Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
15263
(C)(A)
1) Anlage 6
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15265
(C)
(D)
(A)
(B)
Behrendt, Wolfgang SPD 08.03.2001*
Dr. Bergmann-Pohl, CDU/CSU 08.03.2001
Sabine
Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
DIE GRÜNEN
Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 08.03.2001
Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 08.03.2001*
Klaus
Bulmahn, Edelgard SPD 08.03.2001
Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
Franziska DIE GRÜNEN
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 08.03.2001
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 08.03.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
DIE GRÜNEN
Hirche, Walter F.D.P. 08.03.2001
Irber, Brunhilde SPD 08.03.2001
Janovsky, Georg CDU/CSU 08.03.2001
Jünger, Sabine PDS 08.03.2001
Dr. Kenzler, Evelyn PDS 08.03.2001
Klappert, Marianne SPD 08.03.2001
Kors, Eva-Maria CDU/CSU 08.03.2001
Lehn, Waltraud SPD 08.03.2001
Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 08.03.2001
Neumann (Gotha), SPD 08.03.2001
Gerhard
Nolte, Claudia CDU/CSU 08.03.2001
Otto (Frankfurt), F.D.P. 08.03.2001
Hans-Joachim
Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
DIE GRÜNEN
Reinhardt, Erika CDU/CSU 08.03.2001
Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 08.03.2001
Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 08.03.2001
Schily, Otto SPD 08.03.2001
Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
DIE GRÜNEN
Schloten, Dieter SPD 08.03.2001
Freiherr von CDU/CSU 08.03.2001
Schorlemer, Reinhard
Schröter, Gisela SPD 08.03.2001
Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 08.03.2001
Schuhmann (Delitzsch), SPD 08.03.2001
Richard
Dr. Freiherr von CDU/CSU 08.03.2001
Stetten, Wolfgang
Dr. Struck, Peter SPD 08.03.2001
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 08.03.2001
Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 08.03.2001
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 08.03.2001
DIE GRÜNEN
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 08.03.2001
Westrich, Lydia SPD 08.03.2001
Wohlleben, Verena SPD 08.03.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 08.03.2001*
* für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Wiederherstellung
des umfassenden Rechts auf Vorsteuerabzug
(Tagesordnungspunkt 6)
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):An
der ganzen Diskussion sieht man wieder einmal, wie
schwierig es ist, Privates von Betrieblichem zu trennen.
Gerade deshalb muss die Debatte sehr sachlich geführt
werden.
Ab dem 1. April 1999 können Unternehmer die Vor-
steuer für ihre Reisekosten und die Reisekosten ihrer Mit-
arbeiter nicht mehr abziehen. Die dafür anfallenden
Kosten für Übernachtung, Verpflegung u.s.w. dienen
nicht nur dem Unternehmen, sondern sind teilweise auch
in privatem Interesse.
Wie viel Sterne jemand bei seiner Hotelbuchung be-
vorzugt, ist sein Privatsache. Er sollte deshalb umsatz-
steuerlich auch nicht anders behandelt werden als der-
jenige, der rein privat verreist und sich in einem Hotel
einmietet. Das war unser Motiv bei der Einschränkung
des Vorsteuerabzuges. Allerdings war diese Einschränkung
des Vorsteuerabzuges bei den Reisekosten schon in der
Anhörung zum Steuerentlastungsgesetz von vielen Ver-
bänden als ausgesprochen problematisch eingeschätzt
worden. Insbesondere thematisiert wurden die Wider-
sprüche zum geltenden EU-Recht.
Auch der Bundesfinanzhof hat im letzten Jahr ent-
schieden, dass die Neuregelung gegen geltendes
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
EU-Recht verstößt und insoweit nicht anwendbar ist. Das
bezieht sich allerdings nur auf die Übernachtungskosten.
Natürlich werden wir dieses Urteil berücksichtigen. Das
ist ganz klar. Derzeit sind wir in der Abstimmungsphase
mit den Ländern. Hier ist also alles auf einem guten Weg.
Etwas anders sieht es bei der von der CDU/CSU
vorgeschlagenen Wiederherstellung des 100-prozentigen
Vorsteuerabzuges für sowohl betrieblich als auch privat
genutzte Fahrzeuge aus. Nach der Sechsten Umsatzsteuer-
Richtlinie der EU muss der Vorsteuerabzug gekürzt wer-
den, wenn ein Personenkraftwagen auch nicht unter-
nehmerisch genutzt wird. Die Kürzung an sich muss also
sein. Die Frage ist nur, um wie viel Prozent muss gekürzt
werden? Theoretisch haben wir hier einen Spielraum von
Null bis Hundert. Für den von uns gewählten Mittelweg
mit 50 Prozent Vorsteuerabzug hat uns die EU-Kommision
eine Ausnahmeermächtigung erteilt. Insoweit sind wir hier
vom Grundsatz her auf der sicheren Seite.
Natürlich gibt es zu einzelnen Punkten Bedenken. Die
Union weist ja in ihrem Antrag selbst darauf hin, dass der
Bundesfinanzhof einen Fragenkatalog ausgearbeitet hat.
Diese Fragen sind erst Ende letzten Jahres an den Eu-
ropäischen Gerichtshof gegangen.
Jetzt müssen wir erst einmal abwarten, wie der Euro-
päische Gerichtshof entscheidet. Es macht überhaupt
keinen Sinn, jetzt irgendwelche Veränderungen ins Blaue
hinein vorzunehmen. Der Antrag der CDU/CSU kommt
in diesem Punkt nicht zur richtigen Zeit.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Arbeitsplatzabbau
bei Förderung von Produktionsverlagerungen
ausschließen (Tagesordnungspunkt 11)
Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Auf den ersten Blick scheinen die Fakten klar zu
sein: Missbrauch von Fördermitteln, Arbeitsplatzabbau,
Produktionsverlagerungen von West nach Ost, Lohndum-
ping und die Aushöhlung der Mitbestimmung – und das
alles gefördert aus Steuermitteln. Es nur moralische
Empörung hervorrufen, wenn – wie im Antrag erwähnt –
die Firma Brandt von Hagen nach Ohrdruf in Thüringen
umzieht und dabei unterm Strich über 300 Arbeitsplätze
abbaut.
Auf den zweiten Blick allerdings stellen sich die Sach-
verhalte etwas anders dar. Zunächst einmal ist die Durch-
führung der Förderung im Rahmen der Gemeinschafts-
aufgabe Angelegenheit des jeweiligen Landes. Dies gilt
selbstverständlich auch für die Entscheidung über die
Förderung einer konkreten Betriebsansiedlung im Zu-
sammenhang mit einer Betriebsverlagerung. Der Einfluss
des Bundes beschränkt sich auf die Mitwirkung im Bund-
Länder-Planungsausschuss der GA, der die Fördergebiete
sowie die Förderkonditionen festlegt. Der aktuelle 29. Rah-
menplan enthält die Möglichkeit der Förderung von In-
vestitionen in strukturschwachen Gebieten auch im Zu-
sammenhang mit Betriebsverlagerungen. Dies war schon
in den Vorjahren nicht anders. Der Rahmenplan wurde am
20. März 2000 im Übrigen einstimmig – das heißt wohl
auch mit der Stimme des Landes Mecklenburg-Vorpom-
mern – beschlossen. Dort ist die PDS doch an der Regie-
rung beteiligt, wenn ich richtig informiert bin.
Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass
Betriebe, die an ihren bisherigen Standorten rentabel pro-
duzieren, über Betriebsverlagerungen wohl kaum nach-
denken. Angesichts der Tatsache, dass die öffentlichen
Fördermittel immer mit einem erheblichen Eigenanteil
der Unternehmen gekoppelt sind, dürfte der Anreiz, Be-
triebsverlagerungen nur wegen der Fördermittel vor-
zunehmen, eher gering sein. Die Förderung von entspre-
chenden Betriebsverlagerungen macht allerdings durch-
aus einen Sinn, nämlich dann, wenn ein neuer Standort in
Ostdeutschland mit einem ausländischen Standort kon-
kurriert. Es ist doch allemal besser, einige hundert
Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern zu schaffen,
als zuzusehen, wie ganze Betriebe ins Ausland verlagert
werden. Es mag nicht sonderlich moralisch erscheinen, es
mag in vielen Fällen für die Betroffenen eine große Härte
sein; wirtschaftspolitisch jedoch ist es in solchen Fällen
allemal besser, den berühmten Spatz in der Hand als die
Taube auf dem Dach zu haben.
Bereits heute stehen den Betriebsräten weitgehende Be-
teiligungsrechte bei gravierenden Betriebsänderungen bzw.
-schließungen zu. Das Betriebsverfassungsgesetz verfügt in
solchen Fällen über ein abgestimmtes System von An-
hörungs-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechten. Im
Zuge der Beratungen über die Novelle des Betriebsverfas-
sungsgesetzes kann man möglicherweise über Feinabstim-
mungen nachdenken und entsprechende Vorschläge prüfen.
Die vorliegenden Forderungen der PDS jedenfalls mö-
gen moralisch hoch integer sein; praktikabel und sinnvoll
sind sie jedenfalls nicht. Mit Polemik und Populismus al-
leine werden wir die Probleme unseres Landes nicht lösen
können, schon gar nicht die in den neuen Bundesländern.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von
Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Län-
dern 2000 (Bundesbesoldungs- und -versorgungs-
anpassungsgesetz 2000 – BBVAnpG 2000)
– Bericht: Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst –
Tarifergebnis auf Beamte übertragen
– Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der
beamtenrechtlichen Alterteilszeit
(Tagesordnungspunkt 12 a bis c)
Hans-Peter Kemper (SPD): Wir erleben heute die
3. Auflage der Diskussion zur Anpassung der Dienst- und
Versorgungsbezüge in Bund und Ländern und mit allem,
was so dazu gehört.
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(C)
(D)
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(B)
Wir haben zum Antrag der FDPgeredet, wir haben zum
Antrag der CDU/CSU geredet. Heute findet nun die De-
batte um den Gesetzentwurf der Bundesregierung statt.
Also sprechen wir über die wichtigste und richtige Vor-
lage.
Der Gesetzentwurf macht deutlich, dass es der Bun-
desregierung und den Koalitionsfraktionen darauf an-
kommt, den öffentlichen Dienst, und hier ganz speziell
auch die Beamten, an der allgemeinen Einkommensent-
wicklung teilhaben zu lassen. Ich will kurz zu den wich-
tigsten Eckpunkten dieses doch alles in allem begrüßens-
werten Gesetzentwurfes Stellung nehmen.
Die SPD-Fraktion hat immer, auch in der Vergangen-
heit, die inhaltsgleiche Übertragung der Tarifergebnisse
auf die Beamten gefordert. Mit der Verabschiedung des
uns jetzt vorliegenden Entwurfes wird exakt diese Forde-
rung umgesetzt.
Die Beamten erhalten in einem ersten Schritt eine Be-
soldungserhöhung von 2 Prozent und in einem zweiten
Schritt eine Erhöhung von 2,4 Prozent, vermindert um die
von der damaligen Regierung noch auf den Weg ge-
brachte Versorgungsrücklage. Damit ist eine zunächst
drohende Absenkung des Basiseffekts verhindert worden,
die den Beamten langfristig Besoldungseinbußen ge-
bracht hätten. Mit dem heutigen Abschluss ist dagegen auf
Dauer ein Gleichklang zwischen Tarifabschlüssen und
Besoldungserhöhungen sichergestellt.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen – nimmt man die
Besoldungserhöhung für die Beamten seit Übernahme
der Regierung durch Rot-Grün –, dass es hier deutliche
Einkommensverbesserungen auch im Nettobereich gege-
ben hat. Das war in der Vergangenheit nicht immer so. Es
hat eine Reihe von Jahren gegeben, in denen die Beam-
ten nach den Besoldungsbeschlüssen der Vorgängerre-
gierung netto weniger im Portemonnaie hatten als vorher,
also echte Gehaltseinbußen hinzunehmen hatten, weil
die Besoldungserhöhungen unter dem Inflationsaus-
gleich lagen.
Seit 1999 haben auch die Beamten wieder deutliche
Einkommenszuwächse zu verzeichnen. Nimmt man die
Zeit von 1999 bis 2002, sind es 7,5 Prozent. Das hat natür-
lich an dem guten Innenminister, aber mehr noch an dem
guten Berichterstatter der SPD gelegen.
Auch uns wäre natürlich eine zeitgleiche Übernahme
der Tarifergebnisse lieber gewesen. Daraus will ich gar
keinen Hehl machen. Aber die zeitliche Verschiebung ist
zumutbar, und sie ist vor allen Dingen nicht neu. Denn
auch hier hat die Vorgängerregierung in vielen Jahren ge-
nau das praktiziert, was Sie heute kritisieren, nämlich eine
zeitversetzte Anpassung gerade bei den Beamten.
In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass
diese zeitliche Verschiebung für die Besoldungsgruppen
des einfachen, des mittleren und großer Teile des geho-
benen Dienstes, also bis einschließlich A 11, durch eine
Einmalzahlung von 400 DM abgefedert worden ist. Die
Besoldungsgruppen A 12 bis B 11 werden zwar diesen
400 DM nachtrauern, allein in Not geraten werden sie des-
halb nicht.
Nun werden Sie ja gleich in Ihren Stellungnahmen trä-
nenreich darauf hinweisen, dass für die Ruhestandsbeam-
ten diese Einmalzahlungen unterblieben sind. Da bitte ich
Sie allerdings, einmal daran zu denken, dass ein anderer
Teil unserer Bevölkerung, der nicht am Arbeitsleben teil-
nimmt, nämlich die Rentner, lediglich den Inflationsaus-
gleich erhalten hat. Und daher sage ich hier ausdrücklich:
die Übernahme des Tarifergebnisses lässt die aktiven und
die Ruhestandsbeamten trotz schwieriger Haushaltsbe-
dingungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung
teilhaben. Es wird auch hier nicht zu einer Absenkung des
Einkommensniveaus kommen. Der Gleichklang zwi-
schen den aktiven und den Ruhestandsbeamten ist erhal-
ten geblieben, was uns sehr wichtig war.
Ich möchte zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen,
der in der Tat nicht so ganz einfach ist, nämlich zur An-
hebung des Bemessungsgrundsatzes in den ostdeutschen
Ländern. Es ist nach mehr als zehn Jahren deutscher Ein-
heit immer noch nicht gelungen, eine Gleichstellung bei
den Einkommen herzustellen. Eine, wie ich gerne zuge-
ben will, für die Menschen in Ostdeutschland nur schwer
erträgliche Schlechterstellung. Sie müssen teilweise deut-
lich länger arbeiten für erheblich weniger Geld. Wir ha-
ben dieses Problem in Angriff genommen und werden es
schrittweise mildern und abbauen.
Mit Wirkung vom 1. August 2000 ist der Bemessungs-
grundsatz auf 87 Prozent, mit Wirkung vom 1. Januar
2001 auf 88,5 Prozent und mit Wirkung vom 1. Januar
2002 auf 90 Prozent angehoben worden. Eine sofortige
Anhebung auf 100 Prozent hätte insbesondere für die
Länder mit fast einer halben Million Beschäftigten eine
Kostenbelastung von 4,7 Milliarden DM, für die Kom-
munen eine Kostenbelastung von 3,6 Milliarden DM und
für den Bund, bei dem lediglich 80 000 Beschäftigte be-
troffen gewesen wären, rund 700 Millionen DM. Für den
Bund wäre das also am leichtesten zu verkraften, für Län-
der und Kommungen im Augenblick aber kaum zu schul-
tern gewesen. Insofern ist es in erster Linie ein Anliegen
der Länder und Kommunen in Ostdeutschland, hier
schrittweise vorzugehen. Diesem Anliegen ist der Bund
gefolgt.
Das wissen Sie natürlich alle sehr genau, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU. Daher sind die Forderun-
gen, die Sie in der Öffentlichkeit immer wieder erheben,
mehr als scheinheilig. Denn diese Ungleichbehandlung
haben wir von Ihnen geerbt. Aber wir werden uns nicht
dahinter verstecken.
Wir wissen, dass 90 Prozent nicht das Ende der Fah-
nenstange sein kann, und daher werden wir alles daran-
setzen, für die Zukunft schrittweise eine völlige Anglei-
chung zwischen Ost und West zu erreichen.
Die ursprünglich in diesem Gesetz verankerte Besser-
stellung für die Beamtenfamilien mit drei und mehr Kin-
dern ist inzwischen im Gesetz über die Neuordnung der
Versorgungsabschläge bereits geregelt. Insgesamt bleibt
festzuhalten, dass mit diesem Gesetzentwurf, den wir
heute hier verabschieden werden, den Besoldungs- und
Versorgungsempfängern nicht nur ein Stück sozialer Ge-
rechtigkeit widerfährt, sondern auch die Anerkennung für
engagierte Leistungen im öffentlichen Dienst zum Wohle
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15267
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der Bevölkerung. Gleichzeitig bringt hier auch der öffent-
liche Dienst solidarisch seinen Beitrag zur Haushaltskon-
solidierung.
Wir wissen, dass der größte Teil des öffentlichen Diens-
tes leistungsfähig und leistungsbereit ist. Und mit diesem
alles in allem zu begrüßenden Gesetzentwurf der Bundes-
regierung wird dieser Erkenntnis Rechnung getragen. Es
ist ein wichtiges Signal in den öffentlichen Dienst hinein
und ein Stück gerechter Besoldung.
Meinrad Belle (CDU/CSU): „Was lange währt, wird
endlich gut!“ So lautet das alte Sprichwort. Leider trifft es
für die Pläne der Bundesregierung und Koalitionsparteien
zur Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen für
das Jahr 2000/2001 in keiner Weise zu.
Die rot-grüne Bundesregierung brauchte acht Monate,
um dem Deutschen Bundestag ihren Gesetzentwurf zur
Übertragung des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst
auf Beamte und Pensionäre zur ersten Lesung zuzuleiten.
Glücklich einen Tag vor der Plenardebatte zu unserem
„Antrag auf Gleichbehandlung im öffentlichen Dienst –
Tarifergebnisse auf Beamte übertragen“ hat das Bundes-
kabinett am 27. September 2000 beschlossen, ob und wie
das Tarifergebnis auf Beamte übertragen werden soll.
Danach wird nun das Tarifergebnis zwar der Höhe nach
– abzüglich 0,2 Prozent Versorgungsrücklage – übertra-
gen. Diese Übertragung wird aber um fünf Monate ver-
zögert und nur den aktiven Beamten bis A 11 ein teil-
weiser Ausgleich gewährt. Die Versorgungsempfänger
– auch die aus den niedrigen Besoldungsgruppen – gehen
völlig leer aus. Für viele Beamte und alle Pensionäre und
Versorgungsempfänger haben wir also eine tatsächliche
Nullrunde 2000. Das haben die Koalitionsparteien zu
vertreten.
Dieses Vorhaben ist von den Betroffenen und allen Ver-
bänden massiv kritisiert worden. Und in der Tat: Es gibt
keine Gründe für eine verzögerte Anpassung der Bezüge:
Erstens. Am Ende der vergangenen Legislaturperiode
waren sich alle Fraktionen einig, dass es nach den erheb-
lichen Einsparmaßnahmen durch Dienstrecht- und Ver-
sorgungsrechtsreform, insbesondere nach der tatsächli-
chen Rückführung der Aktiven- und Versorgungsbezüge
um 3 Prozent infolge der Versorgungsrücklage, keinen
Grund mehr für verzögerte oder geschmälerte Anpassung
der Bezüge gibt. In den Vorjahren wurde die Besoldung
verspätet angehoben, um so zum Beispiel den Anstieg der
Sozialversicherungsbeiträge für den Bereich der Beamten
nachzuvollziehen.
Zweitens. Bruttoinlandsprodukt und Steuereinnahmen
wachsen derzeit schneller, als es die Personalausgaben
selbst bei voller Übernahme der Tarifergebnisse tun wür-
den. So wird nach dem Jahreswirtschaftsbericht der Bun-
desregierung für das Jahr 2000 ein Wirtschaftswachstum
zwischen 2,7 und 3,1 Prozent angenommen. Im Handel
sowie dem Kredit- und Versicherungsgewerbe belief sich
die tarifliche jährliche Gehaltserhöhung auf 2,6 Prozent,
im produzierenden Gewerbe auf 2,3 Prozent und bei den
Tarifkräften des öffentlichen Dienstes auf rund 1,4 Pro-
zent.
Drittens. Nach § 14 BBesG heißt es: „Die Besoldung
wird entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirt-
schaftlichen und finanziellen Verhältnisse und unter
Berücksichtigung der mit den Dienstaufgaben verbunde-
nen Verantwortung durch Bundesgesetz regelmäßig ange-
passt.“ Nachdem sich die Prognosen zum Wirtschafts-
wachstum für das Jahr 2001 zwischen 2,7 und 3,3 Prozent
bei einem voraussichtlichen Preisanstieg zwischen 1,3 und
1,75 Prozent bewegen, kommt die Bundesregierung der
Verpflichtung nach § 14 BBesG in keiner Weise nach.
Viertens. Begründung für das „Sonderopfer“ der Be-
amten ist nicht schlüssig und trägt nicht. Sie begründen es
mit dem Beitrag der Beamten zur Haushaltskonsoli-
dierung. Mit den erheblichen Einsparmaßnahmen des
Dienstrechts- und Versorgungsrechtsreformgesetzes ha-
ben aktive Beamte und Pensionäre ihren Beitrag zur
Haushaltskonsolidierung erbracht. Dies wird auch be-
stätigt durch den tatsächlichen Rückgang der prozentua-
len Personalkostenanteile der öffentlichen Haushalte in
den letzten Jahren. So sind die Personalkosten beim Bund
von 14,1 Prozent auf 10,9 Prozent, bei den Ländern von
42,7 auf 37,9 Prozent und bei den Kommunen von
30,7 auf 27 Prozent zurückgegangen. Dass die Bezüge
von Beamten und Versorgungsempfängern aus den glei-
chen öffentlichen Kassen finanziert werden wie die Löhne
und Gehälter der Angestellten und Arbeiter im öffentli-
chen Dienst, sei nur am Rande erwähnt.
Fünftens. Die von Ihnen vorgesehene Bezügeanpas-
sung ist auch in eklatanter Weise sozial unausgewogen.
Sie benachteiligt Beamte und Versorgungsempfänger
nicht nur allein untereinander, sondern erst recht gegen-
über den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Dort
erhalten selbst Tarifangehörige der höchsten Vergütungs-
gruppe eine Einmalzahlung; aktive Beamte lediglich bis
zur Besoldungsgruppe A 11. Versorgungsempfänger
– selbst mit ganz niedrigem Einkommen – sollen in die
Gewährung von Einmalzahlungen nicht einbezogen wer-
den. Selbst die in den vergangenen Jahren um teilweise
bis zu 40 Prozent gekürzten Anwärterbezüge werden ge-
genüber den Ausbildungsvergütungen im öffentlichen
Dienst noch neun bzw. vier Monate später angehoben.
Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag tritt
daher für eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des
Tarifabschlusses auf Beamte und Versorgungsempfänger
ein. Im Interesse der Betroffenen bedauern wir ausdrück-
lich, dass Sie unseren besseren und durchgreifenden Ar-
gumenten nicht folgen wollen.
Wir werden daher Ihrem Gesetzentwurf nicht zustim-
men. Um die aus unserer Sicht außerordentlich bedauer-
liche verspätete Erhöhung der Bezüge der Versorgungs-
empfänger und Beamten nicht zu gefährden, werden wir
uns bei der abschließenden Abstimmung der Stimme ent-
halten.
Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Mit dem Bundesbesoldungs- und Versorgungsan-
passungsgesetz werden die Bezüge der Beamten und Pen-
sionäre auf der Grundlage des Tarifergebnisses für den
Arbeitnehmerbereich des öffentlichen Dienstes angeho-
ben, und zwar prozentual wie im Tarifbereich und in zwei
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Schritten. Damit werden die Bezüge an die Entwicklun-
gen der allgemeinen finanziellen und wirtschaftlichen
Verhältnisse angepasst.
Ein kleiner Wermutstropfen für Beamte ist damit frei-
lich verbunden. Die Anpassung erfolgt mit einer geringen
zeitlichen Verschiebung von fünf Monaten vom Anfang
dieses Jahres und einer Verschiebung von vier Monaten
im zweiten Schritt zum Anfang des nächsten Jahres. Ich
meine aber, dass diese kleine Verschiebung für die Be-
troffenen auch verträglich und verständlich ist. Der Bun-
desregierung bleibt mit Blick auf die dringend notwen-
dige Haushaltskonsolidierung leider nichts anderes übrig.
Immerhin werden den öffentlichen Kassen gegenüber ei-
ner etwaigen zeitgleichen Übernahme des Tarifergebnis-
ses 3,3 Milliarden DM erspart. Dies ist bei der problema-
tischen Haushaltslage leider auch dringend notwendig.
Denn immerhin sieht der Gesetzentwurf trotz dieser zeit-
lichen Verschiebung ein gar nicht so kleines Zuckerl vor:
nämlich die Einmalzahlung von viermal 100 DM für die
letzten vier Monate des Jahres 2000. Dies kommt allen
Beamten bis hin zur Vergütungsgruppe A 11 zugute, und
damit dem Löwenanteil aller Beamten.
Ich meine schon, dass man mit diesem Kompromiss
wirklich zufrieden sein kann. Die Regelung ist ein fairer
und auch sozial gerechter Interessenausgleich zwischen
dem Recht der Beamten an der allgemeinen Einkom-
mensentwicklung und den Konsolidierungsvorgaben des
Zukunftsprogramms. Auch der Bundesrat hat diesem
Konzept seine Zustimmung erteilt.
Immerhin gab es in den 90er-Jahren schon Zeiten, wo
die Anpassungen sogar unterhalb der Inflationsrate ver-
blieben. Dies wäre für uns untragbar gewesen. Da ver-
wundert es dann schon, dass die CDU/CSU jetzt plötzlich
sogar die zeitgleiche Anpassung gefordert hat. Bitte erin-
nern Sie sich daran, dass auch die von Ihnen geführten
Länder hierdurch mit 2,4 Milliarden DM zusätzlich be-
lastet worden wären. Ich bin mir ganz sicher, dass diese
Länder klammheimlich überglücklich sind, wenn ihnen
dies nicht angetan wird.
Was die Altersteilzeitregelung betrifft, ist es seit lan-
gem erklärtes Ziel der rot-grünen Koalition, Teilzeitbe-
schäftigung und Altersteilzeit attraktiv zu machen. Daher
war es auch völlig klar, die Tarifergebnisse zur Altersteil-
zeit gleichermaßen für den Beamtenbereich zu überneh-
men. Dies ist im vorliegenden Gesetzentwurf der Bun-
desregierung geschehen, sodass es der Anträge der
CDU/CSU nicht mehr bedarf. Ich freue mich aber, dass
hier fraktionsübergreifend Konsens besteht. Gerade in
dieser Frage war das Reformtempo der Union in der Ver-
gangenheit doch recht schneckenhaft und so beglückt sie
uns heute mit einem Dokument ihrer eigenen Versäum-
nisse.
Die Regelungen für Teilzeit und Altersteilzeit sind
– angesichts der immer noch überwiegenden Rollenver-
teilung – insbesondere für Frauen wichtig. Sie haben ei-
nen Anspruch darauf, neben ihrer Familienarbeit auch
weiter ihr Amt im öffentlichen Dienst ausüben zu können.
Und so wünsche ich mir – nicht nur am heutigen Welt-
frauentag –, dass auch die männlichen Beschäftigten des
öffentlichen Dienstes stärker von diesen Möglichkeiten
Gebrauch machen. Familienarbeit ist auch Sache der
Männer. Wer einer Teilzeitbeschäftigung nachgeht, darf
bei der Altersteilzeit nicht benachteiligt werden.
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Innerhalb kurzer Zeit befasst
sich das Plenum des Deutschen Bundetages zum wieder-
holten Male mit der Frage, ob und wie der Tarifabschluss
für die Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Diens-
tes aus dem Jahre 2000 auf die aktiven Beamten und die
Versorgungsempfänger übertragen wird.
Die gegensätzlichen Positionen und die dafür vorzu-
tragenden Argumente sind hinlänglich ausgetauscht.
Neue Tatsachen sind nicht hinzugekommen.
Somit bleibt festzuhalten: Die Zielsetzung der
F.D.P.-Bundestagsfraktion besteht darin, den Tarifab-
schluss zeit- und inhaltsgleich für die aktiven Beamten
und Versorgungsempfänger zu übernehmen.
Richtig ist, dass diese Zielsetzung auch in der Vergan-
genheit nicht immer erreicht worden ist. Dies ändert
nichts daran, dass unser Ansatzpunkt richtig ist: Wir wol-
len keine Bevorzugung, aber auch keine Benachteiligung
der Beamten!
Da die Tarifvertragsparteien beim Tarifabschluss 2000
Augenmaß bewiesen haben, wäre es auch finanziell
machbar, diesen maßvollen Tarifabschluss zu übertragen.
Demgegenüber verfehlt die Bundesregierung und ver-
fehlen die sie tragenden Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen diese Zielsetzung. Für das Jahr 2000
sehen sie faktisch eine Nullrunde vor. Der Tarifabschluss
wird nicht zeitgleich, sondern nur mit Verzögerung über-
tragen. Er wird auch nicht inhaltsgleich übertragen, da die
Versorgungsempfänger und die höheren Beamten von der
Einmalzahlung ausgeschlossen werden.
Bei dieser Sachlage ist es für die Betroffenen ein
schwacher Trost, wenn seitens der Kollegen von SPD und
Grünen argumentiert wird, es hätte alles noch schlimmer
kommen können. Dies stimmt zwar, denn das Bundesin-
nenministerium wollte zunächst nur den Inflationsaus-
gleich. Aber die gegenüber dieser Ausgangsposition von
den Beamtenpolitikern der Koalition erzielten Verbesse-
rungen reichen eben nicht aus.
Daher lehnen wir die unzureichenden Vorschläge von
Rot-Grün ab und stimmen selbstverständlich dem von der
F.D.P.-Bundestagsfraktion eingebrachten Gesetzentwurf
zu.
Petra Pau (PDS): Es ist richtig, dass CDU/CSU und
F.D.P. in der Vergangenheit ihre Probleme auch auf dem
Rücken der Beamten ausgetragen haben. Das stimmt
mich dem Koalitionsentwurf gegenüber nicht milder: Den
Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen wir ab. Zwar
übernimmt er die tariflich prozentualen Erhöhungen für
die Anpassung der Bezüge der Beamten, Richter, Solda-
ten und Versorgungsempfänger, aber erst mit beträchtli-
cher Verzögerung, was auch entsprechende finanzielle
Beeinträchtigungen bedeutet, vor allem für den einfachen
und mittleren Dienst.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15269
(C)
(D)
(A)
(B)
Der DGB weist darauf hin, dass die Bundesregierung
die Beamtenbesoldung in 2000 um fünf Monate und in
2001 um weitere vier Monate abkoppelt. Die Bezügean-
hebung der Anwärter und Referendare soll in 2000 gar um
neun Monte verschoben werden. Schließlich soll die für
die Monate April bis Juli 2000 tariflich vereinbarte Ein-
malzahlung von 100 DM nur den aktiven Beamtinnen und
Beamten der Besoldungsgruppen A 1 bis A 11, und zwar
für die Monate September bis Dezember, gewährt wer-
den.
Der DGB weist weiter darauf hin, dass hiermit zum
sechsten Mal in den letzten Jahren die Anpassung der Be-
soldungs- und Versorgungsbezüge verschoben wird, also
auch von der CDU.
Wir teilen auch die weiter gehende Kritik der Gewerk-
schaften, wie sie in dem Gesetzentwurf in der Begrün-
dung dargelegt ist: Wir teilen die Forderung, die Einmal-
zahlung von 400 DM sowohl allen Bezugsempfängern
wie auch den Versorgungsempfängern zu zahlen. Wir leh-
nen es ab, den Familienzuschlag der Stufe 1, Verheirate-
tenzuschlag, bei der linearen Bezugserhöhung für die
Jahre 2001 und 2002 nicht mehr zu berücksichtigen. Wir
fordern, endlich den Mitarbeitern in den neuen Ländern
eine Perspektive aufzuzeigen und einen verbindlichen
Zeitplan für eine weitere Angleichung zu entwickeln.
Siehe hierzu vor allem die Stellungnahmen des DGB und
DBB.
Grundsätzlich begründet die Bundesregierung diese
Benachteiligung der Beamten mit der schlechten Haus-
haltslage. In der ersten Lesung des Gesetzes führte Hans-
Peter Kemper, SPD, aus, dass Bund und Länder durch
diese Praxis der Bundesregierung 305 Milliarden DM
einsparen würden, der Bund 660 Millionen DM und die
Länder 2,5 Milliarden DM, Deutscher Bundestag, Proto-
koll vom 7. Dezember 2000, Seite 13 747. Staatssekretär
Körper führte aus, dass die Angleichung der Ost-West-Ta-
rife in einem Schritt 9 Milliarden DM pro Jahr kosten
würde, Protokoll, Seite 13 749.
Nun kann man die Beamten und Beamtinnen nicht für
die schlechte Haushaltslage verantwortlich machen und
sie dafür bestrafen, dass beispielsweise die alte Regierung
schlecht gewirtschaftet hat. Das müsste eigentlich auch
die neue Regierung begreifen. Dabei schmeißt der Bund
an anderer Stelle das Geld leichtfertig zum Fenster raus:
Man schaue sich beispielsweise nur die Berichte des Bun-
des der Steuerzahler an. Laut Schwarzbuch des Bundes
der Steuerzahler werden jährlich 60 Milliarden DM in
Bund, Ländern und Gemeinden unnütz ausgegeben.
Der Bundesrechnungshof hat dem Bund am 24. Okto-
ber 2000 vorgeworfen, dass durch sparsame Haushalts-
führung der Bundeshaushalt in 1999 um 10 Milliar-
den DM hätte entlastet werden können.
Man kann auch nicht nachvollziehen, weshalb die Be-
amten darunter leiden sollen, wenn zum Beispiel die neue
Bundesregierung gigantische Summen für ein Großraum-
flugzeug der Bundeswehr ausgibt.
Während der Bund durch Verlegung zum Beispiel der
Dienstsitze der Ämter oder zeitweiliger Versetzung der
Beamten in die alten Länder seinen Beamten fast schon
100 Prozent zahlt, können die Länder eine solche Mani-
pulation leider nicht vornehmen.
Mit Datum vom 28. Februar 2001 haben die Regie-
rungsparteien einen Änderungsantrag vorgelegt, der so-
wohl Verbesserungen bei der Einmalzahlung als auch eine
lineare Erhöhung des Verheiratetenanteils beim Familien-
zuschlag vorsieht. Diesem Änderungsantrag stimmen wir
zu. Dem Gesetzentwurf der F.D.P. wird meine Fraktion
auch zustimmen. Dies ist eine kritische Zustimmung, weil
auch hier kein Weg der Ost-West Angleichung aufgezeigt
wird.
Fritz Rudolf Körper, Parlamentarischer Staatsse-
kretär beim Bundesminister des Innern: Die Tagesord-
nung vermittelt den Eindruck, dass es sich bei den drei
vorliegenden Entwürfen zur linearen Anpassung der Be-
züge der Beamten und Pensionäre auch um drei verschie-
dene Konzepte handele. Dieser Eindruck täuscht.
Alle drei Regelungsvorschläge – sowohl der Regie-
rungsentwurf wie auch die Entwürfe von CDU/CSU und
F.D.P. – stimmen im Kernpunkt, der bei jeder Lohn- und
Gehaltsrunde im Mittelpunkt des Interesses steht, über-
ein, nämlich der Höhe des Prozentsatzes. Nach allen drei
Entwürfen sollen die prozentualen Erhöhungen, wie sie
die Tarifvertragsparteien am 13. Juni 2000 für die Arbeit-
nehmer des öffentlichen Dienstes vereinbart haben, auch
für die Beamtinnen und Beamten wie auch für die Pen-
sionäre inhaltsgleich übernommen werden. Die Entwürfe
stimmen auch darin überein, dass die prozentualen Er-
höhungssätze zum Aufbau der Versorgungsrücklagen je-
weils um 0,2 Prozentpunkte zu vermindern sind. Auch der
Bemessungssatz für die Ost-Bezüge wird in allen drei
Entwürfen übereinstimmend angehoben. Im Regierungs-
entwurf wie auch in den Oppositionsentwürfen wird das
Tarifergebnis inhalts- und zeitgleich übernommen. Da-
nach wird der Bemessungssatz für die Ost-Bezüge in drei
Schritten auf 90 Prozent angehoben.
Es bleibt es auch weiterhin ein vorrangiges politisches
Ziel, die Bezahlung zwischen Ost und West anzugleichen.
Ich sage aber genauso deutlich: Die Ausgestaltung der
weiteren Schritte muss Sache der Tarifvertragsparteien
bleiben. Für die Beamten wird auch künftig die tarifliche
Entwicklung nachvollzogen werden.
In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich die vor-
liegenden Entwürfe allerdings: nämlich dem Zeitpunkt
des Wirksamwerdens der prozentualen Erhöhungen.
Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden
die prozentualen Erhöhungen im Jahre 2000 um 5 Monate
und im nächsten Schritt um 4 Monate jeweils auf den
1. Januar 2001 bzw. 2002 festgelegt. Die Oppositionsvor-
schläge können nicht als ernsthafte Alternativen diskutiert
werden. Wer von anderen etwas einfordert, was er über
Jahre hinweg selbst nicht leisten konnte oder auch nicht
leisten wollte, kann nicht erwarten, dass seine Vorschläge
nunmehr ernst genommen werden.
Zur Erinnerung: 1989 lag die Besoldungserhöhung bei
1,4 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,9 Prozent; 1993
gab es eine Besoldungserhöhung von 3 Prozent bei einer
Inflationsrate von 3,7 Prozent; 1994 lag die Besoldungs-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115270
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erhöhung bei 2 Prozent und Inflationsrate bei 2,8 Prozent;
1996 erfolgte lediglich eine Einmalzahlung von 300 DM
bei einer Inflationsrate von 1,3 Prozent; 1997 Besol-
dungserhöhung 1,3 Prozent – Inflationsrate 1,9 Prozent.
Auch wurde mehrfach die Anpassung der Beamtenbesol-
dung gegenüber dem Tarifergebnis verschoben.
Solche Initiativen werden als vordergründige und
durchsichtige, allein auf politische Außenwirkung und Ef-
fekthascherei angelegte Manöver auch von den betrof-
fenen Beamtinnen und Beamten durchschaut.
Es ist bezeichnend, dass die von den Personalkosten im
öffentlichen Dienst hauptbetroffenen Länder deshalb sol-
che Initiativen auch nicht aufgegriffen haben und eine
solche Politik nicht unterstützen. Der Bundesrat hat mit
eindeutigem Votum alle Anträge auf Vorziehen der An-
passung gegenüber dem Regierungsentwurf zurückge-
wiesen.
Die vom Bundesrat in Einzelpunkten vorgeschlagenen
Veränderungen bei der Einmalzahlung und zur Einbezie-
hung des Verheiratetenzuschlags sind aufgegriffen wor-
den. Über den Verheiratetenzuschlag werden wir in weni-
gen Wochen bei der parlamentarischen Beratung des
Regierungsentwurfs zur Modernisierung der Besoldungs-
struktur zu entscheiden haben.
Die Länder sind den Vorschlägen der Bundesregierung
vor allem deshalb gefolgt, weil der Regierungsentwurf ei-
nen fairen und sozial gerechten Interessenausgleich zwi-
schen den berechtigten Ansprüchen der Beamten und
Pensionäre auf Teilhabe an der allgemeinen Einkom-
mensentwicklung und den Konsolidierungsvorgaben des
Zukunftsprogramms darstellt. Die Bezüge für Beamte
und Pensionäre werden prozentual wie für Tarifange-
stellte angehoben und verbessert.
In der Gesamtschau der Jahre 1999 bis2002 werden mit
den aktuellen Erhöhungen die Dienst- und Versorgungs-
bezüge um insgesamt 7,5 Prozent linear angehoben und
damit an die Entwicklung der allgemeinen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse angepasst.
Mit diesen Erhöhungen sind die Nettoeinkommen der
Beamtinnen und Beamten in den Jahren unserer Regie-
rungsverantwortung real deutlich gestiegen und werden
auch weiter steigen.
Zusammen mit der Steuerentlastung und der Erhöhung
des Kindergeldes steigen die Nettoeinkommen bis 2002
gegenüber 1998 um rund 10 Prozent; das heißt, die Be-
amtinnen und Beamten können sich pro Jahr über eine
Steigerung von rund 2,5 Prozent freuen. Wer mit den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung spricht,
weiß und erhält es in fast jedem Gespräch bestätigt, dass
es für die Beamtinnen und Beamten darauf ankommt, was
tatsächlich im Portemonnaie ankommt. Letztlich zählt für
die Menschen nur das, was im Monat als Nettoplus bleibt.
Die zeitlichen Verschiebungen der Erhöhungen von
fünf bzw. vier Monaten sind notwendig, um die Beamten
als Teil der Solidargemeinschaft in das wirtschafts- und fi-
nanzpolitische Gesamtkonzept einzubinden. Darauf neh-
men die Entwürfe von CDU/CSU und F.D.P. offenbar
keine Rücksicht. Dies würde gegenüber der Regierungs-
vorlage zu insgesamt 3,3 Milliarden DM Mehrkosten füh-
ren; allein für die hauptbetroffenen Länder fast 2,5 Milli-
arden DM, für den Bund rund 550 Millionen DM.
Verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Besol-
dungspolitik hat nämlich auf die Situation der öffentli-
chen Haushalte zu achten. Solide Staatsfinanzen sind un-
verzichtbare Grundlage für neue Arbeitsplätze, für eine
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für soziale
Stabilität. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen zur
Sicherung und Schaffung von Arbeit und Wohlstand.
Durch die geringen zeitlichen Verschiebungen wird si-
chergestellt, dass die mit dem Zukunftsprogramm ange-
strebte soziale Symmetrie bei der Anpassung der Alterssi-
cherungssysteme erreicht wird.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält im Übrigen – ent-
sprechend der tariflichen Regelungen – auch die Ausdeh-
nung der Altersteilzeit auf teilzeitbeschäftigte Beamte
und eine Verlängerung der Geltungsdauer der Altersteil-
zeitregelungen für den Bund. Der Gesetzesantrag der
CDU/CSU hierzu ist daher völlig überflüssig.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Stärkung ehrenamtlicherTätigkeiten in Vereinen
und Organisationen (Tagesordnungspunkt 13)
Dieter Grasedieck (SPD): Wir machen eine Politik
für die Zukunft und nicht für den Augenblick. Deshalb ha-
ben wir in den letzten zwei Jahren die Versäumnisse der
ehemaligen CDU/CSU-F.D.P.-Regierung aufgearbeitet.
Was ist nicht alles verändert worden?
Unsere Koalition hat erstens die Übungsleiterpau-
schale von 2 400 DM auf 3 600 DM erhöht und den be-
troffenen Personenkreis ausgeweitet. Während Ihrer Re-
gierungszeit haben Sie die Übungsleiterpauschale nicht
einmal erhöht. Wissen Sie eigentlich, wer die Übungslei-
terpauschale eingeführt und wer die Pauschale erhöht hat?
Sie werden überrascht sein! Es war die erst SPD/F.D.P.-
Regierung, die die Übungsleiterpauschale eingeführt hat.
Und es waren Sozialdemokraten, die die Pauschale 1981
erhöht haben. 16 Jahre CDU/CSU-F.D.P.-Regierung ha-
ben nichts verändert. In den zwei Jahren unserer neuen
Regierung hat sich viel bewegt. Der Vorsitzende eines
kleinen Fußballvereins sagte mir: Durch eure Erhöhung
können wir bessere Trainer für unsere Jugendmannschaf-
ten einsetzen.
Zweitens. Das Stiftungsrecht wurde verbessert. Unser
neues Stiftungsrecht fördert die Hilfsbereitschaft durch
erweiterte Steuerabschreibungen. Die Nachbarschaft, der
Sportverein, die Kirchengemeinde, die Selbsthilfegrup-
pen und die Sozialverbände können kleine Stiftungen
gründen. Durch unser Gesetz wollen wir die kleinen, aber
auch die großen Einheiten fördern und sichern.
Drittens. Auf Antrag der Grünen und der SPD wurde
eine Enquete-Kommission zur Zukunft des bürgerschaft-
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lichen Engagements eingerichtet. Aufgabe der Enquete
Ehrenamt ist es, Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.
Anhand dieser Empfehlungen sollte das Parlament Ge-
setze beschließen. Diese Kommission erstellt ein Ge-
samtkonzept. Alle Probleme, alle Schwierigkeiten werden
systematisch aufgearbeitet. Eine systematische Bestands-
aufnahme sollte die Basis für unsere zukünftige Politik
sein. Der Enquete-Bericht liegt im Herbst vor. Alle Pro-
bleme können dann gewichtet werden, neue Lösungs-
ansätze gefunden werden.
Warum haben Sie es mit Ihrem Gesetzentwurf jetzt so
eilig? Warten Sie doch lieber das Ergebnis der Enquete-
Kommission ab. Legen Sie dann ein Gesamtkonzept vor.
Oder geht es Ihnen nicht um die Sache? Könnte es Ihnen
vielleicht doch nur um Wahlkampfmunition für Baden-
Württemberg oder Rheinland-Pfalz gehen?
Ihre Taktik ist klar durchschaubar. Sie wollen stören
und der Regierung die Erfolge aus der Hand schlagen.
„Ohne Ziel, aber mit viel Krach“ ist Ihr Motto. Sie finden
in Ihren Anträgen Plenarwoche für Plenarwoche immer
nur einen Ur-Grund – die Ökosteuer. Kreativ ist das ge-
rade nicht – neue Ideen sind gefordert. Das fällt bei die-
ser Regierung natürlich schwer. Neue Ideen zum Ehren-
amt werden in ihrer Vielfalt in der Enquete diskutiert.
Nutzen Sie doch dieses Forum!
Zurzeit wird in der Enquete ein Gutachten diskutiert.
Die Wissenschaftler sprechen unter anderem folgende
Vorschläge an: Spenden von Geschäftsbetrieben eines
gemeinnützigen Vereins an ihre Jugendabteilung sollen
steuerlich absetzbar sein. Die Spenden und die Mit-
gliedsbeiträge sollen nicht mehr steuerlich unterschieden
werden. Ein weitreichender Vorschlag – soziale Arbeit –
soll mit Geldspenden gleichgestellt werden. Aber auch
die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung des Pauschalbe-
trages wird diskutiert. Es ist nur ein Vorschlag unter vie-
len, über die man nur im Gesamtkonzept entscheiden
kann.
Deshalb gebe ich Ihnen gerne den Rat: Bringen Sie
Ihren Vorschlag in die Enquete-Kommission ein. Politik
für die Zukunft beruht auf Fakten. Diese Fakten werden
im Sommer 2001 gewichtet und dann entschieden.
Es wäre falsch und kurzsichtig und auch nicht im Sinne
der Kommission, Teile des Gesamtbudgets herauszubre-
chen, bevor ein Gesamtergebnis vorliegt. Wir wollen das
Gesamtkonzept Ehrenamt diskutieren. Ihr Antrag berück-
sichtigt nur Einzelgesichtspunkte. Wir Sozialdemokraten
machen eine Politik für die Zukunft und nicht für den Au-
genblick. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Klaus Riegert (CDU/CSU): Der von der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion eingebrachte Gesetzentwurf „Zur
Stärkung ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen und Or-
ganisationen“, Drucksache 14/5224, dient einer spürbaren
bürokratischen Entlastung ehrenamtlich Tätiger, hebt die
unterschiedliche Behandlung ehrenamtlicher Tätigkeiten
bei der steuerlichen Begünstigung auf, hebt die so ge-
nannte Übungsleiterpauschale auf jährlich 4 800 DM an
und stärkt somit ehrenamtliches Engagement auf breiter
Basis.
Ehrenamtlich tätige Vereinsvorsitzende, Funktions-
träger und Helfer sollen ehrenamtlich tätigen Erziehern,
Übungsleitern, Ausbildern und Betreuern steuerlich
gleichgestellt werden. Sie sollen wie diese eine pauscha-
lierte Aufwandsentschädigung steuerlich absetzen kön-
nen. Gerade Vereinsvorsitzende, Funktionsträger und
Helfer bringen große zeitliche und teilweise auch finanzi-
elle Opfer. Ohne ihren Einsatz wären die vielfältigen und
stets wachsenden Aufgaben in Vereinen und Verbänden
überhaupt nicht mehr zu bewältigen.
Wir wissen, dass es immer schwieriger wird, Bürgerin-
nen und Bürger zu finden, die im Ehrenamt Verantwor-
tung übernehmen und oftmals ein für sie nicht überschau-
bares Haftungsrisiko eingehen. Vereinsvorsitzende und
Funktionsträger sind verantwortlich für den Einsatz von
Übungsleitern oder Ausbildern. Sie entscheiden darüber,
wer wo mit welchen Aufgaben eingesetzt wird. Ohne eh-
renamtliche Helfer wären zum Beispiel Auftritte von Ju-
gendorchestern und Laienspielgruppen nicht möglich.
Warum kommt der Orchesterleiter in den Genuss einer
steuerlich begünstigten Aufwandspauschale, aber derje-
nige, der die organisatorischen Vorarbeiten ehrenamtlich
geleitet hat, nicht? Dies ist den Ehrenamtlichen vor Ort
nicht zu vermitteln. Durch die geplante Neuregelung ent-
lasten wir Vereine und die dort ehrenamtlich Tätigen von
Bürokratie. Aufwendungen wie Fahrkosten, Reisekosten,
Verpflegungsaufwendungen, Telefon- und Portogebühren
sollen bis zu einem Betrag von 4 800 DM, auch für den
erweiterten Personenkreis, pauschaliert steuerfrei wer-
den.
Wir fordern bei den verschiedensten Anlässen eine
nachhaltige und spürbare Anerkennung des Ehrenamtes
im Bereich des Sports, im Feuerschutzbereich, im Hilfs-
und Rettungswesen, in den kulturellen und karitativen,
kirchlichen Bereichen, dem Umweltbereich oder sonsti-
gen steuerbegünstigten Bereichen. Wir sollten diese For-
derung unterstreichen und das ehrenamtliche Engagement
von Vereinsvorsitzenden, Funktionsträgern und Helfern
gleichstellen mit dem von Übungsleitern, Erziehern, Aus-
bildern und Betreuern. Diese kämen ohne das Engage-
ment von Vorsitzenden oft gar nicht zum Einsatz. Ohne
ehrenamtlich tätige Vorsitzende, Funktionsträger und
Helfer läuft in unseren Vereinen nichts!
Die Wertschätzung ehrenamtlicher Tätigkeiten ist in
allen gesellschaftlichen und politischen Kreisen unstrit-
tig. Ihr Finanzminister Eichel unterstützt uns in unserem
Vorhaben – zumindest als früherer hessischer Minister-
präsident. Lesen Sie einmal die Bundesratsdrucksache
950/98. Er plädiert dort sachorientiert für eine Erweite-
rung des Bezugskreises. Auch der Bundeskanzler ist der
Erweiterung des Bezugskreises nicht abgeneigt – zumin-
dest in der vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend herausgegebenen Glanzbroschüre.
Das Werben mit Glanzbroschüren alleine beschert dem
Ehrenamt noch keinen Glanz. Der Bundeskanzler will
weitere ehrenamtliche Tätigkeiten, die bisher nicht geför-
dert wurden, steuer- und sozialversicherungsfrei stellen.
Welche, sagt er nicht. Ich stelle fest: Eichel hat gefordert
und zurückgezogen, als er Verantwortung übernommen
hat. Schröder kündigt an und belässt es dabei. Wir legen
einen Gesetzentwurf mit konkreten Zielsetzungen vor.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115272
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Was hat Rot-Grün in den letzten zweieinhalb Jahren
positiv für das Ehrenamt bewirkt? Zugegeben, Sie haben
die so genannte Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf
3 600 DM heraufgesetzt und den Bezugskreis um Betreuer
erweitert. Weiße Salbe für das vermurkste 630-DM-Ge-
setz! Sie haben einen halbherzigen Entwurf zum Stiftungs-
recht beschlossen, der vom Bundesrat erst einmal gesell-
schaftsfähig gemacht worden ist. Der zivilrechtliche Teil
steht noch aus. Das war´s! Die größten Taten dieser Bun-
desregierung sind Plakatserien, Glanzbroschüren und
Ankündigungen. Anrechnung ehrenamtlicher Tätigkeit auf
die Lebensarbeitszeit, so verheißt der Bundeskanzler. Ob
das Sinn macht? Was das kosten soll, wer die Beitragszah-
lungen leisten soll, darauf weiß die Bundesregierung keine
Antwort. 300 DM steuer- und sozialversicherungsfreie
Aufwandsentschädigung für alle. Einen konkreten Vor-
schlag sucht man vergebens. Sie haben es noch nicht ein-
mal geschafft, Aufwandsentschädigungen für Feuerwehr-
leute sozialversicherungsfrei zu stellen. Dabei hat der
Bundeskanzler dies im Oktober den Feuerwehrleuten zu-
gesagt!
Sie haben durch die Einführung der Ökosteuer, die Er-
höhung der Energiesteuern und die Neuregelungen zu den
630-DM-Jobs und zur Scheinselbstständigkeit von den
Vereinen, den dort nebenberuflich und ehrenamtlich Täti-
gen Hunderte von Millionen kassiert. Sie haben Vereine
und ehrenamtlich Tätige mit Bürokratie belastet, ohne
Vereinen und ehrenamtlich Tätigen in irgendeiner Form
einen Ausgleich zu geben. Es ist ein Gebot des Anstandes,
den Vereinen und den dort ehrenamtlich Tätigen wenigs-
tens einen kleinen Teil dessen zurückzugeben, was Sie ih-
nen genommen und aufgebürdet haben.
Was glauben Sie eigentlich, wie viel Spaß es einem Eh-
renamtlichen macht, sich über den Beschäftigungsstatus
von Mitarbeitern zu erkundigen, deren Lohnsteuerkarte
und Sozialversicherungsnummer zu prüfen? Dies führt zu
Frustration und Demotivation. Der will sich lieber mit Ju-
gendlichen befassen, mit Training, Wettkampf und Frei-
zeit, mit Chor und Orchester. Der wollte sich nicht enga-
gieren, um für den Staat als Geldeintreiber missbraucht zu
werden. Hören Sie einmal beim Freiburger Kreis nach,
wie viele ihren Job aufgegeben haben. Jeder vierte! Macht
dieses Gesetz Sinn, wenn unsere gemeinnützigen Vereine
ihre Mitgliedsbeiträge erhöhen müssen? Lesen Sie die
„DSB Presse“ vom 13. Februar 2001, Nr. 7, Seite 10: Er-
höhung der Mitgliedsbeiträge in einem Verein, um die
durch die Neuregelungen entstandenen Mehrkosten in
Höhe von 125 000 DM pro Jahr auszugleichen. Halten Sie
das für richtig?
Nein, diese Regierung hat definitiv für die Vereine und
ehrenamtlich Tätige nicht getan, sie hat sie belastet und
mit Bürokratie überfrachtet. Wo man hinschaut: Kassie-
ren, kassieren, kassieren. Deshalb ist es wichtig, Entlas-
tungen für ehrenamtliche Tätige auf breiterer Basis her-
beizuführen. Der Deutsche Sportbund und der Deutsche
Kulturrat fordern die Heraufsetzung der so genannten
Übungsleiterpauschale auf 4 800 DM jährlich und die
Ausdehnung auf diejenigen, die administrativ ehrenamt-
lich Verantwortung tragen. Sie haben das Ohr an der Ba-
sis der Ehrenamtlichen. Sie setzen sich dafür ein, weil da-
durch „eine eindeutige Grenze zwischen geringfügiger
Beschäftigung und ehrenamtlicher Tätigkeit gezogen
wird“ – so der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
und sachverständiges Mitglied in der Enquete-Kommis-
sion „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ Olaf
Zimmermann. Recht hat er.
Die Steuermindereinnahmen, die durch den CDU/
CSU-Gesetzentwurf entstehen würde, halten sich in über-
schaubarem Maße. Der jetzige Finanzminister Eichel hat
in seiner Eigenschaft als hessischer Ministerpräsident die
Erweiterung des Bezugskreises um Vorstandsmitglieder
und Funktionsträger mit nicht messbaren Steuerausfällen
bezeichnet. Er geht wie wir davon aus, dass die Funkti-
onsträger ihre Auslagen bereits steuerfrei ersetzt bekom-
men können. Sie müssen dies aber bürokratisch umständ-
lich gegen Einzelnachweis tun; das heißt, jedes
Telefongespräch, jede Briefmarke, jeder Kilometer muss
notiert und beim Finanzamt geltend gemacht werden.
Nach unserem Gesetzentwurf könnten sie dies dann bis zu
einer Grenze von 4 800 DM pauschaliert – ohne Einzel-
nachweis – tun. Das entbindet von Bürokratie und macht
Kräfte frei für das Engagement. Hier würden wir auch die
Finanzämter entlasten! Was damals bei Eichel richtig war,
kann heute nicht falsch sein. Geben Sie den Vereinen und
ehrenamtlich Tätigen einen Teil des von ihnen verursach-
ten Aufwandes durch Entbürokratisierung zurück. Auch
dies ist Anerkennung.
Das einfachste wäre, sie unterstützten unseren Gesetz-
entwurf. Sie würdigen und anerkennen dadurch das eh-
renamtliche Engagement von Millionen Bürgerinnen und
Bürger. Dies ist zweifellos das Wichtigste. Aber Sie ver-
helfen auch dem Finanzminister, dem Bundeskanzler und
der Politik zu mehr Glaubwürdigkeit. Sie können deren
Versprechungen durch Ihre Zustimmung schon heute um-
setzen. Ich weiß, Sie dürfen unseren Gesetzentwurf nicht
unterstützen. Dann legen Sie doch endlich etwas Eigenes
vor. Ich habe ja Verständnis, dass Sie dann bei uns abkup-
fern müssen.
Unsere bisherigen Vorschläge werden von den Verei-
nen, Verbänden, vor allem aber den Ehrenamtlichen un-
terstützt: erstens, Vereinsförderungsgesetz mit Heraufset-
zung der Zweckbetriebs- und Besteuerungsgrenzen sowie
Bildung von Rücklagen für eine zukunftssichere Planung;
zweitens, Entlastung unserer gemeinnützigen Vereine von
Energiekosten; drittens, Entbürokratisierung durch Weg-
fall der Neuregelungen zu den 630-DM-Jobs und Schein-
selbstständigkeit für gemeinnützige Vereine; viertens,
Sozialversicherungsfreiheit auf pauschale Aufwandsent-
schädigungen.
Sie haben bisher immer nur abgelehnt. Nehmen Sie
sich die Worte des Präsidenten des Deutschen Sportbun-
des, Manfred von Richthofen, zu Herzen. Nach der er-
neuten Ablehnung einer Gesetzesinitiative der CDU/
CSU-regierten Länder im Bundesrat zur Verbesserung eh-
renamtlicher Tätigkeiten durch Rot-Grün schreibt er:
Nachdem der Bundesrat bereits in seiner 755. Sit-
zung mehrheitlich abgelehnt hatte, etwas gegen
die Beeinträchtigung der ehrenamtlichen Tätigkeit
durch das Gesetz zur Neuregelung der geringfügi-
gen Beschäftigungsverhältnisse, das so genannte
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15273
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630-DM-Gesetz, zu tun, zeigt dieser Beschluss er-
neut, wieweit heute leider oft politische Erklärungen
in Grußworten und Sonntagsreden und konkretes po-
litisches Handeln auseinander klaffen. Der Glaub-
würdigkeit der Politik wird damit kein guter Dienst
geleistet.
Dem ist nichts hinzuzufügen!
Sie dürfen unsere Initiativen als Material für eigene
Vorschläge verwenden. Wir werden konstruktiv mit Ihnen
zum Wohle der Vereine und der Ehrenamtlichen zusam-
menarbeiten. Deshalb: Stimmen Sie unserem Gesetzent-
wurf zu! Er hilft den Ehrenamtlichen und den Vereinen.
Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich freue mich, dass die Opposition nun derart an der Si-
tuation der bürgerschaftlich Engagierten interessiert ist.
Leider ist bei Ihnen immer noch der Begriff der ehren-
amtlich Tätigen etwas schief verankert. In der Enquete-
Kommission sprechen Sie ja auch von bürgerlich Enga-
gierten. Diese Denke bringt auch Ihr Antrag zum
Ausdruck.
Die Enquete-Kommission hat mit Ihren Stimmen, da-
ran werden Sie sich sicherlich erinnern, ein finanzschwe-
res Gutachten zur steuerrechtlichen Situation der bürger-
schaftlich engagierten Menschen in Auftrag gegeben. Sie
können nicht auf der einen Seite Rechtsgutachten in Auf-
trag geben, deren Ergebnis aber nicht abwarten und
gleichzeitig uns hier mit Anträgen beglücken: mal zur
freiwilligen Feuerwehr; mal zum Steuerrecht und immer
gerne, um eigentlich die politisch sinnvolle und hart er-
rungene 630-DM-Regelung anzugreifen. Sie verhindern
damit das, wozu eine Enquete-Kommission eingesetzt
wird: zur Erörterung gesellschaftlich relevanter Fragen.
Diese Fragen sind: Was ist Anerkennung? Was dient
dem Gemeinwohl? Was erwarten die Engagierten und wie
wollen wir aber auch die staatliche Rolle definieren?
Wenn wir uns die Debatten gerade in der Enquete ge-
nauer betrachten, dann stellen wir fest, dass es eben sehr
schwer ist, die Grenzen zwischen Erwerbstätigkeit und
freiwilligem oder bürgerschaftlichem Engagement klar zu
ziehen. Sie haben diese Schwierigkeiten ja auch offen-
sichtlich in Ihrem Antrag. Denn wer sollen die „Helfer im
Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Per-
son des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1
Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden Einrich-
tung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und
kirchlicher Zwecke“ sein?
Sicherlich ist es wünschenswert, dass eine Gleichbe-
handlung aller dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten
verankert wird. Aber vielleicht sollten wir uns dann doch
lieber über die Ausweitung eben der Tätigkeitsfelder ver-
ständigen und nicht eine Definition finden, die keine ist.
Die Statusbeschreibung eines bürgerschaftlich enga-
gierten Menschen liegt eben noch nicht vor und sie wird
auch noch eines guten Stückes Arbeit bedürfen. Nur mit
ihr könnten wir das erreichen, was sie und wir wollen: Die
Gleichbehandlung und eben nicht „Privilegierung ehren-
amtlichen Engagements einzelner Gruppen“.
Die Formen des so genannten „neuen Ehrenamts“ die-
nen immer mehr der Motivation, das eigene Umfeld, die
Gesellschaft zu gestalten, Projekte selbst zu initiieren.
Besonders jungen Menschen ist es wichtig, hierbei ernst-
haft mitmischen zu können. Sie wollen oftmals keine
klassische Ehrenamtskarriere bei einem der Wohlfahrts-
mercedesse mehr, sie wollen ihre eigenen Projekte ver-
folgen, selbstbestimmt und selbstverwirklichend.
Wir erwarten von den Menschen heute eine immer
größere Flexibilität, wenn es um eine neue Ausbildungs-
oder Arbeitsstelle geht. Da kann man keine jahrzehnte-
lange Ehrenamtskarriere mehr planen, da ist das Engage-
ment vielleicht sogar irgendwann der Kitt im Sozialleben
des oder der Engagierten; und nicht nur ist das Engage-
ment der soziale Kitt der Gesellschaft. All diese Verände-
rungen werfen große Fragen auf. Da ist das Letzte, was
mir heute einfällt, eine Priorität, die eine weitere Er-
höhung der steuerfreien Einnahmen heißt.
Liebe Kollegen von der Opposition, kommen Sie in
diesem Jahrhundert an und nehmen Sie ernst, was die
Menschen grundsätzlich bewegt in ihrer Leidenschaft,
sich zu engagieren. Hierzu arbeiten wir und ich bin sicher,
dass wir, möglichst mit Ihrem Engagement, in dieser Le-
gislatur noch ein gutes Stück auch im Bereich der staat-
lichen Handlungsoptionen für die Stärkung des bürger-
schaftlichen Engagements ein gutes und entscheidendes
Stück vorwärts kommen können.
Gerhard Schüßler (F.D.P.): Um es gleich vorweg zu
nehmen: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion kann sich dem
Gesetzentwurf der Union nicht anschließen.
Die Union macht es sich aus unserer Sicht zu einfach
mit der plakativen Äußerung, sie wolle ehrenamtliche
Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen stärken. Al-
lein mit einer Erhöhung der Übungsleiterpauschale von
3 600 auf 4 800 DM ist es nicht getan, denn das eigentli-
che Problem wird damit nicht gelöst. Sieht man sich den
Gesetzentwurf an, so hatte die Union offensichtlich be-
reits mit der Skizzierung dieses Problems Schwierigkei-
ten. Denn das, was sich unter der Überschrift „Problem“
im Gesetzentwurf findet, ist nicht die Aufzeigung dessen,
sondern der vorgeschlagene Lösungsweg.
Und wenn die Union in der Begründung des Gesetzent-
wurfs ausführt, in einer aktiven Bürgergesellschaft dürfe
es keine Privilegierung ehrenamtlichen Engagements ein-
zelner Gruppen geben, so schafft die vorgeschlagene Neu-
fassung des § 3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz durch die
Ausweitung seines Anwendungsbereiches auf weitere
Gruppen doch lediglich eine Ausweitung dieses Privile-
gierungstatbestandes. Sinnvoller wäre es gewesen, eine
Generalklausel zu schaffen, die alle potenziell ehrenamt-
lich Tätigen umfasst und nicht – wie hier geschehen – den
bisher privilegierten Gruppen weitere hinzufügt.
Der richtige Weg aus Sicht der F.D.P. wäre die Ein-
führung einer Ehrenamtspauschale in den Katalog des
§ 3 EstG. Darüber sollten wir uns hier unterhalten.
Ich vermag auch nicht zu erkennen, vor welchem Er-
kenntnishorizont die Union darauf kommt, dass sich die
von ihr vorgeschlagene personelle Erweiterung in der Pra-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115274
(C)
(D)
(A)
(B)
xis verwaltungsvereinfachend auswirken dürfte. Ich weiß
nicht, ob die Wahl des Wortes „dürfte“ beabsichtigt war,
in jedem Fall ist sie zu Recht gewählt. Denn mit der Er-
weiterung des Kreises der Personengruppen wird sich für
die Verwaltung zwangsläufig die Verpflichtung ergeben,
noch genauer zu prüfen, ob ein Steuerpflichtiger, der die
Pauschale geltend macht, tatsächlich unter eine der dort
aufgeführten Gruppen fällt.
Wenn die Politik ehrenamtlich tätigen Menschen in un-
serer Gesellschaft wirklich helfen will, so setzt dies vor al-
len Dingen mehr Gesetzesklarheit und -stringenz voraus.
Dann kommt die Verwaltungsvereinfachung ganz von
selbst. Und die Entbürokratisierung der Verwaltung ge-
rade auf kommunaler Ebene wäre allein ein Gewinn für
das Ehrenamt.
Dr. Klaus Grehn (PDS): Heute behandeln wir zum
vierten Mal innerhalb eines Jahres einen Gesetzesantrag,
der sich dem anerkannt wichtigen Problem der ehren-
amtlichen Tätigkeit zuwendet. In allen vier Anträgen
ging oder geht es um die Verbesserung der Bedingungen
für die ehrenamtlich Tätigen bzw. um die Anerkennung
ihrer gesellschaftlich unverzichtbaren Arbeit im Ehren-
amt. Dies und die Tatsache, dass die Qualität der Anträge
von Mal zu Mal gewachsen ist, sind hervorhebenswerte
Sachverhalte. Unbestritten ist, dass die Bedingungen für
die ehrenamtliche Tätigkeit und ihre gesellschaftliche
Anerkennung nachhaltig verbessert werden müssen und
damit auf die Veränderungen in den gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen reagiert werden muss. Vom Grund-
satz haben alle Fraktionen diese Notwendigkeit wieder-
holt anerkannt und ihr mit der Einsetzung der Enquete-
Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engage-
ments“ auch Ausdruck verliehen.
Zum vorliegenden Antrag stellen wir fest, dass er sich
im Gegensatz zu den Vorherigen nicht nur auf die freiwil-
lige Feuerwehr und den Sport bezieht und auch nicht vor-
dergründig als Speer gegen die 630-DM-Regelung und die
ökologische Steuerreform ausgerichtet ist. Wir begrüßen,
dass der Antrag mehrfach vorgetragene Forderungen der
PDS-Fraktion berücksichtigt, indem ehrenamtliche Tätig-
keit im Sozial-, Kultur- und Gesundheitsbereich, ehren-
amtliche Senioren- und Jugendarbeit oder im Bereich der
Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger
in den Antrag aufgenommen wurden.
Aber damit haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU Fraktion, eben nur einen Teil der aufge-
zeigten Probleme aufgenommen. Bei aller Zustimmung:
Nachbesserungen halten wir für unverzichtbar. So haben
Sie den wichtigen Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit
und ihrer Stärkung durch jene Bürger, die keine Einnah-
men daraus erzielen, genauso ausgeklammert wie die
Regelung von Aufwandsentschädigungen für Lohnersatz-
leistungsempfängerinnen und -empfänger, Rentnerinnen
und Rentner oder Hausfrauen bzw. Hausmänner und
Maßnahmen zur Stärkung der ehrenamtlichen Tätigkeit
dieser Gruppen. Neben der überwiegend prekären finan-
ziellen und materiellen Situation dieser Bürger werden
deren Bedingungen zur Ausübung ehrenamtlicher Tätig-
keit durch weitere Maßnahmen restriktiv eingeschränkt.
Erinnert sei an die unsägliche 15-Stunden-Regelung im
SGB III, die ja außerdem noch mit existenzbedrohenden
Sanktionen ausgestaltet wurde. Damit wird die untragbare
Verletzung des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit, für
das die PDS nachdrücklich eintritt, aufrechterhalten und
die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes bleibt in die-
sem Bereich bestehen. Das halten wir für nicht hinnehm-
bar und kritisieren deshalb den Entwurf, der auf eine
Teillösung statt auf eine Gesamtlösung ausgerichtet ist.
Denkbar wäre zu Beispiel, diesen Makel durch fol-
gende Varianten zu beheben: Erstens. Alle Ehrenamtliche,
die Einnahmen aus Erwerbsarbeit erzielen, unabhängig
davon, ob sie zusätzliche Einnahmen aus ihrer ehrenamt-
lichen Tätigkeit erzielen, können den gleichen Steuerfrei-
betrag geltend machen. Zweitens: sollte eine Variante für
die Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeiten von
Lohnersatzleistungsempfängerinnen und -empfänger,
Renterinnen und Rentnern und anderen Nichteinkom-
mensbeziehern entwickelt werden. Es könnte sowohl eine
finanzielle Lösung sein, zum Beispiel durch Aufstockung
um einen Betrag, der der Steuerersparnis eines ein Ein-
kommen erzielenden Ehrenamtlichen entspricht, oder
eine Anerkennung durch zusätzliche Rentenpunkte.
Mit diesen Vorschlägen weisen wir auf die Notwen-
digkeit von Nachbesserungen hin, die überfraktionell be-
raten werden oder in den vorgelegten Gesetzentwurf ein-
gearbeitet werden könnten.
Die Einbeziehung der Enquete-Kommission „Zukunft
des bürgerschaftlichen Engagements“ in den Prozess der
Neugestaltung des Antrages wird die Chancen auf eine
angemessene Gesamtlösung erhöhen.
Lassen Sie uns im Interesse aller Beteiligten die vor-
gelegte Teillösung in eine Gesamtlösung überführen und
lassen Sie uns das nicht lange hinausschieben. Das wäre
dem Internationalen Jahr der Freiwilligen und des Ehren-
amtes angemessen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staats-
angehörigkeitsgesetzes
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staats-
angehörigkeitsgesetzes und des Ausländergesetzes
– Antrag: „Schlussoffensive“ für erleichterte Einbür-
gerung von Kindern
(Tagesordnungspunkt 14 a bis c)
Dr. Michael Bürsch (SPD): Mit der Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 haben wir
das Ziel verfolgt, den lange in Deutschland lebenden Aus-
ländern und ihren Kindern durch rechtliche Gleichstel-
lung und politische Teilhabe die Eingliederung in unsere
Gesellschaft zu erleichtern.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15275
(C)
(D)
(A)
(B)
Staatsangehörigkeit kann Integration nicht ersetzen,
aber sie kann und muss sie ergänzen. Die Bedeutung der
Staatsangehörigkeit für die Integration darf nicht über-
schätzt, sie darf aber auch nicht unterschätzt werden. Erst
die Staatsangehörigkeit gewährleistet einen verlässlichen
Status, der ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenle-
ben erst ermöglicht. Wenn dies schon für die Elterngene-
ration richtig ist, dann gilt dies erst recht bei den Kindern.
Es besteht nach meiner Überzeugung im Bundestag kein
Dissens darüber, dass der frühzeitigen Integration der in
Deutschland aufwachsenden Kinder ausländischer Fami-
lien eine überragende Bedeutung zukommt, wenn wir das
friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft si-
chern und ein Miteinander von Menschen unterschiedli-
cher nationaler, ethnischer und kultureller Herkunft errei-
chen wollen.
Der Kernpunkt der Reform des Staatsangehörigkeits-
rechts, die Ergänzung des Abstammungsprinzips durch
das Geburtsrecht, das Jus soli, soll es den hier geborenen
Jugendlichen endlich ermöglichen, sich mit ihrem Hei-
matland Deutschland zu identifizieren. Rund 50 000 der
im vergangenen Jahr in Deutschland geborenen Kinder
ausländischer Eltern besitzen aufgrund der neuen Rege-
lung bereits von Geburt an die deutsche Staatsangehörig-
keit.
Diese Möglichkeit soll auch weiterhin ihren nur we-
nige Jahre älteren Geschwistern offen stehen. Für Kinder,
die in den 90er-Jahren in Deutschland geboren sind, also
bei In-Kraft-Treten des reformierten Staatsangehörig-
keitsrechts am 1. Januar 2000 nicht älter als zehn Jahre alt
waren, konnte nach der bisherigen Fassung des § 40 b des
Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsan-
gehörigkeit für das Kind beantragt werden, ohne dass das
Kind vor der Einbürgerung die alte Staatsangehörigkeit
aufgeben musste. Die unter Zehnjährigen wurden inso-
fern den Neugeborenen gleichgestellt. Diese Regelung
war allerdings bis zum 31. Dezember 2000 befristet und
ist mit Beginn des neuen Jahres ausgelaufen.
Leider blieb die Zahl der Einbürgerungsanträge hinter
den Erwartungen zurück. Bis zum Ablauf der Antragsfrist
wurden nur für höchstens 30 000 der 280 000 einbürge-
rungsberechtigten Kinder ein Antrag gestellt. Nach den
Erfahrungen der Einbürgerungsbehörden haben vor allem
die Gebühren von 500 DM dazu beigetragen, dass die
vielfach einkommensschwachen Familien vor einem An-
trag zurückschreckten.
Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass es
für die Eltern der Kinder, die nach § 40 b des Staats-
angehörigkeitsgesetzes einen Einbürgerungsanspruch ha-
ben, eine schwierige Entscheidung ist, die Staatsan-
gehörigkeit ihres Herkunftslandes aufzugeben, um
Deutsche oder Deutscher werden zu können. Dies ist eine
Lebensentscheidung, die wohl überlegt sein muss. Bei
den Betroffenen sind im Übrigen Unsicherheit und
Zurückhaltung darauf zurückzuführen, dass ein politi-
scher Konsens über eine regelmäßige doppelte Staatsan-
gehörigkeit nicht zu erzielen war. Sie alle wissen, dass die
Regierungskoalition ursprünglich einen anderen, konse-
quenteren und auch praktikableren Gesetzentwurf vorge-
legt hatte.
Viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ha-
ben offensichtlich bis zur Verabschiedung des Reformge-
setzes auf den Doppelpass gehofft. Wenn Sie sich nun
bisher noch nicht entscheiden konnten, die Staatsan-
gehörigkeit ihres Herkunftslandes aufzugeben, tun sie
sich natürlich oft ebenso schwer, für ihre Kinder die Ein-
bürgerung zu beantragen.
Am Sinn der Regelung zur Kindereinbürgerung be-
steht kein Zweifel. Wir wollen diesen Kindern im Klein-
kind-, Kindergarten- und Grundschulalter die bestmögli-
chen Integrationsbedingungen bieten. Denn in den
Kindergärten und Schulen entscheidet sich, ob die Inte-
gration in unserem Land gelingt. Dies sind die Lernorte
des Zusammenlebens.
Es wäre außerdem wenig nachvollziehbar für die
Betroffenen, wenn in einer Familie die beiden älteren Ge-
schwister, sagen wir zwei und vier Jahre alt, nicht das Op-
tionsrecht auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben,
während ihre neugeborene Schwester den deutschen Pass
in die Wiege gelegt bekommt. Einen solchen Riss durch
die Familien wollen wir vermeiden.
Deshalb wollen wir die Antragsfrist um zwei Jahre bis
zum 31. Dezember 2002 verlängern. Und wir wollen da-
rum werben, den Rechtsanspruch auch zügig einzulösen,
deshalb bleibt es bei einer Befristung. Wir senken aber
gleichzeitig die Einbürgerungsgebühr von 500 DM auf
100 DM. Die Höhe der Gebühr hat sich, zumal bei kin-
derreichen Familien, als erhebliches Hemmnis für die
Einbürgerungsbereitschaft erwiesen.
Diese Absenkung um 400 DM pro Kind bedeutet
verkraftbare Einnahmeausfälle heute, aber eine erhebli-
che Ersparnis an Anstrengungen und Kosten in der Zu-
kunft, wenn die Integration im Erwachsenenalter durch
spezielle Fördermaßnahmen nachgeholt werden muss. Ei-
nen kleinkarierten Streit über die angemessene Höhe der
Verwaltungsgebühren sollten wir uns ersparen und statt-
dessen klarstellen, wie wichtig – und wie viel wert – uns
die frühzeitige Integration der in Deutschland aufwach-
senden Kinder ausländischer Familien ist.
Mit der F.D.P. sind sich die Koalitionsfraktionen hier
erfreulicherweise wohl einig. Die Befristung bis zum
31. Dezember 2001, die im Antrag der F.D.P.-Fraktion
vorgesehen ist, ist allerdings wenig praktikabel, da allein
das Gesetzgebungsverfahren sich im Hinblick auf die er-
forderliche Zustimmung des Bundesrates bis weit ins lau-
fende Jahr erstrecken kann. Es ergibt wenig Sinn, die Frist
schon wieder auslaufen zu lassen, kaum dass die Verlän-
gerung im Bundesgesetzblatt verkündet ist.
Ich bitte aber alle Mitglieder des Hauses, dem Gesetz-
entwurf zur Förderung der Kindereinbürgerung zuzustim-
men. Die Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion haben die Möglichkeit, heute unter
Beweis zu stellen, dass sie seit ihrer Unterschrif-
tenkampagne etwas dazugelernt haben. Anders als vom
Kollegen Zeitlmann und seinem Parteivorsitzenden als
Horrorszenario beschrieben, hat es seit der Reform des
Staatsangehörigkeitsrechts keine Masseneinbürgerung
von Kriminellen gegeben – und auch keinen Islamterro-
rismus mit deutschem Pass.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115276
(C)
(D)
(A)
(B)
Herr Kollege Zeitlmann hat uns bei der Debatte vor
zwei Jahren vorgerechnet – ich zitiere –: „Sie wollen
künftig jedem ausländischen Jugendlichen die doppelte
Staatsangehörigkeit geben. ... Wenn Sie das jetzt rückwir-
kend auf die letzten zehn Geburtsjahre beziehen, dann
heißt das, dass mit einem Federstrich 600 000 auslän-
dische Jugendliche eingebürgert werden.“ Und weiter:
„Ich will wissen, ob Sie sich Gedanken darüber gemacht
haben, dass Sie künftig alle kleinen Mehmets hierbehal-
ten müssen.“
Herr Kollege, Sie haben sich damals nicht nur im Ton,
sondern auch in der Größenordnung vergriffen. Ich appel-
liere an die früheren Gegner des neuen Staatsan-
gehörigkeitsrechts: Revidieren Sie Ihre negative Einstel-
lung zur Zuwanderung und Integration von Ausländern!
Sehen Sie ein, dass es beim heutigen Antrag um Kinder
geht, deren Eltern seit langem rechtmäßig in Deutschland
leben, bei denen es keinen Sinn macht, sie erst von ihren
Altersgenossen abzugrenzen, um sie anschließend mit
großem Aufwand und ungewissen Erfolgsaussichten wie-
der integrieren zu müssen. Eine bloße Zusicherung, ir-
gendwann einmal Deutsche oder Deutscher werden zu
können, reicht deshalb nicht aus.
Was wir heute nicht anpacken, werden wir in wenigen
Jahren mit Zins und Zinseszins leisten müssen. Deshalb:
Lassen Sie uns mit der heutigen Beschlussfassung ge-
meinsam die Einbürgerung von ausländischen Kindern
erleichtern!
Thomas Strobl (CDU/CSU):Nicht zum ersten Mal in
dieser Legislaturperiode beschäftigt sich das Hohe Haus
mit einer Initiative zur Änderung unseres Staatsan-
gehörigkeitsrechts. Seit dem 1. Januar 2000 hat Rot-Grün
gegen den entschiedenen Widerstand von CDU und CSU
ein neues Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft gesetzt. Mit
der Einbürgerung nach § 29 StAG, dem so genannten Op-
tionsmodell für in Deutschland geborene Kinder auslän-
discher Mitbürgerinnen und Mitbürger, wird zunächst der
das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich prä-
gende Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatlichkeit
infrage gestellt. Die mit der Einbürgerung verbundene
Optionspflicht, welche diesem Prinzip letztlich zum
Durchbruch verhelfen soll, wird, wenn überhaupt, erst
nach langer Zeit greifen. Die Regelungen zur Options-
pflicht in § 29 StAG sind im Übrigen so gestaltet, ins-
besondere über die Vorschriften zur Beibehaltungsgeneh-
migung, dass der Grundsatz der Vermeidung von
Mehrstaatlichkeit im Ergebnis in sein Gegenteil verkehrt
wird.
Die Vorschrift wirft zahlreiche rechtliche und auch ver-
fassungsrechtliche Probleme auf. Die mit der rot-grünen
Mehrheit verabschiedeten Regelungen insgesamt bringen
zahlreiche schwierige Vollzugsprobleme mit sich, für die
in der Verwaltungspraxis erst noch praktikable Lösungen
gefunden werden müssen. Es erscheint aus heutiger Sicht
nicht ganz abwegig, anzunehmen, dass mit dem
Näherrücken des Zeitpunktes, zu dem § 29 StAG erstmals
vollzogen werden müsste, auch die Bestrebungen wachsen
werden, diese Vorschrift zu streichen und damit die Mehr-
staatlichkeit auf Dauer flächendeckend hinzunehmen.
CDU und CSU waren damals entschieden gegen diese
De-facto-Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft,
weil wir generell Mehrstaatlichkeit nicht wollen und sie
deshalb weitgehend vermeiden wollen. Wir haben immer
gesagt – das sagen wir auch heute noch –: Die deutsche
Staatsbürgerschaft wird nicht dadurch attraktiver, dass
wir die Hürde für ihren Erwerb immer niedriger hängen.
Deutscher Staatsangehöriger zu werden darf nicht zu ei-
ner Frage der Beliebigkeit werden. Geben wir den Erwerb
unserer Staatsangehörigkeit der Beliebigkeit preis, dann
rüttelt dies an den Grundfesten unserer staatlichen Iden-
tität. Denn es ist sehr wohl eine für den einzelnen Men-
schen grundlegende Frage, zu welcher staatlichen Ge-
meinschaft er gehören möchte. Damit sind ja nicht nur
Rechte und Pflichten verbunden, sondern auch die Frage:
Zu welchem Staat, zu welcher Nation, zu welcher Ge-
meinschaft willst Du gehören? Zugleich stellt sich die
Frage nach der eigenen nationalen, aber auch kulturellen
Identität. Deshalb muss für uns übrigens die Integration
vor der Einbürgerung stehen, während Sie – fälschlicher-
weise – in der Gesetzesbegründung die Verleihung der
Staatsbürgerschaft als Mittel zur Interpretation sehen.
Deshalb haben wir als CDU/CSU immer gesagt: Wer
die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben will, der muss
sich auch mit allen Konsequenzen zu diesem Staat und
nur zu diesem Staat Bundesrepublik Deutschland beken-
nen. Jeder findet hier die Voraussetzungen, nach seiner
Fasson glücklich zu werden. Aber er soll sich entscheiden,
ob er dies als Deutscher oder als Ausländer tun möchte.
Die wie auch immer geartete Gewährung einer doppelten
Staatsangehörigkeit bewirkt hingegen das genaue Gegen-
teil. Deshalb waren und sind wir gegen eine generelle
Möglichkeit von Doppelstaatlichkeit.
Im Übrigen scheinen uns die Ergebnisse in einem Teil-
bereich des so genannten Optionmodells Recht zu geben.
Von der Regelung der Einbürgerung nach § 40 b StAG
sind 280 000 Kinder betroffen, und zwar Kinder bis zum
10. Lebensjahr, die nach der neuen Regelung des Staats-
bürgerschaftsrechts vom 1. Januar 2000 kraft Geburt die
deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hätten. Diese von
Rot-Grün so viel gepriesene Regelung wird gerade einmal
von etwas mehr als 10 Prozent der Betroffenen wahrge-
nommen: 280 000 nach § 40 b StAG einbürgerungsbe-
rechtigten Kindern stehen lediglich 30 000 durch die El-
tern gestellte Einbürgerungsanträge gegenüber.
Nun sollen die Verwaltungsgebühren von durch-
schnittlich 500 DM für die Zurückhaltung der Eltern der
Antragsberechtigten verantwortlich sein. 500 DM sollen
zu viel sein für den Erwerb der deutschen Staatsbürger-
schaft? Was für eine absurde Begründung für einen Sach-
verhalt von solcher Tragweite, wie die Entscheidung für
eine bestimmte Staatsangehörigkeit!
Deshalb beschäftigen wir uns heute mit diesem Antrag
von Rot-Grün und F.D.P., die Gebühren per Gesetz auf
100 DM zu beschränken. Das ist vollkommen unstreitig
ein Betrag, mit dem die Kosten für die Verfahren nicht ge-
deckt werden können. Im Übrigen: Was für eine Einstel-
lung haben Sie eigentlich zu unserer Staatsbürgerschaft,
wenn sie nun als Anreiz dafür, dass ausländische Mitbür-
gerinnen und Mitbürger Deutsche werden sollen, auch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 2001 15277
(C)
(D)
(A)
(B)
noch die Kosten für das Verwaltungsverfahren überneh-
men wollen? Was wäre eigentlich die Konsequenz, wenn
bei 100 DM Gebühren immer noch viele Eltern nicht be-
reit sein sollten, die deutsche Staatsangehörigkeit für ihre
Kinder zu beantragen? Zahlen wir den dann noch Ver-
bleibenden womöglich eine Prämie, damit sie Deutsche
werden, vielleicht gestaffelt nach Einkommensgrenzen
und Anzahl der Kinder?
Der deutsche Staat zahlt denjenigen eine Prämie, die
bereit sind, sich die deutsche Staatsbürgerschaft aufnöti-
gen zu lassen – das ist polemisch, entspräche aber durch-
aus der Logik dieses Antrages. Es geht mir hier nicht um
einen Streit über die Höhe einer Verwaltungsgebühr,son-
dern um ihre hinter diesem Antrag stehende falsche Ein-
stellung zu unserem Staatsangehörigkeitsrecht. Es ist
falsch, die Staatsangehörigkeit sozusagen immer billiger
zu machen, denn sie wird dadurch für Ausländer nicht at-
traktiver. Sie nähmen sie vielleicht an, wenn es keine Um-
stände mehr macht, Deutscher zu werden. Aber die Zu-
gehörigkeit zu einer Gesellschaft, das Bewusstsein, in
einem Staat als Staatsbürger zu leben, mit allen Rechten
und Pflichten, wird nicht gestärkt, wenn es einem mög-
lichst einfach gemacht wird, dazuzugehören. Nur wenn
uns unsere Staatsbürgerschaft etwas wert ist, stellt sie
auch für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ei-
nen Wert dar, der für sie erstrebenswert ist. Ihr Antrag be-
wirkt das genaue Gegenteil und deshalb lehnen wir ihn ab.
Nur ein kurzer Schwenk zu den Kosten dieser Geset-
zesänderung: Wenn ich den von Ihnen angenommenen
Schätzwert für die tatsächlichen Kosten des Verwaltungs-
verfahrens von 200 DM bis 250 DM voraussetze, dann blei-
ben bei einer gesetzlich festgelegten Gebühr von 100 DM
noch Kosten von 100 bis 150 DM, die von den Kommu-
nen und Landkreisen getragen werden müssten. Rot-Grün
beschließt, Länder und Kommunen bezahlen. Aber diese
„länder- und kommunalfreundliche“ Politik kennen wir
von Rot-Grün ja auch in vielen anderen Bereichen. Haben
Sie eigentlich schon einmal etwas vom Verursacherprin-
zip gehört?
Ihr Ziel vorausgesetzt, dass alle verbliebenen 250 000
potenziellen Antragsteller nach der Gebührensenkung
ihren Antrag stellen würden, wären es bis zu 37,5 Milli-
onen DM Mehrkosten, die von den Gemeinden und Land-
kreisen aufgebracht werden müssten. Wieder einmal ver-
ursacht damit der Bund mit einer Entscheidung Kosten
auf den ohnehin immer höher belasteten Ebenen der Län-
der und Kommunen. Diese Mehrkosten würden aber nicht
gleichmäßig auf alle Kommunen in Deutschland verteilt
sein, sondern fielen in Wahrheit vor allem in den Städten
und Landkreisen an, die über einen hohen Ausländeranteil
verfügen, also in den Ballungszentren.
Ich sage das, weil Sie in ihren Anträgen so tun, als seien
das Kosten, die zu vernachlässigen wären. Außerdem sol-
len den Kommunen Kosten aufgedrückt werden, die voll-
kommen unnötig sind. In der Vergangenheit sind Verwal-
tungsgebühren immer wieder angehoben worden mit dem
Argument, dass eine Verwaltung, die mehr Dienstleistun-
gen für die Bürgerinnen und Bürger erbringt, auch höhere
Kosten verursacht. Wir sagen zu Recht, dass die Bürge-
rinnen und Bürger auch die Kosten tragen sollen, die sie
verursachen. Wenn das aber richtig ist, dann gilt dies für
alle Menschen in diesem Land. Es gilt für den deutschen
Staatsbürger, der seinen Pass verlängern möchte, genauso
wie für den ausländischen Mitbürger, der den deutschen
Pass erwerben möchte. Ich finde dies unter dem Aspekt
der Leistungs- und Kostengerechtigkeit für alle in diesem
Land nur recht und billig.
Ein anderer Aspekt kommt für mich an dieser Stelle
noch hinzu. Was sagen Sie eigentlich den 30 000 Eltern,
für die die Gebühr von durchschnittlich 500 DM offen-
sichtlich nicht zu hoch war? Erstatten wir ihnen den über-
schießenden Betrag der von ihnen bezahlten, offensicht-
lich überhöhten Gebühr zurück? Es ist doch eine
himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn hier nach dem
Motto verfahren wird: Wer sich an die gesetzliche Frist
gehalten hat, ist der Dumme. Und was sagen wir, wenn in
zwei Jahren immer noch nicht das gewünschte Ergebnis,
dass alle 280 000 Anträge gestellt sind, eingetreten ist?
Sie sehen, wie absurd und falsch Ihre Politik auch in die-
ser Frage ist.
Wir sind übrigens auch gegen die nun vorgesehene
Verlängerung der Antragsfrist seitens der F.D.P. bis zum
31. Dezember 2001 bzw. seitens Rot-Grün sogar bis zum
31. Dezember 2002. Hier begegnet § 40 b StAG auch un-
ter integrationspolitischen Gesichtspunkten durchgreifen-
den Bedenken. Diese Vorschrift eröffnet einen Einbürge-
rungsanspruch nämlich auch in solchen Fällen, die mit
den gesetzgeberischen Intentionen offensichtlich nicht zu
vereinbaren sind. Das gilt zum Beispiel dann, wenn das
betreffende Kind nach dem 1. Januar 2000 – etwa zum
Zwecke eines Schulbesuches – aus dem Bundesgebiet
ausgereist ist und sich bis auf Weiteres oder endgültig im
Ausland aufhält. In diesen in der Praxis keineswegs selte-
nen Fällen kann sich die mit der Einbürgerung verbun-
dene, aus unserer Sicht falsche Erwartung einer erleich-
terten Integration in die deutschen Lebensverhältnisse
von vornherein nicht erfüllen. Im Falle einer Verlänge-
rung der Antragsfrist nach § 40 b StAG bestünde die Ge-
fahr, dass die insoweit möglichen integrationspolitisch
bedenklichen Fälle in der Zukunft noch zunehmen wer-
den.
Insgesamt wird wieder einmal rot-grünes Stückwerk
beim Staatsbürgerschaftsrecht produziert. Das Staatsbür-
gerschaftsrecht ist seiner Natur nach in besonderem Maße
auf Kontinuität und Berechenbarkeit angelegt. Die mit
diesem Gesetzentwurf intendierte Verlängerung der – aus
guten Gründen auf ein Jahr befristeten – Übergangsrege-
lung des § 40 b StAG widerspricht diesem Grundsatz aber.
Es ist zudem eine Illusion, anzunehmen, dieses einmal in
Gang gebrachte Gesetzgebungsverfahren könne auf die-
ses eine Thema beschränkt bleiben. Es dürfte vielmehr in
naher Zukunft wiederum eine Novelle zu erwarten sein,
die punktuell und unter Inkaufnahme neuer Ungereimt-
heiten bestimmte Einzelregelungen bringt. Eine umfas-
sende, von der CDU/CSU geforderte Reform des Staats-
angehörigkeitsrechtes wird in dieser Legislaturperiode,
entgegen den Ankündigungen von Rot-Grün, offensicht-
lich nicht mehr kommen. Parallel dazu arbeitet auch noch
eine Kommission der Bundesregierung, deren Ergebnisse
offensichtlich schon jetzt keine Rolle mehr spielen, wenn
hier Einzelfälle in Einzelgesetzen geregelt werden. Das ist
Stückwerk und dieses lehnt die CDU/ CSU-Fraktion ab.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 155. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. März 200115278
(C)
(D)
(A)
(B)
Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die Reform des Staatsan-
gehörigkeitsrechts, die vor gut einem Jahr in Kraft getre-
ten ist, war ein bedeutender Schritt zur Integration der hier
lebenden Ausländer, vor allem der in Deutschland gebo-
renen Kinder ausländischer Eltern. Erstmals wurde im
deutschen Staatsangehörigkeitsrecht das so genannte Ge-
burtsortsprinzip verankert, mit dem das Abstammungs-
prinzip in sinnvoller Weise ergänzt worden ist. So erhal-
ten die hier geborenen Kinder, von denen angenommen
werden kann, dass sie in Deutschland ihre Heimat haben
werden, von Anfang an den gleichen Rechtsstatus wie die
Kinder deutscher Eltern. Wir haben uns von der Überzeu-
gung leiten lassen, dass ein möglichst frühzeitiger Erwerb
der deutschen Staatsangehörigkeit den hier aufwachsen-
den Kindern ausländischer Eltern die Integration in
Deutschland wesentlich erleichtert.
Damit es zu nennenswerten Integrationsfortschritten
kommt, haben wir darüber hinaus eine Art Altfallregelung
geschaffen, mit der dieses Integrationsangebot auch von
den bereits vor In-Kraft-Treten der Reform geborenen
Kindern in Anspruch genommen werden kann, wenn sie
das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Diese
Kinder haben einen Einbürgerungsanspruch, wenn sie un-
ter Geltung der neuen Regelung kraft Geburt die deutsche
Staatsangehörigkeit erworben hätten und diese Vorausset-
zungen auch aktuell noch vorliegen.
Die Frist für die Inanspruchnahme dieser Regelung in
§ 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes ist Ende letzten
Jahres abgelaufen. Wir wollen sie nun verlängern, weil
von der Regelung nicht in dem Umfang Gebrauch ge-
macht wurde, wie es der Gesetzgeber seinerzeit erhofft
hatte. Die Bundesregierung hat ermittelt, dass nur etwa
10 Prozent der etwa 280 000 Einbürgerungsberechtigten
einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Sicherlich
gibt es dafür mehrere Gründe. Als ein Hauptgrund wird
von den betroffenen Kreisen selbst aber die Höhe der zu
entrichtenden Einbürgerungsgebühr von 500 DM pro
Kind genannt. Das Gesetz sieht zwar die Möglichkeit der
Gebührenermäßigung oder -befreiung vor. Die Bundesre-
gierung hat über die Anwendung dieser Möglichkeit mit
den Ländern im Rahmen der Allgemeinen Verwaltungs-
vorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht jedoch keine
Einigung erzielen können. Die Länder machen von dieser
Möglichkeit zu wenig und nicht einheitlich Gebrauch.
Deshalb ist das zweite Ziel unseres Gesetzentwurfs,
die Einbürgerungsgebühr für minderjährige Kinder gene-
rell auf 100 DM herabzusetzen. Die Verlängerung der An-
tragsfrist ist nämlich nur dann wirklich sinnvoll, wenn zu-
gleich das Haupthindernis für die Inanspruchnahme der
Regelung beseitigt wird.
Die Bundesregierung hat einen fast gleich lautenden
Gesetzentwurf vorgelegt. Der einzige Unterschied zu un-
serem Entwurf besteht darin, dass die F.D.P, eine Frist-
verlängerung bis Ende 2001 vorschlägt, während die Bun-
desregierung die Frist bis zum Ende des nächsten Jahres
verlängern will. Dies ist angesichts des um drei Monate
späteren Vorlagedatums und mit Blick auf die voraus-
sichtliche Dauer des Gesetzgebungsverfahrens auch kon-
sequent. Auch wenn es sich die Koalition natürlich hätte
einfacher machen können, indem sie einen entsprechen-
den Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf vorlegt:
Wir begrüßen, dass sie sich das Anliegen der F.D.P. zu ei-
gen gemacht hat. Ich würde mich freuen, wenn auch die
CDU/CSU-Fraktion trotz ihrer Ablehnung der Reform
des Staatsangehörigkeitsrechts dieser Änderung zustim-
men würde. Sie sollte einsehen, dass sich die Neuregelung
insgesamt bewährt hat und dass es hier um eine Verbesse-
rung der Integrationschancen für die Kinder ausländischer
Eltern zum Nutzen unserer gesamten Gesellschaft geht.
Die wichtigen Integrationsfortschritte, die mit einer Ein-
bürgerung hier geborener Kinder ausländischer Eltern er-
reicht werden können, dürfen nicht an zu engen formalen
Voraussetzungen scheitern. Vielleicht ist es in diesem Zu-
sammenhang hilfreich, daran zu erinnern, dass sich die
Kinderkommission des Bundestages einstimmig für eine
Fristverlängerung und eine Senkung der Einbürgerungs-
gebühr ausgesprochen hat. Lassen Sie uns die Tür, die
§ 40 b StAG bietet, also noch ein wenig weiter öffnen und
etwas länger offen halten.
Ulla Jelpke (PDS): Mit den Gesetzentwürfen, über
die wir hier diskutieren, soll für Kinder die Einbürge-
rungsgebühr verringert und die Frist für den Einbürge-
rungsantrag verlängert werden. Außerdem soll der Bun-
destag die Bundesregierung auffordern, die Betroffenen
über den Einbürgerungsanspruch für Kinder nach § 40 b
des Staatsangehörigkeitsgesetzes zu informieren, und an
die Landesregierungen appellieren, die gesetzliche Mög-
lichkeit der Gebührenbefreiung oder -ermäßigung ernst-
haft in Betracht zu ziehen. Alles richtige und ehrenwerte
Vorschläge, die keiner ablehnen kann. Aber sie gehen am
Kern des Problems vorbei, nämlich an den eigentlichen
Schwachstellen des „reformierten“ Staatsangehörigkeits-
rechts.
Die Zahlen der tatsächlichen Einbürgerungen entspre-
chen bei weitem nicht den hoch gesteckten Erwartungen,
die mit dem In-Kraft-Treten des neuen Staatsangehörig-
keitsgesetzes verbunden waren. Vielleicht zwei Drittel
derjenigen, an die das Angebot der Einbürgerung gerich-
tet war, haben dies – so Schätzungen – auch angenommen
beziehungsweise annehmen können. Genaue Zahlen sind
bislang nicht bekannt gemacht worden. Wir werden des-
halb hierzu in den nächsten Tagen eine Kleine Anfrage
einbringen.
Die Gründe dafür, dass das neue Recht zu keiner Bes-
serung der Lage geführt hat, sind vielfältig und haben mit
den gravierenden Schwachstellen des geltenden Rechts
zu tun. Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden
Zeit kann ich hier nur einige stichwortartig auflisten.
Das Staatsangehörigkeitsgesetz zwingt die in Deutsch-
land geborenen Kinder ausländischer Eltern, die eine
„Schnupperstaatsangehörigkeit“ unter Beibehaltung ihrer
bisherigen Nationalität erworben haben, sich bis zum
23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten
zu entscheiden. DasAusländergesetz verlangt in den übri-
gen Fällen, dass der Einbürgerungsbewerber vor Antrag-
stellung die bisherige Staatsangehörigkeit verloren hat
oderaufgibt.KönnenSiesichvorstellen,welcheseelischen
Konflikte Sie damit ausgelöst haben? Viele Menschen
haben noch enge – emotionale, kulturelle, rechtliche –
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Beziehungen zu dem Land, aus dem sie gekommen sind.
Diese Bindungen drohen zu zerreißen, wenn sie die bis-
herige Staatsangehörigkeit aufgeben. Viele Eltern haben
Angst vor„Loyalitätskonflikten“ zwischen ihnen und der
alten Heimat einerseits und den Kindern andererseits. Für
sie ist es undenkbar, dass ihre Kinder die alte Staatsan-
gehörigkeit aufgeben, weil sie noch enge emotionale und
auch bürgerlich-rechtliche Bindungen an das Herkunfts-
land haben, die sie nicht aufgeben, sondern im Gegenteil
pflegen und erhalten wollen.
Andererseits leben alle diese Menschen seit Jahren,
wenn nicht seit Generationen in Deutschland, haben sich
hier integriert, haben zur Entwicklung dieses Landes ei-
nen großen Beitrag geleistet. Sie zahlen Steuern, Versi-
cherungsbeiträge; sie engagieren sich in Vereinen und Or-
ganisationen; sie bereichern auf vielfältige Weise das
alltägliche Leben in unserem gemeinsamen Land. Sie als
deutsche Staatsangehörige anzuerkennen mit allen Rech-
ten und Pflichten ist somit eigentlich nicht mehr als eine
Selbstverständlichkeit. Weil man aber auf Teufel komm
raus an der Fiktion festhalten wollte, es dürfe keine – oder
zumindest nur in äußerst geringem Umfang – Mehrstaat-
lichkeit geben, zwingt man die Menschen zu den be-
schriebenen Konflikten.
Die Lösung des Problems wäre eigentlich sehr einfach.
Der Europarat hat am 6. November 1997 in Straßburg das
Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörig-
keit zur Unterzeichnung aufgelegt. Das Abkommen ist am
1.März 2000 in Kraft getreten. Deutschland gehört zu den
wenigen Mitgliedstaaten des Europarates – und zu der
kleinen Minderheit innerhalb der Europäischen Union –,
die dieses Abkommen bisher weder unterzeichnet noch
ratifiziert haben.
Das Abkommen sieht zum Beispiel in seinem Art. 14
vor, dass ein Vertragsstaat Kindern, die bei der Geburt
ohne weiteres verschiedene Staatsangehörigkeiten erwor-
ben haben, die Beibehaltung dieser Staatsangehörigkeiten
gestattet, also Mehrstaatlichkeit ausdrücklich und ohne
jedes „Optionsmodell“ ermöglicht. Nach Art. 17 Abs. 1
des Abkommens haben die Staatsangehörigen eines Ver-
tragsstaates, die eine weitere Staatsangehörigkeit besit-
zen, im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates dieselben
Rechte und Pflichten wie jeder andere Staatsangehörige
des Vertragsstaates auch.
Mehrstaatlichkeit ist danach kein Problem mehr. Der
Vertrag gibt uns somit die Möglichkeit an die Hand, un-
sere eigenen hausgemachten Probleme zumindest zum
Teil zu lösen. Wir appellieren deshalb zum wiederholten
Male an die Bundesregierung: Unterzeichnen Sie endlich
das Europäische Übereinkommen über die Staatsan-
gehörigkeit und legen Sie es dem Parlament zur Ratifika-
tion vor!
Ein zusätzliches Problem sind die in § 85 des Auslän-
dergesetzes normierten weiteren Anforderungen an den
Einbürgerungsbewerber. Er muss zum Beispiel erklären,
dass er sich immer brav und verfassungstreu verhalten
wird. Zweifel an der „Ernsthaftigkeit“ der Erklärung
führen zur Verweigerung der Einbürgerung. Was soll das?
Bestrebungen, ernsthaft die Werte des Grundgesetzes an-
zugreifen, bekämpft man mit dem Strafrecht. Welcher
Skinhead hat jemals seine deutsche Staatsangehörigkeit
verloren, weil er Mitglied einer Nazibande war? Aber bei
Ausländern soll die Staatsangehörigkeit an eine Gesin-
nungsprüfung geknüpft sein. Viele gerade politisch enga-
gierte Menschen, die für unser demokratisches Ge-
meinwesen eine Bereicherung darstellen, weigern sich,
diese entwürdigende Prozedur über sich ergehen zu las-
sen.
Die in § 86 des Ausländergesetzes verlangten „ausrei-
chenden Kenntnisse der deutschen Sprache“ haben zu
zahlreichen Problemen geführt, an denen auch die inzwi-
schen erlassenen Verwaltungsvorschriften kaum etwas
geändert haben. Ein Beispiel: Ein junger Mann hat sich an
mich gewandt mit der Bitte um Hilfe, weil die Behörde sei-
nen Antrag auf Einbürgerung ablehnen will. Er erfüllt alle
sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen, ist aber an der
Sprachprüfung gescheitert. Auf der Arbeitsstelle, im tägli-
chen Leben hat er überhaupt keine Probleme mit der Ver-
ständigung auf Deutsch. Nur den Text, den er bei der
Behörde lesen und erklären sollte, konnte er nicht verste-
hen. Grund: Er ist partieller Analphabet und hat deshalb
mit schriftlichen Texten, egal in welcher Sprache sie ge-
schrieben sind, enorme Schwierigkeiten. Seine Behinde-
rung schließt ihn somit von der deutschen Staatsan-
gehörigkeit aus. Ich habe Zweifel daran, dass dies mit dem
Benachteiligungsverbot von Behinderten vereinbar ist.
Das Staatsangehörigkeitsrecht muss dringend weiter
überarbeitet werden. Deutschland muss endlich dem Eu-
ropäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit
beitreten. Das Thema wird den Deutschen Bundestag wei-
ter beschäftigen. Die PDS-Fraktion wird hierzu Vor-
schläge vorlegen.
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast: Parl. Staatssekretä-
rin beim Bundesminister des Innern: in einigen Wochen
werden wir aus allen Regionen der Bundesrepublik verläss-
liche Angaben dazu haben, wie das neue Staatsangehörig-
keitsgesetz im ersten Jahr nach seinem In-Kraft-Treten an-
genommen worden ist. Und dann wird sich zeigen, dass es
sich insgesamt zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, kei-
ner überschwänglichen, aber einer mit einem verlässlichen,
positiven Trend. Und der zeigt sich auch und gerade bei der
größten Gruppe von Migranten in unserem Land, nämlich
den Menschen türkischer Herkunft. Das lässt sich aus den
schon vorliegenden Zahlen ableiten und das hat auch das
Zentrum für Türkeistudien schon vor ein paar Wochen in
einer Untersuchung herausgefunden.
Dank der Einführung des ius soli, dem wohl wichtigs-
ten Teil der Reform, haben schon rund 50 000 der Kinder
ausländischer Eltern, die im vergangenen Jahr zur Welt
kamen, einen deutschen Pass. Aber das Gesetz hat auch
einen, salopp gesagt, „Durchhänger“. Anspruchsberechtigt
für die Einbürgerung sind weitere 280000 Kinder, die
zwischen 1990 und 1999 geboren wurden. Von dieser
Möglichkeit haben die Eltern jedoch spärlich Gebrauch
gemacht: Nur für 30 000 Kinder sind bis zum Ablauf der
vorgesehenen Frist – das war das Jahresende 2000 –
Anträge gestellt worden. Vielen Familien leuchtet es of-
fenbar nicht ein, warum sie für die bis zu zehnjährigen,
vor dem 1. Januar 2000 geborenen Söhne und Töchter
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nicht nur einen Antrag einreichen, sondern im Normalfall
auch 500 DM zahlen müssten, während die im Jahr 2000
geborenen Kinder automatisch die deutsche Staatsange-
hörigkeit erhalten.
Wir haben im Bundesinnenministerium frühzeitig
dieses Manko erkannt und seit dem vergangenen Sommer
gezielt und nachdrücklich bei den Ländern für eine
generelle Gebührenermäßigung auf 100 DM geworben.
Einige Länder folgten dieser Aufforderung, andere nicht.
Wir wollen aber eine einheitliche Regelung und wir wollen,
dass das Gesetz als Chance gesehen und in allen seinen
Angeboten intensiv genutzt wird. Deshalb hat der Bun-
desinnenminister einen Regierungsentwurf eingebracht,
der am 24. Januar vom Bundeskabinett beschlossen worden
ist. Er sieht vor, die Antragsfrist für Einbürgerungen nach
§ 40 b des Staatsangehörigkeitsrechts um zwei Jahre, also
bis zum 31. Dezember 2002 zu verlängern und die Gebühr
allgemein auf 100 DM herabzusetzen. Das gibt den Mi-
grantenfamilien ausreichend Zeit und strapaziert das Porte-
monnaie nicht. Wir hoffen, dass viele, die bisher zögerten,
nun das neue Gesetz eifrig nutzen.
Ich appelliere auch an die Länder, sich zu einem positiven
Votum zu entschließen. Morgen schon steht der Entwurf auf
der Tagesordnung des Bundesrates und das Rennen zuguns-
ten der nun vorgeschlagenen Regelung ist noch nicht
gelaufen. Natürlich ist mir bewusst, dass die Länder für die
Einbürgerungen insgesamt einen Verwaltungsaufwand zu
bewältigen haben. Der dürfte sich aber bei der Einbürgerung
der bis zu Zehnjährigen in Grenzen halten.
Frühzeitige Einbürgerung ist auch ein deutliches Si-
gnal an die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer. Inte-
gration frühzeitig zu fördern spart letztendlich Geld und
Mühen, die später aufgewandt werden müssen, wenn sich
die Jugendlichen von der deutschen Gesellschaft ab-
gewendet und die Chance zur gleichberechtigten Teilhabe
in allen Bereichen des Lebens nicht wahrgenommen
haben. Mich interessiert auch sehr, ob und wie die F.D.P.-
Bundestagsfraktion, die ja mit ihren Anträgen die gleiche
Zielrichtung verfolgt wie wir, ihren Einfluss auf die Län-
der geltend macht, in denen sie an der Regelung beteiligt
ist, zum Beispiel in Baden-Württemberg.
Die Kindereinbürgerung ist das Herzstück der Staats-
angehörigkeitsreform. Helfen Sie alle gemeinsam mit,
um diesem Herzstück die Beachtung zu geben, die es
verdient!
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Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin