen Weiternutzung des TruppenübungsplatzesWittstock/Brandenburg aus, und wenn ja, wie will die Bundesre-gierung die in dem Urteil geforderte Berücksichtigung der ge-meindlichen Belange gewährleisten?
B
Auch ich möchte dem lang-
jährigen Kollegen Spranger zum Geburtstag gratulieren.
Ich tue das besonders gern; das sage ich ausdrücklich.
Umso mehr werde ich dafür sorgen, dass die Wünsche be-
arbeitet werden.
Das Bundesministerium der Verteidigung, Herr Kol-
lege Schmidt, möchte den Truppenübungsplatz Wittstock
in Brandenburg weiterhin nutzen. Die Nutzungsmög-
lichkeit von Wittstock für Herstellung und Erhalt der not-
wendigen Einsatzfähigkeit und damit insbesondere für
die Aufgabenerfüllung im erweiterten Aufgabenspektrum
für die deutschen und auch alliierten Luftstreitkräfte ist
von Bedeutung. Wie die gemeindlichen Belange berück-
sichtigt werden können, wird sich jetzt bei einem An-
hörungsverfahren ergeben, das besser schon die alte Re-
gierung zu Beginn der 90er-Jahre durchgeführt hätte.
Zusatzfrage,
bitte.
Frau Staats-sekretärin, gestatten Sie mir vor meiner Frage die folgende
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Carl-Dieter Spranger15611
Bemerkung: Fast habe ich den Eindruck, Sie werden unsbei weiteren Fragen noch vorwerfen, die Bundeswehr zuunserer Regierungszeit nicht komplett abgeschafft, son-dern das Ihnen überlassen zu haben. Den Eindruck, dassSie das meinen, hat man jedenfalls manchmal.Ich frage Sie, wie die Bundesregierung die in diesemUrteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember2000 formulierten Auflagen zur Berücksichtigung der ge-meindlichen Belange bei einer künftigen Weiternutzungdes Truppenübungsplatzes Wittstock vor allem mit Blickauf eine mögliche nennenswerte städtebauliche Weiter-entwicklung, für die selbst die Wehrbereichsverwal-tung VII in einer Stellungnahme vom 5. Januar 1996 zumFlächennutzungs- und Landschaftsplanentwurf der be-troffenen Gemeinde Schwierigkeiten besonders in Bezugauf die Lärmentwicklung gesehen hat, erfüllen will. Dasist eine verwaltungsrechtliche Frage, aber doch ein sehrwichtiger Punkt, den man bei der zukünftigen Nutzung zuberücksichtigen hat.Im Übrigen darf ich ergänzen, dass ich bei Ihnen nichtdavon ausgehe, dass Sie die Bundeswehr abschaffen wol-len, und deswegen sehr erfreut wäre, wenn es von Ihneneinige positive Antworten – nicht diese etwas abweh-renden – und ein paar Hinweise, was man zu tun gedenkt,gäbe.B
Erstens. Ich habe vor einigen
Wochen eine Kleine Anfrage der PDS behandelt, die sich
sehr ausgiebig mit dem Luft-Boden-Schießplatz Witt-
stock beschäftigt, Herr Kollege Schmidt. Ich habe auch
nie versäumt, hier zu sagen, dass ich nicht nur die bishe-
rigen Luft-Boden-Schießplätze, nämlich Nordhorn in
Niedersachsen und Siegenburg in Bayern, erhalten will,
sondern dass ich selbstverständlich immer auch die Vor-
stellung der alten Bundesregierung, nämlich den Übungs-
platz Wittstock zu erhalten, geteilt habe. Es finden so-
wieso schon über 70 Prozent unserer Übungen außerhalb
Deutschlands statt. Dadurch wird unser fliegerisches Per-
sonal zu stark belastet.
Zweitens. Zu diesem Urteil hätte es meines Erachtens
nicht kommen müssen, wenn man sich vorher vernünftig
um eine einvernehmliche Lösung mit den Kommunen
bemüht hätte. Es lehnen ja nicht alle Kommunen diesen
Übungsplatz ab. Es gibt – das können Sie als Jurist besser
beurteilen als ich – hier ein paar Unwägbarkeiten. Der
Bund hat im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit
schlichtweg nicht genau eruiert, was ihm gehört und was
nicht. Deswegen haben einige Kommunen ja mit der Be-
rufung auf Wegerechte und andere Dinge mit ihrer Klage
Erfolg gehabt, während andere Kommunen darauf drän-
gen, dass sich der Bund dort engagiert und eine militäri-
sche Einrichtung schafft. Hier hängt alles von den Ver-
handlungen ab.
Ich sage hier noch einmal sehr deutlich: Wir haben ein
Interesse daran, dass der Luft-Boden-Schießplatz Witt-
stock erhalten bleibt. Auf längere Sicht müsste das auch
im Interesse der Kommunen liegen. Die PDS hat ja ge-
fragt, wie viel Munition dort von anderen Truppeneinhei-
ten als der Bundeswehr vorhanden ist. Diese muss ja auch
noch beseitigt werden. Das machen wir, wenn wir ein
Stück dieses Platzes weiter nutzen können, ansonsten
müssen es die Brandenburger alleine tun. Es ist nur eine
Schwierigkeit von vielen, dass die Gemeinden, die gegen
den Übungsplatz angekämpft haben, zum Teil versäumt
haben, zu schauen, welche Altlasten dort noch vorhanden
sind.
Beim Übungsbetrieb kann durch Sommerpausen und
ähnliche Dinge – anders als die ehemaligen sowjetischen
Streitkräfte es gemacht haben – so viel Rücksicht genom-
men werden, dass ich mir vorstellen könnte, dass es zu ei-
ner Einigung mit den Kommunen kommt.
Keine wei-
tere Zusatzfrage.
Keine weitere
Zusatzfrage. – Dann rufe ich die nächste Frage des Abge-
ordneten Schmidt, nämlich die Frage 20, auf:
Wird der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping,
bei anhaltenden rechtlichen Auseinandersetzungen und anhalten-
dem politischen Widerstand von einer Weiternutzung des Trup-
penübungsplatzes Wittstock/Brandenburg und der mit einem Kos-
tenvolumen von 214 Millionen DM verbundenen Stationierung
eines Luftwaffenausbildungsregiments in Wittstock Abstand neh-
men?
B
Wie ich bereits gesagt habe,
wollen wir den Truppenübungsplatz Wittstock nutzen.
Weiterhin ist geplant, hier ein Luftwaffenausbildungsba-
taillon als Ausgleich für die Belastung und zur Stärkung
der Region zu stationieren.
Frau Staats-
sekretärin, welche Vorbereitungen trifft die Bundesregie-
rung, um der Stellungnahme des Bundesrechnungshofes
zum Stationierungskonzept Ihres Ministeriums und zu
den Planungen bezüglich Wittstock/Dosse insgesamt
Rechnung zu tragen? Der Bundesrechnungshof hat ja, wie
ich gehört habe, aufgrund der erheblichen finanziellen
Auswirkungen ein besonderes Interesse an einer Prüfung
dieser Bereiche bekundet. Ihre Reform soll sich ja selber
tragen und finanzieren. Deswegen ist doch schon einmal
zu fragen, welche Zusatzkosten dadurch entstehen, dass
ein Luftwaffenausbildungsregiment aus der schönen
Stadt Bayreuth jetzt nach Wittstock/Dosse verlagert wer-
den soll.
B
Es ist zauberhaft, was Sie dafragen.Ein Kollege aus Bayern fragte mich, ob Siegenburgweiter genutzt werde, der nächste Kollege aus Nieder-sachsen fragte mich, ob Nordhorn weiter genutzt werde.Ich sage dazu, dass wir Nordhorn, Siegenburg und Witt-stock nutzen und nicht alles nach Wittstock legen wollen.Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Ausbildungunserer eigenen Streitkräfte außerhalb Deutschlands undzum Teil außerhalb Europas durchgeführt werden, wollen
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Christian Schmidt
15612
wir auf diese Weise die Belastung der Soldaten durch Ab-wesenheit vermindern. Dafür müssen wir natürlich Aus-bildungsmöglichkeiten vor Ort haben. Übrigens soll dieEinrichtung auch vom Heer für bestimmte Übungen ge-nutzt werden.Ich halte es rechnerisch für möglich, dass sich Ausbil-dung in Deutschland bei einer Kosten-Nutzen-Rechnungals vernünftige Regelung herausstellt. Ich habe in diesemFall deswegen keine Sorgen vor einer Prüfung durch denBundesrechnungshof. Ich hoffe nur – dabei zähle ich aufIhre Hilfe –, dass wir diesen Standort auch wirklich ver-wenden können.
Zusatzfrage? –
Nein, dann erteile ich dem Abgeordneten Koschyk zu ei-
ner Zusatzfrage das Wort.
Frau Staatssekretä-
rin, der Bundesminister der Verteidigung scheint sich ja in
Sachen Wittstock sicher zu sein, da er für diesen im Sta-
tionierungskonzept vorgesehenen Standort im Parlament
so offensiv eintritt. Hier sollte man sich aber den Sach-
verhalt noch einmal genauer anschauen: Das Ausbildungs-
bataillon, das Sie von Holzdorf nach Wittstock verlegen
wollen, um ein Argument für die Weiterführung des dor-
tigen Schießplatzes zu haben, wird in den Listen für das
entsprechende Bundesland nicht mehr als Standort aufge-
führt. Bei Wittstock in Brandenburg findet sich kein
Sternchen, was sonst auf eine Fußnote „Standort im Auf-
wuchs“ hindeutet. Das heißt, nur durch Fragen hier im
Parlament erfährt die Öffentlichkeit, was Sie in Sachen
Holzdorf und Wittstock vorhaben. Wer in Ihr Stationie-
rungskonzept hineinschaut, wird in Bezug auf Wittstock
bewusst ein bisschen irregeführt; denn Sie verschweigen
geflissentlich, dass das Ausbildungsbataillon überhaupt
erst dorthin soll, was einen Kostenaufwand von 214 Mil-
lionen DM verursachen wird. Wie erklären Sie sich das?
B
Wenn Sie bereit sind, zu sagen,
dass wirklich alle Übungen, die jetzt auch für Wittstock
geplant sind, in Siegenburg durchgeführt werden sollen,
dann könnten wir uns diese Kosten in der Tat sparen. Da
aber gerade aus dem bayerischen Bereich mit großer Hart-
näckigkeit geäußert wird, man solle diesen Luft-Boden-
Platz aufgeben, sagen wir, dass das nicht alles in die neuen
Bundesländer verlegt werden könne. Deswegen machen
wir eine Aufgabenteilung, womit ich nicht das
geringste Problem habe. Übrigens sind das auch Kro-
kodilstränen; denn das Ausbildungsregiment, das dorthin
kommt, stammt in diesem Falle aus Wunstorf, nicht aus
Bayern. Es ist zum Teil noch in Wunstorf und soll nach
Holzdorf. Der Grund dafür ist, dass wir, um Kosten zu
sparen, die Ausbildung auf der Transall in Wunstorf aus-
laufen lassen. Das wird nach 2013 der Fall sein, wenn wir
das Transportflugzeug der Zukunft haben werden. Ein an-
derer Teil der Ausbildung wird sich in Wittstock befinden.
Ich finde das sehr spannend. Ich sage meinen Nieder-
sachsen immer: Nordhorn, Siegenburg und Wittstock.
Das habe ich nie anders gesagt. Aber wenn Sie möchten,
dass wir alles in Siegenburg machen, könnten wir den
Freunden in Brandenburg vielleicht die Möglichkeit ge-
ben, den Standort Wittstock zu räumen.
– Aber natürlich. In Wunstorf bilden wir für die Trans-
portflugzeuge aus.
– Die „Transporter“ bilden wir in Wunstorf aus, Herr Kol-
lege. Da müssen Sie sich einmal erkundigen.
– Sie gehören zu dem Geschwader, bei dem die Ausbil-
dung für die Transall stattfindet. Das ist schon spannend.
Herr Kollege
Gehrcke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin,
es war ja unvermeidbar, dass wir über diese Frage wieder
ins Gespräch kommen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass
ich meinem CDU/CSU-Kollegen alles Gute für das
schöne Bayreuth wünsche. Ich möchte mit Ihnen kurz die
Rechnung abstimmen, damit die Fakten hier noch einmal
genannt werden. Nach Ihrer Antwort auf meine Kleine
Anfrage belaufen sich die Kosten, die dort für Muni-
tionsräumung, Übungsplatz und Garnison investiert wer-
den müssen, auf 500 Millionen DM. Ich frage Sie, ob Sie
diese Zahl bestätigen möchten und ob Sie auch den Zeit-
rahmen in Rechnung gestellt haben. Sie sind ja per Ge-
richtsurteil gehalten, eine Anhörung der Gemeinden
durchzuführen, die sehr lange dauern kann, wie jeder
weiß.
B
Die Aufgabe Wittstocks alseine militärische Einrichtung, Herr Kollege Gehrcke, be-deutet, dass wir für das Räumen der Altmunition nichtmehr verantwortlich sind. Das besagen die Verträge. ImGegensatz zur DDR haben wir hier hinsichtlich der Auf-gabenverteilung sehr sorgfältig ausgearbeitete Verträgezwischen dem Bund und den Ländern. Die Aufgabe Witt-stocks würde bedeuten, dass das Räumen, was wir übri-gens in großem Maße zum Beispiel in der LetzlingerHeide gemacht haben, wofür die Menschen dort uns dank-bar sind, von unserer Seite nicht erfolgen muss; denndiese Liegenschaft hat die Bundesrepublik Deutschlandnicht so hinterlassen. Für die dort vorhandenen großenAltlasten muss das Land Brandenburg eintreten; so ist dieRechtsgrundlage.Zum anderen ist das Gelände sehr groß. Ich habe mirvon den Brandenburgern sagen lassen, dass sie es sehr be-grüßten, wenn neben der Nutzung des Schießplatzes inWittstock durch die Luftwaffe und das Heer nach Mög-lichkeit auch Verbündete aus Amerika, England oderSkandinavien dorthin kämen, weil wir deren Einrichtun-gen ja auch nutzen. Daher halte ich es für richtig, dieseAusbildungseinrichtungen dort zu schaffen. Ich habe
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Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15613
auch keine Probleme damit, was die Kosten anbetrifft.Dies alles wird Zeit brauchen.Ich habe Sorge, dass der Rechtsstreit darum – ichglaube aber, hier gibt es ein Umdenken in den Kommunenum Wittstock herum – längere Zeit in Anspruch nimmtund wir dann in der Zwischenzeit Siegenburg noch stär-ker frequentieren müssen.
Ich rufe die
Frage 21 des Abgeordneten Hans-Peter Friedrich auf.
Ist bei dem in den Niederlanden gelegenen Bundeswehrstand-
ort Budel an eine weitere Verstärkung gedacht, und wenn ja, in
welcher Größenordnung?
B
Herr Kollege Friedrich, es wird
nicht daran gedacht, eine weitere Verstärkung des Bun-
deswehrstandortes Budel in den Niederlanden vorzuneh-
men.
Bitte, Herr Kol-
lege Friedrich.
Frau
Staatssekretärin, auf welchen Abkommen oder welchem
Vertrag beruht überhaupt die Stationierung in den Nieder-
landen? Sind Sie gezwungen, in der Größenordnung, in
der Sie es derzeit tun, zu stationieren, oder könnten Sie
auch verringern? Wenn ja, ist geprüft worden, ob man so
etwas möglicherweise vornehmen könnte?
B
Das, was jetzt stattfindet, finde
ich auch spannend: unsere Soldaten möglichst zurückzu-
holen. Wir haben aber Abkommen auf NATO-Ebene,
nach denen auch Niederländer, Belgier und andere auf
unseren Übungsplätzen tätig sind. Wenn ich Sie daran er-
innern darf: Ein Großteil des niederländischen Heeres
steht auf deutschem Boden und ist da hochwillkommen.
Es steht im Norden von Deutschland. Wir haben nämlich
ein gemeinsames niederländisch-deutsches Korps mit
Sitz in Münster. Ähnliches gilt aber zum Beispiel auch für
Einrichtungen in meiner Heimat, in Niedersachsen.
Wenn wir umgekehrt wollen, dass Stationierungen von
niederländischen Soldaten in Deutschland stattfinden,
dann ist es meines Erachtens sinnvoll und richtig, dass wir
umgekehrt auch Standorte mit deutschen Soldaten in den
Niederlanden haben. Zwischen ihnen besteht die Fähig-
keit zur Zusammenarbeit und deswegen ist im Moment
nicht daran gedacht, die Bundeswehr von dort wegzuho-
len.
Sie haben noch eine
zweite Frage. Bitte, Herr Kollege.
Frau
Staatssekretärin, es gab einen Vorschlag – ich glaube, er
wurde auch Ihnen vom Oberbürgermeister von Bayreuth
vorgetragen –, statt des Kahlschlags in Bayreuth sozusa-
gen eine Lastenverteilung vorzunehmen und unter ande-
rem in Holland zwei Kompanien abzuziehen. Sind Sie
diesem Gedanken einmal näher getreten? Haben Sie die-
sen Vorschlag überhaupt einmal geprüft?
B
Herr Friedrich, wir haben vor-
hin darüber gesprochen, dass Bayreuth ein Standort für
zwei komplette Bataillone war. Die CDU/CSU hat in ih-
rer Regierungszeit ein Luftwaffenausbildungsregiment
dorthin verlegt, das früher nicht da war. Es waren zwei
Heeresbataillone.
Jetzt sollten wir eine Liegenschaft für zwei Bataillone
dieser Größenordnung sogar noch teilen, indem wir ein
Ausbildungsregiment aufteilen. Überlegen Sie einmal,
welche Ausbildungskapazitäten Sie dann an zwei ver-
schiedenen Orten vorhalten müssen und welchen Kosten-
aufwand das bedeutet!
Wir werden noch genug Schwierigkeiten bekommen,
genügend Zeit- und Berufssoldaten zu haben. Wir haben
uns alle vorgenommen, ob die Weizsäcker-Kommission
oder wir, dass wir mindestens 200 000 Zeit- und Be-
rufssoldaten brauchen. Ich sehe da keine Chance. Es wäre
auch im Hinblick auf die Kosten kontraproduktiv.
Mir tut es um Bayreuth Leid – das sage ich Ihnen ganz
offen –, aber es gibt manche Standorte, um die es mir Leid
tut. Hier geht es aber um eine moderne Bundeswehr.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Koschyk zu Frage 21. Bitte sehr.
Frau Staatssekretä-rin, ich muss einen Satz sagen, bevor ich zu meiner Fragekomme.Ich finde es schon schade, dass Sie die 1994 getroffeneEntscheidung, den Bundeswehrstandort Bayreuth zu er-halten, die auch von den Kollegen aus der SPD in deroberfränkischen Region wie auch von dem der SPDangehörenden Oberbürgermeister mitgetragen und da-mals begrüßt worden ist, heute als Entscheidung einerCDU-Regierung darstellen. Das war eine Entscheidung,die damals überparteilich von der Region begrüßt wordenist. Sicher hätten sich viele in der Region gewünscht, dassdie Sensibilität, die damals Volker Rühe für diese Regiongehabt hat, jetzt auch von seinem Nachfolger im Hinblickauf den einzigen Regierungsbezirk in Bayern, der jetztbundeswehrfrei werden soll, bewiesen worden wäre.Nun zu meiner Frage. Ich möchte im Anschluss an das,was der Kollege Friedrich gefragt hat, Sie noch einmalfragen. Der Oberbürgermeister von Bayreuth hat vorge-schlagen, zur Rettung des Standortes Bayreuth einen Las-tenausgleich von den sieben Kompanien in Budel und voneinem Bataillon in Heide in Holstein – auch mit einerÜberzahl an Kompanien – vorzunehmen. Denn es ist so,Frau Staatssekretärin, dass das Luftwaffenausbildungs-regiment Goslar, das für den Nordbereich der Bundesre-
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Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15614
publik zuständig ist, über vier Bataillone mit 22 Ausbil-dungskompanien verfügt und das Luftwaffenausbil-dungsregiment Roth, das für die Luftwaffenausbildungim Südbereich der Bundesrepublik zuständig ist, über vierBataillone und 18 Ausbildungskompanien verfügt. Wennes wirklich darum geht, einen ganzen Regierungsbezirkbundeswehrfrei, und zwar auch im Hinblick auf das Re-servisten- und das als positiv anzusehende Freiwilli-genaufkommen, zu machen – Sie haben sich ja das Zielgesetzt, das Freiwilligenaufkommen bei den Wehrpflich-tigen zu verstärken –, dann wäre es, bevor man einenStandort in Deutschland schleift, angesichts dieses Über-hangs im Norden und in Budel eine Alternative gewesen,über einen Lastenausgleich nachzudenken.B
Ich lege großen Wert darauf:
Wir schleifen keinen Standort, sondern wir gestalten die
Bundeswehr endlich effizienter. Das ist der entscheidende
Punkt.
Ich verstehe, dass die Gemeinde Bayreuth alles tut, um
die Bundeswehr zu halten. Ich teile das Bedauern, dass
wir in einigen Regionen – wir in Südniedersachsen sind
zum Beispiel davon ähnlich betroffen – die Bundeswehr-
präsenz reduzieren. Diese Reduzierung wird deshalb not-
wendig, weil dort umfangreiche Einheiten stationiert wa-
ren. Sowohl Bayern als auch Niedersachsen hatten
überproportional viele Bundeswehrstandorte. Das lag am
Ost-West-Konflikt. Jetzt müssen wir uns von diesen über-
zähligen Standorten trennen.
Herr Koschyk, eine solch hohe Zahl von Standorten ist
auch finanziell nicht tragbar. Wir müssen den Gemeinden
helfen, bei denen die Standortauflösungen zu schlimmen
Folgen führen. Wir sollten uns aber davon trennen, die
Bundeswehr weiterhin zu zerreißen.
Jetzt will der Kollege
Christian Schmidt eine Zusatzfrage stellen. – Bitte sehr.
Ich habe
eine Zusatzfrage zum Standort Bayreuth. Frau Staatsse-
kretärin, sind Sie mit mir der Ansicht, dass es in einer
Wehrpflichtarmee, die wir erhalten wollen, nicht nur eine
strukturpolitische, sondern auch eine regionale Begrün-
dung für die Dislozierung der Bundeswehr gibt, um die
Bundeswehr für die Wehrpflichtigen möglichst attraktiv
zu gestalten und ihr über das Wehrpflichtigenpoten-
zial hinaus die Möglichkeit der Gewinnung von Zeit- und
Berufssoldaten zu geben? Deswegen war es auch sinn-
voll, im Jahre 1994 einen Teil der Ausbildungsplätze für
Wehrpflichtige nach Bayreuth zu verlegen – davon war
die Bundesluftwaffe nur sehr begrenzt begeistert –, um
Wehrpflichtigen aus dem topographisch schwierigen
Oberfranken die Möglichkeit zu geben, in einigermaßen
erreichbarer Entfernung zwischen Heimatort und Bun-
deswehrstandort eingezogen zu werden.
B
Herr Kollege Schmidt, bei der
Luftwaffe wird eine so hohe Zahl an Wehrpflichtigen
nicht mehr benötigt; das ist unser Problem. Wir werden
deshalb in einigen wenigen Einrichtungen in Nord und
Süd – Goslar wurde schon genannt; Roth war schon früher
ein solcher Standort und ist es nicht erst geworden; dies
betrifft auch Budel – das abdecken, was wir in diesem Be-
reich an Wehrpflichtigen brauchen, und die Möglichkeit
geben, dass dort dann der Grundwehrdienst abgeleistet
werden kann. Wenn das nicht so wäre, hätte ich viel Sym-
pathie dafür, in Oberfranken eine Einheit zu erhalten, wo
Wehrpflichtige tätig werden können. Aber die Kapazitä-
ten der Luftwaffe, wie sie in Roth, in Budel oder in Gos-
lar bestehen, sind voll ausreichend. Die Luftwaffe braucht
nicht mehr Kapazitäten; das ist der entscheidende Punkt.
Ich wurde soeben da-
rauf hingewiesen, dass der Standort Bayreuth doch nichts
mit der ursprünglich gestellten Frage zu tun habe. Ich bin
jedoch der Meinung: Wenn es den Bundeswehrstandort
Budel nicht gäbe, dann ginge es Bayreuth gut. Insofern
haben die beiden Dinge miteinander zu tun. Ist das rich-
tig?
Wunderbar.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Hans-Peter
Friedrich auf:
Auf welche Höhe belaufen sich die im Vergleich zu den in
Deutschland gelegenen Bundeswehrstandorten durch die Aus-
landsstationierung anfallenden zusätzlichen jährlichen Kosten am
Bundeswehrstandort Budel in den Niederlanden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Zusätzliche Kosten durch die
Auslandsstationierung entstehen durch die Auslandszu-
schläge für Berufs- und Zeitsoldaten sowie durch eine
Verdoppelung des Wehrsoldes für Grundwehrdienst leis-
tende Soldaten. Die Höhe der Auslandszuschläge hängt
von den persönlichen Lebensumständen der Soldaten ab.
Im Mittel liegt die Gesamtsumme der Auslandszuschläge
und des doppelten Wehrsolds am Standort Budel bei circa
12 Millionen DM jährlich.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? – Bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, gibt es denn eine unmittelbare Ver-
gleichsrechnung zwischen der Stationierung in den Nieder-
landen und der eventuellen Verlagerung nach Bayreuth?
B
Es gibt vor allem Vergleichs-rechnungen, wie viele niederländische Zeit- und Berufs-soldaten in höheren Rängen sich auf deutschem Bodenund wie viele deutsche Zeit- und Berufssoldaten sich inden Niederlanden befinden. Ich lege großen Wert darauf,dass wir das niederländisch-deutsche Korps behalten. Das
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Hartmut Koschyk15615
wäre sonst so, als ob wir bei Ihnen in Bayern die ameri-kanisch-deutsche Division auflösen würden. Auch daswäre schade. Ich hoffe nicht, dass das passiert.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Koschyk, bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort auf die Frage,
warum das Bataillon in Bayreuth aufgelöst werden muss,
die Kostenfrage sehr in den Vordergrund gestellt. Sie ha-
ben gesagt, der Standort sei für zwei Bataillone ausgelegt,
aber mit nur einem Luftwaffenausbildungsbataillon be-
legt. Dass dort auch das Verteidigungsbezirkskommando
ist und die Liegenschaften zurzeit besetzt sind, haben Sie
nicht gesagt. Aber das macht nichts; ich schiebe das gerne
nach.
Sie lösen auch den unterfränkischen Standort Ebern
auf, der den jungen Männern in Oberfranken eine heimat-
nahe Erfüllung der Wehrpflicht ermöglichte. Jetzt gibt es
in Ober- und weiten Teilen Unterfrankens bis hin nach
Thüringen und an die Grenzen Sachsens einen weißen
Fleck ohne Möglichkeit der heimatnahen Erfüllung der
Wehrpflicht, wie auch der Oberbürgermeister dem Vertei-
digungsminister anhand einer Karte mitgeteilt hat. Sie
machen dafür Kostenargumente geltend. Bei einem über-
proportional bestückten Ort im Ausland, wo ebenfalls die
Luftwaffe ausgebildet wird, spielen Kosten hingegen
keine Rolle.
Frau Staatssekretärin, wie begründen Sie das vor den
Menschen in dieser Region, die im Zusammenhang mit
dieser Frage ihre Einstellung zur Bundeswehr neu defi-
nieren werden?
B
Erstens. Roth war der Luft-
waffenausbildungsstandort. Bayreuth ist hinzugekommen
und war kein Luftwaffenstandort, sondern ein Heeres-
standort mit zwei Bataillonen. Damit liegt eine andere
Kostensituation vor.
Zweitens. Auf Budel kann deswegen nicht verzichtet
werden, weil dort die Ausbildung der nordrhein-westfäli-
schen Einheiten stattfindet. Bayern ist zwar groß; aber
Nordrhein-Westfalen hat 18 Millionen Einwohner. Inso-
weit ist es klar, dass wir einen Standort brauchen, der dem
Ruhrgebiet nahe liegt.
Drittens. Bedauerlich ist die Geschichte in Ebern. Die
Alternative wäre aber gewesen, Gotha aufzulösen. Das
wäre besonders bitter gewesen. Beide Standorte können
aber nicht erhalten werden. Wir haben dann – wie bei mir
in Stadtoldendorf – gesagt: Dann muss der ostdeutsche
Standort erhalten bleiben. Es ging in jenem Falle um Pan-
zergrenadiere.
Ich gebe zu: Ebern ist ein sehr schöner Standort. Aber
auch er war eigentlich für zwei Bataillone vorgesehen.
Nur eines hat er in den letzten Jahren gehabt. Das ist die
Bitternis, in der wir uns befinden: Wir können nicht alle
Standorte erhalten. Die Situation ist gerade in Oberfran-
ken mit Bayreuth und Ebern schmerzlich. Ähnliches ha-
ben wir aber auch an einigen anderen Stellen in der Bun-
desrepublik Deutschland. Der entscheidende Punkt war
hier Gotha.
Nun die letzte Zu-
satzfrage vom Kollegen Dreßen.
Dann möchte ich Sie alle bitten, darauf zu achten, dass
wir uns nicht unendlich – ich bin da als Präsidentin ganz
vorsichtig – in Fragen und Erwiderungen ergehen, weil
wir sonst mit den übrigen Fragen nicht zurechtkommen. –
Ich sehe, dass Sie alle nicken. Vielen Dank.
Herr Dreßen, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe
jetzt die ganzen Fragen der Unionsabgeordneten zu die-
sem Thema gehört. Hat es eigentlich von der Union oder
von der Opposition irgendeinen Vorschlag gegeben, wo
man einsparen könnte oder wie die Reform der Bundes-
wehr gestaltet werden sollte? Falls ja, würde ich ihn gerne
einmal hören.
B
Es wurde zum Beispiel vorge-
schlagen, Wittstock nicht zu bauen und dafür an anderer
Stelle zu bleiben. Dieser Vorschlag war aber unrealistisch,
weil es sich um eine völlig andere Ausbildung handelte.
Herr Kollege Dreßen, es liegen viele Vorschläge vor,
die sich aber als unrealistisch herausstellen. Die Union ist
uns also eine vernünftige Konzeption der Bundeswehr
noch schuldig.
Die Fragen 23 und 24
werden schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fra-
gen 25 und 26.
Nun rufe ich die Frage 27 der Kollegin Christa
Reichard auf:
Inwieweit ist der vom Bundesministerium der Verteidigung
definierte und als unabdingbar betonte Betreuungsbedarf in Über-
einstimmung zu bringen mit der 100-prozentigen Streichung der
Mittel für die Betreuungsarbeit in den Soldatenheimen in der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung im Jahre
2001?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Frau Reichard, die Begrün-dung für die Streichung der Haushaltsmittel für die Be-treuung in den Soldatenheimen im Jahr 2001 hätte ichschon Ihrem Kollegen Ulrich Adam genannt, wenn seineFragen nicht schriftlich beantwortet würden. Er hatte jaeine Frage zu demselben Bereich gestellt.Für das Haushaltsjahr 2001 waren Betreuungsmittel inHöhe von 2,426 Millionen DM vorgesehen. Zugewiesenwurden 1,566 Millionen DM. Es musste dann, nach Ab-wägung aller Interessen, über die Verteilung dieser Mittelentschieden werden. Dabei ist entschieden worden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15616
297Millionen DM, die sonst für die Betreuung in den Sol-datenheimen notwendig gewesen wären, für die offeneBetreuung vor allem in den neuen Bundesländern zu ver-wenden. Deshalb bekommen zurzeit die Soldatenheime inden alten Bundesländern keine Betreuungsmittel.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin.
Frau
Staatssekretärin, seit 15 Jahren sind die Betreuungsmittel
des Bundesministers der Verteidigung für die Bundes-
arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung trotz der all-
gemein bekannten Kostensteigerungen nicht erhöht wor-
den. Inwieweit ist es in Anbetracht des Fürsorgeauftrags
des Verteidigungsministers akzeptabel, dass jetzt die Be-
treuungsmaßnahmen in den Heimen auf null zurückge-
fahren werden? Kann man von der evangelischen und der
katholischen Kirche jetzt ernsthaft erwarten, dass sie die
Ausfälle voll übernehmen?
B
Der Hinweis darauf, dass wir
seit 15 Jahren die Mittel zurückführen, hat damit zu tun,
dass inzwischen die Soldatenheime nicht mehr nur Solda-
ten bewirten, sondern dass sich inzwischen viele dieser
Soldatenheime zu wirtschaftlich starken Betrieben ent-
wickelt haben. Im Rahmen der Abgaben, die die Pächter
oder die Heimleiter zu leisten haben, stehen Mittel für Be-
treuung zur Verfügung. Daher haben wir es vorgezogen,
die Bundesmittel für die offene Betreuung in den neuen
Bundesländern zu verwenden. Das halte ich auch für ge-
rechtfertigt.
Zweite Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, es ist Ihnen sicher auch bekannt, dass
mehr als tausend ehrenamtliche Kuratoren für die Vorbe-
reitung all dieser Maßnahmen und Anträge zuständig wa-
ren und es im internationalen Jahr des Ehrenamtes viel-
leicht als besondere Brüskierung empfinden, dass diese
Streichung ohne Vorwarnung erfolgte, und ihre Arbeit auf
diese Weise entwertet sehen. Halten Sie das für gerecht-
fertigt?
B
Die Betreuung in den Solda-
tenheimen geschieht in der Regel durch ein Kuratorium,
das sich weitgehend aus Soldaten oder ehemaligen Solda-
ten zusammensetzt, die hier Aufgaben wahrnehmen.
Dafür haben wir auf der anderen Seite die Chance, dass
die Einrichtungen, die Räume dieser Soldatenheime
preiswerter genutzt werden können. Auch aus den in den
Soldatenheimen erwirtschafteten Mitteln ergeben sich
Spielräume. Darüber können die Kuratorien auch ent-
scheiden. Aber das ist nicht mein Hauptproblem. In die-
sem Bereich werden wir uns mit ganz anderen Fragen zu
beschäftigen haben, nämlich mit den Betreuungskonzep-
ten der Zukunft, mit der Tatsache, dass immer mehr von
den Zeit- und Berufssoldaten anders leben, als das bisher
der Fall ist. Diese Schwierigkeiten – ich bin selbst im Vor-
stand der evangelischen Soldatenbetreuung – sehe ich im
Moment nicht.
Nun rufe ich die
Frage 28 der Kollegin Christa Reichard auf.
Wie ist die Streichungsentscheidung mit den Betreuungsmit-telrichtlinien VM Blatt 1984 S. 237 ff. unter der Rubrik A All-gemeine Bestimmungen Nr. 5 – „Zur Förderung der kulturel-len und musischen Betreuung der Soldaten in den Soldatenheimenwerden bei Kapitel 14 03 Titel 532 61 Haushaltsmittel alsZuschüsse zur Verfügung gestellt“ – zu vereinbaren?
Frau Staatssekretärin, bitte.
B
Wir haben festgesetzt, dass
diese Haushaltsmittel für das Jahr 2000 zur Verfügung
stehen. Es sind ursprünglich 2,42Millionen DM gewesen,
die wir aber aufgrund der Haushaltssparmaßnahmen auf
1,566 Millionen DM begrenzt haben. In Abstimmung mit
allen militärischen Organisationsbereichen war zu ent-
scheiden, wie die letztlich für „Sonstige Betreuungsmaß-
nahmen“ verfügbaren Mittel verwendet werden sollten.
Dazu war die Meinung des Führungsstabes der Streit-
kräfte, ganz besonders des deutschen Heeres, sie zuguns-
ten der offenen Betreuung einzusetzen. Da wir in den
neuen Bundesländern fast nur Standorte ohne Soldaten-
heime haben – Torgelow ist eine der Ausnahmen –, war es
auch in unserem Interesse, dass dort die ehrenamtliche Ar-
beit, dass dort die Arbeit der Zeit- und Berufssoldaten er-
folgen sollte. Es gibt nicht nur die katholische und die
evangelische, sondern auch eine allgemeine Soldatenbe-
treuung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Soldatenbe-
treuung ist davon unterrichtet worden. Dennoch würde
ich Sie, Frau Kollegin Reichard, und andere auffordern,
bei den Beratungen für das Jahr 2002 dieses Thema aus-
drücklich wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Denn
es besteht die Notwendigkeit, über ein neues Betreuungs-
konzept nachzudenken.
Zusatzfrage? – Nicht
erwünscht. Danke schön. Damit haben wir den Bereich
des Bundesministeriums der Verteidigung erledigt, weil
die anderen Fragen schriftlich beantwortet werden. Ich
danke der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung der
Fragen.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit auf. Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch steht zur Verfü-
gung. Die Fragen 37 und 38 werden schriftlich beant-
wortet. Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Detlef Parr von
der F.D.P. auf:
Glaubt die Bundesregierung, mit dem Festhalten an ärztlichenBudgets eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige ärztlicheVersorgung der Patienten auch weiterhin sicherstellen zu können?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
G
Herr Kollege Parr,die Bundesministerin für Gesundheit wird über die
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte15617
Grundsatzfragen der Weiterentwicklung des vertragsärzt-lichen Versorgungs- und Vergütungssystems in Kürze Ge-spräche mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung undden Spitzenverbänden der Krankenkassen führen. Dievon Ihnen angesprochenen Fragen werden Gegenstanddieser Gespräche sein.
Zusatzfrage, Herr
Kollege? – Erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, bei der Be-
messung der Budgets werden weder Altersstruktur- noch
Mobilitätsanalysen berücksichtigt. Diese weisen auf einen
wesentlich höheren Bedarf an gesundheitlicher Betreuung
in den neuen Bundesländern hin. Draußen vor der Tür am
Pariser Platz läuft zurzeit eine Ärztedemonstration. Wie
gedenken Sie die erhebliche Schlechterstellung der ost-
deutschen Versicherten im Rahmen der Gespräche denn
nun auszugleichen?
G
Es sind verschie-
dene Maßnahmen in Vorbereitung, die regeln sollen, wie
wir mit der speziellen Situation in Ostdeutschland umge-
hen werden. Wir haben das Problem, dass es Menschen
gibt, die zwar in Ostdeutschland leben und arbeiten, deren
Krankenversicherung ihren Sitz aber in Westdeutschland
hat. Dort werden auch die Verhandlungen über die Bud-
gets geführt. Das Geld wandert in die Kassenärztlichen
Vereinigungen im Westen. Wir werden beim Fremdkas-
senausgleich ein Wohnortprinzip einführen, sodass das
Geld tatsächlich dort hinkommt, wo die Menschen sind,
die die ärztliche Leistung in Anspruch nehmen wollen.
Eine weitere Zusatz-
frage? – Nein. Dann rufe ich die Frage 40 des Kollegen
Detlef Parr auf:
Wird die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg bringen,
das die Kollektivhaftung im Bereich der Arzneimittel und Heil-
mittel für das letzte Jahr aussetzt und für die folgenden Jahre ab-
schafft?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
G
Die Umsetzung der
geltenden Regelungen zum Arznei- und Heilmittelbudget
sowie zur Kollektivhaftung ist – das ist uns bekannt – mit
erheblichen Problemen behaftet. In diesem Zusammen-
hang hat Frau Bundesministerin Schmidt angekündigt,
dass das Bundesministerium für Gesundheit eine Al-
ternative zum so genannten Kollektivregress entwickeln
wird. Bei dieser alternativen Konzeption wird es auch da-
rum gehen, die nach geltendem Recht spätestens bis zum
31. Dezember 2001 fällige Kürzung der Gesamtvergü-
tung infolge der Budgetüberschreitungen 1999 zu ver-
meiden und die gesetzlich zwingend vorgegebenen Kür-
zungen bei der Gesamtvergütung aufgrund von
Budgetüberschreitungen für die Zukunft zu ersetzen.
Zusatzfrage, Herr
Dr. Thomae.
Frau Staatssekretärin, so-
viel ich weiß, hat die Ministerin gesagt, sie wolle daran
denken, die Kollektivhaftung aufzugeben; aber der finan-
zielle Spielraum, der dahinter steckt, würde nicht geän-
dert. Können Sie diese Aussage der Ministerin bestätigen?
G
Im Augenblick
wird gemeinsam mit den Krankenkassen und der Kas-
senärztlichen Bundesvereinigung an einem Alternativmo-
dell gearbeitet. Dabei wird man sicherlich auch über den
Finanzrahmen in dieser Form diskutieren. Allerdings wer-
den wir darauf achten, dass die Beitragssatzstabilität ge-
währleistet bleibt.
Nun rufe ich die
Frage 41 des Kollegen Jürgen Türk auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der Bedarfspla-
nung auf die Altersstruktur der Ärzteschaft und die damit zusam-
menhängenden Nachwuchsprobleme?
G
Derzeit untersucht
ein vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragtes
Forschungsinstitut die Bedarfssituation in der vertrags-
ärztlichen Versorgung. In diesem Zusammenhang werden
auch die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte und
deren Auswirkung auf die Niederlassungsmöglichkeit
jüngerer Ärzte und damit natürlich die Umstände im Zu-
sammenhang mit eventuellen Nachwuchsproblemen un-
tersucht. Nach Abschluss der Arbeiten am 31. Dezember
2001 wird geprüft, welche Folgerungen daraus zu ziehen
sind.
Zusatzfrage? – Herr
Kollege Parr, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, halten Sie
angesichts der Tatsache, dass die medizinische Versor-
gung auch zukünftig gesichert werden muss, die Rah-
menbedingungen – angesichts der Altersstruktur der
Ärzte sowie der Zwänge aufgrund von Budgetierungen
und zusätzlichen Reglementierungen dieses Systems – für
geeignet, um dem medizinischen Nachwuchs, gerade
auch mit Blick auf die Länder im Osten, auch in Zukunft
genügend Anreiz zu geben, diesen Beruf zu ergreifen?
G
Im Augenblick sindwir in der Bundesrepublik Deutschland in der komfor-tablen Situation, in den letzten Jahren einen erheblichenAnstieg der Zahl von Ärzten verzeichnen zu können, von1990 bis 1999 um fast 28 Prozent – in absoluten Zahlen:um 24 370 auf 113 181 Vertragsärzte. Auch im europä-ischen Vergleich ist die Versorgungssituation in Deutsch-land sehr gut. Zusätzlich berücksichtigen muss man bei
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch15618
diesen Zahlen, dass Ärztinnen und Ärzte in den nächstenJahren vermehrt in Pension gehen: Die Zahl der ausschei-denden Ärzte wird von 297 zum Ende des Jahres 1999 auf926 im Jahre 2002 ansteigen.Diese Zahlen, die uns jetzt schon zur Verfügung stehen,werden natürlich in die Untersuchungen des Instituteseinbezogen werden und eine Grundlage für die notwendi-gen Entscheidungen bilden.
Nun rufe ich die
Frage 42 des Kollegen Jürgen Türk auf:
Welche Forderungen der Ärzte im zurzeit laufenden Streik hältdie Bundesregierung für berechtigt bzw. unberechtigt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
G
Ich gehe davon aus,
dass Sie sich auf die Forderungen des Aktionsrats der nie-
dergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten Ostdeutsch-
lands beziehen. Soweit es um den Bereich der ärztlichen
Vergütung geht, fordert der Aktionsrat eine Angleichung
der für die ambulante medizinische Betreuung der Bevöl-
kerung im Osten zur Verfügung stehenden Mittel an das
Niveau der alten Bundesländer.
Als Indiz für bestehende Versorgungsunterschiede
zwischen den alten und den neuen Ländern wird dabei der
in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern
niedrigere Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Kranken-
versicherung für die vertragsärztliche Versorgung im Ver-
hältnis zu den gesamten GKV-Leistungsausgaben ge-
nannt. Dieser Anteilswert ist jedoch kein geeigneter
Indikator für die Angemessenheit eines Ausgabenvolu-
mens, zum Beispiel der entsprechenden Honorarsumme
der Ärzte, da es sich um einen relativen Wert handelt, der
stark von der Ausgabenentwicklung in anderen Leis-
tungsbereichen beeinflusst wird.
Zudem wird gefordert, die Ausgaben je Versicherten
für die vertragsärztliche Versorgung in den neuen Ländern
auf das höhere Westniveau anzuheben. Für eine Beur-
teilung der Umsatz- bzw. Einkommenssituation der Ärzte
sind aber nicht die Ausgaben der Krankenkassen je Ver-
sicherten maßgeblich, sondern die Honorare der Ärzte.
Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Höhe
der Umsätze und Einkommen der Vertragsärzte in den
neuen Ländern in Relation zum Umsatz-/Einkommens-
niveau der Ärzte in den alten Ländern stellen, müssen auf
eine weitere, zu entwickelnde differenzierte Datengrund-
lage gestellt werden. Pauschale Forderungen, wie sie jetzt
erhoben werden, sind meiner Meinung nach nicht hin-
reichend begründet. Es gibt – wie im Westen – auch im
Osten erhebliche Unterschiede in regionaler Hinsicht.
Teilweise liegt das Einkommen der Ostärzte sogar höher
als das der Ärzte in bestimmten Regionen des Westens.
Soweit sich die hier bekannte Ankündigung von Aktio-
nen der Ärzteschaft auf die Arznei- und Heilmittelbudgets
bezieht, verweise ich auf meine Antwort von vorhin, wo
ich sagte: Wir sind – gemeinsam mit Kassen und KBV –
dabei, neue Verfahrenswege für diesen Bereich der
Arzneimittelversorgung zu finden.
Zusatzfrage, Herr
Kollege Türk.
Es ist ja zweifellos so, dass in
diesem Bereich im Osten mehr Leistung erbracht werden
muss als im Westen und dass das Honorar der Ärzte nied-
riger ist. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass es nach
zehn Jahren an der Zeit wäre, eine Angleichung vorzu-
nehmen
– zumal sie auch versprochen wurde? Und wenn Sie das
auch so sehen: Wann soll dies der Fall sein?
G
Wir haben mit derAngleichung bereits begonnen. Wir haben einen gemein-samen Risikostrukturausgleich geschaffen. Das hat dieVorgängerregierung nicht geleistet. Es werden erheblicheTransfers von den Krankenkassen West zu den Kranken-kassen Ost geleistet, um diesen Ausgleich herzustellen.Auch haben wir eine gemeinsame Zuwachsrate der Kran-kenkassen festgelegt. Das hatten Sie früher ebenfalls un-einheitlich geregelt. Wir haben diese sozialen Barrierenzwischen Ost und West abgebaut.Wenn Sie jetzt nochmals auf die Vergütung der Ver-tragsärzte eingehen, dann möchte ich darauf hinweisen,dass die Differenzen, die wir haben, meiner Meinung nachin einer Größenordnung liegen, die, verglichen mit demArbeitseinkommen anderer, durchaus vertretbar sind. Esist so, dass im Jahre 1998 die Leistungsabrechnung beider gesetzlichen Krankenversicherung in den alten Län-dern bei 372 000 DM und in den neuen Ländern bei327 000 DM lag. Das gibt eine Ost-West-Relation vonrund 88 zu 100.Wenn ich jetzt allerdings die KBV-Statistik nehme,stelle ich fest, dass sich zwischen den Arztgruppen deut-liche Unterschiede im Honorarvolumen ergeben, wie ichvorher schon sagte. Bei manchen Arztgruppen liegt derUmsatz je Arzt in den neuen Ländern höher. Das ist zumBeispiel bei den Radiologen und den Urologen so. In Zah-len stellt es sich bei den Radiologen so dar: Im Westensind das 815 993 DM, im Osten 847 092 DM. Im Ostenist der Betrag eindeutig höher. Das Gleiche gilt für dieUrologen.Wir haben – das wollen wir in keinem Fall verschwei-gen – bei den Kinderärzten eine schlechtere Situation. Beiden Internisten ergibt sich bei der Vergütung eine Diffe-renz von 3 000 DM. Man kann also sagen, dass dasEinkommen in etwa gleich ist. Bei über 400 000 DM, dieabgerechnet worden sind, halte ich 3 000 DM als Diffe-renz für absolut verträglich. Dies gilt besonders vor demHintergrund, dass die Praxiskosten im Osten nicht we-sentlich höher liegen und die Personalkosten geringer alsim Westen sind. Dabei kommt man im Endergebnis zu derBewertung, dass der Schnitt bei 92 von 100 liegt. Das istein deutlich besserer Schnitt als bei allen anderen Men-schen, die in Ostdeutschland arbeiten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch15619
Es muss das Ziel sein, dass wir diesen Unterschied überdie Zeit hinweg angleichen. Aber das wird nicht innerhalbeiner kurzen Frist geschehen und schon gar nicht dann,wenn die anderen Bevölkerungsteile in Ostdeutschlandbei den Tarifabschlüssen nicht entsprechend behandeltwerden.
Nun hat Herr Niebel
das Wort zur Geschäftsordnung.
Frau Präsidentin, insbesondere
vor dem Hintergrund des andauernden Ärztestreiks war
die bisherige Beantwortung der Fragen außerordentlich
unbefriedigend. Daher beantrage ich im Namen der
F.D.P.-Bundestagsfraktion entsprechend I 1 b der Richtli-
nien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktu-
ellen Interesse eine Aktuelle Stunde zu den Bereichen
Budgetierung, Kollektivhaftung und ärztliche Gesamt-
vergütung sowie deren Auswirkungen auf die Qualität der
Gesundheitsversorgung.
Wenn Sie mir jetzt
noch die Nummer der Frage nennen, dann entsprechen Sie
voll und ganz der Geschäftsordnung.
Das war nach meinem Wissen
die Frage 42.
Dieser Antrag ent-
spricht den genannten Richtlinien. Die Aussprache muss
unmittelbar nach Schluss der Fragestunde durchgeführt
werden.
Ich schlage Ihnen dazu Folgendes vor: Wir haben zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesund-
heit noch drei Fragen zu beantworten. Diese werden wir
noch abhandeln, auch wenn das einige Minuten über die
normale Fragestunde hinaus geht. Wir hätten diesen Be-
reich dann abgearbeitet und könnten danach zur Aktuel-
len Stunde kommen. Ich bitte also alle Matadore, die zur
Aktuellen Stunde sprechen wollen, sich darauf einzu-
richten, dass diese in etwa zehn Minuten beginnen wird.
Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? – Das ist der
Fall.
Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Klaus Haupt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass es bereits heute Fälle
von Rationierung, insbesondere bei der Betreuung chronisch
Kranker, Dementer und Schwerstkranker, gibt und welche Kon-
sequenzen gedenkt sie daraus zu ziehen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
G
Es wird immer
wieder behauptet, es gebe Rationierungen von Leistun-
gen, insbesondere bei chronisch und schwer Erkrankten.
Aus Sicht der Bundesregierung ist hierbei allerdings zwi-
schen Vermutung und tatsächlicher Verordnungsverwei-
gerung oder Vorenthaltung medizinisch notwendiger
Leistungen durch einzelne Vertragsärzte zu unterschei-
den.
Soweit es sich hierbei um den Sachverhalt handelt,
dass bisher zu großzügig verordnete, medizinisch nicht
notwendige Leistungen auf das allgemeine Maß ausge-
richtet werden, entspricht diese Entwicklung der Zielset-
zung einer wirtschaftlichen Verordnungsweise, auch
wenn Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbrin-
ger hierfür oftmals wenig Verständnis haben.
Der einzelne Vertragsarzt darf hingegen nicht unter
Hinweis auf Ausführungsregelungen der Kassenärzt-
lichen Vereinigung zum Arznei- und Heilmittelbudget
oder zu den Wirtschaftlichkeitsprüfungen die Verordnung
von medizinisch notwendigen Arznei- oder Heilmitteln
verweigern. Es gehört allerdings zu seiner vertragsärzt-
lichen Pflicht, bei seinem Verordnungsverhalten in jedem
Einzelfall neben dem medizinisch Notwendigen das Wirt-
schaftlichkeitsgebot zu beachten.
Versicherte, die der Auffassung sind, dass ihnen für
medizinisch notwendige Arznei- und Heilmittel eine
Verordnung zulasten der Krankenkassen vorenthalten
wird, sollten sich an ihre Krankenkasse wenden. Die
Krankenkasse hat die Pflicht, einem Verdacht nachzuge-
hen, dass einem Versicherten medizinisch notwendige
Präparate nicht auf Kassenrezept verordnet werden. Dazu
kann sie ihrerseits bei der Kassenärztlichen Vereinigung
im Einzelfall eine Überprüfung des Verordnungsverhal-
tens des Vertragsarztes veranlassen. Versicherte können
sich aber auch unmittelbar an die Aufsichtsbehörde der
jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung wenden.
Zur Behauptung einer budgetbedingten Rationierung
ist zudem auf das Ergebnis einer von der Bun-
desregierung bei den Aufsichtsbehörden der Länder
durchgeführten Abfrage für das Jahr 1999 zu verweisen –
neuere Zahlen liegen uns leider nicht vor –, nach der eine
konkrete Verweigerung der Verordnung medizinisch
notwendiger Leistungen aus Budgetgründen nicht
festzustellen war.
Sie haben eine
Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, die Frage
lautete, ob der Bundesregierung bekannt sei, dass es
schon Fälle von Budgetierungen gegeben habe. Ich
glaubte, Sie kommen gar nicht auf die Frage zu sprechen,
haben aber dann doch im letzten Satz die Antwort
gegeben, sodass ich auf Zusatzfragen verzichte.
Ich rufe die Frage 44des Abgeordneten Klaus Haupt auf:Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die Benach-teiligungen an Mittelaufwendungen pro Kopf der Bevölkerungund bezüglich der Arztquote in Bezug auf die Bevölkerung im Os-ten gegenüber dem Westen zu beseitigen?Sie können also gleich stehen bleiben. FrauStaatssekretärin, bitte.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch15620
G
Die vom Bundes-
ministerium für Gesundheit Anfang März 2001 vorge-
legten Daten zur vorläufigen Finanzentwicklung der
GKV im Jahre 2000 zeigen, dass von einer generellen Be-
nachteiligung bei einem Ost-West-Vergleich der Aufwen-
dungen der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht
ausgegangen werden kann.
Die Leistungsausgaben je Versichertem lagen im Bei-
trittsgebiet im vergangenen Jahr bei 95,4 Prozent der ent-
sprechenden Ausgaben im früheren Bundesgebiet. Dabei
lag der Anstieg der Leistungsausgaben je Mitglied mit ei-
ner Veränderungsrate von 2,9 Prozent in der GKV Ost
deutlich über der Veränderungsrate in den alten Bundes-
ländern, wo ein Zuwachs von 1,8 Prozent festzustellen
war. Die in der Tabelle aufgeführten Veränderungsraten
und Ausgabenquoten ergeben für die einzelnen Leis-
tungsbereiche ein sehr unterschiedliches Bild. Ich werde
mir ersparen, Ihnen diese Tabelle vorzutragen, zumal ich
auch nicht genau weiß, wie ich das tun soll. Wir werden
uns daher erlauben, Ihnen diese in schriftlicher Form zu-
kommen zu lassen.
Es gibt aber noch einen anderen Indikator. Im Hinblick
auf die unterschiedliche Arztquote stellt sich die Situation
wie folgt dar: Auf einen niedergelassenen Arzt kamen in
den neuen Ländern im Jahre 1999 780 Einwohner,
während es im früheren Bundesgebiet 723 waren. Ob auf-
grund dieses Unterschiedes von einer Unterversorgung in
den neuen Ländern oder einer Überversorgung im
früheren Bundesgebiet ausgegangen werden kann, wird
derzeit durch ein wissenschaftliches Gutachten geprüft.
Wir haben bisher für eine solche Annahme keine Anhalts-
punkte. Insbesondere im internationalen Vergleich zeigt
sich, dass in Deutschland tendenziell von einer sehr hohen
Arztdichte auszugehen ist.
Haben Sie eine
Zusatzfrage, Herr Kollege Haupt? – Nein.
Dann rufe ich die Frage 45 der Kollegin Ina Albowitz
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die zunehmenden Forde-
rungen nach verschärften Kontrollen, verpflichtenden Leistungs-
berichten und ausufernden Datenerfassungen im Gesundheitswesen
vor dem Hintergrund des zeitlichen Aufwandes bei gleichzeitigem
Verlangen nach mehr Qualität?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
G
Der Bundes-
regierung sind Forderungen nach verschärften Kon-
trollen, verpflichtenden Leistungsberichten und ausufern-
den Datenerfassungen im Gesundheitswesen in dieser
allgemeinen Form nicht bekannt. Sollte die Frage auf die
Kodierung der Daten abstellen, die für die Einführung
eines DRG-Fallpauschalensystems für voll- und teilsta-
tionäre Leistungen ab dem 1. Januar 2003 notwendig sind,
ist darauf hinzuweisen, dass die gesetzlichen Dokumenta-
tionsverpflichtungen durch die DRG-Einführung weitge-
hend unverändert bleiben. Da mit der DRG-Einführung
jedoch die Relevanz der Dokumentation nachhaltig
wächst, gewinnt die Leistungserfassung für die Kranken-
häuser zukünftig erheblich an Gewicht. Eine genaue
Dokumentation ist somit unumgängliche Voraussetzung
für das leistungsorientierte Vergütungssystem im Kran-
kenhausbereich.
Das neue DRG-Fallpauschalensystem bietet durch die
zukünftig erfolgende Aufbereitung von bereits heute in
den Krankenhäusern vorhandenen Daten zudem zusätz-
liche Ansatzpunkte für die einrichtungsinterne und
einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung. Die Leis-
tungsqualität kann somit gleichzeitig besser verglichen,
optimiert und auch nach außen deutlich gemacht wer-
den.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, die
Forderung nach gründlicherer Datenerfassung und ver-
schärften Kontrollen – es mag sein, dass Sie das noch
nicht gelesen haben – sind zumindest in den bis jetzt vor-
liegenden zwei Bänden des neuen Sachverständi-
gengutachtens enthalten. Ich möchte Sie bitten, darauf
später einzugehen bzw. in Ihrem Haus prüfen zu lassen,
ob das BMG darauf eingehen möchte. Ich frage Sie: Was
möchten Sie denn tun, um Ärzte und andere Angehörige
der Heilberufe von Bürokratie zu entlasten?
G
Das Gutachten des
Sachverständigenrates ist uns bekannt. Dazu gab es bis
15 Uhr eine Anhörung im Gesundheitsausschuss. Im
Gesundheitswesen sind an den verschiedensten Stellen
unterschiedliche Daten unterschiedlicher Qualität vor-
handen. Es geht letztendlich darum, die Qualität der Da-
ten zu beurteilen, die Daten dann, wenn sie entsprechend
den Vorschriften des Datenschutzes aufbereitet sind, zu-
sammenzuführen, um eine Grundlage zu schaffen, auf der
man das Gesundheitssystem steuern kann, und mithilfe
dieser Daten transparent abrechnen zu können. Ich denke,
an mehr Transparenz im Gesundheitswesen ist allen gele-
gen. Aber die Bundesregierung hat kein Interesse daran,
Daten zu erheben, die nicht bereits irgendwo zur Verfü-
gung stehen.
Eine Zusatzfrage? –Es gibt keine Zusatzfragen mehr. Damit sind wir am Endeder Fragestunde.Wir kommen damit zu der von der F.D.P.-Fraktion be-antragten Aktuellen Stunde nach I 1 b gemäß unserenRichtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinemaktuellen Interesse:Budgetierung, Kollektivhaftung und ärztli-che Gesamtvergütung sowie deren Auswir-kungen auf die Qualität der Gesundheitsver-sorgung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001 15621
Ich bitte alle Redner, daran zu denken, dass die Rede-zeit in der Aktuellen Stunde fünf Minuten beträgt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Thomaefür die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! In der Tat hat die neueBundesregierung den Risikostrukturausgleich neu organi-siert. Es fließen zwar Gelder vom Westen in RichtungOsten. Aber diese finanziellen Mittel können nicht für dieVerbesserung der Honorierung der ärztlichen Leistungenin den neuen Bundesländern genutzt werden. Das mussman eindeutig festhalten. Wir haben darüber sehr intensivdiskutiert. Wir wollten dies in das Gesetz hineinschreiben.Aber Rot-Grün hat dies strikt abgelehnt.
Jetzt gibt es in den neuen Bundesländern das Problem
– doch, das stimmt –, dass nach dem Arzneimittelbudgetauch die Budgetierung im ärztlichen Bereich langsam zu ei-ner Katastrophe führt, besonders im fachärztlichen Bereich.Wenn die Höhe der ärztlichen Durchschnittseinkommengenannt wird, habe ich gelegentlich den Eindruck, dass dieEinkommen mit den Umsätzen verwechselt werden.
Das durchschnittliche ärztliche Einkommen vor Steuernlag 1998 in den neuen Bundesländern im Durchschnitt bei150 000 DM, wobei man bedenken muss, dass sich dieEinkommen nach 1998 gravierend nach unten entwickelthaben. Davon müssen aber alle Altersvorsorgemaßnah-men und die Krankenversicherung abgezogen werden.Wenn Sie die Zahl, die sich dann ergibt, einmal durchzwölf dividieren, wissen Sie, was monatlich im Durch-schnitt übrig bleibt: Das sind rund 4 500 bis 5 000 DM.Das ist kein Einkommen, mit dem man eine erstklassigefachärztliche Versorgung auf Dauer sichern kann.
Daher kann ich eindeutig sagen: Ich habe großes Ver-ständnis für die Ärzte aus den neuen Bundesländern, diediese Situation nicht mehr ertragen können; denn die Frei-beruflichkeit geht wieder verloren. Sie haben sie vor50 Jahren verloren. Jetzt sind wir dabei, sie wieder mas-siv zu gefährden.
Es gibt kein anderes Gesundheitssystem, das so güns-tig arbeitet wie ein System mit freiberuflichen, niederge-lassenen Ärzten.
Das erkennen Sie in allen anderen europäischen Staaten,in denen aus ideologischen Gründen die Freiberuflichkeitabgeschafft und vieles ins Angestelltenverhältnis verla-gert worden ist. Ich nenne als Beispiele nur Schweden undEngland. In diesen Ländern ist das Gesundheitssystemmarode; ein solches System wollen wir nicht haben.
– Doch. Sie haben den Weg zu dieser Entwicklung durchIhre Reform eingeleitet.
Von daher ist die Situation in den neuen Bundesländernnicht mehr hinnehmbar.Die Ministerin hat darüber gesprochen und hat vielesangekündigt, auch hinsichtlich der Kollektivhaftung. Eswäre wunderbar, wenn sie abgeschafft wird. Wenn wir dieKollektivhaftung in diesem Rahmen aufheben, müssenwir aber auch darüber sprechen, ob noch eine vernünftigeArzneimittelversorgung möglich ist, wenn man auch dieneuen Entwicklungen hinsichtlich Alzheimer, Parkinson,Krebs und weiterer großer und gravierender Krank-heitsbilder berücksichtigt. Angesichts des Ausmaßes die-ser Entwicklungen können wir dies nicht mit dem heuti-gen Budget organisieren. Es müssen mehr Gelder in dieseVersorgung fließen.
Für die Honorierung der Ärzte wollen wir ein Regelleis-tungsvolumen einführen. Die floatenden Punktwerte kön-nen keine Lösung mehr sein. Ein Arzt muss heute wissen, zuwelchen Bedingungen er medizinische Leistungen erbringt.
Daher plädieren wir für ein Regelleistungsvolumen.Ich sage auch sehr deutlich: Wir wollen das Sachleis-tungssystem beseitigen. Wir wollen ein Kostenerstat-tungssystem. Wir wollen, dass der Patient weiß, zuwelchen Bedingungen und zu welchen Preisen die medi-zinische Leistung erbracht wird.
Und wir wollen – im Gegensatz zu Ihnen – den sozialSchwachen schützen.
Wenn die Budgetierung erschöpft ist, gewährt sie keinemmehr, auch dem sozial Schwachen nicht, medizinischeLeistung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Vizepräsidentin Anke Fuchs15622
– Das Budget ist in vielen Ländern und Regionen schonerschöpft.Das ist das brutalste System, das Sie je in Deutschlandeingeführt haben. Dieses System wollen wir nicht. Daherbekenne ich: Wir wollen eine prozentuale Selbstbeteili-gung, aber mit einer Härtefallregelung und einer Über-forderungsregel. Das heißt, der sozial Schwache wird vonuns – im Gegensatz zu Ihnen – immer geschützt.
Das ist eine zukunftsweisende Politik. Ihre Politik hängtam Fliegenfänger.
Ich erteile das Wort
der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich willzugestehen, dass es diesmal wirklich eine Aktuelle Stundeist, die sich an einem aktuellen Thema orientiert;
denn derzeit demonstrieren die Ärzte und Ärztinnen ausden neuen Bundesländern und aus Berlin hier in der Nähe,am Brandenburger Tor. Nach Ende dieser Veranstaltungwerden sie bei mir im Gesundheitsministerium empfan-gen. Das ist alles abgemacht.
Ich glaube, dass es richtig ist, ein offenes Ohr für dieSorgen und Nöte zu haben. Deshalb habe ich bereits amMontagabend und auch im Vorfeld dieser Niederlegungder Arbeit bzw. der Schließung der Praxen mit dem Akti-onsrat gesprochen. Ich glaube, dass das Gespräch ganzkonstruktiv war, egal, worüber derzeit debattiert wird.Kollege Thomae, Sie wissen doch, dass wir uns über-legen müssen, woher das Geld kommen soll. Niemandsagt etwas dagegen, wenn behauptet wird, dass es Unge-rechtigkeiten gibt. Wir sind aufgerufen, zu versuchen, siezu beseitigen.Ich habe den Ärzten Folgendes zugesagt: Erstens. Wirbringen die Reform des Fremdkassenausgleichs auf denWeg. Der Referentenentwurf in meinem Haus ist jetzt fer-tig. Wenn Sie sagen: „Sie haben viel angekündigt, es mussaber auch etwas geschehen“, dann entgegne ich Ihnen:Erst muss die notwendige Arbeit geleistet worden sein,damit Gesetze hieb- und stichfest sind.
Die Unterschiede zwischen dem ärztlichen Einkom-men Ost und dem ärztlichen Einkommen West entstehenteilweise dadurch, dass die Ärztehonorare nicht den KVenzufließen, die in den Bundesländern ansässig sind, wo diePatientinnen und Patienten leben; vielmehr fließen siedorthin, wo die Krankenkassen ihren Sitz haben. DiesesGeld fließt nach Bayern, nach Nordrhein-Westfalen odernach Hessen, also in andere Bundesländer. Das führt dazu,dass weniger Geld zur Verfügung steht.
Das möchte ich am Beispiel Sachsen erläutern. InSachsen haben die BKKen weit über 300 000 Mitglieder;aber nur für rund 5 000 werden dort Honorarverhandlun-gen geführt. Dies werde ich ändern. Ich hoffe, dabei IhreUnterstützung zu bekommen, weil ich will, dass das Gelddahin fließt, wo die Leistung erbracht wird.
Das wird die Situation der Ärztinnen und Ärzte etwasverbessern. Wir müssen dafür sorgen, dass regional im-mer für die vor Ort ansässigen Patientinnen und Patientenverhandelt wird. Wenn das erfolgreich geschieht, dann be-kommen die Ärzte zumindest das Geld, das ihnen zusteht,da es nicht wie bisher in den Westen fließt.
Zweitens. Abschaffung des Kollektivregresses. Ichhabe hier und in der Öffentlichkeit erklärt: Wir werdenden Kollektivregress abschaffen.
Ich halte es für ungerecht, dass Ärztinnen und Ärzte selbstdann für etwas haften müssen, wenn sie sparsam ver-schreiben und verordnen, nur weil andere das nicht ma-chen. Wir arbeiten derzeit an einer Lösung. Sie wissen,dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Vor-schlag gemacht hat, wie wir – statt durch Kollektivregressund Arzneimittelbudget – über Richtgrößen für die ein-zelnen Praxen einen Fortschritt erzielen können. Sie wis-sen auch, dass eine Richtgröße allein nicht ausreicht, umsicherzustellen, dass wirtschaftlich verantwortungsvollverschrieben wird.Wir haben einen Kriterienkatalog entwickelt, über denmit den Ärzten und mit den Spitzenverbänden der Kassenzurzeit diskutiert wird. Wir sind der Auffassung, dass sichdie Zustände nur dann verbessern, wenn auf der einenSeite die Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit ihrenSelbstverwaltungsorganen – ich denke da vor allem an dieKassenärztliche Bundesvereinigung – und auf der ande-ren Seite die Krankenkassen wirklich dafür haften, dassmit dem, was therapeutisch notwendig ist, vor Ort spar-sam umgegangen wird. Darüber wird in den kommendenWochen im Bundestag gesprochen werden. Auch in die-sem Punkt hoffe ich auf eine gemeinsame Basis; denn nie-mand kann ernsthaft das Ziel der Beitragssatzstabilitätoder unser Bemühen um eine Begrenzung der Ausgabeninfrage stellen. Es geht nicht darum, den Deckel anzuhe-ben, sondern darum, das Geld zielgenauer einzusetzen,damit es dort ankommt, wo es hin muss. Ziel ist immereine Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen.
Drittens. Ich kann die Honorare im Osten nicht einfacherhöhen. Ich habe den Ärztinnen und Ärzten zugesagt,auch mit einer anderen Ungerechtigkeit Schluss zu
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Dr. Dieter Thomae15623
machen. Sie wissen, dass die Angleichung der Gebühren-ordnung für Privatpatientinnen und Privatpatienten nochnicht vollzogen ist. Obwohl 100 Prozent in die privatenVersicherungen eingezahlt wird, wird nur 84 Prozent er-setzt. Wir werden – die entsprechende Vorlage aus mei-nem Haus ist so weit fertig und wir können sie auf denWeg bringen – für die Anhebung auf 90 Prozent, auf95 Prozent und schließlich für die Angleichung auf100 Prozent sorgen. Auf diese Weise entsteht eine Per-spektive und zumindest bei der privatärztlichen Vergü-tung findet dann eine Anpassung von Ost und West statt.
Zu diesen drei Aspekten sage ich: Da können wir ge-meinsam handeln. Wenn ich Ihr Verlangen nach dieserDebatte richtig verstehe, dann sind Sie bereit, dabei mit-zumachen. Das entlastet die Ärzte im Osten.
Auf andere Forderungen der Ärzte kann ich nichteingehen. Eine Forderung lautet, dass der Risikostruktur-ausgleich nicht mehr zur Entschuldung der Ostkasseneingesetzt wird, sondern dass das Geld aus demRisikostrukturausgleich für die Ärztehonorare verwendetwird. Sie wissen doch selbst, dass es einen Transfer vonWest nach Ost gibt, damit die Kassen dort auf eine ge-sunde finanzielle Basis gestellt werden und es zu einerBeitragsangleichung kommt. Dies muss das vorrangigeZiel sein. Das Geld darf aber nicht in die Ärztehonoraresozusagen umgelenkt werden, wodurch die Kassen aufDauer in einer prekären finanziellen Situation bleibenwürden.
Im Jahre 2000 sind von West nach Ost 2,8 Milli-arden DM geflossen; im Jahre 2001 werden es 3,53 Mil-liarden DM sein. Aus dem Risikostrukturausgleich wer-den zusätzlich 1,6 Milliarden DM fließen. Dieses Geldmuss vorrangig dafür ausgegeben werden, die Verschul-dung – sie liegt zurzeit bei rund 700 Millionen DM; wirhaben sie zum Teil mit Ihnen gemeinsam abbauen kön-nen – weiter zu verringern. Die Menschen im Westenwerden erkennen, dass das Geld gut angelegt ist. DieKassen werden dann nämlich in der Lage sein, die Leis-tungen zu finanzieren, die die Patientinnen und Patientenbenötigen.Ein weiterer Punkt ist die Forderung nach einem600-Millionen-DM-Sofortprogramm, das von der Bun-desanstalt für Arbeit finanziert werden soll. Damit soll dieHälfte der 1,2 Milliarden DM an Krankenkassenbeiträgengezahlt werden. Die Frage ist aber: Sollen deswegen dieMaßnahmen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik gekürzt wer-den? Ich glaube, auf die Politik, junge Menschen in Arbeitzu bringen, können wir nicht verzichten, auch nicht imOsten.
Es geht doch darum, Arbeitsplätze zu schaffen.Ich komme zum Kern des Problems. Tatsache ist doch,dass die Angleichung von Ost und West nicht vollendet ist.
Wir wissen das und arbeiten gemeinsam daran, diese An-gleichung zu erreichen. In den letzten zehn Jahren – daskann man nicht bestreiten – ist vieles geschehen. Bedau-erlicherweise ist im Osten die Situation immer noch so,dass nur 86 Prozent im Vergleich zum Westen gezahltwird. Es kann daher niemand ernsthaft verlangen, dass dieAngleichung der Honorare der Ärzte und Ärztinnenschneller erfolgt als die Angleichung der Gehälter.
Ich sehe zwar die Ungerechtigkeiten ganz klar, Herr Kol-lege Thomae. Dennoch muss ich sagen – auch wenn die Be-rechnung des Durchschnittseinkommens beinhaltet, dass essowohl höhere als auch niedrigere Einkommen gibt –: VieleMenschen in den neuen Bundesländern hätten gerne einDurchschnittseinkommen von 150 000 DM im Jahr, auchwenn davon noch Steuern und Beiträge für die Krankenver-sicherung und die Altersvorsorge zu zahlen sind.
Ich würde es ihnen gerne gönnen.Vielen Dank.
Nun erteile ich der
Kollegin Dr. Sabine Bergmann-Pohl das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Prä-sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministe-rin, ich finde es sehr lobenswert, dass Sie nachher dieÄrzte empfangen. Offensichtlich nehmen Sie die Pro-bleme der Ärzte ernst.
Gleichwohl fehlt mir der Glaube, dass dieses Gespräch et-was bringt. Seitdem Sie im Amt sind, haben Sie zwar vieleVorschläge gemacht. Doch wenn ich einige Vorschlägeaufgreife, dann komme ich zu dem Schluss, dass diesekaum zu einer Verbesserung der Lage der Ärzte in denneuen Bundesländern führen werden.Der Fremdkassenausgleich ist nur ein kleiner Schritt.Die Anhebung der Vergütung für die Behandlung von Pa-tienten der PKV haben wir damals auf den Weg gebracht.Sie haben sie aber zunächst kassiert. Jetzt holen Sie sieaus der Mottenkiste wieder heraus. Sie wissen aber ganzgenau, dass es in den neuen Bundesländern nur eine ge-ringe Zahl von Privatpatienten gibt.
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Bundesministerin Ulla Schmidt15624
Sie erreichen also damit keine Verbesserung der Situationin den neuen Bundesländern.Ich finde es lobenswert, dass Sie jetzt sagen, die Bud-getierung sei kein Allheilmittel. In der Vergangenheithatte ich immer den Eindruck, dass für die SPD-Fraktionnur die Budgetierung das Allheilmittel sei und dass nurein billiger Patient ein guter Patient sei.
Sie wissen genau, dass diese Budgetierung zur Folge hat,dass chronisch Kranke schlecht versorgt werden und dassdas Morbiditätsrisiko allein auf die Ärzte übertragen wird.
– Natürlich.Die Budgetierung funktioniert nicht; denn bei 18 von23 Kassenärztlichen Vereinigungen ist das Budget über-schritten worden. Wissen Sie, warum? – Weil die Ärzte esfür ethisch nicht vertretbar hielten, den Patienten die not-wendige medizinische Versorgung zu versagen.
Sie sprechen von Qualitätssteigerung. Aber zum Bei-spiel Ihr Antrag bezüglich der Diabeteskranken vermittelteinen anderen Eindruck.
– Dann haben Sie aber in der Anhörung nicht zugehört,Frau Schmidt-Zadel.
Herr Professor Lauterbach hat als Experte gesagt, dassbei einem 32-jährigen Diabetiker die für Arzneimittel auf-zuwendenden Kosten im Vergleich zum Durchschnitt derPatienten das 14fache betragen. Das heißt, wenn alle Dia-betiker fachgerecht behandelt würden, würde das 40 Mil-liarden DM mehr kosten. Das ist ein Sechstel aller GKV-Ausgaben.Wenn Sie von Qualitätssicherung sprechen, Frau Mi-nisterin – vielleicht hören Sie mir einmal einen Momentzu –: Experten haben berechnet, dass zwar durch den Ge-nerikaeinsatz und den Wegfall umstrittener Arzneimittelbei der Versorgung circa 6,19Milliarden DM gespart wer-den könnten.
Dem steht aber ein erheblicher Mehrbedarf durch diefachgerechte Versorgung schwerer chronischer Erkran-kungen wie Arthritis, Hepatitis, Sklerose, Schizophrenie,degenerative Gelenkserkrankungen und Transplanta-tionsnachsorge von 8,59 Milliarden DM gegenüber. Da-bei sind noch gar nicht die Versorgungslücken bei Diabe-tes, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Hyperlipidämie undAsthma bronchiale eingerechnet.Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie wenigs-tens dem von Ihnen eingesetzten Sachverständigenrat;denn der hat es Ihnen schriftlich gegeben. Er schreibtnämlich: Eine Barriere für Qualitätssicherungsmaßnah-men sind erhöhte finanzielle Belastungen.
Ich finde es bezeichnend, dass Sie zum Beispiel dievon Ihnen kassierten Richtgrößen, die von uns gesetzlichauf den Weg gebracht worden waren, wieder hervorzau-bern.
Das heißt, Sie holen alles das, was Sie 1998, nachdem Siedie Wahl gewonnen haben, praktisch in der Versenkunghaben verschwinden lassen, jetzt wieder heraus und ver-kaufen unsere Konzepte als Ihre Konzepte.
Das finde ich einfach unwürdig.
Wenn Sie mir schon nicht glauben, dann lassen Siemich doch bitte zum Schluss ein Zitat der DeutschenRheuma-Liga – sind Sie da nicht Vorsitzende, FrauSchmidt-Zadel?
– dann war es Frau Schaich-Walch – vortragen, das sichauf das Ergebnis einer Befragung der Betroffenen zu Ver-sorgungseinschränkungen bezieht:Für uns verdeutlichen die Antworten, dass das Rin-gen um Einsparungen zurzeit auf dem Rücken derchronisch kranken Patienten ausgetragen und aufdiese Weise das Vertrauensverhältnis zwischen Arztund Patient zerstört wird.Ich glaube, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Nun hat das Wort dieKollegin Katrin Dagmar Göring-Eckardt.
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Dr. Sabine Bergmann-Pohl15625
rin hat hier dargestellt, an welchen Punkten die Bundes-regierung und die sie tragenden Fraktionen
die Probleme, die es zwischen Ost und West tatsächlichgibt, aufnimmt, und zwar an den Stellen, an denen wirk-lich etwas zu machen ist. Ich sage es noch einmal stich-wortartig: Die Frage des Fremdkassenausgleiches ist hierwichtig, ebenso die Frage der PKV.Frau Bergmann-Pohl, wir können natürlich malschauen, ob wir dafür sorgen können, dass es in den ost-deutschen Ländern noch mehr privat Versicherte gibt, da-mit sich das Einkommen der Ärzte erhöht.
Aber ich glaube, das wäre nicht der richtige Weg.Ich möchte noch einmal die Zahlen in Bezug auf denTransfer von West nach Ost in Erinnerung rufen
– das ist gut, wenn Sie das im Kopf haben; ich sage es hiertrotzdem noch einmal, aus Ihrem Kopf zitiert, HerrThomae –: 2002 2,8 Milliarden DM, 2001 3,1 Milliar-den DM plus RSA.Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Arztgrup-pen. Diese sollte man sich aber genau anschauen. Die Ra-diologen in Ostdeutschland verdienen mehr als die inWestdeutschland.
Wir haben in der Tat ein großes Problem bei den Hausärz-ten und insbesondere bei den Kinderärzten. Wir solltengemeinsam dafür sorgen, dass die Hausärzte und die Kin-derärzte bei der Verteilung zwischen den Arztgruppen ge-stärkt werden. Ich glaube, das wäre bei diesem Problemeine vernünftige Herangehensweise.
Natürlich haben wir auch bei anderen Punkten Unter-schiede, zum Beispiel bei den Betriebsausgaben. In Ost-deutschland betragen sie 76 Prozent des westdeutschenWertes. Auch dieses Argument muss berücksichtigt wer-den. Wenn man sich die Einkommen anschaut, dann stelltman zwar Unterschiede fest: 165 000 DM im Jahre 1998im Osten und 194 000 DM im Westen. Diese Differenz istaber überhaupt nicht signifikant anders gegenüber der, dieman in anderen Berufsgruppen feststellen kann.Es fällt mir schon auf – das will ich auch zu der Moti-vation für diese Aktuelle Stunde sagen –, dass sich beson-ders zwei Parteien dieses Problems annehmen: Das sindF.D.P. und PDS. Mich wundert das ein wenig. Wir könnenbei der Angleichung der Lebensverhältnisse doch nichtbei denen anfangen, die relativ gut verdienen, deren Ein-kommen sich also am oberen Ende der Leiter bewegen,
und diejenigen, die wenig verdienen, diese Angleichungbezahlen lassen. Es geht sehr wohl um die Patientinnenund Patienten, es geht sehr wohl um die Versicherten. Esgeht nämlich um die Frage: Woher holen wir das Geld?
Sollen wir denn die Beiträge erhöhen und von den Versi-cherten das Geld holen? Ich glaube, dass das nicht derrichtige Weg sein kann. Wir können nicht die Versicher-ten und diejenigen, die wenig verdienen, höhere Beiträgebezahlen lassen, damit die Einkommen der Ärzte steigen.Es kann nicht der richtige Weg sein, das Pferd von hintenaufzuzäumen.Eine Angleichung der Lebensverhältnisse ist nötig,
aber sie muss schrittweise gemäß den Möglichkeiten er-folgen. Sie haben während Ihrer Regierungszeit erfahrenmüssen – und auch wir wissen das –, dass das nicht voneinem Tag auf den anderen geht,
auch nicht von einem Jahr zum anderen,
sondern dafür benötigt man mehr Zeit, als Sie immer an-genommen haben. Die Zeit, die wir dafür brauchen, musssich die Gesellschaft nehmen. Sie sollten nicht leere Ver-sprechungen machen und in großen Parolen verkünden, esginge hier um das Wohl der Patientinnen und Patienten.
Das wäre in der Tat geheuchelt. Es geht hier um die Ein-kommenssituation der Ärzteschaft, es geht nicht um diePatientinnen und Patienten.
– Es geht in der Tat um die Zusammenhänge. Wir dürfenaber nicht auf dem Rücken der Versicherten dafür sorgen,dass die Einkommen in einem Bereich sehr viel höher lie-gen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Das wäre nichtder richtige Weg.
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Ich rufe Sie noch einmal auf: Unterstützen Sie uns beiden Maßnahmen, die wir richtigerweise ergreifen. Unter-stützen Sie uns, da, wo es tatsächlich Ungerechtigkeitenbei den Einkommensverhältnissen gibt, diese zu beseiti-gen. Unterstützen Sie uns, die Rolle der Hausärzte und derKinderärzte im Osten zu stärken; diese befinden sichnämlich ungerechtfertigterweise am unteren Ende derEinkommensskala der Ärzteschaft.
Hier muss in der Tat eine Umverteilung stattfinden. Diemacht dann auch Sinn.Vielen Dank.
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Es ist Realität geworden: Ein zuneh-mender Teil der Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschlandverfügt nicht mehr über ein angemessenes Einkommen.Auch ich betone hier das Wort „Einkommen“, lieber Kol-lege Thomae. Dieses Problem gibt es aus meiner Sicht abernicht erst seit heute. Schon häufig standen Vorschläge zurVerbesserung der Finanzgrundlagen des Gesundheitswe-sens in den neuen Ländern auf der Tagesordnung. Ich kannmich erinnern, dass alle Parteien dafür gestimmt hatten,die Finanzgrundlage für das Gesundheitswesen in denneuen Bundesländern zu verbessern.
Umso unverständlicher ist es für mich, dass Ende 1999eine große Chance verpasst wurde:
Die in dem Gesetz zur Rechtsangleichung in der GKVzunächst vorgesehene Sonderentschuldung der Ostkassenin Höhe von 1,3 Milliarden DM wurde ersatzlos gestri-chen. Dies blieb – wie wir jetzt sehen – nicht ganz ohneFolgen.
Liebe Frau Ministerin Schmidt, ich glaube Ihnen, dassSie das heute vielleicht nicht mehr korrigieren können.Das kann ich nicht beurteilen. Ich denke aber, dass damalswirklich eine Chance vertan wurde. In diesem Zu-sammenhang begrüßen wir natürlich Ihre Ankündigung,dass Sie sich den Problemen im Osten besonders widmenwollen. Wir sagen aber ganz klar und deutlich: Den Wor-ten müssen auch Taten folgen.
Meine Damen und Herren, man kann Zahlenvergleichebringen, wie man will. Für uns steht außer Frage, dass imOsten angesichts der stärker überalterten Bevölkerungvon einem insgesamt höheren Bedarf an medizinischerVersorgung ausgegangen werden muss, zugleich aberdem Arzt je Versichertem weniger finanzielle Mittel zurVerfügung stehen. Hinzu kommt, dass ein Arzt in Ost-deutschland im Durchschnitt viel mehr Behandlungsfälleals ein Arzt in den alten Bundesländern hat, die Vergütungjedoch hinter der in den alten Bundesländern zurück-bleibt. Da aber – meine Kollegin hat es gerade gesagt –die Behandlung von Privatversicherten in den neuen Bun-desländern so gut wie aussichtslos ist, lässt sich auch da-mit das Einkommen nicht verbessern.Der wichtigste Punkt für uns ist neben dem Strebennach angemessener Vergütung, dass diese Situation früheroder später die Qualität der möglichen medizinischenLeistungen beeinträchtigen muss. Schon heute betreibendie Ärzte im Osten ihre Praxen mit deutlich weniger Per-sonal als ihre Kollegen im Westen
und es fehlt ihnen häufig auch die Fähigkeit zu Investitio-nen und Innovationen. Hier besteht wirklich die Gefahr– noch ist es nicht so weit – eines West-Ost-Gefälles in derQualität der Versorgung der Bevölkerung.
Meine Damen und Herren, wenn man es zuließ oderbewusst wollte, dass die Strukturen des Gesundheitswe-sens der DDR völlig unkritisch über Bord geworfen wur-den und die Ärzte unter Versprechen blühender Land-schaften fast vollständig in Freiberuflichkeit und privateNiederlassung gebracht wurden, dann geht es nicht an, ih-nen die elementaren Voraussetzungen ihrer Arbeit vorzu-enthalten.
Aus diesen Gründen halten wir die Aktion der Ärzte undPsychotherapeuten für berechtigt. Fragwürdig bleibt aber,dass sie auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.Allerdings stellt sich die Frage, ob man das den Ärzten al-lein zuschieben soll.In aller Deutlichkeit zeigt diese Aktion, dass sich dieBundesregierung den besonderen Finanzierungsproble-men des Gesundheitswesens in Ostdeutschland stellenmuss. So wichtig es ist, dass der gesamtdeutsche Risiko-strukturausgleich ab 2001 schrittweise zu einem erhöhtenMitteltransfer von West nach Ost führt, ist es dennoch un-möglich, dass sich an der finanziellen Ungleichbehand-lung der Ärzte und aller Beschäftigten in ostdeutschenGesundheitseinrichtungen nichts ändern soll.Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, erinnern Sie sichbitte einmal an Ihre Oppositionszeit. Sie können heutenicht sagen, die PDS oder die F.D.P. mache Blödsinn,wenn Sie damals selbst den Einigungsvertrag ganz kri-tisch eingefordert und gesagt haben, es sei – egal, wer re-giert – eine politische Aufgabe, die Angleichung derLebens- und Arbeitsbedingungen in Ost und West voran-zutreiben. Man kann eine soziale Ungerechtigkeit nichtgegen eine andere ausspielen.
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Katrin Göring-Eckardt15627
Es ist wirklich an der Zeit, mit diesen Ausreden auf-zuhören. Dann soll man lieber sagen, man wolle es nichtfinanzieren und die Menschen müssten hier so arbeiten;das wäre ehrlicher.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ein verlässlichesKonzept vorzulegen, damit diese Angleichung schritt-weise erfolgen kann, sodass die Menschen erkennen, dassirgendwann die Ungleichbehandlung beendet sein wirdund sie dieselben Chancen in der Arbeits- und Lebensweltwie die Menschen in den alten Bundesländern haben. –Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss.Wir haben uns hier schon oft zum Budget geäußert underklärt, es stelle nur vorübergehend eine Möglichkeit dar,bestimmte Sparziele im Gesundheitswesen zu erreichen.Die Abschaffung der Kollektivhaftung halten wir für rich-tig. Im Gegensatz zu CDU/CSU und F.D.P. teilen wir den-noch Ihre Meinung, dass die Ärzte nicht aus der Verant-wortung entlassen werden dürfen. Trotzdem ist zuüberlegen, wie man die Finanzsituation des Gesundheits-wesens in den neuen Bundesländern ohne Beitragssatzer-höhung verbessert. Es gibt genügend Einsparpotenziale;als Stichworte nenne ich zum Schluss die Gewährleistungnotwendiger Arztinformationen, herstellerunabhängigeWeiter- und Fortbildung – Sie wissen, auf wen ich hinauswill –, wirksamere Preisbegrenzungen bei Arzneimittelnund Senkung der Mehrwertsteuer. Ich wiederhole, dass eskaum zu begreifen ist, dass man für verschreibungs-pflichtige Medikamente auch noch Mehrwertsteuer zah-len muss und die Krankenkassenbeiträge so für die Haus-haltssanierung des Bundes herangezogen werden. Kurzgesagt: Es gibt Vorschläge, packen wir es an!
Ich weise zur Rede-
zeit noch einmal darauf hin, dass wir in der Aktuellen
Stunde sind, und erteile nun dem Kollegen Eckart
Lewering für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutungder heutigen Aktuellen Stunde reicht über deren eigentli-ches Thema hinaus.
Die Ärztinnen und Ärzte stehen hier nur stellvertretendfür die Bürger der neuen Bundesländer, die zehn Jahrenach Herstellung der staatlichen Einheit zu Recht die An-gleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschlandanmahnen.
Die Sorgen der Ärzte und des medizinischen Personalssind die gleichen Sorgen, die viele andere Beschäftigte inden neuen Bundesländern ebenfalls haben.Die neue Bundesgesundheitsministerin hat ihren Amts-antritt mit mehr als einem Schritt des Entgegenkommensbegleitet und zu verstehen gegeben, dass sie diese Sorgensehr ernst nimmt.
Zum einen wurden Ärzten die vorgesehenen Zahlungenfür das Überschreiten des Arzneimittelbudgets erlassen,zum anderen wurde die Aufhebung des Kollektiv-regresses angekündigt.
Die Einkommensstatistik der Mediziner – zumindestfür einige Ärztegruppen – zeigt eine nicht allzu negativeEntwicklung in den vergangenen Jahren. Die Ost-West-Unterschiede zwischen den aus vertragsärztlicher Tätig-keit resultierenden Einkommen je Arztgruppe reichennämlich von circa 73 Prozent für HNO-Ärzte bis zu mehrals 110 Prozent für Radiologen. Diese Gruppe ist hierschon mehrmals angesprochen worden.
Demgegenüber lagen aber die durchschnittlichen bei-tragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Kranken-kassen in den neuen Bundesländern im zugrunde liegen-den Jahr 1998 bei circa 79 Prozent des entsprechendenWertes der GKVWest.Die Einnahmesituation der Ärzte in den neuen Bun-desländern ist also durchaus differenziert zu betrachten.Es gibt den gut verdienenden Facharzt mit Praxis in zen-traler Lage und einer größeren Anzahl von Privatpatien-ten in Ballungsgebieten. Dem steht aber der Kollege in ei-ner anderen Region gegenüber, dessen Praxis einen vielgeringeren Ertrag abwirft. Allein die Tatsache, dass einArzt im Westen mehr verdient als ein Arzt im Osten, be-gründet aber noch keine Verpflichtung der Beitragszahlerder gesetzlichen Krankenkassen, diesen Unterschied aus-zugleichen.Wie Sie wissen, ist die deutsche Wiedervereinigungmit enormen finanziellen Belastungen der Menschen inWestdeutschland verbunden. Dennoch hat die Sozialde-mokratie sowohl während der Zeit der Opposition alsauch seit der letzten Bundestagswahl als Regierungspar-tei die Notwendigkeit solcher Umverteilungen immerwieder verteidigt.
Die jetzige Bundesregierung hat immer wieder Maß-nahmen ergriffen, um die Lebensverhältnisse in ganzDeutschland zu vereinheitlichen. Für den Bereich der Ge-sundheitspolitik will ich jetzt nur noch kurz einige Bei-spiele nennen:Erstens. Im Zuge der Gesundheitsreform wurde einebundeseinheitliche Steigerung der Grundlohnsumme alsMaßstab für die Gesamtvergütung eingeführt.Zweitens. Mit der Einbeziehung der Geringverdienerin die Sozialversicherung haben wir dem Gesundheitswe-sen bereits dringend benötigte finanzielle Mittel zuge-führt.
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Dr. Ruth Fuchs15628
Drittens. Um gleiche Lebensverhältnisse in allen Bun-desländern zu schaffen, hat die sozialdemokratisch ge-führte Bundesregierung vor einem Jahr die Einführungeines gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs be-schlossen, der nun auch schrittweise eingeführt wird.Hierdurch verbessert sich auch die Lage der Krankenkas-sen in den neuen Bundesländern.
Viertens. Zudem hat die SPD-Bundestagsfraktion, wieSie wissen, einen Antrag zum Fremdkassenausgleich inden Bundestag eingebracht, der ebenfalls zum Ziel hat,die finanzielle Situation der niedergelassenen Ärztinnenund Ärzte in den neuen Bundesländern zu verbessern.Durch die Einführung des Wohnortprinzips für alleKrankenkassen wollen wir den Fremdkassenausgleichwirksamer machen und für eine größere Verteilungs-gerechtigkeit bei kassenärztlichen Honoraren sorgen. InZukunft werden ärztliche Leistungen und die Vorhalte-kosten dort vergütet, wo sie anfallen.Von der Einführung des Wohnortprinzips profitierenvor allem auch Ärzte in den neuen Bundesländern, daviele ihrer Patienten bei Krankenkassen versichert sind,die ihren Sitz in den alten Bundesländern haben. Hierzuein Beispiel: Durch diesen jetzt beabsichtigten Schrittwird der Anteil der ambulant tätigen Ärzte in Ostdeutsch-land an den Gesamtausgaben der GKVum circa 2 Prozentanwachsen. Das bedeutet zum Beispiel für Sachsen, dassetwa 10 000 DM mehr pro Praxis zur Verfügung stehenwerden. Mit dieser Regelung sorgt die SPD für mehr Ge-rechtigkeit und für die Sicherung der ambulanten Versor-gung auch in den neuen Bundesländern.
Ich hoffe, Sie erkennen, dass die Sozialdemokratie be-strebt ist, gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland zuverwirklichen, und entsprechende Beschlüsse in den ent-scheidenden Gremien vorantreibt. Ich darf Ihnen hierversichern, dass wir weiterhin alles tun werden, um inganz Deutschland vergleichbare Lebensverhältnisse zuschaffen.Ich danke Ihnen.
Nun hat das Wort der
Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Prä-sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube,Rot-Grün hat ein ganz großes Problem:
Es beschließt ein Gesetz und dann setzt es sich mit denBeteiligten zusammen. – Könnte man es nicht einmal he-rumgedreht machen, dass man sich also erst mit den Be-teiligten zusammensetzt und dann ein Gesetz macht?
Ein weiterer Punkt: Frau Ministerin, Sie haben gesagt,durch den RSA, den gesamtdeutschen Risikostrukturaus-gleich, seien Milliarden in die neuen Länder geflossenund das helfe dort sehr.
Ein gravierender Fehler ist doch gemacht worden: Hät-ten wir nicht erst die Ungereimtheiten beim Risikostruk-turausgleich beseitigen müssen, bevor wir ihn auf ganzDeutschland ausdehnen? Folgendes wird jetzt nämlichgeschehen: Die Kassen im Westen werden Milliardenbe-träge für den Risikostrukturausgleich zahlen und die Kas-sen im Osten werden dann einen niedrigeren Beitragssatzerheben als die im Westen. Wie wollen Sie das den Versi-cherten klarmachen? Das kann wohl nicht funktionieren.Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, den Risikostruk-turausgleich vorher richtig zu strukturieren.
Da wir heute über die Budgetierung und die Kollektiv-haftung sprechen, gestatten Sie mir folgenden flapsigenHinweis: Was würde die SPD sagen, wenn einer wegenTrunkenheit am Steuer den Führerschein genommen be-kommt und man den Antrag stellen würde, allen SPD-Ab-geordneten müsse der Führerschein entzogen werden?
– So machen Sie es aber mit den Ärzten! Ich habe ja ge-hofft, dass Sie diesen Zuruf machen.
Wenn ein Arzt das Budget überschreitet, werden alleÄrzte in Haftung genommen.Die Kollektivhaftung und die Budgetierung sind ers-tens rechtlich, zweitens medizinisch und drittens struktur-politisch widersinnig.
– Ja, eben! Die Ministerin hat sich hier an dieses Pult ge-stellt und gesagt: Die Kollektivhaftung kommt weg.
Wir haben in der letzten Woche einen entsprechenden An-trag eingebracht und Sie haben ihn abgelehnt. Sie solltenendlich einmal Ankündigungen und Handeln in Überein-stimmung bringen.
Sie können den Ärzten nicht sagen: „Die Kollektivhaf-tung wird abgeschafft“ und dann, wenn wir Ihnen eineentsprechende Steilvorlage geben – Sie bräuchten nur zu-zustimmen –, diese ablehnen.
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Eckhart Lewering15629
So funktioniert das nicht! Zwischen Ankündigungen undHandeln liegen bei der SPD Welten.
Nun dazu, dass das Arzneimittelbudget medizinischwidersinnig ist: Rot-Grün hält aus überwiegend ideologi-schen Gründen daran fest. Ich habe die Hoffnung nichtaufgegeben, dass Sie vielleicht auch noch zu der Erkennt-nis kommen, dass man mit Arzneimitteln – und nicht nuram Arzneimittel – sehr viel Geld sparen kann. NehmenSie einmal bitte Folgendes zur Kenntnis: Deutschlandliegt bei den Ausgaben für Arzneimittel an der letztenStelle in Europa. Andere Länder geben mehr für Arznei-mittel, insgesamt aber weniger für Gesundheit aus.
Die SPD sagt auch immer: Wir sind für Primärpräven-tion. – Auch hier könnte man mit Arzneimitteln das eineoder andere erreichen.Nun dazu, dass das Arzneimittelbudget strukturpoli-tisch widersinnig ist: Seit 1992 sind die Ausgaben imArzneimittelbereich jährlich um rund 2,8 Prozent ge-stiegen. Aber sie sind nicht aufgrund der Mengenaus-weitung und auch nicht aufgrund von Preiserhöhungengestiegen. Diese Steigerung ist vielmehr mit Struktur-komponenten zu begründen: mit der Einführung vonteuren Innovationen – dies wollten wir alle –, mit derVerlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich– auch dies wollten wir alle – und mit dem Ersatz von sogenannten billigen „umstrittenen“ Arzneimitteln. BeiLetzterem hat mich folgende Zahl etwas überrascht:1990 haben wir für „umstrittene“ Arzneimittel pro Ver-ordnung im Durchschnitt 26 DM gezahlt. Hier gab eseine Verlagerung zu „unstrittigen“ Arzneimitteln, aller-dings mit 51 DM pro Verordnung. – Jetzt frage ich mich:Wem hat das genützt?Wohin Budgetierung und Staatsmedizin führen, konnteich gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ le-sen; wenn es gestattet ist, Frau Präsidentin, möchte ichdies zitieren.
Sie brauchen dazu
nicht meine Genehmigung.
Danke schön. – Da
heißt es:
Wer ein Klinikbett ergattert hat, findet sich dann oft
in einem renovierungsbedürftigen Krankensaal mit
zwölf oder mehr Leidensgenossen wieder.
„Mir ist egal, mit wie vielen Patienten ich das Zim-
mer teile, wenn ich nur endlich operiert werde“, sagt
Jim Kennedy. Seit einer Herzattacke im vergangenen
Juli wartet der bis dahin kerngesunde 39 Jahre alte
Mann auf den rettenden Eingriff eines Belfaster
Herzchirurgen-Teams.
Elfmal wurde Kennedy seither als Notfall-Patient ins
Krankenhaus eingeliefert;
Ein weiteres Zitat:
Andere kommentieren ihren langen Marsch durch das
Gesundheitswesen mit Galgenhumor; fast sprich-
wörtlich ist der Schwangerschaftstest
– in England –,
auf den man neuerdings zehn Monate warten müsse.
Ich hoffe nicht, dass Rot-Grün demnächst in Deutschland
beschließt, dass wir deshalb die Schwangerschaft auf
zwölf Monate ausdehnen müssen.
Nun hat die Kollegin
Monika Knoche für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Kollege Zöller, Ihr Abgangssatz hat mir gefallen. Erwar humorvoll und witzig. Sie wissen allerdings, dass erin der Sache – nicht was die Schwangerschaft, sondernwas den Bezug angeht – nicht zutrifft.Es wundert mich immer wieder, dass Sie sehr gernevon Staatsmedizin sprechen. In der BundesrepublikDeutschland, in der ich lebe, gibt es keine Staatsmedizin,sondern ein solidarisches Sicherungssystem.
Es gibt die GKV. Es gibt die freie Arztwahl. Es gibt dieTherapievielfalt. Wir haben also keine staatlich vorgege-bene Gesundheitsversorgung,
sondern ein sehr freiheitliches und bürgerrechtliches Sys-tem. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist geschützt und vomStaat immer zu wahren. Das zeichnet die BundesrepublikDeutschland aus.
Ich glaube, dass die Bürger und Bürgerinnen in denneuen Bundesländern diesen Unterschied sehr genau ken-nen und auch sehr schätzen. Ich gehe aber nicht davon aus– das richte ich an Herrn Kollegen Dr. Thomae –, dass dieKassenärzte in den neuen Bundesländern ihre gesamteSozialisation abschütteln wollen und sich als Freiberuflerdefinieren.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Wolfgang Zöller15630
Arzt in sozialer Verantwortung – das ist ein sehr hohesberufliches Selbstverständnis. Ich habe den Eindruck,dass die Kassenärzte und -ärztinnen in den neuen Bun-desländern sehr wohl wissen, welche Verantwortung sieals Ärzte und Ärztinnen in einem solidarisch finanziertenSystem haben. Sie konnten aber nicht wissen, dass sieheute mit einer finanziellen Situation konfrontiert seinwürden, deren Ursachen zehn Jahre zurückliegen.
– Doch. Ich will Ihnen auch sagen, welche Ursachen dassind. Viele hier im Parlament haben diese gesamte Zeitverfolgt und politisch begleitet. Wir haben im Bundestagdringend davor gewarnt, alle Strukturen, die auf Integra-tion orientiert sind, zu zerschlagen.
Selbst den kirchlichen Trägern haben Sie nicht erlaubt,Ambulatorien zu unterhalten, die wir heute mit politi-schen Instrumenten mühsam wieder einführen müssen,weil sie eine qualitativ hochwertige Versorgung der Pati-enten gewährleisten.
Die Ärztinnen und Ärzte waren damals gezwungen,sich niederzulassen, weil ihnen – nennen wir es doch ein-mal beim Namen – auf die Beratung der KassenärztlichenVereinigungen hin die bisherigen Strukturen gekappt wur-den. Es kam zu einer Ausdifferenzierung und Spezialisie-rung von Fachärzten im ambulanten Bereich, sodass sie ineinem hohen Lebensalter hohe Investitionen tätigenmussten.
Heute, nach zehn Jahren, kommen sie – Sie, FrauBergmann-Pohl, haben es in einem Zwischenruf gesagt –in die Schuldentilgungsphase, was für viele ein wirklichexistenzielles Problem ist, das ich überhaupt nicht in Ab-rede stellen will. Aber über Erhöhungen der Beitragssätzekönnen und wollen wir es nicht lösen.
Es sind in der Tat hohe Anforderungen an die nieder-gelassenen Ärzte, an die Kassenärztlichen Vereinigungengestellt, das, was sie an Kapazitäten im fachärztlichen Be-reich haben, auf die Versorgungsnotwendigkeit hin zuüberprüfen. Nicht alle Fachärztinnen und Fachärzte sindgleichermaßen von der Honorierungsfrage betroffen. Esgibt viele in den neuen Bundesländern, die besser verdie-nen als ihre Fachkolleginnen und -kollegen im Westen.
Es ist so, dass die niedergelassene Ärzteschaft sogar„Honorartransfers“ an ihre Kollegen im Osten leistet. Da-rüber hinaus haben die großen Krankenkassen Finanz-transfers von West nach Ost geleitet, um höhere Beitrags-sätze zu vermeiden, was eine ganz wichtige politischeMitteilung war.Weil gerade der RSAangesprochen wurde, Herr Zöller– manchmal bin ich froh, dass ich schon länger im Parla-ment bin –:
In der Zeit, als die Notwendigkeit einer RSA-Reform of-fenkundig wurde und in Mecklenburg-Vorpommern Bei-tragssätze von 20 Prozent drohten, kam innerhalb derCDU/CSU die Debatte auf, die Gesamtsolidarleistungzurückzufahren und regionalisierte Beitragssätze einzu-führen. Das wäre die Aufkündigung des gesamtdeutschenSolidarprinzips gewesen.
Was wir jetzt neu im RSA bewegen wollen – Hochrisiko-pool, Chroniker-Versorgung, Disease-Management usw. –,wird dazu beitragen, dass auch die unterschiedlichen Ver-sorgungsbedarfe in den neuen Bundesländern durch einevernünftige Struktur ausgeglichen werden können.
Ich hoffe, dass wir den Risikostrukturausgleich so refor-mieren, dass sich die Ärztinnen und Ärzte vordringlichden Patienten widmen können und nicht mehr innerärztli-chen Verteilungskämpfen anheim fallen.
Nunmehr hat das
Wort der Kollege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Liebe Frau Knoche, ich habe das Gefühl, Siehaben lange nicht mehr mit niedergelassenen Ärzten undKrankenhausärzten geredet.
Die werden Ihnen bestätigen: Ihre Politik ist dirigistisch,überreglementiert, rückwärts gewandt und leistungs-feindlich. Das sind Tatsachen.
Die positive Aufbruchstimmung, die wir vor zehn Jah-ren in den neuen Bundesländern vorgefunden haben, ist
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Monika Knoche15631
der knallharten Realität des Alltags gewichen. Sie habendie Hoffnungen im Osten zerstört.
Für die Menschen von Mecklenburg-Vorpommern bisSachsen stehen, verglichen mit den alten Bundesländern,nur 77 Prozent der finanziellen Mittel pro Patient zur Ver-fügung, ein Viertel weniger Arzthelferinnen betreuen diePatientinnen und Patienten in den Praxen und die vor zehnJahren angeschafften fremdfinanzierten Geräte veralten.Wenn man für die Patienten mehr Qualität will, bedarf esneuer Investitionen. Die im Osten abgeschlossenen Ver-träge schaffen allerdings unter den verschlechterten Be-dingungen nur zusätzliche Finanznot. Viele Ärztinnenund Ärzte scheiden aus Altersgründen aus dem Erwerbs-leben aus. Die Erhebungen zeigen eine bedrohliche Ent-wicklung.Frau Ministerin, Sie haben eben von 150 000 DM Jah-reseinkommen brutto gesprochen. Ich, muss Sie einmalfragen, von welchem Nettoeinkommen Sie nach Abzugder Personalkosten, der Schuldentilgung, der Miete usw.ausgehen. Die „Rheinische Post“ hat vor kurzem eine ent-sprechende Erhebungen durchgeführt. Danach bleiben5 000 DM netto monatlich übrig. Da muss ich mich schonfragen, ob es für junge Menschen attraktiv ist, diesen Be-ruf zu wählen und sich niederzulassen.
Meinen Sie, unter den gegebenen Voraussetzungen lässtsich ausreichend Nachwuchs für die Übernahme von Pra-xen finden? Ich glaube das nicht.Sie werfen uns angesichts unserer Reformvorstellun-gen – Dieter Thomae hat sie noch einmal vorgetragen –die Einführung einer Zwei-Klassen-Medizin vor. Sie ha-ben bereits für eine Mehr-Klassen-Medizin gesorgt. Mo-derate Zuzahlungen sind in vielen Fällen zu Vollzahlun-gen geworden. Es ist keine Frage mehr: In den neuenBundesländern sind erhebliche Qualitätsmängel und eineschlechtere Betreuung für die Bürger an der Tagesord-nung. Diese fühlen sich als Patienten zweiter Klasse.Jede erbrachte Leistung kostet eben Geld. Sie begren-zen nach wie vor willkürlich den Umfang der bezahltenLeistungen. Sie lassen Patienten und Ärzte im Osten inbesonderer Weise im Stich. Sie zwingen dazu, nicht kos-tendeckende Leistungen einzuschränken, um Kosten zusparen. Sie zwingen dazu, die verbleibenden Helferinnenunter dem Wert ihrer Arbeit zu bezahlen. Sie zwingendazu, Arztpraxen unter Bedingungen weiterzuführen, diefür die Versicherten dort alles andere als beste medizini-sche Qualität ermöglichen.
Ich habe heute in meinen Kalender geschaut – ichschaue jeden Tag in meinen Kalender – und habe da einenAphorismus gefunden, Frau Ministerin, der mich an dieHaltung Ihrer Amtsvorgängerin mit ihrem selektiertenDialog erinnert hat – sie hat den Dialog nicht so offen ge-führt, wie Sie es tun, sondern sie hat ihn selektiv geführt –:Schwärme von Deinen Fehlern. Du wirst Fans fin-den.Frau Ministerin, ich will das wie folgt umformulieren:Stellen Sie sich den Realitäten! Schaffen Sie die Budge-tierung ab und gleichen Sie die Finanzierung der ambu-lanten Betreuung der GKV-Versicherten an das Niveauder alten Bundesländer an!Sie haben auf den Weg hingewiesen, den Sie beimFremdkassenausgleich gehen wollen. Er entspricht einemAntrag der F.D.P.-Fraktion. Diesen Weg gehen wir gernemit.Im Hinblick auf den Verschiebebahnhof aber kann ichIhnen nicht zustimmen. Ihre Vorgängerin hat dem Bun-desarbeitsminister Hunderte von Millionen Versicherten-beiträge ohne nennenswerten Widerstand zur Deckungseines Haushalts hinübergeschoben.
– Frau Schmidt-Zadel, Sie versuchen mit Ihren Zwi-schenrufen, Verständnis dafür zu wecken. Ich sage Ihnen:Der Arbeitsminister soll seinen Haushalt selbst in Ord-nung halten.
Der tiefe Griff in die Taschen der Krankenversicherung istund bleibt unanständig.
Ich möchte Sie abschließend noch einmal bitten, FrauMinisterin: Denken Sie darüber nach, Teile dieser Ent-scheidungen zurückzunehmen! Sorgen Sie dafür, dassmehr Orientierung an den Patienten möglich ist, wie esder Sachverständigenrat fordert, und dass die ärztlichenLeistungen aufwandsgerecht honoriert werden, im Wes-ten wie im Osten!
Jetzt hat der Kollege
Götz-Peter Lohmann, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehrgeehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Da mein schönes Bundesland Mecklenburg-Vorpommernin Sachen Versorgung leider mehrfach negativ erwähntwurde, ist es an der Zeit, dass jemand aus Mecklenburg-Vorpommern einmal die Versorgungssituation
darstellt. Ich habe überhaupt kein Problem damit, auch ei-nige kritische Äußerungen zu machen.
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Detlef Parr15632
Ich habe nämlich den Vorteil, dass ich insgesamt mehr als25 Jahre im Gesundheitswesen gearbeitet habe, logischer-weise zunächst und die überwiegende Zahl an Jahren imDDR-Gesundheitswesen und dann später im gesamt-deutschen.Es gab, denke ich, niemals so viele widersprüchlicheZahlen und Aussagen, wenn es um die Gehälter und umandere Zahlenwerte ging. Ich bin mir ziemlich sicher, dasses einem Außenstehenden nicht gelingen wird – wenn esuns, die ich einmal als Insider bezeichnen darf, überhauptgelingt –, die objektive Wahrheit zu finden. Das ist sicher-lich ohnehin schwierig.Ich habe ferner den Vorzug, dass ich in meiner Regionjeden Arzt und auch jeden Psychotherapeuten persönlichkenne. In dieser Lage kann man natürlich differenzieren;denn man weiß, wie die wahre Verdienstsituation ist. Esgibt natürlich einige, die – „krakeelen“ wäre übertrieben –doch etwas übertreiben. Aber ich muss bestätigen, dass dieVerdienstsituation sehr unterschiedlich ist. Das wurdeschon mehrfach geäußert; ich möchte es nicht wiederholen.Bei den Aussagen und Zahlen ist viel Subjektivität undes gibt viele Täuschungen; das möchte ich nicht ver-schweigen. Aber einige Zahlen sind einfach nicht umzu-deuten. Dazu gehört zum Beispiel der Verbrauch an be-stimmten Arzneimitteln je Versicherten. Dieser ist – wenndie Zahlen stimmen – im Osten um 20 bis 25 Prozenthöher als im Westen. Der höhere Arzneimittelverbrauchkorreliert mit der größeren Mobilität in den ent-sprechenden Krankheitsgruppen. Dafür gibt es vielfältigeGründe. Es wäre töricht zu leugnen, dass die geringereArztdichte im Osten die Gefahr von Versorgungspro-blemen in sich birgt. Es ist auch nicht zu leugnen, dass esbeim Assistenzpersonal in den Arztpraxen Probleme gibt.Das ist so, jedenfalls in einigen Regionen meines Bundes-landes.Dennoch sehe ich die Gesamtproblematik nicht so pes-simistisch wie zum Beispiel der von mir hoch geschätzteKollege Dr. Thomae. Ich sehe das mit etwas mehr Opti-mismus und bin relativ zuversichtlich, dass es uns gelin-gen wird, ja, gelingen muss, die Gefahr von Versorgungs-defiziten – diese Gefahr sehe ich durchaus – in den Griffzu bekommen. Die Äußerungen der Frau Ministerin ha-ben mich in meinen Hoffnungen, dass etwas geschieht,um diese Gefahr zu bannen, wieder bestärkt.Ich möchte nur kurz wiederholen, was hier angeführtwurde: Es geht um die Rücknahme des Kollektivregres-ses – das aber ist mehr eine psychologische Sache, daspielen Finanzen eigentlich keine Rolle;
nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass auch hier etwas ge-schieht –, darüber hinaus um das Wohnortprinzip bzw.den Fremdkassenausgleich sowie um die Reform desRSA, von der ich mir einiges verspreche. Auch ich bin derAuffassung, dass alles unter der Ägide der Beitragssatz-stabilität vonstatten gehen muss. Dennoch muss die me-dizinische Versorgung natürlich gesichert bleiben.Bei den Forderungen der Ostärzte geht es, wenn ich dieZahl richtig registriert habe, um etwa 600 Millionen DM.Für mich heißt die Frage: Wie kann man den Wünschennachkommen, ohne die Beitragssatzneutralität zu gefähr-den? Es gibt durchaus interessante Ideen, wie man das inden Griff bekommen könnte. Ich habe von einem Arzt ausmeiner Region zum Beispiel gehört: Wenn nur etwa0,5 Prozent der jährlich zur Verfügung stehenden 40 Mil-liarden DM transferiert würden – ähnlich wie seinerzeitbei der Unterstützung der Westärzte –, dann käme manauch auf diese 600 Millionen DM. Aber ich befürchte,dass es eine solche Solidarität, eine derartige freiwilligeLeistung nicht geben wird. Das ist ja auch nur die eineSeite des Problems. Ich habe nicht die Hoffnung, dass die-ser Vorschlag – vielleicht ist er ja auch nicht ernst ge-meint – umgesetzt wird.Eine ganz gefährliche Idee ist die, dass man doch viel-leicht bei den Medikamenten einsparen könnte. Ich je-denfalls sehe noch große Reserven insofern, als es – da-rauf hat auch der Sachverständigenrat hingewiesen; Siealle kennen das Gutachten – erhebliche Schwächen in derStruktur, der derzeitigen Mittelallokation im deutschenGesundheitswesen gibt. Hier liegen Ansatzpunkte für dieNutzung erheblicher Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsre-serven.
Weshalb bin ich so optimistisch? Es muss uns gelingen,intelligentere Lösungen zu finden – Durchsetzung desWohnortprinzips, RSA-Reform –, als es das Budget dar-stellt.
Meine größte Hoffnung liegt allerdings auf dem Gebietder Prävention. Hier sehe ich viele Reserven. Ich bin Ih-nen sehr dankbar, Frau Ministerin, dass Sie versprochenhaben, sich in diesem Bereich zu engagieren.Es muss uns gelingen – ich bin überzeugt davon, dasses uns auch gelingen wird –, die anstehenden Problemeauf diesem Gebiet in den ostdeutschen Ländern in denGriff zu bekommen.Herzlichen Dank.
Nun hat das Wort der
Kollege Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrteFrau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FrauMinisterin, die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehltder Glaube. Wir warten gespannt auf den Gesetzentwurf,der die budgetablösenden Richtgrößen im Arzneimittel-bereich bringt. Wir warten auf die Einlösung der Ankün-digung, dass der Kollektivregress fällt.Wenn ich sehe, mit welch spitzen Fingern die SPD denGesetzentwurf zur Abschaffung der Budgets und zur Ein-führung neuer Steuerungsinstrumente angefasst hat, denwir im Gesundheitsausschuss vorgestellt haben, dannkommen mir jedoch arge Bedenken. Ich denke, dass die
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Götz-Peter Lohmann
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Ministerin erst einmal die gestandenen Gesundheitspoliti-ker in der eigenen Fraktion – mein Kollege Lohmann redetimmer von den „Betonfacharbeitern“ – überzeugen muss.
Wir sind gerne bereit, der Ministerin bei der Durchset-zung ihrer Vorhaben zu helfen.Was die Kollektivhaftung betrifft, so war dies zwar einSignal an die Ärzte, aber ein wohlfeiles Signal! Wir wis-sen doch, dass die Kollektivhaftung rechtlich auf ganz,ganz tönernen Füßen steht. Was machen Sie denn mit ei-nem Arzt, bei dem eine Richtgrößenüberprüfung ergebenhat, dass er wirtschaftlich verordnet hat? Diesen Arztkönnen Sie doch nicht im Nachhinein dafür noch bestra-fen. Das wäre – Sie wissen das so gut wie wir – verfas-sungswidrig. Es hat sich ja auch überhaupt niemand ge-traut, jemals den Kollektivregress zu vollstrecken. Dasheißt, das war lediglich wohlfeiles Signal an die Ärzte.Die Ärzte aber wollen – wie auch wir – Taten sehen.Der Kollektivregress ist das eine; die untauglichenBudgets sind das andere. Die Budgets haben in den KVen,in denen sie unterdimensioniert waren – das waren diemeisten –, aufgrund ihrer Langzeitwirkung zu erhebli-chem Flurschaden geführt. Wir wollen, dass sich dieserZustand sofort bessert. Deswegen sind wir dafür, dass diePatienten die Versorgung bekommen, die sie unbedingtbrauchen. Wir wollen, dass die Alzheimer-Patienten ihreCholinesterasehemmer und die Asthma-Patienten ihre in-halativen Steroide bekommen.
– Ja, davon habe ich gehört. Wer einmal Praxisbesonder-heiten geltend gemacht hat, der weiß um das Verfahren,das dann bei den KVen abläuft.
– Ja, natürlich. Die Ärzte müssen die Praxisbesonderhei-ten am Ende geltend machen. Dieses Verfahren mit derKV sollte jeder einmal als Erfahrung kennen lernen.
Es ist doch vom System her aberwitzig, dass den Kran-kenhauspatienten bei ihrer Entlassung teure Medikamenteim Arztbrief verschrieben werden und sich dann dieHausärzte in langen Gesprächen mit den Patienten damitauseinander setzen müssen, dass auf ein preiswertes Ge-nerikum umgestellt werden muss. Das ist die ständigeDiskussion in den Arztpraxen. Natürlich will der Hausarztden Patienten nicht verlieren. Deshalb wird er ihm das er-klären. Aber in der Zeit, die aufgewendet wird – die vielbeschworene sprechende Medizin –, soll dem Patientengeholfen werden. Diese Zeit darf nicht dazu verwendetwerden, in zigtausend deutschen Arztpraxen die Fehlerrot-grüner Gesundheitspolitik zu erklären.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Wir sind ge-spannt, welche Instrumente von der Regierung in demneuen Gesetz aufgenommen werden.
In den Krankenhäusern soll das neue Entgeltsystem imJahre 2003 budgetneutral – auch dort sind noch Budgets;daran sollten wir heute denken – umgesetzt werden. DerAnreiz bei festen Preisen ist klar – wir haben es heutevon den Sachverständigen gehört –: Die Krankenhäu-ser werden ihre Patienten nach kürzestmöglicher Be-handlungszeit entlassen, um Kosten zu sparen. Aber diePatienten werden mit Einführung der DRGs imJahre 2003 nicht pflichtgemäß gesünder sein. Spätestensbei dieser Erkenntnis sieht man den Zusammenhang zwi-schen Budgets und Richtgrößen in der ambulanten Vergü-tung und der Einführung eines einheitlichen Entgeltsys-tems.Wer trägt denn die Kostenverantwortung für aus demKrankenhaus entlassene Patienten, die nach der Operationeines Knochenbruchs noch liegen müssen und jeden Tag,Antithrombosemittel wie Heparinspritzen benötigen?Wer kommt denn für die krankengymnastische Behand-lung nach Bandscheibenoperationen auf, wenn der Patientzu Hause ist? Die nachbehandelnden Hausärzte werdenbegeistert sein, wenn ihnen die Einsparungen im Kran-kenhaussektor über das Budget zur Last gelegt werden.Sie werden Mittel und Wege finden, dies zu verhindern.
Wenn Sie hier auf die integrierte Versorgung nach§ 140 a bis § 140 h im SGB V hinweisen, dann kann ichIhnen dazu nur sagen, dass diese vollkommen untauglichist. Schauen Sie einmal, wie viele Krankenhäuser sich inder Bundesrepublik mit anderen Leistungserbringern zu-sammengeschlossen und zu einer vernünftigen Positiongefunden haben! Das können Sie an den fünf Fingern Ih-rer Hand abzählen. Das funktioniert einfach nicht.
– Natürlich liegt das an dem überreglementierten Gesetz,Frau Schmidt-Zadel. Es liegt daran, dass Sie die Budgetsder niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser zu-sammenlegen und sauber herausrändeln wollen.
Ein derart überreguliertes und kompliziertes Gesetz istpraktisch nicht umsetzbar.Der Kollektivregress muss weg. Weg mit den Arznei-und Heilmittelbudgets! Weg mit den Budgets für ärztlicheVergütungen und die Krankenhäuser! Die entscheidendenWeichenstellungen für die Überwindung der sektoralenAbgrenzungen müssen jetzt vorgenommen werden. Dasgeht nicht unter Beibehaltung der Budgets. Ansonstenkönnen wir die finanziellen Probleme der Zukunft nichtlösen.
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Dr. Hans Georg Faust15634
Wir erwarten eine schnelle Hilfe für Ärzte im nieder-gelassenen Bereich. Wir erwarten vor allem das dringendnotwendige Reformkonzept zur Reparatur des rot-grünenGesundheitsreformgesetzes aus dem Jahr 2000.Ich danke Ihnen.
Nun hat die Kollegin
Dr. Margrit Spielmann, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Wenn in dieser Woche die ost-deutschen Kassenärzte Protestaktionen starten, wollen sieauf eine tatsächlich schwierige Situation in ihren Praxenaufmerksam machen
und die Politik auffordern, Veränderungen herbeizu-führen. Ihre schlichte Botschaft: mehr Geld gleich bessereVersorgung.Aber ein bloßes Mehr zum Beispiel an Röntgenunter-suchungen oder in ihrer Wirksamkeit umstrittenen Medi-kamenten bedeutet eben nicht mehr Qualität und mehrVersorgung für die Menschen.
Diese Tatsache wurde soeben sehr eindrucksvoll durchdie Ergebnisse des Sachverständigenrates im Gesund-heitswesen bewiesen. Die Pro-Kopf-Ausgaben inDeutschland liegen – das haben die Sachverständigenfestgestellt – im weltweiten Vergleich auf Platz 3 hinterden USA und der Schweiz, die erzielten Ergebnisse, ge-messen an der Entwicklung der Lebenserwartung, abernur auf einem Mittelplatz.Ich denke, die zurzeit streikenden Ärzte müssen sichdie Frage gefallen lassen, wofür oder gegen was sie ei-gentlich streiken.
Das machen wir auch. Wir gehen zu den Medizinern, wirsind mit ihnen verabredet. Jetzt aber befinden wir uns ineiner Aktuellen Stunde.Sie könnten gegen die Krankenkassen streiken. Wür-den die Kassen für die derzeitigen Leistungen mehr be-zahlen, hätten die Versicherten für die ohnehin nicht opti-male Versorgung noch mehr Geld von ihrem Verdienstabzugeben. Das führt zu Beitragserhöhungen. Wer willdas guten Gewissens vertreten? Wir von Rot-Grün kön-nen das jedenfalls nicht.
Sie könnten gegen die Patienten streiken, welche ih-nen, den Ärzten, zu wenig Geld für ihre medizinische Ver-sorgung bezahlen. Es muss aber immer wieder gesagtwerden: Die Krankenkasse verwaltet das Geld der Versi-cherten. Jede doppelt oder mangelhaft ausgeführte Leis-tung kostet den Versicherten und damit die Solidarge-meinschaft Geld, und zwar unser aller Geld.
Nun ist die Politik aufgerufen – deshalb auch die Ak-tuelle Stunde –, Antworten auf die Frage zu geben: Waskönnen wir tun? Ich möchte weiter fragen: Was haben wirgetan? Zu diesem Thema wurde heute schon vieles ge-sagt, es wurden Zahlen genannt und viele Behauptungenbewiesen.Ich beschränke mich auf einige Fakten:Erstens. Eine deutlich bessere Beschäftigungslage inOstdeutschland würde mehr Spielräume für höhere Ein-kommenszuwächse bei den Ärzten schaffen,
da das aus Krankenkassenbeiträgen finanzierte Einkom-men nicht schneller wachsen kann als das der Beitrags-zahler. Das ist eine alte Regel. Die Beitragszahler der Kas-sen in den alten Bundesländern bewiesen bereits durchMilliardentransfers in die neuen Länder Solidarität.
Die Honorare der Ärzte in den neuen Ländern sind auf-grund gesetzlicher Transferregelungen – wir hatten dieseim Bundestag so beschlossen – bereits deutlich aufgebes-sert worden. Wir hoffen, mit dem Fremdkassenausgleich– die Ministerin hat es angesprochen – und dem RSA dieSituation der Ärzte wesentlich zu verbessern.
Zweitens. In der Gesundheitsreform 2000 hatten wirwichtige Felder zur Erschließung von Reserven aufge-zeigt. Daran muss einmal erinnert werden,
da diese Möglichkeiten intensiv genutzt und die Pläneumgesetzt werden müssen.
Ich möchte nur einige Stichworte nennen: die Möglich-keiten der integrierten Versorgung, die Vernetzung vonArztpraxen und die Stärkung des Hausarztes als Lotsedurch das Gesundheitswesen. Wir fordern in unserem Ge-setzentwurf zum Beispiel eine Intensivierung der Präven-tion – dazu wird Frau Kühn-Mengel noch einiges sagen –,die Qualitätssicherung und mit Nachdruck mehr Transpa-renz für erbrachte Leistungen.
Ich denke, die Politik hat mit den Reformvorschlägenihre Hausaufgaben gemacht – ich gebe unumwunden zu,dass sie noch nicht alle Hausaufgaben erledigt hat –, wasaber fehlt, ist eine Umsetzung der Pläne.
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Dr. Hans Georg Faust15635
Hier sind die Ärzte und Krankenkassen aufgefordert, mituns gemeinsam die Vorhaben umzusetzen und die deut-lich erweiterten Möglichkeiten zu nutzen. Ich bin davonüberzeugt, dass in dem vorhandenen System große Po-tenziale liegen, die sich aber – ich sagte es schon ein-mal – nicht von selbst erschließen. Deshalb ist jetzt unseraller Handeln gefragt.Wir nehmen die Belange der Ärzte, wir nehmen vor al-len Dingen aber auch die Belange der Versicherten undder kranken Menschen ernst.Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege
Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Frau Spielmann, Sie haben
gesagt, im deutschen Gesundheitswesen, das so schreck-
lich sei, steckten große Rationalisierungsreserven.
23 Millionen Menschen – ich hatte früher von nur 10 Mil-
lionen gesprochen – haben in Deutschland eine Versiche-
rung abgeschlossen, die allein den Zweck hat, sie im Falle
einer Erkrankung im Ausland nach Deutschland zurück-
zubringen. Ist das etwa ein Beweis dafür, dass die Deut-
schen ihr Gesundheitswesen so schlecht einschätzen? Ich
meine: Es ist genau das Gegenteil!
Rationalisierungsreserven zu mobilisieren und für
mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen ist eine Daueraufgabe
für jede Gesundheitspolitik und für jede Selbstverwaltung
im Gesundheitswesen; das ist klar. Aber Sie müssen doch
erkennen, dass die Budgetierung nicht der richtige Weg
ist, Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren. Im Ge-
genteil: Es entwickelt sich eine Budgetlogik im Gesund-
heitssystem, die dazu führt, dass man nicht mehr darauf
achtet, wo der Patient am besten und am effektivsten ver-
sorgt werden kann. Jeder schaut nur noch darauf, dass das
eigene Budget geschont wird und eventuelle Kosten in ein
anderes Budget verschoben werden, egal, ob es Sinn
macht oder nicht, ob es teurer ist oder nicht. So entwickelt
sich doch keine Wirtschaftlichkeits- und Effizienzlogik,
sondern nur eine reine Budgetlogik. Budgetierung bedeu-
tet das Gegenteil von Verbesserung der Wirtschaftlich-
keit.
Ich sage ganz bewusst – ich glaube, das müssen gerade
Sie von der SPD besonders ernst nehmen –: Budgetierung
ist die brutalste und unsozialste Form der Selbst-
beteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann.
Sie behaupten immer, dass Sie keine Selbstbeteiligung
wollen, und haben im Wahlkampf versprochen, die
Selbstbeteiligung zu verringern. Das haben Sie zwar zum
Teil getan. Aber die Wahrheit ist doch – weil dann Mittel
im Gesundheitssystem fehlen –, dass die Menschen heut-
zutage nicht die notwendigen Medikamente bekommen,
dass beispielsweise psychisch Kranke keine modernen,
sondern nur noch Medikamente der alten Generation be-
kommen. Das gilt auch – man kann schauen, wohin man
will – für die Diabetiker- und Rheumakrankenversorgung.
Bei der Budgetierung gibt es keine Härtefallklausel. Im-
merhin sind fast 50 Prozent der Patienten durch die Här-
tefall- und Überforderungsklausel von Zuzahlung befreit.
Hier wird also auf die soziale Komponente geachtet. Aber
bei der Budgetierung wird darauf überhaupt nicht geach-
tet. Dem Einzelnen werden ohne Rücksicht auf seinen
Geldbeutel und ohne, dass er es vorher absehen kann, die
notwendigen medizinischen Leistungen vorenthalten. Ich
sage gerade an die Adresse der Sozialdemokraten: Wie
können Sie, die Sie doch immer den Anspruch erheben,
sozial zu sein, eine solch unsoziale Politik betreiben?
Herr Kollege Lewering, Sie haben im Kern gesagt:
Weil in Ostdeutschland noch nicht die gleichen Lebens-
verhältnisse wie in Westdeutschland herrschen und weil
die Probleme dort so groß sind, machen wir gar nichts.
Ich weiß offen gestanden nicht, ob das die richtige Politik
ist. Ich glaube, es ist die falsche Politik. Ich möchte Ihnen
in dem Zusammenhang ein paar Zahlen vor Augen führen,
auch wenn schon genug Zahlen in diesem Bereich herum-
schwirren. Die Kassen müssen den Kassenärztlichen Ver-
einigungen in den neuen Bundesländern pro Arzt nur etwa
77 Prozent dessen für ambulante Versorgung zur Verfü-
gung stellen, was sie in Westdeutschland zur Verfügung
stellen müssen. Wenn Sie diese Zahl bestreiten wollen,
dann tun Sie es bitte. Aber diese Zahl ist unbestritten.
Was bekommt ein Arzt in Ostdeutschland, der nicht
niedergelassen ist, sondern im Krankenhaus beschäftigt
ist? Er bekommt seit dem 1. Januar dieses Jahres eine Ver-
gütung in Höhe von 88,5 Prozent des Westgehaltes. Ab
dem nächsten Jahr steigt seine Vergütung auf 90 Prozent
des Westniveaus.
Ich wiederhole: Ein niedergelassener Arzt in Ost-
deutschland, der eine verantwortungsbewusste Aufgabe
erfüllt, bekommt 77 Prozent des Westgehaltes und der
Arzt, der in einem ostdeutschen Krankenhaus angestellt
ist, bekommt im Moment 88,5 Prozent bzw. ab dem
nächsten Jahr 90 Prozent. Wenn man wirklich nach dem
Motto „ambulant vor stationär“ handeln möchte, dann
muss man dringend etwas verändern.
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir hatten kurz vor dieser Ak-tuellen Stunde ein Gespräch mit den Sachverständigen derKonzertierten Aktion im Gesundheitswesen. Ich vermute,
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Dr. Margrit Spielmann15636
dass einige Herren der Opposition da nicht gut zugehörthaben.
sein!)Ihre schlichte Botschaft „Mehr Geld gleich bessere Medi-zin“ ist ein Kurzschluss. Mehr Geld bedeutet nicht bessereQualität. Das haben wir auch im Gespräch mit den Sach-verständigen ganz deutlich dargestellt bekommen. Diepolemische Aussage, Frau Dr. Bergmann-Pohl, nur einbilliger Patient sei ein guter Patient, geht an unserertatsächlichen Versorgungssituation und an unserer Ge-sundheitsreform vorbei. Sie ist genauso polemisch oderschlicht wie die Aussage „Nur ein reicher Arzt ist ein guterArzt“.Nach Angaben des Sachverständigenrates, mit dessenVertretern wir vorhin gesprochen haben, liegt die Bun-desrepublik Deutschland, gemessen an der Dollar-Kauf-kraft – also bei wohlwollender Auslegung, KolleginSpielmann hat das gesagt –, weltweit auf dem dritten Platzbei den Pro-Kopf-Ausgaben. Gemessen am Bruttoinlands-produkt sind wir weltweit auf dem zweiten Platz. Im Ver-gleich der europäischen Länder sind wir an erster Stelle,haben also die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben. Sie nennenimmer das Beispiel England und verbinden das mit derForderung „Freier Markt für freie Ärzte“. Die Sachver-ständigen haben es vorhin deutlich gesagt: Wir habendoppelt so viele Linksherzkatheter in Deutschland,verglichen mit dem europäischen Ausland. – Aber die Le-benserwartung ist in Deutschland nicht höher. Misst mandie verlorenen Jahre nach Ausbruch einer Krankheit – dasalles können Sie im Gutachten nachlesen –, liegen wireben nur im Mittelfeld. Wir haben einfach an der Qualitätnoch sehr viel zu arbeiten.
Es ist unsere Aufgabe, die Gelder in Richtung von Qua-lität zu verschieben. Wir müssen nicht mehr Geld ins Sys-tem pumpen. Wir zahlen in einigen Bereichen sehr viel,ohne dass eine entsprechende Qualität und Effizienz er-reicht werden. Ich habe das Beispiel Linksherzkatheterschon genannt. Ich könnte weitere anfügen.Lassen Sie mich nur mit Blick auf die Nachbarländer– da können Sie nach England oder nach Holland schauen –noch einmal den Brustkrebs erwähnen. Obwohl hier vielGeld in die Mammographie fließt, ist die Sterberate bei dendeutschen Frauen über die letzten zehn oder 15 Jahre nichtnur nicht gesunken, sondern sie ist gestiegen.
Mit solchen Aussagen müssen wir uns doch beschäftigen.Das Geld ist im System, wir müssen es aber – ich sage esnoch einmal – in Richtung Qualität, Effizienz und Wirt-schaftlichkeit steuern.
Denn trotz des hohen Mittelaufwands in Deutschland sindwir, gemessen an der Entwicklung der Lebenserwartung– ich sagte es schon –, nur im Mittelfeld. Es werden Mil-liarden für Unsinn, für nicht zielsicher eingesetzte Dia-gnostik und Therapie, für nicht notwendige und damitauch für nicht solidarisch zu finanzierende Leistungenausgegeben. Das ist einfach ein Fakt. Wohin wir auchschauen: Doppelstrukturen und Überkapazitäten. Damitmüssen wir uns doch auseinander setzen. Deswegen sa-gen wir: Wir pumpen nicht mehr Geld ins System, bevornicht eindeutig geklärt ist, wie wir Qualitätssteigerungenerzielen können.Grund zu Protesten haben in Wahrheit die Patientinnenund die Patienten; denn unser Gesundheitssystem leistetnicht das, was es wirklich leisten könnte. Wir haben – dasist von meinen Kollegen und von der Kollegin schon meh-rere Male dargestellt worden – mit der Gesundheitsreformdie richtigen Weichen gestellt:
evidenzbasierte Medizin, Entwicklung von Leitlinien,Koordinierungsausschuss.
Wenn manches in der Umsetzung noch nicht funktioniert,müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, warum esnicht klappt und warum es denn diese Widerstände in ei-nem hierarchisch aufgebauten, sehr mächtigen Systemgibt.
Damit müssen wir uns doch auseinander setzen.Wir wollen mehr Leistungsgerechtigkeit, wir wollenmehr Qualität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten undwir wollen auch eine Honorierung der effizienten Leis-tungen. Außerdem wollen wir – das ist ganz klar –Einsparpotenziale, die unser System noch bietet, effizientnutzen. Nach dem Hinweis auf die oft erwähnten Ein-sparmöglichkeiten im Medikamentenbereich möchte ichhier auf die Deutsche Röntgengesellschaft verweisen, diedie Ausgaben für die nicht notwendigen Röntgenaufnah-men auf 800 Millionen DM pro Jahr beziffert.
Aus dieser spektakulären Zahl müssen wir doch etwas ab-leiten. Wir können doch nicht die Forderung aufstellen,mehr Geld für Röntgenaufnahmen zu investieren. Ich willgar nicht Herrn Seehofer anführen – er ist vielfach zitiertworden –, der von einem Einsparpotenzial in Höhe von25 Milliarden DM sprach.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. März 2001
Helga Kühn-Mengel15637
Die Sachverständigen haben jedenfalls deutlich gesagt,dass es Einsparmöglichkeiten gibt. In den verschiedenenBereichen sind sie sicherlich unterschiedlich. Wir könnendavon ausgehen, dass 25 bis 30 Prozent der heutigenGesundheitsausgaben in Deutschland durch langfristigePrävention, also durch Gesundheitsförderung, durch vor-beugende Maßnahmen, zu vermeiden sind.
Das ist doch wirklich ein Fakt.Es ist gut, dass durch uns die Diskussion über Gesund-heitsziele in Gang gesetzt worden ist. Ich halte das für ei-nen ganz wichtigen Punkt. Ich denke, dass wir damit nichtnur die Lebensqualität der Menschen erhöhen, sondernauch – ich denke vor allem an die Prävention – eine Ent-lastung in Bezug auf die Finanzierung des Systems errei-chen.
Frau Kollegin, Sie
sprechen schon recht lange.
Ist das wahr?
Ja. Es blinkt schon;
aber das hat bis jetzt nichts geholfen. Natürlich dürfen Sie
noch einen Schlusssatz sprechen.
Ganz kurz: Gibt es den
Ostarzt überhaupt?
Nun müssen Sie wirk-
lich Schluss machen. Es tut mir Leid.
Ich muss Schluss ma-
chen; das tut mir aber wirklich Leid. Ich denke, das, was
ich gesagt habe, war wichtig genug.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2001, 9 Uhr,
ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag und ei-
nen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.