Protokoll:
14155

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 155

  • date_rangeDatum: 8. März 2001

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:20 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag den Abgeordneten Gustav-Adolf Schur und Rudolf Kraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15115 A Wahl der Abgeordneten Gudrun Roos und Winfried Mante als Schriftführer . . . . . . . . . 15115 A Bestimmung der Abgeordneten Hildegard Wester als ordentliches Mitglied im Gemein- samen Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15115 B Bestimmung der Abgeordneten Christel Humme, Franz Thönnes und Klaus Brander als stellvertretende Mitglieder im Gemeinsa- men Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15115 B Wahl des Abgeordneten Harald Friese als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprü- fungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15115 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 15115 C Absetzung der Tagesordnungspunkte 15 und 18 15116 C Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 15116 C Begrüßung des Präsidenten der Staatsver- sammlung der Republik Slowenien, Borut Pahor, und seiner Delegation . . . . . . . . . . . . . 15157 A Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesregierung: Reformkurs fortsetzen – Wachstumsdynamik stär- ken (Drucksache 14/5201) . . . . . . . . . . . . . 15116 D b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Jahresgutachten 2000/01 des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Drucksache 14/4792) . . . . . . . . . . . . . 15116 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Gunnar Uldall, Birgit Schnieber- Jastram, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Beschäftigung als Ziel der Wirtschaftspolitik he- rausstellen (Drucksachen 14/2988, 14/3845) . . . . . 15117 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 15117 A Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15121 D Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15126 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15128 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15132 B Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15134 A Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15136 A Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15137 D Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15139 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15141 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 15141 C Gunnar Uldall CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 15143 B Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 15144 B Dr. Bernd Protzner CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15145 D Klaus Lennartz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15148 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15149 D Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15150 B Dr. Mathias Schubert SPD . . . . . . . . . . . . . . 15151 D Plenarprotokoll 14/155 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 155. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 4: a) Große Anfrage der Abgeordneten Peter Hintze, Michael Stübgen, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/CSU: Erweiterung der Europäischen Union (Drucksachen 14/3872, 14/5232) . . . . 15153 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Gloser, Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordne- ten Christian Sterzing, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flankierung der Er- weiterung der Europäischen Union als innenpolitische Aufgabe – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Peter Hintze, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Die deutschen Grenz- regionen auf die EU-Erweiterung durch einen Grenzgürtel-Akti- onsplan vorbereiten (Drucksachen 14/4886, 14/4643, 14/5475) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15153 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Weichen für die Erweiterung der Europäischen Union richtig stellen (Drucksache 14/5447) . . . . . . . . . . . . . . . 15153 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Hildebrecht Braun (Augs- burg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion F.D.P.: Die Bürger für die Osterwei- terung der EU gewinnen (Drucksache 14/5454) . . . . . . . . . . . . . . . 15153 D Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15154 A Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident (Mecklenburg-Vorpommern) . . . . . . . . . . . . . 15157 B Dr. Helmut Haussmann F.D.P. . . . . . . . . . . . . 15158 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 15160 C Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15163 A Dr. Christoph Zöpel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15164 C Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15167 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15168 D Gudrun Roos SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15170 B Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 15171 C Winfried Mante SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15172 D Tagesordnungspunkt 19: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Kranken- hausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung (DRG- Systemzuschlags-Gesetz) (Drucksache 14/5396) . . . . . . . . . . . . . 15174 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrens- gesetzes (Drucksache 14/4925) . . . . . . . . . . . . . 15174 C c) Antrag der Fraktionen SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS: Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitis- mus und Gewalt (Drucksache 14/5456) . . . . . . . . . . . . . 15174 C d) Antrag der Fraktionen SPD, CDU/ CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend (Drucksache 14/5243) . . . . . . . . . . . . . 15174 D e) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Neuer Schwung für das System Schiene (Drucksache 14/5316) . . . . . . . . . . . . . 15174 D f) Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Jörg van Essen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissionen verkürzen –Rah- menbedingungen verbessern (Drucksache 14/4536) . . . . . . . . . . . . . 15175 A g) Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Adelheid Tröscher, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001II weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frei- willige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifi- zierung für Entwicklungsländer (Drucksache 14/4802) . . . . . . . . . . . . . 15175 A Tagesordnungspunkt 20: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks (OSPAR-Überein- kommen) (Drucksachen 14/3949, 14/5217) . . . . 15175 B b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Februar 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Kambodscha über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 14/4706, 14/5260) . . . . 15175 C c) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Sep- tember 1998 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und der Gabuni- schen Republik über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Drucksachen 14/4708, 14/5261) . . . . 15175 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion PDS: Übergangs- regelungen bei der Einführung des Kapitalgesellschaften- und Co-Richt- linie-Gesetzes (Drucksachen 14/3078, 14/5144) . . . . 15175 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Grünbuch zur Umweltproblematik von PVC, KOM (00) 469 end.; Rats- dok.-Nr. 10861/00 (Drucksachen 14/4570 Nr. 3.1, 14/5156) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15176 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Für eine vertiefte Partner- schaft zwischen Russland und der EU (Drucksachen 14/811, 14/5186) . . . . . 15176 B g) – k) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses Sammelübersichten 243, 244, 245, 246, 247 zu Petitionen (Drucksachen 14/5338, 14/5339, 14/5340, 14/5341, 14/5342) . . . . . . . . 15176 C Zusatztagesordnungspunkt 4: – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Überein- kommen von 1989 über Bergung (Drucksache 14/4673, 14/5459) . . . . . 15176 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Bergungsrechts in der See- und Binnenschifffahrt (Drittes Seerechts- änderungsgesetz) (Drucksachen 14/4672, 14/5459) . . . . 15176 D Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zur aktuellen Haushalts- situation und offensichtlichen Unter- finanzierung der Bundeswehr . . . . . . . . 15177 B Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . . . . . . 15177 B Peter Zumkley SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15178 C Thomas Kossendey CDU/CSU . . . . . . . . . . . 15179 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15180 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 15181 D Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg 15183 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 15185 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15186 C Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15188 B Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15189 D Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 15191 A Kurt Palis SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15192 A Hans Raidel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15193 A Gerd Höfer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15194 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 III Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des zivil- gerichtlichen Schutzes bei Gewalt- taten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Drucksache 14/5429) . . . . . . . . . . . . . 15195 B b) Antrag der Abgeordnten Dr. Maria Böhmer, Maria Eichhorn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/ CSU: Ankündigungen zur Bekämp- fung von Gewalt gegen Frauen um- setzen (Drucksache 14/5093) . . . . . . . . . . . . . 15195 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen (Drucksache 14/5455) . . . . . . . . . . . . . . . 15195 C Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15195 D Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15197 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15198 D Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15199 A Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15201 D Dr. Edith Niehuis SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15203 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15204 B Ina Lenke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15204 C Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15204 D Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15206 B Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15208 B Karin Schubert, Ministerin (Sachsen-Anhalt) 15209 D Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15211 A Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15212 D Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15213 D Renate Gradistanac SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15214 A Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 15214 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Wiederherstel- lung des umfassenden Rechts auf Vor- steuerabzug (Drucksache 14/5223) . . . . . . . . . . . . . . . 15215 C Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 15215 C Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15217 D Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15220 A Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15220 D Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15221 B Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Be- schäftigung im gewerblichen Güter- kraftverkehr (GüKBillBG) (Drucksache 14/5446) . . . . . . . . . . . . . 15221 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Mertens, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Bekämpfung der illegalen Ka- botage und des Sozialdumpings im Transportgewerbe (Drucksachen 14/3702, 14/4669) . . . . 15221 D Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . 15222 A Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15223 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15224 B Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P. . . . . . . . . . 15225 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15226 C Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15227 B Wilhelm Josef Sebastian CDU/CSU . . . . . . . 15228 C Tagesordnungspunkt 8: a) Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion F.D.P. ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit (Drucksachen 14/1602, 14/5458) . . . . 15229 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001IV b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Straf- prozessordnung (Drucksache 14/5166) . . . . . . . . . . . . 15229 C c) Große Anfrage der Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/ CSU: Zur Frage der Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Journalisten (Drucksachen 14/2083, 14/3864) . . . . 15229 D Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15229 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15230 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 15231 A Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 15233 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15235 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15236 A Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 15236 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 15237 D Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und huma- nitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flüchtlingsschutz ist Menschenrechts- schutz (Drucksachen 14/4884, 14/5462) . . . . . . . 15239 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Stärkeres deutsches Engagement auf der 57. Sitzung der Menschenrechtskommission der Verein- ten Nationen (Drucksache 14/5452) . . . . . . . . . . . . . . . 15239 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Deutsche Initia- tive zum Schutz der Binnenvertriebenen (Drucksache 14/5453) . . . . . . . . . . . . . . . 15239 B Lilo Friedrich (Mettmann) SPD . . . . . . . . . . 15239 B Hermann Gröhe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 15241 B Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15243 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 15244 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . 15246 A Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15246 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Her- stellung fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche und europäische Werf- tenindustrie (Drucksache 14/5137) . . . . . . . . . . . . . . . 15247 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Zukunftschancen des deutschen und europäischen Schiff- baus nachhaltig verbessern (Drucksache 14/5457) . . . . . . . . . . . . . . . 15247 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 15247 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 15249 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 15250 D Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15251 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15253 A Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15254 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Ar- beitsplatzabbau bei Förderung von Pro- duktionsverlagerungen ausschließen (Drucksache 14/5248) . . . . . . . . . . . . . . . 15255 C Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 15255 C Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD . . . . . . . . 15256 C Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . 15257 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 15258 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 15259 A René Röspel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15260 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 V Tagesordnungspunkt 12: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versor- gungsbezügen in Bund und Län- dern 2000 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungs- gesetz 2000 – BBVAnpG 2000) (Drucksachen 14/5198, 14/5476, 14/5477, 14/5478) . . . . . . . . . . . . . 15261 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), weiteren Abge- ordneten und der Fraktion CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000/2001 (BBVAnpG 2000) (Drucksachen 14/4247, 14/5476, 14/5477, 14/5478) . . . . . . . . . . . . . 15261 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (Bundes- besoldungs- und -versorgungsan- passungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) (Drucksachen 14/4134, 14/5476, 14/5477, 14/5478) . . . . . . . . . . . . . 15261 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklingshau- sen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Gleichbehand- lung im öffentlichen Dienst – Tarif- ergebnis auf Beamte übertragen (Drucksachen 14/3772, 14/5476) . . . . 15261 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), weiteren Abgeordneten und der Frak- tion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der beamtenrechtlichen Altersteilzeit (Drucksachen 14/3777, 14/4594) . . . . 15261 C Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Ilse Aigner, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion CDU/CSU ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen (Drucksache 14/5224) . . . . . . . . . . . . . . . 15262 B Tagesordnungspunkt 14: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörig- keitsgesetzes (Drucksache 14/5335) . . . . . . . . . . . . . 15262 C b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes (Drucksache 14/4537) . . . . . . . . . . . . . 15262 D c) Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürgerung von Kindern (Drucksache 14/4416) . . . . . . . . . . . . . 15262 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15263 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15265 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug (Tagesordnungs- punkt 6) Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15265 D Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktionsverlagerungen ausschließen (Ta- gesordnungspunkt 11) Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15266 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001VI Bund und Ländern 2000 (Bundesbesol- dungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) – Bericht: Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst – Tarifergebnis auf Beamte über- tragen – Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwick- lung der beamtenrechtlichen Altersteilzeit (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) . . . . . . . . . . 15266 D Hans-Peter Kemper SPD . . . . . . . . . . . . . . . 15266 D Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15268 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15268 D Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15269 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15269 D Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 15270 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung eh- renamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or- ganisationen (Tagesordnungspunkt 13) . . . . . 15271 C Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 15271 D Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15272 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15274 A Gerhard Schüßler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 15274 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15275 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes und des Aus- ländergesetzes – Antrag: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürgerung von Kindern (Tagesordnungspunkt 14 a bis c) . . . . . . . . . . 15275 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 15275 D Thomas Strobl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 15277 A Dr. Max Stadler F.D.P . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15279 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15279 C Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15280 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 15263 (C)(A) 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15265 (C) (D) (A) (B) Behrendt, Wolfgang SPD 08.03.2001* Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 08.03.2001 Sabine Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 DIE GRÜNEN Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 08.03.2001 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 08.03.2001* Klaus Bulmahn, Edelgard SPD 08.03.2001 Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 Franziska DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 08.03.2001 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 08.03.2001 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 DIE GRÜNEN Hirche, Walter F.D.P. 08.03.2001 Irber, Brunhilde SPD 08.03.2001 Janovsky, Georg CDU/CSU 08.03.2001 Jünger, Sabine PDS 08.03.2001 Dr. Kenzler, Evelyn PDS 08.03.2001 Klappert, Marianne SPD 08.03.2001 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 08.03.2001 Lehn, Waltraud SPD 08.03.2001 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 08.03.2001 Neumann (Gotha), SPD 08.03.2001 Gerhard Nolte, Claudia CDU/CSU 08.03.2001 Otto (Frankfurt), F.D.P. 08.03.2001 Hans-Joachim Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 DIE GRÜNEN Reinhardt, Erika CDU/CSU 08.03.2001 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 08.03.2001 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 08.03.2001 Schily, Otto SPD 08.03.2001 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 DIE GRÜNEN Schloten, Dieter SPD 08.03.2001 Freiherr von CDU/CSU 08.03.2001 Schorlemer, Reinhard Schröter, Gisela SPD 08.03.2001 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 08.03.2001 Schuhmann (Delitzsch), SPD 08.03.2001 Richard Dr. Freiherr von CDU/CSU 08.03.2001 Stetten, Wolfgang Dr. Struck, Peter SPD 08.03.2001 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 08.03.2001 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 08.03.2001 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 08.03.2001 DIE GRÜNEN Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 08.03.2001 Westrich, Lydia SPD 08.03.2001 Wohlleben, Verena SPD 08.03.2001 Zierer, Benno CDU/CSU 08.03.2001* * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug (Tagesordnungspunkt 6) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):An der ganzen Diskussion sieht man wieder einmal, wie schwierig es ist, Privates von Betrieblichem zu trennen. Gerade deshalb muss die Debatte sehr sachlich geführt werden. Ab dem 1. April 1999 können Unternehmer die Vor- steuer für ihre Reisekosten und die Reisekosten ihrer Mit- arbeiter nicht mehr abziehen. Die dafür anfallenden Kosten für Übernachtung, Verpflegung u.s.w. dienen nicht nur dem Unternehmen, sondern sind teilweise auch in privatem Interesse. Wie viel Sterne jemand bei seiner Hotelbuchung be- vorzugt, ist sein Privatsache. Er sollte deshalb umsatz- steuerlich auch nicht anders behandelt werden als der- jenige, der rein privat verreist und sich in einem Hotel einmietet. Das war unser Motiv bei der Einschränkung des Vorsteuerabzuges. Allerdings war diese Einschränkung des Vorsteuerabzuges bei den Reisekosten schon in der Anhörung zum Steuerentlastungsgesetz von vielen Ver- bänden als ausgesprochen problematisch eingeschätzt worden. Insbesondere thematisiert wurden die Wider- sprüche zum geltenden EU-Recht. Auch der Bundesfinanzhof hat im letzten Jahr ent- schieden, dass die Neuregelung gegen geltendes entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht EU-Recht verstößt und insoweit nicht anwendbar ist. Das bezieht sich allerdings nur auf die Übernachtungskosten. Natürlich werden wir dieses Urteil berücksichtigen. Das ist ganz klar. Derzeit sind wir in der Abstimmungsphase mit den Ländern. Hier ist also alles auf einem guten Weg. Etwas anders sieht es bei der von der CDU/CSU vorgeschlagenen Wiederherstellung des 100-prozentigen Vorsteuerabzuges für sowohl betrieblich als auch privat genutzte Fahrzeuge aus. Nach der Sechsten Umsatzsteuer- Richtlinie der EU muss der Vorsteuerabzug gekürzt wer- den, wenn ein Personenkraftwagen auch nicht unter- nehmerisch genutzt wird. Die Kürzung an sich muss also sein. Die Frage ist nur, um wie viel Prozent muss gekürzt werden? Theoretisch haben wir hier einen Spielraum von Null bis Hundert. Für den von uns gewählten Mittelweg mit 50 Prozent Vorsteuerabzug hat uns die EU-Kommision eine Ausnahmeermächtigung erteilt. Insoweit sind wir hier vom Grundsatz her auf der sicheren Seite. Natürlich gibt es zu einzelnen Punkten Bedenken. Die Union weist ja in ihrem Antrag selbst darauf hin, dass der Bundesfinanzhof einen Fragenkatalog ausgearbeitet hat. Diese Fragen sind erst Ende letzten Jahres an den Eu- ropäischen Gerichtshof gegangen. Jetzt müssen wir erst einmal abwarten, wie der Euro- päische Gerichtshof entscheidet. Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt irgendwelche Veränderungen ins Blaue hinein vorzunehmen. Der Antrag der CDU/CSU kommt in diesem Punkt nicht zur richtigen Zeit. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produktionsverlagerungen ausschließen (Tagesordnungspunkt 11) Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auf den ersten Blick scheinen die Fakten klar zu sein: Missbrauch von Fördermitteln, Arbeitsplatzabbau, Produktionsverlagerungen von West nach Ost, Lohndum- ping und die Aushöhlung der Mitbestimmung – und das alles gefördert aus Steuermitteln. Es nur moralische Empörung hervorrufen, wenn – wie im Antrag erwähnt – die Firma Brandt von Hagen nach Ohrdruf in Thüringen umzieht und dabei unterm Strich über 300 Arbeitsplätze abbaut. Auf den zweiten Blick allerdings stellen sich die Sach- verhalte etwas anders dar. Zunächst einmal ist die Durch- führung der Förderung im Rahmen der Gemeinschafts- aufgabe Angelegenheit des jeweiligen Landes. Dies gilt selbstverständlich auch für die Entscheidung über die Förderung einer konkreten Betriebsansiedlung im Zu- sammenhang mit einer Betriebsverlagerung. Der Einfluss des Bundes beschränkt sich auf die Mitwirkung im Bund- Länder-Planungsausschuss der GA, der die Fördergebiete sowie die Förderkonditionen festlegt. Der aktuelle 29. Rah- menplan enthält die Möglichkeit der Förderung von In- vestitionen in strukturschwachen Gebieten auch im Zu- sammenhang mit Betriebsverlagerungen. Dies war schon in den Vorjahren nicht anders. Der Rahmenplan wurde am 20. März 2000 im Übrigen einstimmig – das heißt wohl auch mit der Stimme des Landes Mecklenburg-Vorpom- mern – beschlossen. Dort ist die PDS doch an der Regie- rung beteiligt, wenn ich richtig informiert bin. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass Betriebe, die an ihren bisherigen Standorten rentabel pro- duzieren, über Betriebsverlagerungen wohl kaum nach- denken. Angesichts der Tatsache, dass die öffentlichen Fördermittel immer mit einem erheblichen Eigenanteil der Unternehmen gekoppelt sind, dürfte der Anreiz, Be- triebsverlagerungen nur wegen der Fördermittel vor- zunehmen, eher gering sein. Die Förderung von entspre- chenden Betriebsverlagerungen macht allerdings durch- aus einen Sinn, nämlich dann, wenn ein neuer Standort in Ostdeutschland mit einem ausländischen Standort kon- kurriert. Es ist doch allemal besser, einige hundert Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern zu schaffen, als zuzusehen, wie ganze Betriebe ins Ausland verlagert werden. Es mag nicht sonderlich moralisch erscheinen, es mag in vielen Fällen für die Betroffenen eine große Härte sein; wirtschaftspolitisch jedoch ist es in solchen Fällen allemal besser, den berühmten Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach zu haben. Bereits heute stehen den Betriebsräten weitgehende Be- teiligungsrechte bei gravierenden Betriebsänderungen bzw. -schließungen zu. Das Betriebsverfassungsgesetz verfügt in solchen Fällen über ein abgestimmtes System von An- hörungs-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechten. Im Zuge der Beratungen über die Novelle des Betriebsverfas- sungsgesetzes kann man möglicherweise über Feinabstim- mungen nachdenken und entsprechende Vorschläge prüfen. Die vorliegenden Forderungen der PDS jedenfalls mö- gen moralisch hoch integer sein; praktikabel und sinnvoll sind sie jedenfalls nicht. Mit Polemik und Populismus al- leine werden wir die Probleme unseres Landes nicht lösen können, schon gar nicht die in den neuen Bundesländern. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Län- dern 2000 (Bundesbesoldungs- und -versorgungs- anpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000) – Bericht: Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst – Tarifergebnis auf Beamte übertragen – Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der beamtenrechtlichen Alterteilszeit (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) Hans-Peter Kemper (SPD): Wir erleben heute die 3. Auflage der Diskussion zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge in Bund und Ländern und mit allem, was so dazu gehört. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115266 (C) (D) (A) (B) Wir haben zum Antrag der FDPgeredet, wir haben zum Antrag der CDU/CSU geredet. Heute findet nun die De- batte um den Gesetzentwurf der Bundesregierung statt. Also sprechen wir über die wichtigste und richtige Vor- lage. Der Gesetzentwurf macht deutlich, dass es der Bun- desregierung und den Koalitionsfraktionen darauf an- kommt, den öffentlichen Dienst, und hier ganz speziell auch die Beamten, an der allgemeinen Einkommensent- wicklung teilhaben zu lassen. Ich will kurz zu den wich- tigsten Eckpunkten dieses doch alles in allem begrüßens- werten Gesetzentwurfes Stellung nehmen. Die SPD-Fraktion hat immer, auch in der Vergangen- heit, die inhaltsgleiche Übertragung der Tarifergebnisse auf die Beamten gefordert. Mit der Verabschiedung des uns jetzt vorliegenden Entwurfes wird exakt diese Forde- rung umgesetzt. Die Beamten erhalten in einem ersten Schritt eine Be- soldungserhöhung von 2 Prozent und in einem zweiten Schritt eine Erhöhung von 2,4 Prozent, vermindert um die von der damaligen Regierung noch auf den Weg ge- brachte Versorgungsrücklage. Damit ist eine zunächst drohende Absenkung des Basiseffekts verhindert worden, die den Beamten langfristig Besoldungseinbußen ge- bracht hätten. Mit dem heutigen Abschluss ist dagegen auf Dauer ein Gleichklang zwischen Tarifabschlüssen und Besoldungserhöhungen sichergestellt. Im Übrigen sei darauf hingewiesen – nimmt man die Besoldungserhöhung für die Beamten seit Übernahme der Regierung durch Rot-Grün –, dass es hier deutliche Einkommensverbesserungen auch im Nettobereich gege- ben hat. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Es hat eine Reihe von Jahren gegeben, in denen die Beam- ten nach den Besoldungsbeschlüssen der Vorgängerre- gierung netto weniger im Portemonnaie hatten als vorher, also echte Gehaltseinbußen hinzunehmen hatten, weil die Besoldungserhöhungen unter dem Inflationsaus- gleich lagen. Seit 1999 haben auch die Beamten wieder deutliche Einkommenszuwächse zu verzeichnen. Nimmt man die Zeit von 1999 bis 2002, sind es 7,5 Prozent. Das hat natür- lich an dem guten Innenminister, aber mehr noch an dem guten Berichterstatter der SPD gelegen. Auch uns wäre natürlich eine zeitgleiche Übernahme der Tarifergebnisse lieber gewesen. Daraus will ich gar keinen Hehl machen. Aber die zeitliche Verschiebung ist zumutbar, und sie ist vor allen Dingen nicht neu. Denn auch hier hat die Vorgängerregierung in vielen Jahren ge- nau das praktiziert, was Sie heute kritisieren, nämlich eine zeitversetzte Anpassung gerade bei den Beamten. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass diese zeitliche Verschiebung für die Besoldungsgruppen des einfachen, des mittleren und großer Teile des geho- benen Dienstes, also bis einschließlich A 11, durch eine Einmalzahlung von 400 DM abgefedert worden ist. Die Besoldungsgruppen A 12 bis B 11 werden zwar diesen 400 DM nachtrauern, allein in Not geraten werden sie des- halb nicht. Nun werden Sie ja gleich in Ihren Stellungnahmen trä- nenreich darauf hinweisen, dass für die Ruhestandsbeam- ten diese Einmalzahlungen unterblieben sind. Da bitte ich Sie allerdings, einmal daran zu denken, dass ein anderer Teil unserer Bevölkerung, der nicht am Arbeitsleben teil- nimmt, nämlich die Rentner, lediglich den Inflationsaus- gleich erhalten hat. Und daher sage ich hier ausdrücklich: die Übernahme des Tarifergebnisses lässt die aktiven und die Ruhestandsbeamten trotz schwieriger Haushaltsbe- dingungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilhaben. Es wird auch hier nicht zu einer Absenkung des Einkommensniveaus kommen. Der Gleichklang zwi- schen den aktiven und den Ruhestandsbeamten ist erhal- ten geblieben, was uns sehr wichtig war. Ich möchte zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen, der in der Tat nicht so ganz einfach ist, nämlich zur An- hebung des Bemessungsgrundsatzes in den ostdeutschen Ländern. Es ist nach mehr als zehn Jahren deutscher Ein- heit immer noch nicht gelungen, eine Gleichstellung bei den Einkommen herzustellen. Eine, wie ich gerne zuge- ben will, für die Menschen in Ostdeutschland nur schwer erträgliche Schlechterstellung. Sie müssen teilweise deut- lich länger arbeiten für erheblich weniger Geld. Wir ha- ben dieses Problem in Angriff genommen und werden es schrittweise mildern und abbauen. Mit Wirkung vom 1. August 2000 ist der Bemessungs- grundsatz auf 87 Prozent, mit Wirkung vom 1. Januar 2001 auf 88,5 Prozent und mit Wirkung vom 1. Januar 2002 auf 90 Prozent angehoben worden. Eine sofortige Anhebung auf 100 Prozent hätte insbesondere für die Länder mit fast einer halben Million Beschäftigten eine Kostenbelastung von 4,7 Milliarden DM, für die Kom- munen eine Kostenbelastung von 3,6 Milliarden DM und für den Bund, bei dem lediglich 80 000 Beschäftigte be- troffen gewesen wären, rund 700 Millionen DM. Für den Bund wäre das also am leichtesten zu verkraften, für Län- der und Kommungen im Augenblick aber kaum zu schul- tern gewesen. Insofern ist es in erster Linie ein Anliegen der Länder und Kommunen in Ostdeutschland, hier schrittweise vorzugehen. Diesem Anliegen ist der Bund gefolgt. Das wissen Sie natürlich alle sehr genau, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Daher sind die Forderun- gen, die Sie in der Öffentlichkeit immer wieder erheben, mehr als scheinheilig. Denn diese Ungleichbehandlung haben wir von Ihnen geerbt. Aber wir werden uns nicht dahinter verstecken. Wir wissen, dass 90 Prozent nicht das Ende der Fah- nenstange sein kann, und daher werden wir alles daran- setzen, für die Zukunft schrittweise eine völlige Anglei- chung zwischen Ost und West zu erreichen. Die ursprünglich in diesem Gesetz verankerte Besser- stellung für die Beamtenfamilien mit drei und mehr Kin- dern ist inzwischen im Gesetz über die Neuordnung der Versorgungsabschläge bereits geregelt. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute hier verabschieden werden, den Besoldungs- und Versorgungsempfängern nicht nur ein Stück sozialer Ge- rechtigkeit widerfährt, sondern auch die Anerkennung für engagierte Leistungen im öffentlichen Dienst zum Wohle Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15267 (C) (D) (A) (B) der Bevölkerung. Gleichzeitig bringt hier auch der öffent- liche Dienst solidarisch seinen Beitrag zur Haushaltskon- solidierung. Wir wissen, dass der größte Teil des öffentlichen Diens- tes leistungsfähig und leistungsbereit ist. Und mit diesem alles in allem zu begrüßenden Gesetzentwurf der Bundes- regierung wird dieser Erkenntnis Rechnung getragen. Es ist ein wichtiges Signal in den öffentlichen Dienst hinein und ein Stück gerechter Besoldung. Meinrad Belle (CDU/CSU): „Was lange währt, wird endlich gut!“ So lautet das alte Sprichwort. Leider trifft es für die Pläne der Bundesregierung und Koalitionsparteien zur Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen für das Jahr 2000/2001 in keiner Weise zu. Die rot-grüne Bundesregierung brauchte acht Monate, um dem Deutschen Bundestag ihren Gesetzentwurf zur Übertragung des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst auf Beamte und Pensionäre zur ersten Lesung zuzuleiten. Glücklich einen Tag vor der Plenardebatte zu unserem „Antrag auf Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst – Tarifergebnisse auf Beamte übertragen“ hat das Bundes- kabinett am 27. September 2000 beschlossen, ob und wie das Tarifergebnis auf Beamte übertragen werden soll. Danach wird nun das Tarifergebnis zwar der Höhe nach – abzüglich 0,2 Prozent Versorgungsrücklage – übertra- gen. Diese Übertragung wird aber um fünf Monate ver- zögert und nur den aktiven Beamten bis A 11 ein teil- weiser Ausgleich gewährt. Die Versorgungsempfänger – auch die aus den niedrigen Besoldungsgruppen – gehen völlig leer aus. Für viele Beamte und alle Pensionäre und Versorgungsempfänger haben wir also eine tatsächliche Nullrunde 2000. Das haben die Koalitionsparteien zu vertreten. Dieses Vorhaben ist von den Betroffenen und allen Ver- bänden massiv kritisiert worden. Und in der Tat: Es gibt keine Gründe für eine verzögerte Anpassung der Bezüge: Erstens. Am Ende der vergangenen Legislaturperiode waren sich alle Fraktionen einig, dass es nach den erheb- lichen Einsparmaßnahmen durch Dienstrecht- und Ver- sorgungsrechtsreform, insbesondere nach der tatsächli- chen Rückführung der Aktiven- und Versorgungsbezüge um 3 Prozent infolge der Versorgungsrücklage, keinen Grund mehr für verzögerte oder geschmälerte Anpassung der Bezüge gibt. In den Vorjahren wurde die Besoldung verspätet angehoben, um so zum Beispiel den Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge für den Bereich der Beamten nachzuvollziehen. Zweitens. Bruttoinlandsprodukt und Steuereinnahmen wachsen derzeit schneller, als es die Personalausgaben selbst bei voller Übernahme der Tarifergebnisse tun wür- den. So wird nach dem Jahreswirtschaftsbericht der Bun- desregierung für das Jahr 2000 ein Wirtschaftswachstum zwischen 2,7 und 3,1 Prozent angenommen. Im Handel sowie dem Kredit- und Versicherungsgewerbe belief sich die tarifliche jährliche Gehaltserhöhung auf 2,6 Prozent, im produzierenden Gewerbe auf 2,3 Prozent und bei den Tarifkräften des öffentlichen Dienstes auf rund 1,4 Pro- zent. Drittens. Nach § 14 BBesG heißt es: „Die Besoldung wird entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirt- schaftlichen und finanziellen Verhältnisse und unter Berücksichtigung der mit den Dienstaufgaben verbunde- nen Verantwortung durch Bundesgesetz regelmäßig ange- passt.“ Nachdem sich die Prognosen zum Wirtschafts- wachstum für das Jahr 2001 zwischen 2,7 und 3,3 Prozent bei einem voraussichtlichen Preisanstieg zwischen 1,3 und 1,75 Prozent bewegen, kommt die Bundesregierung der Verpflichtung nach § 14 BBesG in keiner Weise nach. Viertens. Begründung für das „Sonderopfer“ der Be- amten ist nicht schlüssig und trägt nicht. Sie begründen es mit dem Beitrag der Beamten zur Haushaltskonsoli- dierung. Mit den erheblichen Einsparmaßnahmen des Dienstrechts- und Versorgungsrechtsreformgesetzes ha- ben aktive Beamte und Pensionäre ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erbracht. Dies wird auch be- stätigt durch den tatsächlichen Rückgang der prozentua- len Personalkostenanteile der öffentlichen Haushalte in den letzten Jahren. So sind die Personalkosten beim Bund von 14,1 Prozent auf 10,9 Prozent, bei den Ländern von 42,7 auf 37,9 Prozent und bei den Kommunen von 30,7 auf 27 Prozent zurückgegangen. Dass die Bezüge von Beamten und Versorgungsempfängern aus den glei- chen öffentlichen Kassen finanziert werden wie die Löhne und Gehälter der Angestellten und Arbeiter im öffentli- chen Dienst, sei nur am Rande erwähnt. Fünftens. Die von Ihnen vorgesehene Bezügeanpas- sung ist auch in eklatanter Weise sozial unausgewogen. Sie benachteiligt Beamte und Versorgungsempfänger nicht nur allein untereinander, sondern erst recht gegen- über den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Dort erhalten selbst Tarifangehörige der höchsten Vergütungs- gruppe eine Einmalzahlung; aktive Beamte lediglich bis zur Besoldungsgruppe A 11. Versorgungsempfänger – selbst mit ganz niedrigem Einkommen – sollen in die Gewährung von Einmalzahlungen nicht einbezogen wer- den. Selbst die in den vergangenen Jahren um teilweise bis zu 40 Prozent gekürzten Anwärterbezüge werden ge- genüber den Ausbildungsvergütungen im öffentlichen Dienst noch neun bzw. vier Monate später angehoben. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag tritt daher für eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Tarifabschlusses auf Beamte und Versorgungsempfänger ein. Im Interesse der Betroffenen bedauern wir ausdrück- lich, dass Sie unseren besseren und durchgreifenden Ar- gumenten nicht folgen wollen. Wir werden daher Ihrem Gesetzentwurf nicht zustim- men. Um die aus unserer Sicht außerordentlich bedauer- liche verspätete Erhöhung der Bezüge der Versorgungs- empfänger und Beamten nicht zu gefährden, werden wir uns bei der abschließenden Abstimmung der Stimme ent- halten. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Bundesbesoldungs- und Versorgungsan- passungsgesetz werden die Bezüge der Beamten und Pen- sionäre auf der Grundlage des Tarifergebnisses für den Arbeitnehmerbereich des öffentlichen Dienstes angeho- ben, und zwar prozentual wie im Tarifbereich und in zwei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115268 (C) (D) (A) (B) Schritten. Damit werden die Bezüge an die Entwicklun- gen der allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst. Ein kleiner Wermutstropfen für Beamte ist damit frei- lich verbunden. Die Anpassung erfolgt mit einer geringen zeitlichen Verschiebung von fünf Monaten vom Anfang dieses Jahres und einer Verschiebung von vier Monaten im zweiten Schritt zum Anfang des nächsten Jahres. Ich meine aber, dass diese kleine Verschiebung für die Be- troffenen auch verträglich und verständlich ist. Der Bun- desregierung bleibt mit Blick auf die dringend notwen- dige Haushaltskonsolidierung leider nichts anderes übrig. Immerhin werden den öffentlichen Kassen gegenüber ei- ner etwaigen zeitgleichen Übernahme des Tarifergebnis- ses 3,3 Milliarden DM erspart. Dies ist bei der problema- tischen Haushaltslage leider auch dringend notwendig. Denn immerhin sieht der Gesetzentwurf trotz dieser zeit- lichen Verschiebung ein gar nicht so kleines Zuckerl vor: nämlich die Einmalzahlung von viermal 100 DM für die letzten vier Monate des Jahres 2000. Dies kommt allen Beamten bis hin zur Vergütungsgruppe A 11 zugute, und damit dem Löwenanteil aller Beamten. Ich meine schon, dass man mit diesem Kompromiss wirklich zufrieden sein kann. Die Regelung ist ein fairer und auch sozial gerechter Interessenausgleich zwischen dem Recht der Beamten an der allgemeinen Einkom- mensentwicklung und den Konsolidierungsvorgaben des Zukunftsprogramms. Auch der Bundesrat hat diesem Konzept seine Zustimmung erteilt. Immerhin gab es in den 90er-Jahren schon Zeiten, wo die Anpassungen sogar unterhalb der Inflationsrate ver- blieben. Dies wäre für uns untragbar gewesen. Da ver- wundert es dann schon, dass die CDU/CSU jetzt plötzlich sogar die zeitgleiche Anpassung gefordert hat. Bitte erin- nern Sie sich daran, dass auch die von Ihnen geführten Länder hierdurch mit 2,4 Milliarden DM zusätzlich be- lastet worden wären. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Länder klammheimlich überglücklich sind, wenn ihnen dies nicht angetan wird. Was die Altersteilzeitregelung betrifft, ist es seit lan- gem erklärtes Ziel der rot-grünen Koalition, Teilzeitbe- schäftigung und Altersteilzeit attraktiv zu machen. Daher war es auch völlig klar, die Tarifergebnisse zur Altersteil- zeit gleichermaßen für den Beamtenbereich zu überneh- men. Dies ist im vorliegenden Gesetzentwurf der Bun- desregierung geschehen, sodass es der Anträge der CDU/CSU nicht mehr bedarf. Ich freue mich aber, dass hier fraktionsübergreifend Konsens besteht. Gerade in dieser Frage war das Reformtempo der Union in der Ver- gangenheit doch recht schneckenhaft und so beglückt sie uns heute mit einem Dokument ihrer eigenen Versäum- nisse. Die Regelungen für Teilzeit und Altersteilzeit sind – angesichts der immer noch überwiegenden Rollenver- teilung – insbesondere für Frauen wichtig. Sie haben ei- nen Anspruch darauf, neben ihrer Familienarbeit auch weiter ihr Amt im öffentlichen Dienst ausüben zu können. Und so wünsche ich mir – nicht nur am heutigen Welt- frauentag –, dass auch die männlichen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stärker von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Familienarbeit ist auch Sache der Männer. Wer einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, darf bei der Altersteilzeit nicht benachteiligt werden. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Innerhalb kurzer Zeit befasst sich das Plenum des Deutschen Bundetages zum wieder- holten Male mit der Frage, ob und wie der Tarifabschluss für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Diens- tes aus dem Jahre 2000 auf die aktiven Beamten und die Versorgungsempfänger übertragen wird. Die gegensätzlichen Positionen und die dafür vorzu- tragenden Argumente sind hinlänglich ausgetauscht. Neue Tatsachen sind nicht hinzugekommen. Somit bleibt festzuhalten: Die Zielsetzung der F.D.P.-Bundestagsfraktion besteht darin, den Tarifab- schluss zeit- und inhaltsgleich für die aktiven Beamten und Versorgungsempfänger zu übernehmen. Richtig ist, dass diese Zielsetzung auch in der Vergan- genheit nicht immer erreicht worden ist. Dies ändert nichts daran, dass unser Ansatzpunkt richtig ist: Wir wol- len keine Bevorzugung, aber auch keine Benachteiligung der Beamten! Da die Tarifvertragsparteien beim Tarifabschluss 2000 Augenmaß bewiesen haben, wäre es auch finanziell machbar, diesen maßvollen Tarifabschluss zu übertragen. Demgegenüber verfehlt die Bundesregierung und ver- fehlen die sie tragenden Fraktionen von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen diese Zielsetzung. Für das Jahr 2000 sehen sie faktisch eine Nullrunde vor. Der Tarifabschluss wird nicht zeitgleich, sondern nur mit Verzögerung über- tragen. Er wird auch nicht inhaltsgleich übertragen, da die Versorgungsempfänger und die höheren Beamten von der Einmalzahlung ausgeschlossen werden. Bei dieser Sachlage ist es für die Betroffenen ein schwacher Trost, wenn seitens der Kollegen von SPD und Grünen argumentiert wird, es hätte alles noch schlimmer kommen können. Dies stimmt zwar, denn das Bundesin- nenministerium wollte zunächst nur den Inflationsaus- gleich. Aber die gegenüber dieser Ausgangsposition von den Beamtenpolitikern der Koalition erzielten Verbesse- rungen reichen eben nicht aus. Daher lehnen wir die unzureichenden Vorschläge von Rot-Grün ab und stimmen selbstverständlich dem von der F.D.P.-Bundestagsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf zu. Petra Pau (PDS): Es ist richtig, dass CDU/CSU und F.D.P. in der Vergangenheit ihre Probleme auch auf dem Rücken der Beamten ausgetragen haben. Das stimmt mich dem Koalitionsentwurf gegenüber nicht milder: Den Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen wir ab. Zwar übernimmt er die tariflich prozentualen Erhöhungen für die Anpassung der Bezüge der Beamten, Richter, Solda- ten und Versorgungsempfänger, aber erst mit beträchtli- cher Verzögerung, was auch entsprechende finanzielle Beeinträchtigungen bedeutet, vor allem für den einfachen und mittleren Dienst. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15269 (C) (D) (A) (B) Der DGB weist darauf hin, dass die Bundesregierung die Beamtenbesoldung in 2000 um fünf Monate und in 2001 um weitere vier Monate abkoppelt. Die Bezügean- hebung der Anwärter und Referendare soll in 2000 gar um neun Monte verschoben werden. Schließlich soll die für die Monate April bis Juli 2000 tariflich vereinbarte Ein- malzahlung von 100 DM nur den aktiven Beamtinnen und Beamten der Besoldungsgruppen A 1 bis A 11, und zwar für die Monate September bis Dezember, gewährt wer- den. Der DGB weist weiter darauf hin, dass hiermit zum sechsten Mal in den letzten Jahren die Anpassung der Be- soldungs- und Versorgungsbezüge verschoben wird, also auch von der CDU. Wir teilen auch die weiter gehende Kritik der Gewerk- schaften, wie sie in dem Gesetzentwurf in der Begrün- dung dargelegt ist: Wir teilen die Forderung, die Einmal- zahlung von 400 DM sowohl allen Bezugsempfängern wie auch den Versorgungsempfängern zu zahlen. Wir leh- nen es ab, den Familienzuschlag der Stufe 1, Verheirate- tenzuschlag, bei der linearen Bezugserhöhung für die Jahre 2001 und 2002 nicht mehr zu berücksichtigen. Wir fordern, endlich den Mitarbeitern in den neuen Ländern eine Perspektive aufzuzeigen und einen verbindlichen Zeitplan für eine weitere Angleichung zu entwickeln. Siehe hierzu vor allem die Stellungnahmen des DGB und DBB. Grundsätzlich begründet die Bundesregierung diese Benachteiligung der Beamten mit der schlechten Haus- haltslage. In der ersten Lesung des Gesetzes führte Hans- Peter Kemper, SPD, aus, dass Bund und Länder durch diese Praxis der Bundesregierung 305 Milliarden DM einsparen würden, der Bund 660 Millionen DM und die Länder 2,5 Milliarden DM, Deutscher Bundestag, Proto- koll vom 7. Dezember 2000, Seite 13 747. Staatssekretär Körper führte aus, dass die Angleichung der Ost-West-Ta- rife in einem Schritt 9 Milliarden DM pro Jahr kosten würde, Protokoll, Seite 13 749. Nun kann man die Beamten und Beamtinnen nicht für die schlechte Haushaltslage verantwortlich machen und sie dafür bestrafen, dass beispielsweise die alte Regierung schlecht gewirtschaftet hat. Das müsste eigentlich auch die neue Regierung begreifen. Dabei schmeißt der Bund an anderer Stelle das Geld leichtfertig zum Fenster raus: Man schaue sich beispielsweise nur die Berichte des Bun- des der Steuerzahler an. Laut Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler werden jährlich 60 Milliarden DM in Bund, Ländern und Gemeinden unnütz ausgegeben. Der Bundesrechnungshof hat dem Bund am 24. Okto- ber 2000 vorgeworfen, dass durch sparsame Haushalts- führung der Bundeshaushalt in 1999 um 10 Milliar- den DM hätte entlastet werden können. Man kann auch nicht nachvollziehen, weshalb die Be- amten darunter leiden sollen, wenn zum Beispiel die neue Bundesregierung gigantische Summen für ein Großraum- flugzeug der Bundeswehr ausgibt. Während der Bund durch Verlegung zum Beispiel der Dienstsitze der Ämter oder zeitweiliger Versetzung der Beamten in die alten Länder seinen Beamten fast schon 100 Prozent zahlt, können die Länder eine solche Mani- pulation leider nicht vornehmen. Mit Datum vom 28. Februar 2001 haben die Regie- rungsparteien einen Änderungsantrag vorgelegt, der so- wohl Verbesserungen bei der Einmalzahlung als auch eine lineare Erhöhung des Verheiratetenanteils beim Familien- zuschlag vorsieht. Diesem Änderungsantrag stimmen wir zu. Dem Gesetzentwurf der F.D.P. wird meine Fraktion auch zustimmen. Dies ist eine kritische Zustimmung, weil auch hier kein Weg der Ost-West Angleichung aufgezeigt wird. Fritz Rudolf Körper, Parlamentarischer Staatsse- kretär beim Bundesminister des Innern: Die Tagesord- nung vermittelt den Eindruck, dass es sich bei den drei vorliegenden Entwürfen zur linearen Anpassung der Be- züge der Beamten und Pensionäre auch um drei verschie- dene Konzepte handele. Dieser Eindruck täuscht. Alle drei Regelungsvorschläge – sowohl der Regie- rungsentwurf wie auch die Entwürfe von CDU/CSU und F.D.P. – stimmen im Kernpunkt, der bei jeder Lohn- und Gehaltsrunde im Mittelpunkt des Interesses steht, über- ein, nämlich der Höhe des Prozentsatzes. Nach allen drei Entwürfen sollen die prozentualen Erhöhungen, wie sie die Tarifvertragsparteien am 13. Juni 2000 für die Arbeit- nehmer des öffentlichen Dienstes vereinbart haben, auch für die Beamtinnen und Beamten wie auch für die Pen- sionäre inhaltsgleich übernommen werden. Die Entwürfe stimmen auch darin überein, dass die prozentualen Er- höhungssätze zum Aufbau der Versorgungsrücklagen je- weils um 0,2 Prozentpunkte zu vermindern sind. Auch der Bemessungssatz für die Ost-Bezüge wird in allen drei Entwürfen übereinstimmend angehoben. Im Regierungs- entwurf wie auch in den Oppositionsentwürfen wird das Tarifergebnis inhalts- und zeitgleich übernommen. Da- nach wird der Bemessungssatz für die Ost-Bezüge in drei Schritten auf 90 Prozent angehoben. Es bleibt es auch weiterhin ein vorrangiges politisches Ziel, die Bezahlung zwischen Ost und West anzugleichen. Ich sage aber genauso deutlich: Die Ausgestaltung der weiteren Schritte muss Sache der Tarifvertragsparteien bleiben. Für die Beamten wird auch künftig die tarifliche Entwicklung nachvollzogen werden. In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich die vor- liegenden Entwürfe allerdings: nämlich dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der prozentualen Erhöhungen. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden die prozentualen Erhöhungen im Jahre 2000 um 5 Monate und im nächsten Schritt um 4 Monate jeweils auf den 1. Januar 2001 bzw. 2002 festgelegt. Die Oppositionsvor- schläge können nicht als ernsthafte Alternativen diskutiert werden. Wer von anderen etwas einfordert, was er über Jahre hinweg selbst nicht leisten konnte oder auch nicht leisten wollte, kann nicht erwarten, dass seine Vorschläge nunmehr ernst genommen werden. Zur Erinnerung: 1989 lag die Besoldungserhöhung bei 1,4 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,9 Prozent; 1993 gab es eine Besoldungserhöhung von 3 Prozent bei einer Inflationsrate von 3,7 Prozent; 1994 lag die Besoldungs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115270 (C) (D) (A) (B) erhöhung bei 2 Prozent und Inflationsrate bei 2,8 Prozent; 1996 erfolgte lediglich eine Einmalzahlung von 300 DM bei einer Inflationsrate von 1,3 Prozent; 1997 Besol- dungserhöhung 1,3 Prozent – Inflationsrate 1,9 Prozent. Auch wurde mehrfach die Anpassung der Beamtenbesol- dung gegenüber dem Tarifergebnis verschoben. Solche Initiativen werden als vordergründige und durchsichtige, allein auf politische Außenwirkung und Ef- fekthascherei angelegte Manöver auch von den betrof- fenen Beamtinnen und Beamten durchschaut. Es ist bezeichnend, dass die von den Personalkosten im öffentlichen Dienst hauptbetroffenen Länder deshalb sol- che Initiativen auch nicht aufgegriffen haben und eine solche Politik nicht unterstützen. Der Bundesrat hat mit eindeutigem Votum alle Anträge auf Vorziehen der An- passung gegenüber dem Regierungsentwurf zurückge- wiesen. Die vom Bundesrat in Einzelpunkten vorgeschlagenen Veränderungen bei der Einmalzahlung und zur Einbezie- hung des Verheiratetenzuschlags sind aufgegriffen wor- den. Über den Verheiratetenzuschlag werden wir in weni- gen Wochen bei der parlamentarischen Beratung des Regierungsentwurfs zur Modernisierung der Besoldungs- struktur zu entscheiden haben. Die Länder sind den Vorschlägen der Bundesregierung vor allem deshalb gefolgt, weil der Regierungsentwurf ei- nen fairen und sozial gerechten Interessenausgleich zwi- schen den berechtigten Ansprüchen der Beamten und Pensionäre auf Teilhabe an der allgemeinen Einkom- mensentwicklung und den Konsolidierungsvorgaben des Zukunftsprogramms darstellt. Die Bezüge für Beamte und Pensionäre werden prozentual wie für Tarifange- stellte angehoben und verbessert. In der Gesamtschau der Jahre 1999 bis2002 werden mit den aktuellen Erhöhungen die Dienst- und Versorgungs- bezüge um insgesamt 7,5 Prozent linear angehoben und damit an die Entwicklung der allgemeinen und wirt- schaftlichen Verhältnisse angepasst. Mit diesen Erhöhungen sind die Nettoeinkommen der Beamtinnen und Beamten in den Jahren unserer Regie- rungsverantwortung real deutlich gestiegen und werden auch weiter steigen. Zusammen mit der Steuerentlastung und der Erhöhung des Kindergeldes steigen die Nettoeinkommen bis 2002 gegenüber 1998 um rund 10 Prozent; das heißt, die Be- amtinnen und Beamten können sich pro Jahr über eine Steigerung von rund 2,5 Prozent freuen. Wer mit den Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung spricht, weiß und erhält es in fast jedem Gespräch bestätigt, dass es für die Beamtinnen und Beamten darauf ankommt, was tatsächlich im Portemonnaie ankommt. Letztlich zählt für die Menschen nur das, was im Monat als Nettoplus bleibt. Die zeitlichen Verschiebungen der Erhöhungen von fünf bzw. vier Monaten sind notwendig, um die Beamten als Teil der Solidargemeinschaft in das wirtschafts- und fi- nanzpolitische Gesamtkonzept einzubinden. Darauf neh- men die Entwürfe von CDU/CSU und F.D.P. offenbar keine Rücksicht. Dies würde gegenüber der Regierungs- vorlage zu insgesamt 3,3 Milliarden DM Mehrkosten füh- ren; allein für die hauptbetroffenen Länder fast 2,5 Milli- arden DM, für den Bund rund 550 Millionen DM. Verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Besol- dungspolitik hat nämlich auf die Situation der öffentli- chen Haushalte zu achten. Solide Staatsfinanzen sind un- verzichtbare Grundlage für neue Arbeitsplätze, für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für soziale Stabilität. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen zur Sicherung und Schaffung von Arbeit und Wohlstand. Durch die geringen zeitlichen Verschiebungen wird si- chergestellt, dass die mit dem Zukunftsprogramm ange- strebte soziale Symmetrie bei der Anpassung der Alterssi- cherungssysteme erreicht wird. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält im Übrigen – ent- sprechend der tariflichen Regelungen – auch die Ausdeh- nung der Altersteilzeit auf teilzeitbeschäftigte Beamte und eine Verlängerung der Geltungsdauer der Altersteil- zeitregelungen für den Bund. Der Gesetzesantrag der CDU/CSU hierzu ist daher völlig überflüssig. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung ehrenamtlicherTätigkeiten in Vereinen und Organisationen (Tagesordnungspunkt 13) Dieter Grasedieck (SPD): Wir machen eine Politik für die Zukunft und nicht für den Augenblick. Deshalb ha- ben wir in den letzten zwei Jahren die Versäumnisse der ehemaligen CDU/CSU-F.D.P.-Regierung aufgearbeitet. Was ist nicht alles verändert worden? Unsere Koalition hat erstens die Übungsleiterpau- schale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht und den be- troffenen Personenkreis ausgeweitet. Während Ihrer Re- gierungszeit haben Sie die Übungsleiterpauschale nicht einmal erhöht. Wissen Sie eigentlich, wer die Übungslei- terpauschale eingeführt und wer die Pauschale erhöht hat? Sie werden überrascht sein! Es war die erst SPD/F.D.P.- Regierung, die die Übungsleiterpauschale eingeführt hat. Und es waren Sozialdemokraten, die die Pauschale 1981 erhöht haben. 16 Jahre CDU/CSU-F.D.P.-Regierung ha- ben nichts verändert. In den zwei Jahren unserer neuen Regierung hat sich viel bewegt. Der Vorsitzende eines kleinen Fußballvereins sagte mir: Durch eure Erhöhung können wir bessere Trainer für unsere Jugendmannschaf- ten einsetzen. Zweitens. Das Stiftungsrecht wurde verbessert. Unser neues Stiftungsrecht fördert die Hilfsbereitschaft durch erweiterte Steuerabschreibungen. Die Nachbarschaft, der Sportverein, die Kirchengemeinde, die Selbsthilfegrup- pen und die Sozialverbände können kleine Stiftungen gründen. Durch unser Gesetz wollen wir die kleinen, aber auch die großen Einheiten fördern und sichern. Drittens. Auf Antrag der Grünen und der SPD wurde eine Enquete-Kommission zur Zukunft des bürgerschaft- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15271 (C) (D) (A) (B) lichen Engagements eingerichtet. Aufgabe der Enquete Ehrenamt ist es, Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Anhand dieser Empfehlungen sollte das Parlament Ge- setze beschließen. Diese Kommission erstellt ein Ge- samtkonzept. Alle Probleme, alle Schwierigkeiten werden systematisch aufgearbeitet. Eine systematische Bestands- aufnahme sollte die Basis für unsere zukünftige Politik sein. Der Enquete-Bericht liegt im Herbst vor. Alle Pro- bleme können dann gewichtet werden, neue Lösungs- ansätze gefunden werden. Warum haben Sie es mit Ihrem Gesetzentwurf jetzt so eilig? Warten Sie doch lieber das Ergebnis der Enquete- Kommission ab. Legen Sie dann ein Gesamtkonzept vor. Oder geht es Ihnen nicht um die Sache? Könnte es Ihnen vielleicht doch nur um Wahlkampfmunition für Baden- Württemberg oder Rheinland-Pfalz gehen? Ihre Taktik ist klar durchschaubar. Sie wollen stören und der Regierung die Erfolge aus der Hand schlagen. „Ohne Ziel, aber mit viel Krach“ ist Ihr Motto. Sie finden in Ihren Anträgen Plenarwoche für Plenarwoche immer nur einen Ur-Grund – die Ökosteuer. Kreativ ist das ge- rade nicht – neue Ideen sind gefordert. Das fällt bei die- ser Regierung natürlich schwer. Neue Ideen zum Ehren- amt werden in ihrer Vielfalt in der Enquete diskutiert. Nutzen Sie doch dieses Forum! Zurzeit wird in der Enquete ein Gutachten diskutiert. Die Wissenschaftler sprechen unter anderem folgende Vorschläge an: Spenden von Geschäftsbetrieben eines gemeinnützigen Vereins an ihre Jugendabteilung sollen steuerlich absetzbar sein. Die Spenden und die Mit- gliedsbeiträge sollen nicht mehr steuerlich unterschieden werden. Ein weitreichender Vorschlag – soziale Arbeit – soll mit Geldspenden gleichgestellt werden. Aber auch die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung des Pauschalbe- trages wird diskutiert. Es ist nur ein Vorschlag unter vie- len, über die man nur im Gesamtkonzept entscheiden kann. Deshalb gebe ich Ihnen gerne den Rat: Bringen Sie Ihren Vorschlag in die Enquete-Kommission ein. Politik für die Zukunft beruht auf Fakten. Diese Fakten werden im Sommer 2001 gewichtet und dann entschieden. Es wäre falsch und kurzsichtig und auch nicht im Sinne der Kommission, Teile des Gesamtbudgets herauszubre- chen, bevor ein Gesamtergebnis vorliegt. Wir wollen das Gesamtkonzept Ehrenamt diskutieren. Ihr Antrag berück- sichtigt nur Einzelgesichtspunkte. Wir Sozialdemokraten machen eine Politik für die Zukunft und nicht für den Au- genblick. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Klaus Riegert (CDU/CSU): Der von der CDU/CSU- Bundestagsfraktion eingebrachte Gesetzentwurf „Zur Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or- ganisationen“, Drucksache 14/5224, dient einer spürbaren bürokratischen Entlastung ehrenamtlich Tätiger, hebt die unterschiedliche Behandlung ehrenamtlicher Tätigkeiten bei der steuerlichen Begünstigung auf, hebt die so ge- nannte Übungsleiterpauschale auf jährlich 4 800 DM an und stärkt somit ehrenamtliches Engagement auf breiter Basis. Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsitzende, Funktions- träger und Helfer sollen ehrenamtlich tätigen Erziehern, Übungsleitern, Ausbildern und Betreuern steuerlich gleichgestellt werden. Sie sollen wie diese eine pauscha- lierte Aufwandsentschädigung steuerlich absetzen kön- nen. Gerade Vereinsvorsitzende, Funktionsträger und Helfer bringen große zeitliche und teilweise auch finanzi- elle Opfer. Ohne ihren Einsatz wären die vielfältigen und stets wachsenden Aufgaben in Vereinen und Verbänden überhaupt nicht mehr zu bewältigen. Wir wissen, dass es immer schwieriger wird, Bürgerin- nen und Bürger zu finden, die im Ehrenamt Verantwor- tung übernehmen und oftmals ein für sie nicht überschau- bares Haftungsrisiko eingehen. Vereinsvorsitzende und Funktionsträger sind verantwortlich für den Einsatz von Übungsleitern oder Ausbildern. Sie entscheiden darüber, wer wo mit welchen Aufgaben eingesetzt wird. Ohne eh- renamtliche Helfer wären zum Beispiel Auftritte von Ju- gendorchestern und Laienspielgruppen nicht möglich. Warum kommt der Orchesterleiter in den Genuss einer steuerlich begünstigten Aufwandspauschale, aber derje- nige, der die organisatorischen Vorarbeiten ehrenamtlich geleitet hat, nicht? Dies ist den Ehrenamtlichen vor Ort nicht zu vermitteln. Durch die geplante Neuregelung ent- lasten wir Vereine und die dort ehrenamtlich Tätigen von Bürokratie. Aufwendungen wie Fahrkosten, Reisekosten, Verpflegungsaufwendungen, Telefon- und Portogebühren sollen bis zu einem Betrag von 4 800 DM, auch für den erweiterten Personenkreis, pauschaliert steuerfrei wer- den. Wir fordern bei den verschiedensten Anlässen eine nachhaltige und spürbare Anerkennung des Ehrenamtes im Bereich des Sports, im Feuerschutzbereich, im Hilfs- und Rettungswesen, in den kulturellen und karitativen, kirchlichen Bereichen, dem Umweltbereich oder sonsti- gen steuerbegünstigten Bereichen. Wir sollten diese For- derung unterstreichen und das ehrenamtliche Engagement von Vereinsvorsitzenden, Funktionsträgern und Helfern gleichstellen mit dem von Übungsleitern, Erziehern, Aus- bildern und Betreuern. Diese kämen ohne das Engage- ment von Vorsitzenden oft gar nicht zum Einsatz. Ohne ehrenamtlich tätige Vorsitzende, Funktionsträger und Helfer läuft in unseren Vereinen nichts! Die Wertschätzung ehrenamtlicher Tätigkeiten ist in allen gesellschaftlichen und politischen Kreisen unstrit- tig. Ihr Finanzminister Eichel unterstützt uns in unserem Vorhaben – zumindest als früherer hessischer Minister- präsident. Lesen Sie einmal die Bundesratsdrucksache 950/98. Er plädiert dort sachorientiert für eine Erweite- rung des Bezugskreises. Auch der Bundeskanzler ist der Erweiterung des Bezugskreises nicht abgeneigt – zumin- dest in der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebenen Glanzbroschüre. Das Werben mit Glanzbroschüren alleine beschert dem Ehrenamt noch keinen Glanz. Der Bundeskanzler will weitere ehrenamtliche Tätigkeiten, die bisher nicht geför- dert wurden, steuer- und sozialversicherungsfrei stellen. Welche, sagt er nicht. Ich stelle fest: Eichel hat gefordert und zurückgezogen, als er Verantwortung übernommen hat. Schröder kündigt an und belässt es dabei. Wir legen einen Gesetzentwurf mit konkreten Zielsetzungen vor. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115272 (C) (D) (A) (B) Was hat Rot-Grün in den letzten zweieinhalb Jahren positiv für das Ehrenamt bewirkt? Zugegeben, Sie haben die so genannte Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM heraufgesetzt und den Bezugskreis um Betreuer erweitert. Weiße Salbe für das vermurkste 630-DM-Ge- setz! Sie haben einen halbherzigen Entwurf zum Stiftungs- recht beschlossen, der vom Bundesrat erst einmal gesell- schaftsfähig gemacht worden ist. Der zivilrechtliche Teil steht noch aus. Das war´s! Die größten Taten dieser Bun- desregierung sind Plakatserien, Glanzbroschüren und Ankündigungen. Anrechnung ehrenamtlicher Tätigkeit auf die Lebensarbeitszeit, so verheißt der Bundeskanzler. Ob das Sinn macht? Was das kosten soll, wer die Beitragszah- lungen leisten soll, darauf weiß die Bundesregierung keine Antwort. 300 DM steuer- und sozialversicherungsfreie Aufwandsentschädigung für alle. Einen konkreten Vor- schlag sucht man vergebens. Sie haben es noch nicht ein- mal geschafft, Aufwandsentschädigungen für Feuerwehr- leute sozialversicherungsfrei zu stellen. Dabei hat der Bundeskanzler dies im Oktober den Feuerwehrleuten zu- gesagt! Sie haben durch die Einführung der Ökosteuer, die Er- höhung der Energiesteuern und die Neuregelungen zu den 630-DM-Jobs und zur Scheinselbstständigkeit von den Vereinen, den dort nebenberuflich und ehrenamtlich Täti- gen Hunderte von Millionen kassiert. Sie haben Vereine und ehrenamtlich Tätige mit Bürokratie belastet, ohne Vereinen und ehrenamtlich Tätigen in irgendeiner Form einen Ausgleich zu geben. Es ist ein Gebot des Anstandes, den Vereinen und den dort ehrenamtlich Tätigen wenigs- tens einen kleinen Teil dessen zurückzugeben, was Sie ih- nen genommen und aufgebürdet haben. Was glauben Sie eigentlich, wie viel Spaß es einem Eh- renamtlichen macht, sich über den Beschäftigungsstatus von Mitarbeitern zu erkundigen, deren Lohnsteuerkarte und Sozialversicherungsnummer zu prüfen? Dies führt zu Frustration und Demotivation. Der will sich lieber mit Ju- gendlichen befassen, mit Training, Wettkampf und Frei- zeit, mit Chor und Orchester. Der wollte sich nicht enga- gieren, um für den Staat als Geldeintreiber missbraucht zu werden. Hören Sie einmal beim Freiburger Kreis nach, wie viele ihren Job aufgegeben haben. Jeder vierte! Macht dieses Gesetz Sinn, wenn unsere gemeinnützigen Vereine ihre Mitgliedsbeiträge erhöhen müssen? Lesen Sie die „DSB Presse“ vom 13. Februar 2001, Nr. 7, Seite 10: Er- höhung der Mitgliedsbeiträge in einem Verein, um die durch die Neuregelungen entstandenen Mehrkosten in Höhe von 125 000 DM pro Jahr auszugleichen. Halten Sie das für richtig? Nein, diese Regierung hat definitiv für die Vereine und ehrenamtlich Tätige nicht getan, sie hat sie belastet und mit Bürokratie überfrachtet. Wo man hinschaut: Kassie- ren, kassieren, kassieren. Deshalb ist es wichtig, Entlas- tungen für ehrenamtliche Tätige auf breiterer Basis her- beizuführen. Der Deutsche Sportbund und der Deutsche Kulturrat fordern die Heraufsetzung der so genannten Übungsleiterpauschale auf 4 800 DM jährlich und die Ausdehnung auf diejenigen, die administrativ ehrenamt- lich Verantwortung tragen. Sie haben das Ohr an der Ba- sis der Ehrenamtlichen. Sie setzen sich dafür ein, weil da- durch „eine eindeutige Grenze zwischen geringfügiger Beschäftigung und ehrenamtlicher Tätigkeit gezogen wird“ – so der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und sachverständiges Mitglied in der Enquete-Kommis- sion „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ Olaf Zimmermann. Recht hat er. Die Steuermindereinnahmen, die durch den CDU/ CSU-Gesetzentwurf entstehen würde, halten sich in über- schaubarem Maße. Der jetzige Finanzminister Eichel hat in seiner Eigenschaft als hessischer Ministerpräsident die Erweiterung des Bezugskreises um Vorstandsmitglieder und Funktionsträger mit nicht messbaren Steuerausfällen bezeichnet. Er geht wie wir davon aus, dass die Funkti- onsträger ihre Auslagen bereits steuerfrei ersetzt bekom- men können. Sie müssen dies aber bürokratisch umständ- lich gegen Einzelnachweis tun; das heißt, jedes Telefongespräch, jede Briefmarke, jeder Kilometer muss notiert und beim Finanzamt geltend gemacht werden. Nach unserem Gesetzentwurf könnten sie dies dann bis zu einer Grenze von 4 800 DM pauschaliert – ohne Einzel- nachweis – tun. Das entbindet von Bürokratie und macht Kräfte frei für das Engagement. Hier würden wir auch die Finanzämter entlasten! Was damals bei Eichel richtig war, kann heute nicht falsch sein. Geben Sie den Vereinen und ehrenamtlich Tätigen einen Teil des von ihnen verursach- ten Aufwandes durch Entbürokratisierung zurück. Auch dies ist Anerkennung. Das einfachste wäre, sie unterstützten unseren Gesetz- entwurf. Sie würdigen und anerkennen dadurch das eh- renamtliche Engagement von Millionen Bürgerinnen und Bürger. Dies ist zweifellos das Wichtigste. Aber Sie ver- helfen auch dem Finanzminister, dem Bundeskanzler und der Politik zu mehr Glaubwürdigkeit. Sie können deren Versprechungen durch Ihre Zustimmung schon heute um- setzen. Ich weiß, Sie dürfen unseren Gesetzentwurf nicht unterstützen. Dann legen Sie doch endlich etwas Eigenes vor. Ich habe ja Verständnis, dass Sie dann bei uns abkup- fern müssen. Unsere bisherigen Vorschläge werden von den Verei- nen, Verbänden, vor allem aber den Ehrenamtlichen un- terstützt: erstens, Vereinsförderungsgesetz mit Heraufset- zung der Zweckbetriebs- und Besteuerungsgrenzen sowie Bildung von Rücklagen für eine zukunftssichere Planung; zweitens, Entlastung unserer gemeinnützigen Vereine von Energiekosten; drittens, Entbürokratisierung durch Weg- fall der Neuregelungen zu den 630-DM-Jobs und Schein- selbstständigkeit für gemeinnützige Vereine; viertens, Sozialversicherungsfreiheit auf pauschale Aufwandsent- schädigungen. Sie haben bisher immer nur abgelehnt. Nehmen Sie sich die Worte des Präsidenten des Deutschen Sportbun- des, Manfred von Richthofen, zu Herzen. Nach der er- neuten Ablehnung einer Gesetzesinitiative der CDU/ CSU-regierten Länder im Bundesrat zur Verbesserung eh- renamtlicher Tätigkeiten durch Rot-Grün schreibt er: Nachdem der Bundesrat bereits in seiner 755. Sit- zung mehrheitlich abgelehnt hatte, etwas gegen die Beeinträchtigung der ehrenamtlichen Tätigkeit durch das Gesetz zur Neuregelung der geringfügi- gen Beschäftigungsverhältnisse, das so genannte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15273 (C) (D) (A) (B) 630-DM-Gesetz, zu tun, zeigt dieser Beschluss er- neut, wieweit heute leider oft politische Erklärungen in Grußworten und Sonntagsreden und konkretes po- litisches Handeln auseinander klaffen. Der Glaub- würdigkeit der Politik wird damit kein guter Dienst geleistet. Dem ist nichts hinzuzufügen! Sie dürfen unsere Initiativen als Material für eigene Vorschläge verwenden. Wir werden konstruktiv mit Ihnen zum Wohle der Vereine und der Ehrenamtlichen zusam- menarbeiten. Deshalb: Stimmen Sie unserem Gesetzent- wurf zu! Er hilft den Ehrenamtlichen und den Vereinen. Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich freue mich, dass die Opposition nun derart an der Si- tuation der bürgerschaftlich Engagierten interessiert ist. Leider ist bei Ihnen immer noch der Begriff der ehren- amtlich Tätigen etwas schief verankert. In der Enquete- Kommission sprechen Sie ja auch von bürgerlich Enga- gierten. Diese Denke bringt auch Ihr Antrag zum Ausdruck. Die Enquete-Kommission hat mit Ihren Stimmen, da- ran werden Sie sich sicherlich erinnern, ein finanzschwe- res Gutachten zur steuerrechtlichen Situation der bürger- schaftlich engagierten Menschen in Auftrag gegeben. Sie können nicht auf der einen Seite Rechtsgutachten in Auf- trag geben, deren Ergebnis aber nicht abwarten und gleichzeitig uns hier mit Anträgen beglücken: mal zur freiwilligen Feuerwehr; mal zum Steuerrecht und immer gerne, um eigentlich die politisch sinnvolle und hart er- rungene 630-DM-Regelung anzugreifen. Sie verhindern damit das, wozu eine Enquete-Kommission eingesetzt wird: zur Erörterung gesellschaftlich relevanter Fragen. Diese Fragen sind: Was ist Anerkennung? Was dient dem Gemeinwohl? Was erwarten die Engagierten und wie wollen wir aber auch die staatliche Rolle definieren? Wenn wir uns die Debatten gerade in der Enquete ge- nauer betrachten, dann stellen wir fest, dass es eben sehr schwer ist, die Grenzen zwischen Erwerbstätigkeit und freiwilligem oder bürgerschaftlichem Engagement klar zu ziehen. Sie haben diese Schwierigkeiten ja auch offen- sichtlich in Ihrem Antrag. Denn wer sollen die „Helfer im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Per- son des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden Einrich- tung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke“ sein? Sicherlich ist es wünschenswert, dass eine Gleichbe- handlung aller dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten verankert wird. Aber vielleicht sollten wir uns dann doch lieber über die Ausweitung eben der Tätigkeitsfelder ver- ständigen und nicht eine Definition finden, die keine ist. Die Statusbeschreibung eines bürgerschaftlich enga- gierten Menschen liegt eben noch nicht vor und sie wird auch noch eines guten Stückes Arbeit bedürfen. Nur mit ihr könnten wir das erreichen, was sie und wir wollen: Die Gleichbehandlung und eben nicht „Privilegierung ehren- amtlichen Engagements einzelner Gruppen“. Die Formen des so genannten „neuen Ehrenamts“ die- nen immer mehr der Motivation, das eigene Umfeld, die Gesellschaft zu gestalten, Projekte selbst zu initiieren. Besonders jungen Menschen ist es wichtig, hierbei ernst- haft mitmischen zu können. Sie wollen oftmals keine klassische Ehrenamtskarriere bei einem der Wohlfahrts- mercedesse mehr, sie wollen ihre eigenen Projekte ver- folgen, selbstbestimmt und selbstverwirklichend. Wir erwarten von den Menschen heute eine immer größere Flexibilität, wenn es um eine neue Ausbildungs- oder Arbeitsstelle geht. Da kann man keine jahrzehnte- lange Ehrenamtskarriere mehr planen, da ist das Engage- ment vielleicht sogar irgendwann der Kitt im Sozialleben des oder der Engagierten; und nicht nur ist das Engage- ment der soziale Kitt der Gesellschaft. All diese Verände- rungen werfen große Fragen auf. Da ist das Letzte, was mir heute einfällt, eine Priorität, die eine weitere Er- höhung der steuerfreien Einnahmen heißt. Liebe Kollegen von der Opposition, kommen Sie in diesem Jahrhundert an und nehmen Sie ernst, was die Menschen grundsätzlich bewegt in ihrer Leidenschaft, sich zu engagieren. Hierzu arbeiten wir und ich bin sicher, dass wir, möglichst mit Ihrem Engagement, in dieser Le- gislatur noch ein gutes Stück auch im Bereich der staat- lichen Handlungsoptionen für die Stärkung des bürger- schaftlichen Engagements ein gutes und entscheidendes Stück vorwärts kommen können. Gerhard Schüßler (F.D.P.): Um es gleich vorweg zu nehmen: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion kann sich dem Gesetzentwurf der Union nicht anschließen. Die Union macht es sich aus unserer Sicht zu einfach mit der plakativen Äußerung, sie wolle ehrenamtliche Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen stärken. Al- lein mit einer Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 3 600 auf 4 800 DM ist es nicht getan, denn das eigentli- che Problem wird damit nicht gelöst. Sieht man sich den Gesetzentwurf an, so hatte die Union offensichtlich be- reits mit der Skizzierung dieses Problems Schwierigkei- ten. Denn das, was sich unter der Überschrift „Problem“ im Gesetzentwurf findet, ist nicht die Aufzeigung dessen, sondern der vorgeschlagene Lösungsweg. Und wenn die Union in der Begründung des Gesetzent- wurfs ausführt, in einer aktiven Bürgergesellschaft dürfe es keine Privilegierung ehrenamtlichen Engagements ein- zelner Gruppen geben, so schafft die vorgeschlagene Neu- fassung des § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz durch die Ausweitung seines Anwendungsbereiches auf weitere Gruppen doch lediglich eine Ausweitung dieses Privile- gierungstatbestandes. Sinnvoller wäre es gewesen, eine Generalklausel zu schaffen, die alle potenziell ehrenamt- lich Tätigen umfasst und nicht – wie hier geschehen – den bisher privilegierten Gruppen weitere hinzufügt. Der richtige Weg aus Sicht der F.D.P. wäre die Ein- führung einer Ehrenamtspauschale in den Katalog des § 3 EstG. Darüber sollten wir uns hier unterhalten. Ich vermag auch nicht zu erkennen, vor welchem Er- kenntnishorizont die Union darauf kommt, dass sich die von ihr vorgeschlagene personelle Erweiterung in der Pra- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115274 (C) (D) (A) (B) xis verwaltungsvereinfachend auswirken dürfte. Ich weiß nicht, ob die Wahl des Wortes „dürfte“ beabsichtigt war, in jedem Fall ist sie zu Recht gewählt. Denn mit der Er- weiterung des Kreises der Personengruppen wird sich für die Verwaltung zwangsläufig die Verpflichtung ergeben, noch genauer zu prüfen, ob ein Steuerpflichtiger, der die Pauschale geltend macht, tatsächlich unter eine der dort aufgeführten Gruppen fällt. Wenn die Politik ehrenamtlich tätigen Menschen in un- serer Gesellschaft wirklich helfen will, so setzt dies vor al- len Dingen mehr Gesetzesklarheit und -stringenz voraus. Dann kommt die Verwaltungsvereinfachung ganz von selbst. Und die Entbürokratisierung der Verwaltung ge- rade auf kommunaler Ebene wäre allein ein Gewinn für das Ehrenamt. Dr. Klaus Grehn (PDS): Heute behandeln wir zum vierten Mal innerhalb eines Jahres einen Gesetzesantrag, der sich dem anerkannt wichtigen Problem der ehren- amtlichen Tätigkeit zuwendet. In allen vier Anträgen ging oder geht es um die Verbesserung der Bedingungen für die ehrenamtlich Tätigen bzw. um die Anerkennung ihrer gesellschaftlich unverzichtbaren Arbeit im Ehren- amt. Dies und die Tatsache, dass die Qualität der Anträge von Mal zu Mal gewachsen ist, sind hervorhebenswerte Sachverhalte. Unbestritten ist, dass die Bedingungen für die ehrenamtliche Tätigkeit und ihre gesellschaftliche Anerkennung nachhaltig verbessert werden müssen und damit auf die Veränderungen in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagiert werden muss. Vom Grund- satz haben alle Fraktionen diese Notwendigkeit wieder- holt anerkannt und ihr mit der Einsetzung der Enquete- Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engage- ments“ auch Ausdruck verliehen. Zum vorliegenden Antrag stellen wir fest, dass er sich im Gegensatz zu den Vorherigen nicht nur auf die freiwil- lige Feuerwehr und den Sport bezieht und auch nicht vor- dergründig als Speer gegen die 630-DM-Regelung und die ökologische Steuerreform ausgerichtet ist. Wir begrüßen, dass der Antrag mehrfach vorgetragene Forderungen der PDS-Fraktion berücksichtigt, indem ehrenamtliche Tätig- keit im Sozial-, Kultur- und Gesundheitsbereich, ehren- amtliche Senioren- und Jugendarbeit oder im Bereich der Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den Antrag aufgenommen wurden. Aber damit haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU Fraktion, eben nur einen Teil der aufge- zeigten Probleme aufgenommen. Bei aller Zustimmung: Nachbesserungen halten wir für unverzichtbar. So haben Sie den wichtigen Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit und ihrer Stärkung durch jene Bürger, die keine Einnah- men daraus erzielen, genauso ausgeklammert wie die Regelung von Aufwandsentschädigungen für Lohnersatz- leistungsempfängerinnen und -empfänger, Rentnerinnen und Rentner oder Hausfrauen bzw. Hausmänner und Maßnahmen zur Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeit dieser Gruppen. Neben der überwiegend prekären finan- ziellen und materiellen Situation dieser Bürger werden deren Bedingungen zur Ausübung ehrenamtlicher Tätig- keit durch weitere Maßnahmen restriktiv eingeschränkt. Erinnert sei an die unsägliche 15-Stunden-Regelung im SGB III, die ja außerdem noch mit existenzbedrohenden Sanktionen ausgestaltet wurde. Damit wird die untragbare Verletzung des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit, für das die PDS nachdrücklich eintritt, aufrechterhalten und die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bleibt in die- sem Bereich bestehen. Das halten wir für nicht hinnehm- bar und kritisieren deshalb den Entwurf, der auf eine Teillösung statt auf eine Gesamtlösung ausgerichtet ist. Denkbar wäre zu Beispiel, diesen Makel durch fol- gende Varianten zu beheben: Erstens. Alle Ehrenamtliche, die Einnahmen aus Erwerbsarbeit erzielen, unabhängig davon, ob sie zusätzliche Einnahmen aus ihrer ehrenamt- lichen Tätigkeit erzielen, können den gleichen Steuerfrei- betrag geltend machen. Zweitens: sollte eine Variante für die Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeiten von Lohnersatzleistungsempfängerinnen und -empfänger, Renterinnen und Rentnern und anderen Nichteinkom- mensbeziehern entwickelt werden. Es könnte sowohl eine finanzielle Lösung sein, zum Beispiel durch Aufstockung um einen Betrag, der der Steuerersparnis eines ein Ein- kommen erzielenden Ehrenamtlichen entspricht, oder eine Anerkennung durch zusätzliche Rentenpunkte. Mit diesen Vorschlägen weisen wir auf die Notwen- digkeit von Nachbesserungen hin, die überfraktionell be- raten werden oder in den vorgelegten Gesetzentwurf ein- gearbeitet werden könnten. Die Einbeziehung der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ in den Prozess der Neugestaltung des Antrages wird die Chancen auf eine angemessene Gesamtlösung erhöhen. Lassen Sie uns im Interesse aller Beteiligten die vor- gelegte Teillösung in eine Gesamtlösung überführen und lassen Sie uns das nicht lange hinausschieben. Das wäre dem Internationalen Jahr der Freiwilligen und des Ehren- amtes angemessen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staats- angehörigkeitsgesetzes – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staats- angehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes – Antrag: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbür- gerung von Kindern (Tagesordnungspunkt 14 a bis c) Dr. Michael Bürsch (SPD): Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 haben wir das Ziel verfolgt, den lange in Deutschland lebenden Aus- ländern und ihren Kindern durch rechtliche Gleichstel- lung und politische Teilhabe die Eingliederung in unsere Gesellschaft zu erleichtern. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15275 (C) (D) (A) (B) Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen, aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über- schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle- ben erst ermöglicht. Wenn dies schon für die Elterngene- ration richtig ist, dann gilt dies erst recht bei den Kindern. Es besteht nach meiner Überzeugung im Bundestag kein Dissens darüber, dass der frühzeitigen Integration der in Deutschland aufwachsenden Kinder ausländischer Fami- lien eine überragende Bedeutung zukommt, wenn wir das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft si- chern und ein Miteinander von Menschen unterschiedli- cher nationaler, ethnischer und kultureller Herkunft errei- chen wollen. Der Kernpunkt der Reform des Staatsangehörigkeits- rechts, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch das Geburtsrecht, das Jus soli, soll es den hier geborenen Jugendlichen endlich ermöglichen, sich mit ihrem Hei- matland Deutschland zu identifizieren. Rund 50 000 der im vergangenen Jahr in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern besitzen aufgrund der neuen Rege- lung bereits von Geburt an die deutsche Staatsangehörig- keit. Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we- nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Für Kinder, die in den 90er-Jahren in Deutschland geboren sind, also bei In-Kraft-Treten des reformierten Staatsangehörig- keitsrechts am 1. Januar 2000 nicht älter als zehn Jahre alt waren, konnte nach der bisherigen Fassung des § 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsan- gehörigkeit für das Kind beantragt werden, ohne dass das Kind vor der Einbürgerung die alte Staatsangehörigkeit aufgeben musste. Die unter Zehnjährigen wurden inso- fern den Neugeborenen gleichgestellt. Diese Regelung war allerdings bis zum 31. Dezember 2000 befristet und ist mit Beginn des neuen Jahres ausgelaufen. Leider blieb die Zahl der Einbürgerungsanträge hinter den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der Antragsfrist wurden nur für höchstens 30 000 der 280 000 einbürge- rungsberechtigten Kinder ein Antrag gestellt. Nach den Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden haben vor allem die Gebühren von 500 DM dazu beigetragen, dass die vielfach einkommensschwachen Familien vor einem An- trag zurückschreckten. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass es für die Eltern der Kinder, die nach § 40 b des Staats- angehörigkeitsgesetzes einen Einbürgerungsanspruch ha- ben, eine schwierige Entscheidung ist, die Staatsan- gehörigkeit ihres Herkunftslandes aufzugeben, um Deutsche oder Deutscher werden zu können. Dies ist eine Lebensentscheidung, die wohl überlegt sein muss. Bei den Betroffenen sind im Übrigen Unsicherheit und Zurückhaltung darauf zurückzuführen, dass ein politi- scher Konsens über eine regelmäßige doppelte Staatsan- gehörigkeit nicht zu erzielen war. Sie alle wissen, dass die Regierungskoalition ursprünglich einen anderen, konse- quenteren und auch praktikableren Gesetzentwurf vorge- legt hatte. Viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ha- ben offensichtlich bis zur Verabschiedung des Reformge- setzes auf den Doppelpass gehofft. Wenn Sie sich nun bisher noch nicht entscheiden konnten, die Staatsan- gehörigkeit ihres Herkunftslandes aufzugeben, tun sie sich natürlich oft ebenso schwer, für ihre Kinder die Ein- bürgerung zu beantragen. Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be- steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein- kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli- chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte- gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte des Zusammenlebens. Es wäre außerdem wenig nachvollziehbar für die Betroffenen, wenn in einer Familie die beiden älteren Ge- schwister, sagen wir zwei und vier Jahre alt, nicht das Op- tionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben, während ihre neugeborene Schwester den deutschen Pass in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss durch die Familien wollen wir vermeiden. Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2002 verlängern. Und wir wollen da- rum werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen, deshalb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf 100 DM. Die Höhe der Gebühr hat sich, zumal bei kin- derreichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die Einbürgerungsbereitschaft erwiesen. Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet verkraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebli- che Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zu- kunft, wenn die Integration im Erwachsenenalter durch spezielle Fördermaßnahmen nachgeholt werden muss. Ei- nen kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der Verwaltungsgebühren sollten wir uns ersparen und statt- dessen klarstellen, wie wichtig – und wie viel wert – uns die frühzeitige Integration der in Deutschland aufwach- senden Kinder ausländischer Familien ist. Mit der F.D.P. sind sich die Koalitionsfraktionen hier erfreulicherweise wohl einig. Die Befristung bis zum 31. Dezember 2001, die im Antrag der F.D.P.-Fraktion vorgesehen ist, ist allerdings wenig praktikabel, da allein das Gesetzgebungsverfahren sich im Hinblick auf die er- forderliche Zustimmung des Bundesrates bis weit ins lau- fende Jahr erstrecken kann. Es ergibt wenig Sinn, die Frist schon wieder auslaufen zu lassen, kaum dass die Verlän- gerung im Bundesgesetzblatt verkündet ist. Ich bitte aber alle Mitglieder des Hauses, dem Gesetz- entwurf zur Förderung der Kindereinbürgerung zuzustim- men. Die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- Bundestagsfraktion haben die Möglichkeit, heute unter Beweis zu stellen, dass sie seit ihrer Unterschrif- tenkampagne etwas dazugelernt haben. Anders als vom Kollegen Zeitlmann und seinem Parteivorsitzenden als Horrorszenario beschrieben, hat es seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts keine Masseneinbürgerung von Kriminellen gegeben – und auch keinen Islamterro- rismus mit deutschem Pass. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115276 (C) (D) (A) (B) Herr Kollege Zeitlmann hat uns bei der Debatte vor zwei Jahren vorgerechnet – ich zitiere –: „Sie wollen künftig jedem ausländischen Jugendlichen die doppelte Staatsangehörigkeit geben. ... Wenn Sie das jetzt rückwir- kend auf die letzten zehn Geburtsjahre beziehen, dann heißt das, dass mit einem Federstrich 600 000 auslän- dische Jugendliche eingebürgert werden.“ Und weiter: „Ich will wissen, ob Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, dass Sie künftig alle kleinen Mehmets hierbehal- ten müssen.“ Herr Kollege, Sie haben sich damals nicht nur im Ton, sondern auch in der Größenordnung vergriffen. Ich appel- liere an die früheren Gegner des neuen Staatsan- gehörigkeitsrechts: Revidieren Sie Ihre negative Einstel- lung zur Zuwanderung und Integration von Ausländern! Sehen Sie ein, dass es beim heutigen Antrag um Kinder geht, deren Eltern seit langem rechtmäßig in Deutschland leben, bei denen es keinen Sinn macht, sie erst von ihren Altersgenossen abzugrenzen, um sie anschließend mit großem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wie- der integrieren zu müssen. Eine bloße Zusicherung, ir- gendwann einmal Deutsche oder Deutscher werden zu können, reicht deshalb nicht aus. Was wir heute nicht anpacken, werden wir in wenigen Jahren mit Zins und Zinseszins leisten müssen. Deshalb: Lassen Sie uns mit der heutigen Beschlussfassung ge- meinsam die Einbürgerung von ausländischen Kindern erleichtern! Thomas Strobl (CDU/CSU):Nicht zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode beschäftigt sich das Hohe Haus mit einer Initiative zur Änderung unseres Staatsan- gehörigkeitsrechts. Seit dem 1. Januar 2000 hat Rot-Grün gegen den entschiedenen Widerstand von CDU und CSU ein neues Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft gesetzt. Mit der Einbürgerung nach § 29 StAG, dem so genannten Op- tionsmodell für in Deutschland geborene Kinder auslän- discher Mitbürgerinnen und Mitbürger, wird zunächst der das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich prä- gende Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit infrage gestellt. Die mit der Einbürgerung verbundene Optionspflicht, welche diesem Prinzip letztlich zum Durchbruch verhelfen soll, wird, wenn überhaupt, erst nach langer Zeit greifen. Die Regelungen zur Options- pflicht in § 29 StAG sind im Übrigen so gestaltet, ins- besondere über die Vorschriften zur Beibehaltungsgeneh- migung, dass der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit im Ergebnis in sein Gegenteil verkehrt wird. Die Vorschrift wirft zahlreiche rechtliche und auch ver- fassungsrechtliche Probleme auf. Die mit der rot-grünen Mehrheit verabschiedeten Regelungen insgesamt bringen zahlreiche schwierige Vollzugsprobleme mit sich, für die in der Verwaltungspraxis erst noch praktikable Lösungen gefunden werden müssen. Es erscheint aus heutiger Sicht nicht ganz abwegig, anzunehmen, dass mit dem Näherrücken des Zeitpunktes, zu dem § 29 StAG erstmals vollzogen werden müsste, auch die Bestrebungen wachsen werden, diese Vorschrift zu streichen und damit die Mehr- staatlichkeit auf Dauer flächendeckend hinzunehmen. CDU und CSU waren damals entschieden gegen diese De-facto-Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, weil wir generell Mehrstaatlichkeit nicht wollen und sie deshalb weitgehend vermeiden wollen. Wir haben immer gesagt – das sagen wir auch heute noch –: Die deutsche Staatsbürgerschaft wird nicht dadurch attraktiver, dass wir die Hürde für ihren Erwerb immer niedriger hängen. Deutscher Staatsangehöriger zu werden darf nicht zu ei- ner Frage der Beliebigkeit werden. Geben wir den Erwerb unserer Staatsangehörigkeit der Beliebigkeit preis, dann rüttelt dies an den Grundfesten unserer staatlichen Iden- tität. Denn es ist sehr wohl eine für den einzelnen Men- schen grundlegende Frage, zu welcher staatlichen Ge- meinschaft er gehören möchte. Damit sind ja nicht nur Rechte und Pflichten verbunden, sondern auch die Frage: Zu welchem Staat, zu welcher Nation, zu welcher Ge- meinschaft willst Du gehören? Zugleich stellt sich die Frage nach der eigenen nationalen, aber auch kulturellen Identität. Deshalb muss für uns übrigens die Integration vor der Einbürgerung stehen, während Sie – fälschlicher- weise – in der Gesetzesbegründung die Verleihung der Staatsbürgerschaft als Mittel zur Interpretation sehen. Deshalb haben wir als CDU/CSU immer gesagt: Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben will, der muss sich auch mit allen Konsequenzen zu diesem Staat und nur zu diesem Staat Bundesrepublik Deutschland beken- nen. Jeder findet hier die Voraussetzungen, nach seiner Fasson glücklich zu werden. Aber er soll sich entscheiden, ob er dies als Deutscher oder als Ausländer tun möchte. Die wie auch immer geartete Gewährung einer doppelten Staatsangehörigkeit bewirkt hingegen das genaue Gegen- teil. Deshalb waren und sind wir gegen eine generelle Möglichkeit von Doppelstaatlichkeit. Im Übrigen scheinen uns die Ergebnisse in einem Teil- bereich des so genannten Optionmodells Recht zu geben. Von der Regelung der Einbürgerung nach § 40 b StAG sind 280 000 Kinder betroffen, und zwar Kinder bis zum 10. Lebensjahr, die nach der neuen Regelung des Staats- bürgerschaftsrechts vom 1. Januar 2000 kraft Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hätten. Diese von Rot-Grün so viel gepriesene Regelung wird gerade einmal von etwas mehr als 10 Prozent der Betroffenen wahrge- nommen: 280 000 nach § 40 b StAG einbürgerungsbe- rechtigten Kindern stehen lediglich 30 000 durch die El- tern gestellte Einbürgerungsanträge gegenüber. Nun sollen die Verwaltungsgebühren von durch- schnittlich 500 DM für die Zurückhaltung der Eltern der Antragsberechtigten verantwortlich sein. 500 DM sollen zu viel sein für den Erwerb der deutschen Staatsbürger- schaft? Was für eine absurde Begründung für einen Sach- verhalt von solcher Tragweite, wie die Entscheidung für eine bestimmte Staatsangehörigkeit! Deshalb beschäftigen wir uns heute mit diesem Antrag von Rot-Grün und F.D.P., die Gebühren per Gesetz auf 100 DM zu beschränken. Das ist vollkommen unstreitig ein Betrag, mit dem die Kosten für die Verfahren nicht ge- deckt werden können. Im Übrigen: Was für eine Einstel- lung haben Sie eigentlich zu unserer Staatsbürgerschaft, wenn sie nun als Anreiz dafür, dass ausländische Mitbür- gerinnen und Mitbürger Deutsche werden sollen, auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15277 (C) (D) (A) (B) noch die Kosten für das Verwaltungsverfahren überneh- men wollen? Was wäre eigentlich die Konsequenz, wenn bei 100 DM Gebühren immer noch viele Eltern nicht be- reit sein sollten, die deutsche Staatsangehörigkeit für ihre Kinder zu beantragen? Zahlen wir den dann noch Ver- bleibenden womöglich eine Prämie, damit sie Deutsche werden, vielleicht gestaffelt nach Einkommensgrenzen und Anzahl der Kinder? Der deutsche Staat zahlt denjenigen eine Prämie, die bereit sind, sich die deutsche Staatsbürgerschaft aufnöti- gen zu lassen – das ist polemisch, entspräche aber durch- aus der Logik dieses Antrages. Es geht mir hier nicht um einen Streit über die Höhe einer Verwaltungsgebühr,son- dern um ihre hinter diesem Antrag stehende falsche Ein- stellung zu unserem Staatsangehörigkeitsrecht. Es ist falsch, die Staatsangehörigkeit sozusagen immer billiger zu machen, denn sie wird dadurch für Ausländer nicht at- traktiver. Sie nähmen sie vielleicht an, wenn es keine Um- stände mehr macht, Deutscher zu werden. Aber die Zu- gehörigkeit zu einer Gesellschaft, das Bewusstsein, in einem Staat als Staatsbürger zu leben, mit allen Rechten und Pflichten, wird nicht gestärkt, wenn es einem mög- lichst einfach gemacht wird, dazuzugehören. Nur wenn uns unsere Staatsbürgerschaft etwas wert ist, stellt sie auch für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ei- nen Wert dar, der für sie erstrebenswert ist. Ihr Antrag be- wirkt das genaue Gegenteil und deshalb lehnen wir ihn ab. Nur ein kurzer Schwenk zu den Kosten dieser Geset- zesänderung: Wenn ich den von Ihnen angenommenen Schätzwert für die tatsächlichen Kosten des Verwaltungs- verfahrens von 200 DM bis 250 DM voraussetze, dann blei- ben bei einer gesetzlich festgelegten Gebühr von 100 DM noch Kosten von 100 bis 150 DM, die von den Kommu- nen und Landkreisen getragen werden müssten. Rot-Grün beschließt, Länder und Kommunen bezahlen. Aber diese „länder- und kommunalfreundliche“ Politik kennen wir von Rot-Grün ja auch in vielen anderen Bereichen. Haben Sie eigentlich schon einmal etwas vom Verursacherprin- zip gehört? Ihr Ziel vorausgesetzt, dass alle verbliebenen 250 000 potenziellen Antragsteller nach der Gebührensenkung ihren Antrag stellen würden, wären es bis zu 37,5 Milli- onen DM Mehrkosten, die von den Gemeinden und Land- kreisen aufgebracht werden müssten. Wieder einmal ver- ursacht damit der Bund mit einer Entscheidung Kosten auf den ohnehin immer höher belasteten Ebenen der Län- der und Kommunen. Diese Mehrkosten würden aber nicht gleichmäßig auf alle Kommunen in Deutschland verteilt sein, sondern fielen in Wahrheit vor allem in den Städten und Landkreisen an, die über einen hohen Ausländeranteil verfügen, also in den Ballungszentren. Ich sage das, weil Sie in ihren Anträgen so tun, als seien das Kosten, die zu vernachlässigen wären. Außerdem sol- len den Kommunen Kosten aufgedrückt werden, die voll- kommen unnötig sind. In der Vergangenheit sind Verwal- tungsgebühren immer wieder angehoben worden mit dem Argument, dass eine Verwaltung, die mehr Dienstleistun- gen für die Bürgerinnen und Bürger erbringt, auch höhere Kosten verursacht. Wir sagen zu Recht, dass die Bürge- rinnen und Bürger auch die Kosten tragen sollen, die sie verursachen. Wenn das aber richtig ist, dann gilt dies für alle Menschen in diesem Land. Es gilt für den deutschen Staatsbürger, der seinen Pass verlängern möchte, genauso wie für den ausländischen Mitbürger, der den deutschen Pass erwerben möchte. Ich finde dies unter dem Aspekt der Leistungs- und Kostengerechtigkeit für alle in diesem Land nur recht und billig. Ein anderer Aspekt kommt für mich an dieser Stelle noch hinzu. Was sagen Sie eigentlich den 30 000 Eltern, für die die Gebühr von durchschnittlich 500 DM offen- sichtlich nicht zu hoch war? Erstatten wir ihnen den über- schießenden Betrag der von ihnen bezahlten, offensicht- lich überhöhten Gebühr zurück? Es ist doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn hier nach dem Motto verfahren wird: Wer sich an die gesetzliche Frist gehalten hat, ist der Dumme. Und was sagen wir, wenn in zwei Jahren immer noch nicht das gewünschte Ergebnis, dass alle 280 000 Anträge gestellt sind, eingetreten ist? Sie sehen, wie absurd und falsch Ihre Politik auch in die- ser Frage ist. Wir sind übrigens auch gegen die nun vorgesehene Verlängerung der Antragsfrist seitens der F.D.P. bis zum 31. Dezember 2001 bzw. seitens Rot-Grün sogar bis zum 31. Dezember 2002. Hier begegnet § 40 b StAG auch un- ter integrationspolitischen Gesichtspunkten durchgreifen- den Bedenken. Diese Vorschrift eröffnet einen Einbürge- rungsanspruch nämlich auch in solchen Fällen, die mit den gesetzgeberischen Intentionen offensichtlich nicht zu vereinbaren sind. Das gilt zum Beispiel dann, wenn das betreffende Kind nach dem 1. Januar 2000 – etwa zum Zwecke eines Schulbesuches – aus dem Bundesgebiet ausgereist ist und sich bis auf Weiteres oder endgültig im Ausland aufhält. In diesen in der Praxis keineswegs selte- nen Fällen kann sich die mit der Einbürgerung verbun- dene, aus unserer Sicht falsche Erwartung einer erleich- terten Integration in die deutschen Lebensverhältnisse von vornherein nicht erfüllen. Im Falle einer Verlänge- rung der Antragsfrist nach § 40 b StAG bestünde die Ge- fahr, dass die insoweit möglichen integrationspolitisch bedenklichen Fälle in der Zukunft noch zunehmen wer- den. Insgesamt wird wieder einmal rot-grünes Stückwerk beim Staatsbürgerschaftsrecht produziert. Das Staatsbür- gerschaftsrecht ist seiner Natur nach in besonderem Maße auf Kontinuität und Berechenbarkeit angelegt. Die mit diesem Gesetzentwurf intendierte Verlängerung der – aus guten Gründen auf ein Jahr befristeten – Übergangsrege- lung des § 40 b StAG widerspricht diesem Grundsatz aber. Es ist zudem eine Illusion, anzunehmen, dieses einmal in Gang gebrachte Gesetzgebungsverfahren könne auf die- ses eine Thema beschränkt bleiben. Es dürfte vielmehr in naher Zukunft wiederum eine Novelle zu erwarten sein, die punktuell und unter Inkaufnahme neuer Ungereimt- heiten bestimmte Einzelregelungen bringt. Eine umfas- sende, von der CDU/CSU geforderte Reform des Staats- angehörigkeitsrechtes wird in dieser Legislaturperiode, entgegen den Ankündigungen von Rot-Grün, offensicht- lich nicht mehr kommen. Parallel dazu arbeitet auch noch eine Kommission der Bundesregierung, deren Ergebnisse offensichtlich schon jetzt keine Rolle mehr spielen, wenn hier Einzelfälle in Einzelgesetzen geregelt werden. Das ist Stückwerk und dieses lehnt die CDU/ CSU-Fraktion ab. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115278 (C) (D) (A) (B) Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Reform des Staatsan- gehörigkeitsrechts, die vor gut einem Jahr in Kraft getre- ten ist, war ein bedeutender Schritt zur Integration der hier lebenden Ausländer, vor allem der in Deutschland gebo- renen Kinder ausländischer Eltern. Erstmals wurde im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht das so genannte Ge- burtsortsprinzip verankert, mit dem das Abstammungs- prinzip in sinnvoller Weise ergänzt worden ist. So erhal- ten die hier geborenen Kinder, von denen angenommen werden kann, dass sie in Deutschland ihre Heimat haben werden, von Anfang an den gleichen Rechtsstatus wie die Kinder deutscher Eltern. Wir haben uns von der Überzeu- gung leiten lassen, dass ein möglichst frühzeitiger Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit den hier aufwachsen- den Kindern ausländischer Eltern die Integration in Deutschland wesentlich erleichtert. Damit es zu nennenswerten Integrationsfortschritten kommt, haben wir darüber hinaus eine Art Altfallregelung geschaffen, mit der dieses Integrationsangebot auch von den bereits vor In-Kraft-Treten der Reform geborenen Kindern in Anspruch genommen werden kann, wenn sie das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Diese Kinder haben einen Einbürgerungsanspruch, wenn sie un- ter Geltung der neuen Regelung kraft Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten und diese Vorausset- zungen auch aktuell noch vorliegen. Die Frist für die Inanspruchnahme dieser Regelung in § 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes ist Ende letzten Jahres abgelaufen. Wir wollen sie nun verlängern, weil von der Regelung nicht in dem Umfang Gebrauch ge- macht wurde, wie es der Gesetzgeber seinerzeit erhofft hatte. Die Bundesregierung hat ermittelt, dass nur etwa 10 Prozent der etwa 280 000 Einbürgerungsberechtigten einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Sicherlich gibt es dafür mehrere Gründe. Als ein Hauptgrund wird von den betroffenen Kreisen selbst aber die Höhe der zu entrichtenden Einbürgerungsgebühr von 500 DM pro Kind genannt. Das Gesetz sieht zwar die Möglichkeit der Gebührenermäßigung oder -befreiung vor. Die Bundesre- gierung hat über die Anwendung dieser Möglichkeit mit den Ländern im Rahmen der Allgemeinen Verwaltungs- vorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht jedoch keine Einigung erzielen können. Die Länder machen von dieser Möglichkeit zu wenig und nicht einheitlich Gebrauch. Deshalb ist das zweite Ziel unseres Gesetzentwurfs, die Einbürgerungsgebühr für minderjährige Kinder gene- rell auf 100 DM herabzusetzen. Die Verlängerung der An- tragsfrist ist nämlich nur dann wirklich sinnvoll, wenn zu- gleich das Haupthindernis für die Inanspruchnahme der Regelung beseitigt wird. Die Bundesregierung hat einen fast gleich lautenden Gesetzentwurf vorgelegt. Der einzige Unterschied zu un- serem Entwurf besteht darin, dass die F.D.P, eine Frist- verlängerung bis Ende 2001 vorschlägt, während die Bun- desregierung die Frist bis zum Ende des nächsten Jahres verlängern will. Dies ist angesichts des um drei Monate späteren Vorlagedatums und mit Blick auf die voraus- sichtliche Dauer des Gesetzgebungsverfahrens auch kon- sequent. Auch wenn es sich die Koalition natürlich hätte einfacher machen können, indem sie einen entsprechen- den Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf vorlegt: Wir begrüßen, dass sie sich das Anliegen der F.D.P. zu ei- gen gemacht hat. Ich würde mich freuen, wenn auch die CDU/CSU-Fraktion trotz ihrer Ablehnung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts dieser Änderung zustim- men würde. Sie sollte einsehen, dass sich die Neuregelung insgesamt bewährt hat und dass es hier um eine Verbesse- rung der Integrationschancen für die Kinder ausländischer Eltern zum Nutzen unserer gesamten Gesellschaft geht. Die wichtigen Integrationsfortschritte, die mit einer Ein- bürgerung hier geborener Kinder ausländischer Eltern er- reicht werden können, dürfen nicht an zu engen formalen Voraussetzungen scheitern. Vielleicht ist es in diesem Zu- sammenhang hilfreich, daran zu erinnern, dass sich die Kinderkommission des Bundestages einstimmig für eine Fristverlängerung und eine Senkung der Einbürgerungs- gebühr ausgesprochen hat. Lassen Sie uns die Tür, die § 40 b StAG bietet, also noch ein wenig weiter öffnen und etwas länger offen halten. Ulla Jelpke (PDS): Mit den Gesetzentwürfen, über die wir hier diskutieren, soll für Kinder die Einbürge- rungsgebühr verringert und die Frist für den Einbürge- rungsantrag verlängert werden. Außerdem soll der Bun- destag die Bundesregierung auffordern, die Betroffenen über den Einbürgerungsanspruch für Kinder nach § 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu informieren, und an die Landesregierungen appellieren, die gesetzliche Mög- lichkeit der Gebührenbefreiung oder -ermäßigung ernst- haft in Betracht zu ziehen. Alles richtige und ehrenwerte Vorschläge, die keiner ablehnen kann. Aber sie gehen am Kern des Problems vorbei, nämlich an den eigentlichen Schwachstellen des „reformierten“ Staatsangehörigkeits- rechts. Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen entspre- chen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwartungen, die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsangehörig- keitsgesetzes verbunden waren. Vielleicht zwei Drittel derjenigen, an die das Angebot der Einbürgerung gerich- tet war, haben dies – so Schätzungen – auch angenommen beziehungsweise annehmen können. Genaue Zahlen sind bislang nicht bekannt gemacht worden. Wir werden des- halb hierzu in den nächsten Tagen eine Kleine Anfrage einbringen. Die Gründe dafür, dass das neue Recht zu keiner Bes- serung der Lage geführt hat, sind vielfältig und haben mit den gravierenden Schwachstellen des geltenden Rechts zu tun. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit kann ich hier nur einige stichwortartig auflisten. Das Staatsangehörigkeitsgesetz zwingt die in Deutsch- land geborenen Kinder ausländischer Eltern, die eine „Schnupperstaatsangehörigkeit“ unter Beibehaltung ihrer bisherigen Nationalität erworben haben, sich bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. DasAusländergesetz verlangt in den übri- gen Fällen, dass der Einbürgerungsbewerber vor Antrag- stellung die bisherige Staatsangehörigkeit verloren hat oderaufgibt.KönnenSiesichvorstellen,welcheseelischen Konflikte Sie damit ausgelöst haben? Viele Menschen haben noch enge – emotionale, kulturelle, rechtliche – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15279 (C) (D) (A) (B) Beziehungen zu dem Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Bindungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bis- herige Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben Angst vor„Loyalitätskonflikten“ zwischen ihnen und der alten Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für sie ist es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsan- gehörigkeit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und auch bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunfts- land haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil pflegen und erhalten wollen. Andererseits leben alle diese Menschen seit Jahren, wenn nicht seit Generationen in Deutschland, haben sich hier integriert, haben zur Entwicklung dieses Landes ei- nen großen Beitrag geleistet. Sie zahlen Steuern, Versi- cherungsbeiträge; sie engagieren sich in Vereinen und Or- ganisationen; sie bereichern auf vielfältige Weise das alltägliche Leben in unserem gemeinsamen Land. Sie als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen mit allen Rech- ten und Pflichten ist somit eigentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Weil man aber auf Teufel komm raus an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine – oder zumindest nur in äußerst geringem Umfang – Mehrstaat- lichkeit geben, zwingt man die Menschen zu den be- schriebenen Konflikten. Die Lösung des Problems wäre eigentlich sehr einfach. Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörig- keit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkommen ist am 1.März 2000 in Kraft getreten. Deutschland gehört zu den wenigen Mitgliedstaaten des Europarates – und zu der kleinen Minderheit innerhalb der Europäischen Union –, die dieses Abkommen bisher weder unterzeichnet noch ratifiziert haben. Das Abkommen sieht zum Beispiel in seinem Art. 14 vor, dass ein Vertragsstaat Kindern, die bei der Geburt ohne weiteres verschiedene Staatsangehörigkeiten erwor- ben haben, die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeiten gestattet, also Mehrstaatlichkeit ausdrücklich und ohne jedes „Optionsmodell“ ermöglicht. Nach Art. 17 Abs. 1 des Abkommens haben die Staatsangehörigen eines Ver- tragsstaates, die eine weitere Staatsangehörigkeit besit- zen, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates dieselben Rechte und Pflichten wie jeder andere Staatsangehörige des Vertragsstaates auch. Mehrstaatlichkeit ist danach kein Problem mehr. Der Vertrag gibt uns somit die Möglichkeit an die Hand, un- sere eigenen hausgemachten Probleme zumindest zum Teil zu lösen. Wir appellieren deshalb zum wiederholten Male an die Bundesregierung: Unterzeichnen Sie endlich das Europäische Übereinkommen über die Staatsan- gehörigkeit und legen Sie es dem Parlament zur Ratifika- tion vor! Ein zusätzliches Problem sind die in § 85 des Auslän- dergesetzes normierten weiteren Anforderungen an den Einbürgerungsbewerber. Er muss zum Beispiel erklären, dass er sich immer brav und verfassungstreu verhalten wird. Zweifel an der „Ernsthaftigkeit“ der Erklärung führen zur Verweigerung der Einbürgerung. Was soll das? Bestrebungen, ernsthaft die Werte des Grundgesetzes an- zugreifen, bekämpft man mit dem Strafrecht. Welcher Skinhead hat jemals seine deutsche Staatsangehörigkeit verloren, weil er Mitglied einer Nazibande war? Aber bei Ausländern soll die Staatsangehörigkeit an eine Gesin- nungsprüfung geknüpft sein. Viele gerade politisch enga- gierte Menschen, die für unser demokratisches Ge- meinwesen eine Bereicherung darstellen, weigern sich, diese entwürdigende Prozedur über sich ergehen zu las- sen. Die in § 86 des Ausländergesetzes verlangten „ausrei- chenden Kenntnisse der deutschen Sprache“ haben zu zahlreichen Problemen geführt, an denen auch die inzwi- schen erlassenen Verwaltungsvorschriften kaum etwas geändert haben. Ein Beispiel: Ein junger Mann hat sich an mich gewandt mit der Bitte um Hilfe, weil die Behörde sei- nen Antrag auf Einbürgerung ablehnen will. Er erfüllt alle sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen, ist aber an der Sprachprüfung gescheitert. Auf der Arbeitsstelle, im tägli- chen Leben hat er überhaupt keine Probleme mit der Ver- ständigung auf Deutsch. Nur den Text, den er bei der Behörde lesen und erklären sollte, konnte er nicht verste- hen. Grund: Er ist partieller Analphabet und hat deshalb mit schriftlichen Texten, egal in welcher Sprache sie ge- schrieben sind, enorme Schwierigkeiten. Seine Behinde- rung schließt ihn somit von der deutschen Staatsan- gehörigkeit aus. Ich habe Zweifel daran, dass dies mit dem Benachteiligungsverbot von Behinderten vereinbar ist. Das Staatsangehörigkeitsrecht muss dringend weiter überarbeitet werden. Deutschland muss endlich dem Eu- ropäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit beitreten. Das Thema wird den Deutschen Bundestag wei- ter beschäftigen. Die PDS-Fraktion wird hierzu Vor- schläge vorlegen. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast: Parl. Staatssekretä- rin beim Bundesminister des Innern: in einigen Wochen werden wir aus allen Regionen der Bundesrepublik verläss- liche Angaben dazu haben, wie das neue Staatsangehörig- keitsgesetz im ersten Jahr nach seinem In-Kraft-Treten an- genommen worden ist. Und dann wird sich zeigen, dass es sich insgesamt zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, kei- ner überschwänglichen, aber einer mit einem verlässlichen, positiven Trend. Und der zeigt sich auch und gerade bei der größten Gruppe von Migranten in unserem Land, nämlich den Menschen türkischer Herkunft. Das lässt sich aus den schon vorliegenden Zahlen ableiten und das hat auch das Zentrum für Türkeistudien schon vor ein paar Wochen in einer Untersuchung herausgefunden. Dank der Einführung des ius soli, dem wohl wichtigs- ten Teil der Reform, haben schon rund 50 000 der Kinder ausländischer Eltern, die im vergangenen Jahr zur Welt kamen, einen deutschen Pass. Aber das Gesetz hat auch einen, salopp gesagt, „Durchhänger“. Anspruchsberechtigt für die Einbürgerung sind weitere 280000 Kinder, die zwischen 1990 und 1999 geboren wurden. Von dieser Möglichkeit haben die Eltern jedoch spärlich Gebrauch gemacht: Nur für 30 000 Kinder sind bis zum Ablauf der vorgesehenen Frist – das war das Jahresende 2000 – Anträge gestellt worden. Vielen Familien leuchtet es of- fenbar nicht ein, warum sie für die bis zu zehnjährigen, vor dem 1. Januar 2000 geborenen Söhne und Töchter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115280 (C) (D) (A) (B) nicht nur einen Antrag einreichen, sondern im Normalfall auch 500 DM zahlen müssten, während die im Jahr 2000 geborenen Kinder automatisch die deutsche Staatsange- hörigkeit erhalten. Wir haben im Bundesinnenministerium frühzeitig dieses Manko erkannt und seit dem vergangenen Sommer gezielt und nachdrücklich bei den Ländern für eine generelle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben. Einige Länder folgten dieser Aufforderung, andere nicht. Wir wollen aber eine einheitliche Regelung und wir wollen, dass das Gesetz als Chance gesehen und in allen seinen Angeboten intensiv genutzt wird. Deshalb hat der Bun- desinnenminister einen Regierungsentwurf eingebracht, der am 24. Januar vom Bundeskabinett beschlossen worden ist. Er sieht vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach § 40 b des Staatsangehörigkeitsrechts um zwei Jahre, also bis zum 31. Dezember 2002 zu verlängern und die Gebühr allgemein auf 100 DM herabzusetzen. Das gibt den Mi- grantenfamilien ausreichend Zeit und strapaziert das Porte- monnaie nicht. Wir hoffen, dass viele, die bisher zögerten, nun das neue Gesetz eifrig nutzen. Ich appelliere auch an die Länder, sich zu einem positiven Votum zu entschließen. Morgen schon steht der Entwurf auf der Tagesordnung des Bundesrates und das Rennen zuguns- ten der nun vorgeschlagenen Regelung ist noch nicht gelaufen. Natürlich ist mir bewusst, dass die Länder für die Einbürgerungen insgesamt einen Verwaltungsaufwand zu bewältigen haben. Der dürfte sich aber bei der Einbürgerung der bis zu Zehnjährigen in Grenzen halten. Frühzeitige Einbürgerung ist auch ein deutliches Si- gnal an die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer. Inte- gration frühzeitig zu fördern spart letztendlich Geld und Mühen, die später aufgewandt werden müssen, wenn sich die Jugendlichen von der deutschen Gesellschaft ab- gewendet und die Chance zur gleichberechtigten Teilhabe in allen Bereichen des Lebens nicht wahrgenommen haben. Mich interessiert auch sehr, ob und wie die F.D.P.- Bundestagsfraktion, die ja mit ihren Anträgen die gleiche Zielrichtung verfolgt wie wir, ihren Einfluss auf die Län- der geltend macht, in denen sie an der Regelung beteiligt ist, zum Beispiel in Baden-Württemberg. Die Kindereinbürgerung ist das Herzstück der Staats- angehörigkeitsreform. Helfen Sie alle gemeinsam mit, um diesem Herzstück die Beachtung zu geben, die es verdient! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15281 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich
dem Kollegen Gustav-Adolf Schur, der am 23. Februar
seinen 70. Geburtstag hatte, sowie dem Kollegen Rudolf
Kraus, der am 27. Februar seinen 60. Geburtstag feierte,
im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.


(Beifall)

Die Fraktion der SPD teilt mit, dass die Kolleginnen

Heidemarie Wright und Christel Humme ihre Ämter als
Schriftführerinnen niedergelegt haben. Dafür werden
nunmehr die Kollegin Gudrun Roos und der Kollege
Winfried Mante vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die
Kollegin Roos und der Kollege Mante als Schriftführerin
bzw. als Schriftführer gewählt.

Sodann sollen im Gemeinsamen Ausschuss gemäß
Art. 53 a des Grundgesetzes auf Vorschlag der Fraktion
der SPD folgende Änderungen vorgenommen werden:
Die Kollegin Ulla Schmidt (Aachen) scheidet als ordent-
liches Mitglied aus. Als Nachfolgerin wird die Kollegin
Hildegard Wester, bisher stellvertretendes Mitglied, vor-
geschlagen. Als stellvertretende Mitglieder scheiden auch
die Kollegin Gudrun Schaich-Walch und der Kollege
Adolf Ostertag aus. Als neue stellvertretende Mitglieder
werden die Kollegin Christel Humme sowie die Kolle-
gen Franz Thönnes und Klaus Brandner vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann sind die Kollegin Wester als ordentliches
Mitglied sowie die Kollegin Humme und die Kollegen
Thönnes und Brandner jeweils als stellvertretende Mit-
glieder im Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des
Grundgesetzes bestimmt.

Des Weiteren teilt die Fraktion der SPD mit, dass der
Kollege Stephan Hilsberg als stellvertretendes Mitglied
aus dem Wahlprüfungsausschuss ausscheidet. Als Nach-
folger wird der Kollege Harald Friese vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist der Kollege Friese als stellvertretendes
Mitglied in den Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3Abs. 2
des Wahlprüfungsgesetzes gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion CDU/CSU: Ab-
sichten derKoalition, Mineralöl- und Stromsteuerweiter zu
erhöhen (siehe 154. Sitzung)


2. Beratung des Antrages der Fraktion der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Weichen für die Er-
weiterung der Europäischen Union richtig stellen – Druck-
sache 14/5447 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die Bürger
für die Ost-Erweiterung der EU gewinnen – Drucksa-
che 14/5454 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss


(Ergänzung zu TOP 20)

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der

Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Internationalen Übereinkommen von 1989

(Erste Beratung 137. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung
des Bergungsrechts in der See- und Binnenschiff-
fahrt (Drittes Seerechtsänderungsgesetz) – Drucksa-
che 14/4672 – (Erste Beratung 137. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses

(6. Ausschuss) – Drucksache 14/5459 –


15115


(C)



(D)



(A)



(B)


155. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Helmut Wilhelm (Amberg)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

5. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Hal-
tung derBundesregierung zur aktuellen Haushaltssituation
und offensichtlichen Unterfinanzierung der Bundeswehr

6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Monika
Balt, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS: Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt ge-
gen Frauen effektiver bekämpfen – Drucksache 14/5455 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsauschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.:

Stärkeres deutsches Engagement auf der 57. Sitzung der
Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen –
Drucksache 14/5452 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ulrich Irmer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Deutsche Initiative
zum Schutz der Binnenvertriebenen – Drucksache 14/5453

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr.
Dietmar Bartsch, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS: Zukunftschancen des deutschen und
europäischen Schiffbaus nachhaltig verbessern – Drucksa-
che 14/5457 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz Thönnes, Klaus
Wiesehügel, Leyla Onur, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit – Drucksache
14/5270 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz Thönnes, Doris
Barnett, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Ekin Deligöz,
Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Jobrotation im Arbeitsför-
derungsrecht verankern – Drucksache 14/5245 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem ist vereinbart worden, die Tagesordnungs-
punkte 15 – Künstlersozialversicherung – und 18 – Ver-
mögenszuordnungsgesetz – abzusetzen.

Weiterhin mache ich auf eine nachträgliche Überwei-
sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in
der 146. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene
nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung
überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen),
Thomas Rachel, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Eckpunkte für eine Reform des
Hochschul-dienstrechts
– Drucksache 14/4382 –
überwiesen:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltausschuss

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesre-
gierung Reformkurs fortsetzen – Wachstums-
dynamik stärken
– Drucksache 14/5201 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Jahresgutachten 2000/01 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung
– Drucksache 14/4792 –




Präsident Wolfgang Thierse
15116


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Gunnar Uldall, Birgit Schnieber-Jastram,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Beschäftigung als Ziel der Wirtschaftspolitik
herausstellen
– Drucksachen 14/2988, 14/3845 –
Berichterstattung:Abgeordneter Gunnar Uldall

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister für Finanzen, Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415500100
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den
vergangenen zwei Jahren sind in Deutschland rund
900 000 neue Arbeitsplätze entstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach du lieber Gott!)


Das sind so viele neue Arbeitsplätze, wie in den Jahren
von 1991 bis 1998 verloren gegangen sind.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Sie haben die Statistik geändert!)


Diese Bundesregierung hat immer gesagt, sie lässt sich an
den Erfolgen am Arbeitsmarkt messen. Die Zahlen spre-
chen eine deutliche Sprache. Die Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik der Bundesregierung ist erfolgreich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allein im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Erwerbs-
tätigen um rund 580 000.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Statistikfälscher!)


Die Arbeitslosenquote sank auf 9,6 Prozent. Der Abbau
der Arbeitslosigkeit gelang dadurch stärker, als ich selbst
noch vor einem Jahr geglaubt hatte. Ich würde mich auch
in diesem Jahr gerne positiv überraschen lassen. Aber
schon, wenn es uns gelingt, die Zahl der Arbeitslosen im
Jahresdurchschnitt an die 3,5 Millionen heranzuführen,
wäre das ein großer Erfolg.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wenn man die Statistik fälscht!)


Wir erwarten für dieses Jahr einen Rückgang der Zahl der
Arbeitslosen um 270 000.

Meine Damen und Herren, anders als es die Opposition
behauptet, hilft uns die demographische Entwicklung –
das ist Ihre Fälschung – dabei nicht. Zwar gehen Jahr für
Jahr viele Menschen in Rente, noch mehr drängen aber
neu auf den Arbeitsmarkt. Menschen, die seit langem die
Hoffnung auf einen Arbeitsplatz aufgegeben hatten, fas-
sen wieder Mut. Sie suchen einen Arbeitsplatz und sie fin-
den ihn. Sie kommen aus der so genannten stillen Re-
serve. Die Legende, die Entlastung des Arbeitsmarktes sei
allein auf demographische Effekte zurückzuführen, ist
widerlegt. Die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist echt
und sie wäre ohne unsere erfolgreiche Wirtschafts- und
Finanzpolitik nicht so deutlich ausgefallen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Chef von Audi, Herr Paefgen, hat in einem Inter-
view mit der „Berliner Zeitung“ letzte Woche gesagt,
langfristig erwarte sein Unternehmen Produktionseng-
pässe. Dann sagte er wörtlich: „An den deutschen Stan-
dorten ist das Reservoir geeigneter Fachkräfte nahezu
ausgeschöpft.“ Dazu kann ich nur sagen: Sehr geehrter
Herr Paefgen, bilden Sie neue aus! Sie werden sie in Zu-
kunft noch brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist doch nicht so, dass es in Deutschland keine ar-
beitswilligen Menschen mehr gäbe, und es ist auch längst
nicht so, dass die, die gerne arbeiten wollen, nicht ausbil-
dungsfähig und ausbildungswillig wären. Die Unterneh-
men müssen wissen, dass Investitionen in Ausbildung
ähnlich wichtig sind wie Investitionen in Anlagekapital.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei aller Unterstützung durch den Staat bleibt es die
Aufgabe der Unternehmen, in ihre Arbeitnehmer zu inve-
stieren. Deswegen bin ich froh über das, was das Bündnis
für Arbeit am vergangenen Sonntag zu diesem Thema ge-
sagt hat.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Hat es etwas gesagt? Das ist ja was ganz Neues!)


– Ich komme zu Ihnen. – Anders sieht das scheinbar die
Union: Aus deren Reihen kam der Vorschlag, den An-
spruch auf Weihnachtsgeld teilweise in einen Fortbil-
dungsanspruch umzuwandeln. Ich kann da alle Arbeit-
nehmer nur warnen: Die Union will euch ans
Weihnachtsgeld. Ihr sollt einen Teil der Kosten der Un-
ternehmen übernehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/ CSU)


– Dann dürfen Sie nicht solche Vorschläge machen.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Lachnummer!)





Präsident Wolfgang Thierse

15117


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bin sehr für lebenslanges Lernen. Fortbildungsbe-
reitschaft muss bei den Arbeitnehmern bis ins hohe Alter
bestehen. Wir müssen auch wieder lernen, ältere Arbeit-
nehmer zu schätzen, und sie nicht frühzeitig in Rente
schicken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber die Kosten zulasten der Arbeitnehmer zu verschie-
ben, halte ich in der Tat für falsch. Das zeigt jedoch aus-
drücklich, welche Position Sie einnehmen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Aschermittwoch ist vorbei! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Locker bleiben!)


– Ja, darauf komme ich noch, wenn ich mir Ihre Haus-
haltsvorschläge anschaue. Für Sie kam der Aschermitt-
woch gerade eine Woche zu spät.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Darüber reden wir nächste Woche!)


Bis vorige Woche, sogar bis zum Anfang dieser Woche,
hieß es: Der schwimmt im Geld. Jetzt heißt es – manch-
mal hat Ihr haushaltspolitischer Sprecher beides ja in ei-
nem Satz unterbekommen –: Er hat große Haushalts-
löcher. Sie müssten sich einmal entscheiden, meine
Damen und Herren. Es ist unglaublich, was Sie sich in der
Haushaltspolitik alles leisten.

Das Wirtschaftswachstum in Deutschland war im
vergangenen Jahr so stark wie seit dem Wiedervereini-
gungsboom nicht mehr. Mit 3 Prozent lag es deutlich über
dem Durchschnitt der 90er-Jahre. Der Jahresdurchschnitt
betrug damals nämlich 1,4 Prozent. In den von Ihnen in
letzter Zeit hoch gehaltenen 80er-Jahren – weil Sie nicht
so gerne über die 90er reden – betrug der Durchschnitt
2 Prozent. Für 2001 erwarten wir weiterhin ein starkes
und robustes Wirtschaftswachstum. Die Dynamik wird
sich zwar leicht abschwächen; angesichts von 2,75 Prozent
realem Wachstum bleibt das Umfeld zum Aufbau neuer
Arbeitsplätze aber weiterhin günstig.

Meine Damen und Herren, die Lage in den neuen Län-
dern muss derzeit noch differenziert betrachtet werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie mal den Thierse!)


Der Anpassungsprozess in der Bauwirtschaft dauert an
und ist auch unvermeidlich. Die ersten Jahre waren durch
einen – ich sage nicht überhöhten – Boom gekennzeichnet.
Angesichts der nach Jahrzehnten der Nichtinvestition vor-
gefundenen Situation in der ehemaligen DDR war das auch
notwendig. Das kann aber keine Dauersituation bleiben.

Andererseits übertrifft die Dynamik des verarbeiten-
den Gewerbes dort die im Westen schon seit längerem.
Die Unternehmen expandieren und sie sind auch interna-
tional wettbewerbsfähig. Diese positive Entwicklung
wird von uns gefördert. Zur Verbesserung der Infrastruk-
tur werden wir vor der Bundestagswahl einen neuen Soli-
darpakt schließen; so hat es der Bundeskanzler mit den
Ministerpräsidenten verabredet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle rate ich im Übrigen dazu, sich gele-
gentlich des Sachverstandes eines Ihrer Mitglieder, näm-
lich Herrn Späths, zu bedienen, um zu erkennen, wie die
Entwicklung in den neuen Bundesländern tatsächlich ver-
läuft.

Als Wachstumsprognose für ganz Deutschland nenne
ich bewusst 2,75 Prozent. Prognosen, die sich auf einen
Zehntelprozentpunkt festlegen, versuchen eher, eine Ten-
denz anzudeuten. So genau kann niemand schätzen und
mit dieser Präzision können Wirtschaftsabläufe nicht vor-
hergesagt werden. Mit 2,75 Prozent meinen die Experten
die Bandbreite zwischen 2,875 Prozent und 2,625 Pro-
zent. Noch im November sahen uns alle Experten eher am
oberen Rand dieser Spanne.

Die gestiegenen Energiepreise und die Abschwächung
der Wirtschaftsentwicklung in den Vereinigten Staaten
lassen uns vorsichtiger werden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Ökosteuer!)


Deutschland wird in diesem Jahr wahrscheinlich eher am
unteren Rand dieser Spanne bleiben; die Aussichten sind
aber weiterhin günstig. Das belegen die Umfrageergeb-
nisse des Deutschen Industrie- und Handelstages, der uns
seinerseits mit 2,8 Prozent eher am oberen Ende sieht und
der direkt am Puls der Zeit ist, also das Geschehen in den
Betrieben kennt.

Auch die gestern durch das Statistische Bundesamt
veröffentlichten Zahlen über den Auftragseingang zei-
gen: Auf der einen Seite gab es von Dezember zu
Januar eine leichte Abschwächung; im Zweimonatsver-
gleich – aus einem Einmonatsvergleich kann man nicht
viel schließen – sieht das schon anders aus. Eines kann
man sehen: Wir bewegen uns auf wesentlich höherem
Niveau als vor einem Jahr. Der Vergleich zwischen
Dezember 1999/Januar 2000 und Dezember 2000/
Januar 2001 zeigt, dass es insgesamt einen Anstieg des
Auftragseingangs um 10,3 Prozent – Inland 5,3 Prozent,
Ausland 16,8 Prozent – gibt. In Ostdeutschland sind die
Zuwächse doppelt so hoch wie im Westen. Das zeigt, dass
die These richtig ist: Wir haben – niemand bestreitet das –
eine Wachstumsabschwächung; aber wir haben gleichzei-
tig ein starkes, robustes Wirtschaftswachstum auf außer-
ordentlich hohem Niveau. Das ist der eigentliche Sach-
verhalt, mit dem wir es zu tun haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wo ist denn die Binnennachfrage? Reden Sie mal vom Handel!)


Es besteht kein Grund zur Schwarzmalerei. Aus unbe-
gründeter, übertriebener Schwarzmalerei – darin sind wir
Deutschen offenbar gut – könnte eher ein Risiko entste-
hen. Schwarzmalerei könnte bei den Verbrauchern zu
unnötiger Kaufzurückhaltung führen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die kaufen doch jetzt schon nicht!)


Wir blieben dann unter unseren Möglichkeiten. In der jet-
zigen Wirtschaftslage gilt: Schwarz sehen kommt teuer zu
stehen.




Bundesminister Hans Eichel
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(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarz wählen auch!)


Im Hinblick auf die vor uns stehenden Wahlen – man
denke an die Staatsverschuldung – sage ich ebenfalls:
Auch schwarz wählen kommt uns teuer zu stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Wachstumserwartung stützt sich vor allem auf
eine Binnennachfrage, die stärker als im vergangenen
Jahr ist. Unsere Erfolgsformel lautet: Höheres Netto-ein-
kommen dank Steuersenkung multipliziert mit höherer
Beschäftigung gleich mehr Kaufkraft. Das Wirtschafts-
wachstum wird in diesem Jahr rund ein halbes Prozent
höher liegen, als es ohne die beschlossene Steuerreform
gewesen wäre. Die Entlastung der Bürger durch die Steu-
erreform ist auch deutlich höher als die Belastung durch
die gestiegenen Energiepreise. Von Ihrer Falschmünzerei
in Bezug auf das Thema Ökosteuer will ich gar nicht re-
den. Das Verhältnis zwischen Entlastung auf der einen
Seite und Belastung durch die Ökosteuer auf der anderen
Seite – diese Belastung wird über die Höhe der Renten-
versicherungsbeiträge voll zurückgegeben – beträgt neun
zu eins.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allein in diesem Jahr sinkt durch die Steuerreform die
Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger sowie der
Unternehmen um rund 45 Milliarden DM. Es handelt sich
um nahezu 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Kein
Land in Europa – das ist gut so – hat eine solch durch-
greifende Steuersenkung wie Deutschland durchgeführt,
obwohl eine Reihe von Ländern zum 1. Januar Steuersen-
kungen in Kraft gesetzt hat. Die Arbeitnehmer haben im
Januar und im Februar bereits mehr Nettolohn erhalten.
Im Schnitt bedeutet das einen Nettozuwachs um 3 Pro-
zent. Von den Tariferhöhungen und von den Kaufpreis-
steigerungen – auch das muss man natürlich dagegen-
rechnen – will ich gar nicht sprechen. Ich wiederhole: Der
Nettozuwachs durch die Steuerreform liegt bei 3 Prozent.

Ich kann allen Arbeitnehmern versichern: Das bleibt
nicht nur so; vielmehr wächst 2003 und 2005 die Entlas-
tung noch an.
Nutzen Sie das zusätzliche Einkommen!

Herr Uldall, ich bin übrigens ganz zufrieden mit dem,
was Sie gesagt haben. Sie haben inzwischen anerkannt,
dass es sich in der Tat um eine große Steuerreform han-
delt, nachdem Sie die ganze Zeit versucht haben, das in
Abrede zu stellen. Sie haben aber hinzugefügt, sie sei
nicht größer als die Steuerreform von Stoltenberg. Es gibt
dennoch einen großen Unterschied, sehr geehrter Herr
Uldall: Zu der Zeit von Stoltenberg betrug die Zinsaus-
gabenquote 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir
haben aber von Ihnen einen Haushalt mit einer Zinsaus-
gabenquote von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
übernommen. Der Unterschied entspricht einer Summe
von 40 Milliarden DM. Ausgehend von dieser höheren

Ausgabe musste ich die Steuerreform durchführen. Inso-
fern handelt es sich um eine weitaus größere Anstrengung,
als Sie sie in den 80er-Jahren zusammen mit Herrn
Stoltenberg im Rahmen Ihrer Steuerreform auf sich ge-
nommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Steuerreform kommt genau zur rechten Zeit.
Wenn wir sie nicht schon beschlossen hätten, müssten wir
uns jetzt damit beeilen. Deutschland reagiert auf die Ab-
kühlung der Weltwirtschaft im richtigen Augenblick mit
einer Steuersenkung. Wir stärken die Binnennachfrage
und kompensieren so den womöglich etwas schwächeren
Export.

Man muss allerdings den Export genauer betrachten
– man kann sich zum Beispiel den Automobilexport in
die Vereinigten Staaten ansehen –: Zwar hat auf der einen
Seite der Automobilhersteller Volkswagen weniger Autos
in den USAabgesetzt – gleichzeitig konnte er in Deutsch-
land mehr Autos absetzen; allgemein haben wir bei den
Zulassungen im Januar 2001 einen Zuwachs gegenüber
dem Januar 2000 –, aber auf der anderen Seite hat der Ab-
satz aller anderen deutschen Automobilhersteller in den
USAzugelegt. Diese erstaunliche Entwicklung zeigt, dass
unsere Produkte gut sind.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass für unsere Volks-
wirtschaft der Export in die mittelosteuropäischen Re-
formstaaten dieselbe Bedeutung hat wie der Export in die
Vereinigten Staaten. Die Wirtschaft der mittelosteuropä-
ischen Reformstaaten wächst nämlich stark.

Auch die amerikanische Regierung plant eine Steuer-
reform, um dort die Wachstumsschwäche zu überwinden.
Die amerikanische Notenbank hat bereits schnell und
drastisch die Zinsen gesenkt. Es sieht so aus, als könnten
die USA – dies ist jetzt aber eine Sache der Interpretation;
keiner kann es genau vorhersagen – bald wieder bessere
Wachstumswerte erreichen. Davon wird die gesamte Welt-
wirtschaft profitieren, auch Deutschland.

Im vergangenen Jahrzehnt haben die Vereinigten Staa-
ten eine nie da gewesene Phase von Wirtschaftswachs-
tum, von sinkender Arbeitslosigkeit und von relativ stabi-
len Preisen erlebt. Viele sahen darin den Beginn einer
New Economy. Ich weise allerdings auch auf die Schat-
tenseiten hin, die wir lange Zeit nicht ausreichend disku-
tiert haben: das große Leistungsbilanzdefizit, das uns in
der Tat mit Blick auf die Weltwirtschaft Sorgen machen
muss, die geringe Sparrate und in vielen Fällen die hohe
Verschuldung der privaten Haushalte.

Aber die anderen Entwicklungen sind positiv. Träger die-
ser positiven Entwicklungen war die Informations- und
Kommunikationstechnologie. Der Jahreswirtschaftsbe-
richt 2001 widmet diesem Phänomen ein eigenes Kapitel.
Die jüngste Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft
steht nicht unbedingt im Widerspruch zur New Economy;
denn nicht zu übersehen sind die Produktivitätszuwächse in
den USA, die durch den Einsatz der Informations- und
Kommunikationstechnologie zu verzeichnen waren. Das
Produktionspotenzial in den USA wurde auf Dauer erhöht
und modernisiert.




Bundesminister Hans Eichel

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Die New Economy hat darüber hinaus zu einem anhal-
tenden Strom von Innovationen geführt. Innovationen sind
der Antrieb des Wirtschaftswachstums. Wir müssen uns um
mehr Innovationen bemühen. Träger von Innovationen sind
häufig Unternehmensgründer. Nicht ohne Grund werden
Unternehmungsgründungen in vielen deutschen Förderpro-
grammen als Start-ups bezeichnet. Herr Präsident, Sie müs-
sen mir verzeihen, der Fachausdruck für Unternehmens-
gründungen ist nun einmal „Start-ups“; ich kann kein
anderes Wort dafür finden. Viele Unternehmungsgründun-
gen starten aus dem Bereich der Informations- und Kom-
munikationstechnologie. Dort dominiert Englisch als Fach-
sprache. Die Wortwahl entspricht der Zielgruppe.

In einer hoch entwickelten Volkswirtschaft wie der
deutschen ist es schwer, als Unternehmensgründer einen
Markt zu erobern. Wer ohne viel Geld unternehmerisch
tätig werden will, dem bietet die Informations- und
Kommunikationstechnologie weiterhin beste Chancen.
Mit einer überzeugenden Idee lässt sich viel bewegen.
Darin liegt ein großer Teil der Faszination der New Eco-
nomy. Ich hoffe, dass noch viele ihre Kreativität auf die-
sem Sektor ausprobieren. Die Wirtschafts- und Finanzpo-
litik der Bundesregierung wird sie dabei unterstützen.

Ich sage aber auch mit allem Nachdruck: Vorstellun-
gen, insbesondere Vorstellungen an der Börse, die nur auf
Fantasie gegründet sind, sind nicht die richtige Grund-
lage. Das haben wir an der Entwicklung auf dem Neuen
Markt sehen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Europäische Rat von Lissabon hat sich das ehr-
geizige Ziel gesetzt, im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologie nicht nur zu den Vereinigten
Staaten aufzuschließen, sondern die führende Wettbewerbs-
position in der Welt zu übernehmen. Die Bundesregierung
arbeitet auf dieses Ziel hin. Wir brauchen dazu einen sta-
bilen makroökonomischen Rahmen, eine verlässliche Wirt-
schafts- und Finanzpolitik, aber auch eine technikfreundli-
che Gesellschaft.

Für eine verlässliche, stabilitätsorientierte Finanzpoli-
tik steht diese Bundesregierung. Die Offenheit gegenüber
technischen Entwicklungen ist in allen Bevölkerungs-
gruppen hoch. Es gibt keine strukturellen Gründe, warum
Europa und Deutschland nicht ebenso wie die Vereinigten
Staaten zu einer lang anhaltenden Phase eines starken
Wirtschaftswachstums und einer stetig sinkenden Ar-
beitslosigkeit bei stabiler Preisentwicklung kommen soll-
ten. Der Euro hat die Voraussetzungen dafür übrigens
deutlich verbessert.

Die Wachstumsprognosen der Bundesregierung stüt-
zen sich aber nicht auf überzogene Erwartungen an die In-
formations- und Kommunikationstechnologie. Vielleicht
schon in wenigen Monaten wird aus der Gentechnik eine
„New New Economy“, oder ein Sektor, an den wir noch
gar nicht denken, bringt über eine Basisinnovation zu-
sätzlichen Schwung in die Wirtschaftsentwicklung.

In diesem Jahr dürfte das Wachstum in der Europä-
ischen Union bei rund 3 Prozent liegen. Deutschland hat
im vergangenen Jahr mit seinem starken Wirtschafts-
wachstum zum Trend in der Europäischen Union aufge-

schlossen. Das hatten wir auch bitter nötig, nachdem wir
seit Mitte der 90er-Jahre hintendran hingen. Der lange
Zeit große Abstand Deutschlands zum Durchschnitts-
wachstum in Europa wurde stark verringert, und das trotz
der Anpassungsprobleme in den neuen Bundesländern.

Ähnliche Probleme hat keiner unserer europäischen
Nachbarn zu bewältigen. Schon wenn die schlechte Lage
der Bauwirtschaft in den neuen Ländern, die sich zwin-
gend ergab, unberücksichtigt bliebe, sähe das Gesamt-
ergebnis viel freundlicher aus.

Wir arbeiten darauf hin, dass Deutschland eine ange-
messene Rolle in Europa spielt, so wie es der größten
Volkswirtschaft zukommt, und gemeinsam mit Frank-
reich unter den Großen eine starke Position in der Mitte
Europas einnimmt. Dieser Prozess verlangt eine stärkere
Zusammenarbeit der nationalen Regierungen auf dem Ge-
biet der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Verflech-
tungen zwischen den Staaten haben zugenommen. Den
zunehmenden Interdependenzen muss Deutschland mit
seinen europäischen Partnern gemeinsam gerecht werden.
Wir brauchen in Europa günstige makroökonomische
Bedingungen und weitere Strukturreformen, um die Ar-
beitslosigkeit weiter zu bekämpfen. In einem Satz: „Re-
formkurs fortsetzen – Wachstumsdynamik stärken“, so
auch der Titel des diesjährigen Jahreswirtschaftsberichts.

Der Jahreswirtschaftsbericht stellt ausführlich die Ver-
netzung der nationalen mit der europäischen Wirtschafts-
politik dar. Es sind die gemeinsamen Grundzüge der Wirt-
schaftspolitik aller Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, an
denen sich auch die nationale Politik, die vorher an ihrer
Formulierung beteiligt ist, anschließend orientieren muss.
Gerade die Grundzüge der Wirtschaftspolitik zeigen, wie
stark der Einfluss der europäischen Einigung auf unsere
Wirtschafts- und Finanzpolitik inzwischen notwendiger-
weise geworden ist.

Im Europäischen Rat derWirtschafts- und Finanz-
minister wollen wir nächste Woche einen weiteren
Schritt in Richtung einer wissensbasierten, fort-
schrittlichen Wirtschaft und Gesellschaft in Europa ge-
hen. Das deutsche Positionspapier für diesen Ecofin-Rat
ist sehr konkret. Wir nennen die Maßnahmen, die wir uns
wünschen, und verbinden sie mit Zeitpunkten, die wir an-
streben. Das gilt beispielsweise für die vollständige Libe-
ralisierung des Telekommunikationsmarktes bis zum
Ende des Jahres, aber auch der Post-, Gas- und Strom-
märkte, für die spätere Zeitpunkte gelten.

Bei dieser Gelegenheit will ich noch eine Bemerkung
zum Thema Postmonopol machen. Ich bin sehr für eine
Öffnung der Märkte. Wir werden das Wachstumspoten-
zial des Binnenmarktes nur entfalten, wenn wir ihn wirk-
lich öffnen. Das heißt, nationale Regulierungen stören
und müssen weg; wir brauchen europäischen Regulierun-
gen. Aber wir brauchen auch einen ungefähren Gleich-
klang bei der Deregulierung in den nationalen Volkswirt-
schaften. Es kann nicht so sein, dass wir alle unsere
Märkte öffnen und andere aus gesicherten Monopolen he-
raus in unsere Märkte eindringen. Das kann auch nicht
deutsches Interesse sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Bundesminister Hans Eichel
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So werden wir übrigens bei der Öffnung der Märkte in
Europa auch nicht vorankommen. Wenn der Druck auf
diejenigen, die sich bisher noch der Öffnung der Märkte
verweigern – das hat ja nationale Gründe, die man poli-
tisch alle verstehen kann –, nicht aufrechterhalten wird,
dann werden wir es nicht schaffen. Infolgedessen brau-
chen wir ein Stück Harmonisierung bei der Öffnung der
Märkte. Es dient deutschen Interessen nicht, an dieser
Stelle zu sagen: Wir machen das ohne Rücksicht darauf,
ob die anderen mitziehen oder nicht. Daran, dass wir das
nicht tun, möchte ich angesichts der Debatte in der letzten
Zeit um das, was Herr Kollege Müller angestoßen hat,
herzlich appellieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die drängenden Probleme des Verbraucher- und
des Umweltschutzes können wir nur gemeinsam lösen.
Dabei will ich auch auf eine positive Nachricht dieser
Tage hinweisen: Nachdem es bisher eine Fundamentalop-
position Spaniens gegen die Harmonisierung der Ener-
giebesteuerung in Europa gab, scheint sich jetzt die spa-
nische Position langsam zu verändern, und zwar im
Hinblick auf den Vorschlag, den die schwedische Präsi-
dentschaft auf den Tisch gelegt hat, ebenso wie im Hin-
blick darauf, dass auch Spanien ein großes eigenes Inte-
resse daran hat, einen gemeinsamen europäischen
Energiemarkt zu schaffen.

Dies zeigt, dass man keinen gemeinsamen europä-
ischen Energiemarkt schaffen kann, wenn man nicht auch
die Energiebesteuerung harmonisiert. Die Umsetzung
dieser Erkenntnis würde uns übrigens aus vielen Debatten
herausbringen, die wir ganz unnötigerweise führen. Ich
erinnere daran, dass dies schon das Ziel der Vorgängerre-
gierung war – ich kritisiere das nicht –, das wir nachhal-
tig verfolgen, und dass die Ökosteuer damals bereits ein
europäisches Thema war und nur an Spanien und Irland
gescheitert ist. Warum führen wir heute solche Debatten?
Mir leuchtet das nicht ein.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die günstige Situation in

Deutschland ist natürlich nicht nur das Ergebnis unserer
Politik, sondern daran haben alle Menschen im Lande
mitgearbeitet. Auch die Tarifpartner haben großen Anteil
daran. Im Bündnis für Arbeit hatten sie eine beschäf-
tigungsfördernde Lohnpolitik vereinbart, die auch umge-
setzt wurde. Dies hat verhindert, dass aus dem Anstieg der
Ölpreise eine Lohn-Preis-Spirale geworden ist. Die Lohn-
abschlüsse haben sich auch positiv auf den Arbeitsmarkt
ausgewirkt. Sie belegen, was Mitbestimmung und Mit-
verantwortung bedeuten, dass sie sich für alle Beteiligten
auszahlen und dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer und ihre Organisationen, die Gewerkschaften,
sehr wohl sehr verantwortlich damit umgehen. Das sollte
auch in der Debatte um die Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes beachtet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben große Fortschritte bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit gemacht. Die Finanzpolitik hat wesent-

lich dazu beigetragen. Der Sachverständigenrat zur Be-
gutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, des-
sen Bericht hier auch zur Aussprache steht, hat die Rich-
tung unserer Finanzpolitik ausdrücklich gelobt. Natürlich
gibt es Kritik im Detail; das erwarte ich von Wissen-
schaftlern auch. Aber die Konsolidierung und die Steuer-
reform werden in ihren Grundzügen ausdrücklich be-
grüßt. Der Sachverständigenrat formuliert wörtlich:

Die Politik hat begonnen, den wachstumshemmen-
den Reformstau aufzulösen.

Für den Stau waren andere vor uns verantwortlich. Seine
Beseitigung erfolgt durch uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN –Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir haben für unsere Politik das beste Zeugnis erhal-
ten, das eine Regierung seit langem bekam. Wäre das Ur-
teil der Fünf Weisen zu Zeiten der Regierung Kohl auch
nur einmal so gut ausgefallen, wie es diesmal für uns aus-
fällt, hätte das bayerische Fernsehen dieses Urteil nonstop
den ganzen Tag über verlesen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin davon überzeugt: Wir machen die richtige Wirt-
schafts- und Finanzpolitik. Deutschland ist in europä-
ischer Einbindung auf gutem Wege. Genau diesen Weg
werden wir weitergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500200
Ich erteile dem Kolle-
gen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Friedrich Merz (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wer soeben diese Rede gehört hat,
muss zu der Erkenntnis kommen, dass es wohl ein schwe-
rer Fehler war, die Zuständigkeit für den Jahreswirt-
schaftsbericht dem Finanzminister zu übertragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)


Diese Rede, Herr Eichel, hätte jedenfalls der Präsident des
Statistischen Bundesamtes der Bundesrepublik Deutsch-
land genauso halten können.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Aber ich will den Ball schon aufnehmen und auf die
Zahlen zu sprechen kommen, die Sie hier erwähnt haben.
Lassen Sie mich zunächst etwas zu den Wachstumserwar-
tungen für das Jahr 2001 sagen und dabei auch einen kur-
zen Blick zurück auf das Jahr 2000 werfen.

Wir haben in der Tat im Jahr 2000 in der Bundesrepu-
blik Deutschland ein höheres Wachstum als im Vorjahr
gehabt, aber das Wachstum des Jahres 2000 in unserem
Land befand sich am unteren Rand des Mittelfeldes der




Bundesminister Hans Eichel

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Europäischen Union. Die meisten stark wachsenden Län-
der in der Euro-Zone haben ein höheres Wachstum als die
Bundesrepublik Deutschland gehabt.

Wenn Sie es im Quartalsvergleich sehen, dann wird die
Entwicklung des Jahres 2000 noch deutlicher.


(Joachim Poß [SPD]: Aber Sie reden jetzt wie ein Abteilungsleiter des Statistischen Bundesamtes! – Weiterer Zuruf von der SPD: Unterabteilungsleiter!)


Im ersten Quartal betrug das Wachstum in Deutschland
1 Prozent, im zweiten Quartal 1,2 Prozent, im dritten
Quartal 0,3 Prozent und im vierten Quartal 0,2 Prozent.
Das war das Ergebnis des Jahres 2000.

Herr Eichel, für das Jahr 2001 glaubt außer Ihnen in
Deutschland mittlerweile kaum noch jemand daran, dass
wir ein Wachstum von 2,75 Prozent erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.] – Lachen bei der SPD)


Die Probleme sind unübersehbar.

(Peter Dreßen [SPD]: Schwarzredner! Pessi mist!)

Die Konjunktur leidet unter dem, was in Amerika und in
Japan bevorsteht. Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland wegen der hohen Exportabhängigkeit keine
Chance, den Ausfall im Wachstum in der Binnenkonjunk-
tur zu kompensieren.


(Klaus Lennartz [SPD]: Sie dürfen der „Financial Times“ nicht so viel glauben!)


Dies schlägt sich auf dem Arbeitsmarkt nieder. Herr
Eichel, es gehört wirklich schon eine ganze Menge Dreis-
tigkeit dazu zu behaupten, wir hätten in der Bundesrepu-
blik Deutschland einen Zuwachs an Beschäftigung und
eine Abnahme der Arbeitslosigkeit.

Auch ich will es jetzt nicht mit Zahlen übertreiben,
aber eine Zahl will ich Ihnen schon nennen. Im Okto-
ber 1998, im Monat der Regierungsübernahme durch Sie,
gab es 3,9 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Im Fe-
bruar 2001, nach der Halbzeit, sind es 4,11 Millionen Ar-
beitslose in Deutschland. Wo kommt denn der Abbau der
Arbeitslosigkeit her?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Da weiß der Abteilungsleiter in der Statistik aber mehr als Sie!)


Herr Eichel, Sie können nun wirklich niemandem in
Deutschland erklären, dass die Arbeitslosigkeit abnimmt.
Sie haben sämtliche statistischen Effekte herausgerech-
net.


(Widerspruch bei der SPD)

– Ja, ich kann gut verstehen, dass es Ihnen Probleme be-
reitet, wenn ich Ihnen die Zahlen vorhalte, mit denen Sie
hier jonglieren.


(Klaus Lennartz [SPD]: Entblöden Sie sich nicht?)


Meine Damen und Herren, auch der Sachverständi-
genrat sagt klipp und klar:


(Klaus Lennartz [SPD]: Sagen Sie mal die Zahl von Oktober 2000! Mensch! Unmöglich!)


Es hat keine Zunahme der Beschäftigung in Deutschland
gegeben, keine Zunahme an Arbeitsstunden. Wenn Sie
sich darauf beziehen, dass die Beschäftigtenzahlen zuge-
nommen haben, dann sind das ausschließlich die früheren
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die Sie jetzt
sozialversicherungspflichtig gemacht haben. Das ist die
Zunahme an Beschäftigung, Herr Eichel, die Sie uns hier
gerade dokumentiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben relativ kurz und ziemlich oberflächlich et-

was zur Lage in den neuen Ländern gesagt. Wir hätten
erwartet, dass in dieser Rede ein wesentlich größerer
Schwerpunkt auf die Lage in den neuen Ländern gelegt
worden wäre, die nun in der Tat besorgniserregend ist.

Die neuen Länder stehen nicht auf der Kippe, wie der
Herr Bundestagspräsident meinte beurteilen zu müssen.
Die Lage dort ist sehr differenziert zu betrachten; sie ist
unterschiedlich. Sie ist – genauso wie auch in der alten
Bundesrepublik in Baden-Württemberg und Bayern – in
den südlichen Ländern, in Sachsen und in Thüringen,
wesentlich besser als in den Ländern, wo beispielsweise
die SPD zusammen mit der PDS regiert, in Sachsen-An-
halt und in Mecklenburg-Vorpommern. Aber sie ist un-
verändert schwierig.

Weil sie schwierig ist, hat Ihnen, Herr Bundeskanzler,
einer der Ministerpräsidenten der neuen Länder vor knapp
zwei Wochen einen Brief geschrieben, ausführliche Vor-
schläge gemacht, wie man die Lage in den neuen
Bundesländern verbessern könne, insbesondere mit einer
Infrastrukturoffensive Ost, und diesen Brief hat in der ver-
gangenen Nacht per Fax Ihr Staatsminister Schwanitz be-
antwortet, die Zahlen bestritten,


(Joachim Poß [SPD]: Richtig!)

die Vorschläge abgelehnt


(Joachim Poß [SPD]: Richtig!)

und damit ist das Thema für Sie erledigt.


(Joachim Poß [SPD]: Quatsch!)

Herr Bundeskanzler, Sie haben den Aufbau Ost zur

Chefsache erklärt. Dann ist es eine Unverschämtheit, dass
der Brief eines Ministerpräsidenten aus einem der neuen
Länder mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der
Lage durch einen Staatsminister beantwortet wird. Es ist
eine Unverschämtheit!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist fast drei-

mal so hoch wie in der alten Bundesrepublik Deutschland.
Die Entwicklung geht nicht zueinander, sondern sie geht
wieder auseinander. Das Wachstum dort ist geringer als in
der alten Bundesrepublik Deutschland, obwohl die
Wachstumslücke so groß ist, dass es eigentlich größer sein
müsste. Was sind die konkreten Antworten der Bundesre-




Friedrich Merz
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gierung auf die Probleme in den neuen Bundesländern im
Rahmen der Chefsache Ost, die vom Bundeskanzler aus-
gerufen worden ist? Sie hätten heute die Gelegenheit nut-
zen sollen, darauf eine Antwort zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat

– nicht ohne gute Gründe – einen Schwerpunkt auf den
Abbau der Jugendarbeitslosigkeit gelegt. Zum Thema
Jugendarbeitslosigkeit, Herr Eichel, haben Sie kein Wort
gesagt. Lassen Sie es mich tun: Der Anteil der arbeitslo-
sen Jugendlichen an den Arbeitslosen insgesamt ist seit
dem Zeitpunkt, seit dem diese Regierung im Amt ist, von
10,9 auf 11,4 Prozent angestiegen. Nun hat der absolute
Wert bei den Jugendlichen etwas abgenommen. Bei
knapp 500 000 arbeitslosen Jugendlichen sind es in den
letzten zwei Jahren 20 000 weniger. Für diese 20 000 Ju-
gendlichen haben Sie im Rahmen Ihres so genannten
JUMP-Programms zwei Jahre lang jeweils 2 Milliar-
den DM aufgewendet, also insgesamt 4 Milliarden DM
für ein Programm, das dazu geführt hat, dass 20 000 Ju-
gendliche weniger arbeitslos sind.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch gar nichts gemacht! Ohne Regierungswechsel wäre doch kein Programm aufgelegt worden! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das ist eine Verschwendung von Steuermitteln. Sie setzen
sie nicht so effizient ein, dass gerade auf diesem Teil des
Arbeitsmarktes eine Verbesserung erfolgt. Das ist ein ka-
tastrophales Ergebnis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Bundeskanzler, Sie haben sehr viel Wert darauf

gelegt, dass das Bündnis für Arbeit nach Ihrem Regie-
rungsantritt wieder auflebt. Sie haben zu Beginn Ihrer
Amtszeit dieses Bündnis für Arbeit als das zentrale
makroökonomische Steuerungsinstrument für die Wirt-
schaftsentwicklung und für den Arbeitsmarkt angesehen.
Mittlerweile ist das alles auf Normalmaß geschrumpft.

Aber vielleicht darf man doch einmal die Verabredun-
gen, die dort getroffen worden sind, im Lichte der Ergeb-
nisse beurteilen. Ich begrüße es übrigens sehr, dass Sie
beim letzten Zusammentreffen des Bündnisses für Arbeit
am letzten Sonntag verabredet haben, den verhängnisvol-
len Weg zur Frühverrentung älterer Arbeitnehmer zu stop-
pen. Ich bezweifle allerdings, ob man diese Verabredung
irgendwann einmal umgesetzt sieht. Denn das, was Sie
vor acht Monaten, nämlich am 10. Juli des letzten Jahres,
als das Bündnis für Arbeit zum letzten Mal zusammenge-
treten ist, verabredet haben, ist überhaupt nicht Realität
geworden. Sie haben sich damals für den beschäftigungs-
wirksamen Abbau von Überstunden ausgesprochen. Mit
1,9Milliarden Überstunden kam es Ende letzten Jahres zu
einem Höchststand in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.

Lassen Sie mich einmal die Ergebnisse Ihrer Arbeits-
marktpolitik zusammenfassen: 4,11 Millionen Arbeits-
lose,


(Peter Dreßen [SPD]: Der niedrigste Stand seit 1995!)


1,8Millionen in der so genannten stillen Reserve, 1,9Mil-
liardenÜberstunden – dies ist ein Höchststand –, 500 000 of-
fene Stellen und gleichzeitig – dazu haben Sie, Herr
Eichel, kein Wort gesagt – eine dreimal so schnell wach-
sende Schattenwirtschaft in der Bundesrepublik Deutsch-
land im Vergleich zum tatsächlichen Anstieg des Brutto-
inlandsprodukts.

Niemand behauptet, es gebe in diesem Land zu wenig
Arbeit. Es gibt genug Arbeit. Aber offensichtlich ist die
vorhandene Arbeit nicht mehr so organisiert, dass sie in
der realen Volkswirtschaft stattfinden und zu bezahlbaren
Preisen als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
angeboten werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Was ist die Antwort der Bundesregierung? Sie regulie-

ren den Arbeitsmarkt immer mehr und Sie benachteiligen
einseitig die Unternehmen, die eigentlich für einen Zu-
wachs an Beschäftigung und auch für einen Zuwachs an
Ausbildungsplätzen in Deutschland sorgen könnten, näm-
lich die mittelständischen Unternehmen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Richtig!)

Die einseitige Benachteiligung des Mittelstandes in
Deutschland


(Peter Dreßen [SPD]: Das wird durch Wiederholung nicht wahrer!)


ist die eigentliche Ursache für die nicht überwundene Be-
schäftigungskrise.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie stellen uns zu Recht immer wieder die Frage: Was

ist denn nun Ihre Alternative zur Wirtschaftspolitik der
rot-grünen Bundesregierung? Ich will Ihnen vier Punkte
nennen:


(Zurufe von der SPD: Oh! – Vier!)

Erstens. Wir müssen in Deutschland den Mittelstand

stärken und dürfen ihn nicht weiter schwächen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD)

Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Steuerpolitik.


(Peter Dreßen [SPD]: Zwei Jahre lang machen wir das! – Weiterer Zuruf von der SPD: 16 Jahre!)


Sie haben im letzten Jahr eine viel gefeierte Steuer-
reform durchgesetzt. Diese Steuerreform entpuppt sich
immer mehr als eine Steuerreform zugunsten der großen
Unternehmen – die zunehmend, richtigerweise, auch im
Ausland investieren – und als eine Steuerreform, die ohne
jede sachliche Begründung einseitig den Mittelstand be-
nachteiligt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass die mittel-
ständischen Unternehmen in Deutschland früher als im
Jahr 2005 entlastet werden!

In diesem Zusammenhang lassen Sie mich ein offenes
Wort an die Kolleginnen und Kollegen der F.D.P. richten.




Friedrich Merz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde es ja bemerkenswert, dass Sie in der Steuerpoli-
tik jetzt neue Initiativen ergreifen und die Politik auffor-
dern, schneller voranzugehen. Wir teilen diese Einschät-
zung. Aber ich bin, so muss ich sagen, schon etwas
erstaunt, wenn ich lese, was der zukünftige Vorsitzende
der F.D.P. in einem Gastbeitrag für eine Zeitung vor eini-
gen Tagen veröffentlicht hat. In diesem Artikel vergleicht
er die Steuerpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika
– diese dürfte in der Tat eine große Herausforderung auch
für uns werden – mit der von der Bundesregierung durch-
gesetzten Steuerreform. Er schreibt dort:

Was im direkten Zahlenvergleich schon armselig ge-
nug wirkt,

– er meint die deutsche Steuerpolitik –
entpuppt sich auf den zweiten Blick als volkswirt-
schaftlicher Offenbarungseid.

Ich teile diese Einschätzung, frage mich nur: Warum ha-
ben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.,
im letzten Jahr der Steuerreform im Bundesrat zuge-
stimmt?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine Steuerreform, die auf die mittleren und
kleinen Unternehmen ausgerichtet ist und deren Wachs-
tum ermöglicht.

Zudem muss, meine Damen und Herren, der Unfug mit
der Ökosteuer aufhören.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Das sind doch alles nur Sprechblasen! – Stammtischrede!)


Herr Bundesfinanzminister, wir hätten uns schon ge-
wünscht, dass Sie im Namen der Bundesregierung ein
klärendes Wort sagen, wie es denn nun nach 2002 mit der
Ökosteuer weitergehen soll.


(Peter Dreßen [SPD]: Das steht im Gesetz!)

Dazu haben wir in den letzten Tagen von Rot und Grün
die verschiedensten Varianten gehört. Bei Ihnen geht es
bei der Debatte über die Ökosteuer zu wie in einem Ke-
gelklub nach der fünften Lokalrunde.


(Joachim Poß [SPD]: Wie auf dem Schützenfest in Brilon!)


Wir hätten schon gerne Klarheit: Wie geht es jetzt weiter?
Was ist die Position der rot-grünen Bundesregierung zur
Zukunft der Ökosteuer? Wird weiter abgezockt oder ist,
wie der Bundeskanzler sagt, das Ende der Fahnenstange
erreicht?


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat er schon einmal gesagt!)


Was gilt denn nun, Rot-Grün?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens. In der Bundesrepublik Deutschland besteht
durch Mitbestimmungsgesetz und Betriebsverfassungs-
gesetz ein außergewöhnlich hohes Maß an sozialem Frie-
den in Unternehmen und es gibt bewährte soziale Part-
nerschaft zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Aber das, was wir jetzt mit der Vorlage eines neuen Be-
triebsverfassungsgesetzes erleben,


(Zuruf von der SPD: Das musste ja kommen!)

das hat mit der Fortsetzung der Mitbestimmung und der
Fortsetzung der sozialen Partnerschaft in den Betrieben
nichts mehr zu tun. Was Sie hier vorlegen, ist ein Gesetz
zur Stärkung der Funktionäre von außen zulasten der Au-
tonomie und der Verantwortung der Belegschaft von in-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.– Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Betriebsräte sind immer noch Betriebsmitglieder, falls Sie das nicht wissen! – Peter Dreßen [SPD]: Sie haben das Gesetz nicht gelesen, sonst könnten Sie so einen Unsinn nicht behaupten!)


An dieser Stelle sind wir an einem Grundproblem Ih-
rer Wirtschaftspolitik. Das hat mit Mitbestimmung gar
nichts mehr zu tun, sondern berührt die Grundfrage, ob es
richtig ist, dass wir in einem Staat leben, in dem die
großen Organisationen, der Staat, die Gewerkschaften,
die Verbände, immer mehr Verantwortung übertragen be-
kommen, immer mehr Möglichkeiten zur Bevormundung
des Einzelnen und der Betriebe haben, oder ob es nicht
besser wäre, angesichts der großen Herausforderungen in
einer globalisierten Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts
den Betrieben in Deutschland ein höheres Maß an
Eigenverantwortung und Autonomie zu übertragen. Das
ist die entscheidende Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.– Detlev von Larcher [SPD]: Sie reden ja Quatsch!)


Herr Bundeskanzler, Sie können sich die, wie ich höre,
groß angelegte Veranstaltung am 3. Oktober zur Bürger-
gesellschaft in diesem Lande sparen, wenn Sie gleichzei-
tig ein Betriebsverfassungsgesetz vorlegen, das nicht die
Bürger in Deutschland, sondern die Funktionäre in die-
sem Land weiter stärkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.– Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie haben von Tuten und Blasen keine Ahnung! – Peter Dreßen [SPD]: Unwahrheit! Sie sollten das erst mal lesen!)


– Ihre Zwischenrufe bestätigen mich in unserer Einschät-
zung, dass das, was Sie jetzt als neues Betriebsverfas-
sungsgesetz vorlegen, was durch die Wahlverfahren die
DGB-Gewerkschaften in den Betrieben der Bundesrepu-
blik Deutschland einseitig bevorzugen und stärken soll,
der Dank der rot-grünen Bundesregierung für die Wahl-
kampfunterstützung in Höhe von 8 Millionen DM im
Jahr 1998 ist. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Drittens. Wir brauchen durchgreifende und langfristig

wirkende Reformen der sozialen Sicherungssysteme in
Deutschland. 75 Prozent der Menschen in Deutschland
glauben nicht, dass die von Rot-Grün vorgelegte Reform
der Rentenversicherung wirklich für eine Generation
trägt. 75 Prozent der Menschen in Deutschland liegen




Friedrich Merz
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(D)



(A)



(B)


richtig mit ihrer Einschätzung. Auch die anderen 25 Pro-
zent werden bald verstehen, dass eine Rentenreform, so
wie Sie sie vorgelegt haben, nicht in der Lage ist, die Pro-
bleme, die wir innerhalb der Rentenversicherung haben,
wirklich zu lösen.


(Joachim Poß [SPD]: Sie haben natürlich das Konzept!)


Sie werden allerdings mit Ihrer Politik der falschen Re-
form in der Rentenversicherung und der Verweigerung
der Reform, die eigentlich in der Krankenversicherung
notwendig wäre, an keiner Stelle in Deutschland eine
wirklich substanzielle Begrenzung der Lohnzusatzkosten
für die Wirtschaft erreichen. Die Kostenbelastung und die
Bürokratiekosten in den Betrieben, die Sozialabgaben,
die Summe der Abgaben aus Sozialversicherungsbeiträ-
gen


(Zuruf von der SPD: Die Sie uns eingebrockt haben!)


und Steuern in Deutschland sinken unter dieser Regierung
nicht, sondern sie haben im Jahr 2000 einen historischen
Höchststand erreicht.


(Joachim Poß [SPD]: Als Folge Ihrer Politik!)

Das ist die Politik, meine Damen und Herren, die Sie ma-
chen und die mit Sicherheit nicht zur Überwindung der
Beschäftigungskrise führen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der vierte Sachverhalt, den ich in diesem Zusammen-

hang ansprechen möchte, ist in der Rede des Bundesfi-
nanzministers nicht erwähnt worden, der es ja fertig
bringt, Reden zur sozialen Marktwirtschaft zu halten,
vornehmlich außerhalb des Parlaments, in denen das Wort
„Markt“, das Wort „Wettbewerb“ und das Wort „Ord-
nungspolitik“ nicht ein einziges Mal vorkommen. Es ist
schon eine beachtliche intellektuelle Leistung, eine Rede
zur Marktwirtschaft zu halten, in der „Wettbewerb“,
„Markt“ und „Ordnungspolitik“ mit keinem Wort erwähnt
werden!

Die eigentliche Aufgabe, die uns allen gestellt ist, ist
eine Reform des Arbeitsmarktes selbst. Die Überwin-
dung der Beschäftigungskrise wird nicht gelingen, wenn
wir nicht tief greifende Reformen des Arbeitsmarktes
selbst auf den Weg bringen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nun los! – Peter Dreßen [SPD]: Auf geht’s!)


Obwohl jetzt in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz
und Hessen Wahlkampf ist, sage ich ganz offen: Auch wir
haben in der früheren Koalition diesen Weg nicht beherzt
genug und nicht früh genug beschritten.


(Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!)

Aber wir haben erste Schritte in die richtige Richtung ge-
macht, als wir beispielsweise das Bundessozialhilfegesetz
reformiert haben. Nicht wir, nicht neoliberale Turbokapi-
talisten, sondern der Präsident des Ifo-Instituts in Mün-
chen hat vor einigen Wochen darauf hingewiesen,


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das ist doch einer!)


dass die Überwindung der Beschäftigungskrise in
Deutschland nur möglich ist mit einer grundlegenden Re-
form der Sozialhilfe.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich will genau dies zum Schluss noch einmal kurz be-
gründen. Wenn die Regel weiter gilt, dass die Sozialhilfe
sozusagen die Lohnuntergrenze in Deutschland ist, kein
Betrieb und kein Arbeitgeber in Deutschland aber bereit
sind, einen Mitarbeiter zu beschäftigen, dessen Lohn
oberhalb der Produktivität liegt, dann ist jede Arbeitspro-
duktivität, die unterhalb der Sozialhilfe liegt, automatisch
mit struktureller Arbeitslosigkeit verbunden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was denn jetzt: Sozialhilfe runter oder was?)


Deshalb müssen die Vorschläge zur Reform der Sozialhilfe,
die nicht von uns, sondern von der Wissenschaft gemacht
werden, in dem Licht geprüft werden, ob wir damit einen
besseren Anreiz zur Beschäftigung auslösen, statt durch die
hohen Transferleistungen in der Bundesrepublik Deutsch-
land einen Anreiz zur Nichtbeschäftigung zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Wie denn? Sagen Sie mal, wie!)


Wenn Sie sich dieser Frage nicht zuwenden, wenn es
bei der Höhe der Sozialhilfe, die häufig auch bei kinder-
reichen Familien an die Zahl der Haushaltsmitglieder ge-
bunden ist, bleibt, werden Sie die Beschäftigungskrise in
Deutschland nie überwinden.

Andere Länder haben es uns längst vorgemacht: nicht
nur die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch
Großbritannien, Dänemark und mittlerweile sogar Frank-
reich, ein Land, das von einer sozialistischen Regierung
regiert wird. Diese Länder haben längst erkannt, dass
durch die sozialen Transfersysteme nicht Anreize zur
Nichtbeschäftigung, sondern Anreize zur Beschäftigung
gegeben werden müssen.

Deswegen machen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, er-
neut ganz konkret den Vorschlag, darüber zu reden, Ar-
beitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen, die
Kompetenzen der Kommunen zu stärken und nicht zu
schwächen, um gerade im Bereich der lokalen Arbeits-
märkte bessere Vermittlungschancen insbesondere für
Langzeitarbeitlose zu eröffnen und durch ein Zusammen-
wirken von Transferleistungen und Löhnen dafür zu sor-
gen, dass die Menschen aus der Beschäftigungs- und Ar-
mutsfalle herauskommen. Wir machen Ihnen diesen
konkreten Vorschlag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das setzt allerdings voraus, dass der Sozialstaat, die
Gesellschaft insbesondere bei jüngeren Arbeitslosen mit
einer gewissen Härte sagt: Wer eine zumutbare Beschäf-
tigung ohne triftigen Grund ablehnt, muss den Anspruch
auf soziale Transferleistungen im Wesentlichen verlieren.
Sonst wird man nicht zu mehr Beschäftigung kommen.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch heute schon so!)





Friedrich Merz

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Voraussetzung ist, dass Sie bereit sind, mit dieser Härte
vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Derjenige, der eine zumutbare Beschäftigung ohne er-
kennbaren Grund ablehnt, verletzt das Solidaritätsprinzip
im Sozialstaat.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ich würde Ihnen empfehlen, in das Gesetz zu gucken! Da steht das drin! Das wird auch praktiziert!)


Deswegen muss in Deutschland wieder der Grundsatz
gelten, dass derjenige, der arbeitet, grundsätzlich mehr
Geld bekommt als derjenige, der nicht arbeitet und soziale
Transferleistungen bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies wäre eine arbeitsmarktorientierte Wirtschafts-

und Finanzpolitik. Das hätte etwas mit Erneuerung der so-
zialen Marktwirtschaft zu tun. Das wäre ein politisches
Denken in Gesamtzusammenhängen zwischen Wirt-
schafts-, Finanz-, Sozial- und Familienpolitik. Das wäre
die richtige Botschaft gewesen, die heute von dieser Stelle
aus von einem Vertreter der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland in der Aussprache zum Jahreswirt-
schaftsbericht hätte gegeben werden müssen. Statt anei-
nander gereihte Zahlen, Herr Eichel, hätte eine klare
Perspektive für die Überwindung der Beschäftigungskrise
von dieser Stelle aus gegeben werden müssen. Dazu sind
Sie leider nicht in der Lage.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500300
Ich erteile dem Kolle-
gen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
wirtschaftliche Lage bietet keinen Anlass, Trübsal zu bla-
sen, wie Sie, Herr Merz, das tun. Aber bei Ihnen ist es
wohl mehr die Furcht vor dem April, mehr die Furcht vor
dem eigenen Absturz als vor dem der Wirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine Frage wird durch Ihre Rede allerdings schon be-
antwortet, die heute in der „Bild“-Zeitung steht, nämlich
warum Sie eigentlich so unbeliebt sind. Sie haben 20 Mi-
nuten lang wortreich über all das gesprochen, was Sie
nicht wollen, was Sie schlecht finden, was schief läuft. Sie
sind hier mit der Art eines zum Oberlehrer mutierten Best-
schülers aufgetreten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Dabei ist es doch eher verblüffend, wie stabil und ro-
bust die Konjunktur in Deutschland trotz der Dämpfung
im letzten Quartal des vergangenen Jahres,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Selbstgefälligkeit!)


trotz des Einbruchs der US-Konjunktur und der anhalten-
den Rezession in Japan, trotz der schwankenden Ölpreise
und des gestiegenen Außenwerts des Euro verläuft. Es ist
doch eher verblüffend, dass wir in Europa eine solche
Wachstumsstabilität haben. Dies ist kein Wunder, sondern
es ist der Politik der Bundesregierung zu verdanken, die
nämlich für mehr Wachstum und Beschäftigung gesorgt
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schlüsselbegriffe sind: Haushaltskonsolidierung, Steu-
erreform, Rentenreform, Senkung der Lohnnebenkosten.
Dies sind alles Projekte, die Sie sich fast 16 Jahre lang
vorgenommen und nicht geschafft haben. Das sind die
Gründe, warum wir relativ optimistisch und mit Zuver-
sicht in dieses Jahr schauen können.

Der Standort Deutschland ist wieder attraktiv. Das
zeigt sich auch an den ausländischen Direktinvestitio-
nen. Fragen Sie Hilmar Kopper, den Bundesbeauftragten
für die Akquirierung von Direktinvestitionen. Er führt
diese Entwicklung unmittelbar auf die rot-grüne Reform-
politik zurück. Oder nehmen Sie das Beispiel Betriebs-
gründungen. Hier liegt Deutschland nach den USA und
Kanada an dritter Stelle. Das heißt, es gibt viele junge
Leute, die bereit sind, Wagnis- oder Risikokapital aufzu-
nehmen und mit einer Idee in den Wettbewerb und in den
Markt einzutreten. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich an
diesem Standort Deutschland eine Dynamik entwickelt
hat. Das spricht nicht für die These eines festgezurrten,
verkrusteten Arbeitsmarktes, wie Sie, Herr Merz, ihn be-
schrieben haben. So ist es nicht. Auch haben wir Lehr-
stühle für Existenzgründung gefördert. All das hat posi-
tive Auswirkungen.

Die jüngsten Arbeitsmarktzahlen zeigen den nied-
rigsten Februarstand seit fünf Jahren. Das ist positiv und
muss festgehalten werden. Trotzdem ist die Zahl der Ar-
beitslosen noch viel zu hoch. Das verschweigen wir nicht.
Vor allen Dingen die Tatsache, dass die Arbeitsmärkte in
Ost und West auseinander driften, dass der Anstieg der Ar-
beitslosigkeit im Januar ausschließlich auf den Anstieg im
Osten zurückzuführen ist, macht uns Sorgen. Deswegen
müssen die Anstrengungen verstärkt werden.

Das Bündnis für Arbeit als Kranzlerrunde abzutun,
als einen Gesprächskreis, in dem sich nichts bewegt, ist
völlig verfehlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich nenne allein die Aussichten auf moderate Lohnab-
schlüsse und darauf, dass die Überstunden abgebaut wer-
den. Das sind keine haltlosen Versprechungen, die dort
gegeben worden sind. Schauen wir uns an, was die Ge-
werkschaft vorgerechnet hat: Wenn man nur ein Viertel
dieser 1,9 Milliarden Überstunden abbauen würde, käme
man auf 250 000 neue Arbeitsplätze. Was dazu noch opti-
mistisch stimmt: Die Arbeitgeberverbände haben sich da-
rauf eingelassen, entsprechende Schritte einzuleiten. Das
sind zwar nur Trippelschritte, aber wir kommen nur in
Trippelschritten voran. „Henneteppele“ würde man in
dem Wahlkampf führenden Land sagen, das bekanntlich
alles außer Hochdeutsch kann.




Friedrich Merz
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(C)



(D)



(A)



(B)


Mit solchen Schritten oder auch der Qualifizierungsof-
fensive für ältere Arbeitnehmer kommen wir weiter. Denn
lebenslanges Lernen darf keine hohle Phrase sein. Die
Qualifikation, die Motivation und der Leistungswille von
älteren Arbeitnehmern sind ein wertvolles Kapital, für den
Vorruhestand viel zu wertvoll.

Dies ist auch der Sinn der Reform des Betriebsverfas-
sungsgesetzes. Schauen Sie sich einmal die neue Grün-
derwelle bei den Start-up-Unternehmen an, die nach dem
Zähneklappern beim Fall der Stock Options den Wunsch
hatten, Betriebsräte zu gründen, ihre Interessen besser zu
vertreten, um künftig im Betrieb das wirtschaftliche
Wachstum mitzubestimmen und mitzuorganisieren. Ge-
nau das beabsichtigen wir mit unserem Gesetzentwurf. Es
ist ein Gesetzentwurf, der einen Kompromiss zwischen
den beiden Tarifpartnern enthält. Ich gehe davon aus, dass
er in der weiteren Beratung noch weiter verbessert wird,
so wie wir auch vorher Kritik aufgegriffen haben.

So gut die wirtschaftliche Lage in Deutschland auch
sein mag, so ist sie doch gespalten. Wir wussten von An-
fang an, dass die deutsche Einheit zwar politisch richtig,
aber wirtschaftlich falsch war. Mit anderen Worten: Wir
haben den teuersten Weg der Vereinigung gewählt. Das
lastet auf uns. Wir haben eine Art Transferökonomie auf-
gebaut. Der Osten – darin stimme ich Ihnen ausdrücklich
zu, Kollege Merz – steht nicht auf der Kippe. Aber was
man hinzufügen muss: Er befindet sich in einem schrägen
Gleichgewicht mit einer fatalen Kreislaufführung. Das
Ganze ist transfergestützt und schafft Abhängigkeiten. Sie
können das auch bildhaft umsetzen.


(Roland Claus [PDS]: Sie machen das besser!)

– Bei Ihnen dreht sich das Rädchen etwas langsamer. Das
merke ich.

Hier tritt ein Gewöhnungseffekt ein, sodass die struk-
turellen und sektoralen Schwächen nicht ausgeglichen
werden. Begleiterscheinungen sind die sehr hohe Arbeitslo-
sigkeit und die geringe Steuerkraft. Aber ein Mezzogiorno-
Vergleich ist völlig absurd.


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Das ist nicht absurd!)


Kein Großunternehmen würde eine Chipfabrik wie die in
Frankfurt/Oder im Mezzogiorno ansiedeln. Wenn man
sich den Mezzogiorno heute einmal etwas genauer an-
schaut, dann stellt man fest, dass es auch dort Wirt-
schaftsentwicklung gibt, seit einige Subventionen abge-
baut worden sind. Auch hier steht der Wettbewerbstest
einigen ostdeutschen Unternehmen noch bevor. Das wird
sich im Rahmen der EU-Osterweiterung ergeben.

Viel interessanter ist aber, dass der Deindustriealisie-
rung im Osten eine Reindustriealisierung gefolgt ist. Es
hat sich im Grunde genommen ein sehr interessanter
Strukturwandel vollzogen: Abbau von Überkapazitäten
im Baugewerbe und im öffentlichen Dienst auf der einen
Seite und auf der anderen Seite Wachstumsraten im zwei-
stelligen Bereich bei der gewerblichen Wirtschaft, bei
hochmodernen und wettbewerbsfähigen Branchen. Das
ist etwas, was sich auch auf dem Arbeitsmarkt widerspie-

gelt, denn nur wenn man oberflächlich hinsieht, gewinnt
man den Eindruck, als stagniere die Arbeitslosigkeit im
Osten. Sie ist zwar – weitgehend jedenfalls – gleich blei-
bend, aber wir können auch erkennen, dass Arbeitsstellen
im Baugewerbe ebenso wie ABM-Stellen abgebaut wer-
den, dies aber auf der anderen Seite durch die Schaffung
neuer Stellen in der gewerblichen Wirtschaft und im
Dienstleistungsgewerbe aufgefangen wird.

Das ist der eigentliche Aufholprozess, der sich in Ost-
deutschland ereignet und zum Aufbau einer wirklich leis-
tungsfähigen Industrie beigetragen hat, die keine Schein-
blüten hinterlässt, wie wir das Anfang der 90er-Jahre mit
leeren Büropalästen und geprellten Anlegern erlebt ha-
ben. Hier ist etwas in den letzten Jahren passiert, was ich
schon als Trendwende bezeichnen möchte. Daran können
Sie möglicherweise auch die Chefsache ablesen, die im
Kanzleramt nicht verwaltet, sondern gestaltet wird.

Ich weiß nicht, mit welchem Glauben Sie immer nach
dem Kanzler rufen. Das ist ein später Nachruf auf Günter
Mittag oder die Staatliche Plankommission. Als ob das ein
Einzelner richten könnte! Ich wundere mich, dass ausge-
rechnet so junge Kollegen wie der Kollege Merz solche
Forderungen aufstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich wird der Solidarpakt II weitergeführt werden
müssen. Das ist überhaupt keine Frage. Ich muss Ihnen,
Kollege Merz, um das Schreiben des Kollegen Vogel zu
beantworten, sagen: Uns ist mit pauschalen Forderungen
aus der Vogelperspektive und dem pauschalen Aufmerk-
sammachen auf eine generelle Infrastrukturlücke nicht
geholfen. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Projekt- und
Dringlichkeitsliste vorgelegt würde, aus der hervorginge,
wo man einen Bedarf in Höhe von 40Milliarden DM sieht
und in kürzester Zeit verbauen will. Das wäre höchst in-
teressant gewesen, statt immer nur neue Finanzforde-
rungen aufzustellen und die Diskussion über die Milliar-
dengräber Ost fortzuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit Sofort- oder Aktionsprogrammen kommen wir
nicht weiter. Sie helfen genauso wenig wie der Vorschlag
des DGB, eine weitere Vorruhestandsregelung für 55-jäh-
rige Arbeitnehmer aufzulegen. Hier stehen Qualifizie-
rungsmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer im Osten und
vielleicht auch großzügigere Übergangshilfen, Über-
brückungs- und Umzugshilfen an, die wir zum Beispiel
für die Bonner Beamten geschaffen haben. Sie müssten
greifen, wenn ostdeutsche Arbeitnehmer bereit sind, ei-
nen Arbeitsplatz im Südwesten anzunehmen, wo Fach-
kräftemangel herrscht.

Das sind die Punkte, auf die wir stärker eingehen müs-
sen. Daneben müssen wir die Chancen der EU-Osterwei-
terung nutzen, die in der Markterschließung der revitali-
sierten Märkte in Osteuropa und in entsprechenden
Wirtschaftskooperationen bestehen. Was alles möglich
ist, zeigt allein das Beteiligungsangebot von PNK Orlen,
die bei der Leuna-Raffinerie einsteigen wollen.




Werner Schulz (Leipzig)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Einen Aspekt, den bisher keiner meiner Vorredner ange-
sprochen hat, will ich zum Ende meiner Rede noch anspre-
chen. Wenn wir über Klimaverbesserungen sprechen, geht
es nicht nur um das Wirtschafts- und Betriebsklima, son-
dern die jüngsten Prognosen zur weltweiten Klimaverän-
derung sind echte Alarmzeichen, die zeigen, dass das
Klima zwar träger auf Treibhausgase reagiert als das Rin-
derhirn auf Prionen, doch wir haben diesmal die Chance,
vorher zu handeln und nicht erst durch Schaden klug zu
werden. Daran gemessen wirkt der Streit über die Öko-
steuer regelrecht kurzsichtig und kleinkariert. Gerade jetzt,
wo eindeutig Lenkungseffekte eingetreten sind und wir ein
Wirtschaftswachstum bei besserer Ressourcenprodukti-
vität verzeichnen, zeigt sich der Erfolg der Ökosteuer. Sie
ist keine Episode, sie ist ein Erfolg. Gerade die Einführung
der Ökosteuer war ein Erfolg, den wir fortsetzen werden.

Dabei werden wir von Fachleuten wie Professor
Norbert Walter bis hin zu Wolfgang Wiegard, dem neuen
Mitglied des Sachverständigenrates, bestärkt. Sie betonen
beide, dass die Ökosteuer ein sinnvolles umweltpoliti-
sches Instrument ist. Das werden wir unter keinen Um-
ständen aus der Hand legen. Selbst die hartkrumige Land-
wirtschaft hat mit der Agrarwende, das heißt dem
ökologischen Umbau, betont, dass die Nachhaltigkeit ein
Leitprinzip des Wirtschaftens werden muss.

Ich frage mich bei dieser Debatte: Wo sind die Refor-
mer geblieben, die die soziale Marktwirtschaft zu einer
ökologisch-sozialen Marktwirtschaft weiterentwickeln
wollten? Herr Kollege Merz, das war doch wohl einmal
ein Programmpunkt bei Ihnen in der Union. Ich höre jetzt
nur noch, dass Sie die soziale Marktwirtschaft wiederbe-
leben wollen. Ich lese von einem „mitfühlenden Konser-
vatismus“. Ich hoffe, Sie meinen damit mehr als das Mit-
gefühl mit dem Zustand Ihrer Partei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten endlich mit dieser unsäglichen Kampagne ge-
gen die Ökosteuer aufhören und in diesem Punkt lieber
auf Klaus Töpfer hören. Ich glaube, in Ihren Reihen gibt
es noch kluge und mutige Protagonisten für eine ökologi-
sche Steuerreform und für einen ökologischen Struktur-
wandel.

Wir wollen jedenfalls daran festhalten, dass aus einer
Ressourceneinheit ein Vielfaches an Wohlstand erwirt-
schaftet werden kann. Das ist letztlich mit dem „Faktor
vier“ gemeint, den Ernst Ulrich von Weizsäcker in die De-
batte gebracht hat. Darin liegt der Sinn der ökologischen
Steuerreform: ein Joint-Venture zwischen Ökonomie und
Ökologie. Das anzustreben wird uns keiner – auch nicht
mit einem Machtwort – ausreden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500400
Ich erteile dem Kolle-
gen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Rainer Brüderle (F.D.P.) (von der F.D.P. mit Beifall
begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Zunächst eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Kollege Merz:

Ihre Hinweise auf die Ausführungen meines Freundes
Guido Westerwelle sind das, was man klassischerweise
einen Rohrkrepierer, eine Selbstbeschädigung nennt. Sie
sind mit dem Versuch Ihrer Strategie, um das Halbein-
künfteverfahren als großen Hit mit einer Totalblockade zu
kämpfen, voll gegen die Wand gefahren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie wissen, dass das anders war!)


Ihre Leute haben um Zuschüsse für das Olympiastadion,
für Theater oder ein Stückchen Straße gefeilscht,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

während es uns gelungen ist, dauerhaft 7 Milliarden DM
pro Jahr an zusätzlicher Entlastung durch Tarifsenkungen
für alle zu erreichen.

Sie sprechen zu Recht von der Förderung des Mittel-
stands als zentraler Aufgabe.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Benachteiligung!)


Mit der Wiedereinführung des halben Steuersatzes, der
abgeschafft worden war, ist eine Ungerechtigkeit für den
Mittelstand beseitigt worden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Einmal im Leben! Herr Brüderle, das stimmt doch so nicht!)


Sie sollten in diesem Punkt absolut zurückhaltend sein.
Sie haben nichts erreicht und Ihre eigenen Leute nicht auf
eine Linie bringen können. Sie sind voll gegen die Wand
gefahren und sollten bei diesem Thema ganz still sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, am deutschen Konjunktur-
himmel ziehen dunkle Wolken auf. Der Jahreswirt-
schaftsbericht der Bundesregierung ist natürlich bemüht,
die konjunkturelle Lage schönzufärben. Wir haben heute
Morgen ein solches Bemühen auch bei Bundesfinanz-
minister Eichel entdecken können. Ich verstehe das: Es ist
ja Ihr Job, die Ergebnisse der Politik besser darzustellen,
als sie sind.

Wir wollen jetzt aber einmal die grün-rote Tagträume-
rei beenden und die wirtschaftspolitische Realität be-
trachten. Zum Aufwärmen einige Eckdaten: Die Wachs-
tumsprognosen für dieses Jahr werden nach unten
korrigiert. Das Ifo-Institut hat gerade erst seine Prognose
von 2,4 Prozent als zu optimistisch bezeichnet. Das Insti-
tut für Weltwirtschaft rechnet sogar nur noch mit einem
Anstieg von 2,1 Prozent. Die Arbeitslosigkeit stagniert
auf ernüchternd hohem Niveau. Über 4,1 Millionen Ar-
beitslose für den Monat Februar belegen das Versagen der
Regierung bei diesem zentralen Thema. Wo bleiben denn
die versprochenen Jobs? Die Preise steigen wieder, vor al-
lem die Preise für Strom, Gas, Heizöl und Benzin. Der
Euro dümpelt bei niedrigem Außenwert vor sich hin und
führt uns jeden Tag vor Augen, dass eine bessere Ein-
schätzung des Euro nicht mit einer Rüge des kleinen Ir-
land erreicht wird, das wirtschaftlich boomt, sondern
durch Fortschritte in den großen Mitgliedsländern




Werner Schulz (Leipzig)

15128


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland, Italien und Frankreich, die einen Rückstand
an internen Reformen aufweisen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Sachverständigengutachten heißt es, dass der zu-
künftige Konjunkturverlauf nicht mit einer Wachstumsdy-
namik aus eigener Kraft gleichzusetzen sei, wie sie ge-
braucht würde, um im härter gewordenen Wettbewerb auf
globalisierten Märkten bestehen zu können. Wenn
Deutschland tatsächlich „Chancen auf einen höheren
Wachstumspfad“ haben soll, dann brauchen wir eine ent-
schlossen betriebene Reformpolitik und keine Politik, die
sich nach einer Teilsteuerreform schon ein Reform-
päuschen erlaubt.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Bundesregierung hat sich allein auf die Euro-

Schwäche und auf eine günstige Exportkonjunktur ver-
lassen. Die scharfsinnige Äußerung des Bundeskanzlers,
ein schwacher Euro sei gut für den Export, zeigt die
schlichte Strategie. Dahinter steht eine Milchmädchen-
ökonomie. Das hat das gleiche Niveau wie der Satz: „Lie-
ber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit.“ Am
Schluss haben Sie Inflation und Arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Eichel, entgegen Ihrer immer wieder geäußerten
Meinung gehen nur rund 44 Prozent der Exporte nach
Euro-Land, allein über 20 Prozent in die Schweiz, in die
USA und nach Großbritannien, wo die Wechselkursrela-
tionen in den vergangenen Jahren sehr vorteilhaft für
Deutschland waren. Hinzu kommt, dass die Verkäufe
deutscher Niederlassungen in den USA fünfmal größer
sind als der Anteil deutscher Waren an den direkten Ex-
porten. Das heißt, je härter die Ökonomie in den USA lan-
den wird, desto schwächer wird das Wachstum in
Deutschland sein, und zwar deshalb, weil bei uns die
Strukturreformen verbummelt werden.

Herr Eichel, Sie laufen jetzt auch Gefahr, Ihren Ruf als
Sparkommissar zu verlieren. Der „Spiegel“ hat Haus-
haltsrisiken in Höhe von über 20 Milliarden DM in den
kommenden beiden Jahren aufgedeckt. Das zeigt: Die
Bundesregierung hat zu wenig auf der Ausgabenseite ge-
tan. In der Rentenpolitik wurde die Gelegenheit für einen
mutigen Schritt unter dem Druck der Gewerkschaften
vertan. Die ineffiziente und teure aktive Arbeitsmarktpo-
litik wurde ausgedehnt. Über die Steinkohlesubventionen
reden Sie gar nicht mehr. Jetzt offenbart sich: Beim Spa-
ren hat zu sehr das Prinzip der Verlagerung auf die Län-
der und das Verschieben auf die Zukunft regiert.

Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als ich am Sonn-
tag die Worte des Bundeskanzlers vernahm. Herr Schröder
erklärte, er wolle die Arbeitslosigkeit in Deutschland
unter die 3-Millionen-Grenze senken, und zwar im
Jahr 2002. Ganz kurz hatte ich die Hoffnung, dass diese
Bundesregierung trotz grüner und gewerkschaftsnaher
Protagonisten einen politischen Kurswechsel hin zu mehr
Beschäftigung einleiten wollte.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die Hoffnung währte nur fünf Stunden!)


Leider bin ich am folgenden Tag wieder tief enttäuscht
worden. Mein Weltbild wurde zurechtgerückt. Der Kanz-
ler hat Angst vor der eigenen Courage und ist wieder auf
die bekannte Politik der Mut- und Perspektivlosigkeit
eingeschwenkt. Jetzt gibt er sich mit „3,5 Millionen Ar-
beitslosen“ zufrieden. Ich finde es schon bemerkenswert,
dass der Bundeskanzler innerhalb eines Tages über
500 000 Einzelschicksale so locker hinweggehen kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das erinnert mich ein wenig an die Brutto-Netto-Pro-
bleme Ihres heutigen Verteidigungsministers.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Die hat er noch immer!)


Die Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen auf 3,5Mil-
lionen käme auch dann zustande, wenn die Bundes-
regierung Ihre Tätigkeit komplett einstellen würde.
Grund: altersbedingt ausscheidende Arbeitnehmer. Sol-
che Angsthasenziele offenbaren das Dilemma grün-roter
Beschäftigungspolitik. Sie ist geprägt von einem diffusen
Verständnis wirtschaftspolitischer Abläufe. Mit Um-
armungsstrategien werden keine Arbeitsplätze geschaf-
fen. Wenn man sich ständig umarmt, dann hat man die
Hände nicht zum Arbeiten frei.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das systematische Abwenden von den wirklichen Pro-
blemen auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, dass IG-Metall-
Chef Zwickel, also Ihr Chef, die Arbeitsmarktbilanz der
Bundesregierung als schlecht beurteilt. BDI-Präsident
Rogowski bezeichnet die Arbeitsmarktpolitik als den
größten Schwachpunkt grün-roter Politik. Die sonntägli-
che Bündnisrunde war dafür wieder einmal ein Beleg. Der
syndikalistische Ansatz ist längst gescheitert.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Bündnisgespräche bremsen den Tatendrang, statt ihn
zu fördern. Strittige Themen werden ausgeblendet, als
gäbe es sie nicht. Die Verschärfung der Mitbestimmung
und die gewerkschaftliche Forderung nach einem Abbau
der Überstunden spielen keine Rolle. Was macht der Bun-
deskanzler? Er betätigt sich als Weichzeichner und be-
treibt eine Weichzeichnerpolitik, mit der gefährlichen
Tendenz zum überlebten Strukturkonservatismus. Der
Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle,
Rüdiger Pohl, stellt zu Recht fest: „Das Bündnis für Ar-
beit ist schlichtweg überflüssig.“

Meine Damen und Herren, wir brauchen keinen Kon-
sensbrei, keine nutzlosen Kaffeekränzchen, die die Leute
davon abhalten, etwas zu tun. Was wir brauchen, ist eine
Renaissance der sozialen Marktwirtschaft. Wir brau-
chen mehr Wettbewerb in Deutschland. Wir brauchen fle-
xiblere Güter- und Arbeitsmärkte. Nur so bekommen wir
mehr Jobs.


(Beifall bei der F.D.P. – Peter Dreßen [SPD]: Turbokapitalismus!)


Doch was macht die Bundesregierung? Sie spürt
auch noch die letzten Flexibilitätsnischen auf dem deut-
schen Arbeitsmarkt auf und verregelt, verriestert sie. Ich




Rainer Brüderle

15129


(C)



(D)



(A)



(B)


brauche auch an dieser Stelle nur aus dem letzten Gut-
achten des Sachverständigenrats zu zitieren. Zwangsteil-
zeit, Zurückdrängung der befristeten Arbeitsverhältnisse,
Verschärfung der Mitbestimmung – alles geht in die
falsche Richtung.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wer die Flexibilisierungsspielräume weiter einschränkt,
der nimmt in Kauf, dass weniger Beschäftigung zustande
kommt – so jedenfalls der Sachverständigenrat.

Die grün-rote Politik ist einzig darauf ausgerichtet, die
Gewerkschaften vor der nächsten Bundestagswahl zu be-
sänftigen. Das hört man auch bei den Zwischenschreiern.
Das ist durchsichtig, rückwärts gewandt und ein Schlag
ins Gesicht der Arbeitslosen in Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie sollten keine Politik für machtbewusste Gewerk-
schaftsfunktionäre, sondern lieber eine Politik für die
Menschen anpacken, die Hoffnung und Perspektive ha-
ben wollen, Menschen, die Entscheidungs- und Hand-
lungsspielräume brauchen, um neue Investitionen vorzu-
nehmen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Bundesregierung hält nichts von Aufbruch. Sie tritt
lieber auf die Bremse. Vor allem der kleinere Koalitions-
partner, die Grünen, die sich selbst so gern als Reform-
motor bezeichnen, steht noch stärker auf der Bremse als
so manches gestandene Gewerkschaftsmitglied von der
SPD.

Um ihre Haltung deutlich zu machen, bedienen sich die
Grünen neuerdings eines Tricks. Sie schicken regelmäßig
ihren Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch nach vorne,
lassen ihn das ausplaudern, was der politische Gegner
denkt – beispielhaft nenne ich Schlauchs Einsichten zur
Flexibilisierung des Flächentarifvertrags –, und sofort
kommt die gesamte grüne Parteispitze aus der Deckung
und macht den Fraktionsvorsitzenden einen Kopf kürzer.
Das hat Methode. Schlauch spielt quasi den Bremskraft-
verstärker grüner Reformverweigerer.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man könnte auch sagen: Er ist der wirtschaftspolitische
Harlekin der Grünen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das war aber sehr mühsam!)


– Sogar Sie haben es verstanden. Das muss toll sein. Herr
Baron, ich begrüße Sie! Ihre Zwischenrufe, Herr Baron,
machen immer deutlich, dass der Neofeudalismus eine
konkrete Gefahr in Deutschland ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dann gibt es noch eine grüne Staatssekretärin im Wirt-
schaftministerium. Das sollte man bei einer Debatte über
den Jahreswirtschaftsbericht zumindest einmal erwähnen.
Frau Wolf kommt doch tatsächlich zu der Einsicht, dass
die Tatsache, dass sich in Unternehmen der New Eco-
nomy derzeit Betriebsräte gründen, ein Beleg dafür sei,

dass wir eine Verschärfung der Mitbestimmung bräuch-
ten. Liebe Frau Wolf, Entschuldigung, wenn ich Sie be-
lehren muss.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Soweit ich weiß, ist das Gesetz des Herrn Riester, das mit
heftiger Gewerkschaftsunterstützung jetzt eine Verschär-
fung der Mitbestimmung vorsieht, noch nicht in Kraft.
Ihre eigene Aussage zeigt doch, dass Mitbestimmung
funktioniert und keine Verschärfung notwendig ist. Es ist
doch Quatsch mit Soße, was Sie erklären.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Moderne Mitbestimmung, Herr Baron, funktioniert im
Übrigen anders, nämlich über direkte Gespräche zwi-
schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist die einfachste Form!)


Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen brauchen
wir keine zusätzlichen Gewerkschaftsfunktionäre, auch
nicht mit Adelstitel, die dem Mitarbeiter sagen, wie er
seine Arbeitszeit einzuteilen hat und wann er Weiter-
bildung zu betreiben hat. Gerade im Zeitalter der New
Economy gilt: Wir brauchen eine Stärkung der Mitarbei-
terbeteiligung und nicht der klassischen Mitbestim-
mungsrituale von gestern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir brauchen mehr Miteinander und nicht eine Wie-

derbelebung des veralteten Gegensatzes zwischen Arbeit
und Kapital. Lassen Sie Karl Marx in seinem Museum in
Trier! Er hat solch einen Bart. Wir brauchen mehr Mut zur
Veränderung, mehr Bewegungsspielräume.

Über die Qualität grüner Beschäftigungspolitik sagen
auch nackte Zahlen etwas. In Nordrhein-Westfalen betrug
die Arbeitslosenquote im Durchschnitt des vergangenen
Jahres 9,2 Prozent, in Schleswig-Holstein 8,5 Prozent, in
Hamburg 8,9 Prozent. Überall dort regieren Grüne mit.
Diese Zahlen zeigen, dass die Sozialdemokraten sich den
falschen Koalitionspartner ausgesucht haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen sagen, wie eine erfolgreiche Arbeits-
marktpolitik aussieht. In Rheinland-Pfalz haben wir mit
7,3 Prozent Arbeitslosigkeit die drittbeste Arbeitsmarkt-
situation in Deutschland.


(Beifall bei der F.D.P.)

Das bestätigt meine These, dass die SPD dann eine andere
Partei ist, wenn sie mit einem starken liberalen Koaliti-
onspartner zur Vernunft getrieben wird.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ist das jetzt die Koalitionsaussage?)


– Ihr Kanzler hat sich schon festgelegt. Das ist doch so
schön. Zum Nulltarif bekommt er vielleicht einen grünen,
aber nie einen liberalen Koalitionspartner.




Rainer Brüderle
15130


(C)



(D)



(A)



(B)



(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Denken Sie einmal an Baden-Württemberg!)


– Ja, liberaler Wirtschaftsminister, da haben Sie Recht; zi-
tieren Sie Döring einmal! Nachmachen, Herr Schauerte!
Anstrengen!


(Beifall bei der F.D.P.)

Die gerade umgesetzte Steuerreform muss bald durch

eine zweite Steuerreform ergänzt werden. Die Bundesre-
gierung macht aber das Gegenteil: Statt weitere Steuer-
senkungen umzusetzen, sorgt sie für 10 Milliarden DM
außerplanmäßige Zusatzbelastungen: Die AfA-Tabellen
führen zu fast doppelt so hohen Belastungen wie verspro-
chen. –


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr! Falsch!)


– Herr Baron, das ist trotzdem richtig; Sie können nicht
rechnen; schon Ihre Vorfahren im Mittelalter konnten
nicht richtig rechnen.


(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Sie lügen!)


Die Mitbestimmungsnovelle kostet knapp 3Milliarden
DM zusätzlich; das geplante Zwangspfand – hören Sie ge-
nau zu, Herr Baron! – belastet die Unternehmen mit wei-
teren 3 Milliarden DM. Dabei sind die Ökosteuer und die
Preistreiberei auf dem Strommarkt durch die Förderung
von Kraft-Wärme-Kopplung im Rahmen des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes noch gar nicht eingerechnet.

Eigentlich hat sich die SPD ja mental von der Öko-
steuer verabschiedet. Der Kanzler beruhigt die Wähler
vor den Landtagswahlen. Wenn Sie aber konsequent sind,
machen Sie Schluss mit dieser unsinnigen Besteuerung!
Millionen Pendler, Rentner, Taxifahrer, Studenten und
Fuhrunternehmer würden es Ihnen herzlich danken.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Grünen klammern sich krampfhaft an die Öko-
steuer; das ist ihr letztes ureigenes Projekt. Ansonsten ha-
ben sie alles aufgegeben: Der Pazifismus ist seit dem
Kosovo-Krieg und den Bombardements im Irak passé,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat nicht direkt etwas mit dem Jahreswirtschaftsbericht zu tun!)


den Atomausstieg in 32 Jahren erleben selbst die gesün-
desten Grünen kaum und die Menschenrechtspolitik muss
sich den Karrierewünschen von Joseph Fischer beugen.
Die Ökosteuer ist der letzte Kitt, der Sie zusammenhält;
aber die Ökosteuer bringt keine neuen Jobs, sie ist völlig
falsch konzipiert. Auch die Verteuerung der Prozessener-
gie führt bei den Unternehmen, die sich rational verhalten,
zu einer höheren Kapitalintensität und nicht zur Schaf-
fung neuer Jobs. Die neue Strategie führt dazu, dass der
Umbau hin zu mehr Arbeitsplätzen, wie Sie propagiert ha-
ben, in keiner Weise stattfindet. Im Gegenteil: Sie belas-
ten die Wirtschaft und beseitigen Arbeitsplätze.

Die SPD ist ganz ruhig geworden; selbst der rote Ba-
ron. Mit der Ökosteuer wollten Sie doch einmal Energie

teurer machen, Herr Baron, um Arbeitsplätze zu schaffen.
Jetzt sind auch Sie ganz ruhig geworden, weil sogar Sie
gemerkt haben, Herr Baron, dass diese Rechnung nicht
aufgeht.


(Detlev von Larcher [SPD]: Schaffen wir auch! 75 000!)


Bei den Grünen geht es um Ideologie. Sie wollen, dass
die Menschen weniger mobil, vor allen Dingen weniger
automobil sind. Wir Liberale halten das für eine völlig
falsche Strategie. Ökosteuer und Zwangsabgaben sind
grüne Verhinderungsstrategien; sie geben keine Zukunfts-
perspektive. Wir brauchen Strategien, die uns weiter-
führen und nicht zurückführen auf einen Weg, wo Arbeits-
plätze aus ideologischen Gründen von den Grünen
beseitigt werden.

In Rheinland-Pfalz haben wir die Grünen und ihre
Ökosteuer nicht gebraucht, um modernste Güterverkehrs-
zentren zu bauen und Wasser-, Schienen- und Straßen-
transport miteinander zu kombinieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir haben die Grünen und die Ökosteuer in Rheinland-
Pfalz nicht gebraucht, um das modernste Konzept im
ÖPNV umzusetzen. Wir haben die Grünen und ihre Öko-
steuer nicht gebraucht, um in Rheinland-Pfalz das mo-
dernste Eisenbahnsystem umzusetzen, das 150 Prozent
mehr Fahrgäste auf die Schiene gebracht hat. Wir haben
die Grünen und ihre Ökosteuer auch nicht gebraucht, um
aus dem amerikanischen Militärflughafen Hahn einen
höchst erfolgreichen zivilen zu machen und 2 000 neue
Arbeitsplätze zu schaffen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn es nach den Grünen gegangen wäre, wäre dort ein
Arbeitsplatz für einen Schäfer entstanden, weil sie dort
Schafe weiden lassen wollten. So verhalten sich Ihre grü-
nen Mitstreiter in Rheinland-Pfalz, die alles Fortschritt-
liche blockiert haben und noch behaupten, sie würden
irgendetwas Vernünftiges machen. Selbst der Bundes-
kanzler konnte sich vor kurzem vor Ort überzeugen, wie
erfolgreich wir sind.

Im Jahreswirtschaftsbericht hat mich vor allen Dingen
das Kapitel Wettbewerbspolitik erstaunt. Da schreiben
Sie, wie wichtig der Wettbewerb in der Marktwirtschaft
ist. Was Sie aber machen, ist dem diametral entgegenge-
setzt. In Bezug auf den Strommarkt drehen Sie durch die
Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, die Herr Müller –
da hat er einmal einen lichten Moment gehabt – „Penner-
prämie“ genannt hat, die Uhr zurück. Mit dem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz belasten Sie zusätzlich den natio-
nalen Energiesockel. Der Strommarkt wird resozialisiert,
die Marktwirtschaft wird teilweise wieder abgeschafft.
Das ist Ihre Politik.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Was reden Sie für einen Unsinn!)


– Herr Baron, hören Sie zu! Sie werden es bald verstehen.
Auch Ihre Vorfahren haben länger gebraucht.




Rainer Brüderle

15131


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500500
Herr Brüderle, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte, zum Ende zu kommen.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415500600
Darf ich den Satz noch zu
Ende bringen, Herr Präsident? Seien Sie gegenüber mei-
nen Vorrednern und mir gleichermaßen fair. Ich vertraue
auf Ihre Fairness, dass ich meinen Gedanken zu Ende
bringen darf.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500700
Sie haben die volle
Redezeit der F.D.P.-Fraktion. Was die Rede des Kollegen
Merz angeht, war freie Redezeit angemeldet.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415500800
Lassen Sie mich den Satz
beenden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415500900
Ich bitte Sie, ganz
schnell zum Ende zu kommen.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415501000
Ich beende den Satz.
Der Monopolminister Müller hat nicht nur in der Ener-

giepolitik die Weichen falsch gestellt. Die Weichen stellt
er auch bei der Verlängerung des Briefmonopols falsch.
Fehlentwicklungen erleben wir ebenfalls bei der Telekom;
Kleinanleger werden in ihren Erwartungen enttäuscht. Wo
bleibt die Verbraucherministerin? Sie ist offenbar nur für
Lebensmittel da, aber nicht für Verbraucherschutz bei
Monopolfehlgriffen dieses Monopolministers.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb brauchen wir eine andere Politik. Wenn Sie es
nicht können, dann hören Sie auf und lassen Sie es andere
machen!


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415501100
Ich erteile der Kolle-
gin Christa Luft, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1415501200
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht, den
wir heute debattieren, datiert vom 31. Januar 2001. Das
heißt, die Tinte ist noch nicht ganz trocken und schon er-
reichen uns täglich neue Hiobsbotschaften, auf die der
Bundesfinanzminister heute leider nicht eingegangen ist;
auch im Jahreswirtschaftsbericht werden sie noch nicht
einmal andeutungsweise aufgegriffen.

Was meine ich? Die offizielle Arbeitslosigkeit über-
schreitet im ganzen Land die 4-Millionen-Grenze wieder
weit. Im Osten kann jeder fünfte Erwerbsfähige sein Brot
nicht allein verdienen. Kommen Sie diesen Menschen
einmal mit Ihrem Rentenkonzept – wenn es tatsächlich
umgesetzt wird – und privater Vorsorge. Ich kann mir
nicht vorstellen, wie das dort aufgenommen wird.

Herr Kollege Merz, Sie haben für Arbeitsmarktverglei-
che eben das Jahr 1998 angeführt. Ich muss Sie bitten, mit
diesen Daten ein bisschen seriöser umzugehen. Sie wer-
den sich wie ich daran erinnern, dass im Wahlkampf-

jahr 1998 die damalige Regierung, von Ihrer Partei getra-
gen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in großer Anzahl
initiiert hat. Vermutlich hätte auch eine CDU-geführte Re-
gierung diese Anzahl alsbald wieder abgebaut.


(Beifall bei der PDS)

Die Steuereinnahmen – eine neue Hiobsbotschaft –

werden geringer als erwartet ausfallen. Also müssen wir
uns offenbar auf weitere Kürzungen von öffentlichen
Investitionen und von Sozialausgaben gefasst machen.
Große Unternehmen wie Daimler-Chrysler und die
Dresdner Bank können sich nach der rot-grünen Steuer-
reform aber ganz legal aus der Finanzierung des Gemein-
wesens zurückziehen. Wie der „Spiegel“ kürzlich berich-
tete, werden diese großen Unternehmen im Jahr 2000
nicht nur keine Steuern zahlen, sondern sogar Rückforde-
rungen geltend machen. Demgegenüber – wir alle be-
kommen in diesen Tagen ganz viel Post – muss der kleine
Handwerksmeister – er hat schon Haus und Hof verpfän-
det, nur um seinen Betrieb am Leben zu erhalten – bei
verzögerten oder ausbleibenden Zahlungseingängen auf-
grund einer unerhört schlecht gewordenen Zahlungsmo-
ral seine Steuern an das Finanzamt selbstverständlich
pünktlich abführen. Sie müssen einmal erklären, wie Sie
mit dieser Absurdität zwischen Groß und Klein weiter
umgehen wollen.


(Beifall bei der PDS)

Im inzwischen vorliegenden Armutsbericht kann

man lesen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich unun-
terbrochen wächst. Fast ein Drittel der 80 Millionen Bun-
desbürger hat nicht einmal die Hälfte des Durchschnitts-
einkommens zur Verfügung. Unter diesen Menschen sind
vor allem allein erziehende Frauen. Am 8. März darf man
daran ganz besonders erinnern. 10 Prozent der Haushalte
verfügen bereits über die Hälfte allen Besitzes. Auf dieses
Problem muss die Wirtschaftspolitik reagieren.

Die Kontroverse um den Aufbau Ost kocht täglich
höher. Herr Schulz bestreitet, dass der Osten auf der
Kippe steht. Er hat eine Wortakrobatik parat. Er sagt, der
Osten befinde sich nicht auf der Kippe, sondern nur im
Gleichgewicht eines fatalen Kreislaufs. Soeben hat er von
einem „schrägen Gleichgewicht“ gesprochen. Herr Schulz,
ich versuche mir immer vorzustellen, wie das mit einem
„schrägen Gleichgewicht“ so ist. Ich versuche mir auch
vorzustellen, wie Sie noch 1998 reagiert hätten, wenn je-
mand von der CDU/CSU hier behauptet hätte, der Osten
befände sich nur in einem schrägen Gleichgewicht.


(Beifall bei der PDS)

Ich kann nur sagen: Eine Antwort darauf, ob der Osten

auf der Kippe steht oder nicht, geben junge Leute. Nach
einer jüngsten Umfrage der „Leipziger Volkszeitung“ will
jeder dritte Ostdeutsche zwischen 18 und 29 Jahren den
Osten verlassen. Wenn man angesichts dieser Zahlen
nicht zu dem Schluss kommt, dass der Osten auf der
Kippe steht, dann weiß ich nicht, was man noch an Daten
benötigt.

Das mag an Hiobsbotschaften genügen. Zu fragen
bleibt: Woran misst man eigentlich den Erfolg von Wirt-






(C)



(D)



(A)



(B)


schaftspolitik? Misst man den Erfolg von Wirtschafts-
politik nur an der Höhe der Steuern, nur an der Höhe der
Staatsquote oder nur an der Höhe der Wachstumsraten?
Auf diesem Gebiet hat sich tatsächlich etwas bewegt.
Aber das kann doch nicht der Erfolgsmaßstab sein. Die
gerade genannten Punkte sind Mittel der Wirtschaftspoli-
tik; sie können aber nicht die Ziele sein.

Im Jahreswirtschaftsbericht wird das nur an einer ein-
zigen Stelle genauso gesehen – ich zitiere –:

Der beste Beitrag einer sozial verantwortlichen Wirt-
schaftspolitik besteht darin, durch eine dynamische
Wirtschaftsentwicklung und geeignete Reformen
möglichst vielen Menschen eine ausreichende Betei-
ligung am Erwerbsleben und so ein Einkommen aus
eigener Kraft zu ermöglichen.


(Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Wenn dies von der Bundesregierung als Maßstab ange-
nommen würde, dann hätte sie ihre Nagelprobe noch vor
sich.

Herr Brüderle, wenn ich mich richtig erinnere, war es
einmal der Sinn der sozialen Marktwirtschaft – Sie wol-
len sie ja wiederbeleben –, ein Einkommen aus eigener
Kraft zu ermöglichen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Ist es immer noch!)

Ich habe bei Ludwig Erhard nachgelesen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist immer gut!)

Er hat gesagt – ich zitiere wörtlich –:

Eine Wirtschaftspolitik ist nur dann und nur so lange
für gut zu erachten, als sie den Menschen schlecht-
hin zum Nutzen und Segen gereicht.

Damit können wir uns voll einverstanden erklären. Aber
um dies zu erreichen, hat die Bundesregierung noch aller-
hand vor sich.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Da sind wir uns einig!)


Die im vergangenen Jahr entstandenen und über-
schwänglich als Erfolg deklarierten Jobzuwächse
beruhen zum großen Teil nicht auf einem Zuwachs bei
unbefristeten Vollzeitarbeitsplätzen, sondern bei geringfü-
gigen Beschäftigungsverhältnissen, die nicht existenzsi-
chernd sind. Es kann doch niemand diesen Zusammen-
hang leugnen: Wenn das Arbeitsvolumen nicht steigt – das
weist die Statistik aus –, aber die Zahl der Beschäfti-
gungsverhältnisse gewachsen ist, dann kann auf das ein-
zelne Beschäftigungsverhältnis nur ein geringeres Arbeits-
volumen mit einem entsprechend geringeren Einkommen
entfallen.

Damit Armut tatsächlich bekämpft werden kann, for-
dern wir, die Weichen so zu stellen, dass erwerbstätige
Menschen ohne zusätzliche Hilfe zum Leben auskommen
können. Dazu gehört der Abbau der Überstunden; darüber
darf man nicht nur parlieren, sondern es muss endlich
praktisch etwas geschehen. Wir werden alsbald eine Ini-
tiative zu diesem Thema in das Parlament bringen. Es darf

nicht mehr nur allein außerhalb des Parlaments über die
Arbeitszeit und den Überstundenabbau geredet werden.
Wir fordern die Rückholung dieses Themas ins Par-
lament. Wir werden initiativ, um die wöchentliche
Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden gesetzlich zu beschrän-
ken.


(Beifall bei der PDS)

Damit würde in der Bundesrepublik die Praxis der meis-
ten EU-Mitgliedsländer endlich eingeführt.

Die Pleiten im Handwerk und im Baugewerbe wegen
schlechter Zahlungsmoral der Kunden eskalieren. Hier
bedarf es einer unverzüglichen Novellierung des Schuld-
rechts, das im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht
wurde. Beispielsweise muss der Eigentumsvorbehalt ge-
regelt werden, sonst werden wir bei den kleinen Unter-
nehmen Pleite über Pleite erleben.

Die Wirtschaftsförderung muss evaluiert werden. Es
kann doch nicht so weitergehen, dass öffentliche Gelder,
vornehmlich Steuergelder von abhängig beschäftigten
Menschen, in privaten Unternehmen versickern, ohne
dass es öffentliche Effekte, insbesondere Beschäftigungs-
effekte, gibt.


(Beifall bei der PDS)

Ein Wort zum Osten. Diesem Thema widmen gegen-

wärtig Millionen Menschen – nicht nur im Osten, sondern
auch im Westen – ihre Aufmerksamkeit. Der Bericht ist
114 Seiten lang; dem Osten werden aber nur viereinhalb
Seiten gewidmet. Ich finde, das ist sehr ärmlich. Das spie-
gelt sozusagen den Rang wider, den das Thema gegen-
wärtig in der Bundesregierung einnimmt.

Wir fordern ein energisches Umdenken und Umsteuern
in der Bundesregierung, sonst wird der Osten den Pfad
des selbsttragenden Aufschwungs verfehlen. Das wäre
zum Schaden des ganzen Landes. Unserer Meinung nach
ist eine Initiative zur Markterschließung und zur Ver-
marktung von Produkten ostdeutscher Unternehmen – so-
wohl regional als auch überregional und international –
endlich notwendig. Uns nützt kein Investitionszuwachs
schlechthin. Investitionen in den Kapitalstock nutzen nur,
wenn eine Vermarktung der Produkte möglich ist; nur
dann kommt es zur erforderlichen Effizienz der Investi-
tionen.

Daher fordern wir von der Bundesregierung eine Of-
fensive zur Erschließung von Märkten für international
handelbare Güter. Ein Bündnis für Aufträge, beispiels-
weise aus Russland, zur Modernisierung der Gas- und
Ölindustrie, aber auch der Landwirtschaft und des Um-
weltschutzes wäre möglich. Wir werden auch hierfür Vor-
schläge für eine Initiative vorlegen. Das wäre sowohl für
einen Beschäftigungszuwachs als auch für Steuerzu-
wächse eine wichtige Offensive.

Notwendig sind aus unserer Sicht konzentrierte öf-
fentliche Investitionen in Bildung, Wissenschaft, For-
schung und in die Vernetzung von kleinen und mittleren
Unternehmen. Das muss vor der EU-Osterweiterung im
Jahr 2004 geschehen; denn sonst wird der Landstrich zwi-
schen Elbe und Oder tatsächlich in Agonie verfallen. Das




Dr. Christa Luft

15133


(C)



(D)



(A)



(B)


kann nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Ost
und West sein.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415501300
Ich erteile dem Kolle-
gen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1415501400
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Herr Merz hat heute in der „Bild“-Zeitung
auf die Frage, was zu tun sei, von sich gegeben: „Die
Marschrichtung lautet: Schotten dicht und arbeiten.“ Das
Ergebnis seiner geistigen Abschottung war heute Morgen
hier zu hören.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe mich schon in der Vergangenheit des Öfteren da-
rüber gewundert, dass Herrn Merz profunde wirtschafts-
und finanzpolitische Kenntnisse unterstellt wurden. Die-
ses Bild hat er heute Morgen erneut erfolgreich zerstört,
wie ich fand.


(Beifall bei der SPD)

Insofern diente das auch zur Aufklärung der Öffentlich-
keit.

Herr Merz, ich würde Ihnen empfehlen, bei Vorwürfen
an die Adresse von Hans Eichel ganz vorsichtig zu sein.
Wenn Sie hier konstatieren, dass er wie der Präsident des
Statistischen Bundesamtes geredet habe


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer ist „er“?)


– Herr Eichel; das habe ich erwähnt –, dann muss man auf
der anderen Seite feststellen: Auch Sie haben, wie Herr
Eichel, über Zahlen geredet, aber bei Herrn Eichel stimm-
ten die Zahlen und die Zahlenvergleiche, während bei Ih-
nen weder eine Zahl noch irgendein Zahlenvergleich
stimmte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, wenn es denn eine Aufnahmeprüfung für einen
Grundkurs in Statistik gäbe, hätten Sie nicht einmal diese
bestanden; Sie hätten es also noch nicht einmal zum Ab-
teilungsleiter in diesem Bundesamt gebracht.


(Heiterkeit bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Unterabteilungsleiter! – Weiterer Zuruf von der SPD: Pförtner!)


Vorsicht: Sie ziehen einen abenteuerlichen Vergleich
der Arbeitslosenzahl von Oktober 1998 – die Kollegin
Luft hat auf die Besonderheiten dieser Zahl hingewiesen –
mit der von Februar 2000. Einen solchen Vergleich würde
kein Statistiker anstellen; nicht einmal ein seriöser Politi-
ker würde das tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Ist er nicht!)


Dass die Abgaben zu hoch sind, ist leider das Ergeb-
nis Ihrer Politik. Wir sind erfolgreich dabei, das zu ändern,

Schritt für Schritt, Jahr für Jahr. Früher haben Sie doch so
gerne den Sachverständigenrat zitiert. Hätten Sie einmal
heute Morgen zitiert, was der Sachverständigenrat über
die Entwicklung von Staatsausgaben und Abgabenquoten
in den nächsten Jahren sagt! Wir arbeiten doch alles, was
Sie uns hinterlassen haben, Schritt für Schritt ab. Das ist
das Problem, mit dem wir zu tun haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass das immer mehr Menschen deutlich wird.
Herr Merz, in Wahrheit war Ihre Rede – das ist, glaube

ich, keine Polemik – ein Beleg dafür, dass Sie keine kon-
kreten Alternativen haben, dass Sie schier ratlos sind. Es
war ein wirkliches Bild der Ratlosigkeit, das Sie hier ge-
boten haben.

Dass Sie es wagen, das Thema der Jugendarbeitslo-
sigkeit anzusprechen, ist nun wirklich der Gipfel an Dreis-
tigkeit,


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr!)

um ein Wort von Ihnen aufzunehmen. Denn in diesem Be-
reich haben Sie in der Vergangenheit überhaupt nichts ge-
macht. Wenn sich der Regierungswechsel 1998 für ir-
gendwen gelohnt hat, dann doch für Tausende junger
Frauen und Männer, die endlich wieder eine Perspektive
bekommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie waren doch vor dem Regierungswechsel ohne Per-
spektive. Deren Sorgen und Nöte haben Sie nicht einmal
registriert, geschweige denn als Problem diagnostiziert
und entsprechende Schritte eingeleitet. Allein wegen die-
ser jungen Frauen und Männer hat sich der Regierungs-
wechsel gelohnt.

Lassen Sie mich wiederholen, was bereits der Bundes-
finanzminister gesagt hat, und den Sachverständigenrat
zitieren, der ja mit Lob vorsichtig ist:

Die Politik hat begonnen, den wachstumshemmen-
den Reformstau

– ich ergänze: aus Ihrer Zeit, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und F.D.P. –

aufzulösen.
Als Sie noch in der Regierungsverantwortung standen
– das ist noch gar nicht so lange her –, bestand die Gefahr,
die Grenze von 5 Millionen registrierten Arbeitslosen zu
überschreiten. Das versuchen Sie wohl gänzlich auszu-
blenden.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Schwätzer! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Es ist doch wohl nicht zu leugnen, dass in einer be-
stimmten Phase 5 Millionen Arbeitslose realistisch er-
schienen, auch wenn diese Grenze dann nicht überschrit-
ten wurde.

Gemessen an dieser Ausgangssituation hat diese Ko-
alition beachtliche Veränderungen durchsetzen können.




Dr. Christa Luft
15134


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie können doch gar nicht bestreiten, dass die Trend-
wende auf dem Arbeitsmarkt erreicht ist; Herr Eichel hat
die Zahlen dazu genannt. Wir sind dabei, die Lasten ab-
zutragen, die Sie angehäuft haben. Das gilt auch für an-
dere Themen, die in diesen Tagen eine Rolle spielen. So
ist es doch auch dreist, uns im Zusammenhang mit der
Bundeswehrreform Vorwürfe zu machen. Auch die Bun-
deswehrreform zeigt: Wir machen das, was Sie liegen
ließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass dies
keine einfache Aufgabe ist.

Die gesamtwirtschaftlichen Daten sind insgesamt
durchaus positiv: Das Preisniveau ist stabil. Das Wirt-
schaftswachstum ist auch weiterhin beachtlich. Die hohen
Exportzahlen sprechen eine klare Sprache. Die Arbeitslo-
sigkeit geht zurück. Die Steuer- und Abgabenbelastung
sinkt. Aber ich füge hinzu: Es ist nicht befriedigend, dass
wir in Deutschland Regionen haben, in denen es nach wie
vor große Beschäftigungsprobleme gibt; das sind vor al-
lem weite Teile in Ostdeutschland. Das will und kann nie-
mand leugnen. Es gibt aber auch in den alten Bundeslän-
dern Regionen, die einen gravierenden Strukturwandel
durchmachen und ebenfalls hohe Arbeitslosenzahlen auf-
weisen.

Aber lassen Sie uns das ganz realistisch betrachten:
Welche Handlungsmöglichkeiten waren überhaupt nach
dem Regierungswechsel gegeben und was ist gemacht
worden? Wir haben den richtigen Rahmen gesetzt: durch
unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik, durch die stetige
Sanierung der öffentlichen Haushalte, mit einer klaren
und verlässlichen Perspektive in der Steuerpolitik, durch
die begonnene Anpassung der sozialen Sicherungssys-
teme an die ökonomischen und demographischen Erfor-
dernisse von Gegenwart und Zukunft sowie mit der nach-
haltigen Begrenzung von Sozialabgaben. Das machen wir
so weiter.

Wir werden in diesem Jahr bei den Verhandlungen über
die Bund-Länder-Finanzbeziehungen und insbesondere
über die Fortführung des Solidarpaktes über das Jahr 2004
hinaus die Voraussetzungen dafür schaffen, dass den
strukturell schwächeren Ländern Deutschlands weiterhin
die Möglichkeit gesichert wird, Anschluss an die Gesamt-
entwicklung zu finden.

Die Forderung von Herrn Ministerpräsident Vogel
nach einem 40-Milliarden-DM-Sonderförderpro-
gramm Ost ist leider deshalb nicht verhandelbar, weil die
von ihm vorgeschlagene Finanzierung dieses Programms
nicht seriös ist. Das weiß auch jeder, der sich damit ein
wenig auskennt; Herr Merz hat ja offenbar den Brief von
Herrn Schwanitz gelesen, in dem im Einzelnen darauf Be-
zug genommen wird. Man kann jetzt, nachdem wir im
Konsens aller Parteien etwas anderes festgelegt haben,
nicht einfach fordern, den Gewinn der Deutschen Bun-
desbank jenseits von 7 Milliarden DM anders zu verwen-
den. Ähnliches gilt auch für andere Finanzierungsvor-
schläge von Herrn Vogel. Das heißt, dieses Programm ist
nicht seriös finanziert und deswegen nicht im ostdeut-

schen Interesse. Im ostdeutschen Interesse kann nur etwas
sein, was anschließend konkrete Handlungsmöglichkei-
ten bietet, nicht aber etwas, was man nur in Aussicht stellt,
was sich aber nicht konkret umsetzen lässt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wäre der Sache schon sehr dienlich, wenn Herr
Vogel oder auch Herr Nooke oder wer auch immer uns da-
bei helfen würden, über die Parteigrenzen hinweg die an-
gemessene Fortführung des Solidarpaktes zu gewähr-
leisten. Ich bin mir nämlich überhaupt nicht sicher, ob die
Herren Stoiber, Koch und Teufel, die ja derzeit das
Machtzentrum in der Union darstellen, mit ihren vehe-
ment vorgetragenen Vorstellungen über die Zukunft des
bundesstaatlichen Finanzausgleichs ernsthaft bereit sind,
ihrer gesamtdeutschen Verantwortung nachzukommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, das tun sie nur verbal. Tatsächlich geht es ih-
nen, meine Damen und Herren, um puren Eigennutz.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)


– Um puren Eigennutz, Herr Michelbach. Es soll mehr
Geld in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg bleiben
und dafür weniger nach Ostdeutschland fließen. Das ist
der Kern der Politik, die Sie zu verantworten haben.


(Beifall bei der SPD)

Die Position der SPD in dieser Frage ist eindeutig:

Trotz aller erkennbaren Aufbauerfolge wird unstreitig
anerkannt, dass es in den neuen Ländern noch erhebli-
che Infrastrukturdefizite und noch immer gravierende
teilungsbedingte Sonderlasten gibt. Deswegen werden
wir die bewährten Instrumente des Solidarpakts, die
Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen und das
Investitionsförderungsgesetz, ergänzt durch Mittel der
Gemeinschaftsaufgaben, durch Mittel der europäischen
Strukturfonds und durch alles, was dazu gehört, sowie den
gezielten Einsatz von Bundesinvestitionen so wie bisher
fortführen und da noch verstärken, wo es erforderlich ist,
um eine Mezzogiorno-Situation zu verhindern. Das ist un-
sere Linie; für sie stehen die Sozialdemokraten hier im
Deutschen Bundestag, nicht für das, was Sie durch die
Vorstöße von Koch, Stoiber, Teufel und wie sie alle heißen
mitzuverantworten haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein letztes Wort zum Mittelstand – weil Herr Merz
auch darauf zu sprechen kam; aber auch die ständige Wie-
derholung macht es nicht richtig –: Durch unser Steuer-
senkungsgesetz nebst Ergänzungsgesetz entsteht eine
Entlastung um 62,5 Milliarden DM. Davon entfallen auf
Private 32,6 Milliarden DM, auf Großunternehmen
6,8 Milliarden DM und auf den Mittelstand 23,1 Milliar-
den DM. Deshalb ist es richtig, was die Beratungsgesell-
schaft Arthur Andersen im Auftrag des „Handelsblatts“
festgestellt hat „Der Mittelstand wird nicht benachteiligt.“
Er wird jedenfalls nicht durch diese Steuerreform




Joachim Poß

15135


(C)



(D)



(A)



(B)


benachteiligt. Der Mittelstand wurde systematisch durch
die Politik benachteiligt, die nun wirklich Sie zu verant-
worten haben. Dadurch ist die Schieflage zulasten des
Mittelstandes entstanden, meine Damen und Herren, und
auch da müssen wir Aufräumarbeiten leisten – im Inte-
resse der Handwerksmeister, im Interesse des Mit-
telstandes. Das werden wir in den nächsten Jahren so fort-
setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415501500
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415501600
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirt-
schaftsbericht ist ein Dokument der Selbstzufriedenheit
dieser Bundesregierung. Vielleicht war es diese Selbstzu-
friedenheit, die den Bundeskanzler am Wochenende
veranlasste, zu verkünden, dass er bis zur Wahl die Ar-
beitslosigkeit auf 3 Millionen Beschäftigungssuchende
zurückführen will. Er hat sich einen Tag später leider wie-
der korrigiert. Er hat wohl gewusst, warum.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wie war das?)


Es mehren sich vielmehr die Anzeichen dafür, dass die
objektive wirtschaftliche Lage längst nicht so gut ist, wie
uns von der Bundesregierung glauben gemacht werden
soll. Das gilt vor allen Dingen für die Lage im deutschen
Mittelstand.

Wir hatten bereits im letzten Jahr einen massiven
Rückgang des Wirtschaftswachstums zu verzeichnen.
Nach 3,7 Prozent im ersten Quartal, 3,5 Prozent im zwei-
ten Quartal und gerade noch 2,8 Prozent im dritten Quar-
tal waren es im vierten Quartal des letzten Jahres nur noch
1,9 Prozent Wachstum.

Die Abkühlung der Konjunktur in den USAund der et-
was stärkere Euro werden nicht spurlos an der deutschen
Exportwirtschaft vorübergehen; sie werden die konjunk-
turellen Auftriebskräfte weiter schwächen. Ob das
Wachstumsziel von 2,75 Prozent in diesem Jahr erreicht
wird, ist deshalb ernstlich zu bezweifeln.

Stattdessen steigen die Preise immer stärker. Im Fe-
bruar verteuerte sich die Lebenshaltung in Deutschland
um 2,7 Prozent und damit so stark wie seit sieben Jahren
nicht mehr. Die Regierung hat zweifellos mit ihrer dritten
Stufe der Ökosteuer dazu massiv beigetragen.

Es ist schon beängstigend, mit welcher Schnelligkeit
die Preise in Deutschland steigen. Noch bei der Steuer-
schätzung im Mai letzten Jahres ging man von einer In-
flationsrate von nur 0,7 Prozent für das Jahr 2000 aus, um
dann bei 1,9 Prozent zu landen.

Mit der Beschleunigung des Preisanstiegs schwinden
die Aussichten auf eine deutliche Zinssenkung durch die
EZB, die reale Kaufkraft sinkt. Zugleich wächst die Ge-
fahr, dass es bei den Löhnen Zweitrundeneffekte gibt, die

die Preisstabilität weiter untergraben würden. Wenn, wie
am Wochenende geschehen, führende Gewerkschafter
eine harte Tarifrunde ankündigen, dann hat das auch da-
mit zu tun, dass beim Abschluss der Tarifverträge im letz-
ten Jahr, die für zwei Jahre gelten, niemand mit einem der-
art dramatischen Anstieg der Preise in Deutschland
rechnen konnte.

Offenbar bleibt auch das Ökosteueraufkommen
hinter den Erwartungen zurück. Dass Staatssekretär
Zitzelsberger in der „Berliner Zeitung“ – offenbar er-
schreckt – vermerkt, dass die Ökosteuer eine Lenkungs-
wirkung erzeuge, zeigt, dass diese Ökosteuer nur zum Ab-
kassieren geplant war – und zu sonst nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir spüren zunehmend deutlicher, dass die gute Kon-
junktur – im letzten Jahr durch den Export getragen und
durch einen äußerst schwachen Euro begünstigt – nicht
durch eine gute, sich selbst tragende Binnenkonjunktur
gestützt wird.

Wenn die Bundesregierung jemals den Mut und den
Willen zu durchgreifenden Strukturreformen im Sinne
von mehr Wachstum und Beschäftigung gehabt haben
sollte, dann hat sie dieser Mut längst verlassen. Am er-
schreckendsten ist die Reformunfähigkeit der Bundesre-
gierung auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik. Wenn
sich hier etwas bewegt, dann in die falsche Richtung!
Trotz einer insgesamt guten Konjunktur im vergangenen
Jahr ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland weit weniger
stark gesunken als in anderen Ländern der Euro-Zone.
Schon der Sachverständigenrat hat festgestellt, dass in
Deutschland im letzten Jahr fast 5,5 Millionen Menschen
offen oder verdeckt arbeitslos gewesen sind. Das sind
13,2 Prozent. Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt:
Es gibt kein Naturgesetz, wonach es auf Dauer hohe Ar-
beitslosigkeit geben muss. Die Arbeitslosigkeit beträgt
zum Beispiel in den Niederlanden 3 Prozent und in Däne-
mark sowie in den USA 4 Prozent. Der Arbeitsmarkt in
Deutschland – das wird immer deutlicher – ist die Achil-
lesferse der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Friedrich Merz hat heute Morgen dazu Wichtiges gesagt.

(Klaus Lennartz [SPD]: Er hat etwas gesagt! Aber ob es wichtig war, sei dahingestellt!)


Die Erstellung von Diagnosen und Prognosen zur Ent-
wicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde in den letzten zwei
Jahren dadurch erschwert, dass erhebliche Korrekturen an
der amtlichen Erwerbstätigenzahl vorgenommen wur-
den. Allein das Hinzurechnen der 630-Mark-Jobs, die
früher nie mitgerechnet wurden, hat auf einen Schlag zu
2 Millionen mehr Beschäftigten in der Statistik geführt.

Die jetzt vorliegenden Zahlen, die nach hinten korri-
giert wurden, zeigen, dass der Beschäftigungsaufwuchs
bereits 1997 begonnen und sich bis heute fortgesetzt hat.


(Klaus Lennartz [SPD]: Können Sie einmal erklären, was „nach hinten korrigiert“ bedeutet?)





Joachim Poß
15136


(C)



(D)



(A)



(B)


– Hören Sie bitte gut zu und schauen Sie sich einmal die
entsprechenden Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit an. –
Diese Zahlen zeigen aber auch, dass das Arbeitsvolumen
in Deutschland, gemessen in Erwerbstätigenstunden,
1997, 1998 und 1999 zugenommen hat – das hat wohl
mehr mit der alten Regierung als mit der neuen Regierung
zu tun – und dass es im Jahr 2000 zum Stillstand gekom-
men ist. Das deckt sich mit der Feststellung des Sachver-
ständigenrates, dass der Arbeitsmarkt, gemessen in Er-
werbsstunden, im Jahr 2000 zum Erliegen gekommen ist.
Auch das, Herr Poß, finden Sie im Gutachten der Sach-
verständigen. – Das heißt mit anderen Worten: Wir hatten
im letzten Jahr in Deutschland zwar mehr Beschäftigte,
aber deshalb nicht mehr Arbeit.

Ein weiterer Vergleich: Wir hatten im Februar 2001
352 000 Arbeitslose weniger als im Februar 1999. Dieses
Weniger an Arbeitslosen deckt sich exakt mit der Zahl des
Rückgangs beim Erwerbspersonenpotenzial, das in den
Jahren 1999 und 2000 ebenfalls um 350 000 zurückge-
gangen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Das heißt mit anderen Worten: Die Entspannung auf dem
Arbeitsmarkt hängt ausschließlich damit zusammen, dass
mehr ältere Menschen in den Ruhestand gegangen sind,
als junge Menschen in das Erwerbsleben eingetreten sind.
Die jetzige Regierung hat überhaupt keinen Grund, sich
mit angeblichen Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt zu brüs-
ten. Im Gegenteil: Diese Erfolge gibt es nicht.

Für mich sind die Ursachen klar: Wer wie diese Regie-
rung eine Politik gegen den Mittelstand in Deutschland
betreibt, wird auf dem Arbeitsmarkt Schiffbruch erleiden
und keinen Erfolg haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es war und ist der Mittelstand, der in Deutschland zu-
sätzliche Arbeitsplätze schafft. Das war in den 80er-Jah-
ren so, als 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaf-
fen wurden – das bräuchten wir auch heute –; das war in
der Rezession 1993/94 so, als in Betrieben mit weniger als
zehn Beschäftigten 700 000 neue Arbeitsplätze geschaf-
fen wurden, während in der Großindustrie 1,4 Millionen
Arbeitsplätze abgebaut wurden. Und das war auch im
letzten Jahr so: In den kleinen und mittleren Betrieben
wurden 350 000 Arbeitsplätze geschaffen, während in
den 100 größten deutschen Unternehmen 50 000 Arbeits-
plätze abgebaut worden sind. Diese Steuerreform war
– das gehört zur Wahrheit dazu – eine Reform für die
großen Unternehmen, die Kapitalgesellschaften, aber ge-
gen die Unternehmer und Arbeitnehmer in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Sag noch was zu den AfA-Tabellen!)


Herr Eichel und Herr Poß, in diesen Tagen haben die
Arbeitnehmer und die Mittelständler gespürt, dass die Er-
wartungshaltung in Sachen Steuerreform in keiner Weise
durch die Realität gedeckt wird.


(Joachim Poß [SPD]: Das können Sie schon jetzt beurteilen, Anfang März?!)


Die Januar- und Februar-Abrechnungen haben den
Facharbeitern in Deutschland gezeigt, dass sie monatlich
circa 70 bis 90 DM mehr im Geldbeutel haben. Gleich-
zeitig jedoch bekommen die Mieter in diesen Tagen die
Nebenkostenabrechnungen und stellen fest, dass sie auf-
grund der gestiegenen Energiepreise pro Quadratmeter
Wohnfläche und Monat 1 DM mehr zahlen müssen.


(Joachim Poß [SPD]: Auch dafür ist der Finanzminister zuständig? Daran ist Eichel auch schuld?)


Das heißt, Ökosteuer, schwacher Euro und Verteuerung
der Rohölpreise haben die Wirkung der Steuerreform für
die Arbeitnehmer bereits komplett aufgefressen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Da Sie immer sagen, der Mittelstand werde entlastet,

bitte ich Sie, einen Moment nachzudenken: Um wie viel
mehr gilt das erst für den kleinen und mittleren Betrieb in
Deutschland,


(Joachim Poß [SPD]: Der keine Gewerbesteuer mehr zahlt!)


der energieintensiv produziert oder dienstleistet? Denn
darüber hinaus haben diese Betriebe die Abschrei-
bungsverschlechterungen im Zuge der lafontaineschen
Reform sowie die jetzigen Verschlechterungen bei den
AfA-Tabellen zu tragen – Verschlechterungen, die insge-
samt dazu führen, dass im Schnitt circa 20 Prozent mehr
Gewinn zu versteuern sind, ohne dass eine Mark mehr für
Liquidität zur Verfügung stünde oder gar der Eigenkapi-
talanteil verbessert worden wäre. Das Gegenteil ist der
Fall: Der Eigenkapitalanteil sinkt.

Meine Damen und Herren, die Behauptung, dass die
Steuerreform insbesondere den Mittelstand in Deutsch-
land entlastet habe, ist das größte Märchen, das man seit
den Gebrüdern Grimm den Deutschen erzählt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1415501700
Kollege Rauen, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415501800
Ja, bitte schön.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1415501900
Kollege Rauen, bestreiten Sie
die vom Bundesfinanzministerium angegebenen Entlas-
tungen für den Mittelstand von mehr als 23 Milliar-
den DM und können Sie bestätigen, dass in dem Alterna-
tiventwurf der CDU/CSU vom Frühjahr letzten Jahres
ebenfalls Abschreibungsverschlechterungen in Höhe von
3,5 Milliarden DM zur Gegenfinanzierung vorgesehen
waren?


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das kann man gar nicht vergleichen!)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1415502000
Herr Poß, ich bestreite die
Zahlen, mit denen angegeben wird, in welchem Maß der
Mittelstand entlastet wird. Sie müssen sehen – das habe
ich Ihnen schon eben gesagt –: Unternehmer, die Sie nicht




Peter Rauen

15137


(C)



(D)



(A)



(B)


entlasten wollen, und Arbeitnehmer haben denselben
Steuersatz. Beim Arbeitnehmer sind die Erleichterungen
bereits durch die Verteuerungen auf dem Energiesektor
aufgefressen.


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Das gilt natürlich umso mehr für den Unternehmer, der
zudem die Ihnen bekannten Abschreibungsverschlechte-
rungen zu tragen hat.


(Klaus Lennartz [SPD]: Was hat das mit der Steuerreform zu tun? Was wäre passiert, wenn sie nicht gekommen wäre? – Abg. Joachim Poß [SPD] nimmt wieder Platz)


– Wenn Sie schon Fragen stellen, Herr Poß, dann bleiben
Sie bitte auch stehen. Sie wollen ja offenbar schlau
gemacht werden.

Herr Poß, ein mittelständischer Betrieb, der seine Leis-
tungen nur energieintensiv erbringen kann – denken Sie
an Speditionen, an Fuhrunternehmen, an Busunterneh-
men, an Unterglasbaubetriebe –, der wird doch aufgrund
der Energiepreisverteuerungen viel stärker belastet als der
normale Arbeitnehmer. Wenn dieser schon keine Erleich-
terung bekommt, um wie viel mehr muss das für den Mit-
telständler gelten!


(Joachim Poß [SPD]: Ich habe nach den 23Milliarden gefragt! Sie beantworten nicht meine Frage!)


– Sie müssen trotzdem stehen bleiben.

(Joachim Poß [SPD]: Ich habe nach den 23Milliarden und nach den 3,5 Milliarden gefragt! Das müssen Sie beantworten, wenn Sie wollen!)


– Ich will Ihnen erklären, Herr Poß, warum diese Zahlen
nicht stimmen. Sie wollen die Antwort bewusst nicht
hören. Denn Sie verschweigen, dass bei dieser „größten
Steuerreform aller Zeiten“, die von 1998 bis 2005 läuft,
den Menschen letztlich nur das an Steuern zurückgegeben
wird, was ihnen vorher durch die kalte Progression, durch
das Zusammenwirken von Progression und Inflation,
abgenommen worden ist.
Das alles rechnen Sie im Zeitraffer zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie rechnen Entlastungen zu Preisen aus dem Jahr 1998
mit Tarifen des Jahres 2005 auf und geben den Leuten le-
diglich zurück, was im Rahmen der kalten Progression
vorher von ihnen abkassiert worden ist. Das ist das große
Märchen bei dieser angeblich größten Steuerreform aller
Zeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, die Bundesregierung be-
hindert den Mittelstand in Deutschland in seiner Fähig-
keit, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, weil sie die Freiheit
der Unternehmer immer mehr einschränkt. Die Arbeits-
marktpolitik der Bundesregierung geht in die völlig fal-
sche Richtung. Das bescheinigt niemand anderes als der

von der Bundesregierung berufene Sachverständigenrat.
Der Sachverständigenrat benennt dazu das 630-DM-Ge-
setz, die überbürokratisierten Regeln zur Scheinselbst-
ständigkeit, die erneute Regulierung beim Kündigungs-
schutz, die Rücknahme der verminderten Lohnfortzah-
lung, die Schlechtwettergeldregelung und die erneute Re-
gulierung der Energie- und Telekommunikationsmärkte.
Statt den viel zu starren Arbeitsmarkt zu deregulieren, ma-
chen Sie das Gegenteil dessen, was OECD, lnternationa-
ler Währungsfonds, EU-Kommission und der von Ihnen
bestellte Sachverständigenrat Ihnen vorschlagen. Statt-
dessen geht Ihre sozialistische Regulierungswut genau in
die umgekehrte Richtung:


(Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Was?)


Verschlechterung der befristeten Arbeitsverträge, neue
Regelungen zur Altersteilzeit, voraussetzungsloser An-
spruch auf Teilzeitarbeit.

Jetzt wollen Sie auch noch das Betriebsverfassungs-
gesetz gegen den Mittelstand als Waffe in Anschlag brin-
gen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Es geht Ihnen doch gar nicht um Mitbestimmung.
Wenn es darum ginge, würden Sie dafür sorgen, dass Be-
triebe und ihre Belegschaften in eigener Verantwortung
Regelungen treffen können, die Arbeitsplätze sichern und
Beschäftigung mobilisieren, so wie wir von der Union es
vorgeschlagen haben, so wie es teilweise Ihr Wirtschafts-
minister Müller vorgeschlagen hat und so wie es Ihnen der
Sachverständigenrat seit zwei Jahren aufgeschrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die Betriebe und die Menschen in den Betrieben wol-
len diese Regelungen. Indem sie orts- und betriebsnahen
Regelungen zustimmen, machen die Belegschaften und
die Betriebsräte ihren Anspruch geltend, selber darüber zu
bestimmen, was für sie am günstigsten ist. Wer ein solches
Verfahren als Tarifbruch denunziert, spielt sich zum Vor-
mund der Menschen auf. Er spricht ihnen nicht nur das
Recht, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstbestimmung
ab. Das ist mit meiner Vorstellung von einer freiheitlich
verfassten Gesellschaft unvereinbar. Aber das ist bei vie-
len politischen Entscheidungen der große Unterschied
zwischen unserer Partei und Ihrer Partei: Wir bauen auf
den einzelnen Menschen, seine Eigenverantwortung und
seine Fähigkeit, selbst zu entscheiden, was für ihn gut ist,
während Sie die Menschen bevormunden, erziehen und
fremdbestimmen wollen.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie wollen mit diesem Betriebsverfassungsgesetz

keine Mitbestimmung, Sie wollen nur eines: Sie wollen
die Macht der Gewerkschaften und ihrer Funktionäre stär-
ken.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das erklären Sie mal den Leuten!)


Mit dem Wahlverfahren geben Sie ihnen das Instrument
an die Hand, von außen gesteuerte Betriebsräte in den Be-




Peter Rauen
15138


(C)



(D)



(A)



(B)


trieben zu installieren, auch gegen den Willen der Mehr-
heit der Belegschaft.


(Lachen bei der SPD)

Was Sie da vorhaben, ist ein Anschlag auf den Mittelstand
in Deutschland, ein Anschlag auf die unternehmerische
Entscheidungsfreiheit, ein Anschlag auf diejenigen, die
für das zu haften haben, was in den Betrieben geschieht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wir müssen den Arbeitsmarkt aufbrechen. Dazu hat
Friedrich Merz heute Morgen Entscheidendes gesagt.
5,5 Millionen Menschen ohne Beschäftigung, Zunahme
der Schwarzarbeit, 1,5 Millionen offene Stellen und
gleichzeitig über 4,1 Millionen Arbeitslose – das geht ein-
fach nicht mehr zusammen. Hier muss der Arbeitsmarkt
kräftig aufgebrochen werden.


(Zuruf von der SPD: Wie denn?)

– Heute Morgen hat Friedrich Merz dazu Entscheidendes
gesagt. Ich hoffe, Sie haben zugehört.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber nichts verstanden, das ist das Problem!)


– Das ist wohl wahr.
Das gilt insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt

in den neuen Bundesländern. Wir müssen einfach zur
Kenntnis nehmen, dass das Netzwerk an Regulierungen,
das wir in fünf Jahrzehnten geknüpft haben, die jungen
und kapitalschwachen Unternehmen in den neuen Bun-
desländern vielfach erdrückt. Wenn wir in den 50er- und
60er-Jahren in den alten Bundesländern das heutige Re-
gelungswerk schon gehabt hätten, wären wir auch nicht
auf die Beine gekommen. Es fehlt auch in den neuen Bun-
desländern nicht an wagnisbereiten Menschen, die Unter-
nehmen gründen und sich behaupten wollen. Die Zahl der
Unternehmensneugründungen ist in den neuen Bundes-
ländern seit Jahren praktisch konstant. Leider nimmt aber
die Zahl der Unternehmen seit Jahren nicht mehr zu, da
viel zu viele Betriebe nach wenigen Jahren aufgeben müs-
sen, weil sie mit der Dichte an Regelungen und Vor-
schriften einfach nicht fertig werden können.

Es reicht nicht, wenn man – wie diese Bundesregie-
rung – viel von der Neuen Mitte redet, in Sonntagsreden
auf die Bedeutung des Mittelstandes hinweist, man aber
nicht weiß, welche Politik gemacht werden muss, um die
in unserem Volk millionenfach schlummernden Kräfte
freizusetzen und so die Zukunft des Wohlstandes zu si-
chern. Weil diese Regierung das nicht weiß und wohl auch
nicht lernen wird, wird sie nicht nur auf dem Arbeits-
markt, sondern auch bei der Bundestagswahl im nächsten
Jahr verlieren.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415502100
Ich gebe das
Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Kolle-
gen Oswald Metzger.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415502200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man stellt hier
im Gremium immer wieder fest, dass das Niveau der De-
batten in einem direkten Zusammenhang mit bevorste-
henden Wahlen steht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und das wird jetzt bei Ihnen anders?)


Hierin fühlte ich mich heute wieder bestätigt, als ich die
rheinland-pfälzische Einfalt Brüderle gehört habe, dessen
einfache Logik in etwa so lautete: SPD, nimm die F.D.P.
als Koalitionspartner, dann sinken die Arbeitslosenzah-
len, dann sinkt die Staatsverschuldung, dann haben wir
keine Probleme mehr!

Gerade Sie, Kollege Brüderle, müssen sich sagen las-
sen: Die F.D.P. hat als Regierungspartei 29 Jahre lang die
wirtschaftspolitische Entwicklung auf Bundesebene mit-
bestimmt.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Warum haben Sie heute das rote Jäckchen an?)


Sie, Kollege Brüderle, sind zum Beispiel für einen An-
stieg der Lohnnebenkosten in dieser Zeit um über 14 Pro-
zent, für eine Verzehnfachung der Staatsschulden auf
Bundesebene, für einen Anstieg der Steuerquote sowie für
die Mitnahmeeffekte der heimlichen Steuererhöhungen,
von denen der Kollege Rauen gesprochen hat, verant-
wortlich. Dies sind die Fakten.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Kuckuck!)

Sich hier hinzustellen, sich aufzublasen und den Eindruck
zu erwecken, als wären die Liberalen sozusagen die
Gralshüter der mittelstandsfreundlichen Politik, der Ar-
beitnehmer, der Beschäftigung, ist deshalb grotesk.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Saal tobt! – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie sind es jedenfalls nicht, Herr Metzger!)


Kollege Merz, wenn Sie die ernsthaften Auguren hören
und sich auch die Tagesberichte aus dem Umfeld der In-
stitute, der volkswirtschaftlichen Abteilungen der Spar-
kassenorganisationen zu den wirtschaftspolitischen Fak-
ten ansehen, müssen Sie feststellen, dass alle sagen: Die
Wachstumsdynamik hat sich gegenüber dem letzten
Jahr verlangsamt – keine Frage –, aber das weltwirt-
schaftliche Umfeld ist ein Umfeld, für das weder Sie in
der Vergangenheit etwas konnten noch wir jetzt etwas
können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber als es positiv war, haben Sie es für sich in Anspruch genommen!)


Jetzt haben wir in Deutschland folgende Situation: Weil
die deutsche Regierung der Volkswirtschaft, den Unter-
nehmen wie den Arbeitnehmern, durch die Steuerreform
1 Prozent Entlastung, gemessen am Bruttoinlandspro-
dukt, gibt, hat die deutsche Volkswirtschaft überhaupt nur
die Chance, mit einem relativ robusten Wachstum dazu
beizutragen, dass sich der Euro-Raum insgesamt von




Peter Rauen

15139


(C)



(D)



(A)



(B)


der Entwicklung abkoppelt, die wir derzeit in den USA
beobachten können.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Innerhalb Europas liegen wir auf dem drittletzten Platz!)


Das ist keine Frage. Deshalb muss man nicht schwarz ma-
len, muss auch nicht in regierungsamtlichen Optimismus
verfallen. Unser Land befindet sich in einer robusten Ver-
fassung und das lässt sich belegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Gesichtspunkt, den Sie von der Opposi-

tion alle unterschätzen, ist der: Die Bürgerinnen und Bür-
ger in unserer Gesellschaft wissen, dass ein Staat, der in
die Verschuldung marschiert – wie wir es über Jahr-
zehnte gemacht haben, egal, wer regiert hat –, seinen Bür-
gerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft ständig mehr
Steuern abnehmen muss, um allein die Zinsen bedienen
zu können. Als wir 1998 antraten und die von Union und
F.D.P. hinterlassene Erbmasse übernahmen, betrug der
Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des
Bundeshaushaltes 18 Prozent. Die Steuerquote, die be-
sagt, wie viel die Bürgerinnen und Bürger für Zinsausga-
ben bezahlen müssen, lag bei fast 25 Prozent. Deshalb ist
für eine solide Politik genau die Linie Voraussetzung, die
der Finanzminister vertritt. Die Koalitionsfraktionen wol-
len die Verschuldung senken. Diesen Prozess setzen wir
trotz aller Mühen fort, um den Menschen langfristig mehr
Geld in der Tasche lassen zu können. Glauben Sie, die seit
dem 1. Januar dieses Jahres geltende Steuerreform, die Sie
so gering schätzen, wäre ohne die Konsolidierung mög-
lich gewesen? – Natürlich nicht.

Kollege Rauen, was mich gerade bei Ihnen als Unter-
nehmer ärgert: Wenn Sie einmal die Mittelstandsvereini-
gung der CDU/CSU außen vor lassen, dann müssen Sie
doch wissen, dass die Unternehmer bei fast allen
Veranstaltungen quer durch die Republik und auch die In-
dustrie- und Handelskammern diese Steuerreform loben.
Viele Mittelständler werden am 10. März, dem großen
Steuertermin, merken, dass sie als Personengesellschaft
durch die Steuerreform dieser Koalition faktisch keine Ge-
werbeertragsteuer mehr bezahlen müssen. Daher kommt
ein erheblicher Teil der Entlastungswirkung der Steuer-
reform dem Mittelstand zugute. So sehen die Fakten aus.

An die Opposition und besonders an Friedrich Merz
gerichtet: Warum haben Sie offensichtlich vergessen, dass
diese Koalition eine Rentenreform verabschiedet hat, die
bei der Ausgabenstrukturbegrenzung im Kern in die Rich-
tung geht, die Sie früher selber gefordert haben? Warum
Sie jetzt gegen diese Reform sind, versteht doch kein
Mensch. Dass unsere Koalition – das ist im Bundesrat
eine strittige Position – den Einstieg in die Kapital-
deckung bei der Rente schafft, ist ein Beitrag dazu, den
jahrzehntelangen Reformstau Ihrer Regierungszeit auf-
zulösen. Das sind Projekte, die die Rahmenbedingungen
für volkswirtschaftliche Dynamik in Deutschland verbes-
sern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können uns natürlich die Überregulierung des

Arbeitsmarktes vorwerfen. Bei dieser Debatte haben Sie
mich sofort auf Ihrer Seite. Aber was haben Sie in den

16 Jahren Ihrer Regierungszeit getan, in Zeiten, in denen
die Arbeitslosigkeit nominal deutlich höher war als in un-
serer Regierungszeit? – Sie haben von Mittelstandspolitik
geredet und das Gegenteil getan. Wir bemühen uns, die
Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu stärken, bei-
spielsweise beim Mittelstand und beim Handwerk, die in
der Tat mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
die Leistungsträger unserer Volkswirtschaft sind.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was habt ihr in dem ersten halben Jahr nach eurem Regierungsantritt gemacht? Genau das Gegenteil!)


Ich will zum Thema Betriebsverfassungsgesetz die
Debatte ein wenig versachlichen. Wenn Umfragen sagen,
dass in 86 Prozent aller Unternehmen die Arbeit der Be-
triebsräte eine volkswirtschaftlich positive Konsequenz
hat, dann kommt doch kein Arbeitgeber an dieser Tatsa-
che vorbei. Dass deshalb die Mitbestimmung in Deutsch-
land darüber hinaus zur sozialen Stabilität in der Gesell-
schaft beiträgt, versteht sich von selbst. Soziale Sicherheit
in einer Gesellschaft ist ein volkswirtschaftliches Krite-
rium für wirtschaftliche Prosperität. Menschen, die ver-
unsichert sind und nichts mit entscheiden dürfen, sind
weniger produktiv. Das weiß man.

Wenn man außerdem den Tarifvorrang infrage stellte
– dies ist die Forderung der F.D.P. –, dann bedeutete diese
Diskussion im Extremfall, die Lohnfindung nur auf die
Ebene des Betriebs zu verlagern. In einer ausdifferen-
zierten Volkswirtschaft wäre es fatal, die Lohnfindung al-
lein auf die Einzelbetriebe zu verlagern, weil es durch
ständige Streiks und Arbeitskämpfe zu einer Stilllegung
unserer Volkswirtschaft kommen würde. Deshalb müssen
wir einen Mittelweg wählen. Das haben wir getan.

Unsere Fraktion hat den Wirtschaftsminister unter-
stützt, der mit dem Arbeitsminister einen Kompromiss ge-
sucht hat, bevor die Kabinettsentscheidung über die
Bühne ging. Ich finde, diesen Kompromiss kann man im
Gesetzgebungsverfahren auch unter Berücksichtigung
des Verhältniswahlrechtes in der Öffentlichkeit und auch
bei der Unternehmerschaft durchaus vertreten. Man darf
nicht schwarz-weiß malen, sondern muss ehrlich sagen:
Die Volkswirtschaft lebt von verschiedenen Stellgrößen.
Wir bemühen uns, diese verschiedenen Stellgrößen in ein
Verhältnis zu bringen, das zu mehr Wachstum und Be-
schäftigung in unserer Volkswirtschaft führt. Das geht nur
mit einer soliden Finanzpolitik, einer Politik, die langfris-
tig Unternehmen und Arbeitnehmern weniger Steuern
aufbürdet, und mit einer Reform der sozialen Sicherungs-
systeme, die die Lohnnebenkosten senkt.

Das ist die einfache ordnungspolitische Wahrheit. Sich
an ihr zu orientieren ist im politischen Prozess mühsam.
Daher müssen sich alle auf ihrer Ebene in diesem Haus
darum kümmern. Wir arbeiten daran.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415502300
Das war
eine Rede nach § 33 der Geschäftsordnung. Das möchte
ich hervorheben.




Oswald Metzger
15140


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich gebe nun das Wort der Kollegin Dr. Barbara Höll
für die Fraktion der PDS.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1415502400
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir diskutieren über den Jahres-
wirtschaftsbericht, das grundlegende politische Doku-
ment der Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre. Herr
Eichel hat ihn vorgestellt. Herr Eichel wird oftmals als der
höchste Kassenwart der Republik bezeichnet. Ich denke,
er ist sicher ein guter Kassenwart. Allerdings wäre ich als
Politikerin über ein solches Lob nicht besonders erfreut;
denn es bedeutet gleichermaßen, dass er sich, wie die
Bundesregierung, ein Stück weit von der Wirtschaftspoli-
tik verabschiedet hat.

Dieser Jahreswirtschaftsbericht stellt nicht mehr die
politische Frage, wie wollen wir leben – wie es Erhard
Eppler ausgedrückt hat –, sondern es geht nur noch da-
rum: Wie haben wir zu leben, damit wir wettbewerbsfähig
sind?


(Beifall bei der PDS)

Was es noch zwischen dem Markt und dem Homo oecono-
micus gibt, wird unterschlagen und als hinderlich empfun-
den. Genau das ist das Problem Ihrer Wirtschaftspolitik.

Sie versprechen letztendlich mit Blick auf die nähere und
weitere Zukunft auf der Basis der wissensorientierten Ge-
sellschaft – die Sie nur noch im Sinne von Informations-,
Bio- und Gentechnologie verstehen –, dass dann alles gut
wird. Alle Probleme werden gelöst sein. Mit diesem Ver-
sprechen sind Sie bereit, die sozialen Ungerechtigkeiten in
diesem Lande und weltweit in der Gegenwart und damit
auch in der Zukunft zu akzeptieren. Sie akzeptieren, wie der
britische Historiker Gray sagt, die tägliche Katastrophe auf
diesem Erdball. Sie haben das eindeutig im Jahreswirt-
schaftsbericht geschrieben: Wenn Menschen trotz eigener
Anstrengungen den Anforderungen der Wissensgesellschaft
nicht mehr gewachsen sind, dann ist es notwendig, eine
zielgerichtete soziale Unterstützung zu leisten.

Es wird nicht mehr die Frage gestellt: Wozu brauchen
wir das Wissen, wozu brauchen wir die Wirtschaft? Heute,
am Internationalen Frauentag, sehen wir das Problem klar:
Wir haben im vergangenen Jahr eine Unternehmen-
steuerreform für dieses Land verabschiedet, welche auf
kolossalen Risiken basiert, die sich jetzt bezüglich der
Selbstfinanzierungseffekte zeigen. Das Wirtschaftswachs-
tum wird in diesem Jahr nicht 2,75 Prozent betragen und
sich auch nicht in dem Korridor, den Herr Eichel nannte,
bewegen, sondern es wird, wie das Kieler Ifo-Institut heute
verkündete, höchstens 2,1 Prozent betragen. Das heißt, die
ohnehin fragwürdigen Selbstfinanzierungseffekte können
nicht mehr eintreten. Es sind Fehlkonstruktionen in dieser
Reform enthalten. Ein Beispiel dafür ist, dass die Steuer-
hinterziehung der Organschaft weiterhin legal möglich
sein wird, indem man Veräußerungsgewinne steuermin-
dernd einstellen wird.

Diese Steuerreform haben Sie mit Ihrer Mehrheit mit
Blick auf wahnsinnige Risiken verabschiedet. Es musste
aber eine Steuerreform zur Entlastung der großen Kon-
zerne durchgezogen werden, um diese globalisierungs-
fähig zu machen. Ich frage Sie heute, am Internationalen

Frauentag: Wo ist Ihr Ansatz für Familien- und Kinder-
politik?


(Beifall bei der PDS)

Die Kinderbetreuung diskutieren Sie nur vor dem Hin-
tergrund der Kassenlage – sie darf höchstens 7 Milliar-
den DM kosten – und nicht aus der Zielstellung heraus,
dass es notwendig ist, den Kindern in unserer Gesellschaft
eine wirklich gesicherte Zukunft zu bieten und ihnen
Rechte einzuräumen. Das gilt auch für das Recht auf eine
kostenfreie Kinderbetreuung. Da können Sie sich ein Bei-
spiel an Frankreich nehmen. In Frankreich hat jedes Kind
ab drei Jahre das Recht auf eine kostenfreie Betreuung
und diese wird auch realisiert. Wir sind hier ein absolutes
Entwicklungsland.

Sie akzeptieren mit Ihrer Wirtschaftspolitik die sozia-
len Ungerechtigkeiten und die Polarisierungen in dieser
Gesellschaft. Letztendlich geht der Streit bei Ihnen nur
darum, wer am schnellsten und konsequentesten auf den
neoliberalen Wirtschaftskurs eingeschwenkt ist. Das ist
keine Politik, die mit Demokratischen Sozialistinnen und
Sozialisten zu machen ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415502500
Das Wort
hat nunmehr der Bundesminister für Wirtschaft und Tech-
nologie, Dr. Werner Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Lassen Sie mich, nachdem schon manches Grund-
sätzliche gesagt wurde, mit einem Zweig unserer Wirt-
schaft, an den weniger gedacht wird, anfangen. Nicht
zuletzt, weil gerade sehr erfolgreich in Berlin die Interna-
tionale Tourismus-Börse stattgefunden hat, nenne ich den
Tourismus, einen Wirtschaftszweig, der in diesem Lande
280 Milliarden DM umsetzt und in dem annähernd 3 Mil-
lionen Menschen beschäftigt sind. Er ist damit ein wirk-
lich großer Wirtschaftszweig.

Im letzten Jahr hatte er erfreuliche Zuwachsraten: Aus-
länder haben 10 Prozent und Inländer 6 Prozent mehr
Übernachtungen in Deutschland gebucht. Der Generalse-
kretär der Welttourismusorganisation, Herr Frangialli, hat
am Montag in der „Welt“ dazu Folgendes gesagt:
„Deutschland hat als Reiseziel eine hervorragende Leis-
tung hingelegt.“


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ganz anders, Herr Merz, scheint das ja Ihre Fraktion zu
sehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Miesmacher!)

Sie haben für den Tourismusstandort Deutschland SOS
ausgerufen und haben sogar eine Postkartenaktion ini-
tiiert. Meine Postkarte ist schon etwas zerknittert, weil sie
bereits im Papierkorb war.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie angesichts der Leistungen des deutschen Tou-
rismus von einem SOS für den Tourismusstandort
Deutschland sprechen, sage ich Ihnen ganz klar: Das ist
eine Beleidigung für die Leistungen der Menschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


SOS für den Tourismusstandort Deutschland müssen Sie
erst dann ausrufen, wenn Sie als Fraktion anfangen, Feri-
enwohnungen zu vermieten.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Mit Schwarzgeldern finanziert!)


Ich habe mit diesem Beispiel angefangen, weil wir hier
das Vorbild eines schnell und dynamisch wachsenden
Wirtschaftszweiges haben. Diese Tatsache scheint bei Ih-
rer Beobachtung völlig unterzugehen. Dieser Realitäts-
verlust in der Betrachtung der Dinge gibt mir doch zu den-
ken, nicht zuletzt deshalb, weil er mit einer statistischen
Betrachtung gepaart ist, die unter Ihrer Würde ist, Herr
Merz. Wenn Sie von einem Vergleich der Arbeitslosen-
zahlen zwischen früher und heute reden, können Sie nicht
irgendwelche Monatswerte nehmen, sondern müssen den
Februar 1998 mit dem Februar 2001 vergleichen. Wir hat-
ten im Februar 1998 4,819 Millionen Arbeitslose und im
Februar 2001 4,1Millionen Arbeitslose. Das sind 700 000
weniger. Das ist ein korrekter Vergleich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir über einen Realitätsverlust oder über eine
bewusst falsche Darstellung der Fakten sprechen, frage
ich mich wirklich: Was nützt es eigentlich, wenn wir mit
Unterstützung von viel Sachverstand, insbesondere aus
der deutschen Wirtschaft, sagen, wir haben in diesem Jahr
nach bestem Wissen und Gewissen mit 2,7 bis 2,8 Prozent
Wirtschaftswachstum zu rechnen? Warum müssen Sie
in Ihrer Rede nur negative Möglichkeiten erwähnen und
diese Wachstumspotenziale kaputtreden?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Miesmacher!)


Ich habe fast den Eindruck, dass es Sie stört – offenbar
sind Sie so egoistisch –, wenn unser Wachstum doppelt so
hoch ist wie das während Ihrer Regierungsperiode.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


– Das stimmt. – Sie sollten doch froh sein, dass wir in den
ersten vier Jahren unserer Regierung beim Zuwachs des
Bruttoinlandsproduktes einen absoluten Zuwachs in der
Größenordnung hinbekommen wie Sie zuletzt innerhalb
von acht Jahren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus meiner Sicht haben Sie als Opposition die Auf-
gabe, die Fakten so zu nehmen, wie sie sind, und nicht lau-
fend schlecht zu reden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und Ihre Schönrederei zu stoppen!)


Darauf aufbauend sollten Sie dem Bürger dann bessere
Konzepte vorstellen. Das ist das, was die Bürger erwar-
ten. Wenn Sie offensichtlich keine besseren Konzepte
vorlegen können, können Sie als Konsequenz daraus nicht
alles kaputtreden. Das ist unverantwortlich!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Zu welcher Rede sprechen Sie eigentlich?)


– Herr Schauerte, das gilt auch für Sie und ganz besonders
für Herrn Brüderle. – Lassen Sie in Ihren Reden doch die
Mischung von „scheintot“ und „scheinheilig“


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nach diesem Wortpaar haben Sie lange gesucht!)


und werden Sie Ihrer wirtschaftspolitischen Verantwor-
tung gerecht! Reden und handeln Sie für die Chancen der
deutschen Unternehmen und nicht gegen die Chancen der
deutschen Unternehmen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte Ihnen das am Beispiel der Deutschen Post
verdeutlichen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zum Thema!)


Unsere traditionelle gelbe Post hat sich enorm gemausert
und hat alle Voraussetzungen, um auf dem Weltmarkt
chancenreich zu sein. Der Weltlogistikmarkt ist wirklich
der Zukunftsmarkt. Ich möchte, dass die Deutsche Post
als Global Player im dortigen Konzert mitspielt.


(Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dagegen hat keiner etwas!)


Mitspielen wollen auch die Staatsmonopolisten beispiels-
weise aus Frankreich oder England. Ich sehe überhaupt
nicht ein, dass unsere Post angesichts der globalen He-
rausforderung, die auf sie zukommt, nicht als Global
Player auf diesem Weltmarkt mitspielen soll, weil Sie sie
national zerschlagen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer redet denn davon? Das ist doch Unsinn! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Bleiben Sie beim Tourismus! Lächerlich!)


– Natürlich reden Sie davon. – Soll die Deutsche Post
denn auf dem deutschen Markt der Konkurrenz ausländi-
scher Staatsmonopolisten ausgesetzt sein? Das wäre doch
rundum ein unfairer Wettbewerb, wozu ich Ihnen einfach
sage: mit mir nicht!


(Beifall bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Verhandeln Sie in Europa!)


Mich beeindruckt es null, wenn sich irgendwelche
Leute aus Ihrer Fraktion irgendwelche Gutachten von den
Konkurrenten der Deutschen Post bezahlen lassen. Mich
beeindruckt schon wesentlich mehr, dass Sie diese be-




Bundesminister Dr. Werner Müller
15142


(C)



(D)



(A)



(B)


stellten und bezahlten Gutachten zur Basis Ihrer Politik
machen.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Seien Sie ein bisschen vorsichtig, Herr Minister!)


– Ich bin vorsichtig. Ich weiß, wovon ich rede.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann nennen Sie die Namen! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Namen nennen! – Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wer hat die Gutachter bezahlt? Welches Gutachten ist von den Konkurrenten der Deutschen Post bezahlt worden, das wir von der Union zur Grundlage unserer Politik gemacht haben?)


– Fragen Sie doch einmal Ihre Leute, von denen in der
letzten Zeit in der Presse zu lesen gewesen ist. Dann wis-
sen Sie das. Ich lese doch auch Zeitung.


(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: So primitiv können Sie in diesem Hause nicht argumentieren! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Beruhigen Sie sich doch! Ich weiß gar nicht, warum Sie
sich so aufregen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415502600
Herr Minis-
ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Uldall?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415502700
Herr Minister, ange-
sichts des schweren Vorwurfs, den Sie eben erhoben ha-
ben, nämlich dass sich unsere Fraktion ein Gutachten, das
zur Entscheidungsgrundlage unserer Politik geworden
sein soll, von einem Unternehmen habe bezahlen lassen,
bitte ich Sie nachdrücklich, jetzt klar Ross und Reiter zu
nennen, wer ein solches Gutachten hat anfertigen lassen
und wo ein solches Gutachten bei uns zur Ent-
scheidungsgrundlage geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich habe ausdrücklich nicht gesagt, dass
sich Ihre Fraktion irgendein Gutachten von den Konkur-
renten der Deutschen Post hat aufschwätzen lassen. Ich
bitte, sich auf das zu beziehen, was ich gesagt habe.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann wiederholen Sie es!)


Sie wissen, dass ein Mitglied Ihrer Fraktion ein Gutach-
ten von Konkurrenten der Deutschen Post hat erstellen
lassen. Sowohl diese Postkonkurrenten als auch das be-
treffende Mitglied Ihrer Fraktion sind im Zusammenhang
mit diesem Gutachten breitflächig in den deutschen Zei-
tungen vertreten gewesen. Das hat sich sogar bis nach

Hessen herumgesprochen. Ich habe gestern einen Brief
des hessischen Wirtschaftsministers


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Guter Mann!)

bekommen, in dem mir mit Bezug auf das von einem Mit-
glied Ihrer Fraktion in Auftrag gegebene Gutachten er-
klärt wird, dass aus Sicht der CDU dieses und jenes auf
dem Postmarkt unbedingt zu geschehen habe. Alles, was
Sie jetzt sagen, deckt sich völlig mit dem, was in dem Gut-
achten verbreitet wurde.


(Beifall bei der SPD)

– Herr Uldall, ich freue mich ja und bin regelrecht beru-
higt, wenn Sie diese Gutachten zur Verlängerung des
Postmonopoles – darauf wollte ich gleich noch zu spre-
chen kommen – als nicht existent betrachten. Dafür bin
ich Ihnen dankbar.


(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Wir kennen es gar nicht! Dann können wir es auch nicht zur Grundlage unserer Politik machen!)


– Ich bin gerne bereit, Ihnen meine Presseausschnitte zum
Lesen zu geben, Herr Uldall.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sind Presseausschnitte Grundlage Ihrer Politik?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415502800
Herr Minis-
ter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle-
gen Uldall?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Aber gern.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415502900
Herr Minister, können
Sie einmal erklären, wie meine Fraktion ein Gutachten zur
Entscheidungsgrundlage machen kann, wenn weder mir
als zuständigem Sprecher für Wirtschaftspolitik – dazu
gehört auch die Postpolitik – noch offensichtlich meinen
hier versammelten Kollegen dieses Gutachten bekannt ist?


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Nicht bekannt!)

Wie kann ein solches Gutachten überhaupt Grundlage un-
serer Entscheidungsfindung sein? Können Sie das bitte
erläutern?


(Lachen bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Lesen Sie doch einmal die Zeitung!)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie: Nein, das kann ich Ihnen nicht erläutern.


(Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Setzen! Sechs!)


Ich bin sofort bereit, mich zu korrigieren, weil ich erst
eben erfahre, dass dieses Gutachten, das mir von allen
möglichen Leuten – wie gesagt, auch von Mitgliedern Ih-
rer Partei – mit der Bitte ins Haus geschickt wird, ja nichts
an den Gesetzen zu ändern und das Postmonopol enden zu
lassen, Ihnen völlig unbekannt ist.




Bundesminister Dr. Werner Müller

15143


(C)



(D)



(A)



(B)



(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Aber Sie können es uns zuschicken! Das wäre ganz nett!)


Das begrüße ich. Denn das Gutachten ist nicht richtig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415503000
Es gibt, Herr
Minister, den Wunsch nach einer weiteren Zwi-
schenfrage.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja. Ich habe Zeit.


Gunnar Uldall (CDU):
Rede ID: ID1415503100
Herr Minister, sind Sie
denn bereit, uns dieses Gutachten zur Verfügung zu stel-
len, damit wir es überhaupt kennen?


(Lachen bei der SPD)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Uldall, das mache ich sehr gerne,
wenn Sie mir im Gegenzug versprechen, es hernach weg-
zuwerfen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Zum Ernst der Sache zurück: Ich werde in allernächs-

ter Zeit das Bundeskabinett um Zustimmung zu einer Ge-
setzesänderung bitten, die nur aus einer einzigen Zeile be-
steht. Wir werden das Postmonopol von 2002 auf 2007
verlängern. Glauben Sie mir: Wir haben das rundum ge-
prüft. Das ist in Ordnung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Da werden die Grünen nicht zustimmen, denke ich mal!)


Vor diesem Hintergrund bitte ich schon jetzt um Ihre Zu-
stimmung. Das geht auch in Richtung Bundesrat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415503200
Herr Bun-
desminister Müller, der Kollege Brüderle möchte eine
Frage an Sie richten.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Das lässt sich nicht vermeiden.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415503300
Bei Ihrer Politik ja, Herr
Müller.

Herr Müller, sind Sie erstens bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass Ihre Aussage nicht zutrifft, dass der CDU-
Wirtschaftsminister von Hessen dieses oder jenes mitge-
teilt habe? Der Wirtschaftsminister von Hessen ist Mit-
glied der F.D.P.


(Zustimmung bei der F.D.P.)


Sie sollten die politische Landschaft ein bisschen kennen;
das ist manchmal hilfreich, wenn man sich äußert.

Zweitens. Halten Sie es für vertretbar, dass der Bund
hier Schiedsrichter und Mitspieler gleichzeitig ist? Sie
sind Eigentümer einer erdrückenden Mehrheit an der
Deutschen Post AG. Sie begünstigen sich selbst, indem
Sie das Briefmonopol verlängern, damit Herr Eichel mehr
Privatisierungserlöse kriegt. Ist das Ihre Ordnungspolitik?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich will Ihnen zum ersten Punkt sagen:
Das ist jetzt in der Tat für mich neu.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Aber das liegt auch daran, dass ich diesen Kollegen, der
seit etwa zwei Jahren im Amt ist, bisher vergeblich gebe-
ten habe, vielleicht einmal, wie alle anderen es machen,
zum Bundeswirtschaftsminister zu kommen. Dann hätte
ich ihn kennen gelernt.


(Joachim Poß [SPD]: Die haben in Hessen andere Probleme!)


Nun zu dem anderen Punkt. Ich habe deutlich gesagt:
Ich möchte nicht, dass die Deutsche Post unter die Mühl-
steine unfairer Konkurrenz kommt, weder auf dem deut-
schen Markt noch insbesondere auf dem großen Zu-
kunftsfeld der Weltlogistik, wo sich die Deutsche Post
aufgestellt hat, ein Global Player zu werden. Das findet
die volle Unterstützung der Politik der Bundesregierung,
die volle Unterstützung des Eigners Bundesregierung,
übrigens auch die volle Unterstützung des Aufsichtsrates
der Post. Das Ganze geschieht vor dem Hintergrund, dass
wir die Beschäftigung bei der Post weiter stabilisieren und
ausbauen wollen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415503400
Gestatten
Sie, Herr Bundesminister, eine weitere Zwischenfrage? –
Bitte, Herr Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1415503500
Herr Müller, Sie haben
zwar etwas gesagt, aber nicht meine Frage beantwortet.
Meine Frage war, zugespitzt, ob Sie nicht eine Selbstbe-
günstigung darin sehen, dass der Eigentümer Bund Rege-
lungen zum Briefmonopol trifft, die ihn selbst besser stel-
len und damit höhere Privatisierungserlöse in die Kasse
von Herrn Eichel bringen, als wenn Wettbewerb bestehen
würde.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Die Wettbewerber müssen zahlen!)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Folgt daraus im Umkehrschluss, dass
wir die in unserem Eigentum stehende Post erst kaputt
machen müssen, damit wir sie nicht mehr verkaufen kön-
nen?


(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie könnten erst einmal privatisieren und nicht sich selbst begünstigen!)





Bundesminister Dr. Werner Müller
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(D)



(A)



(B)


Also, Herr Brüderle, Ihre Parteifarbe ist zwar gelb, aber
für die Post stellen Sie eher eine gelbe Gefahr dar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Sie sind eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft!)


Lassen Sie mich wieder auf das eigentliche Thema
zurückkommen: Es wird in unserem Land – das ist meine
Beobachtung – dermaßen viel an den Dingen vorbeigere-
det und über Scheinprobleme geredet, dass dadurch Pro-
bleme herbeigeredet werden, die es nicht gibt. Das Be-
triebsverfassungsgesetz soll ja nun, wenn man einigen
Wirtschaftsverbänden Glauben schenkt, zum Untergang
Deutschlands führen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da haben Sie sich ja enorm durchgesetzt, Herr Müller!)


Dabei ist § 1 schon am 4. Februar 1920 im Reichstag in
der Form beschlossen worden, wie er auch jetzt, nach
80 Jahren, noch unverändert im Gesetz steht. Dort heißt
es: Betriebe haben einen Betriebsrat. Das ist die simple
Aussage seit 1920. Für Betriebe mit weniger als 100 Be-
schäftigten ändert die Reform von Herrn Riester ganz und
gar nichts.


(Zuruf von der PDS: Leider, leider! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


Jetzt muss man wissen, dass beispielsweise nur 0,9 Pro-
zent aller Handwerksbetriebe mehr als 100 Beschäftigte
haben. Diese 0,9 Prozent aber werden als 100 Prozent ge-
setzt. Hiervon ausgehend wird dann Politik gemacht. Sie
gehen dem auf den Leim, so als ob Sie wieder ein Gut-
achten hätten; das aber nur am Rande.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Steuerreform falle für den Mittelstand ungünsti-
ger aus als für Kapitalgesellschaften, behaupten Sie.
Fragen Sie doch einmal irgendjemanden im Mittelstand,
ob er sich wie eine Kapitalgesellschaft besteuern lassen
will. Bedenken Sie bitte dabei, dass 99 Prozent aller
mittelständischen Personengesellschaften weniger als
500 000 DM im Jahr versteuern. Erst ab diesem Wert
wird eine Kapitalgesellschaft überhaupt steuerlich mar-
ginal besser gestellt. Wer also so etwas behauptet, straft
steuerlich 99 Prozent aller mittelständischen Personen-
unternehmen.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Deswegen – das muss ich Ihnen ehrlich sagen – bekomme
ich manches, was Sie so sagen, nicht mehr richtig mit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das glaube ich!)

Deswegen sprach ich vom Realitätsverlust

Joachim Poß [SPD]: Ja, Schotten dicht!)
und auch von mangelnden Konzepten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mittelstandspolitik heißt – das muss man deutlich sa-
gen –, nicht für 0,9 Prozent der Betriebe etwas zu machen.

Mittelstandspolitik heißt, für alle Betriebe des Mittelstan-
des eine neue Technologieoffensive zu starten, allen Be-
trieben des Mittelstandes deutlich zu machen, dass sie
sich auch mehr um den Export kümmern müssen. Mittel-
standspolitik für alle heißt, das Internet dem Mittelstand
nahe und den Mittelstand ins Internet zu bringen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Mittelstandspolitik heißt, dafür zu sorgen, dass alle überleben können!)


All diese Dinge werden in unserer Politik klar berück-
sichtigt. Wir erhalten ja auch vom Mittelstand große Zu-
stimmung, beispielsweise auch bezüglich der Frage der
Finanzierung des Mittelstandes. Die Finanzierung des
Mittelstandes war eines der großen Probleme, nicht zu-
letzt aufgrund der ersten Entwürfe des Basler Akkords mit
Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung usw.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Basel 2 heißt das!)


Wir haben die damit zusammenhängende Problematik
gelöst. Ich könnte Ihnen bezüglich dieser Frage beliebig
viele anerkennende Worte der Mittelstandsverbände an-
führen.

Zum Schluss lassen Sie mich sagen: Alles in allem rege
ich mich nicht auf, weil ich weiß, dass unsere Politik vor
Ort ankommt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wenn Sie sich da nicht täuschen, Herr Müller!)


Sie können hier ruhig alles madig machen. Wichtig ist,
dass wir vor Ort ankommen, dass dort Wachstum ver-
zeichnet wird; denn gewählt wird zum Schluss vor Ort.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das soll der Beitrag des Wirtschaftsministers zum Jahreswirtschaftsbericht sein! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Peinlich, peinlich!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415503600
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Dr. Bernd Protzner für die Frak-
tion der CDU/CSU.


(Zuruf von der SPD: Der Ex-General!)



Dr. Bernd Protzner (CSU):
Rede ID: ID1415503700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nur fragen:
„Alles Müller oder was?“ Müller hat bei Milch und
Milchprodukten immerhin einen guten Namen, was ich
hier vom Wirtschaftsminister nach seinem Auftritt nicht
sagen kann.

Es ist erstaunlich, an welcher Position er sprechen darf:
Sieben Rangstufen nach dem Bundesfinanzminister darf
er auftreten. Dies entspricht dem gehörigen Abstand zwi-
schen Ministerialratsebene und der Leitung des Hauses.


(Zuruf von der SPD: Sie wissen doch, wie die Gepflogenheiten sind!)





Bundesminister Dr. Werner Müller

15145


(C)



(D)



(A)



(B)


Er darf dann das große Gebiet des Tourismus bearbeiten,
wobei er Umsatz mit Erträgen verwechselt. Herr Müller,
Sie sind nicht mehr bei einem Energieversorgungsunter-
nehmen mit Monopolstellung. Dort konnte man das ein-
fach gleichsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: So wie jetzt bei der Post! – Zuruf von der SPD: Das ist alles langweilige Polemik!)


– Das hat nichts mit Polemik zu tun. Wenn sich der Minis-
ter auf eine so simple Argumentation einlässt, dann ist das
sein Problem.

Ich hätte eigentlich erwartet, dass er etwas mehr sagt.
Meiner Ansicht nach ist er nicht nur Minister für Mes-
seeröffnungen – gestern hat er die Handwerksmesse eröff-
net – und Rücktrittsdrohminister; das ist er in regelmäßi-
gen Abständen, etwa jedes Vierteljahr, wenn es darum
geht, die Wirtschaft zu beruhigen. Er sollte sein Amt end-
lich als das des Wirtschaftsministers begreifen. Ich hätte
mir gewünscht, dass er etwas Sachverstand seines Hauses
in den Jahreswirtschaftsbericht einbringt und den Jahres-
wirtschaftsbericht nicht dem Bundeseinnahmeminister
Eichel überlässt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister Eichel, dass Sie bestimmte wirtschaftli-

che Probleme gar nicht ansprechen wollen, ist mir schon
klar. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Stillstand.


(Erika Lotz [SPD]: Dummes Zeug! – Weitere Zurufe von der SPD: Quatsch!)


Weshalb lehnen Sie, meine Damen und Herren von der
SPD und von den Grünen, unseren Antrag, die Statistik
sauber darzustellen, ab, wenn die Lage auf dem Arbeits-
markt so gut ist?


(Klaus Lennartz [SPD]: Das haben Sie doch gemacht! Sie haben die Statistik doch geändert!)


Heute liegt die Vorlage des Ausschusses vor, in der die
Ablehnung empfohlen wird. Ihre Kollegen im Wirt-
schaftsausschuss haben es abgelehnt, diese Statistik end-
lich zu bereinigen und die tatsächliche Entwicklung klar-
zustellen. Wir können uns heute auf die Aussagen von
Fachleuten verlassen: Die Anzahl der Arbeitsstunden in
der Bundesrepublik Deutschland hat die letzten Jahre
nicht zugenommen; sie stagniert. Die Arbeit mag auf ein
paar Personen mehr verteilt worden sein; aber die Men-
schen brauchen mehr Arbeitsstunden, um mehr zu verdie-
nen und um mehr zu konsumieren. Nur wenn das ge-
schieht, bringen wir die Binnenkonjunktur in Gang.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das haben wir doch mit der Steuerreform gemacht! Wo waren Sie denn da?)


Ihr Bundeseinnahmeminister tut alles, um die Kräfte in
Deutschland zu schwächen. Er stellt sich hin und beklagt
in Hintergrundgesprächen mit Zeitungsjournalisten die
Einnahmesituation. Unter diesem Minister ist die Steuer-
last um 1 Prozent des Bruttosozialproduktes – das sind
immerhin 40 Milliarden DM – gewachsen. Trotzdem er-

klärt er auch hier wieder, dass zum Beispiel das für die
Bundeswehr vorgesehene Geld nicht ausreicht. Dazu
muss ich sagen: Er scheint mit seinen Ausgaben offen-
sichtlich nicht zurechtzukommen. Er sollte einmal eine
ordentliche Kassenführung betreiben und die richtigen
Schwerpunkte setzen.


(Peter Dreßen [SPD]: Mit schwarzen Koffern, nicht?)


Warum verhindern Sie mit Ihrer politischen Mehrheit
beispielsweise, dass bei der Bundesanstalt für Arbeit eine
moderne Eingliederungsstatistik – dafür wurde letztes
Jahr der Nobelpreis verliehen – zur Überprüfung der Aus-
gaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Höhe von
48 Milliarden DM angewandt wird? Wenn das geschähe,
käme heraus, dass diese staatlichen Maßnahmen ineffek-
tiv sind und dass Sie Arbeitslosigkeit finanzieren. Es wäre
besser, die 48 Milliarden DM für Investitionen heranzu-
ziehen und damit Arbeit zu finanzieren. Sie gehen an die-
sem Punkt einen falschen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Es stimmt doch einfach nicht!)


Einen falschen Weg gehen Sie auch im Hinblick auf die
Regulierung. Der Bundeseinnahmeminister Eichel hat
vorhin gesagt, er lehne deutsche Regulierungen ab und er
halte europäische Regulierungen für besser. Ich halte
beide Regulierungen für falsch und für schlecht; das gilt
insbesondere für die vorgesehene Verlängerung der Re-
gulierung bei der Post.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Minister Müller, Sie haben sich der Einnahmepo-

litik des Bundeseinnahmeministers untergeordnet. Er
wird, wenn Sie das Monopol für die nächsten Jahre ver-
längern, für seine Postaktien nämlich mehr bekommen,
weil es dann Monopolgewinne gibt, weswegen die Er-
träge höher sind. Nur, Sie verstoßen gegen die Neutra-
litätspflicht des Amtes und gegen Ihre Pflichten als Wirt-
schaftsminister. Sie müssen sich immer überlegen, in
welcher Tradition Sie stehen: Dem Wirtschaftsministe-
rium stand einmal Ludwig Erhard und auch ein Müller, al-
lerdings ein Müller-Armack und nicht ein Werner Müller,
vor.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Er hat Möllemann vergessen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Hören Sie doch auf mit dem Quatsch!)


Sie betreiben eine Politik für Funktionäre. Schauen Sie
sich doch einmal an, wie viele Bezirksleiter von Gewerk-
schaften in Ihrer Fraktion sind!


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Es ist doch ganz klar, dass bei der Reform der Betriebs-
verfassung nur ein Funktionärsgesetz herauskommt, aber
leider nichts, was die Wirtschaft voranbringt.

Hier unterscheiden sich eben die Wege der Union und
die Wege von Rot-Grün:


(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)





Dr. Bernd Protzner
15146


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir setzen auf einen aktiven, aber nicht auf einen über-
mächtigen Staat. Wir wollen in unserem Land Freiraum
und Freiheit für den Ideenreichtum unserer Bürger, für die
Initiative und den Arbeitswillen der Arbeitnehmer sowie
für den Unternehmergeist, die wir dringend brauchen, um
die Wirtschaft bei uns voranzubringen. In dem Jahres-
wirtschaftsbericht findet sich aber nichts davon. Hier wird
weiter der Weg in den Steuer- und Abgabenstaat, in den
Bürokratiestaat und in den Funktionärsstaat beschrieben.


(Jörg Tauss [SPD]: Peinlich!)

Zum Weg in den Steuer- und Abgabenstaat: Ihre so ge-

nannte Steuerreform setzt eine Fehlentwicklung in
Gang; denn das, was Sie den Bürgern durch die Entlas-
tung bei der Lohn- und Einkommensteuer vorübergehend
belassen, das nehmen Sie ihnen bei den indirekten Steu-
ern, insbesondere bei der Ökosteuer, wieder weg.


(Beifall der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Rechnen können Sie auch nicht!)


Lieber Herr Tauss, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
steht an. Das zeigt eindeutig, welche Absichten Sie in der
Steuerpolitik verfolgen. Ihr einziges Ziel scheint zu sein,
die Menschen in unserem Land um den Ertrag ihrer har-
ten Arbeit zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wer hat denn die letzte Mehrwertsteuererhöhung gemacht?)


Zum Weg in den Bürokratiestaat:Der Sachverständi-
genrat warnt zwar davor. Aber was machen Sie? – Sie tau-
schen einfach die Sachverständigen aus. Sie haben mit
Bert Rürup jemanden gefunden, der als Multifunktionär
in Ihrem Sinne argumentiert. Aber in dem bayerischen
Vertreter haben Sie sich offensichtlich geirrt. Was die
Öffnung des Arbeitsmarktes angeht, argumentiert er näm-
lich sehr in unserem Sinne und im Sinne des Kollegen
Merz, der seine Vorstellungen eingangs der Debatte vor-
getragen hat.

Echte soziale Marktwirtschaft vertraut auf mündige
Arbeitnehmer und nicht auf einen Funktionärsstaat und
eine Funktionärsmitbestimmung. Echte soziale Markt-
wirtschaft vertraut auf Selbstständige und fördert sie, an-
statt sie mit Gesetzen wie beispielsweise mit dem Gesetz
zur Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen. Echte soziale
Marktwirtschaft baut auf mittelständische Familien-
unternehmen, die traditionsgemäß die Innovationen vo-
rantreiben und die die Mehrzahl der Arbeitsplätze und
80 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutschland stellen.
Es sind eben nicht die Großunternehmen mit Tausenden
und Zehntausenden von Arbeitnehmern, die bei uns im
Land die Beschäftigung garantieren und die Ausbildung
sicherstellen, sondern es sind die kleinen und
mittelständischen Unternehmen, die dafür sorgen. Des-
halb sollten diese durch eine Steuerreform bevorzugt
werden.

Es hilft nichts, wenn deutsche Unternehmer Maschinen
ins Ausland liefern. Herr Minister Müller, deutsche Un-
ternehmer würden sich freuen, wenn sie durch vernünf-
tige Abschreibungsregelungen in die Lage versetzt wer-

den würden, selbst solche Maschinen anschaffen zu kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Allerdings müssten Sie sich dann als Wirtschaftsminister
endlich einmal gegen den Finanzminister durchsetzen
und Sie müssten im Bundeskabinett endlich einmal eine
Mehrheit für Ihre Vorschläge bekommen. Bis jetzt hat
sich immer der Bundeseinnahmeminister, Herr Eichel,
durchgesetzt.

Da Sie bezweifeln, dass der Mittelstand mit der Steu-
erreform unzufrieden ist,


(Peter Dreßen [SPD]: Nein, er wird stark entlastet! Sagen Sie das einmal!)


muss ich Ihnen sagen: Es ist schlicht und einfach ein
Gerücht, dass Herr Eichel in den letzten Tagen sein Mi-
nisterium nicht mehr betreten konnte, weil der Briefkas-
ten vor Dankesschreiben der Mittelständler übergequol-
len ist.


(Peter Dreßen [SPD]: Sagen Sie mal, was die Entlastungen sind!)


Im Gegenteil: Wir als Oppositionsabgeordnete haben eine
Vielzahl von Schreiben mit Klagen darüber erhalten, wie
die Steuerpolitik dieser Regierung den Mittelstand belas-
tet, wie sie ihn mit Bürokratie überhäuft und wie sie ihn
mit einer unseligen Funktionärsmitbestimmung an der
Arbeit hindert.

Selbstständigkeit und Mittelstand haben die soziale
Marktwirtschaft bei uns in der Bundesrepublik Deutsch-
land groß gemacht. Wenn es eine Kraft des Südens gibt,
die in den südlichen Bundesländern zu höheren
Wirtschaftswachstumsraten führt, dann beruht sie auf der
hohen Zahl von Selbstständigen und von mittelständi-
schen Unternehmen. Das macht die Kraft des Südens aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir freuen uns natürlich, wenn Sie eine Unterneh-

mensteuerreform machen, durch die ein einzelner im
Süden angesiedelter Konzern allein in einem Jahr 2,1Mil-
liarden DM mehr Gewinn ausweisen kann. Aber wir
wünschten uns, dass auch die Mittelständler mehr Gewinn
ausweisen könnten, mehr investieren könnten und mehr
für Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze tun könnten.
Dafür müssten aber die Steuerreform und die Neurege-
lung der Abschreibungstabellen für sie günstiger ausfal-
len, als es Ihre Regierung plant.

Wir freuen uns über die Kraft des Südens.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Insbeson dere Baden-Württemberg!)

Wir wollen sie aber nicht auf den Süden beschränken. Wir
hätten es gern, wenn auch im Norden, im Westen und im
Osten Selbstständigkeit und Mittelstand mehr Verbrei-
tung finden würden. Allerdings müsste dann im Jahres-
wirtschaftsbericht eine andere Politik eingeleitet werden,
eine mittelstandsfreundliche Politik und eine Abkehr von
der allein auf Konzerne und internationale Großunter-
nehmen ausgerichteten Politik, wie Sie sie betreiben.




Dr. Bernd Protzner

15147


(C)



(D)



(A)



(B)


Geben Sie doch endlich der sozialen Marktwirtschaft
und dem Mittelstand wieder die Chance, die sie brauchen!
Damit würden Sie die Wachstumsdynamik stärken und
die Herausforderungen Deutschlands zu Beginn des
21. Jahrhunderts bewältigen können. Wir leben, wie alle
sagen, am Beginn einer Dienstleistungsgesellschaft. In
dieser Dienstleistungsgesellschaft müsste auch Ihr Bun-
deseinnahmeminister, Herr Eichel, anerkennen, dass der
Staat für die Bürger da ist und nicht die Bürger für den
Staat da sind. In der Wirtschaftspolitik könnten Sie damit
endlich anfangen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das war jetzt eine Sternstunde des Südens!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415503800
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Lennartz.


Klaus Lennartz (SPD):
Rede ID: ID1415503900
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es leuchtete
einmal ein Stern eines Generalsekretärs. Nun war vom
Stern des Südens die Rede. Aber dieser wird wahrschein-
lich genauso erlöschen wie der Stern des Generalse-
kretärs. Die Rede, die Sie hier geboten haben, war nicht
gerade ein Aushängeschild für den Süden. Was Sie hier
geliefert haben, Herr Kollege, haben die Unternehmerin-
nen und Unternehmer aus Bayern und Baden-Württem-
berg nicht verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Jahreswirtschaftsbericht dokumentiert, was die

Menschen längst spüren: Der wirtschaftliche Auf-
schwung wird sich trotz gestiegener Rohölpreise fortset-
zen und die Zahl der Arbeitslosen wird weiter abgebaut.
Allein im Jahr 2000 stieg die Zahl der Erwerbstätigen
bei uns um 580 000, im Jahr 2001 erwarten wir einen Ab-
bau der Zahl der Erwerbslosen um rund 270 000. Das sind
die Zahlen, die mit unserer Politik verbunden sind.

Wir haben in Deutschland ein neues, ausgesprochen
positives Wirtschaftsklima. Wir schaffen neue Arbeits-
plätze. Die frostigen Zeiten politischer Erstarrtheit sind
vorbei. Wir legen Reformen nicht aufs Eis, wir packen sie
an, mit neuen Ideen, Mut und Erfolg. Wir lösen die Pro-
bleme, die die Kohl-Regierung und Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, den Menschen in
Deutschland hinterlassen haben. Glauben Sie mir: In
knapp 200 Monaten haben Sie mehr Probleme als Lösun-
gen hinterlassen.

Nachdem ich heute Morgen Ihren Reden gefolgt bin,
darf ich Folgendes in Erinnerung rufen. Haben Sie ei-
gentlich die Staatsverschuldung in Höhe von 1 600 Milli-
arden DM vergessen, die Sie aufgebaut haben? Haben Sie
die höchste Arbeitslosigkeit mit 4,6 Millionen Menschen
vergessen, die Sie aufgebaut haben? Haben Sie die höchs-
te Steuer- und Abgabenlast vergessen, die Sie aufgebaut
haben?

Ich komme zurück auf den Kollegen Merz. Ich habe
mir notiert, dass er heute Morgen davon sprach, wir hät-
ten im Oktober 1998 bei der Übernahme der Regierung

rund 3,9 Millionen Erwerbslose gehabt. Wir müssen aber
festhalten, dass wir im gleichen Monat des Jahres 2000
nur circa 3,6 Millionen Erwerbslose hatten. Das heißt, die
Zahl der Erwerbslosen ist in diesem Zeitraum um 300 000
verringert worden. Auch so kann man die Statistik verfäl-
schen, wie es hier von Herrn Merz gemacht worden ist.

Wir lösen diese Probleme. Aber Fast-Food-Politik im
Containerstil, meine Damen und Herren von der F.D.P., ist
mit dieser Regierung nicht zu machen. Das Wiedergewin-
nen der Zukunftsfähigkeit in Deutschland erfordert Ver-
antwortung über den Tag hinaus. Deshalb sind die Re-
formvorhaben dieser Bundesregierung als langfristige
Prozesse angelegt. Unsere Marschrichtung lautet: Zu-
kunftsinvestitionen statt Zinszahlungen. Hans Eichel,
unser Finanzminister, hat mit seinem konsequenten Spar-
kurs Deutschland aus dem festgeschnürten Korsett der
Schuldenfalle befreit.


(Beifall bei der SPD)

Den Fehler der Kohl-Regierung, einmalige Privatisie-
rungserlöse zur Finanzierung laufender Ausgaben einzu-
setzen statt Schulden abzubauen, werden wir nicht ma-
chen.

Unsere Sparpolitik schafft Gestaltungsspielraum. Die
Steuerreform der Regierung erhöht die internationale
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des
Wirtschaftsstandortes Deutschland. Meine Damen und
Herren, es lohnt sich – insbesondere für ausländische In-
vestoren – wieder, in Deutschland zu investieren. Wie at-
traktiv der Wirtschaftsstandort Deutschland geworden ist,
möchte ich Ihnen an zwei Zahlen verdeutlichen. In der
Zeit von 1990 bis zum Jahre 1998 haben ausländische In-
vestoren in Deutschland rund 111,4Milliarden DM inves-
tiert. In der Zeit von 1999 bis zum Jahr 2000 sind nach
Abzug der Mannesmann-Übernahme rund 256 Milliar-
den DM von ausländischen Investoren in Deutschland an-
gelegt worden. Das zeigt, wie unsere Politik Glaubwür-
digkeit zurückgebracht hat.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das zeigt nur, dass Sie keine Ahnung haben!)


Das ist die Politik von Hans Eichel und Wirtschaftsminis-
ter Müller. Das ist die Wahrheit, das sind belastbare Fak-
ten!


(Beifall bei der SPD)

Durch unsere Steuerpolitikwerden die Bürger und die

Wirtschaft im Jahr 2005 im Vergleich zu 1998 rund
93 Milliarden DM weniger Steuern zahlen. Allein der
Mittelstand wird in diesem Zeitraum, Herr Brüderle, um
rund 30 Milliarden DM entlastet. Meine Damen und Her-
ren von der Opposition, auch wenn Sie es so nicht kennen:
Das sind keine Steuersenkungen auf Pump, sondern Steu-
ersenkungen, die von uns aus eigener Kraft finanziert
werden.

Wer wie Sie jahrelang von der Hand in den Mund ge-
lebt hat, kann für den Mittelstand nichts übrig haben. Wir
handeln! Durch das Bereitstellen günstiger Finanzie-
rungsmöglichkeiten erhielten kleine und mittelständische
Betriebe 42 Milliarden DM aus dem ERP-Sondervermö-
gen sowie aus den Programmen der Deutschen Aus-




Dr. Bernd Protzner
15148


(C)



(D)



(A)



(B)


gleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Al-
lein im Jahr 2000 wurden aus dem ERP-Sondervermögen
8 Milliarden DM an Finanzierungshilfen für Existenz-
gründer zur Verfügung gestellt. Solche Zahlen konnten
Sie in Ihrer Regierungszeit niemals aufweisen.

Der Mittelstand erwartet von der Politik zu Recht eine
Stärkung seiner Innovationsfähigkeit. Mit der steuerli-
chen Entlastung des Mittelstandes sind hierfür die finan-
ziellen Freiräume für Forschung und Entwicklung ge-
schaffen worden. Die Bundesregierung unterstützt
innovationsbereite Unternehmen mit Kreditfinanzierun-
gen und der Bereitstellung von Beteiligungskapital.
2,3 Milliarden DM wurden im letzten Jahr an Beteili-
gungskapital mobilisiert.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie haben auch schon besser abgelesen!)


– Dass Sie diese Zahlen nicht gerne hören, Herr Repnik,
ist mir schon klar.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: Sie haben auch schon besser abgelesen! Die Zahlen bestreite ich ja gar nicht!)


Sie müssen den Jahreswirtschaftsbericht einmal lesen,
Herr Repnik. Zum Lesen gehört nicht nur das Aneinan-
derreihen von Buchstaben, sondern auch das Verstehen.
Aber Sie wollen es nicht verstehen.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition un-

terstützt den Mittelstand auch in Fragen des E-Commerce.
In 24 bundesweit eingerichteten Kompetenzzentren für
den elektronischen Handel werden Informationen gege-
ben sowie Schulungen und Beratungen für Mittelständler
durchgeführt. Mit der Umsetzung der E-Commerce- und
Signaturrichtlinie Mitte des Jahres sind darüber hinaus die
Grundlagen für einen sicheren elektronischen Geschäfts-
verkehr gelegt.

Meine Damen und Herren, unsere Politik hat die Rah-
menbedingungen für ein günstiges Wirtschaftsklima ge-
schaffen. Aber die unternehmerische Verantwortung liegt
nicht bei der Politik. Sie liegt beim Mittelstand: bei denen,
die 70 Prozent der Arbeitsplätze stellen, bei denen, die
80 Prozent aller Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen,
bei denen, die Ideen in Produkte umsetzen, und bei denen,
die ihr privates Vermögen investieren und dabei auch das
Risiko eingehen, mit ihrem Kapital wirtschaftlich Schiff-
bruch zu erleiden. Denen muss der Staat Diener und nicht
Herr sein. Eine Kultur der Selbstständigkeit setzt vo-
raus, dass der Zusammenhang von Risikoübernahme und
wirtschaftlichem Erfolg gesellschaftspolitisch anerkannt
wird. So stolz, wie wir auf die Leistungen und den Fleiß
unserer Facharbeiter, Ingenieure und Informatiker sind, so
stolz können wir auch auf Unternehmer sein, insbesondere
auf Jungunternehmer, da jeder Jungunternehmer drei neue
Arbeitsplätze schafft. Anerkennung statt Neid ist hier an-
gebracht, denn Gewinn sollte auch für Sie, meine Damen
und Herren von der Opposition, kein Schimpfwort sein.

Gerade mittelständische Unternehmen legen mit ihrem
Handeln vor Ort Tag für Tag Zeugnis für konkrete gesell-
schaftliche Verantwortung ab. Sie hierbei zu unterstützen,

ist eine hervorragende Aufgabe unserer Politik. Deshalb
gibt es mit uns keine Reformpausen. Stillstand ist Gift für
die Wirtschaft.

Was müssen wir heute tun, damit Deutschland auch in
zehn bis 15 Jahren die zweitgrößte Industrienation ist und
der kreative Mittelstand Garant für zukunftssichere
Arbeitsplätze bleibt? Wissen ist Qualität. Die Leistungen
des Bildungssystems sind wesentliche Grundlage für Er-
folge auch und gerade in der Beschäftigungspolitik. Wir
erhöhen wie in den letzten zwei Jahren die Ausgaben für
Bildung und Forschung. Wir investieren in die Aus-, Fort-
und Weiterbildung. Wir investieren in die Hochschulen,
wir investieren in die Forschung. Wir investieren in den
Wissenschaftsstandort Deutschland.

Meine Damen und Herren von der Opposition, 1998,
im letzten Jahr Ihrer Regierung, haben Sie in diesem Be-
reich circa 14MilliardenDM investiert. Wir haben hier im
Jahr 2000 über 17 Milliarden DM investiert. Das ist Zu-
kunftsförderung. So viel werden wir auch in den nächsten
Jahren zur Sicherung des Standortes Deutschland bereit-
stellen; denn Handeln bedeutet Zukunft.

Der Faktor Humankapital ist entscheidend für die
Dynamik einer ressourcenarmen Volkswirtschaft. Mit der
„Zukunftsinitiative Hochschule“, die in diesem Jahr
startet, wird der Aufbau eines bundesweiten Netzwerkes
für die Patentierung und Verwertung von Forschungser-
gebnissen vorangetrieben. So verstauben die Früchte der
Forschung nicht in den Regalen, sondern werden in
Gewinn bringende und Arbeitsplätze schaffende Produkte
umgewandelt. Das ist zukunftsträchtiger Wissenschafts-
transfer. Damit steigt die Attraktivität unserer Hochschu-
len auch für die besten Köpfe im In- und Ausland.

Das sind erfolgreiche Rahmenbedingungen für unsere
Wirtschaft. Im Jahreswirtschaftsbericht ist es nachzule-
sen: Wir haben mehr Wirtschaftswachstum, wir haben
mehr Beschäftigung, und wir haben den Willen zur krea-
tiven Gestaltung für die Zukunft.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])

Eines haben wir nicht, meine Damen und Herren von

der Opposition, und das sind Ihre Probleme. Ihre Reden
von heute Morgen erinnern an einen Tropfen, der auf eine
heiße Herdplatte fällt, hin- und herhüpft und letztendlich
verdampft. Das ist die Politik der Opposition.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415504000
Ich gebe der
Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415504100

Herr Seiters! Meine Damen und Herren! Eines der wich-
tigsten Themen im Zeitalter der Globalisierung ist die
Frage nach dem Verhältnis von Markt und Staat. Ein zen-
traler Punkt bei der Modernisierung unserer Wirtschaft ist
die Liberalisierung der Monopolmärkte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aha!)





Klaus Lennartz

15149


(C)



(D)



(A)



(B)


Monopolmärkte sind nicht mehr zeitgemäß; sie sind ein
überholtes Relikt aus vergangenen Zeiten.


(Beifall des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Liberalisierung nützt allen, Verbrauchern und Un-
ternehmern. Zum Beispiel kosteten Ferngespräche bei der
Telekom 1997 noch 60 Pfennig pro Minute; jetzt kosten
sie 19 bzw. 5,4 Pfennig pro Minute. Im Ergebnis der Libe-
ralisierung bei der Bahn befahren Konkurrenten der Deut-
schen Bahn wieder zuvor stillgelegte Strecken. Die Ener-
giepreise sind für die Industrie um 40 Prozent und für
Verbraucher immerhin um 20 Prozent gesunken.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Was bedeutet das für die Post?)


– Dazu komme ich noch; keine Sorge. – Liberalisierung
und Wettbewerb sorgen also für niedrige Preise, sie sor-
gen für Effizienz. Deswegen wird dieser Prozess von uns
voll und ganz unterstützt.

Allerdings kann durch den Markt nicht alles geregelt
werden. In dieser Auffassung unterscheiden wir uns von
Ihnen, Herr Brüderle. Ich nenne einige Beispiele: Bei der
Telekom muss man für Datenschutz sorgen. Man muss für
die Oma, die das Internet nicht selbstverständlich nutzen
kann, eine flächendeckende Versorgung mit Post und
Telefonanschlüssen sicherstellen. Es ist im Zeitalter der
Wissensgesellschaft wichtig, für billige Internetan-
schlüsse zu sorgen. Man muss natürlich auch – siehe
Kalifornien – für Versorgungssicherheit im Energiebe-
reich sorgen. Das ist ein ganz substanzieller Punkt. Selbst-
verständlich muss vor dem Hintergrund, dass UN-Wis-
senschaftler vor der Klimakatastrophe verstärkt warnen,
in liberalisierten Märkten auch der Umweltschutz ein
wichtiger Aspekt sein. Wenn man nur an niedrige Preise
denkt, Herr Brüderle, dann wird man das später teuer be-
zahlen. In diesem Punkt ist Handeln angesagt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415504200
Frau Kolle-
gin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415504300

Ja.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1415504400
Frau Hustedt, uns interessiert
sehr, wie Sie und die Grünen zur Verlängerung des
Briefmonopols stehen. Würden Sie sich bitte einmal kon-
kret dazu äußern?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415504500

Ich finde es wunderbar, dass Sie mir diese Zwischenfrage
stellen. Dieses Thema wollte ich nämlich im Weiteren an-
sprechen. Durch diese Zwischenfrage kann ich zusätzlich
Zeit gewinnen.

Wir sehen die Verlängerung des Briefmonopols bis
2007 durchaus kritisch.


(Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU]: Aber Sie knicken ein!)


Ich verstehe die Argumentationen von Herrn Minister
Müller. In der Tat ist es so, dass einige Länder in Europa
die Liberalisierung verzögern. Nun muss man aber fest-
stellen: Erstens haben viele nordeuropäische Länder, zum
Beispiel Schweden, den Postmarkt bereits vollständig li-
beralisiert.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Eben!)

Wir sind also nicht die einzigen Vorreiter. Zweitens hat
Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern in Eu-
ropa die zweithöchsten Portokosten.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das müssen Sie Müller sagen! Wir wissen das!)


Drittens ist es meiner Ansicht nach so, dass die Vorreiter-
rolle in Bezug auf liberalisierte Märkte kein Nachteil für
Unternehmen ist. Wir sehen im Bereich der Telekom und
vor allem auch im Energiebereich, dass die Unternehmen,
die frühzeitig liberalisiert haben, bestens aufgestellt sind,
weil sie gelernt haben, wie man mit dem Wettbewerb um-
geht.

Deswegen sage ich ganz klar: Wir sehen die Verlänge-
rung des Briefmonopols bis 2007 kritisch.


(Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU]: Kritisch oder ablehnend?)


Ich persönlich glaube nicht – Herr Brüderle, ich gehe so-
gar noch weiter als Sie –, dass diese Verlängerung für die
Aktienkurse der Deutschen Post gut ist. Denn die Frage,
ob sich die Deutsche Post auf dem Markt behaupten kann,
wird offen gelassen und die Anleger müssen mit dieser
Unsicherheit umgehen. Es kann durchaus sein, dass es für
die Aktienkurse gar nicht gut ist, wenn man zu sehr ver-
längert.

Wir werden mit den Koalitionspartnern sehr freund-
schaftlich darüber sprechen. Das kann ich Ihnen versi-
chern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415504600
Frau Kolle-
gin Hustedt, die Kollegin Kopp möchte eine zweite Zwi-
schenfrage an Sie richten. Gestatten Sie das?


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415504700

Ja.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415504800
Bitte schön.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1415504900
Frau Hustedt, mich würde
jetzt noch interessieren, ob Sie innerhalb der rot-grünen
Koalition, in der Sie ja in aller Freundschaft diskutieren,
trotz Ihrer kritischen Haltung, die wir sehr gerne hören
und die wir unterstützen, der geplanten Gesetzesänderung
zustimmen werden oder ob Sie zusammen mit der Staats-
sekretärin Wolf noch einmal versuchen, Wirtschaftsmi-
nister Müller auf Ihre – richtige – Linie zu bringen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der PDS)





Michaele Hustedt
15150


(C)



(D)



(A)



(B)



Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415505000

Ich habe doch gesagt: Noch gibt es in der rot-grünen Ko-
alition keinen Beschluss. Wir werden darüber noch ein-
mal sehr freundschaftlich diskutieren.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das heißt, Sie kuschen! – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Freundschaftlich heißt, Sie meinen es nicht wirklich ernst!)


Nun wieder zurück zu dem Punkt, dass der Markt nicht
alles kann. Der Markt versagt zum Beispiel dann, wenn
die Preise nicht die Begrenzungen bzw. Belastungen der
Volkswirtschaft und der zukünftigen Generationen wider-
spiegeln.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist Philosophie!)


Der Weg, den wir im Rahmen der ökologischen Steuer-
reform eingeschlagen haben, nämlich dass wir die Preise
Schritt für Schritt an die tatsächlichen Kosten der Volks-
wirtschaft und der zukünftigen Generationen heran-
führen, ist richtig. Wir sind sehr froh darüber, dass die
ökologische Steuerreform ein positives Projekt ist und be-
ginnt, tatsächlich eine Lenkungswirkung zu entfalten.

Dazu gehört auch, dass wir uns vorgenommen haben,
mit rechtlichen Instrumenten den Anteil der erneuerbaren
Energien und den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an
der Energieversorgung in den nächsten zehn Jahren zu ver-
doppeln. Bei den erneuerbaren Energien haben wir mit dem
EEG einen wichtigen Impuls gegeben: Die Industrie
boomt, es wird investiert und es entsteht eine neue Branche.

In Bezug auf die Kraft-Wärme-Kopplung deutet sich
an – da bin ich mir sicher; es gab ja in der letzten Zeit eine
relativ polarisierte Debatte –, dass wir einen fairen Kom-
promiss finden. Klar ist aber auch: Dieser faire Kompro-
miss beinhaltet ohne Wenn und Aber, dass wir durch den
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung auf der Grundlage
einer rechtlichen Absicherung 23 Millionen Tonnen CO2einsparen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt Beschränkungen; der Markt kann nicht alles
leisten. Aber die Liberalisierung des Marktes schafft ge-
ringe Kosten, eine höhere Effizienz, eine hohe Kunden-
orientierung, neue Angebote und eine Chance für kleine
und neue Unternehmen. Deswegen ist es wichtig, auf den
bestehenden Märkten, auf dem der Telekommunikation
und dem der Energie, die Entwicklung der Marktwirt-
schaft vom Monopol zum Wettbewerb zu verstärken.
Auch in diesen Bereichen liegen jedoch noch weitere Auf-
gaben vor uns. Denn was die alte Bundesregierung dazu
vorgelegt hat, war absolut unzulänglich.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: War bahnbrechend!)


Zur Telekommunikation: Es gibt derzeit eine Debatte
darüber, ob der Telekommunikationsmarkt schon ein
selbsttragender Markt ist oder ob er lediglich aufgrund der
Regulierung funktioniert. Die Frage ist also: Kann man
die Regulierung zurückführen und dem Kartellamt mit

seiner Erfahrung und Kompetenz die Wettbewerbsauf-
sicht überlassen? Ist dies unter Umständen für gewisse
Teilmärkte sinnvoll, und wenn ja, wie groß sind diese
Teilmärkte und wie verhindert man – das ist eine ganz
zentrale Frage, die wir klären müssen – dann Quersub-
ventionierung?


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Geben Sie doch mal ein paar Antworten!)


Die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunika-
tion hat in diesem Bereich erste Schritte unternommen:
Die Regulierung im Bereich der Auslandsgespräche in die
Türkei wurde zurückgefahren. Das finde ich okay, aber
ich warne davor, diesen Bereich gänzlich aus den Augen
zu lassen. Wir sollten nicht zu schnell „entregulieren“, da-
mit die Wettbewerbsintensität im Bereich der Telekom-
munikation weiter wächst.

Dasselbe gilt für den Energiebereich.Wir stehen ja vor
der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes zur Einführung
der Liberalisierung der Gasmärkte. Natürlich muss dann
auch diskutiert werden, ob die Wettbewerbsintensität auf
dem Strommarkt ausreichend ist oder ob wir nachsteuern
müssen. Nun ist es so, dass es auch in diesem Bereich – wie
bei der Telekommunikation oder der Bahn – ein natürliches
Monopol gibt, weil die Netze für den Anbieter unabding-
bar notwendig sind, um den Kunden zu erreichen. Aber
anders als im Bereich der Telekommunikation und auch
anders als im Bereich der Bahn, wo wir dem Eisenbahn-
bundesamt jetzt die Funktion einer Regulierungsbehörde
übertragen, gibt es auf dem Energiesektor keine Regulie-
rungsbehörde, sondern den so genannten verhandelten
Netzzugang. Angesichts der Tatsache, dass die Netz-
betreiber in der Praxis ihre Konkurrenten am Zugang zum
Markt behindern, halte ich es für an der Zeit, auch in
Deutschland den regulierten Netzzugang zu gewährleis-
ten. Ich habe damit eine durchaus vergleichbare Position
wie die EU-Kommissarin de Palacio, die eine stärkere
Regulierung – Deutschland ist das einzige Land in Eu-
ropa, das keinen regulierten, sondern einen verhandelten
Netzzugang hat – sowie ein verstärktes Unbundling for-
dert. Dies kann ich unterstützen. Ich hoffe, dass wir auch
über diese Fragen diskutieren, wenn wir das Energiewirt-
schaftsgesetz novellieren.

Ich danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415505100
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich nunmehr das Wort für
die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Mathias Schubert.


Dr. Mathias Schubert (SPD):
Rede ID: ID1415505200
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht
der Bundesregierung enthält einen Gedanken, der für
manche vielleicht eine Art blasphemische Abkehr von ei-
ner zehn Jahre lang mehr oder weniger kultivierten reinen
Lehre bedeutet. Er begreift nämlich ostdeutsche Wirt-
schaftsentwicklung nicht mehr ausschließlich als regio-
nalpolitisches Spezialproblem der Bundesrepublik
Deutschland.






(C)



(D)



(A)



(B)


Mit diesem integrativen Ansatz eröffnet sich natürlich
auch eine veränderte Optik auf das, was als Leitvorstel-
lung für den Aufbau Ost in der Perspektive der nächsten
Jahre gelten könnte. Gerade unter Anerkennung der nach
wie vor schwierigen Situation in Ostdeutschland wird
deutlich, dass neben den Unterschieden eben auch funda-
mentale – und zunehmend mehr – Gemeinsamkeiten die
Gesellschaft der Bundesrepublik und damit natürlich
auch ihre Volkswirtschaft prägen.


(Beifall bei der SPD)

Beide befinden sich mitten im Strukturwandel von Glo-
balisierung, hin zu einer wissensorientierten Gesellschaft.
In diesem Prozess werden von Gesellschaft und Wirt-
schaft, unabhängig ob hie Ost und da West, mehr Eigen-
verantwortung, mehr Kreativität und mehr Innovations-
fähigkeit verlangt – Eigenschaften übrigens, die sich noch
nie als ausschließlich westdeutsche oder ausschließlich
ostdeutsche Charakteristika beschreiben ließen.

An der Politik war und ist es, darauf mit tief greifenden
Reformen zu reagieren. Dies geschieht seit zwei Jahren,
obwohl der Reformstau Ende 1998 nahezu unüberwind-
bar zu sein schien. Es sind neben dem politischen Groß-
projekt Steuerreform vor allem auch die neuen arbeits-
marktpolitischen und wirtschaftspolitischen Ansätze, die
in Ost wie in West gleichermaßen positiv wirken. Es lohnt
sich, am Schluss dieser Debatte noch einmal auf wenige
Beispiele kurz einzugehen.

Das JUMP-Programm hat sich als ein wirklich be-
deutender Baustein beim Abbau der Jugendarbeitslosig-
keit erwiesen,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Großer Bluff!)


auch wenn die Opposition mit ihrem Zwischenruf be-
weist, dass sie das, was damit erreicht worden ist, nicht
zur Kenntnis genommen hat. Vermutlich ist sie aufgrund
ihrer internen politischen Situation zurzeit auch gar nicht
in der Lage ist, so etwas zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


1999 war es Ziel, mit dem JUMP-Programm 100 000 Ju-
gendlichen Ausbildung, Qualifizierung oder Beschäfti-
gung anzubieten. Dieses Ziel wurde mehr als erfüllt. Von
Anfang 1999 bis Herbst 2000 haben 250 000 Jugendliche
an der Maßnahme teilgenommen. Dies war also ein ent-
sprechend der Situation notwendiger Erfolg, in Ost wie in
West gleichermaßen. Aus gutem Grund wird dieses Pro-
gramm daher in diesem Jahr fortgesetzt.

Ähnlich positive Beispiele, insbesondere im Osten,
sind das Inno-Regio-, das Inno-Net- und FUTOUR-
Programm. Diese Förderprogramme, die den Aufbau
von Innovationsnetzwerken zwischen Wirtschaft, For-
schung, Bildung und Wissenschaft in den Mittelpunkt
stellen, haben sich nicht nur in ihrer konkreten Umsetzung
als besonders erfolgreich erwiesen, sondern zeigen auch
den Weg zu einer ganz neuen Förderpolitik in Deutsch-
land insgesamt. Im Mittelpunkt stehen Eigeninitiative, Ei-
genverantwortung und Selbstorganisation der Akteure
statt Druck von oben, Amtsbürokratie und Alimentation,

wie das trotz Herrn Protzners Einwendungen bis 1998
heftigst der Fall gewesen ist.

Dass sich an dem Inno-Net- und dem FUTOUR-Pro-
gramm, an den beiden gesamtdeutschen Programmen,
ostdeutsche Firmen überproportional beteiligen, deutet
nicht nur auf zunehmende Fitness dieser Unternehmen
hin, es zeigt auch die zunehmende Integration gerade auf
diesem Gebiet zwischen West und Ost.

Solche Neuorientierungen erfordern natürlich politi-
schen Mut, besonders den, sich von manchem Altherge-
brachten zu verabschieden. Die positiven Effekte solcher
Programme machen Mut, nicht nur bewährte konserva-
tive Förderinstrumente, sondern auch alternative Pro-
gramme wie die erwähnten in der Zukunft fortzusetzen.

Wie gesagt, ich bin davon überzeugt, dass sich die da-
bei gewonnenen ostspezifischen Erfahrungen auch in an-
deren Regionen unseres Landes positiv auswirken wer-
den. Man muss darüber nicht gleich in überschwängliche
Begeisterung verfallen, aber es ist schon der Erwähnung
wert, dass die innovativen Programme erheblich dazu bei-
tragen, die Klischees vom Osten langsam, aber sicher auf-
zubrechen und abzubauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies ist auch ein Grund dafür – bei allen spezifischen
Problemen, die der Osten immer noch hat, die ich an die-
ser Stelle auch überhaupt nicht wegdiskutiere; der Jahres-
wirtschaftsbericht tut dies auch nicht –, in der Zukunft
stärker über regionale Kooperationen zwischen Wirt-
schaft und Forschung über Bundesländergrenzen hinaus
nachzudenken und entsprechende Programme zu ent-
wickeln, von denen langfristig alle profitieren werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe sehr, dass das Bündnis für Arbeit seine wichtige
Rolle in diesem Sinne wahrnimmt, denn nur im Konsens
mit den großen gesellschaftlichen Entscheidungsgruppen
kann hier entsprechend viel bewegt werden.

Einen wichtigen Punkt will ich zum Schluss noch an-
sprechen: Die europäische Integration fordert uns zusam-
men mit den weltweiten Globalisierungsprozessen natür-
lich auch zu einer Modernisierung von Wirtschaft und
Gesellschaft auf allen Ebenen heraus. Dabei stellt die
EU-Osterweiterung selbstverständlich nicht nur ein Pro-
blem, sondern auch eine unglaubliche Chance gerade für
Ostdeutschland dar.


(Beifall bei der SPD)

Allerdings sage ich auch ganz klar: Das wird eine der

bedeutendsten Herausforderungen und Aufgaben in die-
sem Jahrzehnt für uns alle sein. Hier müssen nicht nur
Ängste abgebaut werden, sondern hier muss auch Mut ge-
macht werden, neue Ideen und Initiativen in diesem Kon-
text zu entwickeln. Denn mit der Osterweiterung ist nicht
mehr und nicht weniger verbunden, als dass Ostdeutsch-
land vom Rand in die Mitte der EU rückt,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht durch eure Politik!)





Dr. Mathias Schubert
15152


(C)



(D)



(A)



(B)


also seine Chancen als europäische Verbindungsregion
begreifen und entsprechend gestalten muss. Das wird aber
nur dann gelingen, wenn der innerdeutsche Integrations-
prozess politisch konsequent begleitet und gefördert wird.

Im Sinne dieses Gedankens erspare ich mir dieses
nichts sagende Lob vom richtigen Weg als aus dem Jah-
reswirtschaftsbericht zu ziehendes Fazit. Viel wichtiger
ist es, diesen eingeschlagenen Weg der wirtschaftspoliti-
schen Reformen, verbunden mit dem integrativen Ost-
West-Ansatz, weiterzugehen. Er fordert in beiden Him-
melsrichtungen einiges an Umdenken, ist aber zugleich
Ausdruck eines hochdynamischen Prozesses und mehr
und mehr erfolgreich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415505300
Ich schließe
die Aussprache.

Bei den Tagesordnungspunkten 3 a und 3 b wird inter-
fraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 14/5201 und 14/4792 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Nun kommen wir zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Beschäftigung
als Ziel der Wirtschaftspolitik herausstellen“ auf der
Drucksache 14/3845, Tagesordnungspunkt 3 c. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2988 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
4 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Peter Hintze, Michael Stübgen, Klaus Hofbauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Erweiterung der Europäischen Union
– Drucksache 14/3872, 14/5232 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Günter


(Ingolstadt)

Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Christian Sterzing, Ulrike Höfken, Claudia
Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN

Flankierung der Erweiterung der Europä-
ischen Union als innenpolitische Aufgabe

– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Hofbauer, Peter Hintze, Peter Altmaier, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Die deutschen Grenzregionen auf die EU-
Erweiterung durch einen Grenzgürtel-Ak-
tionsplan vorbereiten

– Drucksachen 14/4886, 14/4643, 14/5475 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Winfried Mante
Markus Meckel
Peter Hintze
Michael Stübgen
Klaus Hofbauer
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Manfred Müller (Berlin)


ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die Weichen für die Erweiterung der Europä-
ischen Union richtig stellen
– Drucksache 14/5447 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten

(Augsburg)

der Fraktion der F.D.P.
Die Bürger für die Ost-Erweiterung der EU ge-
winnen
– Drucksache 14/5454 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss

Zu der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU lie-
gen ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
und ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Das Haus
ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Volker Rühe für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.




Dr. Mathias Schubert

15153


(C)



(D)



(A)



(B)



Volker Rühe (CDU):
Rede ID: ID1415505400
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Warum debattieren wir heute über
die Osterweiterung der Europäischen Union? Ich glaube,
das Entscheidende ist: Wir müssen stärker über die Chan-
cen der Osterweiterung sprechen. Es ist bedrückend
und, wie ich finde, zum Teil auch beschämend, wenn man
feststellen muss, dass je konkreter die Dinge werden,
umso negativer die Ergebnisse der Umfragen über die Un-
terstützung der Osterweiterung in der Bevölkerung aus-
fallen. Nur noch 36 Prozent unserer Bürger stehen hinter
dieser Erweiterung. Damit liegt Deutschland übrigens im
Ländervergleich im unteren Drittel.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider!)

Deswegen müssen wir als Konsequenz nicht nur über die
Probleme und die Herausforderungen sprechen, sondern
vor allen Dingen über die großartigen Chancen der Ost-
erweiterung. Das ist eine politische Führungsaufgabe, bei
der nicht weiter versagt werden darf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Hier sind wir alle gefordert, aber Aufgabe der Regierung
sollte es sein, eine Informationskampagne in Gang zu set-
zen. Wir müssen unseren Mitbürgern konkret die politi-
schen und ökonomischen Vorteile für unser Land nahe
bringen.

Ein weiterer Punkt: In der politischen Debatte wird im-
mer wieder der Eindruck erweckt, als ob diese Erweite-
rung ein Routinevorgang sei. Es gibt im Parlament einen
Konsens darüber, dass dies nicht irgendeine Erweiterung
ist, wie früher die Erweiterung um England. England
wollte zunächst nicht Mitglied werden, hat sich aber spä-
ter doch um die Mitgliedschaft beworben. Staaten wie
Spanien und Portugal durften wegen ihrer innenpoliti-
schen Situation nicht Mitglied werden. Diesmal haben wir
eine ganz neue Runde der Erweiterung. Hier handelt es
sich um Staaten, die vier Jahrzehnte lang von Moskau sys-
tematisch gehindert wurden, Mitglied dieses neuen Euro-
pas zu werden. Ich nenne beispielhaft Polen, Ungarn und
Tschechien. Deswegen dürfen wir über diese Erweiterung
nicht so sprechen, als sei es eine Erweiterung wie jede an-
dere auch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Es ist die Wiedervereinigung Europas.

Wenn wir genau überlegen, dann stellen wir fest, dass
es im Grunde genommen noch mehr ist, Herr Außenmi-
nister: Die europäische Spaltung wird überwunden. Das
ist eine großartige Leistung. Wenn Polen, Deutschland
und Frankreich nicht nur in dem Bündnis der NATO ver-
einigt sind, sondern auch in der Europäischen Union,
dann ist das eine Form der Gemeinsamkeit, wie es sie nie
zuvor in der Geschichte Europas gegeben hat. Deswegen
ist es mehr als nur die großartige Wiedervereinigung Eu-
ropas. Wir müssen unseren Mitbürgern klarmachen, dass
das ein Vorgang, eine Nähe, eine Gemeinsamkeit und ein
Miteinander der Europäer sein wird, wie es nie zuvor in
der Geschichte der Fall gewesen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir unterhalten uns über das Thema der Globalisie-
rung. Ich glaube, dies ist die richtige Antwort Europas auf
die Globalisierung; denn durch die Aufnahme der mittel-
und osteuropäischen Staaten und ihrer Wachstumsmärkte
wird die Europäische Union als mit Abstand größter Bin-
nenmarkt der westlichen Welt ihre Interessen in diesem
globalen Wettbewerb sehr viel besser behaupten können,
als dies in einer kleineren Gemeinschaft möglich ist. Wir
werden unseren Einfluss erhöhen können und damit wirk-
samer als Stabilitäts- und Ordnungsfaktor in der Weltpo-
litik handeln können.

Die Europäische Union wird nach ihrer Erweiterung il-
legale Zuwanderung und organisierte Kriminalität durch
die Zusammenarbeit mit den neuen EU-Mitgliedern sehr
viel erfolgreicher bekämpfen können. Zu den Chancen
dieses politischen und historischen Prozesses gehört
natürlich auch, dass wir die Umweltprobleme im gemein-
samen Europa durch die Bekämpfung der grenz-
überschreitenden Umweltrisiken sehr viel besser angehen
können. Dies wird nicht zuletzt in Deutschland zu einer
weiteren Verbesserung der Lebensqualität führen.

Zu den Chancen, über die wir sprechen müssen, gehört
auch, dass durch die Erweiterung neue Absatzmärkte in
den Beitrittsländern entstehen. Davon profitiert nie-
mand mehr als Deutschland. Das hat dazu geführt, dass in
Frankreich manche von einem deutschen Projekt spre-
chen. Das ist es aber nicht, es ist ein gemeinsames euro-
päisches Projekt. Wir müssen unseren Mitbürgern deut-
lich machen, dass dies ein schwieriger Vorgang ist, aber
dass niemand mehr davon profitiert als Deutschland.

Seit 1993 hat es im Handel unseres Landes mit den
Beitrittsländern Steigerungsraten von rund 20 Prozent
jährlich gegeben. Es ist davon auszugehen, dass dieser
Prozess anhält. Der Anteil der Beitrittskandidaten am
Außenhandel Deutschlands hat sich in dieser Zeit fast
verdoppelt. Es ist keine zu gewagte Prognose, wenn man
davon ausgeht, dass in wenigen Jahren unser Export in
diese Länder mindestens so wichtig sein wird wie die
Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von
Amerika.

Unser Problem ist, dass in den politischen Debatten in
Deutschland allzu oft nur die Probleme im Vordergrund
stehen. In dieser Debatte wäre dies jedoch völlig unange-
messen.

Neben den Chancen, die im Vordergrund stehen müs-
sen, brauchen wir natürlich auch überzeugende Antworten
auf die Sorgen der Menschen vor der Osterweiterung, bei-
spielsweise auf die Sorge, dass es durch die Osterweite-
rung einen massiven Zustrom billiger Arbeitskräfte ge-
ben könnte und dies zu sinkenden Löhnen und steigender
Arbeitslosigkeit in Deutschland führen würde.

Alle aktuellen Untersuchungen zeigen aber, dass damit
eher nicht zu rechnen ist. Es ist eben nicht so, als säßen
die Menschen in Polen, Tschechien oder Ungarn auf ge-
packten Koffern, um nach dem Beitritt ihres Landes in
Scharen zu uns zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])







(C)



(D)



(A)



(B)


Eines muss man ganz klar sagen: Entweder sind sie
schon hier – wir sind sehr froh darüber, dass sie infolge der
Liberalisierung hier sind – oder aber die meisten bleiben in
ihrem Land, gerade weil sie in dem bevorstehenden Bei-
tritt eine gute Perspektive für ihr Leben zu Hause sehen.

Wir haben 1990 von den Deutschen in den neuen Bun-
desländern gehört: Entweder kommt die DM zu uns oder
wir kommen zur DM. Analog dazu möchte ich formulie-
ren – und das gilt für die Menschen in Polen, Ungarn,
Tschechien und den anderen Ländern –: Entweder kommt
die Europäische Union zu uns und der Prozess wird nicht
weiter verzögert oder wir gehen in die Europäische
Union. Deswegen ist dieser Prozess eine Chance, dass die
Menschen ihre Zukunft in ihren eigenen Ländern sehen.
Das ist die Wahrheit im Zusammenhang mit diesen Be-
fürchtungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])


Andererseits darf es aufgrund der unterschiedlichen
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht durch
Zuwanderung zu einer Verschärfung der Arbeitsmarkt-
situation insbesondere in den strukturschwachen und
grenznahen Regionen kommen. Deshalb haben wir seit
langem länderspezifisch differenzierte, flexible Über-
gangsfristen bei der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und
Dienstleistungen gefordert. Wir begrüßen insofern, dass die
Bundesregierung unsere Forderung aufgegriffen und jetzt
auch ihre konzeptionellen Vorstellungen vorgelegt hat.

Wir erwarten von ihr, dass sie ihre Position bei den jetzt
anstehenden Verhandlungen noch präzisiert: Erstens müs-
sen die Übergangsfristen länderspezifisch differenziert
vereinbart werden. Nicht für jedes Beitrittsland müssen
Übergangsfristen mit der gleichen Dauer festgelegt wer-
den. Als der Bundeskanzler plötzlich eine feste Frist für
alle Beitrittländer nannte, konnte ich mich des Eindrucks
nicht erwehren, dass das eher innenpolitisch ausgerichtet
war. Wir sollten hier länderspezifisch ganz differenziert
vorgehen. Das ist die beste Möglichkeit, diesen Prozess
vernünftig zu fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Christoph Zöpel [SPD] – Dr. Christoph Zöpel [SPD]: Genau das hat der Kanzler gesagt!)


Zweitens muss es auch möglich sein, dass für einige
Länder keine Fristen oder kürzere Fristen vereinbart wer-
den, als das bei anderen Ländern der Fall ist. Die Über-
gangsfristen müssen flexibel sein und es muss eine jährli-
che Überprüfung ab dem zweiten Jahr stattfinden. Ich
glaube, dieser Vorschlag der Kommission ist gut. So kön-
nen die Fristen verkürzt werden, wenn die Vorausset-
zungen dafür gegeben sind.

Drittens ist es überfällig, dass die Bundesregierung ob-
jektive Kriterien für die Bemessung der Übergangsfristen
und für ihre Flexibilisierung nennt. Sie muss auch verläss-
liche Zahlen zur Entwicklung des deutschen Arbeits-
marktes vorlegen. Wir müssen den Eindruck der Beliebig-
keit oder einer Abwehrhaltung vermeiden.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vor allen Dingen des Kanzlers!)


Deswegen ist es ganz wichtig, dass durch die politische
Diskussion klar wird, dass wir die Sorgen der Menschen
in den Grenzregionen sehen


(Joachim Poß [SPD]: Machen wir ja!)

– der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern
wird ebenso wie der Kollege Stübgen aus unserer Fraktion
dazu sprechen –, aber niemals die Chancen dieses politi-
schen Prozesses für alle Menschen, auch für diejenigen in
den Grenzregionen, außer Acht lassen. Darum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, Sorgen und Ängste vor der

Erweiterung – das ist ein Vorwurf an die Bundesregierung –
resultieren aber auch daraus, dass der Kreis der Beitritts-
kandidaten auf zwölf ausgeweitet und die Türkei auf-
gesattelt worden ist. Herr Bundesaußenminister, den Men-
schen ist nicht klar, wie das politisch, finanziell und
institutionell machbar sein soll. Deswegen sage ich: Dass es
diese Ängste und Sorgen gibt – das zeigen die Umfragen –,
hängt damit zusammen, dass man den Kreis zu groß ge-
macht hat.

Wie geht man damit um? Ich glaube – darauf haben wir
schon seit längerem hingewiesen –, es gibt nur eine Lö-
sung: Die Europäische Union muss sich so erweitern, dass
sie sich auch noch in Zukunft weiter vertiefen kann. Es
gibt gerade auch bei den stärksten Anhängern der Euro-
päischen Union Ängste, dass durch eine zu schnell und zu
umfassend organisierte Erweiterung eine Vertiefung un-
möglich gemacht werden könnte. Also: Erweiterung so,
dass die weitere Vertiefung der Europäischen Union mög-
lich bleibt.

Nach meiner Meinung geht das am besten durch eine
zügige Erweiterung. Die erste Verhandlungsrunde sollte
bis Ende 2002 abgeschlossen sein, damit zunächst eine
kleinere Gruppe von Ländern aufgenommen und der Pro-
zess der Osterweiterung in mehreren Schritten vorange-
trieben werden kann. Es muss alles getan werden, damit
Ende 2002 die Verhandlungen mit denjenigen Ländern
abgeschlossen werden können, die zu diesem Zeitpunkt
die vereinbarten politischen, wirtschaftlichen und rechtli-
chen Kriterien – auch die in Kopenhagen genannten Krite-
rien der Menschenrechte und Minderheitenrechte sowie
das Kriterium funktionierender Verwaltungsstrukturen –
erfüllen. Dann könnten sich diese Staaten bereits an den
nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahre
2004 beteiligen.

Was wir brauchen – das ist in der Antwort der Bundes-
regierung, Herr Bundesaußenminister, nicht enthalten, –
ist ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, dass sie al-
les dafür tun wird, damit die Verhandlungen mit den ers-
ten Staaten bis Ende 2002 abgeschlossen werden können.
Es besteht die Gefahr, dass der Zeitplan der Kommission
nicht eingehalten werden kann. Es ist angesichts der
großartigen Chancen einer Erweiterung, von denen ich
gesprochen habe, nicht akzeptabel, dass eine solche wei-
ter verzögert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


– Ich werde das noch konkretisieren.




Volker Rühe

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: Setzen Sie
sich aktiv für eine Intensivierung der Verhandlungen ein.


(Joachim Poß Der Rat muss mehr politische Verantwortung für den zügigen und erfolgreichen Verlauf der Verhandlungen übernehmen, indem er sich erheblich umfassender als bisher auf Ministerebene mit den zentralen Problemen der einzelnen Kapitel der Verhandlungen befasst. Wenn man es mit dem Abschluss der ersten Verhandlungsrunde bis Ende 2002 tatsächlich ernst meint, dann dürfen doch die schwierigsten Fragen nicht bis zum Ende der Verhandlungen aufgeschoben werden. Davon sprechen wir in unserem Antrag: Die Europäische Union sollte noch in diesem Halbjahr und nicht erst im nächsten Jahr ihre Positionen in den Fragen der Landwirtschaft und der Regionalpolitik präzisieren, wenn sie es mit einem schnellen Verhandlungsprozess ernst meint. Es ist nicht nur eine Sache der Kommission, die Verhandlungen bis Ende 2002 zum Abschluss zu bringen, sondern es ist Sache jeder einzelnen Regierung in Europa, auch und gerade, Herr Außenminister, der deutschen Regierung. Mehr als elf Jahre nach Öffnung des Eisernen Vorhangs haben wir jetzt eine konkrete zeitliche Perspektive für die Überwindung der Teilung. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Bundestag gemeinsam aufpasst, dass es bei diesem Prozess nicht zu weiteren Verzögerungen kommt. Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen: In Bezug auf einen Beitrittskandidaten, nämlich die Türkei, zeigen sich Fehler, die von der Politik gemacht worden sind. Sowohl der letzte Fortschrittsbericht als auch die jüngsten Entwicklungen haben unsere Sorge bestätigt, dass die auf Ihr Drängen erfolgte Verleihung des Beitrittskandidatenstatus zumindest verfrüht war. Es wird immer offensichtlicher, dass die mit diesem Status auf türkischer Seite verbundenen hohen Erwartungen so schnell nicht erfüllt werden. Wenn stattdessen der Türkei über Jahre hinweg in den Fortschrittsberichten bescheinigt wird, sie sei nicht einmal verhandlungsreif, muss man befürchten, dass es eher zu einer Entfremdung als zu einer Annäherung zwischen Europa und der Türkei kommen wird. Wir sind der Meinung, dass es unser strategisches Ziel sein sollte, die Türkei bei ihrer europäischen Orientierung zu stärken und sie enger mit der EU zu verbinden. Deshalb halten wir es für falsch, dass die Bundesregierung den türkischen Wunsch nach Mitwirkung an den Entscheidungsverfahren der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik ablehnt. Sie darf dort erst mitwirken, wenn sie Truppen stellt. Wir sind der Auffassung, dass die Mehrzahl potenzieller Einsatzszenarien im Zusammenhang mit einer europäischen Verteidigungsidentität wahrscheinlich ohnehin in geographischer Nähe zur Türkei zu sehen ist. Es ist falsch, dass wir ihr die Chance verbauen, enger mit der EU – jedenfalls in der Sicherheitsund Verteidigungspolitik – zusammenzuarbeiten. Sie hatte den Status eines assoziierten Mitgliedes in der Westeuropäischen Union. Deswegen glauben wir, dass es klug wäre, der Türkei den Status eines assoziierten Mitgliedes der europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik anzubieten, um sie gerade in den Fragen der Sicherheitspolitik schon jetzt an Europa zu binden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die volle Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht möglich ist. Das wäre eine kluge Politik und eine klügere Politik, als sie die Bundesregierung bisher verfolgt hat. Wenn Sie politische Gespräche führen, etwa auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, stellen Sie immer wieder fest: Es gibt Kritik an Europa, zum Teil zu Recht, und zwar auch schon vor der USAReise des Bundeskanzlers. Darüber müssen wir sprechen; denn das ist ein merkwürdiges Europa, das sagt: „Wir wollen stärker werden; wir wollen unsere eigene Verteidigungsidentität haben“, und dann werden überall in Europa die Verteidigungsetats gekürzt. (Joseph Fischer, Bundesminister: Bei Ihnen doch am meisten!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Dürfen die das?)


– Bei uns am meisten? Herr Bundesaußenminister, die
vorherige Regierung hat in vier Jahren 20 Milliarden DM
mehr für die Bundeswehr aufgewendet als die rot-grüne
Regierung, 20 Milliarden DM mehr! Seien Sie also ganz
vorsichtig!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wie gesagt, es gibt berechtigte Kritik an Europa. Sie
betreiben eine Politik nach dem Motto: Große Sprüche,
nichts dahinter!


(Günter Gloser [SPD]: Sprüche-Rühe!)

Die Osterweiterung aber ist vielleicht der wichtigste

Beitrag Europas zur Sicherung der Stabilität in der Welt.
Mit der Osterweiterung werden die Europäer eine gewal-
tige Leistung vollbringen, an der auch viele andere ihren
Anteil haben werden. In diesem Geiste werden wir an
diese Aufgabe herangehen und die notwendige Führungs-
verantwortung entwickeln. Darauf kommt es an. Ich
glaube, ehemalige Bundeskanzler haben anders, mit mehr
Anteilnahme, mit mehr Herz, mit mehr Wärme und mit
mehr Engagement, über den Prozess der europäischen In-
tegration gesprochen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ist das eine Therapiegruppe?)


– Politisch die mehrheitliche Unterstützung für die Ein-
führung des Euro zu bekommen war eine viel schwieri-
gere politische Leistung, als die Menschen davon zu über-
zeugen, dass die Teilung Europas überwunden werden
muss. Das ist auch nur durch einen engagierten und kon-
tinuierlichen Einsatz geschafft worden.

Ich finde jedenfalls, die Umfrageergebnisse sind für
Deutschland beschämend.


(Joachim Poß [SPD]: Aber die waren für die Euro-Einführung auch beschämend!)





Volker Rühe
15156


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist Ausdruck eines Mangels an politischer und geisti-
ger Führung, wenn noch nicht einmal das Land, das öko-
nomisch am meisten von der Osterweiterung profitiert, in
der Lage ist, seine Bevölkerung mehrheitlich für den In-
tegrationsprozess zu gewinnen. Was sollen wir dann von
Spanien, Italien und zum Teil auch von Großbritannien
und Frankreich erwarten? Darum geht es. Deswegen ist
die jetzige Debatte notwendig und deswegen sollten Sie
das umsetzen, was wir angeregt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Günter Gloser [SPD]: Wer hat denn die Kampagne gemacht?)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415505500
Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, auf der Tribüne hat soeben
der Präsident der Staatsversammlung der Republik
Slowenien, Borut Pahor,mit seiner Delegation Platz ge-
nommen. Ich begrüße Sie, Herr Präsident, im Namen des
ganzen Hauses sehr herzlich.


(Beifall)

Wir freuen uns über Ihre Anwesenheit, besonders auch
deshalb, weil wir heute erneut über die Erweiterung der
Europäischen Union diskutieren. Ich möchte Ihnen sagen,
dass wir Ihren Weg in die Europäische Union mit großer
Sympathie begleiten. Wir wünschen Ihnen für Ihren Auf-
enthalt in Berlin, im Deutschen Bundestag und im Reichs-
tagsgebäude weiterhin alles Gute. Für Ihr weiteres parla-
mentarisches Wirken begleiten Sie unsere guten Wünsche.


(Beifall)

Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe das Wort dem

Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpom-
mern, Dr. Harald Ringstorff.


(Mecklenburg-Vorpommern)

Herren Abgeordneten! „Jetzt wächst zusammen, was zu-
sammengehört.“ Das waren die Worte Willy Brandts, als
Ost- und Westdeutschland nach 40 Jahren Teilung endlich
wieder zusammenfanden. Mit der deutschen Einheit kam
ein Prozess in Gang, der nun zur Osterweiterung der Eu-
ropäischen Union führen wird und damit den Weg für die
Überwindung der Teilung ganz Europas ebnet.

Mit der Osterweiterung eröffnen sich für Deutschland,
auch für den Osten Deutschlands, neue Chancen, die wir
nutzen wollen. Die Erweiterung kann für uns alle ein Ge-
winn sein, wenn wir es gemeinsam richtig anpacken.
Niemand gibt sich dabei der Illusion hin, die EU-Ost-
erweiterung wäre ein Selbstläufer. Ich gebe Ihnen Recht,
Kollege Rühe, dass das keine Routineangelegenheit ist.
Sie erfordert von uns allen harte Arbeit, Besonnenheit und
Mut.

Viele Menschen haben aber auch Sorgen. Es gibt Sor-
gen vor zunehmender Billigkonkurrenz, Sorgen vor ei-
nem Zustrom von Arbeitskräften, auch von Pendlern, Sor-
gen vor Lohn-, Sozial- und Umweltdumping. Davon ist
manches berechtigt, anderes nicht.

Diese Sorgen treffen in unserem Landesteil Vorpom-
mern, im Grenzraum, auf eine Arbeitslosigkeit von 25 bis

30 Prozent, auf das Wegbrechen von Unternehmen, den
Abzug der Bundeswehr aus Eggesin und manches mehr.
Das alles wirkt sich ganz konkret in den Familien und in
den Handwerksbetrieben vor Ort aus.

Vorbehalte und Ängste müssen wir ernst nehmen. Auf-
klärungs- und Überzeugungsarbeit sind nötig. Sie sind die
beste Gewähr dafür, dass Sorgen und Ängste nicht von de-
nen instrumentalisiert werden, die der Intoleranz das Wort
reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das ist wirklich das Letzte, was wir in diesem Zusam-
menhang brauchen.

Was wir hingegen brauchen, ist ein überzeugendes und
transparentes Beitrittskonzept, das für die Menschen im
Land, in den Grenzregionen und darüber hinaus glaub-
würdig ist und ihnen Chancen aufzeigt, und zwar nicht nur
in ferner Zukunft, sondern auch in der Gegenwart, nicht
in allgemeinen Theorien, sondern in konkreten Perspekti-
ven, die der Realität vor Ort standhalten.

Wenn wir den Menschen die Chancen und Vorteile der
Osterweiterung erläutern, dürfen wir von den Markt-
chancen nicht undifferenziert sprechen. Natürlich gibt es
diese Chancen. Sie sind, insgesamt gesehen, groß, vor al-
lem für große Unternehmen. Für den Handwerks- und
Dienstleistungsbetrieb im Grenzraum stellt sich das Pro-
blem jedoch differenzierter dar. Er hat in der Regel keine
starke Kapitaldecke. Er hat nicht die personellen Res-
sourcen und das Know-how, um ohne weiteres ausländi-
sche Märkte bedienen oder sich auf sie einstellen zu kön-
nen. Es beginnt oft schon mit den Sprachbarrieren.
Probleme mit Verwaltung und Justiz im Ausland sind für
ihn viel schwerer zu lösen als für die Stäbe großer Unter-
nehmen. Deshalb muss den mittelständischen Betrieben
bei der Marktanpassung und der Vorbereitung auf die Er-
weiterung mehr Unterstützung als bisher angeboten wer-
den. Einem fairen Wettbewerb wollen wir uns auch
zukünftig stellen. Wettbewerbsverzerrungen wollen wir
nicht.

Die Erweiterung betrifft uns alle. Doch es ist auch klar:
Die Auswirkungen sind regional ganz unterschiedlich. Ich
will in diesem Zusammenhang drei Punkte nennen:

Erstens dasWohlstands- und Lohngefälle. Zwischen
den bisherigen und den zukünftigen EU-Mitgliedern wird
es im Grenzraum am deutlichsten. Dieses Gefälle wird
Migrations- und Anpassungsdruck erzeugen, für den nicht
alle regionalen und sektoralen Arbeitsmärkte gerüstet
sind. Das Gefälle wird sich nur mittel- bis langfristig ver-
ringern.

Zweitens die Tagespendler. Kollege Rühe, ich gebe
Ihnen Recht, dass nicht alle Polen und Tschechen auf ge-
packten Koffern sitzen. Aber das Tagespendlerproblem ist
ein besonderes. Sie können in den für sie erreichbaren Re-
gionen arbeiten, aber in ihrem Heimatland leben. Das
wirkt sich auf die Arbeitsplätze zum Beispiel in den
Grenzregionen aus.

Drittens nenne ich die Verkehrsinfrastruktur. Hier
sind zuerst die Grenzübergänge und die Zufahrtsstraßen




Volker Rühe

15157


(C)



(D)



(A)



(B)


zu sehen. Es sind Nadelöhre; erst später verteilt sich der
Verkehr.

Ich denke, dass es eine ganze Reihe von Aspekten gibt,
die im Rahmen des Beitrittskonzeptes für die Grenzregio-
nen berücksichtigt werden können und auch berücksich-
tigt werden müssen.


(Beifall bei der PDS)

Hieran machen sich konkrete Erfahrungen der Men-

schen und der Betriebe mit der Erweiterung fest. Ich be-
grüße daher ausdrücklich, dass der Europäische Rat von
Nizza die Kommission aufgefordert hat, ein Programm
zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregio-
nen aufzulegen. Wir werden sehen, ob es den Bedürfnis-
sen und den Realitäten vor Ort gerecht wird.


(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])

Was wir brauchen, sind administrativ und finanziell aus-
gewogene Lösungen für diese Räume.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Zur Wahrung der Chancen unserer Grenzregionen
drängen wir deshalb auf einen Aktionsplan, der zum Ziel
haben muss, das Zusammenwachsen der Regionen auf
beiden Seiten zu fördern, die Verkehrsinfrastruktur zu
verbessern sowie den kleinen und mittleren Unternehmen
die Anpassung an die veränderte Marktsituation zu er-
leichtern. Insgesamt gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit der
kleinen und mittleren Unternehmen in den Grenzregionen
zu stärken. Hier muss ein Programm für die Grenzregio-
nen effektiv ansetzen.


(Beifall bei der SPD)

Ein wichtiger Teil dieses Programms sind die Über-

gangsregelungen im Bereich der Freizügigkeit und der
Dienstleistungsfreiheit,wie es sie auch 1986 bei Vollzug
der Süderweiterung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit
gab. Wir brauchen hier flexible und intelligente Lösun-
gen, die auch regional unterschiedlich ausfallen können.
Herr Kollege Rühe, wenn Sie den Vorschlag des Bundes-
kanzlers richtig gelesen haben,


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Basta!)

hätten Sie erkennen können, dass es Revisionsklauseln
geben soll und dass er für flexible Lösungen plädiert. Es
handelt sich nicht um einen starren Vorschlag, wie Sie uns
hier glauben machen wollten.


(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: So ist es!)


Aber auch die Problematik der Tagespendler muss
berücksichtigt und gelöst werden.

Neben der notwendigen Unterstützung der Grenzre-
gionen von außen sind natürlich auch die Regionen selbst
gefordert. Selbstverständlich erwarten wir auch Eigen-
initiative der Wirtschaft. Ich will zwei konkrete Beispiele
für innovative Eigenaktivitäten nennen:

Erstens. Im Herbst letzten Jahres haben wir in Stettin
ein Haus der Wirtschaft gegründet. Es bietet ganz kon-

krete Hilfen für Unternehmen beider Seiten, die sich im
jeweils anderen Land betätigen wollen. Dieses Haus ist
mit großem Erfolg gestartet.

Zweitens. Im Herbst dieses Jahres startet in Mecklen-
burg-Vorpommern ein Pilotprojekt für eine Lehre über
die deutsch-polnische Grenze hinweg. 45 deutsche und
45 polnische Lehrlinge werden mehrwöchige Ausbil-
dungsabschnitte im jeweils anderen Land absolvieren.
Auch ein solches Projekt ist zukunftsweisend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Insgesamt gilt: Die positive und integrationsfördernde
Wirkung der in den letzten Jahren entwickelten intensiven
grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf allen Ge-
bieten ist nicht gering zu achten. Das gilt sicherlich nicht
nur für Mecklenburg-Vorpommern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei all diesen
Projekten und Formen der Zusammenarbeit auf staat-
licher, privater, regionaler oder lokaler Ebene werden
Menschen zusammengebracht. Ich möchte so weit gehen
zu sagen: In vielen Bereichen ist auf unteren Ebenen die
EU-Osterweiterung bereits vollzogen. Daher können wir
jetzt den entscheidenden großen Schritt mit Optimismus
tun, aber auch mit dem Willen, sie im Interesse der Men-
schen überzeugend zu gestalten, damit aus den Chancen,
die die Zukunft Europas bietet, Chancen für alle und nicht
für wenige werden, damit zusammenwächst, was in unse-
rem heutigen Europa zusammengehört.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415505600
Für die
F.D.P.-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Helmut Haussmann.


Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1415505700
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind der
Meinung, dass die Europapolitik derzeit drei Mängel auf-
weist:

Erstens. Im Gegensatz zu früheren Projekten fehlt es an
europäischer Führung und einer europäischen Vision.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Jetzt kommt er auch mit Führung! Es wollen alle geführt werden!)


Es fehlt an Begeisterung; aber ohne Begeisterung – das
wird zu Recht gesagt – lassen sich Ängste und Befürch-
tungen nicht überwinden.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Die Begeisterung sieht man Ihnen direkt an! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie strahlen auch nicht gerade Begeisterung aus!)


Zweitens. Für konkrete Probleme müssen Lösungen
erarbeitet werden. Diese Probleme müssen zugegeben




Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff (Mecklenburg-Vorpommern)

15158


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Zugleich müssen aber die Vorteile sehr viel stär-
ker herausgestellt werden.

Drittens. Herr Außenminister, der Post-Nizza-Prozess
kann nicht nur darin bestehen, das wichtige Projekt einer
europäischen Verfassung vorzubereiten, sondern dazu
gehört auch die Verbesserung des unzureichenden Er-
gebnisses des Vertrages von Nizza. Ansonsten wird die
Verfassung auf tönernen Füßen stehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich komme zum ersten Punkt und damit zur „Begeiste-

rung“. Ich war für die Schaffung des europäischen Bin-
nenmarkts mitverantwortlich und ich habe mir große
Mühe gegeben, die Menschen für das Projekt einer euro-
päischen Währung zu begeistern. Im Gegensatz zu frühe-
ren Projekten, an denen wir mitgewirkt haben, fehlt es
derzeit – das sagt Herr Verheugen – an einer gemeinsamen
Zukunftsvision.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Privatmann Fischer erklärt in der Humboldt-Univer-
sität, die Osterweiterung habe oberste nationale Priorität.

Nur, das Regierungshandeln zeigt relativ viel Klein-
mütigkeit. Nizza war schlecht vorbereitet. Man hat es bis-
her nicht geschafft, Frankreich für das Projekt der Ost-
erweiterung wirklich zu gewinnen. Man hat kleine Länder
schlecht behandelt und man verkürzt in der innenpoliti-
schen Debatte die Osterweiterung auf das Problem der
Freizügigkeit im Falle der Grenzöffnungen. Wenn man
die Debatte auf dieses Problem verkürzt, dann wird man
es nicht schaffen, die Menschen für die Vision der Wie-
dervereinigung Europas zu begeistern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir brauchen überhaupt nicht zu suchen: Die Vision be-
steht in der Wiedervereinigung Europas. Darauf hat Herr
Rühe völlig zu Recht hingewiesen.


(Günter Gloser [SPD]: Das war das einzig Richtige!)


Gerade von Berlin, dem neuen geographischen Zen-
trum eines wiedervereinigten Europas, sollte mehr euro-
päische Führung – im guten Sinne – ausgehen. Unter
„Berliner Republik“ verstehe ich nicht, wie dies der Bun-
deskanzler tut, eine Renationalisierung der Politik, nach
dem Motto: Wir sind wieder wer, basta!


(Günter Gloser [SPD]: Das ist doch Aachener Büttenrede!)


Unter „Berliner Republik“ verstehe ich Führung und Vor-
bild in europäischen Fragen, Herr Kollege.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir sind das größte Land. Kleinere Staaten erwarten von
Berlin, dass es sich in Nizza nicht hinter den Problemen
Frankreichs versteckt, sondern dass es von sich aus bereit
ist, mehr für die Integration zu tun, und dass es sich nach-
her nicht rühmen lässt, dass es aus nationalen Gründen be-
stimmte alte Positionen gewahrt hat. Wir haben im Ver-
gleich zu anderen Staaten, zum Beispiel zu Belgien, auch
in Nizza zu wenig getan.

Der zweite Punkt betrifft das Problem der Gewinnung
der Bürger für das großartige Projekt der Wiedervereini-
gung Europas.Natürlich sollte man über die Freizügigkeit
diskutieren. Wenn der Kanzler allerdings in vorauseilen-
dem Gehorsam gegenüber den deutschen Gewerkschaften
gleich mit sieben Jahren anfängt – die deutschen Gewerk-
schaften gehen von zehn Jahren aus –, dann darf man sich
nicht wundern, dass Polen in anderen sensiblen Fragen von
Übergangsfristen von 15 Jahren ausgeht. Wir sollten als
wirtschaftlich stärkstes Land eine flexible Lösung vor-
schlagen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Günter Gloser [SPD]: Popanz, Herr Haussmann!)


Es ist doch interessant, dass weder Außenminister
Fischer noch Herr Verheugen auf die Migrationsfor-
schung eingehen. Sämtliche Gutachten führen zu dem
Vorschlag: vier Jahre Übergangszeit und nach zwei Jahren
Überprüfung. Auf diesen Vorschlag kann man eingehen.
Das Lamentieren und das In-den-Vordergrund-Stellen der
Angst ist aus meiner Sicht falsch. Die Migrationsfor-
schung sagt eindeutig, es werde zu keinen größeren Ver-
werfungen auf dem Arbeitsmarkt kommen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Da hat er Recht! Das stimmt!)


Herr Ministerpräsident, allerdings kommt es in den
Grenzregionen zu einem erhöhten Anpassungsbedarf. Es
wäre besser, wenn die Bundesregierung ihre Reformauf-
gaben vorher machen würde. Wenn sie durch eine richtige
Steuerreform und eine richtige Mittelstandspolitik neue
Arbeitsplätze in Deutschland schaffen würde, dann wäre
die Osterweiterung arbeitsmarktmäßig natürlich sehr viel
leichter zu verkraften.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir verschenken in Deutschland Wachstum.

Der dritte Punkt – ich halte ihn für den entscheiden –
den –: Herr Bundesaußenminister, nicht der mangelnde
Reformwillen der Osteuropäer ist das Problem bei der
Wiedervereinigung Europas. Die Osteuropäer haben seit
1989 nationale Opfer in einem Maße gebracht, an dem wir
uns in keiner Form messen können. Die eigentliche Ge-
fahr für die Wiedervereinigung Europas liegt in dem man-
gelnden Reformwillen, in den nationalen Egoismen der
Altmitglieder, einschließlich Deutschlands. Vor dem Hin-
tergrund der Ergebnisse von Nizza bedeutet jede Erweite-
rungsrunde eine Zunahme der Zahl der Vetoinhaber in
Bezug auf zentrale politische und wirtschaftliche Ent-
scheidungen und damit eine reale Gefahr der Selbst-
blockierung eines erweiterten Europas. Das ist der ent-
scheidende Punkt.

Wenn Sie heute das Gutachten von 150 Europaabge-
ordneten aller Fraktionen – Liberale, Grüne, Christdemo-
kraten und Sozialisten – lesen, dann können Sie feststel-
len, dass sie davor warnen, unter den jetzigen
Bedingungen von Nizza zu erweitern. Herr Bundes-
außenminister, der Post-Nizza-Prozess darf sich nicht nur
auf das große Projekt einer europäischen Verfassung ver-
kürzen. Wir müssen die Zeit bis 2004 nutzen, die Ergeb-
nisse von Nizza zu verbessern, sodass die Erweiterung




Dr. Helmut Haussmann

15159


(C)



(D)



(A)



(B)


der Europäischen Union durch Mehrheitsentscheidun-
gen, die verstärkt das Vetorecht ersetzen, möglich wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das jetzige Problem mit den Ergebnissen von Nizza

besteht doch darin, dass wir gerade den wichtigen osteu-
ropäischen Ländern auch innenpolitisch keinen Gefallen
tun, wenn die Reformer sowie die liberalen und demokra-
tischen Kräfte von Anfang an von früheren Kommunisten
und neuen Nationalisten dazu gedrängt werden würden,
bei wichtigen Entscheidungen zu blockieren. Angesichts
der globalen Rolle Europas muss die Osterweiterung als
Antwort auf den Druck verstanden werden, der durch die
Globalisierung, durch die Politik der Amerikaner, durch
die verstärkten Anstrengungen auf dem Gebiet der
Verteidigung, durch eine große Steuersenkung und durch
den internationalen Wettbewerb bezüglich der Arbeits-
plätze auf uns ausgeübt wird. Die Globalisierung lässt uns
keine andere Wahl, als den gesamten Kontinent wirt-
schaftlich und politisch neu zu organisieren.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Langfristig wäre Westeuropa allein nicht in der Lage,

mit den Vereinigten Staaten von Amerika und später mit
China oder Indien mitzuhalten. Insofern ist die Osterwei-
terung nicht nur eine Frage der innereuropäischen Orga-
nisation. Die Osterweiterung muss vielmehr unter dem
Aspekt der Effizienz und der Handlungsfähigkeit vollzo-
gen werden. Der entscheidende Punkt ist, dass Ge-
samteuropa in verteidigungs- und währungspolitischen
Fragen handlungsfähig bleibt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich erwähne ausdrücklich das wirklich hervorragende

Referat, das Herr Schäuble gestern Abend in der bayeri-
schen Landesvertretung – ausgerechnet dort – gehalten
hat. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es für die
weitere Entwicklung Europas zwei Kriterien gibt: die
Handlungsfähigkeit und die Partnerschaft mit den Verei-
nigten Staaten von Amerika. Deshalb sind die Bedin-
gungen von Nizza für die Osterweiterung so wichtig. Es
darf zu keiner weiteren Zersplitterung und zur Selbst-
blockade kommen. Aus globaler Sicht müssen Entschei-
dungen in einem Europa, bestehend aus 25 Staaten, durch
Mehrheitsentscheid getroffen werden, damit wir auf
Dauer zu einer globalen Partnerschaft fähig werden.

Aus liberaler Sicht bedingt die Zustimmung zur Ost-
erweiterung eine Verbesserung der Ergebnisse von Nizza.
Herr Bundesaußenminister, da Sie zu Recht von der Not-
wendigkeit einer weiteren Verbesserung der deutsch-
französischen Beziehungen gesprochen haben, will ich
Ihnen sagen: Eines der ersten Themen, über das Sie mit
Frankreich sprechen sollten, muss sein, wie die ungelös-
ten Probleme von Nizza durch Nachverhandlungen so be-
seitigt werden können, dass wir am Ende dem Vertrag von
Nizza mit großer Mehrheit – wie bei allen europäischen
Verträgen – zustimmen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415505800
Ich erteile das Wort
dem Herrn Bundesaußenminister.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415505900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als im No-
vember 1989 der Kalte Krieg zu Ende ging und die Mauer
fiel, da zeigte sich, dass das wichtigste historische Projekt,
das nach 1945 in Westeuropa begonnen wurde, auch eine
Antwort für die Neuordnung Gesamteuropas bereithielt.
Der europäische Einigungsprozess als Antwort auf die
historische Herausforderung umfasste nämlich nicht nur
Westeuropa, sondern ganz Europa. Er ist die Antwort auf
den Prozess der europäischen Selbstzerstörung in der ers-
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die wichtigsten euro-
päischen Staaten meinten, in Konfrontation, ja in Krieg
ihre legitimen oder auch illegitimen Ansprüche gegen-
einander durchsetzen zu können und durchsetzen zu müs-
sen, einer Selbstzerstörung, in deren Zentrum gerade
Deutschland stand.

Es ist, gerade wenn man die Geschichte unseres Lan-
des in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
sieht, ein unglaubliches, fast nicht für möglich gehaltenes
Glück, dass wir in Frieden und Freiheit wiedervereinigt
sind, dass wir, in der Mitte Europas liegend, eingebunden
sind in die europäische Integration, umgeben von Nach-
barn, Partnern und Freunden. Noch vor zehn Jahren stan-
den sich die Rote Armee und die NATO auf dem ersten
Schlachtfeld eines dritten Weltkriegs gegenüber. Diese
Lage hat sich grundsätzlich geändert.

Wir haben auch die Krise auf dem Balkan erlebt, bei
der wir feststellen mussten, dass dieser Kontinent nicht
zwei unterschiedliche Sicherheitsprinzipien aushalten
wird. Es kann nicht ein Europa des Nationalismus auf
der einen Seite und ein Europa der Integration auf der
anderen Seite geben. Ein Europa des Nationalismus
würde das Europa der Integration nicht unbeschädigt las-
sen.

Wenn es, wie die Bundesregierung sagt – das sagt nicht
nur die Bundesregierung, sondern das ist ein breiter Kon-
sens in diesem Haus, was deutlich wird, wenn man einmal
die Polemik weglässt –, im höchsten deutschen Interesse
ist, die politische Europäische Union zu schaffen und zu
vollenden, dann reflektiert das nicht nur unsere Ge-
schichte, nicht nur die Chancen und Risiken, die in unse-
rer Geschichte offensichtlich wurden, sondern auch die
aktuellen Herausforderungen, das aktuelle Interesse
Deutschlands. Das haben alle Redner hier betont.

Ich kann nur unterstreichen: Die Osterweiterung ist
die große historische Chance des Zusammenführens des
geteilten Europas. Unter den Bedingungen des 21. Jahr-
hunderts – das werden wir feststellen – werden der Druck
in Richtung Handlungsfähigkeit, und die Krisen, die von
außen auf uns einwirken, die Notwendigkeit der politi-
schen Integration dramatisch verstärken. Aber auch die
Osterweiterung selbst wird den Einigungsdruck erhöhen.

Das ist ein Prozess, den ich mir durchaus wünsche.
Denn die erweiterte Union steht vor der großen Frage:
Wie wird eine Union der 22, der 25, ja der 27 handlungs-
fähig bleiben? Diese Frage müssen wir in den kommen-




Dr. Helmut Haussmann
15160


(C)



(D)



(A)



(B)


den Jahren in dem so genannten Prozess der europäischen
Integration beantworten, den wir bis 2004 in Richtung einer
Verfassung, der Abgrenzung der Kompetenzen, aber auch
der weiter gehenden Klärung der Handlungsfähigkeit dieser
sich erweiternden Union durch- und fortführen wollen.

Hier wird viel davon gesprochen, dass wir die Vorteile
in den Vordergrund stellen müssen. Richtig. Aber wir
müssen genauso die Ängste ernst nehmen. Es nützt nichts,
den Kopf in den Sand zu stecken. Man soll diese Ängste
nicht verstärken, aber man muss schon zur Kenntnis neh-
men, dass viele Menschen, bedingt auch durch die großen
historischen Veränderungen, so etwas wie Veränderungs-
stress erlebt haben, wo sie sich nicht immer auf der Ge-
winnerseite gesehen haben. Mein gestriges Gespräch mit
dem Bundesausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbun-
des, bei dem die Ängste in den Betrieben reflektiert wur-
den, hat nochmals klargemacht, dass wir die Ängste ernst
nehmen müssen. Es geht nicht darum, sie zu verstärken,
sondern darum, sie zu entkräften.

Auch das, was der Ministerpräsident von Mecklen-
burg-Vorpommern dargestellt hat, ist richtig. Natürlich
gibt es in der Grenzregion – davon konnte ich mich bei
Bürgerforen selbst überzeugen – entsprechende Sorgen.
Natürlich gibt es in der Grenzregion ganz spezifische Pro-
bleme, auf die wir eingehen müssen. Die Bundesregie-
rung hat gemeinsam mit der österreichischen Regierung
durchgesetzt, dass wir auf unserer Seite bei der Osterwei-
terung ein Strukturanpassungsprogramm für die Grenzre-
gionen schaffen.

Aber die Erfahrung zeigt eben auch: Das Schicksal von
Grenzregionen ist, dass, wenn die Grenze geschlossen
bleibt, sich quasi Fuchs und Hase dauerhaft niederzulas-
sen versuchen, während die Durchlässigkeit der Grenze
– das geht nicht von jetzt auf gleich, aber so sind die Er-
fahrungen mit der Europäischen Union zum Beispiel in
Rheinland-Pfalz und Baden wie auch in Nordrhein-West-
falen und Niedersachsen – gewaltige Entwicklungschan-
cen in Regionen an der Westgrenze geschaffen hat, die zu-
vor mit Problemen zu kämpfen hatten.

Ich erinnere mich sehr gut, dass es in Südbaden – ich
bin in Baden-Württemberg aufgewachsen – über lange
Zeit sehr attraktiv war, in Deutschland zu wohnen und in
die Schweiz zu pendeln.

Man muss dort bestimmte Strukturanpassungen vor-
nehmen. Aber zugleich bieten die Öffnung der Grenze
und die ökonomische Entwicklung, die die Europäische
Union mit sich bringt, eine große Chance gerade für die
neuen Bundesländer und die Regionen an der Grenze zu
Polen. Würde Polen nicht Mitglied, würden sich alle
Probleme, die zu Recht benannt werden, exponentiell
steigern. Das heißt, wir würden die Probleme dort dauer-
haft und in erheblichen Größenordnungen bekommen.
Die Süderweiterung mit Portugal, Spanien und Griechen-
land hat gezeigt, dass aus armen Ländern mittlerweile be-
deutende Faktoren in der großen europäischen Volkswirt-
schaft geworden sind, was übrigens auch zu unserem
Vorteil ist, wenn man die Exporte und damit die Arbeits-
plätze sieht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Erfolgsgeschichte wollen wir wiederholen,
meine Damen und Herren, und dafür haben wir die ent-
sprechenden Voraussetzungen geschaffen. Ich verstehe ja,
dass sich die Opposition an einem Punkt schwer tut, bei
dem wir einen breiten Konsens haben. Aber ich halte
überhaupt nichts von der Position der Opposition – –


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wieso denn? – Volker Rühe [CDU/CSU]: Wer hat denn die Politik eingeleitet?)


– Herr Rühe, ich wollte gerade auf Sie zu sprechen kom-
men, weil Sie vorhin sagten: große Sprüche und nichts da-
hinter. – Wenn ich Ihre Rede mit dem Beitrag des Kolle-
gen Schäuble vergleiche, der heute in der „FAZ“
abgedruckt ist, dann meine ich: Sie sollten diesen Beitrag
zum Maßstab zukünftiger Reden nehmen, die Sie zum
Thema Europa im Bundestag halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Kollege Rühe, ich muss Ihnen entgegenhalten,
dass in Bezug auf die Osterweiterung der Satz „große
Sprüche und nichts dahinter“ für Ihre Regierungszeit gilt.
Polen wurde versprochen, im Jahre 2000 Mitglied zu sein.
Wir haben in der zweiten Hälfte des Jahres 1998 unter
österreichischer Präsidentschaft eine konkrete Beitritts-
perspektive beschlossen. Dann kam der Beschluss von
Helsinki, der die ganze Sache durch das Zusammenziehen
von ehemals zwei Gruppen wirklich dynamisiert hat. Hät-
ten Sie sich besser informiert, wüssten Sie, dass es vorher
zwei unterschiedliche Gruppen mit entsprechenden Rei-
bungsproblemen gegeben hat. In Helsinki wurde konkret
beschlossen – ich halte das für völlig richtig –, alle Bei-
trittskandidaten in einer Gruppe zusammenzufassen, dann
aber jeweils konkrete Bedingungen zu implementieren.
An den Fortschrittsberichten können Sie ablesen, wie her-
vorragend dies funktioniert. Gerade mein Gespräch mit
dem rumänischen Außenminister vor zwei Tagen hat klar
gezeigt, dass es richtig war, das Zweigruppenmodell auf-
zugeben, zumal ja auch schon mit der zweiten Gruppe,
wenn auch nachrangig, verhandelt wurde. Jetzt geht es für
jeden nach seinen Möglichkeiten und individuellen Fort-
schritten. Dieser in Helsinki beschlossene Ansatz ist wirk-
lich hervorragend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber das sind Ihre Widersprüche; damit müssen Sie klar-
kommen.

Sie wollen der Türkei einen Sonderstatus bei der eu-
ropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einräu-
men, ihr aber gleichzeitig den Status im Zusammenhang
mit der Heranführungsstrategie streitig machen. Es wird
ja mit der Türkei nicht verhandelt. Das Einzige, was der
Rat von Helsinki über Luxemburg und Cardiff hinaus be-
schlossen hat, ist, dass wir die Türkei nicht mehr vertrös-
ten, sondern ihr klar sagen: Wenn ihr in Richtung Europa
wollt, dann müsst ihr euch zusammen mit der Kommis-
sion eine Heranführungsstrategie erarbeiten und sie um-
setzen, bis ihr die Kopenhagener Kriterien erfüllt. Diese
Kriterien stellen keine „Lex Türkei“ dar, sondern gelten
für Mitglieder wie für Beitrittskandidaten und müssen




Bundesminister Joseph Fischer

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erfüllt sein, damit Verhandlungen überhaupt begonnen
werden können. Das galt und gilt für alle; auf dieser
Grundlage haben wir eine Heranführungsstrategie be-
schlossen. Jetzt aber der Türkei bei der sich entwickelnden
ESVP einen Sonderstatus einzuräumen, davor kann ich
nur warnen. Das ist nicht zu Ende gedacht, Herr Rühe. Sie
sollten dieses Thema einmal mit Ihren Fachleuten und Eu-
ropapolitikern sorgfältig erörtern. Ich glaube, dann würden
Sie sehr schnell feststellen, dass Sie hier in eine Situation
gerieten, die Sie sich selbst nicht wünschen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, dem Bundeskanzler „Re-
nationalisierung“ vorzuwerfen ist, Herr Haussmann,
doch wirklich blühender Unsinn. Gerade die Rolle, die
der Bundeskanzler sowohl in Berlin als auch in Nizza
insbesondere bei der Wahrung der Interessen der kleinen
Länder gespielt hat, zeigt – ich habe es doch unmittelbar
mitbekommen –, dass das Gegenteil der Fall ist: Deutsch-
lands nationale Interessen bestehen darin, Europa voran-
zubringen, und zwar gemeinsam mit unserem Partner
Frankreich. Der Bundeskanzler hat sich in einem Maße
dafür eingesetzt, dass ihm die anderen dafür gedankt ha-
ben. Das sollten Sie hier auch sagen, anstatt blühenden
Unsinn von „Renationalisierung“ zu verkünden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch Folgendes hinzufügen, wenn die
F.D.P. der Meinung ist, wir müssten unser Verhältnis zu
Frankreich verbessern: Ich treffe mich heute Abend mit
dem Kollegen Védrine. Ich stelle mir einmal vor, dass ich
ihm sage: Ihr habt das in Nizza großartig gemacht; leider
ist das Ergebnis von Nizza schlecht, weshalb wir nach-
verhandeln wollen. Auf dieser Grundlage verbessern wir
die deutsch-französischen Beziehungen!


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heiterkeit bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie nicht so einen Stuss daher! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das ist doch primitiv, was Sie hier abziehen!)


– Das ist nicht primitiv, sondern es ist der Vorschlag der
F.D.P. Ich meine jetzt ja gar nicht die CDU/CSU.

Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Wenn Sie mit
einer Nachbesserungsposition nach Paris fahren wollen
– das weiß Kollege Pflüger nur zu gut, das weiß auch Kol-
lege Merz, nur die F.D.P. weiß es nicht –, dann brauchen
Sie erst gar nicht loszufahren. Es ist doch völlig klar, dass
das nur auf der Grundlage von Nizza geht. Nizza ist mei-
nes Erachtens besser, als Sie es hier darstellen. Ich kann
Ihnen nur sagen: Auf der Grundlage der Ergebnisse von
Nizza werden die nächsten Schritte möglich und die
nächsten Ziele in der Osterweiterung wollen wir auch er-
reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt anspre-
chen. Ich halte nichts davon – ich bitte Sie, auch das viel-

leicht in den Ausschussberatungen nochmals sorgfältig
durchzudiskutieren –, bei den Übergangsvorschriften
nach Ländern zu differenzieren, wie es Kollege Rühe vor-
schlägt. Daraus würde sehr schnell eine Debatte resultie-
ren, die sich nicht an der Sache orientiert, sondern an dem
nationalen Prestige: diskriminierend oder nicht diskrimi-
nierend. Davon halte ich nichts.

Ich finde vielmehr den Vorschlag, den der Bundes-
kanzler in Weiden gemacht hat, seinen Fünf-Punkte-
Plan für den freien Personenverkehr, durchdachter. Da
geht es auch nicht darum, ob sich die Übergangsfrist über
vier oder sieben Jahre erstreckt. Meine Position war im-
mer – insofern finde ich das, was der Bundeskanzler vor-
geschlagen hat, völlig richtig –: Es ist besser, eine längere
Übergangsfrist zu wählen, um – bei gleichzeitiger hoher
Flexibilität in der Überprüfung – Ängste abzubauen, denn
diese Ängste müssen wir ernst nehmen. Erweisen sich
diese Ängste als gegenstandslos und hat man entspre-
chend eng gefasste Überprüfungsklauseln – das ist der
Vorschlag des Bundeskanzlers –, dann kann man die wei-
tere Übergangsfrist ad acta legen.

Genau auf dieser Grundlage kann man sich einigen.
Anhand der Empirie, der konkreten Bedingungen und der
eng gefassten Überprüfungsvorschriften kann man dann
entscheiden, ob der Tatbestand gegeben ist, ob man
tatsächlich noch weiter Sorge tragen muss oder ob die
Sorgen schlicht und einfach gegenstandslos sind, sodass
auf die weitere Übergangsfrist verzichtet werden kann.
Da vertraue ich voll der Kommission, die das bisher auch
in den anderen Erweiterungsprozessen hervorragend ge-
macht hat.

Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass einzelne Mit-
gliedstaaten ihren Arbeitsmarkt von Anfang an öffnen
können, wenn sie dieses wünschen. Das ist dann deren Sa-
che. Auch das ist ein Vorschlag des Bundeskanzlers.

Ich finde, auf dieser Grundlage lassen sich die Ängste
in unserem Lande – zusammen mit einer entsprechenden
Strukturanpassungsmaßnahme für die Grenzregionen –
überwinden. Diese Bundesregierung hat sich der Ost-
erweiterung verpflichtet. Am Anfang wurden wir mit ei-
nem gewissen Misstrauen beobachtet, aber dieses Miss-
trauen wurde völlig ausgeräumt.

In Polen und anderswo weiß man heute sehr genau,
dass es diese Bundesregierung ist, die die polnischen In-
teressen, die ungarischen Interessen, die tschechischen In-
teressen, auch die Interessen der baltischen Staaten voran-
bringt.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das haben Sie in Nizza nicht geschafft!)


Wir wollen zum frühestmöglichen Zeitpunkt diese Er-
weiterung. Ich halte aber nichts davon, wenn Herr Rühe
jetzt, nur weil wir vorsichtig sind, mit neuen Fristen
kommt. Wir vertrauen hier auf den Beschluss von Hel-
sinki. Die Fortschrittsberichte der Kommission werden
zeigen, wann es so weit ist, dass konkretisiert werden
kann, wann die Signatur unter die Verträge kommt. Dann
muss ratifiziert werden, dann kann beigetreten werden.

In Nizza haben die Europäer die Erwartung geäußert,
dass wir bei der nächsten Europawahl im Frühsom-




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mer 2004 mit einer erweiterten Union rechnen können.
Etwa um diesen Zeitpunkt herum wird es wohl sein, sa-
gen die kundigen Auguren in Brüssel.

Ich denke, wir sollten uns jetzt nicht auf Diskussionen
über das Datum konzentrieren, sondern auf Fortschritte in
der Sache. Genau das will die Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415506000
Nun erteile ich dem
Kollegen Uwe Hiksch, PDS-Fraktion, das Wort.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1415506100
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Die Erweiterung um die Staaten
Mittelosteuropas ist für Europa und für die Europäische
Union endlich der entscheidende Beitrag dazu, um errei-
chen zu können, dass Europa einen entscheidenden
Schritt vorangeht, dass endlich die Spaltung überwunden
wird.

Wir, die PDS-Fraktion, wollen mithelfen, dass ge-
meinsam mit den Menschen Mittelosteuropas, mit den
Menschen in Polen, in Tschechien, in Ungarn und in den
baltischen Staaten daran gearbeitet wird, dass möglichst
viele dieser Menschen die Chance bekommen, bereits zur
Europawahl 2004 an den demokratischen Wahlen Euro-
pas teilzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns auch
dafür einsetzen, dass die Diskussion über die Kopenha-
gener Kriterien und die Diskussion über den Acquis Com-
munautaire eine wichtige Rolle bei den Beitrittsverhand-
lungen spielen und wir gemeinsam mithelfen können,
solche Bedingungen zu schaffen, dass dieser Beitritt sozi-
alverträglich funktioniert.

Wir sollten aber bei der Diskussion über die Europä-
ische Union nicht vergessen, dass Europa größer als das
Europa der heutigen 15 Mitglieder und derjenigen Staa-
ten, die beitreten wollen, ist. Die Menschen in der
Ukraine, die Menschen in Russland, die Menschen in
Weißrusslandwollen natürlich von uns eine gemeinsame
Antwort auf die Frage haben, wie wir im Rahmen des
Erweiterungsprozesses der Europäischen Union mithel-
fen, dass Integration nicht an den Grenzen der Europä-
ischen Union aufhört


(Beifall bei der PDS)

und dass auch diese Staaten und Regierungen in die Ent-
wicklungen Europas eingeschlossen werden.

Die Menschen im ehemaligen Jugoslawien wollen
natürlich von uns eine Antwort darauf bekommen, wie für
die Staaten auf dem Balkan eine mittelfristige Beitritts-
perspektive aussehen kann. Deshalb sagt die PDS deut-
lich, dass wir die zunehmende Militarisierung der Euro-
päischen Union für einen falschen Schritt halten, weil sie
die Wahrnehmung russischer Interessen und das Eingehen
auf russische Befindlichkeiten erschwert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäische
Union bietet uns allen die große Chance auf Rückgewin-
nung des Primates der Politik. Während die Vernetzung

der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Westeuropa
auf der einen Seite – Deutschland mitten drin – und den
osteuropäischen Staaten auf der anderen Seite ständig
voranschreitet, haben die Menschen und Regierungen in
diesen Regionen ein Bedürfnis danach, dass nicht nur die
wirtschaftlichen Verflechtungen vorankommen. Diese
Regierungen, diese Staaten, diese Menschen wollen viel-
mehr auch an den demokratischen Entscheidungs-
prozessen der Europäischen Union teilnehmen. Wir
sind der Überzeugung, dass die Europäische Union den
Menschen in Polen, in Tschechien, in Ungarn und im Bal-
tikum die Möglichkeit der Schaffung eines wirtschaftli-
chen Binnenmarktes bieten sollte. Darüber hinaus sollten
sie bei der Entwicklung der Europäischen Union mitbe-
stimmen.

Wir sehen, dass die Erweiterung der Europäischen
Union uns allen auch eine kulturelle Weiterentwicklung
bringen wird.


(Beifall bei der PDS)

Es ist nicht nur so, dass 16 Millionen Menschen der ehe-
maligen DDR, die einmal ein anderes Staats- und Poli-
tikverständnis hatten, Mitglied der Europäischen Union
geworden sind. Es wird vielmehr so sein, dass über
100 Millionen Menschen Mitglied der Europäischen
Union werden, Menschen, die in ihrem Leben schon ein-
mal erfahren haben, dass politische Forderungen wie bei-
spielsweise das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung
und die Vorstellung, dass die Wirtschaft nicht sich alleine
überlassen werden darf, sondern dass der Staat auch eine
soziale Verantwortung hat, in Europa eine Rolle spielen
müssen. Deshalb gehen wir davon aus, dass Diskussio-
nen, wie sie beispielsweise die PDS führt, nämlich dass
Europa eine soziale und ökologische Dimension haben
muss, verstärkt durch die Menschen aus den mittelosteu-
ropäischen Staaten geführt werden.

Daher glauben wir, dass die Europäische Grundrechte-
Charta eine ganz neue Dynamik gewinnen wird. Wir glau-
ben auch, dass Diskussionen in der Europäischen Union,
wie sie beispielsweise von Ihnen, Herr Fischer, oder von
Herrn Schäuble vor wenigen Jahren im Rahmen der Kern-
europa- bzw. Avantgardethese begonnen wurden, für die
Menschen in den mittelosteuropäischen Staaten in die
falsche Richtung gehen, weil die Menschen aus der Peri-
pherie Europas endlich als gleichberechtigte Partner Mit-
glied der Europäischen Union werden wollen. Deshalb
wird die PDS auch dafür einstehen, dass sich Avantgarde-
vorstellungen in Europa im Rahmen einer verstärkten Zu-
sammenarbeit nicht durchsetzen können.

Mit der Erweiterung der Europäischen Union wird sich
das soziale Gefälle innerhalb der Europäischen Union
weit über die bisherige soziale Situation hinaus verän-
dern. Bisher erkennen wir vonseiten der PDS in keiner
Weise, dass die Regierungen der Europäischen Union
bzw. die rot-grüne Bundesregierung eine Antwort darauf
haben, wie sozial-, beschäftigungs- und regionalpolitisch
Verantwortung für diese unterschiedlichen Wohlstands-
und Wirtschaftsentwicklungen übernommen werden
kann.

In der aktuellen Diskussion wird vor allen Dingen von
Übergangsvorschriften gesprochen. Dies wird damit




Bundesminister Joseph Fischer

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verbunden, dass über die Frage der Freizügigkeit der
Menschen Mittelosteuropas diskutiert wird. Wir glauben
– da hat Ministerpräsident Ringstorff völlig Recht –, dass
man die Ängste der Menschen, dieses Nichtwissen, was
aus der Erweiterung um Mittelosteuropa folgt, ernst neh-
men muss. Wir als PDS glauben auch, dass wir eine
aufklärerische Aufgabe haben.


(Beifall bei der PDS)

Wir müssen deutlich machen, dass alle zwischenzeitlich

von unterschiedlichen Regierungen und Institutionen sowie
von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen
Studien deutlich gemacht haben, dass es keinen Migrations-
druck in die Europäische Union geben wird und dass keine
größeren Wanderungsbewegungen aus den mittelosteu-
ropäischen Staaten zu erwarten sind. Deshalb sind wir der
Überzeugung, dass eine Diskussion über Übergangsvor-
schriften vor allem im Bereich der Arbeitnehmerinnen- und
Arbeitnehmerfreizügigkeit zunächst einmal keines der rea-
len Probleme lösen wird, sondern dass dadurch lediglich
versucht wird, in diesem Zusammenhang eine Aufschie-
bung von sieben Jahren, wie es beispielsweise der Bundes-
kanzler vorgeschlagen hatte, zu erreichen.

Wir als PDS wollen deshalb deutlich machen, dass das
Ernstnehmen der Ängste von Menschen auch etwas damit
zu tun haben muss, dass sich in der Europäischen Union,
in der realen Politik etwas ändert. Wir brauchen neue Po-
litikziele, müssen beispielsweise darüber diskutieren, wie
die Europäische Union eine demokratische Koordination
zwischen Geld- und Fiskalpolitik erreichen kann. Es muss
darüber geredet werden, wie Arbeitsmarkt- und Beschäf-
tigungspolitik in den Mittelpunkt der Politik rücken.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel hat gemein-

sam mit den Industrie- und Handelskammern und den
Handwerkskammern in den Grenzregionen vorgeschla-
gen, ein Struktur- und Infrastrukturprogramm aufzulegen.
Damit könnte man dazu beitragen, den Menschen in die-
sen Regionen Hoffnung zu geben. Ein solches spezielles
Programm darf jedoch nicht nur – so wie es die CDU vor-
schlägt – auf das deutsche Grenzgebiet zielen, sondern
muss die Grenzregionen sowohl in den Beitrittsländern
als auch in Deutschland umfassen und auf alle europä-
ischen Außengrenzen, seien sie in Österreich, in Deutsch-
land oder der Slowakei, in Tschechien oder in Polen, aus-
gedehnt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir

sehr genau nachdenken, gerade vor dem Hintergrund der
Tatsache, dass wir hier im Deutschen Bundestag die
Grundrechte-Charta fast einstimmig verabschiedet ha-
ben. Dort heißt es in Art. 15 Abs. 2 – ich zitiere –:

Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die
Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen,
sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbrin-
gen.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist die rechtli che Lage!)


Wir sollten deshalb darüber nachdenken: Wollen wir die-
ses ganz wichtige Recht, die menschliche Freiheit, wirk-
lich einschränken, weil wir Ängste haben – deren Grund-
lage bisher durch keine Studie bewiesen worden ist –,
oder sollte nicht vielmehr diese Grundrechte-Charta auch
den Menschen Mittelosteuropas gelten?

Ich bitte darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass
wir die Diskussion über die Frage, wie Ängste abgebaut
werden könnten, nicht einseitig verengen auf Über-
gangsvorschriften. Massenarbeitslosigkeit, fehlende
Wohnungen, schlechte wirtschaftliche Bedingungen oder
auch nur eine sich am Konjunkturhimmel abzeichnende
Rezession dürfen eine Erweiterung um Mittelosteuropa,
zu unseren Freunden in diesen Ländern, nicht verhin-
dern. Deshalb bitte ich darum: Lasst uns darüber disku-
tieren, wie Politik verändert werden muss! Man darf
nicht glauben, über Restriktionen könnten die Ängste der
Menschen und manch schlechte Befindlichkeit überwun-
den werden.

Besten Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415506200
Ich erteile jetzt das
Wort dem Kollegen Dr. Christoph Zöpel, SPD-Fraktion.


Dr. Christoph Zöpel (SPD):
Rede ID: ID1415506300
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltiger
Friede in Europa – diese Vision ist mehr als 200 Jahre alt.
Sie ist in bis heute unübertroffen gültiger Weise in den
90er-Jahren des 18. Jahrhunderts von Immanuel Kant
formuliert worden,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ewiger Frieden!)

in Preußen. Er hat in seiner Schrift über den ewigen Frie-
den auch die Bedingungen formuliert


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Gerechtigkeit!)

für dieses Ziel, eine Gemeinschaft von republikanischen
Demokratien, die die Menschenrechte achten. Nicht viel
– außer schlechter und guter historischer Erfahrung – ist
seitdem dazugekommen. Es macht Sinn, wenn man über
diese größte geistige Leistung Preußens spricht, auch ein-
zuordnen, wann Kant sie formuliert hat: nach den Erfah-
rungen mit den Kriegen Friedrich des Großen und
während der Erfahrungen mit dem neuerlichen Miss-
brauch des Absolutismus im Inneren durch Friedrichs
Nachfolger Friedrich Wilhelm II.

Die Vision hat lange gebraucht, bis sie – nach den na-
poleonischen Kriegen, den bismarckschen Kriegen und
zwei Weltkriegen – zur konkrete Utopie wurde. Nachhal-
tiger Friede in Europa als konkrete Utopie wurde aufge-
schrieben in der Charta von Paris 1989. Aber damals
wusste noch keiner genau, ob dies für den ganzen Bereich
der Staaten, die sich an dieser Charta beteiligt haben, oder
für einige zu einem wirklich realisierbaren Projekt wer-
den würde.

Jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, kann, glaube ich,
kein vernünftiger Mensch daran zweifeln: Nachhaltiger




Uwe Hiksch
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Frieden für zunächst 500 Millionen Europäer ist ein rea-
lisierbares Projekt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von einem realisierbaren Projekt können wir sprechen,
wenn wir historische Erfahrungen haben. Unsere histori-
schen Erfahrungen sind: 370 Millionen Europäer haben es
geschafft, dauerhaften Frieden für sich zu sichern. Kein
Mensch kann sich einen Krieg wie die napoleonischen
oder die bismarckschen Kriege mehr vorstellen.

Eine weitere historische Erfahrung: Wenn das 370 Mil-
lionen Menschen schaffen, dann schaffen sie es gleich-
zeitig, ihren Wohlstand gemeinsam schneller zu steigern
und soziale Probleme eher zu mindern als unter anderen
Bedingungen. Wer hätte es vor 20 Jahren für möglich
gehalten, dass Irland Einwanderungsland wird und die
höchsten Wachstumsraten der EU hat?

Zu den historischen Erfahrungen, die es erlauben, von
einem realisierbaren Projekt zu sprechen, gehört auch,
dass jeder, der vorurteilsfrei herangeht, feststellen wird:
Die zwölf Staaten, mit denen derzeit die Europäische
Union verhandelt, sind in der Lage, die Kriterien von
Kopenhagen zu erfüllen und sich in ihrem staatlichen,
parlamentarischen und administrativen Verhalten so dar-
zustellen, dass sie den Umsetzungsprozess schaffen.

Das alles wissen wir heute. Damit wird als Viertes
nachhaltiger Frieden in Europa nun zu einer Verpflichtung
politischerMoral.Wir reden manchmal unter fragwürdi-
gen Gesichtspunkten über Moral in der Politik. Für mich
ist Moral in der Politik ein realisierbares Projekt, und hier
ist das Edelste der Aufklärung, das dann, wenn es möglich
ist, auch umzusetzen. Wer sich daran auch nur durch Zö-
gern schuldhaft nicht beteiligt, der handelt im Sinne von
Demokratie nicht moralisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Erlauben Sie mir als Sozialdemokraten, dieses realisier-
bare Projekt politischer Moral mit einem Satz in Verbin-
dung zu bringen, den ein sozialdemokratischer Bundes-
kanzler geprägt hat. Willy Brandt hat gesagt: „Frieden ist
nicht alles, aber ohne Frieden ist alles andere nichts.“


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich würde das in dieser historischen Situation für 500 Mil-
lionen Europäer so konkretisieren: Die Europäische
Union ist nicht alles, aber ohne diese Europäische Union
ist alles andere nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was das praktisch bedeutet und was die Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union jetzt schon tun können, das
haben sie in Nizza gezeigt. Sie haben auf der Grundlage
der Berichte der Kommission, vor allem der Berichte, die
Günter Verheugen vorgelegt hat, ein Datum genannt. Sie

haben gesagt: Wir hoffen und wir wollen, dass die ersten
neuen Mitgliedstaaten im Jahr 2004 in der Europäischen
Union sind und ihre Bürgerinnen und Bürger das nächste
Europäische Parlament mit wählen können. Vermutlich
wird das im Juni jenes Jahres der Fall sein.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wenn diese sehr generelle Konklusion von Nizza um-

gesetzt wird und wir auf das schauen, was im Verwal-
tungshandeln der Europäischen Union zum Integrations-
prozess geschieht, können wir sehr nüchtern folgende
Fakten feststellen: Unter der Präsidentschaft Schwedens
im ersten Halbjahr 2001 werden mit zehn der zwölf Staa-
ten, mit denen verhandelt wird, alle Kapitel weit fortge-
schritten verhandelt sein. Es gibt den weiteren Fahrplan,
dass diese Verhandlungen nach und nach bis zum Ende
der spanischen Präsidentschaft abgeschlossen werden.

In der Situation so komplexer Verhandlungen – 15 Staa-
ten verhandeln mit zwölf, und ich gebe Herrn Kollegen
Rühe und anderen Recht, dass die einzelnen Regierungen
und vor allem die Regierung des bevölkerungsreichsten
EU-Landes, der Bundesrepublik Deutschland, in der Ver-
antwortung sind – kann etwas passieren, nicht nur wegen
der Nichtbereitschaft von Regierungen. Wahlsituationen
sind besondere Situationen. Im Jahr 2002 finden in acht
der insgesamt 27 Länder Wahlen statt. Das alles sollten
Opposition wie Regierung – sie tun das auch – berück-
sichtigen. Dann können die Verhandlungen vielleicht im
zweiten Halbjahr des Jahres 2002 zu Ende gebracht wer-
den. Dann können wir ratifizieren und dann kann für viele
Länder das Ziel des Beitritts bis zum Jahre 2004 erreicht
werden.

Die Formel „Es können nur Länder aufgenommen wer-
den, die die Kopenhagen-Kriterien erfüllen“, ist so rich-
tig, wie sie partiell überholt ist. Bei ehrlicher Einschät-
zung des Erreichten kann man sagen: Von den zwölf
können es zehn schaffen. Wenn sie aber wegen dauerhaf-
ter Regierungskrisen beschließen, nicht mehr zu handeln,
werden sie es nicht schaffen. Dann können wir hier in
Deutschland oder in Frankreich zehnmal sagen: Wir
möchten es aber. Dies gilt auch für Polen, wozu die Bun-
desregierung durch den Bundeskanzler gesagt hat: Wir
möchten, dass Polen bei den Ersten ist. Ich füge aber auch
hinzu: Ich sehe keinen Anlass dafür, dass irgendein Land
der zehn von den zwölf in den nächsten Monaten bzw.
Jahren so handeln würde, dass es nicht mehr beitreten
könnte.

Einige Risiken liegen auch bei uns. Es ist nicht eu-
ropäisch im Sinne der 500 Millionen Menschen gedacht,
immer nur zu sagen: Die anderen müssen es schaffen.
Ohne die Bereitschaft und die Fähigkeit der 15 Mitglied-
staaten, zum Beispiel bezüglich der zukünftigen Agrarpo-
litik und der Fonds Entscheidungen zu treffen, die einigen
unserer Bürgerinnen und Bürger wehtun, wird es nicht ge-
lingen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu sagen, es liegt bei den Beitrittskandidaten und nicht
bei uns, etwa den Deutschen, den Franzosen, den Spani-




Dr. Christoph Zöpel

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(D)



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ern oder Engländern, ist nicht mehr ehrlich und kann Aus-
druck von Hochmut sein. Hochmut wäre moralisch nicht
angemessen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das hätten Sie schon vor Nizza beachten müssen! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das war die Pleite von Berlin! Da hätten Sie es machen müssen! – Joachim Poß [SPD]: Und Sie hätten das erreicht?)


– Wissen Sie, keine Regierung ist so gut wie das von ihr
selbst gesteckte Ziel.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: So gut wie ihr Kanzler!)


Das galt schon für Willy Brandt und Konrad Adenauer.
Die anderen will ich auslassen.


(Volker Rühe [CDU/CSU]: Jetzt hat er die Kurve gekriegt!)


Ich habe sehr bewusst die konkreten Einwohnerzahlen
genannt, weil zu dem, was notwendig ist, nämlich keine
Ängste zu wecken, sondern sie nach Möglichkeit zu ver-
meiden, gehört, Fakten zu nennen. Deshalb noch einmal:
370 Millionen Bürgerinnen und Bürger gehören bereits
jetzt zur Europäischen Union. Die zehn Länder, über die
ich spreche, haben zusammen 70 Millionen Einwohner.
38 Millionen davon sind Polen und 32 Millionen vertei-
len sich auf neun weitere Staaten. Ich glaube, selbst nicht
mit den Daten der Sozialökonomie vertraute Menschen
wissen sofort: Wenn 70 Millionen zu 370 Millionen Ein-
wohnern kommen, kann keine besondere Verwerfung ein-
treten. Das weiß jeder. Deshalb macht es immer wieder
Sinn, diese Einwohnerzahlen gegeneinander zu stellen. Je
mehr wir integrieren, umso gleichgültiger wird es, wie
viele Bürokratien dazu kommen. Je mehr Politik verein-
heitlicht wird, umso mehr wird der Einfluss der Bürokra-
tien der einzelnen Staaten – sei es Deutschland, sei es
Slowenien – zurückgehen, nicht aber die kulturelle Iden-
tität.

Wenn wir über die Rechte der Mitgliedstaaten spre-
chen, sollten wir sehr sorgfältig vorgehen. Der Beitritt zur
EU bedeutet für viele von ihnen, ihre kulturelle Identität
zum ersten Mal ohne Angst vor anderen leben zu können.
Ich konnte mich heute hierüber mit unseren Kollegen aus
Slowenien austauschen. Die Europäische Union gibt
Slowenien die Chance, eine über Jahrhunderte fast be-
wundernswerterweise erhaltene Sprache ungefährdet le-
ben zu können. Das soll so bleiben. Auf der anderen Seite
wird vieles, was bisher nationalstaatliche Bürokratien tun
können, europäisiert. Man muss beide Seiten sehen. Aber
es geht im Kern um die Menschen und um ihre kulturelle
Identität.

In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts werden 30Mil-
lionen Rumänen und Bulgaren – Bulgaren und Rumänen
könnte man vielleicht sagen – die Chance des Beitritts ha-
ben, wenn es dort so positiv weitergeht, wie es sich ab-
zeichnet. Ich glaube, wir alle sollten schon jetzt jedes Vor-
urteil über Kroaten, Bosnier, Albaner und andere
vermeiden und uns darauf vorbereiten, dass diese Staaten
im Jahrzehnt darauf, wenn es dort nach demokratischen
Wahlen demokratische und verantwortliche Regierungen

geben wird, genauso wie die Slowenen Mitglieder der Eu-
ropäischen Union werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das sind dann zusammen 500 Millionen Menschen. Da-
zwischen liegt ein Prozess von über zehn Jahren und da-
mit auch die Chance der Gewöhnung.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Und die 80 Millionen Türken?)


Jetzt mache ich ganz bewusst eine Pause. Außer diesen
500 Millionen Menschen gibt es derzeit keine Nachbarn,
die die Kopenhagen-Kriterien erfüllen oder kurzfristig er-
füllen können. Das wird länger dauern. Es wird dann un-
sere Aufgabe sein, das Verhältnis zu diesen Nachbarn zu
bestimmen: den Russen, den Ukrainern, den Türken, den
Menschen im nördlichen Afrika und im Mittleren Osten.
Ich habe mit dem israelischen Botschafter in diesen Tagen
sehr intensiv darüber diskutiert: Wie nahe steht Israel der
Europäischen Union? Und wo sind Punkte, in denen Israel
aus einigen Gründen nicht mit der Union übereinstimmen
möchte?


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Warum sollten sie nicht hineinkommen?)


Ich nenne zwei Punkte: Die Kopenhagen-Kriterien müs-
sen erfüllt werden. Zudem stellen sich Fragen der territo-
rialen Ausdehnung Europas. Es wird darüber diskutiert
werden müssen, was dieses Verhältnis bestimmt.

Ich habe eine Bitte, weil es um moralische Verantwor-
tung geht: Lassen Sie uns den Bürgern, mit denen wir re-
den, sagen: Jetzt können zusätzlich 70 Millionen Eu-
ropäer zu uns kommen, dann 30 Millionen. Zurzeit stellt
sich nicht die Frage, ob Türken in diesem Sinne europä-
ische Bürger werden. Man muss davor jetzt keine Angst
haben. Es stellt sich aber die Frage, wie das Verhältnis zu
den Türken zu bestimmen ist, damit sie zumindest gute
Nachbarn in Europa sind. Wenn sie tatsächlich selber ent-
scheiden, Europäer in dem Sinne zu sein, dass sie in un-
serem Sinne, im Sinne der Aufklärung die Menschen-
rechte achten, dann sinken auch Ängste. Aber das ist ein
Prozess des nächsten Jahrzehnts. Die Frage, ob 38 Milli-
onen Polen hoffentlich 2004 Mitglieder der Europäischen
Union sind, mit berechtigten Hinweisen auf die Nicht-
achtung der Menschenrechte in der Türkei zu verbinden,
halte ich nicht für in Ordnung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf dem Weg zu diesem Ziel gilt ein weiteres Prinzip.
Gerade bei einem historischen Projekt sind Vorsicht und
Behutsamkeit das Wesentliche. Vorsicht und Behutsam-
keit bedeuten hier, auf berechtigte Ängste einzugehen und
deutlich Verblendungen abzuwehren, die es nicht geben
darf. Man muss sorgfältig vorgehen. Bei diesem Prozess
der Integration kann ein Jahr mehr an Übergangsvor-
schrift besser als ein Jahr zu wenig sein, weil es den ehr-
lichen Menschen die Chance gibt, tatsächlich zu erken-
nen, dass ihre Ängste nicht berechtigt sind, und uns die
Möglichkeit gibt, den Verblendeten zu antworten. Das ist
besser, als unvorsichtig zu sein.




Dr. Christoph Zöpel
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(D)



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(B)


Es gibt in jeder Gesellschaft – also auch in der europä-
ischen – Menschen, deren sozialpsychologische Konsti-
tution nicht die der Aufklärung ist. Immer wieder in der
Geschichte – von Hitler bis Milosevic – gibt es Menschen,
die dies ausnutzen und damit spielen. Zu dem verant-
wortlichen Prozess, den dauerhaften und nachhaltigen
Frieden in Europa zu erreichen, gehört es, nicht mit den
Menschen, die verblendet und der Aufklärung nicht inner-
lich verbunden sind, zu spielen. Dies zu vermeiden ist ein
Teil unserer moralischen Verpflichtung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415506400
Ich erteile nun dem
Kollegen Michael Stübgen, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1415506500
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erweite-
rung der Europäischen Union um die Staaten Mittel- und
Südosteuropas ist politisch und wirtschaftlich für Europa
notwendig und moralisch eine Bedingung für die Europä-
ische Union. Die Erweiterung und auch der jetzige Er-
weiterungsprozess sorgen für Stabilität und wirt-
schaftliche Entwicklung in Europa.

Dieser Erweiterungsprozess ist auf der anderen Seite
die größte Herausforderung der Europäischen Union seit
ihrem Bestehen. Sie wird zu großen Veränderungen in al-
len Strukturen der Europäischen Union führen. Insgesamt
kann man aber feststellen, dass der bisher beschrittene
Weg ein Erfolgsweg ist. Er begann mit den Assoziie-
rungsverträgen von 1990, mit dem historischen Datum
des Europäischen Rates in Kopenhagen 1993 mit der
Festlegung, dass Reformländer der Europäischen Union
beitreten können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen
erfüllen, welche in drei großen Komplexen festgelegt
wurden. Der Europäische Rat in Luxemburg beschloss die
Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit sechs der mit-
tel- und osteuropäischen Reformländer und Helsinki
1999 – ich hielt und halte das für richtig – und hat die Auf-
nahme der Beitrittsverhandlungen mit den übrigen mittel-
und osteuropäischen Reformländern beschlossen.

Besonders wichtig für den europäischen Erweiterungs-
prozess ist der Teil der Agenda 2000 gewesen, mit dem die
so genannten Vorbeitrittshilfen beschlossen wurden, näm-
lich 45 Milliarden Euro für den Zeitraum 2000 bis 2006
für die Beitrittskandidaten zur Infrastrukturförderung und
als Hilfe für die Beitrittspolitik dieser Länder.

Bei allem Lob über die europäische Politik bezüglich
des Einigungsprozesses muss ich auch – das fällt viel-
leicht der Opposition etwas leichter, obwohl ich weiß,
dass einige Kollegen aus der Koalition das ähnlich
sehen – auf einige Fehlentscheidungen der Europäischen
Union in den letzten Jahren, insbesondere seit 1999, hin-
weisen, die teilweise eine wachsende Gefahr für den Zeit-
raum 2005/2006 bedeuten.

1999 blieb in Berlin bei der Verhandlung der Agenda
2000 unter der deutschen Ratspräsidentschaft die Agrar-
reform auf halbem Wege stecken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Am Ende blieben bei der notwendigen Agrarreform dras-
tische Einkommenseinbußen für deutsche und europä-
ische Landwirte übrig und – ich nenne das den Sündenfall
der Europäischen Union – erstmalig in der Geschichte der
Europäischen Union kam es zur Einführung einer Zwei-
klassengesellschaft: Das eine ist die Nobelklasse, zu der
die alten und im Verhältnis zu den Reformländern reichen
EU-Mitgliedsländer gehören, die sich die Direktbeihilfen
für die Landwirtschaft genehmigen. Das andere ist die
Holzklasse, zu der die Reformländer gehören. Wenn sie
Mitglieder geworden sind, wird es keine Direktbeihilfen
für die Landwirtschaft geben.

Diese Entscheidung birgt zwei schwerwiegende Pro-
bleme: Erstens. Solche Entscheidungen haben eine fatale
psychologische Wirkung in den Reformländern. Wer sich
mit der Politik der Reformländer beschäftigt, weiß, unter
welchem Druck dort die Politiker und Regierungen ste-
hen. Sie müssen drastische und unpopuläre Reformen
durchführen, für die man normalerweise gejagt wird.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Wenn dann von allen Staats- und Regierungschefs auch
noch der Eindruck vermittelt wird, dass sie trotz aller An-
strengungen die zweite Klasse bleiben werden, wird das
den Reformeifer in diesen Ländern nicht fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweitens birgt der Beschluss von Berlin unter deut-

scher Ratspräsidentschaft ein schwer kalkulierbares finan-
zielles Risiko. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß,
dass die Zweiteilung der EU-Agrarpolitik bezüglich der
Beitrittsländer und der Stammländer nach 2006 mit Si-
cherheit nicht aufrechterhalten werden kann. Polen ak-
zeptiert das – in diesem Punkt verstehe ich die polnische
Forderung – schon jetzt nicht. Es ist bis jetzt völlig unklar,
zu welchen finanziellen Folgen es führen kann, wenn im
Jahre 2006 bei der neuen finanziellen Vorausschau ein an-
deres System eingeführt werden sollte.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Es gibt nicht einmal einen Vorschlag der Bundesregierung!)


– Es gibt in dieser Frage im Moment keine Überlegungen.
Als nächsten Punkt möchte ich den Vertrag von Nizza

kritisch bewerten. Insgesamt war er nicht ausreichend er-
folgreich. Gestartet ist die Europäische Union, auch die
Bundesregierung – wir als Opposition haben das unterstützt
und werden diese Politik weiter unterstützen –, mit dem
Ziel, die Europäische Union in Nizza erweiterungsfähig zu
machen. Aus der großen Reform wurde ein Reförmchen.
Das Resultat von Nizza ist insgesamt für die Erweite-
rungsfähigkeit der Europäischen Union mangelhaft.

Mir ist wohl klar, dass die Rahmenbedingungen für
Nizza besonders schwierig waren; denn in Nizza sollten




Dr. Christoph Zöpel

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die Reformen beschlossen werden, die schon in Maastricht
und in Amsterdam verschoben worden sind. Es war klar,
dass es bei den Verhandlungen über nationale Besonder-
heiten und Eitelkeiten in Nizza ans Eingemachte, ans Mark
gehen würde. Trotzdem muss man feststellen: Das Er-
gebnis ist nicht ausreichend.

Besonders schwerwiegend finde ich, dass es in mehre-
ren Punkten Fehlentscheidungen gibt, die die Gefahr ber-
gen, dass der Erweiterungsprozess in einigen Jahren ins
Stocken kommt. Damit komme ich auf die faktische
Nichteinführung der Mehrheitsabstimmung im Bereich
der Struktur- und Kohäsionsfonds zu sprechen. In
Nizza wurde festgeschrieben, dass die Mehrheitsent-
scheidung bei den Struktur- und Kohäsionsfonds frühes-
tens im Jahr 2007 und – um ganz sicher zu gehen – erst
nach Beschlussfassung über die neue finanzielle Voraus-
schau für den Zeitraum 2007 bis 2013 eingeführt wird.

Das heißt: Wir haben faktisch frühestens im Jahr 2014
Mehrheitsentscheidungen in diesen sensiblen Politik- und
Finanzbereichen. Damit ist nahezu völlig unklar, wie die
Struktur- und Kohäsionsfonds im Zusammenhang mit
dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Reformlän-
der überhaupt finanziert werden können. Nach der Nizza-
Regelung müssen die jetzigen Empfänger von Zuweisun-
gen aus den Struktur- und Kohäsionsfonds freiwillig auf
einen Großteil ihrer Subventionen verzichten, um Mittel
für die wirklich strukturschwachen, armen Beitrittsländer
freizubekommen. Nach allen bisherigen Erfahrungen sol-
cher Finanzrunden – auch in Berlin – müssen wir davon
ausgehen, dass dies nicht oder nur in viel zu geringem
Umfang gelingen wird.

Damit droht uns im Jahre 2005 eine Zangenbewegung,
da die Mittel für die Beitrittsländer bereitgestellt werden
müssen; diejenigen, die jetzt Mittel erhalten, werden nicht
darauf verzichten, und somit muss der Finanzrahmen der
Europäischen Union ausgeweitet werden. Dies bedeutet
in der Folge höhere Beiträge für die Länder, insbesondere
Deutschland, die ohnehin schon durch die ungleiche Net-
tolastenverteilung besonders betroffen sind. Ich vermute,
der Finanzminister würde mir zustimmen, wenn er hier
wäre. Die Zangenbewegung wird darin bestehen, dass
diejenigen, die etwas bekommen, nicht verzichten und die
anderen, die mehr zahlen müssen, nicht mehr zahlen kön-
nen oder wollen.

Somit besteht die Gefahr, dass in diesem Spagat der ge-
samte Beitrittsprozess – möglicherweise noch während
der Ratifizierung von Beitritten neuer Länder – ins
Stocken kommt. Bisher hat sich noch niemand Gedanken
darüber gemacht, wie diese Zeitbombe entschärft werden
könnte. Wir werden als Opposition besonderen Wert da-
rauf legen, dass über diese Frage schon jetzt nachgedacht
wird, um es nicht im Jahre 2005 oder 2006 zu einem Crash
kommen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch kurz auf einen Beschluss von Nizza

eingehen, den ich nicht verstehen kann. Er wird materiell
glücklicherweise keine besonderen Auswirkungen haben,
ideell stellt er aber eine Fortsetzung des Sündenfalls, der
in Berlin unsäglich begonnen wurde, dar. Es handelt sich
um den Beschluss hinsichtlich der Mandatsverteilung
im Europäischen Parlament. Die Staats- und Regie-

rungschefs haben beschlossen – irgendwann in der Nacht,
ich weiß es nicht genau –, von dem bisher gültigen Grund-
prinzip, die Mandatsverteilung im Europäischen Parla-
ment nach der Einwohnerzahl auszurichten, abzurücken.
Jetzt soll das anders werden. So sollen zum Bespiel Un-
garn und die Tschechische Republik zwei Mandate weni-
ger erhalten als Belgien und Portugal, obwohl sie jeweils
mehr Einwohner als diese Länder haben. Auch hier zeigt
sich der unsägliche Trend: First Class für die alteingeses-
senen EU-Mitgliedsländer und Holzklasse für die Re-
formländer. Diese Entscheidung halte ich für peinlich. Sie
wirft kein gutes Licht auf die Verfasstheit der Europä-
ischen Union und der Staats- und Regierungschefs, ein-
schließlich des Bundeskanzlers der Bundesrepublik
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Um nicht nur zu kritisieren, will ich sagen, dass in

Nizza auch gute und wichtige Beschlüsse gefasst wurden.
Dabei möchte ich auf einen kurz eingehen, weil heute
noch über zwei Anträge zu diesem Thema beraten wird.
Es geht darum, dass die Kommission beauftragt worden
ist, ein Grenzlandförderprogramm bzw. ein Aktionspro-
gramm zur Grenzlandförderung vorzuschlagen. Jeder,
der sich mit der besonderen Problematik unserer Grenz-
regionen – im Wesentlichen in Mecklenburg-Vorpom-
mern, Sachsen und Bayern gelegen –


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Berlin!)

– Berlin nicht unbedingt, vielleicht Brandenburg, aber
Berlin gehört ja irgendwie zu Brandenburg – beschäftigt,
weiß, dass eine besondere Förderung wichtig ist.

Es gibt bisher schon Förderprogramme, die ein guter
Ansatz sind, aber nicht ausreichend sind. Eine besondere
Berücksichtigung in einem solchen Aktionsprogramm ist
wichtig. Ich möchte darauf hinweisen: Ich höre in der letz-
ten Zeit – ich habe es bisher noch nicht lesen können –,
dass innerhalb der Europäischen Kommission in Arbeits-
gruppen auf Ratsebene darüber nachgedacht wird, die
Mittel für das Aktionsförderprogramm lediglich durch
Umschichtung aus dem jetzigen Interreg-Programm auf-
zubringen. Eine solche Lösung wäre für uns völlig inak-
zeptabel. Das Interreg-Programm muss in der jetzigen
Form bestehen bleiben und für das Aktionsförderpro-
gramm müssen zusätzliche Mittel zur Förderung dieser
Grenzregionen bereitgestellt werden.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415506600
Ich erteile dem Kolle-
gen Christian Sterzing vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415506700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst möchte ich der Opposition für ihre Große An-
frage Dank sagen. Natürlich möchte ich auch der Regie-
rung für ihre Antwort auf diese Große Anfrage Dank sa-
gen; denn es war eine ungewöhnlich umfangreiche Große
Anfrage und dementsprechend auch eine ungewöhnlich
umfangreiche Antwort. Dahinter steckt viel Arbeit. Inso-




Michael Stübgen
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(B)


fern haben wir eine gute Grundlage nicht nur für die jetzige
Debatte, sondern auch für die weitere Auseinandersetzung
mit dem Thema „Erweiterung der Europäischen Union“.

Alle großen Worte zur Erweiterung der Europäischen
Union sind eigentlich schon gesagt worden, auch heute,
so zum Beispiel die Stichworte von der historischen
Chance oder der historischen Herausforderung, von unse-
rer Verpflichtung und Verantwortung, von der Rückkehr
nach Europa und von den Chancen für Gesamteuropa. Es
ist natürlich wichtig, immer wieder an diese Perspektiven
und daran zu erinnern, dass all die konkreten Probleme,
die wir zu erörtern haben und über deren Lösung wir po-
litisch streiten, in diesem Kontext zu sehen und in diesen
zu stellen sind. Das heißt, dass wir auf der einen Seite
natürlich die Ängste und die Sorgen vieler Menschen ge-
rade in den Grenzregionen ernst nehmen müssen, dass wir
uns aber auf der anderen Seite vor dem Hintergrund der
historischen Perspektive dagegen wehren müssen, dass
die Erweiterung mit bilateralen Problemen überladen
bzw. überlastet wird oder dass sogar neue Hürden für die
beitrittswilligen Länder aufgebaut werden. Das darf nicht
passieren.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!)

Insofern ist der Zweck der heutigen Debatte und der Aus-
einandersetzungen über die Erweiterung, immer wieder
der Stimmung entgegenzuwirken – darauf wurde schon
hingewiesen –, die die Probleme als so gewaltig erschei-
nen lässt, dass die historische, gesamteuropäische Per-
spektive in den Hintergrund gedrängt wird, und auch der
Stimmung entgegenzuwirken, die manchmal den An-
schein erweckt, dass die Probleme, die im Kern eigentlich
Übergangsprobleme sind, nur zu bewältigen seien, wenn
wir die Erweiterung weiter hinausschieben würden. Damit
würden wir der historischen Notwendigkeit nicht gerecht.

Zwei Bemerkungen scheinen mir im Rahmen der
Erweiterungsdiskussion wichtig zu sein. Erster Punkt. Ich
möchte auf den dynamischen Prozess hinweisen. Wir re-
den im Zusammenhang mit den Beitritten immer nur von
einem Datum im Kalender, an dem sich der Beitritt der
entsprechenden Länder vollziehen wird. Aber der Bei-
trittsprozess läuft schon lange. Er hat schon zu erhebli-
chen Veränderungen und Strukturanpassungsprozessen
geführt. Diese sind im Wesentlichen positiv verlaufen. Es
erscheint mir wichtig, darauf hinzuweisen, ebenso wie da-
rauf, dass das Datum des Beitritts nur im europäischen
Gesamtprozess zu sehen ist.

Der zweite Punkt betrifft das Stichwort „politische
Steuerungsfähigkeit“. Vielleicht gibt es einen geheimen
oder verborgenen Zusammenhang zwischen BSE-Krise
und Erweiterung. Ich glaube, dass viele Menschen das
Vertrauen in die politische Steuerungsfähigkeit und Pro-
blemlösungsfähigkeit der EU verloren haben. Insofern ist
es wichtig, dass wir dem dadurch verursachten Ak-
zeptanzverlust in der Bevölkerung entgegenwirken, in-
dem wir den Erweiterungsprozess mit seinen Übergangs-
problemen ernst nehmen und deutlich machen, dass wir
auch über politische Instrumente verfügen, um mögliche
Probleme in den Griff zu bekommen.

Der Hinweis auf die Perspektiven und Veränderungen
ist wichtig. Ich möchte das an zwei Bereichen deutlich
machen, und zwar zum einen an der Umweltproblematik

und zum anderen an der Frage der Freizügigkeit. Zum
Stichwort Perspektiven: Mit der Erweiterung besteht die
große Chance, dass die Umweltqualität in Gesamteuropa
durch die Übernahme des umweltrechtlichen Besitzstan-
des durch die Beitrittsländer nachhaltig verbessert wird.
Das ist ein Vorteil, und zwar nicht nur für die Menschen
in den Beitrittsländern, sondern auch für die Menschen in
den Staaten, die schon jetzt Mitglied in der Europäischen
Union sind. Darauf gilt es hinzuweisen.

Das Ziel ist uns allen klar, nämlich eine möglichst
schnelle und vollständige Übernahme des umweltrechtli-
chen Acquis zu erreichen. Dabei ist uns natürlich bewusst,
dass einer solchen schnellen Übernahme auch Grenzen
gesetzt sind. In Studien wird davon ausgegangen, dass
120 Milliarden Euro notwendig sind, um dem Investi-
tionsbedarf im Umweltbereich Rechnung tragen zu kön-
nen. Insofern gibt es auch hier eine Gratwanderung, den
Versuch, auf der einen Seite den Interessen an einem zü-
gigen Beitritt, an einer schnellen Übernahme Rechnung
zu tragen, auf der anderen Seite aber die Menschen, die
Beitrittsstaaten nicht zu überfordern.

Wir müssen in diesem Zusammenhang aber deutlich
sagen, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen wir nicht
großzügig sein können. So darf es unseres Erachtens in
der Frage der Atomkraftwerke keinen Sicherheitsrabatt
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir unterstützen alle Bemühungen, zu gemeinsamen Ener-
giestrategien mit Stilllegungsplänen und Maßnahmen zur
Erneuerung des Energiesektors in den Beitrittsländern zu
kommen.

Wir betrachten die Initiative der Bundesregierung bei
der EBRD, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und
Entwicklung, mit großer Sympathie. Wir unterstützen die
Bemühungen, einen Fonds zur Finanzierung der Stillle-
gung von AKWs einzurichten. Es gibt eine klare Linie, die
deutlich macht, dass es in zentralen Bereichen keine Ra-
batte, keinen Nachlass geben darf. Es darf nicht zu dem
kommen, was wir mit dem Stichwort „Umweltdumping“
bezeichnen.

Der zweite Bereich ist der der Freizügigkeit. In diesem
Bereich stellen wir meiner Ansicht nach sehr deutlich unsere
politischen Steuerungsfähigkeiten unter Beweis. Die Vor-
schläge, die auf dem Tisch liegen, reichen von einem völli-
gen Verzicht auf irgendwelche Fristen und einem Alles-
dem-Markt-Überlassen über die Forderung nach Fristen
von zehn und mehr Jahren bis hin zu der weitest-
gehenden Forderung, eine Freizügigkeit erst dann zuzulassen,
wenn das Lohnniveau weitgehend angeglichen ist.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was meinen die Grünen jetzt?)


Ich glaube, dass die aktuell diskutierten Vorschläge so-
wohl der Bundesregierung als auch der Kommission die
erforderliche Flexibilität und politische Steuerungsfähig-
keit unter Beweis stellen. Es geht darum, der Ungewiss-
heit der Prognosen Rechnung zu tragen und Interessen
auszugleichen. Das heißt, es muss auch die Perspektive
der Beitrittsländer gesehen werden, die nicht wollen, dass




Christian Sterzing

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wir ihre Märkte für uns öffnen, dass aber ihre Menschen
keine Freizügigkeit genießen dürfen.

Insofern ist ein flexibles Übergangssystem das Ent-
scheidende.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Was heißt denn das?)


Das ist das, was der Bundeskanzler angekündigt hat. Das
ist das, was das Optionenpapier der Kommission als
– meiner Einschätzung nach – realistische Lösung vor-
sieht. Es sollten also keine festen Fristen, sondern flexible
Überprüfungszeiten vorgesehen sowie regionale und sek-
torale Differenzierungen ermöglicht werden. All dies er-
scheint mir sehr wichtig, um auf mögliche Probleme, die
wir alle nicht genau prognostizieren können, adäquat rea-
gieren zu können. Insofern ist es völlig unangemessen,
wenn Sie, Herr Haussmann, auf die sieben Jahre, die in
der Rede des Herrn Bundeskanzlers genannt worden sind,
starren. Es empfiehlt sich, nicht immer nur Überschriften
in Zeitungen zu lesen, sondern sich Reden und Vorschläge
vollständig anzuschauen. Wenn Sie das tun, dann werden
Sie feststellen, dass Flexibilität das entscheidende Stich-
wort bei den Vorschlägen der Bundesregierung und auch
Leitlinie für das ist, was die Kommission im Augenblick
vorschlägt. Insofern geht das, was die Bundesregierung
hierzu vorschlägt, meiner Ansicht nach in die richtige
Richtung. Damit erhalten wir uns die Fähigkeit zu politi-
scher Steuerung und die Möglichkeit, die Interessen der
Menschen bei uns, aber auch in den Beitrittsländern an-
gemessen zu berücksichtigen.

Wenn wir, wie in dieser Debatte, darin übereinstim-
men, dass die Chancen der Erweiterung erheblich über-
wiegen und wir alles tun müssen, um diese Chancen zu
optimieren und die Risiken zu minimieren, dann haben
wir auch eine gute Chance, der wachsenden Skepsis in der
Bevölkerung gegenüber diesem Erweiterungsprozess ent-
gegenzuwirken. Ich glaube, wir müssen den Menschen
ganz deutlich machen: Die zukünftigen Probleme wären
ohne die Erweiterung viel größer. Wir hätten viel mehr
Anlass zu Sorge und zu Zukunftsängsten, wenn es diesen
Erweiterungsprozess nicht gäbe.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415506800
Nun hat die Kollegin
Gudrun Roos von der SPD-Fraktion das Wort.


Gudrun Roos (SPD):
Rede ID: ID1415506900
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Erweiterung der Europäischen
Union – darin sind wir uns einig – eröffnet vielfältige
Chancen für beide Seiten, für die Beitrittsländer und für
die Mitgliedstaaten. So bietet sich die einmalige Gele-
genheit, eine gesamteuropäische Umweltpolitik zu ge-
stalten; Herr Sterzing hat das bereits gesagt. Dies wird po-
sitive Auswirkungen auf alle Mitgliedstaaten haben und
kann das politische Gewicht der EU in der internationalen
Umweltpolitik stärken, was nicht nur angesichts der welt-
weiten Klimaproblematik dringend geboten ist.

Die europäische Umweltpolitik ist kein abgeschlosse-
nes Projekt. Zwar fordern wir von den Beitrittsstaaten zu
Recht, dass sie den Umweltschutz in andere Politikberei-
che integrieren oder nach den Kriterien der Nachhaltigkeit
wirtschaften, wir müssen aber auch feststellen, dass die Er-
ledigung dieser Hausaufgaben in den Mitgliedstaaten teil-
weise schon lange vor sich hergeschoben wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie in der Energiepolitik – spätestens seit der Kata-
strophe von Tschernobyl, wenn auch zögerlich – erneuer-
bare Energien marktfähig gemacht werden und wir seither
an der Energiewende arbeiten, so stehen nun auch in der
Verkehrs- und der Landwirtschaftspolitik umweltverträg-
liche, nachhaltige Lösungen ganz oben auf der Prioritä-
tenliste der Politik.


(Albert Deß [CDU/CSU]: So, als ob es das bisher nicht gegeben hätte!)


Deshalb unterstützen wir die Beitrittsstaaten zu Recht da-
bei, die erheblichen Sicherheitsdefizite in Auslegung und
beim Betrieb von Atomkraftwerken zu beseitigen und
drängen auf die Stilllegung hochriskanter Reaktoren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, dass ich
– angeregt durch die aktuelle Diskussion – den Bereich
der Landwirtschaft als Beispiel für europäische Um-
weltpolitik im Lichte der Erweiterung anspreche. Die mit
annähernd der Hälfte des EU-Haushalts hoch subventio-
nierte Agrarproduktion hatte mit Nachhaltigkeit oder
Umwelt- und Naturschutz sehr wenig zu tun.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist doch die Schröder-Politik!)


Schon lange vor der Verbreitung der Maul- und Klauen-
seuche, der Infizierung von Kühen mit Tuberkulose, der
Mästung von Schweinen mit Hormonen oder der Aus-
breitung von BSE war die Aufzucht von Tieren für unsere
fleischlastige Ernährung durchaus nicht artgerecht und
nicht naturgemäß.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist eine Beleidigung für die Bäuerinnen und Bauern, was Sie da erzählen!)


Was jahrzehntelange Kritik an einer verfehlten Subventi-
onspolitik der Europäischen Union nicht vermocht hat,
konnte infolge der Verunsicherung der europäischen Kon-
sumentinnen und Konsumenten erreicht werden – allzu
spät.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Bis jetzt habt ihr noch gar nichts erreicht! Außer Sprüchen! – Von euch wird massenhaft Unsinn erzählt!)


Wer in den letzten Monaten nicht nur über Alternativen
zum täglichen Fleisch auf der eigenen Speisekarte nach-
gedacht hat, sondern auch über dessen bisherige Produk-
tions- und Verteilungsbedingungen, dem wurde klar: Es
geht auch um andere Verhaltensweisen, um eine andere




Christian Sterzing
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Lebensweise. Es geht um einen umweltgerechteren Le-
bensstil der Menschen, der damit einen Beitrag zu artge-
rechter Tierhaltung leistet.

Ich hatte es zu Beginn gesagt: Die Landwirtschaft ist
nur ein sinnfälliges aktuelles Beispiel. Diese Krise hat je-
der und jedem klargemacht: Der unbegrenzte Verbrauch
von Ressourcen, die Verschwendung von Rohstoffen und
die Missachtung der Natur sind nicht nur nicht umwelt-
schonend, sondern für die Menschen auf Dauer einfach
unbekömmlich. Was ist es für ein Glück, auch für die Bei-
trittsstaaten, dass dieser Umdenkungsprozess in der eu-
ropäischen Politik nicht erst nach dem Beitritt, sondern
jetzt begonnen hat!

Die Chancen, die sich damit auftun, sollten wir ge-
meinsam und in einem viel intensiveren Dialog als bisher
nutzen, und das in vielen Bereichen: in der Industriepoli-
tik, in der Verkehrspolitik, in der Energiepolitik und natür-
lich in der Umweltpolitik. Es gilt, verstärkt eine Politik zu
betreiben, die auf zukunftsverträgliches Wachstum ausge-
richtet ist, die ressourcenschonende Produktionsweisen
unterstützt und die Nutzung regenerativer Energien sowie
kurze, sinnvolle Verteilungs- und Vertriebswege für öko-
logisch vorteilhafte Produkte fördert.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das Bundesland mit den meisten regenerativen Energien, das ist Bayern!)


Wir wissen, dass der umweltpolitische Handlungsbe-
darf in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern
zwar besonders hoch ist;


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wegen Sozialismus!)


aber gleichzeitig sind die Naturräume bei weitem nicht so
zerschnitten, zersiedelt und versiegelt wie in der EU.


(Dr. Christoph Zöpel [SPD]: Genau!)

In diesen Ländern liegen zahlreiche einzigartige, schüt-
zenswerte Naturflächen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Verstärkung des Dialogs kann verhindern, dass in
den Beitrittsländern die umweltpolitischen Fehler der
EU-Vergangenheit wiederholt werden. Die gezielte Nut-
zung der neuen Informations- und Kommunikations-
technologien kann dabei eine große Hilfe sein. Dazu
gehört vordringlich eine schnellere Vernetzung der Um-
weltbehörden der Mitgliedstaaten untereinander und eine
schnellere Vernetzung der Umweltbehörden mit den Bei-
trittsländern sowie eine umfassende Information der Bür-
gerinnen und Bürger, abrufbar per Internet. Fort- und Wei-
terbildung in diesem Bereich sollten eine hohe Priorität
erhalten.

Wir alle wollen eine stärkere Einbeziehung der Bevöl-
kerung in diesen Prozess. Wir brauchen einen intensiveren
Wissensaustausch zwischen örtlichen Organisationen in
den Mitgliedstaaten und zwischen den örtlichen Organisa-
tionen in den Kandidatenländern. Daher sollten Nicht-
regierungsorganisationen in den Bereichen Umwelt-
schutz, Gesundheit und Verbraucherschutz vor allem beim

Aufbau und bei der Pflege von Umweltnetzwerken fi-
nanziell und organisatorisch effektiver unterstützt werden.

Die wirkungsvollste Art des länderübergreifenden po-
litischen Dialogs ist jedoch die persönliche Begegnung
der Menschen; wir alle wissen das. Begegnungen können
wertvolle Erkenntnisse vermitteln und nachhaltig vertrau-
ensbildend sein. Wir sollten sie auf jeder Ebene unterstüt-
zen und wann immer möglich selbst wahrnehmen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415507000
Kollegin Roos, das
war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich gratu-
liere Ihnen dazu, auch weil Sie gleich zu Beginn Ihre Re-
dezeit eingehalten haben. Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall)

Nun erteile ich dem Kollegen Klaus Hofbauer,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1415507100
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen
und Kollegen! Die Erweiterung oder, besser gesagt, die
Einigung der Europäischen Union ist ein Projekt von his-
torischer Dimension. Die Aufnahme von Staaten Mittel-
und Osteuropas in die Union gewährt die dauerhafte Si-
cherung des Friedens, der politischen Stabilität und des
Wohlstandes in Europa. Beim Gipfel in Nizza stand die
Osterweiterung im Mittelpunkt der Verhandlungen. Bei
weitem nicht alle Erwartungen – darüber sind wir uns alle
klar – wurden erfüllt.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das kann man wohl sagen!)


Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist eines
der erfreulichen Ergebnisse, dass die Vereinbarung des
Post-Nizza-Prozesses in Gang gebracht wurde. Für die
Akzeptanz der EU ist es zwingend geboten, die Verträge
zu vereinfachen, transparent zu gestalten und mit klaren
Verantwortungszuweisungen zu versehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hinzu kommt, dass wir auch eine klare Verlagerung von
Kompetenzen nach unten anstreben müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit diesem Auftrag der Kompetenzabgrenzung wird eine
zentrale Forderung der CDU/CSU-Fraktion und insbe-
sondere unseres bayerischen Ministerpräsidenten,
Edmund Stoiber, erfüllt. Lange Zeit – dies möchte ich
deutlich feststellen – hat sich die Bundesregierung unse-
rer Forderung widersetzt.

Ein zweiter großer Erfolg von Nizza ist, dass die Kom-
mission beauftragt wurde, ein EU-Programm zur Förde-
rung der Grenzregionen vorzulegen. Die CDU/CSU-
Fraktion hat vor wenigen Monaten einen entsprechenden
Antrag eingebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Gudrun Roos

15171


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bedauere sehr, dass die rot-grüne Koalition aus rein
parteipolitischen Gründen diesen Antrag ablehnt. Ein
eigener Antrag der Koalition wurde erst aufgrund unserer
Initiative vorgelegt. Er ist vage formuliert und ohne jeg-
liche konkrete Aussage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine weitere entscheidende Voraussetzung für das Ge-

lingen der Osterweiterung ist die Vereinbarung von kon-
kreten Beitrittsmodalitäten, die die wirtschaftlichen und
sozialen Verwerfungen infolge der Erweiterung mindern
und – das ist unsere Meinung – total ausschließen müssen.
Warum brauchen wir diese Übergangsregelungen? Der
entscheidende Grund dafür ist, dass das Lohn- und Wohl-
standsgefälle auch nach dem Beitritt bestehen bleibt. In
einem Punkt bin ich sehr realistisch: Dieses Gefälle hat
auch positive Seiten, die wir nutzen sollten und die insbe-
sondere im Grenzland genutzt werden. Durch die so ge-
nannte Mischkalkulation können nämlich Arbeitsplätze
bei uns gesichert und erhalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Diese Chance müssen wir nutzen. Das macht die
Entscheidung, Übergangsregelungen zu schaffen, etwas
schwerer.

Es wird sehr viel von Migration gesprochen. Erlauben
Sie mir, das Problem der Tages- und Wochenpendler, das
sich in den Grenzregionen ergibt und das wir besonders
berücksichtigen müssen, in die Diskussion einzubringen.
Eine Schulklasse in meiner Heimatstadt Cham hat eine
Umfrage zum Stand der Osterweiterung durchgeführt:
48 Prozent der Bürgerinnen und Bürger akzeptieren die
Osterweiterung. Wenn wir jetzt noch klare Antworten auf
die Fragen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, zur Krimina-
lität, zur Landwirtschaft und zum Umweltschutz geben,
dann wird die Akzeptanz sprunghaft nach oben steigen.
Diese Chance müssen wir nutzen. Darin liegt die Heraus-
forderung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte ein ganz konkretes Beispiel aus der Praxis

anführen, wie wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit gestal-
ten können: Seit ungefähr zehn Jahren, nämlich seit Öff-
nung der Grenzen, kennen wir in den Grenzregionen die
so genannte Grenzgänger-Regelung. Ich persönlich bin
der Meinung, dass sich diese Regelung in der Praxis be-
währt hat. Unterziehen wir diese Regelung einer kriti-
schen Beurteilung! Arbeiten wir die Vorteile, Chancen
und Möglichkeiten, aber auch die Schwächen heraus!
Entwickeln wir eine Übergangsregelung!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle ein Anliegen des Mittel-

standes und des Handwerks ansprechen. Ich habe vorhin
gesagt, dass für manche Unternehmen, insbesondere im
produzierenden Bereich, die Chance in der Mischkalku-
lation liegt. Mittelständische Betriebe, die nicht produzie-
ren und die insbesondere im Dienstleistungsbereich tätig
sind, können dies aber nicht tun, weil sie die Arbeit nicht
auslagern können. Deswegen fürchten diese Betriebe,
dass sie erhebliche Schwierigkeiten bekommen werden.

Mir ist bewusst, dass das Thema „Übergangsfristen“
kritisch diskutiert wird. Ich halte es in diesem Zusam-
menhang nicht für richtig, einfach eine Zahl in den Raum
zu stellen. Durch die Rede des Herrn Bundeskanzlers ist
ein Übergangszeitraum von sieben Jahren in das Bewusst-
sein der Bevölkerung gelangt. Die Menschen sind jetzt
der Meinung, die Probleme würden um sieben Jahre ver-
schoben und sie würden erst dann anfangen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!)

Dies ist natürlich eine falsche Interpretation, wie sich eine
Übergangsregelung auswirkt. Wegen der Sorgen der
Bevölkerung brauchen wir Übergangsregelungen, die
länderspezifisch differenziert sind, die ständig überprüft
werden und die in einem überschaubaren Zeitraum auf
Null zurückgefahren werden. Nur so können sie über-
haupt Sinn machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Erlauben Sie mir eine Schlussbemerkung. Als Abge-

ordneter eines Wahlkreises, der unmittelbar an der tsche-
chischen Grenze liegt, möchte ich deutlich feststellen,
dass es schon sehr viele Aktivitäten gibt. Ich nenne bei-
spielsweise die grenzüberschreitende Zusammen-
arbeit. Die Menschen, die sich hier engagieren, sind die
Wegbereiter und die Botschafter für die Osterweiterung,
ob es die Kommunalpolitiker, die Schulen oder die Eure-
gios sind. Man könnte noch viel mehr aufzählen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Schlussbemerkung: Nutzen wir die Chancen, kehren

wir aber die Probleme und die Sorgen der Menschen nicht
unter den Tisch! Wir müssen die Menschen mitnehmen.
Wenn uns dies gelingt – nicht mit Plakaten, sondern mit
konkreten Aktionen –, dann wird die Osterweiterung er-
folgreich abgeschlossen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sehr gute Rede!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415507200
Nun erteile ich dem
Kollegen Winfried Mante, SPD-Fraktion, das Wort.


Winfried Mante (SPD):
Rede ID: ID1415507300
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich glaube, am Ende der
Debatte kann man mit Leidenschaftslosigkeit, aber doch
mit Genugtuung feststellen, dass bei der Bewertung der
Beitrittsfolgen für Deutschland und Europa trotz einiger
Gegensätze im Detail und auch einiger Polemik, die da-
zugehört, in den wesentlichsten Punkten quer durch die
Parteien große Übereinstimmung herrscht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sieht man auch an den vorliegenden Anträgen,
wenn man sie sich durchliest. Viele werden es nicht getan
haben, aber ich habe es getan. Sie zeigen: Die Erweite-
rung wird nicht nur politische Stabilität und Wohlstands-
gewinne in den Beitrittsländern bringen, nein, auch die
Europäische Union und insbesondere Deutschland wer-




Klaus Hofbauer
15172


(C)



(D)



(A)



(B)


den zu den Gewinnern einer größeren europäischen Ge-
meinschaft zählen.

Auch unsere Regionen an den Grenzen zu Polen und
Tschechien, die heute besonders in der Diskussion wa-
ren – auch ich komme, wie mein Kollege Hofbauer, aus
einer Grenzregion, nämlich Brandenburg –, werden, auf
Dauer betrachtet, zu den Gewinnern zählen; denn sie wer-
den sich nachhaltig positiv entwickeln. Natürlich ist klar,
dass insbesondere diese Grenzregionen durch die Erwei-
terung zunächst einem verstärkten Anpassungsdruck aus-
gesetzt werden, der die vorhandenen Strukturschwächen
noch verstärken könnte. Das ist uns nicht verborgen ge-
blieben und das sorgt unsere Bürgerinnen und Bürger in
diesen Regionen zu Recht; denn sie befürchten, dass der
noch nicht abgeschlossene Prozess der Angleichung der
Lebensverhältnisse zwischen Ost und West einen Ab-
bruch erleiden könnte.

Wir Sozialdemokraten nehmen diese Sorgen ernst.
Deswegen wollen wir, dass sich die Grenzregionen vor
den ersten Beitritten für ein erweitertes Europa fit ma-
chen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Soweit die Regionen und die Wirtschaft dazu aus eigener
Kraft nicht in der Lage sind, muss die Europäische Union,
müssen Bund und Länder gemeinsam und abgestimmt
handeln. Bereits jetzt steht den Grenzregionen bis 2006
ein breites Spektrum strukturpolitischer Instrumente
zur Verfügung. Hier sind sicher Verbesserungen hin-
sichtlich der Erhöhung der Flexibilität und Effizienz
sowie der Koordinierung nötig und möglich. Aber ich
halte eine spezifische Stärkung dieser Instrumente für
genauso erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Förderrahmen – das wurde ebenfalls hier ange-
sprochen – darf nach 2006 nicht abbrechen.

Im Mittelpunkt der verstärkten Anstrengungen müssen
die Förderung der Wirtschaft, die Entwicklung der Ar-
beitsmärkte, die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur
sowie die soziale und kulturelle Vorbereitung der Bevöl-
kerung auf den Beitritt stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings – das ist mir genauso wichtig – dürfen wir
Europa und die Erweiterung nicht zum Sündenbock jed-
weder Entwicklung machen.


(Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr richtig!)


Die Probleme des Arbeitsmarktes, des Strukturwandels
und der Kriminalitätsentwicklung in den Grenzregionen
müssen notwendigerweise auch ohne Erweiterung gelöst
werden. Dringend erforderlich wäre auch – das fordern
wir schon seit Jahren – eine bessere Verknüpfung der eu-
ropäischen Fördertöpfe Interreg und PHARE CBC. Damit
können wir Projektförderung wirklich grenzüberschrei-
tend betreiben.

Wir brauchen vor allem eine ehrliche Debatte, die we-
der beschönigt noch Probleme dramatisiert. Tatsache ist,
dass es schon jetzt zahlreiche positive und nachhaltige
Beispiele grenzüberschreitender Entwicklung gibt.
Wir reden nur leider viel zu wenig darüber. Es gibt Wirt-
schaftsfördergesellschaften, die sich um deutsche Firmen
in Polen und umgekehrt kümmern. Schulen und Univer-
sitäten haben sich zu deutsch-polnischen Gemein-
schaftseinrichtungen entwickelt. Vereine, Institutionen,
Städte und Gemeinden haben Partnerschaften, die die
Menschen zusammenführen, und das seit Jahren. Mein
Land Brandenburg mit 235 Kilometern Grenze zu Polen
leistet selbst Erhebliches zur grenzüberschreitenden Ent-
wicklung und ist von jeher ein Motor der deutsch-polni-
schen Beziehungen.


(Beifall bei der SPD)

Tatsache ist auch, dass zahlreiche Unternehmen gerade

aus den Grenzregionen die Chancen schon jetzt ergriffen
haben, die sich in den Wachstumsregionen Mittel- und
Osteuropas bieten. Nicht von ungefähr verzeichnet das
Statistische Jahrbuch, dass rund 10 000 Deutsche jedes
Jahr nach Polen übersiedeln. Das ist ein deutliches Signal;
denn damit liegt Polen an zweiter Stelle hinter den USA.
Auch warten viele Unternehmen geradezu auf den Grenz-
wegfall und vereinfachte Grenzbedingungen. Sie warten
allerdings auch auf neue Brücken und neue Verkehrs-
wege; denn diese sind die Voraussetzung für Handel, Be-
gegnungen und Wirtschaftskontakte.

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine ehrliche
Debatte, eine tief gehende Informationskampagne und
eine abgestimmte Flankierungsstrategie von Europa,
Bund und Ländern. Die SPD-Bundestagsfraktion hat
bereits im Juni 2000 mit der Beschlussfassung zur „Flan-
kierung des Erweiterungsprozesses“ die politische Initia-
tive ergriffen und die Weichen für die regionalen Bei-
trittsvorbereitungen gestellt. Wir sind nicht, wie es der
Kollege Hofbauer behauptet hat, mit unserem Antrag aus
dem Dezember den Anträgen der Opposition hinterherge-
laufen. Wir haben, wie gesagt, bereits im Juni, also noch
vor der Sommerpause, etwas vorgelegt. Herr Türk, hätten
Sie aufgepasst, wäre das an Ihnen nicht vorübergegangen.


(Beifall bei der SPD – Jürgen Türk [F.D.P.]: Sie haben bisher nichts gemacht! Sie haben nur gute Vorschläge abgelehnt!)


Auch mit dem heute vorliegenden Antrag der Koaliti-
onsfraktionen geben wir den Bürgerinnen und Bürgern
eine klare Botschaft. Ich vertraue darauf, dass die Bun-
desregierung ihrer Verantwortung so gerecht wird, wie es
die Bürgerinnen und Bürger gerade in den Grenzregionen
zu Recht erwarten. Schließlich wollen und müssen wir die
Menschen auf den Weg in eine erweiterte Europäische
Union mitnehmen, zu der es wirtschaftlich und politisch
keine Alternative gibt, wie wir alle wissen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Winfried Mante

15173


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415507400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen
und Überweisungen, weswegen ich um Aufmerksamkeit
bitte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/5448 zur federführenden Beratung an den Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den
Innenausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-
nologie, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten, den Ausschuss für Arbeit und Sozialord-
nung, den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen, den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit und den Ausschuss für Angelegenhei-
ten der neuen Länder zu überweisen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/5461. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Die Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Bei Enthaltung der CDU/CSU und der PDS ist der
Antrag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf
Drucksache 14/5475, und zwar zunächst zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Flankierung der Erweiterung der Eu-
ropäischen Union als innenpolitische Aufgabe“, Drucksa-
che 14/4886. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme dieses Antrags. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und
PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Die deutschen Grenzregionen
auf die EU-Erweiterung durch einen Grenzgürtel-Akti-
onsplan vorbereiten“, Drucksache 14/4643. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5447 und 5454 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 g
auf:

Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes


(DRGSystemzuschlags-Gesetz)

– Drucksache 14/5396 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asyl-
verfahrensgesetzes
– Drucksache 14/4925 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

c) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, des
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der
PDS
Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlich-
keit, Antisemitismus und Gewalt
– Drucksache 14/5456 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der F.D.P.
Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum
neuen Jahrtausend
– Drucksache 14/5243 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Neuer Schwung für das System Schiene
– Drucksache 14/5316 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder






(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Jörg van Essen, Dirk Niebel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Einsatzdauer von Soldaten bei Friedensmissio-
nen verkürzen – Rahmenbedingungen verbes-
sern
– Drucksache 14/4536 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Reinhold
Hemker, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack,
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Freiwillige Agrar-Umwelt/Sozial-Zertifizierung
für Entwicklungsländer
– Drucksache 14/4802 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschla-
gen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.

Wir kommen nun zur Beschlussfassung über eine
Reihe von Punkten, zu denen keine Aussprache vorge-
sehen ist.

Ich rufe Punkt 20 a der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Änderung des Übereinkom-
mens zum Schutz der Meeresumwelt des
Nordostatlantiks (OSPAR-Übereinkommen)

– Drucksache 14/3949 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/5217 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Hartnagel
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss für Naturschutz, Umwelt und Reaktor-
sicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5217, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 20 b der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Fe-
bruar 1999 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich Kambodscha
über die Förderung und den gegenseitigen
Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/4706 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie
– Drucksache 14/5260 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
auf Drucksache 14/5260, den Gesetzentwurf anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Stimm-
enthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen der PDS ist der
Gesetzentwurf angenommen.

Ich rufe Punkt 20 c der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Sep-
tember 1998 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Gabunischen Republik
über die gegenseitige Förderung und den ge-
genseitigen Schutz von Kapitalanlagen
– Drucksache 14/4708 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/5261 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt
auf Drucksache 14/5261, den Gesetzentwurf anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenprobe! –
Stimmenthaltungen? – Wiederum bei Enthaltungen der
PDS ist der Gesetzentwurf angenommen.

Ich rufe Punkt 20 d der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert,
Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS




Vizepräsidentin Anke Fuchs

15175


(C)



(D)



(A)



(B)


Übergangsregelungen bei der Einführung
des Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-
Gesetzes
– Drucksachen 14/3078, 14/5144 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Ronald Pofalla
Rainer Funke

Der Rechtsausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3078 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen der PDS ist der Beschlussempfehlung
gefolgt und dieser Antrag abgelehnt worden.

Ich rufe Punkt 20 e der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch zur Umweltproblematik von PVC
KOM (00) 469 end.; Ratsdok.-Nr. 10861/00
– Drucksachen 14/4570 Nr. 3.1, 14/5156 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Dr. Paul Laufs
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss für Naturschutz, Umwelt und Reaktorsi-
cherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5156, in Kenntnis
des Grünbuchs der Europäischen Kommission zur
Umweltproblematik von PVC eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Diese Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS angenommen.

Ich rufe Punkt 20 f der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Für eine vertiefte Partnerschaft zwischen
Russland und der EU
– Drucksachen 14/811, 14/5186 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Dr. Andreas Schockenhoff
Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/811 für erledigt zu erklären. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Diese Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen wor-
den.

Ich rufe Punkt 20 g der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 243 zu Petitionen
– Drucksache 14/5338 –

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich
der Stimme? – Die Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 20 h der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 244 zu Petitionen
– Drucksache 14/5339 –

Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich
der Stimme? – Bei Enthaltung der PDS ist diese Sam-
melübersicht angenommen.

Ich rufe Punkt 20 i der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 245 zu Petitionen
– Drucksache 14/5340 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Punkt 20 j der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 246 zu Petitionen
– Drucksache 14/5341 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich der Stimme? – Gegen die Stimmen der PDS, der
CDU/CSU und der F.D.P. ist die Beschlussempfehlung
angenommen.

Ich rufe Punkt 20 k der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 247 zu Petitionen
– Drucksache 14/5342 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 4 der Tagesordnung auf:
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen
Übereinkommen von 1989 über Bergung
– Drucksache 14/4673 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
15176


(C)



(D)



(A)



(B)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuregelung des Bergungsrechts in der

(Drittes Seerechtsänderungsgesetz)

– Drucksache 14/4672 –

(Erste Beratung 137. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/5459 –
Berichterstattung:
Abgeordneten Joachim Stünker
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Helmut Wilhelm (Amberg)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksa-
che 14/5459 unter Buchstabe a, den Gesetzentwurf
unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Dritten Seerechtsänderungsge-
setzes, Drucksache 14/4672. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/5459 die Annahme des Gesetzentwurfes
in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Dieser Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Nun rufe ich Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zur aktuellen
Haushaltssituation und offensichtlichen Unter-
finanzierung der Bundeswehr


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Tatsächlichen! Offensichtlich ist das nicht, Frau Präsidentin!)


Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Günther Nolting, F.D.P.-Fraktion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1415507500
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Wenn man das Drama um
die Finanzierung der Bundeswehr betrachtet, so stellt man
fest, dass im Zentrum ein und dieselbe Person, nämlich
Bundesverteidigungsminister Scharping, steht. Mit ihm

auf der Bühne befindet sich der Generalinspekteur Kujat
als Kulissenschieber.


(Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist ja unverschämt!)


Minister Scharping hat alle Mahnungen von Betroffe-
nen, Verbänden und Medien sowie von der Opposition in
den Wind geschlagen. So geht der Haushalt 2001 an den
Bedürfnissen einer soliden Finanzierung der Bundeswehr
vorbei.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Minister Scharping hat es sogar abgelehnt, die Ratschläge
der Kommissionen, die er selber berufen hat, zu befolgen.
So hat zum Beispiel die Weizsäcker-Kommission richti-
gerweise eine Anschubfinanzierung der Bundeswehr-
reform angemahnt. Minister Scharping hat dies nicht
übernommen.

Minister Scharping ist die haushaltspolitische Realität
seines Verantwortungsbereiches entglitten. Stattdessen
übt er sich in Beschwichtigungsrhetorik. Er schönt, er
trickst und beschimpft all diejenigen, die auf die realen
Probleme der Bundeswehr hinweisen,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

nämlich auf die schlechte Motivation, die miserable
Nachwuchslage, die unzureichende Materiallage, die
Streckungen und Aussetzungen bei den Beschaffungen
usw.

Trotzdem schwadroniert der Haushaltspolitiker
Metzger von den Grünen, die Bundeswehr könne mit kei-
nem Pfennig mehr Geld rechnen. Er will weiter kürzen.
Die zukünftige Vorsitzende der Grünen spricht sogar von
einer guten Nachricht, wenn nicht noch mehr Geld in das
Militär gesteckt wird. Dazu sage ich für die F.D.P.: Die
Bundeswehr ist kein Selbstzweck. Die Bundeswehr erhält
den Auftrag von der Politik. Dann hat die Politik auch
dafür zu sorgen, dass die Finanzen stimmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die F.D.P. 16 Jahre lang nicht gemacht! Warum nicht?)


Da muss sich auch der Außenminister der Grünen die
Frage gefallen lassen, wie er mit dieser unterfinanzierten
Bundeswehr die neue Rolle Deutschlands mit immer
mehr Verantwortung glaubhaft zu vertreten gedenkt. Die
internationale Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit
Deutschlands als Bündnispartner in der Allianz sind ein
zu hohes Gut, als dass man sie den Grünen mit ihren Zie-
len überlassen darf.

Aber in dieser Angelegenheit reicht die Kraft von
Minister Scharping nicht aus. Deshalb erwarte ich von
Bundeskanzler Schröder höchstpersönlich ein Machtwort.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Basta! – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er doch schon getan!)


Tönte der Bundeskanzler noch Ende letzten Jahres –
ich zitiere – „Von Rudi lernen heißt siegen lernen“ und
versprach er diesem bei Amtsantritt noch, es werde




Vizepräsidentin Anke Fuchs

15177


(C)



(D)



(A)



(B)


keinesfalls zu Kürzungen im Verteidigungsetat kommen,
so ist heute von diesen vollmundigen Versprechungen
nichts, aber rein gar nichts mehr übrig geblieben.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!)


Kanzler Schröder lässt seinen Verteidigungsminister im
Regen stehen, wie wir gestern wieder einmal erlebt haben.
Noch nie war die Position eines Verteidigungsministers so
schwach wie zurzeit,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie das denn abgeschrieben?)


und das in dieser so entscheidenden Phase des Umbaus
der Bundeswehr. Aber gerade jetzt braucht die Bundes-
wehr einen starken Minister. Denn bei der Bundeswehr
handelt es sich um diejenige Institution, die für den
Schutz der entscheidenden Güter unseres Staatswesens
verantwortlich ist: für Frieden, für Freiheit, für Men-
schenwürde, auch außerhalb der Grenzen unseres eigenen
Landes.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.] – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schau mal, ein einziger klatscht!)


Es ist das Drama dieses Ministers, dass er diese so ein-
fache Erkenntnis noch nicht einmal in der eigenen Frak-
tion, bei den eigenen Genossen herüberbringen konnte.
Wie sonst sind die Ausführungen der SPD-Haushaltspoli-
tiker Kröning und Wagner zu verstehen, die ebenfalls wei-
tere drastische Kürzungen fordern?


(Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Wo hast du denn das gelesen?)


Für die F.D.P. fordere ich daher den Verteidigungsmi-
nister und fordere ich die Regierung auf: Erhöhen Sie den
Verteidigungshaushalt auf 50 Milliarden DM und sorgen
Sie für Verstetigung! Bringen Sie endlich das lange an-
gekündigte Attraktivitätsprogramm auf den Weg! Die
Menschen in der Bundeswehr warten darauf. Sorgen Sie
dafür, dass die Investitionsquote erhöht wird!


(Peter Zumkley [SPD]: Haben wir doch erhöht, nicht Sie!)


Legen Sie ein Konversionsprogramm auf, das die von der
Reduzierung der Bundeswehr betroffenen Kommunen
nicht auf einem finanziellen Scherbenhaufen zurücklässt.
Ein entsprechender Antrag der F.D.P.-Fraktion liegt vor.
Zeigen Sie den Angehörigen der Bundeswehr endlich
klare Perspektiven auf!

Auch als Oppositionspartei fühlen wir uns verantwort-
lich für die Parlamentsarmee Bundeswehr.


(Gernot Erler [SPD]: Mit der Rede aber nicht!)

Deshalb bieten wir Ihnen auch weiterhin unsere Zusam-
menarbeit an. Dazu gehört allerdings, dass diese Regie-
rung auch auf uns als Opposition zukommt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415507600
Jetzt hat das Wort der
Kollege Peter Zumkley, SPD-Fraktion.


Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1415507700
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Zur Finanzsituation der Bundeswehr
wird ohne jeden Nachweis behauptet und teilweise völlig
unkritisch weiterverbreitet: Das Haushaltsdefizit für 2001
belaufe sich auf 2 Milliarden DM;


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

wegen der Finanzprobleme erwäge das Verteidigungsmi-
nisterium, auf den Kampfhubschrauber Tiger zu verzich-
ten; darüber hinaus sollten in 2001 25 000 Wehrpflichtige
aus Sparzwängen nicht einberufen werden;


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Hat Herr Nayhauß gesagt, ein Freund Scharpings!)


die Stationierungsentscheidungen müssten erneut auf den
Prüfstand, um Geld zu sparen.

All diese Behauptungen sind falsch. Sie entbehren je-
der Grundlage.


(Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/ CSU]: Das glaubt Ihnen kein Mensch!)


Man merkt die Absicht, die dahinter steckt: durch Ver-
breitung von Gerüchten und durch Dramatisierung die Si-
tuation der Bundeswehr schlechter zu schildern, als sie in
Wahrheit ist.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Keine Beschwichtigung jetzt! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sprechen Sie über den Generalinspekteur?)


Der Haushalt 2001 wird, meine Damen und Herren von
der Opposition, wie vom Parlament beschlossen un-
gekürzt und ohne Auflagen vollzogen. Die dringend not-
wendige Reform der Bundeswehr kann wie geplant be-
gonnen werden.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Da lachen die Hühner!)


Dazu gehören auch die Personalmaßnahmen zur Attrakti-
vitätssteigerung.

Es gibt allerdings einen Mehrbedarf bei der Material-
erhaltung in Höhe von 372 Millionen DM,


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Aha!)

insbesondere bei Heer und Luftwaffe. Da gibt es auch
keinerlei Geheimnisse. Durch Umschichtungen im Ver-
teidigungshaushalt wird dies, wie in der Vergangenheit
auch bei Ihnen häufig geschehen, im Rahmen des jährli-
chen Haushaltsvollzuges aus dem Einzelplan 14 gedeckt
werden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Aber jetzt sind Sie dran!)


Im Übrigen: Die Bugwelle bei der Materialerhaltung,
Kollege Rossmanith, gibt es schon seit 1994.


(Gernot Erler [SPD]: So ist das!)

So wurden zu Zeiten der Vorgängerregierung die Depot-
bestände in großem Stil abgebaut, Waffensysteme kanni-




Günther Friedrich Nolting
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(D)



(A)



(B)


balisiert und die Ersatzteilbestände nicht aufgefüllt. Es ist
auch nichts Neues, dass die Bundeswehr zurzeit noch
nicht voll bündnis- und europafähig ist. Das ist überhaupt
nichts Neues. Wir haben leider in den Streitkräften noch
die alten Strukturen und die Ausrüstung aus der Vergan-
genheit. Zugleich hat die Umstrukturierung auf die neuen
Aufgaben begonnen. Dies ist eine schwierige Phase für
die Streitkräfte, wie sie bei Umstrukturierungen häufig
nicht zu vermeiden ist.

Am Ende des Reformprozesses aber wird die Bundes-
wehr die neu gestellten Aufgaben und Erwartungen bes-
ser und vollständiger erfüllen können, als dies jetzt der
Fall ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So werden die Einsatzkräfte beträchtlich erhöht. Ich lasse
die Zahlen weg.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die stimmen sowieso nicht!)


Das Material wird von Grund auf modernisiert. Alle Vor-
haben für 2001, meine Damen und Herren der Opposition,
werden auch umgesetzt. Die Bundeswehr wird so struk-
turiert, dass sie ihre geänderten internationalen Verpflich-
tungen besser erfüllen kann.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist ja das Schlimme!)


Im Übrigen vermissen wir ein Alternativkonzept der
CDU/CSU. Sie müssen sich endlich einigen, wie Sie sich
die zukünftige Bundeswehr vorstellen, sowohl vom Um-
fang als auch vom Inhalt her. Wo bleiben eigentlich Ihre
Alternativen?


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Lesen!)

Keine Sachpolitik, keine Fachpolitik, keine Konzepte,
stattdessen Pauschalkritik gegenüber jedem Regierungs-
handeln!


(Zustimmung bei der SPD – Paul Breuer [CDU/CSU]: Noch nicht einmal lesen können Sie!)


Dabei könnte man über Reformkonzepte durchaus unter-
schiedlicher Meinung sein, wenn sie denn bei Ihnen vor-
handen wären. Man könnte dann endlich in den Wettbe-
werb um die besseren Ideen eintreten. Auf jeden Fall
sollte aber die Auseinandersetzung so geführt werden,
dass die Bundeswehr keinen Schaden nimmt. Sie von der
Union, aber auch andere haben das Thema leider häufig
parteipolitisch instrumentalisiert.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Regierung und jetzt auch!)


Auch das heutige Thema gehört dazu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden unseren Reformweg, der sicherheits- und

verteidigungspolitisch vernünftig und notwendig ist, im
Interesse unseres Landes, der eingegangenen Bündnis-
verpflichtungen und der Bundeswehr selbst fortsetzen.

Hierzu reichen die Haushaltsmittel für 2001, wenn auch
nur äußerst knapp, insgesamt aus.

– Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415507800
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Thomas Kossendey, CDU/CSU-
Fraktion.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Jetzt wird Klartext gesprochen!)



Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1415507900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit – nicht mehr, aber auch nicht weniger
fordern wir heute von Ihnen und von der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Einverstanden! – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beides haben Sie nie geschafft!)


Der Haushalt, den Sie für 2002 vorgelegt haben, erfüllt
beide Bedingungen nicht. Weder besteht auf der Einnah-
menseite Klarheit und Sicherheit, noch ist auf der Ausga-
benseite eine Übersicht vorhanden, auf die man sich wirk-
lich verlassen kann.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Der Haushalt gilt doch erst seit zwei Monaten!)


Bei den Einnahmen setzt der Minister eindeutig auf das
Prinzip Hoffnung, wenn er über 1 Milliarde DM als Erlös
aus der Veräußerung von Grundstücken, militärischem
Material und aus Rationalisierungsgewinnen erwartet.
Weder sind bis heute die Grundstücke identifiziert, die er
verkaufen will,


(Zuruf von der F.D.P.: Ungedeckte Schecks!)

noch ist das Material aufgelistet, das er eventuell verkau-
fen möchte, noch ist bekannt, an wen und mit wessen Zu-
stimmung, liebe Frau Beer.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin da offen!)


Noch besteht völlige Unklarheit darüber, was im Bereich
der Rationalisierung wirklich eingespart werden kann.
Wer auf diese erhoffte Einnahme seine Ausgabenplanung
stützt, der erinnert mich an eine Hausfrau, die auf den für
Samstag erwarteten Lottogewinn hin schon am Montag
ihr gesamtes Haushaltsgeld ausgibt.

Im Bereich der Ausgaben herrscht ein ebensolches
Chaos. Wenn schon sechs Wochen nach Beginn des Haus-
haltsjahres die ersten Probleme im Bereich der Material-
erhaltung auftauchen, ist dieser Haushalt entweder nach-
lässig erarbeitet worden oder ganz einfach zu knapp
gestrickt. Heute rächt sich offensichtlich, dass alle War-
nungen der Opposition überheblich in den Wind geschla-
gen worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Peter Zumkley

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(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, mit dieser Operation Sparschwein verprellt der
Minister so ziemlich alle diejenigen, die in der Bundes-
wehr ihren Dienst tun. Sie verprellen darüber hinaus auch
alle diejenigen, auf die die Bundeswehr als Partner drin-
gend angewiesen ist. Investitionslücken, die man identifi-
ziert hat, kann man eben nicht durch radikales Sparen
schließen, sondern nur durch Investieren.

Wer auf der einen Seite beklagt, dass Deutschland nicht
auf Dauer weniger als die Hälfte dessen für Verteidigung
ausgeben kann, was Großbritannien, Frankreich oder Ita-
lien dafür aufwenden, kann auf der anderen Seite nicht
den Verteidigungshaushalt für die nächsten Jahre um
20 Milliarden DM kürzen. Haushaltspolitik kann man
nicht gegen Adam Riese planen und durchsetzen. Wer so
fahrlässig mit der Bundeswehr umgeht, muss sich fragen
lassen, wie ernst er es eigentlich mit der Rolle Deutsch-
lands in Europa und im Bündnis meint.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das ist nicht nur eine Frage an den Verteidigungsmi-

nister, sondern auch eine Frage an den Kanzler. Er hat ge-
sagt: „Von Rudi lernen heißt siegen lernen.“ Ich glaube,
manche haben ihn falsch zitiert. Von Rudi lernen heißt sie-
chen lernen – das scheint mir viel richtiger zu sein.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der Kanzler ist nämlich derjenige, der als Erster das Par-
lament an der Nase herumgeführt hat. Wer war es denn,
der auf den Europagipfeln größere Verteidigungsanstren-
gungen angekündigt hat? Wer war es denn, der den Ame-
rikanern eine Beteiligung an NMD angekündigt hat, ohne
dafür auch nur einen Groschen im Haushalt bereitgestellt
zu haben?


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wo ist Herr Schröder eigentlich? – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Volker Rühe!)


Nein, wir brauchen eine radikale Bestandsaufnahme.
Mein Vorschlag dazu ist: Wenn am Monatsende die vom
Minister angekündigte Planung für Material und Ausrüs-
tung vorliegt, sollten wir uns zusammensetzen, um ge-
meinsam zu überlegen, welche großen Rüstungsvorhaben
in welcher Reihenfolge und mit welchem Zeitablauf in
den nächsten Jahren wirklich in Angriff genommen wer-
den sollen. Wir sollten gemeinsam eine Vereinbarung tref-
fen – nennen Sie es Programmgesetz, wie Richard von
Weizsäcker das getan hat –, nach der eine für die Bundes-
wehr verlässliche Planung über die nächsten Jahre, auch
über das Ende der Legislaturperiode hinaus, vorgenom-
men werden kann. Ich habe dies vor eineinhalb Jahren von
diesem Pult aus gefordert und dieser Vorschlag ist heute
aktueller denn je.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtfertigt aber nicht die Aktuelle Stunde!)


– Liebe Frau Kollegin Beer, gestatten Sie mir eine per-
sönliche Bemerkung zu Ihnen. Wenn ich der Patient Bun-
deswehr wäre und sich dann Schwester Angelika meinem
Patientenzimmer nähern würde, liefe mir angesichts der

Methoden, mit der die eine oder andere Helferin in der
Vergangenheit ihren Patienten von seinen Leiden erlöst
hat, ein eiskalter Schauer über den Rücken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich wiederhole meinen Vorschlag: Wir sollten gemein-

sam versuchen, die Rüstungsplanung für die nächsten
Jahre, auch über die Legislaturperiode hinaus, zu be-
schließen. Nur das wird letztendlich dem Anspruch ge-
recht, den die Soldaten und die Bediensteten der Bundes-
wehr haben. Das erwartet auch die Bevölkerung von uns.
Ich kann nur an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Regierungsfraktionen, appellieren: Werden Sie die-
sem Anspruch bitte endlich gerecht!

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415508000
Nun erteile ich der
Kollegin Angelika Beer das Wort.


Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415508100
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich
tatsächlich Arzthelferin war, fasse ich das jetzt als Lob
auf.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das haben Sie falsch verstanden!)


Nun zum Ernst der Debatte. Ich frage mich wirklich,
warum wir heute die von der F.D.P. beantragte Aktuelle
Stunde haben. Ich kann mich noch gut an die Wechsel-
spiele zwischen dem ehemaligen Verteidigungsminister
Rühe und dem Finanzminister Waigel erinnern, in denen
der Bundeswehr zunächst immer zu viel Geld verspro-
chen wurde und die Mittel im Laufe des Haushaltsjahres
de facto wieder gekürzt wurden.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber Sie schaffen die Bundeswehr durch die Hintertür ab!)


Es ist interessant zu beobachten, wie aufgeregt Sie von
der Opposition, also auch von der F.D.P., nun weiter dis-
kutieren und spekulieren, als wenn es den gestrigen Tag
gar nicht gegeben hätte.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir sprechen vom Haushalt 2001!)


Sowohl der Bundeskanzler als auch der Finanzminister
und der Verteidigungsminister haben eine einheitliche Po-
sition formuliert, die dem Gesamtkurs der rot-grünen Ko-
alition entspricht.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der Kurs ist schlimm genug! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Was ist da rot und was ist da grün?)


Ich will hier noch einmal ganz klar sagen: Ich begrüße
ausdrücklich die klare Aussage vom Verteidigungsminis-
ter gegenüber Parlament und Öffentlichkeit, dass die der-
zeitigen Defizite, über deren Ursachen wir noch einmal
gesondert zu sprechen haben, aus dem laufenden Haus-
haltsansatz 2001 gedeckt werden und alle Spekulationen
über einen Nachtragshaushalt ohne jede Grundlage sind.




Thomas Kossendey
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich gehe davon aus, dass dieser Konsolidierungskurs un-
serer Regierung auch in den nächsten Jahren eingehalten
wird.

Wir sind nach der Übernahme der Regierungsverant-
wortung darangegangen, die Versäumnisse des ehemali-
gen Verteidigungsministers Volker Rühe aufzuarbeiten.
Wir haben es geschafft, den Reformstau in der Bundes-
wehr aufzubrechen und die Neuausrichtung der Bundes-
wehr in die Haushaltskonsolidierung einzupassen. Das ist
nach nur zwei Jahren ein Ergebnis, das sich durchaus se-
hen lassen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Kabinettsbeschluss vom 14. Juni 2000 hat deut-
lich gemacht, dass der Einstieg in den lange dauernden
gesellschaftspolitischen Reformprozess – dazu gehört
auch die Bundeswehr – von allen gewollt und praktiziert
wird. Allen Beteiligten, den Bundeswehrangehörigen
und den Politikern, war klar, dass diese Reform erstens
unverzichtbar ist und zweitens schwierig sein würde.
Aber ein komplexer Prozess wie diese Reform lebt da-
von, dass sich etwas bewegt. Reform heißt Bewegung
und nicht Stillstand. Nichts anderes als das – Stillstand –
haben Sie, Herr Kollege Kossendey, heute wieder auf-
gezeigt.


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Echternach ist auch eine Bewegung und bringt nichts!)


Wir Grünen – das ist bekannt – hätten uns die Refor-
men weitgehender gewünscht, weil wir glauben, dass wir
zur Erfüllung der internationalen Anforderungen klare
Schnitte brauchen, um die Planungssicherheit für die Zu-
kunft zu gewährleisten.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Was heißt „klare Schnitte“?)


Ich bin überzeugt, dass die Weizsäcker-Kommission
hierzu wichtige Eckpunkte, die weiterhin unsere Linie be-
stimmen werden, aufgezeigt hat.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und
insbesondere von der CSU, ich finde, Sie betreiben heute
ein leicht durchschaubares Spiel,


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Nein, das kann man nicht sagen!)


das vor dem Hintergrund der Versäumnisse Ihrer Regie-
rungszeit in den 90er-Jahren bei Leuten, die ein gutes Ge-
dächtnis haben, so etwas wie Komik erzeugt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie ist denn das mit Ihrer Partei und dem Gedächtnis?)


Zumindest eine komische Komponente kann man dieser
Aktuellen Stunde nicht abstreiten.

Ihre Komik allerdings verliert an Unterhaltungswert,
weil Sie weiterhin vollkommen konzeptionslos in den
Schützengräben des Kalten Krieges agieren wollen und
nicht begreifen, dass die Herausforderungen der Zukunft
andere sind und der Kalte Krieg aber tatsächlich ad acta
gelegt worden ist. Deswegen sind wir in die Regierung
gewählt worden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben ja keine Ahnung! – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Beer als Retterin der Bundeswehr!)


Ihr Kollege Volker Rühe bemühte sich in den letzten
Tagen auf der internationalen Ebene, unsere Regierung in
Misskredit zu bringen, weil er sich nicht traut, im eigenen
Land die Verantwortung für den eigenen Schaden zu über-
nehmen; denn wenn die Bundeswehr teilweise ein Ersatz-
teillager ist, dann aufgrund seiner Versäumnisse.


(Manfred Opel [SPD]: Das ist leider wahr!)

Dieses Auftreten ist nichts anderes als peinlich und die In-
kaufnahme eines außen- und innenpolitischen Schadens
für die Bundesrepublik Deutschland. Das ist an dieser
Stelle eindeutig zurückzuweisen.

Ihr strategieloses Agieren – da beziehe ich mich auch
auf den gestrigen und den heutigen Tag – kann ich nur wie
folgt zusammenfassen: Sie sind in der Realität des
21. Jahrhunderts nicht bündnisfähig.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Für Sie nicht!)


Die Bundeswehr der Zukunft wird in eine Politik der
präventiven Außen- und Sicherheitspolitik eingebettet
sein. Die Konzepte der Prävention werden neu formuliert.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sagt eine Grüne: Außenpolitik mit der Armee! Das ist verfassungswidrig!)


Die Struktur der Bundeswehr wird grundlegend geändert
und modernisiert. Dies ist ein gesamtgesellschaftliches
Interesse, das wir wahrzunehmen haben. Ich stelle heute
fest, dass sich die so genannte Volkspartei CDU offen-
sichtlich bewusst aus dieser gesamtgesellschaftlichen und
politischen Aufgabe verabschiedet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Keine Ahnung, aber davon sehr viel!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1415508200
Das Wort hat nun der
Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS-Fraktion.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1415508300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu dem Thema der
Aktuellen Stunde spreche, möchte ich an dieser Stelle Ih-
nen, sehr geehrte Frau Präsidentin, und allen Frauen zum
heutigen 8. März, dem Internationalen Frauentag, herz-
lich gratulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der SPD – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das fällt ihm aber früh ein!)


Nach diesem Glückwunsch komme ich zu dem sehr
ernsten Thema der Aktuellen Stunde. Minister Scharping
hat offensichtlich selbst Meldungen lanciert,


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist eine böswillige Unterstellung!)





Angelika Beer

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(C)



(D)



(A)



(B)


wonach die Bundeswehr in eine Finanzkrise geschlittert
sei. Das hört man aus Koalitionskreisen. Er tut dies wohl
mit der Absicht, vom Kanzler und von dessen Finanzmi-
nister rasch Zusagen über mehr Gelder für den Etat 2002
und die Etats der Folgejahre zu erheischen.

Schon jetzt aber ist der Verteidigungsetat mit 46,8 Mil-
liarden DM etwa 40-mal höher als der Bundesumwelt-
haushalt. Da stimmt wohl bei Rot-Grün etwas nicht. Ich
wende mich damit auch an Sie, liebe Kollegin Beer.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch Erhöhungen beschlossen!)


– Sie haben doch vor einigen Jahren ganz anders argu-
mentiert. So schnell können Veränderungen geschehen.


(Beifall bei der PDS)

Wofür braucht Herr Scharping nun mehr Geld? Er will

es doch offenbar nicht dafür einsetzen – dabei würden wir
ihn unterstützen –, um endlich die Angleichung der Be-
soldung der Zeit- und Berufssoldaten in Ost- und West-
deutschland zu vollziehen.


(Beifall bei der PDS)

Dafür hat sich die PDS eingesetzt und sie wird sich wei-
ter dafür einsetzen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundeswehr abschaffen!)


Für einen solchen Schritt, liebe Kollegin Beer, der ver-
gleichsweise wenig kostet, ist Herr Scharping einfach zu
feige.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Nicht einmal den Bundesrat oder die kommunalen Spit-
zenverbände müsste er dazu befragen. Der Soldatenminis-
ter ist in dieser Entscheidung frei. Nur der Bund ist dafür
zuständig. Ausflüchte werden nicht mehr akzeptiert.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Kollege Scharping will mehr Geld, aber nicht im Mil-
lionenpack, sondern im Milliardenpack. Er braucht diesen
Geldsack, um den Umbau der Bundeswehr zu einer hoch
mobilen und international agierenden Interventionsarmee
zu finanzieren. Das lehnt die PDS ganz entschieden ab.
Die Beteiligung an Kriegen wird in dieser Konzeption
ausdrücklich eingeplant. Das ist ein sehr ernstes Thema,
wie der Einsatz der deutschen Bundeswehr im unsägli-
chen Krieg gegen Jugoslawien zeigt. Ich halte das für ein
sehr ernstes Thema.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Milosevic!)

Es war ein Krieg, der Tausende Tote und Schwerstver-
letzte gebracht hat. Daneben hat er immense materielle
und Umweltschäden angerichtet. Sein erklärtes Ziel aber,
eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, hat dieser
Krieg verfehlt. Das ist fürwahr eine schlimme Bilanz.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Seien Sie nicht so zynisch!)


Die qualitative Aufrüstung der Bundeswehr soll nach
Scharpings Willen bis zum Jahr 2015 gigantische

180 Milliarden DM verschlingen. Es kann, wenn es nach
dem Willen des Ministers geht, wohl auch noch etwas
mehr kosten. Allein die mit der Rüstungsindustrie ausge-
handelten so genannten Preisgleitklauseln werden dafür
sorgen.

Der Bundesrechnungshof hat nachgewiesen, dass das
Preisdiktat der Rüstungsindustrie gegenüber der Hardt-
höhe gerade beim Eurofighter die unvorstellbare Summe
von 6 Milliarden DM zusätzlicher Kosten verursacht. Da-
mit wird der Eurofighter für die nächsten Jahre die Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland mit fast
40Milliarden DM– eine unvorstellbare Größenordnung –
belasten. Wie viel nützlicher könnte dieses Geld für die
Familienförderung oder die Anhebung der Renten einge-
setzt werden – aber weit gefehlt.


(Beifall bei der PDS – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder die Soldanhebung!)


Die Kollegen Opel von der Sozialdemokratischen Par-
tei und Kossendey von der CDU fordern sogar ein 50-Mil-
liarden-DM-Sonderprogramm für die Finanzierung der
Hochrüstung der Bundeswehr in den nächsten Jahren. Die
PDS sagt ausdrücklich Nein zu diesen Begehrlichkeiten,
der Kanzler auch – aber wie lange noch?


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU/ CSU: Ja, das weiß man bei dem nie!)


Nach der Methode „Hoppla, hier bin ich“ hat sich der
Verteidigungsminister schon so manches Finanzprivileg
vom Kanzler bzw. von Finanzminister Eichel genehmigen
lassen. So ist er das einzige Kabinettsmitglied, das den
Verkaufserlös aus Liegenschaften und Gerätschaften in
die eigene Tasche, also die des Ministeriums, stecken
kann.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Eine Sonderlösung!)


In diesem Jahr ging es dabei immerhin um 1Milliarde DM.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Mindestens! – Zuruf von der CDU/CSU: Schön wär’s!)


Der Zwang aber, möglichst hohe Erlöse für das Ministe-
rium zu erzielen, wird die Kommunen, die als Käufer bei-
spielsweise von Grundstücken auftreten, immens belasten.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist das Problem!)


An dieser Stelle muss auch das gesagt werden, da viele
Kommunalpolitiker an den Bildschirmen sitzen.


(Beifall bei der PDS – Joachim Poß [SPD]: Die sitzen in den Sitzungen, in Ausschüssen und Räten, nicht am Bildschirm!)


Dem Kollegen Scharping wurde im August 2000 das
Recht eingeräumt, verehrter Kollege Poß, eine privatwirt-
schaftlich organisierte Gesellschaft für Entwicklung, Be-
schaffung und Betrieb, kurz GEBB, zu errichten, die die
Bundeswehr von Aufgaben entlasten und Kosten einspa-
ren soll. Aber wo bleibt diese GEBB bei der Einsparung?
Wo sind deren Ergebnisse?




Dr. Uwe-Jens Rössel
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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415508400
Herr Kol-
lege Rössel, wir müssen jetzt leider auch bei Ihrer Rede-
zeit einsparen.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1415508500
Ich komme zum
Schluss, Herr Präsident. – Ein Paradigmenwechsel in der
Sicherheitspolitik ist dringend geboten. Schneiden Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die
Bundeswehr auf eine Größenordnung zu, die sicherheits-
politisch angemessen ist und sich auf die tatsächliche Auf-
gabe der Bundeswehr, die im Grundgesetz festgelegt ist
– es handelt sich um den Verteidigungsauftrag – reduziert.
Dann haben Sie auch keine Haushaltsprobleme bei der
Bundeswehr; denn dadurch lassen sich sogar zig Milliar-
den DM einsparen, die man für andere Aufgaben einset-
zen kann.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS – Gernot Erler [SPD]: Ein Rössel macht noch keine Kavallerie!)

– Die soll ja abgeschafft sein; aber der Hinweis war nett.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415508600
Das Wort
hat nun der Parlamentarische Staatssekretär im Bundes-
verteidigungsministerium Walter Kolbow.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn der Minister?)


W
Walter Kolbow (SPD):
Rede ID: ID1415508700
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die öffentliche Diskussion über die ak-
tuelle Haushaltssituation der Bundeswehr in diesen Tagen
ist zumeist geprägt von Schlagworten, Effekthascherei
und falschen Behauptungen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na! Na!)

Leider haben sich die Reden der Opposition, die bisher
gehalten wurden, in dieses Bild eingereiht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na! Na!)


Nicht wenigen – auch bei Ihnen auf der rechten Seite des
Hauses –


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Links!)

– von mir aus gesehen immer rechts, und das sind Sie ja
auch, das wissen Sie doch, Herr Kollege Kossendey –
geht es nicht um die Sache und erst recht nicht darum, wie
wir gemeinsam die Streitkräfte modernisieren und auf die
künftigen Aufgaben ausrichten können.

Mit ihrem Verhalten und auch mit dieser Aktuellen
Stunde versucht die Opposition, von ihrem eigenen ge-
schichtlichen Versagen während der Zeit ihrer Regie-
rungsverantwortung abzulenken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damals, in Ihrer Regierungszeit, nach den sicherheitspo-
litischen Umbrüchen, haben Sie es versäumt, die Bundes-

wehr neu zu positionieren und die Reform, die wir jetzt
eingeleitet haben, selbst zu machen. Das ist Ihr Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie es mich gleich zu Beginn meiner Rede deut-
lich ansprechen: Es zeugt von Verantwortungsbewusst-
sein – Sie haben das im Übrigen auch immer erwartet und
wir haben es als damalige Opposition begrüßt –, dass mi-
litärisch Verantwortliche im Ministerium, in den Einhei-
ten, in den Verbänden die Politik rechtzeitig auf Probleme,
wie zum Beispiel auf dem Feld der Materialerhaltung,
aufmerksam machen. Es ist ein völlig normales Verfah-
ren, dass die militärische Führung auf zusätzliche Erfor-
dernisse hinweist, wenn sie solche erkennt. Deswegen
sind die Interviewaussagen des Generalinspekteurs Nor-
malität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen tun diese Äußerungen auch Ihnen weh, denn
seine Feststellungen betreffen auch Ihre Regierungszeit
und damit Ihre Versäumnisse und Ihre Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Jetzt mal zur Aktualität!)


Wir kommen schon darauf, Herr Kollege Nolting. Seien
Sie doch nicht immer so ungeduldig; Sorgfalt vor Eile,
auch in der Oppositionsarbeit. Dann machen Sie weniger
Fehler.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Habt ihr lange genug gehabt!)


Der Bundesminister, der Generalinspekteur und auch
andere haben keinen Zweifel daran gelassen – ich sage
das vorsorglich, weil man bei Ihnen nie so recht weiß, was
als Nächstes kommt –, dass diese Äußerungen zur
Einsatzbereitschaft selbstverständlich nicht die Einsatz-
fähigkeit unserer tüchtigen und erfolgreichen Soldatinnen
und Soldaten im ehemaligen Jugoslawien betreffen. Beim
Schutz dieser Soldatinnen und Soldaten und bei dem, was
sie im Einsatz brauchen, lassen wir uns – ich weiß auch:
gemeinsam – nicht übertreffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Dankeschön!)


Nun zum Etat; nun kommen Sie als Initiator dieser Ak-
tuellen Stunde dran, verehrter Herr Kollege. In Bayern
sagt man: überflüssig wie ein Kropf, aber: wat mutt, dat
mutt, sagt man im Norden. Also: Machen wir hier unse-
ren Job. Zum Verteidigungsetat des laufenden Jahres ist
vorab an die Adresse des Kollegen Austermann und an-
derer zu sagen: Wir brauchen keinen Nachtragshaushalt,
da wir mit dem vom Bundestag beschlossenen Haushalts-
rahmen auskommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


Diejenigen von der Opposition, die das Gespenst der
Zahlungsunfähigkeit heraufbeschwören, verkennen und
verdrehen die Fakten. Die Bundesregierung hat die Re-
form der Streitkräfte und der Wehrverwaltung entschlos-
sen angepackt. Wir investieren in die Menschen und ihre
Fähigkeiten. Wir investieren in die Ausrüstung der Streit-
kräfte, damit diese Fähigkeiten rasch sowie für die Zu-
kunft zuverlässig und dauerhaft zur Verfügung stehen.
Wir investieren in mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz
innerhalb der Bundeswehr.

Entgegen dem Trend in der Zeit der Vorgängerregie-
rung ist seit dem Regierungswechsel der Anteil der ver-
teidigungsinvestiven Ausgaben im Verteidigungshaushalt
gestiegen.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist die Realität!)

Beginnend mit diesem Jahr können wir im Verteidi-

gungshaushalt Erlöse aus der Verwertung nicht mehr
benötigten Materials und Liegenschaften zum größten
Teil behalten. Erstmals kommen finanzielle Freiräume,
die sich aus Effizienzgewinnen und sinkenden Betriebs-
kosten ergeben, dem Verteidigungsetat in vollem Umfang
zugute. Dies ist integraler Bestandteil und Ergebnis des
umfassendsten Reformprozesses seit Bestehen der Bun-
deswehr.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Heiße Luftblasen!)


Dennoch stehen wir erst am Anfang. Veränderungen in
Betriebsabläufen und Strukturen erfordern bei aller
Schnelligkeit der Entscheidungen Zeit zur Umsetzung,
bis sich die erwartete Wirkung voll entfaltet.

Die Opposition hat offensichtlich hellseherische
Fähigkeiten, wenn sie bereits zu Beginn des Haushalts-
jahres behauptet, die gerade erst anlaufende Verwertung
von Gerät und Liegenschaften sowie die jüngst eingelei-
teten Maßnahmen zu Einsparungen und Effizienzgewin-
nen würden im Laufe des vor uns liegenden Haushalts-
jahres keine Erfolge zeigen. Ich rate Ihnen: Setzen Sie
nicht auf Hellseherei!


(Joachim Poß [SPD]: Vor allem nicht auf Austermann!)


Warten Sie lieber die Fakten und die Ergebnisse ab! Dann
sprechen wir uns wieder und dann wird sich – dessen bin
ich mir sicher – die heutige von Ihnen beantragte Aktuelle
Stunde als ein weiterer erfolgloser Versuch erweisen, Op-
positionsarbeit zu leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ergeben sich für den Verteidigungshaushalt
– wie fast immer; der aktuelle ist der 21., über den ich mit
Ihnen debattieren darf – besondere Herausforderungen:
Einerseits sind die Mittel für den unverzüglichen Aufbau
der neuen Struktur bereitzustellen. Andererseits kann der
Aufwand für die noch bestehenden, dem künftigen Bedarf
nicht mehr Rechnung tragenden Strukturen mit Rücksicht
auf die Einsatzbereitschaft nur behutsam zurückgeführt
werden. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Ein-

satzausgaben lassen sich nun einmal nicht hundertpro-
zentig veranschlagen. Dies gilt auch für die Ausgaben zur
Materialerhaltung. Das wissen Sie alle hier, zumindest
diejenigen, die im Verteidigungs- und im Haushaltsaus-
schuss tätig sind. Das gilt auch für die zusätzlichen Aus-
gaben, die durch die Anhebung der Löhne entstehen und
die im Rahmen eines Gesetzes erst heute Abend be-
schlossen werden. Wie sollten wir denn dies schon im No-
vember oder im Dezember letzten Jahres etatisieren?

Gerade in diesem Bereich zeigt sich übrigens in ganz
besonderer Weise, wie durch den durch die Vorgängerre-
gierung verursachten Reform- und Investitionsstau ge-
rade in den Jahren 1994 bis 1998 der Bundeswehr allein
durch Haushaltssperren erhebliche Mittel – „same proce-
dure as every year“, Herr Kollege Breuer – entzogen wur-
den. Das ergab sich aus den Vereinbarungen zwischen
Waigel und Rühe. Allerdings haben diese Herrschaften
– das nehme ich doch an – in sehr nüchternem Zustand an
den Diskussionen ihrer Fraktion teilgenommen und sind
nicht über den berühmten Tigerkopf gestolpert. Aber weil
der Bundeswehr zwischen 1994 und 1998 3 Milliarden
DM entzogen wurden, mussten wir ab 1999 zusätzlich
fast 300 Millionen DM im Durchschnitt pro Jahr in die
Materialerhaltung und fast 1,5 Milliarden DM in die Aus-
rüstung investieren.

Sie haben auch Anspruch auf Antworten.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich bin ganz Ihrer Meinung!)

Natürlich bekommen Sie Antworten. Das ist doch selbst-
verständlich. Wenn Sie sich selbst aufgrund Ihrer Erfah-
rungen in Ihrer Regierungszeit keine Antworten geben
können, dann bekommen Sie sie von uns. Sie können
dann über sie beraten und mit uns gemeinsam feststellen:
Jawohl, so wird es gemacht, so ist es auch richtig, weil
man es so machen muss und weil es keine anderen Wege
gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum einen werden wir uns im Zuge der Einnahme der
Zielstruktur so rasch wie möglich in erheblichem Umfang
von Material trennen. Zum anderen wird der Instandset-
zungsbedarf konsequent priorisiert. Damit sind die drän-
gendsten Probleme beim Heer gelöst. Auch bei der Luft-
waffe wird es gelingen, den zwingenden Bedarf zu
decken. Im Übrigen wird der zu erwirtschaftende Mehr-
bedarf im Haushalt 2001 durch die Einbeziehung aller
Ausgabenbereiche in die Maßnahmen zur Haushaltskon-
solidierung und den höheren Ausschöpfungsgrad bezüg-
lich der Haushaltsmittel kompensiert. So sind die Risiken
im Vollzug des Haushalts 2001 beherrschbar und wir
kommen ohne zusätzliche Mittel aus. Noch einmal: Die
Forderung nach einem Nachtragshaushalt entbehrt jeder
Grundlage.

In diesem Zusammenhang ist es nicht nur schlichtweg
falsch, sondern auch politisch völlig abwegig und außen-
politisch schädlich, zu behaupten, Deutschland werde
sein Engagement auf dem Balkan einseitig aufgeben müs-
sen, es würden aus Haushaltsgründen weitere Standorte




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow
15184


(C)



(D)



(A)



(B)


geschlossen, im Jahr 2001 – das alles steht in der Zei-
tung – würden weniger Wehrpflichtige als geplant einge-
zogen oder – Herr Kollege Raidel, nehmen Sie es mit auf
den Weg – der Hubschrauber Tiger könne nicht beschafft
werden.

Das ist alles falsch; das Gegenteil ist richtig. Bei die-
sen und anderen Falschmeldungen und Behauptungen
geht es um alles andere als um die Bundeswehr. Denen,
die so argumentieren und sich auf die Basis solcher
falschen Informationen stellen, geht es vornehmlich um
Parteipolitik oder um Desavouierung einer solide arbei-
tenden Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warum macht der Generalinspekteur denn solche Interviews?)


Deswegen werden wir den eingeschlagenen Reform-
weg fortsetzen. Das gilt auch für den Verteidigungshaus-
halt 2001. Wir bleiben zuversichtlich und werden uns
auch durch politische Störfeuer, wie die durch die Oppo-
sition geforderte Diskussion um den Verteidigungshaus-
halt, nicht aus der Bahn bringen lassen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ihr seid schon aus der Bahn!)


Wir werden die Probleme lösen. Dies ist im Übrigen
das Markenzeichen dieser Regierung. Die zivilen und mi-
litärischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bun-
deswehr können sich auch weiterhin auf uns verlassen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, soll-
ten dies konstruktiver als bisher begleiten, anstatt auf dem
Rücken der bei der Bundeswehr tätigen Menschen partei-
politisch punkten zu wollen.


(Beifall bei der SPD)

Hierzu fordere ich Sie namens der Bundesregierung für
unsere Soldatinnen und Soldaten und zivilen Mitbeschäf-
tigten nachdrücklich auf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Mein Gott Walter, wer hat denn das aufgeschrieben!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415508800
Ich erteile
dem Kollegen Dietrich Austermann für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


(Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt der Oberfälscher!)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1415508900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In den „Kieler Nachrichten“
vom 28. Februar 2001 war ein Zitat der Ministerpräsiden-
tin Frau Simonis zu lesen:

Scharpings Ressort ist eine echte Plage.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Jawohl!)


Nach der Rede von Herrn Kolbow weiß ich, was sie ge-
meint hat. Sie sagt weiter:

Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Man
geht mit fünf Meinungen nach Hause. Ich verteidige
im Moment vom Verteidigungsministerium gar
nichts mehr.

So Frau Simonis Ende Februar in den „Kieler Nachrich-
ten“! Ich glaube, sie hat die Situation und das, was Aus-
sagen insbesondere der Verteidigungspolitiker der SPD
betrifft, korrekt beschrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Günther Friedrich Nolting [F.D.P.])


Herr Kolbow hat gesagt, es habe zu unserer Zeit keine
Reform gegeben. Es sei daran erinnert, dass wir die Ar-
mee der Einheit geschaffen haben. Wir haben unter den
Verteidigungsministern Stoltenberg und Scharping 1992
und 1995


(Zurufe von der SPD: Rühe!)

Reform- und Strukturveränderungen erlebt.


(Joachim Poß [SPD]: Den Namen Rühe kriegt er nicht über die Lippen!)


Im Übrigen gab es bei der Bundeswehr einen Haushalt
mit steigenden Ansätzen. Wenn man die letzten vier Jahre
unter unserer Regierung mit den ersten Jahren unter der
neuen Regierung vergleicht, dann stellt man fest, dass wir
an dieser Stelle einige Milliarden Mark mehr ausgegeben
haben, als zurzeit zur Verfügung stehen. Das heißt, die
Bundeswehr war in einer vergleichbaren Situation besser
ausgestattet, als sie es zurzeit ist.

Wenn gesagt wird, es sei alles in Ordnung, dann stellt
sich die Frage, weshalb es dann gestern das Gespräch zwi-
schen Scharping, Eichel und dem Bundeskanzler gegeben
hat. Worüber haben sie sich eigentlich unterhalten, wenn
es keine Probleme gibt?


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ein harmonisches Kabinett, das ist alles! Da unterhält man sich!)


Man muss sich die Situation tatsächlich angucken. Es
ist überhaupt nicht mit dem vergleichbar, was vorher da
war. Schauen Sie sich die Situation an. Ich will Ihnen,
Herr Kolbow, jetzt genau vorrechnen, wie sich die feh-
lenden 2 Milliarden DM zusammensetzen: 800 Mil-
lionen DM Überkipper, also Rechnungen, die aus dem
Jahre 2000 in dieses Jahr geschoben werden.


(Zuruf des Abg. Manfred Opel [SPD])

– Sicherlich hat es auch in der Vergangenheit, Herr Opel,
Überkipper gegeben.


(Manfred Opel [SPD]: Bis zu viereinhalb Jahre!)


Es war dann nur so, dass der Verteidigungsetat angestie-
gen ist. Unter diesen Umständen kriege ich diese Dinge
weg. Wenn er sinkt, wird die Zahl der Überkipper bzw.
der Umfang der nicht erledigten Ausgaben immer
größer.

Wir haben ein zweites Problem, nämlich dass Sie die
Mittel für steigende Personalkosten nicht in den Haushalt




Parl. StaatssekretärWalter Kolbow

15185


(C)



(D)



(A)



(B)


eingestellt haben. Des Weiteren sind – wie jeder weiß –
die 1,2 Milliarden DM, die aus der Privatisierung für Be-
schaffungen vorgesehen sind, weit entfernt von jeder Rea-
lität.

Wenn Sie allein das addieren, kommen Sie auf eine
Größenordnung von 2 Milliarden DM, die in diesem Etat
fehlen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Das macht deutlich, dass wir einen Nachtragshaushalt
brauchen. Ein Nachtragshaushalt ist immer dann fällig,
wenn Entwicklungen, die absehbar, also nicht unvorher-
sehbar waren, dazu zwingen, Haushaltskorrekturen vor-
zunehmen.

Nun wollen wir trotz Ihrer Bemühungen, das alles zu
verniedlichen, einmal schauen, was denn die Planungsab-
teilung des BMVg tatsächlich festgestellt hat. Sie hat be-
reits Mitte Februar in einer Vorlage – das war nicht die
böse Opposition, sondern das eigene Haus – darauf hin-
gewiesen, dass der unabdingbare Materialerhaltungsbe-
darf zur Aufrechterhaltung des Ausbildungs-, Übungs-
und Einsatzbetriebes sowie zur Erfüllung der internatio-
nalen Verpflichtungen zusätzliches Geld erfordert. Un-
abdingbar heißt, ohne zusätzliche Mittel können Mate-
rialerhaltungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des
Ausbildungs-, Übungs- und Einsatzbetriebes sowie zur
Erfüllung der internationalen Verpflichtungen nicht vor-
genommen werden. Deutlicher kann man die Situation
nicht beschreiben. Das heißt, Sie haben die Bundeswehr
in kurzer Zeit heruntergewirtschaftet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Dass dies in der Bevölkerung genauso gesehen wird, ma-
chen ja das abnehmende Ansehen und die sinkende Zahl
von Bewerbern, die sogar bei besonders attraktiven Diens-
ten zu verzeichnen ist, besonders deutlich.


(Peter Zumkley [SPD]: Daran haben Sie einen großen Anteil!)


Heute besteht die Gefahr, dass zwar die Gehälter der
Soldaten und der zivilen Mitarbeiter noch aufgebracht
werden können, aber Gelder für all das, was vertraglich
nicht gebunden ist, nicht mehr. Das heißt, Aufwendungen
für wehrtechnische Forschung, Beschaffung – wir haben
überhaupt keine gültige Investitionsplanung mehr –, In-
frastruktur, Informationstechnologie und Instandsetzung
sowie eine mögliche Steigerung der Personalkosten kön-
nen nicht bezahlt werden, wenn nicht zusätzliche Mittel
bereitgestellt werden.

Auf die Frage, woher die Gelder kommen sollen, sage
ich ganz deutlich: Der Herr Bundesfinanzminister hat uns
heute vorgeworfen, wir würden auf der einen Seite be-
haupten, es sprudle das Geld und er schwimme darin, und
auf der anderen Seite, er brauche einen Nachtragshaus-
halt. Natürlich schwimmt er im Geld; er kassiert in diesem
Jahr voraussichtlich 43 Milliarden DM mehr Steuern als
1998. Herr Kollege Metzger, wenn Ihre Rechnung stimmt
und es 3 Milliarden DM weniger wären, so würde er im-
mer noch 40 Milliarden DM mehr an Steuern einnehmen

als im Jahre 1998. Dabei sind die Ausgaben gegenüber
1998 nur um 20 Milliarden DM gestiegen. Da sage noch
einmal einer, er schwimme nicht im Geld. Auch die Pri-
vatisierungserlöse haben eine Rekordhöhe erreicht.

Angesichts dieser Situation sagen wir, das Geld muss
anders verteilt werden. Deshalb brauchen wir einen Nach-
tragshaushalt; deshalb muss die Plage der schlechten Po-
litik beseitigt werden, die in diesem Ministerium offen-
sichtlich von der Führung ausgeht. Bisher hat es das noch
nicht gegeben, dass leitende Leute an der Spitze des Mi-
nisteriums die Öffentlichkeit suchen, um auf die dramati-
sche Situation hinzuweisen, in der sich die Bundeswehr
tatsächlich befindet.


(Joachim Poß [SPD]: Redezeit!)

Sie können in der Geschichte so weit zurückgehen, wie
Sie wollen; dies hat es bisher nicht gegeben, weder bei
Rühe noch bei Stoltenberg. Das macht deutlich: Es be-
steht Handlungsbedarf; die Bundeswehr braucht mehr
Geld, wenn sie ihrem Auftrag entsprechen will.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415509000
Das Wort
hat der Kollege Oswald Metzger für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen. Hierbei handelt es sich wiederum um
eine Rede gemäß § 33 der Geschäftsordnung.


Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415509100

Genau, Herr Präsident, wenn man damit einmal angefan-
gen hat, muss man es auch fortführen.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition! Kollege Austermann, ich
kann die Märchen, die Sie als haushaltspolitischer Spre-
cher erzählen, nicht mehr hören. Wenn Sie hier als Ver-
treter der größten Oppositionsfraktion den Eindruck er-
wecken, der Staat schwimme im Geld, und so tun, als ob
die 43 Milliarden DM, die wir dieses Jahr an Mehr-
einnahmen erzielen, „on top“ dem Haushalt zugute kä-
men, aber dabei nicht erwähnen, dass wir noch neue Kre-
dite in Höhe von 43 Milliarden DM aufnehmen, um
diesen Etat auszugleichen, dann muss ich Ihnen leider
vorhalten, dass das nicht zusammenpasst, sondern Volks-
verdummung und sonst gar nichts ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Genau, und das weiß er auch!)


Nächster Punkt. Ich bin jetzt sechs Jahre im Haus-
haltsausschuss für Verteidigung zuständig


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sechs Jahre zu viel!)


und habe die Oppositionszeit mitgemacht. Dabei habe ich
erlebt – darauf hätte ich gerne einmal eine Antwort, Kol-
lege Austermann –, welche Überkipper es während Ihrer
Regierungszeit gegeben hat. Das heißt, man hat
Investitionsrechnungen und Betriebskosten nicht bezahlt,
damit man überhaupt die Personalausgaben bezahlen




Dietrich Austermann
15186


(C)



(D)



(A)



(B)


konnte; man hat also mit Investitionsmitteln alimentiert.
Sie hatten nämlich bei den Personalkosten immer unter-
etatisiert. Und Sie reden heute von Haushaltsklarheit und
-wahrheit!

Wissen Sie, was wir machen? – Wir führen wie in an-
deren gesellschaftspolitischen Bereichen Aufräumarbeiten
und eine Strukturreform durch, die sich bemüht, tatsäch-
lich militärische und sicherheitspolitische Anforderungen
der Verteidigung sowie bündnispolitische Verpflichtungen
mit der Bereitschaft unserer Gesellschaft, Geld für das Mi-
litär aufzuwenden, in Einklang zu bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dies ist der Zusammenhang. Jeder von Ihnen aus der Op-
position, auch Sie, Herr Nolting, weiß doch, dass weder
F.D.P. noch Union in Wahlkämpfen der Bevölkerung klar-
machen können, dass die Bundeswehr künftig deutlich
mehr als 10 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes-
haushaltes bekommen wird. Woher denn bitte? Die im
Bundeshaushalt für das Jahr 2001 vorgesehenen Ausga-
ben für Verteidigung liegen bei 9,3 Prozent. Auch in den
letzten Jahren lagen sie bei unter 10 Prozent. Das ent-
spricht der Linie, wie sie im Hinblick auf das Ziel der
Konsolidierung verabredet wurde. Es geht hier um die
Ausgaben in Bezug auf den Gesamtetat.

Wenn wir die Reform ernst nehmen, dann muss nun die
Investitionsplanung der Feinausplanung der Personal-
struktur folgen. Eine Reihe von Personen aus dem vertei-
digungspolitischen Bereich hat ein paar Lieblingsfirmen
und Lieblings-Teilstreitkräfte, weswegen sie sich für be-
stimmte Rüstungsprojekte einsetzen. Das funktioniert
natürlich nicht, wenn man so tut, als ob man künftig alles,
was sozusagen in der Pipeline ist, beschafft. Wir werden
uns vielmehr von bestimmten Beschaffungsvorhaben und
Rüstungsprojekten verabschieden müssen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wovon denn?)


Das wird eine Entscheidung im Zusammenhang mit der
Fortschreibung der Bundeswehrplanung sein, mit der die
Investitionen auf die neue Streitkräftestruktur abgestimmt
werden. Das ist keine Frage.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wovon denn? Zählen Sie einmal auf! Jetzt hört die Regierung aber gut zu!)


– Wollen Sie von mir ein paar Beispiele hören?

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ja, bitte!)


Warum muss das Wehrforschungs- und Erprobungsschiff
sein? Warum muss die K 130 sein? Wir können auch über
Stückzahlen diskutieren. Dort, wo es vertraglich möglich
ist und zum sicherheitspolitischen Profil passt, müssen
auch Stückzahlreduzierungen erfolgen. Darüber brauchen
wir nicht zu diskutieren.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist Sicherheitspolitik nach Gutsherrenart!)


Das, was die Koalitionsfraktionen im Haushaltsaus-
schuss beschlossen haben, ist doch kein Geheimnis: Der

Einnahmetitel von 1 Milliarde DM braucht in diesem Jahr
natürlich Monate, um wirksam zu werden. Man kann
doch nicht Liegenschaften, die nicht baureif sind, zu
Schleuderpreisen veräußern, weil man sie damit – das
wollen wir nicht – unter Wert verkauft. Wir wollen wert-
haltige Grundstücke tatsächlich baureif machen. Mit dem
Geld, das durch ihren Verkauf eingenommen wird, sollen
seriöse Investitionen finanziert werden. Um dem Vertei-
digungsministerium diesen Anschub deutlich zu machen,
haben wir gesagt: Scharping kann aus dem Einnahmetitel
auf jeden Fall 300 Millionen DM als Vorgriffsermächti-
gung verwenden, egal ob das Geld eingenommen wird
oder nicht. Das ist doch seriös. Wir können doch nicht so
tun, als ob wir von Januar bis Juni Einnahmen aus Ver-
äußerungen in Höhe von 1Milliarde DM erzielen könnten.

Ein weiteres Stichwort lautet: Rationalisierungspoten-
ziale bzw. Outsourcingpotenziale bei der Bundeswehr;
das ist bei der GEBB angesiedelt. Der konzeptionelle An-
satz, bestimmte Bereiche, die bisher in der Bundeswehr
angesiedelt waren, in die Wirtschaft zu verlagern und da-
mit Kosten zu sparen, ist richtig. Diesen Ansatz hat übri-
gens auch Ihre Regierung in anderen Politikfeldern ver-
folgt. Es geht um Outsourcing in den Bereich der
Wirtschaft, um Kosten zu sparen. Aber wir müssen den
Verantwortlichen bei der Bundeswehr Zeit geben, damit
sie seriös vorgehen können. Ich bin sicher: Die Ressour-
cen und die Effizienzreserven in den Streitkräften reichen
aus, um die Strukturreform im Rahmen der Finanzpla-
nung zustande zu bringen.

Wenn man der Bundeswehr heute mehr Geld zukom-
men ließe – zum Beispiel weil bestimmte Besitzstands-
wahrer, auch solche in Uniform, auf der Hardthöhe oder
in der Fläche, aus den Reihen der Opposition oder viel-
leicht auch im Koalitionslager, meinen, man könne Re-
formen nur mit mehr Geld durchführen und man müsse
dieses Geld bereits investieren, bevor die Reformschritte
konkret eingeleitet sind –,


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Anschubfinanzierung!)


dann machte man die Reform unmöglich. Man müsste
dann in der nächsten Legislaturperiode eine Bundeswehr
finanzieren, die jährlich zwischen 3 und 5 Milliarden DM
mehr kostet.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Anschubfinanzierung!)


Deshalb heißt es jetzt: Im Rahmen der Verabredungen Li-
nie halten!


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Weizsäcker-Kommission! Anschubfinanzierung!)


– Herr Nolting, ich kenne die Vorschläge der Weizsäcker-
Kommission. Aber Weizsäcker denkt an eine andere Per-
sonalstruktur.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber er spricht auch von einer Anschubfinanzierung!)


– Er spricht von einer Anschubfinanzierung, stellt dann
aber die Ausgaben in einen Zusammenhang mit der Fi-
nanzplanung. Wir brechen die Strukturplanung von der




Oswald Metzger

15187


(C)



(D)



(A)



(B)


Ebene der politischen Leitung auf die Teilstreitkräfte
herab. Jetzt brauchen wir die Investitionsseite. Ich
weiß, dass wir in der Aktuellen Stunde, in der man fünf
Minuten Redezeit hat, darüber keine Fachdiskussion
führen können.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415509200
Herr Kol-
lege Metzger, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sie wollen mehr Redezeit haben!)



Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415509300

Nein, darum geht es mir nicht. Ich will eines deutlich ma-
chen: Das Geschrei, dass zu wenig Geld da ist, verhindert
Reformen. Das ist meine Erfahrung aus der Vergangen-
heit. Nur unter Berücksichtigung der Knappheit der An-
sätze lässt sich die Chance einer Umstrukturierung wahr-
nehmen, sicherheitspolitische Erfordernisse der Republik
und die Finanzierbarkeit des Haushalts langfristig in Ein-
klang zu bringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie wollen die Bundeswehr über den Haushalt abschaffen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415509400
Ich gebe nun
das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin für die Fraktion
der F.D.P.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1415509500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Der Generalinspekteur der Bun-
deswehr hat das getan, was nach meiner Meinung seine
Pflicht und seine Aufgabe ist: Er hat dem verantwortli-
chen Bundesminister, aber auch der Politik insgesamt
aufgezeigt, wie bedenklich der Zustand der Bundeswehr
ist. Wir sollten ihm dankbar sein, dass er das in dieser
Deutlichkeit gesagt hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir müssen nur die Konsequenzen daraus ziehen.

Ich finde es nicht in Ordnung, dass der Kollege
Zumkley von einer Gerüchteküche spricht, wenn wir
diese Probleme ansprechen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist es denn sonst?)


Gehört denn das, was der Generalinspekteur sagt, zur
Gerüchteküche? Das darf ja wohl nicht wahr sein.

Vorhin hat die Kollegin Beer gefragt, was diese Aktu-
elle Stunde soll. Sie sagte, das sei doch völlig überflüssig.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist sie denn sonst?)


Allein der Beitrag des Kollegen Metzger hat gezeigt, wie
notwendig diese Aktuelle Stunde ist. Jeder in der Bundes-
wehr kann nämlich jetzt erkennen, was in der Koalition

los ist und wie die Koalition zur Bundeswehr und zu ihrer
Finanzierung steht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!)


Ich bin für diese Aktuelle Stunde ausdrücklich dank-
bar; denn der Kollege Metzger hat hier deutlich gemacht,
dass er Verteidigungspolitik nach Kassenlage machen
will. Es ist ihm völlig egal, ob, wie der Generalinspekteur
sagt, das Material veraltet ist und wie der Zustand der Ge-
bäude ist. Die Hauptsache ist, dass Metzgers Kasse
stimmt. Da der Kollege davon spricht, dass angesichts der
Lage des Bundeshaushaltes nicht mehr drin sei – ich
stimme ihm zu, dass die Haushaltslage schlecht ist –,
würde ich hier eigentlich gerne auflisten – die Zeit habe
ich aber leider nicht –, welche rot-grünen, aber vor allem
grünen Spielereien sich im Haushalt wiederfinden, für die
also Geld in der Kasse ist und über die das Füllhorn aus-
geschüttet wird. Auch das gehört zur Wahrheit.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Man muss doch erkennen, dass die Bundeswehr in ei-

nem katastrophalen Zustand ist,

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erkennen doch offensichtlich überhaupt nichts mehr!)


dass die Motivation in der Bundeswehr völlig unten ist
und dass das Material überwiegend in einem schlechten
Zustand ist, weil es zum Teil älter ist als die Wehrpflich-
tigen. Das ist doch das Problem, das wir heute bei der
Bundeswehr haben.


(Ilse Janz [SPD]: Die F.D.P. war doch an der letzten Regierung beteiligt! – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher kommt das denn?)


– Ich komme noch darauf zurück, Frau Kollegin Beer. Im
Übrigen glaube ich, dass Sie am wenigsten geeignet sind,
an dieser Stelle dazwischenzurufen, weil Sie früher bun-
deswehrfreie Zonen schaffen und den Bundeswehretat ra-
dikal herunterfahren wollten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen Folgendes: Keiner von uns – insofern

habe ich das anerkannt, was der Generalinspekteur gesagt
hat –, egal, ob er heute den Regierungsfraktionen oder den
Oppositionsfraktionen angehört, kann sich von der Ver-
antwortung freisprechen. Auch wir haben Haushalte für
die Bundeswehr verabschiedet, von denen wir sagen müs-
sen, dass sie unterfinanziert waren. Auch bei Ihnen ist das
heute der Fall. Es bringt uns aber nicht sehr viel weiter,
wenn wir gegenseitig mit dem Finger auf uns zeigen. Ich
werde nachher noch etwas dazu sagen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na endlich!)


Was uns aber auch nicht weiterbringt, sind Beschöni-
gungsreden des Verteidigungsministers.


(Beifall bei der F.D.P.)





Oswald Metzger
15188


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Verteidigungsminister sagt, das alles seien Spekula-
tionen. Es gebe keine großen Haushaltsprobleme; es gebe
zwar ein paar kleine Schwierigkeiten, aber ansonsten sei
alles bestens. Ich wundere mich allerdings darüber, dass
die Medien melden, dass sich der Verteidigungsminister
mit dem Bundeskanzler und mit dem Finanzminister zu
einem Krisengespräch getroffen hat.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ist es!)

Was wurde denn da besprochen? Das müssten Sie uns ein-
mal erzählen; das wäre sehr interessant.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich stelle fest: Der Verteidigungsminister war erneut
erfolglos – deswegen wird die Bedeutung des Gespräches
abgewertet –; er lässt sich ständig vom Kanzler und vom
Finanzminister demütigen und nickt das auch noch ab.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU])


Ich muss daher sagen, dass er inzwischen zu „Rudi Ratlos“
geworden ist.

Ich weiß nicht, ob der Kollege Austermann das Zitat von
Frau Simonis erwähnt hat. Frau Simonis hat gesagt – das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –:
Dieses Verteidigungsministerium ist eine echte Plage.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)


Da weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der hat doch nur zwei linke Hände!)

Wegen der Kürze der Zeit will ich Ihnen das ganze Zitat
ersparen. Der Kollege Opel verzieht schon das Gesicht,
wenn ich nur den Namen Simonis erwähne.


(Manfred Opel [SPD]: Ich verziehe es Ihretwegen!)


Der Verteidigungsminister sagt nun, dass wir bei den
Großprojekten Zusatzentscheidungen brauchen. Was
heißt das denn eigentlich? Darauf ist der Kollege Metzger
überhaupt nicht eingegangen. Zusatzentscheidungen
bedeuten doch, dass man mehr Geld braucht. Der Vertei-
digungsminister hat aber vor den Haushaltsberatungen
nicht mit dem Finanzminister darüber gesprochen. Das ist
sein entscheidender Fehler gewesen. Er muss sich jetzt
quälen lassen, weil der Finanzminister zu Recht sagt: Wir
haben den Haushalt beschlossen; dabei bleibt es. Es sind
entscheidende Fehler vom Verteidigungsminister ge-
macht worden; darum braucht man gar nicht herumzure-
den.

Es besteht ein heilloses Durcheinander: Der Kollege
Zumkley erklärt, die Bundeswehr werde nicht mehr Geld
bekommen. Der Kollege Opel fordert ein Modernisie-
rungsprogramm in Höhe von etwa 50 Milliarden DM.


(Manfred Opel [SPD]: Das sagt auch die Weizsäcker-Kommission! Das können Sie nachlesen!)


Wer hat nun Recht? Werden Sie sich doch erst einmal un-
tereinander einig! Ihr Hauptproblem ist doch, dass Sie im
Bereich Verteidigung noch nicht einmal die Unterstüt-
zung Ihrer Haushälter haben.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt, Herr Kollege
Metzger. Sie sprechen von Reformen, die wir angeblich
nicht durchgeführt haben. Ihr Fehler ist, dass Sie Folgen-
des nicht bedenken: Reformen, gerade Reformen bei der
Bundeswehr, kosten erst einmal Geld, bevor man lang-
fristig sparen kann.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Verteidigungsminister will aber kein Geld für die Re-
formen ausgeben. Er wird also langfristig auch nicht spa-
ren können.

Auch wir haben Fehler gemacht. Deshalb sage ich: Wir
sollten nicht gegenseitig mit dem Finger auf uns zeigen.
Ich bin dafür, dass wir uns zusammensetzen – denn es
geht doch nicht um die Armee einer Regierung oder einer
Partei – und uns wirklich überlegen, wie wir der Bundes-
wehr helfen können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich erneuere das Angebot der Freien Demokraten, mit Ih-
nen darüber zu sprechen, wie wir die Bundeswehr ver-
nünftig finanzieren können und wie wir eine vernünftige
Reform machen können. Es ist aber leider so, dass wir ei-
nen Verteidigungsminister haben, der sich da abschottet.
Sie müssen Ihren Verteidigungsminister bewegen, wieder
mit dem Parlament zu sprechen. Das macht er im Moment
nämlich nicht. Er spricht nur mit seinem Küchenkabinett.
Er redet ja nicht einmal mit Ihren Verteidigungspolitikern;
das wissen wir doch inzwischen.


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ist es! – Lachen bei der SPD)


Wenn wir dann zusammensitzen, nehmen wir uns ein-
mal den Zustandsbericht des Generalinspekteurs vor.
Denn wenn wir nicht zusammen versuchen, Verteidi-
gungspolitik zu machen – ich darf daran erinnern, dass,
als Sie die Regierung übernommen haben, auch wir
Freien Demokraten Ihrem Verteidigungsetat zugestimmt
haben, weil wir wollen, dass die Bundeswehr die Armee
des ganzen Bundestages ist –, dann bleibt an dieser rot-
grünen Koalition ein Etikett haften: der niedrigste Vertei-
digungsetat seit vielen Jahren, aber der höchste Rüs-
tungsexport seit vielen Jahren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415509600
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Hans Georg Wagner.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1415509700
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Was wir heute hier er-
leben, ist der Höhepunkt der Panikmache der letzten Wo-
chen. Ziel der Opposition auf der rechten Seite ist,


(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der Generalinspekteur ist in die Öffentlichkeit gegangen!)





Jürgen Koppelin

15189


(C)



(D)



(A)



(B)


die Bevölkerung, die Bundeswehr, die Bewohner und die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Donauwörth,
wo der „Tiger“ hergestellt werden soll, zu verunsichern
und sie im Unklaren darüber zu lassen, dass die Politik
dieser Bundesregierung auch in diesen Bereichen richtig
und vernünftig und für die Konsolidierung der Bundesfi-
nanzen notwendig ist.

Sie haben nun einmal diese Misere zu verantworten.
Sie haben 1,5 Billionen DM Schulden gemacht. Sie haben
verursacht, dass jährlich 82 Milliarden DM an Zinsen ge-
zahlt werden müssen. Das ist ein „Erfolg“ Ihrer Politik.
Wir sind sozusagen beim Ausmisten dessen, was Sie uns
hinterlassen haben. Das gilt auch für den Bereich der Bun-
deswehr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sich an die Haushaltsdebatte im November
erinnern, wissen Sie, dass ich Ihnen damals in Bezug auf
zwei Bereiche ganz konkret gesagt habe, was Sie uns hin-
terlassen haben, nämlich im Bereich der Bahn und im Be-
reich der Bundeswehr. Was der Generalinspekteur gesagt
hat, ist eine Bestätigung dessen, was ich schon damals
hier vorgetragen habe.

Nun zum Haushalt selber. Sie wissen ganz genau, dass
von den 46,96 Milliarden DM, die der Haushalt des Ver-
teidigungsministers, der Einzelplan 14, ausmacht, jetzt
372 Millionen DM unsicher sind. Das sind genau 0,6 Pro-
zent. Nun frage ich einen Haushälter, Herrn Austermann
beispielsweise: Erklären Sie mir bitte einmal, warum es
bei fast 47 Milliarden DM nicht möglich sein soll, inner-
halb eines Jahres 372 Millionen DM an irgendeiner Stelle
umzuschichten und einzusparen! Das ist machbar und so
wird es auch gemacht. Da lassen wir uns von Ihnen über-
haupt nicht beirren.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Dieser Eimer besteht doch fast nur noch aus Löchern!)


Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Rossmanith, dass
der Einzelplan 14, den Sie aus der Vergangenheit – zu-
mindest dem Namen nach – kennen, nun einmal anders
zusammengestellt ist als bei allen NATO-Partnern. Die
Versorgungslasten beispielsweise, also die Pensionen, die
bei der Bundeswehr anfallen, sind bei uns im Einzel-
plan 33. Wenn ich alles, was bei uns aus dem Verteidi-
gungshaushalt ausgeklammert, bei den anderen Ländern
aber eingeschlossen ist, zusammenrechne, dann müssten
wir den Verteidigungshaushalt nominell um 12,5 Milli-
arden DM erhöhen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist ein guter Vorschlag!)


Das bringt ja nichts, da es nur ein Durchlaufposten ist,
aber so ist das nun einmal. 0,6 Prozent des Verteidigungs-
haushaltes aufzubringen müsste in diesem Einzelplan ei-
gentlich möglich sein.

Hinsichtlich der Beschaffung – das hat der Kollege
Metzger gesagt – müssen wir jeden Einzelfall betrachten.
Auch mich hat es irritiert, dass es plötzlich hieß, wir
bräuchten den „Tiger“ nicht mehr. Vor ein paar Monaten

hat man uns noch eingetrichtert, man bräuchte ihn unbe-
dingt, und nun heißt es, das sei eine Fehlmeldung gewe-
sen. Frage: Wer setzt solche Fehlmeldungen eigentlich in
die Welt?

Um das Bild einmal abzurunden: Gestern ist zum Bei-
spiel im Haushaltsausschuss das Besoldungsanpassungs-
gesetz beschlossen worden. Darin war eine Regelung ent-
halten, dass für die Soldaten der Bundeswehr der
Besoldungsstufen A 1 bis A 9 viermal 100 DM zusätzlich
aufgebracht werden sollen. Das hat die CDU/CSU abge-
lehnt.


(Ilse Janz [SPD]: Hört! Hört! – Joachim Poß [SPD]: Unsozial!)


Ich frage Sie: Wie können Sie auf der einen Seite die Bun-
desregierung beschimpfen, wenn Sie auf der anderen
Seite dann, wenn die Koalition konkret etwas für die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundeswehr, für
die Soldatinnen und Soldaten tun will, dieses ablehnen?


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil es zu wenig ist!)


Das ist nicht verständlich und nicht mehr nachvollziehbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

ZumThema „Überkipper“ müssen Sie ganz ruhig sein.

Sie gehen doch genauso wie ich in die Betriebe. Dann
müssen Sie sich in den Betrieben auch einmal erkundi-
gen. Dass die Betriebe vorfinanzieren, liegt nur daran,
dass wir zurzeit günstige Zinsen haben. Wenn die Rüs-
tungskonzerne also in der Hoffnung auf weitere Aufträge
zunächst einmal darauf verzichten, dass die Rechnungen
bezahlt werden, dann entstehen diese „Überkipper“. Das
ist gar nichts Neues, sondern eine von Ihnen übernom-
mene unrühmliche Geschichte. Das bezeichne ich des-
halb so, weil ich meine, dass das irgendwann beseitigt
werden muss und die Rechnungen so bezahlt werden
müssen, wie es dem Haushaltsjahr entspricht. Allerdings
kommt hinzu, dass die Firmen oftmals – das wissen Sie
auch – nicht in der Lage sind, Rechnungen rechtzeitig zu
stellen, sodass die Rechnungen erst im Januar oder Fe-
bruar kommen.

Nun noch wenige Sätze zu der 1 Milliarde DM. Wel-
cher Makler dieser Welt wäre in der Lage, innerhalb eines
Sechstels eines Jahres, also nach zwei Monaten, bereits
die volle Summe, die zum Jahresende veranschlagt ist, zu
erzielen? Nicht ein einziger Makler! Auch die CDU/CSU
wäre nicht in der Lage, die Grundstücke in den ersten bei-
den Monaten zu verkaufen.


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Aber ihr seid in der Lage, die 1 Milliarde DM einzusetzen! – Gegenruf der Abg. Ilse Janz [SPD]: Ihr habt mehr Erfahrungen mit Koffern!)


Sie müssen bewertet und angeboten werden, sie müssen
in die kommunalen Planungen hineinpassen und dann
muss man sehen, wie das Geld eingeht. Ich bin mir abso-
lut sicher, dass wir diese 1 Milliarde DM erreichen und,
wenn der Verkauf ohne Störungen abgeht, sogar übertref-
fen werden. Dann werden auch alle Probleme, die Sie in




Hans Georg Wagner
15190


(C)



(D)



(A)



(B)


den letzten Wochen panikartig verbreitet haben, vom
Tisch sein.

Ich sage an dieser Stelle noch einmal, was ich schon in
der Haushaltsdebatte gesagt habe: Bundesverteidigungs-
minister Rudolf Scharping kann sich auf die Solidarität
der Haushälter der Koalition verlassen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir werden mit ihm gemeinsam die Probleme lösen, die
Sie verursacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415509800
Das Wort
hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Paul Breuer.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1415509900
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Bundesverteidigungsminister
Scharping ist gestern in die Vereinigten Staaten geflogen.
Ich frage mich, was er unserem Hauptverbündeten in den
Vereinigten Staaten eigentlich im Hinblick auf die deut-
sche Leistungsfähigkeit in der Außen- und Sicherheits-
politik erzählen kann.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Nur Unsinn!)

Er müsste, wenn er ehrlich wäre, sagen, dass Deutschland
in der Zukunft nicht dazu in der Lage sein wird, den Bei-
trag zu erbringen, der notwendig ist, um den euro-atlan-
tischen Raum sicher zu halten. Das ist die traurige Wahr-
heit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Das glaubst du doch selber nicht!)


Die außen- und sicherheitspolitische Konsequenz des-
sen,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können Sie gar nicht überschauen! – Gegenruf des Abg. Werner Siemann [CDU/ CSU]: Aber Schwester Angelika!)


was hier stattfindet, ist genau das, was wir unseren Mit-
bürgern vermitteln müssen. Der Kollege Klose, Vorsit-
zender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen
Bundestages, hat vor wenigen Wochen von dieser Stelle
aus gesagt: Wir müssen unseren Mitbürgern erklären,
dass die Zeit, in der man Friedensdividenden verteilen
konnte, vorbei ist und die Verteidigungshaushalte in Eu-
ropa und speziell in Deutschland in Zukunft steigen müs-
sen, damit wir unserer Verantwortung gerecht werden
können. Herr Klose hat Recht, aber die Sozialdemokra-
ten haben nicht verstanden – und die Grünen schon gar
nicht –, was er damit meinte.


(Manfred Opel [SPD]: Er hat gesagt, in Zukunft!)


Meine Damen und Herren, wir leben nicht auf der In-
sel der Glückseligen. Die Spannungen, die Instabilitäten,
die Kriege rund um unseren Kontinent sind jeden Tag für
jeden Bürger auf dem Bildschirm sichtbar. Wer hier in
Deutschland nicht fähig ist, zur Kenntnis zu nehmen,

dass es unerlässlich ist, in der Untermauerung einer Si-
cherheits- und Außenpolitik auch militärisch eigene
Beiträge zu Stabilität und Stabilisierung zu erbringen, ver-
sagt in der Politik. Ich mache der Koalition den Vorwurf,
dass sie absolut versagt, was Vorsorgepolitik angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Wagner, Sie sagten, Herr Scharping

könne sich auf die Solidarität der Haushälter der Koali-
tion verlassen.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, auf Ihre doch nicht!)


Dazu sage ich Ihnen: Lesen Sie den Kommentar in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von heute, der mit
„Lippenbekenntnisse“ überschrieben ist. Dort heißt es:

Der Verteidigungsminister weiß schon länger, was es
heißt, wenn der Bundeskanzler und der Finanzminis-
ter ihm „kurz und kollegial“ ihre Unterstützung für
den Umbau der Bundeswehr zusichern: Er bekommt
kein Geld.

Das ist die Solidarität, die Sie hier versichern. Diese Soli-
darität ist keinen Schuss Pulver wert. Das sage ich Ihnen
ganz deutlich.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Pulver ist ja auch alle!)


Ich bin davon überzeugt, dass die eigentliche Proble-
matik in Folgendem besteht: Der Verlust des außen- und
sicherheitspolitischen Renommees Deutschlands, die Ge-
fahr für die Sicherheit unserer Soldaten im Einsatz ist der
Mehrheit der Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion
eigentlich Wurscht. Da liegt das Problem in der deutschen
Verteidigungspolitik.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist die übliche Unverschämtheit! – Erika Lotz [SPD]: Das ist eine ungeheure Unterstellung!)


Was die Grünen angeht, so bin ich davon überzeugt,
Herr Kollege Metzger, dass es in Ihren Reihen eine große
Mehrheit gibt, die sich darüber freut, dass die Bundes-
wehr gegen die Wand gefahren wird.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas Bescheuertes und Plattes habe ich schon lange nicht mehr gehört!)


– Das ist so.
Die Wurschtigkeit in der SPD und das politische Wol-

len bei den Grünen, die Bundeswehr an die Wand zu fah-
ren, sind das eigentliche Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind gegen die Wand gelaufen! Das ist das Problem!)


Die scharpingsche Reform ist vor diesem Hintergrund
nicht mehr als ein potemkinsches Dorf. Es ist nicht mög-
lich, die Bundeswehr mit einer fallenden Finanzlinie zu
reformieren und zu modernisieren.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit Ihrem Geblubbere, was?)





Hans Georg Wagner

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie nicht verstehen, dass das nicht geht, dann wird
Herr Scharping natürlich scheitern.


(Gernot Erler [SPD]: Ihr habt es nie geschafft!)


Ich bin aber davon überzeugt, dass Ihnen auch das
Wurscht ist.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es wird von Mal zu Mal schlimmer!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510000
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Kurt Palis.


Kurt Palis (SPD):
Rede ID: ID1415510100
Herr Präsident! Meine liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Im Vordergrund der öffentlichen
Diskussion um den Verteidigungshaushalt dieses Jahres
steht naturgemäß die Frage, ob der im Einsatz sowie bei
der Ausbildung und bei den Übungen erforderliche Mate-
rial- und Ausrüstungsaufwand ausreichend finanziert wer-
den kann. Davon hängt viel ab. Mein Kollege Zumkley
und der Staatssekretär haben das Erforderliche dazu ge-
sagt, ebenso unser haushaltspolitischer Sprecher.

Wir sollten aber auf gar keinen Fall übersehen, dass das
größte Gut der Streitkräfte Menschen sind, wie wir sie ha-
ben, Menschen, die zuverlässig ihren Dienst erfüllen. Die
Bundeswehr benötigt für eine erfolgreiche Auftragserfül-
lung motivierte und leistungsbereite Soldatinnen und Sol-
daten ebenso wie qualifiziertes und engagiertes Zivilper-
sonal. Noch haben wir diese Menschen und wir haben
Anlass, ihnen für ihren täglichen Einsatz zu danken, ins-
besondere den Soldatinnen und Soldaten, die heimatfern
ihre Pflicht erfüllen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Wir wollen den Leistungswillen und die Einsatzbereit-
schaft der Menschen bei der Bundeswehr erhalten und för-
dern. Deshalb halte ich es für geboten, Ihnen, meine Damen
und Herren, noch einmal in Erinnerung zu rufen, welche
Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes
von der Bundesregierung beschlossen wurden und von den
Koalitionsfraktionen mitgetragen werden. Wenn ich diese
Stichworte hier noch einmal nenne, so spiegelt das gleich-
zeitig wider, was in der Regierungszeit von CDU/CSU und
F.D.P. versäumt wurde und liegen geblieben ist.

Ich nenne als erstes Stichwort die Qualifizierungsof-
fensive: In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft wird das
Angebot an beruflicher Qualifizierung erweitert. Insbe-
sondere ausscheidenden Soldaten wird eine breite Palette
beruflicher Qualifizierungsmöglichkeiten angeboten.

Als Weiteres nenne ich die Planstellenanhebung für
Unteroffiziere und Offiziere des militärfachlichen Diens-
tes, die Besoldung der Einheitsführer mindestens nach
A 12, die Neuordnung der Unteroffizierslaufbahn


(Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– ich verstehe Ihre Unruhe, weil das alles ein Sündenre-
gister dessen ist, was in der Vergangenheit liegen geblie-
ben ist –,


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Ach nein, das stimmt doch nicht!)


die Schaffung eines gestaffelten Wehrsolds für freiwillig
länger Dienst Leistende, die Anhebung der Eingangsbe-
soldung für Mannschaften auf A 3


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo ist das im Haushalt enthalten?)


und den Abbau personeller Überhänge.
Nun wird natürlich von den für diese Aktuelle Stunde

Verantwortlichen die Frage gestellt: Wie wird das alles
finanziert?


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Ja, genau!)

Bereits im vergangenen Jahr haben wir 1 500 zusätzliche
Beförderungsmöglichkeiten für Mannschaften, Unteroffi-
ziere und Offiziere geschaffen.


(Thomas Kossendey [CDU/CSU]: Aber kein Geld dafür!)


In diesem Jahr profitieren die Mannschaftssoldaten im Bal-
kaneinsatz von 1 500 neuen Möglichkeiten der Beförde-
rung zum Hauptgefreiten. Zusätzlich können 1500 hoch-
wertige Offizier- und Unteroffizierdienstposten für die
Förderung qualifizierter Soldaten genutzt werden. Zivile
Mitarbeiter können durch Stellenanhebungen im mittleren
und gehobenen Dienst aufgabengerecht entlohnt werden.

Die Vorbereitung der gesetzlichen Regelung für wei-
tere Besoldungsverbesserungen, wie zum Beispiel die Be-
soldung der Kompaniechefs nach A 12 und die Anhebung
der Eingangsbesoldung auf A 3 sowie die Auflösung des
Beförderungs- und Verwendungsstaus, den wir von Ihnen
übernommen haben, ist abgeschlossen. Diese Verbesse-
rungen setzen die Kabinettsbeschlüsse zur Bundeswehr-
reform konsequent um. Die Abstimmung innerhalb der
Bundesregierung ist eingeleitet.

Es sind Vorkehrungen getroffen worden, um struktu-
relle Personalüberhänge abzubauen und den damit ein-
hergehenden Verwendungs- und Beförderungsstau auf-
zulösen. Nach Einführung der erforderlichen gesetzlichen
Regelung können wir die für 2001 vorgesehenen Besol-
dungsverbesserungen für Kompaniechefs und Spitzen-
dienstgrade der Unteroffiziere erreichen.

Die Rückführung der Zahl ziviler Mitarbeiter soll und
wird in einem mittel- bis langfristigen Prozess geschehen,
indem im Wesentlichen die normale Fluktuation genutzt
wird. Dass es in diesem Abschmelzungsprozess betriebsbe-
dingte Kündigungen nicht geben wird, haben der Verteidi-
gungsminister und der Bundeskanzler ausdrücklich zuge-
sagt, wie Sie wissen. Die Verhandlungen zur Vereinbarung
eines Tarifvertrages zur sozialverträglichen Ausgestaltung
des Reduktionsprozesses haben begonnen. Wir erwarten im
Interesse der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine
zügige Verhandlungsführung und einen baldigen Ab-
schluss.




Paul Breuer
15192


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass wir uns um
die berechtigten Interessen kümmern. Die Menschen der
Bundeswehr verdienen dies, und zwar umso mehr, als sie
in den nächsten Monaten und Jahren nicht nur ihren nor-
malen Dienst werden verrichten müssen, sondern gleich-
zeitig die erforderlichen Reformschritte vollziehen müssen.

Wir werden sie dabei verantwortlich unterstützen. Hel-
fen auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, dabei mit! Beenden Sie vor allem die taktischen Auf-
geregtheiten, die sich ja auch in der Beantragung dieser
Aktuellen Stunde ausdrücken! Sie erzeugen bei den Bun-
deswehrangehörigen und ihren Familien mutwillig, aber
grundlos Verunsicherung. Das haben diese nicht verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wenn die das Bild vom Minister sehen, werden die schon mutlos!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510200
Ich gebe
dem Kollegen Hans Raidel für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1415510300
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wenn man die bisherige
Debatte zusammenfassend betrachtet, muss man feststel-
len: Man kommt sich vor wie in einer Märchenstunde,
wenn man all das hört, was seitens der Regierungskoali-
tion gesagt worden ist. Bezieht man das Gesagte nur auf
den Haushalt bzw. auf die Haushaltsgrundsätze, ist zu be-
tonen: Wahrheit und Klarheit kommen in diesem Haushalt
absolut zu kurz. Sonst müssten diese Risiken gar nicht so
beschrieben werden, wie sie von der Führung des Hauses
beschrieben worden sind. Denn dann wäre ja das notwen-
dige Geld vorhanden.

Da ständig bestritten wird, dass das so ist, möchte ich
mit der Erlaubnis des Präsidenten aus dem Schriftverkehr
des Verteidigungsministeriums zitieren. Hier heißt es
ganz einfach, die Situation sei außerordentlich ange-
spannt, insbesondere angesichts des frühen Zeitpunktes
im Jahr und der Gesamtentwicklung. Hier habe sich über
einen längeren Zeitraum ein zusätzlicher Bedarf aufge-
baut, der mit den normalen Steuerungsmaßnahmen des
Haushaltsvollzuges nicht mehr bewältigt werden könne.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Herr Wagner beschreibt hier eine völlig andere Situa-
tion und Herr Metzger spricht in seiner bekannten Lyrik
über diese Themen. Eigentlich muss man ihm dankbar
dafür sein, dass er endlich einmal das grüne Herz ausge-
schüttet hat und wir endlich wissen, wo Rot-Grün, insbe-
sondere Grün, tatsächlich in Sachen Verteidigung steht.
Die Wahrheit ist: Sie haben für diese Dinge nichts übrig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich sage Ihnen eines: Sicherheit nach Kassenlage gibt es
nicht. Erst muss das stehen, was wir zur Sicherheit insge-
samt brauchen, national und international, und dafür muss
das notwendige Geld gegeben werden – und nicht umge-
kehrt.

Lassen Sie mich das am Beispiel der Luftwaffe erläu-
tern. In diesem Bereich fehlen, wie von den Fachleuten im
Hause erarbeitet wurde, rund 218 Millionen DM. Dazu
heißt es: Bei Nichtverfügung dieser Mittel können Er-
satzteile nicht beschafft werden, können logistische Be-
treuungsleistungen nicht beauftragt werden, können In-
standsetzungen, Inspektionen etc. nicht verfügt werden,
können Materialerhaltungsmaßnahmen nicht mehr durch-
geführt werden.

Im Grunde genommen ist dies eine Bankrotterklärung.
Deswegen musste die Luftwaffenführung eine Reduzie-
rung des der NATO zugesagten Assignierungsumfanges
vorschlagen, mit der Folge, dass Luftfahrzeuge stillgelegt
und Einsatzbesatzungen zeitweilig in einen Übungshalte-
status versetzt werden – nur, um Geld zu sparen! Damit
wird es nicht möglich sein, unsere Verpflichtungen ge-
genüber der NATO – möglicherweise auch gegenüber der
EU, der UN und der OSZE – zu erfüllen.

Und was ist die Folge? Schauen Sie es sich doch an:
Viele Piloten der Luftwaffe verlängern ihre Verträge
nicht, sondern gehen in die zivile Luftfahrt, einfach weil
ein Verbleiben in der Bundeswehr unattraktiv geworden
ist; Lehrgänge können nicht besetzt werden, weil die qua-
lifizierten jungen Leute nicht mehr bei der Luftwaffe Pi-
lot werden wollen. Das zeigt, dass der Zustand der Luft-
waffe besorgniserregend ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber bei den anderen Truppenteilen ist es nicht anders.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider, leider wahr!)


Wir haben deshalb gefordert: Der Minister muss mit
dem Bundeskanzler und mit dem Finanzminister spre-
chen, damit er das notwendige Geld bekommt. Weil uns
immer unterstellt wird, wir würden dieses Thema nur
polemisch abhandeln, will ich Ihnen aus einem Kommen-
tar zitieren, der heute in der „Augsburger Allgemeinen“
– eine sicherlich unverdächtige Quelle – erschienen ist:

Scharping hat die Chance ungenutzt verstreichen las-
sen. Nach dem Gipfeltreffen mit Schröder und
Eichel blieb ihm nur der geordnete Rückzug. ...
Scharping wird so mehr und mehr zur tragischen Fi-
gur. Er kann aus der Haut des braven Parteisoldaten
nicht heraus. Das aber ist zu wenig und falsch. Die
Bundeswehr braucht einen Fürsprecher im Kabinett,
einen Kämpfer, der notfalls für die Interessen der
Soldaten einen Konflikt mit dem Finanzminister ris-
kiert. Scharping dagegen redet die Probleme klein,
beschönigt und wiegelt ab. Ihm persönlich nützt das
nichts und der Bundeswehr schadet es. Auf dem
Spiel stehen der Ruf der Bundesrepublik und ihre
Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett.

Das ist eine kurz zusammengefasste Beschreibung der
tatsächlichen Situation. Sie aber kommen daher und wol-
len uns ein Märchen erzählen über den Zustand unserer
Armee und über die Sicherheitslage. Ich fordere Sie von
hier aus auf, sich mit dem Kanzler und dem Finanzminis-
ter zusammenzusetzen und gemeinsam das notwendige
Geld zu erstreiten. Es kann nicht sein, dass sich der




Kurt Palis

15193


(C)



(D)



(A)



(B)


Bundeskanzler hinstellt und in seiner bekannten Art
sagt:


(Gernot Erler [SPD]: Basta!)

„Ich lassen keinen im Regen stehen!“, aber er jeden im
Regen sitzen lässt. So kann man nicht Politik betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510400
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun für die
SPD-Fraktion der Kollege Gerd Höfer.


Gerd Höfer (SPD):
Rede ID: ID1415510500
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Das einzig Positive – wenn
man es überhaupt positiv nennen kann –, was der Oppo-
sition gelungen ist,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeitverschwendung!)


ist, die Presse von einer Suppe zu überzeugen, zusam-
mengerührt aus einer Tatsache, aus vielen Spekulationen,
Unterstellungen, Verleumdungen und aus Fragen, die von
Altlasten herrühren. Zukunftsfragen sind damit ebenfalls
verbunden worden.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Beleidigen Sie nicht den Generalinspekteur!)


– Ich werde das gleich durchdeklinieren; aber vorher
möchte ich den Kollegen Breuer bitten, sich bei der SPD-
Fraktion in diesem Hause zu entschuldigen. Es kann doch
wohl nicht wahr sein, dass Sie, Herr Breuer, sich hier hin-
stellen und sagen, die Sicherheit unserer Soldaten sei uns
Wurscht.

Wer hat denn, beginnend in der letzten Legislaturperi-
ode, gepredigt, es müsse ein Schutzkonzept her, die Be-
schaffungsmaßnahmen der Bundeswehr müssten sich am
Schutz der Soldaten orientieren? Wer hat denn den M 113
angeschafft, der noch nicht einmal richtig schwimmen
kann, der wie Zunder brennt und durch den man mit dem
Gewehr hindurchschießen kann? Wer hat denn für das
Allzweckfahrzeug gesorgt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Der M 113 ist bei Leber angeschafft worden!)


Wie ist es denn gekommen, dass diese Dinge so verändert
worden sind? Warum wurde mit Splittersicherheit nach-
gerüstet usw.? Alle diese Dinge haben doch etwas mit dem
Schutz unserer Soldaten zu tun. Glücklicherweise haben
wir das meiste praktisch gemeinsam gemacht. Ich finde es
unerhört und erbärmlich, dass man zu solchen Mitteln
greift, um eine Partei auf dem Rücken der Soldaten zu
diskreditieren. Wie wollen Sie das überhaupt verantwor-
ten?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die einzige Tatsache, die Sie hier angeführt haben, ist,
dass die Inspekteure in Zusammenarbeit mit dem Gene-
ralinspekteur festgestellt haben, dass 380 Millionen DM
für den Unterhalt der Fahrzeuge fehlen. Die Haushaltsex-
perten unserer Partei haben gesagt, dass diese Mittel aus

dem Kapitel 14 03 erwirtschaftet werden können und
0,6 Prozent des Gesamthaushalts ausmachen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Kennen Sie das Kapitel? Sagen Sie, wo!)


Die Frage, wie das gemacht werden soll, wurde also be-
antwortet. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.


(Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich kenne die Antwort nicht!)


Dann haben Sie, um weitere Verunsicherung in die
Truppe zu bringen, locker verbreitet, der „Tiger“ werde
nicht gebaut, es könnten 25 000 Wehrpflichtige nicht ein-
gezogen werden. Das alles haben Sie durch die Zeitungen
verbreiten lassen. In der Regel macht man das so – das ist
nichts Neues –, dass man das mit einer Frage verbindet,
die man gleich selber beantwortet, indem man sagt: Wenn
das so kommt, ist das für die Bundeswehr nicht gut; die
Sozialdemokraten gehen mit der Bundeswehr nicht gut
um.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das konnten wir 16 Jahre lernen!)


Das sind Dinge, die Herr Scharping schon seit zwei
Jahren sagt – nur hat das damals nicht für Aufregung ge-
sorgt –: dass die Bundeswehr zurzeit nicht zu 100 Prozent
einsatzfähig ist, gemessen an den Aufgaben und Ver-
pflichtungen, die Sie nicht eingegangen sind, zu denen Sie
praktisch nicht die Vision und auch nicht die Courage hat-
ten. Es ging zum Beispiel darum, der EU zu helfen und
eine Einsatztruppe zu schaffen. Der Generalinspekteur
hat gesagt, das habe man erst in dem Prozess der Vorbe-
reitung auf Nizza entwickelt. Diese Truppe müsse aufge-
stellt, umorganisiert, angeboten werden. Da diese Truppe
noch nicht stehe, hat der Generalinspekteur gesagt, sei die
Bundeswehr nur in diesem Bereich noch nicht zu 100 Pro-
zent einsatzfähig. Aber Herr Breuer neigt ja zum kogniti-
ven Umstrukturieren und macht daraus: Die gesamte
Truppe ist in allen Aufgabenspektren nicht einsatzfähig.
Er stellt das einfach in der Öffentlichkeit so fest, wider
besseres Wissen. Das ist das, was aus den Äußerungen des
Generalinspekteurs bewusst herausgelesen und kognitiv
umstrukturiert worden ist. Den anderen – unparlamenta-
rischen – Ausdruck möchte ich nicht benutzen.

Weiterhin beschönigen Sie das, was Altlasten waren.
Hat es schon einmal jemand fertig gebracht, ein neues
Flugzeug zu bestellen, das Jägeraufgaben wahrnehmen
soll, aber keine Bewaffnung hat? Hat es schon einmal je-
mand fertig gebracht, ein solches Flugzeug zu bestellen,
das noch nicht einmal über einen Eigenschutz verfügt, so-
dass es hinterher nachgerüstet werden muss?


(Ilse Janz [SPD]: Ja, die CDU war das! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das war doch die SPD!)


Wir waren aus völlig anderen Gründen dagegen.

(Hans Raidel [CDU/CSU]: Ihr wart doch da gegen!)

Wir hatten doch Recht gehabt, Hans Raidel, als wir gesagt
haben: Der Eurofighter wird wesentlich mehr kosten, als
im Haushalt jemals vorgesehen war. Den Betrag, um den




Hans Raidel
15194


(C)



(D)



(A)



(B)


es wegen fehlender Bewaffnung und fehlenden Eigen-
schutzes sowie anderer zusätzlicher Dinge teurer gewor-
den ist, müssen wir jetzt abarbeiten.

Nun kommen Sie mir ja nicht wieder mit dem Spruch
von Frau Matthäus-Maier, wie viele Kindergärten man für
einen Eurofighter bauen könnte. Das kennen wir schon.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wie viele sind es denn?)


Zu dem Punkt Altgerät und Kannibalisierung sagen Sie
mir doch bitte einmal, was Sie in den 16 Jahren Ihrer Re-
gierungszeit für das Heer an modernem neuen Gerät
– außer der Panzerhaubitze 2000 und möglicherweise
Dienstwagen, die 20 Jahre laufen müssen – für die Kom-
mandeure angeschafft haben! Sagen Sie es uns einmal!
Und dann wundern Sie sich, dass hinterher kannibalisiert
werden muss, weil Ersatzteilserien ausgelaufen sind?


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wir haben zwei Armeen zusammengeführt!)


Wir dürfen hier jetzt aufräumen und Sie werfen uns vor,
dass wir solch altes Gerät übernommen haben. Das Ein-
zige, was Sie uns vorwerfen können, ist, dass wir so doof
sind und uns darum kümmern, diese Missstände abzu-
bauen. Das ist teuer genug.

Zusätzlich vermengen Sie das mit der Zukunft, zum
Beispiel mit dem Aufklärer. Aber lieber Gott, wer hat es
denn erfunden? Dazu, dass die Bundesrepublik zusammen
mit anderen Nationen Aufklärung betreiben will, ist immer
gesagt worden: Das nützt auch den anderen. 50 Prozent
kommen aus dem Verteidigungshaushalt und 50 Prozent
aus anderen Haushalten. Das ist alles nichts Neues.

Sie vermischen also allein aus parteipolitischem Kal-
kül Dinge, die nicht zusammengehören. Dies hilft nie-
mandem und schadet der Bundeswehr sowie den Solda-
ten. Durch diese Verunsicherung werden Sie nicht zu
mehr Stimmen kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510600
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b so-
wie Zusatzpunkt 6 auf.
5 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-
serung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Ge-
walttaten und Nachstellungen sowie zur
Erleichterung der Überlassung der Ehewoh-
nung bei Trennung
– Drucksache 14/5429 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Maria Eichhorn, Ilse Falk, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Ankündigungen zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen umsetzen
– Drucksache 14/5093 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Monika Balt, Maritta Böttcher, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt
gegen Frauen effektiver bekämpfen
– Drucksache 14/5455 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Das Haus ist einverstanden; dann ist
dies so beschlossen.

Bevor wir in die Debatte eintreten, darf ich die Kolle-
ginnen und Kollegen, die an der jetzt folgenden Debatte
nicht teilnehmen möchten, bitten, ihre Gespräche in der
Lobby fortzusetzen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe der Bundesjustiz-
ministerin, Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin, das Wort.

Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist der 90. Internationale Frauentag. Ich finde es
sehr gut, dass wir ausgerechnet heute mit den parlamen-
tarischen Beratungen über das Gewaltschutzgesetz begin-
nen, das wir Ihnen vorgelegt haben. Sie wissen, Gewalt
gegen Frauen ist in unserer Gesellschaft leider immer
noch ein großes Problem.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
haben sich vorgenommen, die Bekämpfung der Gewalt in
unserer Gesellschaft zu einem Schwerpunkt ihrer Politik
zu machen. Wir tun das – wie ich glaube – auch mit be-
reits durchaus feststellbarem großen Erfolg. Wir sind der
Auffassung, dass auch die Bekämpfung der häuslichen
Gewalt zu diesem Bereich gehört. Deswegen haben wir
– übrigens auch mit Unterstützung jedenfalls eines Teils
der Opposition – das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in
der Erziehung verabschiedet, das im November 2000 in
Kraft treten konnte. Leider Gottes hat die größte Opposi-
tionsfraktion dem nicht zugestimmt, was wir sehr bedau-
ern, weil wir nach wie vor davon ausgehen, dass die Ge-
waltbekämpfung und gerade auch die Bekämpfung der
häuslichen Gewalt ein gemeinsames Anliegen des Deut-
schen Bundestages sein sollte.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Gerd Höfer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deswegen drängen wir so darauf, dass der Bund und auch
die Länder ihre Verantwortung erkennen und in der Bund-
Länder-Arbeitsgruppe zusammenarbeiten, wenn es um
die Bekämpfung häuslicher Gewalt geht.

Was bringt nun dieses neue Gewaltschutzgesetz? Es
bringt eine ganze Reihe zusätzlicher Schritte in Richtung
Schutz und Hilfe für Frauen, die geschlagen wurden, das
heißt, Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Diese
geprügelten und geschlagenen Frauen sollen erfahren,
dass sie gegen häusliche Gewalt nicht nur den Schutz
des Rechts auf ihrer Seite haben, sondern dass ihnen
gerade auch Polizei und Gerichte in solch schwierigen
Lagen helfen. Wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass genau das erforderlich ist; denn jedes Jahr
– man höre und staune – müssen in unserem Land, das
sich so viel darauf einbildet, etwas für Frauen zu tun, etwa
45 000 Frauen mit ihren Kindern Zuflucht im Frauen-
haus suchen.

Wir wissen auch, dass dies nicht das gesamte Ausmaß
aufzeigt. Die Grauzone in diesem Bereich reicht sehr viel
weiter, weil eine große Zahl geprügelter und geschla-
gener Frauen nicht ins Frauenhaus gehen kann, da sie dort
keine Unterkunft und Zufluchtsmöglichkeit findet. Diese
Frauen müssen bei ihren Verwandten oder Freunden zu-
mindest vorübergehend Schutz suchen. Sie muss man
ebenfalls berücksichtigen. Wie groß die Grauzone wirk-
lich ist, wissen wir nicht genau. Ich bin meiner Kollegin
Bergmann sehr dankbar, dass sie mithilfe eines Gutach-
tens versuchen will, diese Dunkelziffer deutlich zu ma-
chen und die Grauzone weiter aufzuhellen.

Wir alle sind uns einig: Es ist gut, dass es Frauenhäu-
ser gibt. Wir müssen diese Einrichtungen unterstützen, so-
weit wir das persönlich noch nicht tun. Wir müssen all de-
nen, die dort arbeiten, gerade heute unseren herzlichen
Dank aussprechen.


(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es eigentlich rich-

tig und vernünftig, so fortzufahren wie bisher? In einer
Familie wird eine Frau geschlagen und trotzdem muten
wir es der Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist,
zusätzlich zu dieser Schmach und den Schmerzen zu, dass
sie diejenige ist, die die Wohnung verlassen und Schutz
suchen muss, egal, ob bei Bekannten oder in einem Frau-
enhaus. Ich sage: Das ist weder richtig noch gerecht und
vernünftig ist es schon gar nicht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deswegen legen wir diesen Gesetzentwurf vor, der
nach dem Motto verfährt: Der Schläger geht und die Ge-
schlagene bleibt. Wir handeln hier nach dem österreichi-
schen Vorbild. Dessen Maßnahmen haben uns deutlich
gemacht, dass es Änderungsmöglichkeiten gibt, dass man
helfen kann und dass sich das Verhalten prügelnder Män-
ner beeinflussen lässt. Genau das haben wir vor.

Deshalb legen wir diesen Gesetzentwurf heute in die
Hände des Deutschen Bundestages und bitten Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam mit uns die Bera-
tungen sehr zügig und schnell zu einem guten Ende zu

bringen. Wir möchten gern, dass die fünf wesentlichen
Verbesserungen sehr bald den Opfern häuslicher Gewalt
zugute kommen können:

Wir wollen erreichen, dass die Opfer einer häuslichen
Gewalttat den Anspruch auf die alleinige Nutzung der bis-
lang mit dem prügelnden Täter gemeinsam genutzten
Wohnung bekommen. Dieses Nutzungsrecht soll auch
dann gelten, wenn bisher der Täter derjenige war, der den
Mietvertrag unterschrieben hat, oder wenn er alleiniger
Eigentümer ist. Wir möchten gern, dass auch in solchen
Fällen die Wohnung – jedenfalls für eine gewisse Zeit –
der Frau und, falls vorhanden, den Kindern überlassen
wird. Diese Frist kann sechs Monate betragen. In Aus-
nahmefällen kann sie bis zu einem Jahr dauern. Während
dieser Zeit muss die Frau die Möglichkeit haben, eine an-
dere Unterkunft zu suchen.

Maßnahmen müssen getroffen werden, mit denen er-
reicht werden kann, dass die prügelnden Männer verste-
hen, dass sie Unrecht getan haben. Ihnen soll dabei ge-
holfen werden, ihre Verhaltensmaßstäbe und ihr Verhalten
zu verändern. Auch in diesem Punkt war uns Österreich
ein gutes Vorbild. Man kann es schaffen.

Wir können solche Maßnahmen nicht alle in unser
Bundesgesetz aufnehmen, weil die Zuständigkeit zum
Teil bei den Ländern liegt. Ich appelliere an die Länder,
gemeinsam mit uns dieses Projekt insgesamt zum Erfolg
zu bringen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das neue Gesetz soll außerdem die Möglichkeit schaf-
fen, weitere Schutzanordnungen zu treffen. Das ist
wichtig, und zwar deshalb, weil uns die Frauen häufig sa-
gen, sie haben Angst, dass der prügelnde Mann in die
Wohnung zurückkommt, sie an ihrem Arbeitsplatz auf-
sucht, auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz bedrängt, auf
irgendeine Weise einen persönlichen Kontakt herbeiführt
und sie weiter belästigt, bedroht oder sogar schlägt oder
auf andere Art Kontakt aufnimmt, sei es auch durch Tele-
fonterror.

In all diesen Fällen soll das Gericht eine so genannte
Schutzanordnung erlassen können, die wir, wie auch die
Wegweisungsanordnung aus der Wohnung, mit Strafe be-
wehren. Das heißt auf Deutsch: Wenn sich der Schläger
nicht daran hält, obwohl ein Richter gesprochen hat, kann
er bestraft werden. Wir setzen hier eine Geld- oder Frei-
heitsstrafe bis zu einem Jahr als Strafrahmen fest.

Wir tun mit diesem Gesetz aber noch mehr. Wir sagen:
Es darf nicht gewartet werden, bis es zu Prügeln und Ver-
letzungen kommt. Wir möchten, dass Richter auch dann
mit einer Schutzanordnung eingreifen können, wenn
„erst“ Drohungen vorliegen, das heißt, wenn noch keine
Schläge, noch keine Prügel, aber schon Drohungen er-
folgt sind. Für solche Fälle schaffen wir die Grundlage für
Schutzanordnungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen noch ei-
nen Schritt weiter – bisher haben wir über Gewalt und
Prügel innerhalb einer Partnerschaft, ob nun Ehe oder Le-
bensgemeinschaft, gesprochen – und erfassen auch jene
Fälle, von denen wir unter dem Begriff „stalking“ immer
häufiger in der Presse lesen. Hier liegt keine Beziehung,




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
15196


(C)



(D)



(A)



(B)


keine Partnerschaft vor. Entweder gibt es eine eingebil-
dete Beziehung oder den so genannten Liebeswahn, das
heißt, jemand bildet sich ein, er hätte irgendein Recht auf
irgendeinen Menschen – das kann ein Mann oder eine
Frau sein – und damit aus enttäuschter oder eingebildeter
Liebe auch das Recht, ihn zu terrorisieren und zu belästi-
gen.

Das kann sogar noch weiter gehen und seinen Nieder-
schlag in Dauerbelagerungen am Telefon finden oder
auch dazu führen, dass jemand die Haustür seines armen
Opfers eintritt. Die Polizei, die dann dazukommt, kann in
solch schweren Fällen etwas machen. Aber sie kann nichts
unternehmen, wenn die ständigen Belästigungen und Be-
lastungen auf eine Art erfolgen, von der wir heute sagen
müssen: Es ist noch nichts passiert, es hat noch keine Prü-
gel gegeben. Auch mit dieser Form von Belästigungen
muss Schluss sein. Wir wollen hier den Richterinnen und
Richtern die Möglichkeit geben, durch eine Anordnung
solche Belästigungen zu unterbinden, damit das Opfer
solche Formen von Belästigungen und Vorstufen körper-
licher Gewalt oder Bedrohung nicht mehr dulden muss.
Das werden wir nicht mehr zulassen und dafür setzen wir
Strafen fest.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun wissen wir, dass der Bund nur die zivilgerichtliche
Seite regeln kann. Ich habe schon erwähnt, dass auch als
Ergänzung das polizeiliche Einschreiten gewährleistet
sein muss, was nur die Länder regeln können. Ich bin
dafür dankbar, dass es in einigen Städten schon den einen
oder anderen sehr erfolgreichen Modellversuch gibt. Es
ist gut, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die wir an-
geregt haben, derzeit ihren Abschlussbericht vorlegt, in
dem vorgeschlagen wird, das Musterpolizeigesetz zu er-
gänzen, um die Klarheit zu schaffen, dass die Polizei hel-
fen will.

Mein Appell geht heute, am Internationalen Frauentag,
nicht nur an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Be-
ratungen schnell zu einem guten Ende zu bringen, sondern
auch an die Länder, gemeinsam mit uns dazu beizutragen,
dass sich Frauen in diesem Lande sicherer fühlen und er-
fahren können, dass sie den Schutz des Rechts auf ihrer
Seite haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510700
Ich bitte nun
um besondere Aufmerksamkeit für den einzigen männli-
chen Redner in dieser Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Es spricht der Kollege Ronald Pofalla für die CDU/CSU-
Fraktion.


Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1415510800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich will den Appell der Bun-

desjustizministerin an die Mitglieder des Deutschen Bun-
destages aufgreifen. Frau Ministerin, ich kann Ihnen zusi-
chern: Wir sind genauso wie Sie an einer schnellen Bera-
tung und nach Möglichkeit auch an einer gemeinsamen
Verabschiedung interessiert.

Ich glaube allerdings – ich werde auf einzelne Punkte
gleich eingehen –, dass wir im Rahmen einer Anhörung zu
diesem Gesetzentwurf zu der einen oder anderen Stelle
Vertreter der Praxis hören sollten, um vielleicht eine noch
feinere Ausjustierung bestimmter Regelungen vornehmen
zu können. Ich versichere Ihnen aber, dass wir Ihr Anliegen,
häusliche Gewalt als etwas, was nicht geht, darzustellen,
für richtig halten und dass auch die Rechtsfolgen, die der
Gesetzentwurf vorsieht, unsere Unterstützung finden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, es bedarf keiner besonderen Anmerkung,
dass jede Form von Gewalt vom Deutschen Bundestag
und seinen Fraktionen abgelehnt wird und wir das in der
Vergangenheit durch eine Reihe von Gesetzesinitiativen
deutlich gemacht haben. Der private Bereich – das wird
fälschlicherweise von vielen so verstanden – ist keine
Zone einer reuelosen Gewaltanwendung. Insoweit ist
grundsätzlich jeder Versuch, eine solche Art der Gewalt-
anwendung zu verhindern, unterstützenswert. Jedoch
muss gerade in einem solch empfindlichen Bereich wie in
dem von zwischenmenschlichen Bindungen geprägten
Ehe-, Verwandtschafts- und Partnerschaftsbereich behut-
sam vorgegangen werden.

Die Zielsetzung des hier in Rede stehenden Gesetzent-
wurfes der Bundesregierung – ich habe das eingangs deut-
lich gemacht – wird von uns grundsätzlich befürwortet
und unterstützt. Sowohl die Gewalt in der Ehe und in der
Partnerschaft als auch Belästigungen wie Nachstellungen
oder ständiges Verfolgen müssen deutlich bekämpft wer-
den. Die Ehe oder Partnerschaft ist kein rechtsfreier
Raum.

Doch bleiben nach Lektüre des Gesetzentwurfs Be-
denken, was die Umsetzung des mit dem Gesetz Be-
zweckten angeht. So ist zwar der Maßnahmenkatalog, der
dem Gericht als Rechtsfolge bei Erfüllung der Tat-
bestandsvoraussetzungen des § 1 des Entwurfs des
Gewaltschutzgesetzes zur Verfügung steht, durchaus aus-
reichend und gibt dem Gericht eine Fülle von Handlungs-
möglichkeiten an die Hand; doch bestehen beispielsweise
hinsichtlich der im Entwurf vorgesehenen erleichterten
Beweisführung und der unter Umständen gebotenen – das
will ich deutlich sagen –, jedoch im Entwurf rigoros ge-
regelten Wohnungsüberlassung Bedenken.

Bedenken bestehen auch hinsichtlich der Regelungen
des neuen § 64 b des Gesetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hier soll, was im Einzel-
fall durchaus geboten erscheinen kann, in bestimmten
Fällen die Vollstreckung vor Zustellung der Entscheidung
des Familiengerichts ermöglicht werden. Das Kernpro-
blem liegt dabei – dies ist nach unserer Auffassung durch
den Gesetzentwurf nicht befriedigend geregelt – im Miss-
brauchspotenzial der beabsichtigten Regelungen.

Durch die drastischen Maßnahmen kann zwar im
tatsächlichen Misshandlungsfall schnell und effektiv




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

15197


(C)



(D)



(A)



(B)


geholfen werden, doch kann genauso schnell und effektiv
derjenige abgefertigt werden, der Opfer eines abgekarte-
ten Spiels geworden ist.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich erkundigen, wie das in Österreich war!)


– Ich kann auf eine zehnjährige anwaltliche Praxis bei
familiengerichtlichen Auseinandersetzungen zurück-
blicken. Ich will nur darüber berichten, welche Schwie-
rigkeiten bei der Umsetzung einer an sich vernünftigen
Regelung bestehen können. Meine zehnjährige anwaltli-
che Praxis zeigt mir Folgendes: Es wird in familienrecht-
lichen Auseinandersetzungen – seien sie scheidungsrecht-
licher, unterhaltsrechtlicher oder sorgerechtlicher Art – in
einer nicht zu unterschätzenden Anzahl von Fällen von
beiden Partnern, um es deutlich zu sagen, gelogen und die
Tatsachen entstellend argumentiert, sodass es in der Sache
für das erkennende Gericht manchmal schwierig ist, den
tatsächlichen Sachverhalt zu erforschen und dann die
richtigen Entscheidungen zu treffen.

Bei der Frage der Güterabwägung bin ich – übrigens in
Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf – der Auffas-
sung, dass jemand, der mit dem Vorwurf belastet wird, er
habe gegenüber dem Lebenspartner oder der Lebenspart-
nerin Gewalt angewandt oder mit Gewaltanwendung ge-
droht, diese Behauptung zunächst unter dem Gesichts-
punkt der Wohnraumzuweisung gegen sich gelten lassen
muss.

Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen – über die
Feinjustierung müssen wir uns im Rahmen des Gesetzge-
bungsverfahrens noch verständigen –: Wir werden Fälle
erleben – egal, wie wir das Gesetz im Detail ausgestal-
ten –, in denen eine gerichtliche Entscheidung ergangen
ist und sich im Nachhinein herausstellt, dass das, was be-
hauptet worden ist, so oder gar nicht stattgefunden hat. Ich
weise darauf nur hin, weil das als Gefahr gesehen werden
muss.

Ich sage Ihnen auch aufgrund meiner anwaltlichen Er-
fahrung: Ich habe eine Reihe von Mandantinnen und Man-
danten vertreten, bei denen sich die Wirklichkeit
– das hätte ich mir vor der Gerichtsverhandlung nicht vor-
stellen können – hinterher völlig anders dargestellt hat, als
es die zwischen den Parteien ausgetauschten Schriftsätze
und Sachvorträge erwarten ließen. Ich weise auf diesen
Umstand hin, um deutlich zu machen, dass wir meiner An-
sicht nach die Erfahrung der Personen, die in der Praxis
stehen, im Rahmen einer Anhörung nutzen sollten, um
vielleicht an der einen oder anderen Stelle eine feinere
Ausjustierung bei den jetzt vorgesehenen Maßnahmen
vornehmen zu können. Ich möchte dafür Beispiele nennen.

Zum einen sind im Gesetzentwurf strenge Regelungen
hinsichtlich einer Widerlegungsverpflichtung für den
Gewalttäter und – damit korrespondierend – Beweiser-
leichterungen für die verletzte Person, wie in der Begrün-
dung des Gesetzentwurfs dargestellt, vorgesehen. Zum
anderen gibt es die Regelung des § 64 b Abs. 2 FGG hin-
sichtlich der Vollstreckung ohne Notwendigkeit der
vorherigen Zustellung der familiengerichtlichen Ent-
scheidung. Aufgrund der Kombination dieser beabsich-

tigten rechtlichen Regelungen können gerichtliche Ent-
scheidungen ergehen, die sich im Nachhinein – ich wie-
derhole mich – als falsch herausstellen. Daher muss auch
über die Fristen, die Sie, Frau Ministerin, vorgeschlagen
haben, noch einmal diskutiert werden.

Ich denke dabei an ein gekoppeltes Verfahren. Die
Sechsmonatsfrist und die Möglichkeit, diese Frist um
weitere sechs Monate zu verlängern – das haben Sie, Frau
Ministerin, vorgeschlagen –, sind eventuell unter dem Ge-
sichtspunkt, dass sich im Nachhinein etwas anderes he-
rausstellen kann, als bei der Entscheidung des Gerichts
angenommen wurde, zu verkürzen. Vielleicht sind auch
drei Monate ausreichend, weil sich auch angesichts der
Praxis der Familiengerichte relativ schnell Klarheit ver-
schaffen lässt, ob das, was behauptet wurde, tatsächlich
richtig ist. Die Gerichte sollten die Möglichkeit bekom-
men, statt einer Frist von sechs Monaten eine Frist von
drei Monaten zu verhängen, in denen ihnen aber durchaus
abverlangt werden kann, den Tatsachenvortrag, soweit
das in dieser Zeitspanne möglich ist, zu überprüfen. Das
sind beispielsweise Fragen, über die wir diskutieren soll-
ten, um eine feinere Ausjustierung vornehmen zu können.

Ich möchte zusammenfassend deutlich sagen, damit
keine Missverständnisse entstehen: Wir begrüßen den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung. Wir wollen uns an der
Beratung beteiligen und den Gesetzentwurf gemeinsam
verabschieden. Auch wir wollen eine schnelle Beratung.
Daher rege ich an, dass wir uns gleich in einer der nächs-
ten Sitzungen des Rechtsausschusses auf ein enges zeitli-
ches Verfahren verständigen, damit der Gesetzentwurf
zeitnah verabschiedet werden kann.

Ich bitte allerdings auch darum, im Rahmen der Dis-
kussion über die Ausjustierung noch einmal über die eine
oder andere Bestimmung nachzudenken und mit Vertre-
tern der Praxis zu reden; denn meine Erfahrung hat mich
gelehrt, dass sich der anfänglich als richtig angenommene
Tatsachenvortrag in einer nicht zu unterschätzenden An-
zahl von Fällen – ich möchte nicht sagen: in einer großen
Anzahl von Fällen; eine solche Behauptung würde ich
nicht aufstellen; aber es ist eben auch nicht die totale Aus-
nahme – später, relativ schnell, als völlig falsch heraus-
stellt.

Daraus dürfen nicht gerichtliche Entscheidungen zulas-
ten einer Person entstehen, sondern es muss auch hier die
Möglichkeit der kurzfristigen Überprüfung geben. Daher
bieten wir eine gemeinsame Verabschiedung in der Sache
an, wenn man zu gemeinsamen Lösungen kommt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415510900
Zu einer
Kurzintervention erhält die Kollegin Margot von Renesse
das Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1415511000
Ich finde es immer gut,
Herr Kollege Pofalla, wenn wir uns über weite Strecken




Ronald Pofalla
15198


(C)



(D)



(A)



(B)


einig sein können. Ihre Rede hat angedeutet, dass dies der
Fall ist. Wir sind uns zunächst einmal darin einig, dass in
diesen Fällen mit hoch emotionalisierten Auseinanderset-
zungen – ich will nicht sagen: gelogen wird – Wahrneh-
mungsverzerrungen auf beiden Seiten stattfinden. Auch
das ist eine Erfahrung, die jeder gemacht hat, der mit die-
sen Dingen zu tun hat.

Auf der anderen Seite hoffe ich, dass wir uns auch
darin einig sind, dass die Gefahr größer ist, wenn jemand
weiter geprügelt wird, und sie nicht so groß ist, wenn je-
mand ohne Kinder kurzfristig vor einer Tür steht, durch
die er bei Richtigstellung aller Vorwürfe wieder gehen
kann. Wenn wir uns auch darüber einig sind, dass wir ver-
hindern müssen, dass Schlimmes weitergeht, werden wir
eine Lösung finden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415511100
Das Wort
hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kol-
legin Irmingard Schewe-Gerigk.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Wir setzen heute eine gute, wenn auch junge, rot-
grüne Tradition fort. Statt am Internationalen Frauentag
schöne Reden voller Absichtserklärungen zu halten,
bringt die rot-grüne Bundesregierung Gesetze ein, die die
Rechte von Frauen stärken. Wir tun also etwas.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ina Lenke [F.D.P.]: Andere tun auch etwas, Frau Schewe-Gerigk!)


– Ja, das kommt gleich.
Im letzten Jahr war es das eigenständige Aufenthalts-

recht für ausländische Frauen.

(Ina Lenke [F.D.P.]: Da haben wir mitgeholfen!)


In diesem Jahr ist es das so genannte Gewaltschutzge-
setz. Ich erspare mir, den vollen Titel zu nennen; denn er
ist sehr kompliziert.

Wir diskutieren heute einen Gesetzentwurf, der einen
Perspektivwechsel im Umgang mit der Gewalt gegen
Frauen vornimmt. Es handelt sich um einen Gesetzent-
wurf, der die Verantwortlichkeit festgelegt und daraus
Konsequenzen zieht. Nicht mehr die misshandelte Frau
und ihre Kinder müssen die Ehewohnung verlassen, son-
dern der gewalttätige Mann. Auf eine kurze Formel ge-
bracht, bedeutet dies: Der Täter geht, das Opfer bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gewalt gegen Frauen im häuslichen Umfeld ist ein we-
sentliches Fundament, auf dem die gesellschaftliche Be-
nachteiligung von Frauen begründet ist. Frauen, die in ihrem
engsten Umfeld in einer Machtbeziehung leben, erfahren
eine systematische Zerstörung ihres Selbstwertgefühls.
Durch Misshandlungen und Demütigungen, die sie oft über
Jahre hinweg erleben müssen, beschränken sich ihre Hand-

lungs- und Abwehrmöglichkeiten deutlich. Eine misshan-
delte Frau kann in ihrem Beruf eben nicht erfolgreich sein.

Je länger die Misshandlungen andauern, desto schwe-
rer ist es für die Geschlagene, der Beziehung zu entflie-
hen. Wir dramatisch die Gewalt ist, die Frauen weltweit
zu ertragen haben, zeigt uns der zum Internationalen Frau-
entag vorgelegte Bericht von Amnesty International. Seit
Jahren werden in Afghanistan die Menschenrechte von
Frauen mit Füßen getreten. Obwohl das in aller Welt be-
kannt ist, wurde es von den meisten ignoriert. Jetzt je-
doch, da die Buddha-Statuen in Gefahr sind – so schreck-
lich ich das auch finde –, geht ein Aufschrei durch die
Welt. Wo war dieser Aufschrei, als die Menschenrechte
der afghanischen Frauen zerstört wurden? Wo war er?


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist eine berechtigte Frage!)


Ich komme zurück zur Situation in Deutschland. Es
war die Frauenbewegung, die mit ihrem Slogan „Das Pri-
vate ist politisch“ die Gewalt in der Familie öffentlich
machte. Das ist ein Verdienst der 68erinnen; denn bis da-
hin war dies ein Tabuthema. – Die Staatssekretärin
lächelt; auch sie gehört dazu.

Das ganze Ausmaß, die Hintergründe und die Folgen
der Gewalt, die Frauen im Privatbereich erlebten, waren
unbekannt. Das erste autonome Frauenhaus entstand in
Berlin im Jahre 1976. Frauen fanden dort nicht nur Schutz
vor weiteren Misshandlungen durch ihre Ehemänner,
sondern auch kompetente Unterstützung und Ermutigung.
Geschlagene Frauen erhielten Hilfe auch bei der Über-
windung ihrer Misshandlungserfahrungen; denn nicht sel-
ten gibt sich die Frau eine Mitschuld dafür, dass der Mann
sie schlägt. Was hat sie wohl falsch gemacht, was hat ihn
so in Rage gebracht?

Herr Pofalla, Ihre Diskussion über den Missbrauch
mag richtig sein. Aber in jedem anderen Rechtsgebiet ist
es möglich, dass Leute eine andere Wahrnehmung haben
und in einem Verfahren lügen. Sind Sie da auch so enga-
giert und fragen nach, ob nicht auch Missbrauch betrieben
wird? Ich finde es etwas verwunderlich, wie ausführlich
Sie das an dieser Stelle dargelegt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Weil es ein Problem ist!)


Auch in der Gesellschaft gibt es derartige Urteile bzw.
Vorurteile. Ich erinnere mich noch gut an eine Frauen-
hauseröffnung in Nordrhein-Westfalen vor circa 15 Jah-
ren. Eine konservative Politikerin brachte da ein Bügelei-
sen mit und überreichte es mit den Worten, dass dies doch
ein notwendiges Utensil für Frauen sei und so mancher
Frauenhausaufenthalt vielleicht hätte verhindert werden
können, wenn die Frauen den Männern die Hemden or-
dentlich gebügelt hätten.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich empfinde dies als eine ziemlich zynische Entgleisung.
Frauenhäuser sind heute nicht mehr wegzudenken. Ihre

Zahl in Deutschland beläuft sich mittlerweile auf 400.




Margot von Renesse

15199


(C)



(D)



(A)



(B)


Annähernd 45 000 Frauen suchen hier jährlich Zuflucht,
teilweise auch mit ihren Kindern. Ohne die hervorragende
Arbeit der Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser abzuwer-
ten, wünsche ich mir aber eine Gesellschaft, die keine
Frauenhäuser braucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem heute vorgelegten Gewaltschutzgesetz gehen
wir den Weg, den die Frauenbewegung vor über 25 Jah-
ren initiiert hat, weiter. Das vorliegende Gesetz ist nicht
nur ein Erfolg für die betroffenen Frauen. Damit werden
auch die Leistungen der Frauen in den Frauenhäusern, Be-
ratungsstellen und an den Notruftelefonen unterstützt.
Durch die Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes werden
Frauen, die Gewalt im familiären Umfeld erfahren ha-
ben, in ihren Rechten gestärkt. Viel zu lang waren Justiz
und Polizei auf einem Auge blind und haben Gewalt im
sozialen Nahraum als Familienstreitigkeit angesehen, in
die sich der Staat nicht einzumischen habe. Ein Blick in
die Statistik macht deutlich: Nicht der dunkle U-Bahn-
Schacht oder ein unbeleuchteter Park sind für Frauen die
gefährlichsten Orte. Nein, es sind die eigenen vier Wände.
Jede dritte Frau zwischen 20 und 59 Jahren – so eine Un-
tersuchung – erlebt mindestens einmal in ihrem Leben
Gewalt im persönlichen Umfeld.

Wir wollen, dass diese Frauen nicht zum zweiten Mal
Opfer werden, indem sie auch noch ihr vertrautes Lebens-
umfeld verlassen müssen, während der gewalttätige Ehe-
mann in der Wohnung bleibt. Genau hier setzt das Gesetz
an. Die betroffene Frau wird in der akuten Gefährdungs-
situation geschützt. Durch das zuständige Familiengericht
ist per Eilanordnung eine vereinfachte Zuweisung der ge-
meinsamen Wohnung möglich. Die Überlassung der
Wohnung können künftig aber nicht nur Ehefrauen, son-
dern auch Partnerinnen oder Partner – nach dem neuen
Gesetz für die eingetragenen Partnerschaften natürlich
auch Partner – in Anspruch nehmen, die in häuslichen
Partnerschaften leben. Zur Wegweisung kommt ein aus-
drückliches Kontakt-, Belästigungs- und Näherungsver-
bot hinzu. Auch telefonischer Kontakt oder Kontakt per
E-Mail kann untersagt werden. Verstößt der Gewalttäter
gegen diese Schutzanordnungen, macht er sich automa-
tisch strafbar. Die Frau kann die Polizei rufen, die für
ihren Schutz zu sorgen hat. Jeglicher Kontakt zu einem
gewalttätigen Partner kann so unterbunden werden. In
Zukunft nutzt es den Männern auch nichts mehr, sich da-
rauf hinauszureden, dass sie ja betrunken waren und sonst
immer lammfromm sind. Das Gesetz stellt ausdrücklich
klar, dass die Schutzanordnungen auch dann möglich
sind, wenn der Täter betrunken war oder unter Drogen
stand.

Das Gesetz geht noch weiter – die Justizministerin hat
es vorhin schon gesagt –: Es muss nicht erst etwas pas-
sieren, bis sich eine belästigte Person rechtlich zur Wehr
setzen kann. Das wird mit den Schutzregelungen zum so
genannten Stalking sichergestellt. Es sind ja nicht nur
Prominente – aber sie insbesondere –, die von solchen
Nachstellungen oder von Telefonterror betroffen sind.

Damit machen wir der häufigen Verharmlosung derartiger
Nachstellungen endlich ein Ende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In Zukunft kann niemand mehr sagen: Es ist ja noch
nichts passiert, da kann man leider nichts machen. – Ein
Verstoß gegen diese Schutzanordnungen hat automatisch
entsprechende strafrechtliche Konsequenzen. Damit be-
schreiten wir juristisches Neuland. Ich finde es entgegen
der Position der PDS in ihrem Antrag angemessen, nicht
auch schon das Stalking strafrechtlich zu verfolgen, son-
dern erst den Verstoß gegen die Schutzanordnung. Lassen
Sie uns das aber in einer Anhörung genauer beleuchten.
Dies ist ein neues Phänomen und man muss es sicherlich
auch genau untersuchen.

Die Vorschriften des Gesetzentwurfes wurden in An-
lehnung an das österreichische so genannte Wegwei-
sungsrecht formuliert, das es dort seit 1997 gibt. In den
vergangenen vier Jahren wurden dort gute Erfahrungen ge-
macht. Herr Pofalla, die Sorgen, die Sie vorhin geäußert
haben, können durch das, was in Österreich statistisch be-
legt wurde, überhaupt nicht begründet werden. Dort wer-
den jährlich über 3 000 Wegweisungen an gewalttätige
Männer ausgesprochen. Hochgerechnet auf Deutschland
wären das 30 000. Das ist eine hohe Zahl. Häufig wird die
Frage gestellt, was denn diese 30 000 Männer machen:
Brauchen sie ein Männerhaus? Brauchen wir für diese
Männer Unterkünfte?


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Ich habe diese Frage nicht gestellt!)


Ein Blick nach Österreich zeigt, dass sich die Obdachlosen-
quote nicht erhöht hat; die Männer gehen zurück zu ihren
Müttern oder zu ihren Freundinnen. Wir brauchen uns
also so große Sorgen nicht zu machen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD )


In Österreich hat die Polizei das Recht, den Gewalttä-
ter sofort, zunächst für zehn Tage, der Wohnung zu ver-
weisen und ihm den Hausschlüssel abzunehmen. Die Po-
lizei muss also entscheiden, ob ein gefährlicher Angriff
stattgefunden hat oder ob dies befürchtet werden muss.
Sie benachrichtigt Beratungsstellen, die die gefährdete
Frau unterstützen. Auch das ist sicherlich ein wichtiger
Aspekt. Dieses österreichische Verfahren ist effektiv, da
es bereits in der Situation einer akuten Gefährdung anset-
zen kann. Ich wünsche mir, dass das auch bei uns so ist.

Allerdings gibt es eine kleine Hürde. Da Polizeiange-
legenheiten bei uns in die Länderzuständigkeit fallen,
sind nun die Länder – ein Land hat es schon umgesetzt –
an der Reihe; denn nun müssen endlich auch die polizei-
lichen Möglichkeiten zum Schutz der Frauen verbessert
werden. Dazu gehören klare Regelungen, die den Polizis-
ten und Polizistinnen die nötige Rechtssicherheit geben,
um einen Schläger unverzüglich aus der Wohnung zu ent-
fernen und ihm die Rückkehr für eine konkrete Frist zu
untersagen. Es gibt zwar Annahmen, dass die gesetzlichen
Möglichkeiten schon heute ausreichen; ein Beispiel dafür
ist der Platzverweis. Ich kann mir aber nicht vorstellen,




Irmingard Schewe-Gerigk
15200


(C)



(D)



(A)



(B)


dass ein Polizist oder eine Polizistin einen Mann auf einer
derart vagen Rechtsgrundlage tatsächlich der Wohnung
verweist. In diesem Punkt brauchen wir ganz klare ge-
setzliche Regelungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unabdingbar ist aber auch eine feste Verankerung des
Themas häusliche Gewalt in der polizeilichen wie in der
juristischen Aus- und Fortbildung. Nur so kann auch ge-
währleistet werden, dass Klischeevorstellungen hinter-
fragt und Frauen vor weiterer Gewalt effektiver geschützt
werden können. Es wäre doch schön, wenn das Plakat des
Frauenhauses Reutlingen mit dem Ausspruch „Und wie
heißt die Treppe, auf der Sie angeblich mal wieder ausge-
rutscht sind?“ bald nicht mehr zum Einsatz kommen
müsste.

Gewalt gegen Frauen beinhaltet aber auch einen großen
volkswirtschaftlichen Schaden. Den Staat kostet Männer-
gewalt jährlich rund 29 Milliarden DM, die Frauen ihre
persönliche Integrität, ihre Gesundheit und manchmal so-
gar ihr Leben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, die meisten der von Ihnen in Ihrem Antrag ge-
stellten Forderungen sind bereits überholt; wir waren da
einfach schneller. Das Gewaltschutzgesetz liegt heute vor.
Eine Kooperation von staatlichen Institutionen und nicht
staatlichen Hilfsangeboten wird bereits umgesetzt. Ich
nenne nur die Finanzierung der Vernetzungsstellen der
Frauenhäuser, der Notrufe und der Beratungsstellen wie
auch deren Vernetzungstreffen. Damit wird die Zusam-
menarbeit der Antigewaltprojekte unterstützt. Ihrer For-
derung nach einer Untersuchung zur Lebenssituation aus-
ländischer Mädchen und Frauen wurde bereits im
6. Familienbericht nachgekommen.

Damit komme ich zum Antrag der PDS. Sie haben ei-
nige Punkte angesprochen, deren Umsetzung tatsächlich
noch offen ist. Als Beispiel nenne ich § 179 StGB. Wir ha-
ben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Diskriminierun-
gen von widerstandsunfähigen Opfern zu beheben. Derzeit
wird geprüft, ob § 179 StGB nur als Auffangtatbestand ge-
nutzt wird und daher erhalten bleiben sollte. Das würde
bedeuten, dass das Urteil im Falle einer nachgewiesenen
Vergewaltigung nicht nach § 179 StGB gesprochen wird.
Der § 179 StGB würde nur gewählt, wenn keine andere
Möglichkeit bleibt, einen Täter zu bestrafen. Wir müssen
sehr genau schauen, ob wir nicht etwas streichen, was wir
eigentlich brauchen. Es gibt eine Untersuchung derjeni-
gen Urteile, die dazu bisher gesprochen worden sind.

Um geschlechtsspezifische Menschenrechtsverlet-
zungen als Asylgrund anzuerkennen – wie auch Sie es in
Ihren Forderungen formuliert haben –, hat die rot-grüne
Koalition die entsprechenden Verwaltungsvorschriften
bereits geändert. Es gibt zudem eine Weisung des Innen-
ministers an das Bundesamt für die Anerkennung auslän-
discher Flüchtlinge. Wir hatten heute ein erneutes Ge-
spräch mit Vertretern von Initiativen.

Es sieht so aus, als sei unterhalb der rechtlichen Ände-
rung all das getan, was zu tun ist: Die Verwaltungsvor-
schriften sind geändert. Das Bundesamt für die Anerken-

nung ausländischer Flüchtlinge hat einen großen Wandel
erfahren. Die Entscheiderinnen sind geschult worden. Es
wird nicht mehr automatisch davon ausgegangen, dass
eine Frau, die nachträglich Gründe vorbringt, sich diese
nur ausgedacht hat.

Ich habe schon den Eindruck, dass es große Verände-
rungen gibt. Wir können natürlich noch nicht zufrieden
sein. In einer rot-grünen Arbeitsgruppe überlegen wir der-
zeit, ob nicht auch eine Überprüfung des Ausländerrechts
notwendig ist, damit endgültig klargestellt wird, dass
Menschenrechtsverletzungen nicht geduldet werden und
dass wir den betroffenen Frauen in Deutschland Schutz
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass bei einer Bedrohung aufgrund des Geschlechtes
Abschiebeschutz gewährt werden muss, betonen wir übri-
gens auch in unserem Antrag „Flüchtlingsschutz ist Men-
schenschutz“, den wir heute Abend beraten und über den
wir abstimmen. Wir machen also einen großen Schritt
nach vorne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu dem
Gesetzentwurf zurück. Es ist ein großer Unterschied, ob
die Polizei zur Beruhigung der Situation der Frau nahe
legt, sich in Sicherheit zu bringen und das Haus zu ver-
lassen, oder ob klargemacht wird: Der Mann ist nicht der
uneingeschränkte Herrscher des Hauses. Er muss das
Haus verlassen, wenn er gewalttätig geworden ist. Das
vorliegende Gesetz leistet dies und stellt die Zuständig-
keiten klar heraus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])


Die körperliche Unversehrtheit von Frauen ist ein ho-
hes Gut, das wir mit diesem Gesetz schützen. Ich erwarte
davon nicht nur einen Bewusstseinswandel, sondern auch
eine Veränderung der Beziehungsstruktur zwischen den
Geschlechtern. Denn – gibt es ein besseres Fazit für den
heutigen Tag? –: Frauenrechte sind Menschenrechte.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415511200
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht die Kollegin Ina Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1415511300
Herr Präsident! Liebe Kollegen
und Kolleginnen! Heute ist Weltfrauentag und heute fin-
det die erste Beratung des Gewaltschutzgesetzes statt. Zu
beiden Themen will ich Stellung nehmen.

Der Internationale Frauentag bietet immer Gelegen-
heit, über den Tellerrand zu blicken und die Situation von
Frauen weltweit zu betrachten. Besonders Frauen leben in
vielen Ländern unter sehr schlechten Bedingungen. Sie
werden ausgegrenzt, unterdrückt und misshandelt. Meine
Kollegin sagte vorhin: Frauenrechte sind Menschen-
rechte. Aber der Ruf der Weltfrauenkonferenz von Peking




Irmingard Schewe-Gerigk

15201


(C)



(D)



(A)



(B)


ist in vielen Staaten ungehört geblieben. Die Bundesrepu-
blik Deutschland sollte international eine Vorreiterrolle
spielen und versuchen, auf diese Länder einzuwirken.


(Beifall bei der F.D.P.)

Frau Schewe-Gerigk, ich möchte das, was Sie gesagt

haben, nicht nur einfach wiederholen, sondern noch ver-
stärken: Es kann nicht sein, dass es zwar einen weltwei-
ten Protest gibt, wenn in Afghanistan Buddha-Statuen
und Kulturgüter – Kulturgüter müssen wie auch andere
Güter natürlich geschützt werden – zerstört werden, aber
dass nur wenig darüber berichtet und dagegen protestiert
wird – in dieser Kritik bin ich mit Ihnen einig –, wenn
Frauen in Afghanistan in unerträglicher Weise unter-
drückt werden. Ich denke, dies sollten wir im Bundestag
an diesem besonderen Tag tun.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Wir konnten letzte Woche in der Zeitung lesen, dass es
in Indien immer noch Mitgiftmorde an jungen Frauen
gibt. Hier ist nach meiner Meinung die deutsche Außen-
politik und natürlich auch der deutsche Außenminister
gefordert. Heute hat der Außenminister Joschka Fischer
eine Pressemitteilung zum Internationalen Frauentag he-
rausgegeben. Ich habe sie mir sehr genau angeschaut.
Darin fehlen die Erfolge seiner Politik zum Thema „Men-
schenrechte und Frauenrechte“.


(Beifall bei der F.D.P.)

Was hat der Außenminister der Bundesrepublik Deutsch-
land bei seinen vielen Auslandsreisen eigentlich konkret
erreicht?


(Klaus Haupt [F.D.P.]: Nichts!)

Wenn Sie sich die Pressemitteilung durchlesen, dann

werden Sie kaum Punkte finden, die auf entsprechende
Erfolge seiner Außenpolitik hinweisen, und das trotz des
großen rhetorischen Theaters, das Fischer während seiner
Oppositionszeit im Bundestag vom Stapel ließ.


(Beifall bei der F.D.P.)

Morgen ist auch noch ein Tag. Vielleicht erfahren wir
dann von Außenminister Fischer auf einer Pressekonfe-
renz, was er im Ausland in Bezug auf Menschen- und
Frauenrechte ganz konkret unternommen hat.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist Wahlkampf, was Sie hier machen!)


– Das ist kein Wahlkampf. Wenn ich mich mit diesem
Thema beschäftige, dann lese ich auch Pressemitteilun-
gen Ihres Außenministers.


(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Sie verfolgen die Politik nicht!)


Da habe ich das Recht, hier deutlich Kritik zu äußern.
Herr Fischer kann mich ja eines Besseren belehren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich warte auf die persönliche Bilanz von Herrn Fischer.
Morgen ist auch noch ein Tag.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das war so eine gute Debatte vorher! – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Kinkel und Genscher lassen grüßen!)


Dass der Frauenhandel blüht, ist oftmals in der
schlechten sozialen und wirtschaftlichen Situation der
Frauen begründet. Frauen sind zunehmend Opfer des in-
ternational organisierten Menschenhandels. Das ist, wie
wir alle wissen, die moderne Form der Sklaverei. Wir ha-
ben uns bereits im Bundestag und im Frauen- und Famili-
enausschuss sehr um dieses Thema gekümmert und wir
kümmern uns noch darum. Wir werden zu diesem Thema –
egal, von welcher Fraktion oder auch gemeinsam – in die-
ser Legislaturperiode noch Initiativen verabschieden. Ich
denke, das ist genauso wichtig wie alles andere.

Bei der Ausweisung von Frauen – darauf möchte ich
noch einmal hinweisen –, die sich nicht rechtmäßig in der
Bundesrepublik aufhalten, ist sicherzustellen, dass sie in
ihrer Heimat nicht Gefahren und Repressalien durch die
Täter ausgesetzt sind. Ich denke, wir sollten hier noch ein-
mal genau überlegen und auch parlamentarisch beraten,
was im Hinblick auf das Zeugenschutzprogramm gesche-
hen kann. Da sollten wir vielleicht einiges machen.

Da die gehandelten Frauen in Deutschland häufig zur
Prostitution gezwungen werden, ist – was wir alle wol-
len, was aber bisher, glaube ich, niemand parlamentarisch
initiiert hat – eine gesetzliche Regelung zur Prostitution
dringend notwendig. Die Möglichkeit, zwischen legaler
und illegaler Prostitution zu unterscheiden, würde uns
helfen, gegen den Frauenhandel besser vorgehen zu kön-
nen. Dazu gehört in erster Linie, dass die Prostitution in
Deutschland nicht mehr unter dem Verdikt der Sittenwid-
rigkeit stehen soll. Ich weiß nicht, wie das bei der
CDU/CSU ist, aber ich bin der Meinung, dass wir dazu im
Deutschen Bundestag, wenn eine Initiative vorgelegt
wird, die Mehrheit bekommen. Denn wenn es jeden Tag
millionenfach in Deutschland passiert, dann weiß ich
nicht, ob man als Gesetzgeber die per Gesetz verankerte
Sittenwidrigkeit aufrechterhalten kann.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Nicht nur für Frauenrechte auf internationaler Ebene
ist hier im Bundestag Position zu beziehen, sondern auch
auf der nationalen Ebene liegt einiges im Argen. Wir ha-
ben die Justizministerin gehört. Das Gewaltschutzgesetz
der Bundesregierung weist hier eine Schwachstelle auf,
die jetzt behoben werden soll. Endlich hat die Bundesre-
gierung ihre Vorarbeit erledigt. Mit dem Gesetzentwurf,
der uns heute vorliegt, sollen besonders Frauen in ihrem
häuslichen Umfeld vor roher Gewalt geschützt werden.
Der Täter soll aus der Wohnung gewiesen werden. Aber
es wäre eine Wiederholung, wenn ich diese ganzen Punkte
jetzt aufzählen würde.

Ich will jedoch sagen, dass Bund und Länder Regelun-
gen finden müssen, die aufeinander abgestimmt sind. In
diesem Zusammenhang möchte ich hier gerne das Bun-
desland nennen, das in dieser Angelegenheit schon tätig
geworden ist: das Bundesland


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mecklenburg-Vorpommern!)





Ina Lenke
15202


(C)



(D)



(A)



(B)


Baden-Württemberg.

(Beifall bei der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Also doch Wahlkampf!)


Darauf bin ich sehr stolz, weil wir einen liberalen Justiz-
minister, Herrn Goll, haben, der schon im letzten Jahr sehr
aktiv tätig geworden ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Goll mobbt Frauen! Wussten Sie das?)


Die Justizministerin mahnt die Länder und sagt, ein
Land sei erst tätig geworden. Jetzt lachen Sie über das
Land, das die Justizministerin ohne Namensnennung ge-
lobt hat.


(Beifall bei der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Abg. Alfred Hartenbach [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
In Baden-Württemberg wurden keine Gesetze verab-

schiedet, sondern das Landespolizeigesetz wurde geän-
dert. In Baden-Württemberg wurde das Thema Gewalt in
der Familie aus der Tabuzone genommen und in die
öffentliche Diskussion getragen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Schleswig-Holstein auch!)


Über 70 Städte und Gemeinden haben sich an diesem Mo-
dellversuch beteiligt. Ich glaube, das hat mit Parteipolitik
überhaupt nichts zu tun,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


sondern das deutet auf die Notwendigkeit hin, hier etwas
zu tun. Wenn das Land Bremen, das auch SPD-regiert ist,
oder andere Bundesländer das machen, wäre ich als
F.D.P.-Bundestagsabgeordnete genauso froh. Ich sehe das
jedenfalls nicht parteipolitisch.

Auf der Grundlage des Landespolizeigesetzes sind in
den letzten Monaten – falls die Herren auf der linken Seite
das nicht wissen, kann ich sie etwas aufklären – mehr als
100 Platzverweise gegen prügelnde Ehemänner ausge-
sprochen worden. Wenn das kein Erfolg der Modellver-
suche ist!

Ich war vor kurzem in Baden-Württemberg und habe
mich vor Ort darüber informiert, was da los ist und wie es
läuft. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Gemeinde
und Justiz hat sehr gut geklappt. Das Infomaterial liegt
dort auch in verschiedenen Sprachen aus. Das bedeutet,
dass wir nicht nur die deutschsprachigen Frauen errei-
chen. Wir erreichen mit dem Infomaterial natürlich auch
die Männer; sie wissen jetzt, welche Rechte Frauen ha-
ben. Ich denke, das stärkt das Selbstbewusstsein der
Frauen und das Bewusstsein der Männer. Das ist sicher-
lich auch eine präventive Maßnahme.

Ich möchte noch deutlich auf etwas hinweisen, was mir
aufgefallen ist: Dieses Konzept stärkt auch Kinder. Kin-
der lernen, dass Gewalt nicht siegt, sondern der schwache
Partner Rechte hat und Rechte erhält. Kinder erfahren,

dass der Schwächere dem Starken nicht schutzlos ausge-
liefert ist und dass der Staat sichtlich Schutz gewährt. Ich
meine, hier hat das Land Baden-Württemberg gute Arbeit
geleistet. Ich würde mir wünschen, dass viele andere Län-
der diesem Beispiel folgen.

Die Initiativen zwischen Ländern und dem Bund – da-
rüber sind wir uns sicher einig – müssen Hand in Hand ge-
hen. Der Bund kann nicht in Ländergesetze, in die Län-
derhoheit eingreifen. Daher brauchen wir die Länder,
wenn wir in diesem Bereich etwas ändern wollen.

Ich möchte noch etwas zu den Frauenhäusern sagen:
Ich bin der Meinung, dass wir die Frauenhäuser natürlich
brauchen. Es wird immer Frauen geben, die sich unter-
schiedlich entscheiden. Wenn wir jetzt zwei Optionen ha-
ben, ist das umso besser. Ich denke, dass es gerade für
Kinder besser ist, im häuslichen Umfeld – in der Schule
und in der Wohnung – verbleiben zu können, wenn der Tä-
ter aus diesem verwiesen wird.

Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Bundestags-
fraktion wird in den Ausschussberatungen Vorschläge zur
Verbesserung des Gesetzestextes vorlegen. Ich wollte ei-
gentlich auf einige Dinge exemplarisch eingehen, die Zeit
reicht aber nicht. Wir werden das in den Ausschussbera-
tungen, vor allem im Rechtsausschuss, regeln. Ich möchte
wirklich darum bitten, dass auch wir als Opposition in den
fachlichen Beratungen in den Bundestagsausschüssen
gehört werden und dass es dann nicht einfach heißt: Hier
ist die Koalition, da ist die Opposition. Letzteres ist ab und
an vorgekommen; es hat aber auch Erfolge gegeben, die
wir durch Zusammenarbeit erzielt haben. Ich denke, an
diesem Thema sollten wir wirklich gemeinsam arbeiten.
Ich werde jedenfalls, wenn es um Kleinigkeiten geht,
meine Fraktion davon zu überzeugen versuchen, dass wir
den großen Weg gemeinsam gehen sollten.

Trotz der Probleme, die wir Frauen manchmal haben,
sollten wir positiv in die Zukunft sehen. Wir sollten die
Probleme, die die Frauen betreffen, anpacken. Das ma-
chen wir hier auch; ich glaube, daran sind federführend
Frauen beteiligt. Wenn wir hier im Bundestag gemeinsam
etwas machen, sind die Frauen gemeinsam stark. Wenn
wir den konstruktiven Streit zwischen den Fraktionen
fortführen, dann freue ich mich darauf, dass das
Gewaltschutzgesetz in die parlamentarischen Beratungen
kommt. Auf ein Neues, auf ein Gutes!

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415511400
Angemeldet
sind nunmehr zwei Kurzinterventionen, einmal von der
Kollegin Dr. Edith Niehuis und dann vom Kollegen
Alfred Hartenbach. Anschließend, Frau Kollegin Lenke,
können Sie darauf, wenn Sie wünschen, antworten.

Bitte, Frau Kollegin Niehuis.


Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1415511500
Frau Kollegin Lenke, Sie
haben vollkommen Recht: Frauenrechte sind Menschen-
rechte. Sie haben über die auswärtige Politik geredet und
gemeint, dass Außenminister Fischer in dieser Hinsicht




Ina Lenke

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(C)



(D)



(A)



(B)


nichts für Frauenrechte tut. Das wichtigste Dokument für
Frauenrechte auf UN-Ebene ist das 20 Jahre alte Antidis-
kriminierungsabkommen. Als wir noch einen liberalen
Außenminister hatten, war es nicht möglich, das seit lan-
gem geforderte Zusatzprotokoll zu verabschieden, weil
insbesondere Deutschland – ganz einsam unter den euro-
päischen Partnern – sich immer geweigert hat, dieses Zu-
satzprotokoll zu unterzeichnen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Anfang 1999, unter deutscher Präsidentschaft in Eu-
ropa – das wissen Sie –, mit einem grünen Außenminister
und mit unserer Frauenministerin ist dieses Zusatzproto-
koll endlich vorangebracht und dann auch verabschiedet
worden. Das heißt, nun können Frauen überall in der Welt
auch individuell klagen, wenn ihre Menschenrechte ver-
letzt sind. Das ist mit dem Außenminister Fischer möglich
gewesen, nicht mit einem liberalen Außenminister.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Des Weiteren – ich glaube, auch Sie waren anlässlich
des Empfangs hier – hat dann das Auswärtige Amt zu-
sammen mit unserem Ministerium den Frauenausschuss
der Vereinten Nationen für CEDAW eingeladen, um hier
in Deutschland die Arbeit machen zu können, zu der sie
aus Zeitgründen und aus finanziellen Gründen sonst nicht
kommen. Hier in Deutschland hat der UN-Frauenaus-
schuss auf Einladung des Auswärtigen Amtes daran ar-
beiten können, dass dieses Zusatzprotokoll auch praktisch
mit Leben gefüllt wird.

Fragen Sie einmal bei der UN an, wie dankbar die
Frauen dieser Welt sind, dass die Bundesregierung diese
Initiativen ergriffen hat! Sie sollten sich nicht nur auf
Pressemitteilungen verlassen, sondern vielleicht auch se-
hen, was wirklich gemacht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415511600
Zu einer
weiteren Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Alfred Hartenbach das Wort.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1415511700
Verehrte Frau Kollegin,
als Sie eben das Land Baden-Württemberg so lobten,
musste ich zunächst einmal im „Kürschner“ nachschauen,
um zu sehen, ob Sie dort Ihre Heimat haben. Ich konnte
eigentlich keine solche Bindung außer Ihrer möglichen
Motivation, dort Wahlkampfhilfe leisten zu wollen, er-
kennen.

Ansonsten, Frau Lenke, hat das Land Baden-Württem-
berg das von Ihnen erteilte Lob nicht verdient. Wir wis-
sen, dass sich das Land Baden-Württemberg sehr lange
gegen das selbstständige Aufenthaltsrecht von Frauen ge-
sträubt und sehr lange blockiert hat, bis es sich dazu
durchgerungen hat.

Dann loben Sie Herrn Goll, den ich bis vor wenigen Ta-
gen auch noch sehr geschätzt habe. Wenn man heute, am
Weltfrauentag, diesen Namen in den Mund nimmt, dann

muss man sich schon fragen, ob man damit nicht einem
das Wort redet, der sich in übelster Weise des Mobbings
einer Richterin aus seinem eigenen Geschäftsbereich
schuldig gemacht hat.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das ist ja heftig!)

Wie kann es denn angehen, verehrte Frau Kollegin Lenke,
dass dieser Mann eine Kollegin von mir – ich war früher
einmal Richter –, die vom Richterwahlausschuss gewählt
worden ist, in einer so üblen Art und Weise öffentlich
abqualifiziert? Ich hätte mich als Justizminister dafür ge-
schämt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415511800
Zur Erwi-
derung erhält Frau Lenke das Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1415511900
Erstens. Frau Staatssekretärin
Niehuis, wenn ich mich auf eine Pressemitteilung des
Außenministers stütze, dann hätte der Außenminister sehr
wohl, wie Sie sagen, seine Erfolge deutlich machen kön-
nen. Das hat er aber nicht getan.


(Dr. Edith Niehuis [SPD]: Das ist ein bescheidener Mann!)


Es sind richtige Nickeligkeiten und Nichtigkeiten in die-
ser Erklärung, und wenn darin nichts anderes als Nicke-
ligkeiten und Nichtigkeiten enthalten ist, dann scheint es
wohl auch nicht nur an ihm gelegen zu haben, wenn Dinge
wie beispielsweise dieses Zusatzprotokoll verabschiedet
worden sind.

Zweitens. Herr Kollege, ich habe jetzt leider die Un-
terlagen betreffend diese Richterin nicht, aber nach mei-
ner Kenntnis ist die Sachlage ganz anders, als Sie sie dar-
gestellt haben. Ich werde mich darum kümmern und
werde Ihnen persönlich die richtige Antwort dazu geben,
die mir heute Nachmittag leider nicht möglich ist. Die
Sachlage ist aber eine ganz andere als die, die Sie hier so
polemisch darstellten.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415512000
Als
nächste Rednerin hat Kollegin Petra Bläss von der PDS-
Fraktion das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1415512100
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die vielen Aktionen, die heute im ge-
samten Bundesgebiet stattfinden, verdeutlichen eines:
Auch am 90. Internationalen Frauentag hat der Kampf um
die Durchsetzung von Frauenrechten nicht an Aktualität
verloren, ebenso wenig die Forderungen aus der alten
Frauenbewegung, zu denen auch immer wieder die Be-
kämpfung jeder Form der Gewalt gegen Frauen gehört
hat.

Gewalt gegen Frauen – das ist hier in der Debatte schon
mehrfach angesprochen worden – ist die häufigste Men-
schenrechtsverletzung weltweit und eben auch hierzu-
lande, in der Bundesrepublik.




Dr. Edith Niehuis
15204


(C)



(D)



(A)



(B)


Es gibt keine oder kaum gesicherte Zahlen. Aber die
verschiedensten Studien gehen davon aus, dass hierzu-
lande mindestens jede fünfte, möglicherweise sogar jede
dritte Frau in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfahren
hat. Der größte Teil der Gewalttaten – auch das ist schon
gesagt worden – findet im sozialen Nahbereich statt: in
der Familie, im Verwandten- und Bekanntenkreis. Gewalt
gegen Frauen und Kinder darf nicht länger ein Tabuthema
sein und als privates Schicksal verstanden werden.

Wenn ich die frauenpolitischen Debatten der letzten
zehn Jahre Revue passieren lasse, dann ist festzustellen:
Wir alle hier im Hohen Hause haben eine neue Qualität
der Debatte erreicht. Es besteht nämlich durchaus ein
Konsens:


(Beifall der Abg. Ingrid Holzhüter [SPD])

Wir müssen Gewalt als Problem öffentlich machen, sie
zum gesellschaftlichen Problem erheben und ächten.

Die Initiativen der Bundesregierung – ich spreche hier
explizit den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen, aber auch den heute vorgelegten
Entwurf eines Gewaltschutzgesetzes an – begrüßt die
PDS im Grundsatz. Wir sehen aber in Details Verbesse-
rungs- und Ergänzungsbedarf, vor allem was die kon-
krete Umsetzung betrifft. Worin der besteht, haben wir in
unserem Antrag „Frauenrechte sind Menschenrechte –
Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen“ aufgezeigt.

Erstens. Notrufeinrichtungen, Frauenberatungsstellen
und Frauenhäuser müssen besser und vor allem mit lang-
fristiger Perspektive gefördert werden.


(Beifall bei der PDS)

Die Finanzierung solcher Einrichtungen gilt in der Regel
als so genannte freiwillige soziale Leistung, die in Zeiten
knapper Kassen zurückgefahren wird. Deshalb sehen be-
reits etliche Projektgruppen – ich fürchte, zu Recht – ihre
Arbeit bedroht.

Zweitens. Wir begrüßen, dass die Täter zukünftig aus
der gemeinsamen Wohnung weggewiesen werden kön-
nen. Aber diese Regelung darf nicht durch die Hintertür
zulasten von Frauen gehen. Die betroffenen Frauen soll-
ten immer die Wahl haben, wie sie für sich selbst größt-
möglichen Schutz vor erneuten Gewalttaten suchen. Von
der Bundesjustizministerin sind hierzu schon einige Zah-
len genannt worden; ich möchte eine ergänzen: Im ver-
gangenen Jahr haben allein in Berlin, in der Hauptstadt,
2 000 Frauen die hier bestehenden 5 Frauenhäuser und
43 Zufluchtswohnungen aufgesucht – und das in Not. Die
Einführung des Gewaltschutzgesetzes darf weder Län-
dern noch Kommunen als Vorwand dienen, die finanziel-
len Mittel für Frauenhäuser, Beratungsstellen und Notrufe
zu kürzen.


(Beifall bei der PDS)

Drittens. Wir wollen, dass Beraterinnen in Notrufen,

Beratungsstellen und Frauenhäusern ein vertrauensvolles
Verhältnis zu den Opfern von Gewalttaten aufbauen kön-
nen. Dazu brauchen wir ein Zeugnisverweigerungsrecht
für Beraterinnen analog dem für Ärztinnen und Ärzte.

Viertens. Gewalt gegen Frauen ist und bleibt ein Pro-
blem der inneren Sicherheit. Wir fordern deshalb, dass
Gewalt auch im privaten häuslichen Bereich als Offizial-
delikt behandelt und von Polizei und Justiz geahndet wird.
Frühzeitige Intervention vermag manches Leid – ich füge
ganz bewusst hinzu: auch manches Geld – zu sparen. Die
Arbeitsgruppe Männer- und Geschlechterforschung
in Berlin hat ermittelt – die diesbezügliche Zahl ist
schon genannt worden –, dass Gewalt von Männern
gegen Frauen und Kinder hierzulande jährlich 29 Milliar-
den DM kostet.

Fünftens. Wir fordern, dass die Ungleichbehandlung
behinderter Frauen im Sexualstrafrecht abgeschafft wird.
Gewalt gegenüber so genannten widerstandsunfähigen,
also behinderten Frauen muss genauso geahndet und mit
dem gleichen Strafmaß belegt werden wie sexualisierte
Gewalt gegen nicht behinderte. Frau Schewe-Gerigk hat
dazu bereits Ausführungen gemacht. Ich denke, dass wir
darüber in den Ausschüssen ganz konkret beraten werden.

Sechstens. Auch ältere und insbesondere pflegebedürf-
tige Frauen, die in Familien und Heimen Gewalt ausge-
setzt sind, benötigen mehr Schutz. Dieses Thema hat erst
vor kurzem das Licht der Öffentlichkeit erblickt; hier be-
stand lange ein Tabubereich. Im familiären Bereich müs-
sen die im Entwurf des Gewaltschutzgesetzes vorgesehe-
nen Maßnahmen volle Anwendung auch zugunsten
pflegebedürftiger Menschen finden. Um so genannte
Freiheitsentziehungen und Ruhigstellungen im Heimbe-
reich zu verhindern, bedarf es unseres Erachtens eines an-
gemessenen Fachkräfteeinsatzes und entsprechender
Fortbildungsmaßnahmen für das Pflegepersonal. Alte
Menschen haben ein Recht auf Leben in Würde und
Selbstbestimmung.


(Beifall bei der PDS)

Siebtens. Die von Amnesty International am Montag

vorgestellte Studie über Folter und Misshandlung von
Frauen hat einmal mehr auf das weltweite Ausmaß von
Menschenrechtsverletzungen an Frauen aufmerksam ge-
macht. Amnesty International verlangt, Gewalt gegen
Frauen überall in der Welt öffentlich zu verurteilen, Be-
richten über Folter an Frauen konkret nachzugehen und
Frauen, die vor frauenspezifischer Verfolgung fliehen,
Asyl zu gewähren.

Die von der Bundesregierung vorgenommene und in
der Debatte schon zitierte Veränderung der Verwaltungs-
verordnung zum Ausländergesetz reicht meines Erachtens
noch nicht aus. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, wir sehen
sehr wohl die gravierenden Verbesserungen, die seit den
Änderungen im Verwaltungsbereich in Kraft sind. Aber
wir brauchen die gesetzliche Anerkennung geschlechts-
spezifischer Verfolgung als Asylgrund, um den betroffe-
nen Frauen verlässlich Schutz und Aufnahme gewähren
zu können.


(Beifall bei der PDS)

Der diesbezügliche PDS-Antrag liegt bekanntlich nach
wie vor zur parlamentarischen Beratung vor. Asylbewer-
berinnen, die Opfer von Gewalt werden, müssen in den
Schutzbereich des Gewaltschutzgesetzes gelangen. Es ist,
so denke ich, wichtig, auch hier noch einmal alle Rechts-
vorschriften durchzuforsten.




Petra Bläss

15205


(C)



(D)



(A)



(B)


Achtens. Wir brauchen eine Änderung des § 19 des
Ausländergesetzes im Sinne eines eigenständigen Aufent-
haltsrechtes ausländischer Ehefrauen. Nun weiß ich sehr
wohl, was in diesem Bereich in diesem Hause schon
geleistet worden ist. Aber unsere Forderung geht noch ein
Stückchen weiter: Die Mindestbestandsfrist für die Ehe
von zwei Jahren muss unseres Erachtens gestrichen wer-
den. Denn nur so haben ausländische Frauen die Chance,
das Gewaltschutzgesetz in Anspruch zu nehmen, ohne
ihre spätere Ausweisung fürchten zu müssen. Die jetzige
Regelung bedeutet, so denke ich, für die Frauen in den
ersten zwei Ehejahren ein Stück Rechtsunsicherheit.

Neuntens und letztens müssen internationale Vereinba-
rungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt schnell in na-
tionales Recht umgesetzt werden. Wir fordern deshalb die
Bundesregierung auf, das von der Staatssekretärin Edith
Niehuis zitierte Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen,
genannt CEDAW-Zusatzprotokoll, dem Bundestag schnell
zur Abstimmung vorzulegen, um eine Ratifizierung zu er-
reichen. Darüber ist lange geredet worden; jetzt sollten die-
sen Worten auch endlich Taten folgen. Erst dann nämlich
haben Frauen die Möglichkeit, sich gegen Verstöße gegen
das Abkommen tatsächlich zur Wehr zu setzen und ihr
Recht auf Gleichberechtigung gerichtlich einzuklagen.

Ich danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415512200
Das Wort
hat jetzt die Bundesministerin Christine Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewalt gegen
Frauen ist nach wie vor eines der bedrückendsten Themen
in unserem Land. Gewalt verletzt die Integrität von
Frauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung auf eklatante
Weise. Deshalb ist es so wichtig, dass wir heute, am In-
ternationalen Frauentag, den Entwurf des Gewaltschutz-
gesetzes, den die Bundesjustizministerin vorgelegt hat,
hier im Deutschen Bundestag diskutieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])


Dieses Gesetz macht ganz unmissverständlich klar, dass
Gewalt gegen Frauen und Kinder im häuslichen Bereich
eben keine Privatsache ist, sondern eine Angelegenheit,
um die sich unser Rechtsstaat mehr als bisher kümmern
muss.

Auch ich will eine Zahl nennen: Wenn wir uns vor Au-
gen halten, dass schätzungsweise jede dritte Frau in
Deutschland – man will das immer nicht glauben, aber so
sind die Zahlen – von häuslicher Gewalt betroffen ist,
dann müssen wir alles dafür tun, dass Täter künftig kon-
sequenter zur Rechenschaft gezogen werden und dass Op-
fer besser geschützt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Bundesregierung hat gehandelt und den nationa-
len Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt vorge-
legt. Ein ganz wichtiger Teil dieses Planes ist dieses Ge-
waltschutzgesetz. Aber darin enthalten sind natürlich noch
eine ganze Menge anderer Dinge: Mit dem Aktionsplan
liegt erstmals ein umfassendes Gesamtkonzept vor, mit
dem wir das Ziel verfolgen, strukturelle Veränderungen in
allen Bereichen der Gewaltbekämpfung zu erreichen. Das
geht von der Prävention über die bessere Vernetzung und
die Täterarbeit bis hin zu rechtlichen Maßnahmen.

Ich kann hier sagen – weil dies auch in dem Antrag ge-
fordert wurde –: Alle Maßnahmen, die in der Zuständig-
keit der Bundesregierung liegen, sind in Umsetzung oder
bereits abgeschlossen. Wir haben zwar noch etwas zu tun,
aber alles ist bereits auf dem Tisch. Zu einigen dieser
Punkte möchte ich etwas sagen.

Ein wichtiger Bereich in diesem Plan ist die Koopera-
tion zwischen staatlichen Stellen und den verschiedenen
Institutionen und Projekten, die auf dem Gebiet der
Prävention und Bekämpfung von Gewalt arbeiten. Wir
haben sehr wichtige Erfahrungen mit dem Berliner Inter-
ventionsprojekt gemacht. Es ist nötig, Maßnahmen im po-
lizeilichen, straf- und zivilrechtlichen sowie im sozialen
Bereich aufeinander abzustimmen und zu vernetzen, um
effektiv gegen häusliche Gewalt vorgehen zu können. So
kann den betroffenen Frauen am besten geholfen werden.

Wir haben die Erfahrungen aus dem Berliner Interven-
tionsprojekt, das jetzt noch ein Stück weiter entwickelt
wird, allen Akteurinnen und Akteuren zugänglich ge-
macht. Diese Erfahrungen sind vielfach aufgegriffen wor-
den. In vielen Kommunen gibt es jetzt entsprechende Ver-
netzungen, gibt es runde Tische und versucht man, mit
allen gemeinsam an diesem Problem zu arbeiten. Jetzt
wird ein weiteres Interventionsprojekt, das Projekt in
Schleswig-Holstein, von uns unterstützt. Denn es ist
wichtig, dass wir die Erfahrungen aus dem Berliner Pro-
jekt auch in einem Flächenland umsetzen, um zu sehen,
wie wir dort wirksame Hilfe für Frauen schaffen können.
Es ist auch wichtig, dass wir alle diese Interventionspro-
jekte wissenschaftlich begleiten, damit diese Erfahrungen
nicht verloren gehen, sondern all das, was wir an Erfah-
rungen sammeln, genutzt wird.

Es ist wichtig, dass sich die Länder und Kommunen
vor Ort engagieren und all diese Maßnahmen mit umset-
zen. Ich bin sehr froh, dass es schon einige Bundesländer
gibt, die eigene Landesaktionspläne beschlossen haben,
die die Ziele des Bundesaktionsplanes länderspezifisch
umsetzen. Wir haben in der Frage der Zusammenarbeit
zwischen Bund und Ländern eine Menge auf den Weg ge-
bracht. Hier sind enge Kooperationen notwendig. Wir ha-
ben auch eine andere, eine intensive Form der Zusam-
menarbeit gefunden, bei der wir uns gegenseitig
unterstützen. Ich nenne hier die Arbeitsgruppe Frauen-
handel, die es schon länger gibt. Ich möchte nur einen
Punkt erwähnen, an dem gegenwärtig gearbeitet wird.
Dabei geht es um konkrete Maßnahmen zum Schutz von
Opfern des Menschenhandels, zum Beispiel eine Härte-




Petra Bläss
15206


(C)



(D)



(A)



(B)


fallregelung zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis für Op-
ferzeuginnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber auch hier haben wir noch Handlungsbedarf.
Ich möchte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe nennen,

in der auch Nichtregierungsorganisationen und Frauen-
häuser vertreten sind, um alles Wissen, das wir haben, ein-
zubeziehen und miteinander zu vernetzen. Diese Arbeits-
gruppe erarbeitet derzeit Fortbildungskonzepte für
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern, für
Familienrichter, Staatsanwaltschaften und die Polizei. All
das, was wir brauchen, um unseren Aktionsplan wir-
kungsvoll umzusetzen, wird also in diesen Gremien bear-
beitet.

Ebenfalls bereits angesprochen wurde das Thema der
Vernetzung. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir
die Vernetzung der Frauenhäuser, der Notrufe und der Be-
ratungsstellen gegen Frauenhandel finanzieren. Das ist
ganz wichtig, damit sie wirksam zusammenarbeiten kön-
nen.

Fortbildung ist in diesem Bereich das A und O, insbe-
sondere auch Fortbildung der Polizei. Es entspricht den
Erfahrungen, die in Berlin gemacht wurden, dass die Po-
lizei in der Ausbildung dieses Thema behandeln muss,
dass Fortbildungsveranstaltungen stattfinden, damit es
keinen Polizisten und keine Polizistin mehr gibt, die in ei-
ner Situation, zu der sie gerufen werden, nicht wissen, wie
sie sich zu verhalten haben, sondern wirklich agieren
können. Vor Ort müssen entsprechende polizeiliche
Richtlinien vorhanden sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])


In Zusammenarbeit mit den Ländern werden wir im
April oder Mai ein Projekt zur Entwicklung, Erprobung
und Verbreitung eines Gewaltpräventions- und Fortbil-
dungskonzepts für allgemein bildende und berufsbildende
Schulen starten. Ich halte es für ganz wichtig, bereits in
diesem Bereich mit der präventiven Arbeit, mit der Infor-
mation darüber, welche Rechte Frauen in dieser Situation
haben, anzusetzen.

Ich möchte noch auf den Schutz ausländischer
Frauen eingehen, der hier schon eine Rolle spielte. Wir
haben es sehr schnell geschafft, das eigenständige Auf-
enthaltsrecht von Frauen zu verbessern, sodass wir mit
den Verwaltungsvorschriften, die im Bereich der ge-
schlechtsspezifischen Verfolgung und zum Schutz der
Opfer von Menschenhandel gelten, jetzt etwas in der
Hand haben – Sie haben es angesprochen, Frau
Schewe-Gerigk, ich habe mich auch informiert –, was zu
ganz eklatanten Verbesserungen in diesem Bereich ge-
führt hat. Ich habe seitdem keine Klagen mehr auf den
Tisch bekommen. In diesem Bereich hat sich auch quali-
tativ etwas verändert. Das war enorm wichtig. Das woll-
ten wir auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben im letzten Jahr eine Untersuchung in Auf-
trag gegeben, die uns ein umfassendes Bild der Lebenssi-
tuation und der sozialen Integration der in Deutschland le-
benden ausländischen Mädchen und Frauen geben wird.
Die Daten, die im Familienbericht stehen, sind wichtig,
reichen uns aber nicht. Wir brauchen weiter gehende In-
formationen über die Lebenssituation ausländischer
Frauen. Diese werden wir damit bekommen.

In diesem Zusammenhang wären noch eine ganze
Menge anderer Maßnahmen zu nennen, die wir im Rah-
men der Umsetzung des Aktionsplans bereits durchge-
führt haben. Ich will nur an die Unterstützung der Bera-
tungsstelle für Frauen mit Behinderung sowie an die
wissenschaftliche Untersuchung zum Ausmaß und zu Er-
scheinungsformen von Gewalt gegen Frauen erinnern. Zu
mehr reicht die Zeit nicht.

Es war ein weiter Weg vom ersten Frauenhaus 1976 in
Berlin bis zum heutigen Tag, an dem wir den Entwurf des
Gewaltschutzgesetzes auf dem Tisch liegen haben. Dies
war nur möglich, weil sich immer wieder sehr engagierte
Frauen für Frauen eingesetzt und Frauen Schutz gegeben
haben, immer wieder das dicke Brett gebohrt haben und
das Thema immer wieder aus dem Tabubereich herausge-
holt haben. Dies ist ein Erfolg der Arbeit all dieser Frauen.
Dafür möchte ich an dieser Stelle einmal ganz herzlich
danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Natürlich dürfen wir nicht vor unserer Haustür Halt
machen. Das Thema Gewalt gegen Frauen ist eines, das
wir auch im Rahmen internationaler Kooperation bear-
beiten müssen. Es ist wichtig, dies heute, am Internatio-
nalen Frauentag, noch einmal zu sagen.

Ich bin froh, dass es uns in den letzten Tagen offen-
sichtlich allen ähnlich ergangen ist, als der Aufschrei
durch die Medien ging, was mit den Kulturgütern in
Afghanistan passiert. Wir sind alle dafür, dass sie erhal-
ten bleiben. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.
Aber wo ist der Aufschrei, wenn wir von den eklatanten
Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen hören, die
dort passieren? Schlimmere als die, die wir dort erleben,
sind nicht vorstellbar. Wo bleibt da der Aufschrei? So-
lange dieser nicht erfolgt, haben wir noch eine ganze
Menge zu tun. Und das tun wir auch. Frau Lenke, Sie wa-
ren mit in New York und wissen, wie wir dort um ent-
sprechende Regelungen gerade für die Frauen in anderen
Ländern, gerade zur Bekämpfung von Gewalt in Ländern,
in denen genitale Verstümmelungen und Diskriminierung
in ihrer schlimmsten Form an der Tagesordnung sind,
gekämpft haben.

Frau Bläss, ich brauche zu CEDAW nichts mehr zu sa-
gen. Das kriegen wir so schnell hin, wie es geht. Sie wis-
sen, die Verfahren sind etwas langwierig. Aber wir wer-
den es bald im Ausschuss behandeln können.

Ich möchte noch auf einen positiven Punkt hinweisen,
und zwar, dass es jetzt endlich beim Kriegsverbrecher-
tribunal in Den Haag zu einer Verurteilung von Tätern
gekommen ist, die Massenvergewaltigungen begangen




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

15207


(C)



(D)



(A)



(B)


haben. Es ist endlich gelungen, diese Form der Men-
schenrechtsverletzung als Kriegsverbrechen zu ahnden.
Das ist auch etwas, was Frauen für Frauen errungen ha-
ben. Hier sind viele Frauen, die von diesen Menschen-
rechtsverletzungen betroffen waren, über ihren Schatten
gesprungen und haben etwas getan, damit es anderen
Frauen vielleicht besser geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich denke, dass wir in diesem Bereich der konsequen-
ten Verfolgung von Gewaltverbrechen gemeinsam han-
deln müssen. Die Debatte verlief bislang in diesem Sinne,
auch wenn Frau Lenke einen etwas anderen Ton hinein-
gebracht hat.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Das hat nichts mit Fischer zu tun!)


Vergessen wir das einmal. Am Ende machen Sie mit.
Es ist wichtig, dass wir uns hier nicht auseinander divi-
dieren lassen, sondern versuchen, gemeinsam weiterzu-
machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.] und der Abg. Petra Bläss [PDS])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415512300
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid Fischbach von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1415512400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Häusliche Gewalt hat gegen-
über dem allgemeinen Gewaltphänomen seit jeher ihre ei-
gene Dimension. Ging es früher darum – das dürfen wir
uns ruhig noch einmal in Erinnerung rufen –, die Zucht-
gewalt des Hausherrn gegenüber Frau und Kind zu be-
gründen, aber auch zu begrenzen, sehen sich heute die Fa-
milienmitglieder als Träger der Menschenrechte mit
gleichem Recht auf physische und psychische Unver-
sehrtheit. Die Wahrung und Achtung der körperlichen und
seelischen Integrität eines jeden Menschen sind durch die
Grund- und Menschenrechte verfassungsrechtlich ver-
brieft. Trotzdem nimmt die Zahl an Gewalttaten auch im
häuslichen Umfeld leider zu.

Besonders betroffen sind Kinder und Frauen. Natürlich
sind ebenfalls Männer betroffen. Auch Männer werden
geschlagen und misshandelt. Die Erfahrungen in Öster-
reich, auf die wir heute schon mehrfach zurückgegriffen
haben, gehen von circa 10 Prozent aus. Wenn wir von
jährlich circa 45 000 Frauen sprechen, die in Frauenhäu-
sern Zuflucht vor der Gewalt ihres Partners suchen, dann
erkennen wir, dass hauptsächlich Frauen und mit ihnen
die Kinder die Leidtragenden sind.

Gemessen an der Wirklichkeit genügt die derzeitige
Rechtslage und Praxis in Deutschland, besonders in ex-
tremen Fällen, leider nicht, obwohl das Zivilrecht bereits
in seiner geltenden Fassung Möglichkeiten bietet, auf
häusliche Gewalttaten zu reagieren. Um Frauen ausrei-

chend vor häuslicher Gewalt zu schützen, muss die bishe-
rige Rechtslage ergänzt und präzisiert werden. Das neue
Gesetz verbessert die Situation des Opfers. Durch die er-
weiterten Möglichkeiten, den Kontakt des Täters mit dem
Opfer zu unterbinden, erfährt das Opfer eine deutliche
psychische Entlastung und eine erhöhte Sicherheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU-Frak-
tion begrüßt das Bemühen der Bundesregierung, die be-
reits von uns in unserer Regierungszeit begonnenen Maß-
nahmen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen weiter
auszubauen. Unsere damalige Familienministerin
Claudia Nolte hat mit ihrer groß angelegten mehrjährigen
Kampagne „Gewalt gegen Frauen“ ein wichtiges Ziel er-
reicht: die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das
Thema. Sie sehen es heute: Wir sprechen darüber.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch das mehrfach gelobte – die Frau Ministerin hat

gerade darauf hingewiesen – Berliner Interventionsmo-
dell ist eine Sache, die von der alten Regierung initiiert
worden ist. Sie haben zwar mitgemischt, aber wir hatten
die Regierungsverantwortung. Sie sehen, Frau Ministerin,
wie wichtig es ist, in bestimmten Punkten zusammenzu-
arbeiten. Das wollen wir auch heute.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [F.D.P.])


Für Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt es keine Ent-
schuldigung. Diejenigen, die ihren Frauen und/oder Kin-
dern Gewalt antun, müssen dafür zur Rechenschaft gezo-
gen werden. Es gilt, misshandelte Frauen und Kinder
effektiv und schnell zu schützen und die Täter in die Ver-
antwortung zu nehmen. Dazu gehört meiner Meinung
nach auch die polizeirechtliche Möglichkeit eines Platz-
verweises des Täters bei Gewaltanwendung gegen Frauen
und deren Kinder in häuslichem Bereich. Bisher waren
die betroffenen Frauen gezwungen, die Wohnung zu ver-
lassen, um sich und ihre Kinder zu schützen. Der Gewalt-
täter blieb weiterhin in der Wohnung.

Die Erfolge, die in Österreich mit dem so genannten
Wegweiserecht gemacht wurden, sind für uns ein An-
sporn, auch in Deutschland Wege und Möglichkeiten zu
schaffen, damit Kinder und Frauen – die Opfer – in ihren
Wohnungen bleiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Österreich hat aber auch gezeigt, dass die dort praktizierte
Wegweisung nicht in allen Fällen die Sicherheit von Kin-
dern und Frauen garantieren kann. Frauen- und Kinder-
schutzhäuser bleiben weiterhin ein notwendiger Bestand-
teil des Hilfesystems. Sie sind unverzichtbar; denn, wie
gesagt, nicht jede Gewaltsituation lässt sich durch die be-
fristete Entfernung des Täters lösen. Daher muss die Zu-
kunft der Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen gesichert
bleiben. Allerdings – auch hier gibt es eine Einschrän-
kung –: Schutzwohnungen und Frauenhäuser dürfen nicht
zu Langzeitaufenthaltsräumen für Frauen werden.

Die Wegweisung ist und bleibt ein klares Signal an den
Täter, dass auch im häuslichen Bereich keine Gewalt ge-
duldet und zugelassen wird. Die räumliche Trennung des




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
15208


(C)



(D)



(A)



(B)


gewalttätigen Mannes von der bedrohten Frau ist zu Recht
das zentrale Element eines jeden präventiven Konzepts
und unverzichtbare Vorbedingung eines jeden Verständi-
gungsprozesses.

Wenn betroffene Frauen draußen um Hilfe nachsu-
chen, sind sie meist Opfer langjähriger Misshandlungen.
Viele Opfer scheuen aus Scham die Öffentlichkeit. Wir
haben die Beispiele gehört: Ich bin die Treppe herunter-
gefallen; ich bin gestürzt oder was auch immer. Haben
sich diese Frauen doch dazu durchgerungen, sich zu weh-
ren, stehen sie unter erheblichem Druck. Eine sofortige
und effektive Reaktion ist nötig, damit Frauen nicht in ei-
nen Zustand der zunehmenden Hilflosigkeit verfallen, in
dem sie sich selbst keine Veränderung zutrauen und sich
auch keine wirksame Hilfe von außen versprechen. In ei-
ner akuten Gefährdungssituation müssen sozusagen
rechtliche Erste-Hilfe-Maßnahmen greifen, und zwar
unabhängig von der Frage der Trennung oder Trennungs-
absicht, um zunächst einen Schutzraum vor Gewalt und
Bedrohung herzustellen.

Der staatliche Schutz von Frauen muss auf die realen
Lebensverhältnisse einwirken und die Entwicklung der
Maßnahmen auf einer sorgfältigen Tatsachenermittlung
zu häuslicher Gewalt beruhen. Es ist allerdings nicht al-
lein damit getan, Täter lediglich aus den Wohnungen zu
weisen. Gewalt beginnt in den Köpfen; daher können
auch nur psychologische Begleitmaßnahmen in den Köp-
fen der gewaltbereiten Männer etwas ändern. Das Un-
rechtsbewusstsein der Täter muss geweckt werden. Ein
Verhaltenstrainingskonzept für gewalttätige Männer
gehört für mich in ein solches Gesamtkonzept. Eine be-
gleitende Täterarbeit muss sichergestellt sein. Ziel muss
es sein, den Gewalttäter zur subjektiven Übernahme der
Verantwortung zu führen. Dabei stellt sich nicht nur die
Motivation der Männer zur Teilnahme an der Beratung als
schwierig dar, sondern auch, sie in der Beratung zu hal-
ten. Deshalb könnte eine genaue Abstimmung der Dauer
einer Bewährungsauflage auf die Dauer des Programms
eine sinnvolle Forderung sein.

Meine Damen und Herren, besondere Hilfen benötigen
vor allem die Opfer. Die wenigsten Frauen wissen von
ihren rechtlichen Möglichkeiten. Die Bundesregierung ist
aufgefordert, mittels einer breiten Informationskampagne
für Aufklärung bzw. Information zu sorgen. Hinzu kom-
men vor allem begleitende Hilfen.

Über den physischen Schutz hinaus muss Hilfe bei der
Bewältigung des Erlebten, aber auch bei der Neugestal-
tung des nächsten Lebensabschnitts gewährleistet sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir dürfen die Opfer nach der Wegweisung nicht allein
lassen. Sie brauchen soziale und psychische Unterstüt-
zung.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in
die richtige Richtung. Isoliert und allein ist er allerdings
unwirksam. Es muss ein Gesamtkonzept erstellt werden,
das alle Bereiche umfasst und von allen mitgetragen wird.
Absichtserklärungen und Unterstützungszusagen müssen

konkretisiert werden. Länder und Kommunen müssen mit
eingebunden werden.

Ich weise noch einmal auf das Land Baden-Württem-
berg hin; denn wir haben seit dem letzten Jahr ein Modell
laufen und können schon von positiven Erfahrungen be-
richten. Da können Sie sagen, was Sie wollen, es ist nun
einmal ein Bundesland, das CDU-geführt ist. Sie sehen:
Auch wir arbeiten daran.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Ein Musterländle! – Zuruf von der SPD: Noch!)


– Dafür werden wir sorgen, Frau Niehuis, aber Sie dürfen
noch ein bisschen hoffen.

Ich möchte hier noch einmal deutlich machen, wie
wichtig der gesamte Bereich der Prävention ist, zum Bei-
spiel schulische Präventionsmaßnahmen gegen Gewalt.
Aber auch Gewaltpräventions- und Fortbildungskonzepte
in den weiterführenden Schulen, in der beruflichen Schule
dürfen nicht fehlen.

Meine Damen und Herren, wir stehen am Anfang der
Beratungen und ich kann Ihnen versichern, dass wir, die
CDU/CSU-Fraktion, an einem Gesamtkonzept mitarbei-
ten werden. Projekte und Strategien gegen häusliche Ge-
walt müssen sich als Gebot der Vernunft und als Gebot der
Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft etablieren. Es ist
höchste Zeit, hier zu handeln. Lassen Sie uns dies ge-
meinsam tun!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415512500
Das Wort
hat jetzt die Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-An-
halt, Karin Schubert.

Karin Schubert, Ministerin (Sachsen-Anhalt) (von
Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Wie viele meiner Kolle-
ginnen heute bereits angemerkt haben, ist heute der rich-
tige Tag für dieses Gesetz. Ich hoffe, dass der
90. Internationale Frauentag es auch den Kritikern des
Gewaltschutzgesetzes ermöglicht oder vielleicht erleich-
tert, hier zuzustimmen.

Ich hoffe, dass die Abwesenheit fast aller Männer hier
in diesem Parlament


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

ihre Ursache darin hat, dass Sie vielleicht ausgeschwärmt
sind, um uns Rosen zu kaufen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der PDS)


Meine Herren, ich denke, Rosen sind gut, aber schenken
Sie uns nicht nur Rosen, schenken Sie uns auch ein ge-
waltfreies Frauenleben.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Ausübung von Gewalt,
insbesondere gegenüber Frauen und Kindern, stellt ein
allgegenwärtiges gesellschaftliches Phänomen dar, ein




Ingrid Fischbach

15209


(C)



(D)



(A)



(B)


Problem, das konsequent angegangen werden muss und
das nicht verschwiegen werden darf.

Das von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte
Gesetz ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des „Bun-
desaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen“ vom Dezember 1999. Der Bundesrat hat diesen
Aktionsplan begrüßt, insbesondere die darin angekündigte
Vereinfachung einer befristeten Wohnungszuweisung zu-
lasten gewalttätiger Angehöriger einer häuslichen Ge-
meinschaft – auch eines gewalttätigen Ehepartners – sowie
die Grundlage für die Schutzanordnungen bei Kontakt-,
Belästigungs- und Näherungsverboten. Dies hat der Bun-
desrat in seiner Stellungnahme zu dem vorliegenden Ge-
setzentwurf nochmals deutlich zum Ausdruck gebracht.
Dieser Gesetzentwurf setzt endlich die im Aktionsplan
aufgezeigten Ziele im zivilrechtlichen Bereich um.

Die physische Gewalt zwischen Partnern kommt leider
in allen sozialen Schichten vor. Es ist von einer hohen
Dunkelziffer auszugehen; sie liegt bei fast 90 Prozent. Fa-
miliäre Gewalt wird noch heute häufig als Privatsache
zwischen Eheleuten bzw. Partnern angesehen, sodass miss-
handelte Frauen oft auf eine Strafanzeige verzichten. Die
Angst vor einem Auseinanderbrechen der Familie, die
Schuldgefühle, die Scham, der Imageverlust oder die
Druckausübung durch den Täter, aber auch Zweifel am
Erfolg der Strafverfolgung führen oft zum Verzicht auf
eine Anzeige.

Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass Ge-
walthandlungen in der Familie nur selten Einzelfälle
sind. Meist werden die Opfer wiederholt misshandelt. Sta-
tistisch gesehen ist nicht nur jede dritte Frau Opfer einer
Gewalthandlung im häuslichen Bereich; auch jede siebte
Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer
Vergewaltigung oder Nötigung geworden. In der Bundes-
republik suchen jährlich circa 45 000 Frauen mit ihren
Kindern Zuflucht in einem der vielen Frauenhäuser, die
meisten auf der Flucht vor Gewalttätigkeiten.

Durch den heute vorliegenden Entwurf eines Gewalt-
schutzgesetzes soll die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert
werden, dass Gewalt in jeder Form zu ächten ist. Miss-
handelte Frauen, die sich zur Trennung von ihrem Partner
entschließen, bekunden häufig, dass an erster Stelle für sie
der Wunsch nach Schutz vor weiterer Gewalt steht, der
Wunsch nach Bestrafung des Täters zweitrangig ist.

Herr Pofalla, ich denke, Sie haben zwar Recht, dass es
möglicherweise Lücken gibt. – Wo ist er denn überhaupt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Er ging gerade hinaus! – Renate Gradistanac [SPD]: Er schwächelt!)


– Er schwächelt, gut. – Aber angesichts der 45 000 Frauen,
die in der Unwägbarkeit leben, ob sie außerhalb ihrer
Wohnung, untergebracht in Frauenhäusern, Gerechtigkeit
erfahren, stehen Ihre Bedenken im Hinblick auf die weni-
gen Männer, die vor Gericht darlegen können, zu Unrecht
ihrer Wohnung verwiesen worden zu sein, in keinem Ver-
hältnis. Ich denke, das Gewaltschutzgesetz sollte in der
Form, wie es von der Bundesregierung vorgelegt worden
ist, verabschiedet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist zunächst, dass eine räumliche Trennung
vollzogen werden kann. Zudem muss gewährleistet sein,
dass die Frau und die Kinder nicht zu Hause oder andern-
orts aufgesucht und weiterhin bedroht oder misshandelt
werden. Wichtigster Baustein des Gewaltschutzgesetzes
ist daher das angestrebte Eilverfahren, mit dem betroffene
Frauen den gewalttätigen Ehemann oder Partner aus der
gemeinsam bewohnten Wohnung weisen können. Mit der
Zuweisung der Ehewohnung kann zunächst einmal eine
räumliche Distanz zwischen dem Täter und seinem Opfer
hergestellt werden.

Die Regelung, Partner einzubeziehen, ist unverzicht-
bar und gegenüber dem bisherigen Zustand neu. Bislang
hat die Polizei immer Schwierigkeiten, den Täter aus der
Wohnung zu weisen. Die Wegweisung ist möglich, soweit
eine weitere Straftat unmittelbar bevorsteht oder erhebli-
che Gefahr für Leib oder Leben des Opfers besteht. Wer
aber ist in der Lage, in dem Augenblick, in dem er bedroht
oder geschlagen wird, nachzuweisen, dass eine unmittel-
bar bevorstehende erhebliche Gefahr droht? Wer kann so
etwas in einer solchen Situation? Es darf nicht sein, dass
das Opfer – wie heute vielfach üblich – mit den Kindern
aus der Wohnung ausziehen muss und der Täter in den ei-
genen vier Wänden bleibt. Ich denke, hier besteht die Not-
wendigkeit, einen entsprechenden Schutz zu bieten.

Es kommt noch eines hinzu: Gewalt im familiären Be-
reich bezieht sich nicht nur auf Frauen. Eine gewalttätige
Atmosphäre in der Familie hat auch erhebliche Auswir-
kungen auf die Kinder. Gewalt gegen Kinder gehört lei-
der noch in vielen Familien zum Erziehungsalltag. Etwa
80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland
erfahren in unterschiedlichem Ausmaß Gewalt in der Er-
ziehung. Rund 1,3 Millionen Kinder werden körperlich
misshandelt, darunter 420 000 zum wiederholten Mal.

Sachsen-Anhalt hatte deswegen den Vorschlag unter-
breitet, den minderjährigen Kindern ein eigenes Antrags-
recht einzuräumen. Diese Anregung ist in den Gesetzent-
wurf bedauerlicherweise nicht aufgenommen worden.
Von dem Anwendungsbereich des Gewaltschutzgesetzes
sind minderjährige Kinder im Verhältnis zu ihren Eltern
und anderen sorgeberechtigten Personen noch immer aus-
genommen. Für diese gilt daher nur das Vormundschafts-
recht. Aber dieses ist als Anspruchsgrundlage für den
Schutz der Kinder nicht ausreichend. Es ist nicht auf Si-
tuationen von häuslicher Gewalt ausgerichtet, in denen
Gewalt von nur einem Elternteil ausgeht. Aber das muss
auf längere Sicht nicht das letzte Wort sein. Ich halte ein
eigenständiges Recht des Kindes auf Schutz weiterhin für
erforderlich.

Mit dem heutigen Gesetzentwurf wird letztlich – des-
halb ist der gewählte Lösungsweg auch zu unterstützen –
Gewalt gesellschaftlich geächtet. Das macht den Frauen
Mut und gibt ihnen Hoffnung auf ein gewaltfreies Leben.
Ich bin froh und begrüße es – insoweit ist es mir egal, ob
es ein CDU-geführtes oder ein von einer anderen Partei
geführtes Land ist –, dass Baden-Württemberg, indem es
die zügige Umsetzung in das Polizeigesetz des Landes
vorgenommen hat, einen ersten Schritt gemacht hat. Nur,




Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt)

15210


(C)



(D)



(A)



(B)


die anderen Länder müssen nachziehen. Es kann nicht
sein, dass hier nur ein Land aktiv wird. Ich hoffe, dass hier
alle Fraktionen parteiübergreifend ein Gesetz verabschie-
den werden. Es ist wirklich die Kraft aller Fraktionen er-
forderlich, um das Gesetz zu verabschieden, ein Gesetz,
das den Frauen und Kindern endlich Schutz vor Gewalt
bietet.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415512600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ilse Falk von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Ilse Falk (CDU):
Rede ID: ID1415512700
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Internationaler Frauentag auf der
Tagesordnung des Deutschen Bundestages – mehr als nur
eine Pflichtübung? Gewaltschutzgesetz und Aktionsplan
gegen Gewalt gegen Frauen – hatten wir so etwas nicht
schon tausendmal? Die einen – das ist, wie wir unschwer
erkennen können, die große Mehrzahl – gehen erst gar
nicht hin, weil sie wesentlich Wichtigeres zu erledigen ha-
ben. Die anderen fühlen sich verpflichtet, freundlich-auf-
merksam zuzuhören, während ihre Gedanken eingedenk
ihrer vielen unerledigten Aufgaben wehmütig abschwei-
fen. Das ist das eine Handicap unserer Debatte.

Das andere können sicherlich alle schildern, die die
Reaktionen auf unser heutiges Thema im Vorfeld erlebt
haben: „Haha, Gewalt gegen Frauen! Da hab ich doch
neulich gehört ...“, und dann folgen einschlägige Stamm-
tischparolen, begleitet von einem breiten Grinsen, oder
– heftig und böse –: „Hier werden wir Männer kriminali-
siert und niemand sieht, wie vielen Männern ebenfalls
Gewalt angetan wird.“ Dann gibt es vielleicht noch dieje-
nigen, die sich die Mühe gemacht haben, eine Internet-
suchmaschine anzuwerfen, und dann im SeniorInnen-Net
auf eine Adelheid aus Grafenau gestoßen sind, die anläss-
lich des „Weltmarsches der Frauen 2000 – gegen Armut
und Gewalt“ eine Mitfahrgelegenheit sucht. Gleich an-
schließend verspricht eine „RBH-Online. Anarchistische
Buchhandlung“ weiterführenden Lesestoff zum Thema.
„Ach ja, die natürlich“, sind Sie versucht zu sagen, „die
haben Probleme!“

Solange aber psychische, körperliche und sexuelle Ge-
walt gegen Frauen und Kinder ein bedrückendes Phä-
nomen unserer Gesellschaft ist, so lange dürfen wir dieses
Thema weder ins Lächerliche ziehen noch es herabspielen
und auch nicht davon ablenken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: Solange es sie gibt, sind wir aufgefordert,
dagegen anzugehen, auch, indem wir sie immer wieder
thematisieren. Gewalt gegen Frauen ist noch immer die
am weitesten verbreitete Menschenrechtsverletzung in
unserer Welt, die auf ebenso subtile wie infame Weise oft
unausgesprochen als sozial adäquat toleriert wird.

Heute befassen wir uns vor allem mit der Bekämpfung
der häuslichen Gewalt. Wer nach den oben genannten
Beispielen nicht gleich im Internet aufgegeben hat, kann
hier – das ist das Gute am Internet – Dokumentationen
von Fachtagungen über Gewalterfahrungen von Frauen
und Kindern nachlesen, die einen das Gruseln lehren. Ge-
walt in den eigenen vier Wänden, dem Zuhause, ist oft er-
schreckender Alltag. Die Familie als Ort und Hort der
Liebe und Fürsorge lernen manche nur noch als sozialro-
mantisch verklärtes Märchenideal kennen. Daher halte
ich es für gerechtfertigt, wenn wir uns heute vor allem mit
Gewalt gegen Frauen und Kinder beschäftigen, ohne zu
verkennen, dass es auch Gewalt gegen Männer gibt.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür zu
sorgen, dass sich die Hoffnung, sich zu Hause am sichers-
ten fühlen zu können, nicht in immer mehr Fällen als trü-
gerisch erweist. Daher haben wir, die Opposition, es in der
ersten Debatte über den Aktionsplan gegen Gewalt gegen
Frauen im März des vergangenen Jahres ausdrücklich be-
grüßt, dass die Bundesregierung die bereits eingeleiteten
guten Maßnahmen der Vorgängerregierung aufgegriffen
hat und fortschreibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Vorbemer-
kungen zum Aktionsplan kritisiert die Bundesregierung
allerdings – ich zitiere –:

Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung

(zum Beispiel häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Sexualdelikte etc.)

auch zu punktuellen Verbesserungen.

Das gestehen Sie großzügig zu.
Themen wie auch Projekte wurden oftmals durch die
jeweilige öffentliche Diskussion bestimmt und folg-
ten keiner langfristig angelegten Strategie. Dies mag
mit ein Grund dafür sein, dass sich an der Tatsache
der Gewalt gegen Frauen bis heute wenig geändert
hat.

Sie werden inzwischen die Erfahrung gemacht haben,
aus wie vielen Einzelpunkten sich ein solches Gesamt-
konzept zusammensetzt und wie mühsam es sein kann, bis
jeder Einzelpunkt durchgekämpft ist. Das Gewaltschutz-
gesetz ist dafür ein nachdrückliches Beispiel, war es doch
vor einem Jahr schon als eigentlich fertig angekündigt.

In unserem Antrag vom Januar 2001, der heute auch
zur Debatte steht, haben wir deshalb erneut unterstrichen,
dass wir die tatsächliche Umsetzung des Gesamtkonzep-
tes kritisch verfolgen, vor allem da im Aktionsplan wenig
konkrete Aussagen, unter anderem auch in Bezug auf die
mögliche Finanzierung der angekündigten Projekte, ge-
macht wurden.

Besonders wichtig waren und sind für uns die schuli-
schen Präventionsmaßnahmen wie das von Ihnen
geplante Projekt zur Entwicklung, Erprobung und Ver-
breitung eines an Schülerinnen orientierten Gewaltpräven-
tions- und Fortbildungskonzepts. Nach Aussagen von Ih-
nen, Frau Dr. Niehuis, soll dieses Projekt in diesem Jahr
starten. Über die Finanzierung wollten Sie uns Anfang die-
ses Jahres informieren. Wir warten gespannt darauf.




Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt)


15211


(C)



(D)



(A)



(B)


Prävention ist für uns das zentrale Handlungsgebot, um
die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Kinder lernen Ge-
walt von Eltern, erfahren Gewalt und üben dann oft selbst
Gewalt aus. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher sowie
Lehrerinnen und Lehrer müssen hier zusammenwirken.

Besonders wichtig ist dabei die Stärkung der Erzie-
hungsfähigkeit der Eltern und die Wertevermittlung in Fa-
milie und Schule.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Familienbildung und Familienberatung, die zielge-

nau bei den Problemen ansetzt, müssen ein besonderes
Gewicht erhalten. Erziehen heißt übrigens auch, Grenzen
aufzuzeigen und deutlich zu machen, was man nicht darf.
Es sollte uns sehr nachdenklich machen, wenn Jugendli-
che zur Rechtfertigung von Gewaltspielen erklären, es sei
doch wohl besser, Aggressionen in solchen Spielen aus-
zuleben, als sie gegen Menschen zu richten. Aber ich
denke, da gibt es eine weitere Alternative, nämlich Ag-
gressionen beherrschen zu lernen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Aktionsplan befasst sich richtigerweise auch mit

der Rechtsetzung des Bundes. Dies ist ein wichtiger Punkt
in der Vorgehensweise gegen Gewalt. So sagte der ameri-
kanische Jurist Neil Lawsen einmal treffend:

Das Gesetz kann niemanden zwingen, seinen Nächs-
ten zu lieben. Aber es kann es schwieriger für ihn ma-
chen, seinem Hass Ausdruck zu geben.

Daher begrüßen wir es, dass nun das Gewaltschutzge-
setz vorliegt. Im Einzelnen haben sich die Kollegin
Fischbach und der Kollege Pofalla dazu geäußert. Des-
wegen nur noch eine Anmerkung zum Aktionsplan. Ich
habe einen deutlichen Nachfragebedarf in Bezug auf Tä-
tertherapien. Ohne diesen Aspekt scheint mir auch die-
ses Gesetz nur unzureichend und kein gutes Beispiel für
ein schlüssiges Gesamtkonzept zu sein; denn auch für die
Täter, die ja nur allzu oft selbst Opfer sozialer Umstände
sind, brauchen wir Beratungsangebote und sozialthera-
peutische Trainingsprogramme. Die Justizministerin hat
eben selbst darauf hingewiesen. Sie nehmen in dem Akti-
onsplan auch Bezug auf die speziellen Lern- und Trai-
ningsprogramme für gewalttätige Partner, die in dem Ber-
liner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt
entwickelt werden. Dazu heißt es wörtlich:

Das BMFSFJ wird die Berliner Erfahrungen mit den
speziellen Täterkursen Anfang 2001 veröffentlichen
und zur Diskussion stellen.

Dazu habe ich heute nichts gehört. Es interessiert mich
natürlich auch, wie es mit der Finanzierung sozialer Trai-
ningskurse aussieht.

Ich will den Blick nicht auf den Täter lenken, etwa um
ihn zu entschuldigen oder zu verharmlosen; denn damit
würde das Opfer ein zweites Mal gedemütigt und ver-
höhnt, wie die Leiterin eines Frauenhauses zu Recht sagt.
Aber erstens frage ich Sie: Birgt nicht jede Gewalt ein
Element von Verzweiflung, wie schon Thomas Mann be-
merkte, der wir nachgehen müssen? Zweitens. Machen
wir uns doch nichts vor: Irgendwann muss auch an dieser

Stelle die Spirale der Gewalt durchbrochen werden. Sonst
wird neben aller Angst über einen viel zu langen Zeitraum
Schutz nötig sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist Internatio-
naler Frauentag und da müssen wir uns einmal mehr klar-
machen, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder weltweit
zunimmt und Frauen die Realität von Gewalt in der Inti-
mität einer Beziehung ebenso erleben wie in Kriegen, in
denen Vergewaltigungen als ein Mittel des Krieges ein-
gesetzt werden. Es ist ein gutes Signal – Frau Ministerin
Bergmann hat gerade darauf hingewiesen –, dass das
Kriegsverbrechertribunal der UNO vor zwei Wochen drei
bosnische Soldaten wegen Folter und Vergewaltigung
moslemischer Mädchen und Frauen zu langjährigen
Haftstrafen zwischen 12 und 28 Jahren verurteilt hat. Die-
ser Prozess war der erste Kriegsverbrecherprozess, in dem
sexuelle Gewalt gegen Frauen als alleiniger Ankla-
gepunkt zur Verhandlung anstand. Dies ist eine Genugtu-
ung für die betroffenen Frauen. Aber wer von uns kann
sich vorstellen, was es heißt, nicht nur mit den dauerhaf-
ten Gesundheitsschäden zu leben, sondern wohl auch die
seelischen Verletzungen niemals wieder loszuwerden?

Lassen Sie uns alle Kraft darauf verwenden, wenigs-
tens da, wo wir selber Einfluss nehmen können, alles zu
tun, um Kindern und Frauen solche Verletzungen zu er-
sparen. Lassen Sie uns über Fraktions- und Aus-
schussgrenzen hinweg dieses wichtige Thema beraten.
Der Rechtsausschuss ist zwar der federführende Aus-
schuss, ich denke aber, auch die Mitglieder des Familien-
ausschusses sollten bei diesem Thema die Stimme sehr
deutlich erheben; so werden wir gemeinsam ein gutes Er-
gebnis erzielen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415512800
Als nächs-
te Rednerin hat die Kollegin Renate Gradistanac von der
SPD-Fraktion das Wort.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1415512900
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Heute auf den Tag genau vor 90 Jahren for-
derte Clara Zetkin anlässlich des Internationalen Frauen-
tages für ihre Zeitgenossinnen das Wahlrecht als Grund-
lage politischer Teilhabe und damit gesellschaftlicher
Gestaltungsmacht. Seitdem kämpfen Frauen und intel-
ligente, emanzipierte Männer und haben einiges erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


1958 tritt zum Beispiel das Gleichberechtigungsgesetz
in Kraft. Das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns in
allen Eheangelegenheiten wird ersatzlos gestrichen und
das Recht des Ehemanns, ein Dienstverhältnis seiner Frau
fristlos zu kündigen, wird aufgehoben. Das war auch eine
Form von Gewalt.

Wenn das vorliegende Gewaltschutzgesetz verab-
schiedet sein wird, haben Frauen, die von häuslicher Ge-




Ilse Falk
15212


(C)



(D)



(A)



(B)


walt durch ihre Partner betroffen sind, die Möglichkeit, zu
wählen: Sie können mit ihren Kindern in eines von über
400 Frauenhäusern gehen oder zu Hause bleiben, denn der
Gewalttäter wird der Wohnung verwiesen. In Baden-
Württemberg wird in verschiedenen Modellstädten die
Wegweisung erfolgreich praktiziert. In konservativen
Kreisen staunt man, dass der „Herr des Hauses“ gehen
muss und Frau und Kinder, die so genannte Restfamilie
– ein Unwort –, in ihrem gewohnten Umfeld bleiben kön-
nen. Wieso diese Empörung, jedenfalls höre ich sie immer
wieder, wenn der Täter gehen muss?

Seit mehr als 25 Jahren thematisiert, hat sich an der all-
täglichen Gewalt gegen Frauen kaum etwas geändert. Mit
dem Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen liegt erstmals ein umfassendes
und ressortübergreifendes, nachhaltiges und effektives
Gesamtkonzept vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei geht es nicht nur um punktuelle Maßnahmen und
individuelle Hilfestellungen wie in der Vergangenheit. Es
sind strukturelle Veränderungen auf allen Ebenen not-
wendig. Seit der Einbringung des Aktionsplans in den
Deutschen Bundestag ist nicht nur für mich Entscheiden-
des passiert.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, es ist die
Aufgabe der Opposition, also auch Ihre Aufgabe, gute
Ideen einzubringen, gegebenenfalls Druck zu machen
und, wie im vorliegenden Fall, einen Antrag zu stellen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon getan!)


Ich zitiere aus Ihrem Antrag:
Der Deutsche Bundestag begrüßt ein solches Ak-
tionsprogramm ...

Das freut mich sehr. Wenn es allerdings an die Verab-
schiedung und an die Umsetzung von Gesetzen gegen die
Gewalt an Frauen und Kindern ging, dann haben Sie,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dagegen
gestimmt.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Aber das hat ganz andere Gründe, Frau Kollegin! Das wissen Sie aber!)


Ich höre, dass Sie sich für die Zukunft etwas anderes vor-
genommen haben.

Erstes Beispiel. Der Aktionsplan legt großen Wert auf
präventive Maßnahmen. Mit dem Gesetz zur Ächtung
von Gewalt in der Erziehung wird unmissverständlich
festgehalten: Gewalt ist kein Mittel der Erziehung; kör-
perliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere
entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht darum, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu
stärken.

Leider haben Sie, Frau Fischbach von der CDU, als
ehemalige Vorsitzende der Kinderkommission mit Ihren

Kolleginnen und Kollegen diesem wichtigen Gesetz, das
zu einer friedfertigeren Gesellschaft hinführen soll, nicht
zugestimmt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415513000
Frau Kol-
legin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Geis?


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1415513100
Nein, danke.
Zweites Beispiel. Die Neuregelung des § 19 Auslän-

dergesetz unterstützt Frauen ausländischer Herkunft, die
mit einem deutschen oder ausländischen Mann verheira-
tet und von Gewalt bedroht sind. Für misshandelte Frauen
ist die Mindestdauer der für die Erlangung eines eigen-
ständigen Aufenthaltsrechts erforderlichen Ehejahre von
vier auf zwei Jahre verkürzt worden. Auch diese Verbes-
serung für die ausländischen Frauen haben Sie, meine Da-
men und Herren von der CDU/CSU, abgelehnt.

Lassen Sie mich am heutigen Frauentag abschließend
zusammenfassen: Mein Dank richtet sich an die beiden
Ministerinnen Herta Däubler-Gmelin und Christine
Bergmann. Das Programm „Frau und Beruf“ mit seinem
neuen Elternzeitgesetz und das Aktionsprogramm zur
Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen sind unverzicht-
bare Bausteine, um Clara Zetkins Forderung „Frauen-
rechte sind Menschenrechte“ weiter umzusetzen. Gewalt
ist ein Zeichen von Schwäche, nicht von Stärke.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/CSU/CSU])


Das gilt übrigens auch für verbale Gewalt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415513200
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ingrid
Fischbach das Wort.


Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1415513300
Frau Kollegin
Gradistanac – ich hoffe, ich habe Ihren Namen richtig aus-
gesprochen; ich habe es geübt –, Sie waren bei der Verab-
schiedung des Gesetzes zu gewaltfreier Erziehung dabei.
In Ihrer Darstellung haben Sie so getan, als hätten die
CDU/CSU-Fraktion und auch meine Person gegen die ge-
waltfreie Erziehung gestimmt, das heißt, wir hätten ei-
gentlich dafür gestimmt, dass Kinder mit Gewalt erzogen
werden.

Erste Klarstellung. Sie haben dieses Gesetz mit Unter-
haltungsregelungen verknüpft. Unsere Kollegen im
Rechtsausschuss haben deutlich gemacht, wo unsere
Fraktion diesbezüglich Probleme sieht. Wenn Ihnen der
Rechtsanspruch so wichtig gewesen wäre, dann hätten Sie
dazu ein Einzelgesetz vorlegen können.

Zweite Klarstellung. Wir haben Ihnen den Vorschlag
gemacht, die Formulierung des Bundesrates „Kinder sind
gewaltfrei zu erziehen“ zu übernehmen. Ich habe Ihnen
in meiner Funktion als Vorsitzende der Kinderkommis-
sion bewusst gesagt: Ich kann es für meine Person
nicht verantworten, Kindern und Jugendlichen einen




Renate Gradistanac

15213


(C)



(D)



(A)



(B)


Rechtsanspruch vorzugaukeln, der überhaupt nicht justi-
ziabel ist. Sie haben praktisch kein Recht. Deshalb habe
ich gesagt: Lasst uns ehrlich sein und festschreiben, dass
Kinder gewaltfrei zu erziehen sind. – Das möchte ich zur
Klarstellung in Bezug auf die damalige Entscheidung sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415513400
Möchten
Sie erwidern, Frau Gradistanac?


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1415513500
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415513600
Bitte
schön.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1415513700
Frau Fischbach, nach
meiner Meinung ging es bei dem Gesetz in erster Linie da-
rum, den Wert einer gewaltfreien Erziehung zu dokumen-
tieren. Ich wiederhole: Das Gesetz sollte den Eltern, die
Hilfe brauchen, einen Rechtsanspruch auf Hilfe gewähren
und sie in ihrer Erziehungskompetenz unterstützen. Ich
denke, in diesem Punkt hätten wir gut gemeinsam etwas
tun können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415513800
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Anni Brandt-Elsweier von der SPD-
Fraktion.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1415513900
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“ Wer
kennt es nicht, das gern benutzte Nietzsche-Zitat aus dem
Jahre 1884? Wer es heutzutage verwendet, wird Ihnen im
gleichen Atemzug sagen, dass es nur ironisch und nicht
frauenfeindlich gemeint sei. Ich frage: Wirklich nicht?
Die Realität spricht leider eine andere Sprache.

Gewalt an Frauen ist ein uraltes Problem. Gewalt galt
in früheren Zeiten ganz allgemein als ein anerkanntes le-
gitimes Mittel, sowohl in der Erziehung als auch in der
Ehe. Noch im Allgemeinen Preußischen Landrecht von
1774 war das „Recht der mäßigen Züchtigung“ des Ehe-
mannes gegenüber seiner Ehefrau festgeschrieben. Wenn
dieses Recht auch 1812 per Edikt gestrichen wurde, so
nahm man auf juristischer Ebene diese rechtliche Verän-
derung kaum zur Kenntnis, sodass das Züchtigungsrecht
des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau erst mit der
Einführung des BGB im Jahre 1900 als abgeschafft gelten
kann. Bis vor etwa 100 Jahren war es dem Ehemann also
durchaus erlaubt, seine Frau zu schlagen.

Ich würde gerne sagen, das ist Schnee von gestern.
Doch leider ist das nicht so. Die gesellschaftliche Realität
sieht nämlich anders aus. Gerade die Ehe und die Familie,
die der Hort der Geborgenheit und des Schutzes sein soll-
ten, stellen sich immer häufiger als Ort des Schreckens
und der Gewalt dar. Die häusliche Gewalt ist in der Tat ei-

nes der größten Probleme der Gewaltkriminalität über-
haupt. Die überwiegende Zahl der Opfer sind Frauen. Die
entsprechenden Zahlen sind mehrfach genannt worden;
ich brauche sie nicht zu wiederholen.

Über das tatsächliche Ausmaß der Gewalt in all ihren
Erscheinungsformen lassen sich keine gesicherten Aussa-
gen machen, unter anderem deshalb – auch das ist bereits
gesagt worden –, weil viele Frauen Gewalttaten innerhalb
der Partnerschaft nicht anzeigen. Häufig dominieren
Schamgefühl und die Auffassung, dass es sich um eine
Privatsache handelt, und auch das Gefühl, die Polizei und
der Staat können ohnehin nichts bewirken.

All diese Gewaltformen haben letzten Endes die glei-
che Ursache. Sie beruhen auf dem Abhängigkeitsverhält-
nis, das in unserer Gesellschaft großenteils immer noch
die Beziehung zwischen Mann und Frau beherrscht. Die
männliche Vormachtstellung ist über Jahrhunderte für
viele, auch für Frauen, zu einer solchen Selbstverständ-
lichkeit geworden, dass wir sie in ihren subtilen Formen
manchmal fast nicht mehr bemerken. Oft wird sie ver-
schleiert und tabuisiert.

Hin und wieder kommen diese uralten Rollenvorstel-
lungen ganz unverblümt ans Tageslicht. So sagte mir vo-
rige Woche ein Besucher einer Veranstaltung, als er von
dem Gewaltschutzgesetz hörte: „Wenn mich meine Frau
provoziert, rutscht mir schon mal die Hand aus. Und dann
soll ich auf die Straße? Undenkbar!“ Hinzu kommt auch,
dass die Privatsphäre innerhalb der modernen Familie
deutlich Vorrang hat, sodass nahezu jede öffentliche Kon-
trolle entfällt. Familienmitglieder und Nachbarn fühlen
sich nicht mehr zuständig nach dem Motto „Da mischen
wir uns nicht ein“.

Aber die hinter Wohnungstüren verübte Gewalt ist kein
Unglück, sondern ein Unrecht und somit ein Problem des
öffentlichen Interesses, dessen sich der Staat anzunehmen
hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Irmgard Karwatzki [CDU/CSU])


Wo private Schutzmechanismen nicht mehr funktionie-
ren, ist der Gesetzgeber gefordert. Ich bin froh, dass wir
mit dem vorliegenden Gewaltschutzgesetz endlich einen
verbesserten Schutz für die Opfer häuslicher Gewalt ge-
währleisten und damit ein Anliegen umsetzen können, das
wir bereits in der letzten Legislaturperiode verfolgt haben.

Die bereits erwähnte Kampagne der letzten Regierung
„Gewalt gegen Frauen“ mag ja zu einem Bewusstseins-
wandel geführt haben; sie hat aber nicht zu konkreten
Maßnahmen und Gesetzen geführt. Das von der SPD be-
reits 1995 in den Bundestag eingebrachte Gesetz über die
erleichterte Zuweisung der Ehewohnung wurde von der
Mehrheit nicht akzeptiert.


(Dr. Edith Niehuis [SPD]: So war das!)

Kampagne ja, konkrete Hilfe nein.


(Renate Gradistanac [SPD]: Genau so war es!)

Der uns vorliegende Gesetzentwurf bietet konkrete

Hilfen an. Ich weise, meine Damen und vor allen Dingen
meine Herren, ausdrücklich darauf hin, dass der Gesetz-




Ingrid Fischbach
15214


(C)



(D)



(A)



(B)


entwurf nicht geschlechtsspezifisch formuliert ist. Er
schützt nicht nur Frauen, sondern gegebenenfalls auch
geschlagene Männer, die in ihren Familien Opfer von
Gewalttaten geworden sind.

Aber leider spricht die Statistik eine andere, klare
Sprache. Es sind eben in der Mehrzahl Frauen, die Opfer
dieser Gewalt werden. Darum ist es heute, am 8. März,
dem Internationalen Frauentag, nicht nur ein symboli-
scher Akt, diesen Gesetzentwurf in den Bundestag einzu-
bringen. Der 8. März ist traditionell ein Tag, am dem für
die Rechte der Frauen nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit gestritten wird. Wir haben in den letzten Jahr-
zehnten manches, auch gemeinsam, erreicht, aber wir ha-
ben noch vieles vor uns.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist genau der richtige Tag, um auf dem langen Weg zum
selbstbestimmten und gleichberechtigten Miteinander ei-
nen weiteren Schritt vorwärts zu gehen. Was könnte es
heute also Besseres geben als die Einbringung des Ent-
wurfs eines Gewaltschutzgesetzes?

Ich hätte gerne Herrn Pofalla noch persönlich ange-
sprochen. Denn ich denke, die Gefahr des Missbrauchs
kann kein Gesetz völlig ausschließen. Das ist meine Er-
fahrung. Ich habe aber auch das notwendige Vertrauen in
die Gerichte, dass sie grundsätzlich Recht sprechen. Dass
sie belogen werden, lässt sich nicht ausschließen, auch
nicht durch das beste Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn zukünftig eine Frau durch den Partner regelrecht
grün und blau geschlagen wird, so kann sie nach der
neuen Regelung im Eilverfahren vor den Zivilgerichten
wirksame Schutzmaßnahmen erwirken. Dem Gewalt-
tätigen wird bei Strafe verboten, sich der Wohnung oder
der Betroffenen selbst zu nähern. Auch kann die misshan-
delte Frau leichter durchsetzen, dass ihr die gemeinsame
Wohnung zeitlich befristet oder dauerhaft zur alleinigen
Nutzung zugewiesen wird.

Besonders wichtig war und ist auch, dass bei Nach-
stellungen und erheblichen Belästigungen außerhalb einer
Partnerschaft gerichtliche Schutzanordnungen auf klarer
gesetzlicher Grundlage ermöglicht werden. So können die
Zivilgerichte künftig zum Schutz des Opfers wirksam rea-
gieren, wenn jemand von einer anderen Person, etwa aus
unerwiderter Liebe oder aus Rachegefühlen, durch nächt-
liche Telefonanrufe oder eine Flut von E-Mails mit ob-
szönem Inhalt terrorisiert oder sogar Tag und Nacht ver-
folgt wird. Es gibt dafür genügend Beispiele.

Es wäre also schön, wenn als Folge des vorliegenden
Gesetzentwurfes – ich habe heute gehört, dass wir ge-
meinsam daran arbeiten wollen – Frauenhäuser dem-
nächst überflüssig würden und eventuell die Männer in
Männerhäusern zum Nachdenken über ihre „schlagkräfti-
gen“ Argumente gezwungen würden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415514000
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5429, 14/5093 und 14/5455 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Wiederherstellung des umfassenden Rechts auf
Vorsteuerabzug
– Drucksache 14/5223 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Jochen-Konrad Fromme von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1415514100
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir for-
dern die Wiederherstellung des umfassenden Rechtes auf
Vorsteuerabzug, insbesondere bei den Reisekosten und
bei den Personenkraftwagen. Sie hatten es als Koalition
im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999 – man
muss sich das auf der Zunge zergehen lassen – abge-
schafft. Wir haben Sie von Anfang an vor dieser Regelung
gewarnt und aufgrund der Rechtsprechung der Finanzge-
richte immer wieder aufgefordert, endlich zu handeln.

Lassen Sie mich einmal aus einer Antwort von Ihnen
zitieren:

Die Frage der Vereinbarkeit der Einschränkung des
Vorsteuerabzugs mit Art. 17 Abs. 6 der 6. Umsatz-
steuer-Richtlinie ... stellt sich somit nicht.

So waren Ihre arroganten Antworten, bis dann der Bun-
desfinanzhof Ihnen ganz deutlich gesagt hat: Der Vor-
steuerabzug ist ein tragendes Element des Mehrwertsteu-
errechtes und deshalb kann es grundsätzlich keine
Einschränkungen geben. Entsprechende Ausnahmen – es
gibt hinsichtlich der Einhaltung der Richtlinie ja keine
Wahlfreiheit – gibt es auch für die Bundesrepublik
Deutschland nicht.

Die Rechtslage ist so eindeutig, dass es im Urteil des
Bundesfinanzhofes heißt:

Eine Vorlage an den EuGH ... ist nicht geboten, weil
keine Zweifel an der Auslegung des ... Gemein-
schaftsrechts bestehen.

Sie aber haben in Ihrer arroganten Art und Weise all das
in den Wind geschlagen und haben versucht, sich




Anni Brandt-Elsweier

15215


(C)



(D)



(A)



(B)


nachträglich – ich betone: nachträglich – eine Ermächti-
gung dazu geben zu lassen.

Die Begründungen waren sehr unterschiedlich.
Zunächst haben Sie im Gesetzentwurf gesagt, es handele
sich um eine Vermischung von privaten und betrieblichen
Interessen. Außerdem haben Sie natürlich eine Finan-
zierungsmaßnahme für Steuersenkungen gesucht. In dem
Antrag, den Sie dann an die EU gestellt haben, haben Sie
gesagt, Sie möchten eine Einschränkung des Vorsteuerab-
zugs, um dessen Missbrauch zu bekämpfen. Der EU-Rat
hat dann in seiner Antwort gesagt, es gehe um eine Ver-
einfachung. Was wollen Sie denn nun eigentlich? Das ist
widersprüchlich hoch drei. Ich kann Ihnen sagen, was Sie
wollen: Abzocken, nichts weiter als abzocken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundesfinanzhof hat immer eindeutig gesagt:

Wenn ein Arbeitnehmer auswärtig tätig werden muss,
dann ist der Arbeitgeber für die Unterbringung zustän-
dig. Ein persönlicher Vorteil, wenn er denn überhaupt ge-
geben ist, ist so nebensächlich, dass es überhaupt keine
Frage ist, dass das zur Arbeitgebersphäre gehört und beim
Vorsteuerabzug auch so behandelt werden muss. Die lapi-
dare Begründung, die Sie gegeben haben – Essen und
Schlafen seien stets Privatsache –, kann doch hier nicht
ziehen. Sie verkennen schlicht und einfach die Realitäten:
Das Essen zu Hause ist billiger als das Essen unterwegs.
Können Sie denn das Schlafzimmer zu Hause in der Zeit,
in der Sie nicht zu Hause sind, vermieten? Ich möchte mal
sehen, was Ihre Ehefrauen bzw. Ehemänner dann sagen.

Sie tun doch so, als wäre eine Dienstreise eine vergnü-
gungssteuerpflichtige Angelegenheit. Ich warte jedenfalls
nur darauf, dass Sie eine Vergnügungsteuer für Dienstrei-
sen einführen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Die Realität sieht doch ganz anders aus. Ich jedenfalls
empfinde eine Dienstreise und die Trennung von der Fa-
milie als Belastung. Ich muss natürlich zugeben: Manch
einer, der schon drei- oder viermal gewechselt hat, mag
das anders empfinden und flüchten wollen. Aber für den
Normalfall gilt das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihre Regelung hat zu erheblichen Gewinneinbrüchen

im Gastgewerbe geführt. Insbesondere in Kombination
mit der 630-Mark-Regelung hat dies Arbeitsplätze ver-
nichtet und nicht geschaffen.

Das Gleiche gilt für das Kraftfahrzeuggewerbe.
Wir haben immer wieder von den Händlern gehört, dass
aufgrund Ihrer Maßnahmen der Absatz zurückgegangen
ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Das Steuerrecht kann keine Arbeitsplätze schaffen; es
kann aber Arbeitsplätze in erheblichem Maße vernichten,
nämlich wenn man Regelungen schafft, die schädlich
sind. Diese Regelung hat eher dazu beigetragen, dass
Arbeitsplätze vernichtet worden sind, als dazu, dass
Arbeitsplätze geschaffen worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Steuerpolitik hat immer zwei Elemente: ein fiskali-
sches und ein wirtschaftspolitisches.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Die sehen nur das fiskalische!)


Unter dem Deckmantel des Steuerentlastungsgesetzes ha-
ben Sie aber keine Entlastung, sondern eine Belastung ge-
schaffen. Bei Ihnen hat nichts weiter gezählt als das fis-
kalische Interesse; denn wenn man einmal in das
Finanztableau hineinschaut, sieht man dort 1,5 Milliarden
DM an Steuermehreinnahmen. Ihr Ziel war also nicht
wirtschaftspolitischer Art, sondern Ihr Ziel war Ab-
zocken.

Sie sagen, Sie wollen die Steuerquote senken, und ma-
chen eine Riesensteuerreform. Dann frage ich mich, wie
es in den letzten Tagen zu der Meldung kommen konnte:
Steuerquote um 0,1 Prozent gestiegen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


Ich denke, Sie haben gerade die größte Steuerreform des
Jahrhunderts auf den Weg gebracht. Das hätte doch be-
deuten müssen, dass die Leute weniger Steuern zahlen
statt mehr. Aber das ist bei Ihnen eben nicht so.

Meine Damen und Herren, Sie lassen den Steuerzah-
ler wieder einmal alleine. Es ist doch völlig klar, dass bei
der PKW-Nutzung Privatanteile versteuert werden
müssen. Dafür gibt es ganz eindeutige und klare Rege-
lungen. Was passiert denn jetzt? – Sie lassen die Steuer-
pflichtigen im Hinblick auf die PKWs mit dem formalen
Argument alleine, der EuGH habe ja auf den Vorlagebe-
schluss des Bundesfinanzhofes noch nicht entschieden.
Ist Ihnen denn entgangen, dass der EuGH schon einmal
zu einer entsprechenden französischen Regelung ganz
klar Nein gesagt hat? Damit ist doch völlig klar, was hier
kommen wird. Es wird genauso kommen wie bei den
Reisekosten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Uneinsichtig wie immer!)


Was geschieht in der Zwischenzeit? Jeder Steuer-
pflichtige muss sich doch jetzt sagen, dass er, wenn die
Bundesregierung und die Koalition nicht bereit sind, die
Gesetzeslage dem materiellen Recht anzupassen, gegen
seinen Steuerbescheid Einspruch einlegen muss. Das
heißt, es müssen alle Steuerbescheide, die die Mehrwert-
steuer in puncto Reisekosten und in puncto PKW-An-
schaffung betreffen, offen gehalten werden. Die An-
gehörigen der steuerberatenden Berufe beraten doch auch
in diese Richtung. Sie sagen: Bitte legt Einspruch ein, da-
mit ihr euch später eure Rechte sichern könnt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!)


Nach den Erfahrungen, die wir bei der Abwicklung des
Kindergeldes gemacht haben,


(Zuruf von der CDU/CSU: Bürokratismus pur!)


als Sie zunächst sagten, jeder bekomme es, und es dann
nicht jeder bekam, weil es Schwierigkeiten bei der Ab-




Jochen-Konrad Fromme
15216


(C)



(D)



(A)



(B)


wicklung gab, ist doch zu erwarten, dass jeder Einspruch
einlegt. Meine Damen und Herren, Millionen von Steuer-
bescheiden werden nicht rechtskräftig! Wer will eigent-
lich am Ende – bei den AfAs haben wir ja genau dieselbe
Situation – noch durchsteigen, wenn in der Finanzver-
waltung keine Bescheide rechtskräftig abgeschlossen
werden?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Hier wird doch wieder einmal deutlich, wie Sie auch
die einzelnen am Wirtschaftsleben Teilnehmenden un-
terschiedlich behandeln. Für die Großbetriebe ist das
kein Problem. Sie haben große Steuerabteilungen und
können das durchstehen. Aber was ist mit dem kleinen
Selbstständigen, mit dem Mittelständler? Er verzweifelt
und muss sich fügen. Er kann am Ende die Rechte nicht
wahrnehmen, die ihm eigentlich zustehen; denn Sie ent-
halten sie ihm vor, obwohl Sie dies mit einem einzigen
Federstrich im Gesetzblatt – das ist überhaupt kein
großes Problem – mit breiter Mehrheit sofort ändern
könnten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Es ist immer dasselbe!)


Sie halten es in all diesen Fragen so wie mit den Ar-
beitnehmern. Da ist Wahlkampf in Baden-Württem-
berg. Da lassen Sie Ihren Herrn Spiller mal eben schnell
verkünden, die Arbeitnehmerabfindungen und die
Handelsvertreterabfindungen sollen geregelt werden.
Der Bundesfinanzminister hat gestern im Finanzaus-
schuss gesagt, überhaupt nichts tut sich; das komme
überhaupt nicht in Frage. Nach vorn wollen Sie popu-
listisch Wahlkampf machen und hinterher tun Sie das
Versprochene nicht. Das lassen wir Ihnen nicht durch-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In all diesen Fragen verhalten Sie sich arbeitnehmer-

und insbesondere mittelstandsfeindlich. Das bedeutet,
Ihre einzige steuerpolitische Linie ist abzocken, abzocken
und nochmals abzocken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie waren auch schon einmal besser!)


– Ach, Herr Grotthaus, ich wusste ja, dass Sie es nicht ver-
stehen und dass Sie nicht zuhören.


(Lachen bei der SPD)

Es ist doch ganz einfach. Die Entscheidungen liegen klar
auf der Hand. Und weil sie klar auf der Hand liegen, muss
es auch geändert werden. Wir werden uns hier, wenn der
EuGH entschieden hat, noch über die Gesetzesänderung
unterhalten. Der große Unterschied ist nur, dass Sie viel
Verwaltungsaufwand sparen würden, wenn Sie es gleich
machten, Verwaltungsaufwand, der niemandem etwas
nützt, aber viel Frust verursacht.

Meine Damen und Herren, auch das Steuerrecht muss
doch Menschen zur Leistung motivieren. Das bedeutet:
Wenn Sie unnötigen Druck bei der Reisekostenregelung

machen, dann wird die Qualität der Unterbringung durch
die Betriebe abgesenkt. Das ist doch nicht gerade arbeit-
nehmerfreundlich.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Arbeitnehmer interessieren die schon lange nicht mehr!)


Das gerade für die Leistungsträger in der Wirtschaft wirk-
lich motivierende Mittel der privaten PKW-Nutzung wird
von Ihnen auf diese Art und Weise kaputtgemacht. Sie
wollen mit Ihrer Steuerpolitik doch gar nicht wirklich die
Wirtschaft positiv beeinflussen; denn sonst würden Sie
sich in solchen relativen Kleinigkeiten, die aber psycholo-
gisch von ganz großer Wichtigkeit sind, nicht so hart-
näckig und so unbelehrbar zeigen, wie Sie das in dieser
Frage tun.

Meine Damen und Herren, wir werden es ja erleben,
wenn dann Millionen von Steuerbescheiden in der Fi-
nanzverwaltung nachbearbeitet werden müssen. Dazu
kommt die Abwicklung der Ökosteuer.


(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Die Ökosteuer muss schon mit eingebaut werden!)


– Natürlich. Sie bekommen das Wort Ökosteuer so oft zu
hören, bis Sie es nicht mehr hören wollen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jeden Tag!)

Denn es ist klar: Auch das wendet sich gegen den kleinen
Mann und nicht gegen den großen.

Mit der Ökosteuer haben Sie doch die Preise angetrie-
ben. Warum haben wir denn plötzlich im Monatsvergleich
eine Inflationsrate zwischen 2,5 und 3 Prozent? Das tun
gerade Sie als Sozialdemokraten. Das ist die unsozialste
Tat, die es gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wie blank die Nerven in der Koalition sind, sieht man
daran, dass Sie sich inzwischen offensichtlich in Ihren
Fraktionssitzungen, wie man der „Bild“-Zeitung entneh-
men konnte, mit dem „Autofahrergruß“ begrüßen. Das ist
keine vorbildliche Politik. Seien Sie vernünftig! Beseiti-
gen Sie eine Bestimmung, die nur hinderlich ist und von
der jeder weiß, dass sie fallen muss!

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415514200
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Simone
Violka von der SPD-Fraktion.


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1415514300
Herr Präsident! Sehr geehrte
Damen und Herren Abgeordnete! Als ich den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion zum ersten Mal gelesen habe, fiel
mir sofort auf, dass die Opposition wohl doch beginnt,
lernfähig zu werden.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Was heißt „werden“? Sie ist es! Sie sollten endlich lernfähig werden!)





Jochen-Konrad Fromme

15217


(C)



(D)



(A)



(B)


Denn immerhin geben Sie in Ihrem Antrag zu, dass die
Menschen in diesem Land durch das Steuerentlastungs-
gesetz auch tatsächlich entlastet werden.


(Beifall bei der SPD)

Bisher ließen Sie doch keine mögliche und auch unmög-
liche Gelegenheit verstreichen, genau das zu bestreiten.
Ich kann nur hoffen, dass sich da bei Ihnen so langsam die
rechte Einsicht durchsetzt – außer vielleicht bei Herrn
Fromme, der das soeben wieder angesprochen hat.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Herr Fromme ist ein guter Mann!)


Herr Fromme, ich kann Ihnen eines sagen:
Steuermehreinnahmen haben auch etwas damit zu tun,
dass wir zu Beginn der Legislaturperiode über 70 Son-
dertatbestände abgeschafft haben und dass Menschen mit
einem sehr hohen Einkommen, die bis zu diesem Zeit-
punkt ihre Steuerschuld sehr stark herunterrechnen konn-
ten, plötzlich Steuern zahlen müssen. Ich verstehe schon,
dass derjenige, der ein hohes Einkommen hat und dieses
bisher netto wie brutto einstreichen konnte, nicht begeis-
tert darüber ist, nun plötzlich dafür Steuern zahlen zu
müssen.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Aber ihr zockt doch den Mittelstand ab!)


Ich habe damit kein Problem. Denn ein Verdiener in der
unteren und mittleren Gehaltsklasse konnte das nicht.
Warum sollen sich eigentlich die Großen aus dem Steuer-
geschehen herauslösen dürfen?


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: 2,1 Milliarden DM Mehreinnahmen bei der Allianz!)


Ihr Antrag richtet sich gegen die im Rahmen des
Steuerentlastungsgesetzes beschlossene Gesetzesände-
rung zum Vorsteuerabzug. Sie beziehen sich dabei in
Punkt 3 auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. No-
vember 2000.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Zu Recht!)

In diesem Urteil bestätigt der Bundesfinanzhof die Ent-
scheidung des Landgerichts Hamburg. Dieser Richter-
spruch bezieht sich auf den Vorsteueranspruch aus Auf-
wendungen des Unternehmers, soweit er im eigenen
Namen Übernachtungsleistungen seiner Arbeitnehmer
bestellt hat und ihm darüber hinaus eine Rechnung ge-
stellt wird. So weit, so gut. Allerdings umfasst dieses Ur-
teil eben nicht ausdrücklich die kompletten Reisekosten,
wie Sie es in Punkt 3 Ihres Antrages fordern.


(Beifall bei der SPD – Ludwig Eich [SPD]: Hört! Hört!)


Während die Übernachtungen, wie eben beschrieben,
vom Unternehmer ausgelöst und beglichen werden kön-
nen, ist das im Bereich der Verpflegungskosten anders.
Die Verpflegung dient vorrangig der Befriedigung per-
sönlicher Bedürfnisse, die ebenso anfallen, wenn sich der
Mitarbeiter nicht auf Dienstreise befindet. Herr Fromme,
eines kann ich Ihnen sagen: Es gibt auch Menschen, die
sich auf Dienstreisen nicht in teuren Lokalen sehen lassen,

sondern sich von Schokoriegeln oder Milchschnitten
ernähren.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Du liebe Zeit! Mir kommen die Tränen! – Heidemarie Ehlert [PDS]: Das ist eine nicht gerade gesunde Ernährung! – Gegenruf von der CDU/CSU: Auch nicht im Sinne des Finanzministers!)


– Ja, Frau Ehlert, gesund ist das natürlich nicht. Aber es
bleibt Entscheidung des Mitarbeiters. Es ist seine Sache,
ob er sich an der Ecke eine Roster oder etwas anderes
kauft oder ob er essen geht. Dies wird nicht vom Chef
angeordnet. Insoweit ist dies Privatsache. Da geben Sie
mir mit Sicherheit Recht.


(Beifall bei der SPD)

Soweit es den Vorsteueranspruch aus Übernachtungs-

leistungen betrifft, beabsichtigt die Finanzverwaltung,
dieses Urteil zu akzeptieren. Dies wurde auch schon ge-
meinsam mit den zuständigen Finanzbehörden der Länder
erörtert. Allerdings lässt sich daraus nicht automatisch ab-
leiten, dass darunter auch der Vorsteueranspruch aus Ver-
pflegungskosten fällt. Dieses Thema ist zwar weiterhin
auch in den Finanzbehörden der Länder Beratungsgegen-
stand; aber es ist eben nur ein Beratungsgegenstand. Dazu
schon jetzt eine verbindliche Aussage zu treffen wäre völ-
lig verfrüht.

Natürlich wird in den jeweils zuständigen Stellen auch
dieser Punkt erörtert. Aber ohne eine genaue Untersu-
chung sowie Prüfung der Sachlage und der juristischen
Gegebenheiten wird es keine rechtsgültige Aussage ge-
ben. Das ist ein völlig legitimes Verfahren und es kann in
niemandes Interesse sein, solche Entscheidungen übers
Knie zu brechen.


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Jetzt haben Sie die falsche Seite abgelesen!)


– Es ist aus meiner Sicht durchaus legitim, etwas abzule-
sen. Denn ich habe es vorher selber geschrieben.


(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Gut!)


Auch wenn Sie vielleicht der Meinung sind: Dieses
Gesetz ist nicht verfrüht und unausgegoren in Kraft ge-
setzt worden. Es kommt aufgrund der Gewaltenteilung
durchaus vor, dass Gerichte zu anderen Auffassungen
kommen als der Gesetzgeber. Ich muss Sie, meine Damen
und Herren der CDU/CSU-Fraktion, doch sicher nicht
erst wieder daran erinnern, dass die beiden Entscheidun-
gen des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteue-
rung das Versagen der Familienpolitik der alten Koalition
seit 1982 offen gelegt haben.


(Beifall bei der SPD)

Dass es erst eines Bundesverfassungsgerichtsurteils be-
durfte, kennzeichnet Ihre arrogante Art, Herr Fromme –
aber den Familien gegenüber! Und das haben Sie jahre-
lang so gemacht.


(Beifall bei der SPD)





Simone Violka
15218


(C)



(D)



(A)



(B)


Meiner Meinung nach wurden hinsichtlich der Aus-
wirkungen des BFH-Urteils bereits die richtigen Schritte
eingeleitet. Allerdings müssen wir jetzt auch die Geduld
haben, das Ergebnis abzuwarten.

Sie sprechen sich in Ihrem Antrag auch gegen die Be-
schränkung des Vorsteuerabzugs aus Anschaffung und
Betrieb von gemischt genutzten Fahrzeugen aus. Die
Europäische Kommission hat sich ja mehrmals mit dem
gesamten Themenkomplex beschäftigt. Allerdings hat die
Kommission gegen die Beschränkung des Vorsteuerab-
zugs auf 50 Prozent bisher von sich aus keine Einwände
erhoben.

Sie ist der Auffassung – und hat dies am Beispiel der
Vorsteuereinschränkung für die Verwendung eines Miet-
wagens sowohl für unternehmerisch bedingte als auch für
privat bedingte Fahrten eines Unternehmers aufgezeigt –,
dass die Vorsteuereinschränkung von der deutschen Rege-
lung über die Beschränkung des Vorsteuerabzuges für
Fahrzeuge im Allgemeinen abgedeckt ist, die der Rat auf
der Grundlage von Art. 27 der 6. Mehrwertsteuer-Richtli-
nie genehmigt hat.

Man muss in diesem Zusammenhang wissen, dass der
Ausschluss der hundertprozentigen Abzugsfähigkeit ja
nicht in jedem Fall gilt. Eine geringe private Nutzung
schließt diese nämlich nicht automatisch aus. Es geht im
Abzugsfall um eindeutig gemischt genutzte Fahrzeuge.
Es betrifft also nicht den Taxifahrer mit eigenem Fahr-
zeug, der jeden Morgen und Abend von und zu seiner
Wohnung und von und zu seinem Taxiplatz fährt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Warum entscheidet der Bundesfinanzhof dann so eindeutig?)


Obwohl diese Fahrten als privat angesehen werden, sind
sie so geringfügig, dass einem hundertprozentigen Abzug
nichts im Wege steht.

Anders schaut es aus, wenn derselbe Taxifahrer außer-
dem noch regelmäßig mit dem Fahrzeug in den Urlaub
fährt oder das Auto regelmäßig in seiner Freizeit privat
nutzt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn das der Fall ist, muss es zu einem verminderten Ab-
zug der Vorsteuer kommen. Es ist selbstverständlich auch
im Sinne der SPD, dass der Unternehmer, welcher einen
solchen Fuhrpark aus betrieblichen Gründen betreibt,
auch voll in den Genuss des Vorsteuerabzuges kommt
– aber eben nur, wenn es sich um eine tatsächliche be-
triebliche Nutzung handelt.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU-Fraktion, in dieser Frage anderer Meinung
sind, dann bitte ich Sie, den vielen Menschen draußen, die
nicht selbstständig sind, zu erklären, warum ihr Chef für
sein Auto keine Mehrwertsteuer zu bezahlen braucht, ob-
wohl er es genauso privat nutzt.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Privatnutzung muss er doch versteuern! Reiner Klassenhass! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!)


Ich glaube nicht, dass Sie viele Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer finden werden, die da mit Ihnen einer Mei-
nung sind. Natürlich bleibt abzuwarten, wie sich der Bun-
desfinanzhof bzw. der Europäische Gerichtshof zu dieser
Frage äußern werden.

Im Übrigen ist auch das nichts Neues. Von Ihnen wurde
dieses Thema schon ziemlich oft auf die Tagesordnung
gebracht, unter anderem auch in Fragestunden; das letzte
Mal am 7. Februar dieses Jahres.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir wollten Sie auf den richtigen Weg bringen!)


Obwohl die Staatssekretärin Frau Barbara Hendricks
Ihrem Fragesteller, Herrn Michelbach, ausführlich erklärt
hat, dass der Bundesfinanzhof gegenüber dem Europä-
ischen Gerichtshof lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit
der Ratsentscheidung mit dem Gemeinschaftsrecht
geäußert hat, weil dem deutschen Gesetzgeber durch die
Ratsentscheidung eine rückwirkende Genehmigung ge-
geben worden ist, stellen Sie in Ihrem Antrag die Gesetz-
lichkeit der Beschränkung des Vorsteuerabzuges an sich
wieder infrage.

Der Bundesfinanzhof hat aber überhaupt nicht von
Unverhältnismäßigkeit gesprochen. Es ging lediglich um
den Zeitpunkt der Ratsentscheidung. Aber auch das ist Ih-
nen bekannt, weil Sie es in der angesprochenen Frage-
stunde genau erläutert bekommen haben. Da frage ich
mich schon, wieso Sie Ihr parlamentarisches Recht auf
Fragen wahrnehmen, wenn Sie überhaupt nicht gewillt
sind, die Antworten zu akzeptieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Falsche Antworten haben wir noch nie akzeptiert!)


Aber auch diesbezüglich scheint Ihre Arbeitsweise
recht konfus zu sein. Denn als das Thema am 24. Januar
dieses Jahres als Punkt 14 der Tagesordnung im Finanz-
ausschuss behandelt wurde, hat nicht einer aus Ihren Rei-
hen dazu etwas gesagt.


(Beifall bei der SPD)

Diese EU-Vorlage wurde von Ihnen lediglich zur Kennt-
nis genommen. Ich habe mir extra das Protokoll zu die-
sem Tagesordnungspunkt angeschaut, um mich zu verge-
wissern, dass Sie tatsächlich nichts dazu gesagt haben.


(Beifall bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das ist just for show! Das kennen wir ja! – Weiterer Zuruf von der SPD: Kaum zu glauben!)


Wenn Sie noch nicht einmal im Ausschuss darüber disku-
tieren wollen, frage ich mich, wie wichtig Ihnen dieses
Thema tatsächlich ist. Im Hinblick auf eine noch ausste-
hende endgültige Entscheidung in dieser Frage halte ich es
für derzeit überhaupt nicht nötig, weiter über dieses Thema
zu diskutieren. Um in der Sache vernünftig weiter voran-
zukommen, müssen wir abwarten und uns danach Gedan-
ken machen, wie wir im Sinne der Entscheidung verfahren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Den Kopf in den Sand, und die Steuerpflichtigen können zappeln!)





Simone Violka

15219


(C)



(D)



(A)



(B)


Sollte es ein Urteil gegen das bestehende Gesetz geben,
werden wir selbstverständlich aktiv werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bis dahin bleibt ihr stur!)


Aber bis dahin bleibt die richterliche Entscheidung abzu-
warten. Allerdings bin ich zuversichtlich, dass unser gül-
tiges Gesetz keinen Verstoß beinhaltet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415514400
Als
nächster Redner hat der Kollege Gerhard Schüßler von
der F.D.P.-Fraktion das Wort.


Gerhard Schüßler (FDP):
Rede ID: ID1415514500
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der heute von der
Union vorgelegte Antrag ist die logische Konsequenz aus
einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs – damit das
einmal klar ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Nicht zum ersten Mal hat ein Gericht rechtliche Be-

denken gegenüber der hektischen und unsystematischen
Steuerpolitik der Koalition angemeldet. Diesmal hält der
Bundesfinanzhof die im letzten Jahr vorgenommenen
Einschränkungen beim Vorsteuerabzug aus Reisekosten
für EG-rechtswidrig. Herr Minister Eichel wurde gestern
im Finanzausschuss gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Er
hat sich geweigert und gesagt, das werde Frau Hendricks
machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gestern hat er einen schwachen Tag gehabt!)


– Ja, er hatte gestern einen schwachen Tag.

(Zuruf von der CDU/CSU: Heute auch!)


Frau Hendricks hat das aber auch mit einer Handbewe-
gung vom Tisch gewischt.

Einschränkungen beim Vorsteuerabzug gehen zulasten
der Unternehmer. Für den Vorsteuerabzug gibt es klare
Regeln, gerade im EG-Recht. Das müssten Sie auch mit-
bekommen haben. Aber die rot-grüne Koalition ist mit
dem Ausschluss des Vorsteuerabzugs aus Reisekosten
wieder einmal klar über das Ziel hinausgeschossen. Die
damals geäußerte massive Kritik der Betroffenen hat Sie
nicht interessiert, und sie war Ihnen, wenn sie Sie interes-
siert hat, völlig egal, weil Sie einzig und allein Gegenfi-
nanzierungspotenzial für Steuersenkungen erschließen
wollten.

Grundsätzlich ist die Verbreiterung einer Bemessungs-
grundlage zu begrüßen, wenn im Gegenzug Steuern ge-
senkt werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass in die
Systematik des Steuerrechts eingegriffen wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Die Koalition hat zwar eine Steuerreform in Gang ge-

setzt. Das ist auch im Grundsatz richtig, weil nach jahre-
langer Blockierung durch Rot-Grün


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)


endlich mit Steuersenkungen begonnen worden ist. Es ist
aber auch eine Binsenweisheit, dass es an vielen Stellen
ganz erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt. Das gilt in
besonderer Weise für den Mittelstand,


(Zuruf von der CDU/CSU: Murks heißt das!)

den die Koalition mit dem Abzugsverbot für Vorsteuern
aus Reisekosten erneut getroffen hat.


(Ludwig Eich [SPD]: Es geht nur um Spesenritter!)


Es bedarf dringend erheblicher Korrekturen der bishe-
rigen rot-grünen Steuerpolitik. Da hilft auch die Aussage
von Herrn Eichel, dass das bis zum Jahr 2006 nicht not-
wendig sei, überhaupt nicht. Es bedarf erheblicher Kor-
rekturen. Ein ganzer Katalog könnte jetzt vorgetragen
werden, aber ich tue das nicht.

Es geht ganz wesentlich auch um die Gleichbehand-
lung bei der Besteuerung. Die deutsche Wirtschaft ist mit-
telständisch geprägt. Personengesellschaften und Einzel-
unternehmen im Handwerk sowie im gewerblichen und
industriellen Mittelstand bilden das Rückgrat unserer
Volkswirtschaft und stellen die meisten Arbeitsplätze.
Dem widerspricht die starke Spreizung der Steuersätze.
Sie muss wesentlich schneller abgebaut werden, um die
rechtsformneutrale Besteuerung zu erreichen. Ich könnte
diese Aufzählung beliebig erweitern. Rot-Grün sollte end-
lich die ideologische Brille abnehmen und endlich eine
Steuerpolitik für alle machen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Ludwig Eich [SPD]: Aber nicht für Spesenritter!)


Die Entlastung des Unternehmens bei Beibehaltung
hoher Steuerlast für die Unternehmer ist der Hauptkri-
tikpunkt der F.D.P. Es nützt dem Mittelstand gar nichts,
wenn Herr Eichel weitere Steuersenkungen auf Jahre hin
ausschließt. Wenn die Politik nicht handelt, werden wie-
der einmal die Gerichte korrigieren müssen. Der heute
vorliegende Antrag ist nur ein Beispiel dafür.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415514600
Die Rede
der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen,
nehmen wir zu Protokoll.*)


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/ CSU)


Damit kommen wir zur Rede der Kollegin Heidemarie
Ehlert von der PDS-Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1415514700
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU, ich muss mich schon sehr wundern, dass Sie für
diesen Antrag zwei Jahre gebraucht haben. Wir haben vor
genau zwei Jahren die Gesetzesänderung beschlossen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht ihr habt sie beschlossen!)





Simone Violka
15220


(C)



(D)



(A)



(B)


*) Anlage 2

Ich freue mich trotz alledem, dass auch Sie noch lernfähig
sind.

Die Begründung, das Gastgewerbe werde erheblich be-
nachteiligt, finde ich aber schon bemerkenswert. Erst ges-
tern wurde in diesem Hohen Hause nachgewiesen, dass
die Umsätze für Übernachtungen usw. im letzten Jahr er-
heblich angestiegen sind. Irgendwelche Aussagen stim-
men da nicht.

Sie sprechen von einer mittelstandsfeindlichen Rege-
lung. Da frage ich Sie: Von welchen Größenordnungen re-
den wir hier überhaupt? Welchen Anteil an den Betriebs-
ausgaben haben Übernachtungs- und Reisekosten? Ich
komme noch auf Ihren Antrag zurück.

Schlimm finde ich, Frau Violka, wenn Sie jetzt den
Dienstreisenden vorschreiben wollen, sich nur noch von
Schokoriegeln und Rostern zu ernähren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was sagt denn Frau Schmidt dazu?)


Dass das familienfreundlich ist, möchte ich bezweifeln.

(Beifall bei der PDS – Ludwig Eich [SPD]: Das war jetzt unqualifiziert!)

Jetzt aber zu dem Antrag.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415514800
Frau
Ehlert, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Violka?


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1415514900
Aber sicher doch. Sie hat
das ja empfohlen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415515000
Bitte
schön, Frau Violka.


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1415515100
Frau Ehlert, sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass ich nicht den Leuten empfoh-
len haben, das zu tun, sondern lediglich festgestellt habe,
dass das Sache eines jeden Einzelnen ist und dass es Men-
schen gibt, die abends in Gaststätten gehen und sich dort
ernähren, und andere, die es vorziehen, sich von Schoko-
riegeln und anderen Dingen zu ernähren, dass es also in
der Entscheidung des Mitarbeiters liegt, was er tut? Ich
habe das nicht empfohlen. Sind Sie bereit, das zur Kennt-
nis zu nehmen?


(Beifall bei der SPD)



Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1415515200
Ich denke, essen ist ein
Menschenrecht. Das müssen wir den Menschen lassen,
auch den Arbeitnehmern.


(Beifall bei der PDS)

Ich zitiere aus dem dritten Bericht des Finanzaus-

schusses vom 3. März 1999:
Nach der Philosophie der meisten EU-Mitgliedstaa-
ten dienen Verpflegung und Übernachtung in erster
Linie der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse

– das haben wir eben noch einmal gehört –
und sind erst in zweiter Linie unternehmerisch ver-
anlasst. Aus diesem Grund gewähren die meisten
EU-Mitgliedstaaten keinen Vorsteuerabzug aus Ver-
pflegungs- und Übernachtungskosten. Dieser Philo-
sophie schließt sich der deutsche Gesetzgeber durch
die Streichung des Vorsteuerabzugs aus bestimmten
Reisekosten nunmehr an.

Philosophie ist aber nicht gleich Richtlinie. Insofern lohnt
es sich schon, einmal über bestimmte Entscheidungen im
Steuerentlastungsgesetz nachzudenken. Fehler sind ja
dazu da, dass man sie korrigiert.

Nachdenken kann man zum Beispiel darüber, ob eine
Wiederherstellung des Vorsteuerabzuges für Hotelrechnun-
gen oder Fahrscheine doch ermöglicht wird. Allerdings
kann ich einen Vorsteuerabzug aus Pauschbeträgen, wie er
früher möglich war, nicht befürworten. Das wäre einfach
ein Systembruch. Denn in § 15 des Umsatzsteuergesetzes
steht ausdrücklich, dass nur die offen auf Rechnungen aus-
gewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzugsfähig ist.


(Beifall bei der PDS)

Zur Kappung des Vorsteuerabzugs bei PKW hat Frau

Violka zugegeben, dass es unterschiedliche Nutzungen
gibt. Ich möchte hier ein Beispiel bringen: Zum Teil ha-
ben wir betriebliche Nutzungen bis zu 90 Prozent; den-
noch ist nur ein Vorsteuerabzug von 50 Prozent zulässig.
Darüber sollten wir meines Erachtens nachdenken. Es
gibt Möglichkeiten, die tatsächliche betriebliche Nutzung
nachzuweisen. Der Vorsteuerabzug für tatsächliche be-
triebliche Nutzungen sollte von uns allen ermöglicht wer-
den.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415515300
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5223 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der

SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im ge-
werblichen Güterkraftverkehr (GüKBillBG)

– Drucksache 14/5446 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und




Heidemarie Ehlert

15221


(C)



(D)



(A)



(B)


Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Angelika Mertens, Angelika
Graf (Rosenheim), Hans-Werner Bertl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig,
Kerstin Müller (Köln), Albert Schmidt (Hitz-
hofen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bekämpfung der illegalen Kabotage und des
Sozialdumpings im Transportgewerbe
– Drucksachen 14/3702, 14/4669 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm-Josef Sebastian

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Angelika Graf von der SPD-Fraktion das Wort.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1415515400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Problem ist den
Fachleuten – ich sehe hier nur Fachleute – bekannt und hat
uns im letzten Jahr schon mehrfach beschäftigt.

Dennoch, so meine ich, sollte man eine kurze Be-
schreibung des Problems geben: Das deutsche mittelstän-
dische Fuhrgewerbe leidet unter einem starken, teilweise
ruinösen Wettbewerbsdruck.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist leider wahr!)

Dies hat eine Reihe von Gründen. Neben Harmonisie-
rungsdefiziten in der EU, insbesondere in steuerlicher
Hinsicht, aber auch in anderen Bereichen, ist eine ganz
wichtige Ursache in der Tatsache zu sehen, dass eine
Reihe der großen, international agierenden Fuhrunterneh-
men auf Fahrzeugen, die im EU-Ausland zugelassen sind,
illegales Fahrpersonal aus den MOE-Staaten einsetzen.

Immerhin werden laut Schätzungen des Bundesver-
bandes für Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung,
BGL, 15 Prozent aller Straßengütertransporte in der Bun-
desrepublik zurzeit von EU-ausländischen Fahrzeugen
und von Fahrzeugen aus Drittländern durchgeführt. In der
Bundesrepublik schlagen die Löhne für die Fahrer nor-
malerweise mit über 30 Prozent der Gesamttransportkos-
ten zu Buche. Durch den Einsatz von illegalen Billigfah-
rern kommt es zu erheblichen Preisunterbietungen,
welche nach einem Bericht des Europäischen Parlaments
vom 12. Februar 2001 – er ist also ganz frisch und neu –
bis zu 30 Prozent des üblichen Marktpreises für die ent-
sprechende Transportleistung ausmachen können. Das ist
kein Wunder, weil diese Fahrer einen Stundenlohn von
etwa 5 Mark bekommen.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist Ausbeutung!)

Regelungen der EU – inzwischen sind sich übrigens

die EU-Länder Österreich, Deutschland, Frankreich, die
Niederlande, Belgien und Dänemark des Problems durch-
aus bewusst – werden nicht in allernächster Zeit erwartet.
Dass dieser Missstand deshalb, soweit möglich, national
bekämpft werden muss, darüber waren wir uns bei den

Beratungen in dieser Angelegenheit bei den letzten De-
batten in diesem Haus ziemlich einig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!)


Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung ha-
ben nun den vorliegenden Gesetzentwurf auf den Weg ge-
bracht, der einerseits die Pflicht jedes Fuhrunternehmers,
der auf deutschen Straßen unterwegs ist, festschreibt, nur
Fahrer mit den entsprechenden Arbeitsgenehmigungen
einzusetzen. Andererseits wird nach dem neuen § 7 c des
Güterkraftverkehrsgesetzes die Verpflichtung auch auf
die Verlader ausgedehnt.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr richtig!)

Die Kontrolle des Fahrpersonals obliegt dem Bundesamt
für Güterverkehr. Bei Verstößen sollen die Bußgelder
deutlich erhöht werden.


(Iris Gleicke [SPD]: Auch das ist richtig!)

In den letzten Tagen und Wochen ist nun von der Indus-

trie, aber auch von einzelnen Bundesländern die so ge-
nannte Verladerhaftung strittig diskutiert worden. Lassen
Sie mich deshalb dazu noch einige Sätze sagen. Bei einem
Preisvorteil von 30 Prozent durch illegale Beschäftigung
gehört auch die verladende Wirtschaft, die die Dienste des
Fuhrunternehmers in Anspruch nimmt, zu den Nutz-
nießern und damit zu den Förderern dieser Praxis.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Deshalb halten wir diesen neuen § 7 c des Güterkraftver-
kehrsgesetzes für sehr sinnvoll und richtig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb sind wir guten Mutes, dass sich die A-Länder
trotz einiger Bedenken unserer Argumentation anschlie-
ßen werden.

Die Philosophie, die hinter dieser vorgeschlagenen
Regelung steht, ist übrigens dieselbe, die zum § 404
Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches III geführt hat. Der
Auftraggeber von Leistungen soll nicht von den Leistun-
gen profitieren, die durch den Einsatz illegaler Arbeitneh-
mer billig angeboten werden. Das fahrlässige Nichtwis-
sen – auch das schreibt der Gesetzentwurf fest – kann
keine Entschuldigung sein.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn von einem Betrieb, der Transportleistungen bestellt,
kann man verlangen, dass er sich einen Überblick über die
Preise und auch über die Preisgrundlagen verschafft. Die
Preisgrundlagen sind leicht zu durchschauen, wenn man
weiß, was für einen Fahrer usw. gezahlt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
15222


(C)



(D)



(A)



(B)


Das SGB III benennt bei den Bußgeldvorschriften den
Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit illega-
len Arbeitskräften für sich arbeiten lässt, übrigens an ers-
ter Stelle, also in Absatz 1, und erst danach – in Absatz 2 –
den ausführenden Unternehmer. Ich glaube, dass das eine
ganz wichtige Wertung ist, auch um darzustellen, welche
Zusammenhänge in diesen Bereichen bestehen.


(Beifall bei der SPD)

In Anbetracht der durch illegale Beschäftigung im

Fuhrbereich erwirtschafteten Gewinne und des gesell-
schaftlichen Schadens, den ich in meiner letzten Rede zum
selben Thema durch ein Beispiel aus den Ermittlungsakten
des Hauptzollamtes Rosenheim belegt habe, ist es sehr zu
begrüßen, dass die Bußgeldandrohung für beide Fälle – in
Anlehnung an die Regelungen im SGB III übrigens, die
dieselbe Höhe vorschreiben – auf bis zu 500 000 DM fest-
gelegt wurde. Ich hoffe, dass das eine Möglichkeit ist, die
Herrschaften, die solche Praktiken betreiben, davon zu
überzeugen, dies vielleicht doch nicht zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Es geht offensichtlich nur so! Das ist leider wahr!)


Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Koaliti-
onsfraktionen und die Bundesregierung haben mit diesem
Gesetzentwurf einen wichtigen Schritt gegen die Wettbe-
werbsverzerrungen, die in dieser Branche herrschen, ge-
tan. Wir würden uns freuen, wenn Sie dem Antrag heute
zustimmen könnten und auch den vorgelegten Gesetzent-
wurf entsprechend unterstützen würden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415515500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Renate Blank von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1415515600
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Wettbewerbssituation im deut-
schen Transportgewerbe, das mittelständisch geprägt ist,
hat sich dramatisch verschärft. Gründe sind zum Beispiel
die seit Öffnung des Binnenmarktes fehlende bzw. nicht
abgeschlossene Harmonisierung im Verkehrsbereich, der
verstärkte Druck ausländischer Konkurrenz und der zu-
nehmende Einsatz von Fahrern aus Billiglohnländern.
Ein deutscher Fahrer kostet circa 8 000 bis 9 000 DM im
Monat, ein Fahrer aus Billiglohnländern höchstens
1 500 DM.

Aber es gibt auch hausgemachte Belastungen, zum
Beispiel die Ökosteuer.


(Zuruf von der SPD: Was machen Sie eigentlich, wenn die einmal weg ist? – Gegenruf von der CDU/CSU: Schaffen Sie sie ab! Dann haben wir nichts mehr zu schimpfen! – Beifall bei der CDU/CSU)


Die Probleme der illegalen Kabotage und Beschäfti-
gung haben in der letzten Zeit zugenommen. Wenn in-
und ausländische Transportunternehmer bei der Beschäf-

tigung von ausländischem Fahrpersonal Regelungen des
Arbeits-, Sozialversicherungs- und Aufenthaltsrechts um-
gehen, ergeben sich daraus ein ruinöser Lohn-Preis-
Druck für Fahrer und Transportgewerbe sowie Ausfälle
bei Steuern und Sozialbeiträgen. Das ist Fakt.

Illegale Beschäftigung von Fahrpersonal aus MOE-
Drittländern zu deren Heimat-Lohnbedingungen und die
unberechtigte Teilnahme am deutschen und am EU-Bin-
nenmarkt führen zu einer völligen Zerrüttung des Mark-
tes und zu Wettbewerbsverzerrungen. Wir wissen alle,
dass die Rechtslage zwar den unerlaubten Einsatz von
Fahrpersonal aus Nicht-EU-Staaten im binnenländischen
Kabotageverkehr verbietet, dass jedoch die unterschiedli-
chen Bedingungen und rechtlichen Spielräume sowie
Handhabungen in den EU-Mitgliedstaaten dazu führen,
dass es bisher sehr schwer oder kaum möglich ist, uner-
laubte Praktiken zu erkennen bzw. zu verhindern oder gar
wirksam zu ahnden. Deshalb müssen verschärft Kontrol-
len in ausreichender Dichte, verbunden mit entsprechen-
den Sanktionen, durchgeführt und die Kontrollbefugnis
des Bundesamtes entsprechend erweitert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: All das machen wir!)


Gerade der grenzüberschreitende Güterverkehr mit
den mittel- und osteuropäischen Staaten hat stark zuge-
nommen und wird in den nächsten Jahren weiter zuneh-
men.

Bezüglich meiner bisherigen Ausführungen besteht
wahrscheinlich allgemeiner Konsens – bis auf die Öko-
steuer natürlich. Das nun vorliegende Gesetz ist aus unse-
rer Sicht aber nur ein erster Schritt, um das deutsche Ge-
werbe wettbewerbsfähig zu erhalten und zu sichern. BDI
und DIHT kritisieren den Gesetzentwurf.


(Zuruf von der SPD: Weil sie betroffen sind! Das ist völlig klar!)


Die Beratungen in den Ausschüssen werden ergeben,
welcher Weg richtig, rechtlich haltbar und zielführend
sein wird.


(Zuruf von der SPD: Das warten wir einmal ab!)


Wie gesagt: Der Gesetzentwurf ist nur ein erster
Schritt, aber nicht der entscheidende, so wie es der Ver-
kehrsminister behauptet hat, um den ruinösen Wettbewerb
im Transportgewerbe zu bekämpfen. Es gibt noch mehr zu
tun. Genauso wichtig wären die Abschaffung der Öko-
steuer und die Gewährung fiskalischer Hilfen, wie das in
anderen europäischen Ländern praktiziert wird. Die
durchschnittlichen Belastungen für einen LKW liegen in
Deutschland bei 43 000DM, in Frankreich bei 30 000DM
und in den Niederlanden bei 28 000 DM.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das geht so natürlich nicht!)


Ich sage es immer wieder: Wenn Firmen ausflaggen,
wird kein einziger LKWweniger auf unseren Straßen fah-
ren. Es ändern sich nur die Kennzeichen und unserem




Angelika Graf (Rosenheim)


15223


(C)



(D)



(A)



(B)


Fiskus gehen circa 120 000 DM pro LKW an Einnahmen
verloren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch das ist Tatsache.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Fakten, Fakten, Fakten!)

Die EU-Kommission beabsichtigt die Einführung ei-

ner so genannten Fahrerlizenz zum Nachweis eines lega-
len Beschäftigungsverhältnisses im Mitgliedstaat des Un-
ternehmenssitzes. Mit der Ausstellung eines solchen
Ausweises an den Fahrer soll bescheinigt werden, dass
dieser legal arbeitet.


(Zuruf von der SPD: Das unterstützen wir auch!)


In Ihrem Gesetzentwurf führen Sie aus, dass mit der EU-
weiten Einführung einer solchen Fahrerbescheinigung in
absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Wir fordern die Bun-
desregierung mit Nachdruck auf, darauf hinzuwirken,
dass eine EU-Fahrerlizenz schnellstens eingeführt wird.
Sie wollten doch alles besser machen. Das können Sie da-
durch beweisen, dass Sie in diesem Punkt etwas schneller
reagieren. Wenn ich in Ihrem Entwurf lese, dass die Ein-
führung „in absehbarer Zeit“ geschehen soll, kann das
auch auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hängt leider nicht allein von uns ab!)


– Sie haben durchaus Einfluss, Entscheidungen der Euro-
päischen Union zu beschleunigen. Sie haben ja groß
getönt.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf berührt einen Be-
reich unseres Antrags vom 26. September 2000, der da-
rauf abzielt, die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gü-
terkraftverkehrsgewerbes zu erhalten und zu sichern, der
sechs konkrete Forderungen hat und wesentlich umfang-
reichere Maßnahmen für das Gewerbe beinhaltet. Wir
hoffen, dass Sie nach dem Gesetzentwurf, der das allge-
meine Anliegen aller in diesem Hause ist, im Interesse des
deutschen Transportgewerbes mit seinen rund 380 000
Beschäftigten schnell handeln und nicht die Hände in den
Schoß legen. Solange wir Joghurt nicht per E-Mail ver-
senden können, müssen wir uns um das deutsche
Transportgewerbe kümmern. Wir fordern Sie auf, noch
mehr für dieses Gewerbe zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Machen Sie mit!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1415515700
Ich erteile
jetzt dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich stimme im Wesentlichen den Ausführungen
meiner beiden Vorrednerinnen ausdrücklich zu. Es ist in

der Tat so, dass wir im Bereich des Güterkraftverkehrs,
über den wir heute reden, einen hohen Regelungsbedarf
haben. Ich füge aber auch hinzu: nicht erst seit heute oder
gestern, sondern im Grunde schon seit Jahren. Ich bin
froh, dass die jetzige Bundesregierung den Handlungsbe-
darf sieht, das Thema aufgreift und entsprechende Maß-
nahmen umsetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die illegale Kabotage im LKW-Gewerbe auf den deut-
schen Straßen ist ein Musterbeispiel dafür, dass Liberali-
sierung ohne gleichzeitige Harmonisierung der Wettbe-
werbsbedingungen schief gehen muss. Deswegen begrüßt
es unsere Fraktion ausdrücklich, dass das Bundesver-
kehrsministerium – natürlich im Benehmen mit den Sozi-
alpolitikern der Ministerien und der Fraktionen – einen
nach meiner Meinung guten und notwendigen Gesetzes-
vorschlag vorgelegt hat.

Wir haben es mit Harmonisierungsdefiziten im Steuer-
bereich zu tun. Die Kollegin Blank hat das zu Recht aus-
geführt. Ich möchte allerdings, Frau Kollegin Blank, da-
rauf hinweisen: Wenn man die Situationen der LKW in
den verschiedenen Ländern miteinander vergleicht, darf
man nicht unterschlagen – was in bestimmten Vergleichs-
rechnungen, die Sie heute auch zitiert haben, immer wie-
der geschieht –, dass es in vielen Ländern, zum Beispiel
in Frankreich, aber nicht in Deutschland, eine Zulas-
sungssteuer für LKW gibt, um das Fahrzeug überhaupt
kaufen und auf die Straße bringen zu dürfen. Man darf
auch die Autobahnmaut nicht unterschlagen, die es in vie-
len Ländern, gerade in Westeuropa, in einer Größenord-
nung von 25 oder 30 oder mehr Pfennig gibt. Bei uns gibt
es sie im Augenblick noch nicht; wir sind dabei, sie ein-
zuführen. Wenn man Vergleiche anstellt, muss man die
gesamte Kostensituation vergleichen.

Das Problem, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist
aber nicht das Steuerrecht, sondern in der Tat der zuneh-
mende Einsatz von Fahrern aus so genannten Billiglohn-
ländern, vor allem aus dem mittleren und östlichen Eu-
ropa. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass ein
Fuhrunternehmer, der seinem Fahrer 8 000 bis 9 000 DM
an Lohn pro Monat zahlen muss, niemals mit einem Fuhr-
unternehmer konkurrieren kann, der seinem Fahrer ge-
rade einmal 1 500 DM zahlt. Ein solcher Wettbewerb ist
ruinös. Er kann nicht funktionieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist auch zu Recht darauf hingewiesen worden, dass
die Europäische Kommission dieses Problem wohl er-
kannt hat und dass sie inzwischen einen Ver-
ordnungsentwurf vorgelegt hat, der die EU-weite Ein-
führung einer einheitlichen Lizenz für Fahrer aus
Drittstaaten vorsieht. Mit dieser Lizenz soll in erster Linie
sichergestellt werden, dass den Unternehmen, die ihren
Sitz in der Europäischen Gemeinschaft haben, die Mög-
lichkeit genommen wird, Fahrer aus Drittstaaten, aus so
genannten Billiglohnländern, ohne Arbeitsgenehmigung
in der Gemeinschaft einzusetzen. Wir wissen auch, dass
der EU-Verkehrsministerrat in seiner am 20./21. Dezem-




Renate Blank
15224


(C)



(D)



(A)



(B)


ber beschlossenen Absichtserklärung entsprechende
Schlussfolgerungen gezogen hat. Nur, zurzeit ist leider
nicht absehbar, ab wann mit einer EU-weiten Einführung
einer einheitlichen Fahrerlizenz gerechnet werden kann.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Es hängt leider, Frau Kollegin Blank, eben nicht nur von
der deutschen Seite ab, wie schnell das möglich ist. Das
wissen wir alle. Aber wir können und wollen nicht so
lange warten, bis sich alle einig geworden sind. Deshalb
ist hier die Vorreiterrolle Deutschlands gefragt. Im Vor-
griff auf eine europäische Regelung werden wir für das
deutsche Transportgewerbe eine entsprechende Regelung
umsetzen. Das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Regelungen im Gesetzentwurf sehen vor, dass der
Unternehmer künftig verpflichtet ist, nur noch Fahrer ein-
zusetzen, die ihre Arbeitsgenehmigung im Original und
eine amtlich beglaubigte Übersetzung dieser Genehmi-
gung mit sich führen. Diese Verpflichtung wird – das ist
§ 7 c des Güterkraftverkehrsgesetzes, den schon die Kol-
legin Blank angesprochen hat – auch auf die Verlader aus-
gedehnt. Sie dürfen künftig nur noch Unternehmer ein-
setzen, die Inhaber einer Einzelerlaubnis oder einer
Gemeinschaftslizenz sind. Damit ist die gesamte Logis-
tikkette in die Verpflichtung einbezogen. Dies halten wir
ausdrücklich für richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich begrüße es auch, dass die Kontrollzuständigkeit
beim Bundesamt für Güterverkehr angesiedelt wird und
dass dort Stellen dafür geschaffen werden. Es wird 13 zu-
sätzliche Stellen geben und es werden so genannte Büro-
kraftfahrzeuge angeschafft werden, mit denen die Umset-
zung der Kontrollen sichergestellt werden soll. Das kostet
nochmals etwa 1,7 bis 1,8 Millionen DM. Ich meine, dass
das Geld des Steuerzahlers hier gut angelegt ist, weil
durch die Kontrollen sozialer Missbrauch verhindert wird
und letztlich die ordnungsgemäße Abführung von Sozial-
abgaben und Steuern gewährleistet wird. Das hier inves-
tierte Geld wird sich mit Sicherheit doppelt und dreifach
refinanzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte abschließend darum bitten, dass wir alle im
anstehenden Beratungsverfahren, in den Ausschüssen und
irgendwann auch im Bundesrat, möglichst an einem
Strang ziehen und dafür sorgen, dass die Vorgriffsrege-
lung der deutschen Bundesregierung für das deutsche
Speditionsgewerbe auch möglichst astrein umgesetzt
wird und nicht durch Einflüsse Dritter, die schon jetzt
wieder Alarm rufen, verwässert und wirkungslos gemacht
wird. In diesem Sinne bitte ich herzlich um Ihre Unter-
stützung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415515800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1415515900
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, die sich
bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf stellt, ist: Hilft
das tatsächlich kurzfristig dem deutschen Transportge-
werbe oder ist das bis zum Ende Ihrer Regierungszeit
2002 das Einzige, was Sie zu bieten haben, um das deut-
sche Transportgewerbe zu beruhigen? Denn Fakt ist, dass
sich die Kostenbelastung des deutschen Transportgewer-
bes im Bereich des Fernverkehrs seit Januar 1999, also in
Ihrer Regierungszeit, um sage und schreibe 18,5 Prozent
erhöht hat, und zwar trotz Ihrer angeblich sozial ausge-
wogenen Kostenreduzierung.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einer der Hauptgründe dafür ist und bleibt die Ökosteuer.

(Zuruf von der SPD: Das stimmt doch über haupt nicht!)

– Ich habe die offizielle Statistik des BGL vorliegen.


(Zuruf von der SPD: Jeder macht sich seine Statistik selber!)


Bevor Sie dazwischenrufen, sollten Sie diese einmal le-
sen. Dort steht alles drin.

Sie werden mit diesem Gesetz zu kurz springen, weil
Sie wiederum nur die Auswirkungen kurieren wollen und
nicht an die Ursachen gehen. Die konkrete Tatsache ist
– das ist schon dargestellt worden – die Differenz, was die
Kostensituation angeht. Darauf haben Sie noch einmal
draufgepackt, indem Sie den nationalen Alleingängen
Frankreichs, Belgiens, Italiens und der Niederlande nicht
widersprochen haben. Sie haben sie jetzt im Ecofin-Rat
sogar noch bis Ende 2002 bestätigt. Bis zu diesem Zeit-
punkt wird das deutsche Gewerbe Kostennachteile haben.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Karlheinz Guttmacher [F.D.P.]: Das kann man nicht oft genug sagen!)


Jetzt setzen Sie den Vorschlag zur Bekämpfung der il-
legalen Beschäftigung obendrauf. Der Grundansatz ist
richtig. Womit ich Probleme habe, ist zunächst einmal die
Behauptung, es seien 10 bis 15 Prozent. Es gibt keine ein-
zige Institution in Deutschland, die diese Zahl seriöser-
weise belastbar nachprüfen kann.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Da ist der BGL ganz anderer Meinung!)


– Auch der BGL hat keine belastbaren Zahlen. Er rechnet
sie hoch bzw. schätzt sie.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber bei den anderen Statistiken ist er schon belastbar! Derselbe BGL ist einmal belastbar und einmal nicht!)


Das Bundesamt für Güterverkehr bestätigt dies.
Der nächste Punkt: In § 7 c Ihres Gesetzentwurfs

geht es darum, Kontrolltätigkeiten, die eigentlich im




Albert Schmidt (Hitzhofen)


15225


(C)



(D)



(A)



(B)


Interesse der Polizei oder des Bundesamtes für Güterver-
kehr liegen, auf einen Privaten zu übertragen, nämlich auf
den Verlader. Der Verlader ist nach Ihrem Gesetzentwurf
verpflichtet, sich zu vergewissern, dass der Transporteur,
den er vielleicht gar nicht kennt, mit dem er überhaupt
keine Rechtsbeziehung hat,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wieso? Das ist doch sein Auftragnehmer!)


über eine entsprechende Erlaubnis verfügt.
Ich erinnere mich daran, was die Länder für einen Auf-

stand gemacht haben, als wir bei der letzten Änderung des
GüKG dem Bundesamt für Güterverkehr mehr Kontroll-
rechte einräumen wollten. Nun aber erhebt die Länder-
seite überhaupt keinen Einspruch dagegen, dass be-
stimmte Kontrolltätigkeiten auf Private übertragen
werden sollen. Angesichts dessen muss man sich schon
fragen, wohin wir eigentlich gekommen sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es stellt sich auch die Frage, ob das überhaupt greift.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Privatisierung öffentlicher Kontrolle!)


Wie kann es in diesem Bereich zu einer Vereinheitli-
chung innerhalb Europas kommen, Herr Kollege
Schmidt? In Frankreich zum Beispiel sind algerische Fah-
rer, die von französischen Unternehmern eingesetzt wer-
den, überhaupt nicht verpflichtet, einen Beleg bei sich zu
führen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem!)


Glauben Sie denn ernsthaft, dass ein französisches Unter-
nehmen, das seinen Zug mit einem algerischen Fahrer
nach Deutschland schickt, diesem, obwohl es dazu über-
haupt nicht verpflichtet ist, eine Bescheinigung über die
Nichtfreistellung oder Freistellung – noch dazu in
Deutsch – mitgibt?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der LKW würde stillgelegt, wenn sie es in Deutschland nicht machen!)


Ich habe den Eindruck, der Gesetzentwurf ist noch nicht
in letzter Konsequenz durchdacht, schon gar nicht in eu-
ropäischer Hinsicht. Deswegen wird es Zeit, dass wir im
Ausschuss über dieses Thema nachdenken.


(Zuruf von der SPD: Oberlehrer Friedrich!)

Die Firma Betz, die Sie immer anführen, werden Sie

mit dieser Regelung nicht erfassen. Betz hat nämlich
durch die bulgarische Flotte, die er aufgekauft hat, alle
CEMT-Lizenzen aufgekauft. Die Fahrer aus dem Be-
reich – das ist die eigentliche Konkurrenz – fahren be-
rechtigt in Deutschland. Das ist das eigentliche Problem.

Ich sage Ihnen voraus: Dieses Gesetz ist zum Teil not-
wendig. Aber Sie springen zu kurz, wenn Sie es nicht er-
gänzen. Das werden wir in den Ausschussberatungen mit-

einander zu diskutieren haben. Was wir dann im Endeffekt
machen, wird letztendlich die Abstimmung hier im Bun-
destag zeigen.

Danke sehr.

(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415516000
Das Wort hat
jetzt der Kollege Wolf.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1415516100
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Über-
schriften der Vorlagen zu dieser Debatte zum Gesetz zur
illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftver-
kehr klingen sehr gut. Tatsächlich – das ist hier deutlich
geworden – geht es nur um einen kleinen Ausschnitt des
Problems, nämlich darum, dass Fahrer aus Drittstaaten
auf LKW, die in der Europäischen Union zugelassen sind,
daraufhin kontrolliert werden sollen, ob sie über arbeits-
rechtliche Genehmigungen verfügen. Damit ist schon
klar: Es geht nicht um schwarze Schafe irgendwo in Ost-
europa, sondern darum, dass Unternehmen in der Europä-
ischen Union, zu einem erheblichen Teil auch deutsche
Unternehmen, Fahrer ohne arbeitsrechtliche Genehmi-
gungen beschäftigen.


(Iris Gleicke [SPD]: Die arme Menschen ausbeuten!)


Der Vorschlag ist an sich sinnvoll. Ähnlich wie bei ei-
nem Flächentarifvertrag, beim Mindestlohn, kann es sinn-
voll sein, EU-Lizenzen und die Pflicht einzuführen, eine
Arbeitserlaubnis mit deutscher Übersetzung mitzuführen.
Ich glaube aber – ausnahmsweise gebe ich dem Kollegen
Friedrich teilweise Recht –, dass der Teufel im Detail
steckt.


(Iris Gleicke [SPD]: Ach du großer Gott!)

Egal, wie das Gesetz umgesetzt wird: Hierbei handelt es
sich auf alle Fälle um einen nationalen Alleingang.

Erstens glaube ich schon, Frau Graf, dass die Europä-
ische Union sehr schnell auf Ihre Initiative reagiert hat, in-
dem sie schon im März vergangenen Jahres eine An-
hörung durchgeführt hat.

Zweitens sehe ich als Nichtjurist ein juristisches Pro-
blem darin, wenn man sagt, der Verlader sei mitverant-
wortlich, sogar dann, wenn er „fahrlässig handelt“, also
nicht weiß, dass ein Fahrer beschäftigt wird, der diese Ar-
beitserlaubnis nicht mit sich führt.

Drittens und letztens sagt ja sogar der BGL als Ratge-
ber bei diesem Gesetzesantrag, dass eine Regelung aus
seiner Sicht materiell nichts bringen würde, solange wei-
terhin zum Beispiel Luxemburg, Österreich, Frankreich
und die Niederlande großzügig Arbeitserlaubnisse aus-
geben, egal, in welcher Form.

Hier stellt sich die Frage, warum sie sie ausgeben. Zur
Beantwortung dieser Frage muss man ein wenig weiter-
gehen und tiefer schürfen. Dann kommt man zu dem Er-
gebnis: Sie verteilen sie auch deswegen so großzügig,
weil die Bedingungen im gesamten Gewerbe ruinös ge-




Horst Friedrich (Bayreuth)

15226


(C)



(D)



(A)



(B)


worden sind und nicht nur in einzelnen Fällen, sondern
massenhaft Sozialdumping betrieben wird. So hat zum
Beispiel bei einer Umfrage der Internationalen Transport-
arbeiterföderation ein Drittel der befragten LKW-Fahrer
zugegeben, in den letzten 30 Tagen einmal am Steuer ein-
geschlafen zu sein. Bei diesem Drittel der Fahrer handelt
es sich wohlgemerkt nicht um MOE-Fahrer, sondern um
in den einzelnen Ländern ansässige Fahrer.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Gesetz löst jetzt nicht alle Probleme!)


Wir glauben also, dass das Problem flächendeckend
angegangen werden muss. Wir stimmen mit dem Kolle-
gen Schmidt darin überein, dass Liberalisierung ohne
Harmonisierung im Grunde nur in die Hose gehen kann.
Dieses geschieht hier ganz eindeutig seit mindestens
20 Jahren. Außerdem glauben wir, dass solch eine enorme
Zunahme des Güterverkehrs nicht sein müsste.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe in die Statistik geschaut und festgestellt, dass
sich zum Beispiel die Zahl der finnischen LKW, die in den
letzten 10 Jahren die Grenze überfahren haben, verfünf-
facht hat. Das ist nicht darauf zurückzuführen, dass wir
fünfmal so viel Handel mit Finnland betreiben würden,
sondern darauf, dass es irgendwelche Rahmenbedingun-
gen gibt, die es sinnvoll erscheinen lassen, Wagen in Finn-
land anzumelden und damit über die Grenze zu fahren.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: In Luxemburg ist es genauso und es ist nicht so weit weg!)


Letztendlich dürfte klar sein – hoffentlich sehen das
alle so –, dass die Art und Weise, wie die Schiene im Gü-
terverkehr aufs Abstellgleis geschoben wurde, einen
wichtigen Grund mit dafür darstellt, dass immer mehr
Verkehr zu diesen ruinösen Bedingungen auf die Straßen
gelenkt wird.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415516200
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika
Mertens.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1415516300
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Blank hatte
die große Sorge, dass wir die Hände in den Schoß legen
werden. Frau Blank, Sie können beruhigt sein, wir sind da
ein wenig anders gestrickt als Sie früher.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wir warten ab!)

Horst Friedrich sorgte sich sehr darum, dass die Aus-

nahmeregelungen auf EU-Ebene weiter zunehmen wer-
den. Ich denke, dass Sie während Ihrer Regierungszeit
– Sie haben ja viele Jahrzehnte mitregiert – eine Menge
Ausnahmeregelungen mitgetragen haben. Insofern könn-
ten Sie fast unter die Kronzeugenregelung fallen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wir haben im Gegensatz zu Ihnen auch die Steuern gesenkt! –Gegenruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besonders die Mineralölsteuer! – Gegenruf des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wir haben die Kfz-Steuer gesenkt! Erkundige dich einmal, bevor du dazwischenrufst! – Zuruf von der SPD: Ich lache mich scheckig!)


Wir beraten heute in erster Lesung unseren Gesetzent-
wurf zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im ge-
werblichen Güterkraftverkehr. Die Dringlichkeit dieser
Frage verdeutlicht auch der Bericht des federführenden
Ausschusses vom November letzten Jahres.


(Weitere Zurufe der Abgeordneten Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.] und Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Die Frau Staatssekretärin hat das Wort!)


– Genau, aber vielleicht wollen die sich untereinander un-
terhalten. – Darin wird die Bundesregierung aufgefordert,
sich für die Einführung einer EU-Fahrerlizenz für Fahrer
aus Drittstaaten einzusetzen, die rechtlichen Vorausset-
zungen dafür zu schaffen, dass durch Sozialdumping ein-
gesparte Gelder bei Kontrollen wieder einzufordern sind,
und die Wirkungsmöglichkeiten der Kontrollen zu stei-
gern. Der Ausschuss hat auch gefordert, weitere flankie-
rende Maßnahmen zu ergreifen.

In allen Ausschüssen, in denen dieser Antrag beraten
wurde, bestand großer Konsens darüber, dass die Verhält-
nisse im Transportgewerbe verbessert und europaweit
faire Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden
müssen. Wenn die CDU/CSU und die F.D.P. nicht in je-
dem mitberatenden Ausschuss eine grundsätzliche Ab-
stimmungslinie verfolgt haben, mag das vielleicht ein we-
nig an den in der Vergangenheit vertretenen Positionen
zur Liberalisierung und Harmonisierung gelegen haben.


(Iris Gleicke [SPD]: So wird es gewesen sein!)

Ich erinnere auch an die Rede des Kollegen Sebastian

vor zwei Jahren

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Vorsicht, das ist ganz gefährlich! Der hat anschließend das Wort!)


– ich weiß – zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts. Er
hat damals die Reform als weiteren bedeutenden Libera-
lisierungsschritt im europäischen Straßenverkehr begrüßt.
Dem Thema Harmonisierung hat er jedoch keine größere
Aufmerksamkeit geschenkt.

Sie wissen aber nur zu gut, dass seit der Liberalisie-
rung im Jahre 1998 die Probleme durch illegale oder miss-
bräuchliche Beschäftigung von Arbeitnehmern aus
Nicht-EU-Staaten in Deutschland größer geworden sind.
Neben den bereits genannten Punkten ist es eine immer
häufiger anzutreffende Praxis – das ist hier schon mehr-
mals betont worden –, dass Unternehmen mit Sitz in
anderen EU- oder EWR-Staaten für ihre dort zugelasse-
nen Fahrzeuge Fahrer aus Osteuropa beschäftigen. Diese
Fahrer werden zu extrem niedrigen Löhnen eingesetzt.




Dr. Winfried Wolf

15227


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Folgen sind ein ruinöser Preisdruck für das ge-
samte Transportgewerbe. Darüber hinaus gibt es einen ge-
meinwirtschaftlichen Schaden durch Wettbewerbsverzer-
rungen und Ausfälle bei Steuern bzw. Sozialbeiträgen
sowie negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die-
ses Problem ist eine weitere Altlast unserer Vorgängerre-
gierung. Mir ist keine Initiative und vor allem kein Er-
gebnis in dieser Sache bekannt, obwohl das Gewerbe
schon sehr lange auf die Notwendigkeit einer entspre-
chenden Regelung hingewiesen hat. Deshalb ist es umso
wichtiger, dass wir dieses Thema angehen und lange be-
stehende Defizite beseitigen.

Die EU-Kommission hat Ende des Jahres 2000 einen
Vorschlag für die Einführung einer Fahrerlizenz vorge-
legt. Die Bundesregierung unterstützt die Kommission
bei ihren Arbeiten. Die Probleme erfordern aus Sicht der
Bundesregierung – darin sind wir uns letztlich alle einig –
aber bereits jetzt eine nationale deutsche Lösung.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb haben wir im Vorgriff auf die beabsichtigte Ein-
führung der EU-Fahrerlizenz den vorliegenden Gesetz-
entwurf zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im
gewerblichen Güterverkehr erarbeitet und den parla-
mentarischen Gremien zur Bearbeitung zugeleitet.

Mit diesem Gesetz soll der ruinöse Preis- und Wettbe-
werbsdruck, der zulasten der Spediteure, aber auch zulas-
ten der Fahrer aus dem In- und Ausland praktiziert wird,
zurückgedrängt und die illegale Beschäftigung verhindert
werden. Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass Fahrperso-
nal aus Nicht-EU-Staaten eine Arbeitsgenehmigung mit-
führen und den Kontrollbeamten vorzeigen muss. Diese
Arbeitsgenehmigung muss von dem Land ausgestellt
sein, in dem das Unternehmen, bei dem der Fahrer be-
schäftigt ist, niedergelassen ist.

Der Gesetzentwurf sieht zugleich vor, die Kontroll-
tätigkeit zu verbessern. Herr Schmidt hat eben schon da-
rüber berichtet, dass es neue Stellen gibt. Neben den an
sich zuständigen Behörden wird jetzt das Bundesamt für
Güterverkehr zuständig sein, um die Einhaltung von Vor-
schriften zur Arbeitsgenehmigung zu kontrollieren. Wer-
den nach In-Kraft-Treten des Gesetzes Verstöße gegen die
Einhaltung der Arbeitserlaubnisvorschriften festgestellt,
kann den Unternehmern nach den schon jetzt bestehenden
Vorschriften die Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes
entzogen werden.

Mit den Regelungen des Gesetzentwurfes kann der
Auftrag aus dem Beschluss des Deutschen Bundestages
bereits als in Angriff genommen betrachtet werden. Wir
begrüßen sowohl die Aktivitäten der EU wie auch den An-
trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen; denn beides
unterstützt unsere bisherige Arbeit und die Zielrichtung
des Gesetzentwurfes in vollem Umfang.

Wir werden dem Transportgewerbe dort helfen, wo die
wirkliche Wurzel des Übels liegt. Es ist in unser aller In-
teresse, dass im Straßengüterverkehr mittelständische
Unternehmen eine echte Überlebenschance haben. Dafür
werden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaf-
fen, und zwar völlig unabhängig von unserem Ziel, mög-

lichst hohe Straßengüterverkehrsanteile auf die Schiene
zu verlagern.

Dieser Gesetzentwurf dokumentiert jedenfalls eines
sehr deutlich: Eine Verdrängung von deutschen Transpor-
teuren durch Transporteure aus europäischen Partnerstaa-
ten oder aus Drittländern durch illegale Beschäftigung
wird von uns nicht mehr hingenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415516400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wilhelm Sebastian.


Wilhelm Josef Sebastian (CDU):
Rede ID: ID1415516500
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass Sie nicht die
Hände in den Schoß legen werden. Ich könnte Ihnen eine
lange Liste mit Punkten vortragen, bei denen noch jede
Menge Nachholbedarf besteht.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber dass wir einen ersten Schritt gemacht haben, das können Sie doch zugeben!)


Ich habe das bereits im Herbst vorgetragen; vielleicht
komme ich darauf noch zurück.

Sie sind nur Weltmeister im Ankündigen. Man muss
schon fragen: Wo bleiben die Taten?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Aber eines haben Sie getan – ich kann das an dieser Stelle
nur wiederholen –: Sie haben die Ökosteuer eingeführt,
die das Transportgewerbe in großem Maße belastet.


(Zuruf von der SPD: Oh, nein! – Gegenruf der Abg. Renate Blank [CDU/CSU]: Das müsst ihr euch immer anhören!)


Diese Tatsache kann man nicht oft genug wiederholen.
Ich fordere Sie wie so viele in diesen Tagen auf, die Öko-
steuer endlich abzuschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Alle Redner haben festgestellt, dass der Gesetzentwurf

der richtige Weg ist und dass damit ein wichtiger Schritt
gegangen wird. Es gilt nämlich, die Wettbewerbsfähigkeit
des deutschen Güterkraftverkehrs in Europa zu erhalten.
Die Bedrohung durch illegale Praktiken nimmt zu. Es ist
gut, dass hier schnell und entschlossen gehandelt wird.

Seit der Öffnung des Binnenmarktes im Verkehrs-
bereich vor einigen Jahren macht sich das Dilemma der
verschiedenen nationalstaatlichen Regelungen in Europa
für das deutsche Transportgewerbe sehr unangenehm be-
merkbar. Der Einsatz von Fahrern aus Billiglohnländern
durch Spediteure, die ihren Sitz innerhalb der EU haben,
führt zu einem Wettbewerbsnachteil der deutschen Spedi-
teure, die diesem unerlaubt erreichten Preisvorteil der
Mitbewerber aus anderen Ländern vergeblich hinterher-
laufen.




Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens
15228


(C)



(D)



(A)



(B)


Angesichts dessen muss man sagen, dass in nicht ak-
zeptabler Weise mit Menschen umgegangen wird, wenn
sie für Billiglöhne Schwerstarbeit unter Missachtung jeg-
licher Arbeitszeitregelung leisten müssen.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr wahr!)

Es ist auch noch festzustellen, dass dies zu einer großen
Verkehrsgefährdung auf deutschen Straßen führt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Richtig! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Herr Friedrich hat angezweifelt, ob die hochgerechneten
Zahlen stimmen. Wie bei jeder Statistik kann man an der
Richtigkeit zweifeln. Aber wenn man der Berechnung
Glauben schenkt, dann gibt es eine horrende Zahl von
Missständen.

Wir wollen diesen Missständen begegnen und bieten
unsere Mitarbeit an, dass hier geeignete Maßnahmen er-
griffen werden. Weil Deutschland das Haupttransitland in
Europa ist, weil wir das größte Aufkommen an Transport-
leistungen auf unseren Straßen haben, ist eine Regelung
überfällig. Die Tatsache, dass die Bundesregierung jetzt
zugunsten der deutschen Spediteure einer europäischen
Maßnahme vorgreift, ist positiv hervorzuheben. Unsere
Aufforderung gerade in den letzten Monaten und unser
entsprechender Antrag vom letzten Herbst, in dieser Rich-
tung tätig zu werden, wurden dankenswerterweise aufge-
griffen. Endlich wird gehandelt und nicht gewartet, bis die
langsamen Mühlen der Euro-Bürokratie mahlen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch gut!)


Ich muss aber unterstreichen: Dies sollte Anlass sein,
auch in anderen Bereichen aktiv zu werden; denn unser
Transportgewerbe leidet erheblich unter den Wettbewerbs-
unterschieden. Von meiner Kollegin sind die entsprechen-
den Zahlen vorgetragen worden, die belegen, dass es er-
hebliche steuerliche Unterschiede in den verschiedenen
Ländern gibt, auch wenn der Kollege Schmidt sagt, dass
man hier alle Faktoren einbeziehen müsse. Das machen
wir natürlich. Trotzdem denke ich, dass ein großer Har-
monisierungsbedarf gegeben ist.

In unserem im Herbst eingebrachten Antrag haben wir
alle Forderungen aufgelistet. Ich könnte sie jetzt wieder-
holen, ich will aber aufgrund der fehlenden Zeit darauf
verzichten.

Ich will zum Schluss die Bundesregierung und insbe-
sondere den Verkehrsminister auffordern, jetzt entspre-
chende Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Handeln Sie
auch in anderen Bereichen im Interesse des deutschen ge-
werblichen Güterkraftverkehrs! Lassen Sie es nicht bei die-
sem Gesetz bewenden, das Sie uns heute vorgelegt haben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415516600
Ich danke auch
und schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5446 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen
so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zur Bekämpfung der illegalen Kabotage und des Sozial-
dumpings im Transportgewerbe. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/3702 anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:
a) Beratung des Berichts des Rechtsausschusses


(6. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts-

ordnung zu dem von den Abgeordneten Jörg van
Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P.
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche-
rung der Pressefreiheit
– Drucksachen 14/1602, 14/5458 –

(Erste Beratung 61. Sitzung)

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Rupert Scholz

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände-
rung der Strafprozessordnung
– Drucksache 14/5166 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Zur Frage der Ausweitung des Zeugnisver-
weigerungsrechtes für Journalisten
– Drucksachen 14/2083, 14/3864 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Kein
Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1415516700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Pressefreiheit – und vor allen Dingen die Sicherung
der Pressefreiheit – ist für die Demokratie unabdingbar.
Ich denke, dass wir gerade in der letzten Zeit gesehen ha-
ben, welche Bedeutung unabhängige Medien in unserem
Land haben. Was auch immer an Skandalen hochgekom-
men ist, wäre ohne die Aufklärungsarbeit der Medien
und der Presse nicht möglich gewesen. Die Presse hat uns




Wilhelm Josef Sebastian

15229


(C)



(D)



(A)



(B)


viele Einzelheiten vermittelt. Deshalb bedarf die Presse
natürlich des Schutzes. Sie bedarf deshalb des Schutzes,
weil sie auf Informanten angewiesen ist, weil sie auf Re-
cherche angewiesen ist. Es gibt immer wieder Versuche
meiner staatsanwaltschaftlichen Kollegen, diesen Schutz
der Presse aufzubohren. Es sind Vorfälle an die Öffent-
lichkeit gelangt, die einen nachdenklich machen müssen,
selbst dann, wenn das Herz für die Staatsanwaltschaft und
für die Strafverfolgung schlägt.

Insbesondere aufgrund dieser Erfahrung, aber auch
aufgrund des Drucks, den die Organisationen der Presse
und der Medien gemacht haben, haben wir als F.D.P.-Bun-
destagsfraktion sehr früh einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der alle wesentlichen Forderungen der Interessenvertre-
tungen der Medien berücksichtigt


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

und deshalb gerade bei diesen Interessenvertretungen sehr
viel Zustimmung gefunden hat.

Wir haben dazu eine Anhörung des Rechtsausschus-
ses des Deutschen Bundestages durchgeführt und Anre-
gungen bekommen. Aber für uns als F.D.P. war insbeson-
dere wichtig, dass die wesentlichen Weichenstellungen,
die wir vorgenommen haben, dort von den Sachverstän-
digen nachdrücklich unterstützt worden sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deshalb bedaure ich sehr, dass so viel Zeit ins Land ge-
gangen ist und dass wir zu dem Mittel eines Berichtes
nach § 62 der Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages greifen mussten, um die Diskussion voranzu-
bringen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Selbst schuld!)

Es ist notwendig, dass wir hier endlich zu Entscheidungen
kommen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Sie haben gesagt, „selbst schuld“. Nein, wir sind nicht

selbst schuld. Denn Sie haben immer wieder angekündigt,
dass es auch einen Gesetzentwurf der Bundesregierung
geben wird.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch auch!)


Leider haben wir erst heute die erste Beratung dieses Ge-
setzentwurfes. Uns bestätigt das: Wenn wir diesen Antrag
nach § 62 der Geschäftsordnung nicht gestellt hätten,
wäre es heute nicht zur ersten Lesung gekommen. Von da-
her ist es deutlich, dass es des Druckes bedurfte. Wir wer-
den auch weiterhin Druck machen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eine ein-
zige Enttäuschung, insbesondere deshalb, weil die Be-
schlagnahme bereits bei einfachem Tatverdacht möglich
ist. Damit sind all die Umgehungen, die von Journalisten
zu Recht kritisiert werden, nach meiner Auffassung leider
auch in Zukunft möglich.


(Beifall der Abg. Angela Marquardt [PDS])

Wir haben deshalb ganz bewusst die Tatverdachts-

schwelle nach oben verschoben und einen dringenden

Tatverdacht zur Grundlage eines solchen Beschlagnah-
meversuches gemacht. Ich denke, wir müssen auch bei
den Beratungen im Rechtsausschuss wieder zum dringen-
den Tatverdacht kommen. Wir werden dabei, wie gesagt,
auch von den Interessenvertretungen der Journalisten un-
terstützt.

Das Zweite: Wann ist das Zeugnisverweigerungsrecht
ausgeschlossen? Die Bundesregierung hat vorgesehen,
dass das ausschließlich bei Verbrechen der Fall sein soll.
Wir halten das nicht für ausreichend. Ich erinnere daran,
dass zum Beispiel Sexualdelikte gegenüber Kindern nach
dem Strafgesetzbuch nicht als Verbrechen ausgestaltet
sind. Deshalb wäre hier ein solcher Schutz durchaus mög-
lich. Wir wollen das bewusst nicht. Ich denke, wir sollten
über die Frage, ob ein Straftatenkatalog nicht der bessere
Weg ist, deshalb noch einmal im Rechtsausschuss disku-
tieren.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415516800
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1415516900
Ja, selbstverständlich.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Straftatbestände in den Katalog aufgenommen werden,
und weisen mit einer gewissen Berechtigung darauf hin,
dass es auch um gravierende andere Delikte geht. Wäre es
dann nicht richtiger, sie allgemein im Strafgesetzbuch
schwerer zu gewichten und sie zu Verbrechen zu machen?
Kann man sie denn im Strafmaß weiter unten ansiedeln
und gleichzeitig sagen: Diese Straftatbestände sind so be-
deutend, dass sie es rechtfertigen, das Zeugnisverweige-
rungsrecht für Journalisten in diesen Fällen wegfallen zu
lassen?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1415517000
Ich denke, dass man das
kann. Sie sehen das an dem Katalog, den wir vorgesehen
haben; wir haben nämlich bei jedem einzelnen Delikt eine
solche Abwägung vorgenommen. Ich denke, dass das der
vernünftige Weg ist.

Sie haben die Möglichkeit angedeutet, zum Beispiel
Straftaten gegenüber Kindern zum Verbrechen aufzustu-
fen. Sie wissen, dass wir uns damit im Rechtsausschuss
befassen. Wir haben aber aus guten Gründen diese Auf-
stufung zu einem Verbrechen nicht vorgenommen. Ich bin
auch weiterhin der Auffassung, dass das richtig ist; denn
es gibt eine ganze Fülle von Straftaten, die die Stufe des
Verbrechens noch nicht erreicht haben. Deshalb, so denke
ich, sollten wir zu einer Lösung kommen, bei der wir ein-
zelne Tatbestände nach ihrer Gewichtung, insbesondere
was das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse angeht, in
den Katalog aufnehmen oder nicht. Das wird weiterhin
die Position der F.D.P. bleiben, weil wir der Auffassung
sind, dass nur so eine vernünftige und sachgerechte Ab-
wägung vorgenommen werden kann, nicht aber mit einer
Pauschalisierung, wie sie im Gesetzentwurf der Bundes-
regierung vorgesehen ist.




Jörg van Essen
15230


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Entscheidende aber ist, dass wir jetzt schnell zu
Lösungen kommen müssen. Der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung liegt auf dem Tisch. Die F.D.P. wird sich in-
tensiv für einen besseren Schutz der Pressefreiheit einset-
zen. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Neuregelung,
insbesondere auch des Schutzes des selbst recherchierten
Materials. Ich denke und hoffe, dass wir sehr schnell zu
Ergebnissen kommen werden. Wir werden den nötigen
Druck machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jürgen Meyer.


Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1415517200
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihrem heute in ers-
ter Lesung zu beratenden Gesetzentwurf entspricht die
Bundesregierung einer Reformforderung, die den Deut-
schen Bundestag seit drei Legislaturperioden beschäftigt.
Damit wird nach dem Regierungswechsel von 1998 ein
weiterer Beitrag zur Auflösung eines von der alten Regie-
rung zu verantwortenden Reformstaus geleistet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht dabei um den besseren Schutz der Presse- und
Rundfunkfreiheit, die bekanntlich vom Bundesverfas-
sungsgericht in vielen Entscheidungen als schlechthin
konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grund-
ordnung eingestuft worden ist.

Der Schutz dieses Grundrechtes soll nunmehr auch bei
selbst recherchiertem Material, ähnlich wie bisher schon
bei von dritten Personen stammenden, dem Journalisten
anvertrauten Unterlagen, durch ein weit reichendes Zeug-
nisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot ge-
währleistet werden. Außerdem wird der Schutz über peri-
odische Druckwerke und Rundfunksendungen hinaus
auch auf andere Medienerzeugnisse, wie insbesondere
nicht periodische Druckwerke und Filmberichte, ausge-
dehnt.

Die erste in diese Richtung zielende Initiative stammte
von der SPD-Bundestagsfraktion, die in der vorletzten,
also der 12. Legislaturperiode einen entsprechenden Ge-
setzentwurf vorgelegt hat. Es folgten in der letzten Legis-
laturperiode Gesetzentwürfe des Bundesrates und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Erst in dieser Legisla-
turperiode – das hätte ich dem Kollegen van Essen gern
auch persönlich gesagt – hat die F.D.P., nachdem sie von
den Fesseln der Regierungsverantwortung und des größe-
ren Koalitionspartners befreit war,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Oder umgekehrt!)

einen entsprechenden Entwurf vorgelegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu diesem heute noch einmal auf der Tagesordnung
stehenden F.D.P.-Entwurf habe ich in der Debatte vom
Oktober 1999 ausführlich Stellung genommen. Gleich-

zeitig habe ich angekündigt, dass der demnächst in erster
Lesung auf der Tagesordnung stehende Entwurf der Bun-
desregierung so evident besser sein werde, dass wir ihn
gemeinsam zur Beratungsgrundlage machen könnten.


(Beifall bei der SPD)

Aus dem „demnächst“ sind dann leider 17 Monate ge-

worden, vor allem deshalb, weil der Bundesrat – oder ge-
nauer: die derzeitige Mehrheit des Bundesrates – das Ver-
fahren durch Änderungsvorschläge, von denen leider kein
einziger überzeugen konnte, aufgehalten hat. Darauf
werde ich noch eingehen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Hört! Hört!)

Die CDU/CSU-Fraktion scheint sich ausweislich der

einleitenden Bemerkungen zu ihrer Großen Anfrage, die
heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht, nach wie vor
ablehnend zu dem Reformvorschlag zu verhalten.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dazu spricht gleich der rechtspolitische Sprecher!)


Vielleicht ist sie aber auch durch die Antworten der Bun-
desregierung und durch die auf hohem Niveau stehende
Sachverständigenanhörung


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Bestärkt worden!)

vom September vergangenen Jahres eines Besseren be-
lehrt worden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein! – Alfred Hartenbach [SPD]: Schön wäre das!)


Bei dieser Anhörung, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Sie sind uneinsichtig wie immer!)

hat sich die weit überwiegende Zahl der Sachverständigen
mit überzeugender Begründung für den stärkeren Schutz
der Presse- und Rundfunkfreiheit ausgesprochen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Presse ist heute ja gar nicht da!)


Zur Klarstellung der praktischen Bedeutung des Vor-
habens hat beispielsweise der Justiziar des Deutschen
Journalisten-Verbandes von 69 Fällen mit Durchsu-
chungsanordnungen in den Jahren von 1987 bis 1998
allein das ZDF betreffend berichtet,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Neun!)

darunter nur 19 in Verbrechenssachen, hingegen acht al-
lein wegen Beleidigungsverfahren. In den meisten Fällen
sei das angeforderte Filmmaterial nach dem Durchsu-
chungsbeschluss herausgegeben worden, um der mit einer
Durchsuchung verbundenen massiven Beeinträchtigung
der Arbeit der Rundfunkanstalt zuvorzukommen.

Leichtsinnigerweise, verehrte Kollegen von der
CDU/CSU, berufen Sie sich in der Begründung Ihrer ab-
lehnenden Haltung in Ihrer Großen Anfrage auf ein für
das Bundesministerium der Justiz im Jahre 1988


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Von Ihnen erstelltes Gutachten!)





Jörg van Essen

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(C)



(D)



(A)



(B)


beim Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht eingeholtes rechtsverglei-
chendes Gutachten. Dieses Gutachten


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Gibt uns Recht!)

ist – das ist richtig – seinerzeit unter meiner Verantwor-
tung entstanden. Der rechtsvergleichende Querschnitt,
auf den Sie sich meinen berufen zu können, ist von mir
verfasst und in der Festschrift für Tröndle veröffentlicht
worden.

Darin habe ich nun aber ausdrücklich festgestellt, dass
die geltende gesetzliche Regelung im Einzelfall unbefrie-
digend sein könne


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Könnte! Das gilt für alle Gesetze, Herr Kollege Meyer!)


und die Lösung dieser Fälle in der unmittelbaren Anwen-
dung von Art. 5 Grundgesetz unter Beachtung des Grund-
satzes der Verhältnismäßigkeit zu suchen sei.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da müssen Sie ständig die Gesetze ändern!)


Das war ein Appell und ich hatte eine Hoffnung,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie verbiegen Ihren eigenen Beitrag, Herr Professor!)


die sich leider nicht erfüllt hat.
Darauf habe ich bereits in der Bundestagsdebatte im

Dezember 1996 hingewiesen und festgestellt:

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Meyer ge gen Meyer!)

Die Hoffnung auf eine der Pressefreiheit Rechnung
tragende Kasuistik der Praxis hat sich also leider
nicht erfüllt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen schon!)

Offenbar geht die Praxis davon aus, dass die gebo-
tene Abwägung zwischen Pressefreiheit und rechts-
staatlicher Effektivität der Strafrechtspflege vom
Gesetzgeber, also von uns, vorzunehmen ist. Dieser
schwierigen Aufgabe müssen wir uns nunmehr stel-
len.

Also, verehrte Kollegen von der Opposition: Wenn Sie
mich schon freundlicherweise zitieren, dann bitte voll-
ständig.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Fakten sind richtig, nicht aber die Schlussfolgerung!)


Auf die Mängel des F.D.P.-Entwurfes muss ich heute
nicht noch einmal eingehen. So kann ich in der verblei-
benden Redezeit deutlich machen, warum die Ände-
rungsvorschläge der Mehrheit des Bundesrates von der
Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung mit Recht ab-
gelehnt worden sind.

Nach unserem Gesetzentwurf soll der Schutz von Ma-
terial und Erkenntnissen, die auf eigener Recherche des

Journalisten beruhen, nur dann eingeschränkt werden
oder entfallen, wenn ein Verbrechen aufgeklärt werden
soll. Damit soll an die Stelle überwiegend einzelfallbezo-
gener und dem Druck von Tagesemotionen ausgesetzter
Güterabwägung die Wertentscheidung des Gesetzgebers
treten, wonach bestimmte Delikte eben als Verbrechen,
also als schwere Straftaten mit einer angedrohten Min-
destfreiheitsstrafe von einem Jahr, einzuordnen sind. Nur
in diesen Fällen, also nicht etwa in Beleidigungsverfah-
ren, tritt der Schutz von Art. 5 Grundgesetz zurück. Der
Bundesrat will stattdessen – insoweit, wie wir eben hör-
ten, in Übereinstimmung mit der F.D.P. – die Ausnahmen
durch einen umfassenden Straftatenkatalog regeln, der
auch Vergehen enthält. Insoweit kann ich auf die Sach-
verständigen verweisen, die sich fast alle gegen einen der-
artig starren, völlig unklaren Kriterien folgenden Katalog
ausgesprochen haben. Dies war neben Professor Eser bei-
spielsweise auch der von der CDU/CSU-Fraktion be-
nannte Leitende Oberstaatsanwalt aus Augsburg.

Völlig unverständlich ist aber der schon in der Bun-
destagsdebatte von 1996 einhellig abgelehnte Vorschlag
des Bundesrates, darüber hinaus Ausnahmen für den Fall
vorzusehen, dass Gegenstand der Ermittlung eine Straftat
ist, wegen der eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr
zu erwarten ist. Welcher Richter oder Staatsanwalt soll ei-
gentlich eine zuverlässige Prognose über die zu erwar-
tende Strafe abgeben können, wenn über die Beschlag-
nahme oder Nichtbeschlagnahme von journalistischem
Material zu entscheiden ist, das Ermittlungsverfahren
aber erst am Anfang steht? Die Wiederholung des alten
Bundesratsvorschlages ist wohl nur durch ein relativ un-
reflektiertes Wiedervorlageverfahren erklärbar – und das
bei einem Gesetz, das nicht der Zustimmung des Bundes-
rates bedarf und bei dem auch deshalb ein besonders sorg-
fältiges Eingehen auf die Argumente des Bundestages zu
erwarten gewesen wäre.

Ebenso wenig überzeugend ist die Kritik des Bundes-
rates an dem vorgesehenen Beweiserhebungsverbot zu
Aussagen in anderen gerichtlichen Verfahren. Denn das
Verbot ist an die doppelte Voraussetzung geknüpft, dass
der Journalist zum einen im Strafverfahren von seinem
beruflichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht
und dass er zum anderen im außerstrafrechtlichen Verfah-
ren kein Zeugnisverweigerungsrecht hatte. Die über die-
sen Punkt, der auch im F.D.P.-Entwurf noch klärungsbe-
dürftig ist, im Oktober 1999 geführte Bundestagsdebatte
haben die Verfasser der Stellungnahme des Bundesrates
offenbar noch nicht einmal zur Kenntnis genommen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Nein, mit Sicherheit nicht!)


Geradezu erstaunlich ist schließlich der dritte Vor-
schlag des Bundesrates, die präzisen Vorgaben für die
nach § 97 StPO durchzuführende Verhältnismäßigkeits-
prüfung deshalb zu streichen, weil die Justizminister-
konferenz 1997 in Nr. 73 a der RiStBV ausdrücklich eine
Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgeschrieben habe. Abge-
sehen von der unscharfen Fassung jener Richtlinie müsste
es eigentlich inzwischen eine verfassungsrechtliche Bin-
senweisheit sein, dass die Festlegung der Abwägungskri-
terien, ob und inwieweit die Presse- und Rundfunkfreiheit
im Einzelfall Vorrang gegenüber den Bedürfnissen der




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

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(C)



(D)



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(B)


Strafrechtspflege haben kann, Sache des Gesetzgebers
und nicht irgendwelcher Richtlinien ist.


(Beifall bei der SPD)

Die Schwäche der Argumentation wird auch nicht

durch den sonderbaren Satz behoben, wonach Art. 5 des
Grundgesetzes es nicht gebiete – ich zitiere aus der Stel-
lungnahme des Bundesrates –, „Medien quasi als Depo-
nie für deliktsverstrickte Gegenstände fungieren zu las-
sen“. Da hat wohl ein Landesjustizminister oder dessen
Sachbearbeiter seiner tiefen Abneigung gegenüber den
Medien freien Lauf gelassen und aus seinem Herzen keine
Mördergrube gemacht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: SPD-regiertes Bundesland!)


– Ich bin ziemlich sicher, dass die Mehrheit des Bundes-
rates dies zu verantworten hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: 1997 war klar, wer die Mehrheit hat!)


Ich hoffe, dass unsere Beratungen des Entwurfes eines
Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung im
Rechtsausschuss und im Ausschuss für Kultur und Me-
dien im Vergleich dazu in einem rationalen und dem
Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit angemesse-
nen Klima durchgeführt werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1415517400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, wir können
diese Sitzung, die fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit
stattfindet, in einer ruhigen Atmosphäre fortsetzen. Inso-
fern war der eben gehörte Beitrag durchaus beachtens-
wert. Aber es gibt, lieber Herr Meyer, auch Gegenargu-
mente.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir mal gespannt!)


– Seien Sie ruhig gespannt, Herr Ströbele!
Zweifellos ist die Feststellung richtig, dass die Presse-

freiheit ein ganz hohes Gut ist und dass der Staat ver-
pflichtet ist, die Pressefreiheit zu schützen, wo immer er
kann. Ohne Pressefreiheit kann eine lebendige Demokra-
tie nicht existieren. Dies ist unbestritten.

Durch die Erweiterung des Zeugnisverweigerungs-
rechtes – es geht hier um eine Erweiterung des Zeugnis-
verweigerungsrechtes! – für Journalisten soll die Presse-
freiheit im Strafverfahren in einer besonderen Weise
geschützt werden. Dies kann zu Konflikten mit der ande-
ren Pflicht des Staates führen, nämlich für eine ordentli-
che Strafverfolgung zu sorgen. Dies ist ein ebenso hohes
Gut, wie das Bundesverfassungsgericht in vielen Ent-
scheidungen festgestellt hat.

Wir wissen, welche Funktion die Strafverfolgung in
unserem Staat hat: Sie hat die Funktion erstens der
Bekämpfung von Kriminalität, zweitens der Wahrung un-
serer Rechtsordnung und drittens der Wahrung und
Durchsetzung der Gerechtigkeit nicht nur gegenüber dem
Opfer der Kriminalität, sondern auch gegenüber dem Be-
treffenden selbst, der alle Beweismittel ausschöpfen kön-
nen muss, um die gegen ihn gerichteten Vorwürfe ent-
kräften zu können.

Hier sehen wir die Abwägungsschwierigkeit. Wir mei-
nen, dass diese Abwägung weder in dem einen noch in
dem anderen Gesetzentwurf richtig vorgenommen wor-
den ist, und haben deshalb unsere Bedenken.

Zweifellos ist richtig – darin werden wir alle miteinan-
der übereinstimmen –, dass die innere Sicherheit, also
die Bekämpfung der Kriminalität, eine der vordringlichs-
ten Aufgaben des Staates ist. Das wird gerade jetzt deut-
lich, da dieses Kind in Brandenburg verschwunden ist und
bislang noch jede Spur fehlt. Das weckt Ängste, das wirft
sofort Fragen an die Polizei, an die Staatsanwaltschaft und
an die Gerichte, aber auch an den Gesetzgeber auf, ob
denn in der Vergangenheit alles unternommen worden ist,
um die innere Sicherheit zu garantieren. Wenn wir keine
Sicherheit mehr auf den Straßen, auf den Plätzen, im Zug,
in der U-Bahn und vielleicht nicht einmal mehr in der ei-
genen Wohnung haben, dann wird das Leben zum Alb-
traum.

Dieses hohe Gut der Strafverfolgung soll mit dazu bei-
tragen, dass die innere Sicherheit in einem großen Maße
gesichert werden kann. Deswegen haben wir unsere Be-
denken. Denn jedes Zeugnisverweigerungsrecht führt da-
zu, dass die Strafverfolgung beeinträchtigt werden kann.
Das muss man einfach so sehen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist doch immer so beim Zeugnisverweigerungsrecht!)


– Nun kommt es darauf an, lieber Herr Ströbele, wie weit
ich in einem solchen Fall gehe. Jedes Zeugnisverweige-
rungsrecht und das damit verbundene Beschlagnahme-
verbot kann im konkreten Einzelfall die Strafverfolgung
hindern, kann den Staat hindern, einer wichtigen Pflicht
nachzukommen. Das ist die Grundüberlegung.

Es besteht kein Zweifel – ich wiederhole das –, dass die
Pressefreiheit einen hohen Rang in unserem Staat einneh-
men muss. Aber einen ebenso hohen Rang muss die Straf-
verfolgung haben. Deswegen ist es dem Staat auch nicht
erlaubt, das Zeugnisverweigerungsrecht beliebig auszu-
dehnen. Ansonsten verletzt er eine wichtige verfassungs-
mäßige Pflicht, nämlich sicherzustellen, dass in einem
Strafverfahren die Wahrheit in größtmöglichem Umfang
festgestellt werden kann. Diese Feststellung der Wahrheit
soll nicht nur zugunsten der Strafverfolgung erfolgen,
sondern – ich habe es schon gesagt – auch zugunsten des
Betroffenen selbst, letztendlich zugunsten der Gerechtig-
keit. Wenn nun das Zeugnisverweigerungsrecht in einem
zu starken Maße ausgeweitet wird, geht die Abwägung
zulasten der Strafverfolgung. Ich glaube, dass dies nicht
notwendig ist.




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben nach unserer Auffassung schon einen aus-
reichenden Schutz der Journalisten im Strafverfahren. Es
gibt ja das Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich des
nicht selbst recherchierten, sondern von Informanten er-
haltenen Materials. Diesbezüglich braucht der Journalist
vor dem Gericht keine Aussage zu machen. Dies hat sei-
nen Grund darin, dass zwischen Journalisten und Infor-
manten ein Vertrauensverhältnis bestehen muss. Wenn
dieses Vertrauensverhältnis nicht besteht, fließen keine
Informationen. Dann können die Presse und die anderen
Medien ihre Pflicht nicht erfüllen, die Bevölkerung um-
fänglich zu informieren. Deswegen haben wir diesen In-
formantenschutz – wie ich meine, mit Recht – in das
Zeugnisverweigerungsrecht hineingenommen. Insofern
genießt der Journalist im Gerichtsverfahren ausreichen-
den Schutz.

Nun wollen Sie von der Regierungskoalition und von
der F.D.P. das Zeugnisverweigerungsrecht über das vom
Informanten bekommene Informationsmaterial hinaus
auch auf das selbst recherchierte Material ausdehnen. Wir
meinen, hier gehen Sie einen Schritt zu weit. Ich möchte
das begründen. Ich glaube – und das sagt das Verfas-
sungsgericht in seiner Entscheidung von 1997 auch –,
dass der Eingriff in die Pressefreiheit dann nicht rechtens
ist, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ge-
wahrt ist.

Nun sagen Sie zu Recht, Herr Meyer, dass dies im kon-
kreten Einzelfall oft nicht beachtet worden ist. Aber Sie
werden immer Ausreißer haben, Sie werden immer Ge-
richte und immer Staatsanwaltschaften haben, die die Ge-
setze nicht genau beachten.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Siehe München!)

Deswegen gibt es Freisprüche und Fehlurteile. Aber der
Grundsatz, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wah-
ren ist, bleibt.

Nach diesem Grundsatz ist es verboten, den Eingriff in
das selbst recherchierte Material vorzunehmen, wenn dies
in keinem vernünftigen Verhältnis zum Interesse an der
Aufklärung der Straftat steht, weil die Straftat zu gering-
fügig ist. Hier ist die Pressefreiheit das höhere Gut. Dann
muss dieser Eingriff unterbleiben. Deswegen meine ich,
dass aufgrund unserer Verfassungsprinzipien der Verhält-
nismäßigkeit und der größtmöglichen Schonung im Ein-
zelfall das selbst recherchierte Material hinreichend ge-
schützt ist.

Aber nun gehen Sie noch einen Schritt weiter. Sie wol-
len das Zeugnisverweigerungsrecht nicht nur auf das
selbst recherchierte Material ausdehnen, sondern wollen
auch die nicht periodisch erscheinenden Druckwerke
und die dafür gesammelten Materialien in das Zeugnis-
verweigerungsrecht einbeziehen. Hier gehen Sie nach
meiner Meinung wiederum einen Schritt zu weit und
schaffen damit unnötige Konflikte, weil Sie jetzt nicht
mehr unterscheiden können, wer Journalist ist und wer
nicht. Jemand, der bei einer Zeitung arbeitet, gilt als Jour-
nalist, selbst wenn das Berufsbild des Journalisten ge-
setzlich nicht genau festgeschrieben ist. Aber ist jeder, der
gerade ein Buch schreibt oder einen Film macht – wer
mag ihm das verwehren oder wer mag das bestreiten? –

Journalist? Wenn sich dieser auch auf das Zeugnisverwei-
gerungsrecht berufen kann, hat der Staat nicht mehr die
Möglichkeit der Ermittlung der Wahrheit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Film ist das heute schon so!)


Diese Verpflichtung hat er aber. Dann ist der Staat ge-
zwungen stillzuhalten und darf nicht weitergehen. Ich
meine, Sie gehen in Ihrem Bestreben, die Pressefreiheit zu
schützen, zu weit.

Sie sagen auch, dass in den Fällen, in denen sich ein
Journalist durch den Erwerb des Informationsmaterials
selbst strafbar gemacht hat oder einen anderen deckt, der
Zugriff des Staates nicht erlaubt ist, wenn der Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch selbstverständlich!)


Sie schreiben dies ausdrücklich in das Gesetz hinein.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Grundgesetz!)

– Ja, lieber Herr Ströbele. Dadurch aber besteht die Ge-
fahr, dass der ermittelnde Beamte seiner Verpflichtung,
im konkreten Fall zu ermitteln, aus Angst, er könne gegen
das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen, nicht nach-
kommt. Ich glaube, Herr Meyer,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Lieber Herr Meyer!)


dass es ausreicht, dass dieses Prinzip in § 73 der Richtli-
nien für Strafverfahren und Bußgeldverfahren festgelegt
ist. Es muss nicht eigens ins Gesetz hineingeschrieben
werden.

Aber noch aus einem weiteren Grund meine ich, dass
Sie in diesen Fällen zu weit gehen. Sie sagen: Die Be-
schlagnahme hat zu unterbleiben, wenn nicht feststeht
– das ist das Problem –, dass der konkrete Sachverhalt
nicht auch auf andere Weise ermittelt werden kann. So
werden Sie jeden Polizeibeamten, jeden Staatsanwalt in
einen Rechtfertigungszwang bringen. Weil er vermeiden
will, in einen solchen Rechtfertigungszwang zu geraten,
wird er erst gar nicht ermitteln.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht beschlagnahmen! Ermitteln ja!)


Das ist das Problem. Deswegen, lieber Herr Ströbele,
habe ich Bedenken. Ich will ja nicht sagen, dass das alles
verkehrt ist, was Sie machen. Aber ich habe hier ernst-
hafte Bedenken.

Auch bei dem Beweiserhebungsverbot habe ich Be-
denken. Ich sehe eigentlich nicht ein, warum die Aussage
eines Journalisten vor einem anderen Gericht – diese Aus-
sage ist damit objektiviert, im Protokoll festgehalten –
nicht in einem Strafverfahren verwendet werden kann.
Das ist für mich nicht mehr einsichtig. Hier gehen Sie
nach meiner Auffassung zu weit. Mir kommt das Bild von
der Justitia in den Sinn, deren Augen verbunden sind, aber
nicht, weil sie ohne Ansehen der Person zu richten hat,
sondern ganz offensichtlich deshalb, weil sie ihre Augen




Norbert Geis
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(C)



(D)



(A)



(B)


vor der Erkenntnis der Wahrheit verschließen muss. Das,
meine ich, sollte nicht der Fall sein. Deswegen teile ich
die Bedenken des Bundesrates. Ich teile die Bedenken der
Justizministerkonferenz. Ich teile auch die Bedenken des
Juristentages von 1998.

Ich glaube, dass wir, alles in allem gesehen, im Augen-
blick eine Gesetzeslage haben, die durchaus dem An-
spruch der Pressefreiheit gerecht wird. Ich meine, dass es
nicht notwendig ist, das Gesetz zu ändern. Sie haben das
Gutachten des Max-Planck-Instituts zitiert. In ihm steht
nicht, dass die Presse in einem anderen Land eine bessere
Stellung hätte. Das war die eigentliche Frage, die wir ge-
stellt hatten. In der Antwort der Bundesregierung, in der
auch das Gutachten des Max-Planck-Instituts zitiert wird,
wird ausgeführt, dass es keine ausreichenden rechts-
tatsächlichen Untersuchungen gibt, aus denen folgte, dass
das bestehende Zeugnisverweigerungsrecht für Journalis-
ten nicht ausreichte. Auch das Verfassungsgericht hat in
seinem Urteil von 1987 erklärt: Wir haben eine ausrei-
chende Gesetzeslage; wir brauchen sie nicht zu ändern.

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon die
Frage stellen, ob es nicht gewichtige Argumente gegen die
Gesetzgebungsvorhaben sowohl der F.D.P. als auch der
Regierungskoalition gibt. Ich bitte Sie, auch diese Gegen-
argumente bei der Beratung hinreichend zu beachten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ströbele.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt musst du auch sagen: Lieber Herr Geis!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! In einem Punkt gebe ich dem lieben Kollegen Geis
Recht:


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieses Gesetz ist so gut, dass es in einer früheren Stunde
in diesem Haus hätte verhandelt werden müssen und es
auch verdient hätte, von mehr Abgeordneten behandelt
und diskutiert zu werden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es kommt doch auf die Qualität an!)


In dem Punkte haben Sie Recht.
Dies ist nämlich ein guter Tag nicht nur für Journalis-

ten, sondern für die vierte Gewalt im Staate insgesamt, für
die Rechtskultur und für die Presse und die Medien in die-
sem Lande. Denn es geht nicht nur um Journalisten und
auch nicht nur um die Informanten, um die Gewährsleute
von Journalisten, sondern auch darum, die Presse – dazu
gehören natürlich die gedruckte Presse und die Jour-
nalisten, die ihr zuarbeiten, aber auch die anderen Medien
wie Rundfunk und Fernsehen – in die Lage zu versetzen,
ihr Wächteramt in diesem Staate wirksam auszuüben.

Dazu müssen sie sicher sein, dass sie frei von jeglicher
staatlicher Repression sind. Sie dürfen nicht fürchten
müssen, dass sie etwa einen Informanten preisgeben müs-
sen. Das ist heute schon geregelt. Aber auch das, was sich
ein Journalist aufschreibt, notiert oder mit der Kamera
aufnimmt, darf nicht nachher von der Staatsanwaltschaft
beschlagnahmt werden können. Der Journalist darf nicht
gezwungen werden können, vor Gericht darüber Zeugnis
abzulegen. Die Informationen, die er zu Hause verwahrt,
dürfen nicht gegen einen Angeklagten in einem Strafver-
fahren benutzt werden.

Nur wenn sichergestellt ist – dazu hat sich das
Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen
klar geäußert –, dass die Quellen der Information für alle
Journalisten und Medien im Verborgenen sprudeln kön-
nen, können die Journalisten, die Presse und die Medien
ihr Wächteramt in diesem Staate wirksam ausüben.

Um den unsinnigen Streit darüber zu beenden, was
selbst recherchiertes Material und was von einem Infor-
manten zur Verfügung gestelltes Material ist, und ihn ob-
solet zu machen, haben wir diesen Gesetzentwurf vor-
gelegt. Danach können in Zukunft Journalisten grund-
sätzlich für sich dasselbe Recht in Anspruch nehmen, das
auch die Abgeordneten, die Rechtsanwälte, die Ärzte und
die Geistlichen für sich in Anspruch nehmen: Sie brau-
chen zu dem, was sie erfahren oder selbst herausgefunden
haben, vor Gericht keinerlei Aussage zu machen.

Herr Kollege Geis, es ist nicht so, dass die Journalisten
nicht aussagen dürfen, aber sie müssen nicht. Das heißt,
der Journalist muss verantwortlich abwägen, wie er sich
in einem Strafverfahren verhält. Obwohl er das Recht zur
Aussageverweigerung hat, kann er im Interesse des An-
geklagten, im Interesse der Wahrheitsfindung oder um zu
verhindern, dass das Gericht einen falschen Kurs ein-
schlägt, trotzdem eine Aussage machen. Es geht nicht da-
rum, die Quelle völlig zu verschließen, sondern dem Jour-
nalisten soll die Sicherheit gegeben werden, dass es allein
von ihm abhängt, ob er Informationen, die er bei sich zu
Hause gesammelt hat – sei es von einem Informanten, sei
es von ihm selbst –, preisgibt.

Ein Geistlicher darf über das, was er im Rahmen des
Beichtgeheimnisses, im Rahmen von Gesprächen oder als
Geistlicher sonst erfahren hat, vollständig die Aussage
verweigern.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Er veröffentlicht das doch nicht! Haben Sie gehört, dass jemand etwas aus dem Beichtstuhl veröffentlicht? Das ist doch kein Vergleich!)


– Ich bin dafür, dass dies erhalten bleibt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil Sie es nicht vergleichen können!)

Auch die freie Ausübung der Religion soll gesichert sein.
Das ist der Hintergrund, warum der Staat dem Geistlichen
dieses Recht zugesteht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, das ist ein Vertrauensbeweis!)


Genauso wichtig ist für uns aber auch ein Funktionieren
der Presse und des Journalismus in diesem Staate.




Norbert Geis

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb wollen wir dieses umfassende Zeugnisverweige-
rungsrecht auch für Journalisten einführen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517600
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1415517700
Herr Ströbele, würden Sie
mir zustimmen, dass der Geistliche, der etwas ihm im
Beichtstuhl Anvertrautes nicht weitergeben kann, genau
dasselbe Recht wie der Journalist hat, der von einem
Informanten eine Information bekommen hat? Auch ihn
schützen wir. Deshalb genießt der Geistliche genau den-
selben Schutz. Mehr beanspruchen wir für den Geistli-
chen gar nicht.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(Norbert Geis [CDU/CSU]: Doch! Genau das!)


weil auch beim Geistlichen nicht nur das geschützt ist, was
er im Beichtstuhl erfährt oder was ihm von einem Gläubi-
gen zugetragen wird, sondern auch das, was er selber in
diesem Zusammenhang in Erfahrung bringt. All das, was
er in seiner Tätigkeit als Geistlicher erfährt, ist geschützt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir doch jetzt auch beim Journalisten geschützt!)


Deshalb ist es richtig, hier eine Gleichsetzung vorzuneh-
men.

Herr Kollege Geis, es geht bei dem umfassenden
Zeugnisverweigerungsrecht – ich wende mich auch an
den abwesenden Kollegen van Essen –


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Er hat sich entschuldigt!)


vor allen Dingen um die „kleineren“ Fälle, nicht um
schwere oder schwerste Straftaten oder Verbrechen, sondern
nur um Vergehen oder Übertretungen. Dabei ist es von ganz
entscheidender Bedeutung, dass wir die Strafmaßstäbe, die
das Strafgesetzbuch heute vorsieht, für das Zeugnisver-
weigerungsrecht übernehmen. Wir wollen nicht, dass der je-
weilige Gesetzgeber immer wieder neu überlegen muss,
warum die eine oder andere Straftat zwar kein Verbrechen,
aber doch so schwerwiegend ist, dass ein Zeugnisverweige-
rungsrecht dabei nicht in Betracht kommt.

Außerdem wollen wir – und das aus gutem Grunde –
das Zeugnisverweigerungsrecht auch dann zubilligen,
wenn der Journalist für nicht periodische Druckwerke ar-
beitet. Das betrifft gerade jene, die an einem Film oder ei-
nem Buch mitarbeiten. Wir wollen keinen Unterschied
machen zwischen dem einen und dem anderen, wollen
hier nicht die Abwägung vornehmen müssen, ob nun das
periodische Druckerzeugnis wichtiger und wertvoller ist
als das einmalig erscheinende. Wenn ein Journalist


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es geht um einen Journalisten!)


ein Buch über Fakten, Tatsachen, beispielsweise jetzt über
bestimmte Affären, die das Land beschäftigen, schreibt,
dann soll er genauso geschützt sein, als wenn er einen Ar-
tikel in einer Zeitung, einer Zeitschrift oder im Rundfunk
veröffentlichen würde. Deshalb ist es richtig und wichtig,
das Zeugnisverweigerungsrecht darüber hinaus auszu-
dehnen. Es soll jetzt für alle berufsmäßig als Journalisten
arbeitende Personen gelten. Das ist die Einschränkung,
Herr Kollege Geis. Insofern stimmt Ihr Argument nicht,
dass wir jedem dieses Zeugnisverweigerungsrecht zubil-
ligen. Vielmehr kommt es auf das berufsmäßige Ausüben
an.

Ich verhehle nicht, dass ich in der Anhörung zusätzli-
che Argumente von Sachverständigen vernommen habe,
die wir in die Diskussion im Rechtsausschuss einfließen
lassen sollten, etwa jenes, dass ein Verwertungsverbot
dann nicht gelten sollte, wenn Gegenstände beschlag-
nahmt worden sind, weil ein Journalist im Verdacht stand,
an einer Straftat beteiligt gewesen zu sein. Anders ist es,
wenn aber der Tatverdacht später entfällt, wenn er bei-
spielsweise freigesprochen oder das Verfahren eingestellt
wird.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517800
Herr Kollege!


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für Durchsuchungen von einem Einzelrichter vorgenom-
men werden kann oder ob es nicht richtiger und wichtiger
ist, dass dies Strafkammern tun.

Letztlich will ich den Gedanken aufnehmen, der schon
im F.D.P.-Entwurf enthalten ist, ob für die Beschlag-
nahme nicht tatsächlich ein dringender Verdacht, der Ver-
dacht der Teilnahme des Journalisten an einer Straftat, ge-
geben sein muss.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415517900
Herr Kollege,
Ihre Redezeit ist vorbei.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen anstellen.

Ich möchte einen bekannten Ausspruch des Fraktions-
vorsitzenden der SPD aufnehmen und hoffe: Ein Gesetz
geht in den Bundestag, kommt aber nicht so heraus, wie
es hineingekommen ist. Ich wünsche uns allen gute Bera-
tung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Marquardt.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1415518100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier schon einmal
über den F.D.P.-Entwurf diskutiert. Schon bei dieser Ge-
legenheit habe ich zum Ausdruck gebracht, dass ich die




Hans-Christian Ströbele
15236


(C)



(D)



(A)



(B)


Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes durchaus
begrüße, dass aber der umfangreiche Ausnahmekatalog,
den Sie angehängt haben, Ihren Gesetzentwurf ein biss-
chen ad absurdum führt, weil es natürlich nur in schweren
Fällen zur Hausdurchsuchung oder auch zur Beschlag-
nahme kommt. Es geht nicht um Schwarzfahren oder Be-
leidigung, sondern immer um Verbrechen, nämlich um
Terrorismus, Mord, Bestechung und auch Hochverrat.

Jetzt liegt der Regierungsentwurf vor. Ich hatte da-
mals meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass er besser
wird. Aber ich will Ihre Freude doch ein wenig dämpfen,
weil auch hierin Dinge enthalten sind, die – wie auch in
der Anhörung zum Ausdruck kam – durchaus Fragen of-
fen lassen. Ich finde nicht, dass er besser ist. Eine Synopse
aus beiden Entwürfen könnte sicherlich etwas Gutes brin-
gen. Es geht ja jetzt in die Beratung.

Sie haben statt eines umfangreichen Ausnahmekatalo-
ges in Ihrem Gesetzentwurf den kleinen, unauffälligen
Satz, dass Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungs-
recht dann möglich sind, wenn sich die polizeilichen Er-
mittlungen um ein Verbrechen drehen, das heißt um ein
Delikt mit einer Strafandrohung von einem Jahr und mehr.
Es stimmt, dass Kataloge – wie bei der F.D.P. – mehr Will-
kür bedeuten als die eindeutige Regelung in Ihrem Ent-
wurf, aber in der Praxis wird das kaum einen Unterschied
machen. Herr Ströbele, das muss ich Ihnen sicherlich
nicht sagen. Ich möchte Sie zitieren:

Machen Sie den Journalisten einmal klar, dass das
Material, das sie in wirklich wichtigen Fällen, in de-
nen es um Spionage, um kriminelle Vereinigungen
oder um schwere Straftaten geht, erarbeitet und in
ihrem Schreibtisch liegen haben, nicht frei von Be-
schlagnahme ist. Ich denke – so haben Sie damals ge-
sagt –, dass sie gerade in diesen Fällen geschützt
werden müssen.

Das denke ich auch. Allerdings denke ich, dass sie
durch Ihren Entwurf nicht geschützt sind. Spionage und
schwere Straftaten gemäß § 129 Strafgesetzbuch fielen
auch nach Ihrem Gesetzentwurf unter die Ausnahmerege-
lung, denn hier handelt es sich um Verbrechen. Deswegen
erschließt sich für mich der Vorteil dieses Entwurfs nicht.

In einem anderen Punkt ist der Regierungsentwurf in
meinen Augen sogar schlechter als der der F.D.P. Das ist
hier im Zusammenhang mit dem einfachen und dem drin-
genden Tatverdacht schon angeklungen, denn bekannt-
lich sind schon heute Beschlagnahmen bei Journalisten
möglich, wenn der betroffene Journalist selbst der Tat ver-
dächtigt wird. Nach dem Regierungsentwurf soll schon
der einfache Tatverdacht ausreichen. Das scheint in mei-
nen Augen – Sie haben selbst etwas dazu gesagt – sehr be-
denklich.

Die Anhörung im Rechtsausschuss hat gezeigt, dass
Vertreter der Medien und Wissenschaftler in diesem
Punkt allesamt dem F.D.P.-Entwurf den Vorrang geben.
Ich denke, diese Meinungen sind nicht unbedeutend. Der
Justitiar des Deutschen Journalisten-Verbandes bezeich-
nete in diesem Punkt den F.D.P.-Entwurf als erheblich
besser. Auch der Bundesverband Deutscher Zeitungs-
verleger hat den Regierungsentwurf als nicht weitgehend

genug kritisiert. Ich denke, man kann sich diesem Urteil
der Experten durchaus anschließen. Beide Vorlagen, die
wir heute beraten, gehen nicht weit genug.

Gerade auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
wird immer wieder hingewiesen; er ist auch im Regie-
rungsentwurf erwähnt. Es ist bereits jetzt so, dass die Ver-
hältnismäßigkeit zu beachten ist. Die Erfahrung hat aber
gezeigt, dass sich die Strafverfolger darum nicht unbe-
dingt scheren. Im Grunde genommen wissen wir alle, dass
der Anspruch der Verhältnismäßigkeit immer verhältnis-
mäßig unverbindlich ist. Das ist das Problem an der Sa-
che.

Dennoch bin ich der Meinung, dass beide Gesetzent-
würfe in die richtige Richtung gehen. Die Ausdehnung
des Zeugnisverweigerungsrechts auf selbst recherchiertes
Material, auf nicht periodische Druckwerke und auf elek-
tronische Publikationen ist in meinen Augen überfällig
und ich bin froh, dass es in dieser Frage endlich Bewe-
gung gibt. Ich hoffe, dass in den Ausschüssen noch die
eine oder andere Änderung vorgenommen wird. Wir wer-
den das sehen. Was aber auf gar keinen Fall sein darf – das
klang bei Ihnen, Herr Geis, ein bisschen an –: Journalisten
sind keine Helferinnen und Helfer der Polizei.


(Beifall bei der PDS)

Sie passen auf und achten auf die Exekutive und die Le-
gislative. Es ist ihr Auftrag, etwas öffentlich zu machen,
und nicht, anderen bei ihren Ermittlungen zu helfen. Wir
haben in der Bundesrepublik eine Gewaltentrennung.
Wenn dieser Gesetzentwurf nach ein paar Änderungen gut
wird, ist das ein guter Tag für die Gewaltenteilung.


(Beifall bei der PDS – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Wir haben drei Gewalten! – Gegenruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben vier! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber die vierte ist nicht legal!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518200
Das Wort hat
jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1415518300
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich denke, es besteht ein hohes Maß an Überein-
stimmung in der Beurteilung der Aufgabe unserer Presse
und der damit verbundenen Pressefreiheit nach Art. 5 un-
serer Verfassung. Es ist auch richtig, dass die Freiheit der
Berichterstattung durch Rundfunk und Medien für unsere
Demokratie schlechthin konstitutiv oder konstituierend
ist, wie es Herr Meyer vorhin gesagt hat. Das hat auch
das Bundesverfassungsgericht so ausgedrückt, und zwar
aus gutem Grund: Allein unabhängige, von staatlichem
Zwang freie Medien garantieren ein breites Spektrum ver-
öffentlichter Meinungen und davon lebt die politische
Willensbildung.

Nicht weniger wichtig – auch das ist angesprochen
worden – ist die Wächterfunktion der Medien. Häufig
ist es Journalistinnen und Journalisten zu verdanken, dass
verborgenes, zum Teil rechtswidriges oder gar kriminelles




Angela Marquardt

15237


(C)



(D)



(A)



(B)


Handeln an das Licht der Öffentlichkeit dringt. Insofern
schützt Art. 5 des Grundgesetzes die Freiheit von Presse
und Rundfunk umfassend, und zwar von der Beschaffung
von Informationen bis zur Verbreitung von Nachrichten
und Meinungen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nicht schrankenlos!)


– Geschützt, lieber Herr Geis, ist somit neben dem Ver-
trauensverhältnis zwischen dem Journalisten und seinem
Informanten auch die Vertraulichkeit der Redaktionsar-
beit, einschließlich des Ergebnisses eigener Recherche.
Das ist für die Verwirklichung dieses Grundrechts unab-
dingbar. Diese Freiheit darf auch aus Gründen der Straf-
verfolgung nicht ausgehöhlt werden.

Auf der Ebene des einfachen Rechts räumt die Straf-
prozessordnung den Journalisten bislang ein Zeugnisver-
weigerungsrecht nur für die von Dritten zugetragenen In-
formationen ein. Dieses Recht ist darüber hinaus bisher
auf die Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung ganz
bestimmter Medienerzeugnisse beschränkt: nur auf peri-
odisch erscheinende Druckwerke, zum Beispiel Zeitun-
gen, und Rundfunksendungen. Das ist nach unserer Auf-
fassung einfach zu eng.

Weil die Beschlagnahmeverbote vom Umfang des
Zeugnisverweigerungsrechts abhängig sind, kann deshalb
grundsätzlich auch selbst recherchiertes Material beschlag-
nahmt werden. Informationen, die für ein Buch von Be-
deutung sind oder die einer Veröffentlichung in den elek-
tronischen Medien dienen, können sogar voll umfänglich,
das heißt auch dann, wenn es sich um von einem Infor-
mationsdienst oder Informanten zugetragene Erkennt-
nisse handelt, sichergestellt werden. Diesen Zustand
wollen wir angesichts des verfassungsrechtlichen Stellen-
wertes und im Sinne eines umfassenden Schutzes der Me-
dienfreiheit ändern. Er führt heute zu Unsicherheiten bei
der Rechtsanwendung durch die Staatsanwaltschaften
und die Gerichte.

Dazu hat übrigens auch die Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts beigetragen. Es hat festgestellt,
dass sich ein Beschlagnahmeverbot im Einzelfall unmit-
telbar aus der Verfassung ergibt, und zwar über die Be-
stimmung der Strafprozessordnung hinaus. Deshalb ist es
wichtig, dass wir die Voraussetzungen, unter denen sich
ein solches Recht ergibt, definieren, weil sie von den
Strafverfolgungsbehörden nicht immer sicher bestimmt
werden können.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl für den Gesetzgeber!)


Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung stärkt das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalis-
ten, ohne dass dadurch die Wirksamkeit der Kriminalitäts-
bekämpfung Schaden nehmen würde. Er schafft – das
habe ich schon gesagt – ein Mehr an Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit und legt gleichzeitig fest, wann der Jour-
nalist zur Aufklärung schwerer Straftaten trotz des ver-
fassungsrechtlich geschützten Redaktionsgeheimnisses
beitragen muss.

Erstmals wird ein Recht auf Zeugnisverweigerung
auch den Journalisten eingeräumt, die bei nicht periodisch
erscheinenden Druckwerken mitwirken, also zum Bei-
spiel bei Büchern, bei Filmberichten oder bei Informati-
ons- und Kommunikationsdiensten, die der Unterrichtung
und der Meinungsbildung dienen, und zwar berufsmäßig,
wie ich hervorheben möchte. Mit dieser Erweiterung wird
endlich der Ungleichbehandlung gleichwertiger Medien-
erzeugnisse ein Ende gesetzt. Zugleich wird mit der
Einbeziehung von Informations- und Kommunikations-
diensten neuen Formen der Informationsvermittlung und
der Meinungsbildung Rechnung getragen. Presse- und
Rundfunkfreiheit werden somit auch in der hoch techno-
logisierten Mediengesellschaft der Zukunft effektiv ge-
schützt bleiben.

Ein weiterer wichtiger Punkt: In Zukunft wird das
selbst recherchierte Material grundsätzlich nicht mehr
dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden unterliegen.
Allerdings zieht der Gesetzentwurf auch hier eine klare
Grenze: Ein Journalist, der aufgrund selbst recherchierter
Erkenntnisse zur Aufklärung eines Verbrechens, also ei-
ner Straftat, die mit einer Mindeststrafe von einem Jahr
Freiheitsentzug bedroht ist, beitragen kann, muss dieses
Wissen als Zeuge den Strafverfolgungsbehörden zur Ver-
fügung stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, dass dies eine ebenso praxistaugliche wie nach-
vollziehbare Abwägung zwischen der Pressefreiheit und
den Belangen einer effektiven Strafverfolgung darstellt.
In der Tat ist es so, dass man diese Abwägung sehr sorg-
fältig vornehmen muss. Ich bin überzeugt, dass wir in den
Beratungen in den zuständigen Ausschüssen auf diese
Fragen noch ausführlich zu sprechen kommen werden.

Ich möchte zum Schluss noch einen Blick – das ist
schon vorhin kurz angedeutet worden – auf unsere euro-
päischen Nachbarn werfen, von denen einige in letzter
Zeit den Schutz des Redaktionsgeheimnisses im Inte-
resse freier Medien gestärkt haben. Ich denke hier insbe-
sondere an die Schweiz mit ihrem Strafverfahrensrecht
aus dem Jahre 1998. Auch in den Niederlanden ist die
Rechtsprechung seit kurzem dazu übergegangen, die Un-
terscheidung zwischen zugetragenen und selbst recher-
chierten Erkenntnissen grundsätzlich aufzugeben. Ich
kann also sagen, dass wir uns mit dem Gesetzentwurf auf
einem weithin anerkannten europäischen Standard bewe-
gen. Die Stärkung des Zeugnisverweigerungsrechts von
Journalisten ist nicht zuletzt in diesem europäischen Kon-
text ein wichtiges rechtspolitisches Reformvorhaben.

Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf setzt die Frei-
heitsgarantien des Grundgesetzes für Rundfunk und
Presse in das Strafverfahrensrecht um. Er trägt aber auch
dem berechtigten Anspruch der Menschen auf wirksame
Verbrechensbekämpfung Rechnung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
15238


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518400
Ich schließe da-
mit die Aussprache zu diesem Punkt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5166 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie die Zusatzpunkte
7 und 8 auf:

9. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Flüchtlingsschutz ist Menschenrechtsschutz
– Drucksachen 14/4884, 14/5462 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Bindig
Hermann Gröhe
Claudia Roth (Augsburg)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut
Haussmann, Hildebrecht Braun (Augsburg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Stärkeres deutsches Engagement auf der 57. Sit-
zung der Menschenrechtskommission der Ver-
einten Nationen
– Drucksache 14/5452 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Ulrich Irmer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der F.D.P.
Deutsche Initiative zum Schutz der Binnenver-
triebenen
– Drucksache 14/5453 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine
halbe Stunde für die Aussprache vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Lilo Friedrich.


Lilo Friedrich (SPD):
Rede ID: ID1415518500
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Am heutigen Internationalen Frauentag gibt es einen
besonderen Grund zu feiern. Der Internationale Frauentag
wird 90 Jahre alt. Seit neun Jahrzehnten begehen Frauen
in aller Welt am 8. März einen frauenpolitischen Aktions-

tag, um ihren Forderungen nach Gleichstellung öffent-
lichkeitswirksam Nachdruck zu verleihen und ihr Enga-
gement für internationale Solidarität zu bekunden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der heutige Tag ist aber kein Anlass zu feiern, wenn
wir unser Augenmerk auf die Situation der Flüchtlinge
richten; denn in vielen Ländern der Welt bleiben Frauen
die Rechte und Chancen, die wir in den Industrieländern
erkämpft haben, noch immer versagt. Sie fliehen, weil
Leib und Leben in Gefahr sind. Sie fliehen, weil sie poli-
tisch verfolgt werden oder weil sie Opfer von ge-
schlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen
sind. Sie fliehen vor nichtstaatlichen Akteuren und aus
zerfallenen Staaten.

Unsere Aufgabe ist es, Flüchtlingen Schutz zu ge-
währen. Hierzu wollen wir mit unserem Antrag, den wir
heute beraten, einen wichtigen Beitrag leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Er resultiert nicht zuletzt aus den Folgerungen, die wir
durch die Anhörung des Menschenrechtsausschusses zur
nichtstaatlichen Verfolgung gewinnen konnten.

Die Vorsitzende des Ausschusses wird heute zum letz-
ten Mal in dieser Funktion im Deutschen Bundestag re-
den. Liebe Claudia, für dein engagiertes und mutiges Ein-
treten für die Belange der Menschenrechtspolitik möchte
ich dir stellvertretend für den Ausschuss heute herzlich
danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir alle wünschen dir für deine zukünftigen Aufgaben

viel Glück. Ich bin sicher, wir werden heute nicht das
letzte Mal für gemeinsame Ziele streiten.

Flüchtlingsschutz ist Menschenrechtsschutz, so lautet
die Kernaussage unseres Antrages. Um dieser Anforde-
rung gerecht werden zu können, sind uns mehrere Punkte
wichtig. Bei der Definition des Flüchtlingsbegriffs hat
sich in Deutschland eine Rechtsprechung entwickelt,
nach der die Verfolgung vom Staat ausgehen oder ihm zu-
rechenbar sein muss. Aber immer mehr Menschen auf der
Welt flüchten vor nichtstaatlicher Verfolgung. In eini-
gen Ländern haben sich zentralstaatliche Strukturen auf-
gelöst. An ihre Stelle sind völkerrechtlich nicht aner-
kannte, quasistaatliche Strukturen getreten.

Ein Beispiel hierfür ist Afghanistan. Zurzeit richtet
sich das Augenmerk der Weltöffentlichkeit vor allem auf
die sinnlose Zerstörung der Kulturschätze dieses Landes.
Wir dürfen darüber aber nicht vergessen, dass es vor al-
lem Menschen sind, die in diesem Land leiden müssen.
Menschen, die das Taliban-Regime als politisch und reli-
giös Andersdenkende einordnet, werden verfolgt und
müssen um Leib und Leben fürchten. In besonderem
Maße sind hiervon Frauen betroffen. Sie haben keine
Möglichkeit, arbeiten zu gehen, werden ins Haus gesperrt
und sind häufig Opfer von gesellschaftlich bedingter
geschlechtsspezifischer Verfolgung. Oft sehen Frauen
Flucht als einzige Möglichkeit an, diesen Qualen zu
entgehen. Sie fliehen dann aber vor Verfolgungen, die






(C)



(D)



(A)



(B)


nicht unmittelbar vom Staat ausgehen. Um Menschen wie
sie geht es, wenn wir von nichtstaatlich Verfolgten sprechen.

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Schutz
eines Flüchtlings oberstes Ziel. Sie besagt, dass kein
Flüchtling in ein Land zurückgeschickt werden darf, in
dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind. Nach
dieser Schutztheorie ist es unerheblich, ob der Urheber
der Verfolgung staatlich oder nichtstaatlich ist. Es kommt
allein auf den fehlenden Schutz an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In Deutschland erhalten nichtstaatlich Verfolgte bis-
lang allenfalls den Status der Duldung; das heißt, sie wer-
den nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Das
heißt aber auch: Ein solcher Status bietet keine planbare
Zukunftsperspektive. Aus menschenrechtlicher Sicht hal-
ten wir es deshalb für notwendig, dass auch diesen Flücht-
lingen Schutz vor Abschiebung gewährt wird und dass
geduldete Flüchtlinge, für die eine Rückkehr in ihr Her-
kunftsland eine besondere Härte darstellen würde, leich-
ter eine Aufenthaltsbefugnis erhalten sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den Entscheidungen über Abschiebehindernisse
nach § 53 Ausländergesetz sollte unserer Meinung nach
auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte stärker berücksichtigt werden. Einen
entscheidenden Schritt hin zu einer verbesserten Situation
der Flüchtlinge in unserem Land haben wir bereits mit der
stärkeren Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen
Verfolgung durch die Änderung der Verwaltungsvor-
schriften erreicht. In der Praxis geht das hin bis zu Rege-
lungen in Dienstvorschriften.

Meine Damen und Herren, seit Amtsbeginn der rot-
grünen Regierung hat sich in der Flüchtlings- und Aus-
länderpolitik schon vieles positiv bewegt. Das zeigt sich
nicht nur auf politischer Ebene. Auch der Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts zur politischen Verfolgung
vom August letzten Jahres hat eine wichtige Fortentwick-
lung der deutschen Rechtsprechung eingeleitet. Erst vor
wenigen Tagen ist das Bundesverwaltungsgericht dieser
Auffassung gefolgt. Damit wird zukünftig für Bürger-
kriegsflüchtlinge die Anerkennung von Asyl nicht mehr
von vornherein – mangels staatlicher Strukturen – ausge-
schlossen. Neben Afghanistan könnte diese neue Recht-
sprechung auch Fälle aus Nordirak und Somalia betreffen.
Allerdings bedeutet das nicht, dass generell ein Anspruch
auf Asyl besteht. Die Verfolgung ist auch weiterhin im
Einzelfall nachzuweisen.

Es wird nun darauf ankommen, die Möglichkeiten zu
prüfen, die durch den Beschluss eröffnet wurden. Ermuti-
gend ist, dass sich insbesondere durch die neue Leitung
des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge unter dem neuen Präsidenten, Herrn
Dr. Schmid, eine positive Entwicklung abzeichnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Tendenz zu mehr Offenheit gegenüber nichtstaatlich
oder geschlechtsspezifisch verfolgten Flüchtlingen be-
grüßen wir ausdrücklich.

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch für Kriegs- und
Bürgerkriegsflüchtlinge ein dringender Schutzbedarf be-
steht. Die Innenministerkonferenz hat den interfraktionel-
len Antrag zu den humanitären Grundsätzen der Flücht-
lingspolitik, den wir im Juli einstimmig verabschiedet
haben, im November vergangenen Jahres positiv aufge-
griffen, und zwar insofern, als nun schwer traumatisierte
Bosnier und Bosnierinnen weiter in Deutschland bleiben
dürfen. Fortgeführt wurde diese richtungsweisende Ent-
scheidung vor drei Wochen. Die Innenministerkonferenz
hat am 15. Februar beschlossen, bosnischen Flüchtlin-
gen unter bestimmten Voraussetzungen ein dauerhaftes
Bleiberecht in Deutschland einzuräumen. Damit wird un-
serem Anliegen entsprochen, eine seit langem geforderte
Lösung für die bosnischen Flüchtlinge zu finden. Dies ist
meiner Meinung nach eine gute Lösung, denn sie berück-
sichtigt humanitäre Gesichtspunkte.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das wurde auch Zeit!)


Wir begrüßen ausdrücklich die Initiativen von Bun-
desinnenminister Otto Schily und die nun erzielte Eini-
gung mit den Innenministern und mit den Senatoren der
Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist sehr zu hoffen, dass auf der nächsten Innenminis-
terkonferenz im Mai eine ähnlich gute Lösung für Flücht-
linge aus dem Kosovo beschlossen werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich abschließend den Blick noch einmal auf
die konkrete Situation in unserem eigenen Land lenken:
Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Rechtsradikalismus
in der Bundesrepublik Deutschland treffen jene Menschen
besonders schmerzlich, die als Flüchtlinge hierher gekom-
men sind, auf der Suche nach Schutz. Ein Leben in Angst
vor Diskriminierung und gewalttätigen Attacken ist unwür-
dig. Ob Deutschland seinem Anspruch als ein menschliches
und weltoffenes Land dauerhaft gerecht wird, hängt we-
sentlich auch davon ab, ob es gelingt, Flüchtlinge und Ein-
wanderer sozial zu integrieren. Dies ist eine der großen ge-
sellschaftspolitischen Aufgaben unserer Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])


Daher kann ich als waschechte Rheinländerin

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das haben wir gemerkt!)

die jüngsten Äußerungen des CDU/CSU-Fraktionsvorsit-
zenden, Friedrich Merz, nur als schlechten Karnevals-
scherz werten,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Diese Polemik jetzt!)





Lilo Friedrich (Mettmann)

15240


(C)



(D)



(A)



(B)


der ein Verbot der politischen Betätigung von Asylbe-
werbern gefordert hat. Dies bedeutet im Klartext, dass
Augenzeugen von Völkermord und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit mundtot gemacht werden sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Flüchtlinge, die ihr Leben mit knapper Not retten konn-
ten, sollen nach dem Willen von Merz schweigend zuse-
hen, wie ihre Angehörigen und Freunde ermordet, bom-
bardiert, vergewaltigt und vertrieben werden. Das ist
unzumutbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Politische Beteiligung ist ein Grundrecht in der Demo-
kratie, auch für Flüchtlinge, Herr Merz. Stellen Sie sich
vor, Thomas Mann und mit ihm vielen anderen Schrift-
stellern, die während des Nationalsozialismus ins Exil
gingen, wäre es verboten gewesen, ihre Kritik an Hitler
und am Dritten Reich zu äußern.

Die Erfahrungen aus der Geschichte haben uns gelehrt,
dass das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl ein
kostbares Gut ist, das auch in Zukunft gewährleistet wer-
den muss. Es ist aber auch unsere Aufgabe, sämtliche For-
men von Fremdenfeindlichkeit entschlossen zu bekämp-
fen. Wir müssen für Verständnis und Toleranz gegenüber
Flüchtlingen werben und wir müssen für einen humanen
Flüchtlingsschutz eintreten. Um den Weg dahin beschrei-
ten zu können, appelliere ich an alle Fraktionen des Deut-
schen Bundestags, unserem Antrag zuzustimmen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hermann Gröhe.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1415518700
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute zur
Entscheidung anstehende Antrag der Regierungsfrak-
tionen „Flüchtlingsschutz ist Menschenrechtsschutz“
wurde aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Amtes
des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Natio-
nen, UNHCR, eingebracht. Die Arbeit des UNHCR wird
in diesem Antrag dargestellt und gewürdigt; dem UNHCR
wird für seine Leistung höchster Respekt bezeugt. Dieser
Wertschätzung des UNHCR möchte ich mich für die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich anschließen.

Der stellvertretende Vorsitzende unseres Ausschusses
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Christian
Schwarz-Schilling, hat am 7. Dezember in einer Debatte
dieses Hauses die Arbeit des UNHCR, insbesondere die
der früheren Hochkommissarin Ogata, mit Worten ge-
würdigt, die Ihrer aller Zustimmung gefunden haben. Wir
wünschen auch ihrem Nachfolger, dem niederländischen

Christdemokraten Ruud Lubbers, allen nur erdenklichen
Erfolg bei seiner Arbeit zur Linderung der Not von
Flüchtlingen in aller Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


In einem gemeinsamen Antrag der Regierungsfraktio-
nen und der Oppositionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P.
„Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahr-
tausend“ wird die Bundesregierung ausdrücklich aufge-
fordert, sich für eine Stärkung des UNHCR einzusetzen.
Geht es um Flüchtlingspolitik – Sie, Frau Kollegin
Friedrich, haben darauf hingewiesen –, besteht auch An-
lass, an den hier seinerzeit einstimmig verabschiedeten
Gruppenantrag „Humanitäre Grundsätze in der Flücht-
lingspolitik beachten“ zu erinnern und den Initiatoren zu
danken. Indem die Innenminister dem damaligen Appell,
gerade Traumatisierten und anderen hier ein Bleiberecht
einzuräumen, gefolgt sind, hat, wie es der deutsche Ver-
treter des UNHCR zu Recht ausdrückte, „die beein-
druckende Geschichte der Aufnahme und Rückkehr der
bosnischen Flüchtlinge ihren würdigen Abschluss gefun-
den“.

Trotz dieser von mir bewusst an den Anfang gestellten
Gemeinsamkeiten besteht unseres Erachtens dennoch
kein Anlass, Ihrem heute vorliegenden Antrag „Flücht-
lingsschutz ist Menschenrechtsschutz“ zuzustimmen.
Dieser Antrag bleibt in wichtigen konkreten Fragen der
Flüchtlingspolitik bewusst schwammig, um Gegensätze
in der Koalition wie auch zwischen den Koali-
tionsfraktionen und der Bundesregierung zu übertünchen.

Grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen
der Bundesregierung und den Antragstellern gibt es schon
bei der Beurteilung zentraler Sachverhalte. Dies zeigte
sich auch im anlässlich der gestrigen Beratung im feder-
führenden Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe stattfindenden Gespräch mit Ihnen, Frau Staatsse-
kretärin Dr. Sonntag-Wolgast.

Lassen Sie mich dies konkretisieren – Stichwort
„nichtstaatliche Verfolgung“ –: Am 29. November 1999
fand zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung des
Menschenrechtsausschusses statt. Mehr als ein Jahr da-
nach ziehen die Koalitionsfraktionen nun die Konsequen-
zen und stellen fest, dass nichtstaatlich Verfolgten allen-
falls der Status der Duldung zugesprochen werde, der
ihnen aber keine planbare Zukunftsperspektive biete. Da-
gegen stellte Presseberichten zufolge Bundesinnenminis-
ter Schily erst im Februar anlässlich eines Treffens der
EU-Innen- und -Justizminister in Stockholm fest, er lehne
es ab, auch nichtstaatliche Verfolgung als Asylgrund an-
zuerkennen. Sie, Frau Staatssekretärin, bestritten aber in
der gestrigen Sitzung, dass es eine Schutzlücke gibt, und
wiesen darauf hin, dass auch bei Opfern nichtstaatlicher
Verfolgung eine Verfestigung ihres Aufenthaltsrechts da-
hin gehend möglich sei, dass ihnen eine Befugnis nach
§ 30 des Ausländergesetzes erteilt wird. Damit erklärten
Sie die zitierte Aussage des Antrags für schlicht unzutref-
fend.

So vage im Antrag die Beschreibung des gegenwärti-
gen Zustandes ist, so unklar bleibt die als Auffassung




Lilo Friedrich (Mettmann)


15241


(C)



(D)



(A)



(B)


– nicht etwa als Forderung; denn dann könnte man es ja
nachprüfen – vorgetragene Meinung, es solle den Opfern
nichtstaatlicher Verfolgung Abschiebeschutz gewährt
werden. Ein solcher Abschiebeschutz wird den Opfern
nichtstaatlicher Verfolgung auch heute schon nach § 53
Abs. 6 des Ausländergesetzes gewährt, wobei die Recht-
sprechung ein zwingendes Abschiebehindernis jedenfalls
dann annimmt, wenn andernfalls den Betroffenen eine un-
mittelbar bevorstehende Gefahr für Leib oder Leben
droht.

Wenn Sie für die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung
eine Anwendung des § 51 des Ausländergesetzes, das so
genannte kleine Asyl, wollen, dann müssen Sie dies sa-
gen. Wenn Sie darüber hinaus für eine derartige Anwen-
dung des § 51 des Ausländergesetzes eine Gesetzesände-
rung für notwendig halten, wie es gestern in einer
Pressemitteilung des UNHCR in Deutschland für erfor-
derlich erklärt wurde, dann müssen Sie auch dies klar sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Beispiel: geschlechtsspezifische Verfolgung. Sie for-
dern, geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzun-
gen – an diesem Tag besteht aller Anlass, gerade daran zu
erinnern –, für die es in der Tat schreckliche Beispiele in
wahrlich großer Zahl gibt, stärker zu berücksichtigen,


(Rüdiger Veit [SPD]: Eben!)

ohne aber zu erläutern, wo Sie nach der Veränderung der
allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 53 des Auslän-
dergesetzes heute noch einen konkreten Mangel sehen.
Nach der gestern im Menschenrechtsausschuss vorgetra-
genen Auffassung der Bundesregierung stellen die geän-
derten Verwaltungsvorschriften und die sicherlich von
uns allen zu begrüßenden entsprechenden und fort-
laufenden Fortbildungsmaßnahmen für die Entscheide-
rinnen und Entscheider insgesamt ein Maßnahmebündel
dar, das ausreicht. Wenn Sie darüber hinaus etwas tun
wollen, dann sagen Sie, was getan werden soll.

Beispiel: Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.Wie
Sie selbstverständlich wissen, wirkt diese Rechtspre-
chung nur unter den Verfahrensbeteiligten. Angesichts ei-
ner gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts, die eine restriktivere Auslegung der Genfer
Flüchtlingskonvention zum Inhalt hat, müssen Sie sagen,
wie Sie diese Berücksichtigung anstreben wollen; denn
aus gutem Grunde geht das nicht per „Dienstanweisung“
durch Parlament und Regierung. Wenn Sie die Rechtspre-
chung durch eine andere Gesetzesgrundlage ändern wol-
len, dann sagen Sie, welche gesetzliche Grundlage Sie für
diese neue Rechtsprechung ändern wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr sauber argumentiert! – Rudolf Bindig [SPD]: Wir wollen die verbogene Rechtsprechung wieder geradebiegen!)


– Werden Sie konkret bei dem, was Sie ändern wollen.
Dann können wir uns über Ihre Vorschläge streiten.

Beispiel: Vorbehalte bei der UN-Kinderrechtskon-
vention. Erneut tragen Sie als Auffassung vor, dass die
Vorbehalte gegenüber dieser Konvention zurückgenom-
men werden sollen. Die Bundesregierung erklärte dage-
gen im Dezember, dass für sie eine derartige Rücknahme
der Erklärung nicht in Betracht komme. Überrascht und
quasi nebenbei erfuhren die meisten Mitglieder des Men-
schenrechtsausschusses gestern, dass das Bemühen, unter
den Bundesländern einen Konsens für eine solche Aufhe-
bung zu finden, im Herbst eingestellt wurde.


(Rudolf Bindig [SPD]: Wir nehmen es wieder auf! Das ist parlamentarisches Selbstverständnis!)


– Dann sagen Sie konkret, was Sie fordern. – Bedenken
nicht zuletzt der Stadtstaaten, darunter das rot-grüne
Hamburg, haben diesen Konsens bisher verhindert.

Beispiel: Zugang von Asylsuchenden zu fairen,
rechtsstaatlichen Verfahren als Kernpunkte einer Har-
monisierung der Asylverfahren in der Europäischen
Union. Ist dies angesichts der Rechtslage in Deutschland
wie in den anderen EU-Staaten nicht eine pure Selbstver-
ständlichkeit? Oder verbirgt sich dahinter die Forderung
des UNHCR, dem Asylberechtigten Zugang zu einem fai-
ren, rechtsstaatlichen Verfahren in einem Land seiner
Wahl einzuräumen? Dies wäre Aufgabe jener Drittstaa-
tenregelung, die auch das Bundesinnenministerium für
einen unverzichtbaren Bestandteil des deutschen Asyl-
rechts hält. Wollen Sie an dieser Regelung festhalten oder
nicht? Werden Sie konkret!

So viel Unklarheit wird den schwierigen und wichtigen
Fragen des Flüchtlings- und Asylrechts in keiner Weise
gerecht. Die mangelnde Qualität Ihres Antrages wird sich
übrigens auch darin zeigen, dass der heutigen Be-
schlussfassung durch die Regierungsmehrheit keine kon-
krete Änderung in den gerichtlichen oder politischen Ent-
scheidungen folgen wird.

Im Zuge – dies ist meine Hoffnung – der zukünftigen
Zuwanderungsregelung und der Harmonisierung des
Asylrechts auf europäischer Ebene werden uns die in
Ihrem Antrag unzureichend behandelten Themen weiter
beschäftigen. Wir hoffen, dass diese Fragen dann einer
sachgerechten und angemessenen Lösung zugeführt wer-
den können. Dazu werden dann auch andere wichtige Fra-
gen der Flüchtlingspolitik gehören, etwa der Zugang von
jungen Ausländern, die lediglich den Rechtsstatus der
Duldung haben, zum Ausbildungsmarkt und zu öffentlich
geförderten Ausbildungsmaßnahmen. Ich denke, gerade
über dieses Thema sollten wir alle erneut nachdenken und
hier zu einem Fortschreiten kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die heutige Debatte – Frau Kollegin Friedrich hat es
gesagt – ist zugleich die letzte Bundestagsdebatte, an der
die Vorsitzende unseres Ausschusses, Claudia Roth, in
dieser Funktion teilnehmen wird, wobei ich mir die nicht
ganz unernst gemeinte Äußerung schon erlauben möchte,
dass man einmal darüber nachdenken sollte, ob Regelun-
gen, die zu einem solchen Mandatsverzicht zwingen, ei-




Hermann Gröhe
15242


(C)



(D)



(A)



(B)


gentlich noch mit der Berufsfreiheit und der Freiheit des
Mandats vereinbar sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Freiheit für Claudia Roth!)


Nun will ich aber weder das für einen Oppositionsver-
treter zulässige Maß des Lobes überschreiten noch durch
zu viel Lob ihr Wahlergebnis auf dem Parteitag der Grü-
nen vermindern.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carsten Hübner [PDS]: Das wäre sehr gut!)


Danken will ich ihr allerdings für ein ausgesprochen fai-
res Miteinander im Ausschuss, das bei manchem Streit in
einzelnen Fragen von dem gemeinsamen Bemühen be-
stimmt war, für die Menschenrechtsidee, für die Vermei-
dung von Menschenrechtsverletzungen und die Solida-
rität mit den Opfern einzutreten.

Ihrer Freude am fröhlichen Streit in der Sache werden
wir auch angesichts ihrer künftigen Funktion gerne ge-
recht werden, zumal wir sicher sind, dass sie uns dazu
immer wieder Gelegenheit geben wird.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518800
Die vielfach Ge-
ehrte hat jetzt das Wort: Claudia Roth.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Liebe Lilo Friedrich, lieber Hermann Gröhe, herzli-
chen Dank für die guten Wünsche. Nur, bei uns
entscheidet die Bundesdelegiertenkonferenz, ob eine
Bundesvorsitzende gewählt wird oder nicht.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ganz neue Sitten!)


In circa 24 Stunden wissen Sie und weiß ich hoffentlich,
ob ich heute Abend tatsächlich zum letzten Mal in der
Funktion der Vorsitzenden des Menschenrechtsaus-
schusses gesprochen habe. Ich danke Ihnen aber auf jeden
Fall für Ihre schönen Worte. Das tut ja auch gut.

Flüchtlingsschutz ist Menschenrechtsschutz. Weil
Menschenrechte immer zu Hause anfangen, hat es viel mit
unserer Glaubwürdigkeit zu tun, zu überprüfen, wie stabil
das Fundament für die Menschenrechte in unserem Land
ist und ob humanitäre Grundsätze im Umgang mit Flücht-
lingen bei uns eingehalten werden, sowie, wenn es
tatsächlich Schutzlücken gibt, diese auch zu schließen. Es
ist ein gutes und wichtiges Zeichen, dass der Antrag
„Flüchtlingsschutz ist Menschenrechtsschutz“ feder-
führend vom Menschenrechtsausschuss des Deutschen
Bundestages diskutiert und bearbeitet wurde. Dies zeigt
die Bedeutung, die wir Menschenrechten bei uns und
außerhalb unseres Landes beimessen.

Hermann Gröhe hat gefragt, wie wir es mit den Vor-
behalten gegenüber der Kinderrechtskonvention hal-

ten. Lieber Hermann: So, wie es im Antrag steht. Wir for-
dern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass die
Vorbehalte gegenüber der Kinderrechtskonvention zurück-
genommen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich hoffe, dass das klar genug ist, sodass auch die Oppo-
sition dieser richtigen Forderung zustimmen kann.

Lilo Friedrich hat gesagt, dass diese Debatte am Inter-
nationalen Frauentag ein wichtiges Zeichen ist. Richtig,
denn unter dem Deckmantel von Tradition, Kultur, Reli-
gion oder so genannter Moral werden weltweit Millionen
von Frauen zwangsverheiratet, als Witwen verbrannt, we-
gen der Familienehre getötet, zwangssterilisiert, werden
weibliche Föten abgetrieben, werden Mädchen und junge
Frauen an ihren Genitalien verstümmelt, erleiden sie
grausame und unmenschliche Strafen, werden Frauen in
Kriegen und Bürgerkriegen Opfer sexueller Gewalt. Das
Charakteristische an dieser Gewalt, an dieser ge-
schlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzung ist, dass
die Opfer gerade in ihrem Frausein, in ihrer persönlichen
Integrität und der mit ihrem Geschlecht verbundenen ge-
sellschaftlichen Rolle getroffen werden sollen.

Wir haben in den letzten Tagen zu Recht empört auf die
Zerstörungen unschätzbarer Kulturgüter in Afghanistan
reagiert. Vielleicht schafft dies eine Vorstellung über die
barbarische Verfolgung von Frauen in Afghanistan und
über die umfassende Entrechtung, die Frauen dort er-
leiden. Nach der Delegationsreise des Menschenrechts-
ausschusses nach Afghanistan in die Hölle des Taliban-
Regimes ist mir klar geworden, was umfassende
Entrechtung bedeutet, was die Verweigerung der Rechte
auf Arbeit, auf Gesundheit, auf Erziehung und auf Bil-
dung sowie des damit verbundenen Rechts bedeutet, über-
haupt eine Zukunft zu haben. Für mich ist das politische
Verfolgung. Die Nichtgewährung eines entsprechenden
Asylstatus bei uns hat nichts mit der Realität dieser
Frauen und ihrer umfassenden Entrechtung zu tun, son-
dern ist von einer innenpolitischen Flüchtlingsabwehrper-
spektive geprägt. Das wollen und müssen wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Der moralische Imperativ unseres Rechtsstaats, Art. 1
unseres Grundgesetzes, lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. ...
Frauen sind auch Menschen und Frauenrechte sind auch
Menschenrechte. Die Würde all dieser Frauen wird ange-
tastet. Deswegen haben sie Anspruch auf volle Schutzge-
währung in unserem Land. Auch dies will dieser Antrag
ausdrücken.

Amnesty berichtet über Folter und Misshandlung von
Frauen und belegt, was geschlechtsspezifische Verfol-
gung bedeutet. Es ist Zeit, dass dies in den Asylverfahren
stärker berücksichtigt wird. Wie Lilo Friedrich möchte ich
mich sehr positiv über die deutlichen Veränderungen im
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer




Hermann Gröhe

15243


(C)



(D)



(A)



(B)


Flüchtlinge äußern, die ohne Zweifel die Handschrift des
neuen Präsidenten Dr. Schmidt tragen. Vielen Dank,
Dr. Schmidt. Die qualifizierte Schulung von Einzelent-
scheidern und Dolmetschern ist ein erster wichtiger
Schritt in die Richtung, Flüchtlinge nicht als Bedrohung,
sondern als schutzwürdige Menschen zu empfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Geschlechtsspezifische Verfolgung ist sehr oft nicht-
staatliche Verfolgung. Auch dazu nimmt unser Antrag
Stellung. Er ist für den besseren Schutz von Menschen
richtungsweisend, die Opfer von nichtsstaatlicher Verfol-
gung in unserem Land werden.

Lieber Hermann, ich bin sehr gespannt auf eure klaren
und präzisen Vorschläge, wie mit nichtstaatlicher Verfol-
gung zukünftig umgegangen werden soll. In diesem Zu-
sammenhang hat das Urteil des Bundesverwaltungsge-
richts zur Asylerheblichkeit der Verfolgung in
Afghanistan eine Bedeutung und ist zu begrüßen, denn es
macht den Weg für die Anerkennung afghanischer Flücht-
linge frei, die ihnen bisher mit dem Argument verweigert
wurde, die Taliban würden über keine staatliche Autorität
verfügen.

Wir konnten uns – ob einem das nun gefällt oder nicht –
vom Gegenteil überzeugen. Es gibt de facto staatliche
Strukturen, und es reicht nicht aus, eine nichtstaatliche
Verfolgung aus der Tatsache abzuleiten, dass die
Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund die Tali-
ban völkerrechtlich nicht anerkennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Unser Festhalten am Grundrecht auf Asyl ist ein Be-
kenntnis zu unserer historischen Verantwortung. Der
Art. 16 a des Grundgesetzes ist für uns keine „Verfas-
sungsfolklore“, sondern Ausdruck einer klaren Wertori-
entierung deutscher Asylpolitik, denn der verfassungs-
rechtlich abgesicherte Flüchtlingsschutz stellt klar:
Asylrecht ist Menschenrecht. Es ist Opportunitätserwä-
gungen der Politik entzogen. Über grundsätzliche Fragen
im Bereich des Asylrechts kann und soll auch zukünftig
nur mit einer verfassungsändernden Mehrheit entschieden
werden können.

Was wir in diesem Land brauchen, ist die Umkehr der
Logik der Debatte. Flüchtlinge sind keine Bedrohung,
über die man redet wie über Naturkatastrophen. Nie-
mand verlässt seine Heimat ohne Grund. Was wir brau-
chen – das sagen Menschen wie Dr. Schwarz-Schilling
oder Heiner Geißler in unserem Ausschuss, dem Men-
schenrechtssausschuss, und das ist zu unterstützen –, ist
das Ende der Diskreditierung und Kriminalisierung von
Flüchtlingen und ein Ende des Missbrauchs der Spra-
che.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Wer von „Asylmissbrauch“ redet, wenn jemand ein
Grundrecht in Anspruch nehmen will, der missbraucht die
Sprache.

Es ist viel von der Zukunftsfähigkeit, vom Standort,
von der Modernisierung Deutschlands die Rede. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bin felsenfest davon über-
zeugt, dass die Zukunftsfähigkeit dieses Landes auch und
gerade davon abhängt, welcher Wert demokratischen
Rechten beigemessen wird, wie stark das Fundament für
die Grundrechte in unserem Land ist.

In diesem Sinn brauchen wir eine Renaissance der
Grundrechte, eine Renaissance der Menschenrechte, da-
mit sich in Köpfe und Herzen vermittelt, dass das Aller-
modernste, was wir haben, diese Rechte sind, dass sie uns
unglaublich reich machen, dass sie uns etwas nützen, dass
sie unserer Demokratie nützen. Ich hoffe, das kommt auch
beim bayerischen Innenminister an. Das gilt in besonde-
rem Maße für das individuelle Grundrecht auf Asyl. Es ist
unantastbar und muss in seiner Auslegung an einen mo-
dernen Begriff des Flüchtlings angepasst werden.

Vielen Dank, liebe Kollegen! Jetzt werde ich doch ein
bisschen wehmütig, aber wir sehen uns ganz sicher wie-
der.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415518900
Liebe Claudia
Roth, ich glaube, der Beifall hat gezeigt – wir wollen
natürlich alle nicht beschwören, was da nun in 24 Stunden
passiert –, dass dir alle Mitglieder des Hohen Hauses für
deine Arbeit danken und für die Zukunft alles Gute wün-
schen.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1415519000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich darf mit dem Dank an die Noch-Vorsitzende des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
beginnen, für die hervorragende Zusammenarbeit danken,
ebenso für das Aufgreifen vieler sehr interessanter Anlie-
gen aus der Mitte des Ausschusses und für das Anstoßen
vieler Themen, auch gerade der Themen, die verdeutli-
chen, dass Flüchtlingsfragen und die Situation von
Flüchtlingen in Deutschland auch eine Aufgabe im Rah-
men des Menschenrechtsschutzes sind. Dass das zu Ver-
wirrungen führen kann, haben wir ja in der Vorbereitung
auf unsere letzte Sitzung erlebt. Auch ich wünsche Ihnen
alles Gute für das, was ab morgen Abend mit großer Wahr-
scheinlichkeit auf Sie zukommt.

Meine Damen und Herren, wir hatten einstimmig einen
interfraktionellen Antrag zu den humanitären Grundsät-
zen in der Flüchtlingspolitik beschlossen. Der hat Aus-
wirkungen gehabt. An die Bundesregierung wurden kon-
krete Aufforderungen gerichtet. Dann ist – dies war




Claudia Roth (Augsburg)

15244


(C)



(D)



(A)



(B)


mühsam, weil immer wieder nachgefasst werden musste –
tatsächlich etwas passiert.

Frau Friedrich, Frau Roth, genau das sehe ich in dem
Antrag, der den Titel „Flüchtlingsschutz ist Menschen-
rechtsschutz“ hat und den Sie uns vorgelegt haben, nicht.
In diesem Antrag ist keine einzige Aufforderung an die
Bundesregierung enthalten. Er ist eine Bestätigung der
Auffassung des Bundestages. Natürlich ist es mit Sicher-
heit für die Bundesregierung sehr beeindruckend, wenn
wir hier einen solchen Antrag beschließen würden. Aber
dieser Antrag enthält noch nicht einmal die Aufforderung
an die Bundesregierung, nach einem gewissen Zeitraum
Rechenschaft darüber abzulegen, was sie in diesem Zu-
sammenhang getan hat. Das ist meine erste große Kritik.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Er ist letztendlich mehr Schein als Sein, als das, was da-
mit tatsächlich nach außen bezweckt werden soll.

Zum Zweiten sind in ihm sehr viele Unbestimmthei-
ten enthalten. Wo sind zum Beispiel Forderungen nach ei-
nem besseren Zugang zum Arbeitsmarkt? Dies ist drin-
gend notwendig, wie wir von der Ausländerbeauftragten
in der letzten Sitzung des Menschenrechtsausschusses de-
zidiert vorgetragen bekommen haben. Wo sind denn die
Verbesserungen im Flughafenverfahren, über die seit
zwei Jahren beraten wird? Wo sind denn die Regelungen,
mit denen die bekannt gewordenen Schwierigkeiten und
die Unzulänglichkeiten in der Abschiebehaft beseitigt
werden sollen? Davon ist doch in Deutschland die Situa-
tion der Flüchtlinge, um die es geht, geprägt.


(Rudolf Bindig [SPD]: Wir räumen die Dinge auf, die Sie gemacht haben!)


– Sie räumen mit diesem Antrag – das muss ich Ihnen ein-
mal deutlich sagen – überhaupt nichts auf.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie räumen noch nicht einmal mit dem Vorbehalt gegen-
über der Kinderkonvention auf, was Sie in der Opposition
immer gefordert haben. Sie schreiben in den vorliegenden
Antrag nur das hinein, was sowieso schon einstimmige
Beschlusslage des Hauses ist. Darauf ist einmal deutlich
hinzuweisen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist keine Verbesserung des Flüchtlingsschutzes,

auch wenn Sie versuchen, diesen Eindruck zu erwecken.
Wir können sehr viel über Dinge sprechen, über die wir
einer Meinung sind. Aber mit diesem Antrag, den Sie nach
unseren intensiven Beratungen im Ausschuss und anläss-
lich von Anhörungen letztes Jahr nicht so, wie Sie dies ge-
tan haben, hätten „aus der Hüfte“ ziehen dürfen und der
keine Aufforderung an die Bundesregierung enthält, be-
wirken Sie leider nichts.

Ich darf einen Punkt zu den Anträgen erwähnen, die die
F.D.P.-Fraktion eingebracht hat und über die nicht abge-
stimmt wird, nämlich zum Antrag auf Verbesserung der
Situation der Binnenvertriebenen. Das ist eine Forde-
rung, die auch Nichtregierungsorganisationen erheben.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die finanziellen und

organisatorischen Voraussetzungen des UNHCR verbes-
sert werden. Deshalb haben wir unsere Vorschläge in Auf-
forderungen an die Bundesregierung gekleidet. Es sollte
in Form einer Konvention bzw. einer Vereinbarung der in-
ternationalen Staatengemeinschaft, die es bis heute, wo-
rüber der UNHCR sehr klagt, nicht gibt, eine Grundlage
für den Umgang mit Binnenvertriebenen geschaffen wer-
den.

Ich wollte natürlich gerne noch sehr viel mehr anspre-
chen.


(Lilo Friedrich [Mettmann] [SPD]: Es reicht!)

Aber gerade angesichts der Äußerungen von Kollegin
Kerstin Müller, dass die Grünen ihre Programmatik sehr
viel stärker in den Vordergrund stellen sollten, möchte ich
noch einen Punkt erwähnen: Herr Fischer hat zum Bei-
spiel in seinen Einlassungen zum Verhalten Amerikas im
Rahmen der Militärschläge gegen den Irak gesagt, hier
würden deutsche Interessen wahrgenommen – so ist es in
der „Frankfurter Rundschau“ von gestern nachzulesen –,
und hat in diesem Zusammenhang keinerlei Bewertung
abgegeben. Er macht im Gegenteil nur deutlich, hier habe
Deutschland nicht zu kritisieren.


(Lilo Friedrich [Mettmann] [SPD]: Er hätte das einmal machen sollen! Was hätten Sie dann gesagt?)


– Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass früher ganz anders
verhandelt worden ist. – Im Zusammenhang mit dem
NMD-Programm möchte ich Sie fragen: Wer hat denn da-
mals die Auseinandersetzung über SDI angeführt?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415519100
Frau Kollegin,
achten Sie bitte auf die Zeit!


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1415519200

Unterwürfigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten war
früher nie Gegenstand der Außenpolitik. Wenn man ein-
mal eine solche Position bezogen hat, dann kann man
nicht die Position vertreten, die richtig und notwendig
wäre. Von daher ist meiner Ansicht nach wichtig, dass die
Haltungen der Grünen, –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415519300
Frau Kollegin!


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1415519400

– also die des Außenministers, die der Fraktion und die
der Partei, künftig mehr übereinstimmen, als es derzeit
der Fall ist.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415519500
Frau Kollegin,
Sie waren einerseits über der Redezeit, andererseits wollte
ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen; das
hätte Ihnen erlaubt weiterzureden. Möchten Sie diese
Zwischenfrage auch jetzt noch zulassen?


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1415519600

Bitte.




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

15245


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1415519700
Es tut mir
Leid, dass meine Frage jetzt so nachgeschoben erscheint.
Ich habe mich lange genug gemeldet, aber es wurde nicht
gesehen.

Ich habe folgende kurze Frage, Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger: Können Sie mir sagen,
welche Bemühungen Sie in den Jahren, in denen Sie in der
Regierungskoalition waren und zeitweise mit dem dama-
ligen Innenminister Kanther am Kabinettstisch saßen,
unternommen haben, um all die Thesen und Forderungen,
die Sie heute vorbringen, durchzusetzen?


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1415519800

Frau Sonntag-Wolgast, ich kann Ihnen eines ganz klar sa-
gen: Sie sind in Regierungsverantwortung; Sie setzen die
Maßstäbe an, an denen Sie gemessen werden. Genau das
habe ich zum Gegenstand meiner Ausführungen gemacht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Sie haben gegen die Maßstäbe gehandelt, die Sie jetzt anlegen! Das ist typisch F.D.P.: Erst dafür, dann dagegen, jetzt wieder dafür! Hin und her, auf und davon!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415519900
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ich möchte jetzt den nächsten Redner
aufrufen. Das ist der Abgeordnete Carsten Hübner.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1415520000
Liebe Kolleginnen und Kol-
legen, die Sonne steht im Zenit, der Saal ist brechend voll,
die Besuchertribünen auch – es ist Menschenrechtszeit im
Deutschen Bundestag!


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses! Die
PDS-Bundestagsfraktion teilt die Auffassung, dass der
UNHCR in den vergangenen 50 Jahren eine wirklich
wichtige, wertvolle und zu seiner Gründungszeit noch gar
nicht absehbare Arbeit geleistet hat und dass seine Be-
deutung gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Kon-
flikte weltweit eher steigen als sinken wird. Dafür bedarf
es allerdings, nicht zuletzt vonseiten der Bundesrepublik
Deutschland, einer entsprechenden finanziellen Ausstat-
tung. Ich hoffe sehr, dass dieser Bewertung in den weite-
ren zu erwartenden Schrumpfhaushalten entsprechend
Rechnung getragen wird.

Die PDS-Fraktion hat zunächst besonders gefreut, dass
dieser Würdigungsantrag ganz im Sinne einer verant-
wortlichen Menschenrechts- und Flüchtlingspolitik er-
weitert wurde und wichtige aktuelle Aspekte auch der
deutschen Asylpolitik aufgreift, nämlich die Anerken-
nung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe, die Anerken-
nung nicht staatlicher Verfolgung, das Spannungsfeld
Entwicklungszusammenarbeit und Verpflichtung zur
Rücknahme von Flüchtlingen sowie die Implementierung
von Härtfallregelungen in der deutschen Asylpolitik. Das
sind Aspekte, die in der Debatte heftig umstritten sind, und
zwar nicht nur bei CDU und CSU, bei denen das Asylrecht

von Einzelnen inzwischen sogar gänzlich infrage gestellt
wird, sondern auch im sozialdemokratisch geführten In-
nenministerium Otto Schilys. Dort wird eher nach Res-
triktion denn nach Liberalisierung gerufen.

Umso bedauerlicher ist es, dass der Antrag – wohl mit
Rücksicht auf das Bundesinnenministerium – äußerst un-
konkret geblieben ist, statt deutliche Signale zu setzen.
Wenn man es genau nimmt, enthält er nicht eine einzige
konkrete Forderung; darauf ist schon mehrmals hinge-
wiesen worden. Statt dessen heißt es lediglich: „Der Bun-
destag ist der Auffassung ...“ Passiver ist es kaum zu for-
mulieren.

Wenn man an die gestrige Sitzung des Menschen-
rechtsausschusses denkt, in der SPD und Grüne, die zuvor
noch frauenspezifische Fluchtgründe in diesen Antrag
aufgenommen hatten, dann aber unseren Antrag zu dieser
Frage abgelehnt haben, so merkt man, wie groß in dieser
Frage die Furcht vor konkreten Forderungen – oder soll
ich sagen: vor dem Innenminister – offenbar ist.


(Rudolf Bindig [SPD]: Wir fürchten fast nichts und schon gar nicht den Innenminister!)


– Sehr gut! – Denn inhaltlich – das haben Sie in der ges-
trigen Sitzung bestätigt – teilen Sie die Aussagen unseres
Antrags. Sie werden also verstehen, dass ich große Zwei-
fel an der Umsetzung des Antrages „Flüchtlingsschutz ist
Menschenrechtsschutz“ habe. Das gilt umso mehr, seit ich
gestern im Menschenrechtsausschuss erfahren durfte,
dass sich die Bundesregierung bereits seit Herbst letzten
Jahres nicht mehr bei den Ländern um die Aufhebung des
Vorbehalts gegenüber der Kinderrechtskonvention bemüht,
obwohl sie vom ganzen Haus, mit den Stimmen aller
Fraktionen, dahin gehend aufgefordert worden war. Nicht
einmal eine zeitnahe und konkrete diesbezügliche Infor-
mation an die zuständigen Ausschüsse hat das Bundesin-
nenministerium für nötig befunden.

Dennoch wird meine Fraktion dem Antrag zustimmen –
nicht jedoch ohne anzukündigen, dass wir in vertretbarer
Zeit einen Bericht beantragen werden, um zu prüfen, in-
wieweit die Bundesregierung dem Antrag auch Taten hat
folgen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Claudia, ich

möchte zum Abschluss nicht darauf verzichten, zu beto-
nen, wie sehr ich politisch und persönlich dein zu erwar-
tendes Ausscheiden als Kollegin, Menschenrechtlerin und
als Vorsitzende des ersten eigenständigen Menschen-
rechtsausschusses des Bundestages bedaure. Denn bei dir
waren Menschenrechtsthemen immer Erste-Klasse-The-
men, selbst wenn wir oft nur Dritte-Klasse-Debattenzei-
ten zur Verfügung hatten. Und als neuer Parlamentarier
möchte ich sagen, dass ich von deiner Geradlinigkeit, dei-
ner Unbändigkeit und deiner Toleranz und Offenheit eine
Menge lernen konnte. Liebe Claudia, du wirst uns fehlen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415520100
Ich schließe da-
mit die Aussprache zu diesem Punkt.






(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kommen zur Abstimmung und zu den Überwei-
sungen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Flüchtlingsschutz ist Menschenrechts-
schutz“, Drucksache 14/5462. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/4884 anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
haltung der F.D.P. angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5452 und 14/5453 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnung 10 sowie Zusatzpunkt 9 auf:
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang

Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, Hansjürgen
Doss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Herstellung fairerWettbewerbsbedingungen für
die deutsche und europäische Werftenindustrie
– Drucksache 14/5137 –

(f ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Zukunftschancen des deutschen und europäischen Schiffbaus nachhaltig verbessern – Drucksache 14/5457 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Auswärtiger AusschussAusschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Börnsen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast alle der hundert deutschen Werften haben derzeit ausreichend Wasser unter dem Kiel. Der Neubaubestand reicht bis zu drei Jahren. Etwa 200 Neubauaufträge wurden bis Ende des Jahres 2000 geordert. Die Gesamtsumme beläuft sich auf etwa 20,7 Milliarden DM. Ein Erfolg der 220 000 Schiff bauer, Dienstleister und Zulieferer sowie ihre Betriebsleitungen von Flensburg bis Vilshofen! Sie alle leisten eine erstklassige Arbeit. 70 Prozent der Wertschöpfung eines Bootes werden im Süden unseres Landes, nur 30 Prozent im Norden produziert. Werftenpolitik bleibt eine nationale Aufgabe, doch das Logbuch wird in Brüssel geführt. Die Förderinstrumente der Vergangenheit haben eine Stabilisierung der Werftenlandschaft in der Bundesrepublik Deutschland bewirkt. Damit ist aber seit dem 1. Januar 2001 Schluss. Die EU hat das Ende der Wettbewerbshilfe beschlossen. Die Schiffbauförderung alter Art wurde eingestellt. Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Forderung nach Verlängerung nicht durchgesetzt. Überkapazitäten auf dem Weltschiffbaumarkt, ein rapider Preisverfall und der Grundsatz, dass Staatshilfen nicht marktgerecht sind, haben diese EU-Entscheidung beeinflusst. Europas Werften sind jetzt schutzlos der aggressiven koreanischen Schiffbaupolitik ausgesetzt. ( V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)

Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1415520200

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Kernfrage bleibt: Welche Zukunft haben deutsche
und europäische Schiffbauer nach diesem Zwischenhoch?
Ein isländisches Sprichwort sagt: „Die Unwissenheit ist
ein Meer, das Wissen ein Floß darauf.“ Die deutsche und
die europäische Werftindustrie sowie ihre Zulieferer
blicken auf dieses Meer und segeln in eine ungewisse Zu-
kunft. Das Floß des Wissens, wie Schiffe gebaut werden,
steuern sie; doch fahren ihnen die Koreaner auf einem Su-
pertanker aus Subventionen davon. 1998 lag der Welt-
marktanteil Europas im Schiffbau bei 26 Prozent, der
Koreas bei 25 Prozent, aber sprunghaft steigend.

Brüssel, durch Berichte über Dumpingpreise aus Fern-
ost beunruhigt, reagierte im November 1999 mit einer
ersten Dokumentation. Nachgewiesen wurde in diesem
Papier: Südkorea betreibt eine eklatante Wettbewerbs-
verzerrung durch Staatshilfen. Der Ministerrat reagierte
auf diese Meldung geradezu lustlos gelassen. Es gab keine
ernsthafte politische Reaktion, weder von der Bundes-
regierung noch von den anderen EU-Partnern.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig! Sehr richtig!)


1999 sank Europas Weltmarktanteil im Schiffbau auf
17 Prozent, der von Korea stieg auf 33 Prozent. Brüssel
dokumentierte die anhaltenden Beschwerden über die
Marktverzerrungen im Mai 2000 in einem zweiten Be-
richt. Weder der Missstand, dass die Koreaner ihre Schiffe
bis zu 40 Prozent unter den eigenen Herstellungskosten
verkaufen, noch der Tatbestand, dass der Internationale
Währungsfonds durch die Stützung des koreanischen
Won indirekt die Regierung vor Ort in die Lage versetzte,
den Großwerften weiter zu helfen, hat zu einer kraftvol-
len Reaktion der Kommission geführt.

Am IWF-Großkredit war Deutschland mit fast 6 Pro-
zent beteiligt. Bundesdeutsches Geld hat zur Wiederer-
starkung der koreanischen Konkurrenz beigetragen. Die
IG Metall hat diesen Sachverhalt mit dem Hinweis auf




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


den Punkt gebracht: Wir mästen unsere eigenen Schläch-
ter. – Damals war aus Gründen der internationalen
Währungsstabilität die Initiative des IWF notwendig.
Doch den Kredit ohne Auflagen zu geben war, gelinde ge-
sagt, grob fahrlässig.

Im vergangenen Jahr erreichten Europas Werften ge-
rade noch einen Anteil von 15 Prozent. Deutschlands An-
teil betrug 5,5 Prozent. Für beide ist das der geringste
Weltmarktanteil der vergangenen 50 Jahre. Korea kam auf
40 Prozent.

Die hier vorgelegten Daten und Fakten fußen auf dem
Dritten Bericht, den Brüssel jetzt vorgelegt hat. Er ver-
deutlicht noch einmal den Sachverhalt: Die Schiffbau-
nation Nummer eins, Südkorea, fördert den Bootsbau mit
unlauteren Mitteln.

Endlich, drei Jahre nach dem ersten Beweis dieses
Sachverhaltes reagierte auch der Ministerrat – doch völ-
lig anders, als die Betroffenen es erwartet haben. Die
Werftenhilfe, 30 Jahre bewährt als bestes Mittel gegen die
weltweite Wettbewerbsverzerrung, wurde zum 1. Janu-
ar 2001 abgeschafft. Was die ganze Hilflosigkeit der EU
kennzeichnet: Es wurde gleichzeitig keine Maßnahme ge-
gen die einseitige koreanische Schiffbauoffensive be-
schlossen, keine Handelsauflage gegen koreanische Güter
gefordert, keine Strategie entwickelt, um ein weltweites
Preisdumping zu verhindern. Der Stier Europa hat seine
Hörner eingebüßt. Deutschlands Schiffbauer und die der
anderen Länder bleiben mit ihren Existenzsorgen allein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Noch vor einem Jahr hat der Bundeskanzler auf der
großen maritimen Konferenz in Emden versprochen:
Wir lassen unsere Werften nicht im Stich und – das hören
Gewerkschafter besonders gerne – wir werden konkret
handeln. Chefsache wurde die maritime Politik.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Was ist daraus geworden?)


Nur, der Chef setzte Deutschlands Interessen in Brüssel
nicht durch. Er und der Wirtschaftsminister erlitten trotz
der Tüchtigkeit ihrer Mitarbeiter in diesem Politikfeld
eine bittere Niederlage.

Eine letzte Chance, das Ruder herumzureißen, gibt es
noch. Im Mai will der EU-Ministerrat noch einmal die
Wettbewerbsverzerrungen im Schiffbau aufgreifen. Doch
der Spielraum ist eng. Die Zeit läuft dem Rat, der drei
Jahre nicht gehandelt hat, davon.

Die koreanische Schiffbauoffensive schafft Tatsa-
chen. Bei den Post-Panamax-Containerschiffen, die 1988
in Europa entwickelt wurden, gingen im vergangenen
Jahr 82 Prozent der Aufträge nach Fernost, 4 Prozent nach
Japan. Zum ersten Mal ging kein Auftrag mehr nach Eu-
ropa. Auch bei den Kreuzfahrtschiffen, deren Hersteller
bisher in Europa zu Hause waren, gingen die ersten Auf-
träge nach Fernost. Deutschland gibt auch in diesem Sek-
tor Marktanteile ab. Jeder zweite Neubauauftrag geht
heute nach Korea, Tendenz steigend. Im Windschatten
folgt die Volksrepublik China mit 7 Prozent Marktanteil.
Beide bauen ihre Kapazitäten aus. Die EU dagegen för-

dert mit Prämien die Stilllegung von Werften – eine Poli-
tik des Widersinns. Die Lage der kleinen und mittleren
Werften ist besonders problematisch.

Das Verständnis der Nichtschiffbaustaaten in der EU
für neue Werftenhilfen nimmt ab. Die Beihilfen erreich-
ten im letzten Jahr 22 Prozent der Wertschöpfung. Das
bedeutet: Pro Beschäftigten im Schiffbau zahlt man
28 000 Euro. Also stützen wir einen Werftarbeiterplatz im
Jahr mit 55 000 DM. Die Möglichkeiten, den Marktmiss-
brauch Südkoreas im Schiffbau zu beenden, nehmen ra-
pide ab. Die Kommission ist in Korea gescheitert. Der eu-
ropäische Schiffbauverband klagt zwar, hat aber wenig
Chancen, sich bei der WTO durchzusetzen.

Einen Gesichtspunkt sollte die Maikonferenz noch auf-
nehmen, und zwar den, dass das Transportmittel Schiff
beispielhafte Umweltdaten aufzeigt. So liegen die CO2-Emissionen im Seeverkehr bei nur zwei Gramm pro Ki-
lometer transportierter Tonne. Bei der Schiene liegt dieser
Wert 15-mal und beim LKW-Transport 95-mal so hoch.
Auch beim Energieaufwand ist das Boot vor Bahn und
Straße mit Abstand führend.

Außerdem – auch das sollte bei der Maikonferenz be-
achtet werden – wäre nachhaltige Umweltpolitik auch
durch bessere internationale Umweltstandards im See-
verkehr möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

24 Jahre beträgt derzeit das Durchschnittsalter der Schiffe
auf unseren Meeren. Tausende instabile Rostlauben sind
darunter. Von 8 500 weltweit eingesetzten Tankern besit-
zen nur 1 400 eine Doppelhülle. Meereskatastrophen sind
täglich möglich. Umwelt- wie wirtschaftspolitisch gäbe
es einen Sinn, bei Alter und Sicherheit der Boote anzuset-
zen und zu neuen Standards zu kommen, um dem Schiff-
bau einen neuen Drive zu geben. Wir sind dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Maitreffen der Wirtschaftsminister sollte auch auf

den Aspekt eingehen, die Kapazitätsbeschränkungen,
die es für die Werften in Mecklenburg-Vorpommern noch
immer gibt, auszusetzen;


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.] sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


denn sie nehmen den Werften in Wismar, Rostock, Stral-
sund und Wolgast jede Luft und Flexibilität und beein-
trächtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Die EU-Kommission ist grundsätzlich gegen Subven-
tionen. Viele Experten meinen, dass die Maikonferenz nur
noch eine Alibiveranstaltung werden wird. Der mögliche
Schiffbauboom unserer Werften wird eventuell auch
durch die Maikonferenz behindert. Trotz dieser Skepsis
ersuchen wir das Parlament, den vorliegenden Antrag zu
unterstützen, und zwar in Sorge um über 100 000 Arbeits-
plätze und in Verantwortung für die Zukunft einer erst-
klassigen, traditionsreichen Industrie. Es ist ein Gebot der
Stunde, jetzt in Brüssel die Regierung zu unterstützen.

Dieser Appell geht besonders an die Kollegen der
Bündnisgrünen, die gegen Schiffbauhilfen sind. Aber wie
wollen Sie die Werften in Europa flottmachen, wenn nicht




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

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(C)



(D)



(A)



(B)


durch Förderung, so lange sich die Konkurrenz staatlicher
Mithilfe bedient? Nach unserer Auffassung wäre eine bal-
dige Verabschiedung der OECD-Regelung der Königs-
weg, um endlich aus dem Wettlauf der Subventionen im
Schiffbau auszusteigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ziel muss der Abbau aller Staatsförderung sein. Un-

sere Werften können trotz hoher Produktkosten der Kon-
kurrenz standhalten, so deren eigene Aussage. Japan und
Korea sind, wie die meisten der Schiffbauländer für ein
solches Abkommen. Nur die USA, die es einmal selbst an-
geboten haben, sperren sich. Warum greifen wir nicht
– Herr Staatssekretär, Sie werden ja gleich sprechen – Ja-
pans Angebot auf, ohne Amerika zu einer Einigung zu
kommen?

Wir von der Union erwarten, dass der Bundeskanzler
das Thema „Wegfall der Subventionen im Schiffbau“ auf
die Tagesordnung des kommenden G-7/G-8-Gipfels set-
zen lässt. Wir erwarten, dass damit nicht weiter gezögert
wird. Der augenblickliche Auftragsbestand auf deutschen
Werften ist in 24 Monaten abgearbeitet. Sollen die Schiff-
bauer kein Waterloo erleben, ist es zum Handeln fünf Mi-
nuten vor zwölf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vergessen wir nicht: Südkorea will seine Marktmacht

noch weiter ausbauen und China holt rasant auf. Was
sagte ein Schiffbauer – damit komme ich zum Schluss –
bei meinem letzten Werftbesuch in Flensburg: „Wir in
Deutschland benötigen keine Subventionen, aber einen
fairen Wettbewerb.“


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415520300
Das Wort
hat nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar
Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1415520400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte erstens
feststellen, dass die deutschen Schiffbauer einen erst-
klassigen Ruf haben und erstklassige Schiffe bauen – das
muss man auch einmal hier im Parlament sagen – und sich
deshalb trotz des schwierigen Wettbewerbs auf dem Welt-
markt sehr gut behaupten.


(Beifall bei der F.D.P.)

Zweitens will ich ausdrücklich sagen, dass die Schiff-

bauer Anwälte auch hier im Parlament haben: Margrit
Wetzel, Wolfgang Börnsen und Annette Faße sind die-
jenigen, die immer für die Schiffbauer kämpfen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Alle anderen auch!)


– Alle anderen auch. Sie haben also verlässliche Anwälte
im Parlament.

Ich habe sehr genau zugehört, wie Herr Börnsen sich
eben mit der Kommission auseinander gesetzt, sich aber

sehr differenziert zur Regierung geäußert hat; denn er
weiß, dass wir uns sehr engagiert haben.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das habe ich nicht bestritten!)


– Das sage ich ja ausdrücklich.
Wenn es im Mai im Ministerrat zu einem Monitoring

kommt, dann ist dies ausschließlich auf unsere Initiative
im letzten Ministerrat zurückzuführen, als es um die Frage
ging: Was machen wir, wenn die Koreaner sich nicht be-
wegen? Was die Aktivitäten im Mai angeht, habe ich
keine Illusionen und will auch keine in die Welt setzen;
aber wir haben gekämpft. Wir wissen alle, dass dieser
Punkt für uns deshalb von großer Bedeutung ist, weil die
koreanischen Werften bei neuen Aufträgen für Contai-
nerschiffe inzwischen einen Weltmarktanteil von 60 Pro-
zent, bei Großcontainerschiffen sogar von 80 Prozent ha-
ben.

Betrachtet man die Entwicklung, stellt man fest – das
besagen inzwischen auch alle Kommissionsberichte –,
dass die koreanischen Werften mit Preisen auf dem Welt-
markt operieren, die 20 Prozent unter den Einstandsprei-
sen liegen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Im Durchschnitt! – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Bis zu 40 Prozent!)


– Ich gehe von den Kommissionberichten aus; wir wollen
einmal ganz vorsichtig an das Ganze herangehen.

Ich will hinzufügen: Ich habe die Sorge, dass sich die
Lage noch verschärft, wenn die Chinesen auf den Markt
kommen. Die Koreaner befinden sich in genau dieser Er-
wartungshaltung, weil sie wissen, was sich dann abspielt:
Die Lage wird sich weiter verschärfen. Umso wichtiger
ist, dass wir das, was wir als OECD-Plattform angestrebt
haben, auch durchsetzen. Leider haben wir in Europa, wie
Sie wissen, dafür im Moment noch keine Mehrheit.

Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland
einen guten und modernen Schiffbau aufgebaut. Das gilt
für die Werften, die wir alle kennen, in besonderer Weise.
Die auf der Basis nicht kostendeckender Preise erreichten
hohen koreanischen Marktanteile bei Aufträgen für die
Jahre 2001 bis 2003 resultieren nicht etwa daraus, dass
unsere Modernisierungsanstrengungen nicht erfolgreich
gewesen wären, sondern nur daraus, dass die Koreaner
mit Unter-Kosten-Angeboten, mit Dumping, versuchen,
unsere Schiffbauer auf dem Weltmarkt auszubooten.

Zwar ist es den deutschen Werften ab Ende 1999 ge-
lungen, technisch – das gilt übrigens auch für die Meck-
lenburger Werften – enorm aufzuholen und im Markt-
segment der Fähr- und Passagierschiffe sowie der
Spezialschiffe beachtliche Erfolge zu erzielen, jedoch war
dies in erster Linie aufgrund der Währungsrelation
DM/Dollar und anderer günstiger Bedingungen, aber
auch infolge umfangreicher Rationalisierungsmaßnah-
men möglich.

Allein mit Nischenprodukten kann man jedoch – noch
dazu unter dem Druck der Dumpingsituation – in Zukunft
nicht gegen mögliche Wechselkursänderungen ankämp-
fen.




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, aufgrund dieser schwieri-
gen Situation hat die Bundesregierung – auch mit Unter-
stützung des Haushaltsausschusses – eine Aufstockung
der Bundesmittel der bis zum 31. Dezember 2000 zuläs-
sigen Wettbewerbsbeihilfen von 240 auf 320 Millio-
nen DM vorgenommen. Das war eine wichtige, wenn
auch schwierige Entscheidung; Frau Hermenau kann sich
noch daran erinnern.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Die Entscheidung fiel einstimmig, Herr Mosdorf!)


– Ja, das wollte ich sagen.

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Der Haus haltsausschuss hat das initiiert!)

Die Bundesregierung hat das initiiert und der Haushalts-
ausschuss hat es einstimmig beschlossen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Nein, umgekehrt!)


– Wie, umgekehrt? Die Bundesregierung ist immer ein-
stimmig. Vorsicht, bitte!


(Heiterkeit bei der SPD und den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zusammen mit der üblichen Kofinanzierung haben die
Küstenländer jetzt Mittel in Höhe von 960 Millionen DM
zur Verfügung. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, weil sie
damit auf Jahre vorhandene Aufträge abarbeiten und ein
Auftragsvolumen von 14 bis 15 Milliarden DM akquirie-
ren können. Das ist eine ganze Menge.

Meine Damen und Herren, ein Ende der von koreani-
schen Werften verursachten Wettbewerbsverzerrungen
ist leider nicht in Sicht. Ich habe auch keine Hoffnung,
dass das sehr schnell der Fall sein wird. Wir werden an
diesem Thema sehr genau weiter arbeiten müssen. Wir
drängen die Kommission, das genau zu untersuchen und
auch Einzelfälle darzulegen. Bei Marktanteilen von bis zu
80 Prozent in bestimmten Segmenten wird der Letzte hell-
hörig; das ist völlig klar. Das kann man aus eigener Kraft
nicht schaffen.

Auf der 98. Sitzung der OECD-Schiffsbaugruppe
Mitte Dezember vorigen Jahres hat die koreanische Dele-
gation eingestanden, dass Preisveränderungen nicht beab-
sichtigt sind. Auch vereinbarte Einblicke in Verträge will
Korea nicht gewähren. Mit dieser Position wird ganz klar,
dass man durch eine Hinhaltetaktik versucht, etwas zu
verdecken, was man offensichtlich meint verdecken zu
müssen, weil man sich im Wettbewerb nicht behaupten
kann.

Wir als Bundesregierung werden alles tun – in den letz-
ten Tagen haben Gespräche zwischen unserem Bundes-
wirtschaftsminister und Kommissar Lamy zu diesem
Thema stattgefunden –, um unsere Position auf diesem
Sektor klar zu machen und zu verdeutlichen, dass wir
drängen werden, auch Herrn Lamy drängen werden, in
Seoul diese Tatbestände aufzugreifen. Auch wir selbst
werden in Korea vorstellig werden. Wir werden sehr ge-
nau untersuchen, wie die Kommission den einzelnen Fäl-
len nachgeht. Wir jedenfalls glauben, alles tun zu müssen,
um auf dem Weltmarkt Wettbewerb herzustellen; denn

sonst haben wir Nachteile, die wir auch dann nicht kom-
pensieren können, wenn wir die besten und modernsten
Anlagen haben.

Dabei werden sicherlich bei vielen Fragen Aspekte,
wie zum Beispiel die Schiffssicherheit oder die Koopera-
tion, eine Rolle spielen. Ich kann hier vorab nur so viel
sagen: Wir haben die Absicht, beim Thema Kapazitäts-
beschränkungen der ostdeutschen Werften erneut initia-
tiv zu werden. Sie wissen, dass die Landesregierung von
Mecklenburg-Vorpommern auf diesem Feld engagiert
war. Wir haben dabei klare Bedingungen, wollen eine
Initiative starten und haben dabei vor, die Kommission
mit entsprechenden Vorschlägen anzugehen, um zusam-
men mit ihr nach Möglichkeit eine Regelung zu finden.
Allerdings ist klar: Die Bedingungen sind hart und wir
müssen versuchen, die gegenwärtig guten Auftragspolster
in die Zukunft zu verlängern.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir sollten als
Parlament gemeinsam – auch über Fraktionsgrenzen hin-
weg – alles tun, um die Schiffbauer zu unterstützen, und
zwar nicht im Sinne eines Subventionswettlaufs. Wir
bestehen vielmehr auf fairen Wettbewerbsbedingun-
gen, und zwar in jeder Situation. Unter fairen Wettbe-
werbsbedingungen stellen wir uns auch den Herausforde-
rungen anderer Wettbewerber. Voraussetzung ist aber,
dass die Bedingungen fair sind und sich der Markt ent-
sprechend fair verhält. Solange das nicht der Fall ist, wer-
den wir weiterhin darauf drängen, dass solche Wett-
bewerbsbedingungen hergestellt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415520500
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Michael Goldmann.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1415520600
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Staatssekretär, es war die maritime Allianz, die parlamen-
tarische Gemeinsamkeit, die dafür gesorgt hat, dass Ende
des letzten Jahres 98 Millionen DM zusätzlich zur Verfü-
gung gestellt wurden, damit deutsche Werften zum Ende
dieses Jahres nochmals Aufträge akquirieren konnten.
Insofern stellen sich deutsche Werften heute als besonders
leistungsfähig dar.

Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die süd-
koreanischen Werften im Welthandelsschiffbau durch
äußerst unkorrekte Methoden nach wie vor riesige Markt-
anteile erobern, indem sie sie den europäischen und deut-
schen Werften, wie man fast sagen kann, stehlen.

Vor diesem Hintergrund sind die Leistungen der deut-
schen Schiffbauindustrie, die im letzten Jahr Aufträge in
Höhe von immerhin 11,8 Milliarden DM einwerben und
damit ihren Auftragsbestand zum Jahresende auf 22 Mil-
liarden DM erhöhen konnte, außerordentlich bemerkens-
wert. Sie sind ein wirklich großartiger Beitrag zur Siche-




Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
15250


(C)



(D)



(A)



(B)


rung von Arbeitsplätzen in der Hochtechnologie des
Schiffbaus.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist erfreulich, dass nicht nur die Jade-Werft in Wil-

helmshaven, die Werften des Thyssen-Krupp-Konzerns
oder die Meyer-Werft in Papenburg mit vollen Auftrags-
büchern in die kommenden Jahre gehen. Es ist auch
erfreulich, dass die Küstenländer wenigstens zum Teil ih-
rer Verpflichtung nachkommen, die Beihilfeergänzung
zu leisten. In diesem Zusammenhang möchte ich das Land
Schleswig-Holstein loben. Diese Stärkung der Marktposi-
tion ist allerdings dringend nötig, weil die Südkoreaner im
Schiffbaumarkt nach wie vor bösartig foulen.

Der Dritte Bericht der EU-Kommission an den Rat zur
Lage des Weltmarkts im Schiffbausektor macht deutlich,
dass die Südkoreaner für Preisverfall und Wettbewerbs-
verzerrungen zum Nachteil der Arbeitsplätze und zum
Nachteil des deutschen Schiffbaus verantwortlich sind.
Koreanische Werften nehmen Verluste bis zu 40 Prozent
der tatsächlichen Baukosten hin, um mit Dumpingpreisen
Marktanteile zu erobern. Der Bericht der Kommission
zeigt deutlich, dass koreanische Werften weiterhin Auf-
träge zu Preisen annehmen, die bei weitem nicht die Kos-
ten decken. Das haben neben dem Dritten auch bereits der
Erste und der Zweite Kommissionsbericht in beein-
druckender Weise dargelegt.

Leider – das muss man sehr kritisch anmerken – hat die
EU-Kommission bis jetzt nichts erreicht. Während die
Südkoreaner deutschen Schiffbauern auf der Nase herum-
tanzen, beobachtet die EU-Kommission den Markt. Der
Schluss, den die EU-Kommission aus ihren Berichten,
gerade aus dem dritten, zieht, dass Betriebsbeihilfen das
koreanische Problem nicht gelöst hätten und man deshalb
ruhig auf diese verzichten könne, ist geradezu abenteuer-
lich. Es war ein schwerer Fehler, dass die Wettbewerbs-
hilfen gegen Ende 2000 abgeschafft wurden,


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


ohne vorher mit den Koreanern eine Lösung der anste-
henden Probleme zu erreichen.

Die Abschiebung der Verantwortung auf den europä-
ischen Schiffbauverband CESA war falsch. Wie Frau
Staatssekretärin Mertens gestern im Ausschuss ausführte,
wird sich das von CESA eingeleitete Untersuchungsver-
fahren möglicherweise bis zu zwei Jahre hinziehen, und
somit wird es überhaupt keine Grundlage für schnelle
Lösungen bieten, die aber angesichts der Situation auf
dem internationalen Schiffbaumarkt absolut notwendig
wären.

Wenn es keine Lösungen gibt, dann sind unsere Werften
in ihrer Existenz massiv bedroht und dann werden wir in
diesem Bereich wieder einmal Tausende von Arbeitsplät-
zen verlieren. Ich denke, wir alle sind hier aufgefordert, die
Bundesregierung mit größtem Nachdruck darauf hinzu-
weisen, dass sofort effektive Maßnahmen bei der EU-Kom-
mission in Brüssel erreicht werden müssen. In dem im Mai
anstehenden Beratungsgespräch muss eine Anschlussrege-
lung für die Ende 2000 ausgelaufene Verordnung des Rates

zur Beihilfegewährung für Neu- und Umbauten von Schif-
fen innerhalb der EU bis zur Herstellung fairer Wettbe-
werbsbedingungen gefunden werden. Aber die Bundesre-
gierung sollte sich auf der EU-Ebene nicht nur durch den
Maritimen Koordinator, dessen Arbeit ich grundsätzlich
sehr begrüße, vertreten lassen, sondern muss hochkarätig
an das Ganze herangehen.

Bei meinem Gespräch mit dem koreanischen Bot-
schafter in Berlin konnte ich in der Sache überhaupt
keine Bewegung erreichen. Als ich auf die Probleme hin-
wies, fragte er mich, in welchem Bereich die Meyer-Werft
denn tätig sei, und als ich erklärte, dass sie im Wesentli-
chen im Passagierschiffbau tätig sei, meinte er: „Da kon-
kurrieren wir doch gar nicht miteinander“, so, als ob es
einen separaten Markt in diesem Bereich geben würde, als
ob nicht jeder wüsste, dass das Einkassieren und
Schlucken von großen Aufträgen natürlich die deutschen
Werften in ihrem Bestand gefährdet. Hier ist die
Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der Aussa-
gen, die auf maritimen Konferenzen gemacht worden
sind, aufgefordert, etwas zu tun. Hier ist der Kanzler in
der Pflicht. Die Bundesregierung, der Bundeskanzler, wir
alle müssen uns geschlossen und schützend vor die
Arbeitsplätze in der deutschen Werftindustrie stellen. Vor
diesem Hintergrund unterstützen wir die Anträge, die
heute hier zur Erstberatung anstehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415520700
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-
legin Antje Hermenau.


Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1415520800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle stim-
men darin überein, dass die Dumpingpreise der Koreaner
zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Aber unabhängig
davon, Herr Börnsen, dass es einen erbost, auf welche Art
und Weise diese Dumpingpreise erzielt werden, zum Bei-
spiel auch mit IWF-Krediten, muss man ein bisschen
Augenmaß behalten. Das ist eigentlich der Sinn und Zweck
der heutigen Debatte. Wir werden das in den Ausschüssen
vertiefen.

Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, dass wir ständig
und schicksalsergeben über Plan B diskutieren, indem wir
sagen: Wir brauchen eine Anschlussregelung für die Zins-
subventionierung. Das ist mir zu schwach. Ich bin der
Auffassung, dass wir versuchen sollten, die anderen In-
strumente, die uns zur Verfügung stehen – darauf komme
ich noch zu sprechen –, stärker zu nutzen und mit ihnen
unsere Interessen durchzusetzen. Auf der einen Seite kann
man immer die Untätigkeit der Europäischen Kommis-
sion anprangern. Auf der anderen Seite muss man sich
aber fragen, wie man die Kommission in Bewegung set-
zen kann. Wir werden in Deutschland zunehmend davon
abhängig sein, dass die EU-Kommission in der Lage ist,
Dinge in Angriff zu nehmen. Ich kann nur davor warnen,
sich schon jetzt sozusagen apathisch zurückzuziehen und
so zu tun, als ob es keine Chance mehr gebe, irgendetwas




Hans-Michael Goldmann

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(C)



(D)



(A)



(B)


zu bewirken. Ich kann nur sagen: Vorsicht, schauen wir
mal!


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Nein, die Kommission hat sich zurückgezogen!)


Es gibt sicherlich den einen oder anderen, der der Mei-
nung ist: Die innenpolitische Lage in Korea ist so schwie-
rig, dass man Verständnis für das Vorgehen der Koreaner
im Bereich des Schiffbaus haben muss. Ich sage ehrlich:
Ich habe nicht so viel Verständnis. Ich bin der Auffassung,
dass es dann, wenn sich die Koreaner nicht an vernünftige
Normen halten – eigentlich ist die WTO hier der An-
sprechpartner; an sie müsste nach unserem Verständnis
die Klage gerichtet werden –, nicht damit getan ist, Ver-
ständnis für die schwierige innenpolitische Lage in Korea
aufzubringen. In allen Ländern gibt es manchmal mehr
oder weniger schwierige innenpolitische Situationen. Wir
dürfen also den Koreanern die von ihnen verursachten
Wettbewerbsverzerrungen nicht einfach durchgehen las-
sen. Aber das hat auch niemand getan. Wir haben die
Wettbewerbsverzerrungen nicht einfach hingenommen;
vielmehr haben wir – das wissen Sie selber; an dieser
Stelle war Ihr melodramatischer Unterton, Herr Börnsen,
vielleicht nicht ganz gerechtfertigt – im Haushaltsaus-
schuss dafür gesorgt, dass die Werften für die nächsten
drei Jahre ein ordentliches Polster haben. Sie haben bis
zum Jahresende 2000 noch einmal Akquise machen kön-
nen. Die Auftragsbücher der deutschen Werften sind prop-
pevoll.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Die meisten Aufträge sind Anfang des Jahres abgearbeitet!)


Vor dem Hintergrund kann man die gesamte Diskus-
sion meiner Ansicht nach jetzt in aller Ruhe führen. Wir
können uns überlegen, wie wir das legitime Ziel errei-
chen, dass die Wettbewerbsbedingungen im Schiffbau
weltweit fair sind. Ich bin ganz sicher, die deutschen
Werften hätten es eigentlich viel lieber, sie hätten statt der
Dauersubventionen eine faire Wettbewerbssituation.
Dauersubventionen sind, wenn wir einmal ehrlich sind,
auch kein fairer Wettbewerb. Ich glaube auch nicht, dass
es sinnvoll ist, diesen unfairen Wettbewerb in Form von
Dauersubventionierung auf Dauer zu zementieren, indem
wir im Prinzip, weil wir bei den Dumpingpreisen nicht
mithalten können, unsere Subventionierung fortführen.
Für mich ist das ein ewiger Kreislauf, den wir durchbre-
chen müssen. Wir haben da keine andere Wahl; denn man
muss sich vor Augen führen, dass die Subventionshöhe im
deutschen Schiffbau pro Arbeitsplatz fast die der deut-
schen Steinkohle erreicht hat.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Angesichts dessen weiß ich ganz genau, was auf uns zu-
kommt, wenn wir einfach nur apathisch sagen: Wir wer-
den die Zinssubventionierung verlängern; wir können
nichts anderes machen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wie kommen Sie auf eine solche Berechnung?)


– Es sind die Zahlen, die da sprechen. Das wissen Sie ge-
nau, Herr Goldmann.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Es stimmt überhaupt nicht, was Sie da sagen!)


Niedersachsen kommt mit der Kofinanzierung gerade
noch hin; sie haben es im Haushalt noch geschafft. Schles-
wig-Holstein hat haushaltspolitisch Augenmaß bewiesen
und die Mittel nicht ganz ausgeschöpft; das hat seine
Gründe gehabt. Mecklenburg-Vorpommern hingegen ver-
schuldet sich schamlos über beide roten Ohren. Meiner
Meinung nach besteht für Mecklenburg-Vorpommern
eher das Problem, dass es eine Kapazitätsbeschränkung
gibt. Jedenfalls können wir nicht weiterhin mit der Dauer-
subventionierung im Zinsbereich arbeiten. Aber das sind
Probleme, die in den Ländern differenziert zu betrachten
sind.

Insgesamt stehen den deutschen Werften mit den Kofi-
nanzierungen der Länder für die nächsten drei Jahre mehr
als 700Millionen DM zur Verfügung. Das ist eine enorme
Summe. Damit lässt sich schon so manches zusammen-
packen.

Ich bin erstaunt darüber, dass Sie von der CDU/CSU es
nicht fertig bringen, sich ordnungspolitisch zu sortieren.
Ich weiß nicht, was Sie von den Reden des Herrn Merz
halten. Aber Herr Merz hat hier, ohne müde zu werden,
ständig davon gesprochen, wie wichtig eine wirkliche
Haushaltskonsolidierung und ein wirklicher Subventions-
abbau seien. Er hat dazu fast schwadroniert. Offensicht-
lich meint er es nicht ernst; denn die Mitnahmeeffekte bei
der Dauersubventionierung in Form von Zinsverbilligun-
gen sind allen bekannt, die sich den deutschen Schiffbau
ein bisschen näher anschauen. Das wissen Sie auch.
Gleichwohl setzen Sie sich für eine Fortsetzung der Dau-
ersubventionierung ein.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Was machen Sie denn bei nachwachsenden Rohstoffen, bei Windenergie und bei Solarenergie?)


Da ist es kein Wunder, dass die F.D.P. ihr Heil in der
Flucht suchen muss. Wir können die Absetzbewegungen
alle beobachten.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: So ein Blödsinn! Frau Kollegin, das ist doch nicht Ihr Ernst! Was machen Sie denn bei der Bahn?)


Ich bin der Auffassung, wir können den Prozess bis
zum Mai in Ruhe abwarten. Bis dahin brennt nichts an.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Natürlich brennt etwas an!)


– Nein, da brennt überhaupt nichts an. – Die Auftrags-
bücher sind voll. Wir können sehen, wie weit sich das dort
entwickelt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wann waren Sie denn das letzte Mal auf einer Werft?)


Ich greife noch einen Punkt auf, von dem Sie heute
noch gar nicht gesprochen haben. Sie tun immer so, als
hätte der deutsche Schiffbau allein das Problem. Inzwi-
schen ist jedoch klar geworden, dass selbst die Japaner




Antje Hermenau
15252


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht mehr zurecht kommen, dass auch sie nicht mehr in
der Lage sind, mit den Dumpingpreisen der Koreaner zu
konkurrieren. Das heißt, meiner Meinung nach wird der
Druck auf die WTO schon ein etwas anderer sein, wenn
sich diese Länder bei ihren Bemühungen zusammentun.
Auch der Druck auf den IWF wird ein anderer sein, als
wenn Deutschland alleine versucht, sich da durch-
zukämpfen. Wenn wir es nicht schaffen, auf diese Instru-
mente zurückzugreifen, dann sind diese Instrumente eine
Farce. Dann können wir gleich sagen: Wir machen nur
noch Nationalökonomie und versuchen damit unser
Glück.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das machen Sie doch! Bei der Ökosteuer und bei den nachwachsenden Rohstoffen machen Sie nur Nationalökonomie!)


Das halte ich allerdings für einen völlig verkehrten Stand-
punkt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415520900
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Rolf Kutzmutz für die Fraktion der
PDS.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1415521000
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Natürlich lehnt auch die PDS-Fraktion die
existenzbedrohenden Beutezüge der südkoreanischen
Werften auf dem Weltschiffbaumarkt ab. Auch wir plä-
dieren für handelspolitische Sanktionen, wenn sich Süd-
koreas Regierung weiterhin weigert, ihrer Unterschrift
– diese haben sie ja geleistet – unter vertragliche Abma-
chungen tatsächlich Taten folgen zu lassen; denn nur Ver-
tragstreue kann das Fundament einer friedlich zusam-
menlebenden, demokratisch und sozial organisierten
Weltgemeinschaft sein, die wir als Sozialisten anstreben.

Aber wir sollten uns auch nichts vormachen: Wirk-
same Handelssanktionen, die Südkorea tatsächlich mehr
treffen als die EU selbst, werden nur schwer umsetzbar
sein.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Mit einem Einlenken beim Schiffbaudumping ist dem-
nach kaum zu rechnen.

Wir sollten auch redlich bleiben in unserer Argumenta-
tion. Angesichts der derzeit laufenden Auseinanderset-
zungen in den südkoreanischen Autokonzernen ist festzu-
stellen, dass es letztlich die 1997 vom IWF festgelegten
Bedingungen waren, die Südkorea erst zum Freibeuter auf
den Meeren machten; denn dazu gehörten die Absenkung
der Löhne und die Entlassung von Arbeitern. Das ist alles
gesagt worden.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das stimmt nicht! Missbraucht haben die Südkoreaner das!)


– Missbraucht? Wenn man solche Beschränkungen aufer-
legt bekommt, muss man reagieren. Wer keine andere
Chance mehr hat, Geld zu verdienen, der greift nach je-

dem Mittel. Wir dürfen uns darüber nicht wundern, wir
müssen etwas dagegen tun. Das ist richtig. Aber wir müs-
sen auch die Ursache dafür sehen.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb sollten wir nicht nur auf WTO- oder OECD-

Schiffbau-Abkommen schielen, sondern auch im eigenen
Haus all das wegräumen, was einen zukunftsfähigen
Schiffbau in Europa behindert. Was hindert zum Beispiel
die EU daran, nur nach dem jeweiligen Stand der Technik
sichere Tanker und Frachter in ihre Gewässer zu lassen?
Das führte nicht nur zu einem erstklassigen Arbeits-
beschaffungsprogramm für moderne europäische Werf-
ten, sondern wäre auch vorteilhaft für die Umwelt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sie glauben doch nicht, dass ein solcher Tanker dann in Europa gebaut wird!)


Unstrittig dürfte deshalb sein, dass die Bundesrepublik
im vergangenen Jahrzehnt, gemessen an anderen wich-
tigen Schiffbaunationen, vergleichsweise wenig in die
Fortentwicklung einer zukunftsfähigen maritimen Indus-
trie investiert hat. Das gilt für Forschungs- und Entwick-
lungsmittel, für die Entfaltung regionaler Netzwerke und
auch für die ingenieurtechnische Aus- und Weiterbildung,
auch wenn mit dem Regierungswechsel zweifellos eini-
ges in Gang gesetzt worden ist.

Wir schätzen das Engagement des Koordinators für die
maritime Wirtschaft, Herrn Dr. Gerlach, und hoffen, dass
er den nötigen langen Atem und auch die nötige politische
Rückendeckung für seine Arbeit bekommt. Das gilt ins-
besondere auch für die Modifizierung der Ende 2005 aus-
laufenden Kapazitätsbeschränkungen für die Werften
Mecklenburg-Vorpommerns. Fakt ist: Damit wird mittler-
weile nicht mehr der westeuropäische Markt, sondern ein-
zig und allein die südkoreanische Konkurrenz geschützt.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Da haben Sie vollkommen Recht!)


Es ist Unsinn, so etwas zu machen. Bisher wurde nämlich
traditionell in Wismar und Warnemünde, jetzt zunehmend
auch in Stralsund, in Marktsegmenten produziert, die Fern-
ost derzeit allein zu bedienen versucht. In Ostdeutschland
stecken wir wegen dieser Beschränkungen in einer Pro-
duktivitätsfalle.


(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)


Die erreichte Rationalisierung schlägt sich nicht in Dollar
oder Euro nieder, weil die Fixkosten nicht auf mehr Auf-
träge zu verteilen sind.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Völlig richtig!)


Ich möchte noch etwas zu den Hilfen sagen: Wenn es
weiterhin staatliche Wettbewerbs- und Werfthilfen geben
soll, müssten sie solidarischer als bisher getragen werden.
Es kann nicht länger sein, dass neben dem Bund allein die
Nordlichter dafür Landesmittel aufbringen müssen, in
diesem Jahr immerhin 478 Millionen DM.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Völlig richtig!)





Antje Hermenau

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(C)



(D)



(A)



(B)


Damit werden schließlich weniger die Arbeitsplätze auf
den Werften als vielmehr vor allem diejenigen bei den Zu-
lieferern subventioniert, auf die immerhin zwei Drittel der
Wertschöpfung beim Schiffbau entfallen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Deshalb stimmt Ihre Subventionsrechnung auch nicht!)


Ein letzter Satz hierzu: Diese Firmen befinden sich vor al-
lem in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-West-
falen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Wem die Aufschlüsselung zu schwierig erscheint, der
sollte all dies wenigstens beim Länderfinanzausgleich
berücksichtigen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Hans Michael Goldmann [F.D.P.])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415521100
Nun gebe
ich das Wort der Kollegin Dr. Margrit Wetzel für die Frak-
tion der SPD.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1415521200
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Frau Hermenau hat eben schon zu
Recht darauf hingewiesen: Die Auftragsbücher der Werf-
ten, zumindest die der großen Werften, sind prall gefüllt.
Das ist völlig richtig und das verdanken wir der Tatsache,
dass der Bund und die Länder die möglichen Beihilfen
noch drastisch aufgestockt haben. Nichtsdestotrotz darf
uns das aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir jetzt
schon seit Jahren Probleme mit Korea haben. Mir macht
es ganz große Sorge – ich will jetzt nichts wiederholen,
was schon über Marktanteile von Korea usw. gesagt
wurde –, dass Korea inzwischen über 80 Prozent beim
Großcontainerschiffbau akquiriert. Diese Schiffe werden
zukünftig den weltweiten Liniendienst bestimmen. Hier
liegt der Schiffbaumarkt der Zukunft.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


Vor diesem Problem stehen wir.
Bedenken wir, dass die Schleusen des Panamakanals

auf 12 000 TEU-Schiffe erweitert werden sollen, dann se-
hen wir, wohin die zukünftige Entwicklung geht. Ich habe
einfach ganz große Sorge, ob unsere Werften hierbei noch
mithalten können, wenn wir nicht dafür sorgen, dass sie
alle die entsprechende Auslastung behalten. Deshalb kann
man sich nicht darauf ausruhen, dass hier in den nächsten
drei Jahren Sicherheit besteht. Insbesondere die kleinen
und mittleren Werften haben ganz große Probleme, weil
überhaupt keine Aufträge für Standardtanker und Mas-
sengutfrachter mehr nach Deutschland gehen. Solche
Aufträge sichern aber die Auslastung bei den kleinen
Werften. Nur so kann verhindert werden, dass das Know-
how der Mitarbeiter, das sie in langjähriger Qualifizierung
gewonnen haben, verloren geht. Nur bei entsprechender
Auslastung können diese gehalten werden. Diesem Pro-
blem muss unsere Sorge gelten.

Bei den durchaus versöhnlichen Ausführungen zur
Schiffbaupolitik der Regierung vonseiten der CDU/CSU
und F.D.P. wurde, wie ich glaube, ein Punkt übersehen:
Die Maritime Konferenz in Emden ist von der gesamten
maritimen Verbundwirtschaft mit ganz großer Freude auf-
genommen worden. Gerhard Schröder war nämlich der
erste Bundeskanzler, der das Thema maritime Industrie
zur Chefsache gemacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist richtig!)


Das ist in der Öffentlichkeit gebührend gewürdigt worden.

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Ein paar Taten müssen noch kommen!)

– Bei den Taten sind wir. Nur können wir die Erfolge nicht
erzwingen; denn wir sind ein Rädchen im Getriebe, so-
wohl im Bereich der EU wie auch des IWF.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wir können auch national etwas machen!)


– Auch national. Sie haben doch gerade von Herrn
Mosdorf gehört: Der Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie hat vor kurzem mit EU-Kommissar Lamy
verhandelt. Lamy war unmittelbar zuvor in Korea, wo er
zum Beispiel einen durchschnittlichen Preisanstieg von
20 Prozent angemahnt hat. Das waren völlig richtige Si-
gnale.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das war aber gar nicht Thema in Emden!)


– Dort hatten wir mehr Themen als nur den Schiffbau.

(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Eben!)


Aber auch der Schiffbau ist in Emden thematisiert worden.
Wichtig ist doch, dass Sie selber in Ihrem Antrag for-

dern, dass die Verhandlungen mit Korea sowohl auf EU-
Ebene als auch bilateral weitergeführt werden. Das ist
eine völlig korrekte Forderung. Man muss aber einfach
anerkennen – Herr Mosdorf hat das deutlich gemacht –,
dass die Regierung damit nahezu wöchentlich beschäftigt
ist.

Das ist überhaupt keine Kritik an Ihrem Antrag. Ich
finde es absolut anerkennenswert, dass Sie mit Ihrem An-
trag diese Debatte im Parlament herbeiführen; denn es ist
unser aller Aufgabe, durch Debatten und durch unser
deutliches Bemühen, die Regierung zu unterstützen, klar-
zumachen: Das gesamte deutsche Parlament und die Re-
gierung stehen hinter dem Bemühen, die Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Werften zu sichern.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

– Ich denke, darin sind wir völlig einig.

Das heißt, wir müssen durchsetzen, dass Korea inter-
nationale Bilanzierungsregeln und Rechnungsstellungen
akzeptiert. Wir müssen durchsetzen, dass Länder, die
IWF-Kredite in Anspruch nehmen, auch Kapazitäts-
beschränkungen akzeptieren; sonst dürfen wir ihnen
keine Kredite geben. Der IWF-Fonds hat auf diesem Ge-
biet Fehler gemacht. Das nächste Problem besteht darin,




Rolf Kutzmutz
15254


(C)



(D)



(A)



(B)


dass der IWF nicht einmal ein Mandat hat, die Einhaltung
der Kriterien durch sektorale Untersuchungen zu über-
prüfen. Das ist im Grunde genommen ein Skandal. Das
wird uns überhaupt erst jetzt deutlich. Nun erkennen wir
unseren Handlungsbedarf auf allen Ebenen.

Auch die Klage vor der WTO, die durchaus immer als
etwas sehr Fragwürdiges angesehen wird, ist im Moment
eines unserer Mittel, um politischen Druck auf Korea aus-
zuüben. Deshalb muss diese Klage durchgezogen werden
und deshalb muss die EU diese Klage zügig bearbeiten.
Vor allen Dingen muss die EU handelspolitische Sanktio-
nen vorschlagen. Es führt überhaupt kein Weg daran vor-
bei, dass wir Sanktionen brauchen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Die EU klagt doch gar nicht!)


– Aber die EU muss die Klagevoraussetzungen prüfen
und die Klage an die WTO weitergeben.

Unabhängig von Formalien sind wir uns in der Sache
völlig einig: Der politische Druck ist nötig und die EU-
Kommission muss sich anstrengen, etwas zu tun, damit
Korea begreift, dass es uns ernst ist.

Sie haben auch mit der Forderung völlig Recht, dass
wir bei der nächsten Sitzung des EU-Industrieministerra-
tes dazu kommen müssen, neue wirksame Regelungen zur
Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Werften zu
vereinbaren. Diese Regelungen müssen, unabhängig von
dem, was im Mai geschieht, beschlossen werden; das ist
völlig klar. Ich selber setze ganz große Hoffnungen da-
rauf, dass über das neue Weltschiffbauabkommen wirk-
lich zügig verhandelt wird. Mein Appell an die Regierung
geht dahin, diese Angelegenheit möglichst aktiv voranzu-
treiben.

Dass Japan und Korea im Moment erklären, sie akzep-
tierten das alte OECD-Abkommen, ist der reine Hohn.
Wir haben gerade durch die Koreakrise erkannt, dass das
alte OECD-Abkommen überhaupt nicht wirksam ist.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Richtig!)

Dass die USA nicht zustimmen, ist etwas anderes. Aber
dass Korea diesem Abkommen zustimmen will, ist der
reine Hohn; denn es enthält bei Verstößen gegen das Ver-
bot von Dumpingpreisen genau diese Sanktionen nicht
und es enthält keine Vorschriften für Bilanzierungen und
Rechnungsstellungen. Wir haben erkannt, wie notwendig
solche Vorschriften sind. Das heißt, wir brauchen ein ab-
solut neues Weltschiffbauabkommen, das von den ent-
scheidenden Nationen akzeptiert wird. Dass dies zustande
kommt, ist die Hoffnung, auf die sowohl wir Parlamenta-
rier wie auch die Werften setzen.

Mit einem haben sie unisono Recht gehabt: Die Werf-
ten wollen keine Dauersubventionen, sondern faire Wett-
bewerbsbedingungen. Unsere politische Aufgabe ist es,
ihnen dazu zu verhelfen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415521300
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksache 14/5137 und 14/5457 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 14/5137 soll zusätzlich an den
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder über-
wiesen werden. – Das Haus ist damit einverstanden. Die
Überweisungen sind somit beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerhard
Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Arbeitsplatzabbau bei Förderung von Produk-
tionsverlagerungen ausschließen
– Drucksache 14/5248 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Vereinbart ist eine Aussprache von einer halben Stunde.
– Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist also damit
einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kol-
legen Gerhard Jüttemann für die antragstellende Fraktion
der PDS.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415521400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Eine Geschichte zum Thema Wirtschafts-
förderung: Im niedersächsischen Bad Lauterberg gibt es seit
langem eine Blechwarenfabrik namens Hemeyer-Verpa-
ckungen GmbH. Der Chef, Herr Hemeyer, ist ein kühler
Rechner. Er hat deshalb schon vor Jahren im Raum Bitter-
feld in Sachsen-Anhalt sehr billig ein großes Gelände er-
worben und 1998 dort einen Teilbetrieb angesiedelt.

Die Einzelheiten sahen so aus: Herr Hemeyer entließ in
Bad Lauterberg 54 Beschäftigte, die bis dahin tariflich ent-
lohnt worden waren. In Bitterfeld wurden überwiegend
Langzeitarbeitslose eingestellt, deren Löhne in Höhe zwi-
schen 9 und 15 DM bis zu 70 Prozent vom Arbeitsamt
übernommen worden sind.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Kennen Sie den Standort in Bad Lauterberg?)


– Ja, den kenne ich. – Nur 20 Tage Urlaub sind die Regel;
einen Betriebsrat gibt es nicht. Aus all diesen Gründen hat
Herr Hemeyer einmal gesagt, er fühle sich im Osten wie
auf Rosen gebettet.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Seien Sie doch froh darüber!)


Deshalb will er nun im kommenden Jahr auch den Rest sei-
nes Betriebes nach Bitterfeld bringen. Das wird in Bad
Lauterberg erneut knapp 50 tarifliche Arbeitsplätze kosten.

Der Fall Hemeyer ist kein Einzelfall. Wenn zum Bei-
spiel die Zwiebackfirma Brandt ihren Standort im westfä-
lischen Hagen verlässt, um im thüringischen Ohrdruf
wie Phönix aus der Asche neu zu entstehen, dann mag das
zunächst für den Aufbau Ost gut klingen.




Dr. Margrit Wetzel

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(C)



(D)



(A)



(B)



(Iris Gleicke [SPD]: Ich weiß nicht, was die PDS will! – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Was wollen Sie denn eigentlich? Wollen Sie Arbeitsplätze im Osten?)


Wenn dabei aber 330 Arbeitsplätze auf Nimmerwie-
dersehen verschwinden, weil 430 Kündigungen nur
100 Neueinstellungen gegenüberstehen, und wenn diese
Entwicklung vom Staat mit Millionensummen gefördert
wird, dann nenne ich das einen Skandal. Diese Art der
Wirtschaftsförderung bezahlen die Menschen im Westen,
die ihren Arbeitsplatz verlieren, und die Menschen im
Osten, die schlecht bezahlt werden.

Die Regierung Schröder will nach eigenen Aussagen
an nichts anderem gemessen werden als am Abbau der
Arbeitslosigkeit. In Wirklichkeit fördert sie aber, wie
diese Beispiele zeigen, nicht den Abbau der Arbeitslosig-
keit, sondern deren Ausweitung. Wo ist da die Logik? Sie
können es doch nicht als Aufbau Ost und als gewünschte
Richtung der Entwicklung bezeichnen, wenn Firmen in
den alten Bundesländern schließen und ihre Beschäftigten
entlassen – Beschäftigte mit existenzsichernden Arbeits-
plätzen, tarifvertraglich abgesichert und gewerkschaftlich
organisiert mit funktionierenden Betriebsräten –, dann
aber auf Staatskosten in den Osten ziehen, um dort auf
Dauer sehr viel weniger Arbeitsplätze zweiter und dritter
Klasse zu schaffen.

Merken Sie denn nicht, dass hier gesellschaftliche
Standards, die ja nicht vom Himmel gefallen sind, in Ost
und West mit dauerhafter Wirkung abgebaut werden?


(Beifall bei der PDS)

Diesen Abbau fördern wir mit Steuergeldern in Millio-
nenhöhe. Das ist kein Aufbau Ost; das ist die schamlose
Ausnutzung des Ostens für den sozialen Kahlschlag in
ganz Deutschland.

Gelegentlich hört man als Gegenargument: Es ist ja
klar, dass ein Betrieb, der im Westen schließt und im
Osten neu aufmacht, nicht mehr so viel Arbeitsplätze
benötigt wie vordem; denn die neuen Anlagen sind ja in
der Regel viel produktiver. Natürlich hat diese Argumen-
tation ihren Reiz. Dazu passt nur nicht, dass die Beschäf-
tigten im Osten dann nur 70 Prozent oder noch weniger
des Lohnes ihrer Westkollegen bekommen, obwohl sie
doch so viel effektiver produzieren.


(Beifall bei der PDS)

Die Zeitungen sind ja voll davon, dass im Osten end-

lich die Lohnerhöhungen gestoppt werden müssen, wenn
der wirtschaftliche Aufschwung nicht gefährdet werden
soll. Ich sage Ihnen: Ohne schnellstmögliche Anglei-
chung vor allem der Löhne – das heißt auch: unverzügli-
che Angleichung der sozialen Standards der Beschäftigten
in Ost und West – wird es keinen wirtschaftlichen Auf-
schwung geben. Ohne diese Angleichung wird der Osten
weiter ausbluten, sodass er dann in nicht allzu ferner Zu-
kunft endgültig von Thierses Kippe fällt, mit den entspre-
chenden negativen sozialen Folgen auch im Westen.

Es kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen,
dass dieser Prozess den gesamtgesellschaftlichen Interes-
sen zuwiderläuft. Die PDS fordert die Regierung deshalb

auf, die finanzielle Förderung des Abbaus von Beschäfti-
gung und von sozialen Standards in Deutschland sofort
einzustellen.


(Beifall bei der PDS)

Im Osten ist schon heute nur noch jeder zweite Arbeit-
nehmer in einem Unternehmen beschäftigt, das an Tarif-
löhne gebunden ist, was noch lange nicht heißt, dass auch
jeder zweite diesen Tariflohn tatsächlich erhält. Wir müs-
sen diese Entwicklung nicht noch mit Millionensummen
fördern.

Im Osten fehlen 1,5 Millionen Arbeitsplätze. Aber
Turnschuhjobs haben wir schon zu viele. Was wirklich
fehlt, sind solide, zukunftsfähige, existenzsichernde und
an Tarifverträgen orientiere Arbeitsplätze in Unterneh-
men, in denen Mitbestimmung, Gewerkschaftsleben und
Betriebsräte keine Fremdworte sind. Geben Sie dafür das
Geld aus! Im anderen Fall werden Sie den Menschen in
den alten Bundesländern niemals erklären können, dass
sie für weitere Hilfen für den Aufbau Ost, die noch lange
nötig sein werden, ihre Zustimmung geben sollen. Da
müssen wir anfangen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415521500
Für die
Fraktion der SPD spricht die Kollegin Jelena Hoffmann.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1415521600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS ist die stärks-
te Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. – Das ist
kein Versprechen, sondern das sind offensichtlich Ihre
kühnsten Träume, liebe Kollegen von der PDS, lieber
Herr Jüttemann. Auf jeden Fall spricht Ihr Antrag deutlich
diese Sprache. Ich möchte mich ja nicht in Ihre stra-
tegischen Überlegungen einmischen. Aber es muss doch
erlaubt sein, Zweifel anzumelden, ob Ihre Strategie auf-
gehen wird und ob Ihnen die Westwähler scharenweise in
die Arme laufen werden, wenn Sie solche populistischen
Anträge schreiben.

Worum geht es hier? Es kann passieren, dass ein Un-
ternehmen feststellt, dass sich seine Produktion mit sei-
nen Maschinen nicht mehr lohnt. Aus betriebswirtschaft-
lichen Gründen kann sich der Unternehmer entscheiden,
seinen Betrieb zu schließen. Wenn die Produkte gefragt
sind und der Markt da ist, kann er seinen Betrieb auch
verlagern,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Aber doch nicht mit staatlichen Mitteln! Darum geht es doch!)


vielleicht an einen neuen Standort im Ausland oder doch
irgendwo in Deutschland.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Aber er muss es selber bezahlen!)


Die Entscheidung kann dabei auch für Thüringen oder für
Sachsen fallen.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Ja, völlig richtig!)





Gerhard Jüttemann
15256


(C)



(D)



(A)



(B)


Wirtschaftlich gesehen ist dieser Vorgang eine ganz
normale Sache. Entscheidungshilfen für die Standortwahl
füllen die Bibliotheken von Wissenschaft und Managern,
von Theoretikern und Praktikern. Es ist meine feste Über-
zeugung, dass es die Aufgabe und sogar die Pflicht jedes
Unternehmens ist, seine Produktionsbedingungen so gut
wie möglich zu gestalten. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist selbstverständlich die persönliche
Katastrophe, die so ein Umzug für jeden einzelnen Ar-
beitnehmer mit sich bringen kann. „Kann“ sage ich ganz
ausdrücklich, denn es gibt umfangreiche Rechte des Be-
triebsrates, bei eventuellen Standortverlagerungen tätig
zu werden. Mancher ist sehr mobil und packt gerne seine
Koffer und zieht mit der ganzen Familie um. Andere hän-
gen an ihrer Heimat und nehmen die Arbeitslosigkeit in
Kauf. Oder es sind rein wirtschaftliche Überlegungen ei-
ner Familie. Meistens sind es leider immer noch die
Frauen, die den Kürzeren ziehen, weil sie noch immer we-
niger verdienen.

Um jedes Missverständnis von Anfang an zu vermei-
den, möchte ich ganz ausdrücklich sagen: Es tut mir in der
Seele weh und Leid um jeden einzelnen Arbeitsplatz in
Deutschland, der verloren geht. Dabei ist es völlig egal,
ob diese Stelle in Hagen, in Chemnitz, in Bremen oder in
Regensburg verloren geht, mit anderen Worten: ob das im
Westen oder im Osten passiert.

Aber warum reden wir nun im Bundestag darüber, was
die Verlagerung einer Produktion bedeutet? Die Firmen,
die im Antrag der PDS aufgezählt sind, ziehen in die
neuen Bundesländer um. Weil viele Regionen im Osten
leider noch immer eine Förderung durch die Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ brauchen, können auch besagte Firmen
von der Förderung profitieren. Das war politisch so ge-
wollt und das brauchen wir im Osten noch immer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der F.D.P.)


Aber dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
PDS, nur einige Einzelfälle aufgreifen und das bewährte
Förderinstrumentarium der GA infrage stellen, kann ich
nun wirklich nicht verstehen. Sie benutzen die von der Ar-
beitslosigkeit Betroffenen für Ihre eigenen politischen
Zwecke und rühren im Westen mit populistischen Mitteln
die Werbetrommel.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415521700
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jüttemann?


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1415521800
Ja.


Gerhard Jüttemann (PDS):
Rede ID: ID1415521900
Frau Hoffmann, haben
Sie mich vielleicht falsch verstanden?


(Zurufe von der SPD: Nein!)

Ich will nicht verhindern, dass sich Unternehmen im

Osten ansiedeln. Ich bin für jeden Arbeitsplatz dankbar.

Aber wir können doch nicht zusehen, wenn Unternehmen
mehr Arbeitsplätze abbauen – egal ob in Ost oder West;
in unseren Referenzbeispielen ging es von West nach
Ost –,


(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine wirtschaftliche Entscheidung, keine planwirtschaftliche!)


als sie an neuen schaffen, und sich das noch mit Millionen
honorieren lassen. Das kann doch wohl keine Wirt-
schaftsförderung sein. Oder haben Sie das missverstan-
den? Es geht nur um solche Beispiele, nicht um die gene-
relle Verlagerung.


Jelena Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1415522000
Herr
Jüttemann, ich habe Sie eindeutig verstanden und auch
ganz genau Ihren Antrag gelesen. Ich kann Ihnen nur ei-
nes sagen: Sie vertiefen die Gräben zwischen Ost und
West weiter. Das geht so nicht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Das ist, wie Frau Hermenau eben völlig zu Recht zugeru-
fen hat, eine wirtschaftliche Entscheidung. Wir alle müs-
sen dafür sorgen, dass die Arbeitsplätze in Deutschland
bleiben. Zum Teil werden sie auch nach Ostdeutschland
verlagert.


(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Tatsache ist doch Folgendes – das gehört auch noch zur
Antwort auf Ihre Frage, Herr Jüttemann –: Ein Betrieb
denkt in der Regel dann über eine Standortverlagerung
nach, wenn die Produktion am alten Standort nicht mehr
rentabel ist oder aus anderen Gründen nicht mehr fortge-
setzt werden kann. Das ist also eine unternehmerische
Entscheidung. Man kann die neuen Kapazitäten im Aus-
land aufbauen. Dann gehen die Arbeitsplätze für Deutsch-
land ganz verloren. Im Interesse von uns allen ist es aber
doch, Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [F.D.P.])


und zwar auch dann, wenn sie in eine strukturschwache
Region in einem anderen Bundesland gehen. Selbst dann,
wenn wie im Falle der Firma Brandt am Ende weniger
Arbeitsplätze als vorher erhalten bzw. geschaffen werden,
ist eine Förderung nach Ansicht von Bund und Ländern
gerechtfertigt und notwendig. Die Erfahrungen zeigen,
dass die Entscheidung des Unternehmers, den Standort zu
schließen oder zu verlagern, in der Regel nicht aufgrund
der Fördergelder getroffen wird.

Was Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der PDS,
ebenfalls nicht berücksichtigt haben, ist die Tatsache, dass
nicht der Bund die letzte Entscheidung bei der GA-För-
derung trifft. Die Bundesländer sind für die Durch-
führung, das heißt für die Prüfung der Förderanträge, für
die Entscheidung über die Höhe der gewährten Zuschüsse
und für die Kontrolle, allein zuständig und verantwort-
lich.




Jelena Hoffmann (Chemnitz)


15257


(C)



(D)



(A)



(B)


Leider gibt es bei dieser Förderung der strukturschwa-
chen Regionen auch Mitnahmeeffekte und Fälle von
Missbrauch. Die Länder sind dazu verpflichtet, die Inves-
titionen zu prüfen. Sollte tatsächlich etwas nicht recht-
mäßig sein, dann müssen die Fördergelder zurückgezahlt
werden. Aber auch mithilfe intensiver Kontrollen kann
man solche Fälle von Missbrauch nicht völlig aus-
schließen. Schwarze Schafe gibt es überall. Man darf aber
nicht nur von solchen Fällen reden. Das ist also noch
lange kein Grund dafür, das Instrument der Gemein-
schaftsaufgabe infrage zu stellen Es ist einfach nicht kor-
rekt, sehr geehrte Kollegen von der PDS, den Aufbau Ost
gegen einzelne Fälle in Westdeutschland auszuspielen.
Sie aber machen das mit Ihrem Antrag.


(Beifall bei der SPD)

Wie ich bereits sagte, tut es mir um jeden einzelnen Ar-

beitsplatz in Ost- und Westdeutschland Leid. Aber wenn
Sie jetzt hergehen und den Betroffenen einreden, der Auf-
bau Ost sei an ihrer Situation schuld, dann argumentieren
Sie demagogisch und reißen sinnlos neue Gräben auf. Da-
bei sind wir ein Land, das mit voller Kraft darangehen
muss, Arbeitsplätze im Land zu halten und neue zu schaf-
fen. Das ist die politische Zielgerade, die wir erreichen
müssen. Ihr Flickwerk führt dagegen, wenn es überhaupt
irgendwohin führt, in die Irre.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415522100
Ich gebe dem
Kollegen Jochen-Konrad Fromme für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1415522200
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der An-
trag der PDS beinhaltet in klassenkämpferischer Art und
Weise Unterstellungen. Er reißt wieder Gräben auf, des-
halb kann man ihm nicht zustimmen.

Herr Kollege Jüttemann, Sie verkennen einfach be-
triebswirtschaftliche Notwendigkeiten. Häufig ist es doch
so, dass man vor der Frage „Weniger oder nichts?“ steht.
Dann ist doch das Weniger immer noch besser als gar
nichts.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Die Auftragsbücher sind randvoll!)


Meine Damen und Herren, wir wollen keine neuen Grä-
ben, wir wollen nicht Ost gegen West ausspielen. Wir
müssen die Probleme gemeinsam lösen, und zwar emoti-
onsfrei und ohne Klassenkampf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Antrag gibt mir aber Gelegenheit, ein Problem

aufzuzeigen, das wir auch in umgekehrter Richtung ha-
ben. Ich vertrete hier einen Wahlkreis, der im ehemaligen
Zonenrandgebiet liegt. Da sagen mir die Handwerker: Wir
bekommen keinen einzigen öffentlichen Auftrag mehr,
weil alle diese Aufträge an die Firmen gehen, die ihren

Sitz wenige Kilometer weiter in den neuen Bun-
desländern haben.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Weil sie rübergegangen sind!)


– Es ist nicht die Frage, wer da rübergegangen ist.
Wir haben in zweifacher Hinsicht Probleme an den

Schnittstellen. Ich spreche das auch deshalb so ausführ-
lich an, weil wir darauf achten müssen, dass wir nicht an
der nächsten Schnittstelle, wenn es um die Osterweite-
rung der EU geht, diese Probleme erneut bekommen. Des-
wegen müssen wir darüber nachdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Beipiele Löhne: Wir haben im Westen ein durch-

schnittliches Lohnniveau von 24 DM, im Osten ein
durchschnittliches Lohnniveau von 17 DM.


(Iris Gleicke [SPD]: Theoretisch!)

Ich habe das einmal durchgerechnet: Für einen Installati-
onsbetrieb mit 15 Mitarbeitern bedeutet das einen Kos-
tenunterschied von fast 250 000 DM. Wenn dieser Betrieb
mit diesen Mehrkosten anbieten muss, dann hat er natür-
lich keine Chance im Wettbewerb. Da nützen auch die Ta-
riftreueerklärung und das Entsendegesetz nichts, wenn
das nicht scharf kontrolliert wird. Bundesanstalt für Ar-
beit und Zollämter, die dafür zuständig sind, dürfen die
Erklärung nicht nur entgegennehmen und abheften, son-
dern müssen in die Betriebsunterlagen gucken und auch
nachprüfen, was denn wirklich gezahlt wird. Die Tarif-
verträge gibt es nämlich aus guten Gründen. Dass wir das
nicht allein so sehen, zeigt auch die Tatsache, dass die
SPD-Landtagsfraktion in Hannover darüber nachdenkt,
ein entsprechendes Gesetz einzubringen.

Es geht aber noch um einen weiteren Punkt, nämlich
um die Frage, wie sich Investitionsförderung eigentlich
auswirkt. Natürlich wollen wir, dass die entsprechenden
Betriebe auf die Beine kommen. Deswegen brauchen sie
Investitionsförderung. Ich habe da ganz konkret einen Be-
trieb vor Augen – 200Millionen DM Umsatz –, der bei ei-
ner Investitionssumme von 200 Millionen DM in Magde-
burg 43 Prozent und im ehemaligen Zonenrandgebiet
8 Prozent Förderung bekommt. Das macht, herunterge-
rechnet auf den Endpreis, 2 Prozent des Angebotspreises
aus, die er nicht abschreiben und verzinsen muss. Eine
Differenz von 2 Prozent führt in einem scharf umkämpf-
ten Markt schlicht und einfach dazu, dass man keine Auf-
träge mehr bekommt. Das ist das Problem.


(Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Wir müssen auf der einen Seite dafür sorgen, dass die
Förderung gezielt dort eingesetzt wird, wo sie notwendig ist.
Wir müssen aber auf der anderen Seite versuchen,
Verwerfungen, die dadurch im Wettbewerb entstehen, in
den Griff zu bekommen. Es geht nicht darum, ob das jemand
zum Beispiel dazu missbraucht, den Lohn zu drücken. Das
ist eine Frage, mit der sich die Tarifparteien, mit der sich die
Gewerkschaften auseinander setzen müssen.

Es geht darum, dass wir Wettbewerbsverzerrungen an
den Schnittstellen verhindern müssen, um so zu verhin-




Jelena Hoffmann (Chemnitz)

15258


(C)



(D)



(A)



(B)


dern, dass Betriebe, die eigentlich eine gute Existenz hät-
ten, zerstört werden oder gezwungen werden, mit zusätz-
lichen Kosten ihren Standort zu verlagern, um dann wie-
der wettbewerbsfähig zu werden. Das, meine Damen und
Herren, ist die Aufgabe. Darum sollten wir uns kümmern.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415522300
Ich will
doch bekannt machen, dass der Redner auf sieben Minu-
ten seiner Redezeit verzichtet hat.


(Beifall)

Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/Die Grünen

hat erklärt, – ich gehe davon aus, dass auch dies die volle
Zustimmung des Hauses findet –, dass er seine Rede zu
Protokoll gibt.1)


(Beifall)

Für die F.D.P. gebe ich dem Kollegen Hans-Michael

Goldmann das Wort.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1415522400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe soeben im
Kürschner nachgeschaut, welchen Beruf Sie, Herr
Jüttemann, haben. Denn ich konnte gar nicht glauben,
dass das, was Sie von sich gegeben haben, ernst gemeint
sein kann. Ich habe gelesen, dass Sie Zerspanungsfachar-
beiter sind. Auf jeden Fall wissen Sie, wie ich annehme,
wie richtig gearbeitet wird. Ich muss Ihnen ganz ehrlich
sagen: Eigentlich müsste doch einem wie Ihnen der Wert
eines Arbeitsplatzes ganz besonders klar sein.

Vor diesem Hintergrund bin ich sehr über das über-
rascht, was Sie gesagt haben. Nebenbei gesagt, ich werde
Ihre Anregungen in all den Gesprächen, die ich bei mir
vor Ort führe, nicht aufgreifen. Denn es gibt in meiner Re-
gion, in der die Arbeitslosigkeit in manchen Bereichen
immerhin 15 Prozent beträgt, eine Menge Leute, die nicht
nur jubeln, wenn es darum geht, neue bzw. zusätzliche
Programme dafür aufzulegen, dass es den Menschen in
den neuen Ländern ein Stück besser geht; was ich per-
sönlich für absolut notwendig halte.

Zu Herrn Kollegen Kutzmutz, der soeben anmerkte:
„Aber nicht mit staatlichen Mitteln!“, kann ich nur sagen:
Eine Entwicklung der Innenstädte, die Beseitigung des
Wohnungsleerstandes und Schaffung von Arbeitsplätzen,
ohne staatliche Mittel? Na, dann Prost! Das sollten Sie
einmal Ihrer Kollegin Ostrowski sagen


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Sie sollten einmal zuhören!)


– jetzt hören Sie einmal zu! –,

(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])

die in jeder Ausschusssitzung Anträge in Milliardenhöhe
zur Bereitstellung öffentlicher Mittel für Ostdeutschland

stellt. Wenn Sie Ihren Antrag auch nur andeutungsweise
ernst gemeint haben, dann haben Sie ihm durch Ihre
Ausführungen, die Sie hier vorhin gemacht haben, einen
Bärendienst erwiesen.

Nun möchte ich etwas zu dem ganz konkreten Fall sa-
gen, der Sie ja gar nicht interessiert. Ich habe dem Kolle-
gen aus Hagen gerade gesagt, dass ich hier sagen werde:
Ich finde es richtig, dass die Firma Brandt Zwieback
GmbH nach Thüringen wechselt. Ich will Ihnen auch sa-
gen, warum.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Weil sie damit einen Haufen Geld spart!)


– Das stimmt überhaupt nicht. Die Firma hatte am Stand-
ort Hagen keine Entwicklungsmöglichkeiten. Das wis-
sen Sie genauso gut wie ich.


(Widerspruch bei der SPD)

Ebenso wissen Sie genauso gut wie ich, dass das Land
Nordrhein-Westfalen einen Arbeitgeber, der Arbeitsplätze
vorhält, nicht ohne Weiteres gehen lässt.

Nein, die Rahmenbedingungen in Hagen waren für ei-
nen zukunftsfähigen Betrieb nicht geeignet.


(Zuruf von der SPD: Waren Sie schon einmal da?)


– Ich war schon einmal da. Ich kenne Hagen ziemlich gut,
vielleicht besser als Sie.


(Zurufe von der SPD)

– Geschätzter Kollege, hören Sie wenigstens zu, wenn Sie
schon einen Zuruf machen! Wollen Sie etwa behaupten,
dass die Kollegen von der PDS soeben richtige Aus-
führungen gemacht haben, oder wollen Sie vielleicht
nicht doch zur Kenntnis nehmen, dass nach Auffassung
der Firma Brandt der Standort, den sie jetzt im Thüringi-
schen findet, der einzig mögliche zukunftsfähige Standort
in der Bundesrepublik Deutschland ist? Wissen Sie denn
nicht, dass die Firma Brandt weitreichende Angebote aus
Polen und Tschechien bekommen hat?

Seien Sie von der PDS doch froh darüber, dass in dem
Gewerbegebiet mit seiner Infrastruktur, das mit umfang-
reichen öffentlichen Mitteln entstanden ist und in das die
Firma Brandt ihre Produktion verlagert, und für die Men-
schen, die an mit öffentlichen Mitteln geförderten Pro-
grammen teilnehmen, Arbeitsplätze geschaffen und gesi-
chert werden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das, was Sie hier gesagt haben, finde ich skandalös im
Vergleich zu dem Anspruch, den Sie als sozialistische Par-
tei ansonsten erheben, indem Sie sich für die Menschen
bzw. für die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzen. Was
Sie hier getan haben, ist eine echte Beleidigung der Men-
schen in Ihrer Region. Das können wir absolut nicht hin-
nehmen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415522500
Das Wort
hat nun der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion.




Jochen-Konrad Fromme

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

René Röspel (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 1912 gründet Carl Brandt die Märkische Zwie-
backfabrik in Hagen-Haspe. Der Betrieb wächst rasch, die
Zwiebacktüte mit dem Kindergesicht – Sie kennen sie
wahrscheinlich; ich habe Ihnen ein Exemplar mitge-
bracht – wird schnell zu einem Markenzeichen auch für
die Stadt Hagen. 1984 übernimmt der Sohn des Gründers,
Carl-Jürgen Brandt, das traditionsreiche Unternehmen, in
dem zu diesem Zeitpunkt 2 500 Menschen arbeiten. Zehn
Jahre später arbeiten nur noch 1 300 Menschen in Haspe,
1999 schließlich nur noch 632.

Herr Goldmann, als jemand, der mit dem Zwiebackge-
ruch groß geworden ist, kann ich Ihnen nur sagen, dass die
Rahmenbedingungen nicht so schlecht waren, wie Sie das
dargestellt haben, und dass die Stadt Hagen viel dafür ge-
tan hat, dieses Unternehmen zu halten. Aber dies hat an-
dere Gründe.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Warum ist es trotzdem gegangen?)


– Weil die Subventionen lockten; aber darauf gehe ich
gleich ein.

Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte im Deut-
schen Bundestag? – Weil ich deutlich machen will, dass
Hagen mit Brandt Zwieback mehr als Arbeitsplätze ver-
liert. Ein Stück Identität und Geschichte geht in einer Stadt
verloren, die in den letzten dreißig Jahren über 12 000
Stahlarbeitsplätze hat verlieren müssen. Als vor einem
Jahr die Hagener Zeitungen erstmals meldeten, dass Carl-
Jürgen Brandt das Unternehmen nach Ohrdruf in Thürin-
gen verlagern will, ging ein Aufschrei der Empörung, aber
auch der Solidarität, durch die Bevölkerung.

Bei einer Investition von insgesamt etwa 80 Milli-
onen DM zahlen Bund und Land 30 Millionen DM an
Subventionen in Thüringen. 430 Arbeitsplätze in Hagen
gehen verloren; etwas über 100 werden in Ohrdruf ge-
schaffen. Statt kreditfinanziert endlich sein Unternehmen
in Hagen zu modernisieren und seine Pflicht zu tun, kas-
siert ein Unternehmer Steuersubventionen und baut in
Thüringen neu. „Wir finanzieren mit unserem Solida-
ritätsbeitrag den Abbau unseres eigenen Arbeitsplatzes“,
sagen die Beschäftigten. Ich kann diese Reaktion verste-
hen, denn als Hagener kann man den Sinn dieses
Subventionssystems kaum begreifen. „Aber Nordrhein-
Westfalen hätte es umgekehrt genauso gemacht“, sagte
eine Vertreterin des Wirtschaftsministeriums NRW
ehrlicherweise. Das ist in der Tat das Problem.

Umso mehr ärgert mich wieder einmal das Vorgehen
der PDS. Durch Ihre Äußerungen haben Sie der Beleg-
schaft im letzten Jahr Hoffnungen gemacht, die einfach
nicht realistisch sind. Wir dürfen nicht mit den Nöten und
Ängsten der betroffenen Arbeitnehmer und ihrer Familien
spielen. Es ist unverantwortlich, auf dem Rücken der Be-
troffenen ein politisches Süppchen zu kochen. Damit ver-
brennen Sie sich auf Dauer die Finger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als Hagener Abgeordneter ist es meine Aufgabe, mit
den Sorgen der Menschen verantwortungsvoll umzuge-
hen und keine Versprechungen zu machen, die ich nicht

halten kann. Die Forderungen in Ihrem Antrag sind an
sich sympathisch, aber sie wecken falsche Hoffnungen.
Das System ist nämlich komplizierter, als Sie es wahrha-
ben wollen. Die Kriterien in Ihrem Antrag sind kaum zu
verwenden, denn das Lohnniveau in Ostdeutschland ist
nun einmal niedriger als im Westen. Das bedauern wir
ebenfalls; aber das Betriebsverfassungsgesetz – und das
wird demnächst sogar noch besser werden – gibt es auch
im Osten.


(Beifall bei der SPD)

Sie fordern, der Bund möge im Einvernehmen mit den

Bundesländern Kriterien festlegen. Das wollen wir versu-
chen. Bund und Länder diskutieren nämlich bereits, wie
das Fördersystem nach 2004 aussehen kann. Aber man
darf sich nicht täuschen, wie schwierig solche Verhand-
lungen sind. Eine Einvernehmensregelung gibt es – der
Kollege von der CDU hat das bereits gesagt – bereits in
vergleichbaren Verlagerungsfällen in den Gebieten der
ehemaligen Zonenrandförderung, zum Beispiel, wenn ein
Unternehmen von Helmstedt zwanzig Kilometer nach
Osten zieht oder – oft genug der Fall – von Bayern über
die Grenze nach Thüringen abwandert. Doch selbst unter
Landesregierungen gleicher politischer Couleur ist die
Herstellung eines Einvernehmens sehr schwierig; es
herrscht ein harter Konkurrenzkampf. Es ist daher die
Frage, inwieweit dieses Modell auf die Bundesebene
übertragbar ist. Die schwachen Regionen, gerade die im
Osten des Landes, werden verständlicherweise stets auf
ihre großen Probleme und auf die Nähe zu Polen und
Tschechien, die als Alternativstandorte immer wieder ge-
nannt werden, verweisen.

Für die Förderpolitik gilt es, realistische Modelle zu
diskutieren, die von allen Ländern getragen werden. Der
Belegschaft von Brandt gilt unsere Solidarität und unser
Engagement. Das können Sie glauben; und da reicht es
nun einmal nicht, als PDS-Abgeordneter einzufliegen und
falsche Versprechungen zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zusammen mit dem in dieser Frage sehr engagierten
nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang
Clement und der Stadt Hagen müssen wir versuchen, den
Beschäftigten in Hagen eine Perspektive zu geben. Mein
persönlicher Dank geht an den Betriebsrat – stellvertre-
tend sei der Kollege Bernd Bisterfeld genannt –, an das
Bürgerbündnis und an alle Hasper und Hagener Bürger
für ihre Solidarität.

Glück auf! Den Zwieback gebe ich Ihnen, Herr Präsi-
dent – sozusagen zu Protokoll.


(Beifall und Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1415522600
Den Zwie-
back haben wir uns verdient. Der Kollege hat nämlich
seine Redezeit deswegen überschritten, weil er mit der
Zwiebackpackung das optische Signal des Präsidenten
verdeckt hat.


(Heiterkeit)







(C)



(D)



(A)



(B)


Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/5248 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Das Haus ist einverstanden. Die Überweisung
ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis c auf:
12. a) – Zweite und dritte Beratungs des von der Bun-

desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über die Anpassung von Dienst- und Ver-
sorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000

(Bundesbesoldungsund -versorungsanpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000)

– Drucksache 14/5198 –

(Erste Beratung 152. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Wolfgang Bosbach, Erwin
Marschewski (Recklinghausen), Meinrad Belle,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Anpassung von Dienst- und Ver-
sorgungsbezügen in Bund und Ländern
2000/2001 (BBVAnpG 2000)

– Drucksache 14/4247 –

(Erste Beratung 140. Sitzung – Zweite und dritte Beratungs des von den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Edzard SchmidtJortzig, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienstund Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2000 (Bundesbesoldungsund -versorgungsanpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000)

– Drucksache 14/4134

(Erste Beratung 121. Sitzung)


aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/5476 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinhard Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau


(8. Ausschuss)

– Drucksachen 14/5477, 14/5478
Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber
Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (6. Ausschuss) zu dem

Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach,
Erwin Marschewski (Recklinghausen), Meinrad
Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst – Ta-
rifergebnis auf Beamte übertragen
– Drucksachen 14/3772, 14/5476 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski

(Recklinghausen), Meinrad Belle, weiteren Abge-

ordneten und der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortent-
wicklung der beamtenrechtlichen Altersteilzeit
– Drucksache 14/3777 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 144594 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinhard Belle
Annelie Buntenbach
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Die Kollegen Hans-Peter Kemper, SPD, Meinrad
Belle, CDU/CSU, Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grü-
nen, Dr. Max Stadler, F.D.P., Petra Pau, PDS, und für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper geben – ich sehe Ihr Einver-
ständnis – ihre Reden zu Protokoll.1)


(Beifall)

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 12 a zur Be-

schlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
14/5476. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme des von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Anpas-
sung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und
Ländern 2000, (Drucksache 14/5198). Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Wie war das Abstimmungs-
verhalten der F.D.P.?


(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Wir lehnen ab!)

Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von F.D.P. und PDS bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU angenommen.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

15261


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Lesung
angenommen.

Weiter zu Tagesordnungspunkt 12 a: Unter Buchsta-
be b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Aus-
schuss die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion
der CDU/CSU zur Anpassung von Dienst- und Versor-
gungsbezügen in Bund und Ländern 2000/2001 auf
Drucksache 14/4247. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Gesetz-
entwurfs der Fraktion der F.D.P. zur Anpassung von
Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
2000 auf Drucksache 14/4134. Wer diesem Gesetzent-
wurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzei-
chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der an-
deren Fraktionen abgelehnt. Auch hier entfällt nach der
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 12 b: Schließlich empfiehlt der
Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Gleichbehandlung im öffent-
lichen Dienst – Tarifergebnis auf Beamte übertragen“,
Drucksache 14/3772. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die übrigen Stimmen des Hauses angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 12 c: Wir kommen zur Abstim-
mung über den Gesetzentwurf der Fraktion der
CDU/CSU zur Fortentwicklung der beamtenrechtlichen
Altersteilzeit auf Drucksache 14/3777. Der Innenaus-
schuss empfiehlt auf Drucksache 14/4594, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt. Die wei-
tere Beratung entfällt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus
Riegert, Ilse Aigner, Marie-Luise Dött, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen
und Organisationen

– Drucksache 14/5224 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Die Kollegen Dieter Grasediek SPD, Klaus Riegert,
CDU/CSU, Christian Simmert, Bündnis 90/Die Grünen,
Gerhard Schüßler, F.D.P. und Dr. Klaus Grehn, PDS ge-
ben ihre Reden zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5224 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Die Überweisung ist so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Staatsangehörigkeitsgesetzes
– Drucksache 14/5335 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staats-
angehörigkeitsgesetzes und des Ausländer-
gesetzes
– Drucksache 14/4537 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Max
Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.
„Schlussoffensive“ für erleichterte Einbürge-
rung von Kindern
– Drucksache 14/4416 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Michael Bürsch,
SPD, Thomas Strobl, CDU/CSU, Marie-Luise Beck,




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
15262


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Max Stadler, F.D.P., Ulla
Jelpke, PDS, und die Parlamentarische Staatssekretärin
Sonntag-Wolgast geben ihre Reden zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5335, 14/4537 und 14/4416 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende
unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 9. März, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.