Protokoll:
14158

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 158

  • date_rangeDatum: 15. März 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:09 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 15363 A Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . 15363 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 16 d und 18 15364 A Tagesordnungspunkt 6: Vereinbarte Debatte zu den transatlanti- schen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15364 A Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . 15364 A Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15365 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15368 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. . . . . . . . . . . . . 15369 B Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15372 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 15373 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15376 C Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15378 C Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15380 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . 15382 A Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz (Leipzig), Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Mittelstandspolitik – Motor für Be- schäftigung und Innovation (Drucksache 14/5485) . . . . . . . . . . . . . 15383 B b) Große Anfrage der Abgeordneten Hans- jürgen Doss, Peter Rauen, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/CSU: Chancen des Mittelstandes in der glo- balisierten Wirtschaft (Drucksachen 14/3870, 14/4603) . . . . 15383 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirt- schaft stärken (Drucksache 14/5545) . . . . . . . . . . . . . . . 15383 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Kleinunterneh- mer-Hilfefonds effektiv organisieren und gesetzliche Voraussetzungen für eine Nachfolgeregelung schaffen (Drucksache 14/5559) . . . . . . . . . . . . . . . 15383 D Hansjürgen Doss CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15383 D Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15386 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15389 B Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15389 D Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15390 B Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15392 B Plenarprotokoll 14/158 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 158. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 I n h a l t : Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 15393 A Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 15394 A Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15395 B Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . 15395 C Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15398 A Helmut Holter, Minister (Mecklenburg-Vor- pommern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15398 D Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 15400 C Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15403 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15404 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15405 D Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 15406 B Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . 15407 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15408 D Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 15410 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15412 A Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 15414 B Tagesordnungspunkt 23: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung soldatenver- sorgungsrechtlicher und anderer Vor- schriften auf Euro (Elftes Euro-Ein- führungsgesetz) (Drucksache 14/5436) . . . . . . . . . . . . . 15415 D b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über Zusammenarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung betrieblicher Altersversorgung (Drucksache 14/5439) . . . . . . . . . . . . . 15416 A c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung auf Euro-Be- träge im Lastenausgleich und zur An- passung der LAG-Vorschriften (LAG- Euro-Umstellungs- und Anpassungs- gesetz – LAG-EUAnpG) (Drucksache 14/5440) . . . . . . . . . . . . . 15416 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Reinhard Weis (Stendal), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ILO-Übereinkommen über die soziale Betreuung der Seeleute ratifizieren (Drucksache 14/5247) . . . . . . . . . . . . . 15416 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 23) Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Prüfung der Umweltverträglichkeit den Erfordernis- sen einer modernen Umweltpolitik an- passen (Drucksache 14/5546) . . . . . . . . . . . . . . . 15416 B Tagesordnungspunkt 24: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europä- ischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichte- rung seiner Anwendung (Drucksachen 14/5011, 14/5563) 15416 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- trag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europä- ischen Auslieferungsübereinkom- mens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwen- dung (Drucksachen 14/5012, 14/5563) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften im land- und forstwirt- schaftlichen Bereich auf Euro (Fünftes Euro-Einführungsgesetz) (Drucksachen 14/4555, 14/5460) . . . . 15417 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Büttner (Schö- nebeck), Dr. Paul Krüger, weiterer Ab- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001II geordneter und der Fraktion CDU/CSU: Einsatz von Bildauswertungssyste- men bei der Rekonstruktion vorver- nichteter Stasi-Unterlagen (Drucksachen 14/3770, 14/5430) . . . . 15417 B d) Beschlussempfehlungen des Rechts- ausschusses: Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- ten Streitsachen vor dem Bundesver- fassungsgericht (Drucksache 14/5348) . . . . . . . . . . . . 15417 B e) – j) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 248, 249, 250, 251, 252, 253 zu Petitionen (Drucksachen 14/5468, 14/5469, 14/5470, 14/5471, 14/5472, 14/5473) 15417 C Tagesordnungspunkt 5: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1999 – Er- gebnis des forstlichen Umwelt- monitoring – – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion CDU/CSU zu der Unter- richtung durch die Bundesregie- rung: Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1999 – Ergebnis des forstlichen Umweltmonito- ring – (Drucksachen 14/3090, 14/3095, 14/4235) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15418 A b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Waldzustandsbericht der Bun- desregierung 2000 – Ergebnis des forstlichen Umweltmonitoring – (Drucksache 14/4967) . . . . . . . . . . . . 15418 B Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15418 B Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15419 D Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15421 C Marita Sehn F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15422 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 15424 B Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15425 A Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15426 C Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15428 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15429 C Siegfried Hornung CDU/CSU . . . . . . . . 15430 A Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dietrich Austermann, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Nachtragshaushalt zur Kor- rektur der Entwicklung der Bundesfi- nanzen vorlegen (Drucksache 14/5449) . . . . . . . . . . . . . . . 15431 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Sofort- maßnahmen zur Verbesserung des Ver- braucherschutzes und zur Unterstüt- zung der landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich (Drucksache 14/5544) . . . . . . . . . . . . . . . 15431 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 15431 B Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . 15434 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 15435 C Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . . . 15437 A Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . 15437 B Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 15437 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15439 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15439 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 15442 C Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15443 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15444 A Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15445 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15446 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15447 A Volker Kröning SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15447 A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 15447 D Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15448 D Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15450 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Konsequenzen aus der Tatsache, dass die deutsche Wirt- schaft ihren Beitrag zur Stiftung „Erin- nerung, Verantwortung und Zukunft“ noch nicht geleistet hat . . . . . . . . . . . . . 15452 C Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 15452 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 III Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15455 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15455 D Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15456 C Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15457 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15458 A Bernd Reuter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15459 B Martin Hohmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15460 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15460 D Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15461 C Dietmar Nietan SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15462 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 15463 B Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15464 B Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Qualitätssicherung und zur Stärkung des Verbraucherschutzes in der Pflege (Pflege- Qualitätssicherungsgesetz – PQsG) (Drucksache 14/5395) . . . . . . . . . . . . . . . 15465 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen in der Pflege (Pflege-Leistungs-Verbesse- rungsgesetz) (Drucksache 14/5547) . . . . . . . . . . . . . . . 15465 B in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Heimgesetzes (Drucksache 14/5399) . . . . . . . . . . . . . . . 15465 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Klaus Haupt, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion F.D.P.: Für ein akti- ves und mitbestimmendes Leben im Alter (Drucksache 14/5565) . . . . . . . . . . . . . . . 15465 C Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 15465 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15467 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15469 A Detlef Parr F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15470 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15471 A Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15471 D Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15473 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15474 D Klaus Haupt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15476 A Marga Elser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15477 C Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15478 D Arne Fuhrmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15479 C Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 15481 A Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Ende der Exklusivli- zenz für die Deutsche Post zum 31. De- zember 2002 (Drucksache 14/5333) . . . . . . . . . . . . . . . 15482 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15483 A Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 15484 B Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 15485 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15486 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15488 A Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15489 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15489 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 15490 C Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . 15492 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 15493 B Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Förderung der Hand- lungsfähigkeit zur zivilen Krisenpräven- tion, zivilen Konfliktregelung und Frie- denskonsolidierung (Drucksachen 14/3862, 14/5283) . . . . . . . 15493 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001IV Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15493 D Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15495 D Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15496 B Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15498 C Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15499 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15501 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Jugendgerichtsgesetzes (Drucksache 14/5014) . . . . . . . . . . . . . . . 15501 D Dr. Andreas Birkmann, Minister (Thüringen) 15502 A Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15503 D Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15505 A Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15506 A Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15507 A Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucherschutz, Er- nährung und Landwirtschaft (Drucksache 14/5543) . . . . . . . . . . . . . . . 15508 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucherfragen (Drucksache 14/5568) . . . . . . . . . . . . . . . 15508 C Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privat- rechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsver- kehr (Drucksachen 14/4987, 14/5561) . . . . 15508 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im ge- richtlichen Verfahren (Zustellungs- reformgesetz – ZustRG) (Drucksachen 14/4554, 14/5564) . . . . 15509 A Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Bun- desdisziplinarrechts (BDiszNOG) (Drucksachen 14/4659, 14/5529) . . . . . . . 15509 C Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 217 zu Peti- tionen (Drucksache 14/5256) . . . . . . . . . . . . . . . 15509 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15510 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15511 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ju- gendgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 11) Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15511 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Einsetzung eines Ausschusses für Verbrau- cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – Einsetzung eines Ausschusses für Verbrau- cherfragen (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatztagesord- nungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15512 C Ilse Janz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15512 C Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 15513 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 15514 C Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15515 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15515 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und an- derer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Ver- fahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) (Tagesordnungspunkt 13 a und b) . . . . . . . . . . 15515 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 V Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15516 A Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 15516 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15517 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15518 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15518 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15519 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts (BDiszNOG) (Tages- ordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15520 D Peter Enders SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15520 D Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15522 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15523 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P. . . . . . . . . 15524 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15524 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 15525 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Sammelübersicht 217 zu Petitionen (Verbot von politischen Parteien und Organisationen) (Tagesordnungspunkt 15) 15526 B Reinhold Hiller (Lübeck) SPD . . . . . . . . . . . 15526 B Martin Hohmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15527 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 15528 A Dr. Karlheinz Guttmacher F.D.P. . . . . . . . . . 15528 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15528 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15529 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 15510 (C)(A) 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15511 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 15.03.2001 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 15.03.2001** Binding (Heidelberg), SPD 15.03.2001 Lothar Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.03.2001 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 15.03.2001 Freitag, Dagmar SPD 15.03.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 15.03.2001 Peter Heinrich, Ulrich F.D.P. 15.03.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 15.03.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 15.03.2001 Irber, Brunhilde SPD 15.03.2001 Jäger, Renate SPD 15.03.2001 Klappert, Marianne SPD 15.03.2001 Lehn, Waltraud SPD 15.03.2001 Lietz, Ursula CDU/CSU 15.03.2001 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.03.2001 Ohl, Eckhard SPD 15.03.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 15.03.2001 Hans-Joachim Pieper, Cornelia F.D.P. 15.03.2001 Rachel, Thomas CDU/CSU 15.03.2001 Reichard (Dresden), CDU/CSU 15.03.2001 Christa Reiche, Katherina CDU/CSU 15.03.2001 Schily, Otto SPD 15.03.2001 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 15.03.2001 DIE GRÜNEN Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 15.03.2001 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 15.03.2001 Schröter, Gisela SPD 15.03.2001 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 15.03.2001 Dr. Seifert, Ilja PDS 15.03.2001 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 15.03.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 15.03.2001 DIE GRÜNEN Vogt (Pforzheim), Ute SPD 15.03.2001 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/ 15.03.2001 DIE GRÜNEN Wieczorek (Duisburg), SPD 15.03.2001 Helmut Wohlleben, Verena SPD 15.03.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 15.03.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der NordatlantischenVersammlung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Jugendgerichtsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 11) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Bundesratsinitiative zielt darauf ab, das Hauptprin- zip des Jugendstrafrechts, gewissermaßen das „Herz- stück“ des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), den Erzie- hungsgedanken, in seinem Kern zu schwächen. Bündnis 90/ Die Grünen lehnen diesen Entwurf deshalb mit aller Ent- schiedenheit ab. Die Einführung des beschleunigten Ver- fahrens, also eines „kurzen Prozesses“, in das JGG, wäre kriminalpolitisch und auch pädagogisch in hohem Maße unverantwortlich. Die Rückfallquote straffällig geworde- ner Jugendlicher würde nicht sinken, sondern sie würde wieder zunehmen. Das können wir nicht wollen. Dass die Strafe der Tat möglichst auf dem Fuße folgen soll, ist wünschenswert. Aber dieser Grundsatz gilt nicht uneingeschränkt, nicht um jeden Preis. Bereits im Erwachsenenstrafrecht begegnet das be- schleunigte Verfahren einer Reihe von ernst zu nehmen- den rechtsstaatlichen Bedenken. Werfen Sie nur einen Blick in die einschlägige Kommentarliteratur zu den §§ 417ff. der Strafprozessordnung! Eine Einführung aber entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht darüber hinaus in das JGG würde in kriminologischer Hinsicht einen Rückfall in längst vergangene Zeiten be- deuten. Irgendein Anlass hierzu besteht nicht; denn schon heute bietet bei Jugendlichen das so genannte verein- fachte Verfahren der §§ 76ff. JGG in geeigneten Fällen angemessene, zügige Reaktionsmöglichkeiten. Eine Rei- he von Sanktionen kommen dabei in Betracht, sogar ein vierwöchiger Dauerarrest als schwerste Sanktion. Im Jugendstrafverfahren muss die eingehende Würdi- gung der Persönlichkeit des beschuldigten Jugendlichen vollständig gewährleistet sein und auch im Vordergrund stehen, dies gerade auch deshalb, um durch geeignete Sanktionen eine nachhaltige erzieherische Einwirkung zu gewährleisten und den Jugendlichen von weiterer Straf- fälligkeit abzuhalten. Das flexible Instrumentarium des JGG ist ja gerade der maßgebliche Vorzug des Jugend- strafrechtes gegenüber dem Erwachsenenrecht! Mit diesem Schnellverfahrensgesetzentwurf würden diese Vorzüge abgebaut. Auch auf die immens wichtige Einbin- dung der Jugendgerichtshilfe, wie sie § 38 JGG vorsieht, müsste letztlich – auch wenn der Gesetzentwurf dies an- ders vorgibt – aus Zeitgründen verzichtet werden. Und nur um der Beschleunigung des Strafverfahrens willen propagiert der Entwurf sogar die Hauptverhandlungshaft für Jugendliche. Das ist ebenso unverantwortlich! Aus guten Gründen geht doch das geltende Jugend- strafrecht vom Grundsatz der Haftvermeidung (§§ 71, 72 JGG) aus. Nur unter strengen Voraussetzungen dürfen Jugendliche inhaftiert werden. Es ist doch hinlänglich be- kannt, dass das Gefängnis als die Schule des Verbrechens gilt. Und diese „Ausbildung“ gilt es den Jugendlichen doch möglichst vorzuenthalten. Meine Damen und Her- ren aus den Bundesländern, das muss doch auch in Ihrem Interesse liegen. Aber nicht nur die rot-grüne Koalition schüttelt bei die- sem rückwärts gewandten Entwurf, der unverkennbar die Handschrift eines unionsgeführten, konservativen Bun- deslandes – nämlich Thüringens – trägt, mit dem Kopf. Auch die Praktiker sind ja entsetzt. Entsetzt ist zum Bei- spiel die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen. Ihre Stellungnahme vom Novem- ber 2000 ist eine vernichtende Kritik der uns heute hier beschäftigenden Vorschläge. Ebenso entsetzt sind auch die Strafverteidigervereinigungen. Aus ihrer heutigen Presseerklärung möchte ich – die Genehmigung des Prä- sidenten vorausgesetzt – an dieser Stelle einmal zitieren: „Eine Realisierung des Gesetzentwurfes wäre kriminal- politisch eine Katastrophe und würde sich unter Präventi- onsgesichtspunkten als kontraproduktiv erweisen.“ Alle wundern sich zu Recht darüber, dass der Bundes- rat offenbar die einhellige Erkenntnis der jugendstraf- rechtlichen Praxis und der Wissenschaft nicht kennt oder nicht kennen will. Die lautet unzweifelhaft: Zur Bekämp- fung von Jugendkriminalität besteht kein Änderungs- bedarf im JGG. Im Gegenteil: Um angemessen sank- tionieren zu können, müssen Jugendgerichte und Staatsanwaltschaften endlich das geltende Recht aus- schöpfen. Das dies auch geht, haben gerade Urteile im Zusammenhang mit rechtsextremen Gewalttaten (Naum- burg und Rostock) gezeigt. Und was das in der Tat wich- tige Beschleunigungsgebot im Jugendstrafrecht anbe- langt: Verbesserungen in diesem Punkt schafft man in ers- ter Linie, indem man Organisationsabläufe in der Justiz überprüft und gegebenenfalls optimiert, und auch, indem man die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten verbessert. Letzteres wird Rot- Grün in einer umfassenden Strafprozessreform angehen! Die Arbeiten hierzu sind in vollem Gange. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft – Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucherfra- gen (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatzpunkt 9) Ilse Janz (SPD): Die F.D.P.-Fraktion beantragt die Einsetzung eines eigenständigen Verbraucherschutzaus- schusses – 26 Mitglieder, F.D.P.: 2. Hilfsweise beantragt sie die Erhöhung der Mitgliederzahl des neuen von uns heute einzusetzenden Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf insgesamt 39 Mitglie- der; die F.D.P. hätte dann 3 statt 2. Hintergrund für dessen Vorstoß der F.D.P. ist der – von mir nachvollziehbare – Wunsch, mit jeweils mehr Mitgliedern vertreten zu sein. Sie wissen, dass die Koalitionsfraktionen dieses Anlie- gen der F.D.P. nicht auf die leichte Schulter genommen haben. Auch deshalb ist die Einsetzung des Ausschusses im Plenum mehrfach verschoben worden, um diese Frage ausführlich zu prüfen und erörtern. Bei den Koalitionsfraktionen haben diese Abwägun- gen zu folgendem Ergebnis geführt: Erstens. Der Einsetzung eines eigenständigen Verbrau- cherschutzausschusses können wir nicht zustimmen. Wir sehen den Ausschusszuschnitt in Orientierung am Res- sortzuschnitt des neuen Ministeriums für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft als besonders ge- eignet an, um die begleitende parlamentarische Kontrolle in der Regierung in diesem Bereich zu gewährleisten. Es entspricht im Übrigen bewährter parlamentarischer Übung in diesem Haus, den Ressortzuschnitt auf Aus- schussebene nachzuvollziehen. Die Aufsplittung von Zuständigkeiten auf verschiedene Ausschüsse wäre mei- nes Erachtens dagegen kontraproduktiv. Im Übrigen – auch darauf möchte ich hinweisen – verfügt der 14. Deutsche Bundestag bereits über 23 ordentliche Ausschüsse, 5 Enquete-Kommissionen, einen Untersu- chungsausschuss sowie eine Vielzahl informeller Gre- mien, die die Mitglieder des Bundestages bereits jetzt in außerordentlich intensiver Weise binden. Dieser Aspekt wird gerade von den kleinen Fraktionen immer wieder be- klagt. Auch vor diesem Hintergrund ist die Einrichtung eines weiteren Bundestagsausschusses nicht sinnvoll. Und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115512 (C) (D) (A) (B) politisch ist es meines Erachtens nicht nur richtig, sondern notwendig, alle Themenbereiche in einem Ausschuss zu- sammenzuführen. Alles andere heißt zusätzliche AGs, zu- sätzliche Abstimmungen und zusätzliche Termine, die nicht erforderlich sind. Zweitens. Schließlich können wir auch ihrem weiteren Antrag nicht zustimmen. Mit der Erhöhung der Mitglie- derzahl im Verhältnis zur bisherigen Ausschussgröße des Agrarausschusses um acht Mitglieder und um acht stell- vertretende Mitglieder wird nach unserer Auffassung der erweiterten fachlichen Zuständigkeit in geeigneter Weise Rechnung getragen. Nach alledem bitte ich um Verständnis dafür, dass wir den Anträgen der F.D.P.-Fraktion nicht zustimmen können. Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Drei Anträge liegen vor. Erstens der Antrag der SPD: Um- benennung des Ausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh- rung und Landwirtschaft und Aufstockung auf 35 Mit- glieder. Zweitens der Antrag der F.D.P: Aufstockung die- ses Ausschusses auf 39 Mitglieder, was der F.D.P. ein drittes ordentliches Ausschussmitglied sichert. Drittens der Antrag der F.D.P. auf Einsetzung eines weiteren Aus- schusses für Verbraucherpolitik mit 26 Mitgliedern. § 62 der GO des Deutschen Bundestages definiert die Aufgaben der Ausschüsse: Die Ausschüsse sind vorberei- tende Beschlussorgane des Bundestages und haben die Pflicht, dem Bundestag bestimmte Beschlüsse zu emp- fehlen. Sie können sich mit anderen Fragen aus ihrem Ge- schäftsbereich befassen. Die Ausschüsse sind die Arbeitsgremien des Parla- mentes. Hier wird all das zurechtgeschliffen oder umge- modelt, was der Bundestag schließlich zum Beschluss er- heben kann oder wird. Die Ausschüsse sind die Arbeitsgremien des Parlamentes. Sie sind in der Regel in ihrem Geschäftsbereich einem Ministerium zugeordnet. Daraus ergibt sich auch der Name dieses neuen Aus- schusses, über den ich nicht streiten will, obwohl ich schon gerne gesehen hätte, dass der wichtigste Punkt im Namen, nämlich die Ernährung, nach vorne gestellt wor- den wäre und der Bereich Forsten nicht im Namen weg- gefallen wäre. Aber über den Namen zu streiten scheint mir heute müßig zu sein. Ernährung, Verbraucherschutz, Landwirt- schaft und Forsten wäre besser, sachgerechter, scheint aber nicht durchsetzbar zu sein. Wichtiger ist die Situation und meinetwegen auch der Streit über die Inhalte der Arbeit und über die Art der Ar- beit in diesem neuen, neu bezeichneten und ausgeweite- ten Ausschuss. Wir brauchen Sachverstand in diesem Ausschuss. Sachverstand kann in der Politik nicht scha- den, weder im Ausschuss, noch in der Regierung. Das gilt für alle Bereiche der Ausschussarbeit, für die Fragen der Ernährung, für Agrar- und Forstpolitik ebenso wie für die zusätzliche Aufgabe des Verbraucherschutzes. Nach BSE in Deutschland und jetzt nach der inzwi- schen verbundenen Debatte über BSE und MKS in Deutschland zeigt es sich, wie notwendig und wie ange- bracht es ist, die Diskussion über den Verbraucherschutz in diesen Bereichen als typische Querschnittsaufgabe zu betrachten und nicht getrennt von Fachleuten in einem Bereich mit Fachleuten aus dem anderen Bereich an un- terschiedlichen Orten zu führen. Der richtige Ort ist die Debatte im Ausschuss für Ernährung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Ernährungsfragen und Verbraucherschutz sind gemein- sam zu betrachten, wobei ihre Einordnung in politische Handlungsstrategien neu überdacht werden müssen. Die Verantwortung für diese Fragen muss gebündelt werden, obwohl oder vielleicht auch weil der Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe ist und bleibt. Was hat das politische Handeln zu Beginn der BSE- Krise ausgezeichnet? Das unkoordinierte Vorgehen der Bundesregierung war an Dummheit und Peinlichkeit, an nicht sachgerechten Entscheidungen und an fehlender Koordination nicht zu überbieten. Das hat zu Rücktritten zweier Minister geführt, zu einem neuen Zuschnitt von Ministerien und letztendlich zu neuen Aufgaben unseres Agrarausschusses. Die Bündelung des Verbraucherschutzes in Kombina- tion mit Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik ist zwei- felsohne notwendig. Aber der jetzige Zuschnitt ist im Ministerium absolut unzureichend, weil nicht alle we- sentlichen Verbraucherbereiche aus anderen Ressorts auf- genommen wurden. Ein Grund mehr, das beliebte Wort der Schröder-Regierung, nämlich „Nachbesserung“, wie- der einmal in den Mund zu nehmen. Wir brauchen im Verbraucherschutz Übersichtlichkeit, eindeutige Kompetenzen, eindeutige Ansprechpartner in der Regierung und somit auch im Parlament. Kaum ein Ausschuss – den Ausschuss für Angelegenheiten der Eu- ropäischen Union ausgenommen – hat wohl so viele Ein- zelpunkte, Verordnungen, Richtlinien, Berichte aus euro- päischer Verwaltung, Parlament und Gesetzgebung zu bearbeiten wie der Agrarausschuss. Das liegt in der Natur der Sache. Kein Bereich ist so europäisiert wie die Agrar- politik. Auch deswegen ist der Verbraucherschutz im Hin- blick auf den Binnenmarkt der EU bei diesem Ausschuss gut aufgehoben, weil auch der Verbraucherschutz nicht als nationale Aufgaben sondern in diesem Binnenmarkt als europäische Aufgabe gesehen werden muss. Nach Maastricht ist der Verbraucherschutz in den Rang einer echten Gemeinschaftspolitik gehoben worden. Nationale Alleingänge, auch von neuen Ministerinnen, denen man am Anfang der Arbeitszeit noch einige Un- kenntnis und mangelndes Fachwissen verzeihen mag, lau- fen gegen die Wand und führen unzweifelhaft zu nicht aufholbaren Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Wirtschaft und die deutsche Landwirtschaft. Und sie bringen null Komma nichts für den Verbraucherschutz. Wettbewerbsverzerrungen, aber kein bisschen Verbrau- cherschutz bringen die unterschiedlichen Regelungen beim Schnelltest für Tiere ab 24 Monate, beim Milchaus- tauscher und beim Fischmehl im Schweinefutter. Verbraucherschutz, diese Querschnittsaufgabe, gebün- delt zusammen mit der Agrarpolitik, die sich zweifels- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15513 (C) (D) (A) (B) ohne weiterentwickeln wird und muss, ist in diesem neuen Ausschuss gut aufgehoben. Die Arbeit dieses Ausschus- ses wird immer mehr von der Öffentlichkeit beobachtet. Wir nehmen diese neuen Aufgaben gerne an. Wir erwar- ten aber auch eine bessere Transparenz und Offenheit in der Zusammenarbeit zwischen dem Ausschuss und dem entsprechenden Ministerium. Dazu gehören Berichte über Verbraucherschutzmaß- nahmen ebenso wie organisatorische Veränderungen und Erweiterungen bei den zuständigen Behörden wie zum Beispiel beim Bundesinstitut für gesundheitlichen Ver- braucherschutz und Veterinärmedizin. Dazu gehört aber auch mehr Respekt vonseiten des Ministeriums gegen- über dem Ausschuss. Nicht der Vorsitzende des Agraraus- schusses des Europäischen Parlaments gehört bei einem Besuch der Schweiz in die Delegation, sondern Mitglie- der des Deutschen Bundestages. Bei allem neuen Denken, bei aller neuer Organisation dürfen aber die Belange der Agrarpolitik nicht zu kurz kommen. Unsere Bauern haben ebenso wie die Ernährungsbranche in Deutschland ein Anrecht darauf, nicht auf dem Altar der planwirtschaftlichen Vorgaben aus dem Bundeskanzleramt oder des neuen Ministeriums ge- opfert zu werden. Ganz gleich, ob 2, 5 oder auch 20 Pro- zent ökologischer Produktion in Deutschland – die Bau- ern und die Ernährungswirtschaft haben ein Anrecht auf wettbewerbsfähige Bedingungen bei der Arbeit und Pro- duktion in Deutschland. Die Agrarpolitik, die Politik für Bauern, darf kein Nebenprodukt in der Arbeit unseres Ausschusses werden, sie muss weiterhin an einer zentra- len Stelle stehen. Wir wollen die Agrarpolitik auf europäischer Ebene so weiterentwickeln, dass sie einer von Bauern getragenen nachhaltigen Landwirtschaft eine Perspektive bietet und eine ausreichende Einkommensentwicklung ermöglicht. Sie soll auch weiterhin den Verbrauchern gesundheitlich einwandfreie und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu günstigen Preisen zur Verfügung stellen. Sie soll Konflikte zwischen den unterschiedlichen Nutzungsan- sprüchen im ländlichen Raum vermindern. Sie soll stand- ortangepasste Landnutzung und artgerechte Tierhaltung absichern und die Kulturlandschaft als wesentlichen Teil unserer Heimat erhalten. Natürlich muss aufgrund der neuen Aufgaben auch die Größe des Ausschusses verändert werden. Das gilt übri- gens auch für die Verwaltung dieses Ausschusses. Vier Mitarbeiter im Ausschuss – mehr haben wir nicht, die leisten die ganze Arbeit: der Ausschuss-Sekretär Herr Kehrhahn, Herr Güth, Frau Rostoski und Frau Oehlmann – haben in den letzten Monaten viel mehr geleistet und ge- arbeitet, als ihre Tarifverträge verlangen. Und auch meine persönlichen Mitarbeiterinnen – Frau Eickhorst und Frau Häger – sind in diese Arbeit mit eingebunden. Sie haben geleistet, ohne zu klagen. Aber das kann nicht so weiter- gehen. Wir brauchen eine Aufstockung der Zahl der Mitarbeiter. Wir erwarten von der Verwaltung, dass Aus- schusssaal und Büros nach dem Umzug in das Paul-Löbe- Haus der neuen Situation angepasst werden. Im Ausschuss geht es ebenso wie in der Landwirtschaft nicht um Klasse statt Masse. Wir brauchen Masse mit Klasse. Aber die Arbeit muss auch von den Kolleginnen und Kollegen kontinuierlich geleistet werden können. Deshalb ist mir als Vorsitzender ein Ausschuss mit 35 Mit- gliedern, die auch einigermaßen kontinuierlich anwesend sind, lieber als mit 39, bei denen laufend einige fehlen, weil andere Arbeiten in Fraktionen oder anderen Aus- schüssen zu erledigen sind. Allerdings verstehe ich das Anliegen der F.D.P., den dritten Sitz im Ausschuss haben zu wollen. 39 Mitglieder bedeutet aber auch bei den 23 Ausschüssen eine Summe vom 720 Mitgliedern in allen Ausschüssen bei 668Abge- ordneten im Bundestag. Ein zusätzlicher Ausschuss mit 26 Mitgliedern würde die Zahl auf 746 erhöhen. Das ist mit dem Anspruch an ordentliche Arbeit nicht zu vereinbaren. Auch deshalb lehnen wir den Antrag auf einen zusätzlichen Ausschuss ab. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden heute die Einsetzung des Ausschusses für Ver- braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft be- schließen. Dieser wird den bisherigen Landwirtschafts- ausschuss ersetzen. Somit wurde die Umstrukturierung des alten Agrarministeriums zum neuen Ministerium für „Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ auch durch den Bundestagsausschuss nachvollzogen. Und das ist gut so. Der jetzige Ausschuss hat in den ver- gangenen Jahrzehnten mit Sicherheit wertvolle Arbeit im Deutschen Bundestag geleistet. Aber er hat auch Veränderungen in unserer Gesellschaft bezüglich der Ernährung, dem Wunsch der Verbraucher nach frischen, gesunden Lebensmitteln und dem stärkeren Schutz von Natur und Umwelt zu wenig aufgegriffen. Deshalb ist eine Umstrukturierung auch vor dem Hintergrund der BSE-Krise notwendig und bietet für die Ausschussarbeit neue Entwicklungsperspektiven. Ich glaube, dass die schwierige Aufgabe, Agrarpolitik zum Wohle der Verbraucher und der Landwirte zu ent- wickeln, spannend wird und auch frischen Wind in die manchmal etwas filzige Arbeit bringt. Herr Carstensen von der CDU meinte zwar, dass die neue Agrarpolitik mit Renate Künast in Brüssel gegen die Wand gelaufen ist, aber erstens: Wenn ich so zu Frau Künast hinüberblicke, kann ich keinerlei Blessuren an ihr erkennen. Zweitens: Wenn die Vorgänger von Frau Künast in der Tür stecken geblieben sind, hat das die Po- litik nicht gerade weitergebracht. Wir werden also mit dem neuen Ausschuss die vor uns liegenden Aufgaben anpacken. Dabei sollten wir auch neue Wege gehen, um unsere Arbeit zu verbessern, mehr Transparenz herzustellen und auch die Möglichkeit neuer Kommunikationsformen zu nutzen. Die Anträge der F.D.P., den Ausschuss aufzustocken oder einen extra Ausschuss zu gründen, halte ich nicht für zielführend. Ich glaube nicht, dass ein Ausschuss desto besser arbeitet, je größer er ist. Und auch ein Ausschuss, der nicht einem Ministerium zugeordnet ist, sondern zwi- schen zwei Stühlen sitzt, wäre nicht sachgerecht, wenn wir den Verbraucherschutz wirklich voranbringen wollen. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag und Ausschuss zu, dann können wir uns an die Arbeit machen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115514 (C) (D) (A) (B) Gudrun Kopp (F.D.P.): In unserem Land gibt es einen Riesenbedarf an sachgerechter Verbraucherpolitik, und zwar jenseits von Agrarkrisen. Lebensmittelsicher- heit, Gesundheit, Datenschutz im Internet, Wettbewerbs- fragen, Ladenschluss – Verbraucherpolitik ist eine Quer- schnittsaufgabe, der diese Regierung umfassend gerecht werden muss. Vor diesem Hintergrund war es eine kapitale Fehlent- scheidung von Bundeskanzler Schröder, die Verbraucher- politik willkürlich beim Agrarministerium zu bündeln. Will Turbo-Ministerin Künast tatsächlich für alle bereits genannten Problemfelder kompetent zuständig sein? – Das geht schief. Wie schief, das haben wir gerade erlebt mit der Forderung der Grünen – ausdrücklich unterstützt von Frau Künast – nach einer Versicherungsabgabe zur Finanzierung der Stiftung Warentest. Die Verbraucher werden wieder einmal missbraucht als Melkkühe der Grü- nen. Nach Ökosteuer, geplanter Fleischabgabe und Zwangspfand wollen sie nun diese neue Quersubvention. Welch ein Verbraucherverständnis! Fehler Nummer zwei ist die mangelnde Transparenz der Aufteilung von Zuständigkeiten für Verbraucher- fragen. Was fehlt, ist eine eindeutige Organisationsent- scheidung dieser Bundesregierung. Klar ist lediglich: Lei- denschaftslos, ja sogar bereitwillig hat Bundeswirt- schaftsminister Müller seine Zuständigkeit für Verbrau- cherpolitik an das neue Verbraucher- und Agrarministe- rium abgegeben. Schon dort wurden Verbraucheranliegen eher unwillig bearbeitet. Nun, im neuen Verbrauchermi- nisterium, wird es dem Verbraucherschutz kaum besser ergehen: Schon Minister Müller hatte die Finanzierung der Stiftung Warentest bis zur Existenzbedrohung herun- tergekürzt. Besseres – das erwähnte ich bereits – ist auch im neuen Verbraucherministerium nicht zu erwarten. Fehler Nummer drei ist die Absicht von Rot-Grün, den Agrarausschuss lediglich umzubenennen und personell aufzustocken. Klarer kann die Regierungskoalition nicht zu erkennen geben, dass es ihr mit dem umfassenden Ver- braucherschutz nicht wirklich ernst ist. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert deshalb heute die Gründung eines eigenständigen Ausschusses für Ver- braucherpolitik. Dieses Anliegen unterstützt im Übrigen auch die AgV und vor kurzem noch forderten auch die Grünen einen solchen eigenständigen Ausschuss. Inzwi- schen hören wir dazu nichts mehr. Ministerin Künast ist in dieser wichtigen Frage schlicht abgetaucht. Kersten Naumann (PDS): Eine katastrophale Krise macht erst jetzt möglich, was jahrelang vernachlässigt und sogar abgebaut wurde: Der Verbraucherschutz ist in den Mittelpunkt von Politik, Medien und Gesellschaft gerückt! Die Bündelung der Belange der Verbraucher war überfällig, denn sie unterstehen mehr denn je den Aus- wirkungen des globalisierten Marktes. Gerade mit der weiteren Vergesellschaftung aller Le- bens- und Ernährungsbereiche werden Verbraucher- und Gesundheitsschutz immer wichtiger. Sie sind durch den Staat als Regulativ zwischen wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Interessen zu leisten. Aus den Erfahrungen und Ereignissen der letzten Jahre heraus kann der neue Ausschuss seiner Verantwortung ge- genüber dem Verbraucher nur gerecht werden, wenn An- hörungen grundsätzlich öffentlich gestaltet werden, wenn eine unbürokratische Koordinierung und Zusammen- arbeit zwischen den neuen und alten Abteilungen des BMVEL, dem Ausschuss und dem angekündigten Bun- desamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit stattfindet und wenn es dabei wirklich gelingt, das Vor- sorgeprinzip walten zu lassen und den Verbraucher vor- beugend schützt, bevor Gefahr im Verzuge ist. Es bleiben jedoch die Zuständigkeiten für das Lebens- mittel „Wasser“ aber auch die Boden- und Lufthygiene sowie die Zuständigkeit für Strahlenschutz beim Gesund- heits- bzw. Umweltministerium. Wenn man den Verbraucherschutz wirklich ernst nähme, wäre eine eigenständige, unabhängige Behörde für Verbraucherschutz auf Bundesebene mit Kontroll- funktion und Weisungsrecht in unserer Vorstellung die beste Lösung. Unser Anliegen ist es nicht, den bürokrati- schen Wasserkopf noch weiter aufzublähen. Es geht aber um die Trennung von Fachpolitik und Verbraucherschutz. Wie soll denn eine Behörde, die die Interessen der ge- samten Bandbreite der Agrarwirtschaft und Ernährungs- industrie vertritt, auch gleichzeitig den Schutz des Ver- brauchers im Auge haben? Oftmals liegen die Interessen mehr als konträr. Das wird auch auf unseren Ausschuss re- flektieren. Ein brisanter Streit scheint schon jetzt bevorzustehen. Frau Künast unterliegt zwar die Federführung bei der grünen Gentechnik und ihr untersteht auch das Bundes- sortenamt, aber für die Genehmigung der Freisetzung von GVO ist nach wie vor das RKI zuständig. Das unterliegt jedoch dem Gesundheitsministerium. Den Ansatz der F.D.P. für einen weiteren ständigen Ausschuss für Verbraucherpolitik halten wir deshalb für richtig. Jedoch müsste die unabhängige Behörde, die alle Fragen des Verbraucherschutzes und -rechts zusammen- führt, Voraussetzung dafür sein. Die neue Struktur des Mi- nisteriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft halten wir für eine aktionistische, halbherzige und damit die zweitbeste Lösung. Den Verbrauchern ist also nur zu wünschen, dass durch die neuen Strukturen im Ministerium wie im Ausschuss der Verbraucherschutz tatsächlich zum Schutz der Ver- braucher führen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Form- vorschriften des Privatrechts und anderer Vor- schriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr – Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustel- lungsreformgesetz – ZustRG) (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15515 (C) (D) (A) (B) Christine Lambrecht (SPD): Hinter diesen Ge- setzestiteln verbirgt sich ein entscheidender Durchbruch in der Anpassung unseres Rechtssystems an die Erforder- nisse moderner Technik. Die Entwicklung der elektroni- schen Datenverarbeitung, die Möglichkeiten, via Internet in Sekundenschnelle über den ganzen Erdball zu kommu- nizieren, hat unsere Lebens- und Arbeitswelt in großem Umfang verändert. Längst ist es üblich, auch einen großen Teil des Schriftverkehrs über das Netz abzuwickeln, und dies im privaten Bereich, in der Arbeitswelt und auch – soweit bisher zulässig – im Rechtsverkehr. Nur die Rechtssicherheit in diesem Bereich bestand bislang nicht in ausreichendem Maße. Selbst der Einsatz von Faxgeräten hat bisher in einer rechtlichen Grauzone stattgefunden, was die Funktion eines Faxes als Urkunde und gültige Willenserklärung angeht. Es ist Zeit, dass die mittlerweile zum Alltagsleben gehörenden elektronischen Kommunikationsmittel im Rechtsverkehr auf eine solide rechtliche Basis gestellt werden. Und es wird auch Zeit, dass im Rechtsgeschäfts- verkehr bürokratische Vorschriften, die zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammen, fallen, wenn sie unnötig sind, und die Vereinfachung und Beschleunigung, die uns die neue Technik bietet, zum Einsatz kommt. Das vorlie- gende Gesetzesvorhaben ist seit zehn Jahren überfällig und es ist gut, dass es nun endlich umgesetzt wird. Im Kern geht es darum, der im § 126 BGB vorgesehe- nen Schriftform eine Option zu einer elektronischen Form hinzuzufügen. Um diese für den Rechtsverkehr sicher zu machen, wird eine qualifizierte elektronische Signatur ge- schaffen. Grundlage dafür ist das Signaturgesetz. Mit die- ser Signatur wird ein Zertifikat geschaffen, das von einer zuverlässigen Zertifizierungsstelle vergeben wird. Damit wird die Identität und die Authentizität einer in elektroni- scher Form übermittelten Erklärung für den Empfänger erkennbar. Der Absender wiederum hat die Sicherheit, dass niemand an seiner statt eine solche Erklärung abge- ben kann. Die elektronische Form soll eine gleichwertige Alternative an den Stellen werden, an denen das Gesetz eine schriftliche Form verlangt. Die elektronische Signa- tur wird analog zu einer Unterschrift angesehen werden. Wir sind aus diesem Grund auch der Überzeugung, dass es darüber hinaus keiner besonderen Neuregelung der Anfechtbarkeit von elektronisch übermittelten Wil- lenserklärungen bedarf. Die bereits bestehenden gesetzli- chen Regelungen und die von der Rechtsprechung ent- wickelten Auslegungskriterien reichen hierfür unserer Auffassung nach aus. Zum anderen wird die Textform in den allgemeinen Teil des BGB eingestellt. Sie wird unabhängig von der elektronischen Form eingeführt. Einzeltatbestände unter- schriftsloser Form gibt es schon im geltenden Recht. Mus- terfall ist hierfür § 8 MHG als Modell für die Textform. In der zwanzigjährigen Praxis des § 8 MHG gab es keine Probleme durch den Verzicht auf die eigenständige Un- terschrift. Kein einziges gerichtliches Verfahren ist be- kannt, für das die fehlende Unterschrift ursächlich war. Die Textform ist keine einfache Nachbildung dieser Be- stimmung. Es muss die handelnde Person unmissver- ständlich erkennbar sein, die Erkennbarkeit des von der nicht unterschriebenen Erklärung erfassten Inhaltes gege- ben sein und die Erklärung muss in Schriftzeichen lesbar sein. Die Öffnung für die Textform erfolgt nur in ausge- wählten Sachverhalten, wenn Manipulationsinteressen Dritter nicht bestehen. In keinem Fall wird ein Schriftfor- merfordernis für einen Vertragsschluss durch die Text- form ersetzt. Darüber hinaus werden endlich die elektro- nischen Pforten zu den Gerichten eröffnet. Wenn ich als Anwältin derzeit bei Gericht eine Klage einreichen will, sieht der Vorgang nach derzeit geltendem Recht folgendermaßen aus: Die Klageschrift muss in drei- facher Ausführung eingereicht werden: einmal als Origi- nal, einmal als beglaubigte, gestempelte Kopie, einmal als normale Kopie. Das wird in Zukunft nicht mehr nötig sein. In Zukunft kann die Klageschrift als Dokument mit der entsprechenden Signatur mit einer E-Mail verschickt werden, wenn die entsprechende Ausstattung bei den Ge- richten vorhanden ist. Das ist nicht nur eine Erleichterung für Anwälte, sondern auch für Zeugen und Sachverstän- dige. Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit der EG-Richtlinie über gemeinschaftliche Rahmenbedingun- gen für elektronische Signaturen und nimmt bereits die Umsetzung der EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vorweg und er ist kompatibel mit inter- nationalen Regelungswerken für den elektronischen Datenverkehr. Wir stehen mit diesem Gesetz also mit an der Spitze für verbindliche, sichere Regeln zur Anwen- dung elektronischer Kommunikation im Rechtsverkehr, aber auch in der Wirtschaft. Ich bitte Sie, diesem Gesetz zuzustimmen und seine Umsetzung zu befördern. Denen unter Ihnen, die diesem Vorhaben skeptisch gegenüber stehen, weil sie den neuen Kommunikationsformen nicht trauen, sei gesagt: Sehen Sie in dieser Technik nicht in erster Linie die Risiken, son- dern die Chancen, die darin stecken. Deshalb wollen wir diesen Bereich politisch gestalten, was wir mit diesem Gesetz tun. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Wir behandeln heuten in zweiter und dritter Lesung die von der Bundes- regierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vor- schriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr sowie zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtli- chen Verfahren. Letzteres, also das Zustellungsreformgesetz, hat im Rechtsausschuss die Zustimmung aller Fraktionen gefun- den. Der Entwurf macht es künftig möglich, die Mittel der modernen Bürokommunikation und die Telekommunika- tionstechnik für die Ausführung förmlicher Zustellungen im gerichtlichen Verfahren zu nutzen. Künftig ist die Zu- stellung an Adressaten, denen ein Schriftstück gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann, auch mit- tels Telefax oder als elektronisches Dokument, E-Mail, möglich. Diese Neuerung trägt den gewandelten Lebens- verhältnissen Rechnung und vereinfacht die gerichtliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115516 (C) (D) (A) (B) Zustellung, ohne die gebotene Rechtssicherheit zu beein- trächtigen. Auch die Beschränkung der Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post für den Fall, dass die Einlegung in einen Briefkasten nicht möglich ist, stellt eine be- grüßenswerte Vereinfachung der Zugangsregelung dar, ebenso wie die Möglichkeit, dass der Zustellungsemp- fänger eine Person seines Vertrauens zur Entgegennahme eines zuzustellenden Schriftstückes bevollmächtigen kann. Begrüßenswert ist auch die Vereinheitlichung des ge- richtlichen Zustellungsverfahrens, das künftig nicht nur für die ordentlichen Gerichte, sondern auch für die Ver- waltungs-, Sozial- und Finanzgerichte gelten soll. Was das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften angeht, muss ich dazu sagen, dass dieses nicht die unge- teilte Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion findet. Zu be- grüßen ist die Einführung einer mit qualifizierter elektro- nischer Signatur nach dem Signaturgesetz versehenen Willenserklärung in elektronischer Form mit dem neuen § 126 a BGB. Damit wird der Bedeutung und raschen Ausdehnung der elektronischen Kommunikation im täg- lichen Leben für immer mehr Menschen, besonders natür- lich im Wirtschaftsleben, Rechnung getragen. Diese Neuerung liegt auch auf der Linie des Beschlusses der Justizministerkonferenz vom Juni 1999. Was die Einführung der so genannten Textform angeht, bleiben wir bei unserer ablehnenden Haltung. Der Bun- desrat hat zutreffend festgestellt, dass die Textform gerade nicht in die Systematik der im Privatrecht geltenden Formvorschriften passt und bezeichnet sie als „qualifi- zierte Formlosigkeit“. Ich möchte es noch deutlicher sa- gen: Die Textform ist eine Scheinformvorschrift, die nur Verwirrung und neue Probleme schaffen wird. Einen Vor- geschmack darauf hat das erste Berichterstattergespräch vermittelt: Die heillose Verwirrung, die nach einer Stunde zwischen den Anwesenden – allesamt Fachleute – darüber herrschte, was überhaupt mit der Textform gemeint sei, sollte eigentlich allen klarmachen, dass es besser ist, da- rauf zu verzichten. Zu viele Manipulationsmöglichkeiten werden eröffnet. So muss zwar die handelnde Person unmissverständlich erkennbar sein. Wie passt aber dazu, dass keinerlei Ge- währ besteht, dass der Text auch tatsächlich von der an- gegebenen Person stammt? Was soll eigentlich im Kern mit der Textform juristisch Relevantes wirklich verkör- pert sein? Letztlich ist meines Erachtens Information das Einzige, was durch die Einhaltung der Textform vermit- telt wird, ohne dass allerdings eine Gewähr für die Rich- tigkeit der Information und für die Authentizität des Tex- tes besteht. Auch der Haupteinwand des Bundesrates ist, dass hier eine Pseudoformvorschrift geschaffen werden soll, die gerade keine Formvorschrift ist. Die „Textform“ soll den Rechtsverkehr erleichtern, was jedoch gerade nicht der Fall sein wird, da durch sie selbst vielfältige neue Pro- bleme geschaffen werden, mit denen sich die Gerichte auseinander zu setzen haben werden. Auf die Gerichte wird eine Flut von Streitfällen zukommen, was ja wohl nicht der Sinn einer Gesetzesänderung sein kann, die die Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet gerade besei- tigen will. Dokumentationsanforderungen können nur erfüllt werden, wenn man sich auf das Dokumentierte auch ver- lassen kann, was bei der „Textform“ gerade nicht der Fall ist. Der Rechtsverkehr wird hingegen sachgerecht er- leichtert, wenn auf Massenunterschriften in geeigneten Fällen verzichtet wird. Ein Änderungsbedürfnis ist in in- dividuell geprägten Konstellationen dagegen schlicht und einfach nicht erkennbar. Ein Wort zu dem Vorwurf der Inkonsequenz, der dem Bundesrat gemacht wird: Wenn der Bundesrat die Text- form ablehnt, aber das Regelungsmodell des § 8 MHG für elektronisch erstellte oder übermittelte Erklärungen insoweit als verallgemeinerbar ansieht, als auf die Unter- schrift verzichtet werden kann, so ist das gerade keine Textform, sondern der Verzicht auf eine bestimmte Form. Wir bleiben also dabei: Die Textform wird keine Ver- einfachung bringen, sondern Verwirrung schaffen und neue Probleme aufwerfen. Aus diesem Grund haben wir im Rechtsausschuss eine gesonderte Abstimmung über den geplanten § 126 b BGB, der die Textform regelt, be- antragt und diesen abgelehnt. Da der Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit aber überwiegend begrüßenswerte Neuerungen enthält, vor allem die Einführung der elek- tronischen Form, stimmen wir dem Entwurf insgesamt zu. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Heute werden das altehrwürdige BGB und die ZPO den Errungenschaften der digitalen Welt angepasst. Die mit dem Internet bereitstehenden Möglichkeiten der Kommunikation machen diese Reaktion des Gesetz- gebers unaufschiebbar. Denn wie wir alle miterleben kön- nen, hat die mit rasender Geschwindigkeit fortschreitende Technisierung der privaten Haushalte dazu geführt, dass sich auch die Lebensgewohnheiten der Menschen verän- dert haben. Insbesondere das Verhalten im privaten Rechtsverkehr hat sich deutlich gewandelt. Der Compu- ter macht es möglich, eine Vielzahl von Rechtsgeschäften ohne direkten Kontakt mit dem Vertragspartner abzu- schließen. Die Nutzung des Computers hat dabei zu einem sorgloseren und unkritischeren Verhalten der Menschen geführt, was den Abschluss von Verträgen angeht. Die Annahme des Vertragsangebotes per Mausklick fällt man- chem eben doch erheblich leichter, als seine Unterschrift unter ein körperlich existierendes Schriftstück zu setzen. Darum war es dringend geboten, die Formvorschriften im BGB dem modernen Rechtsgeschäftsgebahren der Be- völkerung anzupassen. Das Schriftformerfordernis behin- dert einen zügigen Vertragsabschluss durch den rationalen Einsatz moderner Kommunikationstechnik. Darum führt der vorliegende Gesetzentwurf als Option zur Schriftform die elektronische Form in das BGB ein. Die eigenhändige Unterschrift wird dabei durch die elektronische Signatur ersetzt. Nebenbei handelt es sich um ein Verfahren, dass zugleich ein Mehr an Rechtssicherheit im Rechtsverkehr bedeutet. Denn die Fälschung einer Unterschrift ist um ein Vielfaches leichter als das Entschlüsseln einer elektroni- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15517 (C) (D) (A) (B) schen Signatur, die den Anforderungen des Signaturge- setzes entspricht. Zu dieser Erkenntnis bin auch ich erst durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema ge- langt. Mit der so genannten Textform wird ein gegenüber der Schriftform erleichtertes Formerfordernis eingeführt. Für bestimmte Fälle, in denen der Beweis- und Warn- funktion der Schriftform ohnehin kaum Bedeutung zu- kommt, ist es zukünftig ausreichend, die Abfassung in lesbaren Schriftzeichen zu erbringen und auf die Unter- schrift zu verzichten. Mit diesen Änderungen wird das seit über 100 Jahren geltende BGB für den modernen Rechts- verkehr fit gemacht. Außerdem erhoffe ich mir, dass durch die Diskussionen zu dem Thema eine stärkere Be- wusstseinsbildung der „Internetgeneration“ in Gang ge- setzt wird, was die später unter Umständen erforderliche Beweisbarkeit von Rechtshandlungen angeht. Es freut mich in meiner Funktion als Obmann der Grü- nen im Petitionsausschuss natürlich besonders, dass es nicht zuletzt Petitionen waren, die dem Gesetzesvorhaben auf die Sprünge geholfen haben. In ihnen wurde wieder- holt auf Schwierigkeiten bei der Anwendung einzelner Zustellungsvorschriften hingewiesen. Darum war es ein Anliegen von Rot-Grün, die modernen Kommunikations- möglichkeiten auch für das gerichtliche Zustellungsver- fahren nutzbar zu machen. Die Geschäftsstelle hat nun die Möglichkeit, zwischen mehreren Zustellungsformen aus- zuwählen. Durch den Einsatz von Telefax und E-Mail wird die Zustellung durch das Gericht vereinfacht und da- mit erheblich kostengünstiger möglich sein. Insbesondere die kostenaufwendige und für den Adressaten oftmals umständliche beurkundete Zustellung durch Niederle- gung soll, soweit vertretbar, vermieden werden. Ich freue mich, dass der Rechtsausschuss bei diesem Thema die Re- formziele einvernehmlich begrüßt hat. Rainer Funke (F.D.P.): Die modernen Kommunika- tionsmittel nehmen immer größeren Einfluss auf unser tägliches Lebens. Es kann daher auch nicht verwundern, dass unser Geschäftsverkehr, aber auch die Formvor- schriften des Privatrechts und die Fragen der Zustellun- gen im gerichtlichen Verfahren immer mehr durch die elektronische Form geprägt werden. In Zukunft sollen die Zustellungen im gerichtlichen Verfahren auch auf dem Wege der Fernkopie – Telefax – oder als elektronisches Dokument – E-Mail – möglich sein. Wir haben uns im Rechtsausschuss und in Berichter- stattergesprächen konzentriert auf das Gesetz zur Anpas- sung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr. Wenig haben wir uns beschäftigt mit dem Zustellungsre- formgesetz, obwohl insbesondere die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer und zahlreiche wissen- schaftliche Stellungnahmen, auch aus der Praxis, eigent- lich eingeladen hätten zur intensiveren Auseinanderset- zung. Ursache dieser – hoffentlich nicht sträflichen Vernachlässigung – ist die Bereitschaft der Berichterstat- ter, die Verfahren bei förmlichen Zustellungen in gericht- lichen Verfahren zu vereinfachen und die modernen tech- nischen Entwicklungen stärker zu nutzen. Wir werden sehr genau beobachten, ob diese von uns gewählten For- men von der Praxis angenommen werden, vor allem, ob sie reibungslos funktionieren. Sollten hier Schwierigkei- ten entstehen, sollten wir kurzfristig auch bereit sein, uns zu korrigieren. Intensiver haben wir uns mit den Fragen der Anpas- sung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr beschäftigt. Dabei standen vor allem die Überlegungen über die Vorschriften der §§ 126 a und 126 b des Bürger- lichen Gesetzbuches über die erweiterte Einführung der „Textform“ im Vordergrund. Über diese Bestimmungen ist im Rechtsausschuss gesondert abgestimmt worden. Die Einführung der Textform als verkehrsfähige Form, die den Rechtsgedanken zur unterschriftslosen Erklärung zusammenfasst, begegnete großer Skepsis. Ich selbst habe Zweifel, ob dieser § 126 b einen wirklichen Nutzen darstellt. Aber er wird wohl auch nicht schaden. Auch hier gilt, was ich schon zur Reform des Zustellungsreformge- setzes gesagt habe: Wir sollten nach angemessener Frist vorurteilslos prüfen, ob die vorgenommene Anpassung der Formvorschriften von den am Rechtsverkehr beteilig- ten Personen angenommen wird, vor allem, ob schwer- wiegende Mängel auftauchen wie etwa beim Gesetz zur angeblichen Beschleunigung fälliger Zahlungen. Hinzu kommt, dass gerade bei den Formvorschriften des Privatrechts neue Techniken Anwendung finden, die wir heute noch gar nicht kennen. Die Kommunikations- technologie hat sich in den letzten Jahren so rasant ent- wickelt, dass wir davon ausgehen können, dass uns neue Entwicklungen zu weiteren Gesetzesnovellen zwingen. Gerade wegen der modernen Techniken müssen wir bereit sein, bisherige Entscheidungen erneut auf den Prüfstand zu stellen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS):Unsere Justiz hat einen er- heblichen Modernisierungsbedarf. Deshalb ist jeder Ver- such zu begrüßen, der es sich zum Ziel setzt, den beste- henden Rechtsverkehr zeitgemäß, das heißt schnell und unkompliziert, aber auch sicher abzuwickeln. Die Durch- dringung des Rechts- und des Gerichtssystems mit den Mitteln der elektronischen Datenverarbeitung sowie die Nutzung des Internets dürfen nicht hinter der Entwick- lung in der Wirtschaft und auch der öffentlichen Verwal- tung zurückbleiben. Doch das alles soll nicht um der Mo- dernität willen geschehen. Die Herausforderungen der Informationsgesellschaft hinsichtlich der Anwendung moderner Technologien im Zivilprozess und in anderen Verfahren müssen letztlich den Bürgerinnen und Bürgern nutzen. Das sollte das entscheidende Kriterium für die umfassende Anwendung der Computertechnik sein. Moderne Technologien haben deshalb auch im Zivil- prozess eine dienende Funktion bei der Verwirklichung von Gerechtigkeit und Rechtsfrieden durch gerichtliche Entscheidungen zu erfüllen. Bekanntermaßen tragen ins- besondere die bestehenden Formvorschriften des BGB den Entwicklungen des modernen Rechtsverkehrs immer weniger Rechnung. Die Verbesserung der Kommunikati- ons-, Dokumentations- und Informationsmöglichkeiten bei Wahrung der prozessualen Grundrechte ist daher – auch mit dem Blick über Deutschland hinaus – ein drin- gendes Gebot. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115518 (C) (D) (A) (B) Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesre- gierung unternimmt einen wichtigen Schritt in diese Rich- tung. Darüber besteht sehr weitgehend Einigkeit – mit ei- ner Ausnahme: der so genannten Textform. Wenn die Regierungskoalition nun einschätzt, dass es zwar anfäng- lich Skepsis gegenüber der Textform gegeben habe, man nun aber davon überzeugt sei, sie dem Rechtsverkehr als Option anzubieten – so noch einmal nachzulesen im Be- richt des Rechtsausschusses –, dann darf man gespannt sein, wie dieses Angebot in der Praxis angenommen wird, oder bessert welche Probleme es uns bringen mag. Nicht nur der Bundesrat hat hier bekanntlich Beden- ken. Wenn sich von 40 kontaktierten Verbänden nur zwölf mit einer Stellungnahme gemeldet und letztlich neun zu- gestimmt haben, dann ist dieses Ergebnis nur relativ über- zeugend. Und dass die Arbeitsgemeinschaft der Verbrau- cherverbände scharfe Kritik an der Einführung der so genannten Textform übt und sie für entbehrlich und sogar schädlich hält, ist wenig beruhigend. Abgesehen von der Gefahr ihrer spurenfreien Manipulierbarkeit, kann sie we- der eine Beweis- noch eine Warnfunktion erfüllen. Wer- den aber die mit Formzwängen verfolgten Ziele nicht er- reicht, dann ist die Einführung einer Textform entbehrlich. Es ist zu befürchten, dass die Textform zu Konflikten im praktischen Rechtsleben und damit zu ver- mehrten Rechtsstreitigkeiten führt, da die Zuordnung ei- ner nicht signierten elektronischen Erklärung zum Ur- heber nicht das gewährleistet, was Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist. Der Erklärungsempfänger darf aber nicht dort geschwächt werden, wo es im gleichen Umfang wie bisher möglich ist, ihm durch die Schriftform die Ge- wissheit zu geben, dass er es tatsächlich mit einer Er- klärung eines dazu Berechtigten zu tun hat. Am Ende bleibt mir nur noch, das Zustellungsreform- gesetz zu begrüßen. Die einschlägigen Änderungen der Zivilprozessordnung dürften in der Tat das Verfahren bei förmlicher Zustellung im gerichtlichen Verfahren verein- fachen und den gewandelten Lebensverhältnissen anpas- sen. Vor allem die elektronische Übermittlung von Doku- menten, versehen mit einer elektronischen Signatur gegen die unbefugte Kenntnisnahme Dritter, dürfte zu einer er- heblichen Erleichterung im Rechtsverkehr führen. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Handel im Internet, vor einigen Jahren noch kaum vorstellbar, wird heute für immer mehr Menschen zur Normalität. Dies ist ein, wie ich finde, besonders ein- drucksvolles Beispiel dafür, wie schnell neue Informati- ons- und Telekommunikationstechnologien die Gesell- schaft verändern. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die neuen Möglich- keiten der rasch fortschreitenden Technik moderner Kom- munikationsmittel aufzugreifen und das Recht zeitgemäß zu gestalten. Mit dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts vollziehen wir einen weiteren längst überfälligen gesetzgeberischen Schritt zur dringend erfor- derlichen Modernisierung der Justiz. 100 Jahre blieben die Formvorschriften des BGB un- verändert. Kernstück unserer bestehenden Formvor- schriften ist und bleibt die Schriftform, die, wie jeder Jurist weiß, als die Verwendung der eigenhändigen Un- terschrift definiert wird. Damit ist bisher von vornherein ausgeschlossen, dass formgebundene Erklärungen durch Telefax oder E-Mail übermittelt werden. Durch das vorliegende Gesetz schaffen wir nunmehr erstens die gesetzgeberischen Voraussetzungen, um elek- tronischen Signaturen die gleichen Rechtswirkungen wie einer handschriftlichen Unterschrift im Privatrecht zuzu- erkennen, und zwar so, dass jeder weiß, was auf ihn zu- kommt, wenn er sie verwendet. Die technische Grundlage hierfür stellt das Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen auf, das der Bundestag ja vor vier Wochen bereits verabschiedet hat. Dort erfolgt die technische und logistische Ausgestaltung der Signaturen. Das BGB greift diese Vorgaben des Signaturgesetzes auf und stellt diese so genannten qualifizierten elektroni- schen Signaturen mit der handschriftlichen Unterschrift funktional gleich. Dies bedeutet, dass die elektronische Form vom Gesetzgeber als gleichwertiges Alternativ- angebot zur bisherigen Schriftform eingeführt wird. Ich betone, weil dieser Punkt in den Beratungen immer wie- der angesprochen wurde: nur als Angebot, nicht als zwin- gende gesetzliche Anordnung. Niemand wird durch das Gesetz gezwungen, elektronische Signaturen gegen sei- nen Willen zu verwenden. Daneben wird zweitens durch den Gesetzentwurf eine Textform als verkehrsfähige Form in den Allgemeinen Teil des BGB eingestellt. Dabei handelt es sich, salopp gesagt, um eine Schriftform ohne Unterschrift. Durch den Verzicht auf die eigenhändige Unterschrift wird es mög- lich, die Erklärung neben der Übermittlung als normalen Brief auch zum Beispiel durch Telefax bzw. E-Mail zu übermitteln. Zur Textform hat es in den Beratungen sowohl im Bun- desrat als auch im Bundestag Nachfragen gegeben, wenn- gleich es mich freut, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion trotz ihrer kritischen Haltung zur Textform dem Gesetzentwurf insgesamt im Rechtsaus- schuss zugestimmt und damit ein, wie ich finde, auch rechtspolitisch wichtiges Signal gesetzt haben. Lassen Sie mich aber an dieser Stelle noch einmal zwei Aspekte, die mir besonders wichtig sind, hervorheben: Erstens. Wir erfinden mit der Textform nichts Neues. Unterschriftslose Erklärungen gibt es schon seit vielen Jahren an ganz verschiedenen Stellen im Zivilrecht. Das Musterbeispiel sind die Miethöheerklärungen nach § 8 Miethöhegesetz, MHG, die bei automatischer Erstellung ohne eigenhändige Unterschrift erstellt werden können und seit über 20 Jahren keinerlei nennenswerte Probleme in der Praxis hervorrufen. Zweitens. Die Feststellung, dass die Textform nicht in gleicher Weise eine Warn- und Beweisfunktion wie die Schriftform erfüllen kann, ist für sich genommen natür- lich richtig. Aber dieser Einwand greift nicht, weil die Textform gerade das ja auch überhaupt nicht leisten soll. Der Gesetzentwurf öffnet nämlich nur solche Tatbestände Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15519 (C) (D) (A) (B) für die Textform, in denen es vor allem darauf ankommt, dass der Empfänger etwas Lesbares vor sich hat, das er in Ruhe nachvollziehen kann. Wer den Gesetzentwurf prüft, wird feststellen, dass es sich typischerweise um einseitige Erklärungen im Rahmen von bestehenden Vertragsver- hältnissen oder Informationspflichten bei der Geschäfts- anbahnung etwa im bank- und börsenrechtlichen Bereich handelt. In diesen Fällen kommt der eigenhändigen Unterschrift des Ausstellers gerade kein besonderer Mehrwert zu. Die eigenhändige Unterschrift ist in diesen Fällen vielmehr ein unnötiges Erschwernis und Nichtig- keitsrisiko. Lassen Sie mich nun zu einem weiteren wichtigen Punkt kommen. Mit dem Gesetzentwurf wird auch der elektronische Zugang zu den Gerichten geschaffen. Das heißt, Klageschriften und bestimmte andere Schriftsätze sollen in Zukunft auch in elektronischer Form bei Gericht eingereicht werden können. Damit soll die Justiz endlich Anschluss an moderne Kommunikationsmittel finden, was auch wesentlich dazu beitragen wird, dass die Ar- beitsabläufe effizienter werden, sodass die Richterinnen und Richter entlastet werden und mehr Zeit haben, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren, die Ver- fahren zügiger geführt werden können und die Schritte für die Bürgerinnen und Bürger vereinfacht werden. Das soll möglichst bald geschehen – wenn es nach uns geht. Auch das gehört zur Modernisierung der Justiz, die wir ent- schlossen vorantreiben. Aber ich weiß natürlich, dass es noch einige Zeit dauern wird, um die Gerichte und sons- tigen Justizeinrichtungen mit der nötigen EDV auszurüs- ten. Und deshalb sehen wir vor, dass der Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden können, und die dabei einzuhaltende Form vom Bund und den Ländern jeweils für ihren Bereich durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Mit der elektronischen Einreichung von Schriftstücken bei Gericht ist aber nur die eine Seite der so genannten modernen E-Justiz abgedeckt. Mit dem Beschluss über das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren haben wir jetzt auch die recht- lichen Grundlagen für die andere Seite geschaffen. Dieses Gesetz vereinfacht das seit etwa 100 Jahren in seinen Grundzügen nahezu unveränderte gerichtliche Zu- stellungsverfahren und passt es den gewandelten Lebens- verhältnissen an. Das Gesetz eröffnet insbesondere Mög- lichkeiten, die Mittel der modernen Bürokommunikation und die Telekommunikationstechnik für die Ausführung förmlicher Zustellungen im gerichtlichen Verfahren zu nutzen. So kann an Adressaten, denen ein Schriftstück ge- gen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann, künftig dieses Schriftstück auch als Fernkopie, Telefax, oder als elektronisches Dokument, E-Mail, zugestellt werden. Da- durch kann die gerichtliche Zustellung – ohne Beein- trächtigung der gebotenen Rechtssicherheit – vereinfacht und der derzeit noch erhebliche Verwaltungsaufwand be- trächtlich verringert werden. Ein wesentliches Anliegen des Entwurfs ist der sichere und zügige Zugang des zuzustellenden Schriftstücks an den Adressaten. Deshalb ist unter anderem vorgesehen, die aufwendige, für den Betroffenen umständliche und nicht selten mit zusätzlichem Aufwand verbundene Er- satzzustellung durch Niederlegung bei der Post spürbar zu verringern. Künftig soll das zuzustellende Schriftstück in den zu der Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt werden können, wenn der Adressat nicht angetroffen wird und die Übergabe in der Wohnung an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen Mitbewohner nicht möglich ist. Im Übrigen soll der Zustellungsempfänger auch die Möglichkeit erhalten, eine Person seines Vertrauens, beispielsweise seinen Wohnungsnachbarn, zur Entgegen- nahme eines zuzustellenden Schriftstücks zu bevoll- mächtigen. Damit kann er gerade bei längerer Ab- wesenheit von der Wohnung Vorsorge treffen, um von den Wirkungen einer Zustellung nicht überrascht zu werden. Ein grundsätzliches Anliegen des Entwurfs ist auch die Vereinheitlichung des gerichtlichen Zustellungsverfah- rens, das künftig für die ordentlichen Gerichte und die Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte gelten soll. Da- durch wird die Zustellungspraxis erleichtert und die Vo- raussetzung dafür geschaffen, dass moderne Kommuni- kationsmedien auch und insbesondere für die Zustellung in den Fachgerichtsbarkeiten genutzt werden können. Und ein letzter Punkt: Auch für Zustellungen im Aus- land ist durch die vorgesehene unmittelbare Zustellung durch die Post eine spürbare Vereinfachung des Zu- stellungsverfahrens zu erwarten; für den europäischen Bereich hoffen wir bald neue Rechtsgrundlagen zu haben. Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit diesem Paket, das ich Ihnen hier in seinen Grundzügen vorgestellt habe, vollziehen wir einen wesentlichen Schritt zur Vereinfa- chung und Modernisierung unserer Rechtsordnung, so- wohl im Privatrechtsverkehr als auch bei der Einschal- tung der Justiz. Ich bitte Sie daher herzlich, die Bundesregierung auf diesem Weg, der in unser aller Inte- resse liegt, zu unterstützen und diesen beiden Gesetzent- würfen Ihre Zustimmung zu erteilen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts (Bdisz- NOG) (Tagesordnungspunkt 14) Peter Enders (SPD): Erstens. Zu Beginn meiner Rede möchte ich den öffentlichen Dienst in seiner Ge- samtheit als einen sehr wichtigen und positiven Standort- faktor hervorheben. Es hört sich aber immer ganz leicht an, nach Recht und Gesetz zu verfahren. Wenn man aus- ländische Investoren nach Vergleichen fragt, hört man, dass in Deutschland Anträge gründlich – für manche zu gründlich – geprüft werden; die Entscheidungen sind aber im Normalfall nachvollziehbar. Der öffentliche Dienst ist in seiner Gesamtheit der größte Arbeitgeber in Deutschland. Da verwundert es nicht, dass es Mitarbeiter gibt, die sich nicht korrekt ver- halten. Dies reicht vom Fehlverhalten am Arbeitsplatz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115520 (C) (D) (A) (B) über das Nichtbeachten von Erlassen, grob fahrlässige fehlerhafte Ermessensentscheidungen, privates Fehlver- halten mit dienstlicher Ausstrahlung bis hin zur Korrup- tion und damit zur Begehung von Straftaten. Zweitens. Ein differenzierter Sanktionsmechanismus gehört zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Die Sanktionen sollten zeitnah und nach Möglichkeit bei Bund und Ländern einheitlich sein. Drittens. Gegenwärtig unterscheidet man bei Bundes- beamten ein nicht-förmliches Verfahren, an dessen Ende voraussichtlich ein Verweis bzw. eine Geldbuße steht, von einem förmlichen Verfahren, bei dem ein besonderer Un- tersuchungsführer behördenintern, unter Einschaltung des Bundesdisziplinaranwaltes, BDiA, ermittelt. Wenn Anschuldigungen und Beweise erheblich sind, leitet der BDiA beim Bundesdisziplinargericht, BDiG, ein förmli- ches Disziplinarverfahren ein. Allerdings braucht das BDiG die Zeugen nicht neu zu vernehmen, da im förmli- chen Verfahren die Untersuchung durch einen für das Richteramt qualifizierten Untersuchungsführer durchge- führt wurde. Sowohl der Betroffene als auch der BDiA können im Rahmen der Berufung zum Bundesverwal- tungsgericht gehen. Hier hat ein oberstes Gericht im Rah- men der Berufung Tatsachen zu würdigen, was normaler- weise nicht seine Aufgabe ist. Am ärgerlichsten ist es bisher, wenn Verfahren, bei denen ein Staatsanwalt ermit- telt, völlig ausgesetzt werden und sich die Disziplinar- maßnahme extrem in die Länge zieht. Im Übrigen ver- weisen Fachleute sowie Dienstvorgesetzte auf die hohen formalen Anforderungen, die dazu führten, dass Gerichte Verfahren für Außenstehende völlig unverständlich ein- stellten. Viertens. Insgesamt ist die alte Bundesdisziplinarord- nung unübersichtlich und unstrukturiert. Lassen Sie mich an dieser Stelle die Autoren des vorliegenden Gesetzent- wurfes ausdrücklich loben. Alle sind sich darüber einig, dass der Rechtsanwender nun ein systematisches und gut strukturiertes Gesetz vor sich hat. Der Gesetzentwurf sieht, entsprechend unserem Verständnis von Modernisie- rung von Verwaltung, zahlreiche Maßnahmen zur Entlas- tung der Gerichte und zur Beschleunigung von Verfahren vor. Er sieht auch die Abschaffung des Bundesdisziplinar- anwaltes und des Bundesdisziplinargerichtes vor. Der Ge- setzentwurf beinhaltet aber auch eine Heilbarkeit von Formfehlern im gerichtlichen Disziplinarverfahren. Des- halb ist davon auszugehen, dass Dienstvorgesetzte, die die Formalien des bisherigen Verfahrens scheuten, in Zu- kunft bei unkorrektem Dienstverhalten härter durchgrei- fen werden. Fünftens. Zur Entlastung der Gerichte führt die Erwei- terung der Sanktionsbefugnisse für Dienstvorgesetzte, die in Zukunft laufende Gehaltskürzungen verhängen kön- nen. Dies entspricht auch weitestgehend dem Vorgehen in der Wirtschaft. Die Anzahl der Verfahren wird stark ver- mindert. Ebenso führt die Verminderung der diszipli- narisch zu verfolgenden Tatbestände aus dem privaten Bereich zu einer Entlastung der Gerichte. Eine Be- schleunigung von Verfahren, „damit die Strafe schneller auf dem Fuße folgt“, erwarten wir durch die Einschrän- kung des bisherigen stringenten Aussetzungszwanges. Es kann nicht angehen, dass durch Prozessverschleppungen Dritter Verfahren, zum Beispiel bei Korruption, bei denen die Schuld des Beamten frühzeitig feststeht, unvertretbar in die Länge gezogen werden. Außerdem werden verfah- rensbeschleunigende Fristen – §§ 4 und 62 – eingeführt bei gleichzeitiger Festlegung der konkreten Folgen der Fristversäumnisse. Dies gilt sowohl für den Beamten als auch für den Dienstherrn. Sechstens. Ich will mich nun Einwendungen von drit- ter Seite zuwenden. Da die Anzahl der Verfahren voraus- sichtlich erheblich zurückgehen wird, ist die Eigenstän- digkeit eines Spezialgerichtes, hier des BDiG, infrage zu stellen. Ich darf darauf verweisen, dass der Jahresbericht 2000 des Bundesdisziplinaranwaltes ausweist, dass es insgesamt nur 81 Fälle von Dienstentfernung, Aberken- nung des Ruhegehalts und Degradierung gibt. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob man Spezi- algerichte will. Wir wollen in Zukunft Disziplinarverfah- ren von Verwaltungsgerichten durchführen lassen, die aber in die Zuständigkeit der Länder fallen. Hauptaufgabe von Verwaltungsgerichten ist es, Verwaltungshandeln zu überprüfen. Das Disziplinarrecht ist Teil des Beamten- rechts; dieses gehört zweifelsfrei zum Verwaltungsrecht. Im Übrigen werden Streitigkeiten eines Bundesbeamten zum Beispiel mit seiner Beihilfestelle schon heute vor den Verwaltungsgerichten verhandelt. Bei Landesbeamten ist ein Antrag auf Dienstentfernung bzw. Zurückstufung be- reits heute beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die Übertragung von gerichtlichen Disziplinarverfah- ren gegen Bundesbeamte, vor allem solche Verfahren, an deren Ende Zurückstufung bzw. Dienstentfernung stehen soll, auf die Verwaltungsgerichte der Länder wird mehr Gerechtigkeit vor Ort bringen, zum Beispiel in dem Fall, wenn ein Polizist, der Landesbeamter ist, und ein BGS- Beamter des gleichen Deliktes beschuldigt werden. Da das Bundesverwaltungsgericht demnächst auch im Diszi- plinarrecht Revisionsgericht wird, besteht die Möglich- keit, dass die Länder ihrerseits in ihren landesrechtlichen Verfahren das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls als Revisionsinstanz vorsehen. Dies hat zur Folge, dass eine einheitliche Revisionsrechtssprechung für Bundes- und Landesbeamte entstehen kann. Die Disziplinarkammern bei Verwaltungsgerichten und die Disziplinarsenate bei Oberverwaltungsgerichten bestehen bereits heute für die Landesbediensteten. Mit wesentlichen Mehrkosten der Länder ist nicht zu rechnen, da – wie vorhin schon ausgeführt – mit wenig Fällen von Bundesbeamten vor den Verwaltungsgerichten zu rech- nen ist. Außerdem stimme ich der Stellungnahme der Bundesregierung in ihrer Antwort auf den Bundesrat zu, dass die Vorteile, Standort für eine Bundesbehörde zu sein mit den begrenzten Mehrkosten, in Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren zu sehen sind. Das Gegenargument, es wird wenig aus dem behördli- chen Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht landen, überzeugt nicht. Sicher gibt es keinen dem für Vergehen im Straßenverkehr geltenden Bußgeldkatalog adäqua- ten Katalog für Geldbußen und Gehaltskürzungen. Es bleibt beim klassischen verwaltungsrechtlichen Ablauf: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15521 (C) (D) (A) (B) Bescheid, Widerspruch, Klage, Berufung bzw. Revision falls zugelassen. Meines Erachtens sollte die beim BMI anzusiedelnde Servicestelle nicht nur die Verwaltungsgerichtsurteile sam- meln, sondern sich auch einen Überblick über Strafen im behördlichen Verfahren erstellen. Darauf, dass die Geld- bußen für ein vergleichbares Fehlverhalten für Bundesbe- amte der gleichen Berufsgruppe nicht zu weit auseinander gehen, werden die Berufsverbände schon aufpassen. Siebtens. Auch wird kritisiert, dass die Verfahren bei Verwaltungsgerichten länger dauern als beim BDiG. Allerdings sagen Durchschnittswerte über Verfahrens- dauer nichts aus. Zusätzlich muss man beachten, dass BDiA und BDiG personell gut ausgestattet sind. Insoweit vergleicht man hier Äpfel mit Birnen. Das vorliegende BDG regelt den Vorrang dieser Verfahren bei den Verwal- tungsgerichten. Achtens. Welche Auswirkungen wird das neue Verfah- ren auf den sensiblen Bereich der Korruptionsbekämp- fung haben? Es wurde behauptet, weil der BDiA und das BDG wegfallen, sei eine Kontrolle der Exekutive nicht mehr möglich. Dabei wurde unterstellt, dass der BDiA Korruptionsfälle auch aufdeckt. Diese Behörde hat mei- ner Kenntnis nach jedoch keinen einzigen Korruptionsfall aufgedeckt. Wenn Korruptionsverdacht gegeben ist bzw. dieser mit Hilfe der unabhängigen Presse bekannt geworden ist, kann kein Behördenleiter bzw. Dienstvorgesetzter mehr wegsehen. Ich habe darauf hingewirkt, dass im §17 BDG die eigentliche Selbstverständlichkeit hineingeschrieben wurde, „... dass jeder Dienstvorgesetzte bei Verdacht ei- nes Dienstvergehens die Dienstpflicht hat, ein Verfahren einzuleiten ...“. Jeder höhere Dienstvorgesetzte und die oberste Dienstbehörde haben im Rahmen ihrer Aufsicht sicherzustellen, dass die oben genannte Dienstpflicht auch eingehalten wird. Auch eine Einstellung unterliegt strengen Regularien, sodass in der heutigen Medienwelt jeder Vorgesetzte, insbesondere oberste Dienstvorge- setzte, davon ausgehen muss, dass „nichts einfach unter den Teppich gekehrt werden kann“. Und das ist gut so. Viel wichtiger bei der Korruptionsbekämpfung ist, pro- phylaktisch vorzugehen, wie zum Beispiel Anti-Korrupti- onsabteilungen zu schaffen, Vorsorge an korruptionsan- fälligen Arbeitsplätzen zu treffen, das Rechnungswesen mithilfe von Kennziffern so aufzubauen, dass zumindest gravierende Ungereimtheiten auffallen. Insoweit ist der jeweils oberste Dienstvorgesetzte ein Anwalt des Bundes in Disziplinarangelegenheiten. Neuntens. Vergessen wir nicht die betroffenen Beam- ten. Wie bereits ausgeführt wurde, ist eine alte Forderung verwirklicht worden. Es werden weniger Tatbestände aus dem privaten Bereich eines Beamten dienstlich zusätzlich geahndet. Bislang dürfte neben der Verhängung einer Strafe durch das Strafgericht nur ein Verweis nicht ver- hängt werden. Künftig ist es gemäß § 14 auch verboten, zusätzlich eine disziplinarrechtliche Geldbuße zu verhän- gen. Der Grundgedanke lautet: Außerdienstliche Verge- hen interessieren dann, wenn das private Fehlverhalten Zweifel an einem korrektem dienstlichen Verhalten auf- kommen lässt. Ich denke hier an einen wegen Trunkenheit verurteilten Auto fahrenden BGS-Beamten, der dienstlich Streife fährt. Dagegen ist ein Warenhausdiebstahl eines BGS-Beamten – so verwerflich er auch ist – im Normal- fall dienstlich ohne Nachteil. Allerdings bleibt es dabei: Bei Urteil in Strafsachen von über einem Jahr folgt zwingend Entfernung aus dem Dienst. Außerdem wies ich schon auf die Möglichkeit von Landesbeamten hin, in Zukunft euch bis zum Bundesverwaltungsgericht zu kommen. Das neue BDG sieht die Möglichkeit eines Beistandes – dies kann ein Personalratsmitglied sein – schon im behördlichen Verfahren vor. Falls keine Disziplinarverfü- gung erlassen wird, kommt es zur Kostenerstattung durch die Behörde, zum Beispiel für Anwälte. Da während eines Disziplinarverfahrens in der Regel keine Beförderung stattfindet, ist es richtig, dass der betreffende Beamte gemäß § 62 BDG auch aufs Tempo drücken kann. In ei- nem behördlichen Disziplinarverfahren, das nicht inner- halb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder Erhebung der Diszipli- narklage abgeschlossen wurde, kann der betreffende Be- amte bei dem Gericht eine Fristsetzung zum Abschluss des Verfahrens beantragen. Die Verbände weisen darauf hin, dass durch die Zu- nahme der Entscheidungsmöglichkeiten auf unmittelbare Dienstvorgesetzte mehr Möglichkeiten des Missbrauchs entstehen. Hier vertraue ich starken Personalräten. Zehntens. Alles in allem ist mit dem Gesetz die Mög- lichkeit gegeben, schneller und möglichst vor Ort Fehl- verhalten zu ahnden, gleichzeitig die Rechte der vor allem unschuldig verdächtigten Beamten zu stärken, ohne im Kampf gegen Korruption nachzulassen. Ich bitte um Zu- stimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf in der Fas- sung des Innenausschusses. Meinrad Belle (CDU/CSU):Mit dem heute in zweiter und dritter Lesung zu verabschiedenden Gesetz zur Neu- ordnung des Bundesdisziplinarrechtes soll nicht eine Reform einzelner Bestandteile, sondern eine komplette Gesetzesreform realisiert werden. Umfassende verfah- rensrechtliche und institutionelle Veränderungen sollen das Disziplinarrecht effektiver und kostengünstiger ma- chen und gleichzeitig den rechtsstaatlichen Standard der betroffenen Beamten verbessern. Der Aufbau des Gesetzes wird klarer strukturiert und damit die Anwendung erleichtert. Dazu erfolgt unter an- derem eine Trennung zwischen behördlichem und ge- richtlichem Disziplinarverfahren. Ferner gibt es beim behördlichen Verfahren einen Verzicht auf die Unter- scheidung zwischen „nicht förmlichen“ und „förmlichen“ Verfahren. Stattdessen wir es ein einheitliches und damit schnelleres Verfahren geben, bei dem die Ermittlungen des Sachverhalts im Vordergrund stehen. Das Ermitt- lungsergebnis ist dann Grundlage sowohl für den Erlass einer Disziplinarverfügung als auch für die Eröffnung ei- ner Disziplinarklage beim Verwaltungsgericht. Darüber hinaus soll das Verfahren beschleunigt werden durch Fris- tenverkürzung und Straffung der Verfahrensabläufe. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115522 (C) (D) (A) (B) Zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren und auch zur Reduzierung der Zahl der gerichtlichen Verfah- ren wird die Stärkung der Stellung des Dienstvorgesetzten führen. Er erhält zusätzlich die Befugnis zur Verhängung von Gehalts- und Pensionskürzungen um maximal 20 Prozent. Gleichzeitig wird ihm aber auch die Dienst- pflicht auferlegt, ein Disziplinarverfahren dann einzu- leiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens recht- fertigen. Der höhere Dienstvorgesetzte und die oberste Dienstbehörde haben im Rahmen ihrer Aufsicht die Er- füllung dieser Dienstpflichten sicherzustellen. Die gerichtlichen Disziplinarverfahren werden künftig auf die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit übertra- gen; damit wird auch der dreistufige Instanzenzug einge- führt sowie eine einheitliche Revisionsinstanz für Bun- des- und Landesdisziplinarverfahren geschaffen. Daraus folgt die Abschaffung von Bundesdisziplinaranwalt und Bundesdisziplinargericht. Die Vorarbeiten zu diesem Gesetzentwurf haben be- reits in der letzten Legislaturperiode – noch zu unserer Regierungszeit – begonnen. Eine Bund-Länder-Arbeits- gruppe hatte bereits 1997/98 gemeinsame Standards für ein neues Disziplinarrecht erarbeitet. Die neue Bundes- regierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben diese Vorarbeiten inhaltlich und konzeptionell nahezu un- verändert in den heute zu verabschiedenden Gesetzent- wurf übernommen. Daher wird dieser Entwurf auch von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mitgetragen. In den ausführlichen Beratungen wurde insbesondere die Abschaffung von Bundesdisziplinargericht – 33 Be- troffene – und Bundesdisziplinaranwalt – 24 Betroffene – durch die Übertragung auf die Verwaltungsgerichtbarkeit intensiv diskutiert. Bei unserem zustimmenden Votum hat unter anderem auch eine Rolle gespielt, dass die Verwal- tungsgerichte auch bisher schon für die Disziplinar- verfahren gegen Landesbeamte zuständig sind. Hinzu kommt, dass die Zahl der Disziplinarverfahren insgesamt durch den bei den privatisierten Unternehmen Bahn, Post, Telekom und Postbank weiterhin vorgenommenen Perso- nalabbau rückläufig ist. In den letzten fünf Jahren wurden durch Entscheidungen der Disziplinargerichte jährlich weniger als 500 Verfahren erledigt. Wie bereits erwähnt, ist durch die erweiterte Zuständigkeit der Dienstvorge- setzten von einem weiteren Rückgang auszugehen. Auch das Argument, dass die Korruptionsbekämpfung durch das neue Disziplinarrecht erschwert würde, konnte uns bei der Beratung nicht überzeugen. Nach dem Jahres- bericht 1999 hatte der Bundesdisziplinaranwalt im Schnitt der Jahre von 1995 bis 1999 gerade einmal jähr- lich zwölf Korruptionsfälle zu bearbeiten. Zusammenfassend stelle ich fest, dass wir uns im Vor- feld, aber auch während der Ausschussberatungen sehr in- tensiv mit der Neuregelung des Disziplinarrechtes be- schäftigt haben. Dies führte im Innenausschuss und auch heute bei der abschließenden zweiten und dritten Lesung zur Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das bestehende Disziplinarrecht ist reformbedürf- tig. Neben dem Bundesrecht besteht eine Vielzahl unter- schiedlicher Länderregelungen, mit dem Entwurf existiert ein Modell auch für die Länder. Etliche Länder haben be- reits Übernahmebereitschaft signalisiert. Weiter ist das geltende Disziplinarrecht unübersichtlich aufgebaut und in verfahrensrechtlicher Hinsicht oft nicht praktikabel. So finden sich beispielsweise Regelungen zum gerichtlichen Verfahren zwischen den Vorschriften zum behördlichen Verfahren. Der nun vorliegende Entwurf ist geeignet, diese Pro- bleme zu beseitigen und das Verfahren dort hinzuführen, wo es hingehört: Das Verfahren wird als beamtenrechtli- ches Verwaltungsverfahren ausgestaltet. Gerichtliche Dis- ziplinarverfahren werden vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen; damit einher geht die Abschaffung des Bun- desdisziplinargerichts als eigenständiges Gericht. Damit können auch Kosten eingespart werden. Der Rechtsweg wird vereinheitlicht nach den in der Verwaltungsgerichts- barkeit üblichen Grundsätzen: Erste Instanz Verwaltungs- gericht, Zweite Instanz OVG, Revision beim Bundesver- waltungsgericht. Besonders wichtig ist aber, dass durch diese Neukonzeption erstmals eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung im Disziplinarrecht erreicht werden kann, weil den Ländern über § 187 Abs. 1 der Verwaltungsge- richtsordnung ermöglicht wird, das Bundesverwaltungs- gericht als Revisionsinstanz zu bestimmen, so dass sowohl für Bundes- als auch für Landesbeamte eine einheitliche Revisionsinstanz mit einheitlichen Maßstäben entstehen kann. Die derzeitige Bindung des Disziplinarrechts an das Strafprozessrecht ist nicht mehr zeitgemäß, es geht ja nicht um strafrechtliche Sanktionen – die eventuell paral- lel von der Staatsanwaltschaft eingeklagt werden kön- nen –, sondern um beamtenrechtliche Fragen. Diese sind nach der allgemeinen Systematik des Gesetzes nach dem Verwaltungsverfahrensrecht und dem Verwaltungspro- zessrecht zu behandeln, sodass durch die Neuordnung des Disziplinarrechts der Eindruck eines Sonderstrafrechts für Beamte aufgehoben wird. Zuletzt noch einige Bemerkungen zu der mit der Re- form verbundenen Abschaffung der Institution des Bun- desdisziplinaranwalts. Dieser ist entsprechend der Neure- gelung entbehrlich. Soweit insbesondere ein Verband die Aufrechterhal- tung zur Bestechungsbekämpfung erachtet hat, können mich dessen Argumente nicht überzeugen. Ist ein Dienst- vergehen zugleich eine Straftat, ist für strafrechtliche Er- mittlungen ohnedies auch der Staatsanwalt zuständig. Um sicherzustellen, dass bei Anlass auch tatsächlich ein Dis- ziplinarverfahren eingeleitet wird, wurde das Legalitäts- prinzip dahin gehend konkretisiert, dass der Dienstvorge- setzte ein Disziplinarverfahren einzuleiten hat, wenn Anhaltspunkte hierfür bestehen. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Neuordnung des Disziplinarrechts in der Praxis bewähren wird. Es wurde ein effektives, kostensparendes Instrumentarium geschaf- fen, dass zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15523 (C) (D) (A) (B) führen wird, ohne seine Wirksamkeit bei der Sanktionie- rung von Dienstvergehen einzubüßen. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Wir halten eine Neuordnung des Disziplinarrechts grundsätzlich für richtig. Der Verfahrensgang nach bisherigen Recht er- scheint uns zu schwerfällig und daher reformbedürftig. Einen – wie vorliegend vorgesehen – einfacheren Ablauf von Disziplinarverfahren bei gleichzeitiger Wahrung aller Rechte der Betroffenen begrüßt die F.D.P. daher aus- drücklich. Strittig war in der Fachdiskussion die Abschaffung der Institution des Bundesdisziplinaranwalts. Hier ist darauf zu verweisen, dass schon in der letzten Legislaturperiode die Sachverständigenkommission „Schlanker Staat“ vor- geschlagen hat, künftig auf diese Institution zu verzichten. Die F.D.P. hat damals diese Auffassung geteilt. Wir tragen die Umsetzung dieses Vorschlags durch das heute zu bera- tende Gesetz weiterhin mit, zumal die bisher vom Bun- desdisziplinaranwalt erfüllten Aufgaben zum Teil – näm- lich soweit notwendig – nicht wegfallen, sondern vom Bundesinnenministerium wahrgenommen werden. Somit ist dem Gesetzentwurf in seinen Zielsetzungen „Verfahrensvereinfachung“ und „Beitrag zum schlanken Staat“ prinzipiell zuzustimmen. Dabei erwartet die F.D.P.-Fraktion, dass die Befürch- tungen, die Korruptionsbekämpfung könnte unter der Neuregelung leiden, sich nicht erfüllen werden. Selbst- verständlich ist und bleibt es unser Anliegen, jeder Form von Korruption energisch entgegenzutreten. Die diesbe- züglichen straf- und strafverfahrensrechtlichen Instru- mentarien sind deshalb in der letzten Legislaturperiode von der damaligen CDU/CSU/F.D.P.-Koalition verschärft worden. Das Disziplinarrecht ist ein Baustein bei der Kor- ruptionsbekämpfung und wird es unserer Meinung nach auch mit der Neufassung bleiben. Es wird aber notwendig sein, die praktischen Auswirkungen des neuen Gesetzes gerade in diesem Punkt besonders aufmerksam zu beo- bachten. Dass wir der Reform dennoch nicht zustimmen kön- nen, liegt am Verhalten der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung. Von Praktikern sind – zwar spät, aber immerhin – Bedenken erhoben worden, die nach Auffas- sung der F.D.P. noch gründlicher hätten erörtert werden müssen. Insbesondere wird die Gefahr gesehen, dass die Rechtseinheit bei der Anwendung des neuen Disziplinar- verfahrens leiden könnte. Es wäre angemessen gewesen, diese und andere Kritikpunkte in einer Sachverständigen- anhörung zu überprüfen. Dazu war die Koalition nicht be- reit. Die F.D.P.-Fraktion verfügt nicht über die notwen- dige Sperrminorität zur Durchsetzung einer solchen Anhörung. Schließlich gibt es eine merkwürdige Diskrepanz im Verhalten der Bundesregierung. Bei der Neuordnung des Wehrdisziplinarrecht beharrt die Bundesregierung auf dem Wehrdisziplinaranwalt. Dazu im Gegensatz steht der vorliegende Gesetzentwurf mit der – an sich richtigen – Abschaffung des Bundesdisziplinaranwalts. Es wäre Sa- che der Bundesregierung und der Koalition gewesen, hier zunächst für eine einheitliche Linie zu sorgen. Die F.D.P.- Fraktion hat keinen Anlass, diese Unstimmigkeiten zwi- schen einzelnen Ministerien und innerhalb der Koalition mitzutragen. Dies führt insgesamt zur Stimmenthaltung. Petra Pau (PDS): Den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinar- rechts werden wir ablehnen. An dem Gesetzentwurf sind zahlreiche Punkte zu kritisieren, vor allem die folgenden vier: die geplante Abschaffung des Bundesdisziplinaran- waltes, die Übertragung der gerichtlichen Zuständig- keit auf die Verwaltungsgerichte, die Regelung des Verfahrensrechts in Anlehnung an die Verwaltungsge- richtsordnung und nicht an die Strafprozessordnung und der geplante Nachrichtenaustausch zwischen mehreren Dienstherren. Die bisherige Bundesdisziplinarordnung sieht den Bun- desdisziplinaranwalt vor, der die einheitliche Ausübung der Disziplinargewalt sichern und das Interesse des öf- fentlichen Dienstes und der Allgemeinheit in jeder Lage des Verfahrens wahrnehmen soll. Funktion des Bundes- disziplinaranwaltes ist es somit, einer zu milden Aus- übung der Disziplinargewalt durch den Dienstvorgesetz- ten entgegenzuwirken und auch der Korruption im öffentlichen Dienst wirksam zu begegnen. Diese Institu- tion soll nun nach dem Willen der Regierungsfraktionen wegfallen. Dies, so die gegen Korruption kämpfende Organisation Transparency International, „stellt die Ermittlung und Verfolgung gerade im Bereich der Korruption praktisch in das Belieben der Behörde“. Gerade in Fällen, in denen Dienstvorgesetzte entweder vom Verhalten ihrer Mitar- beiter wussten und dies geduldet haben oder ihrer Auf- sichtspflicht nicht in gebotenem Maße nachgekommen sind, werden die Dienstvorgesetzten ohne Druck von Außen keine Ermittlungen einleiten. Daher erscheint eine institutionell selbstständige Behörde wie der Bundes- disziplinaranwalt, die alleine diesen Druck ausüben kann, weiterhin erforderlich. Auch das Argument, mit der Abschaffung des förmli- chen Disziplinarverfahrens durch die Neuregelung sei die Grundlage für eine weitere Arbeit des Bundesdiszipli- naranwaltes entfallen, vermag nicht zu überzeugen. Die Tätigkeit des Bundesdisziplinaranwaltes geht über die Teilnahme am förmlichen Disziplinarverfahren hinaus und umfasst auch die Beratungstätigkeit und die Beteili- gung am nichtförmlichen Verfahren. Gerade im Bereich der Korruptionsbekämpfung ist es wichtig, dass ein einheitliches Vorgehen über die Grenzen der einzelnen Behördenzuständigkeiten hinaus gewährleistet ist. Die in der Begründung des Gesetzentwurfes genannte „Service-Stelle“, die noch nicht einmal im Gesetz selbst auftauchen würde, könnte den durch den Wegfall des Bundesdisziplinaranwalts eintretenden Mangel nicht be- heben. Ihre Kompetenzen sind völlig unklar und entspre- chen keineswegs den Erfordernissen. Deshalb ist nach Ansicht der PDS der Bundesdisziplinaranwalt nicht nur beizubehalten, sondern auch mit einem Initiativrecht für den Fall auszustatten, dass ein Dienstvorgesetzter untätig bleibt. Ein weiterer Punkt ist, dass die bisherige gerichtliche Zuständigkeit der Bundesdisziplinargerichte – dem Bun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115524 (C) (D) (A) (B) desdisziplinargericht in Frankfurt/M. und dem Bun- desverwaltungsgericht – in Disziplinarsachen durch die Neuregelung auf die Verwaltungsgerichte übertragen werden soll. Es ist nicht anzunehmen, dass die Landesjus- tizverwaltungen die ohnehin überlasteten Verwaltungsge- richte mit zusätzlichen personellen und materiellen Ressourcen ausstatten werden. Daherigen Zeiten kaum noch vermittelbarer Rechtszustand, der auf jeden Fall ab- gestellt werden sollte. Der Rechtsschutz gegen die Disziplinarverfügung wird ebenfalls dem normalen, also dem verwaltungsgericht- lichen Verfahren angepasst. Hierdurch werden entschei- dende Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des bishe- rigen Rechtsschutzsystems beseitigt. Die aufgezeigten grundlegenden inhaltlichen Neue- rungen durch weitgehende Angleichung an die normalen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren machen auch zwei institutionelle Veränderungen unabdingbar. Sie betreffen zunächst den Bundesdisziplinaranwalt, der mit der Ab- schaffung des förmlichen Disziplinarverfahrens seine we- sentlichen Aufgaben verliert. Wie traditionell bereits alle Länder verzichtet auch der Bund auf das Vorhalten einer derartigen Spezialbehörde und stärkt damit zugleich die Kompetenz der Dienstvorgesetzten. Darüber hinaus ist aber auch das Vorhalten einer eige- nen Gerichtsbarkeit, nämlich des Bundesdisziplinarge- richts, nur für die Disziplinarverfahren des Bundes nicht mehr zeitgemäß. Bei den gerichtlichen Disziplinarver- fahren handelt es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkei- ten, die demgemäß vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. Die Länder haben dies übrigens schon lange vor- gelegt und selbst unter Geltung des alten Verfahrensrechts diese Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit übertra- gen. Für den Bund wird dieser Schritt jedenfalls jetzt un- abweisbar, wo die Verfahren nach der Verwaltungsge- richtsordnung abgewickelt werden und die bisherige Struktur mit dem Bundesdisziplinargericht als erster und dem Bundesverwaltungsgericht als zweiter Tatsachen- instanz mit dem dreiinstanzlichen Rechtszug der VwGO nicht mehr kompatibel ist. Da künftig die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bundes- und Landesdisziplinarsachen zuständig sein wird, kann sich in dieser Rechtsmaterie endlich auch eine einheitli- che Rechtsprechung für Bund und Länder entwickeln, was gerade angesichts des weitgehend übereinstimmen- den Pflichtenkreises von Bundes- und Landesbeamten unverzichtbar ist. Auf das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht wird hier sicherlich eine wichtige Auf- gabe zukommen – und dies, sofern die Länder dies wün- schen, auch für die landesrechtlichen Verfahren. Die aufgezeigten Punkte belegen meines Erachtens eindrucksvoll, dass der Bund im Rahmen der vorliegen- den Reform keineswegs kosmetische Korrekturen vor- nimmt, sondern dass er dem zu Beginn der vorliegenden Reform gesetzten Ziel gerecht wird und in der Tat ein überkommenes Rechtsgebiet grundlegend neu ordnet. Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Beitrag zur Justiz- und Verwaltungsmodernisierung geleistet haben. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Die Modernisierung der Verwal- tung und Rechtspflege ist ein zentrales Anliegen der Bun- desregierung. Eine solche Modernisierung kann am Dis- ziplinarrecht nicht vorbeigehen. Das geltende Disziplinarrecht in der Gestalt der Bun- desdisziplinarordnung von 1967 beruht im Wesentlichen auf überkommenen Strukturen, die schon lange nicht mehr zeitgemäß sind. Die Verfahren sind in der Praxis oft- mals sehr umständlich und dauern viel zu lange. Darüber hinaus werden die Disziplinarverfahren immer noch nach überwiegend strafrechtlichen Grundsätzen abgewickelt, so als befänden wir uns immer noch im alten Dienststraf- recht. Aufgabe des Disziplinarrechts aber ist es nicht, zu strafen, sondern für die Funktionsfähigkeit der öffentli- chen Verwaltung Sorge zu tragen. Diesem Ziel verpflichtet beschreitet die Bundesregie- rung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bewusst neue Wege. Sie strebt ein rechtsstaatliches Disziplinarrecht an, welches in die heutige Zeit passt und an dem Ziel einer modernen und effektiven Verwaltung und Rechtspflege orientiert ist. Ich darf zunächst auf einige wesentliche Neuerungen des Gesetzentwurfs hinweisen: Das Disziplinarrecht soll künftig in erster Linie nach den Grundsätzen des Verwal- tungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichts- ordnung ausgerichtet werden. Dies macht deutlich, was Disziplinarrecht ist, nämlich Verwaltungsrecht und nicht Strafrecht. Bei der Ausgestaltung des behördlichen Disziplinarver- fahrens soll auf die bisherige Aufteilung in ein nicht förm- liches und ein förmliches Verfahren verzichtet werden. Stattdessen ist ein einheitliches Verwaltungsverfahren vor- gesehen, in dem der Sachverhalt umfassend aufgeklärt wird. Hierdurch wird ein doppelter Ermittlungsaufwand vermieden und so eine nicht unerhebliche Beschleunigung des Verfahrens herbeigeführt. Auf die Einrichtung des unabhängigen Untersuchungs- führers – in einer Zeit entstanden, als die heute selbstver- ständlichen rechtsstaatlichen Garantien vor allem des ge- richtlichen Verfahrens noch keineswegs gewährleistet waren – soll verzichtet werden. Die Disziplinarbefugnis der Dienstvorgesetzten soll – ebenfalls im Interesse der Beschleunigung – erweitert und deren Kompetenz insgesamt deutlich gestärkt werden. Das gerichtliche Disziplinarverfahren erfährt durch den Entwurf ebenfalls wichtige rechtsstaatliche Verbesse- rungen. Zu nennen ist hierbei vor allem die Einführung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Sie sollte in ei- nem Rechtsstaat eigentlich selbstverständlich sein, ist es im Disziplinarrecht bislang aber leider nicht. Nach altem Recht kann sich das Verwaltungsgericht sogar bei der Dis- ziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst auf Beweise beziehen, die zuvor lediglich durch den Unter- suchungsführer, also im Verwaltungsverfahren, erhoben worden sind. Dies ist ein in heutigen Zeiten kaum noch vermittelbarer Rechtszustand, der auf jeden Fall abge- stellt werden sollte. Der Rechtsschutz gegen die Disziplinarverfügung wird ebenfalls dem normalen, also dem verwaltungsgericht- lichen Verfahren angepasst. Hierdurch werden entschei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15525 (C) (D) (A) (B) dende Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des bishe- rigen Rechtsschutzsystems beseitigt. Die aufgezeigten grundlegenden inhaltlichen Neue- rungen durch weitgehende Angleichung an die normalen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren machen auch zwei institutionelle Veränderungen unabdingbar. Sie betreffen zunächst den Bundesdisziplinaranwalt, der mit der Ab- schaffung des förmlichen Disziplinarverfahrens seine we- sentlichen Aufgaben verliert. Wie traditionell bereits alle Länder verzichtet auch der Bund auf das Vorhalten einer derartigen Spezialbehörde und stärkt damit zugleich die Kompetenz der Dienstvorgesetzten. Darüber hinaus ist aber auch das Vorhalten einer eige- nen Gerichtsbarkeit, nämlich des Bundesdisziplinarge- richts, nur für die Disziplinarverfahren des Bundes nicht mehr zeitgemäß. Bei den gerichtlichen Disziplinarver- fahren handelt es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkei- ten, die demgemäß vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. Die Länder haben dies übrigens schon lange vor- gelegt und selbst unter Geltung des alten Verfahrensrechts diese Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit übertra- gen. Für den Bund wird dieser Schritt jedenfalls jetzt un- abweisbar, wo die Verfahren nach der Verwaltungsge- richtsordnung abgewickelt werden und die bisherige Struktur mit dem Bundesdisziplinargericht als erster und dem Bundesverwaltungsgericht als zweiter Tatsachen- instanz mit dem dreiinstanzlichen Rechtszug der VwGO nicht mehr kompatibel ist. Da künftig die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bundes- und Landesdisziplinarsachen zuständig sein wird, kann sich in dieser Rechtsmaterie endlich auch eine einheitli- che Rechtsprechung für Bund und Länder entwickeln, was gerade angesichts des weitgehend übereinstimmen- den Pflichtenkreises von Bundes- und Landesbeamten unverzichtbar ist. Auf das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht wird hier sicherlich eine wichtige Auf- gabe zukommen – und dies, sofern die Länder dies wün- schen, auch für die landesrechtlichen Verfahren. Die aufgezeigten Punkte belegen meines Erachtens eindrucksvoll, dass der Bund im Rahmen der vorliegen- den Reform keineswegs kosmetische Korrekturen vor- nimmt, sondern dass er dem zu Beginn der vorliegenden Reform gesetzten Ziel gerecht wird und in der Tat ein überkommenes Rechtsgebiet grundlegend neu ordnet. Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Beitrag zur Justiz- und Verwaltungsmodernisierung geleistet haben. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung: Sam- melübersicht 217 zu Petitionen (Verbot von poli- tischen Parteien und Organisationen) (Tagesord- nungspunkt 15) Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Die Arbeit im Peti- tionsausschuss ist ein guter Gradmesser für die drängen- den politischen Themen in unserem Land, die sozialen Probleme und die beschwerenden Ärgernisse mit der Ver- waltung, die die Menschen vor Ort haben, die sie bewe- gen. Besonders reizvoll ist für mich als langjähriges Mit- glied des Petitionsausschusses immer wieder die Vielfalt der dort behandelten Sachfragen. Die Sammelübersicht 217 ist dabei ein gutes Beispiel für die Arbeit des Petiti- onsausschusses. Gegenstand einer der heute behandelten Eingaben ist eine Sammelpetition von 25 Unterzeichnern aus dem Raum Celle. Die Abgeordneten des Deutschen Bundesta- ges sollen die Bundesregierung auffordern, das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei, der PKK, aufzuheben und für das Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes und eine friedliche Lösung des Konfliktes einzutreten. Mit dem vorliegenden zur Abstimmung stehenden Än- derungsantrag will die PDS die Berücksichtigung der Pe- tition erreichen. Der Petitionsausschuss hatte in seiner Sit- zung vom 15. Oktober 2000 keine Abhilfegründe gesehen und gegen die Stimmen der PDS den Abschluss der Peti- tion empfohlen. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die- sen Antrag ab und befürwortet das vorliegende Petitions- verfahren abzuschließen. Die PDS macht sich mit ihrem Antrag zum Handlanger einer kurdischen Kaderpartei, die in ihrer Programmatik und inneren Struktur der SED oder der KPdSU und nicht einer demokratischen Organisation, die sich in einen de- mokratischen Prozess einordnet, ähnelt. Sie übernimmt kritiklos und ohne politische Distanz die politische Pro- paganda der PKK. In der Antragsbegründung wird gar von einer „völkerrechtswidrigen Verbringung des Präsi- denten der PKK, Öcalan, in die Türkei“, von einer „Ein- stellung der bewaffneten Gegenwehr gegen die türkische Politik“ und von einem „Guerrilla-Kampf“ gesprochen. Die Antragsteller versteigen sich dabei zu der Behaup- tung, dass sie die Erklärung der PKK, die Partei und ihre Kader würden sich zukünftig in unserem Land an Recht und Gesetz in unserem Land halten, für glaubwürdig ein- schätzen. Sie stellen gar fest, es bestünden keine vernünf- tigen Zweifel an einer Änderung der Politik der PKK. Die laufenden Ermittlungsverfahren und die abge- schlossenen Strafverfahren sprechen eine deutliche Sprache. Die PDS führt weiter aus, dass „die Beibehaltung des Verbots die Distanz und das Misstrauen der kurdischen Bevölkerung gegenüber den deutschen Behörden vertie- fen“. Diese Behauptung weisen wir entschieden zurück. Es besteht gegenwärtig kein Anlass dafür, die Bundesre- gierung aufzufordern, das Verbot der PKK aufzuheben. Die PKK gefährdet auch nach der Verurteilung des PKK- Führers Öcalan den inneren Frieden in unserem Land. Ich verweise ausdrücklich auf die Antwort der Bun- desregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS vom Fe- bruar dieses Jahres. Politische Auseinandersetzungen in den jeweiligen Heimatländern dürfen nicht durch Gewalt auf deutschem Boden ausgetragen werden. Das gilt auch für die Kurden, die aus der Türkei stammen und der Auf- fassung sind, dass sie von der türkischen Regierung als Minderheit unterdrückt werden. Wir fordern nicht, wie der Kollege Merz von der Union, ein Verbot der politischen Betätigung von Auslän- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115526 (C) (D) (A) (B) dern und Ausländerinnen und Asylbewerbern. Vielmehr sind wir der Auffassung, dass sich alle in Deutschland le- benden Menschen an Gesetz und Recht halten müssen. Gewalt gegen Polizisten oder Andersdenkende sind kein Mittel der politischen Auseinandersetzung in unserem Land. Schutzgelderpressungen, Freiheitsberaubungen, Brandanschläge und Körperverletzungen sind auch im Namen eines politischen Kampfes von der Rechtsord- nung geächtet und können von uns nicht geduldet werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entschei- dung zum PKK-Verbot ausgeführt: „Die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist gefährdet, wenn ge- walttätige Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Volksgruppen in die Bundesrepublik Deutschland verla- gert und hier ausgetragen werden und damit das Gewalt- monopol des Staates infrage gestellt wird.“ Fernsehbilder von gewalttätigen Kurden tragen unge- wollt dazu bei, Vorurteile oder gar Fremdenhass zu för- dern. Deutschland hat ein großes Interesse an einer Ein- bringung der Türkei in die Europäische Union. Wir unterstützen dabei diejenigen politischen Kräfte, die den Prozess der Demokratisierung vorantreiben und friedlich an einer Überwindung bestehender Probleme der kurdi- schen Minderheit in der Türkei arbeiten. Martin Hohmann (CDU/CSU): Seit 1984 begeht die PKK in Deutschland durchgängig schwerste Straftaten: Mord, Mordversuche, Freiheitsberaubung, Körperverlet- zung, Brandanschläge, erpresserischer Raub. Im Oktober 1991 erklärt die PKK-„Militärorganisation“ die Bundes- republik Deutschland zum „Kriegsgegner Nummer zwei“. In den folgenden Jahren rollten Wellen der Gewalt über Deutschland hinweg. Die offenbar zentral gesteuer- ten gewalttätigen Protestaktionen von Tausenden von Kurden sind uns alle noch im Gedächtnis. Sie errichten brennende Barrikaden auf deutschen Autobahnen, gehen mit Steinen, Molotow-Cocktails und Schlagwaffen gegen Polizisten und Feuerwehrleute vor: Schwerverletzte Poli- zisten und Feuerwehrleute, menschenverachtende Bruta- lität der Kurden bei allen Krawallen in ganz Deutschland gehörten in diesen Tagen zur Normalität. Weitere „Kriegsgegner“ der PKK sind konkurrierende Kurdenor- ganisationen und abtrünnige Mitglieder der PKK. Am 22. November 1993 verbietet das BMI die PKK und eine größere Anzahl ihr nahe stehender Organisatio- nen. Die PKK macht auch nach dem Verbot deutlich, dass sie gar nicht daran denkt, sich an die deutsche Rechtsord- nung zu halten. Deutschland wird Vergeltung angedroht. Bei den Vergeltungsaktionen werden deutsche Polizisten mit Benzin übergossen und angezündet. Die Diskussion, ob es sich um eine terroristische Organisation oder nur eine kriminelle Vereinigung handelt, ist in diesem Punkt überflüssig wie ein Kropf. Eines ist gewiss: Kein Staat darf sich gefallen lassen, dass Fremde ihre Kriege auf sei- nem Boden ohne jede Rücksicht ausfechten, auch Deutschland nicht – nicht heute und auch nicht in Zu- kunft! Manfred Kanther hat damals das einzig Richtige getan und diese Verbrecherbande verboten. Was sind das für Leute, die ihre Abtrünnigen in Wup- pertal ermorden, es in Krefeld, Bremen und Hamburg zu- mindest versuchen? Öcalan führt eine Truppe stalinisti- scher Guerillas im Sinne marxistisch-leninistischer Ideo- logie. Ganz im Sinne der Bolschewisten erhebt er den Al- leinvertretungsanspruch aller Kurden gegenüber der Türkei. Das Verbot der kriminellen PKK wird aus siche- rer Sicht verstanden als: „eine flächendeckende und pau- schale Verfolgung und Diskriminierung der gesamten kurdischen Minderheit“ in Deutschland. Aber ist das so? Eine stalinistische Guerilla kann gar nicht die Interes- sen eines ganzen Volkes wahrnehmen. Eine stalinistische Organisation nützt nur sich selbst und ihren Funktionären. Die Zustände in den kurdischen Gebieten sind zum Teil schlimm, ja, fürchterlich. Eine Organisation, die die hier in Deutschland lebenden Kurden terrorisiert, nützt der kurdischen Sache nichts. Im Gegenteil: Hier in Deutsch- land entzieht sie den verfolgten Kurden das Verständnis und das Mitgefühl der Deutschen. Für das Verbot ist nur die Situation in Deutschland aus- schlaggebend. Wie sieht es aus in Deutschland? Die PKK ist verboten, die Abwehrmittel des deutschen Staates wir- ken. Dennoch, die von der PKK ausgehende Kriminalität in Deutschland hält sich weiterhin auf einem hohen Ni- veau. Die Entschlossenheit Manfred Kanthers und die drohenden Verfahren und Verhaftungen wegen Mitglied- schaft in einer terroristischen Vereinigung führten Mitte 1996 zu der Erklärung der PKK-Führung, die Anschläge seien ein Fehler, man verzichte auf neue Anschlagswellen. Müssen wir dafür jetzt dankbar sein? Die PKK erpresst weiter Steuern in Deutschland, „bestraft“ kurdische Landsleute, bis hin zum Mord. Mit der Verhaftung Öcalans in Afrika und seinem Todesurteil in der Türkei er- lebten wir wieder Brandanschläge auf türkische Reise- büros, Kulturvereine und Geschäfte. Aus seiner Gefan- genschaft ruft Öcalan auf, die Waffen niederzulegen. Sein Bruder erklärt daraufhin für die PKK den bewaffneten Kampf für beendet. Was war sein Versprechen wert? Gilt es auch im Falle der Vollstreckung des Todesurteils gegen Öcalan? Der Bruder klärt uns, von der PKK autorisiert, auf: „Sollte das Urteil vollstreckt werden, dann überlas- sen wir dem Volk die Entscheidung. Jeder einzelne kann dann selbst entscheiden, was er tut. Die Kurden werden dann mit allen Mitteln kämpfen, die ihnen zur Verfügung stehen.“ Also: Wer als revolutionäre Bewegung sich taktisch friedfertig verhält, ansonsten aber unverzüglich mit dem revolutionären Volkszorn droht, hat sich nicht geändert. Die PKK pfeift auf unsere Gesetze. Die PKK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und ge- fährdet die innere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und andere wesentliche Belange unserer Republik. Die PKK ist und bleibt auch in Zukunft verboten und das ist gut so. „Es darf kein Zweifel daran sein, dass schwer straffäl- lige Ausländer in Deutschland keinen Platz haben. Das muss deutlich werden. Andernfalls verliert der Rechts- staat die Gefolgschaft seiner Mitbürger, und zwar der deutschen wie der ausländischen“, wie Manfred Kanther unübertroffen formulierte. Das muss jeder einzelne ge- walttätige Kurde und PKK-Angehörige wissen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15527 (C) (D) (A) (B) Der vorliegenden Petition, die darauf zielt, das Verbot der PKK aufzuheben, kann und darf nicht entsprochen werden. Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht bei der Ablehnung der Petition, die sich die PDS zu Eigen gemacht hat, nicht um die Frage einer von allen hier im Hause befürworteten de- mokratischen Lösung des kurdischen Problems in der Türkei, sondern einzig und allein um die Frage, ob eine Aufhebung des PKK-Verbots Sinn macht. Zu Ersterem ist unsere Position als Bündnis 90/Die Grünen seit langem glasklar: Nur eine konsequente De- mokratisierung der Türkei auf allen Ebenen, eine voll- ständige Gewährleistung der Meinungsfreiheit, die Äuße- rungen über kurdische Angelegenheiten mit einbezieht und eine Änderung des Wahlsystems, das es beispiels- weise der prokurdischen Partei Hadep ermöglichen würde, ihre hohe Zahl an Wählern im Südosten der Tür- kei auch im Parlament zu repräsentieren, ist in der Lage, die Chance zu einer Öffnung der Türkei in Richtung Eu- ropa zu nutzen. Aber gerade als Freunde der Türkei und ihrer Bewoh- ner, gleich welcher Herkunft und Glaubenszugehörigkeit, sagen wir klipp und klar: Nach schlimmsten Menschen- rechtsverletzungen, einer immer noch stattfindenden Fol- ter in den Gefängnissen und ungezählter Menschen, die ihre Heimat im Südosten des Landes im Rahmen der so genannten Terrorismusbekämpfung verlassen mussten, muss die Türkei Gesten der Versöhnung erbringen. Dazu gehört beispielsweise die Anerkennung der kurdischen Sprache in den Medien und möglicherweise auch deren Akzeptanz neben der türkischen Amtssprache. Damit leite ich auch schon über zum zweiten Teil mei- ner Ausführungen und zum eigentlichen Kern des Antra- ges: An einer klaren Ablehnung der PKK und ihrer Me- thoden hat meine Partei nie einen Zweifel gelassen. Wir haben zu viele – auch und gerade kurdische Oppositio- nelle – Freunde, die Opfer von „Bestrafungen“ und „Dis- ziplinierungen“ geworden sind. Alleinvertretungsan- sprüche sind totalitären Organisationen zu Eigen. Mit Demokratie haben sie allerdings nichts zu tun. Wer für seine angeblich gerechte Sache mit Methoden des Mordes und der Gewaltanwendung kämpft und auch in Deutsch- land unschuldige Polizisten gefährdet hat, der kann nicht in Anspruch nehmen, als Gesprächspartner ernst genom- men zu werden. Aber auch hier gilt: Der Grund für den Zuspruch, den die PKK – ob es uns gefällt oder nicht – sehr lange hatte und teilweise noch heute hier wie in der Türkei hat, liegt in den ungelösten Problemen der Türkei. Erst wenn die Türkei wirksam beginnt, sich an Haupt und Gliedern zu reformieren und beispielsweise die jüngsten Fälle von „Verschwindenlassen“ kurdischer Politiker auf- klärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht, gibt es eine Chance, dass die nächste Generation kurdi- scher und türkischer Jugendlicher weder in die Berge noch in Kasernen zieht, sondern gemeinsam an der Ge- staltung einer modernen aufgeklärten Türkei arbeitet. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Das im Novem- ber 1993 für die PKK und zahlreiche Unterorganisationen ausgesprochene Verbot war eine Folge der damaligen kur- disch veranlassten Gewaltwelle in unserem Land. Es musste aus objektiven wie rechtlichen Gründen ausge- sprochen werden, und damals wie heute begrüßt die F.D.P. diese Maßnahme. Es ist das definitive Signal dafür, dass wir fremde Bür- gerkriege auf unserem Boden nicht dulden können und nicht dulden wollen. Die Terroranschläge der PKK haben bis heute den Tod Tausender Menschen mit sich gebracht. Außerhalb der Türkei versucht die Partei, die öffentliche Meinung in den Ländern Westeuropas zu beeinflussen und somit allgemeine Unterstützung für ihre politischen Ziele zu erlangen. Lassen Sie mich klarstellen, dass es sich bei den Ge- walttätern um den geringsten Teil unserer kurdischen Mit- bewohner handelt. Rund 500 000 Kurden mit türkischem Pass leben friedlich in Deutschland mit uns zusammen. Wir dürfen keinesfalls den Fehler machen, sie mit der PKK zu verwechseln oder der PKK zu erlauben, die Spre- cherrolle für die zu ihrem weit überwiegenden Anteil friedliche kurdische Gemeinschaft zu missbrauchen. Fast alle Kurden in Deutschland respektieren das Gastrecht bei uns. Sie sind uns auch herzlich willkommen. Für Gewalt- täter dagegen ist in Deutschland kein Platz. Türkische Einrichtungen, Geschäfte und Organisationen sollten und müssen dringend vor gewalttätigen PKK-Anschlägen ge- schützt werden. Trotz hin und wieder gegenteiliger Äußerungen hat sich das Verbot der PKK bis heute bewährt: Infolge der Bestandskraft des Verbotes hat sich die polizeiliche Zu- griffsmöglichkeit um einiges verbessert. Durch die Auf- hebung des Verbots würde der Boden, der der PKK erst vor etwa sieben Jahren in Deutschland entzogen wurde, und der die Basis für die damalige Gewaltwelle darstellt, wieder übergeben werden. Das Kurdenproblem ist in der Türkei nicht so weit gelöst, als dass nicht die Möglichkeit bestünde, dass eine aggressive Bewegung reaktiviert wer- den könnte. Dies aber gilt es zu vermeiden. Solange noch nicht hundertprozentig davon ausgegangen werden kann, dass sich weitere Anschläge oder Angriffe auf das friedli- che Zusammenleben aller in Deutschland Lebenden durch die Wiederaufnahme der politischen Tätigkeit der PKK nicht wiederholen werden, dürfen wir kein Risiko einge- hen. Dazu ist der Einsatz zu hoch. Es darf sich nicht wiederholen, dass eine gewalttätige Bewegung, dann jedoch durch einen Mantel der Bestäti- gung in Deutschland geschützt, erneut in alter, berüchtigter Weise auf sich aufmerksam machen darf. Die Aufhebung eines Parteienverbots kommt einer geprüften Be- stätigung, wenn nicht sogar einer Anerkennung gleich. Aus diesem Grunde spreche ich mich gegen die Aufhe- bung dieses Verbots der PKK in Deutschland zum gegen- wärtigen Zeitpunkt aus. Ulla Jelpke (PDS): Das Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, das mit der vorliegenden Petition aufgehoben werden soll, ist von der PDS, von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, Straf- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115528 (C) (D) (A) (B) verteidigern und anderen seit der Verhängung im Novem- ber 1993 immer scharf kritisiert worden. Dieses Verbot hat zu einer breiten Repression gegen Kurdinnen und Kurden geführt. Hunderte von kurdischen Familien mussten Razzien in ihren Wohnungen erleiden. Kurdische Newrozfeiern, Veranstaltungen und Demons- trationen wurden schikaniert und verboten. Sogar bei Sportveranstaltungen und Hochzeiten griff die Polizei ein und verhinderte diese mehrfach. Tausende von Büchern und Zeitungen wurden beschlagnahmt und vernichtet, Büros kurdischer Vereine durchsucht, viele Vereine ver- boten. Allein die Zahl der Opfer von Strafverfahren wegen so genannter verbotener Fähnchen geht in die Zehntausende. Die Geldstrafen, die dabei verhängt wurden, belaufen sich auf viele Hunderttausend Mark. Zahlreiche Prozesse ge- gen tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder und Funk- tionäre der PKK endeten mit langen Haftstrafe. Die ge- samte kurdische Bevölkerungsgruppe wurde durch dieses Verbot unter Sonderrecht gestellt. Das dauert bis heute an. Das Betätigungsverbot gegen die PKK ist Symbol ei- ner völlig falschen, repressiven Politik. Seit Jahrzehnten stehen in den deutsch-türkischen Beziehungen Machtin- teressen, militärische und Wirtschaftsinteressen im Vor- dergrund. Menschenrechte zählen nicht. Bis heute werden kurdische Flüchtlinge, die nach Deutschland fliehen, in die Türkei zurück geschoben. Bis heute weigern sich deutsche Gerichte, eine Gruppenverfolgung von Kurdin- nen und Kurden anzuerkennen. Das PKK-Verbot war von Anfang an ein Freund- schaftsdienst für den türkischen NATO-Partner. Die da- malige Regierung unter Tansu Ciller ist heute bei deut- schen Gerichten wegen Drogengeschäften aktenkundig. Die türkischen Sicherheitsapparate sind seit dem Susur- luk-Zwischenfall international berüchtigt für ihre Morde an Oppositionellen und ihre Verbindungen zum organi- sierten Verbrechen. Bis heute ist das PKK-Verbot eine Er- munterung für die Hardliner in Ankara, an ihrem repres- siven, militärischen Umgang mit der kurdischen Frage festzuhalten und jede demokratische Lösung der kurdi- schen Frage zu blockieren. Das PKK-Verbot ist in Europa einmalig. Kein anderes Land – außer der Türkei – prakti- ziert eine so repressive Politik in der kurdischen Frage. Inzwischen haben wir eine gegenüber 1993 erheblich geänderte Situation. Der PKK-Vorsitzende wurde in einer Geheimdienstaktion entführt und ist seitdem in der Türkei inhaftiert. Die PKK hat ihren bewaffneten Kampf in der Türkei eingestellt. Was immer man davon halten mag – das ist eine weitreichende Änderung der Politik der PKK. Die deutsche Politik sollte darauf antworten. Sonst bleibt das Bekenntnis zu einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage Geschwätz. Auch eine Antwort Eu- ropas auf die neue Politik der PKK steht bis heute aus. Die Enttäuschung und Empörung der Kurdinnen und Kurden, dass ihre Konzessionen an die Türkei als Schwäche abge- tan werden und zu keiner Gegenleistung führen, wird im- mer deutlicher. Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung erklärt, sie wolle das PKK-Verbot trotz dieser neuen Entwicklung auch in Zukunft aufrechterhalten. Diese Antwort und ihre Begründung sind skandalös. 1993 lautete die Begründung für das PKK-Verbot, die Arbeiterpartei Kurdistans habe Gewaltwellen in Deutsch- land zu verantworten. Außerdem richte sich ihre Politik gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Das Letz- tere war schon damals eine Frechheit. Heute kann von kurdischen Gewaltwellen nun wirklich keine Rede mehr sein. Die Regierung führt nun für 1999 und 2000 38 Fälle von Spendengelderpressung, 21 vermisste Jugendliche und acht mögliche Bestrafungsaktionen an, also körperli- che Misshandlungen. Das sind, wenn die Vorwürfe stim- men, keine Kleinigkeiten. Aber eine Beibehaltung des PKK-Verbots rechtfertigt das auf keinen Fall. Als nächste Begründung führt die Regierung an, die PKK sei hierarchisch, undemokratisch, toleriere keine in- nerparteiliche Opposition und habe ihr konspiratives Ver- halten beibehalten. Hierarchisch und undemokratisch sind so manche Einrichtungen in diesem Land, zum Bei- spiel Firmen, Kirchen und sicher auch viele Vereine. Eine solche Begründung für ein Betätigungsverbot gegen Zehntausende von Kurdinnen und Kurden ist aber einfach hanebüchen. Absurd ist auch der Vorwurf, die PKK sei konspirativ. Was erwarten Sie eigentlich? Dass die PKK ihre Struktu- ren offen legt, damit der türkische Staat oder die deutsche Polizei ihre Leute reihenweise verhaften können? Die PKK hat ihren bewaffneten Kampf gegen die Türkei ein- gestellt. Das ist ein sehr weit gehender Schritt. Die Bun- desregierung aber erklärt nun, das sei – ich zitiere – nur eine formelle Änderung. Die notwendigen inhaltlichen Veränderungen seien ausgeblieben. Ich finde das un- glaublich. Auf die Idee, die Einstellung eines bewaffneten Kampfes, bei dem auf beiden Seiten Tausende Menschen gestorben sind, als „formelle Änderung“ abzutun, kann nur eine Regierung kommen, die schon den Kosovo-Krieg be- denkenlos geführt hat. Wenn Menschen politische Konflikte nicht mehr auf Leben und Tod austragen, ist das eine ganz gravierende Änderung. Eine politische Antwort darauf ist überfällig. Das PKK-Verbot muss weg. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Innern: Ob Verbote von Parteien und Organisationen in einem demokratischen Rechtsstaat wirklich dazu beitragen, bestimmte politische Strömungen und radikale Aktionen zu stoppen, ob sie nicht etwa – im Gegenteil – die verbotene Organisation in eine Märtyrer-Rolle drängen – darüber wird immer wie- der lebhaft diskutiert. Das ist verständlich. Deshalb muss man schon nach Ursachen und Wirkungen fragen, auch nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Unter den 7,3 Millionen Menschen ausländischer Her- kunft leben in Deutschland mehr als 500 000 Kurden. Wir haben eine große und lebendige kurdische Gemeinde hier. Die meisten dieser Menschen haben die türkische Staats- angehörigkeit; viele sind schon Jahrzehnte hier zu Hause; und der allergrößte Teil der Kurdinnen und Kurden lebt friedlich in guter Nachbarschaft. Sie sind unsere will- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001 15529 (C) (D) (A) (B) kommenen Mitbürger, sie haben Anspruch auf unseren Schutz und unsere Fürsorge. Sie sind ausdrücklich ein- geladen, sich innerhalb der weiten Grenzen unseres Grundgesetzes gesellschaftlich, kulturell und politisch zu betätigen. Zur Debatte steht heute die Forderung, das Betäti- gungsverbot gegen die PKK aufzuheben. Ich möchte da- ran erinnern, wie das Verbot im November 1993 zustande kam. Ich erinnere an Wellen von Gewalt insbesondere seit 1991; vor allem an den Überfall auf das türkische Gene- ralkonsulat in München im Juni 1993 – damals wurden zwanzig Menschen als Geiseln genommen. Auch nach dem Verbot haben PKK-Anhänger auf Anordnung ihrer Europaführung mit Autobahn- und Grenzblockaden, Brandanschlägen und brutalen Angriffen auf Polizisten auf sich aufmerksam gemacht. Das Kürzel „PKK“ wurde zum Drohbegriff. Ich bedauere sehr, dass die große Mehr- heit der friedlichen Kurden in unserem Land darunter lei- den muss, weil viele Bürger sie – zu Unrecht – mit der mi- litanten Arbeiterpartei gleichsetzen. Inzwischen hat sich manches geändert. Gewalttätige PKK-Aktionen gingen zurück; auch die organisationsin- terne Kriminalität, die so genannte Binnenkriminalität, ist rückläufig. Seit etwas über anderthalb Jahren spricht die PKK von einem einseitigen „Friedenskurs“ gegenüber der Türkei und den kurdischen Gruppierungen im ira- nisch-irakischen Grenzgebiet. Diese Linie hat der Partei- kongress im Frühjahr 2000 ausdrücklich bestätigt. Es ist völlig klar, dass die Bundesregierung diese Ent- wicklung aufmerksam verfolgt. Allerdings sind den Wor- ten bislang kaum Taten gefolgt! Ich will das belegen: Die hierarchisch aufgebaute Führungsstruktur und das in Jahrzehnten aufgebaute Ge- dankengut der verantwortlichen PKK-Funktionäre beste- hen weiter. Konspirative Kommunikationswege wurden beibehalten, sind in Teilen sogar erweitert worden. Außerdem weiß man, dass die PKK weiterhin im- stande ist, schnell und wirkungsvoll zu mobilisieren – zu friedlichen Kundgebungen, wie zum Beispiel am 15. Fe- bruar dieses Jahres vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, aber auch zu gewalttätigen Aktionen wie vor zwei Jahren, als Öcalan in die Türkei gebracht wurde. Mit anderen Worten: In ihrer Gesamtheit ist die PKK nach wie vor unkalkulierbar, und sie kann weiterhin die innere Sicherheit unseres Landes gefährden. Diese Si- cherheitsgefährdung zeigt sich zum Beispiel auch in Äußerungen des führenden PKK-Funktionärs Osman Öcalan, des Bruders von Abdullah Öcalan. Er sagte in ei- nem Interview mit der „Woche“: „Sollte das Urteil voll- streckt werden, dann überlassen wir dem Volk die Ent- scheidung. Jeder Einzelne kann dann selbst entscheiden, was er tut. Die Kurden werden dann mit allen Mitteln kämpfen, die ihnen zur Verfügung stehen.“ Nach Er- kenntnissen des Bundeskriminalamtes lässt zwar die Kri- minalität, die von der PKK ausgeht, nach. Aber es kommt dennoch zu Spendengelderpressungen, Bestrafungen und Disziplinierungen von Abweichlern, Schleusungen in be- trächtlichem Umfang und Taten, die sich vornehmlich ge- gen die eigenen Leute richten. Der Europäische Rat hat nachdrücklich seine Erwar- tung geäußert, dass die Türkei die Kurdenfrage mit poli- tischen Mitteln löst. Und die Bundesregierung appelliert an die Türkei als Mitglied der NATO und der europä- ischen Familie, eine friedliche Lösung des Kurdenpro- blems zu finden und dabei die Identität der Kurden, ihre kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Belange zu be- achten. Dennoch: Solange die PKK ihre Absichtserklä- rungen noch nicht konsequent umsetzt, halten wir an dem Betätigungsverbot in Deutschland fest. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 158. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. März 200115530 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415800000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Zukunft des Unternehmens Bahn angesichts der gegensätz-
lichen Auffassungen von Bahnvorstand und Bundesregie-
rung (siehe 157. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hansjürgen Doss,
Peter Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Chancen des Mittelstandes in der
globalisierten Wirtschaft stärken – Drucksache 14/5545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz,
Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Kleinunternehmer-Hilfefonds
effektiv organisieren und gesetzliche Voraussetzungen für
eine Nachfolgeregelung schaffen – Drucksache 14/5559 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss


(Ergänzung zu TOP 23)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Marie-Luise Dött, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Prüfung der Umweltverträglichkeit
den Erfordernissen einer modernen Umweltpolitik anpas-
sen – Drucksache 14/5546 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

5. Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU: Sofortmaß-
nahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes und
zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe erfor-
derlich – Drucksache 14/5544 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus
der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft ihren Beitrag
zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
noch nicht geleistet hat

7. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Leis-
tungen in der Pflege (Pflege-Leistungs-Verbesserungsgesetz)

– Drucksache 14/5547 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der F.D.P.: Für ein aktives und mitbestimmen-
des Leben im Alter – Drucksache 14/5565 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.: Einsetzung eines Ausschusses für Ver-
braucherfragen – Drucksache 14/5568 –

10. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Pläne
und Vorstellungen der Bundesregierung zu einer Reform
des Sozialgesetzbuches und damit zu einem neuen Verhält-
nis zwischen Sozialpflichten und Sozialrechten

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll – so-
weit erforderlich – abgewichen werden.

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(D)



(A)



(B)


158. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 15. März 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Weiterhin ist vereinbart worden, als erstes Kernzeit-
thema die vereinbarte Debatte zu den transatlantischen
Beziehungen aufzurufen.

Der Tagesordnungspunkt 4 mit Zusatzpunkt 5 zu den
Bundesfinanzen soll erst nach dem Waldzustandsbericht
beraten werden. Die Beratung der Tagesordnungspunkte 7
– Pflege-Qualitätssicherungsgesetz – und 9 – Heimgesetz –
soll verbunden werden. Des Weiteren sollen die Beratun-
gen der Beschlussempfehlungen unter den Tagesord-
nungspunkten 16 d und 18 abgesetzt und die abschlie-
ßende Beratung des DRG-Systemzuschlags-Gesetzes
nach Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen werden.

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 6:
Vereinbarte Debatte zu den transatlantischen
Beziehungen

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung
sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Volkmar Schultz von der SPD-Fraktion das Wort.


Volkmar Schultz (SPD):
Rede ID: ID1415800100
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Willy Brandt
hat im Jahre 1972 in einer Rede vor der Harvard-Univer-
sität Folgendes gesagt: Amerika wartet darauf, dass
Europa zu einem ebenbürtigen Partner – er sagte „equal
partner“ – heranwächst, mit dem es gemeinsam Verant-
wortung für „world affairs“ übernehmen kann.

Er hat dann in groben Zügen die Weiterentwicklung der
Europäischen Gemeinschaft über den damals noch festen
Eisernen Vorhang hinaus skizziert.

Ja, Herr Außenminister, es ist gut, wenn gelegentlich
gute Reden vor einem Universitätspublikum gehalten
werden. Ich empfehle allen, die sich mit transatlantischen
Beziehungen befassen, diese Rede von Willy Brandt
vom 5. Juni 1972 noch einmal nachzulesen.


(Beifall bei der SPD)

Der jetzige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor

kurzem seine Vorstellungen zu den transatlantischen Be-
ziehungen geäußert und unter anderem gesagt – ich darf
das nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitieren:

In Zukunft muss die Europäische Union in der Lage
sein, einen Beitrag zu einer stabilen Weltordnung zu
leisten, der ihrem wirtschaftlichen und politischen
Potenzial entspricht.

(Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])

Ich persönlich möchte hinzufügen: Die Union muss

dazu nicht nur in der Lage sein, sie muss auch den politi-
schen Willen dazu aufbringen.

Zwischen diesen beiden Zitaten liegen fast 30 Jahre
und in dieser Zeit ist kaum eine Woche vergangen,


(Michael Glos [CDU/CSU]: In der sich die SPD nicht gewandelt hat!)


in der nicht irgendein kluger Kommentator den Bruch der
transatlantischen Beziehungen, das Auseinanderdriften
Europas und Amerikas, die fundamentale Andersartigkeit
der USAoder gar den Abstieg Europas heraufbeschworen
hätte.

Die letzten 30 Jahre haben aber auch bewiesen, dass
alle diesen klugen Leute Unrecht hatten und Unrecht ha-
ben – übrigens auch diejenigen in der CDU, die seit ihrem
eigenen Machtverlust nur noch Unheil am transatlanti-
schen Horizont heraufziehen sehen. Diese Kassandrarufe
werden in der Regel mit Vorwürfen wegen angeblicher
Versäumnisse der jetzigen Bundesregierung begründet
und im Hintergrund hört man dann immer den Kollegen
Rühe als Lautverstärker republikanischer Wahlkampf-
parolen, von denen sich inzwischen die Republikaner
selbst schon wieder verabschiedet haben.

Ich habe gar nichts dagegen, wenn man sich auch in
Amerika mit besonders guten Freunden der „old boys
connection“ ausführlich austauscht. Aber jedermann ist
im europäischen Interesse aufgerufen, sich das ganze
breite Meinungsspektrum in Amerika anzuhören.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: In Russland auch!)


Dabei gibt es zu bedenken, dass zum Beispiel zwischen
Pentagon und State Departement ein immanentes Span-
nungsverhältnis herrscht, das sich immer dann zeigt,
wenn wichtige außen- oder sicherheitspolitische Ent-
scheidungen anstehen. Dann gilt es auch zu bedenken,
dass es ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen der
Regierung und dem Kongress in den USA gibt und dass
dem Kongress bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen
nicht mit simplifizierten Antworten aus Europa begegnet
werden kann.

So gibt es in der Frage von „missile defense“ nicht die
Alternativen Gefolgschaft oder Verweigerung. Im Gegen-
teil, wir haben unsere eigenen europäischen Erfahrungen
mit Gefährdungen und Bedrohungen, aber auch unsere ei-
genen Interessen, die wir in den transatlantischen Dialog
einbringen wollen. Was ist beispielsweise mit der Gefähr-
dung durch miniaturisierte Massenvernichtungsmittel?
Was ist mit Bedrohungen, die nicht von Staaten, sondern
von internationalen Banden ausgehen? Was bedeutet eine
Defensivtechnologie für das bisherige Abrüstungs-
regime? Wie reagieren andere Akteure in der Weltpolitik?
Auf all diese Fragen gibt es auch in Amerika noch keine
fertigen Antworten. Im Gegenteil, dort wird genauso hef-
tig gestritten und debattiert wie bei uns.

Auch von der CDU-Bundestagsfraktion gibt es nicht
einmal andeutungsweise Antworten auf solche Fragen.
Aber von der Bundesregierung verlangt diese Fraktion
eine frühe Festlegung. Da ist der amerikanische Verteidi-
gungsminister selbst sehr viel offener, wenn er einräumt,
dass es einen Konsultationsbedarf mit Freunden, Alliier-
ten und anderen Partnern gibt. Wir Sozialdemokraten se-




Präsident Wolfgang Thierse
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(D)



(A)



(B)


hen dies genauso, weil wir uns Sicherheit in allen Berei-
chen für alle wünschen.

Aber es wäre fatal, wenn wir nicht auch politische Al-
ternativen zum Umgang mit so genannten „states of con-
cern“ in die Diskussion einbringen würden. Es wäre fatal,
wollten wir – wie es zumindest bei Teilen der CDU-Op-
position den Anschein hat – die transatlantische Bündnis-
diskussion auf NMD oder „missile defense“ verengen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, die transatlantischen Beziehungen sind für Eu-
ropa zu wichtig, als dass wir sie für kurzatmige innenpo-
litische Hahnenkämpfe missbrauchen dürften. Wir reden
hier vielmehr auf der Grundlage gemeinsamer Werte, ge-
meinsam erlebter wechselvoller Geschichte, auf der
Grundlage intensiver kultureller Beziehungen und starker
wirtschaftlicher Verflechtungen und nicht zuletzt auf der
Grundlage von Freundschaft und loyaler Partnerschaft.
Wir reden und wir leben miteinander im Bewusstsein der
gemeinsamen Verantwortung der reichen und hoch ent-
wickelten Länder für die friedliche Weiterentwicklung
der gesamten Welt. Und dabei gilt: Diplomacy first!

Der Stellenwert einer Partnerschaft zeigt sich unter den
seit 1989 veränderten Bedingungen darin, dass unter-
schiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Interessen of-
fen angesprochen und behutsam behandelt werden, ohne
dass das Verhältnis Schaden nimmt. Rechthaberei und
Euro-Chauvinismus sind dabei genauso wenig zuträglich
wie hegemoniales Gehabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Reibungspunkte gibt es in jeder engen Beziehung. Die
Frage ist immer nur, wie man damit umgeht. Militärische
Macht allein darf nicht mit Führung verwechselt werden.
Wer führen will, muss Antworten auf die Probleme der Ar-
mut, des Ressourcenmangels, der Umweltbedrohungen,
der Proliferation, der Kriminalität, des Terrorismus, der In-
toleranz und der Überbevölkerung suchen. Auch Amerika
ist zu klein, um all diese Probleme allein zu lösen.

Endgültige Antworten wird auch die transatlantische
Gemeinschaft allein nicht geben können. Wir leben in ei-
ner Weltgemeinschaft; wir brauchen multilaterales Han-
deln, wir brauchen die Akzeptanz der Vereinten Nationen
und anderer internationaler Organisationen gerade auch
bei der politischen Klasse in den Vereinigten Staaten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier liegt eine besondere Verantwortung bei uns Parla-
mentariern, nämlich den Kolleginnen und Kollegen im
Kongress immer wieder klar zu machen, dass etwa die
Probleme Afrikas oder Asiens nicht ohne eine starke Rolle
der Vereinten Nationen gelöst werden können.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Regierungen und Parlamente der demokratisch

verfassten Partnerländer müssen weitreichende Entschei-
dungen treffen. Grundlagen für solche Entscheidungen

können nur die Bereitschaft zu gemeinsamer Problem-
analyse, zum Lernen voneinander und zur nüchternen Ab-
wägung von Chancen und Risiken sein. Die Stärkung
und die ständige Erneuerung der – so heißt es allgemein –
„learning community“ ist die wirkliche Aufgabe der
transatlantischen Beziehungen.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Dies setzt jedoch den Willen und die Fähigkeit der Eu-
ropäer voraus, tatsächlich als gleichberechtigte Partner in
Erscheinung zu treten. Insofern sind die Worte Willy
Brandts noch immer aktuell.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415800200
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Rühe, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1415800300
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir vor der Reise
des Bundeskanzler nach Washington diese Debatte im
Deutschen Bundestag führen.

Die transatlantische Partnerschaft – ich denke, darin
sind wir uns einig – ist das feste Fundament unserer
Außenpolitik. Sie ist im Rückblick auf die letzten 50 Jahre
eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Sie hat uns nämlich
Frieden, Freiheit, Wohlstand und schließlich die Wieder-
vereinigung Deutschlands und Europas gebracht. Mehr
noch: Durch die Erweiterung von NATO und Europä-
ischer Union wird es jetzt unter den europäischen Staaten
zu einer Nähe, einer Gemeinsamkeit und einem Mitei-
nander kommen, wie es sie niemals zuvor in der Ge-
schichte dieses Kontinents gegeben hat. Die transatlan-
tische Partnerschaft ist für all dies die Grundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Am Beginn des neuen Jahrhunderts stehen wir aber

auch vor neuen Herausforderungen. Wenn wir sicherstel-
len wollen, dass die Amerikaner in Europa bleiben – in ih-
rer Geschichte war es für sie ein völlig neuer Schritt, eine
Revolution, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Eu-
ropa geblieben sind –, dann müssen wir zu einem rele-
vanteren und gleichwertigeren Partner werden. Willy
Brandt sprach von „ebenbürtiger Partner“. Bis dahin ist es
noch ein verdammt weiter Weg. Aber die Frage ist, ob wir
glaubwürdige Schritte in Richtung dieses Ziels unterneh-
men.

Was nicht passieren darf, ist, dass das atlantische
Bündnis zu einem bloßen Sicherheitsnetz verkommt. Es
kann nicht sein, dass jeder einzeln herumturnt und nur bei
einem Absturz von diesem Sicherheitsnetz Gebrauch
macht. Es darf nicht die Zukunft des atlantischen
Bündnisses sein, dass jeder macht, was er will, und dieses
Netz nur als letzte Sicherheit dient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Volkmar Schultz (Köln)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Schon gar nicht darf die europäische Integration dazu
führen, dass wir ein nebulöses Niemandsland der interna-
tionalen Politik betreten oder dass sich Europa als Ge-
genmacht zu Amerika versteht. Es gibt in der deutschen
Politik – darüber will ich sprechen – neben tragenden
Pfeilern in den transatlantischen Beziehungen auch Irrita-
tionen, Unklarheiten, Widersprüche und Brüche. Das be-
trifft die deutsche Reaktion auf den Militäreinsatz im
Irak, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik und die Frage der Raketenabwehr.

Im Irak standen unsere amerikanischen und britischen
Alliierten angesichts der Bedrohung ihrer Flugeinsätze
durch neue irakische Radaranlagen vor der Wahl, entwe-
der diese Radaranlagen zu zerstören oder die Flüge ein-
zustellen und damit dem Irak freie Hand gegenüber den
kurdischen und schiitischen Minderheiten sowie bei der
Aufrüstung zu geben oder aber das Leben ihrer Piloten zu
riskieren. Es war im Interesse der Bewältigung dieser Pro-
bleme eine klare Entscheidung, wie die Amerikaner und
Briten reagiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Einsatz war notwendig und richtig und hat unsere Un-
terstützung verdient.

Der Bundeskanzler hat sich über vier Tage in Schwei-
gen gehüllt. Das war übrigens im Dezember 1998, als Sie
schon Bundeskanzler waren, anders. Seinerzeit haben Sie
sofort den britischen Premierminister persönlich angeru-
fen und Ihre Solidarität auch öffentlich deutlich gemacht.
Damals gab es viertägige Militäreinsätze.

Es war richtig, dass sich Außenminister Fischer in
Washington hinter die militärische Aktion der USA ge-
stellt hat. Aber wir beobachten ja immer wieder eine er-
staunliche Wandlungsfähigkeit unseres Außenministers.
Auf dem Parteitag der Grünen hat die neue Vorsitzende
gesagt, die Grünen lehnten die amerikanischen Bombar-
dements klar ab. Von Herrn Fischer haben wir aber nicht
dieselben klaren Worte gehört. Ich finde, der deutsche
Außenminister sollte sich im Bundestag genauso klar wie
in Washington hinter diesen Einsatz stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joseph Fischer, Bundesminister: Das haben wir doch schon gemacht!)


Herr Fischer, Sie haben ja eine erstaunliche Wandlungs-
fähigkeit, je nachdem, wo Sie sprechen. Manche Menschen
bezeichnen Sie als politisches Chamäleon. Ich finde, diese
Bezeichnung ist nicht zutreffend, denn ein Chamäleon hat
eine Farbkonstante. Wenn ich aber sehe, wie unterschied-
lich Sie an verschiedenen Orten sprechen, muss ich sagen:
Das tut der deutschen Außenpolitik nicht gut.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen fordern wir die Bundesregierung auf, eigene
Initiativen und Vorschläge für die Neugestaltung des
Sanktionsregimes gegenüber dem Irak und für seine
Durchsetzung vorzulegen. Es muss vor allem um eine
Einengung der Sanktionen auf der militärischen Ebene
gehen; diese müssen dann aber auch strikter als bisher
durchgesetzt werden.

Zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik – ein vielleicht ganz entscheidendes Thema der
nächsten Jahre –: Die Stärkung Europas durch einen si-
cherheitspolitischen Arm ist richtig, wenn es letztlich der
Stärkung des Bündnisses dient. Wir haben das mit der
deutsch-französischen Brigade, dem Eurokorps, dem
deutsch-polnisch-dänischen Korps in Stettin und der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik praktiziert.

Worum es bei dieser europäischen Politik gehen muss,
haben Präsident Bush und Premierminister Blair bei
ihrem Treffen am 23. Februar zum Ausdruck gebracht, in-
dem sie gesagt haben, es gehe darum,

Europa zu einem stärkeren und leistungsfähigeren
Partner zu machen, der imstande ist, Krisen, die die
Sicherheit der atlantischen Gemeinschaft betreffen,
abzuwenden und zu bewältigen.

Die europäische militärische Handlungsfähigkeit – ich
hoffe, wir sind uns darin einig – darf kein Programm zur
Vertreibung Amerikas aus Europa sein. Im Gegenteil: Sie
muss die Vereinigten Staaten in diesem Jahrhundert in Eu-
ropa binden. Deswegen darf es weder Doppelstrukturen
noch eine Ausgrenzung der Vereinigten Staaten geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der Bundeskanzler
bei seinem Besuch in Washington die deutsche Position in
dieser Weise klar machen wird. Aber er hat ein Problem:
Wie wirkt denn das Bemühen, Europa zu einem stärkeren
und leistungsfähigeren Partner zu machen, wenn dieser
Einsatz für ein stärkeres Europa mit einer drastischen Un-
terfinanzierung der Bundeswehr verbunden ist? Wie passt
es zusammen, innerhalb von vier Jahren 20MilliardenDM
weniger für die deutschen Streitkräfte auszugeben und
gleichzeitig von einer Stärkung Europas zu sprechen?


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wie viel Schulden wollen Sie denn noch machen?)


– Auch bei uns war das Geld knapp; aber Sie geben in-
nerhalb von vier Jahren 20Milliarden DM weniger für die
Streitkräfte aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nur noch 1,1 Prozent des Bruttosozialprodukts werden

für den Verteidigungshaushalt angesetzt und dieser Anteil
bleibt hinter dem vieler kleinerer Staaten – von den
großen ganz zu schweigen – in Europa zurück. Wie soll
eine solche Abmeldung von der Einsatzverpflichtung im
Bündnis mit dem Anspruch zusammenpassen, ein stärke-
res Europa zu schaffen? Herr Bundeskanzler, Sie werden in
Washington in Erklärungsnot kommen. Wer die eingelei-
teten Maßnahmen nicht korrigiert, gefährdet die Glaub-
würdigkeit Deutschlands als berechenbarer Bündnispartner.
Deshalb fordern wir die Rückkehr zu einer mittelfristigen
Finanzplanung, so wie wir sie für die weitere Entwicklung
der Bundeswehr vorgesehen hatten. Nur sie gibt der Bun-
deswehr eine ausreichende Grundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Im Übrigen muss klar sein, in welchen Szenarien es zu

einer konkreten Lastenteilung kommt. Auch hier gibt es




Volker Rühe
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(C)



(D)



(A)



(B)


auf der amerikanischen Seite viele Fragezeichen. Ich bin
jedenfalls davon überzeugt: Die USA werden eine
Relativierung ihrer Führungsrolle im Bündnis akzeptie-
ren, wenn die Europäer eine Aussicht auf eine echte Ent-
lastung bieten. Völlig unglaubwürdig ist es, wenn manche
Kollegen aus dem Koalitionslager immer die Dominanz
der Vereinigten Staaten von Amerika beklagen, aber
nichts dafür tun, dass Europa stärker wird, um damit die
Führungsrolle der Vereinigten Staaten zu relativieren. Ich
bin sicher, dass eine solche Politik machbar und durch-
setzbar wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Zur Raketenabwehr – ich glaube, es ist wichtig, vor
Ihrem Besuch in Amerika die Positionen zu klären; natür-
lich werden wir noch umfangreichere Debatten haben –:
Mit dieser Raketenabwehr zeichnet sich die technologi-
sche Möglichkeit ab, angesichts der Proliferation einen
Schutz zu schaffen und Abschreckung durch Elemente der
Verteidigung zu ergänzen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Völliger Unsinn!)

Sie gibt auch die Chance zu erheblichen Abrüstungs-
schritten. Präsident Bush verbindet die Pläne einer Rake-
tenabwehr zum Beispiel mit der Bereitschaft zu einer ein-
seitigen drastischen Reduzierung auf nur noch einige
Hundert Systeme bei den nuklearen Offensivraketen.

Worum geht es? – Es geht jetzt um die Frage, ob wir
uns auf eine neue Sicherheitsstrategie einlassen. Es geht
jetzt nicht darum, dass wir etwas bestellen, oder um die
Hardware. Es geht, wie gesagt, um eine neue Sicher-
heitsstrategie, um einen neuen Mix aus Abschreckung und
Verteidigung, das heißt um die Chance, durch Raketenab-
wehr einen gewissen Schutz zu schaffen und zugleich die
Zahl der Offensivwaffen deutlich zu reduzieren. Die
CDU/CSU-Fraktion hält es jedenfalls für richtig, diese
Chance im Grundsatz zu ergreifen. Das trennt uns von
dem Durcheinander, das auf Ihrer Seite herrscht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen, dass der Dialog über die Raketenabwehr

auf der Grundlage einer engen transatlantischen Zusam-
menarbeit offen für die Einbeziehung von Nicht-NATO-
Staaten ist. Aber dafür ist die Formulierung einer deut-
schen und einer europäischen Position Voraussetzung.
Wenn wir auf die Amerikaner Einfluss haben wollen, dann
müssen wir hinsichtlich der deutschen Position Klarheit
schaffen. Aber innerhalb der Bundesregierung und der Re-
gierungskoalition geht es völlig durcheinander, wie das
wirklich unprofessionelle Stimmengewirr beweist. Der
Verteidigungsminister kritisiert von Moskau aus die USA.
Der Außenminister sieht die Möglichkeit, dass Berlin eine
Vermittlerrolle zwischen Washington und Moskau spielt,
so, als stünde Deutschland in einer Äqui-Distanz.
Deutschland ist kein Vermittler, kein unbeteiligter Beob-
achter, sondern wesentlicher Mitbeteiligter. Schließlich
geht es auch um unseren Schutz im 21. Jahrhundert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Gewogen und für zu leicht befunden!)


Deshalb muss die Reihenfolge stimmen. Wir müssen eine
deutsche Position formulieren, Einigkeit im Bündnis
schaffen und dann den Dialog mit Russland und anderen
Nicht-NATO-Staaten führen.

Herr Erler, Sie durften heute noch nicht einmal das
Wort ergreifen.


(Gernot Erler [SPD]: Keine Angst! Das kommt noch!)


– Gut, wenn Sie das Wort ergreifen, sollten Sie einmal er-
klären, was Sie gemeint haben, als Sie gesagt haben, es
gehe um potenzielle Unverwundbarkeit und das Ganze sei
ein riesengroßer Quatsch. Das ist Ihre Position, Herr Erler.
Die neue Vorsitzende der Grünen sieht die Gefahr, dass
die Raketenabwehr mehr Konfrontation und eine Kon-
terkarierung der internationalen Abrüstungsbemühungen
bedeuten könnte.


(Zurufe von der SPD: Unverwundbarkeit!)

Wenn Herr Erler tatsächlich Recht hat, wie ich aus der
SPD-Fraktion gerade höre, dann stellt sich die Frage, wie
Ihr Bundeskanzler vorschlagen kann, dass wir uns an ei-
nem solchen Quatsch beteiligen. Können Sie mir das er-
klären?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Bundeskanzler spricht zwar von eminenten wirt-
schaftlichen Interessen und von der Teilhabe an der Tech-
nologie der Raketenabwehr. Aber zu den grundlegenden
strategischen Fragen und Chancen sagt er nichts. Ich
denke, man wird der Sache nicht gerecht, wenn man nur
auf die Chancen im Hinblick auf die wirtschaftliche Teil-
habe schaut. So können wir unsere Interessen im Bündnis
jedenfalls nicht sichern. Im Kern geht es um eine Debatte
über eine neue Sicherheitsstrategie im 21. Jahrhundert.
Dazu muss – darum geht es – grundsätzlich Ja gesagt wer-
den. Der Außenminister muss klarstellen, was er gestern
damit gemeint hat, als er gesagt hat, man dürfe die USA
nicht so stark kritisieren. Das ist eine dieser typischen
windelweichen, taktischen Formulierungen. Wenn das,
was die USAvorhaben, richtig ist, dann sollten wir es un-
terstützen. Wenn es falsch ist, dann sollten wir es deutlich
kritisieren.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Aber wenn man aus politischen Gründen sagt, man solle
das nicht so stark kritisieren, weil die USA das ohnehin
umsetzen würden, dann wird man der Aufgabe, die deut-
schen Interessen wahrzunehmen, nicht gerecht, Herr
Außenminister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf des Bundesministers Joseph Fischer)


–Wenn das richtig ist, dann unterstützen Sie es doch! Das,
was am Vorhaben der Vereinigten Staaten falsch ist, soll-
ten Sie kritisieren, und zwar deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben eine klare Posi-

tion. Wir haben auch einen entsprechenden Antrag einge-
bracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Angebot




Volker Rühe

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(D)



(A)



(B)


der US-amerikanischen Regierung, ein umfassendes
Raketenabwehrsystem unter Einbeziehung der Alliierten
zu schaffen, anzunehmen und dazu konkrete Vorstellun-
gen zu entwickeln, damit Deutschland in dieser Frage ein
echter Partner der USAsein kann. Es ist höchste Zeit, dass
wir uns mit eigenen Initiativen für eine europäische
Schutzkomponente im Rahmen einer Allied Missile De-
fense in den Entscheidungsprozess einbringen.

Herr Bundeskanzler, von Ihnen verlangen wir, dass Sie
in Washington nicht nur darauf hinweisen, dass sich
Deutschland finanziell und wirtschaftlich beteiligen
möchte. Sie sollten auch ein klares, grundsätzliches Wort
zu den Überlegungen hinsichtlich einer neuen Sicher-
heitsstrategie im 21. Jahrhundert sagen, und zwar zu allen
Aspekten der Raketenabwehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine klare deutsche Stimme. Nur dann

kann auch die europäische Position bestimmt werden. Ich
glaube, dass die transatlantischen Beziehungen aufgrund
ihrer 50-jährigen Geschichte im Kern gesund sind und
dass es nach dem Regierungswechsel – Gott sei Dank –
auch Kontinuität gegeben hat, dass es aber in den The-
men, die ich angesprochen habe, ein Potenzial an Irrita-
tionen und Brüchen gibt und dass deswegen die deutsche
Position geklärt werden muss. Deswegen haben wir, Herr
Bundeskanzler, diese Debatte im Deutschen Bundestag
gesucht; denn wir würden uns alle schweren Schaden zu-
fügen, wenn die deutsch-amerikanischen Beziehungen
und die europäisch-amerikanischen Beziehungen unter
Unklarheit und unter Brüchen leiden würden. Deswegen:
Nutzen Sie den Besuch in Washington – ich bin sicher, Sie
werden dort sehr freundschaftlich empfangen werden –,
um mit einer klaren Stimme die deutschen Positionen so
vorzutragen, wie wir sie hier formuliert haben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415800400
Ich erteile das Wort
Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415800500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kam ja
nicht überraschend, dass sich die neue Regierung in den
USA für ein wie auch immer geartetes Raketenabwehr-
system entschieden hat. Es hat auch wirklich niemanden
überrascht, dass sich Herr Rühe daran beteiligen will. Die
Frage ist nur: an was eigentlich? Ist es wichtiger, dabei zu
sein, als zu wissen, bei was man dabei ist? Die Bush-Ad-
ministration jedenfalls überprüft zunächst einmal: Was ist
überhaupt machbar und was ist finanzierbar? Was aber ei-
nige schon überrascht haben müsste, ist, dass die Bush-
Regierung den alten Haushaltsansatz der Clinton-Re-
gierung im Militärbereich übernommen und die Mittel
nicht aufgestockt hat, weil nämlich Bush die Realisierung
der versprochenen Steuersenkungen wesentlich wichtiger
ist als die Aufstockung des Militärhaushalts. Da, Herr
Rühe, hat er, glaube ich, die gleiche Kluft zwischen Wor-
ten und Taten, wie Sie sie hatten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für uns zeigt sich daran, dass dieses Projekt so schnell
nicht kommen wird und dass wir hier die Zeit zu einer of-
fenen, breiten und gründlichen Debatte haben, wie das
transatlantische Verhältnis vor allem im Sicherheitsbe-
reich in Zukunft aussehen soll.

Der Besuch des Außenministers in Russland – er hat
dort ausdrücklich nicht vermittelt, falls Ihnen das entgan-
gen sein sollte – hat doch klar gezeigt, dass wir eines nicht
wollen, nämlich dass ein Keil zwischen Europa und die
USA getrieben wird. Allerdings wollen wir, dass es ein
einvernehmliches Verständnis zwischen Russland und
den USA gibt.

Der Besuch in Washington hat ergeben, dass auch die
Regierung Bush die enge Konsultation im atlantischen
Bündnis will und dass es keinen Alleingang geben wird.
Ich denke, das ist ein wichtiger Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Für uns besteht die Notwendigkeit, vieles zu klären:
Welche Art von Sicherheit gibt es denn durch eine Rake-
tenabwehr? Welche Auswirkungen hat sie auf die interna-
tionalen Abrüstungsbemühungen? Und vor allen Dingen:
Wie greift sie in das Kräfteverhältnis der Staaten ein? Was
bedeutet denn dieser Strategiewechsel, Herr Rühe, weg
von der alten Abschreckungsstrategie hin zu einem um-
fassenderen Abwehrschutz für die, die sich nicht daran be-
teiligen können oder wollen?


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsache, er ist dabei!)


Dafür brauchen wir einen sehr viel stärkeren Austausch
über die Bedrohungsanalysen hier und in den USA. Wir
müssen unseren amerikanischen Freunden stärker als bis-
her vermitteln, dass diese Art der Sicherheitspolitik, die
von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgeht, von ih-
nen nicht unterschätzt werden sollte und für uns Vorrang
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gilt auch, bei den amerikanischen Freunden dafür zu
werben, dass uns der Wegfall der Bedrohung durch das
Ende der Blockkonfrontation zwar ein Stück weit unab-
hängiger von den USA gemacht hat, aber eben nicht im
Sinne einer Abkopplung, sondern in dem Sinne, dass wir
selber mehr Verantwortung übernehmen müssen und wer-
den. Unser gemeinsames Anliegen ist es doch, die USA
noch enger in die internationalen Regime von Abrüstung
einzubinden, damit wir vorankommen. Wir wollen, dass
sich die USA in zentralen Punkten bewegen. Das betrifft
nicht nur das Engagement in den Vereinten Nationen,
sondern auch die Ratifizierung des Römischen Statuts
zum Internationalen Strafgerichtshof


(Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])

und den CTBT.

Wir brauchen die USA bei der Lösung von sehr vielen
Problemen, insbesondere beim Klimaschutz.Mit großer
Sorge nehmen wir die Prognosen über die Auswirkungen
der globalen Erwärmung zur Kenntnis. Wir appellieren




Volker Rühe
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(D)



(A)



(B)


dringend an die neue Regierung, bei der Eindämmung von
CO2-Emissionen mitzumachen und uns weltweit zu un-terstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei einigen Themen kommen auch Unterschiede in
Tradition und Kultur zutage, zum Beispiel bei der
Handhabung der Gentechnik. Es ist wichtig, festzustellen,
dass wir nicht den europäischen Markt abschotten wollen,
sondern dass Verbraucherinnen und Verbraucher keine
gentechnisch veränderten Lebensmittel haben wollen.

Manchmal nehmen wir die USA auch sehr eindimen-
sional wahr, und zwar dort, wo wir sie nicht verstehen,
zum Beispiel bei der Todesstrafe. Tatsache ist: In vielen
Staaten ist sie abgeschafft und in der amerikanischen Ge-
sellschaft selber gibt es eine heftige Debatte. Sehr, sehr
viele engagieren sich dort für die Abschaffung der Todes-
strafe. Ihnen gilt unsere Unterstützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])


Trotz aller Unterschiede ist auffallend, welche Faszi-
nation die Vereinigten Staaten auf viele Europäer aus-
üben. Daher stellt sich die Frage: Was können wir von ih-
nen lernen? Warum sind sie so attraktiv für viele junge
Menschen, für Wissenschaftler und Künstler? Dabei ist
nicht nur das Modell Green Card, sondern auch die Of-
fenheit, die Vitalität der amerikanischen Gesellschaft ins-
gesamt interessant. Ich meine ihre Bereitschaft, bei allen
Unterschieden immer wieder das Element der Gleichheit
wahr zu machen. Davon können wir uns ein Stück ab-
schneiden, statt nach einer Leitkultur zu suchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im transatlantischen Verhältnis können zwar viele Pro-
bleme zu Missverständnissen und zu Spannungen führen;
aber wir sollten diese Differenzen nicht überbewerten.
Die Bindungen zwischen Europa und Nordamerika sind
tiefer und fester, als sie oft wahrgenommen werden.


(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Sehr richtig!)

Sie sind kein Selbstläufer und bedürfen selbstverständlich
ständiger Anstrengungen. Wir tun gern das Unsere dazu.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415800600
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion, das Wort.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1415800700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In diesen Tagen kommt das
Auswärtige Amt etwas in die Jahre; denn es wird, wenn
man die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik
Deutschland zugrunde legt, 50 Jahre alt. Mit Geschick
und großartiger außenpolitischer Arbeit hat es diese große
Konstante der Nachkriegspolitik der Bundesrepublik

Deutschland, die transatlantischen Beziehungen, beglei-
tet. Dazu dem amtierenden Bundesaußenminister herzli-
chen Glückwunsch, mit der Bitte, ihn an die Mitarbeiter
weiterzugeben!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was erreicht worden ist, ist ein Stück Erfolgsgeschichte
der Arbeit.

Die alte bipolare Welt existiert nicht mehr; aber die
Konstante, die ich eben erwähnt habe, ist geblieben. Diese
Partnerschaft hat sich zunächst zwar aus der Auseinan-
dersetzung mit einem anderen Weltbild entwickelt, ist
aber, was die Grundwerte, die Individualrechte, die Per-
sönlichkeitsrechte, die Freiheitswerte, die Globalisierung,
den freien Markt und all das, was unsere Wertegrundlage
ausmacht, angeht, eine so tiefe Wertegemeinschaft ge-
worden, dass wir sie nicht nur weiterhin brauchen; viel-
mehr ist sie für uns, für beide Seiten des Atlantiks, kultu-
rell unentbehrlich.

Für uns Deutsche war Amerika nicht nur das, was wir
nach dem Kriegsende ökonomisch mit dem Marshallplan,
mit der Luftbrücke oder – um optische Signale zu setzen –
mit dem, was sich mit „lucky strike“ verband, identifiziert
haben. Für uns war diese transatlantische Brücke zutiefst
notwendig, um, wie Theodor Heuss es so präzise und
prägnant formuliert hat,


(Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Sie können auch ein Wort zu Elvis sagen!)


im letzten Jahrhundert die politischen Eliten in Deutsch-
land mit den wirklichen Demokratien des Westens zu ver-
söhnen. Das ist gelungen. Das geht weit über ökonomi-
sche Bindungen und temporäre Handelskonflikte hinaus.

Wir wissen, dass wir auf Partner angewiesen sind. Das
gilt auch für den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wir
müssen dafür Sorge tragen, dass das auch von den beiden
Zivilgesellschaften so gesehen wird; denn Kontakte auf
Regierungsebene alleine reichen nicht. Partnerschaften
auf kultureller Ebene sind notwendig. Das gilt auch für
die einzig verbliebene Weltmacht, die Vereinigten Staaten
von Amerika. Wir wissen, dass ihr Einfluss in der
Sicherheitspolitik stärker ist als unserer, dass auf ihr Ur-
teil mehr gehört wird und sie sich besser sichern können.
Das ist aber nicht der zentrale Punkt. Wenn sie zu nach-
haltigen Problemlösungen in der Welt einen Beitrag leis-
ten wollen, müssen sie begreifen, dass Partnerschaften ge-
radezu kulturell notwendig sind. Darauf müssen wir
hinwirken.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das verschafft uns ein ganz anderes Stimmengewicht;
dieses ist dann nicht mehr abhängig von der Größenord-
nung Europas oder dem Fortschritt der europäischen Inte-
grationsbemühungen, obwohl diese – das fände auch ich
besser – weiter fortgeschritten sein könnten, als sie zurzeit
sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich einen wichtigen
Punkt, Herr Bundesaußenminister und Herr Bundeskanz-
ler, ansprechen: Es macht mir Sorge, dass wir einen




Rita Grießhaber

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(C)



(D)



(A)



(B)


Nukleus für die Verbindung unserer Zivilgesellschaften
verlieren, der die Nachkriegszeit prägte. Damals trans-
portierten die bei uns stationierten amerikanischen Solda-
ten die Kenntnis europäischer Kultur bis tief in den
Mittleren Westen der Vereinigten Staaten von Amerika.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Bis zu Elvis!)

Es ist deshalb nicht beliebig, wie gut man die Haushalts-
titel für Studenten-, Bürger- und Künstleraustausch aus-
stattet. Diese Frage darf nicht unter den Zwängen mittel-
fristiger Finanzplanung entschieden werden. Es ist
dringend notwendig, dass diese Bereiche im Haushalt
stärkeres Gewicht erhalten. Wir sind nämlich auf diese
Verbindungen zwischen den Zivilgesellschaften ange-
wiesen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Auch die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehun-

gen wächst. Wir als Deutsche erkennen das zum Beispiel
an den Firmenkooperationen zwischen Daimler und
Chrysler, Telekom und Voice-Stream sowie Deutsche
Bank und Bankers Trust. Diesen frisch Vermählten steht
aber kein sicherer transatlantischer Bezugsrahmen zur
Verfügung, denn die halbjährlichen Gipfeltreffen und
Konsultationen auf der Agenda reichen nicht aus, um ei-
nen wirklich belastbaren Rahmen zu schaffen.

Die Themenkomplexe Bananen, Hormonfleisch, gen-
technisch modifizierte Pflanzen wie Mais, Soja und Raps,
Boeing und Airbus sowie die Helms-Burton-Gesetze wer-
fen natürlich Konflikte auf und provozieren unterschied-
liche Sichtweisen. Das muss offen miteinander bespro-
chen werden, unabhängig von den sicherheitspolitischen
Themen, die noch hinzukommen. Hin und wieder melden
sich Stimmen zu Wort, die die Belastungen für schier un-
erträglich halten. Ich finde, dass das deutsch-amerikani-
sche Verhältnis so gut ist, dass es auch einige Streitigkei-
ten und Belastungen aushalten kann. Es ist in keiner
Weise ernsthaft gefährdet. Man kann über unterschiedli-
che Interessen ernsthaft reden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, man muss sich aber auch
bemühen, in diesen Bereichen zu Lösungen zu kommen.
Wenn die Konsultationen und die halbjährlichen Gipfel-
treffen nicht ausreichen und im Anschluss daran lediglich
Kommuniqués veröffentlicht werden, ohne die Sache
wirklich weitergebracht oder erledigt zu haben, muss man
versuchen, einen für beide Seiten verbindlichen und
WTO-konformen Streitschlichtungsmechanismus zu
etablieren. Hieran führt kein Weg vorbei. Dies haben wir
beantragt. Herr Bundeskanzler, wenn Sie den amerikani-
schen Präsidenten besuchen, ist dies einer der zu be-
sprechenden Punkte. Es reicht nicht aus, dass in einem
Kommuniqué all das, was uns bewegt, lediglich aufge-
zählt wird. Es muss ein Regelungsmechanismus vorge-
schlagen werden, wie die Probleme zu bewältigen sind.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen dies nicht nur öffentlich erörtern, sondern die
Probleme auch lösen. Wir sehen die bisherigen Aktivitä-
ten der Bundesregierung als nicht ausreichend an.

Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten und der
europäische Einigungsprozess sind die beiden Konstanten
der deutschen Außenpolitik. Der europäische Eini-
gungsprozess ist von uns zu gestalten. Die amerikanische
Administration fragt häufig symbolhaft nach einer Tele-
fonnummer, die man anrufen kann, wenn man mit Europa
sprechen möchte. Das zeigt, dass den Amerikanern die eu-
ropäische Visitenkarte sozusagen noch nicht ausreichend
lesbar erscheint. Wir sollten es uns zur Aufgabe machen,
intensiv daran zu arbeiten, dass dies möglich ist.

Ich verstehe schon manche Stimmen aus Amerika – ich
selbst habe nämlich in diesem Punkt Schwierigkeiten –,
die sich darüber beschweren, dass nicht klar erkennbar ist,
ob die Ergebnisse der beiden großen europäischen Gip-
feltreffen unter deutscher bzw. französischer Präsident-
schaft in Berlin bzw. Nizza wirklich ausreichen, um den
europäischen Integrationsprozess strategisch weiterzu-
bringen. Die Amerikaner haben Mühe, die entsprechen-
den Kommuniqués und die Erörterungen zu verstehen.
Angesichts des Verhaltens der europäischen Regierungs-
chefs auf dem Gipfel von Nizza – sie haben unter Aus-
schluss der Fernsehkameras den Vertrag unterschrieben –
müssen sie den Eindruck haben, dass es zum Abschluss
keinen großen Erfolg gab.

Es gibt – mit einer Ausnahme – noch keine europä-
ischen Entscheidungen, die für die Vereinigten Staaten
von Amerika wirklich wahrnehmbar wären.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die einzige Entscheidung, die sie bewusst wahrgenom-
men haben, war die Entscheidung über die Einführung des
Euro. Das zeigt uns aber, dass kohärente Entscheidungen,
die völlig klar sind und mit denen Symbole nach außen
transportiert werden, die europäische Visitenkarte gestal-
ten können. Solche Entscheidungen sind nämlich wahr-
nehmbar. Man kann sich deshalb auf sie einstellen und mit
ihnen kalkulieren. Die anderen Entscheidungen zer-
fließen sozusagen in Bezug auf ihre Außenwirkung. Sie
machen nicht ausreichend deutlich, welches Gewicht,
welche weiteren Integrationsbemühungen und welche
Zielvorstellungen Europa wirklich hat.

Unter Partnern muss ein Punkt klar sein: Partnerschaft
funktioniert nur, wenn die eigenen Positionen klar er-
kennbar sind, wenn man weiß, worauf der andere hinaus
will, und wenn Zielvorstellungen präzise beschrieben
werden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das sind ja ganz neue Erkenntnisse!)


– Ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf; denn er gibt
mir Gelegenheit, an die Adresse der SPD zu sagen: Glau-
ben Sie nicht, dass die deutsche Stimme irgendein Ge-
wicht in Bezug auf die Sicherheitspolitik hat! Warum
sonst wurde der Bundesverteidigungsminister anlässlich
seines Besuches in Amerika von seinem amerikanischen
Kollegen gefragt, welche Bedeutung seine Stimme ange-




Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



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(A)



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sichts des derzeitigen Zustandes der Bundeswehr eigent-
lich habe?


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die Haushaltsverschiebungen, die Sie für die Bundes-
wehr vornehmen, setzen nicht das Zeichen, in der Sicher-
heitspolitik mitreden zu können. Das ist wirklich nicht der
Fall.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wenn Sie auf diesem Gebiet mitreden könnten, dann

könnten Sie sich auch die Freiheit nehmen, unseren ame-
rikanischen Freunden zu sagen – ich tue dies von hier
aus –: Es besteht ein Missverhältnis zwischen guten Ab-
sichten und dem erzielten Ergebnis beim Vorgehen im
Irak, auch wenn man respektiert, dass es eine mit dem
Vereinigten Königreich abgestimmte Entscheidung zum
Schutz der Piloten war.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Es gibt auch in den Vereinigten Staaten von Amerika
genügend Stimmen, die sich ähnlich äußern. Unter Freun-
den muss man diesen Punkt ansprechen. Die politische
Wirkung steht im umgekehrten Verhältnis zum Ziel des
selbstlegitimierten Vorgehens.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dieses Verhalten bringt uns nicht weiter. Die Amerika-

ner verhalten sich oft sehr robust, sind nicht sehr mittei-
lungsbedürftig und sehen manche Abstimmungsnot-
wendigkeit nicht so wie die europäischen Partner;
anscheinend wurde die Bundesregierung nicht rechtzeitig
informiert. Man sollte sich daher die Freiheit nehmen,
Herr Bundesaußenminister, beim Besuch den amerikani-
schen Kollegen zu sagen, dass man dieses Verhalten als
kritikwürdig empfindet und dass sich das nicht wiederho-
len sollte. Wenn ich Ihre früheren Worte als Oppositions-
politiker in Erwägung ziehe, dann wundere ich mich, dass
Sie diese Kraft nicht aufgebracht haben. Das war für uns
sehr interessant.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Der deutsche Verteidigungsminister besucht seinen
amerikanischen Kollegen und verkündet dabei seine si-
cherheitspolitischen Vorstellungen. Er verspricht den Ver-
einten Nationen Stand-by-Forces, der NATO Krisenreak-
tionskräfte und der Europäischen Union Eingreiftruppen.
Der Generalinspekteur sagt aber, die Bundeswehr sei auf-
grund der Haushaltslage nur bedingt einsatzfähig. So
kann man doch nicht gegenüber den Vereinigten Staaten
von Amerika auftreten!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Sie war noch nie zu 100 Prozent einsatzfähig!)


Ich wundere mich auch, dass auf die Ideen und strate-
gischen Anstöße, die es im NMD-Bereich gibt, nur
zurückhaltend reagiert wird. Der Bundeskanzler hat in
München kritisch reagiert, in der „Saarbrücker Zeitung“
etwas offener. Er sprach von Technologie-Sharing. Das ist

zwar alles richtig. Dennoch muss ich sagen: Seien Sie
nicht so naiv, zu glauben, Sie könnten den Amerikanern
abgewöhnen, eigene Entscheidungen zu treffen! Die ei-
gentliche Aufgabe ist, sich mit den Europäern abzustim-
men, ein europäisches Interesse zu definieren und das
Vorhaben kritisch zu bewerten, wenn die Amerikaner
keine Rücksicht auf die europäischen Positionen nehmen.
Dies muss man den Vereinigten Staaten von Amerika mit-
teilen.

Man muss aber auch einen konzeptionellen Beitrag lie-
fern, wie man das NMD-Programm in Zukunft gestalten
kann, ohne die Sicherheitsinteressen Russlands zu beein-
trächtigen und neue europäische Missverständnisse zu
provozieren. Das wäre die Aufgabe. Da war nur die
Stimme vom Herrn Bundeskanzler zu vernehmen: Wenn
die das unbedingt wollen, sollten wir Wert auf Tech-
nologie-Sharing legen. Das reicht zur Vorbereitung Ihres
Besuchs nicht aus, Herr Bundeskanzler. Sie müssen das
mit den europäischen Partnern abstimmen; es muss But-
ter bei die Fische getan werden, wenn Sie über dieses Pro-
jekt reden.


(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Aber Sie sind nicht dagegen!)


– Ich bin nur dafür, dass man es dann auch ausführt, eu-
ropäische Interessen einbringt und den Vereinigten Staa-
ten unsere Interessen mitteilt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie jetzt den amerikanischen Präsidenten be-
suchen, dann treffen Sie ja auf einen Freund. In vielen Fa-
milien gibt man Erfahrungen weiter.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Der Vater des jetzigen Präsidenten hat für die Interessen
der Bundesrepublik Deutschland emotional viel mehr
Verständnis und Engagement aufgebracht als manche, die
in Deutschland selbst Politik gemacht haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich bin davon überzeugt, dass vieles auf den Sohn über-
tragen worden ist.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich hoffe, dass das so ist. Wir sind davon überzeugt, dass
er uns ein verlässlicher Partner ist.

Im Übrigen: Wenn Sie ihn sehen, grüßen Sie ihn sehr
herzlich von der Freien Demokratischen Partei,


(Lachen bei der SPD)

die hohen Respekt vor einer Entscheidung hat, die er dem
amerikanischen Kongress mitgeteilt hat, die die andere,
die ökonomische Seite der Vereinigten Staaten betrifft
und die Sie dazu veranlassen muss, noch gewaltig über
Ihre Hausaufgaben nachzudenken. Der Mann hat dem
Kongress schlicht mitgeteilt, dass der amerikanische Staat
den Bürgern bedauerlicherweise zu viel Geld ab-
genommen habe, und erklärt, dass er im nächsten Jahr-
zehnt beabsichtige, an die Bürger eine bestimmte Summe
zurückzugeben. Diese Summe ist 30-mal so hoch wie die




Dr. Wolfgang Gerhardt

15371


(C)



(D)



(A)



(B)


Summe, die der deutsche Finanzminister den Bürgern
zurückzugeben erst 2005 bereit ist. Uns erfüllt das mit
großer Freude. Eine solche Partnerschaft kann sehr von
Erfolg gekrönt sein, Herr Bundeskanzler.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Dass Sie die Stirn haben, bei Ihrer Schuldenpolitik so etwas zu sagen! Das ist unglaublich! – Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Haltet den Dieb!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415800800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415800900
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist natürlich das Alterna-
tiv- und Kontrastprogramm angesagt. Ich will eingangs
sagen: Bei der Rede des Kollegen Volker Rühe habe ich
wieder einmal verstanden, dass die Linke zu- und umler-
nen muss. Wir haben früher immer gesagt: „Völker, hört
die Signale!“ Jetzt kann man sagen: Volker hörte die Si-
gnale der neuen Bush-Administration aus Washington
und flugs war er hier wieder auf dem Zettel.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, die deutsche Öffentlichkeit, der Bundestag
und unsere europäischen Nachbarländer haben ein An-
recht, zu erfahren, mit welchen Botschaften der Bundes-
kanzler zum US-Präsidenten Bush fährt, ebenso wie die
amerikanische Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat, dif-
ferenzierte Meinungen zur transatlantischen Partnerschaft
zur Kenntnis zu nehmen. Viele Menschen in unserem
Lande haben, anders als der Außenminister, die Luft-
angriffe gegen den Irak abgelehnt und kritisiert und sagen
das sogar öffentlich.


(Beifall bei der PDS)

Sie sind mit der neuen Raketenrüstung, die fälschlicher-
weise auch noch den Zusatz „defense“ trägt, nicht einver-
standen und haben überhaupt den Eindruck, dass in der
amerikanischen Politik – wenn ich das etwas volkstüm-
lich sagen darf – der Colt recht locker sitzt. Wir haben dies
ganz deutlich gesagt.


(Beifall bei der PDS)

Wenn US-Politiker Gütesiegel für Staaten der Welt ver-

teilen und Länder als besorgniserregend einstufen – früher
hatte man sogar den Begriff Schurkenstaaten –, fällt mir
immer auch für die USA selbst der Begriff besorgniserre-
gend ein. Der Bombenangriff auf Bagdad als Auftakt
der Präsidentschaft von Bush junior erfüllt zumindest
mich und meine Fraktion mit außerordentlich großer
Sorge. Die USA sind für mich besorgniserregend.


(Beifall bei der PDS)

Es wäre die Verpflichtung des deutschen Außenminis-

ters gewesen, die Sorgen, die es in unserem Lande gibt,
den USA entgegenzuhalten.


(Beifall bei der PDS)


Zu allem Ja und Amen zu sagen hat nichts mit transatlan-
tischer Partnerschaft zu tun. Wer nicht kritisiert, ist nicht
tatsächlich solidarisch. Er ist unterwürfig und das ist das
Gegenteil von Solidarität.


(Beifall bei der PDS)

Es ist für einen Linken schon bedrückend, dass er,

wenn er nach positiven Stimmen sucht, darauf angewie-
sen ist, den ehemaligen Außenminister Klaus Kinkel zu
zitieren, der, anders als Fischer, zu dem Schluss kam, dass
man unter guten Freunden auch einmal ein kritisches Wort
sagen darf, ja manchmal sogar sagen muss. Ich hätte das
gerne gehört, als er noch Außenminister war. Aber späte
Erkenntnis ist immerhin auch eine Erkenntnis. Das unter-
scheidet ihn von dem jetzigen Außenminister.


(Beifall bei der PDS)

Vielleicht gibt es den Salto, wenn der jetzige Außenminis-
ter nicht mehr Außenminister ist.

Wir wollen vom deutschen Bundeskanzler Auskunft
darüber, welche Spielräume seiner Meinung nach für
Deutschland und Europa gegenüber den USA bestehen.
Deutsche und amerikanische Interessen sind nicht per se
deckungsgleich. Das deutsche Interesse an internationa-
len Organisationen wie der UNO ist größer als das der
USA. Deutschland als europäischer Staat muss anders mit
Russland umgehen, als es die USA tun. Deutschland hat
– auch unter der jetzigen Regierung, obwohl das schon
etwas heißen will – eine andere außenpolitische Linie ge-
genüber Ländern wie dem Iran oder Nordkorea. Be-
grüßenswerterweise hat sich Deutschland aus der Embar-
gopolitik gegenüber Kuba gelöst.

Die USA setzen rascher auf ihre militärische Überle-
genheit. Ihre Bereitschaft, sich von anderen etwas sagen
zu lassen, ist auf ein Minimum gesunken. Die UNO wird
ständig brüskiert und unterhöhlt. Selbst die NATO wird
nicht mehr konsultiert, ehe Bomben fallen. Die USA bre-
chen immer häufiger Völkerrecht. Der Zustand der Men-
schenrechte, von denen gegenüber anderen Staaten so
häufig gesprochen wird, ist in den USA höchst bedenk-
lich, besorgniserregend.


(Beifall bei der PDS)

Schließlich wächst die wirtschaftliche Konkurrenz zwi-
schen der Europäischen Union und den USA, nicht nur
auf den europäischen Märkten, auch in Asien und La-
teinamerika.

Die unterschiedlichen Interessen von Deutschland und
Europa einerseits und den USA andererseits fokussieren
sich in den US-Plänen eines neuen Raketensystems. Un-
abhängig davon, ob dieses System technisch überhaupt
machbar ist, streben die USA – das muss hier verstanden
werden – nach eigener Unverwundbarkeit – ob das geht
oder nicht – bei gleichzeitiger Fähigkeit, weltweit zu in-
tervenieren. Diesen Zusammenhang muss man sehen.
Deswegen ist es kein Abwehrsystem, sondern Teil einer
aggressiven Politik.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Wolfgang Gerhardt
15372


(C)



(D)



(A)



(B)


Man kann das auch mit anderen Worten beschreiben: Die
USA streben nach Weltherrschaft. Das muss abgelehnt
und zurückgewiesen werden.


(Beifall bei der PDS)

Das National Missile Defense – ob mit „National“ oder

ohne – zerstört die bestehenden Rüstungskontrollverträge
und verschärft Differenzen zu Russland und vor allem zu
China. Es ist doch Unsinn, dass dieses System gegen den
Irak oder Nordkorea gerichtet sein soll. Es richtet sich vor
allen Dingen gegen China und Russland. Das wird in
China und in Russland auch so verstanden.


(Beifall bei der PDS – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Mit Sicherheit!)


Es provoziert neues Wettrüsten, schafft Zonen unter-
schiedlicher Sicherheit und ist völlig ungeeignet, das zu
leisten, was als Ziel vorgegeben wird: Abwehr vor Terro-
rismus.

Statt die gemeinsamen europäischen Interessen zur
Verhinderung der US-Pläne zu stärken, entdeckt der
Kanzler plötzlich, es sei eine Sache des technischen Fort-
schritts, daran teilzuhaben, und es könne dadurch eine
neue Abrüstungsdebatte in Gang gesetzt werden. Die
USA suchen nicht technische Teilhabe, sondern finanzi-
elle und politische Abstützung. Der Gedanke, mit Aufrüs-
tung neue Abrüstungsbereitschaft zu fördern, ist wohl
eher ein Märchen als überzeugend.


(Beifall bei der PDS)

Ein neues Wettrüsten mag für die US-Wirtschaft, gerade
im Sinkflug begriffen, gut sein. Für Deutschland und Eu-
ropa allerdings ist ein neues Wettrüsten schädlich und ge-
fährlich. Deswegen wird es von uns abgelehnt.


(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung gefährdet, wenn sie Ja oder Jein zu
den neuen US-Raketenplänen sagt, europäische und deut-
sche Sicherheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe selbstver-
ständlich davon aus, dass der Kanzler der Bundesrepublik
Deutschland in den USAdie Interessen unseres Landes zu
vertreten hat und nicht in Deutschland die Interessen der
USA. Das muss hier deutlich gemacht werden. Das trans-
atlantische Verhältnis muss reformiert und erneuert wer-
den. Partnerschaft und demokratisches Selbstbewusstsein
brauchen wir anstelle von US-Weltherrschaft und deut-
scher Unterwürfigkeit.


(Beifall bei der PDS)

Das liegt sowohl im Interesse unseres Landes als auch im
Interesse Europas und, wie ich meine, im wohlverstande-
nen Interesse der USA.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dies war
das Kontrastprogramm.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415801000
Ich erteile dem
Außenminister, Joseph Fischer, das Wort.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415801100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum
Thema spreche, lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen,
hier etwas anzusprechen, was uns in den letzten Tagen
sehr beschäftigt hat.

Wie Sie wissen, wurden vier Landsleute von uns in
Ägypten entführt. Diese Entführung ist jetzt Gott sei Dank
durch die Freilassung der Entführten glücklich zu Ende
gegangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Beteiligten zu
danken, vor allem den ägyptischen Behörden für ihr
umsichtiges Vorgehen. Besonders danke ich Präsident
Mubarak und Außenminister Amre Mussa für ihren Ein-
satz, aufgrund dessen unsere Landsleute gesund und
wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren können.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, es wurde zu Recht darauf

hingewiesen, dass die transatlantischen Beziehungen
nicht nur unverrückbares Fundament der Entwicklung der
deutschen Demokratie bis hin zur Wiedervereinigung wa-
ren und sind, sondern dass sie selbstverständlich auch für
den europäischen Einigungsprozess von überragender
Bedeutung sind. Die Tatsache, dass die USAnach 1945 in
Westeuropa vertreten waren, hat diesen ganz anderen,
sehr erfolgreichen Verlauf der Geschichte der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit auch den europä-
ischen Einigungsprozess möglich gemacht. Dies sind die
beiden Konstanten deutscher Außenpolitik. Auf dieser
Grundlage stehen wir, auf dieser Grundlage wird auch das
sich vereinigende Europa stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lebendige Beziehungen wie die transatlantischen Be-
ziehungen unterliegen selbstverständlich Veränderungen.
Die Welt ändert sich und damit werden diese Beziehungen
vor neue Herausforderungen gestellt und müssen entspre-
chend angepasst werden. Dies führte immer zu Diskussio-
nen, zu unterschiedlichen Positionen, aber letztendlich hat
das Bündnis seine Kohäsion gewahrt. Es gab gemeinsame
Entscheidungen; dies wird auch in Zukunft so sein.

Da der Transatlantismus und Europa die beiden
wichtigsten Interessen sind, die in der Außenpolitik des
vereinigten Deutschlands zu verfolgen sind, werden wir
angesichts der Bedeutung des europäischen Einigungs-
prozesses das Verhältnis von Europa und Transatlantis-
mus allerdings immer wieder neu zu justieren haben.

Die Rede des Kollegen Rühe heute atmete doch sehr
viel Vergangenheit. Man konnte unschwer die Bruchli-
nien erkennen. Ohne dass ich das jetzt im Verhältnis 1:1
aus der Vergangenheit der späten 60er-Jahre übernehme:
Der Widerspruch zwischen Europäern und Transatlanti-
kern in der Union ist in Ihrer Rede wieder offensichtlich
geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)





Wolfgang Gehrcke

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Aber selbstverständlich. – Wenn ich Ihre Rede mit dem
vergleiche, was der überaus geschätzte Kollege Lamers
zu demselben Thema formuliert hat – Sie haben ja auch
die Rede des Kollegen Lamers auf der Sicherheitskonfe-
renz gehört –, dann muss ich feststellen, dass es in den
Reihen der Union noch einen gewaltigen Harmonisie-
rungsbedarf gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Rühe, ich frage mich natürlich, wo Sie in den letz-
ten Monaten gewesen sind,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Bei ihm weiß man immer, wo er in der Vergangenheit war!)


als wir im Auswärtigen Ausschuss über dieses Thema dis-
kutiert haben.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Er war nicht in Algier!)


Wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, dass wir in
diesem Punkt keine Position hätten, dann kann ich dem
nur entnehmen, dass Sie – weil Sie damals nicht im Aus-
schuss waren – ganz offensichtlich nicht mitbekommen
haben, dass es die Bundesregierung war, die die Diskus-
sion darüber recht früh im Ausschuss begonnen hat, dass
es die Bundesregierung war, die im Bündnis, im NATO-
Rat, Konsultationen durchgesetzt hat.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Was ist Ihre Position?)


Die Konsultationen über die Frage einer National Missile
Defense haben schon unter der Präsidentschaft von
Clinton aufgrund deutscher Initiative im Bündnis statt-
gefunden. Wir freuen uns darüber, dass sie fortgeführt
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Und jetzt kommt Ihre Position!)


– Ich werde Ihnen unsere Position gleich erläutern. Ich
habe Sie Ihnen hier aber schon mehrmals dargelegt.


(Volker Rühe [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


– Herr Rühe, was ist denn daran Unsinn? Unsinnig ist es,
wenn Sie sich zum Beispiel hier hinstellen und sagen, ich
hätte in Moskau behauptet, wir würden eine Vermittler-
position einnehmen. Das Gegenteil habe ich getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe der russischen Seite sehr klar gesagt, dass es
nicht gelingen wird, an dieser Stelle einen Spaltpilz in das
Bündnis zu tragen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Jemand wie Sie kann ja nicht vermitteln!)


Ich will Ihnen gern hier nochmals die Position der Bun-
desregierung erläutern. Eines aber tun wir nicht – weil das
nicht im deutschen Interesse ist –: wie Sie, meine Damen

und Herren von der CDU/CSU, für alles bereit zu sein,
ohne zu wissen, wie die amerikanische Position tatsäch-
lich ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Sie wissen bis heute nicht, ob das mit der National Mis-
sile Defense funktioniert. Theoretisch ist ja alles zwischen
einer Tactical Missile Defense und einer Global Missile
Defense, also zwischen einer taktischen Raketenabwehr
und einer globalen Raketenabwehr, möglich. Sie stellen
nicht klar, ob sich Ihr Ja auf die clintonschen Vorschläge
des Dreistufenmodells mit einer Obergrenze von etwa
100 Nuklearwaffen, die in der letzten Stufe abgewehrt
werden können, oder auf die weiter gehenden Vorstellun-
gen, die jetzt in der Überprüfung entwickelt werden sol-
len und die selbst die Bush-Administration noch nicht
kennt – Volker Rühe aber ahnt –, bezieht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schwadronieren Sie hier doch nicht herum! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, was Sie wollen!)


Deswegen kann ich Ihnen, Herr Rühe, sagen: Wenn
man das ernst nimmt, was Sie heute gesagt haben, muss
man erkennen, dass Sie noch nicht wissen, ob es tech-
nologisch machbar ist, ob es finanzierbar ist und gegen
welche Sicherheitsbedrohung es sich tatsächlich richtet
– denn bis zur Stunde wissen wir weder die Größenord-
nung noch die Dislozierung noch die technischen Kom-
ponenten noch die Komponenten der Finanzierung –, aber
Sie sind bereits dafür.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ja, der Kanzler doch auch!)


Es heißt also nicht „Volker hört die Signale“, sondern;
„Volker ahnt die Signale“. Wir befinden uns hier also noch
in einer Vorstufe.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Zur Position der Bundesregierung. Diese Position der
Bundesregierung ist unverändert und sie ist im deutschen
Interesse.


(Volker Rühe [CDU/CSU]: Ja, welche denn? – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Tragen Sie sie mal vor, bitte!)


– Ich habe sie gestern im Ausschuss vorgetragen; ich habe
sie bereits fünfmal vorgetragen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hier im Plenum!)


Sie sagen jetzt sozusagen im Tremolo des Enttäuschten:
Tragen Sie sie mal vor! – Ich beginne damit.

Unsere Position ist schlicht und einfach:

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja, das ist wahr!)


Die Entscheidung über die Raketenabwehr wird in den
USAgetroffen; darüber wird im Bündnis konsultiert wer-




Bundesminister Joseph Fischer
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(C)



(D)



(A)



(B)


den. Wir als Nichtnuklearmacht haben dabei bestimmte
Interessen zu beachten.

Die Vorstellung, die USAwürden nach Weltherrschaft
streben, so wie sie die PDS vertritt, ist eine groteske Ver-
zerrung.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bleiben Sie mal bei Ihrer Position, bitte!)


Ich will Ihnen sagen: Am gefährlichsten wäre es, wenn
sich die USA in vielen Teilen der Welt zurückzögen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wenn es insofern neue Überlegungen gibt, hinsichtlich
der Frage, wie sie ihre globale Ordnungsrolle aufrecht er-
halten können, dann – das sage ich Ihnen – hat das nichts
mit Weltherrschaft zu tun, sondern das ist ein wichtiger
Faktor für Frieden und Stabilität im 21. Jahrhundert.

Deswegen haben wir als Nichtnuklearmacht folgende
Interessen zu wahren – das ist die Position der Bundesre-
gierung –:


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dritter Anlauf!)


Wir haben als Erstes bei dieser Entscheidung die Stär-
kung des internationalen Rüstungskontrollregimes zu
beachten. Eine Entscheidung für eine Raketenabwehr,
egal wie sie aussehen wird – bis zur Stunde wissen wir das
nicht, weder Rühe noch sonst jemand; nicht einmal dieje-
nigen, die in den USA diese Entscheidung vorbereiten,
wissen das zur Stunde –, darf auf keinen Fall zur
Schwächung des internationalen Rüstungskontrollregi-
mes führen, sondern muss im Gegenteil zur Stärkung die-
ses Regimes führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen, Kollege Rühe, haben wir Interesse nicht an
Vermittlung, sondern daran, dass es ein kooperatives
Klima gibt zwischen den beiden Großen, die nach wie vor
die Hauptlast für die globale nukleare Stabilität zu tragen
haben, nämlich zwischen den USA und Russland. Des-
wegen dürfen wir den ABM-Vertrag nicht einfach ab-
schreiben oder den Teststoppvertrag vergessen. Vielmehr
wird es ganz entscheidend sein, dass dann, wenn es zu ei-
ner entsprechenden Entscheidung kommt – die wir bis zur
Stunde noch nicht kennen –, dieses in einem kooperativen
Klima der Großen geschieht. Genau dazu haben wir bei-
getragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens. Wir müssen verhindern – dies ist eine unse-
rer Hauptsorgen –, dass eine solche Entscheidung zu ei-
nem Rüstungswettlauf führt.


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Einige von Ihnen – Rühe, Lamers und andere – waren ja in
München dabei. Wir haben dort doch die Erklärung des Si-
cherheitsberaters des indischen Ministerpräsidenten
gehört, der ganz offen gesagt hat: Wenn die Volksrepublik

China durch Aufrüstung reagiert – sie liegen heute in etwa
bei 20 Nuklearsystemen –, werden wir mitziehen. Wenn
die Entscheidung für eine National Missile Defense ent-
lang der Linie, wie sie Clinton sich vorgestellt hat, kommt
– das ist das einzige konkrete Muster, das wir gegenwärtig
kennen –, dann wird es so sein, dass Russland von seinem
Offensivpotenzial so viel disloziert, dass die Abwehr-
fähigkeit durch diese große Zahl aufgehoben wird und da-
mit die politischen Konsequenzen der Erstschlagfähigkeit
gegeben sind. Indien hat gleichzeitig bereits erklärt: Wenn
China anfängt hochzurüsten, werden wir mitziehen.

Damit haben wir das Problem eines drohenden Rüs-
tungswettlaufs. Darüber sollten wir mit den USA und im
Bündnis sehr intensiv diskutieren. Daher sage ich Ihnen:
Es wird darauf ankommen, dass es bei einer solchen
Entscheidung – das liegt ebenfalls im Interesse Deutsch-
lands als Nichtnuklearmacht – nicht zu einem neuen Rüs-
tungswettlauf kommt, und zwar weder zu einem globalen
Rüstungswettlauf zwischen den Großen noch zu regiona-
len Rüstungswettläufen, vor allem in Asien. Denn das
würde mehr Instabilität und mehr Unsicherheit produzie-
ren und nicht mehr Sicherheit kreieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Es geht darum, dass wir eine verstärkte Anti-
proliferationspolitik betreiben. Deswegen wäre es völlig
falsch, wenn es zu einer Schwächung des Rüstungskon-
trollregimes käme. Das ist das Fatale an der nicht stattge-
fundenen Ratifizierung des Teststoppvertrages. Das ist ein
falsches Signal an kleinere Länder, Schwellenmächte, die
um jeden Preis versuchen, in den Besitz von Nuklear-
waffen zu kommen. Insofern läge eine verstärkte Anti-
proliferationspolitik, angeführt von den großen Nuklear-
mächten – denn eine solche Antiproliferationspolitik wird
entscheidend von den Signalen der Großen abhängen –,
ebenfalls in unserem Interesse.

Der vierte Punkt ist die Frage einer möglichen techno-
logischen Kooperation. Wir wissen noch nicht, wie eine
solche Entscheidung, wenn sie denn kommt, aussehen
wird. Aber es ist absehbar, dass ein Technologiewettbe-
werb ausgelöst wird. Auch das war von Anfang an die Po-
sition der Bundesregierung und zu Recht hat der Bundes-
kanzler exakt das angesprochen.

Der fünfte Punkt ist die Bündniskohäsion.Wir haben
in Moskau zweifelsfrei klargemacht, dass es hier keine
Spaltung geben wird. Gleichzeitig haben wir gegenüber
den USA durchgesetzt, dass es im Bündnis eine intensive
Konsultation gibt. Dass die Regierung Bush uns dies er-
neut bestätigt hat, halten wir für sehr wichtig.

Der sechste Punkt betrifft die Abstimmung in Eu-
ropa, vor allen Dingen mit Großbritannien und Frank-
reich. Ein Punkt, den Volker Rühe überhaupt nicht er-
wähnt, ist, wie die „Ahnungen des Volker“ in Paris
tatsächlich ankommen. Wenn wir seine Position vertreten
würden, bräuchten wir uns mit Frankreich gar nicht mehr
abzustimmen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wir
haben das Gegenteil getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundesminister Joseph Fischer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Schließlich zum letzten Punkt.Wir freuen uns darüber,
dass die chinesische Seite – wie Russland; ich habe es
schon angesprochen – jetzt ebenfalls die Bereitschaft zu
Gesprächen mit den USA signalisiert hat. Ich denke, das
ist unter dem Gesichtspunkt der Abwehr eines drohenden
Rüstungswettlaufs von entscheidender Bedeutung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind

sehr still geworden. Das Geschilderte war und ist seit vie-
len Monaten die Position der Bundesregierung. Auf die-
ser Grundlage werden wir die Gespräche mit unseren
amerikanischen Partnern weiterführen.

Nun lassen Sie mich in dieser Debatte noch einen
Punkt im Zusammenhang mit der ESVP ansprechen: Ich
teile nicht die Ängste in Washington, die Ängste der Ver-
einigten Staaten, obwohl ich sie verstehe. Die Europä-
ische Sicherheits- und Verteidigungspolitik richtet sich
nicht gegen die NATO. Natürlich bleibt die NATO für die
strategische Sicherheit und für die Verteidigungsfähigkeit
unseres Kontinents und damit unseres Landes von zentra-
ler, überragender Bedeutung. Deswegen hat die Bundes-
regierung seit Beginn der ESVP alles getan, Mechanis-
men zu entwickeln, damit es keine Doppelstrukturen,
sondern eine Vertrauensbildung in Form einer gemeinsa-
men engen Kooperation und Zusammenarbeit gibt. Die
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist auf
die Petersberger Aufgaben, auf Krisenmanagement und
Konfliktbewältigung, fokussiert und eben nicht auf die
strategische Verteidigung. Das sind meines Erachtens
wichtige Gesichtspunkte.

Fast alle, die hier gesprochen haben, haben sich für
eine stärkere Rolle Europas ausgesprochen. Herr Rühe,
dazu muss ich Ihnen sagen: Man muss das Gedächtnis
schon völlig ausschalten, um nicht zu sehen, welchen
Verteidigungshaushalt und welchen Zustand bei den öf-
fentlichen Finanzen wir vorgefunden haben. Wenn wir in
diesem Zusammenhang die Umkehr nicht schaffen, son-
dern das weiterführen würden, was wir von Ihnen vorge-
funden haben, wenn es nicht gelingt – es wird uns durch
die Sparpolitik, aber auch durch die Steuerreform und an-
deres gelingen; das ist die Priorität dieser Regierung –,
dass in diesem Land wieder mehr investiert wird – es wird
ja bereits wieder investiert – und dass sich die Arbeitslo-
senzahlen reduzieren und demnach auch die Steuerein-
nahmen verändern, dann brauchen wir über die nötigen
Aufwüchse der Mittel für die Außen- und Sicherheitspo-
litik, die wir bejahen, überhaupt nicht zu sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415801200
Herr Minister, ich darf
Sie an die überschrittene Redezeit erinnern.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415801300

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Ame-
rika sind für die Bundesrepublik Deutschland auch unter
einem letzten Gesichtspunkt von zentraler Bedeutung:

Wenn sich die Vereinigten Staaten von Amerika zurück-
ziehen oder wenn sie ihre Präsenz in Europa verringern
würden, würde dies Deutschland in eine Rolle drängen,
die wir uns weder wünschen noch die wir anstreben soll-
ten. Auch unter dem Gesichtspunkt der inneren Balance,
des inneren Gleichgewichts – nicht nur der äußeren Si-
cherheit – sind die Vereinigten Staaten von Amerika für
uns von überragender Bedeutung. Insofern werden wir an
der Erneuerung der transatlantischen Beziehungen inten-
siv arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415801400
Ich erteile dem Kolle-
gen Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1415801500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Konferenz für
Sicherheitspolitik in München ist sehr deutlich geworden,
dass es im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu Irritatio-
nen kommt. Dort hat Rumsfield ganz klar erläutert, dass
es sich kein amerikanischer Präsident erlauben kann,
technische Möglichkeiten zum Schutz seiner Bevölke-
rung, die vorhanden sind, nicht anzuwenden. Er hat deut-
lich gesagt: Die USA werden diese Raketenabwehr-
initiative in die Tat umsetzen.

Nun steht am Anfang, bevor man konkrete Pläne hat,
immer eine Vision. Ich meine, die Vision, bestmögliche
Sicherheit zu bieten, darf nicht nur für die Bürgerinnen
und Bürger der Vereinigten Staaten gelten, sondern sie
muss auch für die Deutschen gelten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen brauchen wir ein sehr vertrauensvolles Ver-
hältnis zu den USA.

Ich bin schon ein bisschen erschrocken, Herr Bundes-
außenminister, dass wir wohl bereits bei der Konzipierung
zu wenig ins Vertrauen gezogen worden sind. Das kann
doch nur heißen: Man hält diese Bundesregierung nicht
mehr für einen voll vertrauenswürdigen Partner, mit dem
man alles diskutiert, wie es in der Vergangenheit gewesen
ist. Daran müssen wir wieder arbeiten!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin der Meinung, dass wir die deutsch-amerikani-

schen Beziehungen nicht gleichwertig neben viele andere
wichtige Beziehungen, die unser Land zu pflegen hat,
stellen dürfen. Bevor wir darüber nachdenken, wie sich
das Verhältnis zu Indien oder China entwickelt, muss es
uns erst einmal sehr viel näher sein, die deutsch-amerika-
nische Achse zu pflegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können uns nicht überheben und die Sicherheit der
ganzen Welt konzipieren wollen.


(Gernot Erler [SPD]: Er hat Europa nicht verstanden!)


Kein Partner hat für Deutschland so viel getan wie die
Vereinigten Staaten: Die USA waren Geburtshelfer der




Bundesminister Joseph Fischer
15376


(C)



(D)



(A)



(B)


zweiten deutschen Demokratie. Sie haben den freien Teil
Deutschlands mit dem Marshallplan wieder auf die
Beine gebracht. Die USA haben mit ihrer Solidarität den
Grundstein für das spätere deutsche Wirtschaftswunder
gelegt. Die USA standen an der Seite des freien Teils
Deutschlands während des Kalten Krieges und haben
durch die Truppenpräsenz in Deutschland und Europa den
Frieden und die Freiheit für unser Land bewahren helfen
und letztendlich für ganz Deutschland gebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Amen!)


Die USA haben selbst in schwierigen Tagen stets zu
uns gehalten. Ich erinnere an die Luftbrücke, die diese
Stadt am Leben erhalten hat, und ich erinnere an die im-
mer wieder gegebene Schutzmachtgarantie für die Frei-
heit Westberlins. Ich erinnere daran, dass die Markt-
wirtschaft, die wir zur sozialen Marktwirtschaft weiter-
entwickelt haben, aus den USA gekommen ist, während
andere an den Sieg der sozialistisch-kommunistischen
Planwirtschaft geglaubt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Ich erinnere ferner daran, dass wir die Amerikaner auch
als Helfer beim Aufbau unserer Demokratie in Deutsch-
land hatten und dass die Entwicklung unter den Bundes-
kanzlern Adenauer und Erhard, um nur zwei zu nennen,
so verlaufen ist, dass Willy Brandt – er ist ja heute vom
Kollegen Schultz ins Gespräch gebracht worden – 1972
mit dem Slogan in den Wahlkampf ziehen konnte: „Deut-
sche, wir können wieder stolz sein auf unser Land.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Um auch eine Debatte der letzten Tage aufzugreifen,

die noch nicht ausgestanden ist: Ich lasse mir nicht ver-
bieten, dankbar und stolz zu sein, als Deutscher in
Deutschland leben zu dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dass vieles so möglich geworden ist, verdanken wir
den Amerikanern. Ich erinnere an John F. Kennedy, der
nach dem Bau der Mauer in dieser Stadt gesagt hat: „Ich
bin ein Berliner!“ Ich erinnere an den ehemaligen US-
Präsidenten Ronald Reagan, der, ebenfalls hier in Berlin,
ausrief: „Mr. Gorbatshov, tear down this wall!“ – „Reißen
Sie die Mauer ab!“

Ich erinnere an den Vater des heutigen US-Präsidenten
und dessen klares und unmissverständliches Ja zur deut-
schen Einheit. Ohne George Bush senior hätten wir die
Chance der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes
nicht so rasch und kraftvoll in die Hand nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Kein Widerspruch zu uns!)


Lieber Herr Gerhardt, ich freue mich, dass ich auch
Herrn Westerwelle auf der Convention der Republikaner
in Philadelphia gesehen habe. Wir waren mit einer hoch-
rangigen Delegation vertreten. Ich erinnere mich aber
nicht, dort einen Genossen gesehen zu haben. Auch inso-

fern haben wir keinen Nachholbedarf in der Entwicklung
von Beziehungen zu dieser Administration, die jetzt den
Präsidenten stellt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wir waren hochrangig nicht vertreten!)


– Sie? – Euch hätten’s gar nicht reingelassen!

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


In den USA ist man, was das Verhältnis zu Kommunisten
anbelangt hat, immer ein ganzes Stück vorsichtiger gewe-
sen.

Angesichts dieser Rolle der USA sind die früheren an-
tiamerikanischen Äußerungen der politischen Linken in
Deutschland – sie sind mir immer noch im Ohr – eine Be-
lastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis, die bis
heute nachwirken.


(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Es gibt auch einen rechten Antiamerikanismus, Herr Kollege Glos!)


Es war nicht nur die SED, die immer antiamerikanisch
war, sondern das war auch auf der Seite derer stark ver-
breitet, die heute die Bundesregierung stellen.


(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Es gibt auch von der Rechten Antiamerikanismus!)


In den USA ist es sicherlich nicht vergessen, dass
Joschka Fischer im Jahr 1983 den damaligen amerikani-
schen Präsidenten Ronald Reagan als „schießwütigen
Zelluloid-Cowboy“ beschimpft hat.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Hat er wirklich?)

Herr Fischer, Sie haben gefragt, wo der Volker Rühe bei
einer bestimmten Ausschusssitzung war. Ich würde mir an
Ihrer Stelle vielmehr Gedanken machen, einmal meine ei-
gene Biografie zu erforschen,


(Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!)


und die Wahrheit auf den Tisch legen, bevor da vieles so
scheibchenweise wieder ans Tageslicht kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Etwas anderes fällt euch auch nicht ein! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist so langweilig!)


Aber das ist jetzt nicht das Thema.
Sie, Herr Fischer, werden selbstverständlich als deut-

scher Außenminister in den USA empfangen und Sie re-
präsentieren unser Land. Wir wünschen Ihnen bei der
Fortentwicklung des deutsch-amerikanischen Verhältnis-
ses im Interesse unseres Landes einen guten Erfolg und
eine glückliche Hand. Aber ob Sie in den USA tatsächlich
respektiert werden, das wird sich noch zeigen.

Auch Schröder hat Nachholbedarf.

(Zuruf von der SPD: Aber doch nicht bei Ihnen!)

Die Amerikaner haben sicherlich gute Archive. Da gibt es
jede Menge Äußerungen von ihm, in denen es zum




Michael Glos

15377


(C)



(D)



(A)



(B)


Beispiel heißt: „Die Politik der Sowjetunion ist eindeutig
defensiv. Wir müssen uns von den USA kein aggressives
Sicherheitskonzept aufschwätzen lassen“ – und so weiter
und so fort.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Recht hat er!)

Das hat Gerhard Schröder gesagt; es ist nachweisbar.

Was er zum NATO-Doppelbeschluss gesagt hat, kann
ich auch zitieren, wenn es Sie interessiert.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Oh, ja! – Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Was haben Sie früher zu Ihrer Mama gesagt?)


– Da Sie so dumme Zwischenrufe machen: Ich war immer
dankbar all denen, die Gutes für mich getan haben, auch
meiner Mutter. Wissen Sie, die Amerikaner sind auch ein
Stück Mutter unserer Demokratie.


(Lachen bei der SPD)

Deswegen: Hören Sie mit Ihren törichten, saudummen
Zwischenrufen auf!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will gar nicht zitieren, was Jürgen Trittin noch ge-

sagt hat, als die Amerikaner den Aggressor Irak aus Ku-
wait hinausgeworfen haben. Aber es kommt noch schlim-
mer – damit komme ich jetzt ein bisschen näher an das
heran, was in allerletzter Zeit gewesen ist –: In den USA
dürfte es sauer aufgestoßen sein, dass Verteidigungsmi-
nister Scharping seine Kritik an den amerikanischen
Raketenabwehrplänen ausgerechnet in Moskau formu-
liert hat. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik darf
nie als wankelmütig dastehen. Es muss immer ganz klar
sein, an wessen Seite wir stehen. Wir müssen immer fest
an der Seite der freien Welt und unserer Freunde in den
Vereinigten Staaten stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es ist auch von Volker Rühe schon gesagt worden: Es hat
viel zu lange gedauert, bis etwas zu Irak gesagt worden ist.

Wir haben diese Debatte beantragt und sind dankbar,
dass sie stattfindet, auch wenn der Bundeskanzler jetzt
nach Paris musste. Ich habe Verständnis dafür; denn es ist
auch wichtig, dass die deutsch-französischen Beziehun-
gen gepflegt werden. Wir müssen natürlich auch die Fran-
zosen und die Europäer allgemein auf diesem Weg zu
einer gemeinsamen Raketenabwehr mitnehmen. Wir wol-
len genau wissen – vielleicht kann dies Herr Erler klar-
stellen, der bislang hinsichtlich der NMD-Initiative nichts
als Bedenken geäußert hat –, ob sich der Bundeskanzler
entschieden hat, für wen er spricht, ob für alle Parteien
und die Mehrheit dieser Koalition, von der er zum Bun-
deskanzler gewählt worden ist. Diese Frage wird ihm in
den USAgestellt werden. Ich kann nur hoffen, dass er eine
eindeutige Antwort geben kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage noch einmal: Wir wollen nicht, dass es in den

transatlantischen Beziehungen Zonen unterschiedlicher
Sicherheit gibt. Unsere Bürger haben genauso wie die

US-Bürger einen Anspruch auf den bestmöglichen Schutz
gegen jedwede Bedrohung. Wir wollen, dass wir in der
Champions League der Sicherheitspolitik mitspielen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dazu gehört, dass wir ein ernst zu nehmender Partner
bleiben. Deswegen müssen auch unseren Streitkräften die
nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen
modernisieren können und der Bundeskanzler muss in
den USA zeigen können, dass er in der Lage ist, die nöti-
gen Mittel aufzubringen, um solch ein anspruchsvolles,
technologisch hochwertiges Programm wie NMD in
Deutschland mitzuentwickeln. Das muss unser Ziel sein.

Wir wünschen uns, dass sich der Bundeskanzler hier
mit dem, was er zu wollen vorgibt, klar durchsetzt. Wir
werden ihn allerdings nicht an seinen Worten, sondern an
seinen Taten messen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415801600
Ich erteile dem Kolle-
gen Gernot Erler, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1415801700
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wer heute über transatlantische Bezie-
hungen spricht, der muss zunächst einmal über große Ver-
änderungen auf beiden Seiten des Ozeans reden. In den
Vereinigten Staaten erleben wir den Anfang einer neuen
Administration – eigentlich ein faszinierender Prozess:
Dort werden nicht nur eine Hand voll Minister neu er-
nannt, sondern Tausende von neuen Leuten, von neuen
Spezialisten. Daraus entsteht allmählich ein Puzzle und
ein Kanon neuer, veränderter Prioritätensetzungen wird
sichtbar.

Es gab Voraussagen über diese neue amerikanische
Regierung, basierend auf Erfahrungen aus dem Wahl-
kampf und auf Analysen. Was wurde uns nicht alles an-
gekündigt! Es wurde gesagt, wahrscheinlich würden die
amerikanisch-europäischen Missionen in Südosteuropa
beendet, es werde eine Abkehr vom Multilateralismus, ei-
nen härteren Umgang mit Russland und China, eine Ab-
lehnung des europäischen Wegs zu einer Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik, vielleicht sogar eine Ab-
kehr von Europa geben, und dieses Raketenabwehrpro-
gramm werde sofort umgesetzt.

Wenige Wochen nach dem Start kann man sagen:
Nichts ist so gekommen, wie es vorausgesagt worden ist.
Stattdessen gibt es mehr Kontinuität als erwartet, eine ver-
längerte Formationsphase, eine längere Vorbereitung von
grundlegenden Entscheidungen, ein intensives Interesse
am Meinungsaustausch mit den Europäern,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Köstlich!)

aber auch mit Moskau, mit Peking und anderen Plätzen
auf der Welt sowie eine bemerkenswerte Flexibilität, die
auch Chancen für unsere Position, wenn wir sie vortragen,




Michael Glos
15378


(C)



(D)



(A)



(B)


bedeutet. Ich finde, wir haben allen Grund, das zu be-
grüßen und uns darüber zu freuen, dass es anders gekom-
men ist als vorausgesagt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es gibt auch sehr große Veränderungen in Europa.
Wir befinden uns mitten in einem Veränderungsprozess:
parallel eine Erweiterung und Vertiefung. Besonders viele
Veränderungen hat es – man kann das nur immer wieder
deutlich machen – durch den Schock des Kosovo-Krie-
ges gegeben. Wir haben gemerkt, dass wir vier blutige
Kriege in Europa nicht verhindern konnten, dass langfris-
tige Prävention und eine bis zur letzten Minute dauernde
Friedensdiplomatie gescheitert sind. Während der Inter-
vention kam zudem die Erkenntnis einer fast vollständi-
gen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten auf nahezu
allen Gebieten.

Danach hat es eine bemerkenswerte Beschleunigung
beim Aufbau einer Gemeinsamen Europäischen Außen-
und Sicherheitspolitik gegeben. Die Stationen, die mit
dem D-Zug durchrast wurden, waren die europäischen
Gipfel in Köln, Helsinki, Feira und Nizza. Heute kann
man sagen: Das, was wir GASPoder ESVPnennen, ist auf
dem Weg zu seiner Realisierung. Typisch für diesen euro-
päischen Weg ist, dass es eine Parallele zwischen dem
Aufbau von militärischen Fähigkeiten und dem Aufbau
von zivilen Kapazitäten gibt. Das ist gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Typisch für diese neue Politik der EU, gerade in Süd-
osteuropa, sind das umfassende Integrationsangebot, das
wir als Friedenspolitik verstehen, und der Stabilitätspakt
als Lern- und Aufbauprogramm für eine bessere Zukunft
ohne gewaltsame Konflikte. Vieles von dem, was hier ent-
steht, haben wir selber noch gar nicht richtig realisiert.
Deswegen brauchen wir uns nicht zu wundern, dass jen-
seits des Atlantiks noch Gewöhnungsbedarf für diese ge-
waltigen Veränderungen in Europa besteht.

Unter diesen extremen Umständen des doppelt Neuen
kann sich eine erste Zwischenbilanz der transatlantischen
Beziehungen sehen lassen. Wir müssen einfach erkennen,
dass diese Skepsis gegenüber der ESVP allmählich der
Einsicht weicht, dass sie dann im amerikanischen Inte-
resse ist, wenn sie sich zu den Aufgaben der NATO ver-
nünftig verhält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach den ersten persönlichen Begegnungen hat sich

ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Das gilt ganz beson-
ders für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Hier
gab es vier Etappen: die Münchner Konferenz, den Be-
such des Außenministers, den Besuch des Verteidigungs-
ministers und – dies schließt sich daran an – den Besuch
des Bundeskanzlers. Wir müssen feststellen: Joschka
Fischer und Rudolf Scharping haben erkannt, welche kon-
stitutive Bedeutung erste Begegnungen haben. Sie sind
erfolgreich gewesen, sind mit der Erfahrung von Kame-
radschaft und sogar Freundschaft zurückgekommen. Das
ist gut so. Davon können wir eine ganz lange Zeit zehren.
Wir hoffen, dass der Bundeskanzler diese Erfolgsge-

schichte bei seinem Besuch in Washington fortsetzen
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich war uns schon vor den Wahlen in den Verei-
nigten Staaten der Stellenwert des Raketenabwehrsys-
tems der neuen Regierung bekannt. Wir wussten, dass es
hierin Unterschiede zwischen Amerikanern und Europä-
ern gibt. Aber auch hier erleben wir eine positive Überra-
schung. Es gibt keine dogmatische Umsetzung eines star-
ren Konzepts, vielmehr eine erstaunliche Wandlungs- und
Anpassungsfähigkeit.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie selbst haben doch den Popanz aufgebaut, Herr Erler! Sie müssen sich korrigieren!)


Herr Kollege, es gibt keinen Zweifel an dem Ob. Das las-
sen die Amerikaner nicht zu. Aber bei dem Wie der Um-
setzung scheint dieses Wie ein Wort mit 25 Buchstaben zu
sein – so flexibel ist das heute.

Die Administration nimmt sich mehr Zeit. Sie hört auf-
merksam auf die Einwände und Argumente der Verbün-
deten. Auch in Amerika selbst wird eine sachliche und
kontroverse Debatte geführt. Das müssen wir nutzen. Wir
dürfen nicht in Hektik verfallen. Wir können doch nicht,
wie Sie das machen, zum jetzigen Zeitpunkt den Popanz
einer Ja/Nein-Entscheidung aufbauen. Das ist doch
lächerlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


NMD ist, militärisch gesehen, bestenfalls eine Antwort
auf eine sehr begrenzte Auswahl von Bedrohungen und
Herausforderungen von Übermorgen. Aber es kann in der
Umsetzung bereits erhebliche politische Folgen haben.
Deshalb ist es unser Ansatz, die Diskussion um NMD zu
einem umfassenden transatlantischen Dialog über Sicher-
heitsfragen zu erweitern, der über die Raketenabwehr
weit hinausgeht.

Herr Rühe, es tut mir Leid, aber wenn Sie zum wieder-
holten Male Ihre tibetanische Gebetsmühle anwerfen,
weil Sie die Verringerung der Mittel des Verteidigungs-
haushaltes anwerfen und dies als einziges Problem sehen,
dann haben Sie die Notwendigkeit der Verbreiterung die-
ses Dialogs nicht verstanden.

Sie reduzieren alles auf quantitative Fragen, anstatt auf
notwendige qualitative Fragen einzugehen.

Wir wollen in diesem Dialog eine breite Palette von
Themen ansprechen. Es geht darum, zu klären, welche
präventiven Fähigkeiten wir in Zukunft brauchen, um
Konflikte zu vermeiden. Wir wollen wissen, ob es eine Al-
ternative zu der Selbstabrüstung der Atommächte und der
Fortsetzung des Abrüstungsprozesses, der sich auf Ver-
träge beruft, gibt. Wir sehen dazu keine Alternative. Das
alles steht im Zusammenhang mit NMD.

Wir wollen gemeinsam wirksame Strategien gegen den
internationalen Terrorismus beraten und brauchen einen
umfassenden politischen Ansatz, wie wir mit den Risi-
kostaaten – drei dieser Staaten, nämlich Iran, Irak und




Gernot Erler

15379


(C)



(D)



(A)



(B)


Nordkorea, haben Raketenprogramme – umgehen sollen.
Wir wollen, dass das Sunshine-Programm der beiden
Kims in Nordkorea ein Erfolg wird. Wir finden, es ist gut,
dass der Bundestagspräsident in den Iran gefahren ist, um
dort die Reformer zu unterstützen. Das ist der politische
Ansatz, den wir wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Rühe, ich finde, es ist wirklich nicht überzeugend,
uns nachträglich aufzufordern, Beifall zu den amerika-
nisch-englischen Aktivitäten in Bezug auf den Irak einzu-
fordern. Nein, lassen Sie uns gemeinsam die Chance zu
einer Änderung ergreifen, wie Colin Powell angeregt hat,
als er nach den negativen politischen Folgen der militäri-
schen Intervention gefordert hat: Wir brauchen eine neue
Sanktionspolitik und eine neue Irakpolitik. In diesem
Punkt ist Beifall angebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich gehört zu diesem Dialog auch die Frage, ob
im Falle des Fortbestehens des Restrisikos, wenn die po-
litischen Konzepte nicht greifen, eine militärische Ant-
wort auf eine Raketenbedrohung aus diesen Ländern er-
folgen soll. Diese Frage muss dann natürlich – der
Außenminister hat das sehr detailliert dargestellt – so be-
antwortet werden, dass die anderen Ziele nicht beein-
trächtigt werden.

Herr Rühe, Sie haben beklagt, wir hätten in der Sache
NMD unterschiedliche Positionen. Es gibt in der Tat un-
terschiedliche Akzentsetzungen, aber die Unterschiede
bei uns sind nicht so groß wie in Ihren Reihen. Wir haben
alle die Rede des wirklich sehr geschätzten Kollegen
Lamers in München gehört, wir haben auch sein Interview
im „Tagesspiegel“ mit der Überschrift „Wir müssen auch
Amerikas Widerpart sein“ gelesen. Das passt nicht zu dem
Vater-Sohn-Verhalten, das Herr Glos eingefordert hat.


(Detlef von Larcher [SPD]: Mutter!)

In dem Interview wird vor einer Kapitulation im Voraus
sowie vor den Hegemonialinteressen der USA gewarnt
und das ganze NMD-Programm als unseriös bezeichnet.
Ich habe den Eindruck, dass das, was bei Ihnen auseinan-
der klafft, viel schwieriger zusammenzuführen ist als das,
was bei uns an unterschiedlichen Akzentsetzungen vor-
handen ist. Es ist ganz normal, dass in der jetzigen Phase
der Diskussion unterschiedliche Auffassungen bestehen.
Das ist auch in den anderen europäischen Staaten und
übrigens auch in den Vereinigten Staaten so. Das Pro-
gramm ist eben noch nicht entscheidungsreif.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen: Wenn uns als Regierungskoalition ein Teil
der Opposition empfiehlt, zu diesem Programm sofort Ja
zu sagen, und der andere Teil der Opposition fordert, ein
bisschen mehr Kritik zu üben, scheint es so zu sein, dass
wir mit unserer Dialogstrategie gar nicht so schlecht lie-
gen. Ich fühle mich in der Mitte dieser beiden Extrempo-
sitionen ganz wohl.


(Beifall bei der SPD)


Abschließend möchte ich festhalten: Wir brauchen und
wir wollen einen solchen umfassenden Dialog. Die Glo-
balisierung macht nicht vor der internationalen Sicher-
heitspolitik Halt. Wir kommen nur zusammen mit den
Vereinigten Staaten zu gemeinsamen transatlantischen
Strategien. Wenn wir in Zukunft Konfliktverhütung bes-
ser bewältigen wollen, wenn wir Abrüstung und Rüs-
tungskontrolle und vor allem die Nichtverbreitung von
Waffen verbessern wollen, wenn wir die Bekämpfung des
Terrorismus, der organisierten Kriminalität, des Drogen-
handels und des Waffenhandels verbessern wollen und
wenn wir Konzepte mit dem Ziel eines Wandels durch
Einbindung für die Risikostaaten erreichen wollen, dann
werden wir das entweder transatlantisch gemeinsam oder
gar nicht schaffen.

Das gilt auch für die Raketenabwehr. Wenn wir mehr
Sicherheit für die Amerikaner und für uns haben wollen,
darf dieses Konzept nicht mit der Brechstange durchge-
setzt werden. Es geht nur, wenn man ein sehr breites Ein-
vernehmen erzielt. Es gibt erfreuliche Anzeichen aus
Washington, dass sich die Administration dieser Einsicht
nicht verschließt.

Der von uns gewünschte und angestrebte umfassende
transatlantische Dialog über Sicherheitsfragen braucht
Zeit und hat Zeit. Wer ihn jetzt mit Hektik oder mit einer
künstlichen Dramatik belastet und die Alternative, entwe-
der Gefolgschaft oder Verweigerung, fälschlicherweise in
den Raum stellt, der hat die tiefen Veränderungen auf bei-
den Seiten des Ozeans überhaupt nicht verstanden und
bringt uns bei diesem notwendigen transatlantischen Dia-
log keinen Schritt weiter. In diesem Sinne hoffe ich auf
eine Zusammenarbeit.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415801800
Das Wort hat nun Kol-
lege Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1415801900
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Es wird vielen in diesem Saal
so wie mir gegangen sein, der angesichts der Erleichte-
rung, mit der Sie hier die Politik der neuen US-amerikani-
schen Administration mehrfach begrüßt haben, ein gewis-
ses schmunzelndes Erstaunen nicht verbergen konnte.
War es nicht so, dass die Warnungen vor der Cowboy-
Mentalität der neuen amerikanischen Administration ge-
rade von Ihrer Seite gekommen sind?


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Sie sind zwar jetzt erleichtert. Das verstehe ich sehr gut.
Aber Sie haben sich ein weiteres Mal in der Beurteilung
der amerikanischen Administration und der amerikani-
schen Politik getäuscht. Das ist der Punkt, der in diesem
Zusammenhang von Bedeutung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Gernot Erler [SPD]: Da täusche ich mich gern, Herr Kollege!)





Gernot Erler
15380


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Minister, wir haben Ihnen nie vorgeworfen, sich
nicht mit dem Thema, über das wir heute diskutieren, be-
schäftigt zu haben, schon gar nicht, dafür gesorgt zu ha-
ben, dass es keine Konsultationen zu diesem Thema
innerhalb der NATO gegeben hat. Wie sollten wir? Aber
es kommt auf Ihre Intention an, weshalb Sie sich mit die-
sem Thema beschäftigen. Der Zweck Ihres Unterfangens
war, das Vorhaben einer Raketenabwehr zu verhindern,
und nicht, es im Rahmen eines Dialogs mitzugestalten. In
diesem Punkt gibt es eine Differenz zu uns. Meine Frak-
tion hat bereits im Mai des vergangenen Jahres in einem
Antrag von Ihnen gefordert, sich konstruktiv in den Dia-
log einzuschalten. Das ist nicht geschehen. Das ist der
Punkt, den wir kritisieren.

Herr Kollege Erler, solche Spielchen kennt man. Schon
Konrad Adenauer hat gesagt, es gebe auch anständige So-
zialdemokraten. So verfahren Sie jetzt mit mir.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Sie haben mich aber nicht richtig zitiert. Ich habe nicht ge-
sagt, das ganze Projekt sei unseriös, sondern die Begrün-
dung. Ich habe mich dabei auf das bezogen, was Henry
Kissinger auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt
hat.


(Gernot Erler [SPD]: Eine gute Quelle!)

– Ja, in der Tat, das finde ich auch.

Wenn wir das alles einmal beiseite lassen, müssten wir
uns ernsthaft fragen, was mit dem Projekt NMD eigent-
lich intendiert ist. Es geht doch um den Versuch einer
Neugestaltung der sicherheitspolitischen Architektur
im 21. Jahrhundert, und zwar weltweit. Es geht insofern
auch um unser Verhältnis, also nicht nur um das Verhält-
nis der Vereinigten Staaten, sondern auch um das Verhält-
nis des Westens, zur übrigen Welt. Es geht um die Frage:
Können wir die schreckliche Alternative „Wer zuerst
schießt, stirbt als Zweiter“ überwinden? Gibt es in Zu-
kunft die Möglichkeit, defensive Elemente in die Strate-
gie einzubeziehen, nachdem die offensiven über viele
Jahrzehnte die Strategie bestimmt haben, oder müssen wir
mit dem Gefühl der wechselseitigen Verwundbarkeit als
einziger Hoffnung auf Einsicht in die Notwendigkeit le-
ben, auf Gewaltanwendung zu verzichten? – Es ist nur
allzu verständlich, wenn es Zweifel an der Übertragbar-
keit des Systems der Abschreckung, das im Ost-West-
Konflikt ohne Zweifel den Frieden erhalten hat, auf die
übrige Welt gibt. Aber im Golfkrieg hat die Abschreckung
im Hinblick auf den Irak funktioniert.

All diese und viele andere fundamentale Fragen müssen
wir ernsthaft erörtern. Damit, meine ich, gäbe es wirklich
eine große Chance für eine etwas sicherere, bessere Welt.

Ich sehe in diesem amerikanischen Projekt noch eine
weitere Chance, vor allen Dingen für uns Deutsche, näm-
lich dass wir über den europäischen Tellerrand hinausse-
hen. Wir sind zu sehr auf Europa zentriert und haben allzu
lange übersehen, dass doch die eigentlichen Sicherheits-
probleme unseres Landes und ganz Europas außerhalb
Europas liegen und nicht in Europa. Gerade wir Deut-
schen könnten das lernen. Eine der großen Krisenregio-
nen ist der Nahe Osten, der ja nicht Naher Osten heißt,

weil er nahe an Amerika liegt, sondern weil er nahe an Eu-
ropa liegt.

Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, von dem
ich meine, dass er eine Chance böte, nämlich die Chance,
dass die Europäer in dieser Frage wirklich eine gemein-
same Position einnehmen, weil sie sie gemeinsam ein-
nehmen müssen. Zu glauben, wir könnten jeweils auf der
nationalen oder bilateralen Ebene einen großen Einfluss
auf die Gestaltung der amerikanischen globalen Sicher-
heitsstrategie ausüben, ist angesichts der Zahlenverhält-
nisse nicht gerade sehr realistisch. Ich darf einmal darauf
hinweisen, dass der deutsche Verteidigungshaushalt, ge-
messen am amerikanischen, gerade 8 Prozent beträgt.
Wenn Sie so weitermachen, landet er demnächst bei
5 Prozent. Das ist doch eine Zahlenrelation, die uns zu
denken geben muss und die uns unbedingt dazu führen
muss, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass Europa
in dieser Frage mit einer Stimme spricht.

Übrigens: Wenn dann auch und gerade für Europa
durch die Entwicklung der Raketentechnologie und durch
deren Verbreitung eine Bedrohung von außerhalb Europas
ausgeht und wenn wir uns möglicherweise an einem sol-
chen Projekt beteiligen, dann wirft das unweigerlich die
Frage nach der Reichweite der Allianz auf. Auch diese
Frage müssen wir beantworten. Das ist eine sehr ernste
Frage, die bislang nicht ausreichend, wie ich finde, gese-
hen wird.

Übrigens, Herr Minister: Ich finde es nicht fair, dem
Kollegen Rühe vorzuwerfen, er habe hier eine bedin-
gungslose Beteiligung gefordert. Das hat er nicht getan.
Das kann er gar nicht getan haben, denn er hat auch da-
rauf hingewiesen, dass die Diskussion in Amerika neu an-
gefangen hat und wir alle nicht genau wissen, was dabei
herauskommt. Was er gesagt hat, war ein grundsätzliches
Ja zu dem Versuch des Strategiewechsels und dazu, dass
wir uns an der Debatte darüber beteiligen. Mehr kann man
in diesem Augenblick natürlich nicht tun.


(Volkmar Schultz [Köln] [SPD]: Dann verlangen Sie doch nicht mehr von uns!)


Es geht hier nicht um eine bedingungslose Gefolgschaft,
sondern es geht um den partnerschaftlichen Dialog mit
den Amerikanern.


(Zuruf von der SPD: Das klingt aber bei Ihnen anders als bei Herrn Rühe!)


Wenn man aber nicht sagt, dass man grundsätzlich bereit
ist, und auch nicht die Bedingungen formuliert, unter de-
nen man bereit ist, kann man diesen Dialog nicht Erfolg
versprechend führen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sehe schließlich, auch wenn es natürlich unzwei-

felhaft ist, dass dieses Projekt eine Reihe von schwerwie-
genden Fragen aufwirft, eine große Chance für eine Ver-
tiefung der transatlantischen Beziehungen, wenn wir
diesen Dialog so führen, wie wir es Ihnen vorschlagen. Es
ist nicht wirklich erstaunlich, dass die neue amerikanische
Administration nicht nur versprochen hat zu informieren,
sondern auch zu konsultieren. Sie will, dass Europa mit-
macht. Mitmachen heißt das Konzept mitgestalten. Es




Karl Lamers

15381


(C)



(D)



(A)



(B)


heißt auch Mitwirkung bei der Technologie und insofern
Technologietransfer. Allerdings darf das nicht im Mittel-
punkt des Interesses stehen. Da ist der Bundeskanzler
Gott sei Dank vom Kollegen Erler korrigiert worden. Das
heißt allerdings auch nötigenfalls Mitfinanzierung. Inso-
fern ist das nicht eine ständige Platte, die wir da auflegen,
Kollege Erler. Es ist eine Tatsache, dass ohne einen größe-
ren finanziellen Beitrag unseres Landes zu den mi-
litärischen Anstrengungen des Bündnisses unsere Chan-
cen zur Mitgestaltung gegen null tendieren. Wenn Sie so
weitermachen, wird das leider so sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415802000
Ich erteile dem Kolle-
gen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1415802100
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lamers, man
konnte durch den Vergleich mit der Rede des Kollegen
Rühe sehr gut feststellen, worin der Unterschied besteht.
Ich knüpfe an eine Debatte an, die einige Jahre zurück-
liegt. Ich kann verstehen, dass es der Union sehr schwer
fällt, über das Thema der transatlantischen Beziehungen
neu zu diskutieren. Denken Sie noch einmal daran, wie
Werner Weidenfeld als Reaktion auf den Golfkrieg seine
Kritik formuliert hat. Er hat nämlich geschrieben – man
muss das häufig in Erinnerung rufen –, es gebe einen Kul-
turbruch mit Amerika. Er hat davon gesprochen, dass die
transatlantische Selbstverständlichkeit erloschen sei. Wie
bekommen Sie es auf die Reihe, das miteinander zu ver-
einbaren?

Herr Lamers, ich sage Ihnen ganz klar: Der transatlan-
tische Dialog muss fortgesetzt und intensiviert werden.
Sie können sich darauf verlassen: Diese Bundesregierung
wird dabei von den Regierungsfraktionen ganz eindeutig
unterstützt werden. Wir wünschen dem Bundeskanzler,
dass er im Gespräch mit der US-Administration genau die
Fragen aufwirft, die in dieser Debatte eine Rolle spielen.
Wir werden in einen Prozess, in einen Dialog eintreten
und wir werden Antworten finden. Aber wir werden diese
Antworten nicht finden, indem wir uns unterwerfen, son-
dern nur, indem wir die gemeinsamen Interessen mitei-
nander vertreten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die USA haben eine zentrale Rolle in Europa und sie
werden sie auch künftig spielen. Die demokratischen
Revolutionen vor zehn Jahren wären nicht möglich ge-
wesen, wenn sich die USA nicht auch als europäische
Macht verstanden hätten. Deutschland war häufig und
allzu lange Zeit eine Quelle der Angst für seine Nachbarn.
Das Bewusstsein vom deutschen Sonderweg konnte die
westdeutsche Gesellschaft nicht allein deshalb überwin-
den, weil sie sich in den europäischen Integrationsprozess
eingebettet hatte, sondern schließlich auch, weil die USA
in den 50er-, in den 60er- und in den 70er-Jahren so zu
kooperieren versucht haben, dass sich, wie es Jürgen
Habermas beschrieben hat, auch die innere Entwicklung
der Bundesrepublik Deutschland „amerikanisiert“ hat.

Die fundamentale Liberalisierung der Bundesrepublik
Deutschland wäre nicht möglich gewesen, wenn die USA
dabei keine starke Rolle in Europa gespielt hätten. Auch
dieser Punkt gehört zum transatlantischen Verhältnis. Der
deutsche Westen konnte eigentlich nur liberal werden,
weil er den Kräften des Marktes Raum ließ und zugleich
versuchte, sie sozial zu binden. Dieser Ansatz hat uns in
den europäischen Kontext gestellt. Aber diese Liberalität
voranzutreiben war mit dem Versuch verbunden, wie Fritz
Stern es genannt hat, die Bundesrepublik Deutschland in
ein neues Koordinatensystem zu bringen, geradezu zu
schieben, weg vom Obrigkeitsstaat, hin zur gesellschaft-
lichen Selbstverantwortung. Das war der entscheidende
Aspekt der „Westernisierung“ der Bundesrepublik
Deutschland.

Wenn wir über das transatlantische Verhältnis spre-
chen, dann sollten wir genau darüber reden und danach
fragen, was eigentlich die Herausforderungen in Eu-
ropa und in Amerika sind, vor welchen Problemen un-
sere Gesellschaften in Europa und die Gesellschaft in den
Vereinigten Staaten stehen. Die Herausforderungen – zum
Beispiel der Modernisierung und der Globalisierung –
sind doch die gleichen. Aber die Amerikaner haben dazu
einen anderen Ansatz als wir in Europa gefunden. Wir ha-
ben aufgrund unserer europäischen Denktradition sehr
stark auf den Staat gesetzt. Wir lernen von den USA, dass
man den Staat als wichtige Qualität durchaus erhalten und
reformieren muss. Zur unsichtbaren Hand des Marktes
– so hat es Adam Smith genannt – und zur sichtbaren
Hand des Staates kommt allerdings ein drittes Element,
die Hand der Zivilgesellschaft, hinzu. Das ist etwas, was
wir von den USA lernen können. Ich finde, dass wir von
diesem Dialog in den USA über die Einflüsse, die Mög-
lichkeiten und das bewusste Handeln der Menschen, die
sich miteinander vernetzen und versuchen, zivilgesell-
schaftliche Strukturen von unten zu entwickeln, etwas ler-
nen können.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!)

Denken Sie etwa an John Rawls, den großen liberalen De-
mokratietheoretiker, der uns diese Denkmodelle plastisch
darstellt. Er hilft uns, auch bei anderen innergesellschaft-
lichen Konflikten neue Lösungen zu finden.

Die Modernisierung der Gesellschaften in den USA
wie in Europa braucht den gemeinsamen transatlanti-
schen Dialog, um die Herausforderungen richtig zu ver-
stehen sowie vernünftige und moderne Antworten auf
diese Herausforderungen zu finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Es gibt hierfür eine Reihe von überzeugenden Hinweisen,
nehmen Sie zum Beispiel Michael Walzer, den ame-
rikanischen Sozialphilosophen, Nancy Fraser oder andere
amerikanische Wissenschaftler, die versuchen, ihr Land
zu europäisieren. Betrachten Sie, wie die Wissenschaft in
Europa im Dialog versucht, diesen Ball aufzunehmen und
unser eigenes Bewusstsein zu verändern. Das ist etwas,
wie ich finde, so Neues, das nicht in den alten Kategorien
der „Amerikanisierung“ oder „Europäisierung“ gedacht
werden kann. Wir brauchen einen solchen transatlanti-




Karl Lamers
15382


(C)



(D)



(A)



(B)


schen Dialog. In all den Debatten, die wir hier über „mis-
sile defense“, gemeinsame Sicherheit und militärische
Kooperation führen, können wir nur vorankommen, wenn
dieser innere Dialog zwischen Europa und Amerika neu
definiert wird.

Lieber Kollege Lamers, ich bin davon überzeugt, dass
das, was Sie denken, eher nicht der Meinung Werner
Weidenfelds entspricht, sondern wahrscheinlich sehr viel
näher bei dem liegt, was der Bundeskanzler mit George
Bush und seiner Administration in den nächsten Tagen de-
battieren wird. Wir wünschen dem Bundeskanzler alles
Gute und sind sicher, dass er mit einem vernünftigen Er-
gebnis, das auch die Fortsetzung dieses Dialogs beinhal-
tet, zu uns zurückkehren wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415802200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak-
tion der F.D.P. auf Drucksache 14/5570. Die Fraktion der
F.D.P. hat beantragt, den Entschließungsantrag zur feder-
führenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss sowie
zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss und an
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu überweisen. Die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen verlangen hingegen sofortige
Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstim-
mung über den Überweisungsvorschlag vor.

Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag
der F.D.P. zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungs-
vorschlag ist damit mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen abgelehnt.

Damit stimmen wir jetzt in der Sache ab. Wer stimmt
für den Entschließungsantrag der F.D.P. auf Drucksache
14/5570? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
3. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann (Chemnitz),
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner
Schulz (Leipzig), Michaele Hustedt, Andrea
Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Mittelstandspolitik – Motor für Beschäf-
tigung und Innovation
– Drucksache 14/5485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft
– Drucksachen 14/3870, 14/4603 –

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hansjürgen
Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft stärken
– Drucksache 14/5545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv organi-
sieren und gesetzliche Voraussetzungen für eine
Nachfolgeregelung schaffen
– Drucksache 14/5559 –
Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu
den „Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft“ liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Hansjürgen Doss von der CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Hansjürgen Doss (CDU):
Rede ID: ID1415802300
Herr Präsident!
Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Mittel-
standspolitik ist keine Klientelpolitik. In der Mittelstands-
politik entscheidet sich, wie viele Arbeitsplätze und wie




Gert Weisskirchen (Wiesloch)


15383


(C)



(D)



(A)



(B)


viele Ausbildungsplätze wir haben und wie sich das Brut-
tosozialprodukt entwickelt. Mittelstandspolitik ist also für
uns alle ganz wichtig. Wir haben deshalb eine große An-
frage „Chancen des Mittelstandes in der globalisierten
Wirtschaft“ an die Bundesregierung gestellt. Sie ist aber
nur oberflächlich und schlampig beantwortet worden.
Dies ist einfach typisch für den Stellenwert des Mittel-
standes in Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Keine Parole ist zu platt, keine Phrase zu hohl und kein

Allgemeinplatz zu abgedroschen, um nicht in der Antwort
der Bundesregierung Aufnahme zu finden. Ich muss sa-
gen, dass uns das sehr betroffen gemacht hat. Worthülsen
und Sprechblasen sind keine Antworten auf Kapital-
schwäche, Kostenlast, Bürokratie, Wettbewerbsverzer-
rung und Fremdbestimmung. Das Aktionsprogramm
„Mittelstand“ der Bundesregierung ist sozusagen eine
Werbebroschüre, die mit der Realität wenig zu tun hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Realität ist, dass der Anteil der Selbstständigen an der Ge-
samtzahl der Erwerbstätigen – zu Ludwig Erhards Zeiten
waren es 14 Prozent bei Vollbeschäftigung – in der Zwi-
schenzeit auf 9,4 Prozent gesunken ist. Der EU-Durch-
schnitt liegt bei 13 Prozent.

Mehrfach ist in der Antwort der Bundesregierung von
der Verbesserung der Rahmenbedingungen, von Förde-
rung, von Dynamisierung, von Stärkung, von Entlastung
und von Unterstützung die Rede. Das ist die Sprache der
Werbetexter, PR statt Fakten für den Mittelstand.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Realität sieht nämlich anders aus: Das 630-Mark-
Gesetz wurde zum Schwarzarbeiterförderungsgesetz. Da-
mit wurden die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
als flexibles Beschäftigungsinstrument praktisch un-
brauchbar gemacht. Das Gesetz gegen Scheinselbststän-
digkeit ist ein Existenzgründerverhinderungsgesetz. Es
hat eine bewährte Einstiegsmöglichkeit in die Selbststän-
digkeit verbaut. Die Reformansätze bei Kündigungs-
schutz und Lohnfortzahlung wurden zurückgenommen
und damit der Arbeitsmarkt wieder stärker reglementiert.
Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeit wurde die Personal-
planung in mittelständischen Unternehmen zum teuren
Lotteriespiel gemacht.

Mit der Ökosteuer wird der Mittelstand voll belastet.
Die Industrie bekommt großzügige Befreiungsoptionen.
Die Steuerreform entlastet die großen Kapitalgesell-
schaften. Mittelständische Personenunternehmen werden
dagegen benachteiligt. Die zum Jahresbeginn wirksam
gewordene Verschlechterung der Abschreibungsbedin-
gungen ist für den Mittelstand eine verdeckte Steuererhö-
hung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

hilft die Regierung den Gewerkschaftsfunktionären, da-
mit sie ihre bröckelnden Bastionen in den Betrieben zu-

sammenhalten kann. Dies ist ein DGB-Mitglieder-Förde-
rungsgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Mittelstand, von Gerhard Schröder noch 1998 stark
und nicht ohne Erfolg umworben, wurde nicht, was er er-
wartet hat, gefördert, gestärkt und gestützt. Er wurde
vielmehr getäuscht, gemolken und abgezockt. Das ist die
Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hiervon lenkt die Bundesregierung in ihrer Antwort mit
blumiger Schönrederei und mit unterhaltsamen Brot-und-
Spiele-Inszenierungen ab.

Zum Beispiel auch das so genannte Bündnis für Arbeit
ist eine große Alibishow. Hier wurde nur eine weitere
Bühne für die Selbstdarstellungsmöglichkeiten des Me-
dienpreisträgers aufgebaut. Ergebnisse sind weder er-
wünscht noch geplant; Ergebnisse würden diese Persona-
lityshow beenden. Der Präsident des Instituts für
Wirtschaftsforschung in Halle, Rüdiger Pohl, bezeichnet
die Runde als schlichtweg überflüssig. Recht hat er.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Auf die oscarreife Inszenierung mit dem angeblichen
Ringen um die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
ist die gesamte deutsche Öffentlichkeit hereingefallen.
Dabei haben Herr Riester und Herr Müller nur ihre Rol-
len gespielt, um die Gefälligkeit für den DGB als Kom-
promiss erscheinen zu lassen: Riester, der unerschrockene
Held der Arbeit, und Müller, der Mann der bösen Wirt-
schaft. Hinzu kommt Schröder, der salomonische
Schlichter.

Der Arbeitsminister, der seit zweieinhalb Jahren im
Rentendschungel umherirrt, braucht ein Erfolgserlebnis.
Der Wirtschaftsminister darf, weil er den undankbaren
Part des Bösewichts gespielt hat, nächstes Jahr das unge-
liebte Kabinett verlassen. Der Bundeskanzler, der Meister
der öffentlichen Politikdarbietung, hat einmal mehr Chef-
sachenmythos gepflegt. Die Stärkung der Funktio-
närsmacht in den Betrieben war der Preis für die 10 Mil-
lionen DM Wahlkampfhilfe des DGB von 1998 und für
das Wohlverhalten der Gewerkschaften in der Rentende-
batte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Bundesregierung kennt nur Arbeit und Kapital,

nur Beschäftigung im überholten Sinne der Arbeiterklasse
und bei selektiver Betrachtung Unternehmen nur als
Großkonzern.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Entsprechend fehlt bei dieser Bundesregierung eine
glaubwürdige Mittelstandspolitik. Das ist im Übrigen
kein Zufall, keine Unterlassung aus Vergesslichkeit. Das
hat vielmehr Methode. Mit der fortgesetzten Benachteili-
gung des Mittelstandes soll nach und nach die wirtschaft-




Hansjürgen Doss
15384


(C)



(D)



(A)



(B)


liche und gesellschaftliche Struktur in der Bundesrepublik
Deutschland verändert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Der Fall Holzmann steht exemplarisch für eine solche
Politik, die anonyme, mitbestimmte Großbetriebe unter
staatlichen Schutz stellt und den Mittelstand an den Rand
und aus dem Markt drängt. Das Verdrängen des Mittel-
standes ist dabei Teil einer groß angelegten gesellschafts-
politischen Strukturveränderung, für die mit der undiffe-
renzierten Kampagne gegen rechts gegenwärtig der
bundesweite Boden bereitet wird.

Die Bundesregierung spaltet die Gesellschaft, indem
sie alle, die nicht ihren Kurs segeln, als „konservativ“ und
„rechts“ brandmarkt, mit Extremisten in eine Ecke stellt
und zum „Objekt des Aufstands der Anständigen“ macht.
Auf Augenhöhe mit dem Bundeskanzler sind nicht die
Mittelständler, sondern nur die Konzernmanager aus der-
selben Zigarrenklasse. Der Mittelstand ist nur Zielgruppe
im Wahlkampf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Doch die schonungslose Realität der volkswirtschaftli-

chen Entwicklung lässt sich von dieser rot-grünen Politik
nicht beeinflussen. Konzerne schaffen keine Arbeits-
plätze. Bei schlechten Rahmenbedingungen gehen sie ins
Ausland. Der Mittelstand hingegen hat „lebenslang
Deutschland“.

Trotz einer für den Arbeitsmarkt günstigen demo-
graphischen Entwicklung ist die Lage auf dem Arbeits-
markt noch immer bedrückend. Über 4 Millionen Men-
schen waren im letzten Monat offiziell arbeitslos
gemeldet. Inklusive der verdeckt Arbeitslosen, von denen
seit Herbst 1998 interessanterweise kein Mensch mehr re-
det, sind es 5,7 Millionen. Der Kanzler jongliert derweil
unbekümmert mit Prognosen, wobei es ihm auf eine halbe
Million mehr oder weniger nicht ankommt.

Was uns besorgt machen muss: Der exportgetragenen
Konjunktur geht langsam die Luft aus. Stabile Wachs-
tumsraten verzeichnet alleine die Schwarzarbeit mit
658 Milliarden DM Umsatz im vergangenen Jahr.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Die Schattenwirtschaft wächst unter dieser Bundesregie-
rung im Vergleich zum tatsächlichen Anstieg des Brut-
toinlandsproduktes derzeit dreimal so schnell. Für diese
Bundesregierung aber kein Thema! Schwarzarbeit trifft ja
nicht die Konzerne, Schwarzarbeit trifft in erster Linie
den Mittelstand.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: So ist es!)

Vergessen wird dabei, dass bei der Schwarzarbeit keine
Steuern und keine Sozialbeiträge gezahlt werden.
Schwarzarbeit ist deshalb nicht nur mittelstandsfeindlich,
sondern auch in einem hohen Maße unsozial, ebenso un-
sozial wie diese Politik, die fleißige Menschen durch
überzogene Besteuerung und eine Beschäftigungsverhin-
derungsbürokratie regelrecht in die Schwarzarbeit drängt.
Was die Bundesregierung tut, ist Verleitung zur Schwarz-

arbeit und deswegen genauso verwerflich wie die
Schwarzarbeit selbst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Mittelstandsförderung ist Arbeitsplatzförderung. Je-
der Existenzgründer schafft im Schnitt kurzfristig drei
Arbeitsplätze. In bestehenden mittelständischen Unter-
nehmen gibt es im Schnitt acht Arbeitsplätze. Mittel-
standsförderung, die Förderung von Existenzgründungen,
regionale Wirtschaftsförderung und die Förderung von
Betriebsnachfolgen sind höchst effiziente arbeitsmarkt-
politische Maßnahmen. Die Bundesregierung setzt mit
ihren arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aber nicht bei
den Ursachen an, sondern nur bei den Symptomen.

Meine Damen, meine Herren, Riester hat nun entdeckt,
dass es Arbeitslose gibt, die arbeiten können, aber nicht
wollen. Wenn wir früher auf diesen Sachverhalt aufmerk-
sam gemacht haben, ist schlagartig die soziale Kälte aus-
gebrochen. Wie sich das alles ändert! Das Sein verändert
das Bewusstsein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Beifall bei der PDS)


– Ich sehe, die Kollegen lernen dazu. Das ist erfreulich.
Zur Vollständigkeit der Betrachtung gehört aber auch,

dass es Betriebe gibt, die wollen, aber nicht können, die
Arbeit genug haben, aber daraus keine Beschäftigung ma-
chen können, weil ein zusätzlicher Arbeitsplatz zu teuer
ist oder weil die arbeitsrechtlichen Hürden, die heutzutage
jeden Arbeitsplatz umgeben, zu hoch sind. Es sind Hür-
den mit sozialen Begründungen, die Beschäftigung ver-
hindern. Tatsächlich ist aber nur das sozial, was Beschäf-
tigung schafft. Oder um es genauer zu sagen: Sozial ist,
wer Beschäftigung schafft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Politik ist unsozial, wenn sie neue Hürden aufstellt, wie
verschärften Kündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Teil-
zeit, Einschränkungen für befristete Beschäftigung, Aus-
weitung der Mitbestimmung. Politik ist sozial, wenn sie
die Hürden für Beschäftigung niedriger macht oder ab-
räumt. Sozial ist, Verkrustungen aufzubrechen, die ver-
hindern, dass aus Arbeit, die in Deutschland ausreichend
vorhanden ist, Beschäftigung wird. Sozial sind weniger
Reglementierung und mehr Flexibilität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, für den
Mittelstand ist diese Legislaturperiode ein Langzeithärte-
test. Die Tüchtigsten werden überleben. Die Mittelständ-
ler erkennen zunehmend, dass sie für Schröder bei der
Wahl 1998 Stimmvieh waren.


(Peter Dreßen [SPD]: Schwachsinn!)

– So ist das. – Bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr
wird es heißen: Das war’s für die rot-grünen Genossen.
Der Kanzler wird dann sagen: Basta!


(Joachim Poß [SPD]: Sie sind ja witzig heute Morgen! Das hatte ich gar nicht erwartet! – Hansjürgen Doss 15385 Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Witz, komm raus! Du bist umzingelt!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Einen letzten Satz zu Ihrem Antrag. Er ist eigentlich
überflüssig. Er ist eine Variation, eine Interpretation des
Aktionsprogrammes der Bundesregierung, das genauso
inhaltsleer ist.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415802400
Ich erteile
für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt
das Wort.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1415802500
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nachdem die Fraktion der
CDU/CSU bereits im Dezember letzten Jahres die Ant-
wort der Bundesregierung auf ihre Große Anfrage erhal-
ten hatte, hat sie sich offensichtlich in gar keiner Weise
bemüßigt gefühlt, daraus Schlüsse zu ziehen, eigene Ini-
tiativen zu ergreifen oder gegebenenfalls ihre Überlegun-
gen in Form eines Antrages dem Plenum vorzulegen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der liegt doch vor!)


Nein, dies hat die Regierungskoalition heute getan. Das,
was Sie, Herr Doss, hier eben vorgetragen haben, ist wirk-
lich nichts anderes als der Versuch, einzelne Punkte zu-
sammenhanglos herauszupicken und zu sagen: Dies stört
uns; an dieser Stelle gehen wir nicht in die gleiche Rich-
tung wie Sie. – Das ist wenig, wenn man sich auf Regie-
rungsarbeit vorbereiten will, meine Damen und Herren
von der Opposition. Das ist zu wenig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Ein Mittelstandsvernichtungsprogramm!)


Wir als Sozialdemokraten wollen sehr bewusst kleine
und mittlere Unternehmen in unserem Lande fördern.
Sie stehen im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik. Wir
wollen eine Wirtschaftspolitik gestalten, die darauf ge-
richtet ist, dass kleine und mittlere Unternehmen mit Ei-
geninitiative, mit Risikobereitschaft, mit Leistungsfähig-
keit gezielt die Wirtschaft in unserem Lande anregen, sie
anstoßen, Arbeitsplätze schaffen und damit insgesamt
zum Wohlstand in unserer Gesellschaft beitragen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Zurückgestoßen!)


Wir wollen dafür Sorge tragen, dass diesen Unternehmen
der Marktzutritt erleichtert wird und dass es auch neue
Betätigungsfelder für diese Unternehmen gibt.

Ich glaube, dass wir schon jetzt eine eindrucksvolle
Leistungsbilanz vorlegen können


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Rückwärts!)

und in der Lage sind, diese Leistungsbilanz hier heute sehr
offensiv zu vertreten.

Herr Doss, ich selbst hatte Gelegenheit, in Rheinland-
Pfalz in einigen Städten mit Mittelständlern, mit der IHK
und mit der Handwerkskammer zu debattieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht wahr!)


Glücklicherweise sind diejenigen, die vor Ort Wirtschaft
gestalten, sehr viel sachlicher; sie stehen sehr viel stärker
auf dem Boden der Tatsachen, als das Ihrem Vortrag zu
entnehmen war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
der Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich eine Er-
folgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft. Ich will
ganz ausdrücklich sagen: Wir bekennen uns zu dem, was
von Ludwig Erhard über Karl Schiller an Ausgestaltung
der sozialen Marktwirtschaft in unserem Lande realisiert
worden ist. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit in unse-
rem Lande stärken. Wir wollen natürlich auch, um das So-
ziale in der Marktwirtschaft herauszuarbeiten, einen ver-
nünftigen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern in unserem Lande organisieren.

Dieser Dialog und diese Konsensfähigkeit von Arbeit-
gebern und Arbeitnehmern hat sich über all die Jahre be-
währt und ist ein zentraler Baustein der Entwicklung un-
serer Wirtschaft, ein zentraler Baustein auch des Erfolges
unserer Wirtschaft. Daran wollen wir festhalten.

Ich glaube darüber hinaus, dass gerade der soziale
Friede ein Wettbewerbsvorteil in den internationalen Di-
mensionen ist und im Übrigen auch dafür Sorge getragen
hat, dass wir in unserem Lande, was Streiks und im Übri-
gen auch Behinderungen der betrieblichen Abläufe be-
trifft, im Vergleich zu anderen Ländern eine ausgespro-
chen positive Bilanz aufweisen können.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie uns an diesem partnerschaftlichen Verhältnis
trotz aller Interessengegensätze, die es naturgemäß geben
muss, festhalten.

Meine Damen und Herren, in den letzten 16 Jahren der
Regierung von CDU/CSU und F.D.P. geriet Deutschland
in immer stärkerem Maße in eine nachteilige Wettbe-
werbssituation


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


und auch in eine soziale Schieflage. Dieser Reformstau,
für den Sie verantwortlich zeichnen, hat insbesondere
auch den Mittelstand belastet.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch die Reformen zurückgenommen!)


Wir sind 1998 angetreten, um genau diesen Stau aufzulö-
sen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich denke, wir können mit der Bilanz, die wir vorzulegen
in der Lage sind, genau dieses Ergebnis hier heute darlegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Hansjürgen Doss
15386


(C)



(D)



(A)



(B)


Unser Konzept ist eine moderne Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik, die das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft
mit dem der Nachhaltigkeit verbindet. Dies bedeutet, dass
Wirtschaftspolitik nur auf Dauer erfolgreich sein kann,
wenn sie ökonomische Effizienz, soziale Sicherheit und
ökologische Verantwortung miteinander in Einklang bringt.

Wir bekennen uns im Übrigen sehr dazu, dass Unter-
nehmerpersönlichkeiten und gut qualifizierte Arbeitneh-
mer, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, mehr
und mehr der gemeinsame Schlüssel für den Erfolg eines
Unternehmens sind. Ich sage Ihnen, meine Damen und
Herren: So, wie Sie im Zusammenhang mit der Moderni-
sierung der Mitbestimmung auf das, was sich bisher be-
währt hat, eingeschlagen haben, haben Sie sich offen-
sichtlich aus der Reihe derer, die diesen Akzent sozialer
Marktwirtschaft für eine Vorbedingung für Wohlstand in
unserem Lande halten, verabschiedet.


(Beifall bei der SPD)

Vor dem Hintergrund dieser Grundüberzeugung haben

wir und hat der Bundeskanzler das Bündnis für Arbeit
ins Leben gerufen. Ich kann nur sagen: Die Ergebnisse
können sich doch wohl sehen lassen. Es wurde eine ver-
lässlich vereinbarte Lohnpolitik erreicht; moderate Tarif-
abschlüsse, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die
Förderung von Teilzeitarbeit wurden vereinbart, ebenso
die Förderung von Qualifikationen, die Stärkung der Ver-
mittlung von Arbeit – wichtige Akzente zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft.

Ich glaube, dass wir seit 1998 wieder auf Erfolgskurs
sind. Die Zahlen belegen das. Die Arbeitslosigkeit ist
deutlich zurückgegangen,


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Lachhaft! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Was? – Wo denn?)


von 11,6 auf 9,3 Prozent. Die Staatsverschuldung ist abge-
baut worden und wird bis 2005 weiter abgebaut werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Preise bleiben stabil, auf niedrigem Niveau – trotz der
negativen Entwicklungen auf den Weltmärkten. Die Er-
höhung privater Kaufkraft ist Realität. Allein im Ja-
nuar 2001 sind die Einzelhandelsumsätze um 4,1 Prozent
gestiegen. Das kommt doch nicht von ungefähr; das ist
das Ergebnis konsequenter, guter, neuer, moderner Rah-
menbedingungen, die wir geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415802600
Herr Kol-
lege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Schauerte?


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1415802700
Nein.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415802800
Der Redner

lehnt ab.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Präsident Seiters, da hat einer die Hosen voll!)



Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1415802900
Die Bundesregierung hat
Stillstand und Modernisierungsstau, den Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, hinterlassen haben, aufge-
löst. Ordnungspolitisch und gestalterisch haben wir neue
Rahmenbedingungen gesetzt. Ich will einige dieser Rah-
menbedingungen nennen, die im Übrigen im europäischen
und weltweiten Maßstab absolut unbestritten sind und An-
erkennung finden. – Sie haben das ja vorhin in humoristi-
scher Art und Weise begleitet. Offensichtlich wird der Fa-
sching in Rheinland-Pfalz bis zum Wahltag fortgesetzt.


(Zuruf von der [SPD]: Aber nur bei den Schwarzen!)


– So ist es; nur bei den Schwarzen.
Wir haben allein mit der Reform des 630-Mark-Geset-

zes dem Missbrauch im Bereich der geringfügigen Be-
schäftigungsverhältnisse einen Riegel vorgeschoben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Statistik habt ihr gefälscht!)


Die Neuregelung erbrachte allein im ersten Jahr Beitrags-
einnahmen für die gesetzliche Rentenversicherung in
Höhe von zusätzlich 1,85 Milliarden DM und für das Jahr
2000 von 2,8 Milliarden DM. Nehmen Sie das doch ein-
mal zur Kenntnis.

Wir haben den Missbrauch im Bereich der Schein-
selbstständigkeit erfolgreich bekämpft. Jetzt werden
nicht mehr diejenigen, die Beschäftigungsverhältnisse
schaffen und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, be-
nachteiligt. Jetzt haben wir auch im Bereich der Selbst-
ständigkeit wieder einen vernünftigen Wettbewerb. Ich
füge, was die Beschäftigung betrifft, hinzu: Allein der
Bundesverband der Freien Berufe hat vor wenigen Tagen
erklärt: Es gibt zusätzlich 27 000 Selbstständige mit mehr
als 100 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen und einer stattli-
chen Zahl zusätzlicher Ausbildungsplätze.

Meine Damen und Herren, diese ordnungspolitischen
Maßnahmen haben sich ausgezahlt. Nehmen Sie das doch
einmal anhand der Fakten zur Kenntnis.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415803000
Herr Kol-
lege Staffelt, die Kollegin Kopp möchte eine Zwi-
schenfrage stellen.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1415803100
Nein, ich lasse im Moment
keine Zwischenfragen zu.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Feige! Feige! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: So ein Feigling! – Unfähig!)


– Passen Sie einmal auf: Ich erlebe ja Ihre hochintelligen-
ten Einwürfe im Ausschuss. Ich möchte einmal in der
Lage sein, zusammenhängend die Dinge zu erläutern,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Mit vollen Hosen ist das schlecht!)





Dr. Ditmar Staffelt

15387


(C)



(D)



(A)



(B)


die uns im Bereich der Mittelstandspolitik tatsächlich be-
wegen – Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Geben Sie doch zu, dass Sie die Hosen voll haben!)


Viele haben sich, so denke ich, im Zusammenhang mit
der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in eine
Diskussion hinein begeben, die, bitte schön, auf die reale
und rationale Substanz zurückgeführt werden muss. Ich
stelle eines fest: Viele kleine und mittlere Unternehmen
nutzen die Mitbestimmung, um mehr Arbeitnehmer an
ihren Betrieb zu binden. Das sind viel mehr Arbeitgeber,
als es die CDU/CSU-Fraktion hier wahrhaben will. Das
ist doch glatte Propaganda, was Sie hier betreiben. Das hat
mit den Realitäten des Betriebsfriedens nichts, aber auch
gar nichts zu tun hat.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Keine Ahnung haben Sie!)


Im Übrigen darf ich Sie darauf verweisen, dass der
Kompromiss, der gefunden worden ist und der jetzt Ge-
genstand von Erörterungen hier im Hause ist, sicherlich
ein guter und tragfähiger Kompromiss ist, bei dem auch
die kleinen und mittleren Unternehmen in keiner Weise
übermäßig strapaziert werden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Fragen Sie doch einmal die Betroffenen!)


Meine Damen und Herren, ich möchte des Weiteren
darauf verweisen, dass mit der Steuerreform, also mit der
Reform des Einkommensteuergesetzes und des Unterneh-
mensteuerrechtes, weltweit anerkannt ein ganz wesentli-
cher Reformschritt getätigt worden ist. Ich darf Sie auf die
Reduzierung der Lohnnebenkosten hinweisen. Auch
dies ist ein Thema, das insbesondere den beschäftigungs-
intensiven Unternehmen hilft.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Neue Steuern!)


Ich darf Sie darauf hinweisen, dass auch die Renten-
reform ein wichtiger Baustein für das ist, was die Wett-
bewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ausmacht.


(Peter Dreßen [SPD]: Absenkung der Beiträge!)


Dies alles sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis neh-
men, wenn Sie auf den Boden der Realitäten der Debatte
in unserem Lande zurückkehren wollen.


(Beifall bei der SPD)

Das Gleiche gilt für das Thema der Haushaltskonsoli-

dierung. Auch hier gilt doch auf Ihrer Seite das Motto:
Wir fordern und fordern mehr und mehr und auf der an-
deren Seite kritisieren wir, dass die Koalition endlich
dafür Sorge trägt – im Übrigen auch für den Mittel-
stand –, dass der Haushalt in den nächsten Jahren wieder
aktionsfähig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Immer mehr Ausgaben!)


Denn weniger Verschuldung bedeutet eine geringere
Zinsbelastung, und mehr Spielräume im Haushalt bedeu-
ten einen höheren Investivhaushalt und damit mehr Auf-
träge bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Neh-
men Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis!


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass wir uns auch an anderer Stelle sehen

lassen können, allein wenn ich mir überlege, wie viele
Neugründungen es in diesem Lande gegeben hat. Wenn
die Rahmenbedingungen tatsächlich so katastrophal sind,
wie Sie das beschrieben haben, frage ich mich: Warum
sind wir eigentlich Weltmeister bei den Existenzgründun-
gen im Bereich der New Economy?


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht!)


– Aber sicherlich sind wir das. Nirgendwo anders hat es
so viele Börsennotierungen kleiner und mittlerer Unter-
nehmen gegeben wie in Deutschland.

Wir haben eines erreicht – auch das muss Gründe ha-
ben –: Wir sind heute nicht mehr auf staatliches Venture
Capital angewiesen, weil Private offensichtlich in ausrei-
chender Weise Risikokapital zur Verfügung stellen. Das
muss doch Gründe haben! Die Investoren glauben an die-
ses Land und an diesen Investitionsstandort. Sie sind nicht
der Meinung, wir würden ihr Geld zum Fenster hinaus-
werfen. Auch das ist die blanke Realität.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich füge des Weiteren hinzu: Für das Handwerk, für die

Qualifizierung, für Ausbildungsberufe, also für alle zen-
tralen Bereiche,


(Peter Dreßen [SPD]: Meister-BAföG!)

haben wir weitere Mittel zur Verfügung gestellt. Wir re-
formieren das Meister-BAföG.Wir ermöglichen, dass der
Kreis der Geförderten erweitert wird und dass, wenn
BAföG gewährt wird, mehr erlassen wird, als das in der
Vergangenheit der Fall war. Ich sage Ihnen noch einmal:
Hören Sie mit Ihrer Miesmacherei auf und setzen Sie sich
mit den tatsächlichen Fakten dieser Regierung auseinan-
der!


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich erinnere darüber hinaus an die Reform der Ausbil-
dungsberufe, an die zusätzlichen Mittel für die Berufs-
schulen, deren Bereitstellung im Rahmen der UMTS-Mil-
liarden möglich war, an das, was wir im Zusammenhang
mit der Green Card veranlasst haben, an die Einrichtung
von runden Tischen, an die Bereitstellung von Eigenkapi-
talhilfe und an die Schaffung von Existenzgründer-
lehrstühlen an den Universitäten. Ich könnte die Aufzäh-
lung der von uns getroffenen Maßnahmen unendlich
weiterführen. Wir haben einen bunten Strauß wichtiger
Maßnahmen zusammengestellt, damit kleine und mittlere
Unternehmen in unserer Volkswirtschaft einen vernünfti-
gen Rahmen erhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Dr. Ditmar Staffelt
15388


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will zum Schluss sagen, meine Damen und Herren:
Wir allesamt in diesem Lande haben die Aufgabe, diesen
Standort nicht unnötig schlecht zu reden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer macht das denn?)


Wir wollen Investoren aus dem Ausland in unser Land
ziehen. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass sich unsere
Unternehmen mit den Möglichkeiten der Informations-
und Kommunikationstechnologie am europäischen Wett-
bewerb beteiligen können.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wachstum ist doch Realität!)


Wir wollen dafür Sorge tragen, dass wir, auch was die EU-
Osterweiterung betrifft, frühzeitig mit unseren kleinen
und mittleren Unternehmen auf den Märkten präsent sind.

Meine Damen und Herren, helfen Sie mit guten Vor-
schlägen und lassen Sie die Miesmacherei! Wir glauben,
wir sind auf einem guten Weg. Die Fakten sprechen für
uns.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wer glaubt, wird selig!)


Wir jedenfalls haben in vielen, vielen Diskussionen mit
Selbstständigen, mit kleinen und mittleren Unternehmen
die Erfahrung gemacht, dass die Hoffnung auf ein weite-
res gutes konjunkturelles Umfeld, gestützt durch die Po-
litik dieser Bundesregierung, gegeben ist. Deshalb
schauen wir mit großem Optimismus in die Zukunft.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415803200
Das Wort zu
einer Kurzintervention erhält der Kollege Hartmut
Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1415803300
Herr Kollege
Staffelt, leider haben Sie meine Zwischenfrage nicht zu-
gelassen, sodass ich das jetzt in einer Kurzintervention
vortragen möchte.

Erstens zur Zahl der Erwerbstätigen: Selten hat es eine
so drastische und offenkundige Manipulation bei den
Statistiken gegeben.


(Lachen bei der SPD)

Es steht eindeutig fest: Nachdem Sie die 630-Mark-Jobs
gesetzlich neu geregelt haben, sind diese jetzt in der Sta-
tistik für die Erwerbstätigen ausgewiesen. Vor der Rege-
lung waren es etwa 5 Millionen 630-Mark-Jobs. Davon
sind 2 Millionen jetzt neu als Erwerbstätige in der Statis-
tik ausgewiesen. Sie haben nach wie vor weniger als
630 DM, waren vorher beschäftigt, sind jetzt beschäftigt,
erscheinen aber in der Statistik als eine Verbesserung. Das
ist gemogelt, das ist nicht seriös!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Man muss in diesem Zusammenhang sogar noch dazu-
sagen, dass die anderen 3 Millionen 630-Mark-Beschäf-
tigten jetzt endgültig in der Schwarzarbeit gelandet sind,
völlig rechtlos sind und außerhalb der Zahlungspflichten
liegen – eine schlechte Entwicklung!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine zweite Bemerkung: Wenn es denn Besserung in

Deutschland gibt, dann findet sie insbesondere in zwei
Bundesländern statt, in denen die CSU bzw. die CDU sehr
erfolgreich regieren, nämlich in Bayern und in Baden-
Württemberg.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben in diesen beiden Ländern eine halb so hohe Ar-
beitslosigkeit wie in Nordrhein-Westfalen und in Nieder-
sachsen, wo Sie regieren, deutlich höhere Anteile der
Selbstständigkeit, und, was erstaunlich ist, auf dem nied-
rigen Arbeitslosigkeitsniveau in Baden-Württemberg
nimmt die Arbeitslosigkeit doppelt so schnell ab wie auf
dem hohen Arbeitslosensockel in Nordrhein-Westfalen.

Wenn es also etwas zu loben gibt, wenn es intelligente
Wirtschafts-, Regional- und Strukturpolitik gibt, dann fin-
det sie in diesen Ländern zuallererst statt. Wenn Sie An-
sätze von Besserung feststellen, dann holen Sie sich bitte
dort die Zahlen, und bedanken Sie sich bei den tüchtigen
Landesregierungen – wie zum Beispiel in Baden-Würt-
temberg bei Erwin Teufel –, die das mustergültig auf die
Beine gestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Absteiger!)


Ich denke, das reicht. Gehen Sie in Ihre Länder und se-
hen Sie dort nach! Bekommen Sie rote Ohren, wie
schlecht Ihre Zahlen sind und wie gut die Zahlen in Ba-
den-Württemberg und Bayern sind. Gott sei Dank, dass
wir diese beiden Länder haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415803400
Zur Erwi-
derung gebe ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt das
Wort.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt bringt er Fakten!)



Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1415803500
Uns ist ja seit längerem be-
kannt, dass Sie der Bereichsleiter Agitprop bei der
CDU/CSU-Fraktion sind.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Man hört das eher selten, weil das Sauerland groß ist und
die Vegetation dort sehr viel von dem wegnimmt. Das ist
gut so für das Land, würde ich sagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie etwas zu den Fakten!)


Ich bin erstaunt darüber, was Sie hier sagen. Ich habe
mit großem Interesse verfolgt, was die Bundesanstalt für




Dr. Ditmar Staffelt

15389


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeit – unabhängig von der jeweiligen Bundesregierung –
an redlicher Arbeit geleistet hat.Das ist unter anderem ein
Verdienst von Herrn Jagoda.


(Zustimmung bei der SPD)

Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie hier den Ein-
druck erwecken, als würde die Bundesanstalt für Arbeit,
die die Zahlen zum Thema Arbeitslosigkeit veröffentlicht,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

die Menschen in diesem Lande in einer unglaublichen Art
und Weise belügen. Ich finde das scheußlich, Herr
Schauerte! Schämen Sie sich dafür!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Anhaltender Widerspruch bei der CDU/CSU)


Zum Zweiten möchte ich Ihnen eines sagen: Eine or-
dentliche Mittelstandspolitik – wo immer sie in der Praxis
gemacht wird – sollte uns alle bereichern. Ich habe da
überhaupt kein Problem. Ich klebe da nicht an der Frage,
ob ein Senat von Berlin etwas Gutes gemacht hat, eine
Landesregierung in Nordrhein-Westfalen oder eine
Staatsregierung in Bayern. Wenn es eine gute Initiative
ist, warum sollen wir davon nicht gemeinsam lernen?

Nur eines bin ich nicht bereit hinzunehmen: Sie reden
vom Ländervergleich. Schauen Sie sich doch einmal an,
in welcher Größenordnung der Bund in den letzten Jahren
seine Aktivitäten auf diesem Felde verbessert und moder-
nisiert hat, und setzen Sie das in Vergleich zu dem, was
Sie bis 1998 auf die Beine gestellt haben. Dann kommen
Sie zu einem Vergleich, über den wir hier debattieren
können, und dann, Herr Schauerte, nehme ich Sie auch
wieder in den Kreis der Redlichen auf.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Und das will etwas heißen! – Zuruf von der CDU/CSU: Aber darauf verzichtet er!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415803600
Nun spricht
für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Rainer Brüderle.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Märchenstunde! – Zuruf von der F.D.P.: Jetzt geht es los!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415803700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Grün-rote Gesundbeter ziehen durchs
Land,


(Lachen bei der SPD)

aber es hilft nichts. Die Konjunktur geht in den Keller,


(Anhaltendes Lachen bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Leider wahr!)


die Börse kracht, es gibt eine neue Messeinheit für den
Verfall ökonomischer Prognosen: den Eichel.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr witzig!)


Es hält gerade fünf Tage. Fünf Tage später haben praktisch
alle Institute ihre Wachstumsprognosen nach unten kor-
rigiert: um die 2 Prozent. An die 2,75 Prozent von Eichel
glaubt er selbst bestimmt auch nicht mehr. Ich halte ihn
dazu für zu intelligent.

Wir haben die höchste Teuerungsrate seit 1994 in
Deutschland – Ergebnis insbesondere grüner Energiepoli-
tik.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste ja jetzt kommen! – Zuruf von der SPD: Jetzt kommt die Ökosteuer!)


Eine der wichtigen Ursachen dafür ist die verfehlte
Mittelstandspolitik. Ich frage mich, meine Damen und
Herren: Was hat der deutsche Mittelstand eigentlich
Grün-Rot getan, dass Grün-Rot den deutschen Mittel-
stand so quält und so schlecht behandelt?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine lange Latte: Verschärfung des Kündi-
gungsschutzes, Verschärfung bei der Lohnfortzahlung,
Abschaffung der 630-DM-Verträge, Verschärfung der
Mitbestimmung in den Kleinbetrieben – dort ist Teamar-
beit, nicht Funktionärsfremdbestimmung gefragt –, Öko-
steuer.


(Thomas Sauer [SPD]: Genau, genau!)

Frau Scheel hatte noch die tolle Weisheit, zu erklären, die
Abschaffung der Ökosteuer wäre wirtschaftspolitischer
Wahnsinn.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das ist grüne Realpolitik: Mittelstandspreis annehmen
und anschließend den Mittelstand abstrafen, in die Pfanne
hauen. So machen Sie Mittelstandspolitik!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Abschreibungsverschlechterungen und Zwangspfand
werden viele kleine Einzelhändler in existenzkritische Si-
tuationen bringen.


(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)

Weiter: Steuerbevorzugungen der Kapitalgesellschaften,
Unklarheiten bei der Rente, Zwangsteilzeit und ein sechs-
jähriges Moratorium von Herrn Eichel für weitere Steuer-
senkungen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Amerikaner
ankündigen, 3,2 BillionenMark weitere Steuersenkungen
vorzunehmen, erklärt der deutsche Finanzminister: In den
nächsten sechs Jahren gibt es nichts mehr. – Die Schief-
lage zulasten des Mittelstandes bleibt. Dann darf sich
auch keiner wundern, wenn wir Probleme am Arbeits-
markt haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Dann haben wir einen Bundeswirtschaftsminister, der
zum Monopolminister mutiert ist.


(Widerspruch bei der SPD)





Dr. Ditmar Staffelt
15390


(C)



(D)



(A)



(B)


Er hat sein ganzes Leben immer nur in Großkonzernen ge-
wirkt; der weiß gar nicht, wie der Mittelstand atmet, wie
es hinter der Ladentheke aussieht. Er hält den „blauen
Anton“ nicht für eine Arbeitskleidung, sondern für eine
Comedy-Figur. Mit einer solchen Einstellung kann man
keine Mittelstandspolitik machen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Monopolminister Müller interessiert sich für die Post:
Verlängerung des Briefmonopols.


(Zuruf von der SPD: Das ist gut fürs Land!)

Monopolminister Müller will Sonderregelungen für

die Telekom. Monopolminister Müller engagiert sich für
Eon, aber nicht für das, was für den Mittelstand notwen-
dig ist. Er hat sich nirgends durchgesetzt, weder in der
Frage der betrieblichen Mitbestimmung, bei deren Ver-
schärfung zulasten des Mittelstandes,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Da schon gar nicht!)


noch hat er seine Grundsatzabteilung zurückbekommen.
Er hat immer noch ein amputiertes Ministerium. Weder
hat er die Besteuerung von Aktienoptionen verbessern
können noch hat er eine Besteuerung der „business an-
gels“ verhindern können. Nichts! Überall nur Niederla-
gen! So ist es halt, wenn man Monopolminister ist und
den Mittelstand nicht kennt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Jetzt hat er nach zweieinhalb Jahren die neue Wunder-
waffe entdeckt und sagt, er brauche eine Mittelstandsbe-
auftragte.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die hat er gekriegt! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist gut so!)


Das ist Frau Wolf, die auch sicherlich schon manches
Lehrbuch über den Mittelstand gelesen hat. Sie hat vor
zwei Tagen mit Leidenschaft gefordert, dass die Steuer-
reform korrigiert werden muss, weil sie den Mittelstand
diskriminiert und schlecht behandelt. Dies wird natürlich
null Effekt haben. Da zieht sich Frau Wolf vor den Land-
tagswahlen einen Schafspelz über, damit man nicht ent-
deckt, wie mittelstandsfeindlich grün-rote Politik ist. Mit
Mittelstandspolitik hat dies absolut nichts zu tun.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dieser Politik macht der Monopolminister Müller
den Mittelstand in Deutschland heimatlos,


(Lachen bei der SPD)

macht die Mittelständler quasi zu wirtschaftspolitischen
Zwangsvertriebenen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik,
denn Sie denken nur an Großkonzerne und in großen Ge-
werkschaftseinheiten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da müssen Sie über sich selber lachen!)


Der Bundeskanzler kommt auch nur bei Holzmann und
Mannesmann vorbei, aber nicht beim Mittelständler.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Nun ist er ja auch nicht da!)


– Gut, er hat ja so glänzende Monopolvertreter, dass der
Genosse der Bosse nicht zwingend dabei sein muss, wenn
es um Mittelstandspolitik geht. Ich habe noch ein gewis-
ses Verständnis dafür, dass er sich damit nicht beschäfti-
gen will.

Was braucht der Mittelstand, worauf kommt es an? Der
Mittelstand will keine Almosen, will keine Sonderrege-
lungen. Er will eine faire Chance. Dafür brauchen wir eine
klare Ordnungspolitik, eine Renaissance der sozialen
Marktwirtschaft, in der der Staat ordnet, aber nicht
lenkt, in der er faire Chancen gibt und berechenbare Da-
ten setzt, nach denen man als Mittelständler seine Investi-
tionen ausrichten kann, und in der man nicht ständig
durch punktuelle Eingriffe irritiert wird, die dann, wenn
man sich an ihnen orientiert, dazu führen, dass die Inves-
titionsberechnungen falsch sind. Das ist zutiefst mittel-
standsfeindlich. Der Mittelstand kann sich keine Abtei-
lung von Winkeladvokaten erlauben, die noch die letzte
Nische im Steuerrecht finden. Er braucht einen klaren
Kurs, eine Vereinfachung des Steuerrechts. Aber von Ver-
einfachung redet in diesem Hause überhaupt keiner von
der Regierung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Warum haben Sie es nicht gemacht?)


Ich will Ihnen vier Dinge sagen, die Sie sofort machen
müssten, um dem Abgleiten der Konjunktur – hier tun Sie
gar nichts – entgegenzuwirken:

Erstens. Sie müssen eine Steuerreform II sofort auf den
Weg bringen, die insbesondere die Schieflage zulasten
des Mittelstandes beseitigt. Wir brauchen ein klares, ein-
faches Steuerrecht. Unser Vorschlag mit 15, 25 und
35 Prozent ist genau richtig. Herr Struck durfte diesem
Vorschlag einmal zustimmen, aber nach 48 Stunden
wurde er dazu verdonnert, sich zurückzuziehen. Die vor-
geschlagene Regelung ist richtig, klar und einfach, weil
sie gerecht ist. Ein kompliziertes Steuerrecht ist immer
mittelstandsfeindlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Senken Sie sofort die Beiträge zurArbeits-
losenversicherung um einen Prozentpunkt. Die Einnah-
mesituation gibt das her. Dies wäre gerade für die kleinen
Betriebe eine Entlastung.

Drittens. Sie müssen unbedingt an eine Reform des
Arbeitsmarktes herangehen. Es ist völlig unstreitig – ob
Bundesbank, alle deutschen Wirtschaftsforschungsinsti-
tute oder die OECD, wenn Sie den deutschen Prognosen
nicht trauen –: Kernursache der unerträglich hohen Ar-
beitslosigkeit in Deutschland ist die Inflexibilität am Ar-
beitsmarkt. Sie müssen hier reformieren. Herr Schulte
fängt ja an zu denken und sagt, man könne dies zeitlich
anders machen. Liebe Gewerkschaften, willkommen in
der Realität! Wacht endlich auf!




Rainer Brüderle

15391


(C)



(D)



(A)



(B)



(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn 16 Jahre lang gemacht?)


Wenn ihr euch schon früher bewegt hättet, hätten wir
schon viele Langzeitarbeitslose von der Straße holen kön-
nen. Die kleinen tüchtigen Leute zahlen für diese ideolo-
gische Politik, die falsch strukturiert ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Als wenn die Arbeitslosigkeit erst in den letzten zwei Tagen entstanden wäre! Eine Frechheit!)


Deshalb müssen Sie an eine Reform des Flächentarif-
vertrages gehen. Sie geben denen, die draußen stehen,
keine Chance. Sie machen mit Ihren Funktionären einen
„closed shop“. Geben Sie denen, die arbeitslos sind, und
denen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, auch eine
Chance! Sie brauchen Hoffnung und Perspektive.


(Beifall bei der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Wer hat denn die Langzeitarbeitslosigkeit geschaffen?)


Nein, Sie vertreiben sie aus dem Tarifvertrag. Keine Ar-
beit zu haben verletzt die innere Empfindung eines Men-
schen. Deshalb ist das, was Sie machen, unsozial.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unverschämt, was Sie da machen! Eine blanke Unverschämtheit!)


Viertens: Bauen Sie endlich die überzogene Bürokra-
tie in Deutschland ab. Ich habe schon in meiner Zeit als
Minister durch ein Gutachten der Universität Mainz er-
mitteln lassen, was Sie dem deutschen Mittelstand an
bürokratischen Handschellen zumuten. Im Jahr kommen
auf den Mittelstand durch überdrehte Regelungen Belas-
tungen in einer Größenordnung von 60Milliarden DM zu.


(Joachim Poß [SPD]: Da waren wir noch gar nicht an der Regierung, Herr Brüderle!)


Beginnen Sie mit der Umsatzsteuer. Gehen Sie weg von
der monatlichen Steuererklärung zur Jahresumsatzsteuer-
erklärung. Das trifft Sie zu Recht, weil Sie hierbei falsch
liegen, Herr Poß. Sie sind viel zu intelligent, um zu glau-
ben, was Sie dazwischenrufen.


(Abg. Joachim Poß [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Zuruf von der SPD: Wann haben Sie das Gutachten gemacht? Wann war das?)


– Ich habe ein bisschen Zeit. Lassen Sie ihn ruhig fragen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415803800
Der Redner
gestattet eine Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Poß.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1415803900
Lieber Herr Kollege, können Sie
sagen, wann Sie Wirtschaftsminister in Mainz waren und
wer zu dem Zeitpunkt die Bundesregierung gestellt hat?
War Ihre Partei zufällig an der Bundesregierung beteiligt?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415804000
Herr Poß, das war vor gut
drei Jahren. Das ist richtig. Wir hatten mit unseren Koali-
tionspartnern Probleme, solche Dinge abzubauen.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die F.D.P. ist nie schuld!)


Wir als liberale Reformpartei haben den Mut, die Tabus in
dieser Gesellschaft anzugehen. Einer muss doch dafür
sorgen, dass es vorangeht. Wir wollen nicht weiter mit den
Italienern – das ist immer noch die Antwort auf Ihre
Frage – unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Wir
liegen hinten. Wir sind nicht mehr die Lokomotive in Eu-
ropa. Es sieht eher so aus, als seien wir der Schlafwagen,
weil der Reformstau in Deutschland wie in Italien und
in Frankreich, also in drei großen Ländern, nicht aufge-
löst wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 16 Jahre lang hätten Sie handeln können!)


Der Reformstau ist die Ursache dafür, dass wir unter dem
Durchschnitt liegen und dass der Euro fällt, weil man kein
Vertrauen in unsere Reformfähigkeit und Anpassungs-
fähigkeit hat.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lassen Sie doch diese Schreierei!)


Deshalb ist es notwendig, unsere Strukturen zu verändern.
Herr Kollege Poß, deshalb war Ihre Zwischenfrage sehr
wichtig. Um es noch einmal deutlich zu machen: Wer
nicht den Mut hat, Veränderungen vorzunehmen, fällt
eben zurück.

Sie werden die Arbeitslosen nicht von der Straße be-
kommen, wenn Sie keine Strukturen aufbrechen. Im
Osten Deutschlands sind zwei Drittel aller Arbeitsplätze
außerhalb des geltenden Tarifvertragsrechts. Hieran wagt
sich zu Recht keiner, weil es in den neuen Bundesländern
sonst noch schlimmer würde. Aber was ist denn das für
eine Realität, die nur deshalb einigermaßen funktioniert,
weil man sich nicht an bestehende Gesetze hält? Das ist
der Beleg dafür, dass die Gesetze falsch sind. 80 Prozent
der Arbeitgeber – ich will Ihre Frage richtig beantworten –
sind aus den Verbänden ausgetreten, weil das alte Tarif-
kartell nicht mehr funktioniert. Deshalb ist es so wichtig,
Herr Poß, dass man eine klare Antwort auf Ihre Frage gibt.


(Beifall bei der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Ich habe nur gefragt, wann Sie Wirtschaftsminister waren!)


Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von Vorschlä-
gen – leider gibt dies die Zeit nicht her – zur Verbesserung
der Mittelstandspolitik vortragen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Übrigens, die CDU/CSU ist peinlich berührt!)


Sie können diese gern im Aktionsplan der F.D.P.-Bundes-
tagsfraktion abrufen. Es kommt darauf an, dass wir nicht
sonntags gelegentlich über den Mittelstand reden, son-
dern wir müssen in der Woche konkret mit Herz und Ver-
stand an diese Sachen herangehen. Deutschland braucht
weniger grün, aber mehr gelb, damit der Mittelstand das
tun kann, was er will: arbeiten, Arbeitsplätze schaffen und




Rainer Brüderle
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(D)



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(B)


Geld verdienen, damit es vorangeht. Hindern Sie ihn
durch Ihre falsche Politik nicht länger daran!


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415804100
Nun gebe
ich der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesmi-
nisterium für Wirtschaft und Technologie, der Mittel-
standsbeauftragten der Bundesregierung und Kollegin
von Bündnis 90/Die Grünen das Wort, der Kollegin
Margareta Wolf.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Donnerwetter! Ist das ein langer Titel!)


M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415804200
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Brüderle, an Ihrer Stelle würde ich mich einmal fragen,
warum Sie bis heute noch nie den „Orden wider den tieri-
schen Ernst“ in Aachen bekommen haben.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich kann Ihnen sagen, warum Sie ihn nicht bekommen ha-
ben: weil Sie sich wiederholen und immer wieder die glei-
chen Sprüche ablassen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie machen eben den gleichen Mist!)


Sie machen keinen einzigen konkreten Vorschlag. Herr
Westerwelle hat den Orden in diesem Jahr bekommen.
Das kann ich gut verstehen. Er ist nicht so sturzlangwei-
lig wie Sie. Man sollte Harald Schmidt empfehlen, Herrn
Ohoven aus dem Trailer seiner Sendung herauszunehmen
und Sie dafür hineinzusetzen. Dann wäre das Volk richtig
belustigt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Zwei Punkte will ich zu Ihrer Rede anmerken: Sie for-
dern die sofortige Umsetzung der Steuerreform II. Sie
wissen, dass die Unternehmen mit dem Finanzminister
diskutieren und auf einem guten Wege sind. Verehrter
Kollege, vielleicht haben Sie es schon vergessen: Sie ha-
ben damals der Steuerreform zugestimmt und benehmen
sich heute wie ein Vater, der seine Alimente nicht bezah-
len will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415804300
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Brüderle?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415804400
Nein, ich
möchte zunächst mit meinen Ausführungen fortfahren.

Sie stellen sich hin und lärmen in Ihrer komischen Art
herum. Wenn Sie fordern, die Lohnnebenkosten zu sen-
ken, weil das Geld vorhanden sei, dann sagen Sie doch,

wie Sie es machen wollen. Wollen Sie es durch eine Er-
höhung der Ökosteuer oder der Mehrwertsteuer errei-
chen? Wir wissen, dass Sie überhaupt kein Verständnis für
nachhaltige Haushaltspolitik haben, weil wir heute mit
den Bürgerinnen und Bürgern einen Haushalt sanieren
müssen, den Sie fast in den Bankrott getrieben haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Brüderle, wir wissen, dass eine Ihrer Kernforde-
rungen lautet, Bürokratie abzubauen. Sie stellen sich hin
wie ein Leuchtstoffengel und fordern einen Abbau der
Bürokratie. In Ihrem Antrag fordern Sie, ebenso wie die
CDU/CSU, wir sollten ein Gutachten einholen. Vielleicht
ist Ihnen entgangen, dass die Bundesregierung bereits seit
zwei Jahren am Bürokratieabbau arbeitet und dass wir die
Verbände aufgefordert haben, uns konkrete Vorschläge zu
machen. Ich weiß, dass Sie, Herr Kolb, das entdeckt ha-
ben. Von Ihnen habe ich aber noch keinen einzigen Vor-
schlag gehört. Wir werden demnächst ermöglichen, on-
line Handelsregistereintragungen vorzunehmen, Lohn-
und Einkommensteuererklärungen abzugeben und Ge-
werbeeintragungen vorzunehmen. Herr Kollege Brüderle,
so sieht die Realität aus.

Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Der Mittelstand in
Deutschland hat allen Grund, selbstbewusst zu sein. Wir
als Politiker haben allen Grund, den Mittelstand in
Deutschland zu loben. Der Mittelstand – ich möchte nicht
bewerten, wie man Vertriebene einschätzt – ist in
Deutschland kein Volksvertriebener. Der Mittelstand hat
in diesem Land im letzten Jahr 340 000 Stellen geschaf-
fen und wird in diesem Jahr weitere 650 000 Stellen schaf-
fen. Das sagt „Forsa“ und das schreibt „Impulse“. Sie da-
gegen, sehr geehrter Herr Brüderle, tun so, als sei der
Mittelstand ein kleines, vom Aussterben bedrohtes
Pflänzchen, das man ständig mit dem Gießkännchen
gießen müsse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die einzige Initiative war die Abschaffung der Schaumweinsteuer!)


– Ja genau, die Schaumweinsteuer.
Ich finde es erstaunlich, wie sowohl Sie als auch Kollege

Doss das Bündnis für Arbeit bewerten und in diesem Zu-
sammenhang über die Betriebsverfassung reden. Ich war
immer der Meinung, dass sich die Wirtschaftspolitik dieses
Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf
Ludwig Erhard gründet. Ein wesentliches und konstitutives
Element des rheinischen Kapitalismus, begründet von
Ludwig Erhard, ist die Mitbestimmung, die es in diesem
Land übrigens seit 1921 gibt. Sie müssen sich einmal ent-
scheiden: Wollen Sie die soziale Marktwirtschaft oder wol-
len Sie einen Manchester-Kapitalismus? Worauf beziehen
Sie sich in Ihrer Argumentation? Sie müssen sich doch in
Ihrer Argumentation etwas auf die Historie beziehen.

Zum Bündnis für Arbeit: Ist es in der Vergangenheit
schon einmal gelungen, Tarifverträge so zu gestalten, dass
sie sich an der Produktivität und vor allen Dingen am
Beschäftigungswachstum orientieren? Man muss klar sa-
gen: Nein, unter Ihrer Regierung nicht. Dagegen ist es




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(B)


jetzt im Bündnis für Arbeit gelungen und damit sind wir
europaweit vorne. Man kümmert sich nun konzertiert da-
rum, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer früh-
zeitig weiterzubilden, um der demographischen Entwick-
lung gerecht zu werden und nicht den Fehler anderer
europäischer Länder zu wiederholen, ältere Arbeitslose in
die Langzeitarbeitslosigkeit abzudrängen. Sehr geehrter
Herr Brüderle, ich finde Ihre „Hauruck-, Hau-weg-den-
Scheiß“-Reden, die Sie hier ständig halten, langweilig
und verantwortungslos, weil unser Mittelstand das nicht
verdient hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Mittelstand ist ein Beschäftigungsmotor. Er läuft end-
lich wieder rund und gewinnt zunehmend an Fahrt. Sie
sollten einmal mit mittelständischen Unternehmern vor
Ort über dieses Thema reden.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415804500
Gestatten
Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415804600
Ja.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415804700
Ich habe von der Mittel-
standspolitik gesprochen und Sie werfen mir nun vor, ich
hätte eine Mittelstandsbeschimpfung vorgenommen, nur
weil das in Ihr Klischee passt.

Meine Frage ist: Haben Sie zur Kenntnis genommen,
dass letztlich die F.D.P. in Rheinland-Pfalz die Steuerre-
form I möglich gemacht hat, nachdem sie um 7 Milliar-
den DM pro Jahr verbessert wurde, die Pläne zur Ab-
schaffung des halben Steuersatzes im Falle der
Betriebsaufgabe aus Altersgründen oder wegen Erwerbs-
unfähigkeit – sie waren eine schreiende Ungerechtigkeit
gegenüber dem deutschen Mittelstand – aufgegeben wur-
den und zusätzliche Steuersenkungen für alle erreicht
wurden? Vonseiten Ihrer Regierung uns kritisch vorzu-
werfen – ich grüße Sie in Sachen Rente –, wir hätten be-
wirkt, dass Deutschland, da gar nichts geht, in der Welt zu
einer internationalen Lachnummer wird, weil wir bei Ih-
nen nur eine Veränderung im Umfang von 7 Milliar-
den DM erreichen konnten, zeigt, dass Sie die Realität
nicht kennen, nur Ihren Text ablesen und nicht wissen,
was Sie sagen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wo ist die Frage?)


– Die Frage ist, ob sie bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen,
wie es ist! Sie hören nicht zu!

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415804800
Verehrter Herr
Kollege, da sehen Sie einmal, wie Sie Fragen formulie-
ren! Kein Mensch versteht sie!


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Haben Sie sie verstanden?)


– Jetzt werden Sie auch noch unverschämt! Das reicht
jetzt langsam!


(Zurufe von der F.D.P.: Oh! Oh!)

Wenn Sie der Steuerreform zugestimmt haben, dann

darf man in einer Demokratie von Ihnen erwarten, dass
Sie diese Steuerreform auch vertreten und nicht immer so
tun, als würde der Mittelstand durch diese Steuerreform
überproportional belastet. Sie können sich zur Unter-
mauerung Ihrer Position auf keine Studie beziehen. Sie
behaupten das immer einfach so und schaden damit dem
Mittelstand wie im Übrigen auch der Investitionstätigkeit
in Deutschland. So viel zu Ihrer wirtschaftspolitischen
Kompetenz, verehrter Herr Kollege!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Steuerreform stärkt die Innenfinanzierungskraft
des Mittelstandes und eröffnet dem Mittelstand Freiräume
für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze in
Deutschland. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der
Unternehmensteuerreform, das beim BMF in sehr guten
Händen ist, wird es weitergehen.

Der Mittelstand ist heute der Innovationsmotor in die-
sem Land. Verehrter Herr Kollege Brüderle, verehrter
Herr Kollege Doss, mich verwundert es immer wieder,
dass Sie keines der Probleme, die mit der Wettbewerbs-
fähigkeit des deutschen Mittelstandes vor dem Hinter-
grund zunehmender Globalisierung zusammenhängen, in
den Vordergrund Ihrer Debattenbeiträge stellen. Die Lö-
sung dieser Probleme spielt aber eine zentrale Rolle in un-
serem Aktionsprogramm „Mittelstandspolitik“.

Sie wissen – diesem Punkt kommt vor dem Hintergrund
des Strukturwandels, der Globalisierung und eines massi-
ven Innovationsdrucks eine erhebliche Bedeutung zu –,
die Eigenkapitalausstattung unserer mittelständischen
Unternehmen ist im internationalen Vergleich noch immer
relativ niedrig. Sie liegt bei etwa 16 Prozent. Daher glau-
ben wir, glaubt die Bundesregierung und glauben die sie
stellenden Fraktionen, dass das Zurverfügungstellen von
ausreichenden finanziellen Ressourcen, egal ob in Form
von öffentlichen Förderprogrammen, Bankdarlehen oder
Risikokapital, eine Aufgabe höchster Priorität darstellt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist doch nicht neu! Das haben wir doch schon gemacht!)


– Ja, aber wir machen weit mehr, als Sie damals gemacht
haben.

Wir haben das BTU-Programm aufgestellt – hören Sie
gut zu, Herr Kolb –, das quasi ein Venture-Capital-Pro-
gramm ist und das ein Volumen von 2,3 Milliarden DM
hat. Mit diesem Programm versteht sich die Bundesregie-
rung quasi als stiller Teilhaber an den technologieorien-
tierten mittelständischen Unternehmen. Sehr viele Start-
ups haben auf dieses Programm zurückgegriffen, weil sie
noch kein Venture Capital gefunden haben. Das wissen
Sie sehr genau. Dieses Programm ist absolut erfolgreich
und weist nach vorne. Die KfW und die DtA haben allein
im letzten Jahr Kredite in Höhe von 17Milliarden DM zur
Verfügung gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)





Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf
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Ein weiterer Punkt, der mir gerade vor dem Hinter-
grund der Globalisierung sehr wichtig erscheint, ist, dass
wir nunmehr durch die Zusammenarbeit von KfW und
DtA alle wichtigen Mittelstandsprogramme in die Hand
einer zentralen Beraterbank legen, die zugleich An-
sprechpartner für den Mittelstand ist, wenn es um Förde-
rung durch den Bund geht. Das ist eine Dienstleistung für
den Mittelstand, auf die wir stolz sind.

Sie wissen, dass sich die Bundesregierung – ich wun-
dere mich, dass Sie auch dazu nichts sagen – intensiv
dafür eingesetzt hat, dass bei der Neuregelung der so ge-
nannten Basler Eigenkapitalunterlegungsvorschriften für
Kreditinstitute die Belange des deutschen Mittelstandes
berücksichtigt wurden. Es ist nunmehr so, dass das interne
Rating als gleichwertig akzeptiert wird. Damit ist einer
seit langem erhobenen Forderung des Mittelstandes
Rechnung getragen.

Sie beklagen ja immer, dass die privaten Banken nichts
für die Verbesserung der Kreditausstattung des Mittel-
standes tun würden. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass
die Bundesregierung eine Vereinbarung zur Finanzierung
des Mittelstandes mit allen beteiligten Banken, also den
privaten, den öffentlich-rechtlichen, den Raiffeisenban-
ken sowie mit DtAund KfW, abgeschlossen hat. Wir wer-
den diese Vereinbarung kritisch begleiten und beobach-
ten, ob sie dazu beiträgt, dass sich alle Banken an der
Finanzierung des Mittelstandes beteiligen. Wir werden sie
noch in diesem Jahr evaluieren und werden dann im Zwei-
fel noch eine Anschlussvereinbarung abschließen müs-
sen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415804900
Frau Kolle-
gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Gudrun Kopp?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415805000
Ja.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415805100
Bitte schön.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1415805200
Frau Staatssekretärin, können
Sie nachvollziehen, dass viele mittelständische Unterneh-
men es bedauern, dass es diesen Zusammenschluss von
DtA und KfW geben wird, in Zukunft vertraglich festge-
legt, weil sie um die absolut bewährten Beratungsstruktu-
ren der DtA fürchten, nämlich der Mittelstandsbank,


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das sind doch alles Unterstellungen!)


die mit runden Tischen, mit wirklich fein ausgeklügelten
Beratungssystemen für den deutschen Mittelstand zur
Verfügung steht? Diese Betriebe haben Sorge um den
Fortbestand unter dem Dach einer Konzernstruktur, die
die KfW nun einmal ist. Können Sie auch verstehen, dass
sie fürchten, dass durch weitere Belastungen des Mittel-
standsprogramms – das BTU-Programm ist gerade ge-
nannt worden – die Mittelstandsförderung zumindest in
Kürze zurückgefahren wird?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415805300
Frau Kollegin
Kopp, mir ist bekannt, dass am Anfang der Debatte über
die Zusammenarbeit von DtA und KfW verschiedene
Mittelständler befürchtet haben, dadurch würde die Mit-
telstandsfinanzierung eher auseinander gezogen. Jetzt ist
es, glaube ich, sehr wichtig, darüber zu kommunizieren,
was tatsächlich beabsichtigt ist. Wenn man das tut, kommt
es auch beim Mittelständler an. Wir überführen sämtliche
Mittelstandsprogramme der KfW in die DtA. Die DtA
wird keinesfalls unter dem Dach der KfW arbeiten,


(Gudrun Kopp [F.D.P.]: Selbstverständlich!)

sondern es handelt sich um gleichberechtigte Partner.
One-Stop-Shopping können Sie demnächst bei der DtA
machen, und die Beratungsinstitution für den Mittelstand
ist die DtA, sodass man sagen kann: Wir nutzen Synergien
und gestalten die DtA um in eine reine Mittelstandsbank.
Ich bin der KfW ausgesprochen dankbar, dass sie dies
auch tatsächlich mitgemacht hat, sodass wir alle Pro-
gramme jetzt bei der DtA haben.

Meine Damen und Herren, wir prüfen – um noch ein-
mal auf die Kapitalsituation zu kommen – –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415805400
Frau Kolle-
gin, eine weitere Zwischenfrage wird gewünscht. Es liegt
in Ihrer Entscheidung, ob Sie sie zulassen. – Bitte schön.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1415805500
Frau Kollegin Wolf,
Sie sprachen die Anschlussregelung Basel I zu Basel II an.
Ist es vielleicht Ihrer selektiven Wahrnehmung zuzu-
schreiben, dass Sie nicht wahrgenommen haben, dass es
eine parlamentarische Initiative war, die erst die Regie-
rung veranlasst hat, hier tätig zu werden?


(Zuruf von der SPD: Nein, das war ein Gemeinschaftswerk von Regierung und Fraktionen!)


M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415805600
Verehrter Herr
Kollege, das stimmt nicht. Wir haben in Basel verhandelt.
Dann ist ein Zwischenbericht für die Ausschüsse gemacht
worden. Das Ergebnis ist zurückzuführen auf eine ge-
meinsame Initiative der die Regierung tragenden Fraktio-
nen und der Bundesregierung.

Aber ich will Ihnen einmal eines sagen: Was in dieser
Debatte total nervt, ist, dass jeder immer versucht, sich
von dem Kuchen ein Stückchen zu nehmen, als ob es sub-
stanziell im Ergebnis darauf ankäme.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das machen doch Sie! Genau das machen Sie!)


Der Kollege Staffelt hat das schon gesagt. Wir diskutieren
in der Sache, dachte ich, wobei es darum geht, dem Be-
schäftigungsmotor in diesem Land bessere Rahmenbe-
dingungen zu geben. Hier läuft es immer so: „Das habe
ich aber gesagt, das habe ich aber gemacht.“ Das ist völ-
lig irrelevant für eine Verbesserung der Rahmenbedin-
gungen für unseren Mittelstand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415805700
Gestatten
Sie eine weitere Zwischenfrage?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415805800
Ja.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1415805900
Frau Kollegin, wären
Sie zumindest bereit, mit Ihrer Kollegin und Vorsitzenden
des Finanzausschusses, Frau Scheel, einmal Rücksprache
darüber zu nehmen, wie die Sache wirklich gelaufen ist?


(Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] nimmt wieder Platz)


M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415806000
Was soll denn
das? Wenn Sie sich setzen, dann brauche ich die Frage
nicht zu beantworten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Kollege Doss hat auch Fragen gestellt, und dann hat er sich hingesetzt!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich freue
mich, dass die Venture-Capital-Kultur in Deutschland im
ersten Halbjahr 2000 auf insgesamt 3,2 Milliarden DM
gewachsen ist. Ich glaube, dass sich der Prozess weiter
fortsetzt.


(Zuruf von der CDU/CSU: In welche Richtung?)


Mit dem angesprochenen Seed-Capital, das durch das
BTU-Programm zur Verfügung gestellt wird, waren wir in
der Lage – so kann man, glaube ich, nach allem, was an
Auswertung vorliegt, sagen –, die so genannte Seed-
Phase mitzufinanzieren. Nichtsdestotrotz will ich aber
noch einmal auf die Situation am Neuen Markt hinwei-
sen. Ich glaube, dass die Eröffnung des Neuen Markts am
10. März 1997 eine große Chance gerade auch für die in-
novativen neuen Betriebe in Deutschland darstellte. Er
war auf die innovativen, jungen Wachstumsunternehmen
zugeschnitten.


(Zuruf des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU])


– Verstehen Sie etwas vom Neuen Markt?

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aus Ihrer Regierung ist die Luft raus!)

– Nein, die Luft ist überhaupt nicht raus.

Aufgrund von falschen Beratungen und Überbewer-
tungen hat es am NeuenMarkt so etwas wie einen Crash
gegeben. Ich würde mit Ihnen gerne darüber reden, was
man machen kann, um den Neuen Markt nicht weiter zu
diskreditieren, und was für Rahmenbedingungen man
schaffen muss, um das Regelwerk, das dem Neuen Markt
zugrunde liegt, tatsächlich zu verbessern. Das Bundes-
wirtschaftsministerium denkt zusammen mit Vertretern
des Kapitalmarkts Frankfurt über ein freiwilliges Qua-
litätssiegel nach.


(Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Moment, ich möchte den Gedanken noch zu Ende brin-
gen. – Wir haben einen Auftrag an renommierte Fachleute
für den Kapitalmarkt erteilt. Wir wünschen uns, dass die-
ses Qualitätssiegel bei der Börsensachverständigenkom-
mission angesiedelt und dann vom BAW kontrolliert
wird. Wir legen allerdings auf Freiwilligkeit Wert. Der
Zuspruch, den wir vom Kapitalmarkt bekommen, ist so
beeindruckend, dass wir davon ausgehen, dass das Image
des Neuen Marktes durch einen entsprechenden Analys-
tenkodex tatsächlich gesteigert werden könnte.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415806100
Lassen Sie
eine weitere Zwischenfrage zu?

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415806200
Ja, das muss ich
wohl.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415806300
Bitte schön.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1415806400
Frau Kollegin Wolf,
teilen Sie die Auffassung des Herrn Wirtschaftsministers
Müller, der auf die Frage, ob er sich am Neuen Markt en-
gagieren würde, antwortete, dann könne man ja gleich in
die Spielbank gehen?


(Peter Dreßen [SPD]: Was soll denn das?)


M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415806500
Was soll denn
das? Dieser Satz ist aus dem Kontext gerissen. Was beab-
sichtigen Sie mit dieser Frage?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das weiß er selber nicht!)


Wir wissen – es ist erstaunlich, dass das in der Großen
Anfrage der CDU/CSU keine Rolle gespielt hat –, dass
der Bildungspolitik vor dem Hintergrund des Struktur-
wandels des Standortes Deutschlands eine ganz beson-
dere Bedeutung zukommt. Wir müssen Potenziale mobi-
lisieren, indem wir junge Menschen schon an den Schulen
und an den Hochschulen an unternehmerische Fragen he-
ranführen. Zu diesem Zweck haben wir das Projekt Junior
gestartet, das in zwölf Bundesländern ausgesprochen er-
folgreich läuft.

Gleichzeitig müssen wir die Kultur der Selbstständig-
keit stärker in den Schulen verankern. Dabei liegen wir im
Vergleich zu anderen Ländern etwas im Hintertreffen.
Man kann nicht sämtliche Rückstände in zwei Jahren auf-
holen. Eine Umfrage unter 1 000 Jugendlichen im Alter
von 15 bis 25 Jahren hat ergeben, dass sich zwei Drittel
von ihnen vorstellen können, später einmal ein eigenes
Unternehmen zu gründen. Das bedeutet nachhaltige Wirt-
schaftspolitik. Das wird zu mehr Selbstständigkeit und
auch zu mehr Arbeitsplätzen in diesem Lande führen.

Weitere Fragen, die ich in diesem Zusammenhang ganz
wichtig finde, lauten: Wie schaffen wir mehr Selbststän-
digkeit? Wie können wir dafür sorgen, dass der For-
schungs- und Wissenstransfer zwischen Wirtschaft und






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Wissenschaft Eingang in die Hochschulen findet? Ich ver-
weise auf die Tatsache, dass wir 18 Lehrstühle für Exis-
tenzgründungen geschaffen haben. Dort werden Studie-
rende auf den Schritt in die Selbstständigkeit ganz gezielt
vorbereitet. Wir werden diesen Ansatz weiter ausbauen,
sodass wir bald ein ganzes Netz von Lehrstühlen für Exis-
tenzgründungen in Deutschland vorweisen können.

Darüber hinaus ist es ganz wichtig – der Kollege
Staffelt hat darauf hingewiesen –, dass wir uns um die Be-
rufsschulen kümmern. Sie alle wissen aus Ihren Wahl-
kreisen, dass die Berufsschulen in der Vergangenheit von
der Wirtschafts- und der Bildungspolitik vernachlässigt
wurden. Man trifft dort in aller Regel – das ist kein Vor-
wurf – auf einen völlig frustrierten Lehrkörper. Die Inves-
titionen in den Baubestand waren sichtbar schlecht. In
der Vergangenheit wurden die Berufsschulen – das sieht
man – wie ein Stiefkind behandelt.

Wir haben aus den UMTS-Erlösen über 255 Milli-
onen DM zur Verfügung gestellt, um vorhandene Miss-
stände abzubauen. Wir wollen den Berufsschulen deutlich
machen, dass sie – gerade für Schülerinnen und Schüler,
die auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben – ein
wichtiger Faktor sind. Wir nehmen die Schülerinnen und
Schüler, die in den Berufsschulen ausgebildet werden und
hinterher in den Mittelstand, zum Beispiel in Handwerks-
betriebe, gehen, ernst. Wir müssen auch den Ländern klar-
machen, dass diese Angelegenheit für uns wichtig ist.
Deshalb trifft sich der Bundeswirtschaftsminister auch
mit Frau Schavan.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: 100 Millionen DM Verluste!)


– Bitte? Stellen Sie eine Frage, dann geht das nicht zulas-
ten meiner Redezeit.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das gerade nicht!)


Ich möchte wirklich an Sie appellieren, das im Auge zu
behalten und in den Wahlkreisen auf ein verstärktes En-
gagement der Kommunen und Länder hinzuwirken.

Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zukunftsfähigkeit
des Standortes Deutschland ist, dass wir die Ausbildungs-
berufe und die Weiterbildung viel schneller modernisie-
ren müssen. Die Zeit rennt immer schneller und die An-
forderungen an die Sozialpartner und die Politik wachsen
immer schneller. Wir haben bis jetzt bereits 36 neue Be-
rufsbilder im Zusammenhang mit schon bestehenden Be-
rufen geschaffen und sieben neue Berufsbilder im IT-Be-
reich formuliert. Auch freut es mich, dass im Rahmen des
Bündnisses für Arbeit 60 000 neue Arbeitsplätze gerade in
der IT-Branche zugesichert wurden. Ich denke, wir befin-
den uns auf einem guten Wege, wenngleich die Anforde-
rungen an die Sozialpartner stetig steigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
jetzt noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mir
sehr am Herzen liegt. Es handelt sich um die Osterweite-
rung der EU. Ich glaube, dass auf uns alle – auf uns
Parlamentarier, aber auch auf die Vertreterinnen und Ver-
treter der Arbeitnehmerschaft – eine große Verantwortung
in Bezug auf die Gestaltung dieses Prozesses zukommt.

Sie alle wissen, dass Polen, Tschechien und Ungarn im
Jahre 2004 erstmals an den Wahlen zum Europäischen
Parlament teilnehmen und die Beitritte vermutlich relativ
rasch vonstatten gehen werden. Auf der Internationalen
Tourismus-Börse konnte man sehen, wie sich gerade die
Tschechen, Polen und Ungarn – diese drei – auf den Bei-
tritt vorbereiten und freuen. Mit dem Beitritt verbinden sie
eine Potenzierung von Freiheit und Wohlstand. Man be-
reitet sich ganz emsig darauf vor.

Ich beobachte mit großer Sorge, dass in unseren Grenz-
regionen – das hat mir Herr Pohl vom Institut für Wirt-
schaftsforschung in Halle auch noch einmal bestätigt –
mit dem Beitritt insbesondere von Polen assoziiert wird,
dass vermehrt „geklaut“ wird. Dieser Eindruck wurde lei-
der bei manchen Büttenreden während des Karnevals
noch verstärkt. Hier war es immer der Pole, der klaut. Die-
sem Eindruck bei den Menschen in den Grenzregionen
müssen wir zunächst einmal entgegenwirken. Außerdem
müssen wir die dort herrschende Angst vor Lohndumping
abbauen. Schließlich glaube ich, dass es sich auch um eine
mentale Blockierung handelt, da es den Menschen dort
wirtschaftlich ja nicht so gut geht. Gut funktionierende,
grenzüberschreitende Kooperationen werden heute unter
der Decke gehalten, über sie wird in diesen Gebieten nicht
gesprochen, weil man lieber die Risiken als die Chancen
sehen will.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen; vielleicht wird
Ihnen dann deutlich, warum ich glaube, dass die Ost-
erweiterung gerade für die fünf neuen Bundesländer,
aber auch für uns im Westen mehr Chancen als Risiken
birgt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie sind dort noch nicht gewesen! Was Sie reden, ist völlig weltfremd!)


– Bitte? Erzählen Sie es doch laut. Ich möchte jetzt mei-
nen Gedanken zu Ende entwickeln.

Ich war in der letzten Woche bei einem kleinen
Schreinerbetrieb in einer der Grenzregionen, in dem sehr
hochwertige Sachen hergestellt werden. Dieser Schrein-
erbetrieb, der nicht mit Holzfurnieren, sondern mit
Massivhölzern arbeitet, hat schon mehrere Aufträge von
Juwelieren in Polen zur Ausstattung ihrer Läden bekom-
men. Das zeigt – es gibt zahllose solcher Beispiele –, dass
die Polen bei uns sukzessive auch Qualität nachfragen
werden.

Ein weiterer Punkt ist – deshalb ist die Vereinbarung
von Nizza nicht nur gut für den Westen, sondern auch gut
für die Polen, Tschechen und Ungarn –, dass die Polen ge-
rade bei den Ingenieuren und den IT-Spezialisten hoch
qualifiziertes Personal haben. Wenn es in Polen nicht in-
nerhalb der vorgesehenen maximal sieben Jahre zu einer
Lohnangleichung kommt, werden die Fachkräfte von dort
abwandern. Wenn sie vorher schon weggehen, werden wir
Arbeitskräfte aus diesem Land bekommen. Ich will damit
sagen: Für den deutschen Mittelstand eröffnet sich in Po-
len, Tschechien und Ungarn ein riesiger Markt für Inves-
titionen; es gibt dort nämlich ausgebildete Arbeitskräfte.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen!)





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Wir tragen die Verantwortung gegenüber den Grenzre-
gionen und der Bevölkerung hier, die Chancen und die Ri-
siken, zuvörderst aber die Chancen dieser Osterweite-
rung, zu thematisieren. Wenn in diesem Prozess Ängste
aufkommen, weil wir nicht alle an einem Strang ziehen,
dann spricht das nicht für unsere Europapolitik. Herr
Fischer ist da mit unserer Unterstützung auf einem sehr
guten Wege.

Ich möchte, dass wir diese Debatte in einem positiven
Geist führen und dass wir ein bisschen von der Euphorie
übernehmen, die bei den Polen, den Ungarn und den Tsche-
chen vorhanden ist. Ich rate Ihnen dringend, in dieser An-
gelegenheit einmal den ungarischen Wirtschaftsminister zu
sprechen. Dann würden Ihnen die Tränen kommen.

Reden Sie mit den Menschen! Fahren Sie in diese Re-
gionen – wir tun das – und werben Sie für die Osterwei-
terung! Das sind wir unserer Geschichte und auch unse-
rem Mittelstand schuldig.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415806600
Zu einer

Kurzintervention erhält der Kollege Hans Michelbach das
Wort.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1415806700
Frau Staatssekretä-
rin, ich habe gedacht, Sie würden in Ihrer Rede die Steu-
erreform kritisieren, so wie Sie es kürzlich im „Handels-
blatt“ getan haben. Aber heute haben Sie anscheinend den
Mut verloren; denn Sie beten die steuerliche Ungleichbe-
handlung des Mittelstandes sozusagen gesund.

Wo sind denn die Steuergerechtigkeit, die Steuerver-
einfachung und die Entlastung für den Mittelstand geblie-
ben? Tatsache ist doch, Frau Staatssekretärin, dass wir
eine mittelstandsfeindliche Steuerpolitik haben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir heute schon mehrfach gehört! Kommen Sie doch zur Sache! So ein Unsinn!)


Tatsache ist, dass die Steuerquote auf 22,95 Prozent – das
ist der Höchststand – angewachsen ist. Tatsache ist auch,
dass die Zahl der Insolvenzen gestiegen ist und dass es in
der Steuerpolitik Wettbewerbsverzerrungen auf breiter
Front zulasten des Mittelstandes gibt.

Das Gesetz zur Senkung der Unternehmensteuer
bedingt Wettbewerbsverzerrungen bezüglich der Tarif-
spreizung und des Steuersatzes sowie Wettbewerbs-
verzerrungen durch eine Überforderung aufgrund einer
verschärften Gegenfinanzierung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum hat denn die Mehrheit Ihrer Länder mitgemacht?)


Damit finanziert der Mittelstand die Steuergeschenke ins-
besondere an die Großbanken hinsichtlich der Steuerfrei-
heit der Veräußerungsgewinne.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch Propaganda! Das hat nichts mit der Wahrheit zu tun!)


Zur Tarifspreizung: In meinem mittelständischen Be-
trieb zahle ich in den Veranlagungszeiträumen 2001 und
2002 33 Prozent mehr als der Konkurrent mit einer Kapi-
talgesellschaft.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Unsinn!)


Ist das gerecht? Im Jahre 2005 zahlt eine Personengesell-
schaft immer noch 18,2 Prozent mehr als eine Kapitalge-
sellschaft. Wenn ich einen Betrieb neu gründe und dann
Kapital in diesen neu gegründeten Betrieb verlagere, dann
muss dieses Kapital voll versteuert werden. Der Konkur-
rent mit seiner Kapitalgesellschaft wird bei einer entspre-
chenden Umstrukturierung völlig steuerfrei gestellt. Das
sind die Ungerechtigkeiten, die den Mittelstand treffen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum haben Sie von Ihrer Fraktion eigentlich keine Redezeit bekommen?)


Es gibt das gleiche Problem bei der Gegenfinanzie-
rung. Sie verschärfen die Abschreibungsbedingungen und
schaffen so neue Belastungen, die Investitionen erschwe-
ren. Das, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ist eine mit-
telstandsfeindliche Politik.

Wer investiert, wird durch Ihre Politik bestraft. Das ist
die Tatsache, die wir feststellen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch! – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: So ein Blödsinn! Das ist wirklich nicht mehr zu fassen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415806800
Ich gebe
nunmehr dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und
Minister für Arbeit und Bau des Landes Mecklenburg-
Vorpommern, Helmut Holter, das Wort.


(Mecklenburg-Vorpommern)

Meine Damen und Herren! Wenn ein ostdeutscher Ar-
beitsminister in einer parlamentarischen Mittelstandsde-
batte das Wort ergreift, dann könnte er es eigentlich kurz
machen. Wenn er sich auf einen ostdeutschen Kommentar
zu den vorliegenden Anträgen der Regierungsfraktionen
und der Union beschränkt, dann ginge es eigentlich noch
kürzer. Die neuen Bundesländer kommen nämlich in die-
sen Papieren so gut wie gar nicht vor. Schon aus diesem
kühlen Grunde kann ich mir nicht vorstellen, dass Vertre-
ter ostdeutscher Interessen, wie die Mitglieder der PDS-
Fraktion, den Vorlagen zustimmen werden.

Mich ärgert besonders, dass die Bundesregierung in Sa-
chen Mittelstand Ost so etwas demonstriert wie – freund-
lich formuliert – hochdynamisches Abwarten.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Sie behandelt die „Chefsache Ost“ als Nebensache West.
Sie übersieht, dass der Aufbau Ost ein Verfassungsauftrag
ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Osten Deutsch-
lands überhaupt nur eine Perspektive als Standort kleiner
und mittlerer Unternehmen, als eine Gründerregion hat.




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf
15398


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weiß, wovon ich rede; denn in Mecklenburg-Vor-
pommern fehlen im Vergleich zu Schleswig-Holstein
18 000 Unternehmen. Ich weiß, wie endlos der Weg zu
sein scheint. Ich weiß indes auch, welche Potenziale zwi-
schen Ostsee und Erzgebirge brachliegen.


(Beifall bei der PDS)

Die andere Seite der Medaille ist: In Mecklenburg-Vor-

pommern finden, bezogen auf die Einwohnerzahl, die
meisten Firmengründungen statt. Ich habe im vergange-
nen Jahr eine Veranstaltungsreihe über Existenzgründer
initiiert. Mit „Idee sucht Kapital – Kapital sucht Idee“ sind
diese Begegnungen überschrieben. Eingeladen wurden
Banker, Bildungsexperten, gründungswillige Menschen.
Ich habe Zuspruch erhalten. Ich habe nicht damit gerech-
net, dass Hunderte von Interessenten, die sich selbststän-
dig machen wollen, zu diesen Veranstaltungen drängen.
Sie ließen sich beraten und erörterten Finanzierungen.

Allein aus der Arbeitslosigkeit heraus und von meinem
Ministerium gefördert haben sich in den vergangenen bei-
den Jahren 4 000 Menschen selbstständig gemacht.


(Beifall bei der PDS)

Das ist eine Zahl, die, glaube ich, auch für den Willen in
Mecklenburg-Vorpommern steht, den Weg in die Selbst-
ständigkeit zu unterstützen.

Im Osten sprießt ein Gründergeist, der im Westen
anscheinend unterschätzt wird. Ich kann Sie nur einladen:
Schauen Sie bei der nächsten Veranstaltung einmal
vorbei!


(Beifall bei der PDS)

Man lernt dort über die neuen Länder und ihre Probleme
mehr als bei so manchen polittouristischen Sommer-
touren.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Es gibt eine ziemliche Einhelligkeit in dem Urteil, dass

die Mittelstandsförderung stärker den ostdeutschen Gege-
benheiten angepasst werden muss. Wir brauchen alle
Kraft für eine neue Gründerwelle. Ostdeutsche sind fähig
und bereit, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.


(Beifall bei der PDS)

Wir brauchen für diese Kultur des Aufbruchs und der Un-
ternehmungen aber die handfeste Unterstützung der Poli-
tik und übrigens auch die der Banken; denn es ist an
der Zeit, in die Idee, in das Konzept zu investieren, anstatt
das Bankrisiko durch mehrfache Absicherungen zu mini-
mieren.


(Beifall bei der PDS)

Vieles an Initiative, an Beschäftigung, an Existenzen

geht durch wirtschaftskriminelles Handeln verloren. Es
ist notwendig, dieses Handeln konsequent zu unterbinden
und den Betroffenen unbürokratisch zu helfen, wie es der
Antrag der PDS vorschlägt.


(Beifall bei der PDS)

Im Osten gehen die Uhren etwas anders als im Westen.

Es gibt viele junge Unternehmen, die derzeit noch nicht

aus eigener Kraft überleben können. Eine sich selbst tra-
gende Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft wird nur
durch mehr Forschung und Entwicklung in den Unter-
nehmen möglich sein. Gerade hier sehe ich keine Kon-
zepte der Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich plädiere deshalb erstens für ein Innovationskon-

zept der Bundesregierung, das diesen Namen verdient
und auf das der ostdeutsche Mittelstand dringend wartet.
Innovationspolitik muss ebenso über die Förderung von
Forschung und Entwicklung hinausgehen wie über Res-
sortgrenzen.


(Beifall bei der PDS)

Der ostdeutsche Mittelstand wartet nicht auf Konzepte
einzelner Ministerien, sondern auf ein schlüssiges Ge-
samtkonzept der Bundesregierung.

Lassen Sie uns Kompetenzzentren schaffen. Wir haben
die Chance, in den neuen Ländern europäische Kompe-
tenzzentren zu schaffen. Die Bedingungen in den neuen
Ländern sind so ideal wie zu den Gründerzeiten. Ideen,
Liegenschaften und vor allem begeisterungsfähige Men-
schen warten darauf, sich einbringen zu können.


(Beifall bei der PDS – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bloß ist da die falsche Regierung!)


– Das ist die Frage, ob da die falsche Regierung ist. Wir
haben in Mecklenburg-Vorpommern Erfahrungen, die
sich sehen lassen können. Ich habe darüber gesprochen,
wie in Mecklenburg-Vorpommern Existenzgründungen
realisiert werden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind doch ein Teil des Problems!)


Ich schlage zweitens ein Aktionsbündnis Ost für Ar-
beit, Aufträge und Ansiedlungen von Unternehmen vor.


(Beifall bei der PDS)

Der Hallenser Wirtschaftssenator Rüdiger Pohl hat Recht:
Ostdeutschland braucht keine weitere Kleinstaaterei, son-
dern gemeinsames Handeln. So unterschiedlich Sachsen
und Brandenburger sein mögen, so ähnlich sind doch die
Probleme auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu Bayern.
Das Bündnis könnte ostdeutsche Interessen bündeln. Ich
stelle mir, wohlgemerkt, eine konzertierte Aktion der ost-
deutschen Länder vor, kein Kaffeekränzchen.


(Beifall bei der PDS)

Dieses Aktionsbündnis könnte sich auf die Förderung

von regionalen Wertschöpfungsketten verständigen, den
Aufbau regionaler Netzwerke für die regionale Versor-
gung organisieren, auf Markterschließungsstrategien für
die mittel- und osteuropäischen Staaten eingehen und da-
bei gemeinsame Kontaktbüros der neuen Bundesländer in
den mittel- und osteuropäischen Staaten organisieren.
Und warum sollen Hermesbürgschaften nicht auch für
Mittelständler und kleine Unternehmen in den neuen Län-
dern vergeben werden?


(Beifall bei der PDS)





Minister Helmut Holter (Mecklenburg-Vorpommern)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens erlaube ich mir einen Vorschlag vor dem Hin-
tergrund, dass der Arbeitsmarkt in Ost und West dra-
matisch auseinander driftet. Wenn jetzt nicht die Weichen
anders gestellt werden, dann droht ein Abriss Ost. Wer
kann, zieht schon jetzt der Arbeit hinterher, in den Westen
oder in den Süden. Im Nordosten ist jeder Fünfte ohne
Job. Wir brauchen eine Verschränkung, eine Verzahnung
von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, meinetwegen
von Struktur-, Mittelstands- und Beschäftigungspolitik.


(Beifall bei der PDS)

Wir brauchen auf die Probleme des Ostens zugeschnit-

tene arbeitsmarktpolitische Instrumentarien. Dazu gehört
auch der Übergang von der Personen- zur Projekt-
förderung.


(Beifall bei der PDS)

Dazu gehören die Vereinfachung und die Überschaubar-
keit der Instrumente. Dazu gehört das Ende der Förderung
mit der Gießkanne ebenso wie das Ende der Kürzung von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit der Heckenschere.


(Beifall bei der PDS)

Ich bin der Überzeugung, dass sich Förderpolitik

zukünftig daran messen lassen muss, ob und wie sie sich
am regionalen Bedarf ausrichtet. Hier meine ich nicht die
großen Regionen, sondern die kleinen Regionen. Denn es
gibt in Sachsen Unterschiede zwischen dem Raum Dres-
den und der Lausitz und es gibt in meinem Land Unter-
schiede zwischen Westmecklenburg und Vorpommern.

Was sagen Sie einer 50-jährigen Mecklenburger Bäue-
rin, die sicherlich nicht mehr so bildungsfähig ist, dass sie
in einem biotechnologischen Hightechunternehmen un-
terkommen könnte. Sie wird sich auch nicht zur Soft-
wareentwicklerin umschulen lassen können. Aber eines
will sie und kann sie: Sie kann und sie will arbeiten. Im
Nordosten waren im vergangenen Monat 184 000 Men-
schen arbeitslos gemeldet. Aber es gab eben nur 7 400 of-
fene Stellen. Ich meine, es bedarf einer Strategie, um ge-
ring Qualifizierte wieder in Lohn und Brot zu bringen,
anstatt ihnen mit Leistungsentzug zu drohen.


(Beifall bei der PDS)

Es geht mir nicht um Beschäftigungstherapie; es geht

um Wertschöpfung. Es geht darum, Arbeit zu finanzieren
und nicht Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der PDS)

Es geht vielen ostdeutschen Frauen und Männern darum,
sich durch Sinn stiftende Arbeit bestätigt zu fühlen. Es
geht ihnen darum, ihren Beitrag zur Einheit zu leisten.

Meine Damen und Herren, ich will es bei diesen Vor-
schlägen im Kontext der Mittelstandspolitik Ost bewen-
den lassen. Die PDS, namentlich die Vorsitzende Gabi
Zimmer und auch der Vorsitzende der Fraktion hier im
Bundestag, Roland Claus, hat weitere Vorschläge auf den
Tisch gelegt. Beschränkt habe ich mich auf jene Vor-
schläge, die gegenüber anderen einen deutlichen Vorzug
haben. Es geht um die Bündelung der Kräfte. Nach mei-
ner Einschätzung wird die Modernisierung der Wirt-

schaftsförderung in der Bundesrepublik ihre General-
probe im Osten haben.


(Beifall bei der PDS)

Nun noch ein Wort zur Schaffung von Arbeitsplätzen,

dem A und O. Ich habe mir das dänische Jobwunder vor
Ort angeschaut. Es beruht auf dem Bündnis von Politi-
kern, Unternehmern und Gewerkschaftern. Bricht eine
der drei Säulen weg, geht also der Konsens verloren, ist
das Unternehmen am Ende. Auch daher mein Plädoyer für
Bündnisse.

Zum Schluss sei mir noch ein kleiner Fingerzeig ge-
stattet. Ich habe jetzt fast zehn Minuten gesprochen, aber
keine einzige Sekunde über mehr Geld für Ostdeutsch-
land. Dafür bitte ich Sie um Nachsicht.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415806900
Ich erteile
das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Techno-
logie, Werner Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Lassen Sie mich zunächst einmal zu dem einen oder
anderen Debattenbeitrag sagen: Lautstärke ersetzt keine
Argumente.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das richtet sich gegen Staffelt!)


Wenn man, Herr Brüderle, Ihre Rede bemerkenswert fin-
den soll, dann insbesondere unter dem Aspekt, dass die
Mikrofone dieses Saales auch solches bewältigen.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun zur Sache. Wenn man in diesem Land Mittelstands-
politik betreiben will – und wir wollen das aktiv machen,
seitdem wir die Regierung übernommen haben –,


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wollen? Tun Sie es! Nicht nur wollen! Es war ja Zeit! Alles verpennt!)


dann muss man wissen, dass die Mittelstandspolitik in die
Grundzüge der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingebettet
ist. Was die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieses Lan-
des anbelangt, waren Ende 1998 grundsätzliche Korrek-
turen in vielen Bereichen notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Korrekturen zu machen ist Voraussetzung dafür,
wieder Mittelstandspolitik betreiben zu können. Ich will
Ihnen die Korrekturen in den Grundzügen nennen, damit
Sie sehen, in was die Mittelstandpolitik eingebettet ist.

Zunächst einmal war es dringend notwendig, die Men-
talität, dass wir zunehmend von dem Geld unserer Kinder
leben können, zu beseitigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Minister Helmut Holter (Mecklenburg-Vorpommern)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Mit anderen Worten: Es musste wieder eine vernünftige
Haushaltspolitik gemacht werden mit dem Ziel, in einem
überschaubaren Zeitraum zu einem ausgeglichenen Haus-
halt zu kommen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bei Frau Matthäus-Maier war es der Jäger 90!)


Zweitens. Wir müssen die Staatsquote senken. Es kann
nicht angehen, dass 50 Prozent der Wirtschaftsleistung
einmal durch die Hand des Staates gedreht werden. Das
ist feindlich gegen jede Wirtschaftspolitik. Deswegen
muss die Staatsquote systematisch gesenkt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden die Staatsquote bis 2005 auf 44 Prozent ge-
senkt haben. Danach ist eine weitere Senkung möglich.

Eine Reform der Sozialsysteme war unter verschiede-
nen Überschriften dringend notwendig.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Machen Sie es doch mal!)


In Ihrer Regierungszeit hat sich eine systematische Flucht
aus den Sozialsystemen eingebürgert.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wo ist denn die Reform? Wo sind die Leistungen?)


Vor diesem Hintergrund waren beispielsweise die 630-
Mark-Arbeitsverhältnisse oder die so genannte Schein-
selbstständigkeit zu regeln. Es war eine Rentenreform
notwendig.

Ich will auch einmal daran erinnern: Hätten wir den
Rechtszustand, den Sie hinterlassen haben, nicht geän-
dert, hätten ab 1. Januar dieses Jahres die Betriebe nicht
mehr unbegründet befristet einstellen können. Insofern
ist an dem, was Sie im Sozialbereich hinterlassen haben,
rundum eine Reform notwendig gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Peter Rauen [CDU/CSU]: Was soll denn das? – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist unter Ihrem Niveau!)


Es war eine Steuerreform notwendig; denn die Steuer-
sätze, die wir bei Amtsantritt vorgefunden haben, waren
für unternehmerische Tätigkeit schlicht prohibitiv gewor-
den.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie haben die Steuerreform blockiert!)


Wir werden vor diesem Hintergrund den Eingangsteuer-
satz und den Spitzensteuersatz jeweils um 11 Prozent-
punkte in Schritten senken.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gucken Sie mal die Gegenfinanzierung an!)


Wir werden – wenn ich das vielleicht freundlicher-
weise noch erwähnen darf – darauf achten, dass die Steu-
erreform nicht, wie Sie immer behaupten, insbesondere
mittelstandsfeindlich ist,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und die Scheingewinnbesteuerung!)


wobei ich, Herr Michelbach, darum bitte, freundlicher-
weise die 33 Prozent Differenz, die Sie erwähnten, näher
zu begründen,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gern! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre mal interessant! Das stimmt!)


und zwar unter Würdigung der Tatsache, dass Kapitalge-
sellschaften eine Gewerbesteuer zahlen. Dann wird es
schon weniger.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nicht nur Kapitalgesellschaften!)


Schließlich ist eine weitere Reform notwendig, die zu
den allgemeinen Reformen gehört: Wir müssen unsere
Wirtschaft auf das digitale Zeitalter vorbereiten. Die Vor-
bereitung auf das digitale Zeitalter ist eine Conditio sine
qua non, weil das zur Zukunftsfähigkeit unserer Volks-
wirtschaft schlechthin gehört.

Das ist der allgemeine Rahmen der Wirtschafts- und
Finanzpolitik, den wir begonnen haben, konsequent um-
zusetzen, und in den dann die Mittelstandspolitik einge-
bettet wird.

Die Mittelstandspolitik besteht aus zwei Bereichen. Ich
kann sagen, einerseits mache ich indirekte Mittelstands-
politik und andererseits direkte Mittelstandspolitik. Ich
will Ihnen Elemente der indirekten Mittelstandspolitik
nennen.

Wenn wir uns auch um die Großindustrie in diesem
Lande kümmern – beispielsweise indem wir die Luftfahrt-
industrie fördern, uns um die deutschen Werften oder
auch um den Bergbau kümmern –, dann bedeutet das im-
mer gleichzeitig, dass wir einer breiten Palette von mit-
telständischen Zulieferern die Zukunft sichern. Infolge-
dessen kann man nicht – wie das vorhin so anklang –
sagen, ihr macht nur Politik für die großen Bosse, sondern
die Politik für die industriellen Komplexe ist immer auch
eine indirekte Mittelstandspolitik.


(Beifall bei der SPD)

Man kann es leider an der Entwicklung der Wirtschaft

in Ostdeutschland verfolgen. In Ostdeutschland fehlen
noch einige industrielle Komplexe,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was die brauchen, müssen wir finanzieren!)


die dort in die Landschaft hineingesetzt werden müssen und
um die sich dann ein aktiver Mittelstand gruppieren kann.

Eine andere Form indirekter Mittelstandspolitik sind
beispielsweise viele Aspekte der Energiepolitik dieser
Bundesregierung. Allein über das Energieeinspeisegesetz
im Allgemeinen


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie nehmen den Menschen immer erst etwas ab!)


und insbesondere beispielsweise über die Förderung der
Nutzung der Sonnenenergie ist eine ganze Palette neuer
Tätigkeiten im Handwerk geschaffen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Nischenpolitik!)





Bundesminister Dr. Werner Müller

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das Handwerk weiß, welche zusätzlichen Beschäfti-
gungsverhältnisse und Arbeitsplätze es beispielsweise
durch die neue Energieeinsparverordnung schaffen kann.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was
heißt eigentlich heute direkte Mittelstandspolitik? Di-
rekte Mittelstandspolitik umfasst folgende Schwer-
punkte: Sicherung der Finanzierung, Technologietransfer,
Exportorientierung. Hinzu kommen einzelne Sonder-
punkte. Ich will die drei wichtigsten Dinge nennen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die Rede ist von einer Dynamik wie seine Politik!)


Die Sicherung der Finanzierung des Mittelstandes ist
eine der zentralen Herausforderungen insbesondere unter
dem Aspekt, dass der Bankensektor in sich ja auch nach
marktwirtschaftlichen Kriterien arbeitet. Es darf nicht so
kommen, dass der Mittelstand, insbesondere der kleine
Mittelstand, nicht mehr in der Lage ist, einen Kredit über
100 000 DM zu annehmbaren Zinskosten zu bekommen.
Wir haben Vorsorge getroffen. Ich darf heute dem Mittel-
stand, insbesondere dem kleinen Mittelstand, versichern,
dass seine Finanzierung zu vernünftigen Bedingungen
auch in Zukunft gesichert ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Der nächste Punkt. Wir müssen aufpassen, dass der
Mittelstand nicht durch die technologische Entwicklung
ins Hintertreffen kommt. Das heißt, wir müssen Pro-
gramme entwickeln, um dem Mittelstand den technischen
Fortschritt nahe zu bringen; wir müssen den Technologie-
transfer zwischen den Forschungseinrichtungen und dem
Mittelstand bewerkstelligen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann tun Sie es doch! Nicht nur reden, handeln!)


Um solche Technologietransfers zu ermöglichen, haben
wir Programme aufgelegt. Dafür geben wir immerhin fast
1 Milliarde DM pro Jahr aus. Dass das nicht ohne Erfolg
ist, sieht man daran, dass das Beteiligungsprogramm für
technologieorientierte Unternehmen – das hat Herr Kolb
vorhin zu Recht in einem Zwischenruf bemerkt –, das es
1998 schon gab,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: So ist es!)

im Jahre 2000 das vierfache Volumen des Jahres 1998
hatte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das zeigt deutlich, dass der Technologietransfer in den
Mittelstand hinein funktioniert. Wir werden weiter daran
arbeiten. Gerade gestern haben Frau Bulmahn und ich ein
entsprechendes weiteres Programm vorgelegt.

Ich komme zu dem nächsten wichtigen Punkt. Wir le-
ben in einer sich immer mehr globalisierenden Welt.
Diese Entwicklung darf am Mittelstand nicht vorbei ge-
hen. Mit anderen Worten: Der Mittelstand selber muss
exportorientierter werden. Deswegen müssen wir bei-
spielsweise das Instrumentarium der Hermes-Bürg-
schaften so gestalten, dass es der Mittelstand für sich nut-
zen kann. Da gibt es Nachholbedarf. Ferner müssen wir

bei der Messeförderung darauf hinwirken, dass mittel-
ständische Betriebe die Möglichkeit der Messeförderung
zunehmend in Anspruch nehmen und sich auf den Aus-
landsmärkten präsentieren können.

Neben diesen drei wichtigen Punkten will ich Ihnen im
Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Mittelstandes ei-
nige Sonderpunkte nennen, die nicht unwichtig sind, bei-
spielsweise die Frage: Wie sieht es mit der Zukunft der
Handwerksordnung aus? Da darf ich Ihnen sagen: Wir
haben in voller Übereinstimmung mit dem Handwerk er-
reichen können, dass die Handwerksordnung an sich nicht
geändert wird, dass aber ein vereinheitlichter Vollzug in
unserem Lande möglich ist. Wir haben mit dem Hand-
werk die inhaltliche Festschreibung einer flexiblen und
großzügigen Praxis bei der Anwendung der Handwerks-
ordnung erreicht.

Ein anderer Sonderpunkt betrifft die Tourismusförde-
rung. Ich bin sicher – ich habe ja die Zahlen gesehen, die
in die Haushaltsplanung eingestellt wurden –, dass dieser
Wirtschaftszweig zu Ihrer Regierungszeit völlig unter-
schätzt wurde. Er setzt in unserem Lande immerhin
280 Milliarden DM um und hat annähernd 3 Millionen
Arbeitsplätze. Deswegen werden wir dort einen Schwer-
punkt setzen. Auch hier sind die Erfolgszahlen durchaus
ansehnlich: 1999 und 2000 haben die Übernachtungszah-
len bei der deutschen Tourismuswirtschaft um annähernd
jeweils 10 Prozent zugenommen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Haben Sie auch mal gesagt, was davon inzwischen noch übrig bleibt?)


Insbesondere ist die Zahl der Übernachtungen ausländi-
scher Touristen in unserem Land bemerkenswert.

Zum Schluss möchte ich auf die Arbeitsmarktbilanz zu
sprechen kommen. Ich darf darauf hinweisen, dass ich ei-
nen gewissen Widerspruch in Ihren Aussagen sehe. Auf
der einen Seite sagen Sie, diese Bundesregierung wäre
längst in der Lage, die Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung zu senken,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Seit über einem Jahr! Das kann ich Ihnen vorrechnen!)


und auf der anderen Seite sagen Sie: Die Arbeitslosigkeit
hat nicht abgenommen. – Beides passt nun tatsächlich
nicht zusammen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Den Demographiefaktor gestehen wir ja zu!)


Deswegen will ich Ihnen noch einmal die Zahlen nen-
nen. Im Februar 1998 hatte dieses Land leider 4,83 Milli-
onen Arbeitslose und im Februar 2001 waren es 4,1 Mil-
lionen; das sind 700 000 Arbeitslose weniger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Statistische Tricks und sonst gar nichts!)


Wenn ich heute Verbände des Mittelstandes besuche
– ich bin sehr häufig bei den Verbänden und noch öfter vor
Ort, bei den Kammern –, dann kriege ich natürlich die
eine oder andere Kritik zu hören. Man muss für Ver-




Bundesminister Dr. Werner Müller
15402


(C)



(D)



(A)



(B)


ständnis werben. Denn wenn man so einen Bereich wie
die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse neu regelt, ist das
zunächst für diejenigen, die sich an die bequeme Flucht
aus den Steuer- und Sozialsystemen gewöhnt haben, ein
Beschwernis. Zum Schluss wird es eingesehen und ganz
zum Schluss muss man nur die simple Frage stellen: Wollt
ihr die Zustände vom Herbst 1998 oder ist es heute bes-
ser? – Diese Frage wird eindeutig beantwortet. Es
wünscht sich niemand im deutschen Mittelstand die Zu-
stände von Ende 1998 zurück.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415807000
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht nun der Kollege Gunnar
Uldall.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415807100
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Ach, Herr Minister, wenn die Mit-
telstandswelt doch so schön wäre, wie Sie sie soeben ge-
zeichnet haben! Die Frau Staatssekretärin und Sie nennen
Programme, Statistiken und Pläne; aber die realen Aus-
wirkungen Ihrer Politik auf den Mittelstand sehen ganz
anders aus.


(Beifall der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU] – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir leben im Mittelstandsparadies!)


Ich will drei Punkte nennen:
Das Wichtigste ist sicherlich die Steuerreform mit

ihren Vorteilen für die Großunternehmen und ihrer Be-
nachteiligung der kleinen Unternehmen. Das ist prakti-
sche Politik gegen den Mittelstand!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Als zweiten Punkt möchte ich das Betriebsverfas-
sungsgesetz mit seinen zusätzlichen Kosten für mittel-
große Unternehmen nennen. Das ist praktische Politik ge-
gen den Mittelstand, Herr Minister!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Als Drittes möchte ich das Teilzeitarbeitsgesetz nen-

nen, das durch seine Behinderung des Personaleinsatzes
vor allen Dingen mittelständische Betriebe trifft. Das ist
praktische Politik gegen den Mittelstand, Herr Minister!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Insofern kann ich nur sagen: Es wäre schön, wenn die

Welt so heil wäre, wie Sie sie beschrieben haben. Aber lei-
der ist sie nicht so.

Ich will auf eine der Ursachen hinweisen: auf das Feh-
len einer ordnungspolitischen Ausrichtung der Bundesre-
gierung. Allein in den letzten drei Jahren – frühere Jahre
möchte ich jetzt gar nicht berücksichtigen – hat Schröder
seine wirtschaftspolitische Orientierungslinie viermal
geändert. Vor der Wahl warb er mit marktwirtschaftlichen
Thesen um die so genannte Neue Mitte. Nach der Wahl

wurde statt mehr Markt mehr Regulierung realisiert. Ich
nenne nur die Stichworte 630-Mark-Gesetz und Schein-
selbstständigengesetz.

Dann erfolgte eine dritte Wendung: Nachdem Lafontaine
zurückgetreten war, wurde Neues in Bezug auf die
Marktwirtschaft versucht. Ich erinnere nur an das
Schröder/Blair-Papier. Im letzten halben Jahr kam es zu
einer vierten Wendung in der Wirtschaftspolitik der Re-
gierung Schröder. Sie ist nun gegen den Markt ausgerich-
tet. Ich nenne ein paar Stichwörter: Betriebsverfassungs-
gesetz, Verlängerung des Postmonopols, Einschränkung
befristeter Beschäftigungsverhältnisse sowie Anspruch
des Arbeitnehmers, seine persönliche Arbeitszeit selber
festzulegen; das wird dann Teilzeitarbeitsgesetz genannt.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das wissen Sie doch sehr viel besser, Herr Uldall!)


Das alles zeigt, dass in der Wirtschaftspolitik der Regie-
rung keine klare ordnungspolitische Linie zu erkennen ist.
Das wirkt sich negativ auf die Marktentwicklung aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn ein Unternehmen investieren will, dann braucht
es eine verlässliche und dauerhafte Wirtschaftspolitik.
Wenn es keine Verlässlichkeit gibt, dann wird es keine In-
vestitionen eines mittelständischen Unternehmers geben,
der persönlich mit seinem Vermögen haftet. Bei einer
großen Aktiengesellschaft mag es so sein, dass die Inves-
titionssummen höher sind als die in einem mittelständi-
schen Betrieb. Aber da ist es meist nicht so, dass derje-
nige, der die Entscheidung trifft, auch mit seinem
persönlichen Vermögen haftet. Das ist das Besondere des
mittelständischen Betriebes.

Deswegen ist es gerade für den Mittelstand, der der
Motor für die Schaffung neuer Beschäftigung ist, wichtig,
dass in der Wirtschaftspolitik ein dauerhafter und zuver-
lässiger ordnungspolitischer Rahmen besteht. Den ha-
ben wir nicht, Herr Minister. Wir müssen uns daher nicht
wundern, dass jetzt die Konjunktur anfängt zu kränkeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir haben feststellen müssen, dass sich in Deutschland
zuerst das Geschäftsklima verschlechterte. Dann ver-
schlechterte sich die Prognose und jetzt verschlechtern
sich die tatsächlichen Wachstumsraten, Herr Minister.
Diese Situation ist nun da und zeichnet sich nicht mehr ir-
gendwo am Horizont ab.

Was sind denn die Ursachen dafür? Die erste Ursache
ist die große Enttäuschung über das richtige Wirken der
Steuerreform, die sich jetzt in den Betriebsleitungen, aber
auch bei den Mitarbeitern in den Betrieben immer mehr
ausbreitet. Die Menschen sind enttäuscht über das, was
ihnen als die größte Steuerreform aller Zeiten verkauft
worden ist.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Linke Tasche, rechte Tasche! – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Wie bitte? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wen treffen Sie denn?)





Bundesminister Dr. Werner Müller

15403


(C)



(D)



(A)



(B)


Es bleibt deswegen in Deutschland auch der Konsum-
schub aus, den wir dringend brauchen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: So ein Unsinn! – Weiterer Zuruf von der SPD: Die Unternehmen haben überhaupt noch keine Steuern für 2001 gezahlt!)


Die zweite Ursache sind die politisch gewollte Ver-
teuerung des Spritpreises durch die Ökosteuer und die ho-
hen Nachzahlungen der privaten Haushalte für die Hei-
zung.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415807200
Herr Uldall,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415807300
Vielleicht darf ich eben
noch diesen Satz zu Ende bringen, Herr Präsident.

Die Modellrechnungen, die wir angestellt haben, zei-
gen, dass im Durchschnitt pro Quadratmeter 1 DM mehr
an Heizkosten zu zahlen ist. Wenn man also eine 60 oder
70 qm große Wohnung unterstellt, sind es 700 bis
800 DM, die auf den Durchschnittshaushalt in Deutsch-
land zukommen. Da frage ich nur: Wer soll das denn ei-
gentlich bezahlen, meine Damen und Herren?


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt die Kaufkraft?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415807400
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oswald Metzger?


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415807500
Gerne.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415807600

Kollege Uldall, Sie sind anscheinend nicht in der Realität
angekommen, obwohl Sie das eben dem Wirtschaftsmi-
nister und seiner Staatssekretärin unterstellt haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen!)

Ich stelle die Frage. Warum schreibt denn bitte heute

das „Handelsblatt“ auf Seite 1: „Einzelhandel erwartet
Impulse durch die Steuerentlastungen.“ Es bezieht sich
auf eine Prognose vom Januar, wo die Wachstumsraten im
Einzelhandel das erste Mal wieder real über 2 Prozent ge-
stiegen sind.

Die zweite Frage: Blenden Sie das weltwirtschaftliche
Umfeld aus? Sie haben doch als wirtschaftspolitischer
Sprecher Ihrer Fraktion in Ihrer Regierungszeit selber er-
lebt, dass Deutschland, obwohl die USA fast acht oder
neun Jahre lang Konjunkturlokomotive auch in Ihrer Re-
gierungszeit waren, am unteren Ende der europäischen
Wirtschaftsentwicklung platziert war, während unsere
Regierung im letzten Jahr das größte Wachstum innerhalb
der letzten zehn Jahre zu verzeichnen hatte und heute die
Prognosen auch der internationalen Agenturen eher dahin
gehen, dass sich Europa mit Deutschland als größter
Volkswirtschaft von der Entwicklung in Japan und den
USA zwar nicht komplett abkoppelt, aber das weltwirt-
schaftliche Wachstum eher anhebt als drückt.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415807700
Herr Metzger, ich
schätze Sie sehr. Deswegen darf ich mich für diese beiden
Fragen herzlich bedanken.

Die erste Frage war: Wie kommt es, dass die Umsätze
im Einzelhandel steigen? – In die Umsätze des Einzel-
handels werden natürlich auch die Umsätze an den Tank-
stellen eingerechnet. Wenn Sie die Ökosteuer oben drauf-
setzen, dann gibt es natürlich höhere Umsätze.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und welchen Vorteil macht das aus?)


Deswegen müssen Sie einfach erkennen, dass ein großer
Teil dieser Umsatzzuwächse leider aufgeblasen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau! Statistik, Rabulistik!)


Dem füge ich noch folgende Zahl hinzu, Herr Metzger:
Wir haben aktuell eine Preissteigerung von 2,6 Prozent.
Der private Haushalt muss also heute 2,6 Prozent mehr für
seinen Lebensunterhalt aufwenden als vor einem Jahr.
Das zeigt eben, dass es zu einer Aufblähung des Preisni-
veaus gekommen ist. Dann muss der Umsatz in den Ein-
zelhandelsbetrieben um diese 2,6 Prozent gestiegen sein.


(Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


– Sie dürfen gleich noch eine Zwischenfrage stellen. Ich
möchte nur erst Ihre zweite Frage nach Deutschland im
internationalen Vergleich beantworten.

Herr Kollege Metzger, sehen wir uns einmal die Ent-
wicklung an. Früher war Deutschland, wie Sie es ja auch
in Ihrer Frage richtig sagten, im europäischen Kontext im-
mer eines der Länder mit den höchsten Wachstumsraten.
Wir lagen immer vorn.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Aber nicht in den 90er-Jahren!)


Jetzt schauen Sie einmal, wie wir nun im Vergleich zu den
anderen EU-Staaten liegen. Da liegen wir ganz unten,
Herr Kollege! Dazu sage ich: Dies alles ist darauf zurück-
zuführen, dass Sie eine Wirtschaftspolitik der Beliebig-
keit betreiben, aber keine klare ordnungspolitische Aus-
richtung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415807800
Herr Kol-
lege Metzger.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415807900

Herr Kollege Uldall, auch ich schätze normalerweise Ihre
Argumentation;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kann doch wohl nicht sein!)


aber jetzt sind Sie ausgewichen.
Ich frage Sie: Nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass der

Artikel heute im „Handelsblatt“ über den Einzelhandel




Gunnar Uldall
15404


(C)



(D)



(A)



(B)


von realen Preissteigerungen spricht, also von solchen
nach Abzug der Inflationsrate, sodass der Einzelhandel
von realen Umsatzsteigerungen von über 2 Prozent aus-
geht, und dass die Umsatzanstiege im letzten Jahr ohne
Tankstellen, ohne Kfzs, ohne Mineralölsteuer gerechnet
waren? Insofern ist Ihre Antwort nicht richtig.

Zum Zweiten: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass
sich in der Regierungszeit von Rot-Grün in Berlin und am
Anfang in Bonn die Wachstumsraten in der Bundesrepu-
blik Deutschland – mit Italien gemeinsam – innerhalb der
EU vom unteren Ende in das obere Mittelfeld bewegt ha-
ben und dass wir im letzten Jahr mit 3 Prozent im Ranking
innerhalb der EU deutlich höher lagen als zu Ihrer Regie-
rungszeit.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415808000
Herr Kollege Metzger,
vielleicht können wir uns einmal auf Folgendes einigen:


(Zurufe von der SPD: Na, Vorsicht!)

Es ist richtig, dass der Einzelhandel die Erwartung, die
– ich sage – Hoffnung hat, dass es zu einer Nachfra-
gesteigerung kommt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aha, jetzt klingt das schon ganz anders! Warum haben Sie vorhin eine andere Antwort gegeben?)


Setzen wir uns dann einmal am Jahresende zusammen,
Herr Kollege, und dann werden wir beide sehr schnell
feststellen, wie die realen Zahlen geworden sind. Ich hoffe
ja sehr, dass wir einen ordentlichen Zuwachs haben wer-
den, und gerade weil ich das hoffe, engagiere ich mich ja
jetzt auch hier, um der Regierung nahe zu legen, zu einer
besseren Wirtschaftspolitik zu kommen, Herr Metzger.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 180 Grad-Wende!)


Meine Damen und Herren, wir haben die Rede
eines Landesministers aus Mecklenburg-Vorpommern
gehört.


(Beifall des Abg. Roland Claus [PDS])

Dies ist ja eine Debatte, in der der Mittelstand motiviert
werden soll. Deswegen, so meine ich, wäre es eigentlich
besser gewesen, hier nicht einen Minister aus einem Land
sprechen zu lassen, in dem die Entwicklung stagniert,
sondern einen Minister aus einem Land zu nehmen, in
dem die Wachstumsraten kräftig nach oben gehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das! – Roland Claus [PDS]: Wir sind eben zu wenig! Gut, dass Sie sich für mehr Minister von uns einsetzen!)


Nun möchte ich nur sagen – Herr Holter hat ja, wenn
ich es richtig sehe, hier das zweite Mal gesprochen –: Herr
Holter, vor Ihrer Regierung – ich formuliere es einmal po-
sitiv – liegt noch eine große Aufgabe. Ihr Land ist zwar
nicht das letzte in der Statistik der Wachstumsraten der
deutschen Länder; das ist Sachsen-Anhalt und da brau-
chen wir gar nicht zu fragen, wer da regiert.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist die gleiche Konstellation!)


Aber Mecklenburg-Vorpommern hat nur 0,9 und Sach-
sen-Anhalt lediglich 0,8 Prozent Wachstum.

Nun greife ich einmal ein anderes Land heraus: Baden-
Württemberg.


(Lachen bei der SPD)

Das hat ein Wachstum von 4,2 Prozent!


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich denke, es findet überall schlechte Wirtschaftspolitik statt!)


Damit liegt das Wachstum in Baden-Württemberg um ein
Drittel höher als das durchschnittliche Wachstum in allen
deutschen Ländern, und es ist rund fünfmal so hoch wie
das Wachstum in Mecklenburg-Vorpommern. Aber das
wollen wir jetzt gar nicht vergleichen.

Dann gibt es in Bezug auf Baden-Württemberg noch
ein anderes interessantes Thema:


(Zuruf von der SPD: Die Landtagswahl, nicht?)


Baden-Württemberg ist das Land mit der niedrigsten Ar-
beitslosenquote.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Gucken Sie mal nach Brandenburg! Da haben wir CDU-Wirtschaft!)


Gerhard Schröder hatte kürzlich gesagt, 3 Millionen Ar-
beitslose seien sein Ziel; das wolle er jetzt bald erreicht
haben. Dann musste er sich sehr schnell mit seinen Ver-
sprechungen korrigieren, weil er diese nicht halten kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber es ist doch in Deutschland alles so schlecht, haben Sie gesagt! Gehört Baden-Württemberg nicht zu Deutschland?)


Gerhard Schröder braucht aber nur nach Baden-Württem-
berg zu gucken. Wenn ich die Zahlen Baden-Württem-
bergs auf das ganze Bundesgebiet hochrechne, dann ist
dieses Ziel, das Gerhard Schröder inzwischen als nicht er-
reichbar bezeichnet hat, in Baden-Württemberg längst er-
reicht worden, es ist sogar weit übertroffen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415808100
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415808200
Gern.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1415808300
Herr Kollege Uldall, Sie haben
eben zu Recht festgestellt, dass Baden-Württemberg die
beste Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik hat; sie
ist noch besser als in Bayern. Stimmen Sie mir zu, dass in
Baden-Württemberg Dr. Walter Döring der Wirtschafts-
minister ist, den die F.D.P. stellt?


(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der letzte Versuch!)





Oswald Metzger

15405


(C)



(D)



(A)



(B)



Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415808400
Herr Niebel, das ist rich-
tig; das lässt sich ja gar nicht bestreiten. Aber es ist der Zu-
sammenhang zu sehen zwischen Ministerpräsident
Teufel, der das hervorragend macht, dem Finanzminister
Stratthaus und der ganzen Stimmung in Baden-Württem-
berg. Die ist optimistisch ausgerichtet und deshalb bin ich
auch absolut sicher, dass diese Koalition am übernächsten
Sonntag bestätigt werden wird, Herr Niebel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und wie wirkt sich das auf die Bundespolitik aus, Herr Uldall? – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Die Zahlen wären deutlich schlechter, wenn Brüderle dort sein Unwesen treiben würde!)


Nun möchte ich aber noch eines sagen: Es gibt auch ei-
nen Statistikfaktor, bei dem Baden-Württemberg ganz am
Ende liegt. Wir wollen hier ja ehrlich miteinander reden.
Es gibt also auch Punkte, bei denen Baden-Württemberg
den letzten Platz einnimmt. Das ist die Insolvenzrate. Ich
bin sicher, dass es dabei in Baden-Württemberg auch blei-
ben wird.

Wenn Baden-Württemberg ein eigenes Land innerhalb
der EU wäre,


(Roland Claus [PDS]: Das ist ja eine tolle Drohung!)


dann wäre es im wirtschaftlichen Ranking der europä-
ischen Länder ganz oben, in der Top-Gruppe, angesiedelt.


(Lachen bei der SPD)

Sowohl beim Wachstum wie auch auf dem Arbeits-

markt ist das Ländle eben Spitze. Die Gründe dafür sind
schnell herauszufinden. Es wird eine verlässliche, lang-
fristig angelegte Wirtschaftspolitik betrieben und der Mit-
telstand spielt in dieser Wirtschaftspolitik eine größere
Rolle als anderswo. Das beides sind die Schlüssel zum Er-
folg in der Wirtschaftspolitik.

Ich lege der Regierung Schröder, ich lege Ihnen, Herr
Minister, nahe, sich am Vorbild des Landes Baden-Würt-
temberg zu orientieren. Dann wird es auch in Gesamt-
deutschland nach oben gehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! Bravo!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415808500
Für die Frak-
tion der F.D.P. spricht der Kollege Dr. Heinrich Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1415808600
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich wende mich zunächst an
den Bundeswirtschaftsminister, Herrn Müller. Herr
Müller, Sie haben die Lautstärke kritisiert, mit der mein
Kollege Rainer Brüderle hier vorgetragen hat.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Es war unerträglich!)


Ich kann nur sagen: Lautstärke zeugt von Leidenschaft.
Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wie wäre es mit Verstand? – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal ohne Einschalten des Verstandes!)


Im Gegensatz dazu war Ihre – ich kann es nicht anders
ausdrücken – absolut leidenschaftslose Vorlesung über
Wirtschaftspolitik ein weiterer Beweis für Ihre ebenso lei-
denschaftslose Parteinahme für den Mittelstand in wich-
tigen Fragen der Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zum Einschlafen war das!)


Ich habe mich natürlich auch gefragt, welche Botschaft
die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung
heute an den Mittelstand aussenden wollte.


(Zuruf von der F.D.P.: Das habe ich mich auch gefragt!)


Diese sollte wohl lauten: alles im grünen Bereich. Aber
das kann allenfalls parteipolitisch gemeint gewesen sein.
Tatsächlich, Frau Wolf, verschlechtert sich die Stimmung
im Mittelstand nach zwei Jahren Rot-Grün dramatisch.

Dafür gibt es auch Gründe: Nicht nur, dass die Bau-
wirtschaft völlig daniederliegt – auch der Eigenheimbau
bricht jetzt ein –, nicht nur, dass die halbherzige Steuerre-
form, die Sie auf den Weg gebracht haben, nicht auf den
Konsum durchschlägt.Nein, Sie haben mit Ihrer Verände-
rung der AfA-Tabellen auch noch die Investitionsnei-
gung verschlechtert. Auch der Export wird schwieriger.
Es ist nur eine Frage der Zeit, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von Rot-Grün, bis Ihnen das alles um die Ohren
fliegt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ditmar, Staffelt [SPD]: Außer in Baden-Württemberg! – Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben im Januar Rekordzuwächse gehabt!)


Es ist sehr deutlich: Der Mittelstand in Deutschland hat
von diesem Bundesminister für Wirtschaft und dieser
Mittelstandsbeauftragten nichts zu erwarten. Er hat auch
aus dem Bundeskanzleramt nichts zu erwarten. Dort gibt
es eine Chefsache Holzmann; aber eine Chefsache Mit-
telstand gibt es ebenso wenig, wie es eine Chefsache Auf-
bau Ost gibt. Das halte ich für den eigentlichen Skandal.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bekomme Zuschriften, in denen steht: „Das Maß ist
voll“, und das, Herr Minister, auch von Mitgliedern
Ihres Mittelstandsbeirates. Das heißt, es genügt nicht, die
Bedeutung des Mittelstandes zu beschreiben und zu
beschwören. Es kommt darauf an, welche Politik man
macht.

Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen. Das erste
Beispiel betrifft den Bürokratieabbau. Von den 60 Milli-
arden DM, die Rainer Brüderle genannt hat, entfallen
10 Prozent auf Aufwendungen für Statistikpflichten.
Diese Bundesregierung hat eine Dienstleistungsstatistik
neu eingeführt, die wir in der letzten Legislaturperiode






(C)



(D)



(A)



(B)


noch erfolgreich verhindert haben. So sieht Ihr Beitrag
zum Bürokratieabbau aus.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


35 Prozent der Bürokratiekosten entfallen auf Aufwen-
dungen, die die Unternehmen für den Vollzug der Sozial-
systeme erbringen müssen. Sie haben mit Ihrem 630-
Mark-Gesetz in Deutschland Bürokratie pur eingeführt.
Wer das System der Freistellungen, die jährlich erneuert
werden müssen, kennt, wer weiß, dass dies permanent
verfolgt werden muss, wenn man die Grenzen nicht über-
schreiten will, der hat eine Ahnung davon, welcher Büro-
kratieaufwand hierdurch tatsächlich auf die Unternehmen
zukommt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zweite Beispiel: Frau Kollegin Wolf, Sie haben auf
die Frage nach der Spielbank, die der Kollege
Dautzenberg gestellt hat, überhaupt nicht geantwortet.
Anscheinend haben Sie die Frage nicht ernst genommen.
Ich nehme die Frage sehr ernst, weil sie die Risikokultur
und die Risikobereitschaft in unserem Lande betrifft. Herr
Müller, einer Ihrer Vorgänger im Amt des Wirtschaftsmi-
nisters hat gesagt: 50 Prozent der Wirtschaft sind Psycho-
logie. Da frage ich: Wer soll nach dieser Äußerung des
Bundeswirtschaftsministers noch bereit sein, am Neuen
Markt zu investieren? Er müsste ja verrückt sein, wenn
Ihre Aussage richtig wäre.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Minister Müller, die richtige Antwort wäre gewe-

sen: Okay, der Neue Markt birgt Risiken, aber auch hohe
Chancen. Setzen Sie nicht 100 Prozent Ihres Kapitals im
neuen Markt ein, sondern nur 5 Prozent, und versuchen
Sie, diese Chancen auszuschöpfen. Das wäre ein Beitrag
zur Verbesserung der Risikokapitalkultur in Deutschland
gewesen. Nur über Eigenkapitalschwäche zu reden
genügt nicht. Man muss auch wirklich bereit sein, hier
entsprechende Unterstützungsarbeit zu leisten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Gegensatz zur Mittelstandsbeauftragten der Bun-
desregierung habe ich nicht 20, sondern nur 4 Minuten
Redezeit. Ich möchte aber noch etwas zum Betriebsver-
fassungsgesetz sagen,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist auch nötig!)

und zwar auch deswegen, Herr Müller, weil das derzeit
die Frage ist, die die Unternehmen in Deutschland am
meisten bewegt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie – das sage ich insbesondere an die Adresse der ro-

ten Fraktion in diesem Hause – haben immer noch das
Bild vom Unternehmen mit dem Gewerkschaftsbüro ne-
ben der Betriebsratskantine vor Augen. Aber 99 Prozent
der Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittel-
stand und 95 Prozent davon haben weniger als 20 Be-
schäftigte. Diese Unternehmen, in denen es auch ohne Be-

triebsrat gute Systeme praktizierter Mitbestimmung gibt,
mit brachialer Gewalt in die Mitbestimmung zu zwingen,
weil man eine Dankesschuld an den DGB erfüllen will,
halte ich für fatal. Das werden wir in diesem Haus auch in
Zukunft noch diskutieren.

Seien Sie sicher: Der Mittelstand hat eine Lobby in die-
sem Lande. Das ist aber nicht Rot-Grün, sondern die
F.D.P. Ich meine die F.D.P.-Fraktion in diesem Hause.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415808700
Ich gebe der
Kollegin Jelena Hoffmann für die Fraktion der SPD das
Wort.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1415808800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir im Bundestag
in bestimmten Abständen über die Rolle des Mittelstandes
in Deutschland diskutieren, unterstreicht die Bedeutung
kleiner und mittlerer Unternehmen und des Handwerks.

Es sind auch heute wieder viele Zahlen über den Mit-
telstand genannt worden. Man kann nicht oft genug wie-
derholen, dass fast drei Viertel aller Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer im Mittelstand tätig sind. In kleinen
und mittelständischen Unternehmen werden die meisten
Jugendlichen ausgebildet: fast 80 Prozent.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
in der Frage der Bedeutung des Mittelstandes sind wir uns
einig; darüber brauchen wir nicht zu streiten. Streiten wer-
den wir uns aber darüber, wie man die Mittelstandspolitik
am besten gestaltet. Es ist mir klar, dass die Erwartungen
des Mittelstandes an unsere Politik sehr hoch sind. Doch
man kann nicht alles, was sich in mehreren Jahren ange-
staut hat, in zwei Jahren auflösen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Bei Ihnen!)

– Sie haben dies in 16 Jahren nicht lösen können.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir nehmen uns dieser Probleme an, Herr Kollege. Wir
sind auf gutem Wege, sie zu lösen.

Das zentrale Problem des Mittelstandes, das ich des-
halb an erster Stelle ansprechen möchte, ist sicherlich die
Frage der Finanzierung. Dazu gehört auch die Förderung
von kleinen und mittleren Unternehmen und von
Existenzgründern. Hier ist es wichtig, das weiterzuführen,
was sich schon bewährt hat, zum Beispiel das ERP-Ei-
genkapitalhilfeprogramm und das ERP-Existenzgrün-
dungsprogramm.

Es ist aber auch wichtig, neue Akzente zu setzen.
Als ein Beispiel dafür kann ich das 1999 eingerichtete
DtA-Startgeldprogramm nennen, das speziell für kleine
Existenzgründer aufgelegt worden ist. Bereits 1999
wurden 46 Millionen DM aus diesem Programm aus-
gezahlt. Mit dem FUTOUR-Programm und Geldern aus




Dr. Heinrich L. Kolb

15407


(C)



(D)



(A)



(B)


der Forschungsmilliarde werden technologieorientierte
Unternehmensgründungen – das ist wichtig – speziell in
den neuen Ländern gefördert und unterstützt. Gerade in
Ostdeutschland ist die Förderung von Existenzgründern
besonders notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Hauptförderinstrument der Bundesanstalt für Arbeit ist
das Überbrückungsgeld. Bis Anfang des Jahres sind im
Osten 200 000 Existenzgründer mit 2,2 Milliarden DM
gefördert worden. Noch eine wichtige Aufgabe für die
Bundesregierung ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die
Kreditversorgung für kleine und mittlere Unternehmen fi-
nanzierbar bleibt. Auch unter Beachtung der Baseler Ent-
scheidungen sollen Handwerker und Mittelständler Kre-
dite zu angemessenen Konditionen erhalten.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Sehr wichtig in unserer Politik ist die Unterstützung

und Förderung der Innovationsfähigkeit der Unterneh-
men. Forschung und Innovation werden durch Zuschüsse,
Kredite und Beteiligungskapital gefördert. Im Haus-
halt 2001 haben wir die Mittel für Forschung und Ent-
wicklung gegenüber 2000 um rund 80 Millionen DM auf
930Millionen DM erhöht. Mit den Programmen Pro-Inno
und Inno-Net werden neue Möglichkeiten für For-
schungskooperationen und Vernetzungen geschaffen.
Wichtig für die neuen Länder ist in diesem Zusammen-
hang die Initiative Inno-Regio. Damit wird die Zusam-
menarbeit von Bildungs- und Forschungseinrichtungen
sowie der Wirtschaft gestärkt.


(Beifall bei der SPD)

Das Sonderprogramm zur Förderung von Forschung,

Entwicklung und Innovation in den neuen Bundesländern
wird bis zum Jahre 2004 auf hohem Niveau fortgeführt.

Ich könnte diese Liste mit Export- und Messeförde-
rung, Förderung von New Economy, Tourismusförderung
und vielem mehr fortführen. Das sind wichtige Teile der
Mittelstandspolitik unserer rot-grünen Koalition. Die
Regierung betreibt eine Mittelstandspolitik, die der Be-
deutung des Mittelstandes angemessen ist.

Das zweite Problem, das ich neben der Finanzierung
ansprechen möchte, hängt mit der EU-Osterweiterung
zusammen: Alle Forschungsinstitute kommen zu dem Er-
gebnis, dass Deutschland einer der größten Gewinner des
Erweiterungsprozesses sein wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind uns aber darin einig, dass es Anpassungsschwie-
rigkeiten und Unsicherheiten geben wird. Deshalb ist eine
Unterstützung von staatlicher Seite notwendig; dies findet
auch statt.

Wir müssen aber auch die Sorgen von ostdeutschen
Unternehmen und Handwerkern, die sie natürlich haben,
wenn Sie an die Osterweiterung denken, ernst nehmen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und sie durch Aufklärung, direkte Unterstützung, aber
auch durch Sonderregelungen entkräften.

Das dritte Problem, das uns Unternehmer immer wie-
der vortragen, ist die bürokratische Regulierung unse-
rer Wirtschaft. Dieses Problems nehmen wir uns an.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das Erbe, das wir übernommen haben!)


– Ja, ich wollte gerade darauf eingehen, Herr Kollege. –
Ich muss dazu sagen, dass die Bürokratie in unserem
Lande nicht in sieben Tagen und auch nicht in den letzten
zwei Jahren aufgebaut wurde. Außerdem müssen wir un-
terscheiden, über welche Bürokratie wir reden und welche
wir abschaffen wollen. Wir müssen in erster Linie ein
Gleichgewicht zwischen sozialstaatlicher Notwendigkeit
und unternehmerischer Freiheit erreichen. Die Bundes-
regierung ist in diesem Punkt auf einem guten Weg.

Es gibt bestimmt noch viele Punkte, die in einer Mit-
telstandsdebatte angesprochen werden müssen. Dazu
gehören unter anderem die Themen Zahlungsmoral, Steu-
erreform, Lohnkostenentlastung sowie Aus- und Weiter-
bildung. Auch wenn wir noch nicht alle Erwartungen des
Mittelstandes erfüllt haben, haben wir schon eine Menge
geschafft und angestoßen. Ich bin davon überzeugt, dass
wir auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen diesen Weg
gemeinsam mit den kleinen und mittleren Unternehmen
sowie dem Handwerk konsequent weiterverfolgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415808900
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415809000
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es gerne zu-
geben: Da ich seit 35 Jahren selbstständig bin, war ich
heute Morgen sehr gespannt auf die erste Rede der neuen
Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung. Frau
Wolf, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Sie seien
der Meinung, der deutsche Mittelstand habe etwas ande-
res verdient als die Rede von Rainer Brüderle. Nach dem,
was ich von Ihnen gehört habe, bin ich der Meinung, der
deutsche Mittelstand hat eine andere Beauftragte als Sie
verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.])


Sie haben zu Beginn Ihrer Rede die in „Impulse“ ver-
öffentlichte Studie erwähnt, nach der im letzten Jahr in
kleinen und mittleren Betrieben 339 000 neue Arbeits-
plätze geschaffen wurden und in diesem Jahr etwa 660 000
neue Arbeitsplätze erwartet werden, während gleichzeitig
in den 100 größten Betrieben etwa 50 000 Arbeitsplätze
abgebaut wurden. Das war in Deutschland immer so: In
den 80er-Jahren wurden in den alten Bundesländern 3Mil-
lionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, und zwar aus-
schließlich im Mittelstand. Auch damals ging in den gro-
ßen Betrieben die Zahl der Beschäftigten zurück. Diese
Entwicklung setzte sich nach der Wiedervereinigung fort.
Selbst in der Rezession der Jahre 1993/94 wurden in Be-
trieben mit weniger als zehn Beschäftigten 700 000 neue




Jelena Hoffmann (Chemnitz)

15408


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitsplätze geschaffen, während in der Großindustrie
1,4 Millionen Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Das
heißt im Klartext: Wer in der Arbeitsmarktpolitik in
Deutschland Erfolg haben will, muss eine Politik für und
nicht gegen den Mittelstand machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.])


Ich will hier nicht mit Prognosen oder Kaffeesatzlese-
rei argumentieren, sondern mich an Fakten halten. Der
Arbeitsmarkt in Deutschland ist aus den Fugen geraten:
Wir haben 5,9 Millionen Menschen, die offen oder ver-
deckt arbeitslos sind. Es ist festzustellen, dass das Ar-
beitsvolumen 1999/2000, gerechnet in Erwerbsstunden,
nach einem Aufschwung 1997/98 zum Stillstand gekom-
men ist. Herr Müller – leider ist er nicht mehr anwesend –,
in den Jahren 1999 und 2000 ist die Zahl der arbeitslosen
Menschen zwar – Gott sei Dank – um 391 000 zurück-
gegangen. Aber im gleichen Zeitraum ist das Erwerbsper-
sonenpotenzial um 436 000 Menschen zurückgegangen.
Das heißt, die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind aus-
schließlich darauf zurückzuführen, dass mehr Arbeitneh-
mer in Rente gegangen sind, als junge Menschen in das
Erwerbsleben eingetreten sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer die Situation des Mittelstandes wirklich kennt, der

weiß, dass überall, von Hamburg bis nach München, von
Trier bis nach Leipzig, Facharbeitskräfte benötigt werden.
Trotzdem gibt es 1,5 Millionen offene Stellen. Zwar sind
offiziell nur 510 000 gemeldet. Aber um die wirkliche
Zahl der offenen Stellen zu ermitteln, rechnet man immer
das Dreifache. Des Weiteren stieg die Zahl der Überstun-
den im letzten Jahr auf den Rekordwert von 1,9 Milliar-
den. Der Umfang der Schwarzarbeit ist im letzten Jahr,
und zwar nicht nach meinen, sondern nach den Berech-
nungen des Statistischen Bundesamtes, um 9 Prozent ge-
wachsen. Das ist dreimal mehr als das offizielle Wirt-
schaftswachstum. Das Volumen des Umsatzes durch
Schwarzarbeit – Hansjürgen Doss hat die Zahl schon ge-
nannt – lag bei geschätzten 658 Milliarden DM.

Ich möchte eines ganz klar sagen: Die Zählweise bei
der Arbeitslosen- und Beschäftigungsstatistik ist in den
letzten zwei Jahren umgestellt worden: Die im Rahmen
von 630-Mark-Arbeitsverhältnissen Beschäftigten und
die Kurzteilzeitbeschäftigten werden jetzt zu den Be-
schäftigten hinzugerechnet und die über 58-jährigen Ar-
beitslosen werden nicht mehr zu den Arbeitslosen hinzu-
gezählt. Aufgrund dieser Umstellung konnten Sie zwei
Jahre im Trüben fischen und die Arbeitsmarktzahlen
schönreden.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir haben nicht umgestellt! Wir haben nur euer Konzept fortgeführt!)


Die jetzt vorliegenden amtlichen Zahlen zeigen ganz klar:
Ihre gegen den Mittelstand gerichtete Steuer- und Ar-
beitsmarktpolitik ist gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich möchte jetzt eine Feststellung aus dem Gutachten
der Sachverständigen zitieren, die von Ihrer Regierung
beauftragt worden sind:

Ein innovativer Schritt nach vorne wird nicht getan,
hier wird rück-reguliert.

Weiter heißt es:
Die desolate Lage des Arbeitsmarktes verlangt ein
offensiveres Vorgehen und eine konsistente Konzep-
tion.

Davon kann keine Rede sein, im Gegenteil: Sie haben
nichts ausgelassen, was den Arbeitsmarkt neu reguliert
und den Mittelstand quält. Die Neuregelung der 630-
Mark-Jobs – darauf wurde heute schon vielfach hinge-
wiesen – ist bis heute ein Riesenproblem für den Mittel-
stand, weil dem Arbeitsmarkt dadurch ein Stück
Flexibilität abhanden gekommen ist. Aber die Neurege-
lung ist auch ein Problem für die Arbeitnehmer. Diejeni-
gen, die früher einen Zweitjob hatten, weil sie sich etwas
Besonderes anschaffen wollten, müssen heute die
630 DM zum Lohn, den sie in ihrem Hauptberuf bekom-
men, hinzurechnen. Während früher 630 DM brutto für
netto waren, bleiben heute nur noch 350 DM übrig. Viele,
die die 630 DM als Zusatzeinnahme eingeplant hatten, ha-
ben heute Probleme, ihren Neubau oder ihren Wohnungs-
kauf zu finanzieren, weil ihnen das Geld aus dem 630-
Mark-Arbeitsverhältnis nicht mehr zur Verfügung steht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben die Reform, die wir zum Zwecke der De-

regulierung durchgeführt haben, zurückgenommen. Ich
nehme nur die Verschärfung des Kündigungsschutz-
rechtes als Beispiel. Davon sind 680 000 Betriebe in
Deutschland betroffen, die zwischen fünf und zehn Be-
schäftigte haben. Wenn man vom Mittelstand nicht wie
ein Blinder von der Farbe reden möchte, dann muss man
wissen, wie es in diesen Betrieben aussieht. Ich be-
schreibe Ihnen das einmal kurz: Wenn ein Handwerks-
meister sechs Leute beschäftigt und einen siebten Be-
schäftigten einstellen möchte, weil er genug Aufträge hat,
dann möchte er den für lange Zeit einstellen. Wenn er aber
die Sorge hat, dass er den Mann in einem halben Jahr nicht
mehr vollbeschäftigen kann, dann lässt er die Finger da-
von, weil er befürchten muss, dass er unter Umständen
dessen Abfindung nicht zahlen kann, wenn er ihn entlas-
sen muss. Das hat verheerende Konsequenzen: Es werden
Überstunden geleistet, weil sonst keine Ausweichmög-
lichkeiten bestehen, und keine Neueinstellungen vorge-
nommen.

Von der Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfalle waren die großen Betriebe weniger be-
troffen; denn sie haben Tarifverträge vereinbart, an die sie
sich ohnehin nicht gehalten haben. Aber diese Wiederein-
führung hat gerade im Mittelstand die Lohnzusatzkosten
enorm gesteigert, weil mehr Nichtarbeit bezahlt werden
muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das hat die Lohnzusatzkosten mehr in die Höhe getrieben,
als die Sozialversicherungsbeiträge durch die Ökosteuer
– das behaupten Sie zwar immer – gesenkt worden sind.




Peter Rauen

15409


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, statt den viel zu starren Ar-
beitsmarkt zu deregulieren, machen Sie nicht nur das Ge-
genteil von dem, was die von Ihnen beauftragten Sach-
verständigen und wir sagen, sondern auch das Gegenteil
von dem, was Ihnen die OECD, der Internationale
Währungsfonds und die EG-Kommission sagen. Ich bin
informiert, dass die OECD zurzeit wieder einen gehar-
nischten Bericht über den verkrusteten Arbeitsmarkt in
Deutschland erstellt, und höre, dass Regierungsmitglieder
versuchen, einen etwas harmloseren Bericht zu bekom-
men, als er von der OECD geplant ist.

Stattdessen geht Ihre – das sage ich bewusst – sozialis-
tische Regulierungswut weiter:


(Lachen bei der SPD)

Die Altersteilzeit wird neu geregelt. Die befristeten Ar-
beitsverträge werden nicht mehr so fortgeführt, wie man
sie hätte fortführen können. Es gibt einen vorausset-
zungslosen Anspruch auf Teilzeitarbeit. – All das ist im
Mittelstand nicht so einfach durchführbar.

Mit dem Betriebsverfassungsgesetz setzen Sie dem
Ganzen die Krone auf. Als Mittelständler will ich einen
Punkt herausstellen: Ihnen geht es nicht um Mitbestim-
mung, sondern nur um die Stärkung von Gewerkschafts-
macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was ich Ihnen verüble, ist, dass Sie den Gewerkschaften
und den Funktionären über das Wahlrecht und über die
Wahlabläufe die Keule in die Hand geben wollen, dass sie
gegen den Willen der Mehrheit einer Belegschaft Be-
triebsräte in mittelständischen Unternehmen installieren
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da ist Herr Müller im Ansatz schon umgefallen!)


Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und die freie Ent-
faltungsmöglichkeit von Unternehmen.

Die Steuerreform ist und bleibt eine Reform zuguns-
ten der Kapitalgesellschaften und zulasten der GmbHs.
Wer, wie unter Lafontaine begonnen und unter Eichel
vollendet, Unternehmen, nicht aber Unternehmer entlas-
tet, wer sich anmaßt, zwischen guten und schlechten Ge-
winnen unterscheiden zu wollen, wer den entnommenen
Gewinn verteufelt, der will mit dieser Philosophie einer
Steuergesetzgebung entweder den deutschen Mittelstand
kaputtmachen oder der hat keine Ahnung vom deutschen
Mittelstand.


(Widerspruch bei der SPD)

– Sie schütteln mit dem Kopf.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415809100
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415809200
Ja. – Der mittelständische
Unternehmer ist geprägt durch den Eigentümerunterneh-
mer, der mit allem, was er hat, für sich, für seine Familie
und für seine Mitarbeiter haftet. Unternehmer und

Unternehmen sind nicht zu trennen. Wer versucht, über
das Steuerrecht oder andere ordnungspolitische Maßnah-
men diese Einheit von Unternehmer und Unternehmen
trennen zu wollen, der bricht der deutschen Volkswirt-
schaft das Rückgrat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich habe den Eindruck, dass diese gesellschaftspolitische
Veränderung von Ihnen gewollt ist; denn es war dieser Ei-
gentümerunternehmer, der Deutschland nach dem Krieg
zum Wirtschaftswunder geführt hat.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn dieser heute über die Steuergesetzgebung von sei-
nem Betrieb getrennt wird, dann ist das ein Anschlag auf
unsere Gesellschaftsordnung in Deutschland.

Ich bedanke mich recht herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist doch wirklich dummes Zeug, was Sie da erzählen!)


– Das ist kein dummes Zeug.

(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Niemand stellt den persönlich haftenden Unternehmer infrage!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415809300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Lange, SPD-Fraktion.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1415809400
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue
mich darüber, dass wir eine Bundesregierung haben, die
Mittelstandspolitik als Querschnittsaufgabe unserer Poli-
tik versteht,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wen meinen Sie? – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Vor allem schneidet sie die Mittelständler ab!)


und zwar trotz schwieriger Rahmenbedingungen, trotz
Haushaltskonsolidierung – raus aus der Schuldenfalle! –,
trotz unseres steuerlich immerhin sehr teuren Programms
der Steuersenkung. Es ist deshalb kein Wunder – das will
ich Ihnen, Herr Kollege Rauen, auch einmal sagen –, dass
es in Deutschland keinen Mittelständler mehr gibt, der be-
reit wäre, sich nach dem Steuertarif Ihrer Regierung aus
dem Jahr 1998 besteuern zu lassen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, denn erstmals
gehen die Steuern in Deutschland herunter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Schauen Sie doch die Gegenfinanzierung an!)


Ich kann mich auch nur wundern, Herr Rauen, dass Sie
hier wieder einmal das Betriebsverfassungsgesetz ange-
führt haben, weil noch am 11. September 2000, wieder-
holt am 14. September 2000, knapp ein Drittel Ihrer Frak-
tion, nämlich die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU, ein
Positionspapier beschlossen hat – ich habe es hier bei
mir –, in dem auf Seite 8 steht: „Wir treten für ein verein-




Peter Rauen
15410


(C)



(D)



(A)



(B)


fachtes Wahlverfahren in kleinen und mittleren Unterneh-
men bis zu 100 Beschäftigten ein“.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das sind ja schlimmste sozialistische Anwandlungen! Das ist ja furchtbar!)


Hiernach soll die Wahl eines Betriebsrats in einer Wahl-
versammlung erfolgen können, wobei diese selbstver-
ständlich geheim zu erfolgen hat. Ich sage Ihnen: Das war
der Originalentwurf des Kollegen Riester. Er ist aufgrund
von Initiativen, die darauf abzielten, auf kleine und mitt-
lere Unternehmen Rücksicht zu nehmen, geändert wor-
den. Ich frage mich, wo das Drittel Ihrer Fraktion ist, das
eine andere Meinung vertritt.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir wollen wirkliche Mitbestimmung!)


Stattdessen wird hier Politik nach dem Motto „Polemik
vor allem“ betrieben.

Nehmen Sie vor allen Dingen zur Kenntnis, dass der
größte Arbeitgeber des Mittelstandes, nämlich das Hand-
werk, von diesen Änderungen zu 99 Prozent gar nicht be-
troffen ist! Warum nicht? Weil diese Änderungen nur für
Betriebe mit mindestens 100 Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern gelten. 99 Prozent der Handwerksbetriebe
haben weniger als 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Auch daran können Sie erkennen, wie wir im
Hinblick auf die Verhältnisse in kleinen und mittleren Un-
ternehmen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
justiert haben.

Unternehmergeist, Eigenverantwortung, soziale Verant-
wortung und hohe Ausbildungsleistungen haben ganz be-
sonders im Handwerk Tradition. Deshalb entfallen rund
80 Prozent der Gewerbefördermittel, das sind 209 Milli-
onen DM, auf das Handwerk. Das Handwerk ist der größte
Arbeitgeber und auch der größte Ausbilder. Aus diesem
Grunde freut es mich, dass von den UMTS-Milliarden im-
merhin eine viertel Milliarde DM an die Berufsschulen
fließt, um sie fit zu machen und ihnen zu ermöglichen, den
Anschluss an moderne Technologien zu halten.


(Beifall bei der SPD)

Dabei investiert der Bund – auch das will ich einmal sa-
gen, weil es vorhin mehrmals erwähnt wurde – in Baden-
Württemberg im Jahr 2001 23,94 Millionen DM und im
Jahr 2002 10,94 Millionen DM. Wie Sie sehen, profitiert
Baden-Württemberg von dieser Bundesregierung.


(Jörg Tauss [SPD]: Versäumnisse ausgleichen!)


Für den Aufbau einer eigenen Existenz benötigt man
neben dem notwendigen Startkapital auch die Unterstüt-
zung durch sachkompetente Berater.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Billiger geht es wirklich nicht!)


Um den Unternehmen den Zugang zu den oft lebenswich-
tigen Informationen zu erleichtern, werden von uns Bera-
tungs-, Informations- und Schulungsangebote schwer-
punktmäßig gefördert. Allein für das Handwerk sind im
Bundeshaushalt rund 35 Millionen DM vorgesehen. Diese

Förderung wird auch in Zukunft auf hohem Niveau fort-
gesetzt.

Wir haben – der Minister hat es bereits erwähnt – für
den wichtigen und größten Arbeitgeber, das Handwerk,
die Handwerksordnung europafest gemacht. Es ist dank
der Initiative des Bundeskanzlers in der Regierungskon-
ferenz 2000 zu den institutionellen Reformen gelungen,
zunächst die Einstimmigkeit im Bereich der Berufsord-
nungen zu bewahren. Das war die Voraussetzung dafür,
um den nächsten Schritt zu vollziehen, nämlich die so ge-
nannten Guidelines zwischen Handwerk und Bundesre-
gierung zu vereinbaren, die sicherstellen, dass wir auch in
Zukunft das Handwerk in Deutschland auf hohem Qua-
litätsniveau erhalten können. Das ist ein weiterer Erfolg
dieser Bundesregierung. Diese Politik wird dazu führen,
dass wieder mehr Gesellen bereit sind, den Meister zu ma-
chen und im Anschluss den Schritt in die Selbstständig-
keit zu wagen.

Es freut mich ganz besonders, dass wir im Hinblick auf
die Reform des Meister-BAföGs Ende dieses Monats zu
einer Einigung kommen werden. Die Förderung wurde
bereits in diesem Jahr um 10 Millionen DM auf 80 Milli-
onen DM erhöht. Wir werden weitere große Schritte vo-
rangehen. Darüber haben wir eine Einigung getroffen, die
für die folgenden Jahre gilt. Mit der Novellierung werden
der Kreis der Geförderten und der Anwendungsbereich
der Förderung erweitert, die Leistungen werden verbes-
sert, die Familien- und Existenzgründerkomponente wird
verstärkt und es wird auf eine vermehrte Teilhabe von aus-
ländischen Fachkräften hingewirkt. Außerdem wird das
Verwaltungsverfahren vereinfacht. Zum Beispiel werden
zukünftig die Kosten des Meisterstücks ein Teil des Darle-
hens sein und ebenfalls bis maximal 3 000 DM in die För-
derung einbezogen.

Wir werden darüber hinaus eine entsprechende Exis-
tenzgründungskomponente einbauen, gerade weil wir
der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass in den nächs-
ten fünf Jahren 500 000 Betriebe in Deutschland zur
Übernahme anstehen. Wir wollen alles dafür tun, dass die-
jenigen, die den Mut zu einer solchen Übernahme haben,
eine entsprechende finanzielle Unterstützung bekommen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es werden nicht mehr viele sein!)


Deswegen werden wir den Darlehenserlass auf 75 Prozent
erhöhen. Dadurch stellen wir sicher, dass die Mutigen es
packen und sagen können: Jawohl, ich wage es; in
Deutschland lohnt es sich, Handwerker und Handwerks-
meister zu werden.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin guter Hoffnung, dass wir auf dem Weg, die Mit-

telstandspolitik als Querschnittsaufgabe zum Wohle von
Handwerk und Mittelstand voranzubringen, weitergehen
können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das alles war Blech, so wie Ihr Amtszeichen!)





Christian Lange (Backnang)


15411


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415809500
Jetzt hat der Kollege
Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415809600
Verehrte Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige
Debatte ist längst überfällig. Nicht ein einziges Mal in die-
ser Wahlperiode wurde das Thema Mittelstand im Rah-
men einer Debatte auf die Tagesordnung gesetzt.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


Die letzte Mittelstandsdebatte, die wir hier führten, liegt
etwa fünf bis sechs Jahre zurück.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Ihre Fraktion schläft! Wir handeln und Sie schlafen!)


Ich bedauere es sehr, dass bei dieser Mittelstandsde-
batte der Bundeswirtschaftsminister Müller nicht zugegen
ist. Welche Bedeutung misst er dem Mittelstand bei,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

wenn er sich nicht einmal drei Stunden Zeit nimmt, um
dabei zu sein, wenn hier einiges zurechtgerückt wird, was
er an Falschem von sich gegeben hat?


(Widerspruch bei der SPD)

Seine Rede, meine Kolleginnen und Kollegen, hat sich
nämlich im Wesentlichen auf Zulieferbetriebe beschränkt.
Zum Mittelstand selbst hat er relativ wenig gesagt. Es war
enttäuschend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Sie haben den Wahlkampf

mit dem Slogan geführt, dass Sie etwas für die Neue Mitte
tun wollten, und damit auch die Wahlen gewonnen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Fehlanzeige! – Jörg Tauss [SPD]: Na sehen Sie, schon haben wir gewonnen! – Weitere Zurufe von der SPD)


Sie lösen Ihr Versprechen durch moderne Folterinstru-
mente ein:


(Jörg Tauss [SPD]: Steuerreform!)

Erstens. Das 630-DM-Gesetz hat sich als reiner Kos-

tentreiber, als Bürokratiemonster, als Arbeitsplatzver-
nichter und Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit ent-
puppt.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)

Zweitens. Seit der Rücknahme der Kürzungen bei der

Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ist die Kranken-
quote wieder im Steigen begriffen.

Drittens. Durch die Schaffung des Gesetzes gegen die
so genannte Scheinselbstständigkeit wurde eine ganze
Generation von Existenzgründern abgestraft und es wur-
den Menschen ohne Not in die Arbeitslosigkeit getrieben
bzw. vertrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Schnee von vorgestern!)


– Herr Kollege Staffelt, wir waren früher einmal stolz da-
rauf, Fachleute in alle Welt zu schicken; heute müssen wir
sie aus aller Welt holen, weil Sie eine so fehlerhafte Poli-
tik machen.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Weil es hier so viele Aufträge gibt! – Jörg Tauss [SPD]: Eure Versäumnisse! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Weil Sie nicht ausgebildet haben!)


Vierter Problembereich, meine verehrten Kolleginnen
und Kollegen: Auch durch die Einschränkung befriste-
ter Arbeitsverhältnisse wurde der Mittelstand belastet.
Die Unternehmer können nicht mehr so flexibel wie bis-
her auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Situation
in ihren Betrieben reagieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)

Fünftens. Die mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeit-

arbeit in Zusammenhang stehende Einführung eines
„Teilzeitzwangs“ ist verheerend. In den Betrieben ist
keine vernünftige langfristige Personalplanung mehr
möglich.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach, das glauben Sie doch selbst nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Hören Sie zu, damit Sie aus dem Gehörten etwas lernen
und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen können.
Wenn Sie Anmerkungen haben, melden Sie sich bitte zu
einer Zwischenfrage. Ich bin gerne bereit, sie zuzulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Redezeitverlängerung? Das würde Ihnen gefallen!)


Sechster Problembereich: die Steuerreform.Von mei-
nen Vorrednern Gunnar Uldall, Hansjürgen Doss und
Peter Rauen wurde bereits darauf verwiesen: Es führt ein-
fach zu einer Benachteiligung des klassischen mittelstän-
dischen Personenunternehmers, wenn er anders besteuert
wird als ein Kapitalunternehmen.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)

Hier haben Sie sich auch wieder gegen den Mittelstand
entschieden und nichts Gutes für ihn gemacht.


(Peter Dreßen [SPD]: 30 Milliarden DM!)

Siebtens. Das Gleiche gilt für die Verschlechterung bei

den Abschreibungen. Die massive Verlängerung der Ab-
schreibungsfristen, zum Teil um fast 30 Prozent, macht
praktisch die durch die Steuerreform erreichten Entlas-
tungen eines mittelständischen Betriebes wieder zunichte.


(Jörg Tauss [SPD]: Unfug!)

Achtens: die Ökosteuer. Ich nenne ein Beispiel aus

dem Hotellerie- und Gastronomiebereich. Bei einem Be-
trieb mit bis zu 40 Betten schlägt sich die Ökosteuer in
Form einer Zusatzbelastung in Höhe von fast 10 000 DM
pro Jahr nieder. Diese muss umgelegt werden. Das Geld
fällt doch nicht wie Manna vom Himmel; es muss ir-
gendwo herkommen. In diesem Bereich geht das nur, in-
dem es auf die Preise draufgeschlagen wird. Dadurch wird
Urlaub in Deutschland nicht billiger, sondern zu guter






(C)



(D)



(A)



(B)


Letzt teurer. Dies steht im Gegensatz zum Jahr des Tou-
rismus in Deutschland, das so vollmundig vom Bundes-
wirtschaftsminister verkündet wurde.

Neuntens: die Novellierung des Betriebsverfassungs-
gesetzes. Ich erspare es mir, hier weitere Einzelheiten an-
zusprechen, weil die Probleme hier schon umfangreich
dargestellt wurden. Eines aber möchte ich Ihnen, verehrte
F
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1415809700

Sagen Sie Ihren Ministern, sie sollten einmal ein Prakti-
kum in einem kleinen Betrieb machen. Dann haben sie ein
besseres Feeling und mehr Verständnis für die Probleme
des Mittelstandes. Sie können dann auch feststellen, dass
Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Boot sitzen, ge-
meinsam an einem Strang ziehen und nicht unbedingt auf
ein neues Betriebsverfassungsgesetz warten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Herr Riester ist Handwerksmeister!)


Es gibt hier – das möchte ich feststellen – Verschlech-
terungen am laufenden Band. Die jetzige Opposition hat
Großartiges für den Mittelstand geleistet.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh!)

Die Regierungsparteien dagegen haben sich wahrlich als
„Meister gegen den Mittelstand“ entpuppt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Jetzt backen Sie mal kleinere Brötchen!)


Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Bedeu-
tung, die Sie dem Mittelstand tatsächlich beimessen, nicht
der Wirtschaftsleistung der mittelständischen Betriebe in
unserem Land entspricht. Im Gegenteil: In der Praxis
schwanken Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
Rot-Grün, zwischen einer glasklaren Gewerkschaftspoli-
tik und Ihrer unverkennbaren Sympathie für Großbe-
triebe. Wer bleibt bei diesem konzeptionslosen Hin und
Her auf der Strecke? – Das ist doch niemand anderer als
der Mittelstand.


(Jörg Tauss [SPD]: Das sehen die aber anders!)


Es ist doch nicht wegzudiskutieren: Seit dem Regierungs-
antritt unternimmt die Schröder-Regierung alles nur Er-
denkliche, um dem Mittelstand das Leben schwer zu ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Das ist Unfug, was Sie erzählen!)


Ist das der Dank an die Neue Mitte?
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bun-

desregierung eine Mittelstandsbeauftragte berufen hat.
Wenn Sie, verehrte Frau Wolf, Ihre zentrale Aufgabe zu
Beginn Ihrer Tätigkeit so umschreiben – ich zitiere –: „Es
muss chic werden, selbstständig zu sein“, dann klingt das
zwar sehr populär. Aber mit der Realität hat das bislang
wenig zu tun.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir handeln auch danach! Sie sind nur neidisch!)


Wissen Sie, warum? Ich will Ihnen die entsprechenden
Zahlen nennen – Sie, verehrter Herr Kollege Staffelt, ha-
ben vorhin falsche Zahlen genannt –: Im ersten Halbjahr
2000 ist die Zahl der Unternehmensgründungen in
Deutschland um über 8 Prozent zurückgegangen. Das
sind 30 000 Existenzgründungen weniger als im gleichen
Zeitraum des Vorjahres.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die habt ihr niedergemacht!)


Wir brauchen ein besseres Klima für die Selbststän-
digen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


In Amerika werden junge, erfolgreiche Menschen mit
Beifall überhäuft. Bei uns werden sie mit Neid und Miss-
gunst überschüttet. Wir müssen zusammenarbeiten, um
dies zu ändern. Leistung muss sich wieder lohnen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])

Im Übrigen: Ein Volk, das aufhört, seine Leistung zu ver-
bessern, muss anfangen, sich an eine schlechtere Lebens-
qualität zu gewöhnen. Auch diese Tatsache muss man in
das Gedächtnis eines jeden Einzelnen rufen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zudem belegt eine aktuelle Studie, dass die 100 größ-

ten Konzerne in diesem und im letzten Jahr über 50 000
Arbeitsplätze abgebaut haben, Herr Kollege Staffelt. Die
mittelständischen und kleinen Betriebe haben im gleichen
Zeitraum fast 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen.


(Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das ist doch gut! Wir freuen uns! – Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein Erfolg dieser Regierung!)


– Einen Moment, bitte. – Deshalb weise ich besonders da-
rauf hin, dass wir dem Mittelstand noch mehr Bedeutung
beimessen müssen, als dies bislang der Fall ist.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das ist ja schon ein Fortschritt!)


Ich gebe denjenigen Recht, die zum Beispiel jüngst in
verschiedenen Zeitungen, so in der „Welt“ vom 21. Fe-
bruar 2001, hinsichtlich der Mittelstandspolitik geschrie-
ben haben: „Das Fass ist voll!“


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das Glas auch!)


Es gilt daher, Maßnahmen zu ergreifen, um die Flexibi-
lität und die Kreativität jedes Einzelnen besonders zu för-
dern. Kollege Rauen hat dies eben in seiner Rede ausgie-
big getan. Ich möchte das noch einmal nachdrücklich
unterstreichen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es ist trotzdem falsch!)


In der heutigen Zeit ist es dringend erforderlich, dass
wir die New und Old Economy verschmelzen und als
eine Einheit sehen. Der Fleischermeister um die Ecke hat
genau die gleichen Probleme wie der modernste High-
techbetrieb.




Ernst Hinsken

15413


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415809800
Herr Kollege, denken
Sie bitte an Ihre Redezeit.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1415809900
Jawohl, Frau Präsiden-
tin, das mache ich gerne.

Ich möchte zum Schluss noch darauf hinweisen, dass
vor allen Dingen für den Mittelstand der Leistungsge-
danke ein wesentliches Element ist.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Was ist denn nun mit dem Fleischer?)


Soziale Gerechtigkeit heißt, den Leistungswilligen nicht
zu bestrafen, sondern zu bevorzugen. Das heißt für mich,
die Faulen und Bequemen nicht zu unterstützen, sondern
den wirklich Schwarzen


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Den „Schwarzen“! – Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


– den Schwachen! – zu helfen. Wer fleißig ist und etwas
bringt, hat es langsam satt, dass andere es sich auf seine
Kosten gut gehen lassen.

Ich meine, dass gerade Sie von den momentanen Re-
gierungsparteien endlich umsteuern und eine Mittelstands-
politik auflegen müssen, die von den Mittelständlern als
positiv anerkannt wird, damit diese wieder atmen können,
damit sie sich weiter entfalten können, damit sie die He-
rausforderungen der Gegenwart und der Zukunft anzu-
nehmen in der Lage sind, was zurzeit nicht der Fall ist,
weil Sie dem Mittelstand in den letzten zweieinhalb Jah-
ren so viel Negatives angetan haben.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415810000
Als Letztem in dieser
Runde erteile ich dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-
Fraktion, das Wort.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Jetzt erkläre uns mal, wie wir den Schwarzen helfen können!)



Reinhard Schultz (SPD):
Rede ID: ID1415810100
Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den
wirklich Schwarzen helfen – das finde ich eine tolle Ta-
gesparole. Herr Hinsken, darum geht es Ihnen natürlich.
Sie haben ein großes Problem damit, dass die Wahrneh-
mung Ihrer Zielgruppe, nämlich des Mittelstandes, von
der Wirklichkeit in Deutschland eine völlig andere ist, als
Sie sie hier beschreiben. Sie bekommen das auch nicht
mehr zusammen. Sie malen im Grunde genommen nur
schwarz, obwohl Ihre eigenen Leute natürlich zur Kennt-
nis nehmen, dass über Steuerreform, über Meister-
BAföG, über viele andere Wege tatsächlich etwas für die
sehr vielen mittelständischen Existenzen und für die Ein-
zelkaufleute im Lande getan worden ist.


(Beifall bei der SPD)

Da hilft es auch überhaupt nichts, wenn Sie sich hier

hinstellen und – mit zum Teil sehr bösartigen persönlichen
Angriffen – versuchen, sich gegenüber der neuen Mittel-
standsbeauftragten ins Bild zu setzen. So toll finde ich

das nicht, Herr Brüderle. Ich halte Sie eigentlich für einen
ganz netten Kerl. Aber wenn Sie zum Beispiel Minister
Müller vorwerfen, er sei ein Monopolminister, weil er in
einem großen Unternehmen unternehmerische Verant-
wortung getragen hat,


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Auf jeden Fall ist er nicht mehr da!)


dann könnte man vielleicht darüber lächeln, wenn Ihre ei-
gene Vita eine große unternehmerische Heldengestalt aus-
weisen würde. Aber Sie waren sehr erfolgreich im öffent-
lichen Dienst, vom Anfang bis zum Ende.


(Beifall des Abg. Dr. Ditmar Staffelt [SPD])

Auf welcher Seite der Ladentheke Sie – außer beim Bröt-
chenholen – gestanden haben, bleibt mir aufgrund Ihrer
Vita verborgen.


(Beifall bei der SPD)

Das darf man doch wohl einmal sagen. Ich finde, man
sollte Kritik nur dann anbringen, wenn man selbst etwas
Besseres zu bieten hat.

Ich bedanke mich ausdrücklich bei Frau Wolf, der
neuen Mittelstandsbeauftragten, für ihren Einstieg vor
dem Parlament, den ich für gelungen halte und der eine
gute Basis ist, unsere Mittelstandspolitik weiterzuent-
wickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist völlig schäbig, das abzuqualifizieren. In dieser Rede
waren eine Menge guter neuer Gedanken enthalten, die
wir auch im Parlament weiter verfolgen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Mittelpunkt fast aller Oppositionsredner stand wie-
der das Märchen, die Steuerreform habe dem Mittelstand
und den Personengesellschaften geschadet und nütze
lediglich den großen Kapitalgesellschaften. Dieses Mär-
chen ist völliger Blödsinn; es ist reiner Quatsch. Die meis-
ten Unternehmen sind Personengesellschaften, die ein-
kommensteuerpflichtig sind. Vor allem sie profitieren
vom abgesenkten Tarif und vom flacheren Tarifverlauf.
Wir senken den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf
15 Prozent im Jahr 2005, den Spitzensteuersatz von
53 Prozent auf 42 Prozent


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Jetzt zahlen und zukünftig werden sie entlastet! Was ist das denn für eine Politik?)


und wir erhöhen den Grundfreibetrag von 12 300 DM auf
15 000 DM. Das verändert die Kulisse für diejenigen, die
einkommensteuerpflichtig und zugleich unternehmerisch
tätig sind, ganz gewaltig. Darüber hinaus – das ist für viele
ganz entscheidend und schafft die Parität zu den Kapital-
gesellschaften – haben wir die Möglichkeit geschaffen,
die Gewerbesteuer faktisch vollständig mit der Einkom-
mensteuerschuld zu verrechnen. Dadurch stehen die
Personengesellschaften auch rechnerisch deutlich günsti-
ger da als die Kapitalgesellschaften.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


50 Prozent aller Personenunternehmen verdienen we-
niger als 50 000 DM; das darf man dabei nicht vergessen.
75 Prozent verdienen weniger als 100 000DM, 95 Prozent
weniger als 250 000 DM. Kapitalgesellschaften werden
durch Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solida-
ritätszuschlag mit etwa 38 Prozent belastet. Ein verheira-
teter Personenunternehmer müsste am Ende eines Jahres
480 000 DM übrig haben, um eine solche steuerliche Be-
lastung zu erreichen. Da aber 95 Prozent unter
250 000 DM liegen, kann man hier doch nicht ernsthaft
davon sprechen, dass Personengesellschaften benachtei-
ligt seien. Das Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Lieber Herr Rauen, wenn Sie jetzt wieder das alte Mär-
chen von den guten und schlechten Gewinnen herauskra-
men und einer Situation hinterher trauern, in der be-
stimmte gut verdienende Gestalten der Zeitgeschichte ihre
persönliche Steuerschuld selbst festsetzen konnten, indem
sie Abschreibungsmodelle und Verlustverrechnungen
in willkürlicher Größenordnung in Anspruch nehmen
konnten, dann herzlichen Glückwunsch! Ich bin genauso
wie die meisten ehrlichen Handwerker und Einzelunter-
nehmer sehr dankbar dafür, dass dieser Missbrauch im
Steuerdschungel endlich beendet ist und die Steuern jetzt
entsprechend der Leistungsfähigkeit gezahlt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Übrigen werden Verlustabschreibungen nicht un-
möglich gemacht; wir begrenzen lediglich die Verlust-
übertragung von einer Einkunftsart auf die andere der Höhe
nach für ein Jahr. Insgesamt werden die Verluste im Laufe
der Jahre natürlich – wie in der Vergangenheit auch – ge-
gen die positiven Einkünfte verrechnet werden können. Wir
haben allerdings den Missbrauch abgestellt. Das war ein
ganz wesentlicher Beitrag dazu, dass wir überhaupt in der
Lage waren, die Tarife so zu senken, wie wir es jetzt getan
haben, was sowohl für die abhängig Beschäftigten als auch
den vielen Einzelunternehmen und Personengesellschaften
zugute kommt.

Diese steuerliche Kulisse – gerade die Heraufsetzung
der Grundfreibeträge – ist eine gute Grundlage für junge
selbstständige Existenzen. Ich bin fest davon überzeugt,
dass wir einen riesigen Nachholbedarf haben – Frau Wolf
hat es dargestellt; in dem Entschließungsantrag der Ko-
alition steht es auch –, was die Frage der Selbstständigen
in Deutschland angeht. Hier gibt es noch eine große Last
aus früheren Jahren. Bei uns beträgt der Anteil der
Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen
nur 10 Prozent. Der europäische Schnitt liegt bei 15 Pro-
zent; andere Länder im Mittelmeerraum liegen aufgrund
ihrer Strukturen bei 25 Prozent, teilweise bei 32 Prozent.
Wir sollten uns zum Ziel setzen, den europäischen Durch-
schnitt von 15 Prozent tatsächlich zu erreichen. Dies
würde nicht nur eine Menge Kreativität freisetzen und
eine Menge Wertschöpfung ermöglichen, sondern es wäre
auch gerade in strukturschwächeren Gebieten ein ganz
entscheidender Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn die Selbstständigen sowie diejenigen, die sie be-
schäftigen, schaffen den Ersatz dafür, dass andere Struk-
turen allmählich wegbrechen. Das gilt für Ostdeutsch-
land, aber auch für Kohlereviere an Rhein und Ruhr. Ich
kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen – in meinem
Wahlkreis wurde vor einem halben Jahr ein Steinkohlen-
bergwerk geschlossen –, dass die herkömmlichen Instru-
mente der Arbeitsmarktpolitik nicht helfen. Wir können
für diejenigen, die im System sind, alles sozialverträglich
regeln; den jungen Leuten, die in den Arbeitsmarkt drän-
gen, müssen wir etwas anderes anbieten. Das wird neuer
Mittelstand, neue Selbstständigkeit sein. In diese Rich-
tung wird unsere Regierungspolitik sowohl in dieser als
auch in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415810200
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zu den Abstimmungen und Über-
weisungen.

Tagesordnungspunkt 3 a: Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/5485 zur feder-
führenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie sowie zur Mitberatung an den Rechtsaus-
schuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung, den Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, den Ausschuss für Angelegenheiten
der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung, den Ausschuss für Tou-
rismus, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro-
päischen Union und den Haushaltsausschuss zu überwei-
sen. – Dazu gibt es keine weiteren Vorschläge. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa-
che 14/5572. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.

Zusatzpunkte 2 und 3: Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlagen auf Drucksachen 14/5545 und 14/5559
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 d sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
23a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstel-
lung soldatenversorgungsrechtlicher und anderer

(Elftes Euro-Einführungsgesetz)

– Drucksache 14/5436 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss




Reinhard Schultz (Everswinkel)


15415


(C)



(D)



(A)



(B)


b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 22. September 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Groß-
herzogtum Luxemburg über Zusammenarbeit
im Bereich der Insolvenzsicherung betriebli-
cher Altersversorgung
– Drucksache 14/5439 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstel-
lung auf Euro-Beträge im Lastenausgleich und zur

(LAG-EuroUmstellungsund Anpassungsgesetz – LAGEUAnpG)

– Drucksache 14/5440 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Finanzausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit
Wetzel, Reinhard Weis (Stendal), Hans-Günter
Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
ILO-Übereinkommen über die soziale Betreu-
ung der Seeleute ratifizieren
– Drucksache 14/5247 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 4 (Ergänzung zu TOP 23)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Marie-Luise Dött, Cajus Caesar, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Prüfung der Umweltverträglichkeit den Erfor-
dernissen einer modernen Umweltpolitik an-
passen
– Drucksache 14/5546 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Damit sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zur Beschlussfassung über eine
Reihe von Punkten, zu denen keine Aussprache vorgese-
hen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und derTschechi-
schen Republik über die Ergänzung des Euro-
päischen Übereinkommens über die Rechts-
hilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die
Erleichterung seiner Anwendung
– Drucksache 14/5011 –

(Erste Beratung 143. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und derTschechi-
schen Republik über die Ergänzung des Euro-
päischen Auslieferungsübereinkommens vom
13. Dezember 1957 und die Erleichterung sei-
ner Anwendung
– Drucksache 14/5012 –

(Erste Beratung 143. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5563 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hedi Wegener
Norbert Geis

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5563 die
Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5011.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Stimm-
enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthal-
tung der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung der PDS angenommen.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5563 die
Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5012.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Stimm-
enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in dritter Beratung einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 24 b der Tagesordnung auf:




Vizepräsidentin Anke Fuchs
15416


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung von Vorschriften im land- und

(Fünftes Euro-Einführungsgesetz)

– Drucksache 14/4555 –

(Erste Beratung 146. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

(10. Ausschuss)

– Drucksache 14/5460 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Meinolf Michels

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genprobe! – Stimmenthaltungen? – Dieser Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Es folgt die
dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es
gibt keine Gegenstimmen und keine Stimmenthaltungen.
Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Ich rufe Punkt 24 c der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Büttner

(Schönebeck), Dr. Paul Krüger, Günter Nooke,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Einsatz von Bildauswertungssystemen bei der
Rekonstruktion vorvernichteter Stasi-Unterla-
gen
– Drucksachen 14/3770, 14/5430 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Schröter
Hartmut Büttner (Schönebeck)

Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/3770 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthaltun-
gen? – Der Beschluss ist einstimmig für erledigt erklärt
worden.

Ich rufe Punkt 24 d der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag
zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesver-
fassungsgericht
– Drucksache 14/5348 –

Der Ausschuss empfiehlt, zu den in der Übersicht 7 auf
Drucksache 14/5348 aufgeführten Streitsachen vor dem
Bundesverfassungsgericht von einer Äußerung oder ei-
nem Verfahrensbeitritt abzusehen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Stimmenthal-
tungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.

Ich rufe Punkt 24 e der Tagesordnung auf.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 248 zu Petitionen
– Drucksache 14/5468 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Bei Enthaltung der PDS ist die
Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 248 ange-
nommen.

Ich rufe Punkt 24 f der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 249 zu Petitionen
– Drucksache 14/5469 –

Wer stimmt dafür? – Alle stimmen dafür. Damit ist die Be-
schlussempfehlung zur Sammelübersicht 249 angenom-
men.

Ich rufe Punkt 24 g der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 250 zu Petitionen
– Drucksache 14/5470 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Bei einigen Enthaltungen und ei-
nigen Gegenstimmen ist die Beschlussempfehlung zur
Sammelübersicht 250 angenommen.

Ich rufe Punkt 24 h der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 251 zu Petitionen
– Drucksache 14/5471 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung zur
Sammelübersicht 251 ist angenommen.

Ich rufe Punkt 24 i der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 252 zu Petitionen
– Drucksache 14/5472 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung zur
Sammelübersicht 252 ist angenommen.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

15417


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe Punkt 24 j der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 253 zu Petitionen
– Drucksache 14/5473 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Auch die Beschlussempfehlung
zur Sammelübersicht 253 ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

rung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
1999 – Ergebnis des forstlichen Umweltmo-
nitoring –

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung
1999 – Ergebnis des forstlichen Umweltmo-
nitoring –

– Drucksachen 14/3090, 14/3095, 14/4235 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heidi Wright

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Waldzustandsbericht der Bundesregierung
2000 – Ergebnis des forstlichen Umweltmo-
nitoring –

– Drucksache 14/4967 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus

Zum Waldzustandsbericht liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. –
Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Wir kommen also jetzt zum Waldzustandsbericht. Wer
hier bleiben möchte, möge sich hinsetzen; wer bedauerli-
cherweise den Raum verlassen will, möge sich dabei be-
eilen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Heidi Wright für die SPD-Fraktion.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1415810300
Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer glaubt,

jetzt, bei der Debatte zum Waldzustandsbericht, etwas ent-
spannt wegnicken zu können, den muss ich enttäuschen.
Dem Wald geht es nicht gut. Es geht ihm seit Jahren, seit
Jahrzehnten schlecht. Nach einer gewissen Stagnation und
Erholung nach der deutschen Wiedervereinigung ist jetzt
erneut ein leichter Anstieg der Schäden zu verzeichnen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das liegt an der Regierung!)


Die neuartigen Waldschäden kommen in die Jahre; wir
haben sie keinesfalls besiegt. Nationalen Anstrengungen
und Erfolgen bei den Luftreinhaltemaßnahmen folgen in-
ternationale Rückschläge und Misserfolge. Die Bun-
desregierung hat Ende letzten Jahres ein Klimaschutz-
programm aufgelegt und somit den Schutz des Klimas
und den Schutz des Waldes zu einer Kernaufgabe rot-grü-
ner Regierungspolitik gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Was ist denn der Kern?)


Die Führungsrolle der Bundesregierung und das Vo-
rangehen mit den nationalen Programmen sind von be-
sonderer Bedeutung. Denn die 6. Weltklimakonferenz im
November in Den Haag zeigte die ernüchternde Lethargie
der internationalen Weltgemeinschaft. Es nutzt uns nichts,
auf die anderen zu warten; wir müssen selbst handeln.

Dem Klimaschutzprogramm vom Oktober 2000 mit
dem Ziel der weiteren verstärkten CO2-Minderung gingdas gesamte Paket zur Förderung erneuerbarer Energien
und das EEG voraus. Es folgten das Förderprogramm zur
CO2-Minderung im Gebäudebestand, das Altbausanie-rungsprogramm und die Energieeinsparverordnung. Das
ist alles in allem ein starkes Paket mit einer klaren politi-
schen Zielrichtung.


(Beifall des Abg. Matthias Weisheit [SPD])

Die neue Energiepolitik setzt auf Energieeinsparung, auf
Energieeffizienz und somit auf Luftreinhaltung und Kli-
maschutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ferner setzt die neue Energiepolitik auf den Einsatz er-
neuerbarer Energien.

Alles dies kommt dem Wald und der Forstwirtschaft
mittelbar oder unmittelbar zugute,


(Albert Deß [CDU/CSU]: Bayern hat die meisten Biomassekraftwerke!)


zum einen durch Reduzierung der Umweltbelastungen,
zum anderen durch verbesserten Absatz des nachwach-
senden Rohstoffs Nummer eins, des Holzes.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und die Kerntechnik schafft ihr ab! – Gegenruf des Abg. Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist die Kernaufgabe!)


Mit großer Begeisterung, sehr verehrte Kolleginnen
und Kollegen, kann ich Ihnen von der Kampagne der Bay-
ern-SPD berichten. Unter dem Motto „Schalt´ die Zukunft




Vizepräsidentin Anke Fuchs
15418


(C)



(D)



(A)



(B)


ein“ ziehen wir mit der neuen Energiepolitik, mit Sonne,
Biomasse, Windkraft und mit guter Stimmung durchs
Land. Wir erreichen nicht nur innovative Häuslebauer und
Häuslesanierer; wir erreichen die Handwerker, die
Agenda-21-Gruppen und insbesondere die Waldbesitzer,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Gut, dass die davon nichts wissen!)


die Forstbetriebsgemeinschaften und den Holz- und
Brennstoffhandel. Holzhackschnitzel und Holzpellets fei-
ern fröhliche Urständ und die Nachfrage boomt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist zum einen Folge der Preisentwicklung auf dem
Mineralölmarkt, aber insbesondere auch Folge der zielge-
richteten Förderpolitik der Bundesregierung. Bei einem
Preisäquivalent zum Liter Heizöl von rund 30 Pfennig bei
Holzhackschnitzeln und rund 60 Pfennig bei Holzpellets
rechnen sich die Neuanschaffung und Umrüstung auf
Holz für zukunftsorientierte Energieverbraucher allemal.

Ich hatte letzte Woche eine tolle Veranstaltung mit den
Unterglasgärtnern. Die befinden sich in besonderer
Drangsal. Wir tun viel für sie.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Die werden doch nirgends so benachteiligt wie in Deutschland!)


Aber auch die tun etwas: Sie setzen unsere innovativen
Regierungsvorlagen in der praktischen Anwendung um.
Sie werden auf Holzhackschnitzel umsteigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Krux ist natürlich, dass der deutsche Angebots-
markt für Technik und für Holzpellets wegen der Ver-
säumnisse in der Vergangenheit und der sträflichen Ver-
nachlässigung des Energieträgers Holz arg zurückliegt.
Aber die Aufbruchstimmung greift: Die Branche etabliert
sich auch in Deutschland. Das zeigt sich an Angebot und
Nachfrage, zum Beispiel auch an der Holz-Energie 2001,
einer Fachmesse, die in Deutschland erstmalig als Leit-
messe zum Thema Holzenergie stattfinden wird.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Dort wird der Holzvergaser wieder eingeführt!)


Doch ich will noch einmal auf den Waldzustandsbe-
richt 2000 und die unabdingbare Notwendigkeit weiterer
Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung
der Waldpolitik zurückkommen. Ich will vier Punkte nen-
nen:

Erstens. Im Verkehrsbereich, der nach wie vor mit ei-
ner der Hauptverursacher von Emissionen ist, machen wir
Fortschritte. Die verkehrsbedingten Schadstoffbelas-
tungen gehen zwar trotz der Reduzierung des Flotten-
verbrauchs und verbesserter Abgasminderungstechniken
nicht zurück. Die frohe Botschaft aber lautet: Die Öko-
steuer greift.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Bei den Bürgern, wo Sie sie abräumen!)


Klar betont werden muss jedoch: Gerade im Verkehrsbe-
reich sind weitere Reduzierungsmaßnahmen dringend
notwendig.

Zweitens. Auch die aus der Landwirtschaft emittierten
Ammoniakfrachten sind zu verringern. Wenn nicht jetzt,
wann dann wollen und müssen wir die Landwirtschafts-
politik stärker auf den Prüfstand der Umweltverträglich-
keit, der Schadstoffminderung und somit des Klima-
schutzes stellen?

Drittens. Mit der Auflage eines Nationalen Forstpro-
grammes ist der gesellschaftliche Dialog zur Förderung
nachhaltiger Waldpolitik verbreitert worden. Dieser Dia-
log ist konkret fortzuentwickeln. Deutschland als rele-
vantes Waldland in Europa kann und muss im internatio-
nalen Dialog mit dem Nationalen Forstprogramm
Zeichen für eine verbesserte Waldpolitik setzen.

Viertens und letztens. Was wäre die Walddebatte in der
heutigen Zeit, am heutigen Tag, ohne Blick auf die Ver-
braucher und ohne die Mithineinnahme der Bevölkerung
und der Gesellschaft in den Schutz des Ökosystems?
Dafür muss der Verbraucher jedoch mehr sehen als den
schweigenden Wald, den er in Buche, Eiche und Fichte
unterscheidet und dessen Schutz und naturnahe Bewirt-
schaftung ihm ein Anliegen ist.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Oh, hätte der Wald lieber geschwiegen!)


Eine Forstzertifizierung ist ein modernes Instrument
zur Imageverbesserung durch die Darstellung naturnaher
Waldwirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die moderne Verbraucherin weiß inzwischen, dass Ver-
trauen gut, Kontrolle aber besser ist. Deshalb werden auch
an Forstzertifizierungsverfahren hohe Ansprüche im Hin-
blick auf Transparenz und Glaubwürdigkeit gestellt. Die
Zertifizierung soll die Forstwirtschaft zu einer stetigen
Verbesserung ihrer Bewirtschaftungspraktiken anregen.

Seitens der jetzigen Regierungsfraktionen wurde die
Notwendigkeit eines anspruchsvollen Zertifizierungssys-
tems bereits vor Jahren erkannt. Diesen Prozess werden
wir auch in Zukunft begleiten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Mein Wald ist schon lange zertifiziert!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415810400
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Peter Bleser, CDU/CSU-Fraktion.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1415810500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Wald ist ein Bioindikator.
Kranke Bäume zeigen an, in welchem Zustand sich unsere
Umwelt und speziell unsere Atmosphäre befinden.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr aber spät erkannt!)





Heidemarie Wright

15419


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Menschen atmen die gleiche Luft wie die Bäume im
Wald. Insofern ist der Schutz des Waldes auch ein Schutz
des Menschen. Dies war immer Grundlage einer CDU-Um-
weltpolitik in der Vergangenheit und wird es auch in Zu-
kunft sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wald hat aber nicht viel davon gemerkt!)


Aus dem diesjährigen Waldzustandsbericht wird deut-
lich, dass der Anteil der erhebliche Schäden aufweisenden
Bäume in den 90er-Jahren von 30 Prozent in 1991 auf
21 Prozent in 1998 zurückgegangen ist.


(Heidemarie Wright [SPD]: Deutsche Einheit! – Gegenruf des Abg. Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wer hat denn die deutsche Einheit verwirklicht?)


Seit 1998 haben wir wieder einen Anstieg auf nunmehr
23 Prozent zu verzeichnen. Ich will Ihnen diesen Anstieg
gar nicht anlasten; das tue ich nicht. Aber es ist nicht zu
verkennen, dass wir eine Fortsetzung des positiven Trends
nicht mehr verzeichnen können – und das wiederum laste
ich dieser rot-grünen Regierung an.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auffällig ist, dass die Schäden in den Fichten- und Kie-

fernwäldern deutlich zurückgegangen sind, und zwar un-
ter das Niveau von 1984. Dagegen haben wir in den Laub-
wäldern Steigerungen bis auf 40 Prozent, was sehr zu
beklagen ist.

Wir können also eine allgemeine Tendenz zur Verbes-
serung des Waldzustandes feststellen; aber von Entwar-
nung – darin sind wir uns wohl alle einig – können wir bei
weitem nicht sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Tatsache aber, dass wir den heutigen Zustand erreicht
haben, verdanken wir der größten, konsequentesten und
erfolgreichsten Umweltpartei Deutschlands, nämlich der
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es waren unsere umweltpolitischen Leistungen in
den 80er- und 90er-Jahren, die zu einer Reduzierung der
Schäden geführt haben. Ich nenne unser Aktions-
programm „Rettet den Wald!“ von 1983. Ich erinnere an
das Bundes-Immissionsschutzgesetz, an die Großfeu-
erungsanlagen-Verordnung, die TA Luft von 1986, die
Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, die wir 1996 noch
einmal verschärft haben. Ich erinnere an den Katalysator.
Ich erinnere an die Einführung des schadstoffarmen Die-
sel und ich erinnere an das Ozongesetz von 1995. Ich er-
innere auch an die sehr erfolgreiche Einführung der
schadstoffbezogenen Kfz-Steuer von 1997, die ein
Riesenerfolg war und zu einem großen Boom von Autos
mit geringem Benzinverbrauch geführt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Darüber hinaus haben wir auf zahlreichen internatio-
nalen Konferenzen – insbesondere mit unseren Umwelt-
ministern Töpfer und Merkel – weltweit Standards
gesetzt. Lassen Sie mich hier einmal innehalten. Wenn Sie
sich die Namen Töpfer und Merkel noch einmal zu Gehör
bringen, dann bitte ich zu bedenken, welchen Klang diese
Namen im Verhältnis zu dem aktuellen Umweltminister
haben:


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während die einen weltweit Standards gesetzt haben, fällt
der aktuelle Umweltminister – ich betone besonders: der
aktuelle – dadurch auf, dass er durch flegelhaftes Verhal-
ten in die Medien kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wegen unserer umweltpolitischen Leistungen bin
ich stolz, Deutscher zu sein – um das an dieser Stelle deut-
lich zu sagen!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch einmal zurück zu den internationalen Konfe-

renzen. Ich erinnere an das Helsinki-Protokoll, das die
europäischen Staaten dazu verpflichtete, die Schwefel-
dioxidemissionen bis 1993 um 30 Prozent gegenüber dem
Standard von 1980 zu verringern. Wir haben diesen Wert
mit einer Reduzierung um 60 Prozent weit übertroffen.
Ich erinnere an das Sofia-Protokoll, das seit 1991 in Kraft
ist. Damals hatten wir uns verpflichtet, die Stickstoff-
emissionen bis 1994 auf den Stand von 1987 zurückzu-
führen. Auch diese Verpflichtung haben wir mit einem
Rückgang von 30 Prozent übererfüllt. Wir haben uns auf
der Weltklimakonferenz in Kioto verpflichtet,


(Heidemarie Wright [SPD]: Aber dann nichts mehr getan!)


die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zurück-zuführen.

(Heidemarie Wright [SPD]: Das hättet ihr aber nie erreicht!)

Während unserer Zeit – bis 1998 – haben wir von diesem
Ziel 60 Prozent geschafft.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wir haben mehr erreicht als ihr! Das ist die Wahrheit!)


Seitdem gibt es eine Stagnation und das haben Sie zu ver-
antworten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt doch nur einen Ideologen als Umweltminister, der nichts erreicht!)


Nach wie vor gibt es seitens der SPD und der Grünen
kein Konzept, diese internationalen Verpflichtungen
wirklich einzuhalten. Anstatt durch Anreize, wie wir das
machen würden, die Kreativität der Menschen zu fördern,
den Energieverbrauch zu senken, die Emissionen zu ver-
ringern, neue Energieträger zu erschließen sowie die Nut-
zung regenerativer Energien stärker zu fordern und zu för-




Peter Bleser
15420


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(B)


dern, setzt diese Bundesregierung auf ein ganz plumpes
Instrument, nämlich eine Strafsteuer.

Dabei verfehlt die Ökosteuer eine Lenkungsfunktion
schon deswegen, weil Sie die energieintensiven Bereiche
ausschließen. Noch gravierender ist die Verwendung der
Einnahmen aus der Ökosteuer. Anstatt umweltverträgli-
che Energien zu fördern, stopfen Sie damit schlicht und
einfach Haushaltslöcher. Das ist die Wahrheit. Daran lässt
sich auch nichts ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Strafsteuer schädigt – das sage ich noch einmal
ganz deutlich – die Bürger auf dem flachen Lande. Des-
halb sind wir nach wie vor für eine Abschaffung der Öko-
steuer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heidemarie Wright [SPD]: Herr Töpfer sagt etwas anderes!)


Darüber hinaus hat uns die Bundesregierung mit ihrem
so genannten Energiekonsens den Ausstieg aus der
Kernenergie beschert. Sie sind bis heute der Bevölke-
rung eine Erklärung dafür schuldig geblieben, wie Sie
diese CO2-neutrale Energieerzeugung durch eine umwelt-freundliche Energie ersetzen wollen. Das haben Sie bis-
her nicht geschafft. Darauf warten wir auch in den nächs-
ten Monaten.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber Castoren dürfen noch transportiert werden!)


Als Alternative die Fortschreibung unserer Ansätze im
Stromeinspeisungsgesetz durch ein – wie heißt es? – Er-
neuerbare-Energien-Gesetz


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie „EEG“! Das ist leichter!)


aufzuzeigen, wie es Frau Wright getan hat, ist, mit Ver-
laub, mehr als lächerlich.

Meine Damen und Herren, der Waldzustandsbericht
weist höhere Stickstoffeinträge auf, wovon ein nicht un-
beachtlicher Teil aus der Landwirtschaft kommt. Ich will
das hier nicht näher beleuchten, weil mein Kollege Deß
das noch vertiefen wird. Aber wir haben mit der Dünge-
verordnung Maßstäbe gesetzt. Mit einer Düngebilanz,
die die Betriebe erstellen, ist in den letzten Jahren schon
viel erreicht worden. Wenn Sie die Fördermöglichkeiten,
die die CDU-geführten Länder bieten, in ganz Deutsch-
land einführen würden, kämen wir hier noch weiter.

Ich fasse zusammen: Der Waldzustandsbericht belegt
zumindest bis 1998 eine allmähliche Verbesserung des
Zustands unseres Waldes. Die Verbesserungen sind das
Ergebnis einer langjährigen, konsequenten Umweltpolitik
einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung. Dem hat
die heutige Bundesregierung nichts Vergleichbares entge-
genzusetzen.


(Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/CSU])


Ich fordere Sie deshalb auf, die Forschung über die Ur-
sachen der Waldschäden weiter zu intensivieren, alles zu
tun, damit unsere Zusagen in Kioto im Bereich der CO2-Reduzierung eingehalten und fortgeschrieben werden,

den verstärkten Einsatz des heimischen Holzes zu fördern
und die regionale energetische Nutzung von Holz und an-
deren nachwachsenden Rohstoffen weiter zu verbessern.

Darüber hinaus sollten wir die Waldbesitzer nicht ver-
gessen. Helfen wir ihnen, die Umweltschäden zu beseiti-
gen, insbesondere die Sturmschäden! Helfen wir ihnen,
die Kalamitätsfälle durch steuerliche Erleichterungen zu
bewältigen!

Stimmen Sie von der Koalition also unserem Ent-
schließungsantrag zu! Dann haben Sie wenigstens einen
Beitrag zur Besserung des Waldzustands geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Matthias Weisheit [SPD]: Bestimmt nicht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415810600
Das Wort hat nun die
Kollegin Steffi Lemke für Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415810700
Werte
Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen!
Peter Bleser, ich finde es bedauerlich, dass die CDU der
Meinung ist, Parolen, die in Deutschland zurzeit von Neo-
faschisten und von Neonazis benutzt werden, um Propa-
ganda zu betreiben, im Plenum des Deutschen Bundesta-
ges wiederholen zu müssen. Ich fordere Sie auf, dies zu
unterlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Frechheit! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Auch ich bin stolz! – Albert Deß [CDU/CSU]: Wollen Sie den amerikanischen Präsidenten angreifen, weil er stolz ist, ein Amerikaner zu sein?)


Wir befinden uns in der Debatte über den Waldzustands-
bericht und nicht in der Debatte darüber, wie die CDU
sich zu Rechtsextremismus in diesem Land und zu
deutschtümelnden Parolen verhalten zu müssen meint.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Zu welchen? Sagen Sie einmal eine solche Parole!)


Ich möchte auf dieses Thema der Debatte gerne zurück-
kommen.

Der Zustand unserer Wälder ist nach wie vor ein
schlechter.


(Michael von Schmude [CDU/CSU]: Ihr Zustand ist ein schlechter!)


Das belegen die Zahlen der letzten Jahre immer wieder. Ich
denke, dass in diesem Hause Einigkeit darüber herrschen
müsste, dass auch das derzeit vorhandene Schadensni-
veau zu hoch ist und dass es nach wie vor gemeinsamer
Anstrengungen bedarf, um eine Verbesserung zu errei-
chen. Dies sagen die Berichte über die Jahre eindeutig aus.

Deshalb ist es unsere Aufgabe, den Eintrag von Schad-
stoffen in den Wald zu reduzieren und Anstrengungen im
Rahmen des Klimaschutzprogramms sowie zur Schad-
stoffreduktion im Verkehr zu unternehmen. Ich finde es
inzwischen müßig, darüber zu diskutieren, ob es in den
letzten zwei Jahren eine leichte Verbesserung bei einer
Baumart in einer Region gegeben hat, während in einer




Peter Bleser

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anderen Region ein Anstieg der Schäden zu verzeichnen
war. Wir bewegen uns dort überall im Promillebereich.
Dies ist viel zu gering, um dieses Problem wirklich zu-
kunftsfähig meistern zu können.

Ich möchte meine Redezeit nicht dazu verwenden, um
darüber zu debattieren, ob es unter der CDU-Regierung
eventuell eine leichte Verbesserung gegeben hat


(Marita Sehn [F.D.P.]: Das glaube ich! – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist entscheidend! Sie haben nichts gemacht!)


oder ob jetzt unter der Regierung von SPD und Grünen
eine leichte Verbesserung absehbar ist. – Herr Hornung,
ich bitte Sie, eine Zwischenfrage zu stellen, wenn Sie ei-
nen neuen Debattenbeitrag einbringen wollen, und an-
sonsten etwas leiser dazwischenzurufen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Von wegen!)

Ich glaube, dass bei der Debatte über eine Reduktion

der Schadstoffe um 5 oder 10 Prozent ein wenig der Blick
darauf verloren gegangen ist, worum es überhaupt geht.
Manches kann man natürlich auf die Zeitschiene schieben
und hoffen, dass irgendwann Verbesserungen in Form ei-
ner Reduktion bestimmter Schadstoffe durch die eingelei-
teten Maßnahmen eintreten. Aber Konsens müsste da-
rüber bestehen, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen
nicht ausreichen.

Ich glaube deshalb, dass die Maßnahmen, die die rot-
grüne Bundesregierung im Rahmen der internationalen
Klimaschutzdebatte bereits ergriffen hat – Förderung der
erneuerbaren Energien, Verbesserung von Klimaschutz
im Gebäudebereich –, Wirkung zeigen werden. Dazu
gehört für mich auch die Ökosteuer. Ich glaube, dass wir
uns in diesem Punkt von der Vorgängerregierung unter-
scheiden.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Nein!)

Wir sind bereit, für ein so wichtiges Ziel wie den Schutz
unserer Wälder, den Schutz der Lebensgrundlagen unse-
rer Kinder, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen.
Die Ökosteuer ist – wie jede andere Steuer auch – bei den
Bürgern nicht beliebt.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Für den Wald ist doch nichts passiert!)


Aber wir sind zu dieser Maßnahme bereit, weil wir eine
Besteuerung des Energieverbrauchs, des Naturverbrauchs
für notwendig halten. Deshalb sind wir bereit, diese De-
batte auch jetzt, wo wir die Regierungsverantwortung tra-
gen, zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Das ist doch Betrug! Sie setzen doch gar nichts für Öko ein!)


Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die
von Ihnen immer wieder dementierte Lenkungswirkung
der Ökosteuer in diesem Bereich inzwischen zumindest in
zarten Ansätzen zu erkennen ist.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Was? – Peter Bleser [CDU/CSU]: Weil wir einen milden Winter hatten!)


Durch das Statistische Bundesamt – das ist nun weiß Gott
nicht die grüne Parteizentrale – und durch den Verband
Deutscher Verkehrsunternehmen wird belegt, dass es ei-
nen Anstieg bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel
gibt,


(Peter Dreßen [SPD]: Jawohl!)

dass es bereits nach dem ersten Schritt der Ökosteuer eine
Reduktion des Mineralölverbrauchs gibt, insbesondere im
Bereich des Individualverkehrs, und dass die Lenkungs-
wirkung tatsächlich eintritt. Dies ist durch Fakten belegt
und Sie können das auch hier im Parlament nicht abstrei-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Debatte darüber, wie wir in Zukunft den Ressour-
cenverbrauch besteuern können, um ihn zu reduzieren,
sollte das gesamte Parlament führen. Wenn die CDU in
diesem Zusammenhang an Frau Merkel und Herrn Töpfer
erinnert, die sich in der Vergangenheit für eine Ökosteuer
eingesetzt haben, finde ich dies gut. Dann müssen Sie aber
auch so ehrlich sein und diese Forderung, die Frau Merkel
und Herr Töpfer aufgestellt haben, aufgreifen und in die
parlamentarische Debatte einführen, statt sich aus Angst
davor, dass es darüber in der Bevölkerung eine kontro-
verse Diskussion gibt, zu ducken, dieser Debatte feige
auszuweichen, weil Ihnen dies momentan besser in den
Kram passt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Ökosteuer ist doch sowieso im Jahre 2003 vorbei! Oder glaubt die SPD ihrem Kanzler nicht mehr? – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie verwechseln da etwas!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415810800
Jetzt hat die Kollegin
Marita Sehn für die F.D.P.-Fraktion das Wort.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1415810900
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Schwefeldioxid minus 76 Prozent,
Stickoxide minus 34 Prozent und Ammoniak minus
18 Prozent – das sind die Errungenschaften der christlich-
liberalen Koalition.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können es schwarz auf weiß im Entschließungsantrag
der Regierungskoalition nachlesen. Dies haben Sie selbst
aufgeschrieben.

Es hat zwar lange gedauert, aber schließlich hat sich
auch bei den Regierungsparteien die Erkenntnis durch-
gesetzt, dass die Maßnahmen der alten Bundesregie-
rung zum Schutz des Waldes ausgesprochen erfolg-
reich waren. Nur zur Erinnerung: Aktionsprogramm
„Rettet den Wald“, Novellierung der Großfeuerungsan-
lagenverordnung, Novellierung der TA Luft und der
Kleinfeuerungsanlagenverordnung, Novelle des Bun-
des-Immissionsschutzgesetzes, Ozongesetz, emissions-




Steffi Lemke
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bezogene Kfz-Steuer. Das alles sind Maßnahmen, die we-
sentlich zur Verringerung der Luftschadstoffe beigetragen
haben.


(Beifall bei der F.D.P. – Heidemarie Wright [SPD]: Wozu wir Sie prügeln mussten!)


Nachdem Sie, liebe Frau Wright, unsere Politik in Wa-
denbeißermanier – „zu spät“ und „zu halbherzig“ – über
Jahre bekämpft haben, freut es mich, dass Sie nun endlich
die Erfolge der alten Bundesregierung anerkennen. Bes-
ser eine späte Einsicht als keine.


(Beifall bei der F.D.P.)

Leider haben Sie dieses Niveau in Ihrem Antrag nicht

durchgehalten. Wenn Sie von „möglichen Auswirkungen
der globalen Klimaveränderung“ schreiben, so ist dies in
höchstem Maße unseriös. Sie zitieren Einzelmeinungen
und ignorieren den Stand der wissenschaftlichen For-
schung. Nach wie vor ist selbst eine Klimaänderung wis-
senschaftlich nicht gesichert, geschweige denn Auswir-
kungen irgendeiner Art. Auf eine solche Art Politik zu
betreiben ist sehr gefährlich. Das ist Populismus pur. Wir
brauchen eine Politik mit Köpfchen und keine aus dem
Bauch heraus.

Auch bei Ihrem Statement zum Raubbau an unseren
Wäldern fragt man sich, woher die Koalition ihre Infor-
mationen bezieht. Die Waldfläche hat in Deutschland zu-
genommen. Anscheinend ist dies die erste Form von
Raubbau, die zu einem Mehr an Wald führt. Man sollte Sie
vielleicht einmal daran erinnern, dass der Begriff „Nach-
haltigkeit“ von der Forstwissenschaft geprägt worden ist,
und zwar lange bevor es eine grüne Partei gab.


(Beifall bei der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Auch lange bevor es diese Koalition gab!)


– Ja, Herr Hornung, so ist es.
Es ist interessant, Ihre Reden und Anträge zu Opposi-

tionszeiten zu lesen. Ich habe mir das wirklich angetan.
Wie vollmundig waren Ihre Forderungen, wie hehr Ihre
Absichten! Und nun? Nun sitzen Sie auf der Regierungs-
bank und auf einmal ist es sehr, sehr still geworden.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Es werden immer weniger!)


Immer wieder haben Sie in der Vergangenheit Entschädi-
gungszahlungen für die von Waldschäden betroffenen
Waldbesitzer gefordert. Warum ergreifen Sie jetzt nicht
die Gelegenheit beim Schopf und setzen Ihre Forderun-
gen endlich um?


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Ihr habt es doch gefordert! – Heidemarie Wright [SPD]: Sie haben es doch immer abgelehnt!)


Die Forstbesitzer wären für jede Form der Unterstüt-
zung dankbar. Aber dass es mit der Liebe dieser Bundes-
regierung, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, zu den Waldbesit-
zern nicht weit her ist, das hat Ihr Engagement für die
Geschädigten des Orkans „Lothar“ im vergangenen Jahr

gezeigt. Sie erwiesen sich als ausgesprochen sparsam;
wenn auch nicht mit Worten, so doch mit finanzieller Un-
terstützung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In dem aktuellen Waldzustandsbericht ist Ihnen das
Schicksal dieser Betriebe nur noch eine Randnotiz wert.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die jetzigen Regierungsfraktionen haben früher immer
bemängelt, dass bei der alten Bundesregierung die Frage
– ich zitiere –, „wie eine Stärkung der Leistungsfähigkeit
der Forstbetriebe erreicht werden kann“, im Vordergrund
stand. Folgerichtig räumt Rot-Grün dieser Frage kaum
einen Platz ein. Dies zeigt eindeutig die Prioritäten dieser
Koalition: Ihr sind die Menschen, die ihr Einkommen mit
dem Wald erwirtschaften, schlichtweg egal.


(Beifall bei der F.D.P. – Heidemarie Wright [SPD]: Nein!)


Die Sorgen und Nöte der Waldbesitzer interessieren diese
Bundesregierung nicht.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu passt hervorragend die Novelle des Bundes-
naturschutzgesetzes. Die Anliegen der Land- und Forst-
wirtschaft werden ignoriert, während die des Natur-
schutzes einseitig in den Vordergrund gerückt werden.
Man möchte Rot-Grün manchmal daran erinnern, dass in
den ländlichen Räumen Menschen leben, die ebenfalls
Bedürfnisse haben, die Arbeitsplätze benötigen und die
am gesellschaftlichen Wohlstand beteiligt werden wollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Und die nicht auf den Nahverkehr umsteigen können!)


– So ist es. – Sie sprechen den Menschen in den ländli-
chen Räumen jegliches Recht auf wirtschaftliche Ent-
wicklung ab.


(Christel Deichmann [SPD]: Haben Sie einmal in unseren Antrag geguckt? – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten genauer lesen!)


Diese Politik ist ein Tanz um den goldenen Öko. Rot-
grüne Umweltpolitik ist eine Auflagenpolitik. Sie setzt
auf Konfrontation statt auf Information und Kooperation,
insbesondere dann, wenn es um kleinere gesellschaftliche
Gruppen wie Waldbesitzer und Landwirte geht. Dann
praktizieren Sie nur allzu gerne ihre Knüppel-aus-dem-
Sack-Politik. Rot-grüne Umweltpolitik wird immer dann
aktiv, wenn sie Auflagen erteilen kann und andere die
Zeche zahlen müssen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes trägt ge-
nau diese Handschrift. Bewährte Maßnahmen wie der




Marita Sehn

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Vertragsnaturschutz werden vernachlässigt, während Auf-
lagen verschärft werden. Diese Novelle ist ein eindeutig
gegen die deutsche Land- und Forstwirtschaft gerichtetes
Misstrauensvotum. Unsere Land- und Forstwirte haben
dieses Misstrauen nicht verdient. Ihnen gebührt vielmehr
unser Dank für den Erhalt und die Pflege unserer Kultur-
landschaft. Wir alle haben einen Nutzen von dieser Arbeit.
Wir alle nutzen die Natur für Erholung, Sport und Freizeit.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet ja keiner!)


Innovative Umweltpolitik braucht mehr als nur Aufla-
gen. Auflagen sind die End-of-Pipe-Technologie der Um-
weltpolitik. Wir Liberalen setzen auf Forschung und In-
novation und nicht auf Schikanen. Wir unterstützen die
Forschung in neue Technologien, wie zum Beispiel in die
Brennstoffzelle oder die Wasserstofftechnologien. Diese
Technologien können dazu beitragen, dass auch die durch
den Verkehr verursachten Umweltprobleme gelöst wer-
den und damit ein erheblicher Beitrag zu einer nachhalti-
gen Verbesserung des Waldzustandes geleistet werden
kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie sich
dazu durchringen, Zukunftstechnologien zu fördern an-
statt jede Neuentwicklung zu verteufeln, können Sie viel-
leicht eine ähnliche beeindruckende Erfolgsbilanz vor-
weisen, wie Sie sie der alten Bundesregierung in Ihrem
Entschließungsantrag bescheinigt haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Christel Deichmann [SPD]: Eine eigenartige Art der Wahrnehmung!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415811000
Das Wort hat nun die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415811100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als „bizarre Bewusst-
seinsspaltung bezüglich ihrer Verantwortung“ kritisierte
der BUND das Agieren aller bisherigen deutschen Minis-
ter für Landwirtschaft und Forsten, denn von ihnen wür-
den immer wieder gebetsmühlenartig die massiven Nitrat-
einträge beklagt, die den Wald extrem schädigen. Doch
Konsequenzen würden daraus leider nicht gezogen. Den
Vorwurf der Bewusstseinsspaltung kann man getrost auf
das Bundeskabinett erweitern, und zwar in Bezug auf die
Ressorts Umweltschutz auf der einen Seite und Verkehr
und Wirtschaft auf der anderen Seite. Frau Künast als Res-
sortverantwortliche bemüht sich redlich, der Agrarindus-
trie diesbezüglich Beine zu machen. Aber auch sie ist den
unterschiedlichen Interessen ausgesetzt und wir werden
sehen, wer letztlich am längeren Hebel sitzt.

Wir haben – das ist das Fazit des Berichts – einen zu-
nehmenden Stickstoffüberschuss bei gleichzeitiger Ver-
sauerung der Böden. Die Hauptquellen dafür sind – auch
das steht im Bericht – Industrieanlagen, Kraftwerke, Ver-
kehr, Kleinverbraucher und Landwirtschaft. Das Fazit,
das die Bundesregierung zieht, ist zunächst einmal zu be-
grüßen. Alle Politikbereiche – unter anderem Umwelt-,
Verkehrs-, Finanz-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspo-
litik – müssen gemeinsam versuchen, die Luftschadstoffe

zu reduzieren. Solche Ausführungen aber finden sich in
jedem Bericht.

Die Anzahl kranker Bäume hat den Ankündigungen
zum Trotz allerdings nicht abgenommen, sondern um
2 Prozent zugenommen. Immer noch sind 80 Prozent der
Flächen übersauert. Die Belastung durch Ozon infolge
des Verkehrswachstums steigt weiter. Die Konzentration
dieses Gases liegt bei 95 Prozent der Fläche über der
Grenze der Belastbarkeit von Wald und Mensch.

Auch der Stickstoffüberschuss wird nicht eingedämmt.
Da der Wald hauptsächlich über den Luftpfad belastet
wird, lassen sich bezüglich des Nitrats die zwei Haupt-
verursacher genauer festmachen: 95 Prozent der Emissio-
nen resultieren aus dem Verkehr und den Großfeuerungs-
anlagen. Vielleicht liegt hierin eine Ursache dafür, dass
sich der Trend zu immer mehr Waldschäden ungebremst
fortsetzt, denn die Strategien der Bundesregierung zum
Aufhalten der Blechlawinen sind wenig überzeugend.


(Beifall bei der PDS)

In dem Bericht werden der Dreiwegekatalysator, die

Verschärfung der Abgasgrenzwerte, die Förderung ver-
brauchsarmer PKW und die Einführung umwelt-
verträglicher Kraftstoffe angeführt. Es ist ganz klar: Das
ist nicht schlecht. Aber alle diese Maßnahmen werden an-
scheinend durch das Verkehrswachstum überkompen-
siert. Im Osten lässt sich dieses Problem auf einer ver-
gleichbaren Ebene aufzeigen: Von 1992 bis 1996 gingen
dort die Waldschäden zurück. Wir können uns – ebenso
wie bei den Veränderungen im Klimaschutz – denken,
warum: durch den Zusammenbruch der dortigen Indus-
trie. Hinzu kamen natürlich schärfere Emissionskontrol-
len und moderne Abgassysteme in den Großfeuerungs-
anlagen.

Doch wie ging es weiter? Statt Arbeitsplätzen kamen
Autos. Statt Gütertransport auf der Schiene – sein Anteil
betrug damals 80 Prozent – kamen LKW-Karawanen. Als
Folge davon geht das Waldsterben im Osten wie im Wes-
ten munter weiter. Was für Deutschland gilt, gilt auch
– ein Schwerpunkt liegt dabei auf Italien – für Europa.

Es gilt also, national und europaweit für eine deutliche
Reduzierung der Verkehrsemissionen zu kämpfen.


(Beifall bei der PDS)

In diesem Zusammenhang kann ich nur auf Parallelen
zum Klimaschutz verweisen: Es geht nicht nur um sau-
bere, sondern vor allem um weniger gefahrene Kilometer.
Es geht um regionale Wirtschaftskreisläufe. Ich denke,
auf diesem Feld ist Wesentliches zu tun. Wenn über Nach-
haltigkeit gesprochen wird, erwarte ich mir für die Zu-
kunft mehr, zumal die Bundesregierung nun endlich einen
Nachhaltigkeitsrat eingesetzt hat. Wir erwarten gute Er-
gebnisse.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415811200
Das Wort hat nun die
Kollegin Christel Deichmann, SPD-Fraktion.




Marita Sehn
15424


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(A)



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Christel Deichmann (SPD):
Rede ID: ID1415811300
Frau Präsidentin! Sehr
geehrte Damen und Herren! Herr Bleser, jetzt habe ich
wieder etwas gelernt, nämlich dass der Wald sehr schnell
auf den Regierungswechsel reagiert hat.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Die Bundestagswahl war doch erst im Herbst 1998. Das
ist wirklich eine neue Erkenntnis, die wir heute gewonnen
haben. Aber das muss wissenschaftlich erst noch bewie-
sen werden. Vielleicht könnten Sie das nachholen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Frau Deichmann, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Umwelt negativ reagiert!)


Frau Sehn, wenn Sie behaupten, uns sei der ländliche
Raum nichts wert,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Der ist Ihnen auch nichts wert!)


dann möchte ich Sie unter anderem auf unseren Antrag
„Ländliche Räume“ verweisen. Ich denke, Sie sollten sich
ein bisschen mehr Mühe geben und aufpassen, damit Sie
mitbekommen, was tatsächlich passiert. Es ist schon ei-
genartig, wie Sie unsere Politik wahrnehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Sie müssen trotz-
dem zur Kenntnis nehmen: Die Menschen und die Ergeb-
nisse bestätigen, dass unsere Politik erfolgreich ist, auch
im Hinblick auf den Wald.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Die Leute an der Mosel sehen das etwas anders!)


Die Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion, die Spei-
cher- und Filterfunktion für Wasser und Luft und auch die
umweltfreundliche Produktion des nachwachsenden
Rohstoffes Holz kennzeichnen die wirtschaftlichen, öko-
logischen und sozialen Elemente des Ökosystems Wald
mit seinen vielfältigen Ausgleichsfunktionen. Die dritte
paneuropäische Ministerkonferenz in Lissabon hat die
zukünftige Bedeutung des Waldes wie folgt definiert:

Im 21. Jahrhundert wird der europäische Forstsektor
unter Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftli-
chen, umweltbezogenen und kulturellen Funktion
seinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Ge-
sellschaft optimieren; insbesondere zur Entwicklung
der ländlichen Gebiete, der Bereitstellung von er-
neuerbaren Ressourcen und dem Schutz der globalen
und lokalen Umwelt.

Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ha-
ben sich dieser Aufgabe gestellt, unter anderem mit der
Verabschiedung des Klimaschutzprogramms, auf das
schon die Kollegin Heidi Wright hingewiesen hat.

Ich möchte ebenfalls auf einen nicht weniger wichtigen
Aspekt verweisen. Der Wald bietet auch Lebensraum für
die ganz überwiegende Anzahl der wild lebenden Pflan-
zen und Tiere. Von den 45 000 in Deutschland bekannten
Tierarten kommen zum Beispiel alleine in den Buchen-
wäldern 6 800 Arten vor. Nicht ohne Grund zählt der Wald

zu unseren besten Bioindikatoren. In optimaler Weise
macht er die Einflüsse von Hunderten von Umweltfakto-
ren für uns sichtbar. Liegen zum Beispiel Wälder neben
Industrieanlagen oder großen Mastanlagen, dann werden
die Auswirkungen der Luftverschmutzung für uns alle
sehr deutlich und in drastischer Weise sichtbar.

Die Ergebnisse der bundesweiten Bodenzustands-
erhebung im Wald und der Untersuchungen der Dauer-
beobachtungsflächen, der so genannten Level-II-Flächen,
zeigen deutlich: Die Wälder können ihre Filter- und
Pufferfunktion zunehmend schlechter erfüllen. Die Er-
gebnisse dokumentieren die fortschreitende Bodenver-
sauerung sowie die zunehmende Stickstoff- und Ozonbe-
lastung. So liegen zum Beispiel in sensitiven Bereichen
die aktuellen Säurefrachten bis zum 15-fachen über den
Belastungsgrenzen. Die Versauerung der deutschen Wald-
böden schreitet zwar heute langsamer voran als vor
20 Jahren. Aber nach vorliegenden Erkenntnissen findet
sie auf 80 Prozent der Flächen weiterhin statt.

Ich möchte einige weitere Zahlen nennen: Auf den Le-
vel-II-Dauerbeobachtungsflächen wurden Stickstoffein-
träge bis zu 46 Kilo pro Jahr und Hektar nachgewiesen.
Erträglich für den Wald sind, je nach Standort, 5 bis 15 Kilo
pro Jahr und Hektar. Ich denke, diese Zahlen machen
deutlich, wie dramatisch und kritisch die Situation ist. Die
Belastung durch bodennahes Ozon steigt ebenfalls weiter
an. Der von Menschen bedingte Treibhauseffekt schädigt
den Wald im Besonderen und beschleunigt seinen Verfall.

Auf über 90 Prozent der Level-II-Flächen sind lang-
fristig stickstoffbedingte Veränderungen zu befürchten.
Auf etwa 30 Prozent dieser Dauerbeobachtungsflächen
muss schon heute mit einer Stickstoffsättigung bzw.
-übersättigung der Waldökosysteme gerechnet werden.
Die Folge ist: Die Filterkraft des Waldes ist erschöpft. Der
Waldboden kann vielerorts die Schadstoffe bereits nicht
mehr absorbieren. Örtlich sind Quell- und Grundwasser
durch die Mobilisierung von Eisen und anderen Schwer-
metallen sowie durch Aluminium gefährdet. Im Klartext
heißt das: Die zukünftige Sicherung der Trinkwasserver-
sorgung ist durch die erhöhte Konzentration von Schwer-
metallen und Stickstoff enorm gefährdet.

Um den Säureschub nun aufzuhalten, werden seit Jah-
ren Millionenbeträge für die Bodenschutzkalkung im
Wald ausgegeben. Das hilft nur sehr kurzfristig. Das ist
nur eine Kaschierung des Problems und keine Beseiti-
gung. Die Politik der Bundesregierung setzt darum ver-
stärkt bei der Ursachenbekämpfung an. Ich sage es noch
einmal: Die Ökosteuer ist dabei zum Beispiel ein hilfrei-
ches Instrument.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Im Gegenteil! Davon haben die Waldbauern noch gar nichts gesehen!)


Bei der Diskussion um die Fortführung der Ökosteuer
möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Op-
position, gleich den Wind aus den Segeln nehmen. Der
Bundeskanzler hat nicht gesagt, dass die Ökosteuer abge-
schafft wird, sondern er will – das wollen wir auch –, dass
im Jahr 2003 die Zukunft der Ökosteuer im Lichte der






(C)



(D)



(A)



(B)


Konjunktur und der Sozialverträglichkeit zu überprüfen
ist.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Ich habe verstanden, dass sie 2002 endet!)


Mit der Einführung schwefelarmer Kraftstoffe, dem
100 000-Dächer-Programm, den erweiterten Förderpro-
grammen für erneuerbare Energien – das alles nehmen Sie
nicht wahr – sowie der Novelle des Stromeinspeisungs-
gesetzes hat die Koalition weitere Maßnahmen eingelei-
tet, die letzten Endes dem Wald und uns allen zugute
kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Maßnahmen zeigen schon Wirkung. Man muss es
nur wahrhaben wollen.

Die von der Bundesregierung eingeschlagene Trend-
wende in derAgrarwirtschaft zeigt auch für einen lang-
fristigen Waldschutz schon die Richtung auf. Ich unter-
stütze die Forderung nach einer flächengebundenen
Tierhaltung. Ein geeignetes Instrument für die Umsetzung
derartiger Forderungen ist aus meiner Sicht unter ande-
rem die verbindliche Definition der „guten fachlichen
Praxis“ im Bundesnaturschutzgesetz. Auch das werden
wir machen.

Um Naturschutzaspekte noch stärker in die forstliche
Nutzung einzubinden, ist es erforderlich, die Naturnähe
der Wirtschaftswälder weiter auszubauen. Ich möchte an
dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig und un-
verzichtbar es ist, eine partnerschaftliche Zusammenar-
beit zwischen den Forstwirten und dem Naturschutz für
den dauerhaften Schutz der Wälder zu befördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Naturnah bewirtschaftete Wälder weisen eine erhöhte Wi-
derstandskraft gegenüber neuartigen Waldschäden auf
und bieten weitaus mehr Pflanzen- und Tierarten Lebens-
raum, als dies Monokulturen leisten können. In naturnah
bewirtschafteten Wäldern – das bestätigen uns die Forst-
fachleute – schreibt man ganz gesichert schwarze Zahlen
in der betrieblichen Bilanz. Das heißt, Ökologie und Öko-
nomie sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich her-
vorragend.

Ich begrüße – auch das wurde bereits genannt –, dass
die Bundesregierung den Prozess der Zertifizierung von
Forstbetrieben mit anerkannten ökologischen Gütesiegeln
unterstützt und begleitet.

Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir können
nicht länger ignorieren, dass Umweltschutz heute unbe-
dingt erforderlich ist. Er kostet einerseits Geld, er schafft
andererseits aber auch Arbeitsplätze. Versäumter Umwelt-
schutz, meine Damen und Herren, wird morgen unbezahl-
bar und kann übermorgen sogar lebensbedrohlich sein,
weil er unsere Lebensgrundlagen zerstört. Der Zustand des
Waldes zeigt uns sehr deutlich, wie die Situation ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415811400
Nun hat Herr Kollege
Albert Deß für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1415811500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Welche Bedeutung der Wald bei
der rot-grünen Bundesregierung hat, sieht man auch da-
ran, dass zum ersten Mal, seit es demokratische Regie-
rungen in Deutschland gibt, im zuständigen Ministerium
der Zusatz „Forsten“ gestrichen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!)


Durch die Debatte über den jährlichen Waldzustandsbericht
erhalten wir die Möglichkeit, auf die nationale und interna-
tionale Bedeutung eines gesunden Waldes hinzuweisen.
Fast ein Drittel unseres Landes ist mit Wald bewachsen.
Durch die Aufforstung weiterer Flächen nimmt – im Ge-
gensatz zu anderen Ländern, wo riesige Waldflächen gero-
det werden – in Deutschland die Waldfläche zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nur durch die Waldbauern!)


– Eben. – Allein in Bayern und Baden-Württemberg wur-
den in den vergangenen zehn Jahren über 15 000 Hektar
neue Waldflächen, vor allem im Privatwald, geschaffen.
Der Aufwuchs von einem Festmeter Holz entzieht der At-
mosphäre 1 Tonne Kohlendioxid. Wird Holz nach seinem
Aufwuchs zum Beispiel beim Bau verwendet, bleibt die-
ses CO2 für lange Zeit gebunden. Der vermehrte Einsatzvon Holz in den verschiedensten Bereichen, verbunden
mit einer sinnvollen Waldwirtschaft, gibt uns die Mög-
lichkeit, eine bessere CO2-Bilanz zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir sind gut beraten, das Thema Waldzustand sachlich

zu diskutieren. Das war in der Vergangenheit nicht immer
der Fall.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Ja, das habe ich auch gelernt!)


Im Waldzustandsbericht der rot-grünen Bundesregierung
heißt es:

Das Anfang der 80er-Jahre angesichts der toten
Waldbestände im Erzgebirge insbesondere von den
Medien und einigen Wissenschaftlern prognosti-
zierte großflächige „Waldsterben“ ist nicht eingetre-
ten.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Gott sei Dank!)

Es waren jedoch nicht nur bestimmte Medien und Wis-
senschaftler, die Anfang der 80er-Jahre das Waldsterben
angekündigt haben. Es gab fast keine Veranstaltung der
Grünen, in der nicht über das Thema Waldsterben gespro-
chen wurde. Gott sei Dank hat sich die Situation anders
entwickelt. Ich bin froh, dass sich die Waldbesitzer von
dieser Panikmache nicht haben entmutigen lassen und die
Pflege ihrer angeblich hoffnungslos erkrankten Wälder
nicht aufgegeben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die waren ein bisschen schlauer als die Grünen!)





Christel Deichmann
15426


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben trotz der grünen Panikmache weiter in die Wäl-
der investiert. Damit haben sie einen großen Beitrag dazu
geleistet, dass die Situation unseres Waldes trotz negati-
ver Umwelteinflüsse nicht wesentlich schlechter gewor-
den ist.

Unser Dank gilt deshalb den Waldbauern und den
Forstbesitzern, die unseren Wald und unsere Umwelt
durch unermüdliche Arbeit erhalten und somit in unsere
Zukunft investiert haben. Es sind die Waldarbeiter und die
Förster, die die schwere Waldarbeit ausführen und unse-
ren Wald hegen und pflegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dafür müssen wir uns im Deutschen Bundestag einmal
bei ihnen bedanken.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Sehr richtig!)


Um die Schadstoffbelastung für unsere Wälder weiter
zu reduzieren, müssen aus dem diesjährigen Waldzu-
standsbericht die richtigen Konsequenzen gezogen werden.
Die bisher erfolgreichen Maßnahmen müssen fortgesetzt
und geeignete neue eingeführt werden. Eine interessante
Aussage aus dem Waldzustandsbericht der rot-grünen Bun-
desregierung – Peter Bleser hat es erwähnt – nehme ich zum
Anlass, um auf die Leistungen der früheren CDU/CSU-
F.D.P.-Koalition hinzuweisen. Dort heißt es:

Die beobachteten Waldschäden führten zu raschem
politischem Handeln auf nationaler und internatio-
naler Ebene: ...

Rot-Grün sagt der ehemaligen Bundesregierung damit
vielen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Marita Sehn [F.D.P.]: Spät, aber wir haben es noch gemerkt!)


Mit den von der früheren Bundesregierung getroffenen
Entscheidungen wurde eine ausschlaggebende Weichen-
stellung zur Senkung des Schadstoffausstoßes und damit
zu verbessertem Umweltschutz vorgenommen. Diese
Maßnahmen kommen heute in ihrer Langzeitwirkung un-
seren Wäldern und damit uns allen zugute. Rot-Grün hat
zur Verbesserung des Waldzustandes bisher keinen ver-
gleichbaren Beitrag geleistet,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Noch nicht einmal die grüne Ministerin ist da!)


nicht im Bund, wo Sie erst seit gut zwei Jahren regieren,
und auch nicht in den Ländern, in denen Sie seit langem
Regierungsverantwortung tragen.

Das Einzige, was Rot-Grün beherrscht, sind große
Sprüche, schrille Töne, medienwirksame Schlagworte
und Belastungen für unsere Bürger wie die so genannte
Ökosteuer, die mit Ökologie nichts zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Denken Sie einmal an die regenerativen Energien! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wir wollten doch sachlich diskutieren!)


Diese Aussage hat eine grüne Kollegin aus dem Bayeri-
schen Landtag erst vor kurzem öffentlich bestätigt.

Die neue Verbraucherschutzministerin und der Bun-
deskanzler sind sich einig: Eine leistungsbezogene Land-
wirtschaft wird an den Pranger gestellt. Der Bundes-
kanzler spricht von Agrarfabriken, wobei er bis heute
nicht definiert hat, was er darunter versteht. Anscheinend
weiß er es selbst nicht. Es ist wohl das erklärte Ziel von
Rot-Grün, dass die jetzige Landwirtschaft auf die Ankla-
gebank gesetzt wird.

Die rot-grüne Gleichung „Hohe Leistung ist umwelt-
schädlich, niedrige Leistung ist umweltfreundlich“ wird
im eigenen Waldzustandsbericht widerlegt. Zum Thema
Landwirtschaft und Umweltbelastung heißt es – ich zi-
tiere aus dem Waldzustandsbericht –:

Vor allem aus ökonomischen Gründen auf eine Leis-
tungssteigerung gerichtete Fütterung und Manage-
ment haben auch positive ökologische Effekte. So
konnte die Milchleistung von 1990 bis 1999 um
20 Prozent erhöht werden, gleichzeitig wurde jedoch
die N-Ausscheidung je Kilogramm Milch um
12 Prozent gesenkt.

Dies ist eine interessante Aussage. Sie bedeutet, dass
die jetzige Landwirtschaft zum Beispiel durch die Leis-
tungssteigerungen in der Milchviehhaltung umwelt-
freundlicher als früher produziert. Da die Stickstoffbelas-
tung ein wichtiger Faktor bei der Schädigung unserer
Wälder ist, brauchen wir eine Landwirtschaft, die weni-
ger Stickstoffbelastung produziert. Es handelt sich um
einen aktiven Beitrag zum Schutz unserer Wälder, bei ei-
ner um 12 Prozent höheren Milchleistung eine geringere
Stickstoffbelastung zu erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was will die neue Ministerin eigentlich? Will sie eine

Landwirtschaft, die Umweltbelastungen durch Leistungs-
steigerungen senkt, oder eine Landwirtschaft, die wieder
zu höheren Umweltbelastungen führt? Frau Künast sollte
einmal die Berichte ihrer eigenen Regierung lesen, bevor
sie so massenhaft Unsinn erzählt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Im Unterschied zur rot-grünen Sprücheklopferei
wurde in Bayern ein Stickstoffprogramm zur Absenkung
der Stickoxidemissionen aufgelegt. Von 1996 bis heute
wurden Fördermittel in Höhe von mehr als 100 Millio-
nen DM und über 15 Millionen DM an zinsverbilligten
Darlehen für die Anschaffung moderner Ausbringungs-
technik für landwirtschaftliche Wirtschaftsdünger ausge-
geben. Dadurch werden Ammoniakemissionen in Höhe
von jährlich 40 000 Tonnen vermieden. Welches rot bzw.
rot-grün geführte Bundesland kann ein solches Förder-
programm vorweisen, das nicht nur der Umwelt und dem
Wald, sondern auch jedem Einzelnen von uns zugute
kommt? Fehlanzeige im rot-grünen Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die meisten Kraftwerke in Bayern und Baden-Würt-

temberg wurden schon in den 70er-Jahren mit moderner




Albert Deß

15427


(C)



(D)



(A)



(B)


Umwelttechnik ausgestattet. Zu dieser Zeit gab es die
grüne Partei noch gar nicht. Heute tut man so, als ob
Umweltschutz erst von der grünen Bewegung entdeckt
wurde.


(Horst Kubatschka [SPD]: Ist doch lächerlich, was Sie sagen!)


Das Märchen wird immer wieder erzählt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)

In keinem rot-grün regierten Bundesland wurde der

Schadstoffausstoß so stark zurückgefahren wie in den
süddeutschen Bundesländern, in denen die Union in der
Regierungsverantwortung steht. In diesem Sinne muss
Umweltpolitik betrieben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für eine solche Umweltpolitik, die mit den und nicht ge-
gen die Bauern durchgeführt wird, tritt die CDU/CSU-
Fraktion ein. Wir werden nicht zulassen, dass die neue
Agrar- und Verbraucherschutzministerin die Land- und
Forstwirtschaft auf die Anklagebank setzt. Unsere Bauern
und Bäuerinnen und unsere Forstwirte praktizieren
tatsächlich Umweltpolitik.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415811600
Nun erteile ich dem
Parlamentarischen Staatssekretär Matthias Berninger das
Wort.

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415811700
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es ist in der Tat richtig, dass das neue Ministe-
rium den Namen Ministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft trägt. „Forsten“ ist in die-
sem Namen weggefallen. Ich kann Ihnen aber versichern,
dass uns der Wald nach wie vor sehr am Herzen liegt. Wir
brauchen ihn nicht im Namen eines Ministeriums, um da-
ran erinnert zu werden. Das möchte ich Ihnen ganz deut-
lich sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist bewaldet. Ich
könnte mir vorstellen, dass es noch mehr wird. Ich bin
froh, dass die Holzmenge im Wald insgesamt nicht zurück-
geht, sondern eher zunimmt. Das Problem des Waldster-
bens – das ist hier von allen Rednern gesagt worden – ha-
ben wir aber noch nicht in den Griff bekommen.

In der letzten Stunde habe ich hier eine etwas absurde
Debatte mitbekommen. Sie ist insofern absurd, wenn man
bedenkt, dass es in den 80er-Jahren eines massiven öf-
fentlichen Drucks bedurfte, um die von Helmut Kohl ge-
führte Bundesregierung zum Handeln zu veranlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist nicht so, dass Sie auf die Idee gekommen sind, Um-
weltpolitik zu betreiben. Ich kann mich gut daran erin-
nern, da es die Zeit war, in der ich anfing, mich für Poli-
tik zu interessieren:


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Letztes Jahr!)

Menschen, die auf Waldsterben und ähnliche Probleme
hingewiesen haben, wurden diffamiert. Sie wurden von
der Bundesregierung, die Sie mitgetragen haben, in eine
Ecke gestellt. Sie hätten Ihre Reden über eine vernünftige
Umweltpolitik, die Sie heute gehalten haben, nicht halten
können, wenn Ihnen die Öffentlichkeit nicht massiv Feuer
unterm Hintern gemacht hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir haben Erfolge – unter anderem dank des techni-
schen Umweltschutzes – erzielen können, auf die wir alle
stolz sein können. Der Schwefel ist heute nicht mehr ein so
großes Problem wie in den 80er-Jahren. Hätte es die deut-
sche Einheit nicht gegeben, wäre der Wald in Deutschland
in einem erheblich schlechteren Zustand. Wir sollten froh
darüber sein, dass es die deutsche Einheit gab


(Marita Sehn [F.D.P.]: Wir sind es! Aber sind Sie es auch?)


und dass wir insgesamt eine Verbesserung der Luftqualität
erreicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Diese Entwicklung beruht nicht einseitig auf einer
erfolgreichen Politik. Sie wissen auch, dass für unsere Er-
folge beim Klimaschutz und beim Rückgang der Emis-
sionen ein hoher Preis in den neuen Ländern gezahlt
wurde: Die Anlagen wurden einfach abgestellt, die
Schornsteine rauchten nicht weiter und die Menschen
waren arbeitslos. Diese Tatsache muss man fairerweise
erwähnen. Nachhaltige Politik bedeutet eben auch, dies
nicht zu vergessen. Die neue Entwicklung war nicht nur
einseitig ein Erfolg Ihrer Politik, sondern sie hing auch
mit den Veränderungen nach der Wende auf dem Gebiet
der ehemaligen DDR zusammen.

Das Landwirtschaftsministerium hat sich in der Ver-
gangenheit, vor allem während Ihrer Regierungszeit, mit
dem Problem des Stickstoffes, das heute unser Hauptpro-
blem ist, nicht in dem Maße beschäftigt, wie es nötig ge-
wesen wäre.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Die Agrarwende wird einen entscheidenden Beitrag dazu
leisten,


(Marita Sehn [F.D.P.]: Dass wir keine Rinder mehr haben!)


dass wir zusätzliche Strategien gegen das Waldsterben
entwickeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)





Albert Deß
15428


(C)



(D)



(A)



(B)


Warum? Herr Kollege Deß, das Problem, das wir in der
Landwirtschaft haben, ist, dass ein Großteil unserer
Tierproduktion darauf beruht, dass wir Tierfutter – bei-
spielsweise Soja – importieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das muss nicht sein! Wir können selber Pflanzen anbauen!)


Ein Teil des so importierten Stickstoffs gelangt ins
Fleisch und wird hier emittiert. Das ist ein großes Pro-
blem. Die Agrarwende wird zeigen, ob wir auch in Zu-
kunft noch auf Eiweißimporte angewiesen sind – womög-
lich auf gentechnisch verändertes Soja – oder ob wir in der
Lage sind, Grünland wieder zu dem zu machen, was es
einmal war, nämlich zu einem Eiweißlieferanten für die
Landwirtschaft in Europa.


(Zuruf von der CDU/CSU: Tun Sie doch etwas!)


Dafür setzt sich meine Ministerin ein. Sie sollten sie darin
unterstützen, statt hier herumzumäkeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Deß, es geht nicht um die Frage große
oder kleine Betriebe.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Doch!)

Es geht vielmehr um die Frage, wie landwirtschaftliche
Produktion auf einem qualitativ hohen Standard erfolgen
kann.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Reden Sie doch einmal mit der Frau Höhn, was die dazu sagt!)


Diese neue Politik der Bundesregierung ist in der Regie-
rungserklärung sehr klar dargestellt worden.

Ich will Ihnen ein Beispiel für eine gelungene Agrar-
wende schildern.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: In BadenWürttemberg!)


Dieses Beispiel finden Sie im Weser-Ems-Gebiet. Der
niedersächsische Landwirtschaftsminister, Uwe Bartels,
besitzt jetzt den Mut, zu sagen – das ist die Agrarwende –,
dass die Massentierhaltung, die eine Gülleproduktion und
eine Stickstoffemission in nicht erträglichem Ausmaß zur
Folge hat, der Vergangenheit angehört und dass in Zu-
kunft in Gebieten wie dem Weser-Ems-Gebiet eine neue
Landwirtschaftspolitik gemacht wird. Diese konstruktive
Politik wurde gestern von einem Politiker aus Nieder-
sachsen angekündigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dagegen wirft Herr Stoiber in seiner ganzen Hilflosigkeit
meiner Ministerin vor, sie mache Reichsnährstandspo-
litik.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415811800
Herr Kollege, akzep-
tieren Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deß?

Mat
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415811900
Selbstverständlich. Ich akzeptiere sie
gerne.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415812000
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1415812100
Herr Staatssekretär
Berninger, ich sehe überhaupt keinen Dissens in diesem
Punkt. Auch wir treten dafür ein, dass mehr Eiweiß-
pflanzen in Europa angebaut werden, damit hier mehr Ei-
weiß produziert wird. Meine Frage lautet daher: Sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unter der Verant-
wortung der rot-grünen Bundesregierung eine
Agenda 2000 beschlossen wurde, die zur Folge hat, dass
die Prämien für den Anbau von Eiweißpflanzen gesenkt
wurden, was wiederum dazu führt, dass seitdem weniger
Eiweißpflanzen angebaut werden?


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und die Anzahl der Rinder erhöht worden ist!)


Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415812200
Herr Kollege Deß spricht die Agenda 2000 an.
Ich bin selbstverständlich bereit, das zur Kenntnis zu neh-
men. Sie wissen aber, dass im Rahmen der Agenda-Ver-
handlungen unter der deutschen Präsidentschaft Kompro-
misse mit verschiedenen Ländern geschlossen


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

und an verschiedenen Stellen, zum Beispiel bei der Milch-
quote, Zugeständnisse an andere Länder gemacht werden
mussten.

Diese Verhandlungen fanden 1999 statt. Ich will Ihnen
aber sagen, was im Jahr 2001 passiert; denn das interes-
siert die Menschen. Renate Künast setzt sich in Europa
dafür ein, dass der Eiweißpflanzenanbau auf den
Stilllegungsflächen – egal, ob es sich um ökologische
oder um konventionelle Produktion handelt – zugelassen
wird. Das ist eine konkrete Politik für die Grünfläche.
Diese Einsicht haben wir seit der BSE-Krise. Die von Ih-
nen geführte Diskussion darüber, was vorher war, halte
ich für relativ albern, weil Sie für eine über Jahre hinweg
verfehlte Umweltpolitik die Verantwortung tragen. Sie
sollten bereit sein, das endlich zuzugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich!)


Ein weiterer Punkt hat mich stutzig gemacht. Die Kol-
legin Sehn hat gesagt, keiner könne nachweisen, ob es
sich tatsächlich um eine Klimakatastrophe handelt.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Es gibt sehr unterschiedliche Aussagen! Das wissen Sie!)


Ich empfehle allen, die das behaupten, einmal in den
Schwarzwald zu gehen und sich anzuschauen, was das
Orkantief „Lothar“ dort angerichtet hat.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Und wie hat die Bundesregierung mitgeholfen, die Schäden zu beseitigen?)





Parl. Staatssekretär Matthias Berninger

15429


(C)



(D)



(A)



(B)


Dort ist ein Schaden in ungeheurem Ausmaß entstanden.
Die Forstwirte und auch die Wissenschaftler sagen sehr
klar, dass das mit den globalen Klimaveränderungen zu-
sammenhängt.

Deswegen wird sich die Waldpolitik der Bundesregie-
rung gerade im nächsten Jahr, wenn wir zehn Jahre Rio
feiern, daran orientieren, eine moderne Klimaschutzpoli-
tik zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese moderne Klimaschutzpolitik ist eine der Grundvo-
raussetzungen dafür, dass wir die Situation des Waldes in
Deutschland, aber auch der Wälder weltweit verbessern.


(Marita Sehn [F.D.P.]: Bis jetzt haben Sie gar nichts gemacht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415812300
Herr Staatssekretär,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415812400
Selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415812500
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Hornung.


Siegfried Hornung (CDU):
Rede ID: ID1415812600
Herr Staatssekretär,
Sie haben gerade zu Recht auf die riesigen Schäden durch
den Sturm „Lothar“ im Schwarzwald und in anderen
Regionen hingewiesen. Können Sie dem Plenum sagen,
wie viel Unterstützung die Bundesregierung den dortigen
Waldbauern gegeben hat, und können Sie dem Plenum
auch sagen, in welcher Größenordnung eine Firma, die
sich ähnlich nennt, nämlich Holzmann, fast gleichzeitig
Geld bekommen hat?


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Nachdem ich heute der Presse entnommen haben, dass
diese Firma wieder 100Millionen DM Schulden hat, kön-
nen Sie mir vielleicht sagen, welchen Stellenwert Sie dem
im Zusammenhang mit dem, was Sie hier erzählen, ein-
räumen.

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415812700
Herr Kollege, ich kann Ihnen selbstver-
ständlich sagen, was die Bundesregierung im letzten Jahr
gemacht hat: Sie hat sich, weil die Situation in Baden-
Württemberg so schwierig war, weil die Kahlschläge so
massiv waren, weil das Holz im Wald lag, weil die Gefahr
durch Borkenkäfer und Ähnliches groß war, entschlossen,
über den Plan hinaus Mittel zur Verfügung zu stellen.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Soll ich die Frage jetzt beantworten oder nicht?


(Peter Dreßen [SPD]: 30 Millionen DM zusätzlich!)


Ich weiß, dass wir dafür zusätzlich 30 Millionen DM be-
reitgestellt haben;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


denn ich habe im Haushaltsausschuss gesessen und das
durchgesetzt, lieber Herr Kollege.

Ich will aber ausführen, dass die Bundesregierung
hierzu bereit war, obwohl Baden-Württemberg die Last
eigentlich hätte alleine tragen müssen. Wir haben gesagt:
Die Krise ist so groß, dass wir trotzdem helfen. Sie soll-
ten froh sein, dass diese Hilfe zustande gekommen ist und
wir nicht Vergleiche zum Beispiel mit Holzmann


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau nach dem Vergleich habe ich gefragt! – Peter Dreßen [SPD]: Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!)


oder anderen gezogen haben, die nun wirklich hinken und
jeder Beschreibung spotten. Das ist der entscheidende
Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schließlich stand beispielsweise der von mir nicht
sehr geliebte hessische Ministerpräsident Koch in der ers-
ten Reihe, als die Forderung gestellt wurde, man müsse
Holzmann dringend helfen. Das bitte ich hier einmal zur
Kenntnis zu nehmen. Sonst mögen Sie doch den Koch im-
mer so gerne, also sollten Sie auch das zur Kenntnis neh-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Biomasseverordnung ist angesprochen worden.
Sie wird dem Wald helfen, weil wir aus dem Wald zu-
sätzlich Energie gewinnen können, und sie wird uns
ebenso hinsichtlich der nachwachsenden Rohstoffe und
der Verringerung der Ammoniakemission helfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sind die konkreten Maßnahmen, die wir durchge-
setzt haben und zu denen Sie nie in der Lage waren. Un-
ser Ministerium wird den Wald sowohl in wirtschaftlicher
als auch in ökologischer Hinsicht sehr ernst nehmen. Sie
können sicher sein: Diese Bundesregierung wird, egal ob
wir über die Verkehrswende oder über die Ökosteuer re-
den, nichts unversucht lassen, Politik zu machen, die am
Ende des Tages dem Wald nutzt. Denn – das ist eine alte
Weisheit – was dem Wald nutzt, das nutzt auch uns Men-
schen. Das leitet uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415812800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Druck-
sache 14/4235. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner




Parl. Staatssekretär Matthias Berninger
15430


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Waldzu-
standsberichts 1999 auf Drucksache 14/3090. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Wir
haben das also alle zur Kenntnis genommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der
Fraktion der CDU/CSU zum Waldzustandsbericht 1999,
Drucksache 14/3095. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4967 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 14/5560 soll zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit überwiesen werden. – Damit sind Sie einverstanden.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt
5 auf:
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietrich

Austermann, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Paul
Breuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Nachtragshaushalt zurKorrektur derEntwick-
lung der Bundesfinanzen vorlegen
– Drucksache 14/5449 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Verteidigungsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des
Verbraucherschutzes und zur Unterstützung
der landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich
– Drucksache 14/5544 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1415812900
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Es ist ein ziemliches Un-
ding, dass das Parlament über sein Königsrecht, das Haus-
haltsrecht, diskutiert und der Finanzminister nicht
anwesend ist. Ich halte das für empörend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es wäre durchaus angebracht, darüber zu entscheiden, ob
man den Minister hierher zitiert. In den letzten acht Wo-
chen haben sich nämlich Entscheidungen ergeben, die bei
den Bürgern und Betrieben Klarheit darüber erfordern,
wie es mit der Finanz- und Haushaltspolitik weitergeht.
Ich nehme an, Minister Eichel ist wieder einmal mit
der Flugbereitschaft unterwegs, wahrscheinlich im hessi-
schen Wahlkampf.


(Widerspruch bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


– Es mag auch sein, mit dem BGS.

(Zuruf des Parl. Staatssekretärs Karl Diller)


– Bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Diller, möchte ich
daran erinnern, dass ich vor 14 Tagen danach gefragt
habe, wann er die angekündigten Listen für die angebli-
chen Dienstflüge dem Rechnungshof vorlegen wird.

Meine Damen und Herren, in der Haushaltsdebatte am
28. November letzten Jahres habe ich für die Union ge-
sagt, Sie „haben durch falsche wirtschaftspolitische Wei-
chenstellungen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen verschlechtert“. Weiter:

Infolgedessen trüben sich die Wachstumsaussichten
für das kommende Jahr ein. ... Bei dem vorgelegten
Haushalt stimmt doch alles hinten und vorne nicht ...

Um die Ausgaben 2001 künstlich herunterzurechnen,
hat man versucht, ein paar Ausgabepositionen einfach
wegzulassen. Dies ist eine Missachtung des Parlaments,
eine Missachtung der Entscheidungshoheit, die wir in die-
ser Frage haben, und dies zeigt, dass nicht Klarheit und
Wahrheit herrschen. Man muss hierzu deutlich sagen: Der
Bundesfinanzminister ist aufgefordert, jetzt einen Nach-
tragshaushalt vorzulegen, in dem Einnahmen und Aus-
gaben gegenübergestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Alle Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass in die-

sem Jahr gewaltige Löcher im Bundeshaushalt klaffen.
Das ist auch nicht zu bestreiten. Herr Kollege Metzger hat
selbst von mindestens 6 Milliarden DM gesprochen. Nun
sagt der Kollege Metzger gelegentlich Zutreffendes,
manchmal sogar ein bisschen Konservatives; aber wenn
es dann darum geht, dass entschieden wird, ist er meistens
in den Büschen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hier wäre er jetzt gefordert, mit uns zusammen dafür zu
sorgen, dass wir Ordnung in die Bundesfinanzen bringen.


(Lachen bei der SPD)

Dass der Bundesfinanzminister das Parlament nicht

achtet, ist schon bei den UMTS-Lizenzen deutlich ge-
worden. Hier ist immerhin ein Betrag von 100 Milliar-
den DM am Parlament vorbeigeführt worden. Heute muss
man sagen, dass das Ganze ein Flop war; das ist jedenfalls
die vorherrschende Meinung der Unternehmen, die Li-
zenzen gekauft haben, und die vorherrschende Meinung
in der Wirtschaft. Man muss sich einmal fragen, wie die
250 Milliarden DM – 100 Milliarden DM für Lizenzaus-
gaben und 150 Milliarden DM für Investitionen – so




Vizepräsidentin Anke Fuchs

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erbracht werden können, dass sich das Ganze hinterher
auch rechnet.

Der Finanzminister ist im letzten Jahr beim Telekom-
Verkauf an der Frankfurter Börse stolz wie ein Gockel
herumspaziert. Heute schaut er als der nach wie vor größte
Telekom-Aktionär wie auch Millionen Kleinaktionäre auf
den dramatisch gesunkenen Kurs der Aktie. Ketzerisch
könnte man sagen, Eichel habe die Bundesschulden mit
den Vermögensverlusten der Kleinanleger finanziert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Meine Damen und Herren, am Parlament vorbei laufen
auch manche anderen Privatisierungseinnahmen.Wahr-
scheinlich weiß noch nicht einmal jeder Abgeordnete der
Koalition, wie viel Geld aus den Verkäufen von Post und
Telekom „gebunkert“ wird. Die genaue Zahl der Erlöse
aus der Privatisierung der Bundesdruckerei ist nicht be-
kannt. Eine genaue Auskunft über die Einnahmen aus dem
mittelstandsfeindlichen Verkauf der Ausgleichsbank und
aus dem Verkauf der DEG wird uns verweigert. All dies
bestätigt, dass der Finanzminister in einer Situation, die
auf der einen Seite dramatisch ist und auf der anderen
Seite durch ein erhebliches Maß an Einnahmen gekenn-
zeichnet ist, die er der Vorgängerregierung verdankt, in
beträchtlichem Umfange über Geld verfügt.

Der Bundesfinanzminister trickst ferner bilanztech-
nisch herum. Ein paar Ausgaben, die bereits bei den Haus-
haltsberatungen absehbar waren, sind nicht in den Haus-
haltsplan aufgenommen worden.

Ich rede jetzt gar nicht über die tatsächliche Situation
bei den Steuereinnahmen. Inzwischen weiß jeder Bür-
ger, dass die „größte Steuerreform aller Zeiten“ sich bei
ihm im Portemonnaie kaum bemerkbar gemacht hat.


(Lachen bei der SPD)

Sie wurde als eine Jahrhundertreform verkauft. Sie war es
übrigens nicht. Es gab eine bessere. Die Reform von
Gerhard Stoltenberg war wesentlich besser.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wurde als die Jahrhundertreform verkauft, aber sie

ist zurzeit in den Portemonnaies der Bürger nicht zu
spüren, obwohl – was man sich auf der Zunge zergehen
lassen muss – der Finanzminister im letzten Jahr 47 Mil-
liarden DM mehr an Steuern eingenommen hat als im
Jahre 1998. Er wird auch in diesem Jahr trotz der angeb-
lich größten Steuerreform mindestens 40 Milliarden DM
mehr Steuern einnehmen als zu unserer Zeit. Das ist ein
trauriger Rekord, denn das bedeutet auf der anderen Seite
Belastung von Bürgern und Betrieben in einem unerhör-
ten Ausmaß.

Meine Damen und Herren, die Bürger sind verunsi-
chert über die Haushalts- und Finanzpolitik,


(Hans Georg Wagner [SPD]: Durch Sie!)

durch die Wackelpuddingpolitik des Bundeskanzlers und
seines Finanzministers.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Panikmache!)


– Nein, das ist keine Panikmache. Das drückt sich zum
Beispiel konkret in den Wachstumserwartungen aus, Herr
Kollege Wagner, die deutlich nach unten korrigiert wer-
den müssen,


(Hans Georg Wagner [SPD]: Panikmache!)

was wir Ihnen vorhergesagt haben.

Eine Politik, die auf der einen Seite die Wirtschaft, die
Bürger und die Betriebe durch Ökosteuer, durch Energie-
steuer und durch andere hohe Ausgaben zusätzlich belas-
tet und auf der anderen Seite in geringerem Maße bei den
Steuern entlastet, kann doch nicht wachstumsförderlich
sein. Ich glaube, das ist ziemlich klar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie reden in Ihrer Koalition durcheinander. Der eine

sagt, die Kindergelderhöhung kommt. Der andere redet
vom höheren Betreuungsbetrag. Dann stellt man die Kin-
dergelderhöhung wieder einmal infrage. Dann wird ge-
sagt: Die Ökosteuer ist zu labil, deswegen müssen wir die
Mehrwertsteuer um zwei Punkte erhöhen. – Das war übri-
gens 1998 ein interessantes Wahlkampfthema. – Dann
spekuliert man in anderen Bereichen. Die Bürger wollen
Klarheit haben. Hören Sie mit der Verunsicherung der
Menschen auf.

Um das gleich aufzunehmen: Wenn die Behauptung
kommt, Sie hätten mit der Förderung der Familien erst
einmal angefangen, dann halte ich entgegen: Sie werden
das nicht einholen. Zu Ihrer Zeit wurden Kinderfreibe-
träge abgeschafft. Wir haben das korrigiert und das Kin-
dergeld für das erste Kind immerhin in einem Riesen-
schritt von 50 auf 220 DM pro Monat erhöht.


(Joachim Poß [SPD]: Was reden Sie für einen Unfug!)


Meine Damen und Herren, das Parlament wird von die-
ser Regierung und von der Koalitionsmehrheit nicht ernst
genommen, wie sie gleichzeitig die Aufgabe, die sie im
Parlament hat, nicht ernst nimmt. Das drückt sich darin
aus, dass die Mehrheit abgelehnt hat, den Finanzminister
Eichel und Herrn Scharping im Haushaltsausschuss zu
hören, sie einzubestellen, um sie zur Finanzsituation zu
befragen und insbesondere Auskunft zu den Bundeswehr-
finanzen zu erhalten. Gestern im Verteidigungsausschuss
ergab sich genau das gleiche Bild. Die Regierung meidet
das Parlament und das ist unparlamentarisch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dabei wird die Realität ignoriert. Sie können das an ei-

nem Beispiel sehen. Ich will gar nicht zitieren, was der
Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes über den Vertei-
digungsminister sagt.


(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das kann man zitieren!)


– Gut, Herr Kollege Roth, dann will ich das tun: der
schwächste Verteidigungsminister aller Zeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Der schwächste BundeswehrVerbands-Vorsitzende aller Zeiten!)





Dietrich Austermann
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Daran hat der Finanzminister einen erheblichen Anteil,
der dem Verteidigungsminister in diesem Jahr 2 Milliar-
den DM an notwendigen Mitteln verweigert, sodass man
heute feststellen muss: Die Bundeswehr ist pleite. Wich-
tige Ausgaben der Instandhaltung können nicht geleistet
werden.

Meine Damen und Herren, wir sagen: Wir brauchen ei-
nen Nachtragshaushalt, um Ausgaben und Einnahmen
wieder in die Buchhaltung des Bundes aufzunehmen.
Dafür gibt es klare Gründe:

Erstens. Das wirtschaftliche Wachstum fällt niedriger
aus. Das hat Auswirkungen auf die Steuereinnahmen.
Wenn man wie der Bundeskanzler von einem Wachstum
von 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum ausgeht, was völlig
utopisch ist, aber eher mit einem Wachstum von nur
2 Prozent rechnen muss, dann ist klar, dass gehandelt wer-
den muss.

Es ist ja auch interessant, welche Argumente bei die-
sem Thema hier vertreten werden. Wenn das Wachstum
gut läuft wie im letzten Jahr, dann lag es an der Bundes-
regierung; wenn es – wie in diesem Jahr ersichtlich –
schlecht läuft, dann waren es die Amerikaner oder wer
sonst auch immer; vielleicht waren es auch die Institute.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Die Opposition war es dann!)


Nein, es ist die Regierung, die durch Energieverteue-
rung, unter anderem durch die Ökosteuer, der Volkswirt-
schaft Lasten von 65 Milliarden DM auferlegt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Steu-
erreformentlastung nicht greift. Wenn Sie sich heute die
Spritpreise ansehen, dann stellen Sie fest, dass von dem
Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ schon lange keine
Rede mehr ist, sondern eher von dem Slogan „Freie Fahrt
für reiche Bürger“.

Sie errichten ständig neue Hürden für Investitionen,
bei der Mitbestimmung, bei der Teilzeitarbeit, bei den
AfA-Tabellen, bei der Energiebesteuerung, bei befristeten
Arbeitsverhältnissen und bei vielen anderen Dingen in
den Betrieben und beim Mittelstand und bewirken damit
eine zusätzliche Kostenbelastung.

Ich habe gesagt: Wir müssen auflisten, was an Haus-
haltsdefiziten zurzeit da ist, was nicht verzeichnet ist. Ich
habe das Wachstum und damit die Steuereinnahmen an-
gesprochen. Ich nenne die fehlenden 2 Milliarden DM bei
der Bundeswehr. Ich verweise darüber hinaus darauf, dass
bei der Telekom 400Millionen zu zahlen sind, und auf das
EXPO-Defizit. Die entsprechenden Mittel wurden Herrn
Gabriel schon im letzten September zugesagt. Dann kann
doch kein Mensch davon ausgehen, dass das Ganze un-
vorhergesehen und deshalb über Haushaltssperren zu be-
wältigen ist. Nein, alles das, was jetzt auf dem Tisch liegt,
was an zusätzlichen Ausgaben da ist, war vor Abschluss
des Haushalts bekannt.

Der Kollege Hollerith wird zum Thema BSE Stellung
nehmen. Wir haben hier am 27. November den Antrag ge-

stellt, ein Sofortprogramm für die Landwirtschaft zu ini-
tiieren. Das ist von Ihnen abgelehnt worden.


(Zuruf des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])

Das heißt, bei den Haushaltsberatungen war bekannt: Hier
kommt eine Belastung auf den Bund zu.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Außer Sprüchen nichts gewesen bei dieser Regierung!)


Das hat man damals ignoriert. Das kann man jetzt nicht
mit überplanmäßigen Ausgaben bewältigen; es muss ein
Nachtragshaushalt her.

Ich weiß natürlich, warum Sie das scheuen,

(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])


nämlich weil es im Ergebnis dazu führt, dass zugegeben
werden muss, Herr Kollege Poß, dass in diesem Jahr, wie
im letzten Jahr und im Jahre 1999, die Ausgaben gestie-
gen sind. Ein Finanzminister, der die Ausgaben nicht im
Griff hat, ist aber kein guter Finanzminister. Wenn also die
Ausgaben nur deshalb nach unten gerechnet werden, da-
mit die Steigerung bei den Ausgaben nicht erkennbar ist,
dann ist das Trickserei und hat mit Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf des Abg. Hans Georg Wagner [SPD])


Es gibt weitere Belastungen, die bisher im Haushalt
nicht aufgeführt worden sind.


(Zuruf der Abg. Dr. Konstanze Wegner [SPD])

– Ich kann Sie leider nicht verstehen, Frau Kollegin Weg-
ner, aber ich nehme an, Sie wollten mir zustimmen.

Ich nenne die Belastung aus der Rentenreform, die
sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Ich meine die
Grundsicherung, die die Kommunen trifft. Ich nenne auch
noch das Kindergeld und die Privatvorsorge bei der
Rente. Auch hier werden zusätzliche Mittel gebraucht.

Ich nenne den Transrapid. Auch hier war erkennbar,
dass es zusätzliche Belastungen geben würde, und zwar in
Höhe von 400 Millionen DM. Bisher sind sie nicht ver-
bucht.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ein ganz wichtiger Punkt ist die Arbeitslosenhilfe. Sie
ist im Bundeshaushalt in den letzten zwei Jahren mit
3,5 Milliarden DM unterfinanziert gewesen. Auch in die-
sem Jahr ist erkennbar, dass die dafür vorgesehenen Mit-
tel nicht ausreichen. Frau Kollegin Wegner, Sie wissen
ganz genau, dass wir im letzten Jahr 3,5 Milliarden DM
zusätzlich bereitstellen mussten, weil Sie die Arbeitslo-
sigkeit geschönt und zu niedrige Beträge angesetzt haben.
Das findet in diesem Jahr wieder statt und darauf weisen
wir die Bürger hin. Wir sagen: Der Hans Eichel ist in die-
ser Frage kein guter Verwalter der Bundesfinanzen. Er
schwimmt auf der einen Seite durch Privatisierungserlöse
und Steuereinnahmen im Geld, auf der anderen Seite
scheut er vor der Wahrheit durch ein klares Bekenntnis zur
tatsächlichen Situation bei den Ausgaben zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Der ertrinkt im Geld!)





Dietrich Austermann

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Meine Damen und Herren, wir fordern den Finanzmi-
nister auf, schnellstmöglich einen Nachtragshaushalt vor-
zulegen, um Klarheit und Wahrheit bei den Bundesfinan-
zen wieder herzustellen, der Wahrheit zum Durchbruch zu
verhelfen. Wir lassen nicht zu, dass den Bürgern vor den
Wahlen im Süden ein Trugbild über die tatsächliche Si-
tuation der Staatsfinanzen und der Wirtschaft vorgegau-
kelt wird. Deswegen fordern wir Sie auf, wenn Sie das
wichtigste Parlamentsrecht, das Budgetrecht, ernst neh-
men: Stimmen Sie mit uns dafür, dass ein Nachtragshaus-
halt vorgelegt wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415813000
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatsse-
kretär Karl Diller das Wort.


(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Der Detektiv!)


K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415813100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Haushaltspolitiker soll eines auszeich-
nen, nämlich Seriosität gegenüber Zahlen und Fakten,
insbesondere Seriosität gegenüber den Mitmenschen. All
das lässt Herr Austermann vermissen. Seine Rede war
vom ersten bis zum letzten Satz eine Aneinanderreihung
von widerlichen Unterstellungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Was?)


Das begann mit seinem ersten Satz, nämlich seiner
Klage über den abwesenden Finanzminister. Wenn er die
Wahrheit gesagt hätte, hätte er zugeben müssen, dass auf
Wunsch der CDU/CSU der Deutsche Bundestag heute
seine Tagesordnung völlig umgestellt hat,


(Hans Georg Wagner [SPD]: Ja, das ist die Unverschämtheit!)


dass man dieses Thema vom Vormittagstermin, der mit
Hans Eichel möglich gewesen wäre, auf den Nachmittag
verlegt hat, und zwar auf Antrag der Fraktion der
CDU/CSU. Wir haben das akzeptiert. Sich darüber jetzt
aufzuregen und sich zu beschweren, das ist nun wirklich
das Letzte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Georg Wagner [SPD]: Ja, eine Unverschämtheit! – Widerspruch bei der CDU/CDU – Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Ist er ein Halbtagsminister oder was?)


Dass Herr Austermann mit Unterstellungen arbeitet,
sieht man im Übrigen auch bei einem Thema, das sein
Lieblingsthema ist. Dazu sage ich zu Ihrer Unterrichtung:
Das Bundesverteidigungsministerium hat dem Bundes-
rechnungshof längst alle notwendigen Listen vorgelegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wo ist denn der Minister?)


– Zu Ihrer weiteren Unterrichtung: Hans Eichel ist der-
zeit auf dem Wege zu einem Landesfinanzminister, um
sich mit ihm über das Thema Bund-Länder-Finanzaus-
gleich zu unterhalten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der ist im Wahlkampf! Seien Sie doch seriös und sagen Sie einmal die Wahrheit!)


Der vorliegende Antrag der CDU/CSU setzt etwas fort,
was wir bereits vor einem Jahr ertragen mussten. Same
procedure as last year, könnte man also sagen. Denn auch
damals hat die Opposition einen Nachtragshaushalt ge-
fordert, weil der Haushalt 2000 angeblich aus dem Ruder
laufe.

Im Haushaltsvollzug hat Herr Austermann dann das
Thema gewechselt. Plötzlich war nichts mehr davon zu
hören, dass alles aus dem Ruder laufe. Vielmehr kam der
Vorwurf auf, Hans Eichel schwimme im Geld. Anfang Ja-
nuar dieses Jahres hat der gleiche Herr Austermann ge-
genüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine Pro-
phetie in die Vergangenheit – nicht in die Zukunft –
gewagt, indem er gesagt hat, im abgelaufenen Haushalts-
jahr 2000 würden die Ausgaben nach seiner Schätzung
um 3 Milliarden DM höher liegen als veranschlagt.

Tatsächlich lag der Abschluss des Haushalts 2000 um
3 Milliarden DM unter der veranschlagten Neuverschul-
dung. Statt 3 Milliarden DM Mehrausgaben, wie von
Herrn Austermann noch Anfang Januar – rückwirkend –
prophezeit, hatten wir 800 Millionen DM Minderausga-
ben. Das zeigt die Qualität dieses Propheten in Bezug auf
den Haushalt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Wo ist denn der Herr Austermann?)


Herr Fraktionsvorsitzender, Sie sollten sich für dieses
Thema einen neuen Propheten suchen.

Im Übrigen möchte ich auf Folgendes hinweisen: Un-
ter Mitwirkung von Herrn Austermann haben CDU/CSU
und F.D.P. dem deutschen Volk eine Verschuldung des
Bundes von 1,5 Billionen DM hinterlassen.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Was ist mit der deutschen Einheit? Die vergessen Sie immer!)


Für diese gigantische Verschuldung, für Ihre Schulden,
müssen wir in den laufenden Haushaltsjahren fast
80 000 Millionen DM nur an Zinsen zahlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dummheit ist das! Sie wollen heute noch immer nicht die deutsche Einheit haben!)


Sie haben die Verantwortung dafür zu tragen – die tragen
Sie heute noch –, dass der Bundeshaushalt finanziell prak-
tisch manövrierunfähig war.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ich würde mich schämen!)


Es bedurfte unseres Kraftaktes im Rahmen des Kon-
solidierungsprogrammes 2000, aus dieser Haushaltsnot-




Dietrich Austermann
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lage herauszukommen. Das schaffen wir nur, indem wir
im letzten Jahr wie in diesem Jahr eine strikte Ausgaben-
disziplin einhalten


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Schulden der Sozialisten sind das!)


und die Neuverschuldung – so auch in diesem Jahr – he-
runterfahren. Dazu gehört auch die Bewirtschaftung der
Haushaltsmittel. Nicht jede Mark, die veranschlagt ist,
muss auch ausgegeben werden. Darauf werden wir wei-
terhin genau achten.

Wir haben im laufenden Haushalt unvorhergesehene
und unabweisbare Zusatzbelastungen; das ist richtig.
Diese Belastungen sind aber beherrschbar, weil wir an un-
serem Konsolidierungsprogramm festhalten.

Eines ist klar: Die Grenze der im laufenden Haushalts-
jahr auffangbaren Zusatzbelastungen ist nun fast erreicht.
Der Bund wird daher keinesfalls über seine Finanzie-
rungsverantwortung hinaus weitere Mittel, die im Rah-
men der BSE-Krise erforderlich werden, übernehmen
können. Als Folgekosten aus der BSE-Krise haben Bund
und Länder gemeinsam 2 Milliarden DM kalkuliert. Von
diesem Betrag entfällt nach den bestehenden Finan-
zierungsverantwortlichkeiten rund 1 Milliarde DM auf
den Bund. Wir sind bereit, diese zu tragen.

So leisten wir beispielsweise auf EU-Ebene unseren
Anteil. Denn die EU hat vor wenigen Wochen beschlos-
sen, einen Nachtragshaushalt in der Größenordnung von
1 Milliarde Euro vorzulegen, wofür sie bei uns auf der
Einnahmenseite 500 Millionen DM abbuchen wird, um
ihren Haushalt zu finanzieren. Dies war absolut unvor-
hersehbar und unabweisbar. Wir werden diese Min-
dereinnahmen im Rahmen der im Einzelplan 60 veran-
schlagten Ansätze für die EU-Abführungen auffangen.
Außerdem haben wir außerplanmäßige Ausgaben in Höhe
von 300 Millionen DM für die BSE-Krise bewilligt.

Bei der Unterrichtung des Haushaltsausschusses des
Deutschen Bundestages am 7. Februar 2001 über diese
außerplanmäßigen Ausgaben wurde die BMF-Vorlage im
Übrigen ohne Einschränkung zur Kenntnis genommen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es gibt keine qualifizierte Kenntnisnahme! Das sollten Sie eigentlich wissen!)


Deswegen können die jetzt nachträglich erhobenen
Rechtsbedenken überhaupt nicht nachvollzogen werden.

Über die Finanzierung der Restmittel werden zurzeit
weitere Gespräche geführt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415813200
Herr Kol-
lege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Koppelin?

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415813300
Bitte sehr.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415813400
Bitte
schön, Herr Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1415813500
Herr Staatssekretär, kön-
nen Sie uns noch einmal darstellen, wie Sie nun die fi-
nanzielle Abwicklung der BSE-Krise gestalten wollen?
Sie haben zwar Zahlen genannt und Sie haben gesagt, was
der Bund tragen will. Nun lese ich aber, dass die andere
Finanzexpertin Ihrer Partei, Frau Heide Simonis, sagt,
von den Ländern gebe es keinen Pfennig; denn durch die
Politik des Bundes seien die Kassen der Länder bereits so
gerupft worden, dass sie kein Geld mehr habe. Wie kön-
nen Sie also erwarten, dass die Länder zuzahlen? Wenn
Sie zu einer Einigung kommen, darf ich dann bitte gleich-
zeitig von Ihnen wissen, wann Sie mit dieser Einigung
rechnen?

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415813600
Herr Kollege Koppelin, ich bin gerade da-
bei, das aufzufächern. – Wir haben also 500Millionen DM
dadurch zu leisten, dass die EU einen Nachtragshaushalt
zur Bewältigung der BSE-Krise aufstellt. Da ist – das ist
der erste Punkt – unser Anteil, 500 Millionen DM Steuer-
einnahmen an die EU abzuführen.

Zweiter Punkt: Ich habe Ihnen gerade dargelegt, dass
wir 300 Millionen DM außerplanmäßig bereitstellen, die
den Gesamthaushalt betreffen, und weitere Millionen wer-
den aus dem Bereich des Einzelplans 10 erwirtschaftet.

Im Übrigen möchte ich auf eines hinweisen: Wir gehen
in der Finanzierungsfrage exakt entlang der Verantwort-
lichkeit. Wir tragen das, wofür der Bund verantwortlich
ist. Wir fordern alle anderen auf, im Rahmen ihrer
Verantwortlichkeiten auch die Finanzierungsverantwor-
tung zu übernehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn wir haben rasch und entschlossen – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415813700
Herr Kol-
lege Diller, entschuldigen Sie: eine Zusatzfrage des Kol-
legen Koppelin!

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415813800
Okay.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415813900
Bitte
schön, Herr Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1415814000
Herr Staatssekretär, ich
habe mich bemüht, Sie sehr sachlich zu fragen, wann Sie
denn mit einer Einigung mit den Ländern rechnen. Ich
habe das Beispiel angesprochen, dass Frau Simonis sagt:
Wir haben kein Geld in der Kasse, wir werden nicht zah-
len. Jetzt möchte ich von Ihnen hören: Wann erwartet die
Bundesregierung, dass sie sich mit den Ländern einigt?

Darf ich auch fragen, wie weit die Finanzierung der
BSE-Krise auch mit der EU abgesprochen ist und was von
da noch kommen wird?

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415814100
Herr Koppelin, Sie wissen aus der Diskus-




Parl. Staatssekretär Karl Diller

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(A)



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sion in dieser Woche im Haushaltsausschuss, dass das von
Land zu Land höchst unterschiedlich gehandhabt wird. Es
gibt beispielsweise sogar zwei Länder, nämlich Rhein-
land-Pfalz und Baden-Württemberg, die weit mehr zah-
len, als in ihrer eigenen Finanzverantwortung steht, die
sogar Dinge übernehmen, die eigentlich die Betroffenen
in der Wirtschaft tragen müssten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bayern auch!)

Von daher denke ich, dass sich die beteiligten Länder

auch irgendwann einmal schlüssig werden müssen, auf
unser Angebot einzugehen und das zu akzeptieren, was
wir bereit sind, überplanmäßig bereitzustellen. Was nicht
erfolgen darf, Herr Koppelin – darin stimmen Sie mir si-
cherlich zu –, ist, dass noch endlos weiter auf dem Rücken
der Betroffenen geschachert wird. Wir haben unser Ange-
bot präzise vorgelegt,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da bin ich gespannt!)


und jetzt sollten alle Beteiligten dem zustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Auch der Einzelplan des Bundesverteidigungs-

ministeriums, Herr Austermann, gibt keinen Anlass, ei-
nen Nachtragshaushalt für das Jahr 2001 vorzulegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Denn der Herr Bundesverteidigungsminister hat mehr-
fach im Haushaltsausschuss und im Verteidigungsaus-
schuss des Deutschen Bundestages festgestellt, dass er
mit seinem Geld auskommt.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist dreist oder ignorant!)


Haushaltsplan und Finanzplan bis 2004 sind im Übri-
gen einvernehmlich im Kabinett festgelegt worden. Dem
BMVg sind zur finanziellen Entlastung eine Reihe von
Sondervergünstigungen gewährt worden. Ich erinnere da-
ran, dass die eigentlich bei uns etatisierten Sondermittel
für den Osteuropaeinsatz in Höhe von 2 Milliarden DM
nun in den Verteidigungshaushalt überführt worden sind
und dort im Wesentlichen auch für Investitionen genutzt
werden können.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!)


Ich erinnere auch daran, dass die Mehreinnahmen aus der
Veräußerung beweglichen und unbeweglichen Vermö-
gens bis zu einer Obergrenze von 1 000 Millionen DM in
diesem Jahr und in der Größenordnung von 1 200 Milli-
onen DM im nächsten Jahr ebenfalls dem Einzelplan Ver-
teidigung zur Verfügung gestellt werden, damit Verteidi-
gungsinvestitionen weitergeführt werden können – eine
ungewöhnliche Methode übrigens, die eigentlich wider
alle Prinzipien ist, weil sie natürlich irgendwann zu einer
Versäulung des Haushalts führen könnte.

Das zeigt also, wie großzügig wir in diesem Bereich
sind. Im Übrigen kann der Verteidigungsminister die Aus-
gaben im Rahmen seiner Bewirtschaftungsmöglichkeiten
auffangen.

Ich will noch eines aufgreifen, was Herr Austermann
angesprochen hat: das Beispiel der EXPO. Auch da kann
man sehen, wie unsinnig seine Formulierungen sind. Herr
Austermann hat in der Öffentlichkeit prophezeit, es gäbe
für den Bund eine zusätzliche Belastung von mehr als
1 Milliarde DM. Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar;
denn bei einem zu erwartenden EXPO-Defizit – Herr
Austermann, wenn Sie sich einmal sachkundig machen
würden – von 2,4 Milliarden DM ergeben sich für den
Bund noch zu finanzierende Mehrkosten von 400 Milli-
onen DM. Sie kennen Ihren eigenen Haushalt nicht.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und Sie kennen Ihren Kanzler nicht!)


Also, Herr Fraktionsvorsitzender, überlegen Sie sich eine
neue Besetzung dieses Postens.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Deswegen bleibt eines richtig: Wir wollen erst einmal

abwarten, bis die – ja, was ist es? – GmbH in Liquidation
ihre endgültigen Zahlen vorgelegt hat, bis die geprüft
sind.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und bis der Kanzler „Basta!“ gesagt hat!)


Dann erst wird ja das endgültige Ergebnis feststehen
können und dann werden wir diese Geschichte auch
schultern, und zwar so, dass sie im Jahre 2002 geschultert
wird.

Die Steuereinnahmen, meine Damen und Herren,
sind in 2000 zwar um 6 Milliarden DM hinter dem Er-
gebnis der Steuerschätzexperten des Bundes und aller
Länder geblieben. Die haben im November getagt und uns
für Ende Dezember 6 Milliarden DM Mehreinnahmen
prognostiziert; das ist leider Gottes nicht eingetroffen.
Gleichwohl waren die eingegangenen Steuereinnahmen
um 1,3 Milliarden DM höher, als es den veranschlagten
Sollzahlen entsprach. Das bedeutet, dass sich ein Teil der
prognostizierten Steuermehreinnahmen, die dann nicht
eingetreten sind, weil wir den Haushaltsplan 2001 auf-
grund dieser Prognose für 2001, wie das seit Jahrzehnten
üblich ist, aufgestellt haben – mit Ihrer Zustimmung übri-
gens –, nun als Steuermindereinnahmen als Basiseffekt
für dieses Jahr und die kommenden Jahre in der Finanz-
planung durchwälzen wird.

Darüber haben wir den Haushaltsausschuss bereits bei
der Vorlage des endgültigen Haushaltsabschlusses für das
Jahr 2000 unterrichtet. Ich kann Ihnen sagen, dass Tatsa-
che ist, dass es einen erfreulichen Steuereinnahmenzu-
wachs beim Bund sowohl im Januar wie im Februar ge-
geben hat; im Februar hat er sich schon deutlich korrigiert,
weil der Januarmonat besonders starke Einmaleffekte
hatte.

Insgesamt, meine Damen und Herren, ist das, was Herr
Austermann zum Schluss sagte, wahr. Zum Schluss hat er
nämlich gesagt, dass er das alles wegen der anstehenden
Wahlen macht.


(Heiterkeit bei der SPD)

Deswegen ordnen wir das ordentlich ein, kehren zurück
zur Sachpolitik; und die Sachpolitik sagt, für einen Nach-




Parl. Staatssekretär Karl Diller
15436


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(D)



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(B)


tragshaushaltsplan für dieses Jahr besteht überhaupt kein
Anlass.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415814200
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Birgit
Schnieber-Jastram von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1415814300
Sehr geehr-
ter Herr Staatssekretär Diller, ich möchte eine kleine Ein-
lassung von Ihnen korrigieren. Sie haben eben gesagt, auf
unseren Wunsch finde diese Debatte erst zu diesem Zeit-
punkt statt. Offensichtlich haben Sie den Kontakt und den
Informationsfluss zur eigenen Fraktion verloren; denn ich
darf Ihnen sagen, dass die eigentlich für diesen Nachmit-
tag geplante Debatte zum Thema der transatlantischen Be-
ziehungen auf Ihren Wunsch hin auf den Vormittag verlegt
worden ist, und dementsprechend kam alles andere ins
Rutschen. Herr Minister Eichel scheint mir übrigens heute
den ganzen Tag über doch eher nicht im Hause zu sein.

Meine Anregung also: Informieren Sie sich das nächste
Mal bei Ihren eigenen Geschäftsführern der Fraktion da-
rüber, was wirklich Sache ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415814400
Herr
Staatssekretär, zur Beantwortung, bitte.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1415814500
Frau Kollegin, ich habe mich hierbei auf
folgende Unterrichtung gestützt.


(Lachen der Abg. Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU] – Zuruf von der F.D.P.: Das interessiert doch keinen!)


Der Leiter der Fraktionsverwaltung der SPD hat festge-
halten: Dass zu diesem Tagesordnungspunkt am Nach-
mittag und nicht wie ursprünglich von der CDU beab-
sichtigt am Vormittag debattiert wird,


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Jetzt kommt ein echter Diller!)


liegt einzig und allein daran, dass man dem Wunsch nach-
gekommen ist, die Debatte über die transatlantischen Be-
ziehungen in Anwesenheit des Außenministers in der
Kernzeit zu führen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Also, bitte! – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Aber das war doch Ihr Wunsch! Das ist genau das, was ich gesagt habe! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415814600
Ich erteile
jetzt dem Kollegen Günther Rexrodt von der F.D.P.-Frak-
tion das Wort.


Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1415814700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Bisher wurde sie als Markenzeichen
der rot-grünen Koalition geführt, die Finanzpolitik von
Hans Eichel. Der Kanzler hatte ihn machen lassen.

Wer sich nur eineinhalb Jahre zurück erinnert, weiß,
dass es der Konsolidierungskurs der Bundesregierung
war, der den Bürgern erstmals nach dem desaströsen
Jahr 1999 wieder ein Stück Zutrauen gab – und zugleich
Hoffnung auf mehr Geld.

Nach den – übrigens bis heute unkorrigierten – Ent-
scheidungen zur Scheinselbstständigkeit, zu den 630-
Mark-Jobs und zum Kündigungsschutz kam nun der spar-
same Hans und verkündete: Die Nettoneuverschuldung soll
mittelfristig auf null gebracht werden. Steuerentlastungen
stehen an. Dann kam die Sache mit der Ökosteuer. Nun, die
hat man nicht geliebt, aber die Rentenbeiträge sollten ja
nicht erhöht werden. Der unerwartete Geldsegen aus der
UMTS-Versteigerung wurde entgegen der sozialdemokra-
tischen Tradition nicht den Wünschen der Ressorts geop-
fert. Ja, das erschien akzeptabel und seriös. Die sind doch
eigentlich gar nicht so schlimm, dachten die Bürger.

Wer sich aber mit der Finanzpolitik und speziell mit
den Haushaltsansätzen 2000 und 2001 befasst hatte,
merkte bald, um was es ging: einerseits Verringerung der
Staatsschuld aufgrund außergewöhnlich guter Einnah-
men – gut so! – und andererseits keine wirklichen Verän-
derungen auf der Ausgabenseite. Im Gegenteil: Seit der
Regierungsübernahme – das muss man sich auf der Zunge
zergehen lassen – sind die Ausgaben um 22 Milliar-
den DM gewachsen. In den Jahren 2000 und 2001 blieben
bzw. bleiben sie auf hohem Niveau konstant. Ab 2002
steigen sie wieder bis auf eine halbe Billion DM –
500 Milliarden DM! Das ist noch nie da gewesen.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: 500 000 Millionen!)


Die für eine Verbesserung auf der Ausgabenseite not-
wendigen Hausaufgaben sind von Hans Eichel nicht ge-
macht worden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hans Eichel war aufgrund der Entwicklung auf der

Einnahmenseite der Hans im Glück. Nun hat ihn – des-
halb stehen wir hier – das Leben eingeholt: Wer keine Vor-
sorge trifft, den erwischt es auf falschem Fuße. So ist das
mit ungedeckten Ausgaben. Wenn dann noch etwas mit
der Konjunktur passiert, befindet sich das Schiff Finanz-
politik in ganz schwerem Fahrwasser.


(Joachim Poß [SPD]: Oh!)

Mit dem Leichtwasserfahrzeug, das Sie mit Ihrem Haus-
halt 2001 gebaut haben, werden Sie da nicht durchkom-
men, meine Damen und Herren von der Koalition.

Das erste Risiko liegt bei der Bundeswehr. Der Um-
bau ist nicht durchfinanziert. Die Krise ist hausgemacht.
Hier fehlt schon lange ein Konzept.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist auch kein Wunder, denn große Teile der Grünen
und nicht ganz unerhebliche Teile der Sozialdemokraten




Parl. Staatssekretär Karl Diller

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(D)



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tun sich mit der Bundeswehr schwer, und Herr Eichel war
mit seinem politischen Hintergrund nie ein Fels in der
Brandung.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!)

Da hält man die Soldaten erst einmal kurz. Offene

Rechnungen aus dem Jahre 2000 in Höhe von 800 Milli-
onen DM wurden in das Jahr 2001 geschleppt. Dies ist ein
Unding an sich.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Ihre Regierung hat immer jeweils 1 Milliarde DM verschleppt!)


– Das ist nicht richtig, Herr Wagner. Den Beweis dafür
können Sie nicht antreten.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Doch, den kann ich antreten!)


Wir haben auch dann, als die Einnahmensituation sehr
viel schlechter war, zur Bundeswehr gestanden und haben
das für die Bundeswehr getan, was wir leisten konnten.
Das weiß die Truppe.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: 1 Milliarde DM an unbezahlten Rechnungen!)


Sie haben es nicht gemacht, und deshalb ist die Truppe de-
motiviert. Gehen Sie doch einmal zu den Standorten. Ich
war jetzt während des Wahlkampfes an einigen Standor-
ten in Hessen. Sehen Sie sich diese einmal an und spre-
chen Sie mit den Soldaten darüber, wie die über Sie und
Ihre Koalition denken. Die fühlen sich im Stich gelassen.
Das ist eine Tatsache.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Wagner, es sind russische Verhältnisse eingetre-

ten. Fahrzeuge werden ausgeschlachtet, damit andere
noch fahren können. Das ist ein Faktum und das Ergebnis
Ihrer Politik. Das muss laut gesagt werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Hilfe, der Iwan kommt!)


Dann gibt es noch das Defizit bei der EXPO. Das gibt
es schon, Herr Staatssekretär Diller.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben viel zu wenig in den Haushalt eingestellt. So-
lange kein endgültiger Abschluss der EXPO vorliegt – so
wird gesagt –, solle man die Finanzierung offen lassen.
Ob nun zwischen dem Bund und dem Land Niedersach-
sen im Verhältnis 50:50 oder im Verhältnis zwei Drittel zu
einem Drittel geteilt wird: In jedem Fall ist für Hunderte
Millionen, wenn nicht für Milliarden, Herr Diller, keine
Vorsorge getroffen. Das ist keine solide Haushaltspolitik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß er auch!)


Dann gibt es noch die zusätzlichen Verpflichtungen
aufgrund der BSE-Krise. Hoffen wir, dass nicht noch an-
deres hinzukommt, aber auszuschließen ist es nicht. Dass
diese Krise und zusätzliche Aufwendungen auf uns
zukommen, kann man der Bundesregierung, wenn man

fair ist, nicht vorwerfen. Aber man kann ihr sehr wohl die
Art vorwerfen, mit diesen Dingen umzugehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bauern wissen nicht, wo es langgeht. Sie haben
den Eindruck, die Krise ginge allein zu ihren Lasten. Die
Verunsicherung wächst jeden Tag. Auch nenne ich hier
das Gezerre zwischen dem Bund und den Ländern, wer
nun was bezahlt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fünf Monate schon!)


Die Bauern haben den Eindruck – das sage ich auch aus
persönlicher Erfahrung aus Gesprächen auf den Höfen
mit den Bauern –: Sie sind die Leidtragenden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Zusätzlich gibt es noch das Gezerre zwischen Brüssel und
Berlin. Die Geprellten – so wird es aufgenommen und so
ist es auch – sind die Bauern.

Gleichzeitig – der Herr Staatssekretär ist nun nicht
mehr da – wird großspurig von der Agrarwende in
Deutschland gesprochen. Wie soll denn das passieren,
wenn die Komplementärmittel für Brüsseler Beiträge feh-
len, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küsten-
schutz heruntergefahren werden soll und die Reduzierung
des Steuersatzes beim Agrardiesel, die als Einkommens-
ausgleich gepriesen wurde, wieder abgeschafft werden
soll? „Die Bauern wählen uns sowieso nicht“, das ist
keine Politik, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist. So
kann man nicht vorgehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es gibt noch andere Risiken im Haushalt, Herr Diller.

Ich will das nicht im Einzelnen ausführen, sondern nur die
Stichworte Transrapid und Rückerstattung an die Tele-
kom nennen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Diller ist das größte Risiko!)


Zwei Dinge möchte ich aber noch kurz ansprechen. Das
eine ist der Arbeitsmarkt. Am Arbeitsmarkt ist der er-
hoffte Durchbruch nicht gelungen. Zwar sind die Ar-
beitslosenzahlen moderat gefallen. Aber wir wissen alle,
dass dies viel mit der Demographie und auch etwas mit
der besseren Konjunktur zu tun hat. Deswegen jedoch der
Bundesanstalt die Zuschüsse um 6,5 Milliarden DM zu
kürzen, das war nicht berechtigt. Ich sage Ihnen: Sie wer-
den da noch Ihr blaues Wunder erleben.

Wenn Sie nicht das verkrustete Arbeitsrecht aufbre-
chen und statt Flexibilität und Teilhabe jetzt auch noch mit
der Ausweitung der Mitbestimmung lieber den Dino-Vor-
stellungen von Herrn Zwickel Folge leisten – mit anderen
Worten: mehr Macht den Gewerkschaften –, werden Sie
die Probleme des Arbeitsmarktes nicht in den Griff be-
kommen. Das kostet das Geld der Wirtschaft, das Geld
des Finanzministers und damit unser aller Geld.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der zweite Punkt: Ich gehöre bei der Konjunktur

nicht zu den Skeptikern, eher im Gegenteil. Aber ich er-
innere mich noch sehr wohl, meine Damen und Herren




Dr. Günter Rexrodt
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(A)



(B)


von der Koalition: Als damals 1998 die konjunkturelle
Wende und der Umschwung kamen, haben Sie – das
Theater in Bonn sehe ich noch vor mir – gerufen: Das ist
nur auf den Export zurückzuführen. Wo würden Sie denn
konjunkturell stehen, wenn es den Export nicht gäbe?
Das ist das Dilemma, in dem Sie sich befinden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wer wird denn in Abrede stellen können, dass die Ent-

wicklung in den USA auf uns Auswirkungen haben wird?
Die japanische Wirtschaft ist über alle Maßen schwach.
Die anderen asiatischen Staaten schwächeln noch. Wollen
Sie weiter in Abrede stellen, dass die Kapitalvernichtung
von 315Milliarden DM allein am Neuen Markt ohne Aus-
wirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten der deut-
schen Wirtschaft ist? Nichts da! Mit dieser Konjunktur
bewegen wir uns wie bei einer Gratwanderung. Das wird
sehr schwierig werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch im letzten Jahr vom Neuen Markt geschwärmt, Herr Rexrodt! Lesen Sie doch einmal Ihre eigenen Reden!)


Die Institute haben Recht, wenn sie jetzt den Ansatz
des Wachstums von 2,7 oder 2,8 Prozent auf 2,1 oder
2,2 Prozent reduzieren wollen. Herr Poß, Sie wissen ge-
nau: Jedes Prozent kostet 9 Milliarden DM. Das kostet
den Bund also mindestens 3 Milliarden DM.

Das sind enorme zusätzliche Risiken im Haushalt. Wir
wollen wissen, was Sache ist. Kein Lavieren und kein
Hinhalten mehr! Wir als Parlamentarier und die Bevölke-
rung haben das Recht, von Ihnen befriedigende Auskünfte
und konkrete Zahlen zu verlangen. Die Bürger können
dies einfordern. Es ist das erste Recht des Parlaments,
dass wir darauf drängen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn Sie das nicht ausführlich und dezidiert machen,

wenn Sie beschönigen und lavieren, dann werden wir er-
neut mit der Forderung nach einem Nachtragshaushalt
kommen. Jetzt haben Sie die Chance: Legen Sie die Zah-
len vor, so wie es sich gehört, und reden Sie die Situation
nicht schön! Sie haben uns über Jahre vorgeworfen, wir
hätten die wirtschaftliche Situation schöngeredet und uns
gesundgerechnet. Das Gegenteil ist der Fall. Sie tun das
und wir haben einen Anspruch darauf, zu wissen, was
wirklich Sache ist. Sie müssen eine überzeugende Haus-
haltspolitik machen. Wenn Sie das nicht tun, wird das dem
Markenzeichen von Hans Eichel, das zugegebenermaßen
als solches in der Öffentlichkeit zu verkaufen war, nicht
gerecht.


(Joachim Poß [SPD]: Bei Ihren Stümpereien möchten Sie das wohl gern!)


– Herr Poß, Sie lassen sich zu scharfen, überzogenen und
– nicht in diesem Fall – persönlichen Äußerungen hin-
reißen. Machen Sie Ihre Arbeit! Dann haben Sie viel
zu tun.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hans Georg Wagner [SPD]: Wenn der Rexrodt seine Arbeit gemacht hätte, wären wir heute viel weiter!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415814800
Als nächs-
ter Redner hat das Wort der Kollege Oswald Metzger vom
Bündnis 90/Die Grünen.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415814900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An die
Adresse der Kollegen Rexrodt, Austermann und Co aus
der Union: Die Finanzpolitik bleibt das Markenzeichen
dieser Koalition. Hans Eichel muss doch eine solche
Diskussion nicht meiden. Der könnte Ihnen angesichts der
unberechtigten Forderungen nach einem Nachtragshaus-
halt die Leviten lesen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wo ist er denn?)


Deshalb ist es absurd, hier den Eindruck zu erwecken, der
Finanzminister würde den Kontakt mit dem Parlament
und die öffentliche Debatte über dieses Thema scheuen.

Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen: 1996 – Ihre
Fraktionen hatten die Verantwortung – betrug die Netto-
kreditaufnahme 78 Milliarden DM, was zum Vollzug ei-
nes verfassungswidrigen Haushalts führte. 1997 belief
sich die Nettokreditaufnahme auf 63 Milliarden DM.
1998 – in dem Jahr, in dem wir die Regierung übernom-
men haben – belief sie sich auf 56 Milliarden DM.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: An die deutsche Einheit denken Sie überhaupt nicht!)


Im Jahr 1999 betrug die Nettokreditaufnahme 46,5 Milli-
arden DM und in diesem Jahr werden wir mit einer Net-
tokreditaufnahme von 43,7 Milliarden DM auskommen.

Das bedeutet, innerhalb des von mir aufgezeigten Zeit-
raumes – zwei Jahre entfallen auf Ihre Koalitionsregierung
und drei Jahre auf unsere Koalition – ist die Nettoneuver-
schuldung auf Bundesebene um rund 25 Milliarden DM
reduziert worden. Das ist eine Leistung, auf die diese Ko-
alition stolz sein kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ohne diese Leistung könnten wir auch nicht zugunsten
der Bürgerinnen und Bürger die Steuern senken, was wir
in diesem Jahr tun.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415815000
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauen?


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415815100

Bitte, Herr Kollege Rauen. Ich werde meinen Faden nicht
verlieren.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415815200
Können Sie bestätigen,
dass in den Jahren 1995, 1996 und 1997 die Steuerein-
nahmen aller Gebietskörperschaften zurückgegangen
sind und dass wir seit 1998 einen Steuerzuwachs von über
100 Milliarden DM gehabt haben?




Dr. Günter Rexrodt

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(B)



Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415815300

Herr Rauen, ich bin froh über diese Frage, weil man daran
sehen kann, dass die kalte Progression, die Sie auch heute
früh in der Mittelstandsdebatte beklagt haben, immer ein
probates Mittel war, die Einnahmen der öffentlichen
Haushalte zu steigern, um den Anstieg der Ausgaben,
– Personal- und Sachkosten steigen natürlich auch –
ausgleichen zu können. Nur 1997 sind die tatsächlichen
Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen ein einziges
Mal netto geringer gewesen als im Vorjahr. Das stimmt.
Aber 1996 hatten Sie ein großes Loch im Haushalt, weil
1996 die Konjunktur wegbrach, die Arbeitslosigkeit ex-
plodierte und Sie einen Finanzminister hatten, der für
seine Haushaltspläne auf Sand gebaute, nicht realitäts-
taugliche Projektionen verwandte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich setze meine Ausführungen zu der Senkungsstrate-
gie bei der Verschuldung fort: Kollege Rexrodt – im All-
gemeinen ein sachlicher Mann, aber auch für eine spitze
Zunge gut – hat in einem Punkt den Eindruck erweckt, un-
sere Koalition habe eigentlich nicht gespart, weil 1999 die
Ausgaben um gut 20MilliardenDM höher gewesen seien.
Das ist richtig. Wissen Sie aber auch, warum die Ausga-
ben höher waren? – Weil wir in unserer Regierung zum
ersten Mal die Schattenhaushalte – Erblastentilgungs-
fonds und anderes – im Bundeshaushalt etatisiert haben.


(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wie bitte? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Zahlen haben Sie herausgenommen!)


– Nein, wir haben den Erblastentilgungsfonds in den Zins-
ausgaben des Bundeshaushalts veranschlagt und damit
sind die Zinsausgaben zwischen 1998 und 1999 entspre-
chend angestiegen. Ich habe das Material an meinem
Platz. Die Zahlen sind mir präsent; ich kann es Ihnen be-
legen.

Der Anstieg der Ausgaben in unserer Regierungszeit
resultiert aus dem explosionsartigen Anstieg der Zinsaus-
gaben. Ihre Erblast schlägt durch bis heute. Wer die Ver-
antwortung dafür trägt – meine Damen und Herren von
Union und F.D.P., ich teste das zurzeit im baden-würt-
tembergischen Wahlkampf –, können auch Ihre Wähle-
rinnen und Wähler gut einschätzen. Ich sage Ihnen eines:
Bei jeder Wahlkampfveranstaltung kann jeder Sozialde-
mokrat und jeder Grüne damit punkten, auch vor konser-
vativem und liberalem Publikum. Das tut Ihnen so weh.
Deshalb versuchen Sie immer wieder, die Regierung mit
falschen Behauptungen vor sich herzutreiben. Aber Sie
können uns nicht treiben; denn da haben wir wirklich et-
was zu bieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte auf die finanziellen Risiken dieses Jahres
zu sprechen kommen. Ich bin für meinen Realitätssinn
bekannt. Unser Kollege Wagner hat als haushaltspoliti-
scher Sprecher der Regierungsfraktionen ebenso wie ich
in den letzten Tagen darauf hingewiesen: Wir müssen uns
vor Übermut hüten. Wir sehen natürlich die negativen
weltwirtschaftlichen Veränderungen, die auch das

Wachstum in Deutschland und in Europa reduzieren wer-
den. Wir dürfen nicht so tun, als könnten wir in diesem
Jahr einfach Steuermehreinnahmen einkalkulieren, um
die möglichen Risiken im Bundeshaushalt finanziell ab-
zufedern. Es handelt sich um Risiken, die unvorhersehbar
waren, wie zum Beispiel BSE. Es ist keine Frage: Die
Milliarde, die Staatssekretär Diller im Zusammenhang
mit den BSE-Folgekosten genannt hat, müssen wir dieses
Jahr im Haushalt auffangen.

Dass die Langzeitarbeitslosigkeit trotz aller Versuche
erschreckend hoch bleibt, müssen wir konstatieren.


(Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Richtig!)

Wenn aber der Obmann der Unionsfraktion Austermann
in der heutigen Ausgabe des „Handelsblatts“ einfach
locker verkündet, man müsse für die Arbeitslosenhilfe
mehr einkalkulieren und deshalb den Bundeszuschuss an
die Bundesanstalt für Arbeit – 1,2 Milliarden DM sind
dafür im Haushalt eingestellt – einfach kassieren, dann
antworte ich ihm, er sollte den Haushalt genau lesen. Er
enthält nämlich einen Deckungsvermerk für Mehrausga-
ben im Bereich der Arbeitslosenhilfe. Wir haben also mit
einer etatisierten Position im Bundeshaushalt Vorsorge
getroffen, die finanziellen Mehrausgaben für die Arbeits-
losenhilfe – Stichwort: Haushaltsklarheit und Haushalts-
wahrheit – aufzufangen. Wir müssen uns also nicht auf Ri-
siken in Höhe von bis zu 2 Milliarden DM einstellen, weil
wir bereits mit der Etatisierung von Teilbeträgen vorge-
sorgt haben.

Ich möchte auch an die Debatte über die Bundeswehr
in der letzten Woche erinnern. Es gab eine Auseinander-
setzung darum, dass sich der Verteidigungsminister an das
Haushaltsgesetz und die Finanzplanung hält, so wie es
zwischen Kanzler und Finanzminister abgesprochen war.
Das, was unserer Etatplanung zugrunde liegt, wird auch
eingehalten, keine Frage. Staatssekretär Diller hat die Ver-
teidigungspolitiker der Union – ich sehe gerade Herrn
Breuer – zu Recht darauf hingewiesen, dass sie und Ver-
teidigungsminister Rühe es waren, die der Truppe verbo-
ten haben, über Reformen nachzudenken,


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Unsinn!)

und deshalb der jetzigen Koalition, die Reformen auch im
Verteidigungsbereich angeht, nicht vorwerfen dürfen,
Wolkenkuckucksheime zu bauen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das tut ihr!)

Wir haben tatsächlich auch im Verteidigungsetat Re-

serven mobilisiert. Lassen Sie die Gesellschaft zur Ver-
wertung der Bundeswehrliegenschaften die Liegenschaf-
ten erst einmal baureif machen und ausgemustertes
Material – dafür sind natürlich mehr als zwei Monate Vor-
lauf erforderlich – werthaltig verkaufen! Dann werden
wir auch in diesem Bereich Einnahmen erzielen, mit de-
nen wir einen Teil der notwendigen Investitionen finanzi-
ell absichern können. Auch das ist seriös und solide. Man
kann der Bundeswehr den Zwang, ihr eigenes Effizienz-
und Rationalisierungspotenzial zu nutzen, nicht dadurch
ersparen, indem man ihr mehr Geld gibt. Vielmehr muss
man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Truppe






(C)



(D)



(A)



(B)


zwingen, das Notwendige zu tun, um wirtschaftlich und
effizient zu werden, keine Frage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu einer Generaldebatte über den Nachtragshaushalt
gehört nicht nur – wir wollen natürlich nichts beschöni-
gen – die Diskussion über finanzielle Risiken. Vielmehr
müssen wir unsere Volkswirtschaft auch in das konjunk-
turelle Umfeld stellen. Ich möchte Sie im Hinblick auf das
Makroklima davon in Kenntnis setzen, dass viele real-
wirtschaftliche Daten wie das Konsumklima positiv
sind. Lesen Sie den gestern von der GZ-Bank vorgelegten
Bericht zum Einzelhandelskonsumklima im Januar. Wenn
Sie das tun, werden Sie feststellen, dass die realen Um-
satzzuwächse 2,5 Prozent über dem liegen, was die Ana-
lysten erwartet haben. Seit drei bis vier Monaten schätzen
die Einzelhändler das Klima immer besser ein. Warum? –
Sie schätzen es immer besser ein, weil sie eine Steigerung
des Konsums durch die Auswirkungen der Steuerreform
erwarten.

Die Basisdaten in den USA sind nicht so schlecht, als
dass man dort eine Rezession erwarten müsste. Es ist rich-
tig, dass die US-amerikanische Konjunktur gewaltig ge-
bremst wird. Deshalb bauen selbst der IWF und die
OECD auf Europa. Ein Argument dafür, dass Europa die
Weltwirtschaft vor einer starken Abkühlung bewahren
kann, sind die Steuerreformen in Deutschland und Frank-
reich, die in diesem Jahr greifen. Meine Damen und Her-
ren von der Opposition, ich frage Sie: Wenn man außer-
halb dieser Republik anerkennt, dass wir in diesem Jahr
der Wirtschaft sowie den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern eine Steuerentlastung in Höhe von 1 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes – das sind über 40 Milliar-
den DM – gewähren und dass wir einen sensationellen
Kraftakt leisten, wenn in diesem Jahr wie im letzten Jahr
unserer Regierungszeit gleichzeitig die Kreditaufnahme
des Bundes sinkt, dann sollten Sie das auch anerkennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist eine Herkulesarbeit, für die wir in der Tat den Bei-
fall hier im Haus, aber auch Zustimmung bei Veranstal-
tungen im Land und auch bei der Wirtschaft erwarten.

Deshalb sollte man sich, wenn man das Konjunktur-
klima anschaut, nicht darauf einstellen, nur zu unken. Wir
waren als Regierung vorsichtig genug. Im letzten Jahr, wo
viele gesagt haben, ihr habt beim Wachstum untertrieben,
wo die Prognosen teilweise über 3 Prozent hinaus-
geschossen sind, sind wir auf dem Teppich geblieben und
haben 2,75 Prozent wirtschaftliches Wachstum beim
Haushalt 2001 und im Übrigen für die Folgejahre 2,5 Pro-
zent in der Finanzplanung unterstellt. Wir sind also auf der
sicheren Seite geblieben.

Das Motto jedes guten Haushälters, jedes guten Fi-
nanzpolitikers ist immer – das dürfte für die Schwarzen
genauso gelten wie für die Rot-Gelb, Rot-Rot und Libe-
ral –: Man schätzt die Einnahmen eher vorsichtig und die
Ausgaben eher zu hoch, denn dann kommt unterm Strich
ein gutes Ergebnis heraus. An diesem Prinzip wollen wir
auch im Haushaltsvollzug dieses Jahres festhalten in der

Hoffnung, dass uns nicht abenteuerliche Einbrüche be-
vorstehen. Gegen die könnten wir natürlich nichts ma-
chen. Aber nach menschlichem Ermessen werden wir den
Haushalt vor dem Wahljahr 2002 so ordentlich abschlie-
ßen, dass in der Tat die finanzpolitische Solidität das Mar-
kenzeichen dieser Koalition bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun noch ein Stichwort zum Thema Ökosteuer. Ich
habe mich daran gewöhnt, dass so gut wie keine Zahl
stimmt, die Kollege Austermann, der Haushaltssprecher
der Union, hier nennt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Du kannst bloß nicht rechnen, Oswald!)


Kollege Austermann hat von Ökosteuereinnahmen von
65 Milliarden DM geredet.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein, Energiemehrbelastung habe ich gesagt!)


– Wenn Kollege Austermann das jetzt durch Zwischenruf
– das sage ich für die Zuschauer – korrigiert und sagt, die
Energieverteuerung – –


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dieses Jahr 22 Milliarden DM, 2003 35 Milliarden DM Ökosteuer!)


– Also er kennt die Zahlen, aber er hat vorher einen ande-
ren Eindruck entstehen lassen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Energiemehrbelastung habe ich gesagt!)


Wenn er das jetzt korrigiert, ist das in Ordnung.
Herr Austermann hat natürlich die Ökosteuer ange-

sprochen.

(Joachim Poß [SPD]: Wir werden das nachlesen! Er hat den Eindruck erweckt, als betrüge die Ökosteuer 65 Milliarden DM in einem Jahr!)


– Ich weiß es, Kollege Poß. Natürlich hat er den Eindruck
erweckt, die Energieverteuerung, die Marktpreisentwick-
lung sei von der Regierung zu schultern. Euro-Dollar-Re-
lation, OPEC, Rohölpreissteigerung, das macht zwei Drit-
tel der Kostensteigerung der Energiepreise aus, die
übrigens auch überwiegend für den Anstieg der Inflati-
onsrate verantwortlich sind.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Aber Sie haben sich als Preistreiber auf den Weltmärkten betätigt!)


22 Milliarden DM werden dieses Jahr an Einnahmen
erwartet. Ich nenne jetzt aber ein Beispiel, bei dem man
den Kassenabschluss sieht; das ist noch besser. Ich sage,
was wir 2000 eingenommen haben. Wir haben 17,4 Mil-
liarden DM im Bundeshaushalt des letzten Jahres an Öko-
steuereinnahmen erwartet; eingegangen sind 17,2 Milli-
arden DM, 200 Millionen DM weniger, als wir im
Haushaltsplan im Soll eingestellt hatten. An die Renten-
versicherung gingen 16,8 Milliarden DM, also 400 Milli-
onen DM weniger, als eingegangen sind. Damit haben wir
die Lohnnebenkosten gesenkt.




Oswald Metzger

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben in unserer Regierungszeit die Situation ge-
schaffen, dass der Durchschnittsarbeitnehmer in der ge-
werblichen Wirtschaft –


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie haben 5,7 Milliarden DM durch Buchungstricks der Rente entzogen!)


jetzt rechne ich einfach mit 5 000 DM monatlichem Brut-
toeinkommen – 30 DM weniger an Abgaben in die Rente
zahlt, also 30 DM netto mehr hat. Damit kann der Durch-
schnittsarbeitnehmer – ich erinnere an das Argument
„Energie teurer, Arbeit billiger“ – fast 100 Kilometer am
Tag zur Arbeit fahren und damit hat er den Ausgleich
durch Senkung der Arbeitskosten in der Tasche. In mei-
nem schwarzen Wahlkreis kann ich den Wählerinnen und
Wählern und den Pendlern den Zusammenhang erklären,
dass „Arbeit billiger und Energie teurer“ ein Markenzei-
chen dieser Koalition ist. Das ist eine Botschaft, die so-
wohl von den Grünen als auch von den Sozialdemokraten
programmatisch vor der Bundestagswahl den Wählerin-
nen und Wählern auch deutlich gemacht wurde.

Sie haben 1998 die Mehrwertsteuer um einen Prozent-
punkt erhöht, damit der Anstieg der Rentenversicherung
auf 21 Prozent nicht greifen konnte.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie haben mitgestimmt!)


Sie haben praktisch eine Steuererhöhung versus Nichtan-
stieg der Rentenversicherungsbeiträge als Mittel Ihrer Po-
litik zugelassen. Innerhalb der Union gab es damals eine
Riesendebatte zwischen Repnik, Schäuble, damals noch
Fraktionsvorsitzender, und der CSU. Die CSU hat verhin-
dert, dass Sie damals Schäubles Vorschlag gefolgt sind,
die Mineralölsteuer um 12 bis 15 Pfennige zu erhöhen,
um den Anstieg in der Rentenversicherung zu verhindern;
denn Herr Schäuble hatte eher Sympathien für eine Öko-
steuer als für die Erhöhung von Verbrauchsteuern.

Herr Schäuble hat Recht gehabt. Warum? – Weil der
Verbraucher bei steigender Mehrwertsteuer eine Mehrbe-
lastung über sein gesamtes Ausgabe- und Konsumgeba-
ren erfährt. Wenn die Energiepreise steigen und dafür die
Arbeitskosten sinken, dann hat der Konsument, zum Bei-
spiel durch die Art, wie er sein Gaspedal benutzt oder
seine Wohnung heizt, durchaus Einfluss auf den Ver-
brauch und damit darauf, wie viel Steuern er mehr zahlt.
Der Mehrwertsteuer kann der Verbraucher nur entgehen,
wenn er schwarz einkauft. So einfach – Sie können das er-
mitteln – sind Zusammenhänge. Auch ein grüner Finanz-
politiker braucht sich wegen der Ökosteuer und wegen ih-
rer Verwendung zur Senkung der Arbeitskosten überhaupt
nicht zu genieren. Das kann man in jeder Wahlveranstal-
tung und in jeder Debatte, auch mit Wirtschaftsvertretern,
vertreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum Schluss. Ich bin der Auffassung, dass
wir den Haushalt dieses Jahres auf Sicht fahren müssen.
Wir müssen uns vor Übermut schützen. Die Ausgaben in
den einzelnen Ressorts müssen natürlich im Rahmen der
Sollanschläge bleiben. Vor allem darf es in diesem Jahr

keine selbst gesetzten Mehrausgaben geben. Es geht da-
rum, dass wir zum Jahresende einen soliden Haushaltsab-
schluss und im Herbst einen soliden Haushalt für das
Wahljahr 2002 vorlegen können. Daran werden wir uns
messen lassen. Wir müssen uns für die letzten knapp drei
Jahre überhaupt nicht genieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415815400
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Dietrich Austermann.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1415815500
Der Kollege
Metzger hat meine Zahlen angezweifelt. Ich möchte sie
kurz erläutern. Wir gehen davon aus, dass der Liter Sprit
zurzeit 50 Pfennig mehr kostet. Davon sind 22 Pfennig
ökosteuerbedingt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Plus Mehrwertsteuer!)


– Plus Mehrwertsteuer. – Wenn man die Mehrkosten von
50 Pfennig mit der Menge des in Deutschland verbrauch-
ten Sprits multipliziert und dasselbe in Bezug auf Heizöl,
Gas und Strom tut, dann kommt man auf eine Gesamt-
belastung der Bürger und der Betriebe von 65 Milliar-
den DM pro Jahr.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist vollkommener Unsinn!)


Viele Menschen – in Baden-Württemberg und anderswo –
bekommen zurzeit ihre Heizkostenabrechnung und kön-
nen ganz leicht nachvollziehen, dass die Heizkosten um
50 Prozent höher als im vorigen Jahr sind.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Liegt das an der Ökosteuer?)


– Die Regierung hat die Ökosteuer eingeführt. Sie schlägt
sich in den 22 Pfennig von den zusätzlichen 50 Pfennig
Sprit nieder.

Außerdem trägt die Regierung einen Anteil an einer
wachstumsschädlichen Politik, die dazu geführt hat, dass
sich die Relation zwischen D-Mark und Dollar ver-
schlechtert hat.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, dass sich die Politik der Regierung auch bei den
Energiepreisen und bei den Öleinkaufspreisen bemerkbar
macht. Ich behaupte nicht, dass die 65 Milliarden DM in
Gänze auf die Politik der Bundesregierung zurückzu-
führen sind, aber ein wesentlicher Teil.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Sie haben den Eindruck bewusst erweckt!)


Ich setze diese 65 Milliarden DM in Relation zur Steu-
erentlastung vom 1. Januar in Höhe von 45 Milliar-
den DM. Ich halte mich genau an die bekannten Zahlen.
Die Energiebelastung – zum Teil regierungsbedingt, zum




Oswald Metzger
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(C)



(D)



(A)



(B)


Teil durch Außenmärkte bedingt – liegt um 20 Milliar-
den DM höher als die Steuerentlastung. Wenn man sich
diese Situation betrachtet, dann ist ziemlich klar, wer
der Verursacher der gegenwärtigen konjunkturellen Si-
tuation ist.

Ein Letztes. Ich zitiere – auch von Herrn Diller ist hier
etwas zum Thema Steuereinnahmen vorgetragen wor-
den – mit Erlaubnis des Präsidenten zwei Sätze aus den
Volks- und Finanzwirtschaftlichen Berichten des Finanz-
ministeriums, Bericht Januar 2001:

Die reinen Bundessteuern verzeichneten eine Steige-
rung

– also im Januar dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr –
um + 52,8 Prozent. Bereinigt um den o. g. Effekt der
Zahlungsverschiebung bei der Mineralölsteuer

– diese 3,5 Milliarden DM haben nämlich im Vergleich zu
dem, was wir prognostiziert haben, gefehlt –

betrug die Zunahme + 15,8 Prozent.
Das heißt, der Finanzminister hat im Januar unter ande-
rem durch eine höhere Mineralölsteuer 15,8 Prozent mehr
an Steuereinnahmen erzielt. „Sie sind auf höhere Einnah-
men durch die Stromsteuer, durch den Solidaritätszu-
schlag“ – er hängt ja von der Höhe der Lohn- und Ein-
kommensteuer ab – „und durch die Mineralölsteuer“
zurückzuführen. Eine falsche Wirtschaftspolitik, eine
falsche Energiepolitik belastet die Konjunktur also dra-
matisch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415815600
Zur Erwi-
derung hat der Kollege Metzger das Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415815700

Vom Mikrofon des Rednerpultes aus war ich zu fair, weil
Herrn Austermanns Zwischenruf, der sich auf die dies-
jährigen Einnahmen durch die Ökosteuer in Höhe von
22 Milliarden DM bezog, die Kenntnis der Zahlen ver-
muten ließ. Jetzt hat Herr Austermann wieder den Ein-
druck erweckt, dass die gesamte Energiekosten-
verteuerung von 65 Milliarden DM, die Wirtschaft und
Verbraucher zu tragen haben, auf die Ökosteuer zurück-
zuführen sei.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt! – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Nein!)


– Doch.
Ich bleibe dabei: Wir haben mit den Einnahmen durch

die Ökosteuer den Zuschuss an die Rentenversicherung
erhöht und dadurch die Rentenversicherungsbeiträge ge-
senkt.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nein, das haben Sie nicht! Sie haben eine Kürzung der Zuschüsse durch die Änderung bei der Arbeitslosenhilfe bewirkt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415815800
Das Wort
hat der Kollege Metzger, Herr Kollege Kalb.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415815900

Der Kollege Kalb kann ja nachher in die Debatte eingrei-
fen.

Ich stelle noch einmal fest: Die Richtigkeit der Politik,
die Energie teurer, die Arbeit billiger zu machen, können
Sie auch mit den Istzahlen der vergangenen Jahre belegen.
Das gilt auch für 1999, das erste Jahr, in dem die Öko-
steuer erhoben wurde.

Zu Ihrem zweiten Punkt, zur konjunkturellen Ent-
wicklung, Kollege Austermann: Sie sollten zur Kenntnis
nehmen, dass alle internationalen Auguren Deutschland
und damit der größten Volkswirtschaft in Europa eine
stabilisierende Wirkung auf die Weltwirtschaft zuschrei-
ben, weil wir in diesem Jahr 1 Prozent unserer gesamten
volkswirtschaftlichen Leistung – das sind rund 43Milliar-
den DM – in Form von Steuerentlastungen den Bürgern
zurückgeben und die Belastungen durch die Ökosteuer
durch die Absenkung der Lohnnebenkosten kompensie-
ren. Die Wachstumsdelle im Winter wurde durch den ex-
tremen Anstieg der Energiepreise im Herbst verursacht,
die aber, wie Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen
sollten, zurückgehen. Selbst die Europäische Zentralbank
sagt, die Kerninflation in Europa betrage nach wie vor
praktisch 1,2 oder 1,3 Prozent. Sie treiben dagegen die
Behauptung einer Inflationsrate von 2,6 Prozent als poli-
tische Sau durchs Dorf.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die leugnen Sie?)

– Die leugne ich nicht, aber es ist klar, dass nach mensch-
lichem Ermessen in drei bis vier Monaten aufgrund der
fallenden Energiepreise auch die Inflationsrate zurückge-
hen wird. Dann können Sie die tagespolitische Argumen-
tation, die Sie heute bringen, vergessen.

Genau das Gleiche gilt auch für die Halbwertzeit der
Debatte über die Benzinpreise, die Sie im Herbst letzten
Jahres vom Zaun gebrochen haben. Ihre Rechnung ging
nicht auf. Die Ökosteuerdiskussion spielt im baden-würt-
tembergischen Wahlkampf faktisch keine Rolle. Sie hät-
ten sich gewünscht, mit diesem Thema die Schwarzen zu
mobilisieren. Sie werden aber am 25. März in Baden-
Württemberg die Rechnung dafür bekommen. Wir haben
das ja schon am vergangenen Sonntag in Friedrichshafen
am Bodensee bei der OB-Wahl gesehen, wo ein Amtsin-
haber trotz positiver Bilanz aus dem Amt gewählt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Warten wir es ab!)


Die Stimmung in Baden-Württemberg ist so, dass Sie mit
der Argumentation, die Sie hier im Bundestag bringen, bei
Versammlungen nicht mehr ankommen. Die Leute haben
die schwarze Regierung im Lande satt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Warte es ab!)





Dietrich Austermann

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415816000
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christa Luft
von der PDS-Fraktion.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1415816100
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Was hier vor sich geht – im Übri-
gen eigentlich schon seit heute Morgen –, ist typisch für
Wahlkampfzeiten. Die Union versucht noch einmal, die
Koalition so richtig vorzuführen, die Koalition schlägt
selbstverständlich zurück. Das Ganze ist zwar legitim,
aber es droht zu einem Routineakt zu werden. Menschen,
die zurzeit arbeitslos sind – und das sind ja viele –, klei-
nen Unternehmen, die Auftragssorgen haben, und jungen
Leuten im Osten, die auf gepackten Koffern sitzen, weil
sie dort keine Perspektive erkennen können, nützt die bis-
her geführte Debatte über einen eventuellen Nachtrags-
haushalt 2001 überhaupt nichts.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie von der Union wissen ganz genau, dass Ihr Begeh-
ren von der Koalition heute schon rein formal abgewiesen
werden kann. Die rechtlichen Voraussetzungen für die
Forderung eines Nachtragshaushaltes können nämlich
noch bestritten werden. Spätestens nach den Landtags-
wahlen wird auch die Koalition manch beängstigenden
Trend nicht mehr verharmlosen können, wie das nach
meiner Ansicht der Staatssekretär Diller und auch Kollege
Metzger soeben noch versucht haben, es sei denn, sie ha-
ben finanzielle Polster im Haushalt versteckt, die sie jetzt
mobilisieren können. Wenn dies so ist, wäre das Haus-
haltsverfahren nicht ganz in Ordnung gewesen.


(Beifall bei der PDS)

In einem sind wir uns mit der antragstellenden Fraktion

allerdings einig, selbst wenn das die Union während ihrer
Regierungszeit auch nicht ernst genommen hat: Budget-
fragen dürfen nicht, wie das bisher mit den Rentenfragen
im Bündnis für Arbeit geschehen ist, in Nebenzirkeln be-
handelt werden. Sie gehören hier ins Parlament.


(Beifall bei der PDS)

Ich bin mir insofern sicher, dass sich der Deutsche Bun-
destag noch vor der Sommerpause mit dem Haushalts-
vollzug 2001 und mit den gravierenden Abweichungen
bei Einnahmen und Ausgaben, wenn dafür belastbare Da-
ten vorliegen, zu befassen haben wird.

Die Risiken für den Haushalt 2001 haben doch ihre Ur-
sache nicht im EXPO-Defizit, da dieses bei der Haus-
haltsaufstellung ziemlich deutlich abzusehen war. Auch
aufgrund der BSE-Krise, so ernsthaft die finanziellen Fol-
gen, insbesondere auch für die Länder, sind, entstehen
dem Haushalt keine Risiken. Das Grundproblem des
Haushalts 2001 ist meiner Meinung nach ein anderes.
Es wird offenbar, dass manche Weichenstellung in der
eichelschen Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik falsch
gewesen ist. Der Lack platzt allmählich ab; der selbst auf-
getragene Glanz verblasst.


(Beifall bei der PDS)

Nehmen wir die hoch gelobte Steuerreform. Üppige

Senkungen der Steuersätze sollten den Inlandskonsum

und private Investitionen ankurbeln. Herr Kollege
Metzger, ich würde die Januarzahlen des Einzelhandels-
umsatzes nicht überbewerten. Beide – also angekurbelte
private Investitionen und angekurbelter Inlandskonsum –
sollten das Wirtschaftswachstum stimulieren und dadurch
den Steuertopf füllen. Jetzt ist offenbar das Gegenteil der
Fall. Da ist doch offensichtlich etwas schief gelaufen.

Es war kontraproduktiv, eine Steuerreform dieses Ka-
libers vor allen Dingen zugunsten großer Unternehmen
durchzuführen und außer Acht zu lassen, dass der Kon-
junkturaufschwung nicht ewig währt. Es war falsch, den
Ländern und Kommunen die finanziellen Spielräume ein-
zuengen, ihnen aber gleichzeitig immer neue Aufgaben
aufzubürden und ihnen im kommunalen Bereich die In-
vestitionsfähigkeit zu beschränken. Es war angesichts der
zunehmenden Polarisierung von Arm und Reich falsch
– siehe den jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht –, auf
eine angemessene Vermögensbesteuerung zu verzichten.
Selbst wenn diese Einnahmen nicht in den Bundeshaus-
halt geflossen wären, hätten sie doch die finanzielle Si-
tuation der Länder erleichtert.


(Beifall bei der PDS)

Es rächt sich bitter, dass seit Jahren die immer dreister
werdende Umsatzsteuerhinterziehung tatenlos hingenom-
men wird.

Auch die Weichenstellung bei der Bundeswehrreform
ist falsch. Ich komme aber nicht zu diesem Schluss, Herr
Kollege Rexrodt, weil ich fürchte, dass dort russische
Verhältnisse einziehen würden.


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Wir sind auf dem Weg!)


Wer die russischen Verhältnisse einigermaßen kennt, der
weiß, dass sich die russische Armee freuen würde, wenn
es dort Verhältnisse wie in der Bundeswehr gäbe.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])

Wir sind für eine Ausrüstung der Bundeswehr, mit der

der grundgesetzlich verankerte Verteidigungsauftrag er-
füllt werden kann. Aber die Bundeswehr soll für die Er-
füllung von Interventionsaufgaben ausgestattet werden.
Das haben wir immer abgelehnt und das werden wir auch
heute wieder ablehnen.


(Beifall bei der PDS)

Wegen nicht ausreichender Gelder für die Anschaffung
des Eurofighters oder von Großraumtransportflugzeugen
einen Nachtragshaushalt zu fordern, lehnen wir entschie-
den ab. Wir sehen hier sogar Einsparpotenziale.


(Beifall bei der PDS)

Der Bundesfinanzminister tappt in eine selbst aufge-

stellte Falle. Er hat nämlich die Absenkung der jährlichen
Neuverschuldung auf Null bis 2006 zum wichtigsten Gü-
tesiegel seiner Politik, zum Aushängeschild für Rot-Grün
erklärt. Es war aber abzusehen, wie schwierig dies wer-
den wird. Ehrgeiz allein zählt in der Politik nicht. Nichts
ist gegen die Rückführung der Kreditaufnahme zu sa-
gen. Auch wir haben uns dafür eingesetzt. Aber wenn un-
ter Maß und Tempo hierbei die Ankurbelung existenz-






(C)



(D)



(A)



(B)


sichernder Beschäftigung, die Armutsbekämpfung oder
die besonders für den Osten Deutschlands notwendige
Innovations- und Investitionsoffensive leidet, dann kann
das nicht im Interesse der Bevölkerung sein.

Überhaupt verwundert uns an dem Antrag der Union,
dass über die bestürzende Lage in den neuen Ländern
überhaupt kein Wort verloren wird; denn auch das würde
haushaltspolitisches Handeln erzwingen, auf Bundes-
ebene ebenso wie auf Länderebene. Das kann man nicht
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, sondern es
müsste noch in diesem Jahr angeschoben werden, damit
wir vor der Osterweiterung der Europäischen Union im
Jahre 2004 im Osten eine Innovations- und Investitions-
offensive sowie eine Offensive zur Erschließung sowohl
regionaler als auch überregionaler und internationaler
Märkte auf den Weg bringen können. Ansonsten droht das
Gebiet zwischen Elbe und Oder tatsächlich in Agonie zu
verfallen. Daran kann niemand interessiert sein.

Falsch war die drastische Reduzierung des Zuschusses
an die Bundesanstalt für Arbeit und die Streichung der
Sachkostenzuschüsse für ABM. Beide Entscheidungen
– das zeigen Signale aus den strukturschwächsten Regio-
nen in Ost und West – werden schon in den nächsten Mo-
naten zu sozialen Zuspitzungen und in nicht wenigen
ostdeutschen Städten und Landkreisen zu einer katas-
trophalen Situation auf dem Arbeitsmarkt führen. Die
Bundesregierung kann das Thema Ost nicht aussitzen. Sie
muss umgehend handeln, auch in Vorbereitung auf die
Osterweiterung der Europäischen Union.

Wir müssen vor der Sommerpause – erst dann – die
Frage nach einem Nachtragshaushalt mit Ja beantworten,
wenn es zutrifft, was Institute und Banken voraussagen,
dass nämlich das Wirtschaftswachstum erheblich unter
dem Ansatz im Haushaltsplan liegen wird, und wenn es
zutrifft – was zu erwarten ist – dass die Arbeitslosigkeit
schwächer sinkt als geschätzt und die Folgekosten damit
steigen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415816200
Als
nächster Redner hat der Kollege Steffen Kampeter von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1415816300
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte
über die völlig verfehlte Haushalts- und Finanzpolitik der
rot-grünen Bundesregierung


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Noch kräftiger!)


findet zum Zeitpunkt eines grundlegenden Wandels der
wirtschafts- und finanzpolitischen Stimmung statt. Die
wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute korri-
gieren Woche für Woche ihre Wachstumsprognosen nach
unten. Erste Prognosen sehen das Wachstum nicht, wie
vermutet, bei 3 Prozent, sondern bei unter 2 Prozent. Die
Inflation ist auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Es
ist eigentlich empörend, in welcher Art und Weise der

Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen diese inflationäre
Entwicklung in seinem Redebeitrag verniedlicht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Infolgedessen verändern sich auch die haushaltspoliti-

schen Rahmenbedingungen. Der Kollege Metzger hat vor
dem Forum des Deutschen Bundestages darauf hingewie-
sen, wie exakt die Regierung – er war stolz darauf – die
Steuereinnahmen prognostiziert und auch schon ausgege-
ben hat. Wenn aber das Wachstum 1 Prozent hinter den Er-
wartungen zurückbleibt, bedeutet allein das einen Ausfall
bei den Steuereinnahmen in der Größenordnung von
9 Milliarden DM. Diese exakten Schätzungen, die der
Kollege Metzger hier stolz vorgetragen hat, entsprechend
den wirtschaftspolitischen Erwartungen noch vor weni-
gen Monaten, werden zum Bumerang werden und weitere
große Haushaltslöcher in den Eichel-Etat reißen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Euro dümpelt mit einem niedrigen Außenwert

herum. Dies mag den Export fördern und Bestandteil der
Strategie der Regierung sein, die binnenwirtschaftliche
Reformen verweigert und versucht, mit der Exportkon-
junkturwirtschaftlich zu punkten. Aber trotzdem: In dem
Maße, in dem der außenwirtschaftliche Motor stocken
wird, wird sich auch hier ein großes wirtschafts- und haus-
haltspolitisches Risiko zeigen.

Es ist auch deutlich geworden – der Kollege Rexrodt
hat darauf hingewiesen –, dass die strukturellen Anpas-
sungen auf dem Arbeitsmarkt nicht so vorangehen, wie es
noch vor wenigen Monaten prognostiziert worden ist.
100 000Arbeitslose mehr kosten 4Milliarden DM mehr –
ein unübersehbares Haushaltsrisiko! Dass dies nicht nur
die von der Opposition vorgetragene Einschätzung der
wirtschaftlichen Entwicklung ist, zeigt ein Blick auf die
Börse. Da graust es einem. Der Frühindikator zeigt ganz
klar nach unten.

Aber eines muss deutlich werden: Erschreckender als
dieser Befund ist die Ignoranz, mit der die rot-grüne Bun-
desregierung mit diesen wirtschaftspolitischen Rahmen-
daten umgeht. Die Vereinigten Staaten senken in dieser
Situation die Steuern, um die Wachstumsschwäche zu
überwinden. Wir verschlechtern durch die Änderung der
Abschreibungstabellen die wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen und geben den kleinen und mittleren Betrieben
in dieser Wachstumsschwäche nicht durch ein Vorziehen
weiterer Schritte der Steuerreform wachstumspolitische
Impulse. In Japan verändern sich die Konjunkturdaten
dramatisch. Und was macht der Bundesfinanzminister? –
Er will die Steuerschätzung abwarten. Abwarten und Tee
trinken, das ist eine völlig unzureichende haus-
haltspolitische Strategie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Jetzt kommt nämlich langsam die Wahrheit auf den
Tisch. Die Kommentare klingen anders als noch vor we-
nigen Wochen, als die Haushaltspolitik irreführender-
weise als ein Markenzeichen der rot-grünen Bundesregie-
rung bezeichnet wurde.




Dr. Christa Luft

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(C)



(D)



(A)



(B)


Krise, Haushaltsrisiko, Defizit – jede Woche erfahren
wir von einem neuen Loch und der Staatssekretär bemüht
sich nicht einmal darum, hier das eine oder andere zu de-
mentieren. Bei 18 bis über 20 Milliarden DM liegen nach
unseren gegenwärtigen Schätzungen die Haushaltsrisi-
ken, die sich seit der Haushaltsaufstellung ergeben haben.


(Joachim Poß [SPD]: Das wächst von Stunde zu Stunde!)


Aus dem Hoch- und Vielflieger Finanzminister wurde
eine lahme Ente. Hans Eichel, der Lack ist ab!

Wenn ich sehe, in welcher Art und Weise der Staatsse-
kretär aus dem Finanzministerium, der, während der Bun-
desfinanzminister offensichtlich irgendwo in Deutsch-
land Wahlkampf macht, hier hingeschickt worden ist,
auch die Steuerverschiebung, bei der zwischen den Jahren
ein paar Milliarden hin- und hergeschoben worden sind,
zum Erfolg seiner Politik erklärt, muss ich feststellen: Das
ist Täuschung der Öffentlichkeit und hat mit Haushalts-
klarheit und -wahrheit überhaupt nichts mehr zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Unerhört!)


Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf: Been-
den Sie die Wirklichkeitsverweigerung! Nehmen Sie die
rosarote Brille ab! Legen Sie endlich einen Nachtrags-
haushalt vor! Korrigieren Sie Ihren Finanzplan und geben
Sie uns Auskunft über die anstehenden haushalts- und fi-
nanzpolitischen Fragen!

Wir wollen eigentlich nur wissen: Gibt es eine Mehr-
wertsteuererhöhung, wie von Herrn Metzger in der Öf-
fentlichkeit angedeutet wurde, oder wird stattdessen die
Ökosteuer erhöht? Wie wollen Sie die Löcher in der Ren-
tenkasse füllen? Klar ist bei der Rentenreform doch nur
eines: Sie wird teurer, als Sie uns bisher gesagt haben.

Wie wollen Sie die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr
wieder herstellen? Das, was der Kollege Diller hier vor-
getragen hat, war eine unerträgliche Verniedlichung der
Beschreibung, dass unsere Bundeswehr unterfinanziert
und nicht mehr vollständig einsatzfähig ist. Mit solchen
Aussagen muss Schluss sein, wir erwarten eine klare Ant-
wort der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gibt es eine Haushaltssperre, über die in der Presse

bereits öffentlich spekuliert wird? Kein Wort dazu! Wie
wollen Sie reagieren, wenn die Verfassungsklage der Län-
der gegen die Verwendung der UMTS-Mittel erfolgreich
sein sollte und Sie dadurch neue Haushaltsrisiken im
zweistelligen Milliardenbereich hätten? Die eigentlich
entscheidende Frage ist: Sagt diese Bundesregierung vor
den Landtagswahlen endlich einmal die Wahrheit oder
wird sie die Bevölkerung weiterhin über ihre politischen
Absichten täuschen?


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir täuschen nicht!)


All diese Fragen liegen auf dem Tisch des Parlaments.
Da hilft jetzt kein Herummogeln mehr. Der „alte Acker-
gaul“ mag irren; eine verantwortungsvolle Regierung darf
dies nicht. Ein Nachtragshaushalt ist nach unserer Auffas-
sung die einzig ehrliche Antwort auf unsere Fragen. Die

Bürger in diesem Land wollen Haushaltsklarheit und
Haushaltswahrheit und keine die Tatsachen vernebelnden
Reden wie die des Herrn Metzger,


(Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Hört, hört!)

der bei den Zinsausgaben die Öffentlichkeit getäuscht hat
und hier eine Angabe gemacht hat, die überhaupt nicht mit
den haushaltspolitischen Daten übereinstimmt.

Dies müssen wir als Haushälter den Menschen draußen
sagen. Wir wollen Haushaltsklarheit und Haushaltswahr-
heit; aber Sie verweigern sie uns. Wir brauchen keinen Fi-
nanzminister, der nur auf seine PR-Berater hört und im
Wahlkampf herumturnt,


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Wir haben einen sehr guten Finanzminister!)


sondern wir brauchen einen Finanzminister, der sich hier
und heute im Parlament den Problemen stellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen einen Finanzminister, der endlich einen
Nachtragshaushalt vorlegt, wie es die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion heute beantragt.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415816400
Zu einer
Kurzintervention – ich füge gleich hinzu: das ist die letzte,
die ich in dieser Debatte zulasse – erteile ich dem Kolle-
gen Metzger das Wort.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415816500
Ich
spreche in meiner Kurzintervention nicht zur Sache. Ich
bin ein Abgeordneter, der dann, wenn er in freiem Vortrag
etwas unpräzise darstellt, das auch korrigiert.

Ich möchte eine Aussage aus meiner Rede – Kollege
Kampeter, Sie haben es gerade eben in einem Halbsatz
angedeutet – zum Thema Zinsausgaben korrigieren.
Wir hatten zwischen 1998 und 1999 in der Tat bei den eta-
tisierten Zinsausgaben einen Anstieg von 24 Milliar-
den DM. Es ist richtig, dass wir Schattenhaushalte in den
Bundeshaushalt integriert haben, wenn auch nicht in dem
genannten Umfang. Integriert haben wir die Postunter-
stützungskassen mit 8,4 Milliarden DM und wir haben
Zuschüsse an den Erblastentilgungsfonds, der noch aus
Ihrer Regierungszeit stammt, auf der Ausgabenseite an-
ders etatisiert. Daraus mussten praktisch die Zinsen des
ELF bezahlt werden. Nachher haben wir diese Zuschüsse
buchungstechnisch zu den Zinsausgaben umorientiert.
Das heißt, der Anstieg der Zinsausgaben resultierte nicht
allein aus einer tatsächlichen Erhöhung der Zinsausgaben,
da an anderer Stelle die Ausgaben des Bundes gesenkt
wurden. Dies war bereits den Zwischenrufen der Haus-
hälter der Opposition zu entnehmen; sie hatten Recht. Der
Ausgabenanstieg kam durch die Erhöhung des Zuschus-
ses an die Rentenversicherung, durch die Integration der
Postunterstützungskassen und in einem Teilbereich auch
durch einen Anstieg auf der Ausgabenseite durch Er-
höhung bestimmter Haushaltstitel.

Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Ich will meinen Ruf
behalten, dass ich korrekt und präzise bin.




Steffen Kampeter
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(C)



(D)



(A)



(B)


Danke.

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415816600
Zur Erwi-

derung, Kollege Kampeter.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1415816700
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ehrt den
Kollegen Metzger sehr, dass er in dieser einen Frage seine
Fehlinformationen richtig gestellt hat. Es wäre zu wün-
schen gewesen, dass er die übrigen Desinformationen,
Nebelkerzen und Verharmlosungen, die er in seine Rede
eingebaut hatte, gleichermaßen zurückgenommen hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415816800
Als
nächstem Redner gebe ich jetzt dem Kollegen Volker
Kröning von der SPD-Fraktion das Wort.


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1415816900
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt
ist einer der Punkte, die die CDU/CSU dazu bewogen ha-
ben, diese Debatte zu beantragen und einen Nachtrags-
haushalt zu verlangen. Nach dem bisherigen Verlauf der
Debatte habe ich den Eindruck, dass Sie Ihr Feuerwerk
zum Verteidigungshaushalt abgebrannt und überhaupt
kein Interesse an Einzelheiten zu diesem Thema haben.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Doch, das Großflugzeug kommt noch!)


Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen, einiges
klarzustellen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der Nächste, der hier etwas klarstellt!)


Was ich zu sagen habe, ist zwar Experten nicht neu,
braucht aber offenbar seine Zeit, um allgemein akzeptiert
zu werden.

Der beliebteste Vorwurf gegen die Reform der Bun-
deswehr, die auch eine Reform des Einzelplans 14 sein
muss, ist der, die Bundeswehr sei unterfinanziert, oder
vulgär: Eichels Finanzplanung diktiere Scharping eine
Bundeswehr nach Kassenlage. Unbedacht offenbaren Sie,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion,
damit ein weiteres Mal die Politikunfähigkeit Ihrer, näm-
lich der früheren, Regierung. Aussitzen und Reformstau
waren die Kennzeichen der letzten Jahre vor dem Regie-
rungswechsel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Dynamik seiner Rede trägt nicht dazu bei, dass wir hoffen, dass es besser wird!)


Was den Verteidigungshaushalt angeht, so ist der Ein-
druck beinahe zwingend, dass Sie die Zeichen der Zeit im-
mer noch nicht begriffen haben und dass Sie die Rückkehr
zur Planung von Waigel und Rühe wollen und damit den
Rückweg in den Schulden- und Abgabenstaat. Das wer-
den Sie mit uns nicht hinkriegen; das wird mit uns nicht
geschehen.

Wer mehr Geld ausgeben will, als wir haben, muss sa-
gen, woher er es nehmen will. Die Koalition wird jedenfalls
nicht davon abgehen, die Neuverschuldung stetig zu redu-
zieren. Bis wir einen Überschuss erreicht haben und einen
Teil davon – neben der Rückführung der Staatsverschul-
dung und weiteren Steuersenkungen – für Mehrausgaben
verwenden können, wird es noch ein langer Weg sein. Nicht
über den Haushaltsumfang, sondern über Haushaltsstruk-
turen wird in den nächsten Jahren zu streiten sein.

Damit sind wir beim nächsten Vorwurf, der Reform
fehle es an einer Anschubfinanzierung. Auch dies ist
falsch; das ist ebenfalls schon längst gesagt worden.

Die Anschubfinanzierung besteht zum Ersten in der
Differenz zwischen den Balkan-Mitteln, die unmittelbar
für den Bundeswehreinsatz benötigt werden, und der
vollen Höhe von 2 Milliarden DM, die bereits seit dem
Jahr 2000 und seit 2001 im Einzelplan 14 zur Verfügung
stehen, und zwar nach der geltenden Finanzplanung bis
2004 und nach allen außen- und sicherheitspolitischen
Auspizien sicherlich auch über diesen Zeitpunkt hinaus.
Ich rechne vorsichtig mit einem Betrag von 800 Millio-
nen DM pro Jahr. Dies gleicht die Reduzierung des Pla-
fonds zu einem erheblichen Teil aus und trägt schon heute
zum Abbau des Ausrüstungsdefizits bei der Bundeswehr
bei.

Zum Zweiten besteht die Anschubfinanzierung in
dem Eigenbehalt, den der Finanzminister dem Verteidi-
gungsminister bei Veräußerungen und bei Effizienzstei-
gerung zugestanden hat, übrigens weitaus mehr als jedem
anderen Ressort. Für 2001 bis 2004 sind dafür rund
4,6 Milliarden DM eingeplant.

Zum Dritten gibt es Besserstellungen des Verteidi-
gungshaushaltes gegenüber dem Gesamthaushalt, die
nicht vergessen werden dürfen, nämlich die im Vergleich
zu den anderen Ressorts pro Jahr um 200 Millionen DM
reduzierte Effizienzrendite und die um 500Millionen DM
pro Jahr verbesserte Plafondlinie im Vergleich zu der Ent-
wicklung des Gesamthaushaltes.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415817000
Herr Kol-
lege Kröning, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Koppelin?


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1415817100
Wenn es nicht zulasten mei-
ner Redezeit geht, bitte schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415817200
Nein, sie
wird gestoppt.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1415817300
Zumal Sie heute Geburts-
tag haben, zu dem ich Ihnen recht herzlich gratuliere.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Jetzt aber zu meiner Frage: Herr Kollege Kröning,
durch Beschluss des Bundestages haben wir Soldaten im
Ausland im Einsatz. Ist es richtig – als Mitglied der Ko-
alition und auch, genau wie ich, zuständig für den Einzel-
plan 14, können Sie dazu sicherlich konkret etwas sagen –,




Oswald Metzger

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(C)



(D)



(A)



(B)


dass sich jetzt eine Kommission auf den Weg macht, den
Einsatz unserer Soldaten im Ausland begutachtet und
überlegt, die Auslandszulage zu kürzen, was für den Ver-
teidigungsminister Ersparnisse von circa 45 Millio-
nen DM bedeutet?


Volker Kröning (SPD):
Rede ID: ID1415817400
Herr Kollege Koppelin, ich
weiß das genau wie Sie nur aus der Zeitung. Ich denke,
wir beide werden uns zusammen mit den anderen Be-
richterstattern noch darum kümmern und dafür sorgen,
dass trotz der Notwendigkeit der Gleichbehandlung aller
öffentlich Bediensteten aufgrund der Sonderbedingun-
gen, unter denen unsere Soldaten und auch vergleichbare
Exekutivbeamte auf dem Balkan arbeiten, die Zulage
nicht reduziert wird, solange die Spannung anhält.

Lassen Sie mich bitte in meinen Ausführungen fort-
fahren.

Besonders beliebt ist der Vorwurf, die Bundesrepublik
gefährde mit ihren angeblich niedrigen Verteidigungsaus-
gaben ihren Einfluss in Europa und in der Welt. Auch die-
ser Vorwurf geht ins Leere. Erstens ignorieren Sie – an-
ders als unsere Partner; das erfährt man in der Begegnung
mit Vertretern der Verbündeten – die nicht militärischen
Sicherheitsaufwendungen wie die Milliardenhilfen für
Russland, ohne die wir mit Präsident Putin über NATO-
Osterweiterung oder NMD überhaupt nicht zu reden
brauchten.

Zum anderen sind die wesentlichen neuen Verpflich-
tungen, die wir eingegangen sind, nämlich bei den Ver-
einten Nationen und auch bei der Europäischen Union,
mit der Finanzlinie zu erfüllen. Herr Austermann, Sie er-
innern sich, dass uns als Berichterstattern das sogar
schriftlich mitgeteilt worden ist.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Jawohl!)

Völlig deplatziert möchte ich es schließlich nennen,

wenn in die Kritik an der angeblich unzulänglichen Sach-
ausstattung der Bundeswehr der Verdacht eingestreut
wird, der Bund vernachlässige seine Fürsorgepflicht ge-
genüber den Soldaten und gegenüber den Zivilbeschäf-
tigten. Auch die Form, in der sich manche Kritiker äußern,
hat mit der Sache nichts mehr zu tun. Das jüngste Beispiel
dafür hat Herr Oberst Gertz geliefert. Ich stehe nicht an,
dies für unsere Fraktion hier schärfstens zurückzuweisen.


(Beifall bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Ein Skandal!)


Ich sage für beide Koalitionsfraktionen zum Thema
Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und den Zivilbe-
schäftigten: Der Kabinettsbeschluss zu den Strukturver-
besserungen beim Personal der Bundeswehr wird erfüllt,
beginnend im Jahre 2001 und weiter im Jahre 2002 – ge-
nau so, wie wir es in den Haushaltsberatungen zugesichert
haben und wie es im Haushalt bereits beschlossen worden
ist.

Ich darf zusammenfassen: Legendenbildung war noch
nie ein guter Ratgeber in der Politik. Doch im Grunde ge-
nommen geht es um ein tieferes Problem. Teile der bun-
desdeutschen Elite haben noch nicht erkannt, dass die
Jahre 1989 bis 1991 nicht die Rückkehr zu einem unge-

bundenen Nationalstaat markierten, dessen wichtigstes
Merkmal umfassendes militärisches Handlungsvermögen
ist. Vor allem der Begriff „Souveränität“ trägt nicht zur
Lösung bei. Denn so instabil einige Randregionen in Eu-
ropa sind, so unübersehbar und schwer beherrschbar Ri-
siken in aller Welt sind, es steht doch fest, dass militäri-
sche Mittel nur eine begrenzte, wenn auch unentbehrliche
Funktion in der internationalen Politik haben. Ein Staat,
der auf seine Autonomie Wert legt und zugleich auf dem
Klavier der vielfältigen Interdependenzen zu spielen
beansprucht wie die Bundesrepublik Deutschland, muss
Sicherheit arbeitsteilig organisieren. Wir verdanken es der
Nachkriegsentwicklung, dass dafür Strukturen entstanden
sind – die über Regierungswechsel hinweg gefestigt wor-
den sind –, die uns die Einordnung unserer Sicherheitspo-
litik besonders in einen europäischen Gesamtzusammen-
hang gestatten.

Es zählt zu den besten Traditionen der Bundesrepublik,
sich auf keine militärische Statuskonkurrenz einzulassen,
sondern einen eigenständigen, berechenbaren und sogar
vertrauensbildenden Weg militärischer und nicht mili-
tärischer Sicherheitsvorsorge zu gehen. Der Bundeskanz-
ler hat diese Richtschnur bereits vor eineinhalb Jahren in
seiner Rede vor der Kommandeurtagung in Hamburg klar
formuliert. Ich weiß, dass einige Soldaten daran zu
schlucken hatten. Ich rechne es unseren Soldaten hoch an,
dass sie, bis auf Bruchteile eines Prozents, diese Vorgabe
der Regierung loyal mittragen. Wir werden uns jedenfalls
daran halten.

Die Verteidigungsausgaben werden bei der Fortschrei-
bung der Finanzplanung in diesem und im nächsten Jahr
verstetigt werden. Die Strukturreform der Bundeswehr
und des Verteidigungshaushaltes wird einen sicheren
Rahmen behalten, innerhalb dessen wir Schritt für Schritt
die einzelnen Maßnahmen verwirklichen. Messen Sie uns
bitte daran; betreiben Sie keine Panikmache und erst recht
keine Desinformation.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Desinformation ist Ihre Expertise!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415817500
Als
nächster Redner hat der Kollege Josef Hollerith von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Josef Hollerith (CSU):
Rede ID: ID1415817600
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln den
Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/5449
zur Vorlage eines Nachtragshaushaltes zur Korrektur der
Entwicklung der Bundesfinanzen. Der ursprüngliche An-
lass dieses Antrages ist die Absicht der Bundesregierung
gewesen, die Folgekosten der BSE-Krise mit über- bzw.
außerplanmäßig bereitzustellenden Geldern zu finan-
zieren.

Nach § 37 Bundeshaushaltsordnung ist die Vorausset-
zung für eine über- bzw. außerplanmäßige Ausgabe, dass
sie, bezogen auf den Zeitpunkt der Verabschiedung des
Haushalts, unvorhergesehen oder unabweisbar ist. Un-




Jürgen Koppelin
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(D)



(A)



(B)


vorhergesehen kann diese Ausgabe nicht sein. Denn die
Union hatte in den Haushaltsverhandlungen vor dem Hin-
tergrund der sich anbahnenden BSE-Krise ein BSE-Son-
derprogramm gefordert, das mit der rot-grünen Mehr-
heit sowohl im Haushaltsausschuss als auch bei der
zweiten Lesung des Bundeshaushaltes abgelehnt worden
war.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei rechtlich einwandfreier Handhabung des Haushalts-
rechtes müssen die BSE-Mittel daher in Form eines Nach-
tragshaushaltes bereitgestellt werden.

Weiter ist es im Sinne von Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit sachlich geboten, dass ein Nachtrags-
haushalt vorgelegt wird. Ich verweise stichwortartig auf
die Risikokosten durch die Bundeswehr, das EXPO-Defi-
zit, den Konjunktureinbruch mit steigenden Sozialausga-
ben, erheblichen Steuermindereinnahmen und erhöhter
Arbeitslosenhilfe sowie die BSE-Krise, die weit über die
von der Bundesregierung geschätzte 1 Milliarde DM hi-
nausgehen.

Nach seriöser Schätzung zum heutigen Tage rechne ich
damit, dass der Bundeshaushalt in diesem Jahr mit min-
destens 3,5 Milliarden DM zusätzlich belastet wird: Die
Herauskaufaktion von 400 000 Rindern, die schon
beschlossen worden ist, belastet Deutschland mit einem
Anteil an der EU-Finanzierung in Höhe von 500 Milli-
onen DM. Zusätzlich entstehen dem Bund Kosten in Höhe
von 362 Millionen DM für die nationale Kofinanzierung
und in Höhe von rund 63 Millionen DM für die anteilige
Mitfinanzierung der Beseitigung des verbotenen Tier-
mehls. Hinzu kommt die bereits von Kommissar Fischler
und einem Großteil der europäischen Agrarminister ge-
forderte und in Aussicht genommene notwendige weitere
Herauskaufaktion von 1,2 Millionen Rindern, welche den
Bundeshaushalt im Rahmen der anteiligen Finanzierung
der EU-Ausgaben mit weiteren 1,5 Milliarden DM belas-
ten wird. Dazu kommt die anteilige nationale Kofinanzie-
rung von 1,08 Milliarden DM. Das heute realistisch ab-
sehbare Gesamtvolumen der BSE-bedingten Folgekosten
beträgt also 3,5 Milliarden DM.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die deutsche Landwirtschaft befindet sich angesichts
dieser katastrophalen Situation in einer existenziellen Be-
drohung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der muss geholfen werden! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und zwar schnell!)


In dieser Situation tragen die Bauern am wenigsten
Schuld daran, dass die BSE-Krise über sie hereingebro-
chen ist. Sie sind am wenigsten dafür verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deswegen muss in dieser Situation der nationalen Kata-
strophe die Gemeinschaft der Steuerzahler die notwendi-
gen Beistandsfinanzierungen leisten.

In der Landwirtschaft besteht zudem eine enorme psy-
chologische Belastung. Der Landwirt hat jeden Tag die
Sorge, dass womöglich ein Stück Vieh, wenn es den Stall
verlässt, von der BSE-Krankheit befallen sein könnte.
Dies hätte die Folge, dass der gesamte Bestand – fälschli-
cherweise, wie ich meine, da nicht das Schweizer Modell
angewendet wird – gekeult wird. Der Landwirt wird da-
mit bundesweit in Deutschland zum Schauobjekt lüster-
ner Kameras. Er muss in diesem Falle von der Polizei ge-
schützt werden, damit er als normaler Staatsbürger von
seinen Rechten, zum Beispiel von dem Recht, sich frei zu
bewegen, Gebrauch machen kann.

In dieser dramatischen Situation treibt die Bundesre-
gierung die Landwirtschaft in eine weitere unverantwort-
liche Belastung. – Ich halte dies für den eigentlichen
Skandal im Rahmen der Diskussion über die Bewältigung
der BSE-Folgekosten: – In dieser Lage finanziert Frau
Bundesministerin Künast die BSE-Folgekosten in ihrem
Haushalt durch Kürzung der ohnehin zu gering veran-
schlagten Mittel für die Agrarstruktur und den Küsten-
schutz um 125 Millionen DM, was zu einer weiteren Be-
lastung der Bauern führt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Unglaublich! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Pfui!)


Dies ist ein Skandal. Hier gilt für die Frau Ministerin: Sie
ist als Löwin gesprungen und als Bettvorleger gelandet.
Das ist die richtige Beschreibung für das Ergebnis einer
solchen Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hinzu kommt eine enorme Vorbelastung der deutschen

Landwirtschaft durch falsche Beschlüsse der rot-grünen
Mehrheit in diesem Hause. Ich erinnere an die Kürzungen
in der Agrarsozialpolitik um 650 Millionen DM und an
die Belastungen durch die Ökosteuer in Höhe von 1 Mil-
liarde DM.

Ich verweise auf den Agrardiesel: 27 Pfennig pro Li-
ter kostete er während unserer Zeit; jetzt sind es 50 Pfen-
nig pro Liter, was wiederum eine enorme Belastung für
die deutsche Landwirtschaft in der Wettbewerbssituation
ausmacht. Bei einem Verbrauch von 100 bis 150 Litern
Agrardiesel pro Hektar heißt dies, dass die deutschen
Bauern gegenüber ihren holländischen Wettbewerbern,
ihren französischen, österreichischen, dänischen Wettbe-
werbern mit zwischen 23 DM und 34,50 DM pro Hektar
zusätzlich belastet werden.

Hinzu kommt, dass durch die weitere Kürzung der Mit-
tel für die Agrarstruktur und den Küstenschutz um
125 Millionen DM europäische Kofinanzierungsmittel
nicht abgerufen und nicht zur Strukturverbesserung in der
deutschen Landwirtschaft verwendet werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bezeichnend
ist für diese Politik – damit komme ich auf das zurück,
was Staatssekretär Diller zum Thema Prophetie gesagt
hat –: Bundeskanzler Schröder ist mit der Aussage ange-
treten, es bleibe bei 6 Pfennig Belastung je Liter Benzin.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

Heute sind wir bei: 35 Pfennig.




Josef Hollerith

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(B)


Der Lügenbundeskanzler ist mit der Aussage angetre-
ten: Es bleibt bei der nettolohnbezogenen Rente.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Was? Der Lügenbundeskanzler? Unerhört! – Volker Kröning [SPD]: Vorsicht! Herr Präsident, das muss zurückgewiesen werden!)


Zwei Mal sind die Renten in diesem Lande unter Inflati-
onsrate gestiegen. Der Lügenbundeskanzler!

Ein Wort zum Kollegen Metzger. Er hat von der Net-
toneuverschuldung gesprochen und er hat Recht: Die
Last zu unserer Zeit war enorm. Ja, warum war sie denn
enorm? – Weil die Altlastenbeseitigung von Kommunis-
mus, Planwirtschaft und Sozialismus zu bewältigen war,
weil es darum ging, Freiheit, Demokratie und soziale
Marktwirtschaft in diesem Lande einzuführen.


(Zuruf von der SPD: Alter Schuldenmacher du! 1,5 Millionen!)


Das war die Ursache dafür, und dazu stehen wir, weil wir
für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht auch der
Freunde in den neuen Bundesländern eingetreten sind.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! Dazu bekennen wir uns!)


Dazu bekennen wir uns als nationale Leistung, als histo-
rische Leistung dieser Mehrheit von CDU und CSU im
Deutschen Bundestag mit Bundeskanzler Kohl in der Ver-
gangenheit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415817700
Herr Kol-
lege Hollerith, ich bitte darum, dass Sie dem parlamenta-
rischen Sprachgebrauch folgen und nicht diese sprachli-
chen Übertreibungen benutzen.


(Zuruf von der SPD: Keine Rüge?)

Als nächster Redner hat der Kollege Hans Georg

Wagner das Wort.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1415817800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus,
dass der Kollege Hollerith diesen Ausdruck zurück-
nimmt; denn es ist eine Unverschämtheit, was er hier
geäußert hat, und es ist in keiner Weise zutreffend. Ich
finde es unverschämt und unterträglich, dass Sie einen
solchen unparlamentarischen Ausdruck gebraucht haben.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Was sagen Sie zu Herrn Trittin?)


Meine Damen und Herren, es ist wie bei dem Weih-
nachtslied, das lautet: Alle Jahre wieder kommt das Chris-
tuskind. Alle Jahre wieder reden wir auf Antrag der Op-
position Anfang des Jahres über einen Nachtragshaushalt.
Herr Austermann, ich war ganz irritiert, als die ersten bei-
den Monate des Jahres schon vorbei waren und immer
noch kein Antrag auf einen Nachtragshaushalt vorlag. Der
Januar ging ohne Nachtragshaushalt vorbei, der Februar
ging ohne Nachtragshaushalt vorbei. Ich habe gedacht:
Du lieber Gott, was ist denn jetzt los? Irgendwann muss

die Opposition in Gestalt von CDU/CSU doch einen An-
trag stellen, damit wir darüber reden. Dann kam er Gott
sei Dank. Ich war sehr erleichtert, dass Sie in der Konti-
nuität Ihrer Arbeit geblieben sind: Panikmache, Panikma-
che, Panikmache


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Tiefflieger warteten!)


– und dann der Antrag zum Nachtragshaushalt. Ich halte
das nicht für gut und generell für falsch.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das macht mir aber wenig aus!)


Ein paar Punkte möchte ich nennen, und zwar zunächst
einmal das Stichwort Arbeitslosigkeit. Ich kann es Ihnen
nicht ersparen, sich die Zahlen einmal genau anzusehen:
Im Jahre 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit, be-
vor Sie von den Wählerinnen und Wählern von der
Regierungsbank vertrieben worden sind, hatten wir im
Februar 4,82 Millionen Arbeitslose. Im Jahr 1999 waren
es noch 4,46Millionen, im Jahre 2000 4,28Millionen und
im Jahr 2001 4,11Millionen. Wenn ich richtig rechne, gibt
es 710 000 Arbeitslose weniger, seit Sie aus der Regierung
herausgewählt worden sind. Ich finde, das ist gut.

Wir müssen auch über Subventionen reden. Einige,
die Subventionen erhalten, wurden heute ständig als die
Ärmsten der Nation geschildert. Aber die Subventio-
nen zum Beispiel für den Wohnungsbau liegen bei 60Mil-
liarden DM – das sind die höchsten aus dem Bundeshaus-
halt –, und die Subventionen für die Landwirtschaft be-
tragen insgesamt 27,3 Milliarden DM, die zweithöchsten
Subventionen. Dann kommt mit 11,4 Milliarden DM der
Steinkohlenbergbau. Diese Subventionen sind abge-
schmolzen. Die einzige Regelung zur Reduzierung von
Subventionen betrifft den Steinkohlenbergbau. Ich
möchte sagen: Auch bei anderen muss man einmal genau
hinsehen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aus welchem Steinkohleland kommen Sie eigentlich? Sie sprechen doch pro domo!)


Genauso gilt das für andere Diskussionen.
Die Schulden – das sind immer noch Ihre Schulden –

beliefen sich zum 31. Dezember 2000 auf 1,513 Billio-
nen DM.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist, glaube ich, mehr geworden seit 1998!)


– Ja, das ist mehr geworden, natürlich.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört, hört!)

– Nun seien Sie doch einmal ruhig! – Durch die Netto-
kreditaufnahme steigen die Schulden immer an. Wenn wir
also in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme von
43,7MilliardenDM haben – der geringste Betrag seit über
einem Jahrzehnt –, dann haben wir 43,7 Milliarden DM
mehr Schulden. Im Jahr 2006 soll die Nettokreditauf-
nahme bei Null liegen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Wetterprognosen sind besser als Ihre Finanzplanung!)





Josef Hollerith
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(C)



(D)



(A)



(B)


Es wäre gut, wenn Sie uns dabei helfen würden und nicht
Anträge stellten, die genau das Gegenteil bewirken.

Allein die Umsetzung des Vorschlags von Herrn
Stoiber betreffend das so genannte Familiengeld würde
60 Milliarden DM kosten. – Dies ist nicht gegenfinan-
ziert.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CDU-re-
gierten Länder Baden-Württemberg und Hessen wollen
für die Länder und Kommunen einen Anteil an den
UMTS-Erlösen und an den Zinsersparnissen gemäß Steu-
eranteil. Daraus ergäbe sich eine Forderung von 60 Milli-
arden DM an den Bund. – Auch dies ist nicht gegenfinan-
ziert.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und das CDU-re-
gierte Land Thüringen wollen 40 Milliarden DM für ein
Sonderprogramm Ost.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: In zehn Jahren! Sagen Sie das doch einmal dazu!)


Zur Deckung werden Positionen vorgeschlagen, die aber
als Einnahmen im Haushalt längst enthalten sind.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie können doch gar nicht rechnen!)


Das bedeutet also nichts anderes als 40 Milliarden DM
neue Schulden. An Ihrer unbekümmerten Art, Schulden
zu machen, hat sich gar nichts geändert. Sie meinen, Sie
seien immer noch an der Regierung, und möchten immer
mehr Schulden.


(Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die können nicht mit Geld umgehen! Und wenn, dann nur mit Schwarzgeld!)


Das wird sich ändern.
Die Abschaffung der Ökosteuer würde ein Loch in

Höhe von 82,6 Milliarden DM in die Haushalte 2001 bis
2003 reißen. Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, wie Sie
die Sozialversicherung finanzieren wollen! Wenn wir die
Ökosteuer abschaffen würden, kämen wir auf einen Sozi-
alversicherungsbeitrag von 23 Prozent.


(Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Sagen Sie mir also, einmal ganz ehrlich, was Sie machen
wollen!


(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich kann weitere Beispiele aus Ihren Anträgen an-

führen. So sollen zum Beispiel die Funktionäre von Ärz-
tekammern steuerlich besser gestellt werden, indem die
ehrenamtlichen Aufwandsentschädigungen von der Sozi-
alversicherungs- und Steuerpflicht freigestellt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Quatsch!)


Das würde die Sozialversicherungskassen mit 4,9 Milli-
arden DM belasten und zudem 4,8 Milliarden DM weni-
ger an Einnahmen bedeuten.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Die CDU/CSU will außerdem – das ist eben schon ge-
sagt worden – mehr Geld für die Bundeswehr.

Jetzt komme ich zu dem zurück, was Herr Austermann
prognostiziert hat; das war ja sehr interessant. Er hat im
vergangenen Jahr gesagt – Herr Diller hat bereits darauf
hingewiesen –, dass die Ausgaben um einen bestimmten
Betrag steigen werden, aber am Schluss waren es 6 Milli-
arden DM weniger.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben herumgetrickst und herumgetäuscht!)


Anfang dieses Jahres hatten Sie dann gefordert, wegen der
Wohngeldvereinbarungen und der Familienförderung
müsse es einen Nachtragshaushalt geben. Am Ende aber
war das Geld dafür da. So schlecht sind Ihre Prognosen.
Sie werden das wahrscheinlich nie lernen. Diese Erfah-
rung habe ich schon gemacht.

Nun zum Stichwort EXPO. Sie wissen ganz genau,
wie die Finanzierung geregelt worden ist. Im Haushalt
2001 wurden dafür keine Mittel eingestellt, weil es keine
entsprechende Vereinbarung gab. In den Haushalt 2002
werden wir natürlich die entsprechenden Mittel einstel-
len, die wir aus Solidarität mit dem Land Niedersachsen
zugesagt haben. Wo waren denn Ihre Bundesländer? –
Neuschwanstein, das Sie im Rahmen der EXPO als Welt-
kulturerbe mit angegeben haben, liegt ja nicht in Nieder-
sachsen. Die Solidarität der Länder mit dem Land Nie-
dersachsen fehlt; das ist ein ganz gewichtiger Punkt. Wir
stehen zu unserer Solidarität, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wer hat denn die Investitionen gekriegt?)


Zu Herrn Austermann muss ich noch etwas sagen. Sie
haben am 26. Januar des vergangenen Jahres im Haus-
haltsausschuss damit begonnen zu sagen: Ein Nachtrags-
haushalt muss kommen! Am 24. Februar haben Sie dies
dann in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wieder-
holt. – Das ist ja Ihr Wechselspiel: „Frankfurter Allge-
meine Zeitung“ an einem Tag, „Welt am Sonntag“ am
nächsten Sonntag, zwischendurch einmal „Die Welt“. Der
Ball wird gespielt, wird mit Ihrem Namen zurückgespielt
und dann wird in ganz Deutschland darüber diskutiert. Ich
begreife nicht, warum das so ist, aber Journalisten sind
manchmal auch so.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist gut, nicht?)


Am 30. März 2000 haben Sie in der „FAZ“ noch ein-
mal den Anstieg der Ausgaben des Bundeshaushalts auf
484Milliarden DM vorausgesagt. Herr Diller hat es schon
gesagt: Am Schluss waren es 478 Milliarden DM, also
6 Milliarden DM weniger. – Dann kam am 26. Juni 2000
eine Presseerklärung von Ihnen mit dem gleichen Ergeb-
nis. Am 1. August erfolgte noch einmal dasselbe. Es ist
immer dieselbe Leier, immer der Versuch, Panik zu ma-
chen.

Die Situation fiel aber wesentlich besser aus. Wir ha-
ben die Nettokreditaufnahme um 3 Milliarden DM gerin-
ger ausfallen lassen, als sie vorher in der Planung war, und




Hans Georg Wagner

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(C)



(D)



(A)



(B)


zwar durch eine solide Haushaltspolitik, mit Zahlen be-
legt.

Sie kommen jetzt mit Ihren 240Milliarden DM, die Sie
ausgeben wollen, gegenfinanziert übrigens durch eine Er-
höhung der Mehrwertsteuer. 240 Milliarden DM machen
genau 17 Punkte Mehrwertsteuer aus. Sie schlagen also
vor, die Mehrwertsteuer von derzeit 16 Prozent auf
33 Prozent zu erhöhen. Dann läge Deutschland ganz an
der Spitze, noch vor Irland mit 25 Prozent. Dies ist eine
falsch verstandene Harmonisierung der Mehrwertsteuer
in der Europäischen Union. Dabei macht diese Koalition
mit Sicherheit nicht mit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu den Steuereinnahmen! Die Zahlen für Januar sind
genannt worden. Die Zahlen für Februar sind mit denen
vom Februar 2000 vergleichbar. Sie sind also kein Anlass
zur Dramatisierung, wie dies jetzt schon wochenlang pas-
siert. Sie müssen sich einmal mit der durch diese Zahlen
belegten Wahrheit befassen.

Wir müssen zwei Punkte bedenken, und zwar einmal,
wie die Steuerentwicklung zum 31. März 2001 aussieht,
denn die Steuervorauszahlungen waren nicht schon am
10. Januar, sondern sind erst am 10. März zu erwarten.
Ende März werden wir sehen, wie sie sich weiterent-
wickeln.

Außerdem bitte ich sehr darum, das zu machen, was im-
mer gemacht wird, nämlich die Steuerschätzung abzuwar-
ten, die Anfang Mai vorgelegt werden wird. Die Steuer-
schätzung gibt dann möglicherweise Anhaltspunkte für die
Zahlen des Jahres 2002.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Steuerschätzungen ersetzen noch keine Steuerund Finanzpolitik!)


Ich bin mir absolut sicher, dass nach Würdigung all dieser
Zahlen festgestellt werden kann, dass der Haushalt solide
finanziert ist.

Herr Austermann, um eines bitte ich sehr: Sie haben
mit Herrn Eichel den Falschen getroffen. Sie haben ge-
sagt: Ein Finanzminister, der Schulden macht, ist ein
schlechter Finanzminister. Ich bitte doch darum, dass ihr
bei Theo Waigel nicht immer nachtreten lasst. Beim Fuß-
ball würde man das als Foul gegen Theo Waigel bezeich-
nen, denn er hat die meisten Schulden aller Zeiten ge-
macht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben ihm mit all der Kraft, die Sie hatten, dabei ge-
holfen. Dass wir bei Staatsschulden in Höhe von 1,5 Bil-
lionen DM und mehr gelandet sind, ist Ihr Verdienst.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben bis heute nichts über die deutsche Einheit gelernt!)


Ihre Anträge, die hier im Hause vorliegen, zeigen, dass Sie
mit dieser Spielerei weitermachen wollen.

Aber mit uns wird das nicht gehen. Wir werden unsere
solide Haushaltspolitik fortsetzen. Am Ende des Jahres

werden Sie sehen, dass die Lage nicht so schlecht ist, wie
Sie es im Januar angekündigt haben, nur damit Sie in die
Zeitung kommen. Dies dient nur der Verunsicherung der
Bevölkerung. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dies
lassen würden. Sie verunsichern die Bevölkerung in einer
Art und Weise, die unverschämt ist und nicht mehr hinge-
nommen werden kann.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415817900
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5449 und 14/5544 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus der Tatsache, dass die deut-
sche Wirtschaft ihren Beitrag zur Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
noch nicht geleistet hat

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner – Ihre
Zustimmung vorausgesetzt – hat der Beauftragte des Bun-
deskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unter-
nehmen, Dr. Otto Graf Lambsdorff, das Wort.

Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundes-
kanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unterneh-

(von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. mit Beifall begrüßt)

sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundeskanz-
ler hat mich gebeten, Ihnen den Stand der Gespräche, vor
allem das Treffen darzustellen, zu dem der Bundeskanz-
ler gestern Vorstandsvorsitzende der Unternehmen der
Stiftungsinitiative eingeladen hatte.

Der Bundeskanzler hat der Stiftungsinitiative Deut-
scher Unternehmen unter ihrem Sprecher Dr. Gentz aus-
drücklich für ihre Bereitschaft gedankt, die im Dezember
1999 gemachte Zusage, für das Kapital der Stiftung „Erin-
nerung, Verantwortung und Zukunft“ zu sorgen, mit ei-
nem letzten, rechtlich und finanziell belastbaren Schritt zu
untermauern. Deswegen ist die Überschrift der heutigen
Aktuellen Stunde durch den Gang der Ereignisse – erfreu-
licherweise – ein bisschen überholt.

Die 16 Gründungsunternehmen haben ihren Beitrag
deutlich erhöht und für den Rest Ausfallbürgschaften zu-
gesagt. Es ist jedoch klar, dass sich die Wirtschaft viel Är-
ger und öffentliche Schelte erspart hätte, wenn sie sich zu
diesem Schritt einige Monate früher entschlossen hätte.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)





Hans Georg Wagner
15452


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Zögern hat den möglichen Bonus für das Ansehen der
deutschen Wirtschaft in einen Malus verwandelt. Aber
kritisieren sollte man nicht diejenigen, die das Geld ge-
sammelt und sich bemüht haben, sondern diejenigen, die
sich verweigert haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Vielleicht wäre auch der Beschluss der New Yorker Rich-
terin Kram anders ausgefallen. Das alles ist sehr schade;
denn es bleibt eine wirklich beachtenswerte Leistung,
5 Milliarden DM – das ist kein Kleingeld – in einer frei-
willigen Aktion zusammenzubringen.

Der Bundeskanzler hat festgestellt, dass damit beide
Seiten, Bundesregierung und Unternehmen der Stiftungs-
initiative auf der einen Seite, die amerikanische Regie-
rung auf der anderen Seite, ihre Verpflichtungen aus dem
deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen vom
17. Juli vorigen Jahres erfüllt haben.

Das im Dezember 1999 zugesagte Stiftungskapital von
10 Milliarden DM ist aufgebracht. Die US-Regierung hat
in allen Fällen einen Schriftsatz, das Statement of Interest,
abgegeben, in dem sie die Stiftungslösung als fair, an-
gemessen und für die Kläger vorteilhaft bezeichnet und
die Richter darauf hinweist, dass es im außenpolitischen
Interesse der Vereinigten Staaten liegt, wenn die Klagen
abgewiesen und die Kläger an die Stiftung verwiesen wer-
den.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas
zur Kritik an diesem Weg sagen. Ich lese immer wieder,
dass man diese Summe doch hätte einklagen sollen. Wenn
Sie die Kläger auf den Gerichtsweg verweisen, dann be-
kommt nicht ein einziger der Überlebenden zu seiner Leb-
zeit eine einzige Mark zu sehen. Nur dieser Weg kann dazu
führen, dass die Überlebenden noch Geld bekommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Mit dieser Erklärung, die wir gestern Abend abgegeben
haben und die ohne Widerspruch angenommen wurde, wie
ich feststellen konnte, erfüllt die amerikanische Regierung
auch im Detail die eingegangenen Verpflichtungen. Die
auch öffentlich geäußerte Kritik am Verhalten der US-Re-
gierung ist grundlos. Der amerikanische Außenminister
Colin Powell hat gestern in einem Brief an Außenminister
Fischer eindeutig das Engagement auch der neuen US-Ad-
ministration für einen umfassenden und dauerhaften
Rechtsfrieden für deutsche Unternehmen unterstrichen. Es
ist klar – der Bundeskanzler hat dies gestern angekün-
digt –, dass dieses Thema bei seinem Besuch in Washing-
ton, beim amerikanischen Präsidenten, eine Rolle spielen
wird. Wir sind zuversichtlich, dass Präsident Bush genau
dieselbe Bestätigung geben wird wie Colin Powell.

Noch einmal: Die Stiftungsinitiative, also die deutsche
Wirtschaft, der Bundestag – dafür möchte ich mich erneut
bedanken –, die Bundesregierung und die US-Regierung
sowie die Klägeranwälte haben jetzt alles getan, was sie
zu tun hatten und wozu sie sich verpflichtet hatten. Es
liegt jetzt an den amerikanischen Gerichten und den ame-
rikanischen Klägeranwälten, die am 17. Juli 2000 die Ge-
meinsame Erklärung unterschrieben haben, den Zustand

herzustellen, den § 17 Abs. 2 des Stiftungsgesetzes als
„ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unterneh-
men“ beschreibt. Wir alle haben die Rechtssicherheit bei
der Unterzeichnung der Verträge im Juli vorigen Jahres
noch für den September 2000 für erreichbar gehalten. Das
hat sich leider als Irrtum erwiesen.

Ein amerikanischer Richterausschuss, das so genannte
„Multi District Litigation Panel”, lehnte es im Juli vorigen
Jahres ab, die Sammelklagen, wie von Klägern und Be-
klagten beantragt, vor einen einzigen Richter zu bringen
– in Amerika heißt dies „konsolidieren“ –, und beließ sie
bei drei Richtern. Bei zwei Richtern führte dies nur zu ge-
ringfügigen Zeitverlusten. Richter Bassler hat am 13. No-
vember in New Jersey die nicht streitigen Zwangsarbei-
terklagen, Richter Mukasey am 8. Dezember des letzten
Jahres die Versicherungsklagen abgewiesen. Man ist als
Kläger einer Sammelklage im amerikanischen Prozess-
recht nicht wie im deutschen Zivilprozessrecht Herr sei-
ner eigenen Klage. Der Richter muss die Klagerücknahme
genehmigen.

Auf die Wahrung der Interessen nicht benannter Kläger
hat Richterin Kram am 7. März dieses Jahres ihre Ableh-
nung gestützt, die Bankenklagen, wie von beiden Parteien
beantragt – Klägern und Beklagten –, abzuweisen. Sie hat
festgestellt, dass es unfair sei, die Kläger auf eine Stiftung
zu verweisen, die nicht voll finanziert ist. Nicht zuletzt auf
unsere Anregung hin haben die beiden Richter Bassler
und Mukasey dieses Risiko mit einer Formulierung
aufgefangen, wonach den Klägern die Wiederaufnahme
der Klagen ausdrücklich eröffnet wurde, sollte das Geld
nicht zusammenkommen. Darum hat sich Richterin Kram
nicht gekümmert. Sie hat diesen Weg nicht akzeptiert.

Das nicht vorhandene Geld war nicht der einzige
Grund, weswegen sie die Klagen nicht abgewiesen hat.
Zum Zweiten hat sie noch Geld für abgetretene angeb-
liche Forderungen österreichischer gegen deutsche Ban-
ken gefordert. Dabei hat sie feststellen müssen, dass die
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ nicht
dazu da ist, Forderungen juristischer Personen un-
tereinander abzudecken. Sie hat – ich kann es nicht anders
formulieren – mit einem rechtlich fehlerhaften Beschluss
den Beginn der Auszahlungen um etliche Wochen, bis
über die Rechtsmittel entschieden ist, zulasten der Opfer
verzögert.

Unter den übrigen Klagen sticht die Klage gegen die
amerikanische IBM hervor, die sich aber in ihrer Begrün-
dung de facto gegen die seinerzeitige deutsche Tochter
Hollerith GmbH richtet. Die Klage gegen IBM wurde von
zwei Anwälten eingereicht, die sich in der Gemeinsamen
Erklärung verpflichtet hatten, für Rechtssicherheit zu sor-
gen. Ich habe eben gesagt, die Klägeranwälte hätten alles
getan, was in ihren Kräften steht, um die getroffene Ver-
einbarung umzusetzen. Diese beiden haben das genaue
Gegenteil getan. Ihr Vorgehen ist eindeutig rechtsmiss-
bräuchlich und ein eindeutiger Vertragsverstoß. Selbstver-
ständlich ist die deutsche IBM Mitglied der Stiftungs-
initiative. Die amerikanische Regierung bemüht sich
intensiv, auch diese Klage aus der Welt zu schaffen. Aber
ohne Zeitverlust ist dies nach amerikanischem Prozess-
recht nicht möglich. – Ich weise auf diesen Fall hin, weil




Dr. Otto Graf Lambsdorff

15453


(C)



(D)



(A)



(B)


ich um Ihr Verständnis für die Haltung der deutschen Un-
ternehmen werben möchte, die gerade über diese neue
Klage zu Recht besonders empört sind.

Es ist zwischen der Bundesregierung und der amerika-
nischen Regierung völlig unstreitig, dass der in Ziffer 4 d
der Gemeinsamen Erklärung vorgesehene Zustand, näm-
lich die rechtskräftige Abweisung der in diesem Zusam-
menhang gegen deutsche Unternehmen anhängigen Kla-
gen, bisher nicht hergestellt ist.

Die Stiftungsinitiative ist aber vor allem gegründet
worden, um einer moralischen Verantwortung gerecht zu
werden, wie es in der Gemeinsamen Erklärung vom
16. Februar 1999 formuliert wurde. Ich betone erneut,
dass Rechtsfrieden nicht nur im Interesse der Unter-
nehmen liegt. Auch die Bundesregierung und die ameri-
kanische Regierung haben ein vitales Interesse daran,
dass solche Auseinandersetzungen vor amerikanischen
Gerichten nicht die deutsch-amerikanischen Wirtschafts-
beziehungen unterhöhlen oder gar die politischen Bezie-
hungen zwischen beiden Ländern in Mitleidenschaft zie-
hen. Die US-Regierung bringt das in ihrem Statement of
Interest ganz klar zum Ausdruck.

Es bestand gestern Abend völlige Einigkeit darüber,
dass die Abweisung der zurzeit vor Richterin Kram an-
hängigen Klagen – wahrscheinlich in einem Berufungs-
verfahren – eine notwendige, aber keine hinreichende Be-
dingung für die Rechtssicherheit ist. Der Bundeskanzler
hat deswegen vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe aus Mit-
arbeitern der Bundesregierung und der Stiftungsinitiative
einzusetzen, die nach Abweisung der Bankenklagen
– also der Klagen vor Richterin Kram – feststellen soll,
welche relevanten Fälle, wie es Dr. Gentz ausdrückte,
noch anhängig sind und wann der Komplex positiv ent-
schieden ist, wie es der Bundeskanzler ausdrückte. Wir
werden uns in einem intensiven Dialog mit dem Bundes-
tag darum bemühen, in dieser Frage eine gemeinsame
Haltung zu finden. Das wird nicht ganz einfach sein; das
muss jeder wissen. Auch Sie, Herr Beck, wissen das. Wir
wissen es alle. Wir müssen es aber versuchen, und zwar
auf seriöse Weise.

Ich möchte schließlich noch kurz auch auf den von den
Unternehmen eingebrachten Vorschlag eingehen, Stiftung
und Rechtssicherheit zu spalten: In einer Gesetzesände-
rung soll der Bundestag erklären, dass die Rechtssicher-
heit nicht gegeben sei, die Auszahlung aber dennoch mit
den Bundesmitteln beginnen soll. So sehr das hinter die-
ser Überlegung stehende Engagement für die Überleben-
den zu verstehen ist: Der Bundeskanzler hat diesen Vor-
schlag aus gewichtigen, und wie ich meine, auch
zutreffenden Gründen abgelehnt. Er erinnerte daran, dass
das gemeinsame Vorgehen von Regierung und Wirtschaft
zu den Prämissen der Stiftungsinitiative gehörte. Die
Bundeskasse – das betrifft vor allem den Bundesfinanz-
minister – würde für das gesamte Stiftungskapital ins Ob-
ligo gebracht, ohne dass der Zeitpunkt der Überweisung
durch die Stiftungsinitiative ausreichend gesichert wäre.
Schließlich löst der Beginn der Auszahlungen an die
Überlebenden nach den getroffenen Vereinbarungen
automatisch die Honorarzahlungen an die amerikanischen
Klägeranwälte aus. Auf deren Unterstützung sind wir aber

bei der Herstellung des Rechtsfriedens nach wie vor an-
gewiesen. Daher dürfen wir deren Interessen nicht außer
Acht lassen.

Allen Beteiligten ist bewusst, dass es um das Schicksal
von etwa 1 Million Menschen geht, denen seit mehr als
zwei Jahren Zahlungen in Aussicht gestellt wurden, auf
die sie einen moralischen Anspruch haben. Alle Betroffe-
nen sind alt: Die meisten – über 90 Prozent – leben in Ost-
europa. Viele gehören zu den Verlierern der Öffnung zum
Westen und der Perestroika, wie so viele alte Menschen in
diesem Teil der Welt. Für jemanden, der in der Ukraine
oder in Weißrussland lebt, sind 5 000 oder 15 000 DM
eine große Summe. Für jemanden, der in Amerika lebt, ist
das auch viel Geld, aber lange nicht so bedeutsam wie für
Menschen, die über 50 Jahre lang noch nie etwas bekom-
men haben.

Wir werden die uns hier gestellte Aufgabe mit dem ge-
botenen Ernst und im Bewusstsein der Menschen, an de-
nen sich Deutschland vergangen hat, so schnell wie mög-
lich zu Ende führen. Ich kann nicht sagen, wann ich dem
Deutschen Bundestag empfehlen kann, die Rechtssicher-
heit festzustellen. Es hat keinen Sinn, Daten in die Welt zu
setzen, die man hinterher korrigieren muss.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Völlig richtig!)


Ich kann insbesondere nicht vorhersagen, ob dies so
rechtzeitig geschehen wird, dass der Bundestag noch vor
der Sommerpause entscheiden kann. Ich glaube es kaum.
Das hängt jetzt allein von den US-amerikanischen Ge-
richten ab.


(Ulla Jelpke [PDS]: Auch von der Wirtschaft, nicht nur von den amerikanischen Gerichten!)


– Nein, Frau Jelpke, die Wirtschaft hat das Geld zur Ver-
fügung gestellt. Es hängt von den US-amerikanischen Ge-
richten und nicht von der Wirtschaft ab, ob die noch an-
hängigen Gerichtsverfahren, die nach übereinstimmender
Auffassung von Bundestag, Bundesregierung und deut-
scher Wirtschaft aus der Welt sein müssen, bevor man von
Rechtssicherheit sprechen kann, beendet werden.

Wenn die Wirtschaft bei der Forderung nach dem, was
alles unter dem Begriff Rechtssicherheit zu verstehen ist,
überziehen sollte, dann müssen wir erneut Gespräche
führen. Nach dem Gespräch gestern Abend haben wir
nach meiner Einschätzung alle Möglichkeiten, uns zu-
mindest sehr weit anzunähern. Ich lasse es einmal dahin-
gestellt, ob wir uns über jeden Fall hundertprozentig einig
werden. Insofern war das Gespräch gestern Abend nütz-
lich, zielstrebig und, wie ich hoffe, den Gesamtanstren-
gungen, die wir vor uns haben, förderlich.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415818000
Das Wort
hat nun der Kollege Wolfgang Bosbach von der
CDU/CSU-Fraktion.




Dr. Otto Graf Lambsdorff
15454


(C)



(D)



(A)



(B)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1415818100
Herr Präsident!
Lieber Graf Lambsdorff! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Auch wenn Grund und Überschrift dieser Aktuellen
Stunde mittlerweile – glücklicherweise – überholt sind, so
ist diese Debatte dennoch richtig und wichtig.

Vor wenigen Tagen hat die deutsche Wirtschaft die von
ihr zugesagten 5 Milliarden DM aufgebracht und damit
ihre Zahlungszusage eingelöst. Nunmehr kann eigentlich
kein US-amerikanisches Gericht die notwendige Erledi-
gung oder Abweisung der dort anhängigen Klagen gegen
deutsche Unternehmen länger unter Hinweis darauf ver-
weigern, dass Zweifel an der Leistungsbereitschaft und
der Leistungsfähigkeit der Bundesstiftung bestünden. An-
ders formuliert: Mit der Bereitstellung der 5 Milliar-
den DM ist eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen
worden, dass der notwendige Rechtsfrieden nunmehr
rasch hergestellt werden kann. Nicht mehr, aber auch
nicht weniger haben wir bis heute erreicht.

Es wäre gut, wenn die deutsche Wirtschaft die 5 Milli-
ardenDM zügig an die Bundesstiftung überweisen würde,
auch, weil dann die nicht unerheblichen Zinserträge dem
Stiftungszweck zugute kämen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Auszahlung dieses Betrages kommt allerdings erst
dann in Betracht, wenn ausreichende Rechtssicherheit be-
steht und diese durch Beschluss des Deutschen Bundesta-
ges ausdrücklich festgestellt wird. Die Entschädigung für
NS-Zwangsarbeit und die Einrichtung eines Zukunfts-
fonds einerseits und die Herstellung ausreichender
Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA
andererseits sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Wer diesen nach langwierigen, schwierigen und kompli-
zierten Verhandlungen von allen Seiten akzeptierten Zu-
sammenhang auflöst, wird die Ziele der Stiftung in ab-
sehbarer Zeit nicht erreichen.

Die deutsche Wirtschaft ist für ihre bislang zögerliche
Haltung in den letzten Monaten oft und nicht zu Unrecht
kritisiert worden. Aber wir können sie jetzt nicht auch
noch dafür kritisieren, dass sie auf die Einhaltung
geschlossener Verträge Wert legt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer die versprochene Leistung erbracht hat, kann erwar-
ten, dass auch die vereinbarte Gegenleistung erbracht
wird.

Rechtsfrieden und Rechtssicherheit müssen jetzt durch
gemeinsame Anstrengungen von Klägern, Klägervertre-
tern und Gerichten vor der US-amerikanischen Justiz her-
gestellt werden, und dies so rasch wie möglich; denn Ziel
der Bundesstiftung kann ja nicht sein, die Hinterbliebenen
der ehemaligen Zwangsarbeiter zu erreichen. Vielmehr
müssen die noch heute lebenden, alten und oft kranken
und gebrechlichen Opfer erreicht werden. Leider – ich be-
tone: leider – kann der Deutsche Bundestag zum jetzigen
Zeitpunkt noch nicht ausreichende Rechtssicherheit für
die deutschen Unternehmen durch einen Beschluss fest-

stellen. Es wäre schön, wenn diese Rechtssicherheit schon
jetzt bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Allerdings muss sich die deutsche Wirtschaft fragen
lassen – darauf hat Graf Lambsdorff zu Recht hingewie-
sen –, ob sie tatsächlich auf der Haltung bestehen will,
dass ausreichende Rechtssicherheit nur dann gegeben sei
und von uns gemeinsam festgestellt werden dürfe, wenn
zunächst ausnahmslos alle Klagen vor US-amerikani-
schen Gerichten abgewiesen seien, bevor die 5 Milliar-
den DM ausgezahlt werden dürften. Die Klagen bei der
Richterin Kram und das Verfahren Deutsch gegen Turner
Corporation in Kalifornien – es handelt sich hier um ein
streitiges Berufungsverfahren in einem Zwangsarbeiter-
fall – sind in der Tat wichtige Präzedenzfälle, deren Aus-
gang wir abwarten müssen. Allerdings muss die Wirt-
schaft dann auch einmal in Ruhe darüber nachdenken, ob
es tatsächlich richtig ist, auch allen anderen Fällen die
gleiche Bedeutung zukommen zu lassen, ohne dass diese
wirtschaftlich oder materiell-rechtlich tatsächlich ebenso
wichtige Präzedenzfälle sind.


(Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [F.D.P.])

Es wäre gut, wenn auch in puncto Rechtssicherheit

Einvernehmen zwischen dem Bundestag und der Wirt-
schaft erzielt werden könnte. Dieses Einvernehmen dürfte
jedoch nur dann erzielbar sein, wenn einerseits der Deut-
sche Bundestag nicht leichtfertig Rechtssicherheit fest-
stellt, ohne dass diese tatsächlich vorliegt, und wenn die
Wirtschaft andererseits bereit ist, zu akzeptieren, dass
ausreichende Rechtssicherheit nicht zwangsläufig die Er-
ledigung aller Klagen bedeuten muss. Wir müssen beides
gewährleisten: Schnelligkeit und Einigkeit. Das sind wir
den noch lebenden Opfern schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415818200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die
Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415818300

Herr Präsident! Graf Lambsdorff! Meine Damen und Her-
ren! 10Millionen Zwangsarbeiter wurden von Deutschland
verschleppt, versklavt und gequält. Von diesen leben heute
noch ungefähr anderthalb Millionen Menschen. Bis 1998
hat die Bundesrepublik Deutschland mit ihnen um die
Frage gerechtet, ob sie aus dieser Zeit einen Anspruch auf
Entschädigung oder auch nur auf Lohn haben. Zwei Jahre
haben wir mit den Opferorganisationen, den osteuropäi-
schen Staaten und dem Staat Israel verhandelt und sind
schließlich im Juli 2000 zu einer Lösung gekommen und
haben als Bundestag das Stiftungsgesetz verabschiedet. Als
wir das getan haben, haben wir gehofft, wesentlich früher
mit der Auszahlung an die Opfer beginnen zu können.

Mit den Ereignissen dieser Woche sind wir einen ent-
scheidenden Schritt vorangekommen. Das Geld ist nun
vorhanden; die deutsche Wirtschaft hat ihre 5 Milliar-
den DM zusammen. Sie hat hierfür eine Lösung gefun-
den. Aber damit ist noch nicht alles erfüllt, was wir brau-
chen, um auf einem sicheren Weg zur Rechtssicherheit zu






(C)



(D)



(A)



(B)


kommen. Das Geld muss an die Bundesstiftung überwie-
sen werden. Zur Not kann hierfür die Konstruktion eines
Treuhandverhältnisses gewählt werden.

Aber Richterin Kram hat in ihrem Urteil ganz eindeu-
tig gesagt: „Full funding of the foundation is accom-
plished.“ Die volle Finanzierung der Stiftung ist erreicht.
Sie hat nicht gesagt: ist gewährleistet oder garantiert. Das
heißt, wenn man diesen Richterspruch erfüllen will, muss
das Geld der Stiftung zur Verfügung gestellt werden. An-
sonsten geht die Wirtschaft erneut unnötige Prozessrisi-
ken auf Kosten der Opfer ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben der Wirtschaft bereits vor diesem Urteil ge-

raten, sie solle durch eine erste Überweisung ihre Zah-
lungswilligkeit demonstrieren. Damals hat man uns ge-
sagt: Das wird die Richterin nicht interessieren, die
Klagen werden schon abgewiesen werden. Man hat sich
schon einmal getäuscht. Ich warne davor, ein Risiko in der
nächsten Instanz einzugehen, denn dann könnte Rechts-
sicherheit auch höchstrichterlich abgelehnt werden.

Meine Damen und Herren, die Verträge wie das Stif-
tungsgesetz machen die Feststellung ausreichender
Rechtssicherheit zur Voraussetzung von Auszahlungen an
die Opfer. Dabei dürfen wir die Anforderungen nicht zu
hoch schrauben. Wir hatten im Bundestag immer Einver-
nehmen darüber, dass wir gesagt haben, wir müssen die
Sammelklagen zurückgewiesen haben und wir brauchen
einen Testfall für die Belastbarkeit des Statement of Inter-
est. Ich meine, dies muss ausreichen.

Selbstverständlich hat die deutsche Wirtschaft ein be-
rechtigtes Interesse an einem allumfassenden rechtlichen
Frieden, wie er uns Deutschen von den Amerikanern ver-
sprochen wurde, für deutsche Unternehmen in den Verei-
nigten Staaten. Wir stehen auf ihrer Seite, wenn es darum
geht, diese vertragliche Zusage einzufordern, solange sich
das nicht gegen die Interessen der Opfer wendet. Es geht
einerseits zwar um Rechtssicherheit, aber es geht ande-
rerseits auch um den moralischen Gehalt dieses Projektes.
Es geht um historische Schuld, um Verantwortung, die wir
als Deutsche dafür übernehmen wollen, und es geht um
Versöhnung.

Wenn Rechtssicherheit nicht schnell erreicht werden
kann – Vertreter der Wirtschaft haben gestern in Inter-
views mitgeteilt, dass man alle Urteile zu diesem Thema
abwarten will; man muss sich daher darüber klar sein,
dass bis zum Jahresende wahrscheinlich weder Rechtssi-
cherheit bestehen wird noch Auszahlungen erfolgen kön-
nen –, dann werden wir in einem moralischen Dilemma
sein und darüber nachdenken müssen, ob es eine humani-
tär motivierte Lösung geben kann.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Der Bundestag muss die Lage neu bewerten, wenn der

Bundeskanzler aus den Vereinigten Staaten zurück-
kommt. Wir müssen von unseren amerikanischen Freun-
den auch verlangen, dass sie ihre Zusagen aus dem
Regierungsabkommen voll und ganz einhalten. Dazu
können Sie einiges mehr als in der Vergangenheit tun. Die
Statements of Interest können näher an dem Regierungs-
abkommen liegen, als dies bislang der Fall war.

Wir dürfen aber bei all diesen Diskussionen über
Rechtsfragen die Opfer nicht vergessen. Jeden Tag ster-
ben nach Schätzungen der Opferorganisationen 200 Men-
schen, die eigentlich eine Zahlung aus der Bundesstiftung
erhalten sollen. Allein in Tschechien sind es 15 Menschen
pro Tag. Als wir vor nicht langer Zeit das Stiftungsgesetz
verabschiedet haben, wollten wir eine Überlebendenstif-
tung schaffen. Wir müssen aufpassen – der Bundestag hat
dafür die Verantwortung –, dass daraus keine Hinterblie-
benenstiftung wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb sollten wir diese Fragen gründlich diskutieren
und dabei alle Motive des Projektes berücksichtigen.
Nach der Reise des Bundeskanzlers sollten wir uns in den
Ausschüssen noch einmal intensiv mit Lösungsmöglich-
keiten beschäftigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415818400
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Dr. Max Stadler.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1415818500
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Als sich vor knapp ei-
nem Jahr abzeichnete, dass die internationalen Verhand-
lungen zu einem erfolgreichen Ende kommen, hat der
Bundestag zwei Versprechen abgegeben: erstens, das not-
wendige Stiftungsgesetz gründlich zu beraten und, zwei-
tens, es zugleich schnell zu verabschieden, damit die Zah-
lungen an die Opfer rasch beginnen können, bei
gleichzeitiger Rechtssicherheit für die deutsche Wirt-
schaft. Der Bundestag hat diese Versprechen eingehalten.
Das Gesetz ist hier trotz der Kompliziertheit der Materie
schnell beraten und verabschiedet worden. Noch vor der
Sommerpause 2000 ist ein Kuratorium installiert worden,
das seither mit Hochdruck an der verwaltungstechnischen
Umsetzung des gesamten Projekts arbeitet.

Dennoch ist die Zielsetzung des Stiftungsgesetzes bis
heute nicht erreicht worden. Dies ist wirklich bedrückend.
Man kann hinsichtlich der beiden Anwälte, die an den
Verhandlungen beteiligt waren und jetzt mit der Erhebung
neuer Klagen den Eintritt der Rechtssicherheit hinauszö-
gern, nur Unverständnis haben. Unverständnis muss man
auch gegenüber den Teilen der deutschen Wirtschaft zei-
gen, die gezögert haben, sich an der Aufbringung der
5Milliarden DM zu beteiligen – dies gilt aber nicht für die
Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft insgesamt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Haus herrscht auf allen Seiten Unverständ-
nis darüber, dass die vielen Mahnungen von Graf
Lambsdorff, von den Fraktionen des Bundestages und
von vielen anderen in der Öffentlichkeit, das Kapital
rechtzeitig und in voller Höhe zur Verfügung zu stellen, in
den Wind geschlagen worden sind, weswegen weitere
Verzögerungen eingetreten sind.




Volker Beck (Köln)

15456


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind in einen Teufelskreis von fehlendem Stif-
tungskapital und fehlender Rechtssicherheit geraten. Er-
freulicherweise ist seit Dienstag dieser Woche die Chance
gegeben, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Deshalb
schließe ich mich den Appellen an die amerikanische Jus-
tiz an, jetzt die Verfahren rasch abzuschließen. Aber der
Bundestag kommt wieder in die Situation – sie ist so ähn-
lich wie die vor knapp einem Jahr –, dass er eine Ent-
scheidung gründlich, aber rasch wird treffen müssen;
denn – ich mache auf diesen Aspekt bewusst aufmerk-
sam – es ist einzig und allein der Bundestag, der nach dem
Stiftungsgesetz die Feststellung der ausreichenden
Rechtssicherheit zu treffen hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir stehen unter Entscheidungszwang. Kein runder
Tisch, keine Arbeitsgruppe, kein Bundeskanzler und nicht
einmal der geschätzte Graf Lambsdorff können uns diese
Entscheidung abnehmen.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Dies ist im Stiftungsgesetz bewusst so festgelegt wor-

den, weil von vornherein damit gerechnet wurde, dass über
die Voraussetzungen der Rechtssicherheit durchaus unter-
schiedliche Meinungen entstehen können. Daher ist eine
einvernehmliche Lösung dieser Frage wünschenswert und
anzustreben. Dem Bundestag bleibt nichts anderes übrig,
als erneut das Versprechen zu geben, diese Frage in den
nächsten Tagen und Wochen zwar mit der gebotenen Akri-
bie zu prüfen, aber dann rasch so oder so zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, wir sind uns dabei unserer
Verantwortung bewusst. Wir tragen Verantwortung dafür,
dass das Interesse der Wirtschaft, für die gleiche Sache
nicht zweimal zahlen zu müssen, berücksichtigt wird; wir
haben aber auch eine Verantwortung gegenüber den Op-
fern. Aufgrund der praktischen Bewährung des Statement
of Interest ist mit größter Wahrscheinlichkeit damit zu
rechnen, dass noch anhängige Klagen in den USA abge-
wiesen werden. Der Streit geht darum, welche Klagen
noch relevant sind. Dies ist das berechtigte Interesse der
Wirtschaft. Es darf aber nicht zugewartet werden, bis die
letzte aussichtslose Einzelklage alle Instanzen durchlau-
fen hat. Dies ist das berechtigte Interesse der Opfer. Ich
erwarte vom Deutschen Bundestag, dass er in diesem
Spannungsfeld unter Wahrung beider Interessenlagen
bald eine kluge Entscheidung trifft.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415818600
Das Wort hat Kollege
Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1415818700
Frau Präsidentin! Graf
Lambsdorff! Meine Damen und Herren! Die beklagens-
werte Lage wurde schon angesprochen: Das Geld ist da,
doch die Opfer können es nicht bekommen. Diese Situa-
tion ist fast mit der des Tantalus zu vergleichen: Die Mög-
lichkeit zu helfen, also das zu erreichen, was wir immer
wollten, ist zum Greifen nahe, aber es geht noch nicht.

Es ist auch traurig, dass die deutsche Wirtschaft ihre
Chance vertan hat. Hätte sie vor vier Wochen gehandelt,
könnte sie sagen: Wir haben mit viel Mühe das Ziel er-
reicht. – Jetzt muss man sich fragen, ob immer erst etwas
passieren muss – ein Richterspruch oder die Anberau-
mung eines Kanzlergesprächs –, bevor sich etwas bewegt.
Es ist wirklich schade, dass der moralische Aspekt dieser
großen Bemühungen in diesem Zögern einfach untergeht.

Lassen Sie uns aber nach vorne schauen: Wir können
Frau Kram vonseiten des Deutschen Bundestages sagen,
dass das Geld da ist. Dies ist eine ganz wichtige Botschaft.
So ärgerlich die Entscheidung von Frau Kram auch war,
wer sie im Detail liest, wird feststellen, dass die Aus-
führungen zum Statement of Interest und zu seiner Bedeu-
tung eine wesentliche Hilfe bei weiteren Fällen sein kön-
nen. Es wurde wirklich deutlich gemacht, dass das
Statement of Interest nicht ein einfaches Papier ist, sondern
sehr bedeutungsvoll ist. Frau Kram hat sich gerade darauf
berufen und gesagt, dass, solange das Geld nicht da ist, die-
ses Instrument nicht wirksam eingesetzt werden könne. Da-
mit können wir darauf vertrauen, dass es so ähnlich wie be-
reits in einigen früheren Fällen auch in Zukunft läuft.

Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass es sich bei
der Vereinbarung mit der deutschen Wirtschaft um eine
Gesamtvereinbarung handelt. Es ist leider nicht so, wie
Kollege Stadler soeben gesagt hat, dass der Deutsche
Bundestag entscheidet und die Wirtschaft zahlen muss. In
§ 17 steht: Wenn der Bundestag ausreichende Rechtssi-
cherheit feststellt, kann die Stiftung an die Partnerorgani-
sation zahlen. – Die Regelung, wann die Leistungen der
Wirtschaft an die Stiftung fällig werden, steht leider wo-
anders. In diesem Bereich ist Rechtsfriede nötig. Wir tun
gut daran, diesen Gesamtrahmen strikt einzuhalten und
die sich daraus ergebenden Folgen miteinander zu tragen.
Wir sollten nicht über dieses gesamte Vertragswerk hi-
nausgehen. Vertragstreue gilt für beide Seiten.

Angesichts der Tatsache, dass wir alle Anstrengungen
unternehmen, um möglichst viel Rechtssicherheit herbei-
zuführen, bin ich mir sicher, dass sich die deutsche Wirt-
schaft am Ende der Entscheidung des Parlamentes nicht
verweigern wird. Wir erwarten von der deutschen Wirt-
schaft, dass sie nicht sozusagen die Buchstaben reitet,
sondern dafür Sorge trägt, dass die grundlegenden Ziele
erreicht werden und dass dem moralischen Anspruch das
notwendige Gewicht verliehen wird. Entsprechende Si-
gnale deuten darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft
nicht justament auf Abweisung der letzten Klage bestehen
wird. Darauf werden wir auch in unseren Gesprächen
dringen.

Es geht jetzt darum, dass die amerikanische Seite ihre Zu-
sagen erfüllt. Jetzt muss Tempo in die Verfahren gebracht
werden. Mir genügt das Statement of Interest allein nicht.
Ich darf in diesem Zusammenhang aus Art. 2 Abs. 2 des
deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens zitieren:

Die Vereinigten Staaten werden sich in Anerkennung
der Bedeutung der Ziele dieses Abkommens ein-
schließlich des umfassenden und dauernden Rechts-
friedens frühzeitig und nach besten Kräften bemühen,
auf eine Weise, die sie für angemessen halten, diese




Dr. Max Stadler

15457


(C)



(D)



(A)



(B)


Ziele gemeinsam mit den Regierungen der Bundes-
staaten und der Kommunen zu verwirklichen.

Ich erwarte jetzt von der amerikanischen Seite, dass sie
noch einmal an die Gerichte herantritt und auf der Grund-
lage der Information über die Zusagen der deutschen
Wirtschaft erklärt: Wer bisher noch Bedenken hinsichtlich
der Bereitstellung der 5 Milliarden DM in voller Höhe
hatte, der möge diese, bitte schön, zurückstellen. – Wir
müssen uns darum bemühen, dass bei den Gerichten
Tempo gemacht wird, und deutlich machen, dass jeder
Richter, der in dieser Angelegenheit nicht schnellstmög-
lich entscheidet, die Opfer, die er schützen will, im
Grunde genommen schädigt, weil die Hilfe für sie zu spät
kommen kann.

Wir sollten gemeinsam den Richtern in Amerika sehr
deutlich machen: Wir haben unseren Beitrag geleistet.
Nun tut ihr das Eure!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415818800
Für die PDS-Fraktion
spricht die Kollegin Ulla Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415818900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Nicht das Leid der überlebenden Zwangsar-
beiter, sondern der Spruch der US-Richterin Kram hat die
Wirtschaft dazu veranlasst, die längst überfälligen 5 Mil-
liarden DM nun endlich verbindlich zuzusagen. Allein
dies zeigt: Das Unrechtsbewusstsein der deutschen Wirt-
schaft beim Thema NS-Zwangsarbeit ist nach wie vor er-
bärmlich.


(Beifall bei der PDS)

An dieser Stelle möchte ich einige Worte an die über-

lebenden Zwangsarbeiter richten: Ich versichere Ihnen,
die PDS-Fraktion empfindet die jetzige Situation als un-
erträglich und skandalös. Wir sind wütend und ratlos zu-
gleich, dass immer noch kein Geld an die überlebenden
Opfer ausgezahlt wurde. Wir werden alles daran setzen,
dass so schnell wie möglich mit der Auszahlung begon-
nen wird.

In den letzten Wochen und auch in diesen Stunden fin-
det ein Gezerre um Fragen der Rechtssicherheit für die
Wirtschaft statt, das alles andere in den Hintergrund stellt.
Völlig unverfroren hat erst gestern der Sprecher der Stif-
tungsinitiative, Herr Gibowski, wiederholt, dass alle
neuen Klagen in den USA niedergeschlagen oder zurück-
gezogen sein müssen, bevor mit der Auszahlung an die
Opfer begonnen werden kann. Ich muss Ihnen ehrlich sa-
gen, dass mir zu diesem Herrn nichts mehr einfällt, der in
den letzten Wochen und Monaten nichts unversucht ge-
lassen hat, immer wieder Vorwände – meiner Meinung
nach: auch Gemeinheiten – zu finden, um die Auszahlung
zu verzögern.

Ich möchte hier ganz eindeutig denjenigen widerspre-
chen, die jetzt auf die amerikanischen Gerichte und auf
die Situation in den USA hinweisen.


(Beifall bei der PDS)


Das Entscheidende ist, dass vor allen Dingen die Wirt-
schaft in den letzten Monaten immer wieder gezeigt hat,
dass sie überhaupt nicht bereit war, zu zahlen und nach ei-
ner Lösung zu suchen. Das ist nach wie vor skandalös.

Ich bin der Meinung, dass die Lage relativ klar ist. Ers-
tens. Die Wirtschaft muss sofort ihren Beitrag von 5 Mil-
liarden DM auf das Konto der Bundesstiftung überwei-
sen.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Die letzte Sammelklage in den USA – dafür
müssen wir uns einsetzen – muss so schnell wie möglich
eingestellt werden. Dann – da waren sich die Mitglieder
des Kuratoriums bisher immer einig – könnte der Bun-
destag eigentlich Rechtssicherheit beschließen und mit
der Auszahlung an die Opfer beginnen.

Ich möchte hier klipp und klar sagen: Für die Opfer ist
das, was in diesem Zusammenhang in den letzten Mona-
ten gelaufen ist, nicht mehr akzeptabel. Uns begegnen im-
mer wieder Menschen, die völlig hilflos fragen: Wie kann
es nur angehen, dass in Deutschland keine Lösung gefun-
den wird? – Schauen wir zum Beispiel nach Österreich.
Dort ist offensichtlich alles viel schneller geregelt wor-
den. Auch andere Organisationen waren sehr viel schnel-
ler in der Lage, die Opfer zu entschädigen.

Hinsichtlich der Gespräche gestern beim Bundeskanz-
ler hatten wahrscheinlich viele die Erwartung, dass der
Kanzler endlich einmal ein Machtwort spricht. Aber auch
das, was Sie, Herr Lambsdorff, heute hier vorgetragen ha-
ben, war im Prinzip nichts Neues. Ich bin nicht alleine ent-
täuscht darüber, dass hier nicht ganz klar entschieden
worden ist, dass im Sinne der Opfer schnell gehandelt
wird.

Es ist wie immer: Wenn man nicht weiterweiß, gründet
man einen Arbeitskreis. Dieser soll jetzt beim Bundes-
kanzler angesiedelt werden. Ich muss ehrlich sagen, dass
ich wenig Hoffnung habe, dass dieser Arbeitskreis die Lö-
sung bringen wird, die wir in monatelangen Gesprächen
und Verhandlungen zu finden versucht haben. Ich weiß
nicht, was dieser Arbeitskreis im Zusammenhang damit
bringen soll, dass jetzt schnell Rechtssicherheit herge-
stellt und die Opfer entschädigt werden sollen.

Insofern möchte ich von dieser Stelle aus ein weiteres
Mal an die Bundesregierung appellieren, sich klar und
deutlich für die Opfer einzusetzen, nicht gegenüber der
Wirtschaft einzuknicken und womöglich noch weitere
Klagen abzuwarten, bevor sie die Entschädigungszahlun-
gen leistet.

Ich möchte auch noch ein Wort zu meinem Kollegen
Beck sagen. Herr Kollege Beck, Sie sind jetzt in der Öf-
fentlichkeit mit dem Vorschlag vorgeprescht, man könne
ja die Rechtssicherheit von den jetzigen Zahlungen
abkoppeln. Ich halte überhaupt nichts davon, dass ein ein-
zelnes Mitglied des Kuratoriums vorprescht


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Und vor allen Dingen Hoffnungen weckt!)


und irgendwelche Vorschläge macht, die falsche Hoff-
nungen wecken. Das aber haben Sie in den vergangenen




Ludwig Stiegler
15458


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagen immer wieder getan. Ich fordere – ebenso wie bei-
spielsweise die osteuropäischen Partnerorganisationen,
aber auch andere Mitglieder des Kuratoriums –, sofort
eine Sitzung des Kuratoriums einzuberufen und mit den
Opferverbänden darüber zu diskutieren,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich telefoniere gelegentlich mit ihnen!)


was jetzt getan werden kann. Die Opferverbände sollten
auch in die Arbeitsgruppe mit einbezogen werden, statt
die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfin-
den zu lassen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415819000
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415819100
Ja, ich komme zum letzten Satz.
Wenn es – in dem Punkt stimme ich mit dem Kollegen

Beck völlig überein – so weitergeht wie bisher, dann wer-
den wir keine Stiftung für die Entschädigung der überle-
benden Zwangsarbeiter haben, sondern eine Hinterbliebe-
nenstiftung. Das darf nicht passieren.


(Beifall bei der PDS – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man aber einen Weg suchen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415819200
Das Wort hat der Kol-
lege Bernd Reuter für die SPD-Fraktion.


Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1415819300
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen,
was Frau Jelpke hier vorgetragen hat, nämlich dass wir
alle darüber betroffen sind, dass es uns nicht gelingt, end-
lich an die Menschen eine Auszahlung leisten zu können,
die dieses schwere Schicksal erlitten haben. Aber ich
möchte auch davor warnen, dass hier der Eindruck ver-
mittelt wird, man müsse nur wollen, dann könne man das
Geld auch auszahlen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr wahr! Das kann ich bestätigen!)


Ich bin ein ehrlicher Makler: Wir wollten im Rahmen
der Diskussion heute eine Aktuelle Stunde machen, um
der Industrie einmal deutlich zu sagen, dass sie endlich
das Geld bringen muss. Es hieß ja immer: Das Geld ist da,
wenn es gebraucht wird. Seit dem 13. März heißt es: Das
Geld ist da.

Nun will ich mich nicht an dem theoretischen Streit be-
teiligen, ob das Geld bei der Stiftung eingezahlt werden
muss. Mir wäre es lieber, wie es auch Herr Kollege
Bosbach gesagt hat, wenn es eingezahlt werden würde.
Aber nach den Regeln, die wir uns selbst gegeben haben,
ist dies nicht zwingend erforderlich.

Wir haben unsere Aufgaben zunächst ordentlich er-
füllt. Die Wirtschaft hat das Geld zur Verfügung gestellt.
Jetzt liegt es – das klang auch bei Max Stadler an – in der
Tat an der Justiz in Amerika, durch entsprechende Ent-

scheidungen dafür zu sorgen, dass wir in die Lage versetzt
werden, ausreichend Rechtsfrieden herzustellen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das war von Anfang an klar!)


Die Entscheidung der Richterin Kram in Amerika sehe
ich ähnlich wie Graf Lambsdorff. Sie mag rechtsfehler-
haft gewesen sein. Aber, meine Damen und Herren, auch
wenn heute nicht der Tag der Dankadressen ist, sollten
wir vielleicht der Richterin Kram dafür danken, dass sie
diese Entscheidung getroffen hat; denn nicht die Dro-
hung mit unserer Aktuellen Stunde hat die Wirtschaft
dazu gebracht, das Geld bereitzustellen, sondern mögli-
cherweise die Entscheidung dieser weisen Dame in Ame-
rika.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir müssen mit einer Richterschelte auch deswegen
vorsichtig sein, weil dies kontraproduktiv sein könnte. Es
ist richtig, was Ludwig Stiegler dargelegt hat: Wir können
dem Kanzler natürlich mit auf den Weg geben, seine Kon-
takte in Amerika zu nutzen, um dafür zu werben, dass
auch in Amerika eine Stimmung erzeugt wird, die es der
Justiz ermöglicht, schnell zu entscheiden. Nichtsdesto-
trotz werden wir nicht alle Klagen schnell vom Tisch be-
kommen.

Auf der einen Seite steht die Verpflichtung, dass die
Wirtschaft das Geld zusammenbringt – die Bundesregie-
rung hat ihren Anteil von 5 Milliarden DM bereits er-
bracht –, auf der anderen Seite die so genannte ausrei-
chende Rechtssicherheit. Da können wir uns nicht
davonstehlen – so Leid es mir tut, Ulla Jelpke – und sa-
gen, der Kanzler sei vor der Wirtschaft eingeknickt oder
er kusche vor der Wirtschaft. Man kann auch nicht so wie
andere argumentieren – man braucht ja nur den Fernseher
anzuschalten oder Radio zu hören –, die sagen, hier werde
nur die Sache der Wirtschaft vorgetragen. Wenn ich diese
Töne manchmal höre, wundere ich mich nicht, dass die
Industrie nicht bereit ist, das Geld einzuzahlen. Ich habe
den Eindruck, manche hier argumentieren, es sei ganz
egal, ob wir Rechtssicherheit erreichen, wir sollten ein-
fach auszahlen.

Aus meiner Sicht kann ich nur warnen: Wenn wir jetzt
das Gesetz ändern und Mittel aus der Stiftung auszuzah-
len beginnen, dann gefährden wir das gesamte Projekt.
Wir müssen aber alles daran setzen, dass dieses Projekt er-
folgreich abgeschlossen wird. Wenn es nun noch etwas
länger dauert, ist das zwar bedauerlich; aber der Deutsche
Bundestag könnte, sollte dies bis zum Eintritt in die Som-
merpause nicht zu bewerkstelligen sein, auch aus der
Sommerpause zurückgeholt werden, damit wir hier die
Rechtssicherheit feststellen und die Auszahlung beginnen
kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es liegt nun daran, durch vernünftiges Verhalten dazu
beizutragen, dass hier keine Irritationen ausgelöst wer-
den. Ich sage an dieser Stelle auch – das klang bei Ulla
Jelpke ebenfalls an –: So manche Empfehlung, die ich in




Ulla Jelpke

15459


(C)



(D)



(A)



(B)


den letzten Tagen gehört habe, zeugt davon, dass diejeni-
gen, die öffentlich so argumentieren, einfach ihre Unter-
lagen zur Seite gelegt haben. Man muss nur in diese Un-
terlagen hineinschauen; dann weiß man auch, welche
Probleme lösbar sind und was machbar ist.

Mein Appell und meine Bitte: Wir müssen in dieser
Frage zusammenbleiben. Nur dann, wenn der Deutsche
Bundestag und die Kuratoriumsmitglieder dieses Hauses
einig und geschlossen die Interessen der bemitleidens-
werten Menschen vertreten, die auf ihr Geld warten, wird
es uns gelingen, Eindruck auf die Justiz in Amerika zu
machen. Nur dann sind wir in der Lage, in absehbarer Zeit
endlich mit den Zahlungen zu beginnen. Dieses Ziel muss
für uns im Vordergrund stehen und dafür sollten wir alle
gemeinsam streiten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415819400
Nächster Redner ist
der Kollege Martin Hohmann für die CDU/CSU-Fraktion.


Martin Hohmann (AfD):
Rede ID: ID1415819500
Frau Präsidentin!
Graf Lambsdorff! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
„Unvorstellbar“ war für den Kanzler das von vielen als
dauerhaft vermutete Unvermögen der deutschen Wirt-
schaft, ihren Anteil am Stiftungsvermögen zusammenzu-
bekommen. Auch mithilfe einer „Ruck“-Entscheidung
von Richterin Shirley Kram hat Gerhard Schröder Recht
behalten. Krise und Blamage sind abgewendet, Gott sei
Dank. Reist der Kanzler jetzt zu seiner Antrittsvisite bei
Präsident Bush mit leichtem Gepäck? – Fehlanzeige!
Nach der Geldnot kommt die Zeitnot. Wer 55 Jahre auf
eine Geste der Wiedergutmachung für Zwangsarbeit ge-
wartet hat, darf keinen Tag länger hingehalten werden,
hört man. Die Opfer sollen das Geld bekommen, nicht die
Erben. – Wer wollte dem widersprechen?

Auf der einen Seite steht die Humanität, auf der ande-
ren Seite das, was man als juristischen Formelkram be-
zeichnet. Da kann, da darf doch nicht mehr gezögert wer-
den. Sofort das Geld auszahlen, der Stimme des Herzens
folgen, so die populäre Forderung.

Wagt da jemand zu widersprechen? – Ja, der Kanzler
selbst und Otto Graf Lambsdorff, sein Sonderbeauftrag-
ter. Sind das Unmenschen? – Nein! Sie tun ihre Pflicht,
wenn sie uns in einer Phase großer öffentlicher Erwartun-
gen zur Besonnenheit mahnen, wenn sie uns daran erin-
nern, dass Deutschland und die deutsche Wirtschaft eben
nicht aufgrund rechtlicher, sondern aufgrund politisch-
moralischer Verpflichtung Entschädigung leisten, wenn
sie uns an die Geschäftsgrundlage erinnern. Diese Ge-
schäftsgrundlage wurde von einer breiten Mehrheit durch
Bundestagsbeschluss im letzten Sommer gegengezeich-
net. Sie lautet: Entschädigungsleistung gegen Rechts-
sicherheit. Rechtssicherheit ist sicher erst dann gegeben,
wenn der Fall Deutsch gegen Turner-Corporation vor dem
amerikanischen Berufungsgericht im Juni positiv ent-
schieden ist.

All das fasst Graf Lambsdorff in der zutreffenden Er-
wartung zusammen, dass mit den Zahlungen frühestens
im Sommer dieses Jahres gerechnet werden kann. Für
diese klaren Worte sollten wir Graf Lambsdorff nicht ta-
deln. Wir sollten ihm auch dafür dankbar sein.

Dankbar sollten wir auch den beteiligten deutschen
Unternehmen sein; es ist bereits ausgedrückt worden. Im-
merhin haben mehr als 50 Prozent dieser Unternehmen
1945 noch gar nicht bestanden.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Trotzdem haben sie in den Fonds einbezahlt und die Grün-
dungsmitglieder haben kräftig nachgeschossen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nachdem wir gemeinsam mit der Wirtschaft so weit

gekommen sind, habe ich jede Zuversicht, dass wir auch
den Rest, die letzten 100 Meter bis zum Ziel, gemeinsam
schaffen. Aber der Ball liegt jetzt im Spielfeld der Ameri-
kaner. Die amerikanische Justiz und die Bush-Regierung
sind jetzt am Zug.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, nachdem
das Projekt der Zwangsarbeiterentschädigung mit großer
Unterstützung aus allen Fraktionen kurz vor einem erfolg-
reichen Abschluss steht, mein Appell an die rot-grüne
Mehrheit des Hauses: Denken Sie bitte auch an die deut-
schen Zwangsarbeiter, denken Sie bitte auch an die deut-
schen Spätheimkehrer, die in die ehemalige DDR entlas-
sen wurden!


(Widerspruch bei der PDS – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr! Auch das spielt eine Rolle! Auch das ist wahr! Das ist keine Aufrechnung, sondern ein neuer Sachverhalt!)


Treffen denn die grausigen Berichte über Hunger, Qualen
und Misshandlungen nicht auch auf sie zu? Gehen wir
nicht von einer universalen Geltung der Menschenrechte
aus? Sind wir etwa ein Schwellenland in Sachen Men-
schenrechte?

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, in Ihrer Oppositionszeit haben Sie auf das Thema
Menschenrechte größten Nachdruck gelegt. Als Union
sind wir Ihnen bezüglich der Zwangsarbeiterentschädi-
gung darin gefolgt. Wir können Sie nur bitten, umgekehrt
uns bei der beantragten Entschädigung der DDR-Spät-
heimkehrer zu folgen. Oder sind die 90 Millionen DM,
knapp 1 Prozent von 10Milliarden DM, für diese wirklich
vergessenen, alten Menschen zu viel? Wenn das der Fall
wäre, müssten wir uns einfach nur schämen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415819600
Jetzt spricht Kollege
Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415819700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als




Bernd Reuter
15460


(C)



(D)



(A)



(B)


der Bundestag im Juli 2000 das Gesetz zur Bundesstiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beschloss, war
das ein großes Zeichen der Hilfe und Hoffnung für viele
Hunderttausende ehemalige Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter in Osteuropa, zumal nach Jahrzehnten der
Ignoranz und Gleichgültigkeit, die sie aus Deutschland
ihrem Schicksal gegenüber vorher erfahren hatten. Dieser
Beschluss war ein regelrechtes Rettungssignal gerade für
die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteu-
ropa, die ja ungefähr 90 Prozent der Zwangsarbeiter ins-
gesamt ausmachen. Mit wachsender Irritation und Ent-
täuschung mussten diese Menschen erleben, dass sich die
Umsetzung der Ankündigung verzögerte und verzögerte.

Die Verweigerungshaltung eines Teils der deutschen
Unternehmen verhinderte allzu lange, dass die zugesagten
5 Milliarden DM zusammenkamen. Sie konterkarierten
dadurch zugleich die verantwortliche Haltung anderer
Unternehmen, vor allem auch derjenigen, die selbst gar
keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten oder Nachkriegs-
gründungen waren. Damit wurde die große Versöhnungs-
geste der Wirtschaft, des deutschen Parlaments entwertet
und viele, viele Tausend Zwangsarbeiter wurden um ihre
Entschädigung betrogen, weil sie inzwischen eben ge-
storben sind.

Am 22. Juni, in wenigen Monaten, jährt sich zum sech-
zigsten Mal der Beginn des deutschen Überfalls auf die
Sowjetunion. Damals begann der größte Vertreibungs-,
Vernichtungs- und Versklavungskrieg, den die Geschichte
gesehen hat. Bis zu diesem Datum muss die Auszahlung
der Entschädigung angelaufen, muss sie konkret in Sicht
sein. Deshalb darf die deutsche Wirtschaft keine maxima-
len Forderungen an Rechtssicherheit stellen. Deshalb
muss in die Bundesstiftung direkt und schnellstmöglich
eingezahlt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die bisherige Entwicklung ist trotz aller guten Leis-
tungen dabei insgesamt eher beschämend. Umso mehr
möchte ich auf diejenigen Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland aufmerksam machen, die von sich aus schon
seit Jahren Verantwortung in dieser Frage übernommen
haben. Sie machten ehemalige Zwangsarbeiter aus ihren
Regionen ausfindig, organisierten Patenschaften und Be-
suchsreisen. Sie organisierten Spendensammlungen für
ehemalige KZ- und Getto-Häftlinge sowie für Zwangsar-
beiter. Sie nahmen persönliche Kontakte auf, die oft in
Freundschaften mündeten. Sie bewiesen persönlich an-
schaulich und überzeugend an ihren jeweiligen Orten, wie
überfällig eine so genannte Entschädigung ist und dass
Ressentiments, antisemitische Ressentiments, die sich oft
gerade an der Entschädigungsfrage festmachen, die Wirk-
lichkeit absolut entstellen und unmenschlich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Beispielhaft für solche Bürgerinnen und Bürger nenne
ich das Ehepaar Hanna und Wolf Middelmann in Göttin-
gen, den ehemaligen Pfarrer Werner Lindemann oder
Margret Sintram aus Lüneburg, die in großem Umfang sol-

che Partnerschaftsbeziehungen mit ehemaligen Zwangs-
arbeitern in Weißrussland, im Baltikum aufbauten. Sol-
chen Bürgerinnen und Bürgern hat der Deutsche Bundes-
tag ausdrücklich zu danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der F.D.P. und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre demokratische Privatinitiative sollte sich die ge-
samte – die gesamte! – deutsche Wirtschaft zum Vorbild
nehmen. Zugleich sollten wir, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, solche Privatinitiativen in unseren Wahlkreisen un-
terstützen; denn sie sind das persönliche und menschliche
Fundament einer Versöhnungsarbeit, die sich nicht auf die
Auszahlung von Geldbeträgen beschränken kann und für
die wir nicht mehr viel Zeit haben werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415819800
Das Wort hat die Kol-
legin Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion.


Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1415819900
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin immer
noch nicht ganz sicher, ob es wirklich klug war, mit die-
sem Thema heute eine Aktuelle Stunde durchzuführen,
deren ursprünglicher Anlass eigentlich entfallen ist, oder
ob es nicht besser und wirklich klüger gewesen wäre, nur
einen Sachstandsbericht, wie ihn Graf Lambsdorff gege-
ben hat, entgegenzunehmen. Wir alle wissen, dass es
manchmal klüger ist, zu schweigen und keine Unsicher-
heiten aufkommen zu lassen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wenn in der letzten Debatte zum Nachtragshaushalt,
also beim vorigen Tagesordnungspunkt, mehrfach von ei-
nem Bumerang die Rede war, dann heißt das: Die Wahrheit
und die Realität werden uns einholen. Es wäre nämlich
falsch und schädlich, wenn durch die heutige Debatte zu ei-
ner weiteren Verunsicherung der amerikanischen Gerichte
und insbesondere der Opfer beigetragen werden würde.


(Ulla Jelpke [PDS]: Durch die Medien!)

– Frau Jelpke, auch Ihr Beitrag war nicht dazu geeignet,
das auszudrücken, was wir dringend brauchen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Der Beitrag war Spitze!)


– Frau Fuchs, ich bin da anderer Ansicht. Sie müssen sich
jetzt anhören, warum. – Wir müssen nämlich nach außen
den Eindruck erwecken, dass wir bei dem bleiben, was
wir hier alle gemeinsam beschlossen haben. Genau das
habe ich gemeint. Wenn wir das nicht tun, schafft das Ver-
unsicherung.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Ich habe nicht das Parlament angegriffen!)


Auch dass Herr Beck soeben die Hoffnung geweckt
hat, wir würden uns nach der Reise des Bundeskanzlers in




Winfried Nachtwei

15461


(C)



(D)



(A)



(B)


die USA möglicherweise auf die Suche nach neuen Lö-
sungswegen machen, kann nicht der richtige Weg sein.
Weil ich das befürchtet habe, habe ich eingangs gesagt:
Vielleicht wäre es klüger gewesen, von einer solchen Ak-
tuellen Stunde abzusehen.

Ich halte es für wichtig, dass wir bei der in diesem
Hause bisher bestehenden Einigkeit bleiben.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Er war dabei! Nun spalten Sie nicht!)


– Herr Stiegler, wenn wir erwarten, dass sich die US-Ge-
richte an das Vereinbarte halten, dann müssen auch wir
uns in Zukunft darauf verständigen, bei dem zu bleiben,
was wir gemeinsam beschlossen haben.

Frau Jelpke, da nutzt es nichts, wenn Sie jetzt die Wirt-
schaft beschimpfen, die 5 Milliarden DM – wie auch im-
mer; natürlich zu spät, da sind wir uns einig – zusammen-
gebracht hat. Wenn Sie einmal schauen, welche
Unternehmen das gewesen sind, dann stellen Sie fest, dass
das nicht ganz selbstverständlich war. Es gibt bei denje-
nigen, die eingezahlt haben, ein moralisches Empfinden.
Ich denke, es ist hier der falsche Ort, sie zu beschimpfen
und zu sagen, das sei alles nicht in Ordnung gewesen.

Das, was in diesem Hause bisher der Fall gewesen ist,
brauchen wir auch weiterhin: Die Seite, die außerhalb die-
ses Hauses tätig ist, das heißt sowohl die deutsche Wirt-
schaft als auch die Gerichte, muss wissen, dass sie sich auf
das verlassen kann, was wir hier gemeinsam beschlossen
haben. Es wäre richtig, wenn wir jetzt in Ruhe auf das ver-
trauen, was Graf Lambsdorff gesagt hat, nämlich dass er
so schnell wie möglich die Empfehlung geben wird, dass
wir hier ausreichende Rechtssicherheit feststellen. Der
Sache angemessen wäre es auch, wenn wir im Prinzip ge-
meinsam davon ausgingen, dass alle Beteiligten daran in-
teressiert sind, möglichst schnell zu einer Auszahlung zu
kommen. Jede Vermutung in eine andere Richtung hielte
jedenfalls ich für wenig hilfreich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415820000
Nächster Redner ist
der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion.


Dietmar Nietan (SPD):
Rede ID: ID1415820100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Philipp, ich glaube, die Op-
fer sind vor allem dadurch verunsichert, dass sie seit Mo-
naten das Trauerspiel erleben, dass sie auch von den
Vertretern der Stiftungsinitiative nur Worte gehört, aber
keine Taten gesehen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Es entstand vielleicht auch dadurch Verunsicherung, dass
keine Worte des Mitgefühls für die Opfer gefallen sind,
sondern Worte, die bei allem Dank dafür, dass die Stif-
tungsinitiative das erforderliche Geld zusammenbekom-
men hat, dafür gesorgt haben, dass man manchmal an der
Ernsthaftigkeit der Absichten der Stiftungsinitiative zwei-
feln musste. Dies war zum Beispiel der Fall, als der Spre-

cher der Stiftungsinitiative erklärte, der Deutsche Bun-
destag könne beschließen, was er wolle, aber die Wirt-
schaft behalte sich vor, dann einzuzahlen, wann sie wolle.
Nachdem der Sprecher der Stiftungsinitiative in der Öf-
fentlichkeit so getan hat, als ob ein Klagefall nach dem
anderen dazu komme und es mit der Abweisung der einen
oder anderen Sammelklage nicht getan sei, konnte schon
der Eindruck aufkommen, dass man es mit dem Anliegen
der Initiative nicht so ernst meint.

Das Urteil der Richterin Kram – ich bedauere es sehr;
denn es hat zu einer zeitlichen Verzögerung geführt – hat
irrsinnigerweise dazu geführt, dass die Industrie das, was
sie monatelang nicht konnte, innerhalb von wenigen Ta-
gen konnte. Das alles verunsichert nicht nur die Opfer,
sondern auch uns als Verantwortliche.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Die Industrie hat durch dieses Vorgehen das Vertrauen
verspielt, das sie sich sicherlich überall in der Welt mit
dem mutigen Versprechen, das Geld zusammenzube-
kommen, erworben hat.

Es wäre nur allzu gut, dieses Vertrauen wieder zu fes-
tigen und nicht nur in Pressemitteilungen zu erklären, man
habe das Geld zusammen. Dieses Geld muss vielmehr so
schnell wie möglich auf das Konto der Zwangsarbeiter-
stiftung überwiesen werden.

Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, dass es
auch ein wichtiges und richtiges Signal ist, jetzt nicht das
Gesetz zu ändern. Bei allem Verständnis dafür, dass einige
das aus moralischen Erwägungen gegenüber den Opfern
gern tun wollten, glaube ich doch, jetzt das Stiftungsge-
setz zu ändern würde das Gegenteil erreichen, nämlich
auch in den USAdie Frage aufwerfen: Warum ändert man
jetzt das Gesetz? Glaubt man nicht mehr, dass dieses Ge-
setz trägt? Deshalb sollten wir zum jetzigen Zeitpunkt
auch daran festhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich
auch die Arbeitsgruppe, die der Bundeskanzler eingerich-
tet hat. Diese Arbeitsgruppe muss in der Tat in dem Sinne
handeln, wie es Kollege Bosbach gesagt hat: Sie muss
Schnelligkeit und Einigkeit darüber bringen, wie die
Rechtssicherheit hergestellt werden kann. Aber es muss
auch klar sein, dass weder diese Arbeitsgruppe noch ir-
gendein Richter noch die deutsche Wirtschaft die Ent-
scheidung treffen können, die Rechtssicherheit im
Bundestag zu beschließen. Das können nur wir. Dafür tra-
gen wir die Verantwortung, wie es der Kollege Stadler ge-
sagt hat.

Der Bundeskanzler wünscht sich – auch das unter-
stützte ich –, dass wir das möglichst noch vor der Som-
merpause tun. Der Bundeskanzler hat gesagt: Die Bedin-
gungen, die noch fehlen, sind nicht von uns herstellbar.
Auch darin gebe ich dem Bundeskanzler Recht. Wir kön-
nen diese Bedingungen nicht herstellen, aber wir haben
die Verantwortung dafür festzustellen, wie hoch die Hür-
den für diese Bedingungen sind.




Beatrix Philipp
15462


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Vielleicht
kommt der Zeitpunkt – ich hoffe, er kommt nicht –, an
dem der Deutsche Bundestag entgegen denjenigen Kräf-
ten in der deutschen Wirtschaft, die die hundertprozentige
Rechtssicherheit haben wollen, auch erklären muss, dass
Rechtssicherheit besteht. Auch das gehört zu unserer Ver-
antwortung, der wir gerecht werden müssen.

Wer es allerdings ernst meint in dem Sinne, dass es mit
einer möglichst schnellen Auszahlung weitergehen muss,
der sollte die Zeit jetzt nutzen, zu einem Rechtsfrieden, zu
einer Rechtssicherheit zu kommen. Deshalb ist die Reise
des Bundeskanzlers aus meiner Sicht sehr wichtig, um das
in den USA zu versuchen.

Ich sage aber auch klar und deutlich, dass diese Ver-
antwortung nicht nur wir tragen, indem wir jetzt, wie es
eben gesagt wurde, nicht weitere Diskussionen führen,
sondern hoffen, dass es zu Ergebnissen kommt. Ich warne
jeden in der deutschen Wirtschaft davor, in dieser emp-
findlichen Phase Diskussionen in der Öffentlichkeit fort-
zusetzen, welche einzelnen Urteile denn noch abgewiesen
werden müssen, bis man aus Sicht der deutschen Wirt-
schaft die Rechtssicherheit hergestellt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Die werden erschüttert sein!)


Wenn wir uns einig darüber sind, dass die Bemühun-
gen in den USA, die Leute davon zu überzeugen, dass wir
eine neue Lage haben, weil das Geld jetzt vorhanden ist,
fruchten sollen, dann hat jetzt auch jeder an seinem Platz
und in seiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass er
durch neue öffentliche Äußerungen den Eindruck, dass
wir diesen Rechtsfrieden schnell herbeiführen wollen,
nicht torpediert. Dazu appelliere ich an alle, nicht nur an
uns, sondern auch an die Vertreter der deutschen Wirt-
schaft.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415820200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Strobl.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1415820300
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
die heutige Debatte zunächst zum Anlass nehmen, je-
mandem Dank zu sagen, der eine schwierige Aufgabe und
die Lösung eines heiklen Problems übernommen hat und
dies, wie ich glaube sagen zu können, bisher erfolgreich,
engagiert, hervorragend und auch mit der nötigen Nüch-
ternheit geleistet hat. Ich glaube, für viele Kolleginnen
und Kollegen Otto Graf Lambsdorff herzlichen Dank aus-
sprechen zu dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


5 Milliarden DM sind kein Pappenstiel. Ich glaube,
viele sind erleichtert darüber, dass es gelungen ist, einen
Teufelskreis zu durchbrechen. Weil vom Vorredner gerade
Kritik an der deutschen Wirtschaft geübt worden ist: Ich

finde es schon bemerkenswert, dass eine ganze Reihe von
Unternehmen, die erst nach dem Jahr 1949 gegründet
worden sind, in der Lage sind, in diesem Punkt gesamt-
staatliche Verantwortung zu übernehmen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


und sich in starkem Maße zu beteiligen. Auch dies sollten
wir meines Erachtens sagen.

Ein Teufelskreis bestand dergestalt, dass Teile der deut-
schen Wirtschaft sagten: „Wir zahlen nicht, ohne dass
Rechtssicherheit hergestellt ist“, und umgekehrt amerika-
nische Gerichte anhängige Klagen mit der Begründung
nicht abgewiesen haben, in Deutschland stünde das Geld
nicht bereit.

Jetzt stehen neben den 5 Milliarden DM aus Haus-
haltsmitteln weitere 5 Milliarden DM der deutschen Wirt-
schaft bereit. Ich denke, dies ist ein wichtiges psycholo-
gisches Signal für Amerika. Ein wichtiges Zwischenziel
jedenfalls ist erreicht.

Allerdings droht der nächste Teufelskreis: Ausgezahlt
werden soll erst, so ist es vereinbart, wenn nachhaltig aus-
reichende Rechtssicherheit besteht. Ich will hier gleich sa-
gen, was ich denke, was die deutsche Seite – damit
möchte ich beginnen – in diesem Zusammenhang tun
sollte, ja vielleicht sogar tun muss. Es muss jetzt in jeder,
und zwar in wirklich jeder Art und Weise Vorsorge für
eine schnelle Auszahlung getroffen werden. Das wäre ein
weiteres Signal an die amerikanischen Gerichte.

Über 1 Million Anträge werden erwartet. Da stellt sich
in der Tat die praktische und organisatorische Frage, ob
alle Voraussetzungen für eine schnelle Auszahlung der
Gelder nach dem entsprechenden Beschluss des Deut-
schen Bundestages geschaffen sind. Steht in Ämtern und
Archiven ausreichend Personal bereit? Gibt es ein effi-
zientes und zügiges Verfahren im Einzelfall? Können die
Unternehmen jetzt so rasch wie möglich die fehlende
Summe auf das Konto der Stiftungsinitiative überweisen?
Vor allem das wäre ein Signal, ein weiteres Signal an die
Richterin Kram, dass nämlich im Grunde sofort ausge-
zahlt werden könnte. Es ist der Part der deutschen Seite,
diese Voraussetzungen rasch und sichtbar zu schaffen.

Zum anderen liegt es bei der amerikanischen Seite,
hinreichend Rechtssicherheit für die deutschen Unterneh-
men herzustellen. Die Verfahren sollten schnell bearbeitet
und abgeschlossen werden. Darauf haben wir nur mittel-
baren Einfluss und selbst die amerikanische Regierung
hat auf unabhängige Gerichte keinen unmittelbaren
Einfluss.

Richtig ist auch, hundertprozentige Rechtssicherheit
kann es natürlich nicht geben. Aber wir dürfen den ame-
rikanischen Gerichten schon sagen: Es ist im Interesse der
Betroffenen und der Opfer, wenn die Verfahren schnell er-
ledigt werden.

Es ist gesagt worden, man müsse der Richterin Kram
– ich glaube, der Kollege Reuter hat es gesagt – dankbar
sein für ihren Urteilsspruch, weil dies ein Grund dafür
war, dass die fehlenden 1,4 Milliarden DM jetzt doch zu-
sammen gekommen sind. Ich möchte hinzufügen: Noch




Dietmar Nietan

15463


(C)



(D)



(A)



(B)


dankbarer wären wir der Richterin Kram, wenn sie jetzt
ihren Urteilsspruch änderte, nachdem das Geld da ist, da-
mit wir auch möglichst schnell zur Auszahlung kommen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend möchte ich zwei Bemerkungen zu die-
sem Thema machen. Die Gemeinsamkeit der Demokraten
gibt es hier im Deutschen Bundestag zu diesem wichtigen
Thema. Ich stimme denen zu, die darauf hingewiesen ha-
ben, dass wir sie gerade bei diesem Thema auch in Zu-
kunft erhalten sollten – auch mit Blick auf den Eindruck,
den wir gegenüber amerikanischen Gerichten machen
können oder eben auch nicht machen können.

Ein Zweites möchte ich in dieser Debatte einfach sa-
gen, weil man dies zu diesem Thema immer sagen muss.
Finanzielle Hilfen können das begangene Unrecht, das
zugefügte unermessliche menschliche Leid niemals wie-
der gutmachen. Es geht um eine moralische Verpflich-
tung, den Opfern zu helfen. Wir haben mit der Stiftung
das zum Ausdruck gebracht, was auch der Bundespräsi-
dent sagte, nämlich dass Leid als Leid anerkannt und
dass Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht ge-
nannt wird.

Die breite überparteiliche Zustimmung wurde und
wird auch von den betroffenen Staaten als politisches Si-
gnal gesehen. Das muss auch in Zukunft so bleiben.

Meine Damen und Herren, alle müssen sich jetzt
schnell um eine effektive Schaffung der Voraussetzungen
für die Auszahlung an die Opfer bemühen. Es muss unser
aller Interesse sein, alle Hürden aus dem Weg zu räumen,
damit noch Lebenden eine humanitäre Geste des guten
Willens und des Friedens entgegengebracht werden kann.
Der Tod hält sich nicht an zeitliche Pläne. Jeder Monat,
jeder Tag zählt, bevor es für die Opfer zu spät ist.

Hier haben die amerikanischen Gerichte eine große
Verantwortung. Wir allerdings bleiben in dem soeben be-
schriebenen Sinne ebenfalls in der Verantwortung.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415820400
Letzter Redner in die-
ser Aktuellen Stunde ist der Kollege Dieter Wiefelspütz
für die SPD-Fraktion.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1415820500
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Strobl, Ihre Rede hat mir
sehr gut gefallen. Das Projekt, über das wir heute reden,
ist nicht nur eine Angelegenheit der Koalition. Diesem
Projekt haben sich viele von Rot-Grün von Beginn an sehr
verbunden gefühlt und sich mit viel Herzblut engagiert.
Aber dies ist eine Sache des ganzen deutschen Volkes und
demzufolge auch eine Sache des ganzen Deutschen Bun-
destages. Das war für uns immer klar. Es ist wichtig, im-
mer wieder zu betonen, dass wir dies – bei allem, was uns
sonst trennt – gemeinsam bewerkstelligen wollen. Hierfür

tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Dies will ich
noch einmal sehr deutlich unterstreichen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe noch nie ein solch ungewöhnliches Gesetzge-
bungsverfahren wie das beim Stiftungsgesetz erlebt. Ich
glaube auch nicht, dass sich so etwas noch einmal wie-
derholen wird. Normalerweise werden Bundesgesetze
von deutschen Abgeordneten im Deutschen Bundestag
gemacht, von Männern und Frauen, die gewählt sind. Als
wir über das Stiftungsgesetz beraten haben, saßen aber ne-
ben uns deutschen Abgeordneten noch Vertreter vieler an-
derer Regierungen mit am Tisch: Polens, Tschechiens, der
Ukraine, Weißrusslands, Israels sowie der Vereinigten
Staaten von Amerika. Hier saßen Vertreter der Opferver-
bände, des Jewish Claims Congress, des Jewish World
Congress, vieler Opferorganisationen – ich denke, im
Geiste auch die Opfer selbst – mit am Tisch und haben auf
ein wichtiges Gesetzesvorhaben – sehr spät – Einfluss ge-
nommen. Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft saßen
mit am Tisch.

Ich verstehe manche Kritik, aber ich bitte insbesondere
diejenigen, die sich kritisch äußern, um Verständnis dafür
– ich kenne eine ganze Reihe von Menschen aus der Wirt-
schaft, die mit großem, ehrlichem inneren Engagement
bei der Sache sind; diejenigen, die gestern beim Kanzler
waren, gehören mit Sicherheit dazu; diese handeln mit
großem Verantwortungsbewusstsein –, dass hier etwas
gemacht werden muss, was auch schon – viel besser – viel
früher hätte gemacht werden können. Hierfür gibt es
Gründe, die wir alle kennen.

Ich weiß, die Würde der Opfer gebietet es, dass Aus-
zahlungen so rasch wie möglich erfolgen. Wir arbeiten an
dieser Sache jetzt seit zwei Jahren. Dies ist unerträglich
lang. Es ist natürlich vor allem für die Opfer nicht zu er-
tragen, dass es so lange dauert. Ich glaube aber auch, dass
es für viele von uns fast unerträglich ist. Wir haben in den
letzten zwei Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Graf
Lambsdorff – dies ist vielleicht ein kleiner Trost –, sehr
schwierige Situationen gemeistert. Es gab immer wieder
die Situation, dass wir geglaubt haben, jetzt gehe es nicht
mehr weiter. Dies haben wir immer geschafft.

Ich gebe auch zu bedenken, dass viele von uns vor ei-
ner Woche bezweifelten, dass es weitergeht, weil das Geld
nicht da war. Wir wissen, wie wichtig dies in dieser Si-
tuation ist. Jetzt ist es da und wir haben erneut eine
schwierige Situation gemeistert, einen weiteren Schritt
nach vorn gemacht. Ich bin mir ganz sicher – ich will nicht
von Erfolgen sprechen, das ist in diesem Zusammenhang
unangemessen –, dass wir das Ziel, das wir uns vorge-
nommen haben, erreichen werden. Ich kann so wenig wie
Graf Lambsdorff einen Zeitpunkt nennen. Das sollten wir
auch unterlassen.

Wir müssen dieses komplizierte Gesetz jetzt bitte so
nehmen, wie es ist. Wir sollten es nicht aufschnüren. Wir
würden Chaos produzieren. Deswegen muss das Gesetz
so bleiben, wie es ist. Ich will keine Schwarze-Peter-
Spiele betreiben. Das hilft uns überhaupt nicht weiter. Ich
schätze die Situation so ein wie manche meiner Vorredner,
dass jetzt auf amerikanischer Seite eine besondere Ver-




Thomas Strobl (Heilbronn)

15464


(C)



(D)



(A)



(B)


antwortung liegt. Das Geld ist da. Jetzt wird es darauf an-
kommen, dass die amerikanische Seite, die amerikani-
schen Gerichte ihren Beitrag leisten. Es wird noch einmal
kompliziert werden, wenn es um Rechtssicherheit geht.
Der Bundestag wird, da bin ich ganz sicher, seiner Ver-
antwortung gerecht werden. Ich bin auch ganz sicher, dass
die Wirtschaft dann, wenn es so weit ist, wissen wird,
worauf es ankommt. Ich gehe davon aus, dass es dann
– das muss man auch vorbereiten – nicht nur um juristi-
sche Aspekte der ausreichenden Rechtssicherheit gehen
wird. Das wird auch für die Wirtschaft nicht nur eine ju-
ristische Frage sein, sondern es wird eine politisch-
ethisch-juristische Frage sein. Die Leute, auf die es an-
kommt, sind – da bin ich ganz sicher – diejenigen, die ges-
tern beim Kanzler saßen. Sie werden ihrer Verantwortung
gerecht werden.

Wir müssen das Ganze vorantreiben. Der Zeitpunkt
wird kommen, an dem wir es gemeinsam abschließen
können. Ich habe keinen Zweifel: Diese letzte Geduld, so
schmerzlich das auch ist, werden wir aufbringen müssen.
Ich schließe auch nicht aus, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dass wir, Herr Bosbach, Herr Beck, Herr Reuter und
andere, als Abgeordnete noch einmal in die USA reisen,
um dort noch einmal für das zu werben, was jetzt zu tun
ist, ohne irgendjemandem Vorwürfe zu machen.

Ich bin ganz sicher, dass die Reise des Bundeskanzlers
eine wichtige Rolle spielen wird. Deswegen bitte ich da-
rum, dass wir nicht in allerbester Absicht Vorschläge ma-
chen, die kontraproduktiv sind, sondern Vernunft behalten
und das Gesetz in seiner Struktur so ernst nehmen, wie wir
es gemeinsam mit vielen, vielen Beteiligten geschaffen
haben. Dann werden wir in den nächsten Wochen und
Monaten die letzte Strecke gemeinsam erfolgreich gehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415820600
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatz-
punkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 9 und den Zu-
satzpunkt 8 auf:
7. Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Qua-
litätssicherung und zur Stärkung des Verbraucher-

(Pflege-Qualitätssicherungsgesetz – PQsG)

– Drucksache 14/5395 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Leistungen in der Pflege

(Pflege-Leistungs-Verbesserungsgesetz)

– Drucksache 14/5547 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

9. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Heimgesetzes
– Drucksache 14/5399 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Haupt, Dr. Irmgard Schwaetzer, Ina Lenke, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für ein aktives und mitbestimmendes Leben im
Alter
– Drucksache 14/5565 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zur Einführung hat die
Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, das
Wort.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1415820700
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle
sind uns darüber einig, dass es eine schöne und positive
Entwicklung ist, dass die Menschen älter werden. Wir ha-
ben Verständnis dafür, dass alle erwarten, hoffen und sich
wünschen, dass es ihnen im Alter auch dann gut geht,
wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. Wir alle haben ge-
meinsam dafür gesorgt, dass diejenigen, die im Alter auf
Pflege angewiesen sind, auch Angebote erhalten.

Mit der Pflegeversicherung ist in der Vergangenheit ein
fraktionsübergreifender Konsens im Interesse der pflege-
bedürftigen Menschen gelungen. Heute kann man nach
unseren Erfahrungen sagen, dass dieser Beschluss gut
war. Seit fast sechs Jahren erbringt die Pflegeversicherung
solidarisch finanzierte Leistungen zur Absicherung des
Lebensrisikos „Pflege“. Der neueste Bericht über die Ent-
wicklung der Pflegeversicherung weist aus: 1,9 Milli-
onen Menschen nehmen Hilfe in Anspruch. Alle Untersu-
chungen sowohl bei den Pflegenden als auch bei den zu
Pflegenden zeigen, dass insgesamt die Leistungen der
Pflegeversicherung für die Menschen zufriedenstellend
sind und es positiv bewertet wird, dass es dieses In-
strument gibt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Der Pflegebericht zeigt auch, dass wir mittlerweile so-
wohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich über




DieterWiefelspütz

15465


(C)



(D)



(A)



(B)


ein quantitativ ausreichendes Angebot verfügen. Jetzt geht
es darum, die Qualität der Leistungen in der Pflege zu ver-
bessern. Es geht hier nicht nur darum, Pflegeskandale zu
vermeiden oder offensichtliche Missstände zu verhindern.
Wir haben in diesem Bereich viele gute Einrichtungen und
Angebote. Ich halte dies für eine Selbstverständlichkeit. Es
geht insgesamt um die Sicherstellung höherer Qualitäts-
standards. Die Pflegebedürftigen müssen eine Versorgung
erhalten, die ihnen das gibt, was sie brauchen, und die vor
allen Dingen denjenigen, die auf Pflege angewiesen sind,
ein hohes Maß an Sicherheit bietet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem vorliegenden Pflege-Qualitätssicherungsge-
setz wollen wir dazu einen Beitrag leisten. Unser Ziel ist
es, die Qualität der Pflege zu verbessern und die Verbrau-
cherrechte zu stärken.

Wir alle wissen, dass Qualität nicht von außen in die
Einrichtungen „hineingeprüft“ werden kann, sondern
dass sie von innen heraus aus der Eigenverantwortung der
Einrichtungsträger und aus der Mitverantwortung der
Leistungsträger entwickelt werden muss. Viele Träger ha-
ben dies bereits erkannt. Wir wollen diese Entwicklung
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken. Alle müs-
sen dazu ihren Beitrag leisten. Ich bin davon überzeugt,
dass jedes Pflegeheim und jeder Pflegedienst ein umfas-
sendes einrichtungsinternes Qualitätsmanagement ein-
führen kann und muss.

Wir wollen die Träger darüber hinaus verpflichten, in
regelmäßigen Abständen die Qualität ihrer Leistun-
gen durch unabhängige Sachverständige und Prüfstellen
nachzuweisen. Ich glaube, das ist richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Parallel zu diesem internen Qualitätsmanagement bleiben
die externe Qualitätssicherung durch die Landesverbände
der Pflegekassen und die staatlichen Kontrollen durch die
Heimaufsichtsbehörden bestehen. Ich halte es – egal, was
an Kritik geäußert wird – für eine Selbstverständlichkeit,
dass sich externe Prüfungen nicht nur auf angemeldete
Besuche beschränken dürfen, sondern dass zur Qualitäts-
sicherung auch unangemeldete Prüfungen gehören.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage immer: Wer eine hohe Qualität anbietet, braucht
eine unangemeldete Überprüfung nicht zu fürchten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir darüber im Klaren, dass zu diesem Punkt
viel Kritik geäußert wird. Die einen loben dieses Vorha-
ben, die anderen kritisieren es. Ich sage aber deutlich:
Jede Einrichtung kann nach meiner Auffassung auf Dauer
nur durch Qualität bestehen. Eine Qualitätssicherung ist
im Interesse der pflegebedürftigen Menschen, weil diese
oft – sowohl im ambulanten wie auch im stationären Be-
reich – in einer Situation sind, in der sie ihre eigenen In-
teressen nicht mehr artikulieren können. Deshalb brau-
chen sie unseren Schutz, den besonderen Schutz des

Staates. Daher glaube ich, dass wir alle gefordert sind, im
Deutschen Bundestag mit dafür zu sorgen, eine solche
Qualitätssicherung zu gewährleisten.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es darf nicht sein, dass wir einerseits bei der

Bekämpfung von BSE ein lückenloses staatliches Kon-
trollsystem fordern und uns andererseits darüber unter-
halten, ob eine staatliche Fürsorgepflicht für gebrechliche
und ältere Menschen an den Türen der Pflegeheime enden
soll. Nein, der umgekehrte Weg ist hier einzuschlagen:
Wir brauchen eine staatliche Kontrolle, damit die Men-
schen sicher sein können, die beste Qualität zu erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der nächste wichtige Punkt: Gut geführte Pflegeein-
richtungen zeichnen sich auch durch eine ausreichende
Personalausstattung aus und deshalb wollen wir mit die-
sem Gesetz ebenfalls den personellen Aufwand besser
berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um Verhandlun-
gen über Geld, sondern es geht um Verhandlungen über
angebotene Leistungen. Wir wollen mit neuen Instrumen-
ten dafür sorgen, dass Leistungs- und Qualitätsmerkmale
in den einzelnen Pflegeeinrichtungen beschrieben werden
können. Der maßgerechte Zuschnitt der Leistungs- und
Qualitätsvereinbarung auf die Bewohnerschaft eines Pfle-
geheims kommt langfristig insbesondere den demenz-
kranken Heimbewohnern zugute, weil deren Bedarf an
sozialer Betreuung künftig in den Vereinbarungen ge-
bührend berücksichtigt werden soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415820800
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ilja
Seifert?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1415820900

Nein, wir sind ohnehin schon stark in Verzug und ich
möchte – auch im Interesse der anderen Kollegen – wei-
terreden.

Wir wollen im stationären Bereich die Zusammenar-
beit zwischen den Medizinischen Diensten der Kranken-
versicherung und der staatlichen Heimaufsicht ver-
bessern. Beide Aufsichtsinstitutionen sollen die Über-
wachung durch gegenseitige Information und Beratung,
durch Terminabsprachen für eine gemeinsame oder ar-
beitsteilige Überprüfung von Heimen sowie eine Verstän-
digung darüber, was im Einzelfall an Maßnahmen not-
wendig ist, wirksam aufeinander abstimmen. Dabei geht
es – in diesem Punkt sehen wir auch das Interesse der Ein-
richtungsträger – insbesondere darum, Doppelprüfungen
nach Möglichkeit zu vermeiden. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist: Der vorliegende Gesetzentwurf
berührt auch den Verbraucherschutz.Wir wollen die
Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen vor allem durch
verstärkte Beratung und Information in die Lage versetzen,
ihre Rechte wahrzunehmen. Ich möchte zwei Beispiele
nennen, die zeigen, worauf unser Gesetzentwurf abzielt. In




Bundesministerin Ulla Schmidt
15466


(C)



(D)



(A)



(B)


Zukunft muss ein schriftlicher Pflegevertrag auch bei der
häuslichen Pflege abgeschlossen werden. Wenn Pflegeein-
richtungen Leistungen, die sie versprochen haben, nicht in
der vereinbarten Qualität erbringen, sind sie zur Rückzah-
lung verpflichtet. Das stärkt die Rechte der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher in diesem Bereich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir darüber im Klaren, dass viele eine Leis-
tungsausweitung von den von uns vorgelegten Gesetzent-
würfen erwarten, vor allen Dingen im ambulanten und
häuslichen Bereich. Uns liegen ganz besonders diejenigen
Menschen am Herzen, die im familiären Bereich De-
menzkranke betreuen. Deshalb werden wir in Kürze einen
Gesetzentwurf einbringen, mit dem die in diesem Bereich
bestehenden Defizite abgebaut werden sollen


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sagen Sie aber schon seit zwei Jahren)


und der im Gegensatz zu dem, was die Kollegen von der
Unionsfraktion heute vorgelegt haben, im Rahmen der
Pflegeversicherung finanzierbar ist;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn aus populistischen Gründen kann man vieles for-
dern. Aber entscheidend ist, dass es finanzierbar ist. Wenn
Sie die Kosten von der Pflegeversicherung in die Kran-
kenversicherung verschieben wollen, dann müssen Sie
den Menschen auch sagen, dass die Zuzahlungen bei Me-
dikamenten für chronisch Kranke sowie bei Heimaufent-
halten und Kuren erhöht werden müssen, damit Ihre Wün-
sche erfüllt werden können.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821000
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller? – Of-
fenbar nicht. Sie hatte ja bereits gesagt, dass sie aus Zeit-
gründen keine Zwischenfrage zulässt.

Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Ulf Fink für die
CDU/CSU-Fraktion.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1415821100
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht an das
Ende, sondern an den Beginn der Rede der Ministerin an-
knüpfen. Ich halte es für einen guten Stil, dass die Minis-
terin zu Beginn ihrer Rede die Leistungen ihres Vorgän-
gers gelobt und deutlich gemacht hat: Es war wirklich
eine überzeugende politische Leistung, die Norbert Blüm
erbracht hat, als er die Pflegeversicherung eingeführt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir debattieren heute in erster Lesung den Entwurf ei-

nes Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes und eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes der Bundesre-
gierung sowie den Entwurf eines Pflege-Leistungs-Verbes-
serungsgesetzes, den meine Fraktion eingebracht hat. Wir

könnten uns, glaube ich, über eine ganze Reihe von Fragen
einigen. Auch wir wollen, dass alles getan wird, damit kran-
ken, alten und pflegebedürftigen Menschen geholfen wird,
und dass nichts geschieht, was ihnen Unrecht tut. Die Frage
ist nur: Wie macht man das am besten? Sollte man das so
machen, dass man eine Fülle von ordnungsrechtlichen In-
strumentarien einführt, oder sollte man sich nicht lieber
darum kümmern – ist das nicht die eigentliche Aufgabe
der Politik? –, dass die Bedingungen, unter denen gepflegt
wird, verbessert werden? Anhand dieser Fragen erfolgt
die entscheidende Weichenstellung.

Ich glaube, dass der wirkliche Unterschied zwischen
der Politik der Bundesregierung und unserer Auffassung
in Folgendem besteht: Wir sind der Meinung, dass die
Pflegequalität nur dann wirkungsvoll verbessert werden
kann, wenn man die Bedingungen für die Pflegeberufe in
den Heimen deutlich verbessert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Unsere Auffassung ist, dass nicht so sehr bürokratische
Kontrollen, sondern eine bessere finanzielle Ausstattung
die Qualität der Pflegeleistung sichert. Mit ihrem Gesetz-
entwurf zäumt die Bundesregierung das Pferd vom
Schwanz her auf, weil dort lediglich neue Kontrollme-
chanismen und nicht die Verbesserung der Voraussetzun-
gen vorgesehen sind, unter denen in den Heimen –wie wir
finden: zum Teil aufopfernd – gepflegt wird. Qualität
muss man schaffen. Qualität kann man in Pflegeeinrich-
tungen nicht „hineinkontrollieren“.

Wo liegen denn die Probleme? Sie liegen darin, dass
die Leistungen der Pflegeversicherung besonders in den
Pflegestufen II und III, also für die Schwerstpflegebe-
dürftigen, einfach nicht mehr ausreichen, um die Kosten
zu decken, die bei der Betreuung dieser Menschen entste-
hen, zumal mit den Pflegesätzen auch noch die Kosten
der medizinischen Behandlungspflege gedeckt werden
müssen.

Wir schlagen vor, dass die Pflegeversicherung künftig
diese Kosten nicht mehr bezahlen muss. Damit würden
1,5 Milliarden DM frei, die unserer Auffassung nach zur
Einstellung von etwa 20 000 neuen Pflegekräften genutzt
werden sollten. Für diesen Vorschlag spricht, dass die
Krankenkasse schon heute die Kosten für die medizini-
sche Behandlungspflege bezahlt, allerdings nur, wenn der
Pflegebedürftige ambulant versorgt wird. Unser Vor-
schlag bedeutet also, dass das, was für ambulant Pflege-
bedürftige gilt, nun auch auf stationär Pflegebedürftige
ausgedehnt wird.


(Zuruf von der SPD: Wer bezahlt das?)

Ich meine, es ist ja auch überhaupt nicht einsichtig, dass die
Krankenkasse zahlt, und zwar klaglos, solange der Pflege-
bedürftige zu Hause ist. In dem Moment, da nichts anderes
geschieht, als dass er von seiner häuslichen Umgebung in
das Heim wechselt, zahlt die Krankenkasse nicht mehr. Das
macht einfach keinen Sinn. Da ist es doch besser, den Vor-
schlag zu verwirklichen, den wir hiermit unterbreiten.

Durch unseren Vorschlag wird ein echter Beitrag zur
Verbesserung der Pflegequalität geleistet, jedenfalls ein




Bundesministerin Ulla Schmidt

15467


(C)



(D)



(A)



(B)


viel besserer Beitrag, als wenn man nichts tun würde und
lediglich die vorhandenen, zum Teil überlasteten Pfle-
gekräfte dazu veranlasst, Prüfpapiere, Statistiken, Be-
richte usw. noch zusätzlich zu fertigen. Pflegekräfte sol-
len die Kranken pflegen und nicht die Bürokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es könnte sonst der bittere Spruch Wahrheit werden, dass
die Pflegekräfte künftig die Aufgabe haben, eine dritt-
klassige Pflege erstklassig zu beschreiben.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Zu leicht kann es dann passieren, dass die Pflegekräfte in
eine Art Generalverdacht kommen, ihre Arbeit nicht or-
dentlich zu erledigen, und das haben sie nicht verdient.

Wir haben einen zweiten wichtigen Punkt. Wir müssen,
um die Verbesserung der Pflegequalität wirklich sicher-
stellen zu können, günstigere Bedingungen schaffen, um
den altersverwirrten, den dementen Menschen besser als
bisher zu helfen. Das hat ja die Regierungskoalition in ih-
rer Regierungsvereinbarung aus dem Jahr 1998 festge-
legt, und sie hat angekündigt, dieses in die Tat umzuset-
zen. Geschehen ist allerdings bisher nichts. Das Einzige,
was bisher geschehen ist, ist, dass Gesetzentwürfe im
Bundesrat, die genau dieses Ziel zum Inhalt hatten, ohne
Alternative abgelehnt worden sind. Dasselbe ist auch un-
seren Anträgen bisher im Deutschen Bundestag passiert.
Wir haben Anträge zu diesem Komplex eingebracht; aber
sie sind abgelehnt worden. Schon Ihre Vorgängerin, Frau
Schmidt, hat – ich glaube, es war im Sommer letzten Jah-
res – Eckpunkte verkündet, die der Verbesserung der Ver-
sorgung Demenzkranker dienen sollten.


(Zuruf von der F.D.P.: Reine Wolkenschieberei!)


Man hat damals auch gehört, dass bald ein Referenten-
entwurf erarbeitet werde. Bis zur Stunde liegt dieser Re-
ferentenentwurf nicht vor.


(Wolfang Zöller [CDU/CSU]: Der ist schon vor zwei Jahren versprochen worden!)


Sie versprechen nun, dass Sie diesen Gesetzentwurf ein-
bringen. Wir hoffen sehr, dass diesmal den Worten auch
Taten folgen. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste, dass das
auch wirklich geschieht.

Denn die tägliche Körperpflege ist bei vielen in den
Heimen gar nicht einmal das entscheidende Problem.
Diese Aufgabe können die Pflegekräfte unter den gegebe-
nen Umständen oft noch gut erfüllen. Das Problem be-
steht doch darin, dass Demenzkranke rund um die Uhr be-
treut und beaufsichtigt werden müssen. Es ist diese
tägliche Rundumbetreuung, die den Pflegekräften eine
gewaltige Kraftanstrengung und viel persönliches Enga-
gement abverlangt. Nun ist im Rahmen der Pflegeversi-
cherung bisher genau dafür nichts vorgesehen. Viele
Mängel, die in den Heimen vorkommen, sind darauf
zurückzuführen, dass überhaupt keine finanziellen Vor-
aussetzungen dafür gegeben sind, dass die Pflegekräfte
sich wirklich um die Demenzkranken kümmern können.

Ich denke, dass es wichtig wäre, unserem Ansatz zu
folgen, um eine bessere Pflegequalität für die Altersver-

wirrten zu erreichen, einen zusätzlichen Betreuungsbe-
darf für Demente anzuerkennen. Wir schlagen 30 Minu-
ten vor.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein!)


Damit würden etwa 50 000 Pflegebedürftige, die bisher
keinerlei Leistung bekommen, in den Genuss von Leis-
tung kommen. Das ist viel mehr, als man denkt; denn man
würde damit ein Drittel der Voraussetzungen erfüllen, die
für die Einstufung in Pflegestufe I Voraussetzung sind.

Ich glaube, dass die 1 Milliarde DM, die dieser Vor-
schlag erfordert, sinnvoll aufgebracht werden kann. Auch
die Bundesregierung sagt, dass 500 Millionen DM ver-
tretbar seien. Wenn diese 500 Millionen DM zusammen-
kämen, dann fehlten noch gut 400 Millionen DM bis
500 Millionen DM.


(Ulla Schmidt, Bundesministerin: 1,5 Milliarden DM!)


– In Bezug auf die Demenzkranken liegt der Vorschlag bei
insgesamt 1 Milliarde DM. Auch Sie sagen, dass 500Mil-
lionen DM gehen. Wenn diese 500 Millionen DM zusam-
menkämen, dann fehlten 400 Millionen DM bis 500 Mil-
lionen DM.

Frau Bundesministerin, ich mache Ihnen dazu einen
Vorschlag: Setzen Sie sich gemeinsam mit Frau
Schmidt-Zadel – auch sie ist dafür –, der sozialpolitischen
Sprecherin der SPD-Fraktion,


(Susanne Kastner [SPD]: Gesundheitspolitische Sprecherin!)


dafür ein, dass das Unrecht, das die Bundesregierung den
Pflegeversicherten und der Pflegeversicherung angetan
hat, rückgängig gemacht wird. Herr Eichel hat der Pfle-
geversicherung dadurch jährlich 400 Millionen DM ent-
zogen, dass er die Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfän-
ger willkürlich gesenkt hat. Das muss rückgängig
gemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn das geschieht, dann haben Sie das Geld, das not-
wendig ist, um den Dementen wirklich zu helfen.

Frau Bundesministerin, ich selbst war einmal Minister
in einer Landesregierung. Ich weiß noch, wie es war, mit
dem Finanzsenator zu kämpfen. Ich gebe zu: So etwas ist
nicht so einfach, sondern schwer. Auch Herr Eichel ist
eine harte Nuss; das räume ich ein. Nur, es hilft nichts.
Wenn man für die Altersverwirrten wirklich etwas tun
will, dann muss man sich an der entsprechenden Stelle
einsetzen und durchsetzen. Mit dem Betrag, über den Sie
jetzt verfügen, können Sie nur etwas für die Ambulanz-
dementen und gar nichts für die Altersverwirrten in den
Heimen tun. Das bedeutet, dass eine ganz große Lücke
klafft, die heute zum Teil zu erheblichen Schwierigkeiten
in den Heimen führt.

Wir werden den Gesetzentwürfen unsere Zustimmung
dann verweigern, wenn es zu keiner Leistungsverbesse-
rung kommt. Wenn es zu einer Leistungsverbesserung
kommt, dann kann man mit uns reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Ulf Fink
15468


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995
wurde – ich glaube, das muss man so sagen – durch eine
gemeinsame Anstrengung die letzte Lücke in der sozialen
Versorgung gegen Lebensrisiken geschlossen. Rund
60 Millionen Menschen haben inzwischen Ansprüche aus
der Pflegeversicherung. Mit ihren Leistungen erreicht die
Pflegeversicherung insgesamt 1,9 Millionen Pflegebe-
dürftige. Wenn wir uns hier diese Zahlen vergegenwärti-
gen, dann wissen wir, dass wir über einen sehr wichtigen
Bereich reden, auch wenn diese Debatte zu abendlicher
Stunde geführt wird.

Es ist ein Erfolg der Pflegeversicherung, dass die über-
wiegende Zahl der Pflegebedürftigen nicht mehr von der
Sozialhilfe abhängig ist. Auch den Menschen, die im Pfle-
gebereich arbeiten, gebührt – in dieser Hinsicht kann ich
mich der Ministerin nur anschließen – Anerkennung und
Dank für eine engagierte und nicht zuletzt oft auch zu ge-
ring entlohnte Tätigkeit. Ein weiteres großes Verdienst ist
es, dass es zum ersten Mal gelungen ist, eine soziale
Absicherung der Pflegepersonen einzuführen und die Pfle-
getätigkeit wie eine Erwerbstätigkeit sozial abzusichern.
Derzeit profitieren davon 600 000 Personen. 90 Prozent
davon sind Frauen. Auch das ist ein großer Erfolg für An-
gehörige, für Freundinnen und Freunde und für Nachbarn.

Obwohl die Pflegeversicherung bewusst als Teilabsi-
cherung konzipiert wurde, gibt es gravierende Lücken in
der vorgesehenen Versorgung. Das betrifft vor allen Din-
gen die Qualität. Deswegen debattieren wir heute unter
anderem über die Versorgung in der ambulanten wie in der
stationären Pflege. Berichte über Mängel in der Pflege
häufen sich. Wir kennen sie aus eigener Anschauung, aus
dem Wahlkreis, aus Besuchen in Pflegeheimen oder aus
dramatischen Fernsehberichten, die oft entwürdigende
Zustände in Pflegeheimen beschreiben. Wir haben einen
dringenden Handlungsbedarf. Der vorliegende Gesetz-
entwurf deckt sich mit den Zielen, die wir in der
Gesundheitspolitik seit der Regierungsübernahme insge-
samt formuliert haben, nämlich mehr Qualität, mehr Ei-
genverantwortung und mehr Patientenrechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Detlef Parr [F.D.P.]: Das ist ein Trugschluss!)


Dieses Gesetz ist ein weiterer Schritt dahin, Qualität,
Wirtschaftlichkeit und Eigenverantwortung zu verbinden
und als Parameter fest zu verankern.

Was bedeutet denn Qualität? Es geht um eine gute und
angemessene Versorgung, um eine Versorgung, die
Würde und Selbstbestimmung gewährleistet. Menschen,
die der Pflege bedürfen, sind nicht Objekt einer Maschi-
nerie oder einer falsch verstandenen Fürsorge. Die Perso-
nalpolitik darf Pflegepersonal nicht als Verschiebemasse
gebrauchen, sodass es hier zu chronischen Unter-
besetzungen kommt. Insbesondere muss Fehlmanage-
ment vorgebeugt werden.


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Fehlende Qualitätsvereinbarungen dürfen nicht mehr auf
dem Rücken dieser beiden Gruppen ausgetragen werden.
Natürlich sollten auch die Träger selbst ein Interesse an
hoher Qualität haben.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es geht um die
Stärkung der Eigenverantwortung der Pflegeselbstver-
waltung. Qualitätssicherung kann man nämlich nicht
– das wollen wir auch nicht – gegen Pflegepersonal und
Selbstverwaltung durchsetzen. Es geht um die Sicherung,
Weiterentwicklung und nicht zuletzt auch um die Prüfung
von Pflegequalität. Schließlich geht es um bessere Zu-
sammenarbeit von staatlicher Heimaufsicht und von
Selbstverwaltung. Die Tatsache, dass Trägervereinigun-
gen selbst Vorschläge vorgelegt haben, wie Qualitätssi-
cherung angegangen werden kann, gibt unserem Vorha-
ben Recht. Hier wird deutlich, dass sie die Verantwortung
zur Sicherung von Qualität nicht mehr Heimaufsichts-
behörden oder Trägereinrichtungen überlassen, sondern
die Sicherung der Qualität in der Pflege eigenverantwort-
lich gestalten wollen. Beispielsweise verpflichten sich
Pflegeeinrichtungen zum Qualitätsmanagement und zur
Vorlage von regelmäßigen Leistungs- und Qualitätsnach-
weisen. Außerdem sollen unabhängige Sachverständige
eingebunden werden. Was heißt das? Die Arbeit von Pfle-
geeinrichtungen, die ja überwiegend – das sollte man bei
aller Kritik und angesichts öffentlicher Berichte nicht ver-
gessen – schon heute von guter Qualität ist, wird transpa-
renter. Dann entscheiden sich eben Pflegebedürftige und
ihre Angehörigen nicht mehr zufällig für die eine oder an-
dere Einrichtung, sondern für diejenige, die für die be-
troffene Person tatsächlich die beste und sinnvollste Al-
ternative darstellt. Das wollen wir erreichen.

Wenn wir genau hinsehen, dann stellen wir fest, Herr
Fink, dass das System nicht in erster Linie mehr Geld
braucht. Damit macht man es sich auf gewisse Weise ein-
fach. Wir brauchen zunächst einmal eine verbesserte in-
terne Steuerung, um die vorhandenen Ressourcen effizient
einzusetzen. Dies beinhaltet nicht nur abstraktes Manage-
ment oder die Effizienzsteigerung von Abläufen, sondern
auch Eigenverantwortung für Qualität und Mittun von
Pflegebedürftigen. Die Tatsache, dass die Pflegeeinrichtun-
gen hier selbst mitmachen wollen, gibt unserem Vorhaben,
wie ich glaube, Recht. Der ernst genommene, informierte
und eigenständige Patient ist dafür die Voraussetzung. Des-
wegen ist es so wichtig, dass Patientinnen und Patienten so-
wie Pflegebedürftige in kritischer Weise mitbestimmen
können. Versicherte sollen verbesserte Möglichkeiten er-
halten, sich generell über medizinische Leistungsangebote,
Pflegeangebote und deren Qualität zu informieren. Deshalb
muss endlich die unabhängige Patientenberatung in
Deutschland in Gang kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können nicht über Verbraucherschutz reden, wo
die Kuh längst in den Brunnen gefallen ist,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Eine Kuh ist noch nie in den Brunnen gefallen! Entweder vom Eis geholt oder das Kind ist in den Brunnen gefallen!)







(C)



(D)



(A)



(B)


und riskieren, dass wir an anderer Stelle blind handeln. Ich
fordere die Selbstverwaltung mit Nachdruck auf, hier end-
lich ihre Scheu und an mancher Stelle vielleicht auch ihre
Überheblichkeit zu überwinden. Beste Information aller
Seiten ist auch die beste Grundlage für hohe Qualität. Das
heißt konkret: Trotz ihrer Abhängigkeit von fremder Hilfe
müssen Pflegebedürftige ein möglichst selbstbestimmtes
Leben führen können, sich in den Institutionen zurechtfin-
den können sowie wissen und auch aufgefordert werden zu
sagen, was gut für sie ist und was sie auf gar keinen Fall
wollen. Deshalb sollten pflegebedürftige Menschen und
ihre Angehörigen eine Beratung erhalten, die sie in die
Lage versetzt, ihre Rechte besser wahrzunehmen.

Allerdings hat sich auch gezeigt,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dass das ohne zusätzliches Personal nicht geht!)


dass weiterhin ein externes und effizientes Kontroll-
instrument notwendig ist mit, wie die Ministerin ausge-
führt hat, Prüf- und Zutrittsrechten. Die Einrichtungen, in
denen die Pflegebedürftigen nicht mit der notwendigen
Sorgfalt gepflegt werden, müssen auch finanzielle Kon-
sequenzen tragen und zur Rechenschaft gezogen werden.
Nur mit einer solchen Konsequenz ist es möglich, tatsäch-
lich dafür zu sorgen, dass Qualitätsstandards eingehalten
werden. Es geht um die Stärkung der Rechte der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher und der Pflegebedürftigen. Es
geht um die Würde und um die Sicherstellung höchster
Qualitätsstandards, die die Pflegebedürftigen brauchen.

Dieses Gesetz ist notwendig. Es ist ein erster Schritt;
weitere werden folgen. Es würde sehr viel Sinn für die
Pflegebedürftigen und deren Angehörige in diesem Land
machen, diesen ersten Schritt gemeinsam zu gehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821300
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Detlef Parr.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1415821400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Niemand kann dem Inhalt des Gesetzent-
wurfes widersprechen. Es ist nämlich dringend erforder-
lich, dass wir eine Qualitätsdiskussion führen. Miss-
stände in Pflegeheimen müssen, wo immer sie auftreten,
mit Nachdruck beseitigt werden. Ein Blick auf die Arbeit
der unabhängigen Beschwerdestellen und Krisentelefone
zur Hilfe und Beratung bei Konflikten und Gewalt in der
Pflege älterer Menschen liefert oft erschütternde Beweise
für solche Missstände.

Richtig ist weiterhin, Frau Ministerin, dass Qualität
nicht von außen in die unterschiedlichen Einrichtungen
„hineinkontrolliert“ werden kann. Es gilt aber auch: Qua-
lität kann nicht „hineinreguliert“ werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Bundesregierung fordert mit ihren Vorstellungen

einen hohen Preis: Dieses Gesetz kostet die Pflegebedürf-

tigen immerhin 40 Millionen DM jährlich, verursacht in
der Hauptsache durch Bürokratie. Kollege Fink hat schon
darauf hingewiesen.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch einfach nicht wahr!)


Der Chefarzt des gerontopsychiatrischen Zentrums der
Rheinischen Kliniken Bonn und Leiter der Initiative
„Handeln statt Misshandeln“ sagt dazu:

Es gibt jetzt schon gute Gesetze, die in keiner Weise
angewendet oder eingeklagt werden.

Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung nicht
zunächst an einer besseren Umsetzung der bestehenden
Gesetze gearbeitet hat.


(Beifall bei der F.D.P.)

Jetzt müssen wir uns also mit einer Vielzahl neuer Be-

stimmungen auseinander setzen. Frau Ministerin, Sie
müssen sich wieder die Fragen nach den Umsetzungs-
möglichkeiten in der Praxis stellen lassen: Wird die
Heimaufsicht wirklich einmal jährlich jedes Pflegeheim
unter die Lupe nehmen können? Wiegen Sie die Pflege-
bedürftigen und ihre Angehörigen nicht in einer falschen
Qualitätssicherheit, wenn Sie nach einer Zertifizierung,
diesem Gütesiegel der Pflege, den Überprüfungszeitraum
auf zwei Jahre automatisch verlängern? Was bedeutet
ganz konkret Ihre Forderung nach „aktivierender Pflege“?
Wie steht es mit der Eindämmung des Arzneimittelmiss-
brauchs – Stichwort: Ruhigstellen statt Sichkümmern –
aus? Hinzu kommt die entscheidende Frage: Billigen Sie
den Pflegerinnen und Pflegern zukünftig genügend Zeit
für die geforderten Leistungen zu oder bleibt es bei dem
Grundsatz des „Ratzfatz“, also sauber, satt und kein Stück
mehr?

Ich stimme der Feststellung des Verbandes der Kran-
kenhausdirektoren Deutschlands zu – ich zitiere –:

Sollte das Bundesministerium für Gesundheit davon
ausgehen, dass die Umsetzung dieses Gesetzesvor-
habens im Rahmen der bisherigen Vergütungssätze
erfolgen soll, wird dies die Pflegequalität negativ be-
einflussen, da diese nicht unabhängig von der ver-
fügbaren Pflegezeit erreicht werden kann.

Wichtig ist und bleibt mehr Transparenz im System.
Frau Ministerin, mir ist schon sehr unwohl geworden, als
Sie von einer lückenlosen staatlichen Kontrolle gespro-
chen und einen Vergleich zum BSE-Problem gezogen ha-
ben. Ich glaube, mit diesem Vergleich lagen Sie ein biss-
chen daneben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich könnte mir vorstellen, dass als dritte Säule neben den
offiziellen Einrichtungen, also Medizinischer Dienst der
Krankenkassen einerseits und der Heimaufsicht anderer-
seits, eine unabhängige Stelle nach dem Muster „Pflege in
Not – Krisentelefone und Beschwerdestellen“, von denen
es bereits 14 in Deutschland gibt, für mehr Transparenz
sorgt.




Katrin Göring-Eckardt
15470


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben am Mittwoch im Gesundheitsausschuss ei-
ner Anhörung zu diesem wichtigen Themenbereich zuge-
stimmt. Sie ist dringend notwendig; denn die gute Absicht
dieses Gesetzentwurfs allein reicht nicht aus. Es bedarf
weiterer Überlegungen, an denen sich die F.D.P. gern kon-
struktiv beteiligen wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821500
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Ilja Seifert für die PDS-Fraktion.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415821600
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie benen-
nen das Ziel so präzise, zeichnen aber den Weg dorthin so
mangelhaft auf, dass man eigentlich nicht darüber reden
sollte. Wenn wir in der Pflege wirklich über Qualität re-
den wollen, dann müssen wir erst einmal den Pflegebe-
griff ändern; denn man kann sich dann nicht ausschließ-
lich auf den somatischen Pflegebegriff beziehen.

Insofern, Herr Fink, können Sie Ihr Lob für Herrn
Blüm ein kleines bisschen herunterschrauben. – Es freut
mich, dass Sie nicken; ich hoffe, dass das ins Protokoll
kommt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nicken kommt nicht ins Protokoll!)


– Deswegen sage ich es ja.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Leichtes Nicken!)

Wenn Sie von Qualität in der Pflege sprechen, die wir

erreichen wollen, dann sagen Sie doch einmal, welche
Qualität Sie überhaupt meinen. Es kann doch nur um die
Lebensqualität von Menschen gehen, die fremde Hilfe
brauchen, und nicht um die Qualität des Aufschreibens
von irgendwelchen Verrichtungen, die man angeblich ge-
tan hat.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber darauf läuft es hinaus.
Wir brauchen nicht so zu tun, als ob es etwas anderes

wäre. Die einzige Möglichkeit, den Menschen in Einrich-
tungen und auch zu Hause zu helfen, ist, über größere
Zeiträume mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Das
ist nicht zum Nulltarif zu haben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Pflegeversicherung ist aber so angelegt, dass die zur
Verfügung stehenden Mittel nicht einmal gleich bleiben,
sondern immer weniger werden, weil auch die Inflations-
rate usw. eine Rolle spielt, es aber nicht mehr Geld gibt.

Frau Ministerin, Sie sagen hier, dass die Situation bes-
ser werden soll. Sie kann aber gar nicht besser werden,
wenn nicht mehr Leute in die Arbeit einbezogen werden.
Insofern müssen Sie, wenn Sie wirklich eine Verbesse-
rung der Situation wollen, in das Gesetz bindend hinein-
schreiben, wie viele Leute pro Tag und pro Stunde in den
Heimen anwesend sein müssen, und damit dafür sorgen,

dass die Heime nicht selbst entscheiden können, was sie
unter Pflegequalität verstehen.

Das ist der Punkt, um den es geht. Ich hätte hier noch
viele andere Punkte, die ich gerne aufzählen würde, aber
das ist der entscheidende Punkt: Ohne mehr Personal geht
es nicht. Mehr Personal kostet Geld und wer das nicht
ausgeben will, braucht nicht von Qualität in der Pflege zu
reden.


(Beifall bei der PDS)

Auch die Diakonie sagt: Das Gesetz läuft nur auf mehr
Bürokratie hinaus.

Wenn das, was Sie hier vorhaben, am Ende nur dazu
führt, dass die Menschen, die die Hilfe brauchen, mehr be-
zahlen müssen – und so wird es sein –, dann können Sie
damit rechnen: Wir, die PDS, werden einem solchen Ge-
setz, das der Öffentlichkeit die Situation verschleiert,
nicht zustimmen können. Wir fordern: Nennen Sie die
wirkliche Situation in der Pflege beim Namen. Sagen Sie
nicht, die meisten seien gut und artig und es gebe nur ei-
nige schwarze Schafe. Es gibt zu viel unglaubliches Elend
in diesem Bereich, das Sie benennen müssen. Wenn Sie
die Situation ändern wollen, dann müssen Sie mehr Leute
einstellen, die arbeiten können, die helfen können, die mit
den Menschen, die Hilfe brauchen, reden können und die
sich um sie kümmern können. Kultur der Pflege ist et-
was anderes als Verwaltung und Bürokratie.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüden scheid] [CDU/CSU]: Allgemeines Nicken!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821700
Das Wort hat die Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Christine Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete,
speziell Herr Abgeordneter Seifert! Was wir heute hier
vorlegen, geht davon aus, dass wir wollen, dass der Re-
formstau, den wir im Bereich der Altenpflege haben, ab-
gebaut wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir haben das
bereits – da wende ich mich an Sie, Herr Fink – mit der
bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung getan. Denn
wenn wir die Bedingungen – auch in der Pflege, Herr
Seifert – verbessern wollen, brauchen wir natürlich auch
gute Fachkräfte. Wir brauchen Menschen, die motiviert
sind, diesen Beruf zu ergreifen, und dafür müssen sie eine
Chance bekommen. Das ist eine Voraussetzung, die wir
zunächst einmal geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich haben wir Missstände in der Pflege. Deswe-
gen machen wir diese Gesetze und sprechen darüber, wie




Detlef Parr

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(C)



(D)



(A)



(B)


wir diese Missstände abbauen können. Diese Missstände
haben nicht immer etwas mit der personellen Ausstattung
in den Heimen zu tun.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber auch!)


– Das ist auch ein Thema. Aber in den meisten Heimen
wird sehr verantwortungsvoll gepflegt; das wurde heute
schon angesprochen. All diese guten Heime leiden darun-
ter, dass wir den einen oder anderen Missstand haben. Das
wollen wir ändern.


(Beifall bei der SPD)

Da geht es uns schon um Qualität, die sich allerdings

nicht mit einer bestimmten Zahl von Beschäftigten auto-
matisch verbessern lässt. Wir müssen uns vielmehr über-
legen, was in den Heimen passiert, warum es in dem ei-
nen gut und in dem anderen schlecht funktioniert und ob
wir unserer Kontrollaufgabe gerecht werden. Sie können
so viele Mitarbeiter in ein Heim geben, wie Sie nur wol-
len; wenn kein ordentliches Qualitätsmanagement vor-
handen ist und wenn nicht eine gewisse Sicherheit gege-
ben ist, dass von außen kontrolliert wird, dann kann man
immer erst handeln, wenn der Staatsanwalt auf den Plan
gerufen wurde. Das wollen wir nun wirklich vermeiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit diesen beiden
Gesetzen die Möglichkeiten verbessern, die wir in diesem
Bereich haben.

In diesem Zusammenhang kann ich es nicht mehr
hören, dass immer nur über Bürokratie geredet wird. Herr
Fink, Sie wissen es doch besser. Das, was im Heimgesetz
gefordert wird, ist genau das, was ein ordentlich arbeiten-
des Heim jetzt schon erfüllt, zum Beispiel die Arzneimit-
teldokumentation.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was in § 13 steht, aber nicht!)


– Ja, es gibt in dem einen oder anderen Bereich Zusätz-
liches. Das ist auch begründet. Aber Sie können nicht so
tun, als bauten wir mit dem Gesetz nur Bürokratie auf. Wir
wollen – das gilt vor allem für das Heimgesetz – mehr Be-
ratung in die Heime hineinbringen. Das Heimgesetz ist
nicht nur ein ordnungspolitisches Gesetz, das kontrolliert.
Es will auch für mehr Beratung, und zwar für mehr Ein-
zelfallberatung sorgen und hier das erreichen, was unter
den jeweiligen Bedingungen möglich ist. Wir wollen
nämlich, dass die Achtung der Menschenwürde nicht vor
dem Heim Halt macht. Wir wollen, dass Menschen im Al-
ter ordentlich gepflegt werden und das Recht haben, bis
zum letzten Tag ein menschenwürdiges Leben zu führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist unser Ziel, über das wir uns, wie ich glaube, auch
verständigen können. Deswegen hoffe ich auch, dass wir
das einigermaßen im Konsens hinbekommen können.

Was verändern wir im Heimgesetz? Zum einen verbes-
sern wir die Rechtsstellung der Heimbewohnerinnen
und Heimbewohner. Ein ganz wichtiger Punkt ist dabei,
dass wir mehr Transparenz haben. Im Moment wird über-
all über mangelnde Transparenz der Heimverträge, über
mangelnde Nachvollziehbarkeit von Entgelterhöhungen
und über rückwirkende Entgelterhöhungen geklagt.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

– Sie nicken. So etwas hören Sie bestimmt auch in Ihren
Wahlkreisen und Ihrem persönlichen Umfeld immer wie-
der. Deswegen wird jetzt im Heimgesetz geregelt, dass im
Heimvertrag die Leistungen gesondert beschrieben und
die Entgelte angegeben werden. Das betrifft Unterkunft,
Verpflegung und alle möglichen sonstigen Leistungen.
Das heißt, die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner
sowie die Angehörigen können Leistungen verschiedener
Heime miteinander vergleichen und können erkennen,
wofür sie etwas bezahlen müssen. Natürlich können sie
die Leistungen, für die sie bezahlen, auch einfordern. Das
ist im Interesse der Heimbewohnerinnen und Heimbe-
wohner.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Entgelte müssen auch nach einheitlichen Grund-
sätzen bemessen werden. Das bedeutet, dass eine Diffe-
renzierung nach Kostenträgern unzulässig ist. Es war
dringend erforderlich, im Gesetz zu regeln, dass Selbst-
zahler keine anderen Preise bezahlen als diejenigen, die
andere Kostenträger haben. Rückwirkende Erhöhungen
sind nicht mehr zulässig, was dazu führt, dass sich Heim-
bewohnerinnen und Heimbewohner auf Entgelterhöhun-
gen einstellen können. Durch Begründungszwang wird
die Entgelterhöhung nachvollziehbar. Wir bringen also
endlich all das in die Heime hinein, was in anderen Be-
reichen der Gesellschaft selbstverständlich ist. Ich glaube,
dies sollte von allen Seiten unterstützt werden.

Wir entwickeln die Heimmitwirkung weiter. Auch
dies ist ein wichtiger Grund, weshalb wir das Heimgesetz
novellieren und das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz
einführen. Die Situation hat sich verändert. Wir haben vor
kurzem hier den Dritten Altenbericht diskutiert und wis-
sen, dass die meisten Menschen, die in Heime gehen, über
80 Jahre alt sind. Viele von ihnen leiden an psychischen
Störungen oder sind dement; sie können also gar nicht
mehr in einem Heimbeirat mitarbeiten. Deswegen erwei-
tern wir jetzt die Regelung und legen fest, dass An-
gehörige und auch Menschen aus Seniorenverbänden in
den Heimbeiräten mitarbeiten können. Wir stärken hier
die Mitwirkungsrechte. Der Heimträger soll den Heim-
beirat künftig auch an Vergütungsverhandlungen sowie an
Verhandlungen über Leistungs- und Qualitätsvereinba-
rungen beteiligen.


(Beifall bei der SPD)

Damit wird ein ganz wichtiges Recht der Mitwirkung ge-
sichert. Der Beirat wird auch in die Qualitätssicherung
und in die Kontrolle durch die Heimaufsicht einbezogen.

Wenn ich den Antrag der F.D.P. richtig gelesen habe,
dann sind das Anliegen, die Sie durchaus unterstützen.




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
15472


(C)



(D)



(A)



(B)


Also werden wir hier doch zu einem breiteren Konsens
kommen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Früher hatten wir größere Schwierigkeiten!)


– Man muss ja Menschen auch eine Entwicklungsmög-
lichkeit zugestehen. Darüber haben wir in diesem Hause
auch schon häufiger diskutiert.

Wir stärken die Heimaufsicht. Das ist ein wichtiger
Punkt. Hier geht es eben nicht schlicht und einfach um
mehr Kontrolle, sondern darum, neben dieser Aufsicht,
die die Heimaufsicht jetzt schon leisten soll und die sie
mehr oder weniger gut erbringt, vor allem die Aufgabe der
Beratung wahrzunehmen. Das wollen wir verstärken,
aber wir wollen natürlich auch Kontrollmöglichkeiten
verbessern. Immer wieder höre ich die Klagen, es werde
in den Heimen zu selten kontrolliert.

Wenn wir jetzt sagen, eine Kontrolle im Jahr ist die Re-
gel, dann ist das sehr wichtig. Damit wissen die Heime
– die meisten haben damit auch überhaupt kein Problem –,
in welchen Abständen Kontrollen zu erwarten sind. Wir
haben auch die Möglichkeit vorgesehen, dass in größeren
Abständen geprüft werden kann, wenn entsprechende
Zertifikate – aber eben von unabhängigen Sachverstän-
digen – vorliegen. Diese Kontrollen finden dann nicht alle
zwei Jahre statt, sondern es gibt dann generell eine andere
Regelung.

Natürlich müssen diese Prüfungen auch unangemeldet
erfolgen können. Sie müssen, wenn das begründet ist,
auch einmal zu ungewöhnlichen Zeiten durchgeführt wer-
den, zum Beispiel nachts. Wie will ich beispielsweise
kontrollieren, ob nachts Pflegekräfte anwesend sind,
wenn ich nicht auch einmal nachts kontrolliere?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind alles Dinge, die sehr im Interesse der Heimbe-
wohnerinnen und Heimbewohner und auch im Interesse
der Heimträger liegen.

Ferner verbessern wir die Zusammenarbeit zwischen
der Heimaufsicht, dem Medizinischen Dienst der Kran-
kenkassen, den Pflegekassen und den Trägern der Sozial-
hilfe. Diese Zusammenarbeit soll durch Bildung von
Arbeitsgemeinschaften institutionalisiert werden. Das ist
nötig. Die gemeinsame Arbeit soll sich auf die Prüftätig-
keit und auf die Verständigung über im Einzelfall not-
wendige Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln oder
zur Vermeidung von Fehlern erstrecken. Damit decken
wir den Bereich der Qualitätssicherung gut ab. Dabei
bleibt die Letztverantwortung der Heimaufsicht un-
berührt. Ich glaube, auch damit haben wir einen wichtigen
Punkt angesprochen.

Diesbezüglich gibt es auch einen breiten Konsens mit
den Ländern. Wir haben viele Gespräche mit den Verbän-
den geführt, die eigentlich sehr befriedigend verlaufen
sind. Da kann man sich immer noch einmal über den ei-
nen oder anderen Punkt streiten. Dazu stehen auch noch
Anhörungen aus; das Verfahren dazu beginnt ja auch erst.
Ich rechne aber doch mit einem breiten Konsens zwischen
allen Seiten.

Ich hoffe, dass wir einen solchen Konsens auch hier im
Haus zustande bringen, weil wir uns eines wirklich nicht
leisten können: Das sind ständig wiederkehrende Presse-
mitteilungen über Missstände, über Pflegefehler, die auf
schlechtes Qualitätsmanagement oder darauf zurückzu-
führen sind, dass sich bestimmte Anbieter darauf verlassen
können, dass nicht so schnell eine Kontrolle zu erwarten
ist. Das wollen wir mit gemeinsamen Kräften vermeiden,
weil Menschen in Einrichtungen das gleiche Recht auf Un-
versehrtheit und auf ein Leben in Menschenwürde haben
wie Menschen außerhalb von Einrichtungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zu-
sammenarbeit bei der Beratung über diese beiden Ge-
setze.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415821800
Das Wort hat Kollege
Wolfgang Zöller für die CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1415821900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren
heute wieder einen typischen Gesetzentwurf à la Schröder


(Susanne Kastner [SPD]: Na, na! Spät am Abend solche Aussagen!)


nach dem Motto: Die Zielsetzung wird von allen aus-
drücklich begrüßt;


(Zuruf von der SPD: Das ist doch was!)

allerdings können mit den geplanten Regelungen die ge-
nannten Ziele nicht erreicht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf das Diakonische Werk der Evangelischen Kir-

che zitieren, das in einer Stellungnahme Folgendes
schreibt:

Die vorgesehenen Vorschriften führen nicht zur
Qualitätsentwicklung, zu mehr Effizienz und erhöh-
ter Wirtschaftlichkeit.
Sie verursachen vielmehr einen hohen Verwaltungs-
aufwand und werden in der Praxis nicht umsetzbar
sein.

(Susanne Kastner [SPD]: Herr Zöller, Sie machen es wie mit der Bibel! Sie zitieren gerade das, was Ihnen passt!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer mehr
Qualität fordert – ich glaube, darin sind wir uns alle ei-
nig –, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
mehr Qualität geleistet werden kann. Hier unterscheiden
wir uns ganz wesentlich. Sie setzen auf mehr Kontrolle;
wir setzen mehr auf qualifiziertes Personal,


(Beifall bei der CDU/CSU)

weil wir nämlich fest davon überzeugt sind – dieser Satz
ist heute schon wiederholt gefallen; umso richtiger ist er –:




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

15473


(C)



(D)



(A)



(B)


Qualität kann man nicht in Pflegeeinrichtungen hinein-
kontrollieren.

Zur Lösung dieses Problems haben wir auch einen
ganz klaren Vorschlag unterbreitet – Kollege Fink hat dies
vorgetragen –, nämlich: Durch die systemgerechte Verla-
gerung der Kosten der Behandlungspflege auf die Kran-
kenkassen wird im Bereich der Pflegeversicherung ein fi-
nanzieller Handlungsspielraum geschaffen, der für die
Finanzierung zusätzlichen Pflegepersonals genutzt
werden kann.

Frau Ministerin Schmidt, eine Unterstellung lasse ich
Ihnen nicht durchgehen, nämlich die, dass Sie sich hier-
her stellen und sagen: Wenn die CDU/CSU mehr Qualität
will, müssen chronisch Kranke automatisch mehr zuzah-
len. – Diese Rechnung geht nicht auf. Im Übrigen sind
chronisch Kranke sowieso von der Zuzahlung befreit. Bei
uns mussten diejenigen, die ein höheres Einkommen hat-
ten, eine Zuzahlung leisten. Diese haben Sie um eine
Mark reduziert. Da frage ich mich: Ist es nicht überle-
genswert, über diese eine Mark Zuzahlung zu sprechen
und dafür mehr Qualität in der Pflege zu bekommen? Ist
das nicht das höhere Gut?

Ich kann Ihnen aber noch eine zweite Finanzierungs-
möglichkeit nennen und möchte dazu die Überschrift
„Mehrbelastungen in der GKV: 5 Milliarden aus politi-
schen Entscheidungsgründen“ zitieren. Nehmen Sie Ihre
falschen politischen Entscheidungen zurück, dann haben
wir genügend Geld, um für die entsprechende Qualität in
der Pflegeversicherung zu sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Ulf Fink [CDU/CSU]: Sehr gute Aussage!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben dem
Pflege-Qualitätssicherungsgesetz sieht auch die Ände-
rung des Heimgesetzes eine Vielzahl von Prüfungen
durch den MDK, durch Sachverständige, durch die Heim-
aufsicht in regelmäßigem Turnus sowie ergänzend durch
Einzelprüfungen, Stichprobenprüfungen und verglei-
chende Prüfungen vor. Überzogene Kontrollen und die
dazu erforderlichen Verwaltungsvorgänge demotivieren
jedoch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem,
solange keine ausreichenden Personalschlüssel zur Verfü-
gung gestellt werden.


(Zuruf von der SPD: Und was für einen Antrag zur Kontrolle hat Bayern in den Bundesrat eingebracht?)


Wegen der vielen Prüfungen und des damit verbundenen
hohen Verwaltungsaufwandes bleibt immer weniger Zeit
für die eigentliche Pflege, Betreuung und Versorgung
übrig.

Für besonders wichtig halte ich, dass im Rahmen der
Diskussion über die Qualität der Pflege auch deutlich über
die Belastung der Pflegekräfte gesprochen wird.


(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Beruflich Pflegende sind ebenso wie pflegende An-
gehörige nicht nur physisch, sondern vor allem auch psy-
chisch hohen Belastungen ausgesetzt.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)


Hinzu kommt noch der Zwiespalt, dass sie sich oftmals
nicht in der Lage sehen, so zu pflegen, wie es den fachli-
chen Anforderungen und ihrer Ausbildung entspricht,
weil wegen Zeitmangels und mangelnder personeller
Ausstattung keine Möglichkeit besteht, die Pflege akti-
vierend und rehabilitierend auszuführen. Diese Situation
kann bei den Pflegenden zu Gleichgültigkeit und Aggres-
sionen führen. Wir alle sind aufgefordert, uns dieses Pro-
blems verstärkt anzunehmen. Ich habe nämlich die große
Befürchtung, dass man aufgrund von Meldungen über be-
stehende Defizite die entscheidenden Fragen zum Bereich
der Pflege aus den Augen verliert.

Wir müssen uns als Gesellschaft folgende Fragen stel-
len und beantworten: Wie wollen wir mit unseren Pflege-
bedürftigen umgehen? Was ist uns die Pflege wert? Wie
kann in einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der
immer mehr Menschen auf fremde Hilfe angewiesen sind,
sichergestellt werden, dass jedem eine menschenwürdige
Hilfe und Betreuung zuteil wird? Wie können wir auch in
Zukunft genügend engagierte Pflegekräfte finden, die
sich der Aufgabe annehmen, pflegebedürftige ältere Men-
schen in einem Lebensabschnitt zu begleiten, der ein ho-
hes Maß an Zuneigung und Sozialkompetenz erfordert?
Wie kann auf Dauer sichergestellt werden, dass der Aus-
gleich zwischen den Generationen, nämlich den Beitrags-
zahlern auf der einen und den Leistungsempfängern auf
der anderen Seite, auf größtmögliche Akzeptanz stößt?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns
gemeinsam nach dem richtigen Weg für die Pflegebedürf-
tigen suchen. Wir bieten auch hierzu unsere Mitarbeit an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415822000
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen über eine
Reihe von parlamentarischen Initiativen diskutiert, bei
denen es eine große Übereinstimmung gibt. Ich glaube,
das wird bei der Novelle zum Heimgesetz ähnlich sein.
Denn die demographische Entwicklung macht ja nicht vor
den Toren der Altenheime halt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


– Sie macht nicht halt. Sie sollten genau zuhören, Herr
Kollege Lohmann!


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, ich bestätige Sie ja!)


Bei Einführung des Heimgesetzes vor 25 Jahren lag
das durchschnittliche Heimeintrittsalter bei 72 Jahren;
heute liegt es bei 82 Jahren. Mit zunehmendem Alter
steigt das Risiko, pflegebedürftig zu werden. Zwei Drittel
der Heimbewohnerinnen und -bewohner sind schon heute
schwer- bzw. schwerstpflegebedürftig. Gibt es heute fast
2 Millionen pflegebedürftige Menschen, werden es in
50 Jahren wohl 5 Millionen Menschen sein.




Wolfgang Zöller
15474


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Risiko einer Demenzerkrankung wächst mit zu-
nehmendem Alter. Schon heute leiden 850 000 Menschen
an einer mittelschweren bzw. schweren Demenz und die
Tendenz ist steigend.

Es werden also immer mehr alte Menschen mit immer
höherem Alter und schweren Beeinträchtigungen, die auf
eine intensivere Pflege in einem Altenheim angewiesen
sind. Allein das ist ein Grund, das Heimgesetz zu ändern
und die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner zu ver-
bessern.

Viele Heimbewohnerinnen und -bewohner können
heute ihre Interessen in den Heimbeiräten kaum wir-
kungsvoll vertreten. Nicht selten kommt überhaupt kein
Heimbeirat zustande. Deshalb ist es sinnvoll, die Interes-
senvertretung für Dritte, für Außenstehende, zu öffnen. In
Zukunft können auch Vertrauenspersonen und An-
gehörige, aber auch Mitglieder der Seniorenvertretungen
in den Heimbeirat gewählt werden. Sie werden künftig
mehr Mitspracherechte haben. Bei Vergütungsverhandlun-
gen, aber auch bei Leistungs- und Qualitätsvereinba-
rungen muss der Heimbeirat angehört werden. Die Zu-
sammenarbeit der Heimträger und der Pflegebedürftigen
wird so intensiviert.

Zwar ist die Beteiligung der Heimbewohnerinnen
und -bewohner durch die neuen Regelungen verstärkt
worden. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um
eine Mitwirkung und nicht um eine echte Mitbestim-
mung. Noch immer herrscht ein deutliches Ungleichge-
wicht zwischen dem Heimträger und den Pflegebedürfti-
gen. Um der Interessenvertretung der Bedürftigen mehr
Respekt zu zollen, sind meines Erachtens klarere Mitbe-
stimmungsrechte nötig. Da stimme ich Ihnen, Herr Haupt,
ausdrücklich zu.


(Klaus Haupt [F.D.P.]: Das freut mich!)

Durch die Öffnung des Heimbeirates wäre dies zukünftig
ohne Probleme realisierbar. Ich hoffe, dass wir diesen
Aspekt in den parlamentarischen Beratungen, aber auch
in der in diesem Zusammenhang vorgesehenen Anhörung
noch einmal zum Thema machen werden.

Ein weiterer Bereich bedarf der Regelung: Mit dem
vorliegenden Entwurf werden bestimmte Bereiche des
betreuten Wohnens, die heute noch unter die Schutzre-
gelungen des Heimgesetzes fallen, jedoch nicht Heime im
engeren Sinne sind – das sind eine Menge –, in die Re-
gellosigkeit entlassen. Zukünftig wird es dort nicht mehr
nachvollziehbar sein, wer welche Leistungen zu welchem
Preis anbietet. Der Markt des betreuten Wohnens könnte
dadurch völlig unübersichtlich werden. Ja, es müssen
noch nicht einmal Verträge über die angebotenen Leis-
tungen geschlossen werden. Wir alle wissen: Betreutes
Wohnen ist das Modell der Zukunft und wird nicht nur
von uns Bündnisgrünen, sondern auch von der Fachwelt
grundsätzlich als eine sehr begrüßenswerte Entwicklung
betrachtet, die auch weiter gefördert werden muss.
Schließlich werden dadurch flexible, aber auch bedürfnis-
orientierte Wohnformen ermöglicht. Gerade darum brau-
chen wir bei dieser expandierenden Form des Wohnens al-
ter Menschen verlässliche Rechte. Regelungen analog
zum Heimgesetz, die die Besonderheiten des betreuten
Wohnens aufnehmen, müssen für diesen Bereich zügig

geschaffen werden, wie es im Übrigen auch der Bundes-
rat fordert.

Ein Schwerpunkt der Novellierung ist die transparente
Gestaltung der Heimverträge. Bis heute war es dem
Heimträger möglich, ohne konkrete Angabe von Gründen
eine Entgelterhöhung zu verlangen. Es konnten bisher
sogar über mehrere Monate rückwirkend Forderungen er-
hoben werden. Künftig müssen im Heimvertrag Leistun-
gen wie zum Beispiel Unterkunft, Verpflegung und Be-
treuung gesondert ausgewiesen werden. Das ist sicherlich
ein großer Vorteil; denn so können die Leistungen mitei-
nander verglichen oder bei Schlechtleistungen Forderun-
gen gestellt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der vorliegende Gesetzentwurf wurde vonseiten be-
stimmter Interessenverbände auch sehr massiv kritisiert.
Ich kann die Kritik gerade der Wohlfahrtsverbände nicht
nachvollziehen. Bei der Novellierung des Heimgesetzes
muss es uns um den Schutz der pflege- und hilfsbe-
dürftigen Menschen gehen, und finanzielle Erwägungen
müssen hintangestellt werden.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Miss-
stände und Skandale in Heimen in den vergangenen Jah-
ren immer wieder Thema öffentlicher Diskussionen wa-
ren: überfordertes Pflegepersonal, schlechtes Essen,
mangelnde Hygiene, gammeliges Interieur. „Satt und sau-
ber“ war häufig die Devise von Heimunterbringung. Das
bedeutet: Verwahrung statt Pflege. Ich finde, ein men-
schenwürdiges Wohnen ist das nicht.

Auch deshalb ist eine Novellierung des Heimgesetzes
wichtig. Die Zustände in den Heimen müssen weiter und
intensiver überwacht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein! Verbessert, nicht überwacht werden!)


– Herr Zöller, auch darum brauchen wir die Einführung
regelmäßiger Kontrollen, die auch ohne Vorankündigung
erfolgen können. Das ist konsequent.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Damit haben wir keine Probleme!)


Natürlich dürfen wir das Personal in den Einrichtungen
nicht mit den Problemen alleine lassen. Darin stimme ich
Ihnen zu, Herr Fink. Denn viele pflegen bis zur Erschöp-
fung ihrer eigenen Kräfte. Darum bin ich der Meinung,
dass eine angemessene Personalbemessung in der Heim-
personalverordnung verankert werden muss. Wir führen
gerade ein Modellprojekt „Plaisir“ durch. Wir werden die
Ergebnisse auswerten und darauf entsprechend reagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Menschen, die in Heimen leben, haben das gleiche
Recht auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes
Leben wie jene, die nicht auf Hilfe angewiesen sind. Die
Politik hat die Pflicht, besonders denen Schutz zukommen
zu lassen, die in Abhängigkeit von anderen leben müssen.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)





Irmingard Schewe-Gerigk

15475


(C)



(D)



(A)



(B)


Diesem Anspruch kommen wir mit der Novellierung des
Heimgesetzes nach.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415822100
Nächster Redner ist
der Kollege Klaus Haupt für die F.D.P.-Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1415822200
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Seit über 25 Jahren gibt es das
Heimgesetz als Schutzgesetz für Heimbewohner. Ent-
wicklungen und Änderungen in der gesellschaftlichen
Realität, Strukturveränderungen sowie insbesondere die
demographische Entwicklung machen eine grundlegende
Reform des Heimgesetzes notwendig. Ziel muss es sein,
die Rechtsstellung und den Schutz von Heimbewohnern
den heutigen Ansprüchen anzupassen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Partizipation und Stärkung der Mitwirkungsrechte der
Heimbewohner sind eines der wichtigsten Ziele der
Heimgesetznovelle.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die F.D.P. begrüßt, dass dies nun zum Gesetzeszweck er-
hoben wird; denn Freiheit und Verantwortung kennen we-
der Ruhestand noch Altersgrenzen. – Sie können wieder
klatschen.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Doch Tatsache ist: Das Eintrittsalter für Seniorenheime
liegt heute bei 80 Jahren, das Durchschnittsalter bei
82 Jahren. Deshalb unterstützen wir die Öffnung der Heim-
beiräte für externe Personen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht für Familienangehörige!)


Dies ermöglicht auch, mehr Sachkompetenz für die
Heimbeiräte zu erschließen.

Im Zusammenhang mit den Heimbeiräten sind aber
auch die erforderliche Ausstattung mit finanziellen Mit-
teln, die Möglichkeiten der Schulung, der externen Unter-
stützung, aber auch die immer notwendige Bestärkung
und Motivation zur Mitgestaltung anzumahnen.

Die bisherige Kritik an einer fehlenden Beteiligung der
Bewohner an der Gestaltung zum Beispiel der Pflegekosten
und Pflegesatzvereinbarungen wurde durch die Beteiligung
des Heimbeirates bei der Vorbereitung von Leistungs-, Ver-
gütungs- und Qualitätsvereinbarungen berücksichtigt.
Aber auch das ist keine echte Mitwirkung. Es gilt ganz all-
gemein festzustellen: Die Rechte der Heimbewohner sind
im vorliegenden Gesetzentwurf auf Mitwirkung begrenzt
– meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen –; Mitbestim-
mung ist nicht vorgesehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Soll ja wohl auch nicht!)


Im § 2 – Zweck des Gesetzes – fehlen die Leitwerte Mit-
verantwortung und Mitbestimmung.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das Geisterstück von Rot-Gelb!)


Deshalb sollte nach Meinung der F.D.P. durch eine Ex-
perimentierklausel


(Zuruf von der CDU/CSU: Es lebe Herr Riester!)


– zu Ende zuhören! – die Möglichkeit geschaffen werden,
in bestimmten Teilbereichen, die die Bewohner unmittel-
bar betreffen – Freizeitgestaltung, Durchführung von Ver-
anstaltungen, Verpflegung –, Mitbestimmungsrechte in
Modellversuchen zu erproben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein zweites zentrales Ziel der Gesetzesnovelle – die

Frau Ministerin hat darauf hingewiesen – ist die Trans-
parenz, die bessere Durchschaubarkeit und Rechtswirk-
samkeit des vertraglichen Miteinanders von Bewohner
und Träger. Wir begrüßen die Leistungs- und Aufgaben-
beschreibung der Heime und die differenzierte Aufstel-
lung einzelner Leistungsbereiche und Entgeltbestand-
teile. Auch dass die Unterrichtung und Beratung der
Heimbewohner nicht mehr allein dem Heimbetreiber ob-
liegt, ist eine Verbesserung der bisherigen Regelung.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Sehen Sie!)

Beide Neuregelungen können zu einer erhöhten Kunden-
orientierung beitragen und dienen dem Verbraucher-
schutz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dagegen halten wir die vorgesehene Fristkürzung bei

Entgelterhöhung von vier auf zwei Wochen für proble-
matisch.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon längst geändert worden! Sie müssen sich mal den neuen Entwurf angucken!)


Alte Menschen müssen mehr Zeit haben, die aus einer sol-
chen Entgelterhöhung resultierenden schwerwiegenden
Fragen zu beantworten. Dazu sind die Formulierungen im
Gesetzentwurf zum Thema Entgelterhöhung und Entgelt-
kürzung zu unbestimmt. So schwammige Rechtsbegriffe
wie „nicht erhebliche Mängel“ oder „angemessene Kür-
zung“ werden in der Praxis zu erheblichen Interpre-
tationsschwierigkeiten führen.

Heimbewohner fühlen sich unter Umständen durch
Entgelterhöhung übervorteilt oder sehen sich nicht ohne
weiteres in der Lage, die vorgelegten Unterlagen, die die
Forderungen des Heimes untermauern sollen, sachkundig
zu kontrollieren. Deshalb fordern wir Liberalen eine
Schiedsstelle, die das Erhöhungsbegehren innerhalb eines
Monats gutachterlich überprüft.

Die vorgesehene Aufzeichnungspflicht als Teil der
Qualitätssicherung führt zu einer erheblichen Mehrbelas-
tung der Heime. Dies darf nicht dazu führen, dass der
entsprechende Mehrbedarf an Arbeitszeit und -personal




Irmingard Schewe-Gerigk
15476


(C)



(D)



(A)



(B)


bei Versorgung und Betreuung der Heimbewohner einge-
spart wird.

Das dritte bedeutende Anliegen der Heimgesetznovelle
ist die Verbesserung der Heimaufsicht. Bisher konnte die
Heimaufsicht die ihr zugedachten Aufgaben nicht erfül-
len. Weder personell noch in sachlicher Hinsicht war sie
genügend ausgestattet. Die Qualität der Aufsicht hängt
aber entscheidend ab von der Kompetenz der Mitarbeiter
und dem Stellenwert, der ihr in der Verwaltung einge-
räumt wird.

Die Heimaufsicht muss unabhängig sein von den Inte-
ressen der Leistungsträger. Der Entwurf der Novelle ver-
stärkt dagegen solche Abhängigkeiten noch. Dazu verletzt er
in erheblicher Weise die Interessen des Datenschutzes. Der
Datenaustausch zwischen Pflegekassen, Medizinischem
Dienst der Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern darf
nicht in diesem Maße uneingeschränkt möglich sein.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Als Fazit darf ich für die F.D.P.-Fraktion feststellen,
dass wir viele gute Ansätze und Verbesserungen im Heim-
gesetz sehen, dass aber in zahlreichen Details noch er-
heblicher Nachbesserungsbedarf besteht. Einige Formu-
lierungen sind zu wenig präzise,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie sind noch zu liberal!)


manche Regularien zu bürokratisch, andere Teile der No-
velle werden die beabsichtigte Wirkung so nicht entfalten
können. Wir Liberalen werden daher – wie Sie schon aus
unserem Antrag ersehen können – an den weiteren Bera-
tungen kritisch, aber konstruktiv mitwirken. Wir hoffen,
dass die Koalition für unsere Vorschläge offen ist.

Ich bedanke mich ganz herzlich.
Herr Präsident, darf ich einen P.S.-Nachtrag machen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415822300
Bitte
schön, Herr Kollege.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1415822400
In einer früheren Debatte hat-
ten wir hier eine Auseinandersetzung. In einer Kurzinter-
vention hatte ich auf die Kollegin Lörcher geantwortet,
dass Mitbestimmung nicht vorgesehen ist. Frau Lörcher
sagte: Herr Haupt, bei der Novellierung des Heimgesetzes
ist Mitbestimmung sehr wohl vorgesehen; es freut mich,
dass Sie sich derart dafür interessieren. – Lesen Sie sich
doch die Vorschrift noch einmal durch! Mit meinem Vor-
trag habe ich sicherlich bewiesen, dass keine Mitbestim-
mung vorgesehen ist.

Es ging um eine gute Flasche sächsischen Weines.
Diese habe also ich gewonnen. Frau Lörcher, aus kolle-
gialer Verbundenheit kriegen Sie von mir eine Flasche Li-
kör aus Hoyerswerda.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber Herrn Riester müssen Sie mit einladen! – Arne Fuhrmann [SPD]: Teile Ihrer Rede waren gut!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415822500
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Marga Elser
von der SPD-Fraktion.


Marga Elser (SPD):
Rede ID: ID1415822600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich glaube, man sollte beim Aufzählen
derjenigen, die gegen das Pflege-Qualitätssicherungsge-
setz und das Heimgesetz sind, nicht immer nur die An-
bieter anführen, sondern vielleicht auch einmal diejeni-
gen, für die diese Gesetze verabschiedet werden sollen:
die Männer und Frauen, die im Heim wohnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist sehr wichtig. Wenn man dies tut, dann weiß man,
dass wir mit unseren Gesetzen auf dem richtigen Weg
sind.

Wir haben festgestellt, dass wir bei der Pflege das Au-
genmerk verstärkt auf die Qualitätssicherung und die
Verbesserung des Verbraucherschutzes richten müssen.
Es gibt sehr viele Pflegeeinrichtungen, die schon seit Jah-
ren Pflegeleistungen auf einem hohen Qualitätsniveau er-
bringen. Eine ganze Reihe von Heimen sah sich seiner-
zeit, als die Pflegeversicherung eingeführt wurde,
veranlasst bzw. wurde vom Medizinischen Dienst darauf
gestoßen, verstärkt Methoden der internen Qualitätssi-
cherung anzuwenden. Es gibt aber eben auch – das war
heute schon mehrmals Thema – Heime, die keine qua-
litätsgerechte Versorgung anbieten. Diese sind eine nicht
zu unterschätzende Gefahr für die Pflegebedürftigen.

Natürlich gibt es viele Gründe für solche Fehler. Wir
wollen mit unserem Gesetz die Weiterentwicklung der
Pflegequalität und die Stärkung der Verbraucherrechte
fördern und so dafür sorgen, dass die Heimbewohnerin-
nen und Heimbewohner eine gute Pflege bekommen, und
zwar flächendeckend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig mit dem Gesetz zur Qualitätssicherung
haben wir heute die Novellierung des Heimgesetzes zu
beraten. Wir wissen, dass die Leistungsqualität in der
Pflege nicht allein durch Kontrolle und Überwachung
verbessert werden kann. Das ist klar. Wir wissen aber,
dass dies durch eine Förderung und Intensivierung der
Qualität der pflegerischen Versorgung möglich ist. Des-
halb wollen wir vor allem das Eigeninteresse der Heime
daran stärken, qualitativ hochwertige Pflege anzubieten.

Wir als Gesetzgeber konzentrieren uns schwerpunkt-
mäßig auf die Sicherung, Weiterentwicklung und Über-
prüfung der Pflegequalität, auf die Stärkung der Eigen-
verantwortung der Pflegeselbstverwaltung und auf eine
bessere Zusammenarbeit von Heimaufsicht und Selbst-
verwaltung. Das ist ganz wichtig.


(Beifall bei der SPD)

Wir verknüpfen dies mit einer Verstärkung des Verbrau-
cherschutzes.

Es ist klar, dass für die Sicherung und Weiterentwick-
lung der Qualität ihrer Leistungen zuallererst die Träger




Klaus Haupt

15477


(C)



(D)



(A)



(B)


der Pflegeeinrichtungen zuständig und verantwortlich
sind. Das heißt, dass es für jedes Pflegeheim und für je-
den Pflegedienst ein umfassendes Qualitätsmanage-
ment geben muss. Wir halten es aber auch für sehr wich-
tig, dass dieses Qualitätsmanagement gelegentlich von
entsprechenden übergeordneten Stellen, also beispiels-
weise vom Medizinischen Dienst, kontrolliert wird und
der Nachweis einer guten Pflege erbracht werden muss.
Dies beruht nicht auf einem Misstrauen gegenüber der
Pflegeeinrichtung. Es ist aber im Interesse der Heimbe-
wohnerinnen und Heimbewohner, dass das Qualitätsma-
nagement ihres Heimes gelegentlich überprüft wird. Da-
vor sind wir überhaupt nicht bange. Und gute Heime
brauchen dies auch nicht zu sein. Viele Trägervereinigun-
gen haben ein hervorragendes Management und werden
dies bei den gelegentlichen Überprüfungen auch gerne
vorzeigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Qualitätssicherung und die entsprechenden Zer-
tifizierungen werden einen guten Vergleich der Heime
untereinander ermöglichen. Dies ist wichtig, da dadurch
die Rechte der Pflegebedürftigen geschützt und gestärkt
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig wollen wir die Eigenverantwortung
durch Anpassungen im Vertragsrecht stärken. Die Eigen-
verantwortung beinhaltet die Pflicht, aber auch das Recht
der Träger, die personelle und die sachliche Ausstattung
bereitzustellen, die für eine leistungs- und qualitätsge-
rechte Versorgung der von ihnen betreuten Pflegebedürf-
tigen erforderlich ist. Das heißt aber auch – dies ist ganz
wichtig, wird aber oft vergessen –, dass die Träger dann
die Möglichkeit haben, ihren Anspruch auf leistungsge-
rechte Vergütungen gegenüber den Kostenträgern effizi-
ent durchzusetzen.

Es gibt zum einen die unternehmerische Verantwor-
tung und die Gestaltungsfreiheit in der Pflege. Zum ande-
ren wollen wir aber auch einen effektiven Schutz gegen il-
legale Praktiken zum Schaden der Pflegebedürftigen.
Beispielsweise sollte es nicht vorkommen, dass Pflege-
kräfte zwar in der Buchhaltung auftauchen, aber im Heim
selber nicht vorhanden sind. Wir brauchen dieses Gesetz
also auch zum Schutz der Mitarbeiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird sicherlich für das gesamte Vertrags- und Ver-
gütungsrecht ein schwieriges Problem sein, dass es allge-
mein anerkannte Maßstäbe für die Personalbemessung
in den Pflegeheimen derzeit nicht gibt. Wir sind derzeit
dabei, Pflegeprogramme wie „Plaisir“ oder „Persis“ zu
untersuchen. Grundsätzlich wird es aber so sein, dass im
Rahmen der Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen die
Einführung von landesweiten oder regionalen Rahmen-
verträgen diskutiert wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allerdings werden die Vertragsparteien dann in die Pflicht
genommen, sich auf landesweite Personalvermittlungs-
verfahren zu verständigen.

Mit der Stärkung der Verbraucherrechtewird die Be-
ratung der Pflegebedürftigen weiter verbessert. Es geht
darum, dass wir die individuelle Bedürftigkeit der Pflege-
bedürftigen ermitteln und die Pflege gelegentlich entspre-
chend verbessern. Dazu gehört natürlich auch, dass pfle-
gebedürftige Menschen und ihre Angehörigen durch
Beratung in der Lage sind, ihre Rechte wahrzunehmen.
Preis- und Leistungsvergleiche müssen an diese Verein-
barungen geknüpft werden.

Uns ist vor allem wichtig, dass bei stationärer Pflege
die Pflegeheime ausdrücklich verpflichtet werden, für
eine qualitätsgerechte Versorgung und Betreuung der
Heimbewohnerinnen und Heimbewohner das erforderli-
che Personal bereitzustellen. Ich denke, das kommt vor al-
lem den Heimbewohnern zugute, die besonders häufig ei-
nen hohen Bedarf an allgemeiner und sozialer Betreuung
benötigen. Das ist vor allem bei Demenzkranken der Fall.
Weil dies auch der Inhalt des Gesetzentwurfes der
CDU/CSU ist, darf ich zur Situation der Demenzkranken
auf das verweisen, was unsere Gesundheitsministerin vor-
her gesagt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415822700
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Marga Elser (SPD):
Rede ID: ID1415822800
Ich bin sofort fertig. – Ich möchte
an dieser Stelle unseren beiden Ministerinnen, Frau Ulla
Schmidt und Frau Christine Bergmann, für die beiden Ge-
setzentwürfe sehr herzlich danken. Ich wünsche uns allen
eine gute Beratung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulf Fink [CDU/CSU]: Was ist mit uns?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415822900
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Monika Balt von der
PDS-Fraktion das Wort.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1415823000
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ziel des Heimgesetzes ist es,
„die Rechtsstellung und den Schutz von Bewohnerinnen
und Bewohnern von Heimen zu verbessern und die Qua-
lität der Betreuung und Pflege weiterzuentwickeln“. So
der Entwurf der Bundesregierung.

Grundsätzlich ist gegen eine Verbesserung des Heim-
gesetzes ebenso wenig wie gegen ein Gesetz zur Qua-
litätssicherung in der Pflege einzuwenden. Aber die
jetzige Diskussion erweckt in der Öffentlichkeit den Ein-
druck, als ob wir derzeit keine gesetzlichen Grundlagen
hätten. Dem ist nicht so. Das 1974 verabschiedete Heim-
gesetz erfüllt prinzipiell seinen Zweck.




Marga Elser
15478


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Problem ist, dass die Umsetzung des Heimgeset-
zes regional sehr unterschiedlich ausfällt. Um es ganz klar
zu sagen: Die Probleme des Heimgesetzes liegen weniger
im Gesetz selbst als vielmehr in Qualifikations- und Voll-
zugsdefiziten der Heimaufsichtsbehörden vor Ort. Hieran
ändert auch der neue Gesetzentwurf nichts.

Wichtig wäre nämlich, eine bemerkenswerte Interes-
senkollision bei Ländern und Kommunen aufzulösen. So
liegt die Zuständigkeit für die Heimaufsicht in vielen
Ländern bei denselben Behörden, die letztendlich auch
für die Pflege in den Heimen finanziell aufzukommen ha-
ben, nämlich den Sozialhilfeträgern. Wenn nun nach einer
Prüfung durch die Heimaufsicht Auflagen an den weite-
ren Betrieb der Einrichtungen gemacht werden, betrifft
dies somit nicht nur den Träger des Heimes, sondern – un-
ter finanziellen Gesichtspunkten – in den meisten Fällen
auch die eigene Behörde, in allen Fällen jedoch die öf-
fentliche Kasse.


(Beifall bei der PDS – Ina Lenke [F.D.P.]: Na und?)


Dieser Zusammenhang ist im Ministerium durchaus
bekannt. In § 24 des Gesetzentwurfes ist formuliert: „Die
Landesregierungen haben darauf hinzuwirken, dass die
Aufgabenwahrnehmung durch die zuständigen Behörden
nicht durch Interessenkollisionen gefährdet oder beein-
trächtigt wird“. Noch schwächer kann man einen Appell
wohl kaum formulieren.


(Beifall bei der PDS)

Der zitierte Paragraph dokumentiert eher die Hilflosigkeit
des Ministeriums in diesem Punkt.

Diese Hilflosigkeit setzt sich in fataler Weise fort: So
ist 1996 auf Wunsch der Länder eine Regelung in das
Heimgesetz aufgenommen worden, wonach Auflagen der
Heimaufsichtsbehörden generell im Einvernehmen mit
dem Sozialhilfeträger zu erfolgen haben. Im Klartext: Sie
stehen unter Kostenvorbehalt.

Unter dem Strich weckt das neue Heimgesetz Erwar-
tungen, die es gar nicht erfüllen kann. Die Aufblähung
bürokratischer Anforderungen verbraucht im Gegenteil
unnützerweise Ressourcen, die für eine gute Pflege dann
nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir sind der Auffas-
sung, dass die Instrumente des geltenden Heimgesetzes
durchaus ausreichen, sie aber auch konsequent angewandt
werden müssen. Wir fordern, unabhängige Anlaufstellen
einzurichten, die Beschwerden entgegennehmen, diesen
kompetent nachgehen und die Pflegebedürftigen und An-
gehörigen entsprechend beraten.

Unser Anspruch ist, Bürokratie abzubauen statt sie
weiter aufzublähen,


(Beifall bei der PDS)

Pflege zu verbessern statt Apparate zu vergrößern. Genau
das muss in dem vorliegenden Gesetzentwurf noch
berücksichtigt werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415823100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Arne Fuhrmann von der SPD-Frak-
tion.


Arne Fuhrmann (SPD):
Rede ID: ID1415823200
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Fink, vorneweg eine kurze Be-
merkung, die Sie kennen, die ich aber gerne wiederhole,
weil sie im Kontext Ihrer Rede wohl ziemlich wichtig ist:
Nicht immer neues Geld, sondern gelegentlich eine Idee
und deren Umsetzung machen Bestehendes zu etwas Bes-
serem.


(Beifall bei der SPD – Ulf Fink [CDU/CSU]: Na ja!)


Wenn wir am heutigen Abend unter dieser Prämisse
miteinander diskutieren und uns nicht gegenseitig vor-
rechnen, wo man Geld herbekommt bzw. wo man es nicht
herbekommen kann, wären wir auch in dem von allen be-
teuerten Konsens, es der älteren Generation in diesem
Lande leichter und vielleicht auch angenehmer zu ma-
chen, einen Schritt weiter.

Jetzt zurück zu dem Thema Heimgesetz. Ich habe ei-
nen Zeitungsbericht gelesen, den ich zwar nicht besonders
ernst nehmen kann, zu dem ich aber eine Bemerkung ma-
chen möchte. Wenn wir dazu übergehen und sagen, dass
Wohnen im Altenheim kein Zuhause ersetzt, machen wir
uns zu einem schäbigen und nicht tauglichen Parlament.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


Die letzten Tage, Wochen, Monate oder Jahre im Leben
eines alten Menschen, die er in einer Pflegeeinrichtung
oder einer Alteneinrichtung verbringt, müssen von Qua-
lität, Wohlbefinden, Vertrauen und Perspektiven – wel-
cher Art auch immer – geprägt sein. Nur dann wird er sich
im Endeffekt zu Hause fühlen. Um das zu erreichen, ist
die Novellierung des Heimgesetzes einer der entschei-
denden Schritte überhaupt; denn zum Wohlbefinden und
zum Vertrauen gehört auch das Element des Verbraucher-
schutzes, über den wir im Zusammenhang mit einer solch
elementaren Frage gar nicht intensiv genug diskutieren
können.


(Beifall bei der SPD)

Es gibt einige wenige Punkte, die zumindest nach mei-

ner Meinung heute noch nicht deutlich genug angespro-
chen wurden. Das ist zum Beispiel die Klarheit und Über-
schaubarkeit von Verträgen im Zusammenhang mit
Vertragsdauer und Tod. Wenn Sie sich – Herr Fink, Sie
sind ja Spezialist und kennen das – überlegen, was heute
immer noch gang und gäbe ist, dass nämlich nach dem
Tod eines Heimbewohners auf Wochen und Monate hi-
naus von den Hinterbliebenen oder aus der Erbmasse
Geld noch geschöpft wird, weil der Heimplatz nicht neu
zu belegen ist oder er renoviert werden muss


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– lassen Sie es; Praktiker wissen, dass es so ist –,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ich bin Praktiker! Meine Mutter ist neun Jahre dort gewesen!)





Monika Balt

15479


(C)



(D)



(A)



(B)


werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: Ich finde es
nur recht und billig, wenn im Heimgesetz verankert wird,
dass der Vertrag und damit auch die Zahlungspflicht mit
dem Tod endet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist ein wesentlicher Punkt, dass das Verhältnis von
Leistungen und Geldzahlungen im Gesetz differenzierter
als bislang beschrieben wird. Ich denke, darauf haben
nicht nur die Heimbewohner, sondern auch deren
Angehörige einen Anspruch. Die Verhandlungen über die
Pflegesätze – darauf hat die Ministerin vorhin sehr deut-
lich hingewiesen; auch Herr Haupt hat es zu meiner
Freude getan – können nicht über die Köpfe der Heimbe-
wohner hinweg geführt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit 85 Jahren als gnadd-
riger Greis in einer Alteneinrichtung untergebracht bin
und dass über meinen Kopf hinweg – aus welchen Grün-
den auch immer – entschieden wird, dass der Pflegesatz
um 250 DM im Monat angehoben wird, dann können Sie
sich sicherlich vorstellen, dass ich dann erst recht gnadd-
rig werde.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das können wir uns gut vorstellen!)


Dann hat das Heim, in dem ich untergebracht bin, nichts
zu lachen.


(Beifall bei der SPD)

Wir geben den Heimbewohnern die Chance – diese

Regelung ist vernünftig –, sich zum Beispiel gegen die
Kündigung des Heimvertrages zu wehren, wenn sie nicht
das notwendige Geld haben. Das wird zwar vielen Betrei-
bern von Pflegeeinrichtungen nicht gerade viel Spaß be-
reiten. Aber damit sind wir, glaube ich, auch einen Schritt
im Hinblick darauf weiter, dass man sich auch in Pflege-
einrichtungen zu Hause fühlen und dort Vertrauen zu an-
deren aufbauen kann. Damit wird im Grunde genommen
auch die Position derjenigen gestützt, die bereits heute
ihre Einrichtungen so leiten und führen, wie wir uns das
wünschen und wie es dem Sinn des Heimgesetzes von
1974 entspräche, wenn es komplett umgesetzt würde.
Aber dies ist wohl eine Illusion. Deshalb ist die Novel-
lierung des Heimgesetzes notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie reden immer davon, dass Kontrollen eine fürch-
terliche Sache seien. Mit der Novellierung des Heimge-
setzes wollen wir im Grunde neben einigen anderen Punk-
ten vor allem drei ganz entscheidende Knackpunkte
angehen. Wir wollen erreichen, dass differenziert aufge-
schlüsselt wird, welche und unter welchen Bedingungen
die Heimbewohnerinnen und -bewohner Medikamente
bekommen. Wir wollen wissen, wie der Pflegeverlauf
aussieht. Wir wollen vorrangig wissen, welche freiheits-
beschränkenden Maßnahmen unter welchen Grundvo-
raussetzungen durchgeführt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen uns in diesem Haus doch nichts vorma-
chen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten nicht
nur darüber zu reden gehabt, dass in den Heimen aufop-
ferungsvoll gepflegt wird und dass dort nur hoch qualifi-
ziertes Personal beschäftigt ist. Wir haben auch über ka-
tastrophale Zustände in verschiedenen Einrichtungen
heftig diskutiert, unter denen diejenigen leiden müssen,
die ihren Lebensabend dort verbringen, und uns von der
Presse auch manches Mal um die Backe knallen lassen
müssen, dass wir auch politisch etwas verändern müssten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich als politisch Verantwortlicher möchte in Zukunft nicht
mehr die Prügel dafür einstecken, dass die Vorschriften
des Heimgesetzes möglicherweise nicht erfüllt werden.
Deshalb möchte ich Kontrollen einführen, zumindest so
lange, wie diese ordnungsrechtlich zulässig sind.

Da Sie die Schwierigkeiten, die ein solches Gesetz
auch im Hinblick auf die Zuständigkeit der Länder mit
sich bringt, samt und sonders kennen, wissen Sie, dass
man an manchen Stellen auch Kompromisse schlucken
muss. Vielleicht kann man dann, wenn das Gesetz novel-
liert ist, versuchen, Änderungen auf der Ebene der Länder
durchzusetzen. Ich glaube, die Selbstverwaltung und die
Eigenverantwortung der Heime und ihrer Träger sollten
zwar durch das Heimgesetz nicht angetastet werden. Aber
staatliche Daseinsvorsorge und Verantwortung enden
nicht am Bett im Pflegeheim oder an der Haustür. Diese
bestehen vielmehr immer und überall und gelten für jeden
Menschen in Deutschland, egal, wie alt er ist, wo er wohnt
oder ob er Geld hat oder nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alle Einrichtungsträger, die sich bisher ordnungs-
gemäß verhalten haben und deren Einrichtungen vom
Standard und vom Pflegeniveau her vernünftig geführt
werden, werden im Grunde durch das Heimgesetz über-
haupt nicht tangiert. Sie werden vielmehr unterstützt und
werden in Zukunft – auch durch die Möglichkeit der Zer-
tifizierung – sehr schnell aus den Kontrollen – egal, wel-
cher Art sie sind – entlassen werden, weil sie ihre Sache
richtig machen. Deshalb wird dieses Gesetz, glaube ich,
nicht nur Ärger, sondern auch Freude bei denen, die sich
schon bisher ordnungsgemäß verhalten haben, und auch
bei den Betroffenen auslösen.

Im selben Atemzug bedanke ich mich bei den Mit-
arbeitern meines Ministeriums sehr herzlich für die kon-
struktive Zusammenarbeit und auch für die Bereitschaft,
mit denen zusammenzuarbeiten, die uns noch heute kriti-
sieren. Ich denke, es wird schon funktionieren.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415823300
Als
nächster Redner hat das Wort Herr Kollege Gerald Weiß
von der CDU/CSU.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Jetzt kommt der Staatssekretär, nachdem der Minister gerade gesprochen hat!)





Arne Fuhrmann
15480


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Mi-
nisterin, den von Ihnen eingeforderten Konsens im The-
menzusammenhang, Frau Schewe-Gerigk, die von Ihnen
geforderte Übereinstimmung im Sachzusammenhang


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die kommt jetzt von Ihnen! Da bin ich sicher!)


– ähnlich haben Sie sich, Herr Minister Fuhrmann,
geäußert –,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


lösen wir in der Grundsatzfrage natürlich ein.
Beim neuen Heimgesetz, Frau Ministerin, streiten wir

nicht über die grundlegenden Ziele. Wir streiten über die
richtigen Wege – wie das Herr Fink und Herr Zöller schon
gesagt haben –,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Zöller hat zu einem anderen Gesetz gesprochen, Herr Weiß!)


den Schutz der Menschen in den Heimen bestmöglich zu
gewährleisten, ihre Würde zu sichern, Pflegequalität zu
optimieren und zu bewahren. Das sind unstreitige, rich-
tige Grundziele. Es geht nicht um das Ob, sondern es geht
um das Wie. In der übergroßen Zahl von Heimen wird gut
und aufopferungsvoll gepflegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber die Minderzahl schlecht pflegender Heime, deren
Opfer weitgehend hilf- und wehrlose Menschen sind, ist
die Herausforderung für den Staat, der auf diesem Feld,
Herr Kollege Fuhrmann, wirklich nichts weniger sein darf
als Nachtwächterstaat. Hier geht es im Kern um eine staat-
liche Ordnungsaufgabe.

Bei diesem Gesetz, Frau Ministerin, gestehen wir zu,
dass es gut gemeint ist; das attestieren wir sofort. Aber ob
es wirklich insgesamt gut ist im Sinne von zielführend, da
haben wir einige Zweifel. Gut gemeint ist noch lange
nicht zielführend. Gut ist, wenn man Teilhaberechte ver-
nünftig weiterentwickelt. Aber wir haben Zweifel, ob es
zielführend ist, die Heime mit Bürokratie, Verwaltungs-
vorschriften und Berichtspflichten, die zum Teil ans Un-
sinnige grenzen, zu überziehen. Da haben wir sehr große
Zweifel, weil Kapazität in den Heimen für Administration
statt für den Menschen in Anspruch genommen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marga Elser [SPD]: Das muss man bloß richtig machen!)


Es war übrigens interessant, Frau Schewe-Gerigk, dass
Sie gesagt haben, Sie könnten die Äußerung, die die
Wohlfahrtsverbände gemacht haben, nicht verstehen.
Bis vor kurzem, in Ihrer Oppositionszeit, waren sie noch
Ihre Kronzeugen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich habe das doch begründet!)


Die Arbeiterwohlfahrt, die ja nicht gerade eine Filiale der
Union ist, hat Ihnen zum Beispiel ins Stammbuch ge-
schrieben:

Die freie Wohlfahrtspflege wird zum Objekt von
Überregulierung und Bürokratisierung.

Die Diakonie hat gesagt:
Die Mitarbeiterinnen müssen über ausreichend Zeit
für die Pflegebedürftigen verfügen. Das gilt vor al-
lem für Gespräche. Die zu erwartenden Gesetze soll-
ten hierfür entsprechende Rahmenbedingungen
schaffen. Es ist aber jetzt zu befürchten, dass deren
Umsetzung eher das Gegenteil bewirken wird.
Durch neue Auflagen, etwa zur Dokumentation, wird
immer weniger Zeit für die eigentliche Pflege, Be-
treuung und Versorgung zur Verfügung stehen.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diese Befürchtung werden wir entkräften, Herr Weiß!)


Das ist doch der falsche Ansatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Geben Sie qualifiziertes Personal in die Heime, statt ad-
ministrative Aufgaben vorzuschreiben, deren Erkenntnis-
wert sehr begrenzt sein wird.

Was uns auch nicht gefällt: Das Gesetz mutet an wie
eine einzige große Misstrauenserklärung an alle Heimträ-
ger. Wir sind aber eher für eine Kriegserklärung an die
Minderheit derjenigen, die schlecht pflegen. Das müsste
die Ausrichtung sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie finden Sie die heraus?)


Da sind wir bei der Ordnungsfunktion. Ich sage Ihnen:
Dreh- und Angelpunkt, Herr Fuhrmann, ist eine funktio-
nierende Heimaufsicht. Was Sie dazu in das Gesetz ge-
schrieben haben, kommt mir manchmal vor wie viel Lärm
um wenig. Das ist ja eher rudimentär, wenn Sie die Wahr-
heit zugestehen würden. Das kann es in einem Bundesge-
setz auch nur sein. Das ist Domäne der Bundesländer. Ich
komme aus einem Land, aus Hessen, das eine sehr gute
Heimaufsicht hat, für die ich einmal Verantwortung hatte.
Die Art und Weise, wie die Heimaufsicht – auch personell –
ausgestaltet und organisiert ist, entscheidet über ihre ge-
samte Wirksamkeit und über die präventive Wirksamkeit
im Alltagsgeschehen. Wir sind für eine starke Heimauf-
sicht. Deren Stärke bemisst sich aber nicht am Umfang
von Gesetzen, wie sich auch ein starker Staat, für den wir
sind, nicht am Umfang seiner Gesetze bemisst. Manchmal
habe ich den Eindruck, dass das für Sie ein Kriterium ist.

Sie türmen – das ist bereits gesagt worden – einen un-
bestimmten Rechtsbegriff auf den anderen. Neue Pa-
noramadachfenster, die mehr Licht in die Pflegezimmer
bringen, seien betriebsnotwendige Investitionen. Ist das
betriebsnotwendig oder nicht? Mit der Klärung dieser
Frage werden Sie Gerichte beschäftigen, da Sie in diesem
Gesetzentwurf eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbe-
griffe kreieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Bergmann, Sie sagten, dass Sie motivierte Men-
schen wollen. Ich glaube, dass Sie die Menschen demoti-
vieren. Formulare motivieren die Menschen nicht, son-
dern sie demotivieren, wenn sie sie von ihren eigenen
Pflichten ablenken. Es wird zu keiner Verbesserung der
Bedingungen in den Heimen, sondern zu einer Ver-
schlechterung kommen.

Herr Fuhrmann, ich greife einmal einen Punkt einer ein-
zelnen Regelung auf – Sie haben ihn gerade erwähnt –, um
zu demonstrieren, wo bei diesem Gesetzentwurf der Teufel
im Detail steckt. Sie sagen: Das Vertragsverhältnis endet
mit dem Tod; das muss so sein. Ich halte Ihnen entgegen:
Zumindest in denjenigen Heimen, wo die Wohnkompo-
nente, das Wohnverhältnis bzw. das Mietverhältnis im Vor-
dergrund stehen, bewirken Sie damit im Ergebnis eine Er-
benschutzklausel und – durchdenken Sie es einmal! – eine
Umverteilung der Kostenlast auf die übrigen Heimbewoh-
nerinnen und Heimbewohner. Das kann doch nicht wahr
sein. Das ist eine unsachgemäße Regelung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Arne Fuhrmann [SPD]: Nein, nein, das ist nicht so!)


Ich möchte noch auf eine andere Norm hinweisen. Die-
ser Gesetzentwurf versucht in vielem Antworten auf Fra-
gen zu geben, die es gar nicht gibt. Betrachten wir einmal
den Aspekt der Kürzungen von Leistungen. Natürlich
müssen Leistungen gekürzt werden können, wenn sie un-
qualifiziert sind und wenn es Mängel gibt. Aber dieser
Anspruch ist bereits im guten alten BGB enthalten.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Da müssen Sie den alten Leuten das BGB zum Vertrag heften! Das ist schwer!)


Dem durch dieses Gesetz eine Spezialnorm hinzuzufü-
gen, legt den Verdacht nahe, dass Sie so vorgehen, weil es
so fortschrittlich wirkt. Wir brauchen aber keine Überre-
gulierung, sondern Einfachheit der Rechtsnormen und
Rechtsklarheit. In dieser Hinsicht liegen wir – darüber
werden wir diskutieren müssen – mit dem BGB recht gut.

Ich nenne ein anderes Beispiel. In diesen Sachzusam-
menhang passt die Bildung von Arbeitsgemeinschaften.
Sie schreiben, dass Arbeitsgemeinschaften der Beteilig-
ten, der Kostenträger, der Pflegekassen, der Heimträger
und eine Heimaufsicht gebildet werden müssen. Weil es
vernünftig ist und ungeheuer nahe liegt, gehört es doch
zur täglichen Wirklichkeit, dass alle Beteiligten – ich
glaube, nahezu flächendeckend in dieser Republik – die
Zusammenarbeit suchen; denn es ist notwendig.


(Arne Fuhrmann [SPD]: Die Praxis ist doch etwas anders!)


– Nein, so sieht die Praxis aus. – Sie beabsichtigen, eine
Bundesnorm zu schaffen, die in diesem Fall eine Ver-
pflichtung auferlegt. Warum können Sie sich nicht von
diesem bundesgesetzlichen Zentralismus lösen? Bundes-
gesetzlicher Zentralismus durchzieht diesen ganzen Ge-
setzentwurf. In Bezug auf die Heimaufsicht habe ich Ih-
nen das bereits beschreiben können.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Komisch, dass der Bundesrat das alles unterstützt hat!)


Ich will noch eine andere Norm ansprechen. Es stimmt
uns sehr skeptisch, in welchem Umfang der Gesetzent-
wurf personenbezogene und übrigens auch betriebsbezo-
gene Daten zum Austausch freigibt. Personenbezogene
Daten dürfen in nicht anonymisierter Form den Pflege-
kassen übermittelt werden, wenn es im Sinne des Sozial-
gesetzbuches ist. Eine so weit gefasste – scheunentor-
weite – Formulierung bedeutet die Schaffung eines
Einfallstors für Verstöße gegen den Datenschutz. Ich
wundere mich eigentlich, dass die selbst ernannten Grals-
hüter des Datenschutzes nicht hellwach werden, wenn
eine solche Regelung in einem Gesetzentwurf auftaucht.
Auch und gerade Pflegebedürftige müssen davor ge-
schützt bleiben, gläserne Patienten zu werden,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


wenn wir die Würde der Menschen bewahren wollen.
Nur noch ein Stichwort: Zu den Mängeln des Gesetzes

gehört, dass durch standardisierende und nivellierende
Vorschriften, nämlich durch den Zangengriff, dass das
Entgelt, das die Bewohnerinnen und Bewohner zu zahlen
haben – eben, Herr Fuhrmann, von Ihnen noch gefeiert –,
vereinheitlicht wird und Investitionen, soweit Entgeltwir-
kungen damit verbunden sind, dem Kriterium der Be-
triebsnotwendigkeit unterworfen werden, einem ganzen
Bereich altengerechten Wohnens der Garaus gemacht
wird. Das gilt insbesondere für die Wohnstifte in Deutsch-
land. Sie wollen nivellieren, das Niveau standardisieren.
Das ist ein zentralistischer Regelungsanspruch.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mich wundert, dass die CDU/CSULänder das dann alles befürworten!)


Wir sind entschieden dagegen. Wir wollen Vielfalt und ein
differenziertes Angebot.

Insgesamt wollen wir einen kritisch-konstruktiven
Dialog mit Ihnen führen. Ausgehend von gemeinsamen
Grundzielen möchten wir über die Kritik an Detailfragen
zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Das gelingt
uns, wenn wir uns bemühen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Arne Fuhrmann [SPD]: Das war ein gutes Wort zum Schluss!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415823400
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5395, 14/5547, 14/5399 und
14/5565 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer

(Augsburg)

F.D.P.




Gerald Weiß (Groß-Gerau)

15482


(C)



(D)



(A)



(B)


Ende der Exklusivlizenz für die Deutsche Post
zum 31. Dezember 2002
– Drucksache 14/5333 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sieben Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Rainer Funke von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.


(Jörg van Essen [F.D.P.] Jetzt geht die Post ab! – Gegenruf des Abg. Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Bei Funke? Na, ja!)



Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1415823500
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Absicht der Bundesregierung und vor al-
lem des Bundeswirtschaftsministers, das Postmonopol
über den 1. Januar 2003 hinaus zu verlängern, zeugt von
einem tiefen Misstrauen in die Marktwirtschaft.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)

Das verwundert mich bei einem Bundeswirtschaftsminis-
ter ganz besonders.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber nicht bei dieser Regierung!)


Im Zuge der Postreform II haben die damaligen Koaliti-
onsfraktionen CDU/CSU und F.D.P., aber auch die SPD
das Grundgesetz in Art. 87 f geändert und bestimmt, dass
im Bereich des Postwesens die Dienstleistungen privat-
wirtschaftlich durch die aus dem Sondervermögen Deut-
sche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen und
durch private Anbieter erbracht werden.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Genauso ist es!)

Das heißt eindeutig, dass die Post AG und die privaten
Anbieter gleichberechtigt am Markt tätig sein sollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Postgesetz ist geregelt worden, dass das Monopol
für die Beförderung von Briefen bis zu 250 Gramm für
eine Übergangszeit bei der Post AG verbleiben solle.
Diese Exklusivlizenz sollte am 31. Dezember 2002 aus-
laufen.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Aus guten Gründen!)

Dieses Postgesetz einschließlich des Auslaufens der Ex-
klusivlizenz kam im Vermittlungsausschuss als Kompro-
miss zustande. Dieser Kompromiss wurde von der
CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. getragen. Es ist kein
Geheimnis – jedermann weiß es –, dass die F.D.P. durch-
aus bereit war, diese Exklusivlizenz auch schon früher
auslaufen zu lassen. Im Vermittlungsausschuss mussten
wir den Kollegen der SPD und der CDU/CSU aber entge-
genkommen, weil auch wir dieses Postgesetz wollten. Im
Übrigen wollte dies auch der jetzige Staatsminister im

Bundeskanzleramt, der Kollege Bury, der im Vermitt-
lungsausschuss vehement für den 31. Dezember 2002
gekämpft hat.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Damals war er noch marktwirtschaftlich!)


– Daran habe ich große Zweifel. Auch damals war es um
seine Marktwirtschaftlichkeit nicht ganz so gut bestellt,
lieber Herr Kollege van Essen.

Wenn heute der Bundeswirtschaftsminister von diesem
Kompromiss abweichen will, dann ist das nicht nur ver-
fassungswidrig – worauf namhafte Verfassungsrechtler
hinweisen –,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das ist doch nur die halbe Wahrheit, die Sie hier erzählen!)


sondern dies zeugt auch davon, wie sehr man sich, lieber
Herr Kollege Barthel, auf ein gegebenes Wort der SPD
verlassen kann.

Da gilt auch nicht der Grundsatz, dass man einfache
Gesetze mit einfachen Mehrheiten ändern kann. Zwar
kann sich der Bürger nicht darauf verlassen, dass ein ein-
faches Gesetz ewig Bestand hat. Aber jeder Sachkundige
weiß – vielleicht mit Ausnahme des Bundeswirtschafts-
ministers –, dass man ein Postdienstnetz nicht von heute
auf morgen aufbauen kann, sondern drei bis fünf Jahre
dazu benötigt. Das haben Feldversuche ergeben.

Die Investoren müssen einen gewissen Vorlauf haben
und müssen sich auch darauf verlassen können, dass der
Gesetzgeber bei den beschlossenen Fristen bleibt. Ein
Eingriff des Gesetzgebers kurz vor Auslaufen der
Exklusivlizenz verstößt nicht nur gegen Eigentums-
rechte der Investoren gemäß Art. 14 des Grundgesetzes
– das dürfte den meisten bekannt sein, aber vielleicht Ih-
nen nicht, Herr Barthel –,


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So eine Polemik!)


sondern erschüttert auch das Vertrauen der Bürger in die
Rechtskraft und Rechtswirkung von Gesetzen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Eine Entscheidung der Bundesregierung, die Exklusiv-

lizenz für die Post AG zu verlängern, wird nicht nur viel
Geld aus dem Haushalt als Entschädigung für die Inves-
toren kosten, sondern auch das Vertrauen des Bürgers in
von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetze er-
schüttern.

Will man die Exklusivlizenz verlängern, müssten
höherrangige und höherwertige Interessen vorhanden
sein. Wir haben schon damals bei der Beratung im Ver-
mittlungsausschuss gewusst, dass die Vorstellungen der
nordeuropäischen Länder unseren Vorstellungen von
Wettbewerb, Marktwirtschaft und privater Wirtschaft
mehr entsprechen als die Vorstellungen von Frankreich
und beispielsweise der südeuropäischen Länder. Seit
dem Beschluss des Bundestages ist also überhaupt keine
neue Situation eingetreten. Wir haben immer gewusst,
dass Frankreich und die südeuropäischen Länder bei der




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

15483


(C)



(D)



(A)



(B)


Aufgabe des Postmonopols eher zurückhaltend sein wer-
den.

Wir haben uns auch sonst noch nie um diese Fragen
gekümmert, etwa als es darum ging, die Postunternehmen
– damals zum Beispiel die Telekom – in den Wettbewerb
zu entlassen. Wir haben auch damals gewusst, dass die
Franzosen in dieser Angelegenheit etwas zurückhaltender
sind. Aber wir haben damals schon gezeigt, dass der Weg
in Richtung mehr Wettbewerb und Marktwirtschaft rich-
tig ist und dem Bürger zugute kommt. Den Mut sollten wir
auch in Bezug auf die Post AG haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Sofort sind die Franzosen gefolgt!)


Interessanterweise fordert der Vorstand der PostAG nicht
eine Verlängerung der Exklusivlizenz, weil die Post AG
weiß, dass sie ein modern aufgestelltes Logistikunterneh-
men mit gutem Management und mit guten Mitarbeitern
ist.

Die Post AG braucht keinen Wettbewerb zu scheuen.
Der Wettbewerb stärkt alle am Wettbewerb teilnehmen-
den Unternehmen. Das sollte eigentlich der Wirtschafts-
minister, der ja einer der Nachfolger von Professor
Ludwig Erhard ist, wissen. Er sollte sich auch der Markt-
wirtschaft und dem Wettbewerb verpflichtet fühlen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415823600
Für die
Bundesregierung hat jetzt die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Margareta Wolf das Wort.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415823700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
ehrter Herr Funke! Die Bundesregierung beabsichtigt, die
Exklusivlizenz derDeutschen PostAG um fünf Jahre zu
verlängern.

Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist schlimm!)
Das tun wir nicht deshalb, weil wir Monopole so schön
finden, sondern weil uns unter vernünftiger Betrachtung
der Welt um uns herum nichts anderes übrig bleibt.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Ausgangspunkt der Überlegungen zur Verlängerung

der Exklusivlizenz ist im Wesentlichen die Entwicklung
der Postpolitik innerhalb der Europäischen Union.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Es gibt eben doch etwas Neues!)


Dort ergeben sich nicht die Fortschritte, die sich die Bun-
desregierung bisher erhofft hatte. Die Europäische Kom-
mission hatte zwar am 30. Mai letzten Jahres endlich ei-
nen Vorschlag für eine neue Postdienste-Richtlinie
vorgelegt. Grundsätzlich hat die Bundesregierung – das
wissen Sie auch – diesen Vorschlag begrüßt, weil er einen
weiteren Schritt zur Öffnung der Postmärkte ab 2003 ent-

hielt. Wir hätten den Vorschlag der Kommission aller-
dings noch heftiger begrüßt, wenn er auch einen Zeitplan
für die vollständige Öffnung der Postmärkte enthalten
hätte.

An dieser Stelle möchte ich auch dem Vorwurf entge-
gentreten, dass sich die Bundesregierung nicht energisch
genug für eine Marktöffnung im Postbereich eingesetzt
habe. Bereits im Vorfeld des Kommissionsbeschlusses
standen wir in engem Kontakt mit den beiden deutschen
Kommissaren in Brüssel, die sich beide nachhaltig für die
Position der Bundesregierung eingesetzt haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Nicht nur innerhalb der Kommission, sondern auch im
Europäischen Parlament und im Ministerrat – das ist auch
bekannt – sind die Befürworter und die Gegner weiterer
Marktöffnungsschritte im Postbereich in etwa gleich
stark. Dies erklärt, warum in den letzten Monaten bei der
Formulierung einer zukunftsgerichteten europäischen
Postpolitik keine nennenswerten Fortschritte zu erzielen
waren.

Die gegenwärtige Präsidentschaft betrachtet die Post-
politik nicht als vorrangig. Wir bemühen uns zwar, die
Postdienste-Richtlinie auf der Tagesordnung zu halten.
Absehbar ist jedoch, dass wir mit der Verabschiedung ei-
nes gemeinsamen Standpunktes im Ministerrat kurzfristig
nicht rechnen können.

Ein Blick auf den Zeitplan zeigt, dass die Zeit auf der
europäischen Ebene noch nicht stark genug drängt, um
Kompromisse zu erzwingen. Die gegenwärtige Richtlinie
– das wissen Sie – läuft erst Ende 2004 aus. Selbst für ein
möglicherweise notwendig werdendes Vermittlungsver-
fahren zwischen Europäischem Parlament und Minister-
rat bleibt aus heutiger Sicht noch reichlich Zeit.

Dagegen läuft nach gegenwärtiger Rechtslage in
Deutschland die Exklusivlizenz Ende 2002 aus. Dies
zwingt uns – so meinen wir – zum Handeln, da die Bun-
desregierung nicht beabsichtigt, das nationale Restmono-
pol auslaufen zu lassen, ohne zu wissen, wie es innerhalb
der EU weitergeht.

Die Bundesregierung befürwortet ein gemeinsames
Vorgehen innerhalb der Europäischen Union, auch im
Postbereich. Damit haben wir in der Vergangenheit gute
Erfahrungen gemacht, beispielsweise bei der Telekom-
munikation. Darauf haben Sie, Herr Funke, hingewiesen.
Eher schlechte Erfahrungen hat Deutschland dagegen mit
der einseitigen vollständigen Marktöffnung in den Berei-
chen von Strom und Gas gemacht, in denen wir auch heute
noch keine gleichgewichtige europäische Marktöffnung
haben. Dies wirkt nach.

Wir wollen vermeiden, dass Postunternehmen aus ge-
schlossenen oder nahezu geschlossenen Märkten in einem
vollständig geöffneten deutschen Markt tätig werden kön-
nen. Der deutsche Postmarkt ist der mit Abstand größte in
Europa und überdies mit seiner zentralen Lage für alle
ausländischen Postunternehmen sehr lukrativ.

Ungleiche Wettbewerbschancen würden – so meinen
wir – zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Den Preis




Rainer Funke
15484


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(D)



(A)



(B)


dafür müssten vor allen Dingen die Kunden, die deut-
schen Postunternehmen, aber auch die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer zahlen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD und der PDS – Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist der Fall!)


Allein mit wettbewerbsrechtlichen Instrumenten wäre
missbräuchliches Verhalten nur im Nachhinein zu sank-
tionieren. Die Bundesregierung kann und wird eine Be-
einträchtigung unternehmerischer Strukturen in Deutsch-
land nicht billigen. Entweder gibt es fairen Wettbewerb
oder keinen; unfairen Wettbewerb werden wir nicht zu-
lassen.


(Beifall des Abg. Klaus Barthel [Starnberg] [SPD])


Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu den Briefent-
gelten sagen. Mit der Verschiebung der vollständigen
Marktöffnung im Postbereich müssen die Verbraucher je-
doch nicht unbedingt auf sinkende Preise verzichten. Das
Postgesetz sieht vor, dass sich die Briefentgelte an den
Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orien-
tieren haben. Die Deutsche Post AG hat in puncto Effizi-
enz in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gemacht,
übrigens in Erwartung des Wettbewerbs. Es bedarf also
keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen,
dass die Briefentgelte ab 2003 tendenziell sinken könnten.
Damit werden dem Verbraucher die Preisvorteile, die der
Wettbewerb ansonsten – wenn auch nicht kalkulierbar –
mit sich brächte, grundsätzlich nicht vorenthalten. Wir
sind darüber im Gespräch.

Das Handeln der Bundesregierung im Postbereich wird
von der Einsicht in das Notwendige und in das Machbare
bestimmt. Indem die Bundesregierung bereits jetzt die
Änderung des Postgesetzes ankündigt, schafft sie Klarheit
darüber, was auf die Unternehmen im Postbereich ab
2003 zukommt. Im Sinne von Max Weber beweist die
Bundesregierung damit Augenmaß. Wünsche zu formu-
lieren ist hingegen ein Vorrecht der Opposition.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb na-
mens der Bundesregierung, den vorliegenden Antrag in
der parlamentarischen Beratung abzulehnen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415823800
Als
nächster Redner hat der Kollege Elmar Müller von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1415823900
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! So weit also die Mit-
telstandsbeauftragte dieser Bundesregierung, Kollege
Funke. Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung, die
diese Dame vollzogen hat.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Aber sie glaubt das doch selber nicht!)


Zunächst gratuliere ich – ich meine das überhaupt nicht
ironisch – der Deutschen PostAG herzlich dazu, dass sie
am Montag mit einem Anteil von 1,53 Prozent in den Dax
kommt. Das ist eine reife Leistung dieses Unternehmens;
das hat es verdient. Die Vorstände und Manager dieses
Unternehmens, an der Spitze Herr Zumwinkel, machen
auch einen guten Job, wenngleich zumindest einige derer,
die sich mit der Post beschäftigen, mit der Postpolitik, wie
sie vorgegeben wird, nicht immer einverstanden sind.
Aber das ändert nichts daran, dass man dies respektvoll
bemerken darf.

Meine Damen und Herren, ich greife, gerichtet an die
SPD-Fraktion, Herr Kollege Barthel, weit in die Ge-
schichte zurück. Seit der Französischen Revolution im
Jahre 1789 gibt es das unveräußerliche Menschenrecht
der Berufs- und Gewerbefreiheit.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Seit wann haben Sie es denn mit der Französischen Revolution? – Gegenruf des Abg. Rainer Funke [F.D.P.]: Sie kennen nur Marx!)


Nun wissen wir allerdings, dass es Regierungen gibt, die
sagen, sie verzichteten überall dort gern auf Berufs- und
Gewerbefreiheit, wo die Kasse klingelt. So sind wir an ei-
nem Punkt angelangt, der diese Regierung ganz besonders
auszeichnet.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit war das! Sie kommen immer nur bis zum ersten Komma!)


Das Briefbeförderungsmonopol bedeutet bei uns
ganz konkret, dass Briefe mit einem Gewicht von unter
200 Gramm und Infopost mit einem Gewicht von unter
50 Gramm nur von einem Unternehmen befördert werden
dürfen und dass alle anderen Unternehmen aus dieser
Branche ausgeschlossen sind. Dabei gilt seit 1997 – als
wir das Postgesetz geschaffen haben –, dass der Wettbe-
werb die Regel und das Monopol die zu begründende
Ausnahme sei. An diesem Punkt haben wir richtig gehan-
delt, auch wenn Herr Funke gesagt hat, es hätte etwas
schneller kommen können. Aber wir haben eine vernünf-
tige Linie gefunden.

Damit sollte für den Verbraucher und für die Wirtschaft
der Zugang zu preiswerten und kundengerechten Post-
dienstleistungen sichergestellt werden. Dass es in der
Praxis anders ist, Herr Barthel, erleben wir ja derzeit bei
einer Post, die sich über Einnahmen und Gewinne nicht
beklagen kann. Trotzdem erreichen uns täglich Berichte
über irgendwelche Missstände. Zuletzt haben wir – Sie
genauso wie ich – einen Brief der Diamant- und Edel-
steinbörse auf den Tisch bekommen. Allein aus der Strei-
chung des Wertbriefversandes im Jahre 1999 und der Ver-
änderung der allgemeinen Geschäftsbedingungen im
vergangenen Jahr sind dieser Branche inzwischen in
523 Fällen Verluste in Höhe von 2,5 Millionen DM ent-
standen. Ein zweites Beispiel – darüber werden wir uns
auch noch unterhalten – ist die Frage der Massendrucksa-
chen: Bis hinunter in die kleinsten Dörfer sollen nun Ein-
lieferungen im Wert von weniger als 500 DM nicht mehr
möglich sein. Man stelle sich das einmal vor. Das betrifft
vor allem jene Gemeinden, die im Fremdenverkehrsbe-
reich tätig sind. Sie fragen: Wie sollen wir in einer kleinen




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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(A)



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Gemeinde mit 800 Einwohnern auf einen Umsatz von
500 DM kommen?


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Da gibt es doch den freien Wettbewerb, Herr Müller! Wo ist denn da das Problem? Das ist doch kein geschützter Bereich! Es wird doch niemand gehindert, Briefsendungen auszuteilen!)


– Genau das ist das Thema. Herr Barthel, jetzt will ich aus
einem Brief zitieren, der dem Kollegen Ernst Hinsken
dazu zugegangen ist. Das ist nun wirklich interessant:

Die von einigen Kunden geforderten Ausnah-
meregelungen für kleine Gemeinden, Vereine usw.
würden dem durch die Einführung einer Mindestaus-
lieferung verfolgten Zweck der Effizienzsteigerung
zuwiderlaufen, denn gerade bei kleinen Sendungs-
mengen stehen die Einnahmen zu den entstehenden
Bearbeitungskosten in einem besonders ungünstigen
Verhältnis.

(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das müssen Sie schon noch erklären, warum es anders wird, wenn der Markt freigegeben wird!)


So weit die Post. Da sagen Sie, wir müssten dieses
System beibehalten. Herr Kollege Barthel, ich denke, dass
Sie durchaus noch einmal darüber nachdenken sollten,
wie Sie das verantworten wollen.

Eine Verlängerung der Exklusivlizenz stößt sowohl auf
verfassungsrechtliche Widerstände wie auch auf erhebli-
che europarechtliche Probleme, weil die Überleitungsre-
gelungen in Art. 143 b Grundgesetz, die durch Gesetz von
1994 in das Grundgesetz aufgenommen wurden, durch
das 1997 verabschiedete Postgesetz mit der einmaligen
Verlängerung der Exklusivlizenz ausgeschöpft sind. Eine
darüber hinausgehende Beschränkung der Berufsfreiheit
ist mit Sicherheit – davon kann man heute ausgehen – mit
Art. 12 Grundgesetz nicht vereinbar. Es wird dazu ver-
mutlich ein Verfahren geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind jetzt an einem Punkt, meine Damen und Her-

ren, an dem ich gespannt darauf warte, was die Kollegin
der Grünen dazu zu sagen hat. Wir haben ja gehört, dass
die Grünen gegen eine Verlängerung sind.

Das ist möglicherweise der gleiche Vorgang wie vor
einem Jahr, als die Kollegin Wolf beim Portostreit öf-
fentlich bekannte, dass der Minister mit seinem Eingriff
in die Portoregelung falsch gehandelt habe. Als wir dann
hier darüber diskutierten, wurde das alles zurückgenom-
men und gesagt, das sei alles nicht so gemeint gewesen.

Ich befürchte, Frau Kollegin Hustedt, dass Sie auch in
der Frage der Verlängerung der Exklusivlizenz wahr-
scheinlich bereits in wenigen Tagen – zumindest nach der
Landtagswahl – wieder den Kotau vor Ihrem Koali-
tionspartner machen werden und Ihr vermeintlicher Wi-
derstand wahrscheinlich sehr schnell beendet sein wird.

Eines, meine Damen und Herren, ist beim Portostreit
des vergangenen Jahres völlig klar geworden: Ohne Kon-
kurrenz gibt es für die Post AG überhaupt keinen Grund,
ihre Preise zu senken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Post AG nennt sich zwar heute Global Player, aber
immerhin 90 Prozent ihrer Gewinne schöpft sie auch
heute noch aus den alten Produkten, das heißt aus der Ex-
klusivlizenz. Da soll einer sagen, sie verdiene als Global
Player heute weltweit ihr Geld. Nein, in dieser Frage muss
man einfach sagen: Der Bundesbürger wird mit überhöh-
ten Portopreisen und durch eine Verlängerung der Exklu-
sivlizenz zugunsten eines Unternehmens noch mehr und
noch länger geschröpft.

Diese Frage müssen Sie als Koalition schon beantwor-
ten: Darf es möglich sein und ist es rechtlich richtig, dass
sich eine Regierung zugunsten eines Unternehmens der-
artig ins Zeug legt und sagt, dieses Unternehmen darf dick
und fett werden, während die anderen, die vor der Tür ste-
hen, ruhig warten sollen?

Sie sollten in dieser Frage endlich zu einer wettbe-
werbsorientierten Politik zurückfinden, vor allem zu einer
Politik, die im Zusammenhang mit der Förderung des
Mittelstandes positiv genannt werden kann.

Dies meine ich vor allem im Zusammenhang mit den
Arbeitsplätzen, Herr Kollege Barthel. Ich war vorhin
schon etwas erstaunt, Frau Staatssekretärin, als Sie mit
Arbeitsplätzen argumentierten. Es ist wirklich das Ge-
genteil der Fall.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415824000
Herr Kol-
lege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Funke?


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1415824100
Aber selbst-
verständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415824200
Bitte,
Herr Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1415824300
Herr Kollege Müller, kennen
Sie ein an der deutschen Börse notiertes privatwirtschaft-
liches Unternehmen außer der Post AG, das eine Mono-
polrente an die Aktionäre ausschütten kann und das durch
den Staat fett gemacht wird?


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1415824400
Ich würde
gerne ausführlicher antworten, aber ich kann Ihnen sagen,
Herr Kollege Funke: Das gibt es nicht; das ist in der Tat
ein Widerspruch in sich. Daran wird das Fehlerhafte die-
ser Diskussion deutlich,


(Rainer Funke [F.D.P.]: Die Absurdität!)

auch die Absurdität dieser Entwicklung. Ich bedanke
mich für diese Feststellung und schließe mich ihr vorbe-
haltlos an.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wer hat ihm die Frage aufgeschrieben?)


F
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415824500
Sie wissen, dass die Post AG in den letzten
Jahren 150 000 Arbeitsplätze abgebaut hat. Das musste




Elmar Müller (Kirchheim)

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(C)



(D)



(A)



(B)


sein; denn sie war mit Arbeitsplätzen übermäßig ausge-
stattet. Das hatte mit dem alten System, vor allem mit den
Gewerkschaften zu tun. Allerdings wurde hier – im Ge-
gensatz zur Telekommunikation – aufgrund der Exklusiv-
lizenz der Wettbewerb verhindert und damit die Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze.

Wir haben in diesem Bereich über 800 Lizenznehmer.
Diese Lizenznehmer haben inzwischen trotz ihres gerin-
gen Umsatzes immerhin rund 4 000 Vollzeitarbeitsplätze
und etwa 20 000 Teilzeitarbeitsplätze geschaffen. Genau
hier liegt das Potenzial, das Sie in den nächsten Monaten
bräuchten. Sie werden in den nächsten Monaten – alles
spricht ja dafür, dass wir auf dem Arbeitsmarkt in eine
schwierige Phase geraten – in die Situation geraten, Lang-
zeitarbeitslose und gerade solche, die nicht die höchste
Qualifikation haben, genau für solche Arbeiten aktivieren
zu können. Hier wird von Ihnen die Chance vertan, Ar-
beitslose und Langzeitarbeitlose wieder in den Arbeits-
markt zurückzubringen, was wirklich schade ist. Auf die-
sem Markt kann im Grunde genommen doch nur durch
einen Wettbewerb, an dem vor allem der Mittelstand be-
teiligt ist, durch neue Produkte und neue Impulse etwas
geschehen.

Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen nennen: In der
Bundesrepublik Deutschland werden pro Einwohner
und Jahr etwa 250 Briefe versandt. In den USA sind es
700 Briefe pro Einwohner im Jahr bei wesentlich gerin-
geren Portokosten.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Dort gibt es aber ein viel größeres Postmonopol als bei uns, einen wesentlich größeren reservierten Bereich und eine Staatspost dazu!)


Im nordeuropäischen Bereich, bei unseren skandina-
vischen Nachbarn, sind es immerhin noch doppelt so
viele wie bei uns. Herr Kollege Barthel, Sie mögen sich
darüber lustig machen, aber das hat damit zu tun,


(Klaus Barthel sich das Briefmonopol in den USA an!)


dass in Schweden und Finnland seit 1993 die Monopol-
situation aufgehoben worden ist. Dort kann aber niemand
behaupten, dass die Postinfrastruktur, worauf die Bürger
einen Anspruch haben, in irgendeiner Weise beeinträch-
tigt worden ist. Im Gegenteil, die Bürger haben dieselben
Möglichkeiten wie vorher, aber mittelständische junge
Unternehmen haben dort eine Chance bekommen.

Herr Kollege Barthel, da Sie mir nicht glauben, will ich
einen Kollegen aus Ihrer Fraktion zu diesem Thema mit
einem fast klassischen Beitrag für ein Lehrbuch zur Be-
triebwirtschaftslehre zitieren. Kollege Professor Uwe
Jens, der bei solchen Gelegenheiten überhaupt nicht re-
den darf, hat vor wenigen Tagen in der „Frankfurter All-
gemeinen Zeitung“ Folgendes geschrieben:

Doch hat der Wirtschaftsminister Politik für einzelne
Unternehmen oder für die ganze Volkswirtschaft zu
betreiben? Ist es sinnvoll, deutsche Unternehmen für
den Weltmarkt staatlich zu füttern, damit sie dort un-
sere Interessen vertreten? Für die Gesamtwirtschaft
ist dies verhängnisvoll.

Weiter sagt er:
Die kleinen und mittleren Unternehmen haben nur
Nachteile davon. Geschwächt wird das dynamische
Element der Gesamtwirtschaft.

Professor Jens schließt dann mit den Worten:
Deutschlands Wirtschaft profitiert von offenen Welt-
märkten.

Diese Weltmärkte können nicht dort, wo es politisch op-
portun ist, geschlossen werden, wie es diese Regierung
nach Gutsherrenart vorhat, sondern man muss schon bei
einer bestimmten ordnungspolitischen Linie bleiben. Das
tun Sie derzeit aber nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Post AG
hat, wie gesagt, in den letzten Jahren eine Menge Arbeits-
kräfte entlassen müssen und es wird in der Tat verhindert,
dass andere, neue Unternehmen diesen Arbeitskräfte-
abbau ausgleichen können. Das ist ein Versäumnis, das
ich nur immer wieder beklagen kann. Sie können noch so
viele Argumente finden,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Argumente nutzen bei Ihnen nichts!)


aber es wird Ihnen nicht gelingen, die Binsenweisheit,
dass durch Wettbewerb neue Arbeitsplätze geschaffen
werden können, auch nur im Ansatz zu widerlegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ganze zeigt mir Ihr Misstrauen, Frau Staatssekre-

tärin, gegenüber dem Mittelstand; anders kann man das
nicht bezeichnen. Wir haben in den letzten anderthalb Jah-
ren ausschließlich junge mittelständische Unternehmen
mit Lizenzen versorgt. Über 800 Unternehmen warten da-
rauf, dass dieser Markt endlich wettbewerbsmäßig neu
aufgemischt werden kann. Eine ganze Menge neuer Pro-
dukte – die Post hat es natürlich nicht nötig, diese anzu-
bieten – könnte auf den Markt kommen. Ich frage Sie
wirklich, ob es sein muss, dass ein Brief innerhalb Berlins
den gleichen Portowert hat wie ein Brief zum Beispiel von
Garmisch nach Flensburg, oder ob ein Brief, der am
nächsten Tag ankommen muss, den gleichen Tarif haben
muss wie ein Brief, den mir meine kurlaubende Tante
schreibt und der erst nächste Woche ankommen muss.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie wollen das Ende der Tarifeinheit! Das werden wir uns merken!)


– Herr Kollege Barthel, Sie unterstützen doch im Hinblick
auf die Telekom genau diesen Punkt,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Über die Telekom reden wir auch noch!)


indem Sie sagen: Die unterschiedliche Stärke des in den
Regionen bestehenden Marktes muss aufgebröselt wer-
den. – Auf dem Postmarkt aber verweigern Sie sich einer
solchen Lösung.

Meine Damen und Herren, die rot-grüne Bundesregie-
rung will mit dieser Mittelstandsfeindlichkeit neue Struk-
turen schaffen. Wir sagen jedoch: Marktpositionen dürfen
nicht durch Machtpositionen verfestigt werden, sondern




Elmar Müller (Kirchheim)


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(A)



(B)


müssen durch Leistung immer wieder neu errungen wer-
den. Deshalb ist und bleibt die Union die Partei des fairen
Wettbewerbs und des Mittelstandes. Daher muss das, was
derzeit im Gesetz steht, nämlich dass das Monopol Ende
2002 ausläuft, bestehen bleiben. Einen anderen Weg darf
es nicht geben.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415824600
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415824700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kurs der
Telekomaktie steigt wieder. Der Hintergrund ist, dass die
Hauptversammlung von Voicestream gestern der Über-
nahme durch die Telekom zugestimmt hat. Das heißt, der
Kurs der Telekomaktie steigt in Abhängigkeit davon, ob
die Übernahme von Voicestream durch die Telekom
klappt. Daran kann man erkennen – auch wenn man nicht
immer alles das versteht, was an den Börsen passiert –,


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das sieht man!)

dass Aktienkurse nicht nur vom Gewinn, sondern auch
von ganz anderen Dingen abhängen.

Ich frage mich, ob man sicher sein kann, dass der Kurs
der Postaktie steigt, wenn man das Monopol der Post be-
seitigt, ob ein Unternehmen, das durch den Staat künstlich
gestützt wird, für Investoren nicht Unsicherheiten mit sich
bringt, weil sich dieses Unternehmen nicht auf den Markt
eingestellt hat.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Richtig! Das ist auch nicht der Sinn der Übung!)


Mein Eindruck ist, dass in den großen Volksparteien,
im Übrigen auch in der CDU/CSU, häufig Skepsis ge-
genüber dem Wettbewerb und dem Markt bei Übergängen
von Monopolen zu Wettbewerbssituationen herrscht. Da-
hinter stecken natürlich teilweise berechtigte Befürchtun-
gen; denn bestimmte Dinge müssen gewährleistet wer-
den. Bei der Post ist es ganz klar: Eine Versorgung mit
Postdienstleistungen, sprich: die Lieferung und die Ab-
gabe von Briefen, muss flächendeckend, also auch auf
dem Land, innerhalb eines bestimmten Zeitraums, der ak-
zeptabel sein muss, gewährleistet werden. Jeder muss an
die Postversorgung angeschlossen sein. Das gilt sehr wohl
auch für andere Märkte, zum Beispiel für den Telekom-
munikations-, den Gas- und den Strommarkt. Auch auf
diesen Märkten ist dies machbar.

Ich teile nicht die Position, dass es für den deutschen
Strommarkt schlecht war, ihn so frühzeitig für den Wett-
bewerb zu öffnen. Im Gegenteil: Die deutschen Strom-
konzerne – darauf muss man sehr deutlich hinweisen –
sind im europäischen Wettbewerb hervorragend positio-
niert. Auf lange Frist wird sich erweisen, dass die schwe-
dischen und die deutschen Stromkonzerne, die sich sehr
früh einer Liberalisierung stellen mussten, wesentlich

besser fahren als diejenigen Konzerne, die später dazuge-
kommen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Vorteile des Marktes sind eminent. Das sieht man
insbesondere an den Preisen; ich nenne beispielsweise
den Telekommunikations- und den Energiebereich. Das
nützt der Volkswirtschaft, den Verbrauchern und der In-
dustrie. Dass wir heute für 5 Pfennig pro Minute statt für
60, wie noch vor kurzer Zeit üblich, ein Ferngespräch
führen können, bietet gerade Niedrigverdienern eine
wirkliche Chance zur Kommunikation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe bedauert, dass, als die Regulierungsbehörde
im März 2000 das Porto senken wollte, Minister Müller
sie angewiesen hat, dies bis 31. Dezember 2002 konstant
zu halten. Wir haben europaweit das zweithöchste Porto.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Richtig!)

Ich halte es deswegen für wichtig, dass, wenn überhaupt
über die Verlängerung des Monopols gesprochen wird,
diese Weisung aufgehoben wird. Ich begrüße ausdrück-
lich, was Margareta Wolf gefordert hat, nämlich dass im
Wirtschaftsministerium in dieser Richtung nachgedacht
werden muss. Wir werden darüber auch weiterhin zu dis-
kutieren haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollen die

Einführung des Wettbewerbs auch für die Post und befin-
den uns deshalb in der Diskussion mit der SPD und mit
dem Wirtschaftsministerium. In der Tat gibt es auch Pro-
bleme, wenn man das Monopol verlängert. Es gibt Un-
ternehmen, die bereits entsprechend investiert haben. Ich
weiß von Unternehmen, die schon Briefsortieranlagen ge-
kauft haben und jetzt darauf sitzen bleiben.

Die Gefahr, dass ausländische Investoren kommen und
der Deutschen Post sozusagen den Markt streitig machen,
halte ich für ungeheuer gering.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Richtig!)

Man muss 600 Millionen DM Investitionskosten vor-
schießen, wenn man tatsächlich die flächendeckende Ver-
sorgung in diesem Bereich übernehmen will. Auch in an-
deren Ländern, wie Schweden und Finnland, die schon
lange weitgehend liberalisiert haben, ist das nicht passiert.
Selbst auf den kleineren Märkten hat niemand angegriffen
und diesen Bereich übernommen. In Deutschland wäre
das noch wesentlich schwieriger.

Ganz anders sieht es aber mit den Nischen aus, die ge-
rade kleine Unternehmen besetzen können. Es ist zum
Beispiel für Zeitungsverleger, die sowieso ihre Zeitung
verteilen, ganz attraktiv, vor Ort auch Briefe mitzuvertei-
len. Dabei machen sie – das gibt es teilweise schon – ganz
hervorragende Angebote, zum Beispiel die Post am selben
Tag oder über Nacht auszutragen. Es gibt auch schon An-




Elmar Müller (Kirchheim)

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(D)



(A)



(B)


gebote, bei denen das Porto, von solchen Synergieeffek-
ten getragen, eindeutig unter dem der Post liegt, also bei
etwa 80 Pfennig statt 1,10 DM.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Na, na, na!)

Ich wäre allerdings dafür, das Postmonopol auslaufen

zu lassen. Wir werden gemeinschaftlich darüber reden
und sicherlich einen Kompromiss finden. Auf jeden Fall
muss klar sein, dass man es nicht auf zwei Legisla-
turperioden hinaus verlängert, sondern dass wir uns in der
nächsten Legislaturperiode darüber unterhalten werden.

Wenn Sie jetzt eine Kompromisssuche anprangern,
dann werde ich Sie daran messen, wie im Bundesrat abge-
stimmt wird. Falls die F.D.P. nach der Wahl in Rheinland-
Pfalz, im letzten Bundesland, in dem sie mitregiert, noch
weiter in der Regierung sein sollte, was ich allerdings
nicht glaube


(Rainer Funke [F.D.P.]: Nein! In Baden-Württemberg auch noch und in Hessen auch!)


– gut, aber da haben Sie ja sowieso nichts zu sagen –,

(Rainer Funke [F.D.P.]: Schlecht informiert!)


wenn Sie also noch mit Beck zusammen regieren sollten,
dann werde ich genau darauf achten, wie sich die F.D.P.
im Bundesrat verhalten wird; denn soweit ich weiß, ist
Ministerpräsident Beck für die Verlängerung des Postmo-
nopols. Ich werde auch genau beobachten, wie die Länder
Bayern und Sachsen, wie Berlin und Hessen in dieser
Frage abstimmen werden. Dann werden wir uns hier wie-
dersehen und über diese Frage reden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hessen ist auch ein Bundesland!)


– In der Tat, Hessen ist auch ein Bundesland. Ich werde
Hessen genau beobachten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415824800
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Funke?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415824900

Ja, wenn es sein muss.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1415825000
Frau Kollegin, nach Ihrer ful-
minanten Rede habe ich fast den Eindruck, dass Sie
durchaus bereit sind, dem Antrag des Bundeswirtschafts-
ministeriums und der Bundesregierung zur Verlängerung
der Lizenz nicht die Zustimmung zu geben. Wie werden
Sie sich denn nun verhalten, wenn der Antrag der Bun-
desregierung eingebracht wird, das Gesetz zu ändern und
die Exklusivlizenz zu verlängern?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen Spannung muss sein!)



Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415825100

Da hat Herr Schmidt völlig Recht: Ein bisschen Spannung
muss sein.

Ich habe es in meiner Rede sehr deutlich gesagt: Wir
sind zurzeit mitten in der Diskussion über diese Frage.


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Bis zur Landtagswahl! Dann knicken Sie ein!)


Wir führen sie sehr solidarisch und gemeinschaftlich und
werden selbstverständlich – so ist es in der Politik – einen
Kompromiss finden.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Sie eiern!)

– Nein, ich eiere nicht. Sie haben eben genau dargestellt,
wie es damals gewesen ist


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Und Sie beobachten derweil die F.D.P.!)


und wie sich die F.D.P. verhalten hat: Sie wollte das Brief-
monopol wesentlich früher aufgeben, hat dem Antrag
dann aber doch zugestimmt. Haben Sie damals geeiert?


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das war im Vermittlungsausschuss!)


Nein, Sie haben sich so verhalten, wie man sich in der Po-
litik meistens verhält, wenn es unterschiedliche Vorstel-
lungen gibt: Man sucht einen Kompromiss. Das werden
wir in diesem Punkt genauso tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend warne ich gerade Sie von der F.D.P. da-

vor, die Backen so aufzublasen. – Wie gesagt: Ich werde
das Abstimmungsverhalten der Bundesländer haargenau
beobachten. – Denn sonst enden Sie genauso wie bei der
Steuerreform, dass Sie nämlich als Tiger losspringen und
als Bettvorleger landen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die F.D.P. schlottert!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415825200
Als
nächster Redner hat der Kollege Gerhard Jüttemann von
der PDS-Fraktion das Wort.

Gerhard Jüttemann (PDS) (von der PDS mit Beifall
begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor
wenigen Wochen ist bekannt geworden, dass die Deutsche
Post AG 12 000 Arbeitsplätze im Bereich Verkehr ausla-
gern wird. Das wird das Aus für 12 000 tarifvertraglich
und sozial geschützte Arbeitsplätze bedeuten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Die Postgewerkschaft nennt dieses Vorhaben zu Recht ei-
nen „platten Ausverkauf des Fahrdienstes“, der nicht hin-
zunehmen sei.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU/ CSU: Kollege Barthel wird sich gleich dazu äußern!)


Ersetzt werden sollen die vernichteten Arbeitsplätze
durch Billigjobs. Das ist das Ergebnis Ihrer Privatisie-
rungs- und Liberalisierungspolitik im Postbereich: maß-
loses Lohn- und Sozialdumping.




Michaele Hustedt

15489


(C)



(D)



(A)



(B)


Erst zu Anfang dieses Jahres ist bei der Post ein neuer
Tarifvertrag in Kraft getreten, der bei allen Neubeschäf-
tigten zu gewaltigen Lohneinbußen führt. Hätten die Ge-
werkschaften ihm nicht zugestimmt, wären weitere Tau-
sende Arbeitsplätze ausgelagert worden. „Auslagern“
heißt aber, wie wir gerade gesehen haben, nichts anderes
als vernichten. Das, was Sie schönfärberisch Wettbewerb
nennen, zersetzt das soziale Gefüge der Bundesrepublik.

Das Tempo dieses sozialen Kahlschlages erhöht sich
dabei in einer Weise, die noch vor kurzem kaum jemand
für möglich gehalten hätte. Zwischen 1995 und 2000 wur-
den laut Regulierungsbehörde 71 000 Arbeitsplätze bei
der Post platt gemacht. Natürlich drückt sich die Behörde
vornehmer aus; sie nennt das „Personalanpassung“. Wa-
rum, das werden wir gleich sehen.

Jedenfalls stehen dieser unglaublichen Zahl von 71 000
vernichteten Arbeitsplätzen insgesamt nur schlappe
27 000 Arbeitsplätze bei der Konkurrenz im Briefbereich
gegenüber. Wie sehen die neuen Arbeitsplätze aus, die
durch den Wettbewerb entstehen?


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Jetzt kommt die Wahrheit!)


Von den 27 000 Beschäftigten handelt es sich bei 16 000
um geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungs-
pflicht. So sieht die Qualität von 60 Prozent aller bei den
Konkurrenten entstandenen Arbeitplätze aus. Diesen
Skandal nennt die Regulierungsbehörde der Bundesregie-
rung vornehm „Personalanpassung“.

Nun kommt noch etwas hinzu: Der gewaltige Stellen-
abbau bei der Deutschen Post AG hatte bisher direkt mit
der Konkurrenz noch gar nichts zu tun; denn im Briefbe-
reich gab es weder Umsatz- noch Absatzrückgänge. Im
Gegenteil, es gab sogar Zuwächse. Nun kommt die F.D.P.
und fordert das Ende der Exklusivlizenz zum Ende des
Jahres 2002, damit es infolge der Konkurrenz der Turn-
schuhbrigaden endlich zu den lang ersehnten Umsatz-
und Absatzeinbußen kommt und damit die schon jetzt un-
erträgliche Entlassungswelle bei der Deutschen Post AG
zur unbeherrschbaren Lawine wird.

Übrigens ist Ihr Antrag nicht nur inhaltlich, sondern
auch formal überflüssig. Schließlich läuft der reservierte
Bereich laut Postgesetz ohnehin Ende 2002 aus. Was wir
wirklich brauchen, ist also nicht Ihren Antrag, sondern die
Änderung des Postgesetzes, um das zu verhindern. Was
derzeit aus dem Wirtschaftsministerium dazu zu verneh-
men ist, klingt vernünftig.

Inzwischen geht ja selbst die Europäische Kommis-
sion davon aus, dass der Rückgang der Gesamtbeschäfti-
gung im Postsektor bis 2007 anhalten werde. Als Grund
führt sie an – ich zitiere –, „dass der Stellenabbau durch
Effizienzsteigerungen größer ist als das durch das Markt-
wachstum bewirkte Plus“. Die Kommission hat deshalb
eine Beschäftigungsstudie in Auftrag gegeben, in der
nachgewiesen wird, dass die privaten Postkonkurrenten
schlechtere Beschäftigungsbedingungen anbieten. Die
Arbeitszeiten seien länger, die Grundlöhne geringer und
der gewerkschaftliche Organisationsrat sei erheblich
niedriger. Der europäische Ausschuss für Beschäftigung

und soziale Angelegenheiten hat deshalb eine weiter ge-
hende Liberalisierung entschieden abgelehnt. Die Aus-
wirkungen der vollständigen Liberalisierung auf die
Erbringung des Universaldienstes sind bisher überhaupt
noch nicht untersucht worden. Werden wir unterschiedli-
che Preise für gleiche Produkte bekommen? Welche
Nachteile wird es in ländlichen Regionen geben? Auch in
Deutschland liegen dazu keine Untersuchungen vor, wie
auch die sozialen Folgen für die Beschäftigten in
Deutschland nicht im Vorhinein untersucht werden. Doch
das ist die Forderung, die heute erhoben werden muss:
Untersuchen Sie die Folgen Ihrer sozialfeindlichen Post-
politik!

Ich danke. Denken Sie einmal darüber nach!

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415825300
Jetzt hat
der Kollege Klaus Barthel von der SPD-Fraktion das
Wort.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1415825400
Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Nachdem Elmar Müller selber die
Stichworte „gesamtwirtschaftliche Verantwortung“ und
„Telekom“ in die Debatte eingeführt hat, muss ich an die-
ser Stelle auf einen Vorgang eingehen, der auf den ersten
Blick nicht unmittelbar mit dem heutigen Thema zusam-
menzuhängen scheint, der mich aber sehr beunruhigt und
der letztlich auch in einem sehr engen Sachzusammen-
hang mit dem steht, was wir heute diskutieren.

Bisher habe ich Sie, Kollege Müller, für einen soliden
Kollegen gehalten, mit dem man zwar nicht immer einer
Meinung ist, der aber noch Maß und Ziel kennt.


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Was wir aber vorgestern Abend im „Heute-Journal“ sehen
und hören mussten, steht außerhalb des Hinnehmbaren.
Deswegen frage ich Sie heute: Stimmt es, Herr Müller,
dass Sie der Ansicht sind, der deutsche Telekommuni-
kationsmarkt sei nicht offen genug für US-amerikani-
sche Unternehmen? Stimmt es, dass Sie es richtig finden,
dass man die Deutsche Telekom am Zugang zum Markt in
den USAhindern soll, damit sie in Deutschland gefügiger
wird? Stimmt es, dass Sie US-amerikanischen Stellen ver-
zerrte und einseitige Informationen über die Situation auf
dem deutschen Markt zukommen lassen, die dann von den
Protektionisten vom Schlage des Senators Hollings
missbraucht werden, um den Zugang der Deutschen Tele-
kom zum US-amerikanischen Markt zu verhindern?


(Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist doch alles dummes Zeug!)


Stimmt es, dass Sie die unglaublichen Schikanen, denen
ausländische Unternehmen in den USA unterworfen sind
– mittlerweile dauert es dort über ein Jahr, bis eine Unter-
nehmensübernahme genehmigt wird –, auf eine Ebene mit
der deutschen Regulierungspolitik zerren, die – wohlge-
merkt – für den deutschen Telekommunikationsmarkt, auf
dem sich US-amerikanische Unternehmen, für die die




Gerhard Jüttemann
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(B)


Deutsche Telekom sogar die Gebühren eintreibt, be-
grüßenswerterweise mit großer Intensität und völlig un-
gehindert tummeln, zuständig ist?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Warum kommen denn jetzt die ganzen Fragen, wo er doch gar nicht mehr antworten kann?)


Stimmt es, dass Sie der Ansicht sind, dass der Wettbewerb
so aussehen muss, dass Polizei und Geheimdienste, Re-
gulierungsbehörden und Parlamente, Regierungskom-
missionen und Gerichte bei staatlicher Beteiligung an
ausländischen Unternehmen prüfen und prüfen müssen,
ob das nationale Interesse bei Unternehmenskäufen ge-
wahrt bleibt?


(Rainer Funke [F.D.P.]: Wer hat Ihnen denn den Quatsch aufgeschrieben?)


Stimmt es, dass Sie sich bei derartigen Auswüchsen auch
dadurch zum Kronzeugen der US-amerikanischen Pro-
tektionisten machen lassen, indem Sie Schauermärchen
über den deutschen Markt und angebliche Machenschaf-
ten der Bundesregierung und der SPD verbreiten?


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das stimmt! Ja!)


Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Kollege Müller: Ent-
weder Sie distanzieren sich von den dubiosen Aktivitäten
des VATM und seiner Anwälte in den USA, bei denen Sie
als Informant und Ratgeber genannt werden,


(Beifall des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])

und fordern, dass der US-Markt für europäische Unterneh-
men endlich genauso zugänglich wird, wie das umgekehrt
der Fall ist, oder Sie sind in Ihrer Rolle als Vorsitzender des
Beirates der Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post nicht mehr tragbar. Ich hoffe in unserem gemein-
samen Interesse, Sie schaffen ersteres.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])


Um dasselbe Thema, nämlich um die internationale
Vergleichbarkeit von Marktzutrittschancen und faire
Wettbewerbsbedingungen auf internationalen Märkten,
geht es auch in der heutigen postpolitischen Debatte. Lei-
der haben wir auch im Postsektor Ähnliches erlebt wie mit
Elmar Müller im Telekommunikationsbereich. Ich
meine – Herr Funke wird sich sicher erinnern – die Er-
scheinung, dass deutsche Parlamentarier – zumindest bei
einem ist es nachgewiesen – die Deutsche Post und die
deutsche Bundesregierung in Brüssel wegen angeblicher
Quersubventionierung angeschwärzt haben.

Ich stelle jetzt einmal fest: Schon heute hat die Bun-
desrepublik einen der offensten nationalen Postmärkte in
der Europäischen Union. Schauen wir uns die Situation
in Europa einmal an: In 13 von 15 Ländern gibt es reser-
vierte Bereiche; in elf Ländern ist der reservierte Bereich
größer und nur in einem kleiner als in Deutschland. In nur
einem weiteren Land ist die Post nicht mehr ausschließ-
lich in staatlichem Besitz. In nur einem weiteren Land ist
die Exklusivlizenz bisher befristet. In nur drei weiteren
Ländern gibt es einen Netzzugang für Wettbewerber. In

fünf nicht unwesentlichen Ländern gibt es einen offen zu-
gegebenen Transfer vom Staat in die nationalen Postun-
ternehmen. In kaum einem Land in Europa gibt es Pläne
oder Tendenzen in Richtung auf eine weitere Liberalisie-
rung und Privatisierung der Postmärkte.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sie sagen, es gebe seit 1997 keine neue Situation. Das

ist doch absolut lachhaft. Ich frage Sie: Weshalb sollte
sich daran etwas ändern, wenn der deutsche Markt geöff-
net wird, wenn die schon vorgezogene Liberalisierung
bisher in dieser Richtung nichts bewirkt hat? Sie führen
an dieser Stelle immer Finnland und Schweden als Bei-
spiele an und sagen, dort sei alles liberalisiert. Diese Län-
der sind Ihre großen Vorbilder.

Wie wäre es denn mit ein paar Fakten? In Schweden
sind seit der Marktöffnung 1993 die Porti für Briefe in-
klusive Mehrwertsteuer um 60 Prozent gestiegen. Dies
geschah trotz der Behauptung der F.D.P., durch eine Li-
beralisierung werde alles billiger. In Schweden steht der
Wettbewerb auf dem Papier. Trotz formaler Marktfrei-
gabe werden 95 Prozent aller Briefe von der Staatspost
ausgeliefert. Es gibt keine asymmetrische Regulierung.

Die schwedische Post hat über 41 000 Beschäftigte. Sie
ist ein staatliches Unternehmen und wirft keinen Gewinn
ab. Rechnet man einmal die Beschäftigtenzahl der schwe-
dischen Post auf die Bevölkerungszahl und Wirtschafts-
kraft Deutschlands um, müsste die Deutsche Post AG
370 000 Beschäftigte haben. Sie hat aber ein Drittel we-
niger, nämlich 240 000 Beschäftigte.

Schweden liegt am Rand Europas, hat 9 Millionen Ein-
wohner und weite ländliche Räume. Deutschland in zen-
traleuropäischer Lage hat eine neunmal so große Bevölke-
rung.

Jetzt frage ich Sie von der F.D.P.: Weshalb kann man
wohl in Schweden den Markt so leicht liberalisieren?
Weshalb ist es wohl ein Unterschied, ob man den schwe-
dischen oder den deutschen Markt öffnet? Warum haben
die postalischen Global Player und die Mittelständler so
große Lust auf Lappland?


(Heiterkeit des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])


Sind Sie bereit, mit uns zusammen eine Wirtschafts- und
Sozialpolitik nach dem schwedischen Modell zu machen,
bei dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine
Angst vor Umstrukturierungen haben müssen, weil es
dort massive sozialstaatliche Sicherungen gibt?

Wenn wir nun nicht mehr von Schweden reden wollen,
dann reden wir von halbwegs vergleichbaren europä-
ischen Ländern. Warum ist man in Italien, in Frankreich
und in Großbritannien so wenig zu weiteren Marktöff-
nungen geneigt? Das liegt daran, dass die Lage dort an-
ders als in Schweden ist. Diese Länder wissen aus Erfah-
rungen im eigenen Land, dass die Liberalisierung bei der
Post eben nicht der große Renner und deren Akzeptanz in
der Bevölkerung gering ist. In Großbritannien hat nicht
nur die Regierung gewechselt, auch die Stimmung ist zu-
gunsten des Erhalts der Post als öffentliches Unternehmen




Klaus Barthel (Starnberg)


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(D)



(A)



(B)


und zugunsten eines reservierten Bereiches völlig umge-
kippt.

Warum sind auch wir gut beraten, mit der Postlibera-
lisierung vorsichtig umzugehen? Erstens. Das viel stra-
pazierte Beispiel der Telekommunikation passt überhaupt
nicht. Die Telekommunikation und ihr Umfeld in der IuK-
Branche wachsen volumen- und umsatzmäßig dyna-
misch. Marktanteilsverluste können dort durch Volumen-
und Umsatzzuwächse leicht aufgefangen werden.

Nur ein Beispiel: In den letzten drei Jahren hat sich das
Verkehrsvolumen im Festnetz um insgesamt 60 Prozent
erhöht, allein im letzten Jahr um 26 Prozent. Die Deutsche
Telekom konnte in diesen drei Jahren ihr Volumen um
rund 25 Prozent erhöhen, obwohl ihr die Wettbewerber ei-
nen Marktanteil von 22 Prozent abgenommen haben. Ich
frage Sie: Ist hier irgendjemand im Raum, der eine ähnli-
che Prognose für den Postsektor treffen möchte? Das be-
deutete 60 Prozent mehr Briefe, mehr Massensendungen
und mehr Pakete in drei Jahren. Das wäre ein volumen-
mäßiges Wachstum von 20 Prozent im Jahresdurchschnitt.
Das ist ebenso wahrscheinlich wie die 18 Prozent für die
Drei-Pünktchen-Partei.

Zweitens. Im Postsektor gibt es durchaus Wachs-
tumschancen. Derzeit bewegt sich das jährliche Volu-
men- und Umsatzwachstum bei 2 Prozent im Jahr. Das
mögliche Wachstum wird aber nicht durch die Exklusiv-
lizenz behindert, weil dieses nicht in das Drittel des re-
servierten Postmarktes fällt, sondern in den freigegebenen
Bereich. Sie haben selber die Beispiele genannt. Es wird
niemand daran gehindert, Prospekte auszutragen oder
beim Paketservice Mehrwertdienste anzubieten.

Drittens. Was heißt das also? Bei einer zu raschen Li-
beralisierung würde in dem bisher geschützten Monopol-
bereich ein Verdrängungswettbewerb stattfinden – kein
Zuwachs an Qualität, sondern Überlebenskampf durch
Lohn- und Sozialdumping sowie ein Abbau von Leistun-
gen gegenüber den Kunden.

Viertens. Noch ein Wort zu den selbst ernannten Mit-
telstandspolitikern aus der F.D.P. und der Union: Sie tun
immer so, als sei die schnelle Marktöffnung eine Chance
für kleinere und mittlere Unternehmen. Das ist ein Mär-
chen und das wissen die UPS-Berater auch. Nur eine
schrittweise und harmonisierte Öffnung kann, wenn über-
haupt, den kleinen und mittleren Unternehmen eine
Chance geben.

Wenn wir dagegen im Jahre 2003 auf einen Schlag ein-
seitig unseren Markt öffnen, dann ist das die Stunde der
Post- und Logistikkonzerne aus den Nachbarländern. Die
kleinen und mittleren Unternehmen können nicht auf ei-
nen Schlag 600 Millionen DM aufbringen – Frau Hustedt
hat es schon angesprochen –; dies können nur große Un-
ternehmen. Wir hätten dann Verhältnisse wie im Güter-
fernverkehr und auf den Baustellen: organisiertes Lohn-
und Sozialdumping zulasten der Sicherheit, zulasten des
Mittelstandes, zulasten der Kunden, zulasten der Infra-
struktur und zulasten der Arbeitsplätze. Das wäre ein flie-
gendes Suizidkommando und das geht mit uns nicht.


(Beifall bei der SPD und der PDS)


Nur mit einer schrittweisen, sozial flankierten und mit
einer konsequenten Bekämpfung illegaler Praktiken so-
wie der Sicherung des Universaldienstes verbundenen,
europäisch abgestimmten Liberalisierung können wir die-
sen Tendenzen begegnen.

Wir laden alle recht herzlich ein, uns auf diesem Weg
zu begleiten. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufge-
geben, dass insbesondere der Bundesrat zum Beispiel bei
der Frage der Infrastruktur noch an die Länderinteressen
denkt. Rechtlich ist eine Verlängerung des reservierten
Bereichs, beispielsweise bis zum Jahre 2007, völlig un-
problematisch. Ein Blick in das Gesetz und die Erinne-
rung an das Vermittlungsverfahren zum Postgesetz von
1997 – Stichwort § 47, Herr Funke, auch wenn Sie sich
immer nur an die eine Seite des Kompromisses erinnern
können – ersparen uns sinnlose Debatten.

Zum Schluss, damit wir uns richtig verstehen: Für uns
ist ein reservierter Bereich für ein privates Unternehmen
weder eine Ideallösung noch ein Dauerzustand. Ein reser-
vierter Bereich für sich allein bewirkt nichts anderes als
Einnahmensicherheit. Aber die Entwicklungen bei der
Deutschen Post – Stichworte: Benachteiligung ländlicher
Räume durch Mindestvolumen bei Wurfsendungen, Out-
sourcingpläne in der Sparte Transport und Unterlaufen
der Universaldienstverordnung – verfolgen wir mit Sorge
und Kritik. Die Ziele und Zwecke des reservierten Be-
reichs sind und bleiben für uns klar – und wir werden sie
durchsetzen –: Kundeninteresse, Infrastruktur und Ar-
beitsplätze. Es wird also keinen Freibrief für die Post AG
geben, und zwar weder bei der Höhe des Portos ab 2003
noch bei den anderen genannten Bereichen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415825500
Kommen
Sie bitte zum Schluss!


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1415825600
Wie Sie wissen,
planen Koalitionsfraktionen und Regierung eigene Initia-
tiven zum weiteren Vorgehen in der Postpolitik. Unter
Hinweis darauf und in der Hoffnung, dass gemeinsames
Nachdenken doch noch zur Einsicht führt, weisen wir den
F.D.P.-Antrag heute nur inhaltlich zurück, stimmen aber
einer Überweisung an die Ausschüsse zu.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415825700
Zu einer
Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen
Elmar Müller.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1415825800
Herr Kollege
Barthel, Sie hatten etwas angesprochen, das mich, wie
viele andere auch, seit 24 Stunden amüsiert. Ich habe es
persönlich nicht gesehen, aber angeblich soll ein
Unternehmer in Washington vor einer Behörde auf und ab
gesprungen sein und mit einem Papier gewedelt haben,
das von mir stammen soll.

Ich will Ihnen nun sagen, was zwischen mir, nachdem
ich als Mitglied des Beirats der Regulierungsbehörde an-




Klaus Barthel (Starnberg)

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(C)



(D)



(A)



(B)


gegangen worden bin, und der FCC an Austausch erfolgt
ist: Anfang Dezember des vergangenen Jahres erreichte
mich ein Anruf aus Washington, in dem mir mitgeteilt
wurde, es gebe in den amerikanischen Zeitungen eine
Diskussion über dieses Thema. Man wollte wissen, wie
denn das Ganze zustande gekommen sei, da man die Vor-
gänge nicht ganz verstehe. Ich habe daraufhin geantwor-
tet, seit 14 Tagen werde in den Wirtschaftsabteilungen der
Zeitungen ein Papier diskutiert, das von dem Kollegen
Barthel stamme, welches am 4. Dezember veröffentlicht
und außerdem ins Internet gestellt worden sei. In diesem
Papier bringe die große Regierungspartei zum Ausdruck,
die Regulierung bei Post und Telekom müsse überprüft
und zurückgefahren werden, und dagegen hätten sich
nicht nur ich, sondern auch eine ganze Menge von Wirt-
schaftssachverständigen gewehrt.

Die Frage, ob man dieses Papier haben könne, habe ich
mit Ja beantwortet. Ich habe dieses Papier kommentarlos
nach Washington gefaxt. Dieses Papier war das Einzige,
was zwischen mir und dieser Einrichtung ausgetauscht
worden ist.

Herr Kollege Barthel, ich frage Sie: Ist es denn wirk-
lich eine Schande, ein Papier eines Mitglieds einer Regie-
rungsfraktion im Austausch zwischen deutschen und US-
amerikanischen Parlamentariern – ich sage es noch mal:
ohne jeglichen Kommentar von mir – nach Amerika zu fa-
xen? Ist ein solches Papier, das von der SPD-Fraktion am
4. Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht wor-
den ist, etwa so geheim, dass man es den Kollegen jenseits
des Atlantiks nicht zur Kenntnis bringen darf? Wie verhält
es sich also mit solchen Papieren? Ich habe heute Nach-
mittag gehört, dass dieses Papier offensichtlich nicht ganz
autorisiert war und dass ihm in den vergangenen Tagen
die Zähne gezogen worden sind. Ich kenne allerdings die
Neuauflage dieses Papiers nicht.

Auf alle Fälle, Herr Kollege Barthel, bestand der ein-
zige Kontakt zwischen mir und einem Anwalt in Wa-
shington in dem Austausch Ihres Papiers.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415825900
Herr Kol-
lege Barthel zur Erwiderung.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1415826000
Herr Müller, es
geht überhaupt nicht um dieses Papier; denn dieses stand
nicht im Zusammenhang mit dem Bericht des ZDF im
„Heute-Journal“. Sie sollten sich einmal anschauen, wie
der Sachverhalt in diesem Bericht dargestellt worden ist
und wie Sie dort zitiert worden sind.

In den Berichten, die in die USA gelangt sind, werden
Sie nicht primär mit irgendwelchen Aussagen zu meinem
Papier, sondern mit Aussagen über die Offenheit des deut-
schen Telekommunikationsmarktes und damit zitiert, dass
Sie die dort herrschenden Zustände bedauert haben. Dort
hieß es, Sie hätten versucht, Benachteiligungen und
Einschränkungen glaubhaft zu machen, die es angeblich
auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt gebe. Da-
mit haben Sie für die US-amerikanischen Beobachter in-
direkt die Legitimation geliefert, die Deutsche Telekom
auf ihrem Weg in die USA zu behindern.

Wenn das alles nicht stimmt und Ihre Aussagen falsch
wiedergegeben worden sind, was durchaus sein kann
– wir wissen ja, wie das manchmal läuft –, dann bitte ich
Sie dringend: Schauen Sie sich den Bericht genau an; stel-
len Sie das Ganze schriftlich klar und distanzieren Sie sich
von dem, wofür Sie in Anspruch genommen worden sind.
Wenn Sie das tun, müssen wir über die Sache hier nicht
weiter reden. Aber angesichts der heiklen Situation, in der
wir uns befinden, erwarte ich von Ihnen, dass Sie eine
deutliche Haltung zu dieser Sache einnehmen. Darum
ging es mir und um nicht mehr.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415826100
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5333 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
10. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

Zapf, Brigitte Adler, Rainer Arnold, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid,
Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilenKrisenprävention, zivilen Konfliktregelungund Friedenskonsolidierung
– Drucksachen 14/3862, 14/5283 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Zapf
Clemens Schwalbe
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das
Wort zu diesem Tagesordnungspunkt die Kollegin Uta
Zapf von der SPD-Fraktion.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1415826200
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Titel des Tagesordnungspunktes, den der Prä-
sident gerade vorgelesen hat, hat heute tragische Aktua-
lität erlangt, weil eine Situation eingetreten ist, die be-
weist, wie dringend die Förderung von Krisenprävention
und Krisenbewältigung ist: Die Eskalation der Gewalt in
Mazedonien, die wir heute in den Nachrichten sehen
konnten – ich nehme an, einige von Ihnen haben die
Nachrichten vernommen –, zeigt, dass wir noch ein
großes Stück zu gehen haben und dass das, was wir bisher
auf dem Balkan getan haben, noch immer nicht ausreicht.




Elmar Müller (Kirchheim)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich lese ein paar Schlagzeilen vom heutigen Morgen vor:
„Konflikt greift auf Mazedonien über“, „Albanische Ex-
tremisten liefern sich heftige Gefechte mit der mazedoni-
schen Armee“, „Verteidigungsminister“ – gemeint ist der
mazedonische – „sieht Land am Rande eines Krieges“,
„Blutige Gefechte verschärfen Krise in Mazedonien“,
„Mazedonische Minderheiten flüchten aus Tetovo“.

Deshalb, lieber Kollege Irmer, hoffe ich, dass Sie heute
nicht wieder dasselbe Urteil über ein solches Konzept
der Krisenprävention fällen, wie Sie das das letzte Mal
gemacht haben; denn es ist kein „Schmarren“, und es ist
keine „weiße Salbe auf eine grüne Seele“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es an dieser Stelle um eine Seele geht, dann um die
rot-grüne; denn sowohl die Grünen als auch wir als Sozi-
aldemokraten haben uns seit Jahren um diesen Bereich
gekümmert, als noch niemand dieses Wort richtig aus-
sprechen konnte – zu Recht, wie ich denke. Es ist auch
gut, dass diese Koalition endlich angefangen hat, diese
Dinge in die Hand zu nehmen und auf allen Ebenen zu
entwickeln. Das, was wir wollen, ist keine Heilsarmee
von „Gutmenschen“ und Fernethikern. Es geht um In-
strumente, die dringend notwendig sind, um Mord und
Totschlag zu verhindern – wenn es uns denn gelingt. Was
wir wollen, sind auch keine gläsernen Weihnachtszwerge
mit Korkhämmern, die „Frieden, Frieden“ schreien. Ich
denke, wir müssen dieses Thema wirklich ernster neh-
men, als Sie, lieber Kollege, das zu meiner großen Ent-
täuschung beim letzten Mal getan haben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist nicht präventive Krisenvorsorge, sondern präventives Aufregen!)


Vielleicht hilft die aktuelle Situation, dieses etwas erns-
ter zu nehmen, endlich auch mehr dafür zu tun und ent-
sprechend zu handeln. Das, was da passiert, ist doch ein
Beweis dafür, dass die internationale Staatengemein-
schaft immer noch unvollkommen mit den vorhandenen
Instrumenten zur Friedenskonsolidierung und Krisen-
prävention umgehen kann.

Wenn Rolf Paasch am 13. März in der „FR“ schreibt,
dass das, was da passiert, ein Armutszeugnis für die
NATO in Sachen Friedensmission sei, dann ist dieses Ur-
teil sicher nicht richtig, aber dann beweist das doch die
Notwendigkeit der Weiterentwicklung und der Verbesse-
rung der Instrumente und der Konzepte. Wir müssen in
dieser Situation schneller und einiger reagieren, als sich
das – leider – bisher abzeichnet. Ich denke, ein Eingrei-
fen der internationalen Staatengemeinschaft mit Poli-
zei und Sicherheitstruppen, um eine weitere Eskalation zu
verhindern, ist dringend angesagt.

Dann müssen wir uns überlegen: Was haben wir viel-
leicht in diesem Zusammenhang falsch gemacht? Die
halbherzige Entwaffnung der UÇK im Kosovo zum Bei-
spiel haben wir alle mit Unbehagen gesehen. Dass da so
eine Art technisches Hilfswerk in Form des Kosovo-
Schutzkorps aufgestellt worden ist, war uns auch nicht so
ganz geheuer. Jetzt erweist sich, welche Fehler und Män-
gel dort passiert sind. Es wäre ein Demobilisierungspro-

gramm mit einer echten Zukunftsperspektive für die jun-
gen Menschen angesagt gewesen.

Aber im Moment sieht es ganz anders aus. Das macht
mir tiefe Sorge. Beim KPC und bei dem einzigen größe-
ren Arbeitgeber, dem Energieunternehmen KEK, wo auch
lauter ehemalige UÇK-Kämpfer untergekommen sind,
wird es eine Entlassungswelle geben, sodass in den nächs-
ten zwei Jahren circa 5 000 bis 7 000 ehemalige Kämpfer
auf der Straße stehen werden, ohne Arbeit, ohne Perspek-
tive, ohne Zukunft. Was das in einer Situation bedeutet, da
die Konflikte, die wir dort zu beruhigen versuchen, immer
noch schwelen und an der einen oder anderen Stelle
eskalieren, das brauche ich Ihnen, glaube ich, nicht aus-
zumalen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt also mehr als genug Alarmsignale, die uns veran-
lassen sollten, jetzt diese Konzepte weiterzuentwickeln,
weiter auszubauen und in diesem Bereich Ernst zu ma-
chen.

Der Kollege Clemens Schwalbe, der beim letzten Mal
für die CDU geredet hat, hat beklagt, dieser Antrag tue so,
als werde Prävention hier erstmals propagiert. Das ist
natürlich nicht richtig. Das meint dieser Antrag auch
nicht.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: So liest er sich aber!)


Aber dieser Antrag lobt die Bundesregierung mit Recht,
weil sie eine konsequente nationale und internationale
Politik der Prävention und des Krisenmanagements
eingeleitet, konsequent aufgebaut und weitergeführt hat.
Sie gedenkt dies auch in Zukunft zu tun.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wie kommt es dann in Sachen Mazedonien dazu?)


Wir versuchen, mit diesem Antrag Bausteine dazu zu lie-
fern. Aber jeder ist eingeladen, an diesem Konzept mitzu-
arbeiten und es weiterzuentwickeln. Wir brauchen eine
Gesamtstrategie für Prävention und Konfliktbearbeitung,
die umfassend und ressortübergreifend sein muss. Eine
solche Strategie – das sehen wir an jeder Stelle – ist nur
im internationalen Rahmen wirksam.

Ich nenne einige Stichworte aus dem Grundsatzpa-
pier der Bundesregierung „Krisenprävention und Kon-
fliktbeilegung“, um klarzumachen, was zu einem solchen
Gesamtkonzept gehört:

Dazu gehört – das ist ein ganz schwieriger Punkt – eine
Fortentwicklung des Völkerrechts. Darüber sind wir uns
alle einig.

Dazu gehört eine Verrechtlichung der Konfliktaustra-
gung. In diesem Punkt sind wir uns mit dem Internationa-
len Gerichtshof und anderen Schlichtungsformen ein
Stück weit einig. Aber auch das garantiert noch keinen Er-
folg.

Dazu gehört eine integrierte Entwicklungspolitik. Das
heißt, dass wirtschaftliche, soziale und ökologische
Aspekte sowie Rechtsstaatlichkeit in andere Politiken




Uta Zapf
15494


(C)



(D)



(A)



(B)


– auch auf EU-Ebene – integriert und besser koordiniert
werden müssen.

Dazu gehört Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Dazu gehört schließlich der Aufbau von zivilen Struk-

turen der Konfliktbearbeitung unter Einbeziehung der
NGOs. Ein guter Teil unseres Antrages beschäftigt sich
mit diesem Feld. Das ist insofern gerechtfertigt, weil es
sich um Organisationen handelt, die von den Konflikten
und von den Zuständen vor Ort sehr viel Ahnung haben;
deshalb ist die Kooperation mit diesen Organisationen
dringend erforderlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir brauchen den Aufbau einer Infrastruktur,wie er
jetzt begonnen worden ist. Meines Erachtens besteht darin
die zentrale Leistung der Bundesregierung in diesem Be-
reich. Wir brauchen zudem eine Integration in die inter-
nationalen Strukturen. Auf der EU-Ebene haben wir mit
dem zivilen Ausschuss für Konfliktprävention begonnen
– auch das ist ein großes Verdienst dieser Bundesregie-
rung –, eine solche Infrastruktur zu schaffen, genauso wie
auf der OSZE-Ebene. Der zivile Friedensdienst, den die
CDU 1997 noch abgelehnt hat, und das Ausbildungspro-
gramm für die zivilen Experten integrieren sich in diese
Strukturen. Das ist auch so beabsichtigt, weil es anders
gar nicht geht.

Ich bin froh, dass wir heute, anders als zum Beispiel
zum Zeitpunkt der Kosovo-Verifikationsmission, einen
Personalpool haben und nicht mehr in die Situation kom-
men könnten, die gegenüber der Mission zugesagten
80 Personen über Monate hinweg mühsam suchen zu
müssen.

Es gibt im Auswärtigen Amt ein Krisenreaktionszen-
trum und einen Sonderbeauftragten für die Krisenpräven-
tion. Sie arbeiten mit all den anderen Instanzen, die zum
Beispiel bei der OSZE oder bei der UNO angesiedelt sind,
zusammen. Im Übrigen müssen wir berücksichtigen, dass
die UNO – eine Entscheidung über den Brahimi-Report
steht aus – in diesem Sinne gestärkt und weiterentwickelt
werden muss. Natürlich wird das Geld kosten. Aber wie
viel mehr wird es kosten, wenn immerfort Kriege geführt
werden? Irgendjemand Schlaues hat einmal ausgerechnet,
dass der Jugoslawien-Konflikt bisher insgesamt eine drei-
stellige Milliardensumme gekostet hat. Wenn wir das ir-
gendwo im Hinterkopf haben, dann werden wir nicht
mehr so knickrig sein. Dies muss auch unsere Haushalts-
beratungen berühren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Ich plädiere sehr dafür, dass wir dieser Erkenntnis, die wir
alle haben, in Zukunft auch insofern Rechnung tragen, als
wir in unseren Haushalten zusätzliche Gelder einstellen.

Ich finde es angesichts der vorhandenen Konflikte er-
freulich – das muss man vielleicht wirklich einmal laut sa-
gen –, dass innerhalb der europäischen Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik beide Elemente, nämlich
das militärische und das zivile Element, damit also das

präventive, berücksichtigt worden sind. Das, was wir
heute im Fernsehen gesehen haben und morgen in der
Presse lesen können, beweist doch, dass wir zwar ohne
den militärischen Fuß nicht auskommen, dass es aber
ohne den zivilen überhaupt nicht geht. Wir brauchen zi-
vile Maßnahmen, um weit im Vorfeld zu vermeiden, dass
Gewalt ausbricht und dann militärisch reagiert werden
muss. Wir brauchen zivile Maßnahmen aber auch, um
ausgebrochene Gewalt einzudämmen und in eine Situa-
tion zu kommen, in der Frieden wieder aufgebaut werden
kann.

Ich bin froh, dass diese Konzeption der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik nicht rein militärischer Art
ist, sondern ihr der erweiterte Sicherheitsbegriff zugrunde
liegt, der all das, was ich vorher gesagt habe, in Bezug auf
Entwicklungspolitik, auf Ökonomie und auf soziale Zu-
stände, berücksichtigt.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass ein wichti-
ges Problem noch nicht gelöst ist – etwas, was wir nicht
anders lösen können als durch einen ständigen offenen
Diskurs über das Problem –, nämlich die Akzeptanz von
internationaler Konfliktvermittlung in Fällen, in denen
sich Kontrahenten gegenüberstehen und selber nicht zu
einer friedlichen Lösung kommen. Das ist auch der Grund
dafür, dass die Beratungen über den Brahimi-Bericht im
Moment ins Stocken geraten sind. Wir sollten dazu bei-
tragen, dass die Akzeptanz solcher Vermittlung und auch
der Wille der Konfliktparteien zur Annahme dieser ge-
stärkt wird. Dem entgegen steht immer der Souverä-
nitätsgedanke; dieser stellt ein großes Hindernis dar.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415826300
Kommen
Sie bitte zum Schluss!


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1415826400
Ich bin sofort beim letzten Satz mei-
ner Rede. – Meine Damen und Herren, wir wissen, dass
alle diese Instrumente, die ich eben dargestellt habe, im
Zweifelsfall nicht ausreichen und keine Garantie darstel-
len. Wenn wir aber nicht alle Instrumente stärken und nut-
zen, die im Rahmen eines solchen umfassenden Sicher-
heitsbegriffes zur Verfügung stehen, dann werden wir
keine Chance haben, durch Konfliktprävention zukünftig
Leid und Elend da, wo wir es können, zu verhindern.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415826500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Ruprecht Polenz von der CDU/CSU-
Fraktion.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1415826600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Quintessenz des vorlie-
genden Antrags der Koalitionsfraktionen lässt sich in ei-
nem Satz zusammenfassen: Vorbeugen ist besser als hei-
len. Wer wollte dieser Lebensweisheit widersprechen?
Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie schreiben:




Uta Zapf

15495


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Chancen, humanitäre Krisen, Kriege oder
gewalttätige Konflikte erfolgreich zu verhindern,
sind am größten, wenn auf der Grundlage einer fun-
dierten und permanenten Konfliktanalyse frühzeitig
gehandelt wird.

Es ist auch richtig, um einen weiteren unstrittigen
Punkt zu nennen, dass wir es, wie Sie in Ihrer Analyse
feststellen, heute weniger mit bewaffneten Konflikten
zwischen Staaten zu tun haben, sondern

dass das Gros der heutigen bewaffneten Konflikte
innerstaatlicher Natur ist.

Auch sonst stehen auf den neun Seiten Ihres Antrages
viele Punkte, die seit langem unstrittig sind, wie etwa das
Erfordernis einer

Stärkung und Mitgestaltung der multilateralen und
europäischen Entwicklungszusammenarbeit im Be-
reich von Krisenprävention und ziviler Konfliktbe-
arbeitung.

Ich habe mich angesichts so vieler Selbstverständlich-
keiten gefragt, weshalb Sie das alles in einem Antrag auf-
schreiben. Sie mögen mich umgekehrt fragen, warum wir
Ihrem Antrag nicht zustimmen, obwohl auch Richtiges
drinsteht. Auf beides will ich eine Antwort geben.

Warum stellen Sie den Antrag? Der Hauptgrund ist,
dass die rot-grüne Basis nach der militärischen Interven-
tion im Kosovo beruhigt werden musste.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Jahrelang hatten Sie der alten Bundesregierung eine Mili-
tarisierung der Außenpolitik vorgeworfen. Der Vorwurf
war zwar falsch, böswillig und völlig unbegründet, er
drohte sich aber wegen der Intervention im Kosovo gegen
Sie selbst zu wenden. Frau Beer und der Außenminister
können ein Lied davon singen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415826700
Herr Kol-
lege Polenz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Zapf?


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1415826800
Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415826900
Bitte,
Frau Zapf.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1415827000
Herr Kollege Polenz, ich möchte Sie
fragen, ob Ihnen entgangen ist, dass schon in der letzten
Legislaturperiode von der SPD ein ziemlich ähnlicher An-
trag in den Bundestag eingebracht worden ist, der dann
leider der Diskontinuität am Ende der Legislaturperiode
anheim gefallen ist. Ist Ihnen das entgangen? Würden Sie
angesichts einer vielleicht wieder aufgefrischten Erinne-
rung immer noch behaupten, dass dieser Antrag als Pla-
cebo für rot-grüne Klientel gedacht sei?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das macht die Sache nicht besser!)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1415827100
Dieser damalige Vor-
gang ist mir nicht nur nicht entgangen. Ich habe heute
noch mit meinem Kollegen Laschet telefoniert. Er be-
richtete mir von den Bestrebungen in der letzten Legisla-
turperiode, zu einer gemeinsamen Entschließung aller
Bundestagsfraktionen zu kommen. Ich will aber gleich
begründen, wie ich dennoch zu meiner Ansicht komme,
Frau Kollegin.

Dieser Vorwurf der Militarisierung der Außenpolitik
drohte sich, wie gesagt, durch die Intervention im Kosovo
gegen Sie selbst zu wenden. Deshalb gab es zur Beruhi-
gung der aufgebrachten Basis einen Antrag, in dem die zi-
vile Krisenprävention und die zivile Konfliktregelung be-
tont wird. Der Text wurde vorsorglich so formuliert, dass
ihn jeder Koalitionsabgeordnete unkommentiert an alle
im Wahlkreis verschicken konnte, die sich mit kritischen
Fragen wegen des Militäreinsatzes im Kosovo gemeldet
hatten. Er ist ein Placebo, um die Reste der fundamentalen
Pazifisten bei der rot-grünen Stange zu halten.

Der zweite Grund für Ihren Antrag ist die deutliche
Kritik vor allem von Nichtregierungsorganisationen an
den massiven Kürzungen, die Sie in der Ent-
wicklungshilfepolitik vorgenommen haben. Dieser be-
rechtigten Kritik setzen Sie in Ihrem Antrag ein ent-
schlossenes Eigenlob entgegen nach dem Motto: „Wenn
uns schon niemand anderes lobt, dann tun wir das eben
selbst.“ Aber ist dieses Eigenlob berechtigt? Hat die Bun-
desregierung die Streicheleinheiten nicht nur nötig, son-
dern auch verdient? Ich meine, nein, und will das im Fol-
genden begründen.

Wir sind uns sicher darüber einig, dass Armut in der
Welt nicht nur aus humanitären Gründen bekämpft wer-
den muss, sondern dass Armut auch eine besonders bri-
sante Ursache für Konflikte ist. Was tut die Bundesregie-
rung zur Armutsbekämpfung? Vor allem: Tut sie auch
genug?

Weil Sie meine Kritik vielleicht als parteilich abtun
würden, möchte ich Ihnen vorhalten, was die Deutsche
Welthungerhilfe und das Hilfswerk terre des hommes in
ihrer Zwischenbilanz zu zwei Jahren rot-grüner Entwick-
lungspolitik vor kurzem festgestellt haben. Ich zitiere:

Die Analyse des entwicklungspolitischen Teils im
Bundeshaushalt zeigt, dass die Bundesregierung
auch in ihrer eigenen bilateralen Politik gegenüber
früheren Bemühungen zur Armutsbekämpfung
zurückfällt.

Mit anderen Worten: Die frühere Bundesregierung hat
mehr gegen die Armut getan als jetzt Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Immer wieder ist in Ihrem Antrag – übrigens zu

Recht – die Rede davon, dass die Entwicklung einer
kohärenten, ressortübergreifenden Gesamtstrategie zur
zivilen Krisenprävention unverzichtbar sei. Auch in die-
sem Punkt ist nach dem Urteil von Welthungerhilfe und
terre des hommes das rot-grüne Eigenlob unbegründet.
Ich zitiere:

Die Proklamation der Bundesregierung, künftig glo-
bale Strukturpolitik betreiben zu wollen, ist institu-




Ruprecht Polenz
15496


(C)



(D)



(A)



(B)


tionell noch nicht angemessen umgesetzt worden.
Auch unter rot-grüner Bundesregierung verläuft die
interministerielle Kooperation hinsichtlich der
schnell wachsenden globalen Herausforderungen
weiterhin in den seit Jahrzehnten praktizierten tradi-
tionellen Bahnen. Besondere Anstrengungen, durch
institutionelle Reformen einer kohärenten globalen
Strukturpolitik näher zu kommen, sind nicht erkenn-
bar.

In ihrer Kritik warnen terre des hommes und Welthunger-
hilfe die Bundesregierung davor, in eine Omnipotenzfalle
zu geraten, also zuerst das Blaue vom Himmel zu ver-
sprechen, um später eingestehen zu müssen, dass die
Kräfte zu schwach waren, um die hoch gesteckten Ziele
zu erreichen.

Diese Sorge muss man auch beim Lesen Ihres Antra-
ges haben. Er vermittelt nämlich den Eindruck, dass sich
die Konflikte dieser Welt in Wohlgefallen auflösen wür-
den, wenn nur verwirklicht würde, was SPD und Grüne
aufgeschrieben haben. Der Nordirlandkonflikt, der Nah-
ostkonflikt, der Zypernkonflikt, der Kaschmirkonflikt,
die Konflikte in Tschetschenien, Indonesien und Afrika –
als wenn es so einfach wäre, all diese Konflikte zu lösen,
wie Ihren Antrag zu Papier zu bringen.

Bei allem Ehrgeiz in der Zielsetzung – da sind wir uns
einig –, mehr und besser zur Konfliktprävention und zur
friedlichen Konfliktlösung beizutragen:


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie konkret? Sagt mal was dazu!)


Etwas mehr realistische Bescheidenheit, Herr Kollege
Nachtwei, wäre schon angebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Bei Ihrem Eigenlob tun Sie so, als hätten Sie zivile
Konfliktprävention erfunden. Dabei ist vor dem Hinter-
grund unserer Geschichte der gesamte Prozess der euro-
päischen Einigung und Integration geradezu der Modell-
fall für eine zivile Konfliktprävention,


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Völlig unstrittig!)


die an strukturellen Ursachen ansetzt und mit einer auf-
einander abgestimmten Koordinierung praktisch aller Po-
litikbereiche darauf antwortet. Dieser Prozess der europä-
ischen Einigung und Integration wird in Deutschland vor
allem mit den Namen von Konrad Adenauer und Helmut
Kohl verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zur zivilen Konfliktprävention der früheren Bundesre-

gierung gehören übrigens auch die Wirtschaftshilfen und
Kredite an Russland, die nicht zuletzt deshalb gegeben
wurden, um Russland auf seinem Weg zur Demokratie
und Marktwirtschaft zu helfen. Wenn Sie also bei jeder
Kritik an Ihrer Kürzungspolitik nicht müde werden, auf
die Verschuldung unseres Staates hinzuweisen, dann müs-
sen Sie ebenso feststellen, dass auch diese Hilfeleistungen
in unserer unmittelbaren Nachbarschaft im Sinne einer
zivilen Konfliktprävention zu unserer Verschuldung bei-

getragen haben. Ich bleibe dabei: Für den beschleunigten
Abzug der Roten Armee aus Deutschland war dieses Geld
gut angelegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch die von Ihnen zunächst abgelehnte Öffnung der

NATO für die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas hat
einen wirksamen Beitrag zur zivilen Konfliktprävention
geleistet. Weil es eine Vorbedingung für den Beitritt war,
Minderheiten im eigenen Staat zu schützen und Konflikte
mit Nachbarn auszugleichen, wurden gleichsam als Vor-
wirkung des erstrebten NATO-Beitritts die Bedingungen
für Minderheiten in Polen, Ungarn und der Slowakei ver-
bessert und Spannungen beispielsweise zwischen Polen
und Litauen oder der Slowakei und Ungarn abgebaut.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum haben wir auch zugestimmt!)


Zivile Krisenprävention also als Vorwirkung eines er-
strebten Beitritts zu einem militärischen Verteidigungs-
bündnis.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Damit bin ich bei meinem Hauptvorwurf und Haupt-
kritikpunkt: Sie sprechen zwar von einem umfassenden
Sicherheitsbegriff, spielen aber nach wie vor zivile Kri-
senvorsorge und militärische Krisenprävention gegenein-
ander aus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie erwecken den Eindruck, als ließe sich sicherheitspoli-
tische Vorsorge – bei gutem Willen und wenn man sich
nur genug anstrengt – allein durch zivile Kri-
senprävention betreiben. Wir brauchen aber beides: zivile
und militärische Krisenprävention.


(Uta Zapf [SPD]: Das steht doch auch drin, Herr Polenz! – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Das machen wir doch bei der ESVP!)


Das Beispiel Mazedonien, auf das Sie verwiesen haben,
belegt das augenscheinlich.

Sie fordern die Bundesregierung auf – das ist nicht nur
richtig, sondern dringend notwendig –,

sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land im Rahmen ihrer Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik personell, institutionell und fi-
nanziell in der Lage ist, einen ihrem politischen und
ökonomischen Gewicht angemessenen Beitrag zur
internationalen zivilen Krisenprävention, Kon-
fliktregelung und Friedenskonsolidierung zu leisten.

Ebenso notwendig und richtig wäre es, die Bundesre-
gierung dazu aufzufordern, dass sie auch auf dem Gebiet
der militärischen Krisenprävention und Sicherheitsvor-
sorge den Beitrag leistet, der unserem politischen und
ökonomischen Gewicht angemessen ist. Denn auf beiden
Feldern tut die Bundesregierung zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Ruprecht Polenz

15497


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber hier ist von Ihnen nichts zu hören. Sie bleiben we-
gen der unbelehrbaren Reste Ihrer fundamental-pazifisti-
schen Klientel


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wie zu Oppositionszeiten dabei und spielen zivile und mi-
litärische Krisenprävention gegeneinander aus. Damit
enthalten Sie Ihren Anhängern den Lerneffekt vor, den je-
denfalls ein Teil von Ihnen in der Regierungsverantwor-
tung gehabt hat.

Mit den Rüstungsexporten ist das übrigens ganz ge-
nau so. Wie haben Sie die unionsgeführte Bundesregie-
rung wegen ihrer Rüstungsexporte kritisiert! Jetzt hat die
deutsche Rüstungsindustrie unter der Schirmherrschaft
der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 1999 Waffen im
Wert von 5,9 Milliarden DM exportiert.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das waren erstens mehr als je zuvor und damit zweitens
mehr als zur Regierungszeit von Helmut Kohl.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit wir uns hier nicht missverstehen: Ich will nicht

die Höhe der Waffenexporte kritisieren. Denn ich gehe da-
von aus, dass überwiegend NATO-Partner zu den Emp-
fängerländern gehörten


(Uta Zapf [SPD]: Auch das steht in den Berichten!)


und dass unsere seit Jahrzehnten außerordentlich restrik-
tive Rüstungsexportpolitik auch 1999 durchgehalten
wurde und Waffen nicht in Krisen- oder Span-
nungsgebiete exportiert wurden.


(Heidi Lippmann [PDS]: Für drei Embargo-Länder)


Ich erwarte und verlange aber dann von Ihnen, dass Sie
entweder den Lerneffekt der eigenen Regierung nachvoll-
ziehen und zu diesen Rüstungsexporten stehen oder Ihre
eigene Regierung mit den Maßstäben messen, auf deren
Basis Sie uns seinerzeit kritisiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Mit grüner Dialektik, wie man sie von der sicherheitspo-
litischen Sprecherin der Grünen hören konnte, lassen sich
diese Widersprüche nicht wegreden. Das ist nicht grüne
Dialektik, sondern Sprechen mit doppelter Zunge.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


Sie haben also noch eine Menge Fragen in Ihren eige-
nen Reihen zu klären, ehe Sie wirklich eine kohärente Si-
cherheitspolitik formulieren können, die alle notwendi-
gen Elemente umfasst. Bis dahin erweist sich Ihr Gerede
von einem umfassenden Sicherheitsbegriff als leere
Hülse. Denn oft wirkt zivile Krisenprävention doch nur
deshalb, weil der Adressat der Maßnahmen – etwa der von
Ihnen geforderten effektiveren, nicht militärischen Sank-
tionen – einlenkt und friedlich wird, da am Ende der
Einwirkungsskala, sozusagen als Ultima Ratio, auch mi-

litärische Mittel zur Verfügung stehen, um Frieden durch-
zusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Uta Zapf [SPD]: Das steht in dem Antrag genau drin! Das müssen Sie einmal lesen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415827200
Das Wort
hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415827300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kol-
lege Polenz, Ihren Beitrag fand ich sehr enttäuschend,
weil Sie in der Kritik dieses Antrages auf Nebenfelder
ausgewichen sind und zu den konkreten Vorschlägen des
Antrages, um die es im Kern geht, nichts gesagt haben.
Ich erinnere mich an die erste Lesung dieses Antrages am
9. November letzten Jahres. Da war nämlich auffällig,
dass im Kern der Sache – bis auf den Kollegen Irmer; sein
Ausreißer ist vorhin schon gebührend gewürdigt worden –
eine auffällige Einigkeit bestand. Auch von der PDS kam
die Kritik nicht am Kern dieses Projekts, nicht an den ein-
zelnen Maßnahmen, sondern am Kontext rot-grüner Poli-
tik. Es sei Ihnen unbenommen, das zu kritisieren und Wi-
dersprüche aufzuzeigen. Im Kern der Sache kam von
Ihnen aber kein Widerspruch.

Ich hoffe immer noch, dass wir heute noch mehr über
den Kern der Sache diskutieren und keine ausweichenden
Debatten führen. Deshalb will ich vor allem etwas zu den
nächsten vordringlichen Schritten sagen, die in diesem
Bereich notwendig sind. Die Anforderungen der Staaten-
gemeinschaft zur nicht militärischen Krisenbewältigung
und -vorbeugung liegen auf dem Tisch, und zwar als Kon-
sequenz aus der Erfahrung mit militärischen Krisen-
einsätzen.

Lassen Sie mich zunächst etwas zu dem wichtigen In-
strument der Friedensmissionen auf Ebene der Vereinten
Nationen sagen. Wer weiß schon, dass die Bundesrepu-
blik nach den USA das meiste Personal für solche Frie-
densmissionen stellt? In den letzten Jahren wurde aller-
dings auch die Erfahrung gemacht, dass bei diesen
Friedensmissionen zunehmend ziviles Personal gebraucht
wird. Hier hat die Staatengemeinschaft insgesamt bisher
die größten Rekrutierungsprobleme. Die Europäische
Union hat im letzten Sommer Planziele für die Ent-
sendung von nicht militärischen Polizeimissionen aufge-
stellt. Sie erinnern sich: Bis 2003 will die Europäische
Union 5000 Polizisten für Auslandseinsätze zur Verfü-
gung haben. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres sollen die
Mitgliedstaaten auf einer Beitragstellerkonferenz ihre An-
gebote an Kontingenten benennen. Bis zum Gipfel in Gö-
teborg im Juni sollen Planziele für andere Expertengrup-
pen aufgestellt werden, nämlich Fachpersonal zur
Stärkung des Rechtsstaats, der Zivilverwaltung und des
Katastrophenschutzes. Ich möchte einmal wissen, was an
diesen konkreten Anforderungen rot-grüne Spinnerei ist.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Ich habe gesagt, dass in dem Antrag viel Richtiges steht!)





Ruprecht Polenz
15498


(C)



(D)



(A)



(B)


Nein, das sind Anforderungen der internationalen Staa-
tengemeinschaft, die sich aus den Erfahrungen ergeben
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zu den vorrangigen, notwendigen Schritten. Das
Auswärtige Amt hat im Sommer 1999, als der Kosovo-
Krieg lief – das ist Anfang 1999 angestoßen worden –, mit
der Ausbildung von Fachpersonal für internationale Frie-
densmissionen begonnen. Diese Ausbildung hat sich sehr
bewährt und ist international hoch anerkannt. Jetzt kommt
es darauf an, die Rekrutierung, Begleitung und Evaluation
solcher ziviler Kriseneinsätze auf eine stabile Grundlage
zu stellen und erheblich zu effektivieren. Diese zivilen
Kriseneinsätze laufen in der Regel parallel zu militäri-
schen Missionen; denn wir wissen: So etwas funktioniert
nur als integrierter, umfassender Kriseneinsatz, nicht als
einseitiger Kriseneinsatz.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das steht aber nicht im Antrag!)


– Kollege Polenz, es geht um die nächsten praktischen
Schritte, nicht um Hirngespinste. – Diese Aufgaben sind
mit dem normalen Personal eines AA-Referats, das vor-
her auch andere Aufgaben hatte, nicht mehr zu bewälti-
gen. Hierfür muss tatsächlich eine Ausgliederung gesche-
hen, muss eine neue Dachorganisation aufgebaut werden.
Dies ist – das müssen wir hier ganz nüchtern und klar fest-
stellen – bei der Aufstellung des Haushalts für das nächste
Jahr unbedingt zu berücksichtigten. Zusammen mit der
Verstetigung der Gelder für den Titel „Friedenserhaltende
Maßnahmen“ ist das der Knackpunkt beim Aufbau einer
VN- und OSZE-Fähigkeit, die den künftigen Anforderun-
gen entspricht.

Ein zweiter sehr wichtiger Bereich sind die nicht mi-
litärischen Polizeimissionen. Zurzeit sind 550 deutsche
Polizeibeamte im auswärtigen Einsatz, davon 318 im Ko-
sovo. Sie leisten unter schwierigsten Bedingungen und
bei einer Einsatzdauer von neun Monaten bis zu einem
Jahr hervorragende Arbeit, international höchst aner-
kannt. Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, dies über Ihr Haus
auch an die Beamten weiterzuleiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Bundesrepublik hatte für die UNMIK-Polizei im
Kosovo 420 Beamte zugesagt; sie kann aber nur 318 Be-
amte stellen. Das ist ein Fehl von 25 Prozent. Stellen Sie
sich einmal vor, ein solches Fehl gäbe es bei den Bun-
deswehr-Anteilen für KFOR oder SFOR! Das wäre nicht
vorstellbar. In diesem Bereich ist es offensichtlich vor-
stellbar, aber daraus resultiert kein Vorwurf gegen die
Landesinnenministerien oder gegen das Bundesinnenmi-
nisterium, sondern hier ist schlichtweg eine Schallgrenze
erreicht. Das heißt, es müssen neue Wege der Rekrutie-
rung von Beamten für internationale Polizeimissionen ge-
funden werden.

Deshalb – ich habe es bei der ersten Lesung schon ein-
mal gesagt – kommen wir wahrscheinlich nicht darum

herum, neben der Attraktivitätssteigerung in diesem Be-
reich sowohl in den Ländern als auch beim Bund neue
Planstellen für diese künftige Daueraufgabe des Bundes
und der Länder einzurichten. Ohne eine solche Verstär-
kung wird die Bundesrepublik gegenüber der Eu-
ropäischen Union keinen Beitrag nennen können, der ih-
rer Stellung entspräche.

In Kürze werden die Staatssekretäre von Bund und
Ländern über die künftige Lastenverteilung bei interna-
tionalen Polizeimissionen verhandeln. Bundestag und
Länderparlamente sollten darauf achten, dass die Bundes-
republik auch auf diesem Feld ihre gewachsene Verant-
wortung wahrnehmen kann.

Die schwedische EU-Präsidentschaft macht hervor-
ragend Tempo beim Aufbau von Fähigkeiten nicht mili-
tärischer Krisenbewältigung. Die rot-grüne Koalition
begrüßt das voll und ganz. Ich denke, bei genauerem Hin-
sehen – Kollege Polenz nickt; das freut mich – müssten
alle Fraktionen des Hauses dieses Tempo begrüßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der zu beschließende Antrag zeigt, was wir dafür leisten
wollen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415827400
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht Kollege Ulrich Irmer.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1415827500
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein Tri-
umpherlebnis, wenn man nach viereinhalb Monaten hört
– so lange liegt unsere erste Debatte zu diesem Thema
zurück –, dass die Kollegen zum Teil noch wörtlich wis-
sen, was ich damals gesagt habe. Vielen Dank für die Auf-
merksamkeit.


(Uta Zapf [SPD]: Wir können doch lesen!)

Frau Zapf, es war natürlich ein Missverständnis, ich

hätte Ihr Anliegen ins Lächerliche ziehen wollen. Was ich
beanstandet habe – wobei ich der Auffassung bin, dass
man dem am besten mit satirischen Mitteln beikommt –,
ist dieser himmelweite Abstand zwischen Anspruch und
Wirklichkeit, der bei Ihnen immer wieder deutlich wird,
aber in diesem Antrag ganz besonders.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich kann dem, was Kollege Nachtwei hier gerade zu

der beklagenswerten Situation, dass es der Bundesrepu-
blik Deutschland nicht gelungen ist, die zugesagten Poli-
zisten vor Ort zu entsenden, gesagt hat, voll zustimmen.
Auch ich finde es außerordentlich bedauerlich, unter wel-
chen Gefährdungen diese Kräfte dort mit wie wenig ro-
busten Mitteln ausgestattet sind. Ich glaube, hier besteht
ein erheblicher Nachholbedarf.

Frau Zapf, wenn Sie auf die schrecklichen Nachrichten
von heute früh verweisen, dann kann ich das nur bestäti-
gen. Natürlich ist das furchtbar. Das hätten wir alles nicht,




Winfried Nachtwei

15499


(C)



(D)



(A)



(B)


wenn dieser Antrag endlich verabschiedet würde – das ist
doch das, was mich zur Heiterkeit reizt.


(Uta Zapf [SPD]: Ab und zu mal zuhören ist auch nicht verkehrt!)


Das, was Sie in diesem Antrag alles auflisten, was al-
les geschehen müsste, ist doch, wenn man es zusammen
betrachtet, nichts als ein Misstrauensvotum gegenüber Ih-
rer eigenen Bundesregierung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist ein Misstrauensvotum gegenüber der gesamten
klassischen Außen- und Entwicklungspolitik und ihren
Instrumenten und damit ein Misstrauensvotum gegenüber
Ihrer eigenen Bundesregierung, die ich hier gegen diese
Ihre Vorwürfe, Herr Zöpel, ganz vehement in Schutz neh-
men möchte; denn so schlecht, wie sie aussieht, ist sie gar
nicht. So schlecht sind Sie wirklich nicht.


(Heiterkeit bei der F.D.P. und CDU/CSU – Beifall bei der SPD)


Sie lassen es sich von Ihrer Mehrheit in Ihrem Parla-
ment gefallen, dass sie Ihnen auf neun Seiten vorschreibt
und auflistet, was Sie alles nicht gemacht haben.

Ich fand es eben außerordentlich interessant zu hören,
dass es – das war mir entfallen, Frau Zapf – in der letzten
Wahlperiode schon einmal einen entsprechenden Antrag,
damals allein von der SPD, gegeben hat. Da haben Sie die
gesamten Vorwürfe, die Sie jetzt wieder erheben, der al-
ten Bundesregierung gemacht. Das war Ihre Aufgabe als
Opposition, aber dass Sie jetzt fast denselben Antrag wie-
der einbringen, zeigt doch, dass die neue Bundesregie-
rung, jetzt da sie die Macht hat, nichts aus ihrem alten An-
trag gelernt hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Was ich auch außerordentlich bemerkenswert finde,

ist, dass viele ihrer Forderungen hierin stehen – den An-
trag haben Sie ja vor Monaten formuliert –, in Ihre Haus-
haltsbeschlüsse, die Sie mit Mehrheit gefasst haben, je-
doch keinen Eingang gefunden haben.


(Uta Zapf [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr! Wir haben 20 Millionen draufgelegt!)


Es ist wunderschön, als Opposition von einer Bundesre-
gierung alles Mögliche zu verlangen. Das ist die Aufgabe
der Opposition. Wenn Sie aber selbst die Mehrheit und die
Macht haben und alles das beschließen und durchsetzen
könnten, stellt sich doch die Frage: Warum haben Sie es
denn nicht getan?


(Uta Zapf [SPD]: Wir haben doch einen Großteil getan!)


Stattdessen beglücken Sie uns hier zum wiederholten
Male mit einem doch eher abstrus wirkenden Wortgeklin-
gel.

Ich will Ihnen einige konkrete Punkte nennen, bei de-
nen nun wirklich Abhilfe geschaffen werden könnte. Ich
verstehe es so, dass Sie einen albernen Verschnitt eines
Peace-Korps ausbilden wollen. Da lassen Sie wirklich
nichts aus. Insofern hat Herr Polenz natürlich Recht; da

kommt das ganze Spektrum honigsüß triefender Be-
glückungsrhetorik wieder, welche die Grünen so mögen.
Da muss natürlich besonderer Wert auf frauenspezifische
Fragen gelegt werden. Ich habe mit großem Interesse ge-
lernt, dass man das neuerdings „gender training“ nennt.
Ich hatte das irgendwie anders in Erinnerung. Lassen Sie
sich den Begriff „gender training“ auf der Zunge zergehen!


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Des Weiteren: Die berufliche Freistellung des Mis-

sionspersonals soll rechtlich abgesichert werden. Ja,
fabelhaft, das ist wieder eine Arbeitsbeschaffungs-
maßnahme für stellungslose grüne Universitätsabsol-
venten. Das kennen wir alles schon.


(Uta Zapf [SPD]: Vielleicht findet sich auch noch etwas für Sie!)


Jede Nische des grünen Gemüts wird hier mit einer
Bemerkung bedient. Da sind die Kindersoldaten erwähnt,
da muss die Trauma-Hilfe herangezogen werden. Nein,
meine Damen und Herren, das Thema ist mir viel zu ernst


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Jetzt überlegen Sie noch einmal brav, was Sie sagen!)


und im Übrigen keine Erfindung von Ihnen. Schon der
Wiener Kongress hat festgestellt, dass Vorbeugen besser
ist als Schießen. Dem will auch niemand etwas entgegen-
setzen. Sie haben in vielem Recht.

Herr Polenz hat Recht, wenn er sagt, es seien zum Teil
grobe Gemeinplätze, die hier kommen. Wir lehnen den
Antrag ab, weil er nichts als Rhetorik und Romantik ist,
und damit haben wir es nicht so sehr, jedenfalls nicht in
der Öffentlichkeit.


(Lachen bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf – –


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415827600
Ich fordere
Sie auf, hier zum Schluss zu kommen, Herr Kollege.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Bitte nicht!)



Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1415827700
Ich bin sofort fertig. Es ist nur
außerordentlich schwierig, Herr Präsident, die Redezeit
einzuhalten, wenn man durch Gelächter und Beifall un-
terbrochen wird.


(Heiterkeit)

Ich darf noch einen letzten Satz hinzufügen. Ich bitte

Sie herzlich: Nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst und
nutzen Sie Ihre Mehrheit dazu, Ihre Forderungen nicht nur
verbal hier zu postulieren, sondern ein wenig davon in die
Realität der praktischen Politik umzusetzen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich das nicht angesprochen?)





Ulrich Irmer
15500


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415827800
Nun spricht
die Kollegin Heidi Lippmann für die Fraktion der PDS.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1415827900
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich kann im Anschluss an Ihre Rede,
Herr Irmer, nur noch – um Erich Kästner zu zitieren – sa-
gen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Der vorliegende Antrag und die Emotionalität, mit der
du, liebe Uta Zapf, diesen Antrag verteidigt hast, sind
natürlich Beleg dafür, in welchen Argumentations-
schwierigkeiten sich die Friedenspolitiker in diesem
Hause angesichts des Gesamtkontextes der Außen- und
Sicherheitspolitik bewegen.


(Uta Zapf [SPD]: Das sehe ich ein wenig anders als ihr!)


Eine Voraussetzung dafür, die zivile Krisenprävention
und Konfliktregelung tatsächlich zu einem der höchsten
Güter deutscher Politik im 21. Jahrhundert zu machen,
wäre, wie die Antragsteller richtig beschreiben, die Not-
wendigkeit der Konfliktanalyse als politische Dauerauf-
gabe zu verstehen und dementsprechende Instrumente zur
zivilen Konfliktbewältigung zu benennen. Eine weitere
Grundvoraussetzung ist die Ursachenforschung. Dazu
wird im vorliegenden Antrag herzlich wenig gesagt.


(Beifall bei der PDS – Uta Zapf [SPD]: Die Ursachenforschung muss die Wissenschaft und nicht der Antrag leisten!)


Zwar ist im Antrag allgemein von „gerechtem Interes-
senausgleich“ und der „Verbesserung der wirtschaftli-
chen, sozialen, ökologischen und politischen Verhält-
nisse“ die Rede. Doch ich frage Sie: Wessen Interessen
stehen dem entgegen und wer wäre folglich in erster Li-
nie verpflichtet, seine Politik in den Bereichen Wirtschaft,
Finanzen, Umwelt, Militär, auswärtige Beziehungen und
Entwicklungszusammenarbeit auf den Prüfstand zu stel-
len? Das wird hier nicht gesagt.

Natürlich wird auch nicht erwähnt, dass Deutschland
wie die übrigen Industriestaaten des Westens und des Nor-
dens die Konfliktpotenziale in der Welt permanent an-
heizt, zum Beispiel durch Hermesbürgschaften, durch
Rüstungsexporte, durch die Unterstützung umweltschäd-
licher Großprojekte, durch die Verschuldungsproblematik
und letztendlich durch die eigene neoliberale Wirt-
schaftspolitik.

Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen und von der SPD: Wo bleibt Ihre Forderung nach ei-
ner Neuausrichtung der internationalen Finanz-, Wäh-
rungs- und Wirtschaftspolitik, die nicht allein auf die
Interessen der Industriestaaten ausgerichtet ist? Wo bleibt
Ihre Forderung nach einer Reform der Institutionen Welt-
bank, Internationaler Währungsfonds und WHO zur
Annäherung an einen „gerechten Interessenausgleich“?
Kann man von einer zivilen Friedenspolitik sprechen,
wenn rund 40 Millionen DM für den zivilen Friedens-
dienst ausgegeben werden und auf der anderen Seite ein
Rüstungsetat von knapp 47 Milliarden DM steht, wobei
die rund 200 Milliarden DM, die man in den nächsten

10 bis 15 Jahren in diesen Bereich investieren will, noch
gar nicht eingerechnet sind?


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie werden emotional!)


Nein, das kann man nicht. Denn der Schwerpunkt
deutscher Sicherheitspolitik ist vorrangig auf die mi-
litärische Absicherung deutscher Wirtschaftsinteressen
orientiert. Wer die Bundeswehr für weltweite Militär-
interventionen umrüstet, der kann nicht glaubhaft von der
Priorität ziviler Konfliktvorbeugung sprechen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie will die Bundeswehr das machen?)


Die Knappheit der öffentlichen Haushalte verlangt eine
Grundsatzentscheidung: Geld für die zivile Bekämpfung
der Krisenursachen oder Geld für die gewaltförmige und
vordergründige Eindämmung von Krisen?

Wer auf die umfassende Stärkung der NATO durch im-
mer neue Rüstungsmodernisierungen setzt, kann nicht
gleichzeitig die UN als zentrale Einrichtung der Weltent-
wicklung und des Weltfriedens stärken. Wer zu 1 Prozent
auf Zivil und zu 99 Prozent auf Militär setzt, der setzt
seine Prioritäten falsch.


(Beifall bei der PDS)

Wer durch weltweite Rüstungsexporte dazu beiträgt,

dass Krisen und Kriege technisch führbar gemacht wer-
den, der trägt zur Verschärfung von Konflikten bei.

In diesem Kontext – liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich sehe Ihr Wohlwollen und ich glaube Ihnen ernsthaft,
dass Sie Interesse daran haben, diesen Politikbereich vo-
ranzubringen – können wir Ihrem Antrag nicht zustim-
men.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415828000
Ich schließe
die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Kri-
senprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedens-
konsolidierung“, Drucksache 14/5283. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3862 anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen ange-
nommen.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Jugendgerichtsgesetzes
– Drucksache 14/5014 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich gebe als erstem Redner dem Justizminister des
Landes Thüringen, Dr. Andreas Birkmann, das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415828100
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf des
Bundesrates zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes,
der zwei Ziele verfolgt: erstens das beschleunigte Verfah-
ren des Erwachsenenstrafrechts auch bei jugendlichen
Straftätern anwenden zu können und zweitens: das schon
bestehende vereinfachte Jugendverfahren prozess-
rechtlich effizienter zu gestalten.

Lassen Sie mich bitte darlegen, warum die Länder-
kammer eine Gesetzesänderung für notwendig erachtet.
Wir erleben immer wieder, dass bei Straftaten Tätergrup-
pen so konstruiert sind, dass 17-Jährige, 19-Jährige und
22-Jährige zusammen auftreten. Das erleben wir bei all-
gemeinen Straftaten, das erleben wir aber auch besonders
bei Gewaltdelikten und hier nicht nur, aber insbesondere
auch bei rechtsradikalen Ausschreitungen Jugendlicher
und Heranwachsender.

Die gerichtliche Praxis hat in der Vergangenheit, wenn
es dann bei der Aburteilung der Straftaten zu Verzögerun-
gen gekommen ist, prozessuale Schwierigkeiten dafür
verantwortlich gemacht. Bei einem Tatgeschehen, also ei-
ner prozessualen Tat, ist gegen den Heranwachsenden
zwischen 18 und 21 Jahren das beschleunigte Verfahren
anwendbar, gegen den jüngeren, den unter 18-Jährigen,
jedoch nicht.

Folgender Fall, der leider nicht untypisch ist, verdeut-
licht das Problem. Zwei mehrfach und einschlägig, wenn
auch nicht gravierend in Erscheinung getretene junge
Männer von 17 und 19 Jahren misshandeln einen Fahrgast
in einer Straßenbahn aus rassistischen Motiven oder weil
sie ihn für einen Ausländer oder politisch Andersdenken-
den halten oder weil dieser schlicht körperbehindert und
nach ihrer Auffassung offenbar minderwertig ist. Dazu
bekennen Sie sich dann auch demonstrativ. Das Opfer er-
leidet schwere Verletzungen und muss längere Zeit statio-
när im Krankenhaus verweilen. Die Täter wohnen bei den
Eltern; es besteht also ein fester Wohnsitz. Sie haben eine
Lehrstelle oder gehen noch in die Schule. Sie bekennen
sich aber zu ihrer Weltanschauung. Die Öffentlichkeit ist
zu Recht empört. Die Polizei verweist auf die Justiz. El-
tern und Schule sind hilflos.

Was passiert? Haftbefehle dürften in Ermangelung von
Haftgründen ausscheiden. Eine schnelle Reaktion muss
die Straftäter nachhaltig beeindrucken. Gegen den 19-
Jährigen, also den Heranwachsenden, kann das be-
schleunigte Verfahren durchgeführt werden. Er kann mit
dem Sanktionenkatalog des Jugendstrafrechts, gegebe-
nenfalls auch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt
werden. Nicht so bei dem tatbeteiligten Jugendlichen, der
unter Umständen der weitaus üblere Schläger war. Das
vereinfachte Jugendverfahren gibt die erforderlichen
Sanktionen nicht her. Klar ist aber auch, dass der Jugend-
liche nicht erst in ein paar Wochen oder Monaten, sondern
sofort, umgehend spüren muss, was er angerichtet hat.

Nach derzeitigem Recht bekommt er voraussichtlich
eine Anklage, über die in der Regel erst nach einigen Wo-
chen verhandelt wird, wobei zwischen Verurteilung und
Abbüßung der Strafe weitere Zeit ins Land gehen wird.
Bis dahin war für ihn, den Jugendlichen, der Vorfall of-
fensichtlich nicht so schlimm; denn in seiner Vorstel-
lungswelt wäre er anderenfalls bereits im Gefängnis. Die
schnelle Reaktion, die den Zusammenhang zur Tat sinn-
fällig macht, ist zwar dringend geboten, aber nicht mög-
lich.

Hier setzt der Reformvorschlag an. Auch hier muss ein
rasches Jugendstrafverfahren möglich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Aufsplittung eines solchen einheitlichen Tatge-

schehens in mehrere Strafverfahren – gegen Heranwach-
sende und Erwachsene das beschleunigte Verfahren ei-
nerseits, gegen Jugendliche das normale Jugendverfahren
andererseits – und die damit zwangsläufig verbundene
zeitliche Verzögerung erscheinen im Hinblick auf die ge-
wünschte Beschleunigung der Sanktionierung eines sol-
chen Verhaltens kontraproduktiv.

In Gesprächen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten
sowie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugend-
gerichtshilfe ist mir von diesem Missstand immer wieder
berichtet worden. Mir leuchtet ein, dass bei unserer Reak-
tion auf Jugendkriminalität nicht nur zählt, welche Stra-
fen Gerichte im Urteil aussprechen, sondern dass vor al-
lem auch zählt, dass die Reaktion schnell erfolgt.

Nach dem Gesetzentwurf der Länderkammer soll des-
halb das in der Strafprozessordnung vorgesehene be-
schleunigte Verfahren, das eine zügige Aburteilung er-
möglicht, künftig auch im Jugendstrafrecht Anwendung
finden können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich betone ausdrücklich: können. Das heißt nicht: müs-
sen. Denn letzten Endes bleibt es der Einzelfallentschei-
dung des Richters vorbehalten, ob zur Aburteilung der
konkreten Straftat im beschleunigten Verfahren verhan-
delt werden soll oder nicht.

Meine Damen und Herren, ich weiß, diesem Lösungs-
ansatz des Gesetzentwurfes wird vereinzelt entgegen-
gehalten, dass die Einführung des beschleunigten Verfah-
rens für Jugendliche wesentlichen Prinzipien des Jugend-
strafrechts widerspreche, da sich das Jugendstrafrecht am
Erziehungsgedanken orientiere und auf eine Beteiligung
der Jugendgerichtshilfe nicht verzichtet werden könne.

Dieser Einwand ist nicht zutreffend. Er verkennt zwei-
erlei: zum einen, dass die Beschleunigung dem Erzie-
hungsgedanken nicht nur nicht im Wege steht, sondern
ihn fördert; zum anderen, dass die Grundsätze des Ju-
gendstrafrechts im vorliegenden Gesetzentwurf – das be-
tone ich ausdrücklich – nicht infrage gestellt werden. Um
dies noch einmal ausdrücklich klarzustellen: Auf eine Be-
teiligung der Jugendgerichtshilfe kann und soll nicht ver-
zichtet werden.


(Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]: Wie gut, dass diese Rede nicht zu Protokoll gegeben worden ist!)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
15502


(C)



(D)



(A)



(B)


– Danke schön. Sie werden noch Weiteres erfahren und
feststellen, wie gut es ist, dass ich sie hier halte.

Der Gesetzentwurf des Bundesrats sieht demgemäß
auch keine dahin gehenden Beschränkungen vor. Es wer-
den weder Elternrechte tangiert noch wird die Beteiligung
der Jugendgerichtshilfe beschränkt noch werden Verteidi-
gerrechte beschnitten. Eine im Einzelfall eventuell not-
wendig werdende Hauptverhandlungshaft findet ihre ge-
setzlichen Schranken in der Regelung des § 72 des
Jugendgerichtsgesetzes


(Alfred Hartenbach [SPD]: Auf diesen Satz, Herr Birkmann, habe ich die ganze Zeit gewartet!)


und selbstverständlich im Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit. Dies sind unverrückbare Grundsätze.


(Erika Simm [SPD]: Das ist Papier!)

Andere Lösungsmöglichkeiten sind zur Bewältigung

der aufgezeigten Problemlage nicht ausreichend. Das ver-
einfachte Jugendverfahren, das wir ja bereits anwenden
und das im Jugendgerichtsgesetz niedergelegt ist, kommt
dem Bedürfnis nach Beschleunigung nur eingeschränkt
entgegen, da es nur bei Jugendlichen gilt, nicht jedoch
gleichzeitig bei Heranwachsenden und Erwachsenen. Da-
bei darf nicht auf Jugendstrafe erkannt werden, auch wenn
schädliche Neigungen des Jugendlichen oder die
„Schwere der Schuld“ – so der Gesetzeswortlaut – dies
ansonsten gebieten würden.

Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, in
dem gesetzgeberischen Anliegen müssten wir uns an sich
alle einig sein. Es geht darum, dem Bedürfnis nach Be-
schleunigung im Jugendstrafverfahren Rechnung zu tra-
gen, um möglichst effektiv auf straffällig gewordene Ju-
gendliche einzuwirken, damit ihnen eine kriminelle
Karriere erspart bleibt.

Der Beschleunigungsgrundsatz beherrscht bekannt-
lich das gesamte Jugendstrafrecht. Das ist so richtig. Was
wir wollen, ist nur die konsequente Fortsetzung dieser
schon bisher als richtig erkannten Maxime. Mit diesem
Gesetzentwurf wollen wir keine Verfahrensbeschleuni-
gung um jeden Preis. Aber unseren Jugendstaatsanwältin-
nen und Jugendstaatsanwälten, Jugendrichterinnen und
Jugendrichtern müssen alle wirksamen Mittel zur Verfü-
gung stehen, um in den hierfür geeigneten Fällen eine
schnelle Reaktion herbeiführen zu können; jedoch – das
betone ich ausdrücklich – nicht mit dem Ziel, jugendliche
Straftäter wegzuschließen, sondern um ihnen zu helfen
und ihnen Lösungswege für eine straffreie Zukunft auf-
zuzeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In jedem Fall ist hierfür jedoch eine zeitnahe Reaktion er-
forderlich.

Eine solche zeitnahe Reaktion ist sowohl mit Blick auf
den jugendlichen Täter als auch unter dem Aspekt der
Wirkung in der Öffentlichkeit positiv zu sehen. Das sind
jedenfalls die Erfahrungen, die wir mit dem beschleunig-
ten Verfahren im Erwachsenenstrafrecht ständig machen.
Wenn die Strafe der Tat alsbald auf dem Fuße folgt, be-

eindruckt das den Täter und – auch das ist wichtig – stärkt
das Sicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit. Warum soll
dieses nicht auch im Jugendstrafrecht gelten, meine Da-
men und Herren? Im Interesse einer Verfahrensbeschleu-
nigung ist es dabei allen Verfahrensbeteiligten – auch der
Jugendgerichtshilfe – zuzumuten, die erforderlichen Er-
mittlungen und Prozesshandlungen in kurz bemessener
Zeit vorzunehmen, zumal der Jugendgerichtshilfe manch
ein Täter aus früheren Verfahren durchaus bekannt sein
dürfte. Wenn die Entscheidungsvoraussetzungen für das
beschleunigte Verfahren vorliegen – dazu gehört, um das
noch einmal zu sagen, dass die Sache aufgrund des einfa-
chen Sachverhalts und der klaren Beweislage zur soforti-
gen Verhandlung geeignet ist –, ist eine zügige Bearbei-
tung regelmäßig möglich.


(Glocke des Präsidenten)

– Herr Präsident, ich möchte noch ganz kurz einen zwei-
ten Aspekt des vorliegenden Gesetzentwurfs ansprechen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415828200
Herr Minis-
ter, ich unterbreche einen Vertreter eines Bundeslandes ja
nur ungern, aber es gibt unter den Fraktionen eine Ab-
sprache über die Redezeit zu dieser abendlichen Stunde.
Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Ich
wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie zügig zum Abschluss
kommen würden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415828300
Herr
Präsident, ich werde Ihrer Bitte gerne folgen und will nur
noch kurz darauf hinweisen, dass die Gesetzesvorlage ei-
nen zweiten Aspekt hat, nämlich die Einführung der
Zwangsmittel Vorführung und Haftbefehl, was eben-
falls notwendig erscheint, um das vereinfachte Jugend-
verfahren zügig durchführen zu können.

Damit komme ich zum Schluss. Meine Damen und
Herren, der Bundesrat bezweckt mit der von ihm be-
schlossenen Gesetzesinitiative die genannte Beschleuni-
gung. Dieses Anliegen entspricht der allgemeinen Inten-
tion des Jugendstrafrechts, und dem kommt angesichts
der Zunahme von Gewalttaten Jugendlicher – häufig mit
jungen Erwachsenen zusammen – besondere Bedeutung
zu. Lassen Sie uns deswegen bei den anstehenden Bera-
tungen in den Ausschüssen gemeinsam überlegen, wie wir
diesem Anliegen Rechnung tragen können. Der vorlie-
gende Gesetzesentwurf erscheint mir die geeignete
Grundlage dafür zu sein.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415828400
Für die
SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Erika Simm.


Erika Simm (SPD):
Rede ID: ID1415828500
Sehr verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Ju-
gendgerichtsgesetzes soll das beschleunigte Verfahren
aus dem allgemeinen Strafprozess auch im Strafverfahren
gegen Jugendliche, also gegen die unter 18-Jährigen, und




Minister Dr. Andreas Birkmann (Thüringen)


15503


(C)



(D)



(A)



(B)


damit auch die Anordnung von Hauptverhandlungshaft
zugelassen werden. Ferner soll künftig in dem schon jetzt
bestehenden so genannten vereinfachten Jugendverfahren
gegen einen Jugendlichen, der unentschuldigt nicht zur
Hauptverhandlung erscheint, gemäß § 230 der Strafpro-
zessordnung die polizeiliche Vorführung angeordnet und
Haftbefehl erlassen werden können.

Begründet wird die Notwendigkeit dieser Änderungen
damit, dass in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit ver-
mehrt Fälle bekannt geworden seien, in denen auf frischer
Tat betroffene Jugendliche trotz eindeutiger Beweislage
erst nach Wochen oder gar Monaten einer strafrechtlichen
Sanktion hätten zugeführt werden können. Dass Jugend-
gerichtsverfahren mitunter zu lange dauern, ist keines-
wegs eine neue Erscheinung. Dies ist auch in der Vergan-
genheit immer wieder beklagt worden. Es fragt sich nur,
was die Ursachen sind. Nach meiner Einschätzung liegt es
in der Regel zuletzt daran, dass jugendliche Angeklagte
nicht zur Hauptverhandlung erscheinen. Oft aber hat das
damit zu tun, dass Polizeibeamte, Staatsanwälte und
Richter überlastet sind und dass die Arbeitsabläufe inner-
halb der Justiz auch einem gutwilligen Richter wenig
Flexibilität ermöglichen. So kann es zum Beispiel – dabei
spreche ich aus Erfahrung – schon zu einem Problem wer-
den, wenn man als Jugendrichter außerhalb der üblichen
Sitzungstage einen Sitzungsraum oder einen Protokollfüh-
rer braucht, um eine schnelle Hauptverhandlung durch-
zuführen.

Oft mangelt es auch an der notwendigen und rechtzei-
tigen Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Ju-
gendgerichtshilfe und Gericht. Die vorgeschlagenen Ge-
setzesänderungen sind nicht geeignet, solchen Mängeln
abzuhelfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Im Übrigen stellt das Jugendgerichtsgesetz neben den
Möglichkeiten der Verfahrenserledigung nach den §§ 45
und 47 – das ist die Einstellung in der Regel mit einer
Sanktion – in Form des so genannten vereinfachten Ver-
fahrens eine Verfahrensalternative zur Verfügung, die
durchaus eine rasche Verhandlung und Aburteilung er-
möglicht. In diesem vereinfachten Verfahren, wie wir es
haben, können alle Sanktionen des Jugendgerichtsgeset-
zes mit Ausnahme von Jugendstrafe, Heimunterbringung
und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verhängt
werden. So kann zum Beispiel auf Jugendarrest von bis zu
vier Wochen, bei Verkehrssachen auf Fahrverbot und
Führerscheinentzug mit einer Sperrfrist von bis zu zwei
Jahren erkannt werden.

Der mögliche Anwendungsbereich des vereinfachten
Verfahrens umfasst damit die leichte bis mittlere Krimina-
lität, deckt also sehr viel ab und erscheint mir deswegen
voll ausreichend. Ein Bedürfnis, daneben noch das be-
schleunigte Verfahren zuzulassen, sehe ich nicht.

Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass es das
beschleunigte Verfahren gab, bevor das vereinfachte
Verfahren eingeführt wurde. Das beschleunigte Verfahren
wurde durch das vereinfachte und stärker auf Jugendliche

hin orientierte Verfahren abgeschafft. Ich halte es für ge-
radezu widersinnig, nun beide Verfahren nebeneinander
zuzulassen. Das gab es noch nie. Auch spricht in der Sa-
che nichts dafür, das zu tun.

Ich bin aber auch der Meinung, dass das beschleunigte
Verfahren den im Jugendgerichtsgesetz verankerten
Grundprinzipien des Strafverfahrens gegen Jugendliche
nicht hinreichend Rechnung trägt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So kann im beschleunigten Verfahren die Anklage münd-
lich erhoben werden, die Ladungsfrist kann auf 24 Stun-
den verkürzt werden, Aussagen von Zeugen, Sachver-
ständigen und Mitbeschuldigten können verlesen werden.
Die vorgeschriebene Beteiligung der Jugendgerichtshilfe
und des gesetzlichen Vertreters, aber auch das gerade in
Verfahren gegen Jugendliche so wichtige Mündlich-
keitsprinzip der Verhandlung erscheint mir damit nicht
hinreichend gewährleistet.

Mit der Ermöglichung der Hauptverhandlungshaft
wird in meinen Augen gegen den Grundsatz verstoßen,
dass Freiheitsentziehung gegen Jugendliche stets Ultima
Ratio sein sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wohlgemerkt: Wir reden von den 14- bis 17-Jährigen.
Dieser Grundsatz hat zuletzt 1990 im Ersten Gesetz zur
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes in den §§ 71 und 72
einen besonderen Niederschlag gefunden, wonach zum
Beispiel die Untersuchungshaft gegen Jugendliche unter
16 Jahren nur noch unter ganz engen Voraussetzungen
verhängt werden darf, praktisch nämlich dann, wenn es
wirklich keine andere Möglichkeit gibt, den Jugendlichen
bis zur Hauptverhandlung festzuhalten.

Man zog damit die Konsequenzen aus der über die
Jahrzehnte hinweg gewonnenen Erkenntnis, dass Frei-
heitsentziehung, insbesondere kurze Inhaftierung in Ein-
richtungen, die nicht speziell auf die erzieherischen Be-
dürfnisse von Jugendlichen ausgerichtet sind, oft mehr
schadet als nutzt. Gegen die Vorführung oder gar einen
Haftbefehl nach § 230 der Strafprozessordnung im ver-
einfachten Jugendverfahren bestehen schon aus dem Ge-
sichtspunkt der Verhältnismäßigkeit in meinen Augen er-
hebliche Bedenken.

Im Übrigen halte ich die Durchführung eines verein-
fachten Verfahrens grundsätzlich nur in den Fällen für
sinnvoll, in denen ein gewisses Maß an Einsichtsfähigkeit
und Kooperationsbereitschaft bei den jugendlichen Ange-
klagten vorausgesetzt werden kann. Der unentschuldigt
nicht zur Verhandlung erschienene Jugendliche hat durch
sein Nichterscheinen aber gerade bewiesen, dass er nicht
bereit ist, die Konsequenzen aus seinem Fehlverhalten zu
tragen und sich dem Verfahren zu stellen. Ich bin der Mei-
nung, dass es in diesen Fällen auch aus erzieherischen
Gründen geradezu geboten ist, ins reguläre Verfahren
überzuwechseln und eine förmliche Hauptverhandlung
durchzuführen. Im Übrigen ist meine Erfahrung, dass Ju-
gendliche eher selten nicht zur Verhandlung erscheinen.
Das gilt zumindest dann, wenn es vor Ort eine funktio-




Erika Simm
15504


(C)



(D)



(A)



(B)


nierende Jugendgerichtshilfe gibt, die zu dem Jugendli-
chen vor der Verhandlung Kontakt aufnimmt und ihn auf
die bevorstehende Verhandlung und das, was ihn dort er-
wartet, entsprechend vorbereitet.

Zusammenfassend stelle ich fest: Das Instrumentarium
des geltenden Jugendgerichtsgesetzes reicht völlig aus, um
Strafverfahren gegen Jugendliche mit der gebotenen Be-
schleunigung durchzuführen. Wenn die Verfahren im Ein-
zelfall dennoch zu lange dauern, so sind die Ursachen im
unzureichenden Vollzug des Gesetzes zu sehen. In diesem
Punkt wäre dann auch anzusetzen, wenn man ernsthaft zu
einem schnelleren Abschluss der Verfahren kommen will.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415828600
Ich gebe nun
dem Kollegen Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion das
Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1415828700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das,
was Frau Kollegin Simm gerade vorgetragen hat, ent-
spricht sicherlich der Auffassung vieler, die in der Praxis
tätig sind. Ich muss sagen: Viele der von Ihnen vorgetra-
genen Argumente sind von hohem Gewicht und haben
auch mich immer überzeugt.

Trotzdem: Ich will signalisieren, dass ich bei dem ei-
nen oder anderen Punkt durchaus nachdenklich geworden
bin, und zwar deswegen, weil sich das Jugendstrafrecht
in unserem Lande in besonderer Weise bewährt hat. Wir
haben gerade am Wochenende wieder lesen können, dass
verschiedene Länder anders mit ihren Jugendlichen um-
gehen. Wir haben ein Urteil in den Vereinigten Staaten er-
lebt, wonach ein 14-Jähriger wegen eines Tötungsdelik-
tes, das er im Alter von zwölf Jahren begangen hat, zu
einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden
ist. Wir haben die Hände über dem Kopf zusammenge-
schlagen. Im Übrigen nützt ein solches Vorgehen über-
haupt nichts: Die Gewaltkriminalität und die Jugendkri-
minalität insgesamt sind in den Vereinigten Staaten viel
höher als bei uns. Das macht deutlich, dass der erziehe-
rische Ansatz, den wir in unserem Jugendstrafrecht ha-
ben, offensichtlich richtig ist. Die Betonung liegt aber auf
dem erzieherischen Ansatz.

In diesem Zusammenhang will ich auf einen Aspekt
eingehen. Frau Simm, Sie haben gesagt: Wenn ein Ju-
gendlicher nicht zur Hauptverhandlung erscheint, dann
macht das deutlich, dass er sich mit der Tat nicht richtig
auseinander gesetzt hat. – Das kann auch andere Gründe
haben, zum Beispiel den Grund, dass er das Gericht nicht
ernst nimmt. Sein Verhalten macht aber deutlich, dass bei
ihm eine erzieherische Einwirkung notwendig ist. Wie Sie
in diesem Bereich als Richterin Erfahrung sammeln konn-
ten, so weiß ich als Oberstaatsanwalt, dass gerade Ju-
gendliche darauf reagieren, wenn sie mal einen Tag in der
Kiste waren. Das ist eine Erfahrung, die dazu führt, etwas
intensiver über die eigene Situation nachzudenken und
nicht anzunehmen, der Staat ließe alles mit sich machen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Ich glaube, für Erziehung ist entscheidend, dass Fehl-
verhalten – das Nichterscheinen bei Gericht ist ein solches
Fehlverhalten – nicht folgenlos bleibt.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist unglaublich!)


Deshalb könnte eine entsprechende Reaktion bewirken,
dass das, was der Richter anordnet und was dann ge-
schieht, zu einer wesentlich intensiveren erzieherischen
Einwirkung führt. Das kann bedeuten, dass die Entschei-
dung, die der Jugendrichter zu treffen hat, ganz anders
ausfällt , weil eine erzieherische Wirkung erzielt worden
ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sehr gut! So ist es!)


Ich selbst habe das in meinem persönlichen Umfeld bei
jemandem, der auf die schiefe Bahn gekommen ist, erlebt.
Erst, nachdem ein Tag in Haft verbracht worden war, war
ein Gespräch über die Situation möglich.


(Erika Simm [SPD]: Wo bleibt denn die Unschuldsvermutung?)


Über diese Punkte lohnt es sich nachzudenken. Des-
wegen bin ich der Auffassung, wir sollten offen in eine
Anhörung gehen – wir werden mit Sicherheit eine solche
haben –, und ich signalisiere, dass ich dafür offen bin.

Was mich sehr nachdenklich macht, ist die Frage nach
der Beteiligung der Jugendgerichtshilfe. Für mich war
bei der Vorbereitung auf Jugendverfahren der Bericht der
Jugendgerichtshilfe von außerordentlicher Bedeutung.
Ich habe mich deshalb ganz bewusst immer mit den Be-
richten der Jugendgerichtshilfe auf die entsprechenden
Verhandlungen vorbereitet, weil man durch diese Be-
richte wertvolle Hinweise bekam, was hinterher als Re-
aktion erfolgen sollte. Leider muss ich feststellen, dass
das nicht alle Richter genauso gesehen haben, es reichte
aber aus, wenn der Staatsanwalt nachhelfen und den einen
oder anderen Hinweis geben konnte.

Ich denke, wir sollten zu einer Beschleunigung des
Verfahrens kommen. Im Übrigen hat sich gezeigt – auch
das gehört zu einer klaren Lagebeurteilung –, dass viele
der Befürchtungen, die wir aus der SPD-Fraktion, aber
auch aus meiner eigenen Fraktion bei der Förderung des
beschleunigten Verfahrens gehört haben, nicht einge-
troffen sind. Es ist auffällig, wie viele der beschleunigten
Verfahren sofort rechtskräftig werden. Das zeigt, dass die
Angeklagten eben keine Beschränkung ihrer Rechte zu
befürchten haben.

Ich denke, dass gerade das Jugendverfahren von Be-
schleunigung lebt. Deshalb ist für mich die Sicherstellung
der Beteiligung der Jugendgerichtshilfe ein wichtiger
Faktor. Darauf werde ich auch bei den Beratungen großen
Wert legen. Das muss gewährleistet sein. Es darf also
nicht Beschleunigung um jeden Preis geben; denn die er-
zieherischen Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes müs-
sen bei allen Anstrengungen, die zu einer Beschleunigung
der Verfahren unternommen werden, erhalten bleiben.
Aber Beschleunigung ist notwendig. Je schneller Jugend-
liche eine Reaktion spüren, desto besser ist es auch für
ihren weiteren Lebensweg.




Erika Simm

15505


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415828800
Der Redner
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Volker Beck,
gibt seine Rede zu Protokoll.1)

Es spricht nun für die Fraktion der PDS die Kollegin
Sabine Jünger.


Sabine Jünger (PDS):
Rede ID: ID1415828900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich möchte meinem Erstaunen zumindest
über den ersten Teil Ihrer Rede, Herr van Essen, Ausdruck
verleihen. „Erstaunen“ ist noch eine sehr vorsichtige
Formulierung. Ich gebe gerne zu, dass Sie mich über-
rascht haben. Das hätte ich von Ihnen so nicht erwartet.
Wenn das die neue Liberalität ist, dann muss ich ehrlich
zugeben, dass es mich ein Stück weit davor gruselt.


(Beifall bei der PDS – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Die PDS muss uns nicht sagen, was Liberalität ist! – Gegenruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]: Sie sind nicht angesprochen! Sie wissen doch gar nicht, was das ist! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe Sie lieber nicht verstanden! – Zuruf des Abg. Günter Nooke [CDU/ CSU])


Jugendstrafverfahren – das möchte ich deutlich unter-
streichen – sollten so schnell wie möglich abgeschlossen
werden. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Außer-
dem steht es schon jetzt ganz deutlich im Gesetz. Das
Jugendgerichtsgesetz enthält ausdrücklich ein Beschleu-
nigungsgebot für alle Verfahren. – Herr Nooke, wenn Sie
mir zuhören würden, dann könnten Sie das vielleicht auch
verstehen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ich habe mich mit Herrn Kutzmutz unterhalten!)


§§ 76 ff. bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Verfahren
zu vereinfachen und damit relativ zügig abzuschließen.

Nun gibt es aber doch leider immer wieder Fälle, in de-
nen es über ein Jahr – wenn nicht noch länger – dauert, bis
es zu einem Urteil kommt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist nicht nur bedauerlich, nein, das ist in jeder Hin-
sicht kontraproduktiv. Die Frage ist nur, woran das liegt.
Frau Simm, der doppelt so viel Redezeit zur Verfügung
stand wie mir jetzt, konnte darauf etwas ausführlicher ein-
gehen. Ich fasse mich ganz kurz und sage: Es liegt an der
Überlastung von Polizei und Gerichten sowie an der
schlechten Ausstattung und Überlastung der Jugendge-
richtshilfe. Die gesetzlichen Möglichkeiten, denke ich,
sind ausreichend.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht zu ausreichend!)


An denen liegt es wohl zu allerletzt.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates geht meiner Mei-
nung nach völlig an den Problemen vorbei, noch schlim-
mer: Er ist ein Angriff auf grundlegende Prinzipien des
Jugendstrafrechts. Wenn es um Haftstrafen für Jugendli-
che geht, muss sorgfältig gearbeitet werden. Das Jugend-
gerichtsgesetz legt ganz klar fest, was darunter zu verste-
hen ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie müssen sich ein paar neue Argumente einfallen lassen!)


– Wenn ich mich mit Ihren alten Argumenten, Herr Geis,
wie Herabsetzung der Strafmündigkeit auseinander set-
zen würde, die Sie Jahr für Jahr aus der Mottenkiste ho-
len, dann hätte ich viel zu tun.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So lange sind Sie noch gar nicht im Parlament, Frau Kollegin!)


– Wissen Sie, ich saß vorher vier Jahre im Rechtsaus-
schuss des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern.
Auch dort durfte ich mich öfter mit Ihren Ergüssen aus-
einander setzen. Sie sind ja – das möchte ich Ihnen zuge-
stehen – ein Stück weit über den Bundestag hinaus be-
kannt, sodass mir das auch dort leider nicht erspart blieb.


(Beifall bei der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Zu viel der Ehre! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Hoffentlich haben Sie sich mit meinen Argumenten richtig auseinander gesetzt!)


Die so genannten beschleunigten Verfahren aus dem
allgemeinen Strafrecht können dem, was ich vorhin über
die Haftstrafen für Jugendliche gesagt habe, nicht gerecht
werden. Genau deshalb sind sie ausdrücklich unzulässig.
Das muss auch so bleiben.

Richtig haarig wird es an dem Punkt, wo die Haupt-
verhandlungshaft auch für Jugendliche eingeführt wer-
den soll. Dieser Vorschlag stellt sich ausdrücklich gegen
das Prinzip der Haftvermeidung bei Jugendlichen und da-
mit gegen unser nationales Recht. Es geht den konserva-
tiven Urhebern dieses Gesetzentwurfs offensichtlich im
Kern wieder einmal darum, sich als Hüter der öffentlichen
Sicherheit aufzuspielen. Dazu ist ihnen bekanntlich jedes
Mittel recht. Zurzeit dient ja die Bekämpfung des Rechts-
extremismus regelmäßig als Vorwand für den Ruf nach
Strafverschärfungen. Wir haben das heute auch vom
Justizminister aus Thüringen gehört. Alles, was die Kon-
servativen schon immer am vermeintlich zu liberalen Ju-
gendstrafrecht gestört hat, soll jetzt unter diesem Vorwand
wieder einmal entsorgt werden. Auch der vorliegende Ge-
setzentwurf des Bundesrates, der auf Initiative des Landes
Thüringen zustande gekommen ist, lässt sich hier nahtlos
einreihen.

Ich wundere mich immer wieder, dass gerade diejeni-
gen am lautesten nach Strafverschärfung rufen, die das
Problem des Rechtsextremismus an anderer Stelle klein-
reden. Rechtsextremismus ist kein Jugendproblem, das
durch Änderungen im Jugendstrafrecht bekämpft werden
könnte. Hier sind gesamtgesellschaftliche Lösungen ge-
fragt, die weit von der Ebene des Strafrechts entfernt an-
setzen müssen. Gerade in Thüringen, aber nicht nur dort,
sollte man sich dieser Thematik viel dringender stellen.


(Beifall bei der PDS)





Jörg van Essen
15506


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415829000
Ich gebe das
Wort nunmehr dem Kollegen Alfred Hartenbach für die
Fraktion der SPD.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1415829100
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minis-
ter Birkmann! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bun-
desrates beginnt mit zwei Denkfehlern.

Der erste Denkfehler ist, dass in der letzten Zeit – Frau
Simm hat schon darauf hingewiesen – die Verfahren zu
lange dauern. In dem Entwurf steht „Wochen und Mo-
nate“. Wenn Verfahren Wochen dauern, ist das bei Ju-
gendlichen eine gute Sache, und Monate haben sie auch
schon vorher gedauert. Das wird man nicht verhindern
können.

Der zweite Denkfehler ist, dass wir etwas Neues brau-
chen. Gehen Sie einmal etwas in die Geschichte des Ju-
gendgerichtsgesetzes hinein. Gustav Radbruch hat es
1923 hauptsächlich und vornehmlich initiiert. Er hat die
Strafmündigkeit mit diesem Gesetz von 12 auf 14 Jahre
hochgesetzt und hat erstmals für die 14- bis 17-Jährigen
neben den allgemeinen Knast, der damals, 1923, üblich
war, erzieherische Maßnahmen gesetzt.

Dass in der nationalsozialistischen Zeit leider vieles
verschärft wurde, will ich hier nicht weiter ausführen. Das
ist auch leider 1953 bei der ersten maßvollen Korrektur
des Jugendgerichtsgesetzes kaum verbessert worden. Al-
lerdings hat dieses Jugendgerichtsgesetz 1953 etwas ge-
bracht, was auch sehr wichtig ist: dass nämlich Jugend-
strafrecht auch auf die 18- bis 21-Jährigen angewandt
werden kann.

Erst 1990 haben wir – Frau Simm hat eben schon das
Thema mit der Untersuchungshaft angesprochen – einen
weiteren Schritt hin zu einem modernen und auch sach-
gerechten Jugendstrafrecht getan, indem diese unselige
Jugendstrafe von unbestimmter Dauer abgeschafft wurde.
Diese Strafe war das Härteste, was man Jugendlichen
überhaupt antun konnte. Das geschah damals unter einer
konservativ-liberalen Regierung. Herr van Essen, derje-
nige, der das damals gemacht hat, war der Justizminister
Engelhardt.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich weiß!)

Dies war ein sehr liberaler Mann.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Und das war gut!)

– Ja, das war gut. – Das gebe ich Ihnen nur einmal kurz
mit auf den Weg: ein sehr liberaler Mann.

Was Sie heute wollen, Herr Birkmann – und darin sind
Sie von Herrn van Essen unterstützt worden –, ist, das Rad
wieder zurückzudrehen. Sie wollen wieder mehr formel-
les Erwachsenenstrafrecht in diesen Jugendstrafprozess
hineinbringen über die Verhaftung, über das beschleu-
nigte Verfahren mit der Hauptverhandlungshaft. Sie ken-
nen meine Einstellung zur Hauptverhandlungshaft. Es
war kein guter Tag, als dieser Bundestag damals die
Hauptverhandlungshaft beschlossen hat.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Die Praxis zeigt das Gegenteil!)


– Herr van Essen, ich habe eben erlebt, wie Ihre Praxis ist.
Die heißt: Rein in den Kasten; das wird schon helfen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hat er doch gar nicht gesagt! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Völliger Unsinn!)


Früher sagte man dazu: U-Haft schafft Rechtskraft. Herr
van Essen, wenn Sie als Mensch mit liberalem Anspruch
sich hier hinstellen und sagen: „Es ist gut, wenn einer ein-
mal einen Tag gesessen hat; das wirkt“, dann zementieren
und verfestigen Sie damit, dass Sie bei einer Unschulds-
vermutung jemanden einfach einsperren wollen. Dann se-
hen wir mal zu, was hinterher daraus wird. Ich bin eini-
germaßen enttäuscht.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Das habe ich überhaupt nicht gesagt! Das ist schlicht Unsinn! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hat er doch gar nicht gesagt! Lesen Sie das doch mal im Protokoll nach!)


Ihr liberaler Freund, Herr Funke, hat Magenschmerzen
bekommen, als Sie hier eben geredet haben.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Sie übertreiben, Herr Hartenbach!)


– Herr Geis, Gott sei Dank haben Sie heute mal nichts zu
sagen.


(Heiterkeit bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Ich habe immer etwas zu sagen! Ich sitze im Parlament!)


Wenn wir nun in diese Beratungen hineingehen – und
wir werden uns diesen Beratungen nicht verschließen –,
dann sollen Sie wissen,


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Immerhin hat ja auch ein SPD-Land zugestimmt!)


was für uns als Prämisse gilt: Wir wollen, dass in dem
Spannungsfeld zwischen Strafe und pädagogischer Aus-
richtung des Jugendgerichtsgesetzes der erzieherische
Gedanke eine ganz wesentliche und gewichtige Rolle
spielt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen wir auch! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Da sind wir gar nicht auseinander!)


Der erzieherische Gedanke kann keine wesentliche und
gewichtige Rolle spielen, wenn Sie hier ein Hauruck-
Verfahren haben wollen, wie es das beschleunigte Verfah-
ren ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Wir brauchen in diesen Verfahren eine sehr sorgfältige
Beobachtung des jungen Menschen und eine sehr sorgfäl-
tige Auslotung des Wesens des jungen Menschen.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Und eine sorgfältige Beratung!)


Die allermeisten, die als Jugendliche abweichendes
Verhalten zeigen, sind weder kriminell noch drohen sie






(C)



(D)



(A)



(B)


kriminell zu werden. Deswegen war die Bemerkung „ei-
nen Tag in die Kiste“ auch so schlimm.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hätte uns manchen Wiederholungstäter im Osten erspart!)


Sie brauchen eine klare entsprechende Ausrichtung. Das
gelingt eben nur mit einer vernünftigen Jugendgerichts-
hilfe und einer vernünftigen Verhandlung. Wir haben
– Frau Simm hat es angesprochen – die notwendigen In-
strumentarien.

Sie wollen, dass gegen rechtsradikale jugendliche Tä-
ter so wie gegen Erwachsene verhandelt wird. Wir müs-
sen auch das Umfeld genau derjenigen rechtsradikalen
Täter, die Herr Birkmann angesprochen hat, sehr sorgfäl-
tig und sehr genau ausloten. Gerade bei einem jungen
Menschen genügt es nicht, ihn wie einen Erwachsenen zu
packen, ihn ins „Kästchen“ zu stecken, gegen ihn zu ver-
handeln und ihn zu verurteilen. Alle Maßnahmen müssen
sehr sauber gegeneinander abgewogen sein.


(Beifall bei der SPD und der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Kollege, es geht doch nur gegen die, die gar nicht kommen!)


– Herr Geis, da haben Sie Ihren Parteifreund, Herrn
Birkmann, ganz offensichtlich sehr missverstanden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, nein!)

Im Hinblick darauf, dass wir die Beratungen dem-

nächst beginnen, wiederhole ich: Es wird für uns wichtig
sein, dass wir bei Ihnen die Bereitschaft vorfinden, über
Möglichkeiten nachzudenken, wie man Tat und Reaktion
in einen vernünftigen zeitlichen Zusammenhang bringen
kann. Ich denke, dass ich bei Ihnen als früherem Famili-
enrechtler Verständnis dafür finden müsste. Ich bin aber
nicht sicher, ob das auch für jemanden gilt, der einen Gen-
test für alle männlichen Bewohner dieses Landes will.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Wen haben Sie denn jetzt gemeint?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415829200
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/5014 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an-
dere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatz-
punkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft
– Drucksache 14/5543 –

Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucher-
fragen
– Drucksache 14/5568 –

Zum Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. vor.

Ich habe heute Mittag im Ältestenrat gesagt, dass ich
auf die Weitsicht der Parlamentarischen Geschäftsführer
und auf die Einsicht der Redner vertraue. Wie die nächs-
ten vier Tagesordnungspunkte zeigen, ist dieses Vertrauen
gerechtfertigt. Bei diesem Tagesordnungspunkt geben die
Redner Ilse Janz, SPD, Peter Harry Carstensen,
CDU/CSU, Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen,
Gudrun Kopp, F.D.P., und Kersten Naumann, PDS, ihre
Reden zu Protokoll.1)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst über den Antrag der Fraktion der F.D.P. zur Ein-
setzung eines Ausschusses für Verbraucherfragen. Wer
stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5568? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
CDU/CSU bei Enthaltung der PDS gegen die Stimmen
der F.D.P. abgelehnt.

Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einset-
zung eines Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft“, Drucksache 14/5543. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/5569 vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Gegen-
probe! – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
anderen Fraktionen abgelehnt.

Nun stimmen wir über den Antrag auf Drucksache
14/5543 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von
CDU/CSU und PDS gegen die Stimmen der F.D.P. ange-
nommen. Damit ist der Ausschuss für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten in Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft umbenannt. Der
Ausschuss hat 35 Mitglieder.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Formvorschriften des Pri-
vatrechts und anderer Vorschriften an den mo-
dernen Rechtsgeschäftsverkehr




Alfred Hartenbach
15508


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

– Drucksache 14/4987 –

(Erste Beratung 146. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5561 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dr. Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen
im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreform-gesetz – ZustRG)

– Drucksache 14/4554 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5564 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Norbert Röttgen
Helmut Wilhelm (Amberg)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Die Kolleginnen und Kollegen Christine Lambrecht,
SPD, Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU, Helmut Wilhelm,
Bündnis 90/Die Grünen, Rainer Funke, F.D.P., Dr. Evelyn
Kenzler, PDS, und die Bundesministerin der Justiz,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, geben ihre Reden zu Pro-
tokoll.1)

Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Anpassung der Formvorschriften des Pri-
vatrechts und anderer Vorschriften an den modernen
Rechtsgeschäftsverkehr auf den Drucksachen 14/4987
und 14/5561 ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des Hauses
bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des
gerichtlichen Zustellungsverfahrens auf den Drucksachen
14/4554 und 14/5564: Wer möchte diesem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen? – Gegenprobe! –

Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte, hier ähnlich wie bei
der zweiten Beratung abzustimmen und sich zu erheben,
wenn Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts

(BDiszNOG)

– Drucksache 14/4659 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/5529 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Zu Protokoll gegeben wurden die Reden von Peter
Enders, SPD, Meinrad Belle, CDU/CSU, Helmut
Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, F.D.P., Petra Pau, PDS, und des Parlamentari-
schen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern,
Fritz Rudolf Körper.2)

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Bundes-
disziplinarrechts auf den Drucksachen 14/4659 und
14/5529: Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei Ent-
haltung der F.D.P. und gegen die Stimmen der PDS ist
dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung
angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 217 zu Petitionen

(Verbot von politischen Parteien und Organisationen)

– Drucksache 14/5256 –

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
vor.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

15509


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4 2) Anlage 5

Die Kolleginnen und Kollegen Reinhold Hiller, SPD,
Martin Hohmann, CDU/CSU, Cem Özdemir, Bündnis 90/
Die Grünen, Dr. Karlheinz Guttmacher, F.D.P., Ulla
Jelpke, PDS, und für die Bundesregierung die Staatsse-
kretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast geben ihre Reden
zu Protokoll.1)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses in Sammelübersicht 217. Hierzu liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/5537 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Wer stimmt für Sammelübersicht 217 auf Drucksache
14/5256? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Sammelübersicht 217 ist mit den Stimmen des Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 16. März 2001, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.