Protokoll:
14141

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 141

  • date_rangeDatum: 8. Dezember 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:11 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 13789 A Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Frak- tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Erkenntnisse der Verfassungs- schutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Natio- naldemokratischen Partei Deutsch- lands“ hier: Entscheidung des Deutschen Bun- destages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfas- sungswidrigkeit der „Nationaldemokra- tischen Partei Deutschlands“ (NPD) ge- mäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungs- gerichtsgesetz (Drucksachen 14/4500, 14/4923) . . . . . . . 13789 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktion CDU/CSU: Verfas- sungswidrigkeit der „Nationaldemokra- tischen Partei Deutschlands“ (Drucksache 14/4883) . . . . . . . . . . . . . . . . 13789 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktion F.D.P.: Für eine wirk- same und nachhaltige Bekämpfung des Rechtsextremismus – deshalb gegen ein NPD-Verbot (Drucksache 14/4888) . . . . . . . . . . . . . . . . 13789 D in Verbindung mit Antrag der Fraktion PDS: Bestrebungen zur Wiederbelebung nationalsozialisti- schen Gedankenguts sind verfassungs- widrig (Drucksache 14/4897) . . . . . . . . . . . . . . . . 13789 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 13789 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 13791 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13794 B Dr. Guido Westerwelle F.D.P . . . . . . . . . . . . . 13796 A Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13798 B Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13800 B Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 13801 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13803 D Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13805 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Vereinbarte Debatte zur Steuerpolitik . . . 13807 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . . . . . 13807 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 13808 B Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . . . . . 13809 A Dr. Barbara Hendricks SPD . . . . . . . . . . . 13810 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13811 C Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 13814 A Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13814 B Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . . . . 13814 C Plenarprotokoll 14/141 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 141. Sitzung Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 I n h a l t : Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13815 D Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13817 A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . 13817 D Gerda Hasselfeldt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 13820 A Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13821 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13823 A Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13823 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Einführung einer Entfer- nungspauschale (Drucksachen 14/4242, 14/4435, 14/4631, 14/4899, 14/4942) . . . . 13823 B Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Fünften Gesetz zur Änderung des Straf- vollzugsgesetzes (Drucksachen 14/3763, 14/4452, 14/4622, 14/4943) . . . . . . . . . . . 13823 C Ludwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13823 D Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die sozialen Sicherungssysteme öf- fentlich machen (Drucksache 14/4645) . . . . . . . . . . . . . 13824 A b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversiche- rung, insbesondere über die Entwick- lung der Einnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversi- cherungsbericht 2000) und Gutach- ten des Sozialbeirats zum Rentenver- sicherungsbericht 2000 (Drucksache 14/4730) . . . . . . . . . . . . . 13824 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Jährliche Vorlage einer Generatio- nenbilanz und Aufnahme der Daten in die Haushaltsstatistik des Bundes (Drucksachen 14/1758, 14/4910) . . . . . 13824 B Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13824 B Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 13827 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13828 C Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 13829 C Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13830 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13831 B Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 13832 A Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartner- schaftsgesetzes und anderer Gesetze (Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungs- gesetz) (Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550, 14/4875, 14/4878) . . . . 13833 C Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 13833 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 13835 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13836 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13837 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13838 B Tagesordnungspunkt 29: c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, insbesondere zur Durchführung der EG-Richtlinie 98/78/EG vom 27. Ok- tober 1998 über die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versiche- rungsgruppe angehörenden Versi- cherungsunternehmen sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro (Drucksachen 14/4453, 14/4921) . . . . . 13839 A Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Feststel- lung des Wirtschaftsplans des ERP- Sondervermögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2001) (Drucksachen 14/4299, 14/4930) . . . . . 13839 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000II ten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: ERP-Sondervermögen für Mit- telstandsförderung erhöhen (Drucksachen 14/4556, 14/4931) . . . . . 13839 C Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Barnett, Silvia Schmidt (Eisleben), weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Teil- habe von Gehörlosen und Ertaubten an der Infomationsgesellschaft – Gleichberechtigten Zugang zum Fernsehen sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Diemers, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Verbesserung des Pro- grammangebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte und Blinde im Fernsehen und den neuen Medien (Drucksachen 14/3382, 14/4385, 14/4917) 13839 D Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13840 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13841 B Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13842 A Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13844 A Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13844 D Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zurVerbesserung der betriebli- chen Altersversorgung (Drucksachen 14/4363, 14/4918) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13845 D Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zurBekämpfung gefährlicher Hunde (Drucksachen 14/4451, 14/4920) . . . . . . . . . . . . . . . . 13846 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Bevölkerung wirksam vor „Kampfhunden“ schüt- zen (Drucksachen 14/3785, 14/4919) 13846 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Obligatori- sche Haftpflichtversicherung für Hunde (Drucksachen 14/3825, 14/4916) 13846 C Tagesordnungspunkt 24: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion PDS zu der vereinbarten Debatte zur aktuellen Situation in Nahost (Druck- sachen 14/4398, 14/4847) . . . . . . . . . . 13847 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Günther Friedrich Nolting, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Fürdie Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) (Drucksachen 14/4392, 14/4848) . . . . . . . . . . . . . . . . 13847 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13847 B Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13848 B Joachim Hörster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13849 A Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 13850 C Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts – GvKostRNeuOG – (Drucksachen 14/3432, 14/4913) . . . . . . . . . . . . . . . . 13851 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuer- beratergebührenverordnung auf Euro – KostREuroUG – (Drucksa- chen 14/4222, 14/4908) . . . . . . . . . . . 13851 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 III Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.: Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Drucksachen 14/3485) . . . . . . . . . . . . . . 13852 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13852 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13853 C Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 13854 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13854 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 13856 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13856 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13857 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Hans Peter Bartels (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sitzung, Tagesordnungspunkt III; Einzel- plan 14 – Bundesministerium der Verteidi- gung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13858 A Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Detlef Dzembritzki (SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sitzung, Tagesordnungspunkt III; Einzel- plan 14 – Bundesministerium der Verteidi- gung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13858 B Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Konrad Gilges (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushalts- gesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sit- zung, Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) . . . . . . 13858 C Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Anke Hartnagel (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushalts- gesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sit- zung, Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) . . . . . . 13858 C Anlage 6 Erklärung desAbgeordnetenGertWeisskirchen (Wiesloch) (SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sitzung, Tagesordnungspunkt III; Einzel- plan 14 – Bundesministerium der Verteidi- gung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13858 D Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Jochen Welt (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushalts- gesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (136. Sit- zung, Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) . . . . . . 13858 D Anlage 8 Erklärung der Abgeordneten Anni Brandt- Elsweier (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4765 (135. Sitzung, Tagesordnungspunkt III; Einzel- plan 06 – Bundesministerium des Innern) . . . 13859 A Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Matthias Weisheit (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4765 (135. Sitzung, Tagesordnungspunkt III; Einzel- plan 06 – Bundesministerium des Innern) . . . 13859 A Anlage 10 Erklärung des Abgeordneten Hans-Eberhard Urbaniak (SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Entschließungsantrag der Frak- tion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Druck- sache 14/4823 (138. Sitzung, Tagesordnungs- punkt IV; Einzelplan 30 – Bundesminis- terium für Bildung und Forschung) . . . . . . . . . 13859 B Anlage 11 Erklärung des Abgeordneten Uwe Göllner (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000IV Entschließungsantrag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haus- haltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4779 (138. Sitzung, Tagesordnungspunkt IV; Ein- zelplan 12 – Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) . . . . . . . . . . . . . . 13859 B Anlage 12 Erklärung des Abgeordneten Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Entschließungsan- trag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4779 (138. Sitzung, Tagesord- nungspunkt IV; Einzelplan 12 – Bundesminis- terium für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- sen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13859 C Anlage 13 Erklärung des Abgeordneten Helmut Wieczorek (Duisburg) (SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Entschließungsan- trag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4823 (138. Sitzung, Tagesord- nungspunkt IV; Einzelplan 30 – Bundesminis- terium für Bildung und Forschung) . . . . . . . . 13859 C Anlage 14 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses: Erkenntnisse der Ver- fassungsschutzbehörden von Bund und Län- dern zur Verfassungswidrigkeit der „National- demokratischen Partei Deutschlands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest- stellung der Verfassungswidrigkeit der „Natio- naldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfas- sungsgerichtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 13859 C Anlage 15 Erklärung der Abgeordneten Angelika Beer und Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Innenausschusses: Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Na- tionaldemokratischen Partei Deutschlands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundesta- ges über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutsch- lands“ (NPD) gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bun- desverfassungsgerichtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . 13860 B Anlage 16 Erklärung des Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des In- nenausschusses: Erkenntnisse der Verfas- sungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemo- kratischen Partei Deutschlands“. Hier: Ent- scheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststel- lung der Verfassungswidrigkeit der „National- demokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäßArtikel 21Absatz 2 Grundgesetz i. V.m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsge- richtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13861 A Anlage 17 Erklärung der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des In- nenausschusses: Erkenntnisse der Verfas- sungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemo- kratischen Partei Deutschlands“. Hier: Ent- scheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststel- lung der Verfassungswidrigkeit der „National- demokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäßArtikel 21Absatz 2Grundgesetz i.V.m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsge- richtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13861 D Anlage 18 Erklärung der Abgeordneten Konrad Gilges und Dr. Axel Berg (beide SPD) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des In- nenausschusses: Erkenntnisse der Verfas- sungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemo- kratischen Partei Deutschlands“. Hier: Ent- scheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststel- lung der Verfassungswidrigkeit der „National- demokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäßArtikel 21Absatz 2Grundgesetz i.V.m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsge- richtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13862 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 V Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschafts- plans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirtschaftsplange- setz 2001) und – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: ERP- Sondervermögen für Mittelstandsför- derung erhöhen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . 13862 D Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13864 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13865 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13866 A Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13866 C Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen – Teilhabe von Gehörlosen und Ertaubten an der Informationsgesellschaft – Gleichberechtigten Zugang zum Fern- sehen sichern und – Verbesserung des Programmangebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbe- hinderte und Blinde im Fernsehen und den neuen Medien (Tagesordnungspunkt 21) Grietje Bettin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13867 B Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zur Verbesserung der be- trieblichen Altersversorgung (Tagesordnungs- punkt 22) Peter Enders SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13868 B Meinrad Belle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 13869 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13870 A Dr. Max Stadler F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 13870 B Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 13870 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde, – des Berichts: Bevölkerung wirksam vor „Kampfhunden“ schützen und – des Berichts: Obligatorische Haft- pflichtversicherung für Hunde (Tagesordnungspunkt 23 a bis c) Ernst Bahr SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13871 B Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 13872 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13873 D Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . . 13874 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 13875 A Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 13875 C Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu dem Entschließungsantrag der Frak- tion PDS zu der vereinbarten Debatte zur aktuellen Situation in Nahost und – für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO) (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 13876 D Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwürfe: – Neuordnung des Gerichtsvollzieherkos- tenrechts – GVKostRNeuOG und – Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf Euro – KostREuroUG (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 13878 A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 13878 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13879 B Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13879 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13880 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 13880 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000VI Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ende der doppelten Benachteili- gung für die Rechtsanwälte in den neuen Län- dern (Tagesordnungspunkt 27) Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 13881 C Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 13882 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 13882 C Anlage 26 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13883 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 Andrea Voßhoff 13856 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13857 (C) (D) (A) (B) Aigner, Ilse CDU/CSU 08.12.2000 Balt, Monika PDS 08.12.2000 Barthle, Norbert CDU/CSU 08.12.2000 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 08.12.2000 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 08.12.2000 Beucher, Friedhelm SPD 08.12.2000 Julius Bindig, Rudolf SPD 08.12.2000* Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 08.12.2000 Bonitz, Sylvia CDU/CSU 08.12.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 08.12.2000** Klaus Burchardt, Ursula SPD 08.12.2000 Caesar, Cajus CDU/CSU 08.12.2000 Dautzenberg, Leo CDU/CSU 08.12.2000 Diemers, Renate CDU/CSU 08.12.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 Joseph DIE GRÜNEN Freitag, Dagmar SPD 08.12.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 08.12.2000 Gloser, Günter SPD 08.12.2000 Göring-Eckardt, BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 Katrin DIE GRÜNEN Grasedieck, Dieter SPD 08.12.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 08.12.2000 Großmann, Achim SPD 08.12.2000 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 08.12.2000 Heiderich, Helmut CDU/CSU 08.12.2000 Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 DIE GRÜNEN Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 DIE GRÜNEN Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 DIE GRÜNEN Hornung, Siegfried CDU/CSU 08.12.2000** Ibrügger, Lothar SPD 08.12.2000 Imhof, Barbara SPD 08.12.2000 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 08.12.2000 Klose, Hans-Ulrich SPD 08.12.2000 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 08.12.2000** Kopp, Gudrun F.D.P. 08.12.2000 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 08.12.2000 Lennartz, Klaus SPD 08.12.2000 Lietz, Ursula CDU/CSU 08.12.2000 Lörcher, Christa SPD 08.12.2000* Dr. Lucyga, Christine SPD 08.12.2000** Maaß, (Wilhelmshaven) CDU/CSU 08.12.2000** Erich, Michelbach, Hans CDU/CSU 08.12.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 08.12.2000 Müller (Berlin), PDS 08.12.2000 Manfred Nahles, Andrea SPD 08.12.2000 Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 DIE GRÜNEN Ostrowski, Christine PDS 08.12.2000 Rauber, Helmut CDU/CSU 08.12.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 08.12.2000 Schaich-Walch, Gudrun SPD 08.12.2000 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 08.12.2000 Schily, Otto SPD 08.12.2000 Schloten, Dieter SPD 08.12.2000** Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 08.12.2000** Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 08.12.2000 Schröder, Gerhard SPD 08.12.2000 Schultz, (Everswinkel) SPD 08.12.2000 Reinhard Schur, Gustav-Adolf PDS 08.12.2000 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 08.12.2000 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 08.12.2000 Türk, Jürgen F.D.P. 08.12.2000 Uldall, Gunnar CDU/CSU 08.12.2000 Wieczorek, (Duisburg) SPD 08.12.2000 Helmut Wimmer (Karlsruhe), SPD 08.12.2000 Brigitte Wolf, Aribert CDU/CSU 08.12.2000 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 08.12.2000 Margareta DIE GRÜNEN Wülfing, Elke CDU/CSU 08.12.2000 Dr. Zöpel, Christoph SPD 08.12.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Hans Peter Bartels (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesordnungs- punkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Detlef Dzembritzki (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag der Fraktion PDS zu der zweiten Be- ratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium derVerteidi- gung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilgenommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013858 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 4 Erklärung des Abgeordneten Konrad Gilges (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesordnungs- punkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 5 Erklärung der Abgeordneten Anke Hartnagel (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesordnungs- punkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium der Verteidigung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 6 Erklärung des Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushalts- gesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesord- nungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministe- rium der Verteidigung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 7 Erklärung des Abgeordneten Jochen Welt (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Änderungs- antrag der Fraktion PDS zu der zweiten Bera- tung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4719 (Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 14 – Bundesministerium derVerteidi- gung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 8 Erklärung der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Be- ratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4765 (Tagesordnungspunkt III; Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 9 Erklärung des Abgeordneten Matthias Weisheit (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion PDS zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4765 (Tagesordnungs- punkt III; Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Ich erkläre, dass ich an der Abstimmung teilge- nommen habe und mein Votum „Nein“ lautet. Anlage 10 Erklärung des Abgeordneten Hans-Eberhard Urbaniak (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsge- setzes 2001 – Drucksache 14/4823 (Tagesord- nungspunkt IV; Einzelplan 30 – Bundesministe- rium für Bildung und Forschung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 11 Erklärung des Abgeordneten Uwe Göllner (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entschlies- sungsantrag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4779 (Tagesordnungs- punkt IV; Einzelplan 12 – Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) Ich erkläre, dass ich meine Stimme abgegeben und mit „Nein“ gestimmt habe. Anlage 12 Erklärung des Abgeordneten Helmut Wieczorek (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4779 (Tagesordnungs- punkt IV; Einzelplan 12 – Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 13 Erklärung des Abgeordneten Helmut Wieczorek (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion F.D.P. zu der dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 – Drucksache 14/4823 (Tagesordnungs- punkt IV; Einzelplan 30 – Bundesministerium für Bildung und Forschung) Mein Name ist in der Abstimmungsliste nicht aufge- führt. Mein Votum lautet „Nein“. Anlage 14 Erklärung des Abgeordneten Volker Beck (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Innenausschusses: Er- kenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutsch- lands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest- stellung der Verfassungswidrigkeit der „Na- tiondemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsge- richtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesord- nungspunkt 19) Trotz erheblicher Skepsis werde ich mich einem An- trag auf Verbot der NPD nicht entgegenstellen. Es kann als gesichert angesehen werden, dass die NPD und ihre Mitglieder darauf aus sind, „die freiheitliche demokrati- sche Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu ge- fährden“. Hierfür bieten die Materialunterlagen des Bun- desministeriums des Inneren und andere Erkenntnisse hinreichend Belege. Knüpft das Bundesverfassungsgericht an seine Recht- sprechung zum Verbot von SRPund der KPD an, dürfen da- mit auch die Voraussetzungen für ein Verbot der NPD Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13859 (C) (D) (A) (B) erfüllt sein. Prüft das Bundesverfassungsgericht eigenstän- dig die Verhältnismäßigkeit eines Verbots, muss der Nach- weis geführt werden, dass ein Zusammenhang zwischen der Zunahme rechtsextremistischer Straftaten und der NPD oder eine andere erhebliche konkrete Gefährdung des de- mokratischen und sozialen Rechtsstaates durch die NPD nachweisbar ist. Ein Verbot zumindest der „Jungen Natio- naldemokraten“, JN, der revolutionären Plattform und an- der Teilorganisationen, dürfte auch unter diesen Gesichts- punkten durchsetzbar sein. Es ist aber nicht nur nach den Erfolgsaussichten einer Maßnahme zu fragen, sondern auch danach, ob sie poli- tisch sinnvoll ist. Hier bestehen Zweifel. Der Rechtsex- tremismus wird nur durch gesellschaftliche Auseinander- setzung, durch klare Abgrenzung und durch Isolation minderheitenfeindlicher Haltungen wirksam bekämpft werden können. Das Verbot der NPD wird keinen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus leisten. Die 6 000 bis 7 000 Mitglieder der NPD werden sich voraus- sichtlich neue Organsiationsformen für ihre Aktivitäten suchen. Es entsteht zudem die Gefahr, dass sich durch ein Verbot sogar ein militanter Teil weiter radikalisiert und in den Terrorismus abdriftet. Es ist zu befürchten, dass der NPD durch das Verbots- verfahren neue Aufmerksamkeit zuteil wird. Durch die Antragstellung der drei Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung kommt der breite Kon- sens zum Ausdruck, der sich gegen die NPD und ihre Ideologie wendet. Da der Verbotsantrag durch Bundesregierung und Bun- desrat gestellt wird, kommt diesem Signal erhöhte Be- deutung zu. Parteienverbote sind für eine Demokratie im Prinzip ein systemfremdes Mittel. Es kann nur mit großer Behut- samkeit zur Anwendung kommen. Gewalttaten, Volksver- hetzung und andere Straftaten sind selbstverständlich mit allem Nachdruck zu verfolgen. Für die geistige Ausei- nandersetzung sollten und können Demokraten aber in al- lererster Linie der Kraft des Arguments vertrauen. Entscheidender als der Verbotsantrag sind daher an- dere Maßnahmen im Kampf gegen den Rechtsextremis- mus, wie sie die Koalition in ihrem Antrag und im Haus- haltsgesetz 2001 niedergelegt hat. Auf die Bedeutung dieser Maßnahmen verweist auch der Antrag in seiner Be- gründung. Die geistige Auseinandersetzung muss nach dem heutigen Tage erst recht gesucht werden. Zu einer glaubwürdigen Strategie der Eindämmung und Isolierung rechtsextremer Haltungen gehört auch, dass demokratischer Politiker nicht Argumentationsmus- ter verwenden und Begriffe prägen, die den Rechtsextre- misten Argumentationsmöglichkeiten an die Hand geben. Anlage 15 Erklärung der Abgeordneten Angelika Beer und Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses: Erkenntnisse der Verfas- sungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemo- kratischen Partei Deutschlands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest- stellung der Verfassungswidrigkeit der „Natio- naldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichts- gesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesordnungspunkt 19) Wir enthalten uns zur Abstimmung des Antrags von SPD und Bündnis 90/Die Grünen und lehnen die Anträge der Opposition ab. Unser Abstimmungsverhalten begründen wir wie folgt: Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeind- lichkeit entstehen in der Mitte der Gesellschaft. Dort müs- sen sie auch bekämpft werden. Der Stellenwert, den die Debatte um ein NPD-Verbot bzw. ein entsprechendes Verbotsverfahren seit Monaten einnimmt, läuft Gefahr, zu suggerieren, dass Verbote die wichtigste Handhabe gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeind- lichkeit darstellen. Die Diskussion läuft Gefahr, sich al- lein auf die Verbotsdebatte der Partei zu konzentrieren und die Entwicklung weiterreichender Instrumente zu be- hindern. Die Gefahr, die von der NPD ausgeht, ist insbesondere aufgrund der verstärkten Zusammenarbeit mit radikalen Kräften und so genannten „Freien Kameradschaften“ of- fensichtlich geworden. Ein Verbotsverfahren der Partei wird allerdings nicht verhindern können, dass sich führende Neonazis und Rechtsradikale eine andere Platt- form suchen und sich entsprechend neu organisieren. Es gibt kein Patentrezept gegen Rechts. Rechtsextreme Tendenzen müssen auf allen gesellschaftlichen und politi- schen Ebenen dauerhaft und konsequent bekämpft wer- den. Die Tatsache, dass jahrelang versäumt worden ist, effektiv und nachhaltig gegen Rechtsextremismus, Anti- semitismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen, darf nicht dazu führen, dass im Ad-hoc-Verfahren demokrati- sche Grundwerte und -rechte, wie zum Beispiel die Ver- sammlungsfreiheit und Justizverfahrensregelungen, be- schnitten werden. Die Demokratie hat ausreichende Möglichkeiten, ge- gen Rechtsextremismus vorzugehen. Dazu bedarf es mündiger Bürgerinnen und Bürger. Grundlegend hierfür ist eine entsprechende Jugendpolitik, die insbesondere am Aufbau einer Zivilgesellschaft ausgerichtet ist. Zudem muss die Politik beispielgebend sein, indem sie eine weltoffene, ausländerfreundliche Politik als präven- tive Querschnittsaufgabe gegen aufkommende rechtsex- tremistische Tendenzen begreift. Dazu zählt insbesondere auch eine verantungsvolle Flüchtlingspolitik. Die Bundesregierung hat mit einem breiten Maßnah- menkatalog deutlich gemacht, dass sie die Aufgabe, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013860 (C) (D) (A) (B) tismus effektiv und nachhaltig zu bekämpfen, ernst nimmt. Entsprechende Schritte sind in der Jugend- und Schulpolitik eingeleitet worden. Die Aufhebung des Ar- beitsverbots für Flüchtlinge ist ebenfalls als ein Beitrag zu verstehen, Vorurteile abzubauen und rechtsextremer Ideo- logie dauerhaft den Boden zu entziehen. Anlage 16 Erklärung des Abgeordneten Wolfgang Börsen (Bönstrup) (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Innenausschusses: Er- kenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutsch- lands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest- stellung der Verfassungswidrigkeit der „Natio- naldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichts- gesetz – Drucksache 14/4923 – (Tagesordnungs- punkt 19) Unsere Demokratie in Deutschland ist jetzt 51 Jahre alt. Sie ist den Wechselströmungen der Gefährdungen ih- rer Stabilität, ob durch Links- oder Rechtsextremisten, er- folgreich begegnet. Abgesehen von den Anfangsjahren, als es galt, einen breiten demokratischen Grundkonsens herzustellen, galt in allen Jahrzehnten stets der gemein- same Wille, Verblendeten, Irregeleiteten, Verbohrten in ihrer extremistischen Auffassung nicht durch Verbote ju- ristisch, sondern politisch zu begegnen. Diese gemeinsame Auffassung verlassen wir heute. 44 Jahre nach der letzten großen Debatte um das Verbot der KPD reagieren wir nicht kommunikativ, dialogbereit auf die unvertretbaren Auswüchse schlimmen rechtsradi- kalen Handelns, sondern demonstrieren durch ein Verbot den starken Staat. Das ist kein Beweis demokratischen Selbstbewusstseins, sondern eher ein Zeichen von man- gelndem Mut zu einer offensiven Auseinandersetzung mit einer radikalen Minderheit. Gleichzeitig beschneiden wir das Recht auf freie Mei- nungsäußerung, ein elementares Grundrecht in einem demokratischen Staat. Vor einer vermeintlichen Droh- und Druckkulisse eines innen- und außenpolitischen An- sehensverlustes unseres Landes weichen wir in der Frage der Meinungsfreiheit zurück, opfern sie ein Stück. Da- mit schaffen wir einen Ansehensverlust unserer Demo- kratie, zeigen als Parlament wenig Vertrauen in unsere gewachsene und gefestigte demokratische Gesellschaft, stellen eine verantwortungsbewusst-kritisch hinterfra- gende Presse infrage. Verbote werden unter diesen Gesichtspunkten symbo- lische Akte. Extremistisches Denken wird damit nicht ab- geschaltet. Die offene Auseinandersetzung mit denen wird schwieriger, die aus der Öffentlichkeit in den Unter- grund abtauchen müssen. Gleichzeitig geht der Hand- lungsdruck, gegen Extremisten aktiv zu werden, für viele zurück. Wir haben ja sichtbar was getan, das Verbot macht unschuldige Hände. Hinzu kommt: Jetzt erst wird die NPD für Anfällige interessant, jetzt erhält sie einen Mär- tyrer-Mantel, jetzt lässt sich viel weniger zwischen den wenigen Fanatikern und den vielen Mitläufern differen- zieren, jetzt erhalten DVU und Republikaner Aufwind. Ich verstehe auch nicht das jetzt aktive Regierungs- handeln. Vor einem halben Jahr noch, bevor Bayern ein NPD-Verbot wollte, war die Mehrheit von Rot-Grün ge- gen eine solche Maßnahme. Dabei haben sich die Fakten, die heute vorgetragen werden, nicht geändert, denn sie umfassen in der Hauptsache Ereignisse und Druck- erzeugnisse aus den Jahren 1995 bis 1998. Was jedoch ge- wechselt hat, ist offensichtlich die öffentliche Meinung. Das kann doch für ein selbstbewusstes Parlament, das un- serem Grundgesetz verpflichtet ist, kein Maßstab sein. Die wirklich entscheidende Frage hat das Bundesver- fassungsgericht beim KPD-Verbot vor 44 Jahren gestellt: Handelt es sich um eine aktiv kämpferische, aggressive Partei, will sie unsere demokratische Ordnung beseitigen? Sollte diese Partei tatsächlich fähig für einen Umsturz un- serer Republik sein? Das kann doch nicht ernsthaft von ei- ner Anzahl Leuten behauptet werden, die 0,003 Prozent unserer Bevölkerung ausmachen. Dieser Maßstab lässt grundsätzliche Zweifel am Verbotsantrag aufkommen. Nach dem letzten Bericht des Bundesverfassungs- schutzes von 1999 leben in der Bundesrepublik 9 000 ge- waltbereite Rechts- und 7 000 gewaltbereite Linksradi- kale. Sie sollten mit konsequenter Anwendung unserer Gesetze und knallharten Strafen gekontert werden. Aber eine Krankheit wie Kopfschmerzen heilt ein Arzt nicht, wenn er sie dem Patienten verbietet. Sie muss gezielt be- handelt werden. Auch im politischen Alltag gilt diese Er- fahrung. Ein Verbot wäre bei tatsächlicher Gefährdung gerecht- fertigt, aber nicht bei vermeintlicher. Anlage 17 Erklärung der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses: Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur Verfassungswid- rigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest- stellung der Verfassungswidrigkeit der „Natio- naldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz i.V.m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz – Drucksache 14/4923 (Tagesordnungspunkt 19) Ich unterstütze alle Maßnahmen der Regierung und der Gesellschaft, Rechtsextremismus, Rassismus und Frem- denfeindlichkeit zu bekämpfen. Alle Mittel des Rechts- und Sozialstaates müssen ausgeschöpft werden, um den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13861 (C) (D) (A) (B) Rechtsextremismus in Deutschland wirkungsvoll zu bekämpfen. Ich halte aber das Instrument des Parteien- verbotes für ein unzureichendes Mittel, dieses Ziel zu er- reichen. Deshalb enthalte ich mich der Stimme. Die Verfassungsfeindlichkeit häufig dezentral agieren- der Gruppen, die mit der NPD in Verbindung stehen oder von ihr gesteuert werden, werden auch nach einem Verbot der NPD schwer kontrollierbar bleiben. Es ist zu vermu- ten, dass andere rechtsextreme Parteien eher einen Zulauf erhalten, gerade auch in der Zeit des zu erwartenden lan- gen Prozessverlaufs im Zusammenhang mit dem Verbot. Es ist zwar nachzuvollziehen, dass dem Rechtsextremis- mus durch das Verbot eine organisatorische Grundlage entzogen würde, die auch die Finanzierung dieser Partei und die Demonstrationen der Partei verhinderte. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die NPD dadurch zu Unrecht „mythologisiert“ würde und eine Verlagerung der rechtsextremistischen Handlungen in andere Parteien stattfinden könnte. Es bleibt das Argument der Verfas- sungswidrigkeit der Partei, die ein Verbot erforderlich macht. Nach der Verfassungsrechtsprechung ist das Par- teienverbot die größte Waffe unseres Staates gegen eine Partei. Dieses Verbot muss allerdings vom Bundesverfas- sungsgericht bestätigt werden. Ich sehe daher den Verbotsantrag als ein Mittel an, das der Bundestag erst dann einsetzen sollte, wenn die demo- kratische Gesellschaft keine andere Wahl mehr hat. Ich sehe mehr Chancen für ein Bekämpfen der NPD, wenn die Parteistrukturen offen erkennbar bleiben und der Rechts- staat mit allen seinen Mitteln gegen sie vorgeht. Diese Mittel können sofort greifen; denn schon jetzt ist das Strafrecht bei jeder Form von körperlichen Attacken, bei dem Tragen neonazistischer Symbole, bei Diskri- minierungen oder Volksverhetzungen anzuwenden. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist vorrangig eine zivilgesellschaftliche Aufgabe. Gerade deswegen soll der Staat nicht signalisieren, dass doch dieses Problem al- lein mit einem Vorgehen regeln könnte, das er mehr sym- bolische als praktische Wirkungen zeitigen wird. Anlage 18 Erklärung der Abgeordneten Konrad Gilges und Dr. Axel Berg (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Innenausschusses: Er- kenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zurVerfassungswidrigkeit der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“. Hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststel- lung der Verfassungswidrigkeit der „Nationalde- mokratischen Partei Deutschlands“ (NPD) ge- mäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz i. V. m. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz – Drucksache 14/4923 – (Tagesordnungspunkt 19) Wir stimmen – trotz erheblicher Bedenken – dem Antrag auf Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) zu. Unsere Bedenken beruhen auf unserem Verfassungs- verständnis, nach dem es kein Parteienverbot in einem de- mokratischen Rechtsstaat geben sollte. Entsprechend sind wir grundsätzlich gegen das Verbot der NPD heute und gegen das Verbot anderer Parteien in der Vergangenheit. Unserem Demokratieverständnis nach muss eine poli- tische Auseinandersetzung politisch geführt werden. Par- teienverbote sind ein Zeichen der Schwäche, besonders in der Demokratie. Dort, wo Politik in kriminelle Bereiche übergeht, ist das Strafrecht zuständig. Seine Möglichkei- ten müssen allerdings von den für die Strafverfolgung zu- ständigen Behörden ausgeschöpft werden. Würden wir jedoch mit Nein stimmen, führte dies zu Missverständnissen bei der extremen Rechten, besonders bei den Nationaldemokraten, der Deutschen Volksunion und den „Republikanern“. Demokratinnen und Demokra- ten dürfen der extremen Rechten keinen Anlass zu Miss- verständnissen geben. Wir möchten jedoch ausdrücklich betonen, dass es in der NPD Kräfte gibt, die kriminell im strafrechtlichen Sinne sind. Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger unserer Republik ist es, eine politische Auseinandersetzung mit der extre- men Rechten auch mit dem Wahlzettel zu führen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden – zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2001) und – zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: ERP-Sonderver- mögen für Mittelstandsförderung erhöhen (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Als Berichter- statterin des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie habe ich heute die angenehme Pflicht, Ihnen über unsere Beschlussfassung zum Wirtschaftsplan des ERP-Sonder- vermögens für das Jahr 2001 zu berichten. Der Wirt- schaftsausschuss und seine mitberatenden Ausschüsse schlagen Ihnen mehrheitlich die Annahme des Gesetzes vor. Leider ist es in diesem Jahr nicht gelungen, jene Ein- stimmigkeit zu erreichen, die seit mehr als einem Jahr- zehnt bei diesem wichtigsten Mittelstandsinstrument des Bundes innerhalb des Unterausschusses ERP-Rahmen- pläne und des Wirtschaftsausschusses gute Übung war. Gleichwohl darf ich mich bei allen Mitgliedern dieses arbeitsintensiven Unterausschusses sehr herzlich für stets offene und angenehme Zusammenarbeit bedanken, bei meiner Stellvertreterin Frau Wöhrl und den Obleuten Herrn Fell, Frau Kopp und Herrn Kutzmutz. Uns war und ist in unserer gemeinsamen Arbeit stets bewusst, dass wir mit den Programmen aus dem ERP-Sondervermögen das Kreditprogramm für den Mittelstand in Deutschland ent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013862 (C) (D) (A) (B) scheiden und fortentwickeln können, in Zusammenarbeit mit den beiden Förderbanken des Bundes: der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) und der Kreditanstalt für Wieder- aufbau (KfW). Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser beiden wichtigen Institutionen sehr herzlich bedanken. Durch ihr Engage- ment und ihre Kreativität gelingt es, die Förderinstrumente immer wieder den neuen Bedingungen auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten anzupassen und auf die vielen hoffnungsvollen Gründer, die vielen innovativen kleinen und mittleren Unternehmen, die Handwerker und kleinen Selbstständigen zuzugehen und ihnen mit Krediten, aber auch mit Rat beiseite zu stehen. Was in den letzten zehn Jahren da neu entstanden ist – im Osten wie im Westen unseres Landes –, was sich in der Gründerszene und bei risikoreichen innovativen Un- ternehmen getan hat, kann sich international sehen lassen und gibt Hoffnung, dass sich von dort aus nicht nur der Stamm der deutschen Unternehmen fortlaufend verjüngt, sondern dass mit der Unterstützung aus diesen Program- men auch eine neue, immer notwendige Dynamik für un- sere Volkswirtschaft zum Tragen kommt und unterneh- merische Talente eine Chance bekommen, die ansonsten in traditionellen Hierarchien versauern und in Arbeitslo- sigkeit resignieren würden. Die neuen Entwicklungen und Regulierungen auf den internationalen Kapitalmärkten wie zum Beispiel die nun in Überarbeitung befindlichen Empfehlungen des Baseler Konsultationsausschusses werden uns ohne Zweifel ver- anlassen, über die Angemessenheit der Förderinstrumente weiter nachzudenken und ihre Fortentwicklung zu unter- stützen. Ich bin mir sicher, dass wir dieses in bewährter harmonischer Zusammenarbeit erreichen werden. Die alte Einstimmigkeit fehlt uns leider in diesem Jahr, obwohl das ERP Wirtschaftsplangesetz 2001 sich weder vom Volumen noch von seiner Programmzusammenset- zung wesentlich vom letzten Jahr unterscheidet Das Volumen 13,5 Milliarden DM scheint auch ausrei- chend bemessen, den Finanzierungsbedarf für Existenz- gründer und die mittelständischen Unternehmen abzu- decken. Auch die Aufteilung auf die verschiedenen bewährten Programme wie das Aufbauprogramm und die Regionale Wirtschaftsförderung, die Eigenkapitalhilfe, Existenz- gründungsdarlehen, Kapitalbeteiligungen und Bürg- schaftsbanken, Ausbildungsplatzprogramm und Innova- tionsprogramm sowie die Programme für Umweltschutz- maßnahmen und Energieverwendung, aber auch die Lie- ferungen in Entwicklungsländer sind weitgehend gleich- geblieben. Diese Aufteilung ist auch wegen der gegensei- tigen Deckungsfähigkeit unproblematisch; denn höhere Beanspruchungen in einem Darlehensprogramm können bei geringerer Nachfrage in anderen Programmen ausge- glichen werden. Darüber hinaus werden etwaige Über- schreitungen dem Parlament unverzüglich mitgeteilt. Warum also der Dissens? Die Gründe sind – und wir haben sie im ERP-Unterausschuss umfassend diskutiert – der Verkauf der Anteile des Bundes an der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) an die KfW und die Übernahme von Haftungsrisiken für Beteiligungen aus dem BTU-Be- teiligungsprogramm für kleine Technologieunternehmen. Beide Vorgänge haben lange Diskussionen und erhebliche Bedenken, und zwar parteiübergreifend in den Reihen des Unterausschusses „ERP-Rahmenpläne“ und im Wirt- schaftsausschuss ausgelöst. Der Verkauf der DtA an die KfW löste Befürchtungen aus, ob die Fortführung der DtA als selbstständige Grün- der- und Mittelstandsbank auch wirklich garantiert ist und ob die Änderungen in der Eigentümerposition nicht Pro- grammverlagerungen zulasten der Ausgleichsbank bewir- ken werden. Nach den Zusagen des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie wird die Selbstständigkeit der DtA voll gewahrt bleiben. Darüber hinaus wird ihr durch die Kon- zentration aller Mittelstandsprogramme aus dem ERP- Sondervermögen ein bedeutendes Programmvolumen zu- sätzlich zufließen. Konstruktive Gespräche über die Sicherung der Synergie zwischen beiden Häusern bei der Organisation, im Informations- und Kommunikationsbe- reich sowie bei der Refinanzierung laufen und sind auch notwendig. Es wäre eine offensichtliche Verschleuderung öffentli- cher Mittel und eine Nichtwahrnehmung von Chancen bei der Refinanzierung, wenn die beiden Institute nicht ge- meinsam auftreten würden, erstens um Kosten zum Bei- spiel bei den sehr aufwendigen Datenverarbeitungssyste- men, beim Internet-Auftritt etc. einzusparen, zweitens um eine örtlich und fachlich weit gespannte Beratung der Un- ternehmen sicherzustellen und schließlich drittens um durch ein gemeinsames Suchen nach einer möglichst günstigen Refinanzierung eine kostengünstige, umfas- sende und innovative Finanzierung und Betreuung hun- derttausender Gründer sowie kleiner und mittlerer Unter- nehmer sicherzustellen – eine Aufgabe, die durch den Rückzug der privaten Großbanken aus der Finanzierung des Mittelstandes immer wichtiger, ja existenziell ent- scheidend für die deutsche Wirtschaft und Millionen Arbeitsplätze wird. Ich meine, es hätte Ihres protestierenden Nein zum ERP-Sondervermögen-Haushalt 2001 nicht bedurft, um Ihre Sorgen um den Erhalt der Selbstständigkeit der DtA sichtbar zu machen. Sind wir doch als Parlamentarier hier – im Gegensatz zu anderen Neuorganisationen von Insti- tutionen des Bundes – Herrinnen und Herr des Verfahrens, weil die Änderung des DtA-Gesetzes nicht unbemerkt und gegen unseren Willen laufen kann. Den zweiten Punkt Ihrer Besorgnis, nämlich die Über- nahme der Haftungsrisiken aus dem BTU-Programm, kann ich viel eher nachvollziehen. Nach dem Sündenfall der Übernahme der Risiken des Eigenkapitalhilfepro- grammms in das ERP-Programm muss sich ja in der Tat jeder Wirtschaftspolitiker überlegen, was das Wort eines Bundesfinanzministers wert ist. Wie man beim EKH-Pro- gramm gesehen hat, sehr wenig: Der damalige Bundesfi- nanzminister Dr. Theo Waigel hatte dem damaligen Bun- deswirtschaftsminister Dr. Rexroth versprochen, die Aus- fälle dem ERP-Sondervermögen zu erstatten. Ein Jahr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13863 (C) (D) (A) (B) später waren Wort und Brief Makulatur und nun müssen in der Tat andere Programme künftig heruntergefahren werden, um die EKH-Ausfälle zu finanzieren. Deswegen bin ich froh, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel es von Anfang an nicht mit den bekannten Tricks versucht hat, sondern dem ERP-Sondervermögen eine Gegenfinanzierung angeboten hat, die es ermögli- chen soll, ohne Kürzungen zentraler ERP-Programme diese Aufgabe zu schultern. Dies ist die Übertragung des Verkaufserlöses der DtA in das ERP-Sondervermögen und die Übertragung der ERP-Rückläufe bei der KfW. An dieser Stelle möchte ich als Vorsitzende des ERP- Unterausschusses Rahmenpläne deutlich machen, dass wir Wirtschaftspolitiker mit Sorge die zunehmende Über- tragung von Haftungsrisiken auf das ERP-Sondervermö- gen sehen und uns alle energisch gegen jede weitere Über- tragung wie zum Beispiel des FUTOUR-Prorammes wehren. Auch wenn das Sondervermögen auf den ersten Blick Achtung gebietend aussieht, so war sein bisheriger realer Substanzerhalt nur der Tatsache zu verdanken, dass er als revolvierender Fonds nahezu keine Risiken trug – diese lagen und liegen bei den Hausbanken –, sondern ERP die für kleine und mittlere Unternehmen höheren Marktzinsen „heruntersubventionierte“. Eine Ausnahme bildeten nur die speziellen Programme in den neuen Bundesländern, wo nach der deutschen Ein- heit wegen fehlenden Eigenkapitals und sonstiger Sicher- heiten eine teilweise Übernahme des Risikos unver- meidlich war, wollte man die Banken überhaupt zum Engagement für den Aufbau kleiner Unternehmen bewe- gen. Allmählich – und das ist unser aller parteiübergrei- fende Sorge – werden die zunehmenden Risiken in der traditionellen kameralistischen Haushaltsführung für Par- lament und Öffentlichkeit nicht mehr überschaubar. Ge- legentlich kann man sich auch des Eindrucks nicht er- wehren, es werden nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ auch mal schöne Beschlüsse gefasst und die Risiken in die nächste Legislaturperiode verschoben. Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages haben deswegen im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht, dass wir von der Bundesregierung – Bundeswirtschafts- minister und Bundesfinanzminister – eine Vorlage erwar- ten, die sicherstellt, dass das Parlament und seine zustän- digen Gremien über die künftigen Risiken und die erfolgten Haftungseintritte mit der Vorlage des ERP-Son- dervermögen-Wirtschaftsplangesetzes aber auch während des Haushaltsvollzuges informiert werden. Darüber hi- naus müssen ausreichend Rücklagen gebildet werden, da- mit plötzliche Ausfälle nicht die Handlungsfähigkeit des wichtigen ERP-Instrumentariums beeinträchtigen. Bloße Mitteilungen wie bisher reichen jedenfalls nicht. Nach unserer bisherigen Diskussion im Unteraus- schuss und im Wirtschaftsausschuss mit Bundesfinanzmi- nister Eichel glaube ich persönlich, dass unsere Botschaft angekommen ist und insbesondere der Wunsch nach mehr Information und Transparenz konstruktiv aufgenommen und im nächsten Jahr zügig erfüllt wird. Deswegen plädiere ich für eine Annahme des Gesetzes in der Ihnen vorliegenden Ausschussfassung. Eine Ableh- nung und damit eine Blockade der Mittel für die mittel- ständischen Unternehmen und Gründer ist für unsere so- zialdemokratische Fraktion nicht vertretbar. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Der ERP-Wirtschafts- plan führt uns zurück an das Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945. Damals gab es in den Verei- nigten Staaten von Amerika zwei unterschiedliche Konzepte über die zukünftige Entwicklung Deutschlands: Das eine Konzept, das im Wesentlichen der amerikani- sche Finanzminister Morgenthau erarbeitet hatte, sah die Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland vor. Die zweite Überlegung kam von dem amerikanischen General und Politiker Marshall und lief darauf hinaus, Deutsch- land in ein umfassendes Wiederaufbauprogramm für Eu- ropa einzubeziehen. Wir können froh sein, dass General Marshall sich durchgesetzt hat. Von 1948 bis 1951 wurden Waren im Wert von circa 6 Milliarden DM nach Westdeutschland ge- liefert. Damit wurde die Grundlage für das ERP-Sonder- vermögen gelegt. Heute umfasst dieses Vermögen circa 24 Milliarden DM und inzwischen wurden im Wesentli- chen zinsverbilligte Kredite in einer Größenordnung von fast 200 Milliarden DM schwerpunktmäßig an die mittel- ständische Wirtschaft in der Bundesrepublik gewährt. Die Grundlage für das ERP-Sondervermögen wurde im ERP-Verwaltungsgesetz 1953 vom Deutschen Bun- destag gelegt. Eine der wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetze ist das so genannte Substanzerhaltungsgebot. Außerdem legt das Gesetz fest, dass der Bundestag jähr- lich einen Wirtschaftsplan für die Verwendung des ERP- Sondervermögens zu beschließen hat. Extra für dieses Thema wurde ein Unterausschuss des Wirtschaftsaus- schusses gebildet, der sich am 9. November ausführlich mit dem vorgelegten Wirtschaftsplan für das Jahr 2001 beschäftigt hat. Am 16. November fand die erste Lesung im Bundestag statt. Heute geht es um die zweite und dritte Lesung und damit um die Verabschiedung. Normalerweise ist die Feststellung des Wirtschaftsplanes ein Selbstgänger. Diesmal wird es zu einer strittigen Abstimmung kommen, insbesondere aus zwei Gründen: Erstens wegen der im Wirtschaftsplan vorgesehenen Auswirkungen des geplan- ten Verkaufs der Deutschen Ausgleichsbank an die Kre- ditanstalt für Wiederaufbau und zweitens durch die vor- gesehene Übernahme des Programms Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen (BTU) vom Bundes- finanzministerium durch das ERP-Sondervermögen. Im Folgenden will ich mich kurz mit diesen beiden Themen beschäftigen. Erstens zum geplante Verkauf der Deutschen Aus- gleichsbank. Dazu muss man wissen, dass seit den 50er- Jahren auf Bundesebene zwei Spezialinstitute für die Wirtschaftsförderung bestehen – beide verwalten einen Teil des ERP-Sondervermögen –, und zwar die Kreditan- stalt für Wiederaufbau (KfW) mit einer Bilanzsumme von fast 400 Milliarden DM, die zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Prozent den Ländern gehört und die Deutsche Aus- gleichsbank (DtA) mit einer Bilanzsumme von knapp 100 Milliarden DM, die vollständig dem Bund bzw. dem Sondervermögen des Bundes gehört. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013864 (C) (D) (A) (B) Aus eigener Zusammenarbeit als ehemaliger Leiter ei- nes Landesförderinstituts, und zwar der Schleswig-Hol- steinischen Investitionsbank, kenne ich die segensreiche Arbeit beider Institute für die Wirtschaftsförderung und das eigene Profil beider Häuser. Dabei hat sich die Deut- sche Ausgleichsbank zu der Mittelstandsbank im Rahmen der Wirtschaftsförderung entwickelt und zur Bank für Existenzgründer. Im Sommer dieses Jahres hat die Bundesregierung be- schlossen, die Anteile der DtA an die KfW im Laufe des kommenden Jahres zu veräußern. Begründet wird dies mit einer weiteren Verbesserung der Mittelstandsförderung. Der Verkauf ist in der Fachwelt umstritten, auch wenn un- ter Synergiegesichtspunkten sicher vieles für den Verkauf spricht. Ich vermute zwar nicht, dass die Befürchtungen der FDP-Kollegin Gudrun Kopp, die DtAwerde lediglich eine Hauptabteilung der KfW, eintreten; ich meine aller- dings, dass wir die Entwicklung genau im Auge behalten müssen. Unsere Hauptkritik setzt bei der Verwendung des Kaufpreises und der Synergieeffekte ein. Von dem zur Diskussion stehenden Kaufpreis in Höhe von 2,7 Milliar- den DM sollen 1,5 Milliarden DM an den Finanzminister als allgemeine Haushaltsdeckung gezahlt werden. Diese Mittel stehen somit nicht der Wirtschaftsförderung zur Verfügung. Die Synergieeffekte, die mit Sicherheit ein- treten werden, stehen ebenfalls nicht der Wirtschaftsför- derung zur Verfügung, weil diese im Wesentlichen für die Finanzierungskosten benötigt werden, die der KfW für die Finanzierung des Kaufpreises entstehen. Und die 1,2 Milliarden DM des Kaufpreises, die an das ERP-Ver- mögen gehen sollen, sind auch nur bedingt für eine Ver- stärkung der Wirtschaftsförderung einzusetzen. Damit komme ich zum zweiten Kritikpunkt, die Über- nahme des BTU-Programms durch das ERP-Sonderver- mögen. Das BTU-Programm hat sich bewährt. Die Erfah- rung zeigt allerdings, dass es sehr risikoreich ist. In der zehnjährigen Laufzeit rechnet man mit Ausfällen in einer Größenordnung von circa 30 Prozent. Ob die Einnahmen aus dem Verkaufserlös, die das ERP-Vermögen durch den Verkauf der DtA-Anteile erhalten soll, und die Erträge aus einer entsprechenden Rücklage wirklich ausreichen, um diese Risiken zu tragen, bleibt offen. Wir befürchten, dass das Substanzerhaltungsgebot des ERP-Verwaltungsgeset- zes durch diese Übernahme gefährdet werden könnte. Ungeachtet unserer dadurch bedingten Ablehnung las- sen Sie mich abschließend Folgendes sagen: erstens einen Dank für die konstruktive Arbeit im Unterausschuss Wirt- schaftsförderungspläne, insbesondere auch an die Vorsit- zende Frau Dr. Skarpelis-Sperk, zweitens einen Dank an die Vorstände von KfW und DtA für die konstruktive Zu- sammenarbeit und drittens die klare Aussage, dass die CDU/CSU weiterhin ihren Beitrag leisten wird, damit so- wohl die KfW als auch die DtA wichtige Instrumente der Wirtschaftsförderung mit jeweils einem eigenständigen Profil bleiben. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bündnis 90/Die Grünen begrüßt, dass mit dem Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplanes ERP-Sonder- vermögen die deutsche Wirtschaft gefördert wird. 13,5 Milliarden DM stehen der Wirtschaft als Hilfen zur Verfügung. Aus unserer Sicht ist der vorliegende Wirtschaftsplan ein wichtiger Einzelhaushalt, hat er doch bedeutenden Einfluss auf Mittelstandsförderung, Existenzgründungen und – aus bündnisgrüner Sicht besonders wichtig – auch auf Darlehen im Bereich des Umweltschutzes. Gerade in diesem Bereich hat die ERP-Förderung vor allem auch im Osten in den letzten Jahren Hervorragendes geleistet. Diese erfolgreiche Arbeit gilt es fortzusetzen. Hinsichtlich des Gesamtfördervolumens sieht der Ent- wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 das gleiche Volumen wie das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2000 vor. Innerhalb der einzelnen Ansätze erfolgten leichte Ände- rungen, mit einer geringfügigen Anhebung zugunsten des ERP-Umweltprogramms auf 2 150 Milliarden DM. Diese Anhebung darf aber nicht darüber hinweg täu- schen, dass Bündnis 90/Die Grünen gerne eine Mittelaus- stattung von 2,3 DM gesehen hätte. Die Etatisierung von 2,15 Milliarden DM darf nicht als Präjudiz für Prioritäten im Rahmen künftiger Wirtschaftspläne verstanden wer- den. Im Gegenteil: Bündnis 90/Die Grünen wird den Mit- telabfluss genau beobachten und in den kommenden Jah- ren gegebenenfalls eine Mittelaufstockung einfordern. Mit dem BMWi besteht Einvernehmen darüber, dass das ERP-Sondervermögen in der Bewirtschaftungspraxis Mittel und Wege finden wird, um einem eventuell höhe- ren Finanzbedarf für ERP-Umweltdarlehen Rechnung zu tragen. Insoweit ergeben sich aus den Ansätzen für 2001 keine Präjudizien für die Folgejahre. Das Wirtschaftsplangesetz 2001 steht somit auf soli- dem Fundament und findet damit die Zustimmung meiner Fraktion. Zu dem Antrag der PDS: Es wurde durchaus Wün- schenswertes zusammengeschrieben. Verschiedene Miet- erhöhungen wurden verlangt, aber keine Deckungsvor- schläge gemacht. Die PDS weiß doch auch, wie hoch die Staatsverschuldung ist, da sie dies öfter kritisiert hat. Um einen weiteren Schuldenanstieg zu verhindern, können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Nun zur Veräußerung der Anteile der Deutschen Aus- gleichsbank an die Kreditanstalt für Wiederaufbau: Die bündnisgrüne Fraktion trägt diese Veräußerung mit, da sie zur Straffung und Effizienzsteigerung der ERP-Darlehen beiträgt. Aus Sicht meiner Fraktion ist es daher wichtig, im Be- reich der erfolgreichen Umweltdarlehen, die von der DtA bearbeitet wurden, eine vernünftige Übergangslösung ohne Brüche zu schaffen. Daher soll wie im Kabinettsbe- schluss vom 21. Juni 2000 vorgesehen, bei der Geschäfts- feldabgrenzung zwischen KfW und DtA die Abwicklung der Umweltförderung im Wege der Geschäftsbesorgung durch die DtA für die KfW erfolgen. Auf wichtige Eckpunkte möchte ich nochmals hinwei- sen: Die bestehenden Umweltprogramme der DtA, das ERP-Umwelt- und Energiesparprogramm und das DtA- Umweltprogramm sowie das Umweltbürgschaftspro- gramm werden im Zuge der Geschäftsbesorgung von der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13865 (C) (D) (A) (B) DtA im Auftrag der KfW wahrgenommen, wobei die bis- herige Finanz- und Personalausstattung sowie Verfah- rensgestaltung unberührt bleiben und die vertragliche Regelung der Zustimmung des BMU bedarf. Die DtA reicht die Förderung im eigenen Namen für Rechnung der KfW aus. Eine Umstellung der Umweltförderung erfolgt erst auf der Grundlage eines detaillierten „Überleitungskonzep- tes“ der KfW zu den finanziellen, personellen, organisa- torischen und verfahrensmäßigen Auswirkungen mit der Zustimmung des BMU. Wir sind uns sicher, dass mit der Umsetzung dieser und anderer vereinbarten Eckpunkte die erfolgreiche Arbeit der DtA im Bereich der Umweltprogramme problemlos und ohne Umstellungsbrüche erfolgen wird und zusätz- lich mit dem Know-how der KfW gestärkt wird. Einer er- folgreichen Finanzierung der ERP-Darlehen im Bereich des Umweltschutzes steht auch aus unserer Sicht mit der Übernahme der DtA-Anteile durch die KfW nichts mehr im Wege. Damit kann das für die Wirtschaft so wichtige ERP- Sondervermögen weiterhin seine Unterstützung für den Mittelstand entfalten. Für Bündnis 90/Die Grünen ist dies eine unverzichtbare Stütze für eine funktionierende Wirt- schaft. Rainer Funke (F.D.P.):Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2001 nicht zustimmen. Entscheidend für diese Haltung ist, dass Bundesfinanzminister Eichel im Ergebnis den Bundes- haushalt an dieser Stelle zulasten der Mittelstandsförde- rung saniert. Er saniert ihn zulasten von Förderaktivitäten, die sich über viele Jahre bewährt haben. Bundeswirtschaftsminister Müller schweigt dazu. Das Missverhältnis im Haushalt des Wirtschaftsministers zwi- schen Steinkohlesubventionen auf der einen und Mittel- standsaktivitäten auf der anderen Seite verschärft sich weiter. Die Steinkohlesubventionen machen inzwischen das Fünffache aller Mittelstandsaktivitäten aus. Dieses Missverhältnis ist symptomatisch für die Politik dieser Regierung. Die Passivität des Wirtschaftsministers ist bezeichnend für die Machtverhältnisse in dieser Regie- rung. Die Bundesregierung belastet das ERP-Sondervermö- gen darüber hinaus zusätzlich, indem sie das Programm „Beteiligungskapital für kleine Technologieunterneh- men“ – BTU-Programm –, mit zusätzlichen Risiken ver- bunden, dorthin verlagert. Vage Versprechungen, in Zu- kunft keine weiteren risikoträchtigen Programme in das ERP-Sondervermögen zu führen oder irgendwann einmal das ERP-Wirtschaftsplangesetz zu ändern, helfen hier nicht weiter. Gegen eine Neuordnung im Gefüge der Förderbanken des Bundes ist nichts einzuwenden, wenn Synergieeffekte entstehen. Aber diese Neuordnung darf nicht auf Kosten der dem Mittelstand effektiv zur Verfügung stehenden Mittel gehen. Wenn die KfW die Ausgleichsbank kauft und zwecks Finanzierung Mittel am Kapitalmarkt auf- nimmt, so werden diese Mittel der Mittelstandsförderung unter dem Strich entzogen, da der Erlös Herrn Eichel zu- fließt. Bei den Förderbanken hat ohnehin in Zukunft die KfW das Sagen, egal, was für Lippenbekenntnisse zugunsten der geschäftspolitische Selbstständigkeit der Deutschen Ausgleichsbank abgelegt werden. Wenn die KfW dem- nächst dazu übergehen sollte, etwa ihre Förderaktivitäten für Umweltschutz oder Großindustrie zulasten von Mit- telstandsprogrammen auszudehnen, passt das in die wirt- schaftspolitische Linie dieser Bundesregierung. Die F.D.P. wird sich dagegen für die Beibehaltung und Fort- entwicklung der bewährten Mittelstandsprogramme mit allem Nachdruck einsetzen. Rolf Kutzmutz (PDS): BTU, EKH, DtA KfW, ERP – manchem Zuhörer wird schwindelig werden, der eine oder andere wird nach Übersetzungen suchen. Ich kann sie – wegen der Redezeit – nicht alle erläutern. Fest steht aber: Das ERP-Sondervermögen hat für die Förderung von Existenzgründern und kleineren Unternehmen große Bedeutung. Deshalb können zumindest wir auch nicht ge- gen dessen Haushalt 2001 stimmen. Nicht zuletzt auf unseren Druck hin sind in den Aus- schussberatungen durch die Bundesregierung zwei wich- tige Zugeständnisse gemacht worden: Erstens. Staatssekretär Overhaus sagte für das Finanz- ministerium zu, dass dessen Anteil am Verkaufserlös der Deutschen Ausgleichsbank dem Einzelplan 32 zufließen wird. Damit werden alle Ausfälle des seit 1997 laufenden Eigenkapitalhilfeprogrammes und der überwiegende Teil an Verlusten der älteren Zusagen bezahlt. Die Kosten- deckung der bisherigen BTU-Zusagen in künftigen Bun- deshaushalten wird garantiert. Das ist ein wichtiger Schritt zur Substanzsicherung von ERP sowie von DtA und KfW. Zweitens soll bis Ostern kommenden Jahres durch Wirtschafts- und Finanzministerium unter Einbeziehung des Bundesrechnungshofes gegenüber dem Parlament Klarheit über die Entwicklung der Risiken für die Sub- stanz des ERP-Sondervermögens und die dafür zu tref- fenden Vorsorgemaßnahmen hergestellt werden. Solche Transparenz ist auch bitter nötig. Denn trotz in- tensiver Ausschussberatungen und Schriftwechsel kann davon noch nicht gesprochen werden, weshalb wir diesem ERP-Haushalt eben auch nicht zustimmen können. Bei al- lem Engagement für die Programme – uns für die un- durchsichtige Entwicklung mit in Haftung nehmen zu wollen, das wäre von einer konstruktiver Opposition zu viel verlangt. Nur zwei Aspekte: Völlig unklar bleibt, ab wann die weitergehende Finanzierung der Förderung von Beteili- gungskapital tatsächlich dem ERP zur Verfügung steht. Alle Berechnungen der Regierung basieren auf dem 1. Januar 2001. Je später jedoch die Mittel aus DtA-Ver- kauf und KfW-Rücklage verfügbar werden, desto gerin- ger ist deren Zinserlös und desto wackeliger die ganze Fi- nanzierung. Und offensichtlich gibt es ja gerade auf diesem wichtigen Feld noch Probleme mit den Ländern als Miteigentümern der KfW. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013866 (C) (D) (A) (B) Und zum anderen: Ihre optimistischen Prognosen zu den Risiken des BTU-Programms begründet die Regie- rung „aus heutiger Sicht“. Die gab es 1996 vor Über- führung der Eigenkapitalhilfe auch. Dort räumt man vier Jahre später „in der Vergangenheit Schwierigkeiten durch geringe Mittelausstattung“ ein. Die daraus resultierenden Zweifel werden hoch verstärkt, wenn – wie geschehen – das Bundeswirtschaftsministerium trotz ausdrücklicher Aufforderung weder konkrete Zahlen zur Gesamtent- wicklung der Beteiligungsförderung noch zu den tatsäch- lichen Kosten der Eigenkapitalhilfe der letzten Jahre he- rausgibt. Insofern muss ich auch der verehrten Kollegin Skarpelis-Sperk widersprechen: Wenn die Koalition un- seren Antrag ablehnt, weil für sie eine Verlagerung der Beteiligungsförderung des FUTOUR-Programms nicht infrage kommt, so räumt sie damit – sicher unbewusst – ein, dass es bei den ganzen laufenden Operationen nicht nur um Förderpolitik, sondern auch ganz stark um Haushalteinsparungen geht. Denn sonst wäre es – auch im Sinne besserer Transparenz für Interessenten – nur lo- gisch, die gesamte Beteiligungsförderung an einem Platz – dem ERP – zu konzentrieren, diesen aber auch mit den entsprechenden Mitteln auszustatten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger verlangt die PDS in ihrem Antrag, den Sie auf den anderen Seiten des Hauses nachher in trauter Eintracht ablehnen werden. Zum Schluss noch ein Wort unabhängig von diesem ERP-Haushalt: In den intensiven Beratungen der letzten Wochen blieben die Ursachen für teilweise drastisch sin- kende Zusagen in den ERP-Programmen weiterhin unklar – ob es an fehlendem Geld und damit rigider Bewilli- gungspraxis oder an fehlender Nachfrage liegt. Im ersten Fall wäre eine ERP-Kapitalerhöhung vonnöten, im zwei- ten müsste endlich ernsthaft die bisherige Förderkulisse diskutiert werden. Ganz unabhängig von unseren Debat- ten des ERP-Haushaltes und der Übernahme der DtA durch die KfW sehe ich hier ein wichtiges Arbeitsfeld des zuständigen Unterausschusses im nächsten Jahr. Viel- leicht könnten wir danach ja wieder einen Wirtschaftsplan im Konsens beschließen. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Teilhabe von Gehörlosen und Ertaubten an der Informationsgesellschaft – Gleichberech- tigten Zugang zum Fernsehen sichern und – Verbesserung des Programmangebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte und Blinde im Fernsehen und den neuen Medien. (Tagesordnungspunkt 21) Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es freut mich, dass wir hier heute diesen Antrag lesen. Ich, muss nicht mehr betonen, wie sehr wir Grüne uns darum bemüht haben, auf die täglichen Schwierigkeiten, mit de- nen insbesondere gehörlose und ertaubte Menschen in un- serer Gesellschaft zu kämpfen haben, aufmerksam zu machen. Was in der letzten Legislaturperiode noch auf Un- kenntnis, Unverständnis und Ablehnung – vor allem der damaligen Regierungsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P. – gestoßen ist, wird heute im Grunde von allen Fraktionen getragen. Gerade weil das so ist, bin ich wirk- lich sehr verwundert darüber, warum die CDU sich einem gemeinsamen Antrag verweigert hat. Dabei haben Sie doch Ihren Antrag nahezu gleichlautend von unserem übernommen. Ihr Antrag hatte allerdings eine entschei- dende Schwäche: Auf das Sanktionsinstrument, nämlich eine Quotierung von Sendeminuten, wollten Sie verzich- ten. Wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung: Soll- ten die gemeinsamen Gespräche zwischen Bund, Ländern und den Rundfunkanstalten scheitern, dann müssen wir sehr ernsthaft prüfen, ob wir nicht eine Quote festlegen. Wie es in Zukunft gehen kann und sollte, das beweist uns gerade der Sender Phoenix, der seit langer Zeit schon Nachrichtensendungen in Gebärdensprache dolmetschen lässt. Auch heute überträgt Phoenix unsere Debatte live mit Gebärdensprachdolmetscher/in. Dafür möchte ich mich bedanken! Denn Sie geben uns und geben Ihren Kol- leginnen und Kollegen in den anderen Sendeanstalten ein Vorbild für die zukünftige Ausgestaltung von Fernsehen. Aber nicht nur die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan- stalten, auch die privaten Sender dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Uns erreichen in letzter Zeit häu- fig Briefe von gehörlosen Fernsehnutzern, die sich an die private Fernsehsender – zum Beispiel Sat1 und RTL – ge- wandt haben mit der Bitte, doch auch dort die Sendungen, zu untertiteln. Mit dem Argument, man sehe keinen Re- gelungsbedarf oder keine Regelungsmöglichkeiten, wer- den diese Anfragen immer wieder abgewiesen. Dafür fehlt mir, gelinde gesagt, das Verständnis! Ich möchte deswegen hier etwas Grundsätzliches beto- nen: Wir haben in Art. 3 Abs. 3 unseres Grundgesetzes hi- neingeschrieben, dass behinderte Menschen nicht benach- teiligt werden dürfen. Das gilt nicht nur für Menschen mit einem sichtbaren Handicap. Wenn eine Rollstuhlfahrerin die Treppen zur U-Bahn nicht hinunterkommt, ist das für jeden von uns eine nachvollziehbare Benachteiligung. Mit welchen Handicaps sinnes- und kommunikationsbe- einträchtigte Menschen täglich umgehen müssen, das müssen wir hörenden und sehenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern uns bewusst machen. Manche von uns werden ja schon unruhig, wenn sie am Morgen nicht ihre Tages- zeitung gelesen haben. Hörbehinderte wie auch sehbehinderte Menschen ha- ben ein Recht darauf, die gleichen Informationen zu er- halten, wie nichtsinnesbehinderte Menschen sie jederzeit und selbstverständlich abrufen können. Die technischen Möglichkeiten dazu sind längst vorhanden. Die öffent- lich-rechtlicher Fernsehsender untertiteln ja bereits seit Jahren viele ihrer Filme. Das reicht aber nach unserer Meinung nicht aus. Hörbehinderte Menschen möchten genauso Live-Sendungen und Nachrichten verfolgen kön- nen, wie sie selbstverständlich ein Interesse und ein Bedürfnis nach kulturellen und Unterhaltungssendungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13867 (C) (D) (A) (B) haben. Da können die Sender viel mehr tun, als sie es momentan anbieten. Das Audiodeskriptionsverfahren zum Beispiel, das heißt die Herstellung von Hörfilmen für sehbehinderte Menschen, ist längst etabliert. Aber nach Angaben des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes wer- den derzeit nur etwa zwei Spielfilme pro Woche in diesem Verfahren ausgestrahlt. Die tatsächlichen Mehrkosten be- tragen nur einen Bruchteil der Produktionskosten eines Spielfilms. Und wenn ich mir anschaue, in welchen fi- nanziellen Regionen sich die Verhandlungen der Sender bei dem Erwerb der Fußballübertragungsrechte abspielen, dann überzeugen mich finanzielle Vorbehalte der Sender überhaupt nicht! Was wir alle immer wieder zu vergessen scheinen, ist der im Ausland so viel besser verankerte Gedanke von Dienst-Leistung. Behinderte Menschen sind Kundinnen und Kunden, Verbraucherinnen und Verbraucher, Kritike- rinnen und Kritiker. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Im Zeitalter der Medientechnologie geht es darum, kultu- relle Teilhabe auch via Internet, Fernsehen, Rundfunk si- cherzustellen. Dabei kann das Fernsehen eine Informati- onsbrücke bauen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition dem Antrag zustimmen würde! Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zurVerbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Tagesordnungspunkt 22) Peter Enders (SPD): Das Betriebsrentengesetz (BetrAVG) vom 19. Dezember 1974, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 1997, regelt den Fortbe- stand, das heißt die Unverfallbarkeit und die Höhe von Anwartschaften aus einer betrieblichen Altersversorgung (auch bei Invalididtäts- und Hinterbliebenenversorgung) bei Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsver- hältnis vor Eintritt des Versorgungsfalles. Hintergrund der Gesetzgebung in der damaligen Hochkonjunkturphase war, dass Arbeitnehmer durch den Verfall von erworbenen Betriebsrentenansprüchen in ih- rer Mobilität zu sehr eingeschränkt waren. Für die Arbeit- nehmer der Wirtschaft ist es zu einer weiterhin akzeptier- ten Lösung gekommen unter Beachtung von Mindestanforderungen bezüglich des Lebensalters und der Dauer der Versorgungszusage bzw. der Betriebszu- gehörigkeit. Allerdings sieht § 18 BetrAVG für den öf- fentlichen Dienst eine – gegenüber den für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft geltenden Regelungen – negativ ab- weichende Methode vor. 1974 ging man hauptsächlich davon aus, dass Arbeitnehmer, wenn sie denn ausschei- den, von einem öffentlichen Arbeitgeber zum anderen öf- fentlichen Arbeitgeber gehen. Insoweit sah man die Pro- blematik, die es im privatwirtschaftlichen Bereich gab, als nicht so gravierend an. Während sich nach derzeitiger Rechtslage für Arbeit- nehmer der Privatwirtschaft die Höhe der Versorgungsan- wartschaft nach § 2 BetrAVG zeitanteilig, an der Höhe der zugesagten Versorgungsrente orientiert, stellt der für den öffentlichen Dienst spezielle § 18 BetrAVG auf die Höhe des beim Ausscheiden maßgeblichen monatlichen Ar- beitsentgeltes und auf die Zeit der Pflichtversicherung ab. Was steckt hinter diesen harmlos aussehenden Formulie- rungen? Erreicht ein in der VBL zusatzversicherter Be- schäftigter das Rentenalter nach langjähriger Tätigkeit im öffentlichen Dienst, so hat er im Idealfall einen Renten- anspruch von 91,75 Prozent des maßgeblichen Nettoloh- nes. Die VBL übernimmt die Differenz zum gesetzlichen Rentenanspruch. Ginge es nach den Spielregeln der Pri- vatwirtschaft, so müsste zum Beispiel der Bund, der Mit- glied bei der VBL ist, anteilig für die Beschäftigungszeit (natürlich unter Wahrung der Mindestbeschäftigungszeit und des Mindestalters) für einen ausgeschiedenen Ange- stellten für den entsprechenden anteiligen Rentenan- spruch aufkommen. Tatsächlich billigt aber das Gesetz bisher nur 0,4 Prozent per annum des Bruttolohnes zu. Dies ist wesentlich weniger als der entsprechende An- spruch in der Privatwirtschaft. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht diese alte Regelung als einen Verstoß unter anderem gegen Art. 12 GG angesehen, weil es die Mobilität erschwert. Dieser Kritik schließe ich mich ausdrücklich an, weil es den Wechsel zwischen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft erschwert. Ich bedaure, dass der Gesetzgeber dies nicht schon früher ohne gerichtlichen Druck geändert hat. Es gibt noch einen weiteren Nachteil für aus dem öf- fentlichen Dienst ausgeschiedene Mitarbeiter. Während für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft in § 16 BetrAVG eine Dynamisierung ab Beginn der Rentenzahlung vorge- sehen ist, gilt dies bis heute nicht für den von uns be- trachteten Personenkreis. Dies verstößt gegen den Gleich- behandlungsgrundsatz der Verfassung. Karlsruhe beanstandete auch, dass beim Ausscheiden alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dank der alten 0,4-Prozent-Regel über einen Kamm geschoren wurden. Dies ist deshalb nicht korrekt, weil es auch innerhalb des öffentlichen Dienstes Versorgungssysteme mit unter- schiedlich hohen Zusagen gab. Dies war der Hintergrund der Klage eines ehemaligen Beschäftigten des WDR. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2000 eine Neurege- lung zu schaffen. Diesem Antrag der vorliegende Ge- setzentwurf nach. Er sieht vor, dass sich zukünftig auch der Anspruch der vorzeitig aus dem öffentlichen Dienst ausscheidenden Arbeitnehmer an der zugesagten Versor- gungsleistung orientiert, wie vorhin beschrieben. Die in- dividuelle Versorgungszusage ist abhängig von der je- weiligen Zusatzversorgungseinrichtung. Ausgangspunkt der Berechung ist die VBL. Die Vollversorgung beträgt 91,75 Prozent. Nimmt man als Basis 45 Arbeitsjahre, kommt man angenähert auf 2,25 Prozent für jedes Jahr der Beschäftigung und nicht mehr 0,4 Prozent. Mit dem Prozentsatz von 2,25 ist auch das Problem gelöst, das bei einem Wechsel zwischen verschiedenen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013868 (C) (D) (A) (B) Systemen und seinen Anrechnungen entstehen kann, zum Beispiel beim Wechsel zwischen zwei verschiedenen kommunalen Arbeitgebern. Während der Beratungen hat sich gezeigt, dass der im ursprünglichen Gesetzentwurf zu § 18 Abs. 2 Ziffer 2 vor- gesehene Rentenabschlag höher ist als der in der VBL- Satzung vorgesehene Satz. Im Änderungsantrag der Ko- alitionsfraktion ist jetzt eine Flexibilität hergestellt worden und eine Gleichstellung mit den Arbeitnehmern, die bis zum Eintritt des Versorgungsfalles im öffentlichen Dienst verbleiben. Die bisher fehlende Dynamisierung ab Versorgungs- beginn wird durch § 18 Abs. 4 neue Fassung hergestellt. Jährlich zum 1. Juli steigen die Leistungen um 1 Prozent, soweit eine allgemeine Erhöhung der Versorgungsrenten erfolgt. Diese Pauschalierung ist im Zuge der Verwal- tungsvereinfachung akzeptabel. An den Vertrauensschutz ist in doppelter Weise ge- dacht worden: Erstens. § 18 Abs. 2 Ziffer 1 c verweist auf § 2 Abs. 5 Satz 1: Künftige Entwicklungen des Versor- gungssystems, soweit sie nach dem Ausscheiden des Ar- beitnehmers eintreten werden nicht beachtet. Dies ist be- sonders im Zuge eventueller Verschlechterungen wichtig. Zweitens. Übergangsregelung (§ 30 d): Insbesondere ist auf Abs. 1 Satz 3 hinzuweisen. Da nicht auszuschließen ist, dass trotz der generellen Verbesserung aufgrund der neuen Berechungsmethode im Einzelfall eine Verschlech- terung eintreten kann, ist geregelt, dass bestehende Ver- sorgungsfälle, die vor dem 1. Januar 2001 eintreten, den Anspruch auf Zusatzrente in der bisherigen Höhe behal- ten. In den Beratungen ist durch die Gewerkschaft der So- zialversicherung auf das Problem der so genannten Dienstordnungsangestellten hingewiesen worden. Es handelt sich um Beschäftigte von Krankenkassen und Be- rufsgenossenschaften, die einen privatrechtlichen Ar- beitsvertrag mit Bezug auf die Beamtenversorgung über eine Dienstordnung haben, also nicht in der Rentenversi- cherung versicherungspflichtig sind. Die Rechtslage vor dem 1. September 1999 kannte eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rente, die eine Dynamik des Renten- anspruchs sicherte und eine Nachversicherung in der VBL, die aber sowohl vor als auch nach dem Versor- gungsfall statisch war. Damit entfielen weitergehende An- sprüche nach § 2. Die Rechtslage nach dem 31. Dezember 1998 sicherte zwar einen zeitanteiligen Anspruch auf der Basis von 75 Prozent, der dem Beamtenrecht entlehnt war, aber er war bis zum Versorgungsfall statisch und erst ab Versor- gung dynamisch. Durch die Dynamik der gesetzlichen Rentenansprüche in der früheren Rechtslage kann die gut gemeinte 75-Prozent-Regelung im Einzelfall, wenn die Dienstordnungs-Beschäftigungszeit bei der Kranken- kasse im frühen Teil der Berufstätigkeit lag, im Falle höherer Inflationsraten durchaus schlechter sein. Hierauf nimmt der letzte Satz des Änderungsantrages Bezug, weil hier eine Vergleichsrechnung vorgeschrieben wird. Ich gebe zu, es war selbst für Fachleute nicht einfach, die Problematik zu durchschauen. Ich bin deshalb umso zufriedener, dass wir auch in diesem Fall Gerechtigkeit üben konnten. Insoweit war es gut, dass wir in der vor- letzten Sitzungswoche diese Novellierung von der Tages- ordnung genommen haben. So sorgfältig wir jetzt die absehbaren Problemfälle be- handelt haben, so ist doch nicht auszuschließen, dass uns das Betriebsrentengesetz für den öffentlichen Dienst nochmals im Bundestag beschäftigen wird. So ist zum Beispiel mit dem heutigen Beschluss nicht das Problem der so genannten Halbanrechnung (Berücksichtigung der Zeiten vor dem öffentlichen Dienst) gemeint, obwohl dies in erster Linie Sache der Tarifpartner ist. Sieht man sich das Protokoll zur Gesetzesberatung von 1974 an, so enthält dies zum öffentlichen Dienst (§ 18 BetrAVG) den Vermerk, dass der niedrige Satz von 0,4 Prozent im Zusammenhang steht mit den Spielregeln der Beamtenversorgung. Diese sieht zwar eine relativ gute Versorgung nach einem langen Berufsleben im Rah- men der Alimentation vor, aber bei ausscheidenden Be- amten nur eine Nachversicherung in der Rentenversiche- rung, obwohl Angestellte schon allein aufgrund der Rentenversicherungspflicht höhere Bruttobezüge haben. Da nun die 0,4-Prozent-Regel verfassungsrechtlich nicht standgehalten hat, wird auch über die vorgenannte Rege- lung für ausscheidende Beamte nachzudenken sein. Dies würde der Mobilität in dem Sinne gut tun, dass Beamte auch in die private Wirtschaft wechseln können, ohne Nachteile zu erleiden. Für die Lösung dieser Probleme bedarf es noch vieler Diskussionsrunden. Heute gilt es, die Vorgaben des Bun- desverfassungsgerichts mit seiner Terminierung 31. De- zember 2000 umzusetzen. Ich bitte um Zustimmung zur Gesetzesvorlage und dem Änderungsantrag der Koaliti- onsfraktionen. Meinrad Belle (CDU/CSU): Das Bundesverfassungs- gericht hat 1998 entschieden, dass § 18 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974, das den Fortbestand und die Höhe von Anwartschaften aus der Zusatzversorgung des öffent- lichen Dienstes bei vorzeitigem Ausscheiden abwei- chend von den für die Privatwirtschaft geltenden Vor- schriften regelt, mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und mit der Berufsfreiheit unvereinbar ist. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2000 eine verfas- sungsgemäße Neuregelung zu treffen. Dieser Verpflich- tung wird mit dem heute in zweiter und dritter Lesung zu verabschiedenden Gesetz entsprochen. Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alters- versorgung sieht vor, dass Anwartschaften auf eine be- triebliche Altersversorgung, soweit sie unverfallbar geworden sind, auch dann erhalten bleiben, wenn Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer vor Eintritt des Versor- gungsfalles aus dem Betrieb ausscheiden. Dabei wird für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb des öf- fentlichen Dienstes die auf die Dauer der Betriebszuge- hörigkeit entfallende Teilanwartschaft nach § 2 des Ge- setzes berechnet. Sie orientiert sich anteilig an der Höhe der für den Fall eines Verbleibens im Betrieb zugesagten Betriebsrente. Bisher war für Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer innerhalb des öffentlichen Dienstes für die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13869 (C) (D) (A) (B) Berechnung die Höhe des beim Ausscheiden maßgebli- chen monatlichen Arbeitsentgelts ausschlaggebend. Die- se unterschiedliche Art der Berechnung konnte bei durch- aus vergleichbaren Fällen beim späteren Eintritt des Versicherungsfalles zu unterschiedlich hohen Versor- gungsansprüchen führen. Mit der Änderung des §18 des Gesetzes werden die bei den Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes Versicherten und vergleichbare Personen den Arbeitnehmern mit einer Altersversorgungszusage der ge- werblichen Wirtschaft weitgehend gleichgestellt. Es wird eine Voll-Leistung auf der Grundlage der Versorgungsre- gelungen berechnet. Ausscheidende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes erhalten eine Anwartschaft auf einen ihrer Betriebszugehörigkeit ent- sprechenden Anteil der zugesagten Zusatzversorgung. Damit erfüllt der Gesetzgeber die Auflagen des Bun- desverfassungsgerichtes. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt daher dem Gesetz in zweiter und dritter Lesung zu. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Gesetz zur betrieblichen Altersversorgung re- gelt den Fortbestand und die Höhe von Zusatzversor- gungsanwartschaften bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst. Nach bisherigem Recht waren bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bei der Auszahlung der anteiligen Altersversorgung benachteiligt gegenüber solchen der gewerblichen Wirtschaft. Das Bundesverfas- sungsgericht hat dieses alte Recht wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsprinzip beanstandet. Die Bundesregierung hebt mit der Neuregelung diese Ungleichbehandlung auf und stellt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes gleich. Die Schlechterstellung beruhte auf einer unterschiedli- chen Berechnung der Versorgungsanwartschaften: Für Arbeitnehmer der gewerblichen Wirtschaft orientierte sie sich anteilig an der Höhe der für den Fall des Verbleibs zu- gesagten Betriebsrente. Für Arbeitnehmer des öffentli- chen Dienstes war die Höhe des bei Ausscheiden maß- geblichen Monatsentgelts ausschlaggebend. Nunmehr gilt in beiden Fällen eine Anwartschaft – wie bisher schon in der gewerblichen Wirtschaft –, die sich nach einem der Betriebszugehörigkeit entsprechenden Anteil der Zusatz- versorgung errechnet. Damit sind endlich die Rechtssysteme im gewerbli- chen und im öffentlichen Dienst weitgehend angeglichen. Nur noch aus den Besonderheiten der Zusatzversorgungs- systeme im öffentlichen Dienst ergeben sich geringfügig abweichende Regelungen. Damit trägt die Regierungs- koalition dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1998 Rechnung und beseitigt somit eine wei- tere Altlast der früheren Regierung. Dr. Max Stadler (F.D.P): Das, was heute dem Bun- destag zur Abstimmung in zweiter und dritter Lesung vor- liegt, ist nicht das, was als ursprünglicher Entwurf zur Än- derung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung in erster Lesung hier eingebracht wor- den ist. Zwar hat die rot-grüne Bundesregierung in Erfül- lung einer ihr seitens des Bundesverfassungsgerichts auf- erlegten Verpflichtung zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung der Dienstordnungsangestellten ver- sucht, einen konsensfähigen Gesetzentwurf vorzulegen. Bei dem Versuch wäre es aber geblieben, hätte nicht die F.D.P.-Bundestagsfraktion mit ihrem Änderungsantrag im Innenausschuss dafür gesorgt, dass insbesondere die Frage der Dynamisierung der Versorgung ehemaliger DO-Angestellter neu diskutiert wurde. Was jetzt dabei herausgekommen ist, entspricht zwar nicht unseren Vor- stellungen. Der überarbeitete Gesetzentwurf, so wie er in der Beschlussempfehlung des Ausschusses zur Geltung kommt, geht aber in die richtige Richtung und wird des- halb von der F.DP. unterstützt. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Der vorliegende Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbes- serung der betrieblichen Altersversorgung, des so ge- nannten Betriebsrentengesetzes, hat die Neuregelung der betrieblichen Altersversorgung im Rahmen des Betriebs- rentengesetzes für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes beim vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeits- verhältnis zum Gegenstand. Der Gesetzentwurf trägt damit einer Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, eine verfassungskonforme Regelung bis zum 31. Dezember 2000 zu schaffen. Das Betriebsrentengesetz regelt den Fortbestand und die Höhe der Anwartschaften aus einer betrieblichen Al- tersversorgung beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vor dem Eintritt des Versorgungs- falles. Zur Bestimmung dieser unverfallbaren Versor- gungsanwartschaften sieht bislang § 18 dieses Gesetzes für den öffentlichen Dienst eine von der für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft geltenden Regelung abweichende Methode vor. Während der Anspruch der Arbeitnehmer der gewerblichen Wirtschaft nach der allgemeinen Rege- lung des § 2 des Betriebsrentengesetzes sich anteilig an der Höhe der zugesagten Versorgungsrente orientiert, stellt die bisherige Fassung des § 18 für den öffentlichen Dienst auf die Höhe des beim Ausscheiden maßgeblichen Arbeitsentgelts und die Zeit der Pflichtversicherung in der Zusatzversorgung ab. Zudem werden diese Versorgungs- leistungen für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes – anders als die Leistungen für Beschäftigte in der Privat- wirtschaft – nach Eintritt des Versorgungsfalls nicht dy- namisiert. Diese Sonderregelungen hat das Bundesverfassungs- gericht mit Beschluss vom 15. Juli 1998 für verfassungs- widrig erklärt und festgestellt, dass sie gegen den allge- meinen Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes und gegen die Berufsfreiheit verstoßen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Ar- beitnehmer des öffentlichen Dienstes den Arbeitnehmern der gewerblichen Wirtschaft weitgehend gleichgestellt. Lediglich solche Fragen werden gesondert geregelt, die sich zwingend aus den Besonderheiten der Zusatzversor- gungssysteme des öffentlichen Dienstes ergeben. Nach der vorgesehenen Neuregelung soll sich in Zu- kunft auch der Anspruch eines vorzeitig aus dem öffent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013870 (C) (D) (A) (B) lichen Dienst ausgeschiedenen Arbeitnehmers an der zugesagten Versorgungsleistung orientieren. Hierbei ist Ausgangspunkt der individuelle Anspruch, der sich aus dem höchstmöglichen Versorgungssatz ergibt. Von die- sem erhält der Arbeitnehmer für jedes Jahr der Pflichtver- sicherung einen Anteil von 2,25 Prozent. Zudem werden die Versorgungsleistungen von Beginn der Rentenzahlun- gen an wie in der Privatwirtschaft dynamisiert. Im Rahmen der Ausschussberatungen wurde Ände- rungsanträgen Rechnung getragen. Zum einen wird nunmehr sichergestellt, dass die vor- zeitig aus dem öffentlichen Dienst ausgeschiedenen Ar- beitnehmer in Bezug auf die Abschlagsregelungen bei ei- nem vorzeitigen Renteneintritt nicht schlechter gestellt werden als die Arbeitnehmer, die bis zum Eintritt des Ver- sorgungsfalles in der Zusatzversorgung versichert waren. Zum anderen wurde für die so genannten Dienstord- nungs-Angestellten, die insbesondere im Bereich der So- zialversicherung tätig sind, in einer Übergangsregelung der Besitzstand nach dem alten Recht gewährleistet. Diese Lösung wurde im Einvernehmen mit der Gewerk- schaft der Sozialversicherung und dem AOK-Bundesver- band gefunden. Der Gesetzentwurf trägt den Vorgaben des Bundesver- fassungsgerichts Rechnung und trifft zugleich eine prak- tikable und ausgewogene Regelung für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde, – des Berichts: Bevölkerung wirksam vor „Kampfhunden“ schützen und – des Berichts: Obligatorische Haftpflichtver- sicherung für Hunde (Tagesordnungspunkt 23 a bis c) Ernst Bahr (SPD): „Kampfhund tötet Sechsjährigen“ – diese Schlagzeile ruft wohl bei uns allen noch schlechte Erinnerungen hervor. Freitag letzter Woche begann der Prozess gegen die Halter der beiden Kampfhunde. Seit- dem in Hamburg der Schuljunge Volkan von einem Pit- bull und einem Staffordshire-Bullterrier tödlich verletzt wurde, entwickelte sich das Thema Kampfhunde in der Öffentlichkeit zum Reizthema. Viele Bundesländer reagierten auf diesen und weitere tragische Zwischenfälle mit Eilverordnungen – zum Schutz des Menschen vor gefährlichen Tieren bzw. dem verantwortungslosen Handeln bestimmter Hundehalter. In diesen Eilverordnungen werden den Haltern von Hun- den mit gesteigerter Aggressivität bundeslandabhängig verschiedenste Pflichten auferlegt. Denn die Abwehr von Gefahren, die durch gefährliche Hunde verursacht wer- den, ist in erster Linie Aufgabe der Länder. Der Bund wird diese länderrechtlichen Regelungen mit dem vorliegenden, Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde unterstützen. Um den Forderungen, die sich aus der intensiven öffentlichen Debatte ergeben haben, ge- recht zu werden, haben wir das Gesetz bewusst in drei Schwerpunkte gegliedert: Erstens wird die Einfuhr bzw. das Verbringen von Hun- den der Rassen Pitbull-Terrier, American Staffordshire- Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier sowie de- ren Kreuzungen untereinander oder mit anderen Hunden in das Inland beschränkt. Das sind sehr agile Rassen, die hinsichtlich ihrer Aggressivität auf niedrige Hemm- schwellen gezüchtet wurden. Wir alle wissen, dass Hunde auch durch Erziehung und Ausbildung in ihrem Verhalten bestimmt werden. Auch diese Rassen können in vielen Lebensbereichen nicht nur gute Gefährten, sondern auch zuverlässige Helfer sein. Eine kleine Gruppe von Men- schen missbrauchen aber gerade vorrangig diese Hun- derassen als Statussymbole oder drohen gar, ihre Hunde gezielt als „Waffe“ einzusetzen. Auch wenn zahlenmäßig nur eine kleine Gruppe von Hundehaltern für diese tragi- schen Zwischenfälle verantwortlich ist, sind wir gezwun- gen, die bestehenden Gesetze zu verschärfen – wohl wis- send, damit auch Halter zu treffen, die verantwortungsvoll und sachkundig mit ihren Hunden auftreten. Zweitens greifen wir umfassender als bisher die Be- lange des Tierschutzes auf. Danach ist es durch Änderung des Tierschutzgesetzes in Zukunft möglich, das Züchten von Wirbeltieren bestimmter Arten, Rassen oder Linien zu verbieten oder zu beschränken, bei denen erblich be- dingt Verhaltensstörungen bzw. Aggressionssteigerungen auftreten. Wir wollen damit auch verhindern, dass bisher als „ungefährlich“ eingestufte Rassen „scharf“ gemacht werden. Und drittens sieht das Gesetz durch Änderung des Strafgesetzbuches eine schärfere Ahndung von Verstößen gegen landesrechtliche Vorschriften vor. Dabei werden Zuwiderhandlungen gegen landesrechtliche Zucht- und Handelsverbote – gewerbliche Tätigkeiten – mit einer höheren Strafe belegt als die Missachtung landesrechtli- cher Haltungsverbote, welche Ordnungswidrigkeitstatbe- stände bleiben sollen. Aus diesem Grund lehnen wir den Änderungsantrag der CDU/CSU ab. Die von der F.D.P.-Fraktion geforderte Aufnahme präventiver Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung so- wie die Aufnahme eines Im- und Exportverbotes in das Tierschutzgesetz lehnen wir ebenfalls ab, denn das Tier- schutzgesetz soll weiterhin in erster Linie das Leben und das Wohlbefinden der Tiere schützen. Die Bundesländer sind jetzt gefordert – wie in den Beschlüssen der IMK vom 24. November 2000 anvisiert – sich schnellstens um eine Harmonisierung ihrer Regelungen zu bemühen. Ei- nerseits muss das Reisen mit Hund von einem Bundesland ins nächste erleichtert werden und andererseits müssen Haltungserlaubnisse nach gleichen Maßstäben erteilt und auch untereinander anerkannt werden. Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass wir gezwungen sind, aufgrund des Fehlverhaltens einiger we- niger solch radikale Verbote auszusprechen. Denn wir nehmen die zunehmende Angst in der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden sehr ernst. Hysterie, wie sie in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13871 (C) (D) (A) (B) öffentlichen Diskussionen leider häufig zu hören war, ist genauso fehl am Platz wie das Beschimpfen von Hunde- haltern und – wie leider auch vorgekommen – das Treten oder Schlagen von Hunden. Günter Baumann (CDU/CSU): Entscheidend für das Lebensgefühl unserer Mitbürger ist nicht zuletzt ein mög- lichst hohes Maß an Sicherheit. Alle gesellschaftlichen Gruppierungen, die Kommunen, die Bundesländer und auch der Staat sind jeder in seiner hoheitlichen Kompe- tenz gefordert, dafür Sorge zu tragen, dass sich jeder Bür- ger in unserem Land, an jedem Ort und zu jeder Zeit si- cher fühlen kann. Leider ist es gerade in der letzten Zeit immer wieder vorgekommen, dass Menschen und oft auch Kinder von Hunden angegriffen, schwer und ver- einzelt sogar tödlich verletzt wurden. Besonders schreckt uns der Tod eines 6-jährigen Jungen aus Hamburg auf, der am 26. Juni dieses Jahres auf dem Schulgelände von ei- nem Pitbull-Terrier und einem Staffordshire-Terrier ange- griffen wurde. Die Gesellschaft kann Angriffe auf das Leben und die Gesundheit ihrer Bürger nicht hinnehmen. Gefährliche Tiere und das verantwortungslose Verhalten bestimmter Hundehalter haben uns alle in Gefahr gebracht. Restrik- tive Maßnahmen zum Schutze der Menschen sind drin- gend geboten. Der Deutsche Bundestag hat sich am 30. Juni 2000 unverzüglich nach den Vorkommnissen von Hamburg in einer Aktuellen Stunde mit diesem Thema be- schäftigt. Es wurde von der Öffentlichkeit in unserem Lande positiv aufgenommen, dass sich die Parteien in der Grundtendenz einig waren, neue und härtere Vorschriften gegen Kampfhunde zu erlassen. Die Abwehr von Gefahren, die von Kampfhunden aus- gehen, ist in erster Linie Aufgabe der Bundesländer. Die Bundesländer haben sich der Aufgabe gestellt und Rege- lungen erlassen, die jedoch von Land zu Land sehr unter- schiedlich ausfallen. Bereits in der Vergangenheit, im Jahr 1991, hatte es eine bemerkenswerte Bundesratsinitiative der Länder Nord- rhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen gegeben, die Aggressionsdressur und -züchtung auf Bundesebene zu verbieten. Das Gesetz sah vor, das Tierschutzgesetz, das Strafgesetzbuch und das Ordnungswidrigkeitengesetz zu ändern. Im Hinblick auf die Bedenken gegen die Zustän- digkeiten des Bundes und angesichts der Zuordnung der zu regelnden Materie zum Polizei- und Ordnungsrecht, das in die Zuständigkeit der Länder fällt – Art. 70 Abs. 1 Grund- gesetz –, scheiterte das Gesetzesvorhaben. Im Freistaat Sachsen zum Beispiel trat Anfang No- vember eine Verordnung in Kraft, wonach drei Kampf- hunderassen und deren Kreuzungen als gefährliche Hun- derasse eingestuft wurden. Diese Verordnung ist Teil des im September verabschiedeten Gesetzes zum „Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden“. Wer einen sol- chen Hund halten will, benötigt seitdem einen so genann- ten Hundeführerschein. Dabei wird nach Angabe des So- zialministeriums von Dresden geprüft, welche Kenntnisse der Halter über die Bedürfnisse, das Verhalten und die Er- ziehung des Hundes hat. Gefährliche Hunde müssen dem Gesetz zufolge in der Öffentlichkeit an der Leine geführt werden und einen Maulkorb tragen. Auf Kinderspiel- plätze, Liegewiesen oder in Badeanstalten dürfen sie nicht mitgenommen werden. Für den Erfolg strenger Regelungen spricht die Ver- ordnung des Freistaates Bayern, die auf ein faktisches Kampfhundeverbot hinausläuft und bereits seit 1992 in Kraft ist. Die Haltung von Kampfhunden unterliegt hier der Genehmigung der Gemeinde und bedarf eines „be- rechtigten Interesses“, das praktisch in den seltensten Fäl- len nachzuweisen ist. Der letzte schwerwiegende Unfall in Bayern wurde vor drei Jahren gemeldet. Da die einzelnen Regelungen in den Ländern sich zum Teil erheblich unterscheiden, hat sich die ständige Konfe- renz der Innenminister und -senatoren der Länder in die- sem Jahr am 5. Mai, 28. Juni und zuletzt am 24. Novem- ber mit der Harmonisierung der Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden beschäftigt. Soweit die Länderregelungen Auswirkungen auf an- dere Länder der Bundesrepublik haben können, empfiehlt die Innenministerkonferenz in zentralen Punkten eine An- gleichung, um in allen Ländern möglichst einheitliche Schutz- und Sicherungsmaßnahmen zu erreichen. Einer möglichst bundeseinheitlichen Regelung bedürfen: die Bestimmung gefährlicher Hunderassen, das Verbot der Aggressionszucht, die Knüpfung der Haltungserlaubnis an den Nachweis der Sachkenntnis und einer Haftpflicht- versicherung sowie die Ahndung von Verstößen mit emp- findlichen Geldbußen. Der Bund kann und muss – angesichts der allseits emp- fundenen Dringlichkeit dieser Frage der inneren Sicher- heit – die landesrechtlichen Regelungen durch Bundesre- gelungen ergänzen. Uns liegt in zweiter und dritter Lesung der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung gefährlicher Hunde“ vor. Dieser Gesetz- entwurf sieht ein Einfuhr- und Zuchtverbot sowie straf- rechtliche Regelungen vor. Im Wesentlichen sind dies die folgenden Maßnahmen: Erstens. Ein absolutes Einfuhrverbot für vier Hun- derassen, nämlich Pitbull-Terrier, American Staffords- hire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier und Bullterrier, so- wie deren Kreuzungen. Außerdem erstreckt sich das Verbot auf alle Hunde, die nach den Verordnungen des je- weiligen Landes, in das sie verbracht werden sollen, als gefährlich gelten. Zweitens. Verstöße gegen diese Importverbote werden unter Strafe gestellt. Drittens. Das Verbot der Aggressionszucht im Tier- schutzgesetz wird dahin gehend erweitert, dass nicht al- lein das unmittelbare Leiden des betreffenden Tieres, son- dern auch die von ihm ausgehende Gefahr für andere Tiere als tierschutzrelevant gilt. Bei Verstößen können die Tiere eingezogen werden. Viertens. In das Strafgesetzbuch wird ein Tatbestand eingeführt, der es unter Strafe stellt, gegen landesrechtli- che Verbote gefährliche Hunde zu züchten oder mit ihnen zu handeln. Auch hier ist die Einziehung dieser Hunde vorgesehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013872 (C) (D) (A) (B) Während im Hinblick auf das Einfuhr- und Zuchtver- bot weitgehender Konsens herrscht, ist der letzte Punkt umstritten. So fordert der Antrag der CDU/CSU, den Art. 3 zur Änderung des Strafgesetzbuches zu ergänzen: § 143 Strafgesetzbuch darf sich unserer Meinung nicht nur auf die Zucht und den Handel, sondern muss sich auch auf das Halten gefährlicher Hunde erstrecken, wenn die- ses landesrechtlich untersagt ist. Die Angriffe von „Kampfhunden“ auf Menschen ha- ben ihre unmittelbare Ursache in vielen Fällen weniger in der Züchtung von Hunden mit nicht beherrschbarem Ag- gressionspotenzial als vielmehr in dem verantwortungslo- sen Umgang der Halter mit solchen Tieren. Die Strafbe- wehrung sollte deshalb auch im Hinblick auf die landesrechtlichen Haltungsverbote Anwendung finden. Überdies ist nicht einzusehen, weshalb der Halter eines verbotenen Hundes straffrei ausgehen, der Züchter des- selben Tieres aber verurteilt werden sollte. Diese straf- rechtliche Privilegierung der Halter ist nicht nachzuvoll- ziehen. Die Nachbesserung des § 143 ist daher für uns die Voraussetzung, dem Gesetzentwurf zustimmen zu kön- nen. Zwei wesentliche Erweiterungen zum Entwurf der Re- gierungskoalition enthält der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P.: Erstens. Bei der angehenden Novellierung des Waffen- gesetzes sei der Waffenbegriff auf Kampfhunde zu erwei- tern, damit die waffenrechtlichen Verbote und sonstige Schutzvorschriften auch auf Kampfhunde und ihre Halter angewandt werden können. Zweitens. Es soll analog zur Kfz-Haftpflicht eine ge- setzlich obligatorische Haftpflichtversicherung für die Halter gefährlicher Hunde eingeführt werden. Die ver- tragliche Versicherungsleistung für Personenschäden dürfe dabei nicht unter 1 Million DM liegen. Dieser Entwurf wurde von der CDU/CSU aus zwei Gründen abgelehnt: Eine Erweiterung des Waffengeset- zes auf Kampfhunde würde bedeuten, dass alle Kampf- hundverordnungen der Länder hinfällig wären. Eine Pflicht-Haftpflichtversicherung für alle Hunde- halter wird von uns zwar generell begrüßt. Eine solche Regelung würde für die Geschädigten, die bei Beißzwi- schenfällen erheblich verletzt und zum Teil mit bleiben- den Schäden rechnen müssen, das Risiko der Zahlungs- unfähigkeit des Schädigers abwenden und sicherstellen, dass der Halter und nicht der Geschädigte die finanziellen Folgen trägt. Eine Beschränkung der Versicherungs- pflicht nur auf „gefährliche Hunde“ ist nicht zweckmäßig, da bereits bei einem Beißzwischenfall mit einem bis da- hin als „nicht gefährlich“ eingestuften Hund schwerwie- gende Schäden entstehen können. Hierbei könnte auf die Regelungen des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vorbildhaft zurückgegriffen werden, um so Direktansprüche gegen den Versicherer zu ermög- lichen und auch das Handeln des Hundeführers mit ein- zubeziehen. Für die Einführung einer obligatorischen Haftpflicht für Hundehalter fehlt dem Bund aber leider die gesetzgeberische Kompetenz. Dieses Gebiet ist dem Ordnungsrecht zugeordnet, das den Ländern obliegt. Die Forderung des Koalitionsantrages an die Bundesregie- rung, gemeinsam mit den Ländern für die Einführung ei- ner obligatorischen Haftpflichtversicherung zu sorgen, ist daher der einzig gangbare Weg. Die Union hat aktuell wieder gefordert, die Zucht und auch den Import von Kampfhunden konsequent zu unter- binden. Zuwiderhandlungen müssen streng bestraft wer- den. Nicht jeder kann Kampfhunde halten. Wir brauchen eine Art Hundeführerschein. Das Recht, gefährliche Hunde halten zu können, ist an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Straftäter dürfen keine Kampfhunde halten. Viele Menschen fühlen sich von Hunden bedroht, auch wenn es keine Kampfhunde sind. Hier kann ein Leinen- zwang in bestimmten Gebieten oder die Pflicht, in der Öf- fentlichkeit einen Maulkorb anzulegen, abhelfen. Insgesamt sehen wir eine weitreichende Übereinstim- mung zwischen unseren Forderungen, den Initiativen des Bundesrates und dem vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition. Mit Nachdruck empfehlen wir aller- dings die Annahme unseres Änderungsantrages. Aufgrund der allzu vielen, nicht länger hinnehmbaren Vorfälle musste die Politik reagieren und dies ist ein Schritt dazu. Wir dürfen aber auch nicht überzogen rea- gieren. Die geführte Debatte über Kampfhunde darf nicht zulasten des ehrenamtlichen Tierschutzes gehen, nicht gegen Millionen verantwortungsbewusster Halter und schon gar nicht gegen den Hund als solchen. Der Hund gehört in unser Leben, in unsere Familien. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, sagt: „Die auffälligen Hunde sind das Endergebnis falscher Zucht und Haltung. Daran muss sich das politische Han- deln orientieren, damit die Ursachen und nicht nur Symp- tome beseitigt werden.“ Die Problemfälle sind nicht die unten an der Leine, sondern die am anderen Ende. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die schrecklichen Vorfälle mit gefährlichen Hunden sind eine ernstes Problem. Wir haben uns im Deutschen Bundestag mehrfach mit diesem Thema auseinander gesetzt. Es ist für mich dabei aber mehr als eine Chronisten- pflicht, darauf zu verweisen, dass die damalige Fraktion der Grünen vor über zehn Jahren erstmals dazu einen Ge- setzentwurf vorgelegt hat. Hätte der damalige Gesetzge- ber das Problem erkannt, wäre uns vieles erspart geblie- ben. Die immer größer werdende Zahl unverantwortlicher Hundehalter in den letzten Jahren hätte sich durch mehr gesetzgeberische Voraussicht verhindern lassen können, ebenso wie die Zucht solcher Tiere und damit auch viele Tierschutzprobleme. Von daher bin ich froh, wenn wir heute endlich das tun, was auf Bundesebene getan werden kann und deshalb auch getan werden muss. Die Bürgerinnen und Bürger müssen aber zugleich wissen, dass der Bund nur eine begrenzte Zuständigkeit hat. Das Polizei- und Ordnungsrecht ist Sache der Länder. Es wäre fatal, wenn der Appell der Innenministerkonfe- renz zur Rechtsvereinheitlichung ungehört verhallen wür- de. Wir brauchen keine 16 total unterschiedlichen Ge- setze, sondern klare und transparente bundeseinheitliche Normen und eine darauf gegründete Praxis. Das jetzige Durcheinander führt in der Öffentlichkeit, bei Polizei, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13873 (C) (D) (A) (B) Ordnungsämtern und Hundehaltern zu Irritationen. Bei der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung stoßen diese länderbezogenen Regelungen an ihre Grenzen. Ohne die Vereinheitlichung haben wir nicht nur gesetzliches Chaos, sondern auch Unverständnis und Ärger bei den Bürgern und Hundehaltern. Wir alle bekommen in diesen Tagen viele Zuschriften gegen die Gesetze der Länder und das jetzt anstehende Bundesgesetz. Wir dürfen dabei nicht aus den Augen ver- lieren, was beispielsweise Kinder und Eltern von der Po- litik erwarten. Der Vertreter des Kinderschutzbundes for- derte in einer Anhörung meiner Fraktion von der Politik ein klares Bekenntnis zum Vorrang der Kinder bei der Nutzung öffentlicher Grünflächen gegenüber den Hun- den. Gerade hier in Berlin findet gegenwärtig dazu eine lebhafte öffentliche Debatte statt, da in vielen Bezirken nur wenige und kleine Grünflächen vorhanden sind, die traditionell von Hund und Halter für sich beansprucht werden. Elternverbände wehren sich zunehmend gegen diese Praxis. Das gilt auch für die Durchsetzung dese Lei- nen- und Maulkorbzwangs. Das Parlament muss hier ein Zeichen setzen und Re- gelungen schaffen. Mit dem heute zur Beschlussfassung anstehenden Gesetz kommen wir dieser Verantwortung nach. In dem Gesetz wird der Import gefährlicher Hunde ver- boten und der Erlass eines Zuchtverbotes für „Kampf- hunde“ – American Pitbull Terrier, American Stafford- shire-Terrier und Staffordshire-Bullterrier sowie deren Kreuzungen – verankert. Die Schaffung solcher Rasselis- ten wird von vielen Tierschützern abgelehnt, weil sie dem Problem nur unzureichend gerecht werden können. Die Entwicklung der Sachkundenachweise und der Heimtier- zuchtregeln müssen daher die nächsten Schritte sein. Auch die Anliegen des Tierschutzes sollen damit unter- stützt werden. Wichtig ist uns ganz besonders die Einführung einer obligatorischen Pflichtversicherung. Das ist mehr als eine flankierende Maßnahme. Der Antrag gibt diese Einschät- zung wieder. Allerdings liegt auch hier die Zuständigkeit bei den Ländern. Es bleibt uns hier vonseiten des Bun- destages nichts anderes übrig, als energisch zu mahnen. Es kann doch nicht angehen, dass die Betroffenen leer ausgehen, nur weil sich einzelne Hundehalter nicht um die Folgen kümmern und keine Vorsorge getroffen haben. Wir sollten die Verabschiedung des vorliegenden Koaliti- onsantrags gemeinsam nutzen, um hier die Bundesländer an ihre Verantwortung zu erinnern. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Vor zehn Jahren habe ich als Münchner Stadtrat die Problematik des Zusammenlebens von Mensch und Hund in der Stadt thematisiert. Ich habe damals auch ein Verbot von Kampf- hunden gefordert. Meine damalige Initiative führte nicht nur zur Kritik vom Tierschutzverein, sondern auch zu wü- tenden Kommentaren zum Beispiel in der „Süddeutschen Zeitung“. Sie werden deshalb verstehen, dass ich mich be- sonders darüber freue, wenn heute der Bundestag ein Ge- setz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde und unseren Antrag, die Bevölkerung wirksam vor Kampfhunden zu schützen, beschließt. Lassen Sie mich Folgendes klarstellen: Gerade wir Li- beralen respektieren natürlich den Wunsch vieler Men- schen, insbesondere älterer Menschen, einen Hund als Ge- fährten, ja auch als Freund zu halten. Hunde gehören zu unseren Städten und Dörfern, sie gehören zu uns. Aber müssen es denn Kampfhunde, müssen es Hunde besonders gefährlicher Rassen und Mischzüchtungen sein? Auf diese Frage kann nur mit einem klaren Nein geantwortet werden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, weswegen viele Menschen in Angst vor gefährlichen Hunden leben müs- sen. Vernünftige Politik wird immer abwägen zwischen der Freiheit des Hundehalters und dem Anspruch auf Freiheit aller anderen Menschen. Und lassen Sie mich dies mit der nötigen Deutlichkeit sagen: Freiheit bedeu- tet zunächst Freiheit von Angst. Wer Angst haben muss, ist nicht frei. Die Angst von Menschen vor großen und gefährlichen Hunden haben diejenigen zu respektieren, die zu ihrem eigenen erhöhten Lebensglück gefährliche Hunde halten. Ich will noch deutlicher werden: Selbst wenn der Hal- ter eines Hundes davon überzeugt ist, dass sein Hund „nichts tut“, so ist es dennoch seine Aufgabe, auch dem anderen Menschen, dem Spaziergänger, dem Jogger, dem radelnden Kind die Angst zu nehmen. Nicht derjenige, der Angst vor Hunden hat, muss zum Psychotherapeuten, sondern der Hundehalter, der die Tatsache der Angst vor Hunden nicht respektieren will. Nicht Hunde sind böse, sondern Züchter und Halter von Hunden sind dann böse, wenn sie nicht dafür sorgen, dass sich Hunde menschen- verträglich verhalten. Es ist eine der besonders betrüblichen Erfahrungen, dass Menschen aus einem besonders problematischen Umfeld, zum Beispiel Zuhälter und Menschen, die mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt geraten sind, eine be- sondere Vorliebe für die Hunde haben, die pauschal als Kampfhunde oder als gefährliche Hunde bezeichnet wer- den. Die psychologische Erklärung für derartiges Denken und Verhalten ist einfach. Viele Menschen wollen ihr feh- lendes Selbstwertgefühl durch die Zurschaustellung von Macht kompensieren. Sie genießen es, anderen Furcht einflößen zu können. Oft üben sie auch tatsächlich Macht über andere aus, weil diese aus Angst vor diesen Hunden lieber bereit sind, alles Mögliche zu erleiden, was dem Hundehalter frommt. Derartiges wird nicht mehr hingenommen. Der Ge- setzentwurf und unser Antrag sprechen eine deutliche Sprache. Die Liberalen unterstützen daher den Gesetzent- wurf der Bundesregierung, der die bundesgesetzlichen Möglichkeiten nutzt, den Schutz der Bevölkerung vor- wärts zu bringen. Es wird zu prüfen sein, ob die vorgeschlagenen Rege- lungen ausreichen, um die Sicherheit der Bevölkerung, speziell – ich betone dies nochmals – von Kindern und al- ten Menschen, zu gewährleisten. Sollte dies nicht der Fall sein, so wird sicherlich mit den Bundesländern über eine Ausweitung der betroffenen Hunderassen und über an- dere Maßnahmen nachzudenken sein. Die Fragen der Pflichthaftpflichtversicherung und des „Hundeführer- scheins“ sind noch offen. Es ist zu beklagen, dass erst wieder ein Kind totgebis- sen werden musste, damit der Bundestag tätig wurde. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013874 (C) (D) (A) (B) heute zu beschließenden Maßnahmen werden aber dazu beitragen, dass das Miteinander von Mensch und Hund besser wird, da die wichtigsten Angstauslöser endlich ent- schieden bekämpft werden. Eva Bulling-Schröter (PDS): Wir beenden heute vorläufig ein Drama, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Seit Jahren sah die Politik den drohenden Problemen zu, und erst als es zu tragischen Todesfällen kam, sie also nicht mehr zu leugnen waren, wurde gehandelt. Mehrere Menschen mußten durch Hundebisse sterben, und die Massenmedien hatten ihren Anteil an einer Hysterie, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr zu überbieten war. Um nicht falsch verstanden zu werden: Jedes totge- bissene Kind, jeder verletzte Mensch ist einer zu viel. Aber können diese Probleme wirklich durch gesetzliche Schnellschüsse gelöst werden ? Ist es nicht notwendig, präventiv Maßnahmen zu ergreifen, damit in Zukunft ma- ximaler Schutz vor Angriffen von Hunden gewährt wer- den kann? Wer sind die Schuldigen? Es sind doch die Menschen, die Hunde aggressiv züchten, und nicht die Produkte die- ser Zucht, die zum Teil dazu benutzt werden, das eigene Ego aufzuwerten. Und es sind diejenigen, die sich nicht an Zuchtordnungen halten und aus finanziellen Gründen Hunde züchten, die unter den Qualzuchtparagraphen fal- len. Es sind diejenigen, die ganz bewußt Hunde importie- ren, von denen sie wissen, dass eine ganz bestimmte Käu- ferschicht sie abnimmt. An dieser Stelle vor allem müsste das Problem bekämpft werden. Wichtig ist doch, dass hier der Gesetzgeber ansetzt. Deshalb halte ich besonders einen Führungsnachweis, ei- nen so genannten Hundeführerschein, für notwendig. Weiter ist eine Kennzeichnung und zentrale Erfassung von Hunden unbedingt notwendig. Auch eine Haftpflicht für Hunde sehe ich als dringend notwendig an. In Anbe- tracht der vielen Beißunfälle, die eben zum größten Teil nicht durch so genannte Kampfhunde verursacht wurden, stellt sich für mich schon die Frage nach dem Sinn von „Rasselisten“, die im Übrigen von Land zu Land ver- schieden sind. Eine Harmonisierung der Kampfhundver- ordnungen der Länder liegt bis dato nicht vor. Die Länder fühlen sich nicht in der Lage dazu, wie die letzte Innen- ministerkonferenz bewies. Die Spezifizierungen der Qualzuchten im Tierschutzgesetz kann ich nur begrüßen. Sie ist schon lange überfällig. Insgesamt kann ich nur hoffen, dass mit der Verabschie- dung der Regelungen und Verordnungen auch die Mittel bereitgestellt werden, um auch diese vernünftig zu über- prüfen und zu gewährleisten, dass Kontrollen und dement- sprechende Sanktionen dann auch stattfinden. Denn Ver- ordnungen haben nur dann einen Wert, wenn sie auch durchgesetzt werden. Ich hoffe, dass unverantwortliche Züchter in Zukunft in ihre Schranken gewiesen werden und wir wieder zu einem friedlichen Zusammenleben von Hun- debesitzern und Nichthundebesitzern kommen – ohne Angst und gegenseitige Denunziationen und vor allem, ohne noch einmal einen Todesfall beklagen zu müssen. Den betroffenen Hundebesitzern muß jetzt allerdings auch Hilfe gewährt werden, denn auch das finde ich un- verantwortlich, wenn sie jetzt alleine im Regen stehen ge- lassen werden. Es kann nicht sein, dass Menschen ihre Hunde ins Tier- heim abschieben müssen, weil sie mit der jetzigen Situa- tion nicht mehr zurechtkommen. Und es müssen Gelder zur Verfügung gestellt werden, um die Tierheime, die in- zwischen überfüllt sind, weil sich Menschen ihren Hund nicht mehr zu halten trauen, zu unterstützen. Alles in allem meine ich, dass der Hysterie, die in den Medien undifferenziert vor allem gegen große Hunde ge- schürt wurde, einem Klima weichen muss, dass es wieder möglich macht, unvoreingenommen mit Haustieren zu- sammenzuleben. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Uns allen sind die vermehr- ten Angriffe von gefährlichen Hunden – so genannten Kampfhunden – auf Menschen in Erinnerung. Dabei gab es sogar schon Tote. Wie am 6. Juni in Hamburg, wo ein 6-jähriger Junge von zwei Hunden zu Tode gebissen wurde. Solche Vorfalle können und dürfen nicht hinge- nommen werden. Leben und Gesundheit von Menschen dürfen nicht durch gefährliche Tiere bzw. durch das ver- antwortungslose Handeln bestimmter Hundehalter in Ge- fahr gebracht werden. Inzwischen sorgt auch der laufende Strafprozess in dieser Sache für öffentliche Aufmerksam- keit. Die Abwehr von Gefahren,, die durch gefährliche Hunde verursacht werden, ist in Deutschland in erster Linie Aufgabe der Bundesländer. Im Rahmen des Poli- zeirechts haben sie die entscheidenden Regelungen zu treffen. Die Länder haben deshalb unter Berücksichti- gung der bisherigen Beschlüsse der IMK entsprechende Regelungen erlassen bzw. bestehende Regelungen er- gänzt. Diese Regelungen weichen jedoch teilweise erheb- lich voneinander ab; am 24. November hat die IMK des- halb Grundsätze zur Harmonisierung der landesrecht- lichen Regelungen festgelegt. Die Bundesregierung kann und muss angesichts der Dringlichkeit der Situation die länderrechtlichen Rege- lungen durch Inanspruchnahme ihrer Kompetenzen schnell und sinnvoll ergänzen. Das Bundeskabinett hat deshalb ein Bundesgesetz, das „Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde“, beschlossen. Dieses Gesetz unter- stützt die länderrechtlichen Regelungen im Rahmen der Kompetenzen des Bundes durch folgende Maßnahmen: ein Importverbot für gefährliche Hunde, ein Zuchtverbot im Rahmen des Tierschutzgesetzes, eine Strafnorm, die Verstöße gegen landesrechtliche Verbote ahndet. Im Einzelnen: Das Gesetz regelt ein absolutes Ein- fuhrverbot für drei Hunderassen, die bereits im IMK- Beschluss vom 5. Mai 2000 als besonders gefährlich bezeichnet worden sind, nämlich Pitbull-Terrier, Ameri- can Staffordshire-Terrier, Staffordshire-Bullterrier (Art. 1 § 1 Abs. 1). Auf Anregung des Bundesrates soll auch die Einfuhr des Bullterrier verboten werden. Verstöße gegen diese Importverbote werden unter Strafe gestellt. Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, bei Verstößen gegen die genannten Bestimmungen die Hunde einzuziehen. Im Tierschutzgesetz wird ein Zuchtverbot für Hunde ausge- sprochen, bei denen durch die Zucht erblich bedingte Ag- gressionssteigerungen verstärkt werden. In das Strafge- setzbuch wird ein Tatbestand eingeführt, der es unter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13875 (C) (D) (A) (B) Strafe stellt, entgegen landesrechtlicher Verbote gefährli- che Hunde zu züchten oder mit ihnen zu handeln. Auch hier ist die Einziehung dieser Hunde vorgesehen. Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 29. Septem- ber 2000 eine auf das Tierschutzgesetz gestützte Hunde- verordnung dem Bundesrat zugeleitet, in der die Haltung und Zucht von Hunden geregelt wird. Dadurch soll ein Rückgang der insbesondere auf Haltungsfehlern beruhen- den Aggressivität von Hunden erreicht werden. Das dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Problem wurde auch am 28. September 2000 in Brüssel auf der Sit- zung dis Rates der Justiz- und Innenminister erörtert. Die EU-Kommission hat daraufhin mitgeteilt, gegenwärtig die Frage zu prüfen, ob das angestrebte Ziel durch einen Rechtsakt auf der Grundlage des EU-Vertrages geregelt werden kann. Am 6. Dezember 2000 ist der Gesetzentwurf im In- nenausschuss des Bundestages beraten worden. Den genannten Hunderassen wird in dem Gesetzent- wurf der Bundesregierung eine besonders niedrige Reiz- schwelle, große Kampfkraft und damit eine besondere Gefährlichkeit zugesprochen. Wegen ihrer ursprüng- lichen Zweckbestimmung zur Verwendung als Kampf- hund verfügen diese Rassen über ein besonderes genoty- pisches Potenzial (insbesondere Beißkraft und Art des Beißens), das es rechtfertigt, die Einstufung im Vergleich zu Hunden anderer großer Rassen vorzunehmen. In dem vom Bundesministerium für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten in Auftrag gegebenen Gutachten zur Auslegung von § 11 b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen) wird als Verhaltensstörung die „Hy- pertrophie des Aggressionsverhaltens“ wie folgt definiert: „Übersteigertes Angriffs- und Kampfverhalten, das leicht auslösbar und biologisch weder bezüglich Zweck noch Ziel sinnvoll ist.“ Es wird darauf hingewiesen, dass die- ses Verhalten grundsätzlich in vielen Rassen oder Zucht- linien auftreten kann, es sich jedoch besonders ausgeprägt in bestimmten Zuchtlinien der Bullterrier, American-Staf- fordshire-Terrier und Pitbull-Terrier zeigt. Zu den Rassen im Einzelnen liegen folgende Erkennt- nisse vor. Ich beziehe mich auf die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 12. Oktober 1994: Zum Bullterrier. Bei dieser Rasse stellt die Fachlitera- tur im Wesentlichen übereinstimmend zumindest bei ei- nem nicht unbeträchtlichem Teil der Züchtungen eine ge- netische Hypertrophie des Aggressionsverhaltens fest. Es handele sich um wehrhafte, angriffslustige Tiere, durch eine einseitige Zuchtauswahl sei vielfach eine Senkung der Aggressionsschwelle angestrebt worden; dadurch habe sich das Aggressionsverhalten zunehmend verstärkt; der Hund kenne keine Beißhemmung, er spüre in Rage keinen Schmerz mehr und kämpfe bis zum Tod. Zum American Staffordshire-Terrier. Dieser Hund wird zwar einerseits als ein gegenüber Menschen nicht überaggressiver Hund – bei entsprechender Erziehung – und als ruhig und gutmütig beschrieben. Andererseits wird hervorgehoben, dass er bis in die jüngste Zeit als Kampfhund für Hundekämpfe gezüchtet wurde, da sein Sozialverhalten gegenüber Artgenossen unterentwickelt und sein Gefahrenpotenzial groß sei, wenn er in falsche Hände gerate; es handelt sich außerdem um einen absolut furchtlosen, sehr kräftigen Hund. Zum Pittbull-Terrier. Dieser gemäß kynologischer Fachliteratur auch „American Pitbull-Terrier“ genannte Hund wird durch den VDH als eindeutige Gruppe von Kampfhunden bezeichnet; einziges Ziel der Züchtung sei eine möglichst niedrige Aggressionsschwelle. Zum Staffordshire-Bullterrier. Dieser Hund wird zwar als freundlich und gutmütig gegenüber Menschen ge- schildert, aber aufgrund seiner Zuchtgeschichte als Rat- tenbeißer und Kampfhund sei er äußerst aggressiv gegen- über anderen Hunden und Tieren; es handele sich darüber hinaus um einen zwar nicht sehr großen (Schulterhöhe 36 bis 41 Zentimeter), aber sehr kräftigen, wendigen Hund mit „mächtigen Kiefern und unersättlichem Kampf- trieb“. Bei der Begegnung mit anderen Hunden – gleich welcher Größe oder äußeren Gestalt – verwandelt sich der Stafford häufig vom „Gentleman mit vorzüglichen Ma- nieren“ zur „Kampfhundemaschine, er ist dann tatsäch- lich zu allem fähig“. Zur Frage der Einführung einer obligatorischen Haft- pflichtversicherung für Hunde – die Gegenstand der An- träge der Fraktionen von FDP sowie von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen ist – muss ich allerdings darauf hinweisen, dass hierfür eine Kompetenz des Bundes nicht gegeben ist. Im Übrigen hat die IMK im Beschluss vom 24. November 2000 zur Harmonisierung der landesrecht- lichen Regelungen eine obligatorische Haftpflichtversi- cherung für Hundehalter ausdrücklich vorgesehen. Damit das Gesetz möglichst bald seine Schutzwirkung entfalten kann, wäre ich Ihnen im Interesse der Bevölke- rung für die Billigung des Gesetzentwurfs sehr dankbar. Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion PDS zu der vereinbarten Debatte zur aktuel- len Situation in Nahost und – für eine Konferenz für Sicherheit und Zusam- menarbeit im Nahen Osten (KSZNO). (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Christoph Moosbauer (SPD): Die derzeitige Kri- sensituation im Nahen Osten sollte eigentlich zu einer ge- meinsamen Anstrengung der Staatengemeinschaft, somit auch Deutschlands und aller im Bundestag vertretenen Parteien führen. Denn wie schon die Debatte vor vier Wo- chen gezeigt hat, haben wir alle einen gemeinsamen Ap- pell: Stoppt die Gewalt und kehrt – so schwer das mo- mentan erscheinen mag – an den Verhandlungstisch zurück! Dieser Appell liegt ja auch den beiden Anträgen zugrunde, die uns heute vorliegen. Doch einer guten Grundlage folgen nicht immer die richtigen Schlüsse. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013876 (C) (D) (A) (B) Die Idee, im Nahen Osten einen Prozess nach dem Vor- bild der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu schaffen, ist ja nicht gerade neu. Leider ist sie auch nicht besonders originell. Denn wenn wir uns den KSZE-Prozess wirklich als Vorbild nehmen, dann sollten wir uns vor Augen führen, was die Grundbedingungen für den Prozess waren. Das waren zunächst drei Bedingun- gen: die Abwesenheit von Gewalt, gegenseitig anerkannte Grenzen und die grundsätzliche Bereitschaft, die Interes- sen der Verhandlungspartner als legitim zu betrachten. Diese Grundbedingungen sind nicht gegeben! Sie können es drehen und wenden, wie sie wollen: Ein solcher Pro- zess hat keinen Sinn, solange die Menschen dort aufei- nander schießen. Das möchte ich zum Grundsätzlichen sagen. Natürlich unterstütze ich die Idee, über eine insti- tutionelle Zusammenarbeit Vertrauen zwischen den Geg- nern aufzubauen. Deshalb unterstützt die Bundesregie- rung mit Nachdruck den Barcelona-Prozess. Wir haben im April 1999 mit der Organisation der Konferenz von Stuttgart die deutsche Verantwortung für den Barcelona- Prozess unterstrichen. Mit dieser europäischen Initiative haben wir doch ge- nau das, was sie in Ihrem Antrag wollen: vertrauensbil- dende Maßnahmen durch gegenseitige Kooperation im Sicherheitsbereich. Wir legen den Sicherheitsbegriff heute umfassend aus, das heißt auch so genannte weiche Faktoren wie Schutz der Umwelt, Gewährung von Grund- rechten und dergleichen gehören zu einem umfassenden Konzept von Sicherheit. Mit dem Barcelona-Prozess wird genau dies verfolgt. Nur zeigt sich eben auch hier die Schwäche: Einige Partner aus den Mittelmeerländern, die für eine belastbare Friedenslösung unabdingbar sind, neh- men an den Verhandlungen nicht teil. Hier muss unser Ap- pell an Syrien und den Libanon sein: Kommt mit an den Tisch! Da können wir noch so viele Konferenzen und Pro- zesse starten: Der Frieden im Nahen Osten muss zwischen den Völkern und den Regierungen in der Region gemacht werden. Der KSZE-Prozess in Europa hätte eben auch nicht funktioniert, wenn sich beispielsweise die Sowjet- union nicht daran beteiligt hätte. Deshalb ist es alles an- dere als zielführend, den vielen Versuchen, vertrauensbil- dende Maßnahmen in der Region einzuleiten, noch einen weiteren, institutionalisierten Prozess beizufügen. An Strukturen mangelt es nicht, sondern am Willen in diesen Strukturen mitzuarbeiten. Diesen Willen können sie eben nicht im deutschen Bundestag beschließen. Zum Antrag der PDS. Bei allem was hier Richtiges und Wichtiges im Antrag gesagt wird, eines fällt doch auf: die unausgewogene Verurteilung Israels. Bei allem Verständ- nis für das große sozialistische Herz für die Befreiungs- bewegungen dieser Welt: Ihre Behauptung, der Verhand- lungsprozess sei von Israel einseitig ausgesetzt worden, ist schlicht nicht zutreffend. Es ist keine Frage, dass wir hier einen Konflikt zwischen Stark und Schwach und zwi- schen Besatzungsmacht und besetztem Volk haben. Aber wir reden eben auch von zwei Völkern, deren Schicksal auch in Zukunft auf das Engste miteinander verknüpft sein wird: politisch, ökonomisch und sozial. Im schwierigen Verhandlungsprozess und bei der Hilflosigkeit auf beiden Seiten – die Spirale der Gewalt wirkungsvoll zu stoppen –, in dieser Situation den schwar- zen Peter zu verteilen, das kann doch wirklich nicht un- sere Aufgabe sein. So einfach lässt sich das Bild eben nicht zeichnen. Da können sie Herrn Dr. Gysi fragen, der auch den Kanzler auf seiner Nahost-Reise begleitet hat. Ich glaube, wir alle haben auf dieser Reise in vielen Ge- sprächen den Eindruck gewonnen, dass die Sackgasse, in die der Friedensprozess offensichtlich gelaufen ist, mehr Ursachen hat, als das zugegebenermaßen unglückliche Agieren von Barak in Camp David. So zu tun, als könnte in einem Verhandlungsprozess nur die starke Seite Fehler machen, mag zwar Ihrem Weltbild entsprechen, aber nicht der Realität. Bundeskanzler Schröder hat es bei seiner schwierigen Reise geschafft in der Region die deutsche Haltung deutlich zu machen. Wir sind neutral, aber nicht im den Sinne, dass uns die ganze Angelegenheit wurst ist, sondern in dem Sinne, dass wir uns nicht auf eine Seite stellen. Das hilft dem ganzen Prozess nämlich gar nichts. Wir wollen vielmehr helfen, wo wir können und wo dies auch gewünscht ist, und zwar von beiden Seiten. Aber der wesentliche Punkt, warum wir dem Antrag nicht zustimmen werden, ist, das wissen Sie, ihre Forde- rung Nummer fünf, einen palästinensischen Staat anzuer- kennen, auch wenn das nicht Ergebnis von Verhandlungen ist. Wir haben uns zusammen mit den europäischen Part- nern auf die Haltung verständigt, dass wir einen palästi- nensischen Staat wollen und unterstützen, aber das wir ihn nur anerkennen, wenn er Ergebnis von Verhandlungen ist. Diese Linie zu verlassen, halte ich nicht nur für unklug, sondern auch für gefährlich. Es bringt den Palästinensern im Übrigen auch nichts. Denn für die dauerhafte Etablie- rung eines palästinensischen Staates ist vor allem aus- schlaggebend, dass er von einem bestimmten Staat aner- kannt wird, nämlich von Israel. Das heisst gleichzeitig, dass eine dauerhafte Lösung nur Ergebnis von Verhand- lungen sein kann. Sie werden gleich natürlich sagen, dass Ihnen das be- wusst war und das das eigentlich Ziel Ihres Antrages ist, die Koalitionsparteien zu einem eigenen Antrag zu bewe- gen, damit das Thema endlich einmal angemessen berücksichtigt wird. Darin finden sie keinen größeren Be- fürworter als mich. Aber Anträge, die dazu führen, dass ein außenpolitisch so bedeutsames Thema am Freitag Nachmittag in einer halben Stunde behandelt wird, kön- nen doch auch nicht das Wahre sein. Außerdem denke ich, dass es wenig zielführend ist, nun auf eine weitere Eskalation der Gewalt so zu reagie- ren, dass wir einen Antrag präsentieren, der sich im We- sentlichen auf die jüngsten Vorkommnisse bezieht. Wir sollten hier einmal ausführlicher über die Grundlagen deutscher Nahostpolitik diskutieren und auch klarma- chen, welche Prioritäten deutsche Nahostpolitik setzt. Die Priorität für Deutschland wird zunächst heißen: Die Sicherheit des Staates Israel! Nichts hat die Sicherheit Israels so gefährdet wie der Versuch, über ein anderes Volk zu bestimmen. Deshalb heißt Sicherheit des Staates Israel auch, dass es einen palästinensischen Staat geben muss. Wir wollen helfen, auf diesem Weg politische und ökonomische Schwierigkeiten zu überwinden. Die vorlie- genden Anträge helfen dabei nicht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13877 (C) (D) (A) (B) Anlage 24 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Gesetzentwürfe: – Neuordnung des Gerichtsvollzieherkosten- rechts – GvKostRNeuOG und – Umstellung des Kostenrechts und der Steu- erberatergebührenverordnung auf Euro – KostREuroUG (Tagesordnungspunkt 25 a und b) Alfred Hartenbach (SPD): Heute verteilen wir vor- gezogene Weihnachtsgeschenke. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkosten- rechts dokumentieren wir ein weiteres Mal den Reform- willen der Bundesregierung im Justizbereich. Wir verab- schieden uns von dem bisherigen Gesetz über die Kosten der Gerichtsvollzieher, weil es zu kompliziert wird, ins- besondere bei mehreren Aufträgen eines oder mehrerer Auftraggeber zu Komplikationen führte. Das neue Kostenrecht ist übersichtlich und klar ge- staltet. An dieser Stelle darf ich mich bei der Bundesmi- nisterin der Justiz und ihren Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern, die dieses umfassende Werk geschaffen haben, sehr herzlich bedanken. Bedanken möchte ich mich auch bei dem Ministerium für die gute Zusammenarbeit bei den Vorberatungen und insbesondere gilt mein Dank den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, mit denen wir in einem umfassenden und sehr sachlichen Be- richterstattergespräch gemeinsam mit Vertretern der Bundesländer zu der nun vorliegenden Fassung gekom- men sind. Ich sagte es bereits: Wir verteilen heute Weihnachts- geschenke. Dieses Gesetz gehört in die Kategorie länder- freundlich. Durch die nunmehr gefundene Fassung wer- den die Länder ein Mehraufkommen aus den Gebühren haben, das sich pro Jahr bei etwa 120 Millionen DM ein- pendeln wird. Demgegenüber werden die Kosten des seit Jahren nicht mehr angehobenen Gebührenspiegels für die Wirtschaft und für die privaten Haushalte um etwa 10 bis 15 Prozent steigen. Dies ist eine maßvolle Anhebung, die insbesondere die besonders schwierige Situation derjeni- gen Menschen berücksichtigt, die von den Maßnahmen der Gerichtsvollzieher betroffen sind. Aber auch diejeni- gen Gläubiger, die in Vorleistung treten müssen, werden nicht über Gebühr belastet. Den Gerichtsvollziehern ver- bleibt in aller Regel die Erstattung der baren Kosten. Hier haben wir nach intensiven Gesprächen mit den Gerichts- vollziehern ebenfalls eine gute und vernünftige Regelung gefunden. Insgesamt möchte ich einige ganz wenige Punkte he- rausnehmen, die letztlich von Bedeutung sein werden. So soll künftig die Beglaubigung eines Schriftstückes, die dem Gerichtsvollzieher Zeit und Mühe kostet, gebühren- pflichtig sein und erstattungsfähig. Bei den Wegekosten für die Gerichtsvollzieher haben wir das System verein- facht und gehen von der bisherigen Wegekostenpauschale ab auf neue Pauschalen, die sich dann allerdings nach der Luftlinie vom Dienstort aus berechnen. Hierbei haben wir durchaus berücksichtigt, dass Energiekosten und Kfz- Haltung für die Gerichtsvollzieher teurer geworden sind. Die Gebühr für eine Pfändung wird maßvoll angeho- ben, ebenso die Gebühr für die Abnahme der eidesstattli- chen Versicherung. Wir haben dabei darauf geachtet, dass es den Gläubigern weiterhin möglich sein soll, den so ge- nannten Kombi-Auftrag zu stellen. Das bedeutet, dass es für den Gläubiger – und damit letztlich auch für den Schuldner – immer günstiger ist, wenn er mit dem Antrag auf Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen auch zugleich für den Fall, dass Vermögen nicht vorhan- den ist, die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung beantragen kann. Wir erreichen hiermit, dass den Ländern in ihren Jus- tizhaushalten zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen. Nun erwarten wir allerdings von den Ländern, dass diese zusätzlichen Mittel nicht in den allgemeinen Finanztopf geworfen werden, sondern tatsächlich zur Stärkung der Justiz dienen: für mehr Richter, für mehr Rechtspfleger, aber auch – darüber reden wir ja heute – für die Einstel- lung von mehr Gerichtsvollziehern und für eine Neuord- nung der Ausbildung der Gerichtsvollzieher. Wir alle wissen, dass das schönste Urteil nichts nützt, wenn man nicht durch staatliche Hilfe, durch staatliche Zwangsmaßnahmen, den Anspruch aus dem Urteil ver- wirklichen kann. Dies geschieht durch die Inanspruch- nahme von Gerichtsvollziehern. Hier brauchen wir in ei- ner Zeit; die durch Globalisierung und Modernisierung an alle staatlichen Organe immer neue Herausforderungen stellt, eben bestens motivierte und bestens ausgebildete Gerichtsvollzieher. Wir sind überzeugt, wir haben mit diesem Gesetz einen ersten in die richtige Richtung wei- senden Schritt getan. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Ge- richtsvollzieherkostenrechts, der durch die Umstellung auf Euro notwendig wurde, ist zum Anlass genommen worden, eine Reihe von anderen Bestimmungen zu än- dern, die der Vereinfachung bei der Abwicklung dienen sollen. Die Einführung von Pauschalen, die nicht unbedingt vonseiten der Gerichtsvollzieher gewünscht war, gibt ih- nen auf Dauer mehr Zeit, um ihre eigentlichen Aufgaben durchführen zu können. Dabei sei daran gedacht, dass die Aufgabe der Gerichtsvollzieher ein außerordentlich wich- tiger Dienst im Auftrag der Justiz ist, weil ohne sie der Vollzug vieler gerichtlicher Beschlüsse und Urteile nicht möglich wäre. Nachdem einige Änderungen an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durch die Berichterstatter vorge- nommen wurden – nicht zuletzt auch auf Anregungen der Vertreter der Gerichtsvollzieher –, konnte die CDU/CSU- Fraktion diesem Gesetz zustimmen, auch wenn noch die eine oder andere Forderung der Gerichtsvollzieher ge- rechtfertig gewesen wäre und von der CDU/CSU gerne erfüllt worden wäre. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013878 (C) (D) (A) (B) Alles in allem zeigt aber das Gesetz die Anerkennung des wichtigen Berufes des Gerichtsvollziehers, der auch in seiner Selbstständigkeit gestärkt wurde. Mit den Veränderungen einzelner Gebühren konnte im Wesentlichen auch die Sorge der Gerichtsvollzieher ge- nommen werden, durch das neue Gesetz Einbußen zu er- leiden. Unter anderem wurde die Beglaubigung eines Schriftstückes gebührenpflichtig, der Grundbetrag für die Pfändung wurde erhöht, ebenso die Abnahme der Eides- stattlichen Versicherung, und zwar um rund 10 DM. Dies gleicht den Nachteil aus, für eine vergebliche Abnahme keine Gebühr zu erhalten. Die Verdoppelung der Gebühr bei der Entgegennahme einer Zahlung ist ebenso wie die Erhöhung der Gebühren für nicht erledigte Amtshandlun- gen sachgerecht. Auch die Anhebung der Pauschale für sonstige bare Auslagen ist sachgerecht. Die ungern gesehene Entfer- nungspauschale nach Luftlinie stellt sich im Nachhinein sicher als eine gute Lösung für den Gerichtsvollzieher dar, weil er nicht mehr pro Auftrag die gefahrenen Kilometer nachweisen und abrechnen muss, sondern unabhängig von der Zahl der Aufträge, die er auf einer Wegstrecke er- ledigt, die Pauschale jeweils berechnen kann. Der Wunsch der CDU/CSU-Fraktion, dabei ein höheres Kilometergeld anzuwenden, ließ sich nicht durchsetzen. Alles in allem hat sich aber die Regierungskoalition in den Gesprächen kom- promissbereit gezeigt, sodass die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag der jetzt vorliegenden Fassung zustimmt. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt auch dem Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberaterge- bührenverordnung auf Euro zu, weil hier vom Grundsatz her nur eine Umstellung von DM auf Euro durchgeführt wird. Dabei mag die eine oder andere Gebühr etwas ge- ringer ausfallen; der Bundesregierung ist jedoch zuzu- stimmen, dass dies bei anderen Gebühren ausgeglichen wurde. So ist nicht von geringeren Einnahmen der Steuerbera- ter auszugehen. Richtigerweise wurden runde Euro-Be- träge eingesetzt, um nicht in den Centbereich zu kommen. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt daher diesem Gesetz zu. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzie- herkostenrechts ist ein wesentlicher Schritt zur Moderni- sierung und Vereinfachung des Kostenrechts. Der wichtigste Punkt ist die Umstellung vom Wertge- bührensystem auf ein Festgebührensystem. Dies bedeutet eine völlige Neustrukturierung der Gerichtsvollzieher- kosten. Bisher hing die Höhe der Gebühren davon ab, wie hoch der Wert der zu pfändenden Forderung war. In Zu- kunft wird die Art der vorgenommenen Maßnahmen die Gebührenhöhe bestimmen. Hierdurch wird die Gebüh- renberechnung wesentlich vereinfacht. Des Weiteren werden Auslagentatbestände durch Pau- schalen ersetzt. Auch dies führt zu einer wesentlichen Ver- einfachung. Gebührentatbestände, die in der Praxis keine Rolle spielen oder nur zu sehr geringfügigen Einnahmen führen, werden aufgehoben. Diese Neuregelungen werden die wichtige Arbeit der Gerichtsvollzieher von überflüssigem „Papierkram“ ent- lasten. Sie bringen darüber hinaus eine wesentliche Ent- lastung der Gerichte von der umfangreichen Kostenrecht- sprechung mit sich. Es ist ökonomischer Unsinn, wenn die Gerichte sich mit Fällen befassen müssen, die erst durch die Inanspruchnahme der Gerichte entstanden sind. Diese Form der „Selbstbefassung“ wird mit dem neuen Gerichtsvollzieherkostenrecht künftig seltener werden. So werden die Kosten der Justiz vermindert, ohne dass der Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger verkürzt wird. Im Gesetzgebungsverfahren ist es gelungen, mehrere Gebührentatbestände anzupassen, die von den Gerichts- vollziehern – zu Recht! – als ungerecht empfunden wur- den. So wurde unter anderem die Hebegebühr für die Ent- gegennahme einer Zahlung von zunächst nur 2,93 DM auf 5,87 DM erhöht und nun auch für Beglaubigungen eine Gebühr vorgesehen. Die neuen Festgebühren wurden so bestimmt, dass für die Länder Mehreinnahmen von circa 10 bis 15 Prozent zu erwarten sind. Diese Erhöhung ist wichtig, da die Ge- richtsvollzieherkosten seit 1994 gleich geblieben sind. Daneben soll heute das Gesetz zur Umstellung des Kos- tenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf Euro beschlossen werden. Mit dieser rechtzeitigen Um- stellung des Kostenrechts auf Euro sorgen wir dafür, dass der Justiz durch die Euro-Umstellung kein zusätzlicher Aufwand durch umständliche Berechnungen entsteht. Wenn diese beiden Gesetze heute beschlossen werden, ist dies ein wesentlicher Schritt im Rahmen der umfas- senden Kostenstrukturreform, die von der Koalition in Angriff genommen wurde. Rainer Funke (F.D.P.): Ich möchte auf das Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberaterge- bührenordnung auf Euro nur kurz eingehen. Grundsätz- lich können wir diesem Gesetz zustimmen. Zwar bewirkt die Umstellung, dass einzelne Gebühren niedriger sind als zuvor. Dafür wird aber in der Regel an anderer Stelle nach oben ausgeglichen. So ist eine Angleichung im Zuge der Euro-Umstellung weitgehend gewährleistet. Für das zweite Gesetz, das Gesetz zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts, kann ich das leider nicht sagen. Die Verantwortung der Gerichtsvollzieher in unse- rer Rechtsordnung ist in den letzten Jahren stetig gestie- gen. Viele Aufgaben wurden den Gerichtsvollziehern übertragen. Dieser Verantwortung haben sie sich auch erfolgreich gestellt. Man denke zum Beispiel an die Ab- nahme eidesstattlicher Versicherungen. Dass hier eine ge- bührenrechtliche Anpassung versucht werden muss, ist wohl unbestreitbar und wird von uns außerordentlich be- grüßt. Insoweit ist der Neuregelung des Kostenrechts auch zuzustimmen. Jedoch sehen wir die Angleichung beim Wegegeld nur unzureichend gelöst. Die Bundesregierung billigt den Ge- richtsvollziehern bis 10 Kilometern lediglich 4,89 DM als Wegegeld zu. Die tatsächlichen Kosten pro gefahrenem Kilometer liegen aber weitaus höher. Im Zuge von Öko- steuer und dergleichen sollten doch einzelne Berufsgrup- pen wie die Gerichtsvollzieher nicht noch mehr belastet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13879 (C) (D) (A) (B) werden. Die Benzinpreiskosten werden stetig höher. Laut Bericht des ADAC vom November diesen Jahres ist der durchschnittliche Tankstellenpreis für Superbenzin vom Januar bis zum September um ein Drittel gestiegen. Der maßgebliche Grund ist die Ökosteuer, die gar keine ist. Daneben sind natürlich auch die Betriebskosten höher ge- worden. Insgesamt ist bei Fahrten bis zu 10 Kilometern die doppelte Höhe der Kosten zu veranschlagen, als es die Bundesregierung getan hat. Daneben kann auch nicht einleuchten, warum bei der Berechnung der Entfernung innerhalb der Gemeinde des Amtssitzes des Gerichtsvollziehers nach der Luftlinie kal- kuliert wird. Man sollte doch auch hier eine Berechnung anstellen, die auf der Grundlage nach dem kürzesten be- fahrbaren Weg zur jeweiligen Ortsmitte basiert, wie die- ses bisher auch der Fall war. Es muss doch allen klar sein, dass maßgebliches Krite- rium nur die tatsächlichen Auslagen eines Gerichtsvoll- ziehers sein können. Nicht nur aus Gründen der Transpa- renz sollte das selbstverständlich sein. Dem Bürger sollte es ersichtlich sein, welche Gebühr für welche Tätigkeit gezahlt wird. Lediglich Pauschalzahlungen stellen diese Transparenz nicht her. Sie dienen zwar einer schnelleren Abwicklung, nicht aber der gerechten Rückzahlung der tatsächlichen Reisekosten. Daneben möchte ich noch auf einen Effekt hinweisen, der die Notwendigkeit der Transparenz noch verdeutlicht. Es müssen doch Anreize gesetzt werden, damit der Beruf des Gerichtsvollziehers attraktiv bleibt. Welchen Anreiz hätte ein Jugendlicher denn sonst, diesen Beruf zu ergrei- fen, wenn nicht einmal die tatsächlichen Auslagen zu- rückgezahlt werden? Aus diesen Gründen werden wir dem Gesetz nicht zu- stimmen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS ): In der ersten Lesung hatte ich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuord- nung des Gerichtsvollzieherkostenrechts begrüßt, da ich in ihm einen gelungenen Beitrag zur Rechtsvereinfa- chung und zur Verbesserung der Kostendeckungsquote sah. Bei allem Verständnis für das Anliegen der Länder, die angespannte Lage ihrer Haushalte zu entlasten, konnte ich dem Gesetzentwurf des Bundesrates nicht folgen, da er er- heblich höhere Gebühren vorsieht, die mir nicht mehr als verhältnismäßig erscheinen. Gebührenerhöhungen führen zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung kleiner Un- ternehmen wie natürlich auch der Bürgerinnen und Bür- ger. Nach einem sehr vernünftigen Berichterstatterge- spräch, in dem in Ruhe und Ausführlichkeit mit den Gerichtsvollziehern und dem Vertreter des BMJ noch ein- mal gesprochen werden konnte, haben wir jetzt allerdings im Ergebnis eine neue Situation. Die Vereinfachung des Gerichtsvollzieherkostenrechts ist geblieben, aber die Ge- bühren werden gemäß der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses kräftig erhöht. Nicht, dass ich in unser Gespräch mit dem unbeding- ten Vorsatz hineingegangen wäre, es darf an keiner Posi- tion – wie zum Beispiel der Hebegebühr oder der Ausla- genpauschale – etwas geändert werden. Werden gute Gründe vorgetragen und in der Folge adäquate Änderun- gen an einem an sich schon akzeptierten Gesetzesvor- schlag vorgenommen, dann verschließe ich mich nicht. Aber die jetzige Beschlussvorlage bedeutet im Gesamt- umfang eine Gebührenerhöhung von 20 bis 30 Prozent und nähert sich damit dem Bundesratsvorschlag an. Ich hatte einen solchen Gebührensprung bereits als un- verhältnismäßig abgelehnt. Fast an allen umstrittenen Po- sitionen wurde zugunsten der Gerichtsvollzieher nachge- bessert. Nur die vehement gewünschte Luftlinienregelung blieb auf der Strecke. Ich erinnere die Regierung an ihre Gegenäußerung zum Bundesratsvorschlag, in der es heißt, dass nicht zu- letzt „im Hinblick auf die Situation in den neuen Ländern besonderes Augenmaß bei den Gerichts- und Gerichts- vollzieherkosten zu wahren ist, insbesondere mit Rück- sicht auf die dortigen Einkommensverhältnisse und die Akzeptanz der rechtsstaatlichen Justiz“. Das hier ange- mahnte Augenmaß ist schlichtweg abhanden gekommen und die Schmerzgrenze überschritten. Ich darf noch ein- mal an die erste Lesung erinnern, in der sich nachlesbar fast alle einig waren, dass eine Erhöhung in der Größen- ordung des Bundesratsvorschlages nicht mit bürger- freundlicher Justizpolitik vereinbar sei – so ausgedrückt zum Beispiel vom Kollegen Beck. Aber auch Kollege Pick sagte wörtlich: „Ich sehe aber nicht, wie wir dem Bürger die ... Verteuerung des Rechtsschutzes um rund 25 Prozent vermitteln wollen.“ Vor dem Problem stehen Sie nun aber. Die Gebührenerhöhungen werden die klei- nen Unternehmen sowie die sozial schwächeren Bürge- rinnen und Bürger sowohl als Schuldner wie auch als Gläubiger bei erfolgloser Zwangsvollstreckung am här- testen treffen. Ich bitte abschließend, meine Ablehnung zu den vor- gesehenen Gebührenerhöhungen nicht als eine Missach- tung der Arbeit der Gerichtsvollzieher zu verstehen. Aus meiner eigenen anwaltlichen Tätigkeit weiß ich durchaus um die Mühen und Tücken dieses Berufes. Haben Sie bitte aber auch Verständnis dafür, dass meine Abwägung im Interesse der von der Arbeit Betroffenen nur so ausfal- len konnte wie vorgetragen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz: Heute stehen zwei kostenrechtliche Gesetze zur abschließenden Beratung an. Ich darf zu- nächst den Mitgliedern des Rechtsausschusses, insbeson- dere den Berichterstattern, danken, dass beide Entwürfe so zügig beraten worden sind und bereits knapp zwei Mo- nate nach der ersten Lesung zur abschließenden Beratung anstehen. Lassen Sie mich mit dem Regierungsentwurf eines Ge- setzes zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuer- beratergebührenverordnung auf Euro beginnen. Mit die- sem Entwurf soll der Euro zum 1. Januar 2002 in allen Kostengesetzen und in der Steuerberatergebührenverord- nung eingeführt werden. Die in Euro ausgedrückten Ge- bühren sollen auch nach Glättung der Beträge nicht mehr als unbedingt nötig vom DM-Wert abweichen. Der Bun- desrat hat keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhoben. Der Rechtsausschuss empfiehlt einstimmig den Entwurf mit wenigen Änderungen zu beschließen. Einer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013880 (C) (D) (A) (B) Verabschiedung des Gesetzentwurfs dürfte damit nichts im Wege stehen. Der zweite Entwurf, der Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts, liegt so- wohl im Interesse der Länder als auch der Gerichtsvoll- zieher. Wesentlicher Zweck des Entwurfs ist es, das geltende Recht zu vereinfachen. Daneben sollen die Ein- nahmen der Landesjustizverwaltungen erhöht werden, um den Kostendeckungsgrad in diesem Bereich zu ver- bessern. Der Regierungsentwurf hatte ein Erhöhungsvolumen von 10 bis 15 Prozent vorgesehen. Der Rechtsausschuss schlägt an einigen Stellen eine Erhöhung der von der Bun- desregierung vorgeschlagenen Gebühren und des Min- destbetrages der Auslagenpauschale vor. Das Erhöhungs- volumen steigt dadurch auf 20 bis 30 Prozent. Damit kommt der Rechtsausschuss der Forderung des Bundes- rates nach einer weiteren Verbesserung des Kostende- ckungsgrades weit entgegen. Die Länder können mit Mehreinnahmen von mehr als 100 Millionen DM rech- nen. Mit der heute zu beratenden strukturellen Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts werden zu einem großen Teil die von einer von der Justizministerkonferenz eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeiteten Vorschläge umgesetzt. Die Justiz soll von unnötiger Arbeit entlastet werden. Dies war schon immer ein besonderes Anliegen der Bun- desregierung. Es ist ja allgemein bekannt, dass gerade die Gerichtsvollzieher, insbesondere die Gerichtsvollzieher in den neuen Ländern, erheblich überlastet sind. Ein leich- ter anwendbares Kostenrecht soll ihnen ihre wahrlich nicht einfache Arbeit spürbar erleichtern. Auch die Gläu- biger und die Schuldner werden davon profitieren, denn auch sie werden die Abrechnungen besser verstehen. Eine sowohl für Gläubiger als auch für Schuldner be- deutsame Neuerung ist die Kostenregelung bei der Ein- ziehung von Raten durch den Gerichtsvollzieher. Der Schuldner, der sich ernsthaft um die Begleichung seiner Schulden bemüht und Raten an den Gerichtsvollzieher zahlt, soll hierfür nicht mit hohen Kosten belastet werden. Anders der bequeme Schuldner, der Raten vom Gerichts- vollzieher persönlich einziehen lässt: Er soll für die von ihm verursachten, nicht unerheblichen Kosten geradeste- hen. Die für die Einziehung einer Rate anfallende Hebege- bühr soll nach der Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses doppelt so hoch sein, wie noch im Regierungs- entwurf vorgesehen. Der nunmehr vorgesehene Betrag von knapp 6 DM je Rate kommt einer Kostendeckung bei den Gerichtsvollziehern zweifellos näher. Im Hinblick auf die Belastung des Schuldners ist die Höhe der Gebühr ins- besondere deshalb noch vertretbar, weil es ihm unbe- nommen bleibt, unmittelbar an seinen Gläubiger zu zah- len. Die Kosten für die Abnahme der eidesstattlichen Ver- sicherung sollen eindeutig und einfach geregelt werden. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses sieht eine Festgebühr von knapp 60 DM vor, durch die auch die Schreibauslagen für die Abschrift des Vermögensver- zeichnisses abgegolten sein sollen. Lediglich die Ausla- gen für die Zustellung der Ladung kommen gegebenen- falls noch hinzu. Gleichzeitig sollen die Gebühren für die Erteilung einer Abschrift des Vermögensverzeichnisses durch das Vollstreckungsgericht und für die Einsicht in das Vermögensverzeichnis von 40 DM auf 20 DM er- mäßigt werden. Im Ergebnis führt der Entwurf, so wie ihn der Rechts- ausschuss nunmehr vorschlägt, zu einer für alle Beteilig- ten ausgewogenen Regelung. Anlage 25 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Tagesordnungspunkt 27) Alfred Hartenbach (SPD): Für den Antrag der Frak- tion der F.D.P. würde ich große Sympathie aufbringen können, wenn die Überschrift lauten würde: „Ende der Benachteiligung für die arbeitende Bevölkerung in den neuen Ländern!“ Dazu kann sich aber die F.D.P. nicht aufraffen. Sie macht hier erneut einen Kotau vor einer kleinen Klientel, die ihrer Partei eher zugeneigt ist als anderen Parteien. Sie macht diesen Kotau nun schon zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit, nachdem wir vor ziemlich genau einem Jahr im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Le- sung den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Pa- tentanwälte beschlossen haben. Dabei verkennt die F.D.P. offensichtlich ganz bewusst, dass sie hier nur einigen we- nigen „gleiche Rechte“ mit Kolleginnen und Kollegen in den alten Bundesländern verschaffen will. Es war doch gerade die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P., die nach Schaffung der deutschen Einheit ganz bewusst wirtschaftliche Ungleichheiten gewollt hat und eine Annäherung der Löhne und Gehälter in den neuen Ländern auf das so genannte Westniveau mit einer lang- fristig wirkenden Gesetzgebung gar nicht gewollt hat. Es wird daher das Geheimnis – oder ist es gar keines – der F.D.P. bleiben, warum nun von allen ausgerechnet die Rechtsanwälte hinsichtlich der Gebührenordnung an das sogenannte Westniveau angeglichen werden sollen. Weder im öffentlichen Dienst noch in der freien Wirtschaft und auch nicht bei Freiberuflern ist dies bisher der Fall. Wir würden daher eine einzige Berufsgruppe bevorteilen. Natürlich ist auch uns bewusst, dass es auf Dauer nicht geht, diese unterschiedlichen Margen beizubehalten. Wir meinen aber: Wenn angeglichen wird, dann muss dies insgesamt und für alle Berufsgruppen gleichermaßen ge- schehen. Wenn wir über die Gebührensätze der Rechtsan- wälte reden, dann müssen wir auch wissen, dass ja dieje- nigen, die die Gebührensätze zu bezahlen haben, nämlich die Mandanten, in aller Regel ebenfalls mit weniger Geld Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13881 (C) (D) (A) (B) leben müssen als die Menschen in den alten Bundeslän- dern. Es ist nicht zu vergleichen mit den Honoraren der Architekten. Besonders pikant ist natürlich die Begründung des Antrages der F.D.P. in einigen Punkten. Ich greife nur einen einzigen heraus und zitiere: „Die Gebührener- mäßigung war von Anfang an verfassungsrechtlich be- denklich.“ Dieser Satz sagt alles über den Inhalt des An- trags und seine Verfasser. Die F.D.P. tut hier gerade so, als ob es sie in voroppositioneller Zeit überhaupt nicht ge- geben habe.Dassmag ja stimmen, denn gerade in der Jus- tizpolitik haben F.D.P.-Minister und F.D.P.-Staatsse- kretäre eigentlich keine Spuren hinterlassen, sieht man einmal davon ab, dass FrauLeutheusser-Schnarrenberger wegen eines parteiinternen Disputes zurückgetreten ist. Dies zeigt aber auch die Verlogenheit dieses Antrages. Die F.D.P. war es doch gerade, die in der Justizpolitik eine solche verfassungsrechtlich bedenkliche Gebühre- nordnung hätte verhindern können und verhindern müs- sen. Nein, so kann man Justizpolitik nicht machen: indem man die eigenen Versäumnisse, Fehler und Unzuläng- lichkeiten schlicht ausblendet und nun so tun will, als sei man der Hüter und Retter des Verfassungsstaates. Wir werden diesen Antrag der Diskontinuität zuführen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Sie werden sich gewiss nicht wundern, wenn eine Rechtsanwältin aus Ost- deutschland einen Antrag begrüßt, der die Aufhebung der gebührenrechtlichen Benachteiligung für ihre Berufs- gruppe in diesen Ländern fordert. Wie die Kollegen von der F.D.P. völlig zutreffend feststellen, haben die Anwälte in den neuen Bundesländern auch ohne Gebührenab- schlag im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen als ihre Westkollegen. Nach zehn Jahren deutscher Einheit ist es für die Ab- schaffung des 10-prozentigen Gebührenabschlags bei Rechtsanwälten der neuen Bundesländer höchste Zeit. Nach zehn Jahren sollte es überhaupt keine „Ostab- schläge“ mehr geben wie sie im öffentlichen Dienst oder aber auch bei bestimmten Berufsgruppen wie den Notaren, den Ärzten und Zahnärzten – bei Privatversicherten –, den Steuerberatern und Gerichtsvollziehern weiterhin beste- hen. Die Verhältnisse haben sich in unserem Lande so weit angeglichen, dass diese Ungleichheiten nicht mehr ernst- haft zu vermitteln sind. In Kenntnis des F.D.P.-Antrages hat die PDS auf einen eigenen Antrag zur Abschaffung des Gebührenabschlags verzichtet. Wir hätten ihn nicht besser – allenfalls breiter hinsichtlich des Kreises der von Abschlägen und sonsti- gen Kürzungen Betroffenen – formulieren können. In die- ser Richtung werden wir weitere parlamentarische Initia- tiven prüfen. Ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten – auch im Plenum – die Beseitigung dieser nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung angemahnt. Nach wie vor ist mir un- verständlich, warum nicht spätestens bei der „Neuord- nung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patent- anwälte“ dieser Gebührenabschlag abgeschafft wurde. Gleiche Gebühren bedeuten für die Recht suchenden Mandanten in den neuen Bundesländern höhere Kosten. Daran führt kein Weg vorbei, wenn man die Angleichung will. Dieser Weg ist jedoch vertretbar, weil die Prozess- kostenhilfe auch weiterhin die sozial schwachen Bürge- rinnen und Bürger vor zu starken Belastungen durch Ver- fahrenskosten schützt. Und ich bitte die Skeptiker auch zu bedenken, dass die Einkommenssituation der Rechtsan- wälte – vor allem in den neuen Bundesländern – nicht be- sonders privilegiert ist. Rechtsanwalt zu sein heißt für die meisten nicht auch zugleich Großverdiener zu sein und gerade auch für ostdeutsche Anwälte schon gar nicht Lizenz zum Gelddrucken zu haben. Die Frage, über die wir hier letztlich zu entscheiden ha- ben, ist die, wie lange wir es zehn Jahre nach der deut- schen Wiedervereinigung noch vertreten können, Ange- hörige einer bestimmten Berufsgruppe bei gleicher Arbeit, Qualifikation und Kostenbelastung beim Einkom- men weiterhin nur deshalb ungleich zu behandeln, weil sie sich in Ostdeutschland niedergelassen haben. Dr. Eckhard Pick, Parl. Staatsektretär beim Bun- desminister der Justiz: Der Antrag der F.D.P. greift eine Forderung auf, die insbesondere von den Anwaltsver- bänden schon seit einiger Zeit und mit immer größerem Nachdruck erhoben wird. Ich habe für die Forderung nach einer Aufhebung des 10-prozentigen Abschlags auf Anwaltsgebühren großes Verständnis. Zehn Jahre nach der Herstellung der Einheit wird es immer schwieriger, den Betroffenen die Notwendigkeit des Abschlags zu erklären. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, die in dem Antrag der F.D.P.-Fraktion zum Ausdruck gebracht wird, dass Trennendes zwischen den alten und neuen Bundesländern aufgehoben wer- den sollte. Eine möglichst baldige vollständige Rechts- angleichung ist ein wichtiges rechtpolitisches Ziel der Bundesregierung. Gleichwohl ist eine Aufhebung des Abschlags durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz derzeit noch nicht möglich. Die Verordnungsermächti- gung setzt die Anpassung der wirtschaftlichen Verhält- nisse voraus. Diese Voraussetzung liegt auch zehn Jahre nach der Wiedervereinigung nicht vor. Das Einkommensniveau im Beitrittsgebiet – ein we- sentlicher Parameter für die Beurteilung der wirtschaftli- chen Verhältnisse – liegt noch deutlich unter dem im alten Bundesgebiet. So erhielten die Arbeiter im produzieren- den Gewerbe in den neuen Ländern und Berlin-Ost 1999 75,6 Prozent des Entgelts ihrer Kolleginnen und Kollegen im früheren Bundesgebiet und die Angestellten 74,4 Pro- zent. Aber auch eine etwaige Gesetzesinitiative der Bundes- regierung scheidet im Moment aus. Eine solche kommt nur mit der Zustimmung der neuen Länder in Betracht. Diese Zustimmung will die Mehrheit der neuen Länder derzeit noch nicht geben. Hierfür gibt es gute Gründe: Die Kosten für den Zugang zum Recht sind gerade in den neuen Ländern ein sensibles Thema. Die Bürger würden es nur schwer verstehen, dass sie trotz ihres geringeren Einkommens um 10 Prozent erhöhte Gerichts- und An- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013882 (C) (D) (A) (B) waltskosten bezahlen müssten. Noch weniger würden sie es verstehen, wenn das Einkommen der Rechtsanwälte auf Westniveau gebracht würde, während ihr eigenes Ein- kommen weiter deutlich hinterherhinkt. Ich meine aber, man sollte mit den neuen Ländern darüber diskutieren, ob eine stufenweise Aufhebung des Abschlags ein möglicher Weg wäre. Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Kosten der Anwaltsbüros: Es wird zwar immer wie- der behauptet, die Kosten der Anwaltsbüros in den neuen Ländern seien genau so hoch wie in den alten Ländern. Mit dieser Behauptung habe ich allerdings meine Pro- bleme. Bisher hat mir noch niemand belegt, dass die Gehälter der Rechtsanwalts- und Notargehilfen in den neuen Ländern auch nur annähernd mit denen in den alten Ländern gleichgezogen haben. Immerhin entfallen auf die Personalkosten mehr als ein Drittel der Gesamtkosten ei- nes Anwaltsbüros. Rein rechnerisch muss sich der Auf- wand deshalb niedriger darstellen. Anlage 26 Der Bundesrat hat in seiner 757. Sitzung am 1. De- zember 2000 beschlossen, dem vom Deutschen Bundes- tag am 10. November 2000 verabschiedeten Gesetz ge- mäß Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes zuzustimmen. Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie- ßung angenommen: Der Bundesrat anerkennt das Bemühen der Bundes- regierung, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik durch Verringe- rung der Stichprobe um ein Viertel die Kosten für die Län- der zu reduzieren. Er stellt gleichwohl fest, dass diese in seinem Be- schluss vom 14. Juli 2000 geforderte Kostenneutralität für die Länder bei Einführung einer Dienstleistungsstatistik nicht erreicht wird. Nicht Zuletzt mit Rücksicht auf ent- sprechende EU-Vorgaben sieht der Bundesrat davon ab, diesen Gesichtspunkt im Rahmen des laufenden Gesetz- gebungsverfahrens weiter zu verfolgen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, die Prüfung von Entlastungsmaßnahmen im Statistik- bereich zügig voranzutreiben. Dabei ist auch der Bund in der Pflicht, selbst Entlastungsmaßnahmen zugunsten der Länder vorzulegen. Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 757. Sitzung am 1. Dezem- ber 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – GesetzzurÄnderungdesGrundgesetzes(Art.12a) – Gesetz zur Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften (SGÄndG) – Gesetz zur Reform der Renten wegen verminder- ter Erwerbsfähigkeit – Gesetz zur Neuordnung der Versorgungsab- schläge – Gesetz zur Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes (Steuersenkungsergänzungsgesetz – StSenErgG) – Gesetz zur Gewährung eines einmaligen Heizkos- tenzuschusses – Gesetz zur Änderung des Eigenheimzulagenge- setzes und anderer Gesetze – Gesetz über die Ausprägung einer 1-DM-Gold- münze und die Errichtung der Stifung“ Geld und Währung“ – Gesetz zur Änderung der Grenze des Freihafens Bremen – Gesetz zur Änderung der Grenze des Freihafens Emden – Gesetz zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern – Gesetz zur Änderung des Investitionszulagen- gesetzes 1999 – Zweiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes – Gesetz zur Verlängerung der Besetzungsreduk- tion bei Strafkammern – Zweites Gesetz zurÄnderung der Finanzgerichts- ordnung und anderer Gesetze (2.FKOÄndG) – Gesetz zur Beendigung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften – Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüfer- ordnungs-Änderungsgesetz – WPOÄ(G) – Gesetz zu dem Abkommen vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu- ern und Einkommen und vom Vermögen. – Gesetz zur Einführung einer Dienstleistungssta- tistik und zur Änderung statistischer Rechtsvor- schriften Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat fol- gende Entschließung gefasst: – Gesetz über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel Ferner hat der Bundesrat die aus der Anlage ersichtli- che Entschließung gefasst. Der Bundesrat stellt mit großem Bedauern fest, dass die Bundesregierung in dem Gesetz keine Regelungen zur Finanzierung der erforderlichen Maßnahmen vorgesehen hat. Er fordert daher nachdrücklich, dass sich der Bund und die EU maßgeblich an den Kosten, die durch das Füt- terungsverbot von Tiermehl entstehen, beteiligt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13883 (C) (D) (A) (B) Der Bundesrat teilt die in der Begründung zum Ge- setzentwurf dargelegte Auffassung, dass infolge des Ver- bots der Tiermehlverfütterung für die öffentlichen Haus- halte dauerhaft ganz erhebliche Kosten anfallen werden. Überdies werden auf die Landwirtschaft insgesamt und die sonstigen betroffenen Branchen hohe Kostenbe- lastungen und Ertragsausfälle -zukommen, die zu vielfa- chen Existenzgefährdungen führen dürften. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sehr kurzfristig und in Zusammenarbeit mit den Ländern eine belastbare und regional differenzierte Abschätzung der insbesondere auf Landwirte, die Futtermittelindustrie, die Tierkörperbeseitigungsbetriebe, die Länder und Kommu- nen zukommenden finanziellen Auswirkungen des Ver- bots der Tiermehlverfütterung vorzunehmen. Deshalb fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich an den Kosten aller Testverfahren sowie der durch das Ver- fütterungsverbot von Tiefmehlen entstehenden Kosten in wesentlichem Umfang zu beteiligen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert sicherzustellen, dass die EU maßgeblich an der Finanzie- rung aller durch die erforderlichen BSE-Tests entste- henden Kosten beteiligt wird. Ebenso erwartet der Bundesrat, dass die Bundesregie- rung und die EU-Kommission dringend die erforderli- chen Finanzmittel zur Abwehr der Existenzbedrohung betroffener landwirtschaftlicher Betriebe, für Investiti- onshilfen zugunsten der Vermarktungseinrichtungen so- wie für ein nationales Programm vertrauensbildender Marketingmaßnahmen bereitstellen. Darüber hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregie- rung auf, alle Möglichkeiten der Inanspruchnahme von EU-Mitteln voll auszuschöpfen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, daß der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/2817 Nr. 2.10 Drucksache 14/2817 Nr. 2.11 Drucksache 14/3341 Nr. 2.7 Drucksache 14/3341 Nr. 2.9 Drucksache 14/3341 Nr. 2.24 Drucksache 14/3428 Nr. 2.2 Drucksache 14/3428 Nr. 2.6 Drucksache 14/3428 Nr. 2.7 Drucksache 14/4170 Nr. 2.78 Drucksache 14/4170 Nr. 2.93 Drucksache 14/4441 Nr. 1.19 Drucksache 14/4441 Nr. 1.20 Drucksache 14/4441 Nr. 1.21 Drucksuche 14/4441 Nr. 1.22 Drucksache 14/4441 Nr. 1.23 Drucksache 14/4570 Nr. 1.2 Drucksache 14/4570 Nr. 1.7 Drucksache 14/4570 Nr. 2.12 Drucksache 14/4570 Nr. 2.13 Drucksache 14/4570 Nr. 2.14 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 14/3428 Nr. 1.1 Drucksache 14/3428 Nr. 2.13 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013884 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414100000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Beratung der Ergebnisse des Ver-
mittlungsausschusses zum Gesetz zur Einführung einer
Entfernungspauschale, Drucksache 14/4942, und zum
Fünften Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes,
Drucksache 14/4943, zu erweitern. Die Zusatzpunkte
werden im Anschluss an die vereinbarte Debatte zur Steu-
erpolitik aufgerufen.

Interfraktionell ist ebenfalls vereinbart worden, dass
unter Tagesordnungspunkt 18 c statt des Zwischenbe-
richts gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung die mitt-
lerweile vorliegende Beschlussempfehlung und der Be-
richt des Ausschusses auf Drucksache 14/4910 beraten
werden sollen.

Weiterhin mache ich darauf aufmerksam, dass die
zweite und dritte Beratung der VAG-Novelle – Tagesord-
nungspunkt 29 c – nach der Beratung des Antrags zur An-
rufung des Vermittlungsausschusses zum Lebenspartner-
schaftgesetzergänzungsgesetz ohne Debatte beraten
werden soll. Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir
so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 19 sowie die Zusatzpunkte 9 bis 11 auf:
19. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden
von Bund und Ländern zur Verfassungswi-
drigkeit der „Nationaldemokratischen Partei
Deutschlands“
hier: Entscheidung des Deutschen Bundestages
über die Einleitung eines Verfahrens zur Fest-
stellung der Verfassungswidrigkeit der „Na-
tionaldemokratischen Partei Deutschlands“
m. (NPD) gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz

i. V. § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. Bundesverfassungsge-
richtsgesetz
– Drucksachen 14/4500, 14/4923 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Wolfgang Zeitlmann
Cem Özdemir
Dr. Guido Westerwelle
Ulla Jelpke

ZP 9 Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Verfassungswidrigkeit der „Nationaldemokra-
tischen Partei Deutschlands“
– Drucksache 14/4883 –

ZP 10 Antrag der Fraktion der F.D.P.
Für eine wirksame und nachhaltige Bekämp-
fung des Rechtsextremismus – deshalb gegen
ein NPD-Verbot
– Drucksache 14/4888 –

ZP 11 Antrag der Fraktion der PDS
Bestrebungen zurWiederbelebung national-so-
zialistischen Gedankengutes sind verfassungs-
widrig
– Drucksache 14/4897 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen, wobei die
F.D.P. elf Minuten und die PDS acht Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Michael Bürsch, SPD-Fraktion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1414100100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag entscheidet
heute über einen Antrag an das Bundesverfassungs-
gericht, die NPD zu verbieten. Es ist das erste Mal, dass
das Parlament über einen eigenen Antrag dieser Art zu
entscheiden hat. Ich meine, der Bundestag sollte die

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141. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Entscheidung mit Besonnenheit, frei von Hysterie, an
Fakten und nicht an Stimmungen orientiert treffen.

Die NPD hat zurzeit circa 7 000 Mitglieder in fast
200 Kreisverbänden. Ein Drittel der Mitglieder sind junge
Menschen; die Mitgliederzahl steigt offensichtlich gerade
in dieser Altersgruppe. Im Jahre 1999 erhielt die NPD
1,16 Millionen DM Unterstützung aus öffentlichen Kas-
sen. So weit einige wenige Fakten.

Es fragt sich aber, welche Menschen eigentlich hinter
diesen Zahlen stehen. Wer fühlt sich zur NPD und ihrer
Ideologie hingezogen? Nehmen wir beispielhaft zwei
junge Menschen aus Deutschland, über die vor kurzem in
einer Zeitung berichtet wurde.

„Ich war ein Mensch ohne Gewissen“, sagt
– die heute 36-Jährige –

Carla. „Ich bin mit Springerstiefeln und braunem
Hemd pöbelnd durch den Supermarkt gerannt. Kei-
ner hat mich gehindert.“ ... Eine schwierige Kind-
heit..., zwei gescheiterte Ehen und eine Abtreibung
lagen hinter ihr, als sie zusammen mit ihrer 17-jähri-
gen Tochter Kontakt zum Ehepaar Müller, „stadtbe-
kannten Altnazis“, bekam. Hier fühlt sie sich aufge-
hoben, emotional und intellektuell. „Ich nahm deren
Weltanschauung wie ein Schwamm auf.“ In dieser
Zeit lernt sie Hans kennen.

Er war damals Mitglied im Nachwuchskader der NPD.
Sein simples Geschichtsbild:

„Die Wehrmacht war für mich unantastbar, die Mit-
glieder der Waffen-SS waren Helden.“ ... Es sind die
„Saubermänner mit den Scheiteln“, die ihn faszinie-
ren. Am Wochenende fährt Hans zu ... Schulungen
der NPD. Hier lernt er, „wie man Meinung beein-
flusst und Feindbilder schafft“.

Carla und Hans sind inzwischen aus der rechten Szene
ausgestiegen. Heute sagt Hans: „Ich war ein geistiger
Brandstifter.“

Dies sind zwei von mehreren tausend Menschen, die
der NPD nahe standen oder nahe stehen. Solche Berichte
sagen vielleicht ein wenig mehr über das Innenleben der
NPD aus als blanke Statistiken. Sie füllen mit Leben, was
in der über 600 Seiten umfassenden Materialsammlung
vom Verfassungsschutz zusammengetragen worden ist.

Ist die NPD eine verfassungswidrige Partei? Nach
Art. 21 Grundgesetz und den Maßstäben des Bundesver-
fassungsgerichts ist eine Partei zu verbieten, wenn sie ver-
fassungsfeindliche Ziele mit einer aktiv-kämpferischen
Grundhaltung gegen die freiheitlich-demokratische
Grundordnung verfolgt. – Auf die juristische Begründung
dieses Verbotsantrags wird meine Kollegin Erika Simm
später genauer eingehen.

Fest steht: Eine verfassungsfeindliche Zielsetzung
kann der NPD schon seit der Gründung im Jahre 1964
nachgewiesen werden. Seit drei bis vier Jahren hat sich
die Partei darüber hinaus erwiesenermaßen von einer
Altherrenpartei unbelehrbarer Rechter zu einem Sammel-
becken gewaltbereiter Rechtsextremer entwickelt. Sie

sucht gezielt die Zusammenarbeit mit Neonazis, Skin-
heads und anderen gewaltbereiten Gruppen.

Die Partei verfolgt jetzt ein Konzept des Kampfes um
die Straße und will so genannte national befreite Zonen
schaffen, in denen sie ihre Feinde und Abweichler ab-
straft. Solche Zonen der Angst und der Gewalt dürfen wir
in unserem Lande nicht dulden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir dürfen nicht hinnehmen, dass der Rechtsstaat von
Rechtsextremisten mit Springerstiefeln getreten wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Gefahr, die der freiheitlich-demokratischen

Grundordnung durch die NPD droht, ist gerade in der
Nähe zum gewaltbereiten Spektrum zu sehen. In dieser
aggressiv-kämpferischen Haltung liegt – noch – der ent-
scheidende Unterschied zu anderen Rechtsparteien wie
der DVU und den Republikanern.

Fazit: Die juristischen Voraussetzungen für ein Verbot
der NPD liegen eindeutig vor. Der Verbotsantrag hat aber
nicht nur eine juristische Facette, sondern hat auch eine
politische Dimension. Wir Abgeordnete haben heute po-
litisch zu entscheiden, ob der Bundestag selbst einen Ver-
botsantrag in Karlsruhe stellen will. Manche halten ein
Parteienverbot für ein Relikt der 50er-Jahre: Den partei-
politischen Extremismus müsse man in einer gefestigten
Demokratie mit politischen Mitteln bekämpfen. Ein Ver-
botsantrag würde die rechtsextremen Parteien nur unnötig
aufwerten. – So lautet die Argumentation. Dies mag für
Parteien wie DVU oder Republikaner heute noch richtig
und die zutreffende Strategie sein. Diese Strategie stößt
aber dann an ihre Grenzen, wenn das Parteienprivileg
systematisch dazu missbraucht wird, nicht nur rechter
Ideologie eine Plattform zu bieten, sondern auch rechter
Gewalt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Kampf der Meinungen ist ein Wesensmerkmal der
Demokratie. Wenn dieser Kampf aber mit Baseballschlä-
gern statt mit Argumenten geführt wird, dann muss die In-
frastruktur zerschlagen werden, die diese Gewalt fördert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Nur ein Verbot schließt die NPD von den zentralen Insti-
tutionen und Möglichkeiten der Demokratie aus: vom
Parlament, aber auch von der staatlichen Finanzierung,
vom Rundfunk, vom Fernsehen und von den kommuna-
len Einrichtungen wie etwa den Stadthallen.

Bei der heutigen Entscheidung muss eines vollkom-
men klar sein – darauf ist von allen Fraktionen schon hin-
gewiesen worden –: Ein Verbot der NPD allein reicht
nicht aus, um Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereit-
schaft zu bekämpfen. Das Verbot ist vielmehr eine Maß-
nahme von vielen, ein Baustein in einem Bollwerk gegen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Michael Bürsch
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rechts. Über das Verbot der NPD hinaus müssen wir
Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft heraus
bekämpfen. Dies erfordert ein Bündel von Aktivitäten.
Ich meine, ganz entscheidend ist es, gerade vor Ort kom-
munale Aktivitäten und Netzwerke gegen Gewalt und
Fremdenhass zu fördern. Die Arbeit von Schulen, Bür-
gerbündnissen und Initiativgruppen von Polizisten, Sport-
lern, Handwerkern und Einzelhändlern, Eltern und
Schülern gilt es zu unterstützen. Denn: Wer Zivilcourage
fordert, muss sie auch fördern, und zwar insbesondere
durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen zivilge-
sellschaftlichen Engagements.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Politik darf sich nicht darauf beschränken, die Bür-
gerinnen und Bürger zu Zivilcourage aufzurufen. Der
Staat muss auch selbst konsequent handeln, wenn gar
nicht anders möglich – als letzte Möglichkeit, als Ultima
Ratio – auch mit dem scharfen Schwert des Parteienver-
bots. Denn es passt nicht zusammen, an das Bürgerenga-
gement gegen rechts zu appellieren, wenn der Staat
gleichzeitig Steuermittel in Millionenhöhe an die Verfas-
sungsfeinde überweist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Im Übrigen müssen wir unser Bewusstsein dafür schär-
fen, wie viel Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unser
tägliches Leben begleiten, ohne dass die Medien davon
groß Notiz nehmen, zum Beispiel durch Hakenkreuz-
schmierereien, durch rechtsextremistische Musik und
durch rassistische E-Mails via Internet. Wir alle sind auf-
gefordert, etwas gegen den Rassismus und Antisemi-
tismus im Alltag zu tun.

Nach all dem bitte ich Sie, dem Antrag auf ein Verbot
der NPD heute zuzustimmen. In den beiden bisherigen
Parteiverbotsverfahren in den 50er-Jahren ist der Bun-
destag nicht als Antragsteller aufgetreten. Aber unser Ver-
fassungsverständnis und unser Selbstverständnis als
Parlament haben sich in den 50 Jahren gewandelt. We-
sentliche Entscheidungen, die von grundsätzlicher ver-
fassungsrechtlicher, normativer Bedeutung sind, gehören
ins Parlament. Darauf hat auch das Verfassungsgericht in-
zwischen schon verschiedentlich hingewiesen. Der Bun-
destag als unmittelbar demokratisch legitimierte Volks-
vertretung sollte und muss hier eine eigene Entscheidung
treffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir müssen als Bundestag ein Signal setzen, dass wir
die Herausforderung durch den Rechtsradikalismus ernst
nehmen, und zwar nicht durch Aktionismus und Medien-
inszenierungen, sondern unsererseits durch entschlosse-
nes Handeln einer selbstbewussten Demokratie, einer
wehrhaften Demokratie.

Die NPD demonstriert dieser Tage mancherorts mit der
Parole „Argumente statt Verbote“. Die NPD aber ist selbst

dazu übergegangen, ihre Zielsetzung statt mit Worten mit
Gewalt und mit der Verletzung von Menschenrechten zu
verfolgen. Wir als Parlament sollten auf den Zynismus der
NPD in angemessener Weise reagieren, nämlich mit Ar-
gumenten für ein Verbot.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414100200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1414100300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung des
politischen Extremismus, ganz gleich, ob von rechts oder
von links, ganz gleich, aus welchen ideologischen Quel-
len er gespeist wird,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])


die Bekämpfung von Gewalt und Extremismus in jeder
Form hat für meine Fraktion höchste Priorität.


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Die Erfahrungen der vergangenen Tage zeigen, dass

wir neben dem Aufstand der Anständigen vor allen Din-
gen die Vernunft der Zuständigen brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Vorschnelle Festlegungen oder gar Vorverurteilungen
können den Blick auf die Realität verstellen und die Su-
che nach den wahren Tätern erschweren und damit unge-
wollt jene Kräfte stärken, die nun fälschlicherweise be-
haupten könnten, dass von ihnen – entgegen anders
lautenden Behauptungen – in Wahrheit keine Gefahr aus-
gehe.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Siehe Düsseldorf!)


Politischer Extremismus ist eine Kampfansage gegen
unsere verfassungsmäßige Ordnung und eine zentrale
Herausforderung für die wehrhafte Demokratie. Gerade
aus den bitteren Erfahrungen der Weimarer Republik wis-
sen wir, wie wichtig es ist, dass eine Demokratie ihren
Feinden entschlossen entgegentritt, nicht nur mit Worten,
Demonstrationen und Lichterketten, sondern auch mit Ta-
ten. Der demokratische Verfassungsstaat ist den potenzi-
ellen Opfern politisch motivierter Gewalt, aber auch sich
selber ein Höchstmaß an Schutz schuldig.

Die NPD des Jahres 2000 ist nicht mehr die Altherren-
riege der 60er-Jahre. Sie hat zwar einen großen Teil ihrer
Mitglieder seit jener Zeit verloren; gleichzeitig ist sie aber
noch extremer, noch radikaler und noch gewaltbereiter
geworden. Die Wesensverwandtschaft mit dem National-
sozialismus ist unübersehbar und umfänglich dokumen-
tiert. So hat zum Beispiel die Jugendorganisation der
NPD zum Teil wörtlich das 25-Punkte-Programm der
NSDAP von 1920 übernommen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Michael Bürsch

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Schon seit Jahren wird systematisch eine Radikalisie-
rung der NPD in Richtung Neonationalsozialismus be-
trieben. In dem einschlägigen „NS-Kampfruf“ heißt es
unter anderem wörtlich:

Eines Tages werden diese Politbonzen ihrer absolut
notwendigen Beseitigung hinzugeführt werden! Für
das System keinen Millimeter Boden, sondern 9Mil-
limeter.

Wenn aus den Reihen der NPD gefordert wird, man
müsse die „Kanaken abknallen“ und auch „mit Auslän-
dern verheiratete Deutsche müssten dieses Schicksal er-
leiden“, oder wenn der Pressesprecher der Jungen Natio-
naldemokraten wörtlich sagt:

Dieses verjudete Bonner System ..., manchmal
denke ich mir, eines Tages stehe ich früh auf, ziehe
meine schwarze Uniform an, und dann ist es so, als
ob nichts gewesen ist, und gehe nach Dachau ...

dann kann eine wehrhafte Demokratie nicht alleine mit
dem Hinweis reagieren, man müsse die NPD nicht mit ei-
nem Verbot, sondern mit dem Stimmzettel bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Angesichts der Umstände, dass die politischen Ziele
der NPD mit der freiheitlich-demokratischen Grundord-
nung der Bundesrepublik in keiner Weise vereinbar sind,
dass sie antisemitisch, rassistisch und fremdenfeindlich
ist, dass sie den Parlamentarismus als Grundvorausset-
zung unserer Demokratie in Frage stellt, dass sie in einem
hohen Maße für ein geistiges Klima verantwortlich ist,
das den Boden für gewaltsame Übergriffe von Rechtsex-
tremisten auf Ausländer und andere Minderheiten in
Deutschland schafft, und dass sie darüber hinaus zur
Durchsetzung ihrer politischen Ideologie nicht nur Ge-
walt propagiert, sondern auch Gewalttätern eine politi-
sche Heimat bietet und sie logistisch unterstützt, ist ein
Antrag auf Verbot dieser Partei nicht nur rechtlich mög-
lich, sondern auch politisch geboten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Jetzt müssen Sie nur noch springen!)


– Jetzt hoffe ich, dass Sie ebenfalls kräftig applaudie-
ren. – Dies alles wissen wir aufgrund des umfangreichen
Tatsachenmaterials, das uns in erster Linie die Verfas-
sungsschutzbehörden der Länder übermittelt haben.
Nicht wenige von denen, die sich in ihrer Argumentation
heute auf die Informationen der Verfassungsschutzämter
berufen, haben in den vergangenen Jahren wenig dazu
beigetragen, die Arbeitsfähigkeit dieser wichtigen Behör-
den zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Gegenteil: So hat es beispielsweise in einem großen

norddeutschen Flächenstaat unter einem Ministerpräsi-
denten, der heute Bundeskanzler ist, eine Stellenreduzie-
rung des Landesamtes für Verfassungsschutz um 40 Pro-
zent gegeben. Andere Mitglieder der Regierungskoalition

haben sogar die Abschaffung des Verfassungsschutzes ge-
fordert.

Wer unsere Demokratie stärken will, die freiheitlichste,
die es auf deutschem Boden je gab, darf die Verfassungs-
schutzbehörden nicht ausdünnen, sondern muss sie perso-
nell und organisatorisch stärken und ihre Arbeit auch po-
litisch wollen und unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Nach sorgfältiger Auswertung aller zur Verfügung ste-
henden Tatsachen und nach verfassungsrechtlicher Prü-
fung sind sowohl die Bundesregierung als auch der Bun-
desrat zu der Überzeugung gelangt, dass ein Antrag auf
Verbot der NPD aufgrund der Verfassungsfeindlichkeit
der Partei und wegen ihrer aggressiv-kämpferischen Hal-
tung zur Abwehr von Gefahren für unser Land und zum
Schutz potenzieller Opfer ideologisch motivierter Gewalt
dringend geboten ist und vor dem Bundesverfassungsge-
richt auch Erfolg haben wird.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir es, dass die Bun-
desregierung nach zunächst flächendeckend verkündeter
Ablehnung dann doch noch den Vorschlag des bayeri-
schen Innenministers Günther Beckstein aufgegriffen hat,
die NPD verbieten zu lassen, und dass sie neben dem
Bundesrat ebenfalls einen Verbotsantrag stellen wird.

Aber: Das Begehren der Koalitionsfraktionen, der
Deutsche Bundestag solle neben der Bundesregierung
und dem Bundesrat als dritte Prozesspartei vor dem Bun-
desverfassungsgericht einen eigenen Antrag auf Verbot
der NPD stellen, ist weder rechtlich geboten noch poli-
tisch sinnvoll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Struck [SPD]: Was sagt denn Herr Beckstein dazu?)


– Er hat vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundes-
tags dem ausdrücklich zugestimmt.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das können Sie mir doch nicht erzählen, Herr Bosbach! Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Für ein Parteiverbotsverfahren ist es ausreichend,
wenn entweder die Bundesregierung oder der Bundesrat
einen Antrag stellt. Im konkreten Fall haben sich bereits
Bundesregierung und Bundesrat entschlossen, jeweils ei-
nen eigenen Antrag zu stellen, sodass schon seit geraumer
Zeit feststeht, dass das Bundesverfassungsgericht dem-
nächst mit der ihm eigenen Gründlichkeit sachlich und
rechtlich die Verbotsanträge prüfen wird. Dafür bedarf es
eines Antrages durch den Deutschen Bundestag nicht.

Die Stellung eines Antrages auf Verbot einer verfas-
sungswidrigen Partei ist eine klassische Aufgabe der Exe-
kutive.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Wozu steht im Grundgesetz das Antragsrecht des Bundestages, wenn es eine klassische Aufgabe der Exekutive ist?)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
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Dies dürfte auch der Grund dafür sein, warum es für den
Antrag der Koalitionsfraktionen in der gesamten 55-jähri-
gen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kein
Vorbild gibt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Weil sich die Republik verändert hat!)


Beim Verbotsverfahren gegen die SRP und die KPD war
die Bundesregierung alleinige Antragstellerin. Erst vor
wenigen Jahren wurden der Antrag gegen die Nationale
Liste nicht von der Hamburgischen Bürgerschaft, sondern
vom Hamburger Senat und der Antrag gegen die FAP von
der Bundesregierung und dem Bundesrat gestellt.

Dies geschah aus gutem Grund: Alleine die Regierun-
gen des Bundes und der Länder kennen das gesamte Tat-
sachenmaterial, mit dem die Verbotsanträge begründet
werden sollen. Sie alleine kennen die Beweise und deren
Beweiskraft. Nur derjenige, der alle Tatsachen und alle
Beweismittel sowie deren Beweiswert kennt, ist in der
Lage, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die
entscheidenden Fragen zu beantworten, ob ein Parteiver-
botsverfahren geboten ist und ob ein Antrag auf Verbot ei-
ner Partei hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Dieser Ansicht ist im Übrigen auch der Kollege
Özdemir, der zutreffend darauf hingewiesen hat, der Bun-
destag solle keinen eigenen Antrag stellen, weil er kein
Beweiserhebungsverfahren durchführen könne. Nun
sind wir einmal gespannt, ob er dies auch nach seiner Ein-
bindung in die Koalitionsdisziplin von diesem Pult aus
wiederholt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der schafft das!)

Außerdem sei der Hinweis erlaubt, dass sich das Bun-

desverfassungsgericht sicherlich nicht von der Zahl der
Antragsteller, sondern ausschließlich von der Überzeu-
gungskraft der Tatsachen und dem Beweiswert der ange-
botenen Beweismittel beeindrucken lassen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten vor dem Bundesverfassungsgericht schon den
Eindruck vermeiden, als wollten wir durch eine ganze
Phalanx von Antragstellern möglicherweise fehlendes
Gewicht von Argumenten kompensieren oder gar das Ge-
richt unter Druck setzen.


(Lothar Mark [SPD]: Vorhin haben Sie völlig anders argumentiert!)


Gegen das Parteiverbotsverfahren wurde eingewandt,
die NPD müsse nicht juristisch, sondern stattdessen poli-
tisch bekämpft werden. Diese Argumentation übersieht
jedoch, dass auch eine als verfassungswidrig anerkannte
Partei im öffentlichen Leben so lange als verfassungs-
gemäß behandelt werden muss, wie sie nicht verboten ist.
Jede nicht verbotene politische Partei, ganz gleich, ob
sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt oder nicht, hat
grundsätzlich Anspruch auf staatliche Parteienfinanzie-
rung. Sie hat darüber hinaus auch Anspruch auf staatliche
oder öffentlich-rechtliche Leistungen, von der Zuteilung
von Sendezeiten im öffentlichen Rundfunk bis hin zur Be-
reitstellung von öffentlichen Räumen für Wahlveranstal-
tungen. Die „Bekämpfung der NPD“ durch die Ge-

währung staatlicher Mittel oder durch die Zur-Verfügung-
Stellung kostenloser Sendezeiten dürfte keine Aussicht
auf Erfolg haben. Würden Bundesregierung und Bundes-
rat keinen Antrag stellen, hätte dies schließlich zur Folge,
dass von Staats wegen ein verfassungswidriger Zustand
nicht nur geduldet, sondern durch positives staatliches
Handeln auch noch gefördert würde und nach geltender
Rechtslage auch gefördert werden müsste – ein nicht nur
in sich widersprüchliches, sondern ein von den Müttern
und Vätern der Verfassung ganz sicher nicht gewolltes Er-
gebnis.

Gelegentlich wird auch dahin gehend argumentiert,
dass ein Parteiverbotsverfahren die politische Auseinan-
dersetzung mit der NPD und ihrer Ideologie nicht erset-
zen könne. Karlsruhe könne nur eine Partei, nicht aber
eine rechtsextreme Ideologie verbieten oder deren An-
hänger zur Untätigkeit verurteilen. Auch diese Argumen-
tation ist ebenso selbstverständlich wie nicht überzeu-
gend.

Richtig ist, dass durch die Einleitung des Verbotsver-
fahrens die politische Auseinandersetzung mit der NPD
und anderen links- und rechtsextremen Gruppierungen
und Ideologien nicht in den Hintergrund treten darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die NPD müssen wir nach wie vor – wie alle ande-
ren Extremisten auch – politisch bekämpfen. Vor allen
Dingen müssen wir uns mit den Gründen von Fremden-
feindlichkeit, Antisemitismus und Gewaltbereitschaft be-
schäftigen. Für eine erfolgreiche Bekämpfung von politi-
schem Extremismus und Gewalt brauchen wir eine
vernünftige Kombination von sozialer Prävention einer-
seits und staatlicher Repression andererseits. Wir brau-
chen Hilfsangebote, vor allem für gefährdete Kinder und
Jugendliche; viele – gerade aus der rechtsextremistischen
Gewaltszene – sind noch sehr jung.

Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine schnelle und
konsequente staatliche Reaktion auf Straftaten. Gut
75 Prozent der rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen
Gewalttäter sind jünger als 21 Jahre. Schon diese Zahl
verdeutlicht, welch wichtige Funktion neben der Erzie-
hung auch dem Jugendstrafrecht bei der Bekämpfung des
Extremismus zukommt. Wir alle wissen, dass eine
schnelle Reaktion der Gerichte auf Jugendliche oftmals
mehr Eindruck macht als eine harte Strafe. Wenn der Bun-
desinnenminister in diesen Tagen gesagt hat, wir bräuch-
ten ein Aussteigerprogramm für jene Anhänger der rech-
ten Szene, die sich aus dem Milieu lösen wollen, hat er
Recht. Dann müssen wir im Parlament auch darüber nach-
denken, ob es richtig war, die Möglichkeit zu beseitigen,
Zeugen, die gleichzeitig Straftaten begangen haben, durch
eine Kronzeugenregelung – wie immer man sie ausge-
stalten mag – aus der Szene herauszuholen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen neben dem Aussteigerprogramm auch eine
Kronzeugenregelung. Bitte verweigern Sie sich nicht die-
ser Diskussion.

Natürlich gibt es im Milieu auch Fälle, bei denen Hop-
fen und Malz verloren ist. Das gilt aber nicht für alle, die

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Wolfgang Bosbach

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sich in diesem Milieu bewegen, und das belegen jene Aus-
steiger, die es bereits geschafft haben, die schiefe Bahn zu
verlassen. Für solche Menschen müssen wir Hilfsange-
bote haben. Vor allen Dingen brauchen wir eine Kultur der
Toleranz, der Akzeptanz desjenigen, der anders ist. Wir
brauchen eine Stärkung der Erziehungskraft sowohl der
Familien als auch der Schulen, wohl wissend, dass Schule
nicht die Reparaturwerkstatt für Versäumnisse in Familie,
Gesellschaft und Politik sein kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Die NPD propagiert den Kampf um die Köpfe, die Par-
lamente und die Straße. Deshalb dürfen wir Neonazis und
anderen Extremisten nicht auch noch öffentlichkeits- und
medienwirksame Kulissen für ihre Aufzüge bieten. Ich er-
innere an den Aufmarsch der NPD am 29. Januar vor
dem Brandenburger Tor. Solche Aufzüge blamieren nicht
nur die Hauptstadt Berlin; sie diskreditieren Deutschland
insgesamt und schaden unserem Ansehen in der ganzen
Welt. Wir dürfen sie deshalb nicht länger zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Demonstrationen, deren erkennbares Ziel es ist, unsere
verfassungsmäßigen Werte zu verhöhnen, und die das An-
sehen Deutschlands in der Welt nachdrücklich beschädi-
gen, müssen unter erleichterten Bedingungen verboten
werden können.

Den Gegnern eines Verbotsantrages möchte ich noch
Folgendes sagen: Gerade in den vergangenen Monaten
haben wir auch an dieser Stelle eine Kultur des Wegse-
hens beklagt. Wir haben eine Kultur des Hinsehens und
der Einmischung gefordert. Wir haben die Bürgerinnen
und Bürger zu mehr Zivilcourage aufgefordert, was im
Übrigen viel leichter gesagt als getan ist. Wenn jedoch der
Staat selber die Möglichkeiten nicht nutzt, die er hat, um
sich selber, seine verfassungsmäßige Ordnung und die
Opfer zu schützen, wirkt er nicht besonders glaubwürdig.
Wer Zivilcourage fordert, der muss Staatscourage zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist auch für das Parlament richtig!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414100400
Ich erteile dem Kolle-
gen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414100500
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat
sich die Entscheidung über den Verbotsantrag nicht leicht
gemacht. Ich verhehle nicht, dass für uns die grundsätz-
lichen demokratischen Bedenken gegen das Verbot ein
hohes Gewicht haben. Ein Verbotsverfahren kann in einer
Demokratie immer nur die Ultima Ratio sein. Es zeichnet
unser Grundgesetz gerade aus, dass die Entscheidung
über ein Parteienverbot der Exekutive entzogen ist und
an strenge rechtliche Auflagen gebunden ist. Art. 21
Abs. 2 des Grundgesetzes ist die Konsequenz aus der un-
gehinderten Verbreitung des Nationalsozialismus am
Ende der Weimarer Republik, als Hitler sogar noch sein
Legalitätsversprechen abgab. Gerade die Wiederholung

einer solchen Täuschung wollten die Väter und Mütter des
Grundgesetzes verhindern. Ich füge hinzu: Wir werden
dies verhindern!

Wir hätten uns nicht für ein Verbotsverfahren gegen die
NPD entschlossen, wäre es ausschließlich um die Frage
des politischen Wettbewerbs zwischen den Parteien ge-
gangen. Eine Demokratie muss – das wissen wir alle –
auch falsche Lehren und sogar grobe Dummheit aushal-
ten können. Die rote Linie ist aber dann überschritten,
wenn eine Partei unter dem Deckmantel ihrer verfas-
sungsrechtlichen Stellung und mit dem Geld der Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler die Infrastruktur für Neona-
zis bereitstellt. Dies wollen wir nicht. Deshalb haben wir
uns heute hier versammelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es geht nicht etwa um den politischen Meinungskampf,
sondern um den Schutz von Menschen vor ihren Feinden.
Wir sind es den mindestens 93 Opfern rechtsextremer Ge-
walt schuldig, jenseits strafrechtlicher Verantwortung auch
die organisatorische Infrastruktur rechter Gewalt zu zer-
schlagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Manche warnen vor der Beschränkung der Demo-
kratie durch den Ausschluss einer Partei aus dem Wett-
bewerb. Wir warnen hingegen vor einer Demokratie, in
der sich Farbige, Mitglieder religiöser Minderheiten und
Schwule abends nicht mehr auf die Straße trauen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wer eingeschüchtert und verängstigt zu Hause bleibt, der
hat Angst, an der Demokratie teilzunehmen. Liegt nicht
gerade in dem Rückzug die viel größere Gefährdung der
Bürgerrechte als in dem entschlossenen Vorgehen gegen
die Verantwortlichen für diesen Rückzug, nämlich die
völkische NPD?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ralph Giordano schrieb kürzlich:
Allein weil sie Fremde sind, werden Menschen wie
Hasen durch die Straßen deutscher Städte gejagt,
krankenhausreif geschlagen, auf Gleise gestoßen,
schwer verletzt und ermordet, wobei von dem Ver-
brechensmarathon überhaupt öffentlich nur noch
Notiz genommen wird, wenn ein besonders scheuß-
licher Fall aus den übrigen hervorragt. Was heißt: Im
Deutschland des Jahres 2000 ist rechte Gewalt zur
Alltagsnorm geworden.

Er sagt zum Schluss sinngemäß: Wir haben lange Zeit die
NPD und die Rechtsextremen „wie ungezogene Ver-
wandte behandelt“. Damit muss jetzt Schluss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Wolfgang Bosbach
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Für die Kolleginnen und Kollegen, die an der An-
hörung des Innenausschusses zum Thema Rechtsextre-
mismus nicht teilnehmen konnten, möchte ich Professor
Hajo Funke von der Freien Universität Berlin zitieren, der
bei dieser Anhörung Folgendes ausgeführt hat:

Wir sind seit nun mehr als neun Jahren mit der
Entwicklung und Verfestigung einer gegen Fremde
gerichteten völkischen Gewaltkultur konfrontiert,
die sich ungestraft und ohne angemessene Aufmerk-
samkeit von Öffentlichkeit und Politik hat entfalten
können und nun in internen Sozialisationsprozessen
inzwischen die dritte Generation der heute Zwölf-
bis Vierzehnjährigen erfasst.

Auch dem wird sich das Bundesverfassungsgericht im
Falle eines Verbotsantrages stellen müssen. Auch dies
wird mit in die Beratungen einbezogen werden müssen.

Dass das notwendige öffentliche Interesse an der NPD
und ihrem Charakter zugleich eine Aufwertung der Par-
tei bedeute – dies wird ja häufig von den Kolleginnen und
Kollegen der F.D.P. angeführt –, ist fast schon ein
autoritäres Argument. Es muss uns doch gerade darum ge-
hen, dass große Teile auch der liberalen Öffentlichkeit
endlich das Ausmaß der Gefahr, in der sich potenzielle
Opfer auch heute noch befinden, und damit auch die Aus-
höhlung des Rechtsstaates wahrnehmen.

Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die-
ser Staat die Einhaltung des Gewaltmonopols mit Blick
auf den Bau von Startbahnen und Atomkraftwerken zu
Recht eingefordert hat. Nur, dann müssen wir, wenn wir
glaubwürdig sein wollen, die Einhaltung des Gewaltmo-
nopols auch im Hinblick auf rechts einfordern. Dies muss
einvernehmlich geschehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir machen allerdings auch deutlich: Wir würden der
Öffentlichkeit etwas vorgaukeln – ich weiß, dass wir alle
unter dem Druck der Öffentlichkeit stehen –, wenn wir
jetzt so tun, als würden wir mit der Verkündung einer ent-
schlossenen Maßnahme den Rechtsradikalismus wegbe-
kommen. Es wäre falsch, den Eindruck im Raum stehen
zu lassen, dass mit dem NPD-Verbot das Problem des
Rechtsradikalismus beseitigt sein wird. Das wird nicht der
Fall sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden uns während des Verfahrens und auch nach
dem Verfahren mit dem Thema Rechtsextremismus be-
schäftigen müssen. Ich bin froh, dass diese Regierung als
Zeichen der Entschlossenheit im Bundeshaushalt 50 Mil-
lionen DM für die Jugendarbeit und für die Stützung der
Zivilgesellschaft bereitgestellt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, man
kann der Meinung sein – das wurde vorher zitiert –, dass
es angemessen ist, eine Unterstützungserklärung abzuge-
ben. Diese Position ist durchaus begründbar. Was ich
nicht verstehe, ist, dass Sie Folgendes nicht begreifen: Sie
wären glaubwürdiger, wenn Sie nicht gleichzeitig dafür
Kritik an der Bundesregierung übten, dass sie die Zivil-
gesellschaft mit diesen 50 Millionen DM unterstützt.
Wenn Sie einerseits keinen Verbotsantrag des Bundesta-

ges wollen und andererseits jede Maßnahme der Bundes-
regierung zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus kriti-
sieren, dann machen Sie sich unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sollten uns dabei unterstützen, dass wir eine pro-
fessionelle Jugend- und Sozialarbeit aufbauen, dass wir
die Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden, die bereits
eingesetzt hat, weiter stärken, dass wir den Abbau von
Diskriminierung gegenüber Nichtdeutschen verstärken,
dass wir eine Bildungsoffensive auch in den Ländern star-
ten und dass wir uns mit dem Thema „Wie können wir
heute, da es immer weniger Menschen gibt, die das Dritte
Reich noch erlebt haben, die Erfahrungen aus dem Natio-
nalsozialismus künftigen Generationen in einer interkul-
turellen Gesellschaft vermitteln?“ beschäftigen. Das sind
Fragen, über die Sie sich mit uns gemeinsam Gedanken
machen sollten.

Ich bin froh darüber, dass das EXIT-Programm, das
Ausstiegsprogramm für Rechtsradikale, von der Bun-
desregierung unterstützt wird. Das ist ein wichtiges Signal
an alle diejenigen, die aus dem Teufelskreislauf Rechtsra-
dikalismus, wie er auch in der NPD vorhanden ist, aus-
steigen wollen. Niemandem von ihnen, der bereit ist, mit
dem Teufelshandwerk Schluss zu machen, ist die Tür ver-
schlossen, zurück in die Gesellschaft zu finden. Die Ge-
sellschaft muss die Möglichkeit geben, dass Rechtsex-
treme in die demokratische Gesellschaft zurückkommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich komme zum Schluss. Die Union schreibt in ihrem
Antrag, dass es eine klassische Aufgabe der Exekutive ist,
einen Verbotsantrag zu stellen. Ich finde, dass es auch eine
Frage der Demokratie ist. Daher sind die Volksvertrete-
rinnen und Volksvertreter gefragt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es reicht eben nicht aus zu sagen: Die Bundesregierung
und der Bundesrat sollen diesen Antrag stellen. Zu mei-
nem Verständnis des Parlamentarismus gehört ein solcher
Antrag. Wir alle hatten die Gelegenheit, das Material zu
sichten. Wenn das stimmt, was wir alle hinsichtlich des
Gefahrenpotenzials in der NPD festgestellt haben, dann
ist die Maßnahme, in Karlsruhe einen Verbotsantrag zu
stellen, richtig. Dafür setzen wir uns ein. Ich hoffe, dass
Karlsruhe diese Entscheidung unterstützen wird.

Lassen Sie uns aber auch mit der Verharmlosung
rechtsextremer Gewalt aufhören. Auch von dieser Stelle
aus wiederhole ich meinen Appell an Herrn Koch, den ich
kürzlich in der Haushaltsberatung geäußert habe: Hören
Sie auf, den Unsinn zu verbreiten, dass der Rechtsextre-
mismus eine Erfindung der Medien sei! Wir wissen alle,
dass dies nicht der Fall ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414100600
Ich erteile dem Kolle-
gen Guido Westerwelle, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Cem Özdemir

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Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1414100700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der
Freien Demokraten wird einem Antrag auf Verbot der
NPD nicht aus Verfahrensgründen, sondern aufgrund sehr
grundsätzlicher Überlegungen nicht zustimmen. Wir
glauben, dass das Verbotsverfahren die rechtsradikale
Szene am Schluss eher stärken wird, als dass es sie
schwächen könnte.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir halten die Erfolgsaussichten eines solchen Antra-

ges für fraglich und seine Nebenwirkungen für gefährlich.
Selbst ein positiver Ausgang des Verbotsverfahrens würde
das eigentliche Problem nicht lösen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein Verbot wäre im Falle einer tatsächlichen Gefährdung
der Demokratie durch eine extremistische Partei das
richtige Mittel. In einer solchen Ausnahmesituation muss
die wehrhafte Demokratie auch vorbeugend zum Mittel
der Auflösung einer Partei greifen. Die Wahlergebnisse
der NPD zeigen aber, dass diese Gefahr nicht besteht und
dass die NPD von allen rechtsextremen Parteien die er-
folgloseste ist.

Tatsächlich geht es – das haben alle bisherigen Redner
aufgezeigt – um die Bedrohung von Menschen durch
rechtsextremistische Gewalt. Diese Kriminalität muss
mit allen Mitteln des Rechtsstaates, das heißt in erster Li-
nie mit Polizei und Strafrecht, bekämpft werden. Nie-
mand ist in Deutschland vor strafrechtlicher Verfolgung
durch irgendein Parteibuch geschützt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kein Steinewerfer, kein Ausländerhetzer und kein Schlä-
ger wird durch das Verbotsverfahren bekämpft; schließ-
lich sind solche Menschen von einem NPD-Parteiverbot
nicht betroffen. Das Parteiverbot – das wissen wir – ist
Staatsrecht und nicht Strafrecht, meine sehr geehrten Da-
men und Herren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir müssen die einschlägigen Jugendstrafverfahren

durch eine bessere Ausstattung der Justiz beschleunigen.
Da sind die Defizite. Wir müssen polizeiliche und staats-
anwaltschaftliche Sondereinheiten auf alle Bundesländer
ausdehnen, in denen sich rechtsextremistische Jugendsze-
nen gebildet haben. Vor allem müssen Strafen ausgespro-
chen werden, die den Taten angemessen sind.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn in Deutschland – dieses Urteil ist keine zwei Wo-

chen alt – ein junger Mann von einer Horde rechter Ge-
walttäter zu Tode gehetzt wird und die Täter überwiegend
mit Bewährungsstrafen und Verwarnungen davonkom-
men, dann ist das die falsche Antwort des Rechtsstaates.
Das ist der eigentliche Casus Belli in dieser Auseinander-
setzung.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Ent-
scheidungen zu den Verboten der SRP und der KPD zu
Recht sehr hohe Maßstäbe angelegt. Damals, zu Beginn
und Mitte der 50er-Jahre, stand unsere Demokratie weiß
Gott nicht auf so sicherem Boden. Das hat sich in den letz-
ten 50 Jahren geändert. Deutschland ist seit langem eine
gefestigte Demokratie. Es ist nicht zu erwarten, dass das
Bundesverfassungsgericht die hohen Anforderungen an
ein Parteiverbot herunterschrauben wird. Nach den uns
zur Verfügung stehenden Unterlagen hat das Verbotsver-
fahren ein hohes Prozessrisiko. Das Scheitern einer sol-
chen Klage wäre ein Desaster, weil die NPD gewisser-
maßen mit einem TÜV-Siegel anschließend in die
Wahlkämpfe ziehen wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein NPD-Verbotsverfahren wird sich über einen länge-

ren Zeitraum erstrecken, über Jahre! Das SRP-Verfahren
hat ein Jahr gedauert, das KPD-Verfahren etwa fünf Jahre.
In dieser Zeit hat die NPD die Möglichkeit einer er-
heblichen Propaganda gewissermaßen im öffentlichen
Licht. Selbst im – unsicheren – Fall eines Verbotes ver-
schwinden die Anhänger der NPD nicht plötzlich von der
politischen Landschaft; sie werden zu den anderen rechts-
radikalen Parteien gehen, zur DVU und zu den Republika-
nern. Deswegen glaube ich: Selbst ein erfolgreiches Ver-
botsverfahren wird eher zur Stärkung als zur Schwächung
der rechtsradikalen Szene beitragen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie beklagen zu

Recht die Sendezeit der NPD in öffentlich-rechtlichen
Medien bei Wahlkämpfen.Wir sollten uns aber einen Au-
genblick Gedanken darüber machen, wie viel Sendezeit
diese schlimme Partei NPD allein durch dieses Verfahren
bekommen wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Als ein wesentliches Argument für das Verbot der NPD

wird das Geld genannt. Es stimmt: Die NPD hat etwa
800 000 DM aus staatlichen Mitteln erhalten – die DVU
doppelt so viel, die Republikaner fast das Sechsfache. Die
relative Erfolglosigkeit der NPD gegenüber den anderen
rechtsextremen Parteien wird dadurch noch einmal unter-
strichen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist doch Verharmlosung!)


Das Entscheidende aber ist, dass ein Verbot der NPD rech-
tes Gedankengut nicht beseitigt. Die staatlichen Gelder,
die jetzt die NPD bekommt, kämen dann ja nicht den de-
mokratischen Parteien oder der Zivilgesellschaft zugute,
sondern würden bei den anderen rechtsradikalen Parteien
landen. Dies zöge wiederum eine Stärkung der Szene
nach sich.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ich möchte auf ein Argument hinweisen, das beispiels-

weise die Vorsitzende des Innenausschusses des Deut-
schen Bundestages, Frau Vogt, die der SPD angehört, in
die Debatte eingeführt hat; denn ich halte dies für richtig:
Schon jetzt nutzen die Republikaner in Baden-Württem-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013796


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berg das Vorgehen gegen die NPD gewissermaßen als Gü-
tesiegel in eigener Sache, nach dem Motto: Das sind die
schlimmen Rechtsradikalen, gegen die geht man vor. Wir
sind die anständigen Rechtsradikalen, uns könnt ihr ruhig
wählen. – Das rechte Gedankengut in den Köpfen muss
man bekämpfen. Ein Parteiverbotsverfahren hilft uns
nicht weiter, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Konzentration auf ein Verbot der NPD lenkt

schließlich von den eigentlichen Problemen des Rechts-
extremismus ab. Es wird immer wieder gesagt, durch den
Verbotsantrag müsse ein Zeichen gesetzt werden. Wenn
sich ein Verfahren nicht für Symbolik eignet, dann ist es
ein Parteiverbotsverfahren. Das Zeichen-Setzen muss an
anderer Stelle geschehen: zum Beispiel dadurch, dass die
Parteien gemeinsam eine Kundgebung organisieren, zum
Beispiel dadurch, dass die Urteile entsprechende Härte
und Konsequenz zeigen, zum Beispiel dadurch, dass die
Mittel für politische Bildung aufgestockt und nicht abge-
baut werden. Das sind die Zeichen, die gesetzt werden
müssen.

Ein Verbotsverfahren ist die Ultima Ratio in einer par-
lamentarischen Demokratie. Diese Situation ist heute nicht
gegeben. Ein Zeichen muss man anders setzen. Der Bun-
destag muss politische Zeichen setzen, aber nicht ein sol-
ches Verfahren einleiten.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist eine peinliche Fehleinschätzung für einen Liberalen!)


Rechtsextremismus muss politisch bekämpft werden.
Das ist vor allem dort aussichtsreich, wo der Einfluss auf
Menschen, vor allem auf junge Menschen, noch möglich
ist. Die Ursachen für Rechtsextremismus sind – das wis-
sen wir – vielfältig: Es sind die Defizite in Elternhaus,
Ausbildung und Bildung, es ist die fehlende Infrastruktur
für Jugendliche, es ist das soziale Umfeld, es ist die Per-
spektivlosigkeit durch Arbeitslosigkeit und es ist gele-
gentlich auch Mitläuferschaft. In allen diesen Bereichen
müssen die Maßnahmen ansetzen. Entscheidend ist daher,
dass junge Menschen zu mehr Mitmenschlichkeit, Tole-
ranz und demokratischem Verhalten erzogen werden.
Hier hat die Bundesregierung die falschen Signale ge-
setzt. Die Globalzuschüsse für die politischen Stiftungen
sind im Vergleich zu 1998 um 20 Millionen DM auf
167 Millionen DM gekürzt worden und die Bundeszen-
trale für politische Bildung hat für ihre Bildungsarbeit
jetzt mit 30 Millionen DM rund 25 Prozent weniger Gel-
der zur Verfügung als 1998.

Die F.D.P. hatte zum Haushalt dieses Jahres beantragt,
ein Sonderprogramm für „Erziehung zu Mitmenschlich-
keit und Toleranz“ in Höhe von mindestens 300 Milli-
onen DM aufzulegen. Diesen Antrag hat die Mehrheit des
Hauses leider abgelehnt. Ein NPD-Verbot kann solche
Maßnahmen aber nicht ersetzen. Wer die rechte Gesin-
nung rechtzeitig bekämpft, muss sich später nicht gegen
rechte Gewalt wenden, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Ein Parteienverbot trägt hierzu nicht bei.

Es geht nicht darum, was wir von der NPD halten und
wie wir sie politisch einschätzen. Darüber, dass die NPD
eine widerwärtige und auch verfassungsfeindliche Partei
ist, die mit allen politischen Mitteln bekämpft werden
muss, besteht in diesem Hause Einigkeit. Die Frage, ob
sie damit eine verfassungswidrige Partei im Sinne der
KPD-Verbotsentscheidung von 1956 ist, ist damit über-
haupt nicht beantwortet. Das wissen die Juristen hier ganz
genau.


(Beifall bei der F.D.P.)

Auch zum Verfahren möchte ich noch etwas sagen.

Die Bundesregierung hatte ursprünglich angekündigt,
zunächst sorgfältig die von den Verfassungsschutz-
behörden des Bundes und der Länder zusammengetra-
genen Informationen auszuwerten und anschließend eine
rechtliche und politische Beurteilung abzugeben.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: So ist es geschehen!)


Das hat sie aber ohne Not frühzeitig gelassen, indem sie
sich öffentlich auf ein Verbotsverfahren festgelegt hat.

Da ich hier durch viele Zwischenrufe auch Kritik für
meine Ausführungen erfahre, will ich Ihnen sagen: Noch
im Sommer hatte Innenminister Schily


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!)

seine Skepsis gegenüber einem NPD-Verbot zum Aus-
druck gebracht. Ich zitiere ihn wörtlich aus dem „Spie-
gel“:

Ich neige
– so sagte der Innenminister –

eher zur Skepsis. Zumal man sich die Frage stellen
muss, wie führe ich dann die Auseinandersetzung
mit einer solchen Partei, wenn sie in den Untergrund
gedrängt wird? Die Gefahr ist groß, dass ich ihre Mi-
litanz noch weiter erhöhe.

Das sagte der Verfassungsminister.
Ich als Freier Demokrat bestreite niemandem das Recht,

seine Meinung zu ändern, aber ich halte es für gänzlich un-
angebracht, denjenigen, die heute noch dieAuffassung des
Bundesinnenministers teilen, vorzuwerfen, sie würden
sich einer gemeinsamen Initiative verweigern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Es gibt eben kein neues Material. Wir erleben hier die
Neubewertung – und zwar die politische Neubewertung –
alten Materials.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ist es!)

Bis heute haben wir entscheidungserhebliches Material
nicht erhalten, wenn ich zum Beispiel an die Telefonüber-
wachungsmaßnahmen denke. Da alle diese Akten ohnehin
vor Gericht öffentlich werden, kann ich nicht einsehen,
warum nicht dem Deutschen Bundestag als Verfassungs-
organ rechtzeitig alle diese Fakten vorgetragen worden
sind.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Guido Westerwelle

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(D)



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Vor Gericht bleibt nichts geheim. Hier wird ein Popanz
aufgebaut; das ist ein unangemessener Umgang mit dem
Verfassungsorgan Deutscher Bundestag. Man erwartet
von uns, dass wir eine eigene Entscheidung sui generis
fällen, aber gleichzeitig sagen die Exekutiven: Das Mate-
rial kriegt ihr nur zu einem Teil. So geht man unter Ver-
fassungsorganen nicht miteinander um, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich will noch eine letzte Bemerkung an Sie, meine

liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, richten,
um das noch einmal klar zum Ausdruck zu bringen: Wenn
man sagt, man kenne das Material nicht und könne des-
wegen einen eigenen Antrag nicht unterstützen, dann
kann man auch nicht den Antrag anderer unterstützen.


(Beifall bei der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414100800
Herr Kollege
Westerwelle, Ihre Redezeit ist überschritten.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1414100900
Vielen Dank für den
Hinweis, Herr Präsident; ich komme zum Schluss.

Es gäbe noch viel mehr Argumente vorzutragen. Wir
sind die einzige Partei, die aus grundsätzlichen Überle-
gungen den Antrag und die Initiative im Verbotsverfahren
ablehnt. Nicht aus irgendeiner Sympathie mit der NPD
sind wir gegen dieses Verbotsverfahren, sondern weil wir
glauben: Das Gegenteil von „gut gemacht“ ist meistens
„gut gemeint“.


(Beifall bei der F.D.P. – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Weil ihr euch frühzeitig festgelegt habt, deshalb!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414101000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414101100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Das nationalsozialistische Herr-
schaftssystem von 1933 bis 1945 ist und bleibt das dun-
kelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Nie vorher
und nie nachher gab es eine Diktatur, die im Wege des
Staatsterrorismus eine solche Vernichtungspolitik, einen
solchen Massenmord organisierte. Diktaturen gab es vor
dem NS-Regime, zeitgleich, nach dem NS-Regime und
wird es leider auch in Zukunft noch geben. Sie alle zeich-
nen sich dadurch aus, dass sie eine Gleichschaltung in der
Gesellschaft anstreben und Widerstand – in der Regel
schon Widerspruch – nicht dulden. Ihren vermeintlichen
oder wirklichen Gegnerinnen und Gegnern nehmen sie
häufig die Freiheit, nicht selten das Leben.

Die NS-Diktatur verfolgte nicht nur ihre vermeintli-
chen oder wirklichen Gegner. So begann sie zwar mit dem
Verbot der KPD und der Verfolgung und Ermordung der
Kommunistinnen und Kommunisten. Kurze Zeit später
folgten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
linke Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und auch

Frauen und Männer des christlichen und des bürgerlichen
Widerstandes. Sie hatte aber darüber hinaus das einmalige
Ziel, die Juden in ganz Europa zu vernichten. Sie organi-
sierte in Vernichtungslagern den millionenfachen Mas-
senmord an ihnen. Ein gleiches Ziel verfolgte sie hinsicht-
lich der Sinti und Roma. Sie ermordete Menschen mit
Behinderungen als so genanntes unwertes Leben, ver-
folgte Homosexuelle, Zeugen Jehovas und viele andere.
Ihre Rassenideologie erklärte Menschen anderer Natio-
nen, insbesondere Slawen, für minderwertig.

So unterschied sich dann auch der Krieg des NS-Re-
gimes von anderen Kriegen. Im Osten Europas wurde er
als Vernichtungskrieg geführt. Vor allem sowjetische
Kriegsgefangene, aber nicht nur sie, auch andere, wurden
entgegen dem internationalen Recht in Konzentrationsla-
ger eingesperrt und zu Abertausenden ermordet. Die Ver-
brechensliste des NS-Regimes ist lang und einmalig.
Deutschlands Eroberungskrieg endete in einer bedin-
gungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. Deutschland
war zerstört. 50 Millionen Tote waren das Ergebnis der
NS-Verbrechen und des Aggressionskrieges. Es war ver-
ständlich, dass viele Menschen in Europa davon ausgin-
gen, dass Deutschland von der Landkarte getilgt werden
sollte.

In Anbetracht der Größe der Verbrechen im Zusam-
menhang mit dem Zweiten Weltkrieg, aber auch ohne je-
den Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ist das
Urteil der Geschichte über uns Deutsche – zumindest aus
heutiger Sicht – relativ milde ausgefallen. Deutschland
selbst war im Ergebnis des Krieges zerstört. Millionen
deutscher Soldaten hatten ihr Leben auf den Schlachtfel-
dern gelassen. Millionen Zivilisten kamen während der
Bombenangriffe auf Deutschland ums Leben. Die meis-
ten verloren Hab und Gut. Im Ergebnis des Krieges wurde
das Territorium Deutschlands verkleinert. Als Folge da-
von wurden die Deutschen aus den dann nicht mehr deut-
schen Territorien vertrieben. Sie haben stellvertretend für
Millionen andere Deutsche besonders gelitten. Deutsch-
land wurde letztlich geteilt – 40 Jahre lang. Aber ohne die
bedingungslose Kapitulation, ohne die militärischen
Siege der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens, Frank-
reichs, Polens und anderer Länder hätte das Nazi-Regime
nicht geendet. Deshalb – wie die Einzelne oder der Ein-
zelne diesen Tag auch erlebt haben mag – war dieser Tag
auch für das deutsche Volk ein Tag der Befreiung von der
barbarischen Nazi-Herrschaft.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.])


Erst recht war dies ein Tag der Befreiung für die ande-
ren europäischen Völker und insbesondere für jene, die
sich bis dahin verstecken mussten, die aus den Konzen-
trationslagern und Gefängnissen befreit werden konnten.
Die deutschen Frauen und Männer, die aktiv Widerstand
gegen das NS-Regime geleistet hatten, die die Verbrechen
des NS-Regimes auf unterschiedliche Art und Weise
bekämpften, die zum Beispiel Jüdinnen und Juden ver-
steckten oder sich zumindest weigerten, sich an den Ver-
brechen zu beteiligen, haben den größten Anteil daran,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Guido Westerwelle
13798


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(A)



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dass es heute noch Deutschland auf der Landkarte gibt.
Denn mit ihnen verband sich die Hoffnung auf ein ande-
res Deutschland.


(Beifall bei der PDS)

Wie unterschiedlich man ihr Wirken vor 1933 und nach

1945 auch einschätzen mag: In der Zeit zwischen 1933
und 1945 ragten sie heraus und signalisierten sie, dass die
NS-Ideologie nicht alle Deutschen erreicht hatte, machten
sie Hoffnung durch ihren Mut, durch ihren Widerspruch.

Deshalb, lieber Herr Westerwelle, wäre es vielleicht
doch besser gewesen, die NSDAP wäre in den 20er-Jah-
ren endgültig verboten worden und hätte nicht die Chance
gehabt, über Wahlen und eine rassistische sowie antise-
mitische Ideologie bis zur Machtübernahme erfolgreich
zu sein – und das auch noch auf legalem Wege.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allein schon die Gründung der NPD 1964 war eine
Provokation. Von Beginn an versuchte diese Partei, die
Geschichte umzuschreiben, die Verbrechen des NS-Re-
gimes, die ich kurz dargestellt habe, zu leugnen, zumin-
dest zu bagatellisieren. Von Beginn an gab es aus dieser
Partei heraus Rechtfertigungen für Antisemitismus, Ras-
sismus und Fremdenfeindlichkeit. Nach anfänglichen Er-
folgen wurde die Partei immer bedeutungsloser, bis sie in
den letzten Jahren wieder an Gewicht gewann. Sie verfügt
über zahlreiche Verbindungen in die militante Szene und
trägt intellektuelle und zum Teil auch organisatorische
Verantwortung bzw. Mitverantwortung für die Zunahme
rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland. Sie hat mit
der im Grundgesetz verankerten freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung nichts am Hut. Sie ist verfassungs-
widrig. Vor allem aber verletzt ihre gesamte Programma-
tik, ihr gesamtes Auftreten Art. 1 des Grundgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland. Für sie ist die Würde des
Menschen antastbar – und sie tastet sie täglich an.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das beginnt schon damit, dass Nichtdeutsche für sie
Menschen zweiter Klasse sind, erst recht Menschen jüdi-
schen Glaubens. In geradezu beispielloser Art und Weise
hetzt sie gegen politische Gegnerinnen und Gegner, insbe-
sondere gegen linke, aber auch gegen bürgerliche. Die
NPD ist ein Feind des Art. 1 des Grundgesetzes der Bun-
desrepublik Deutschland.

Gegen die zunehmende rechtsextremistische Gewalt
hat der Bundeskanzler den Aufstand der Anständigen ge-
fordert. Michel Friedman, Mitglied der CDU und stell-
vertretender Vorsitzender des Zentralrates der Juden in
Deutschland, hat zu Recht gefordert, diesen Aufstand
durch einen Aufstand der Zuständigen zu ergänzen. Jede
Bürgermeisterin, jeder Bürgermeister, jede Landrätin, je-
der Landrat, jeder Ministerpräsident verletzt seine Zu-
ständigkeit, wenn er rechtsextremistische Gewalt im
Interesse des vermeintlichen Ansehens seiner Region ver-

harmlost. Die Zeit der Verharmlosung muss eindeutig
vorüber sein.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Auch wir hier im Bundestag sind Zuständige. Mit einem
Antrag auf Verbot der NPD verhalten wir uns als Zustän-
dige.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein Parteienverbot muss natürlich die absolute Aus-

nahme sein. Es darf nicht zur Normalität werden. Daran
sind höchste Anforderungen zu knüpfen; darin stimmen
wir hier wohl alle überein.


(Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

Aber im Falle der NPD ist eine solche Ausnahme ge-
geben.


(Beifall der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner [PDS])


Herr Westerwelle, Sie sagen, gerade die Erfolglosig-
keit der NPD bei Wahlen halte Sie von einem solchen Ver-
bot ab. Meiner Meinung nach wäre es viel problemati-
scher, ein solches Verfahren durchzuführen, wenn die
NPD mit jeweils 20 Prozent in den Landtagen säße, und
zwar nicht nur deshalb, weil es dann vielleicht zu spät
wäre, sondern auch deshalb, weil uns dann unterstellt
würde, wir würden uns auf diese Art und Weise einer un-
liebsamen Konkurrenz entledigen wollen. Das aber kann
uns gegenwärtig glücklicherweise niemand unterstellen.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die NPD saß im Parlament!)


Dann möchte ich den Aspekt der Zweckmäßigkeit an-
sprechen; denn darüber kann man diskutieren. Dazu sage
ich hier ganz offen und gleichzeitig so neblig, wie ich es
nur formulieren kann: Über Zweckmäßigkeit kann man
hinter verschlossenen Türen diskutieren, solange die For-
derung nach einem Verbot nicht in breiter und öffentlicher
Form erhoben worden ist. In dem Moment, wo dies ge-
schehen ist, bedeutet eine Diskussion über den Grad der
Zweckmäßigkeit eine Aufwertung dieser rassistischen
und antisemitischen Partei.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau das können wir uns dann nicht mehr leisten. Das
hätte man vorher tun müssen.

Ich möchte auch an die schwierige Situation von Justiz
und Polizei erinnern. Heute ist die NPD noch eine legale
Partei. Immer wieder versuchen Innensenatoren und viele
andere Verantwortliche, ihre Demonstrationen, in denen
klares rechtsextremistisches Gedankengut ausgetragen
wird, zu verbieten. Sie scheitern in der Justiz am Partei-
enprivileg. Aufgrund dessen ist die Polizei verpflichtet,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Gregor Gysi

13799


(C)



(D)



(A)



(B)


auch solche Demonstrationen zu schützen, weil die dann
Ausdruck der Wahrnehmung eines Grundrechts sind.
Dann kommen nicht selten Linke und beschimpfen die
Polizei. Dabei ist sie dafür überhaupt nicht verantwort-
lich. Wir sind zuständig, dafür zu sorgen, dass so etwas
nicht legal betrieben werden kann.


(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414101200
Herr Kollege Gysi,
Sie müssen zum Ende kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414101300
Es ist wahr: Das NPD-Verbot
ist weiß Gott nicht alles. Aber es ist auch nicht nichts.
Dass wir viel im Bereich Bildung und in manchen ande-
ren Bereichen – dazu kann ich jetzt nicht mehr sprechen –
tun müssen, scheint mir klar. Darüber sind wir uns hier
wohl auch einig. Zu Recht haben Sie auch die Bundesre-
gierung hinsichtlich ihrer Geheimniskrämerei kritisiert.
Ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb wir hier nicht voll-
ständig informiert worden sind.

Herr Präsident, meine letzte Bemerkung: 40 Jahre lang
war unser Land als Ergebnis der Verbrechen des NS-Re-
gimes und des Zweiten Weltkrieges geteilt. Trotz aller
Leiden, die damit verbunden waren, war das – wie ge-
sagt – ein eher mildes Urteil der Geschichte. Nach dieser
Bewährungszeit entstand wieder ein Deutschland mit
dem Recht auf Gleichberechtigung im Bund der Staaten
und Völker, aber auch mit der Verantwortung, nichts, aber
auch gar nichts zuzulassen, was uns je in solche Verhält-
nisse wie im Jahre 1933 zurückführen könnte. Deshalb,
meine Damen und Herren, gehört die NPD verboten.


(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414101400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Erika Simm, SPD-Fraktion.


Erika Simm (SPD):
Rede ID: ID1414101500
Sehr verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich kann es
mir ersparen, hier noch rechtliche Ausführungen zu den
Kriterien zu machen, die das Bundesverfassungsgericht
bei der Prüfung der Frage, ob eine Partei verfassungswid-
rig ist oder nicht, anlegt. Herr Gysi hat zum Schluss
manch Kluges dazu gesagt. Vor allem aber Herr Bosbach
hat diese Aspekte schon breit und zutreffend dargelegt.
Was mich etwas wundert, ist die Volte, die er dann bei der
Frage geschlagen hat, welche Konsequenzen aus der Er-
kenntnis, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei ist,
zu ziehen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Begründung, die er uns geliefert hat, warum sich

die CDU/CSU trotzdem nicht dem Antrag von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen anschließen möchte, erschöpfte
sich ja eigentlich darin, dass es eine klassische Aufgabe
der Exekutive sei, einen solchen Verbotsantrag zu stel-

len, weil Bund und Länder über ihre Verfassungsschutz-
behörden originäre Erkenntnisse gewinnen könnten.

Ich halte dieses Argument – verzeihen Sie – für ausge-
sprochen schwach. Ich meine, dass damit eigentlich nicht
mehr gesagt wird als: Das haben wir noch nie gemacht;
deswegen machen wir es auch jetzt nicht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Genau! Das alte Beamtenargument!)


Substanziell steht nichts anderes dahinter.
Ich bin der Meinung, dass der Deutsche Bundestag

einen eigenen Antrag stellen sollte. Die einschlägige
Vorschrift des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes be-
sagt, dass antragsberechtigt der Deutsche Bundestag, der
Bundesrat und die Bundesregierung sind. Sie sind dort in
dieser Reihenfolge genannt. Einen Vorrang der Exekutive
vermag ich in dieser Frage nirgendwo zu erkennen. Er
scheint mir auch objektiv nicht gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben Materialien bekommen, und zwar in so ausrei-
chendem Umfange, dass wir uns ein Urteil bilden können.
Wir schauen fern, wir lesen Zeitungen und wir erleben die
Auftritte dieser Partei. Ich denke, das, was wir wissen und
was uns zugänglich ist, reicht dafür aus, dass wir uns ein
eigenes Urteil bilden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich hielte es für sehr gefährlich, wenn nicht auch der

Deutsche Bundestag diesen Antrag stellte, weil eine sol-
che Enthaltsamkeit Anlass zu Missdeutungen geben
könnte. Wir erweckten den Eindruck, wir stünden nicht
wirklich hinter diesem Antrag, wir seien uns unserer Sa-
che nicht sicher und wir seien uns nicht sicher, dass wir
ausreichende Argumente haben; mehr noch: wir würden
uns möglicherweise von den Anträgen der Bundesregie-
rung und des Bundesrates distanzieren. Einen solchen
Eindruck hielte ich für äußerst schädlich. Ich bin der Mei-
nung, die Sache gebietet es, dass alle drei Verfassungsor-
gane gleich lautend und geschlossen diesen Antrag stel-
len. Das halte ich für eine Notwendigkeit, um nach außen
hin überzeugend auftreten zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun ein Wort zu der Argumentation, die Herr
Westerwelle für die F.D.P. vertreten hat und die wir aus
dem Antrag der F.D.P. kennen. Die F.D.P. möchte aus an-
geblich grundsätzlichen Erwägungen keinen Antrag
stellen.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Schaut man sich die grundsätzlichen Erwägungen an, so
handelt es sich tatsächlich um Zweckmäßigkeitsüberle-
gungen.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Solche Überlegungen sind zulässig und durchaus legitim.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber nicht begründet!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Gregor Gysi
13800


(C)



(D)



(A)



(B)


Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Auch wenn
die Verfassungswidrigkeit einer Partei feststeht, muss we-
der Bundestag noch Bundesrat noch Bundesregierung ei-
nen Verbotsantrag stellen. Ob dies geschehe oder nicht,
liege vielmehr in ihrem pflichtgemäßen politischen Er-
messen. Dabei können auch Zweckmäßigkeitsüberlegun-
gen angestellt werden. Aber, Herr Westerwelle, ich beant-
worte die von Ihnen aufgeworfenen Fragen anders: Wenn
es sich um die Frage dreht, ob ein Parteiverbot das geeig-
nete Mittel sei, dann stellen Sie diese Frage in einer Art
und Weise, die unterstellt, wir wollten darüber hinaus
nichts tun. Wenn Sie dies behaupten, behaupten Sie es wi-
der besseres Wissen. Denn wir haben – das wissen Sie
ganz genau; ich glaube sogar, noch vor Ihnen – einen um-
fassenden Antrag zur Bekämpfung des Rechtsextremis-
mus eingebracht.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Inzwischen haben dies alle Parteien dieses Hauses getan.
Wir haben uns vorgenommen, über diese Anträge zu dis-
kutieren, sie zu beraten, zu versuchen, eine gemeinsame
Entschließung zu finden und ein gemeinsames
Maßnahmepaket zu schnüren. Ich halte es für erstrebens-
wert, dies zu tun, um deutlich zu machen, dass alle Par-
teien dieses Hauses den Rechtsextremismus an der Wur-
zel bekämpfen und nicht nur die NPD verbieten wollen.
So viel dazu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dann befürchten Sie, dass im Falle eines Verbotes der
NPD deren Mitglieder zu anderen rechtsextremen Grup-
pierungen abwandern würden und dies zu einer Vereini-
gung der rechten Gruppierungen und Parteien führen
würde. – Herr Westerwelle, umgekehrt wird ein Schuh da-
raus! Es ist doch zurzeit die NPD, der es gelungen ist, eine
Vielzahl von rechtsextremen Strömungen und Gruppie-
rungen in sich zu vereinigen und ihnen ein ideologisches
Dach und eine politische Heimat zu bieten. Deshalb denke
ich, dass wir, wenn wir die NPD verbieten, wenn wir ihre
Strukturen durch das Verbot und die nachfolgende Auflö-
sung zerschlagen, das rechte Lager schwächen, statt es zu
stärken.


(Beifall bei der SPD)

Auch aus diesem Grunde halte ich das Verbot der NPD für
geboten. Denn es macht – es ist schon gesagt worden – ge-
rade den Unterschied zwischen der NPD und anderen
rechtsextremen Parteien aus, dass sie eine relativ or-
ganisationsstarke Partei ist, die über eine stabile Mitglie-
derschaft und auch ausreichende Finanzen verfügt, um
Aktionen tatsächlich durchziehen zu können.

Dann argumentieren Sie, die Wahlergebnisse der
NPD seien schlecht und zeigten ihre politische Bedeu-
tungslosigkeit, sodass sie keine Gefahr für die Demokra-
tie bedeute. – Dazu sage ich: Gott sei Dank ist es so! Gott
sei Dank sind wir eine wehrhafte, stabile Demokratie und
brauchen wegen der NPD keine unmittelbaren Befürch-
tungen zu haben. Aber die Wahlergebnisse bei den Land-
tagswahlen 1998 in Mecklenburg-Vorpommern, 1999 in
Sachsen und heuer in Schleswig-Holstein haben immer-
hin ausgereicht, die NPD wieder in den Genuss staat-

licher Parteienfinanzierung kommen zu lassen, zuletzt
– es ist schon gesagt worden – 1,16 Millionen DM für
1999.

Was bedeutet das? Wir alimentieren aus staatlichen
Mitteln eine als verfassungswidrig erkannte und von uns
so eingeschätzte Partei. Wir finanzieren deren ekelhafte,
widerliche, aggressive Auftritte aus Steuergeldern mit.
Ich bin der Meinung, wir können der großen Mehrzahl un-
serer Bürger, die mit dieser Partei nichts am Hut haben,
aber brav ihre Steuern zahlen, nicht zumuten, dass wir als
demokratisch strukturierter Staat die Aktionen der NPD
weiterhin mit finanzieren.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was mir zudem große Sorge macht, ist die Tatsache,
dass die NPD es versteht, zumindest in einem bestimmten
Spektrum der Jugend – diese Jugendlichen sind Leute aus
der Skinheadszene, junge Neonazis – für sich zu werben
und diese Jugendlichen zu gewinnen. Sie rühmt sich, dass
das durchschnittliche Beitrittsalter der Neumitglieder
mittlerweile auf etwa 25 Jahre gesunken sei. Sie bietet
diesen Jugendlichen, die in unserer Gesellschaft sonst
eher eine Außenseiterrolle einnehmen, eine politische
Heimat, Anerkennung und die ideologische Rechtferti-
gung ihres menschenverachtenden, gemeinschaftsfeindli-
chen Verhaltens. Das können wir doch nicht weiterhin zu-
lassen!


(Beifall bei der SPD)

Natürlich bedarf es, um diese Jugendlichen aus ihrer
Szene herauszuholen und Verhaltensweisen zu ändern, ei-
ner Vielzahl von Maßnahmen im sozialen Bereich und im
Bildungsbereich, internationaler Begegnungsmöglichkei-
ten und natürlich auch konsequenter Strafverfolgungs-
maßnahmen.

Das alles enthalten unsere Anträge, die wir bereits ein-
gebracht haben, enthält auch Ihr Antrag.

Aber daneben bedarf es in meinen Augen des Verbotes
der NPD, die diese Jugendlichen gezielt für sich und ihre
politischen Zwecke instrumentalisiert und in ihren Ver-
haltensweisen bestärkt. Ich bin der Meinung, wir müssen
beides tun: die NPD verbieten bzw. einen Antrag auf ein
Verbot stellen, auch als Deutscher Bundestag, und ein Pa-
ket vielfältiger Maßnahmen schnüren, um Rechtsextre-
mismus und rechtsextremistisch motivierte Gewalt an der
Wurzel zu bekämpfen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414101600
Nun hat der Kollege
Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1414101700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Union
hat sich die Frage eines Verbotsverfahrens und eines ei-
genen Antrags in dieser Richtung bzw. der Zustimmung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Erika Simm

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(C)



(D)



(A)



(B)


zu einem solchen Antrag mit Sicherheit nicht leicht ge-
macht. In dieser Debatte ist, glaube ich, deutlich gewor-
den: Niemand in diesem Saal hält die NPD in ihrer
derzeitigen Verfassung für eine mit dem Grundgesetz
übereinstimmende Partei. Jeder hier erklärt, die NPD
wolle die Werteordnung des Grundgesetzes beseitigen,
und zwar in aggressiv-kämpferischer Haltung.

Es ist allerdings eine ganz andere Frage, ob man des-
halb gleich einen Verbotsantrag stellen muss. Jeder der
Vorredner hat klar zwischen der Prüfung der Situation die-
ser Partei und der Prüfung der Frage, ob ein Verbotsver-
fahren verhältnismäßig und im Sinne der politischen Aus-
einandersetzung sinnvoll wäre, unterschieden. Aber eines
wird man nicht bestreiten können: Die Zahl der Antrag-
steller beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
macht die NPD mit Sicherheit nicht verfassungsfeindli-
cher. Ob zwei oder drei Verfassungsorgane einen Ver-
botsantrag stellen, hat – mit Sicherheit wird hier niemand
das Gegenteil behaupten – keinen Einfluss auf den Aus-
gang des Verfahrens. Ein eigener Antrag des Bundestages
ist in vorangegangenen Verfahren nie gestellt worden.

Jetzt kann man natürlich sagen, das Grundgesetz teile
allen dreien die Kompetenz zu, einen Verbotsantrag zu
stellen.


(Zuruf von der SPD: Zuallererst dem Parlament!)


Ihr Bundeskanzler hat im Sommer zunächst erklärt, er
gehe nur nach Karlsruhe, wenn das alle Verfassungs-
organe tun. Ich fühle mich aber vorbelastet, wenn mir ge-
genüber öffentlich Erwartungen geäußert werden, bevor
wir diskutieren und Unterlagen einsehen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde, das ist kein guter Umgang mit einem Parlament;
und es gab ja in den Parteien, die jetzt zur Koalition
gehören, ähnliche Bedenken. Herr Westerwelle und Herr
Bosbach haben mit deutlichen Zitaten darauf hingewie-
sen.

Von Mallorca aus hat der Kanzler dann angerufen und
gesagt, die NPD werde bekämpft. Damit hieß es für die
Truppe: Kehrt, marsch, marsch!


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ach Quatsch! Was für ein Stuss!)


Vier Wochen später gab es die Erklärung, man prüfe die
Verbotsfrage durch einen Arbeitsstab. Weitere vier Wo-
chen später war klar: Die, die Bedenken hatten, mussten
widerrufen. So kam es zu diesem Verfahren.

Ich wiederhole: Ich halte einen Verbotsantrag bei Ge-
richt für richtig, und deswegen haben wir uns zu einer Zu-
stimmung zu dem laufenden Verbotsverfahren durchge-
rungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber ich stelle oder unterstütze – da bitte ich wirklich um
Verständnis – einen eigenen Verbotsantrag des Parlaments
nur, wenn ich im Vollbesitz aller Unterlagen bin. Solange
mir die Exekutive in zig Erklärungen sagt, es gebe fünf-

zig Seiten zusätzliches Material, und wenn ich das kennen
würde, hätte ich eine klarere Sicht,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Warum schauen Sie es sich dann nicht an?)


und zusätzlich gebe es Abhörprotokolle, die ich nicht
kenne, deren Kenntnis zu einer noch deutlicheren Mei-
nung führen würde, sage ich Ihnen:


(Dr. Peter Struck [SPD]: Das konnten Sie sich doch alles anschauen! Das gibt es doch gar nicht, was Sie hier erzählen!)


So kann man mit dem Verfassungsorgan Parlament nicht
umgehen.

Dennoch halte ich in diesem Fall die Zustimmung zu
einem Antrag durchaus für vertretbar.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Es reicht doch, was Sie haben!)


Aber natürlich ist es eigentlich Sache der Exekutive, ei-
nen Antrag zu stellen und diesen bei Gericht zu vertreten,
wenn sie mehr Unterlagen hat, als sie uns zur Verfügung
stellt.


(Zuruf von der SPD: Sprechen Sie mit Beckstein! Der löst das Problem!)


Ich muss an dieser Stelle aber ganz klar sagen: Wenn
man einen Antrag bei Gericht stellt – auch wenn das Par-
lament das macht –, ist damit nicht automatisch als Er-
gebnis das Verbot der Partei verbunden. Sie tun manchmal
so, als sei ein Verbot schon klar und deutlich abzusehen.
Ich halte das für ein Stück Missachtung des Verfassungs-
gerichts. Wer die Prozesslage kennt, muss öffentlich da-
rauf hinweisen, dass theoretisch durchaus die Gefahr oder
die Chance – je nachdem, wie Sie es nehmen – besteht,
dass diese Partei, die auch ich derzeit für verfassungswid-
rig halte, bis zur letzten Verhandlung durch Klärungs-
oder Reinigungsprozesse – etwa, indem sie die großen
Idioten rausschmeißt oder sich von ihnen distanziert – ei-
nem Verbot „entkommt“. Es gibt also „Zwischentöne“
und ich warne davor, die Entscheidung vorzubelasten.
Sonst heißt es eventuell hinterher – wenn es zur Feststel-
lung der Verfassungswidrigkeit, aber nicht zu einem
Verbot der Partei käme –, dass alle, die einen Antrag ge-
stellt haben, eine Niederlage erlitten hätten. Dazu sage ich
ganz deutlich: Wir wollen eine Klärung der Frage. Ge-
richte sind aber souverän und unabhängig und werden alle
Unterlagen prüfen. Wenn die Exekutive sagt, sie habe
noch einiges in der Hinterhand, dann bitte schön!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414101800
Kollege Zeitlmann,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1414101900
Nein, ich bitte um
Entschuldigung. Wir haben diese Frage in den Ausschüs-
sen schon so lange diskutiert. Ich bitte um Verständnis.

Ich will eins noch ganz klar sagen: Herr Gysi, es geht
nicht an, dass Sie sich hinstellen und nur einen Teil der
deutschen Geschichte behandeln. Sie waren heute Mor-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Wolfgang Zeitlmann
13802


(C)



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gen ein typisches Beispiel dafür, wie Blinde auftreten: Sie
haben nur das „Rechtsaußen“ der deutschen Geschichte
dargestellt und haben mit fast keinem Wort auf die zweite
Diktatur in Deutschland verwiesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Damit haben Sie den Eindruck erweckt, als seien nur auf
der rechten Seite Radikalität und Extremismus vorhan-
den gewesen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie hätten aufpassen sollen!)


Meine Damen und Herren, ich sage jetzt etwas, was
ganz links sicher nicht auf Wohlgefallen stößt. Ich be-
haupte, diese Republik hat 1990 den großen Fehler ge-
macht, dass sie die SED und deren Nachfolgeorganisatio-
nen nicht auch verboten hat. Das sage ich ganz offen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch und Unruhe bei der PDS)


Dann wäre uns manches erspart geblieben.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Gegenrufe von der SPD und der PDS)

Wir haben es uns in der Frage eines Verbotsantrages

wirklich schwer gemacht, denn eins ist klar: In diesem
Land gibt es seit diesem Sommer leider eine Form der
Hysterie im Umgang mit Radikalität. Ich verweise nur auf
die Stimmungslage in diesem Land nach den Vorkomm-
nissen in Sebnitz.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Recht hat er!)

Gestern liefen die Feststellungen der Sicherheitsbehörden
zum Angriff auf die Synagoge in Düsseldorf über die
Ticker. Ich bitte all diejenigen, die damals gleich Stim-
mung gemacht und „die Unanständigen in diesem Lande“
– Sie wissen, was ich meine – tituliert haben: Es muss un-
ter Demokraten in diesem Hause bei solchen Themen wie-
der möglich sein, normal miteinander umzugehen und zu
diskutieren. Solche Stimmungsmache kann nicht richtig
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In vielen Veröffentlichungen seit dem Sommer – ich

könnte sie Ihnen vorlegen – habe ich festgestellt, dass in
der Semantik in dem berechtigten Bemühen, gegen
Rechtsextremismus zu kämpfen, versucht wird, die
Grenze zu verschieben. Ich erinnere mich zum Beispiel an
eine Karte der Bundeszentrale für politische Bildung, in
der es heißt: „Kampf gegen Rechts“. Ganz klein gedruckt
steht dahinter noch „Extremismus“. Ich kenne Unterlagen
von SPD-Kollegen, die ganz eindeutig nur noch von
„rechts“ sprechen.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der PDS: Ja, mit Recht!)


Meine Damen und Herren, ich nehme für mich in An-
spruch, ein Politiker zu sein, der in der Mitte und rechts
steht. Dazu stehe ich. Es gibt eine demokratische Rechte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wird Ihnen nicht gelingen, hier den Eindruck zu ver-
mitteln, als ob man rechts generell – –


(Zuruf von der SPD: Das war aber nicht die Frage!)


– Das war nicht die Frage. Aber es gab in den letzten Mo-
naten genügend Anlass, hierzu ein Wort zu sagen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102000
Herr Kollege
Zeitlmann, ich muss Sie noch einmal fragen: Gestatten
Sie eine Zwischenfrage?


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1414102100
Ich habe es schon
gesagt: Ich werde heute keine Zwischenfragen zulassen.

Ich möchte nun noch etwas zur Frage der Verhältnis-
mäßigkeit sagen. Natürlich muss ein Staat mit einem Ver-
botsantrag nicht warten, bis eine immanente und über-
mäßig große Gefahr droht und konkrete Existenzgefahr
besteht. Wir haben die Pflicht, vorher zu handeln. Vor Ge-
richt wird das große Problem aber sein, nachzuweisen,
dass 7 000 oder 8 000 Rechtsextreme bei etwa 30 000
BGS-Beamten und etwa 150 000 Länderpolizisten und
Verfassungsschützern eine existenzielle Gefährdung für
diese Republik darstellen. Ich bin für einen Antrag. Aber
man wird doch wohl noch offen über die Risiken eines
Gerichtsverfahrens diskutieren dürfen.

Ich stelle fest: Diese Regierung hat in den Monaten vor
dem Sommer keinerlei Anstalten gemacht, um auf eine
Gefahr hinzuweisen. Es gibt weder ein „Braunbuch“ über
die schweinischen Äußerungen von führenden NPD-Leu-
ten noch eine politische Auseinandersetzung;


(Ludwig Stiegler [SPD]: Es gibt den Verfassungsschutzbericht!)


es gibt vielmehr nur einen Verbotsantrag, dem wir mit un-
serer Resolution zustimmen. Gleichzeitig möchten wir
aber deutlich machen, dass der Kampf auch auf anderen
Ebenen, unter anderem in der politischen Auseinander-
setzung, stattfinden muss, und zwar mit klar definierten
Zielen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102200
Ich erteile der Kolle-
gin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zunächst möchte ich feststellen, dass die Bekämpfung des
Rechtsextremismus ein zentrales Anliegen der Koaliti-
onsfraktionen ist und dieses ganzen Parlaments sein
sollte. Herr Kollege Zeitlmann, ich sehe überhaupt keinen
Grund für eine Entwarnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Wolfgang Zeitlmann

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(D)



(A)



(B)


Seit der Debatte im Sommer haben wir dieses Thema end-
lich in den Blickpunkt gerückt. Es hätte uns alle hier und
die Gesellschaft schon viel länger beschäftigen müssen.
Wie gesagt: Es gibt überhaupt keinen Grund zur Entwar-
nung.

Das Verbot der NPD ist in diesem Zusammenhang ein
notwendiger Schritt zur Bekämpfung des Rechtsextre-
mismus. Es kann aber nur eine Maßnahme unter vielen
sein; das muss klar sein. Ich fürchte, die Fokussierung der
Debatte auf das Verbot in den letzten Monaten hat der Sa-
che eher geschadet als genutzt. Sie hat von einer Ausei-
nandersetzung mit den Ursachen des Rechtsextremis-
mus abgelenkt. Das Hauptproblem liegt nicht außerhalb,
sondern in der Mitte der Gesellschaft und ist nicht allein
durch die markige Demonstration staatlicher Gewalt zu
lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Deshalb bin ich froh, dass wir in den Haushaltsbera-

tungen auf der Grundlage eines Antrages der Koalitions-
fraktionen, den wir übrigens schon vor dem Sommer ein-
gebracht haben, Herr Zeitlmann, ein deutliches Zeichen
zur Förderung der Zivilgesellschaft gesetzt haben. Für
Opferschutz, Aufklärung, Beratung und Jugendarbeit sind
50 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt worden. Dazu
kommt das Xenos-Programm „Leben und Arbeiten in
Vielfalt“, das bereits in diesem Jahr angelaufen ist, mit
Maßnahmen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung
auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Hierfür ste-
hen noch einmal je 25 Millionen DM in den nächsten drei
Jahren aus EU-Mitteln zur Verfügung. Ich glaube, das ist
ein Gesamtprogramm, das sich sehen lassen kann,


(Beifall der Abg. Heide Mattischeck [SPD])

ein notwendiger und richtiger Schritt der Koalitionsfrak-
tionen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Frem-
denfeindlichkeit und Rassismus.

Aber der Verbotsantrag gegen die NPD ist ein ebenso
notwendiger Schritt, den wir heute auch als Parlament tun
sollten. Ich kann die Kritik der F.D.P. daran überhaupt
nicht nachvollziehen. Sicher lassen sich Meinungen nicht
verbieten, das ist richtig. Über Meinungen und Einstel-
lungen müssen wir uns auseinander setzen. Aber bei Auf-
stachelung zu Antisemitismus, zu Rassismus, zu Hass und
Gewalt endet die Meinungsfreiheit und beginnt das Ver-
brechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das geht doch aus dem über 500-seitigen Material, das
uns allen vorliegt, deutlich hervor. Die NPD nutzt die Pri-
vilegien und den Schutz des Parteiengesetzes für eine in-
tensive Förderung und die Zusammenarbeit mit der offen
gewalttätigen Neonaziszene. Viele Neonazis aus verbote-
nen Organisationen haben in der Partei ein neues Betäti-
gungsfeld gefunden und betrachten sie als Ersatzorgani-
sation. Weder für mich noch für viele andere Bürgerinnen
und Bürger, die wir ja zu Engagement und Zivilcourage
aufgerufen haben, ist es nachvollziehbar, dass über die

Parteienfinanzierung Millionenbeträge in rassistische,
antisemitische und neonazistische Propaganda fließen.

Natürlich, Herr Westerwelle, haben wir in der Bundes-
republik Gesetze gegen Mord und Totschlag, gegen Über-
fälle und rassistische Angriffe und Pöbeleien. Auch ich
wünsche mir, dass sie von Polizei und Justiz flächen-
deckend entsprechend angewendet werden. Ich wünsche
mir Prozesse, wie sie in Dessau geführt worden sind, und
nicht entwürdigende, lange Verfahren wie zum Beispiel in
Guben.

Aber das Strafrecht allein hier als Mittel gegen rechts-
extreme Gewalt ins Feld zu führen, das heißt, die fatale
Wirkung einer offen auftretenden Organisation mit men-
schenverachtender Demagogie und rassistischer Praxis zu
unterschätzen, die, wenn sie denn offen auftreten kann,
anscheinend – das ist ja genau die Wirkung – auch von den
anderen Parteien als Teil der Normalität akzeptiert wird.
Die NPD ist ein Schutzschild für nationalsozialistische
Gewalttäter und in diesem Bereich macht sie auch ihre
Angebote. Sie tritt offen auf und spricht gerade Jugendli-
che an, die eben dadurch an Nazigewalt herangeführt wer-
den.

Das Argument, die NPD-Mitglieder könnten in den
Untergrund abtauchen, das ja immer wieder vorgebracht
wird, verkennt die Realität, dass die Partei schon immer
eine Funktion als Durchlauferhitzer für die gewalttätige
Neonaziszene hatte – bis hin zu Wehrsportgruppen und
terroristischen Ansätzen. Rechtsextreme, die einst in die
offen und öffentlich auftretende NPD eingetreten sind,
haben sich offenbar dort radikalisiert und Kontakte zu ent-
sprechenden Kreisen gefunden.

Deshalb, Herr Westerwelle, ist es eine völlige Fehlein-
schätzung auf Ihrer Seite, dass mit einem Verbot der NPD
die rechtsextreme Gewalt noch zunehmen würde. Das
Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die NPD zu verbieten ist ein Schritt, keineswegs der ein-
zige, um den Aktionsradius von Rechtsextremisten einzu-
schränken.

Die Gründe für ein Verbot der NPD sind in dem vor-
liegenden Material hinreichend dargelegt und untermau-
ert. Daher verstehe ich überhaupt nicht, warum sich die
CDU/CSU-Fraktion nicht in der Lage sieht – Herr
Zeitlmann, verzeihen Sie mir, aber da finde ich Ihre Ar-
gumentation doch wirklich verworren –, das, was vor-
liegt, auch zu bewerten und daraus Konsequenzen zu zie-
hen.

Ich verstehe Sie auch deshalb nicht, weil ein eigener
Antrag des Bundestages schließlich auch da die Möglich-
keit von Ergänzungen bietet, wo die spezifische Sicht der
Verfassungsschutzämter Lücken gelassen hat. So ist in
dem Material zwar das theoretische Konzept der „natio-
nal befreiten Zonen“ zur Kenntnis genommen worden,
nicht aber die praktische Umsetzung. Dafür müsste zuge-
geben werden, dass es solche Angsträume in der Realität
unserer Republik auch wirklich gibt, in denen sich Men-
schen mit anderer Hautfarbe, Obdachlose, Homosexuelle,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Annelie Buntenbach
13804


(C)



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(A)



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alternative Jugendliche oder Menschen jüdischen Glau-
bens nicht mehr frei bewegen können. Mit dieser Er-
kenntnis tun sich die zuständigen Behörden oft schwer.

Ein eigenständiger Verbotsantrag des Bundestages bie-
tet die Möglichkeit – und diese Chance sollten wir nut-
zen –, die vielfach weiter gehenden Kenntnisse von Wis-
senschaft, Initiativen und Fachleuten in das Verfahren mit
einzubeziehen.

Auch deshalb, weil Sie bzw. wir aus der eigenständi-
gen Position des Parlaments heraus gestalten und Einfluss
nehmen können, möchte ich für die Unterstützung unse-
res Antrags werben. Denn dass ein Verbot notwendig ist,
dafür sind heute viele überzeugende Argumente auch aus
den Reihen der Opposition vorgetragen worden. Deshalb
sollten wir diesen Antrag gemeinsam unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102300
Ich erteile das Wort
Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1414102400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Das Grundgesetz gibt dem Deutschen
Bundestag das Wächteramt über unsere freiheitlich-de-
mokratische Grundordnung. Heute ist ein guter Tag, weil
wir zum Handeln fähig sind. Es ist ein guter Tag für die,
die uns besorgt aus dem Ausland zusehen und sich fragen,
was bei den Deutschen los ist. Es ist ein guter Tag für die,
die in Deutschland an vielen Stellen wieder Angst und
echte Zukunftssorgen haben. Man muss nur einmal zu den
jüdischen Gemeinden gehen, ihnen zuhören und mit ihnen
reden, um zu erfahren, wie hier wieder die Angst umgeht.
Es ist wirklich Zeit geworden zu handeln.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute ist für mich aber auch ein beschämender Tag,
weil es in Deutschland wieder so weit gekommen ist, dass
wir handeln müssen,


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und weil das, was wir nach der Katastrophe des Natio-
nalsozialismus überwunden glaubten, noch fruchtbar ist.
Wir haben alle miteinander in der Vergangenheit einiges
versäumt. Umso wichtiger ist es, dass wir uns jetzt damit
auseinander setzen.

In diesem Sommer ist der zweite Band von Heinrich
August Winklers Werk: „Der lange Weg nach Westen“ er-
schienen. Ich kann jedem, der sich zu Weihnachten etwas
Gutes tun will, diese beiden Bände von Heinrich August
Winkler, die sich mit der deutschen Geschichte der letz-
ten 200 Jahre befassen, nur empfehlen und darin insbe-
sondere die Kapitel über die Entwicklung der Weimarer
Republik. Wie der Titel schon sagt: Es geht um die trau-
rige Erkenntnis – für mich ist das eine der schlimmsten
Belastungen für das demokratische Selbstgefühl –, dass

die Deutschen allein nicht in der Lage waren, zur Demo-
kratie zu kommen. Vielmehr musste die ganze Welt hel-
fen, um die Deutschen zur Demokratie zu befreien. Aus
diesem Grund sind wir umso mehr gehalten, das, was wir
auf dieser Grundlage aufgebaut haben, mit Leidenschaft
zu verteidigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich kann zwei weitere Bände, nämlich die von Ian
Kershaw, empfehlen. Es hilft nichts. Denn manches, was
hier nur vordergründig gesehen wird, bekommt seine Be-
deutung erst vor dem Hintergrund der historischen Folie.
Wenn Sie sowohl Heinrich August Winkler als auch die
Kershaw-Biografie über Hitler lesen und sich mit der
Weimarer Zeit beschäftigen, dann können Sie etwas über
die Entwicklung der NSDAP von ihrer anfänglichen Be-
deutungslosigkeit bis zur explosionsartigen Überwindung
der Demokratie erfahren. Sie werden etwas über die Ver-
harmlosung der Nationalsozialisten durch das Bürgertum
in Deutschland lesen. Diesen Hintergrund muss man se-
hen, denn daraus erwächst für uns eine besondere Verant-
wortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Vor allem diejenigen, deren Vorfahren Hitler 1933 mit er-
mächtigt haben, sind gehalten, diese Erfahrungen aus der
Geschichte ernst zu nehmen und intensiv zu studieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Wer die NSDAP in der Weimarer Zeit und ihre Ent-
wicklung mit der NPD und deren Aktivitäten vergleicht,
sieht, dass wir es hier mit einer Kopie zu tun haben. Ich
meine damit nicht nur die Übernahme des 20-Punkte-Pro-
gramms durch die Jungen Nationaldemokraten. Vielmehr
haben wir es in Stil, in Systemfeindschaft und in Sprache
mit einer Neuauflage der NSDAP zu tun.

Es beginnt mit der Systemfeindschaft. Der NPD geht
es nicht um die Verbesserung des Systems, sondern sie
sagt, das System sei das Problem. Wer Weimar kennt,
weiß, was mit diesem Systembegriff angefangen worden
ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Da sind wir als Parlament angesprochen. Auch bei der
NPD geht es um einen Kampf gegen das liberale System,
gegen den Liberalismus, weil die demokratische Tradi-
tion mit der Tradition des Liberalismus eine ganze Menge
zu tun hat. Wer es angreift, greift den „langen Weg nach
Westen“ an, will wieder in die reaktionäre oder gar völki-
sche Ideologie zurück und wählt den Weg von der Demo-
kratie zurück zur Diktatur. Das müssen wir ernst nehmen.
Hier dürfen wir nicht wie bei Max Frischs „Biedermann
und die Brandstifter“ sagen, es sei schon nicht so
schlimm, es werde schon wieder werden, sie hätten gar
keine Zündhölzer dabei. Nein, wer so gebrannte Kinder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Annelie Buntenbach

13805


(C)



(D)



(A)



(B)


wie wir in Deutschland hat, der muss besonders wachsam
und aufmerksam sein.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wenn die NPD mit ihren rechtsradikalen Kamerad-
schaften durch das Brandenburger Tor marschiert, dann
ahmt sie den Marsch der SA in die Diktatur nach. Das ist
ein Symbol der Überwindung der Demokratie durch die
Diktatur. Wenn ich die Hetz- und Hasslieder höre und mir
anschaue, was dort in jungen Menschen vor sich geht,
dann erinnert mich das immer an Annette von Droste-
Hülshoff: des Vorurteils geheimen Seelendieb, der in
junge Brust die zähen Wurzeln trieb.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh, oh!)

– Ja, sie hat es hervorragend ausgedrückt. Besser und sen-
sibler kann man einen solchen Sozialisationsvorgang gar
nicht beschreiben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat sie am Bodensee geschrieben!)


Wer ständig Hitler, Heß und andere verherrlicht, der steht
in einer anderen Tradition.

Wir haben in der Tat einen breiten Verfassungsbogen,
Herr Zeitlmann. In ihn gehören Sie sicherlich ohne Pro-
bleme mit hinein.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

– Er hat doch Angst geäußert und von uns die Bestätigung
gewollt, dass er dort hinein gehört. Ich antworte ja nur auf
ihn. Aber es gibt eben den Art. 79 Abs. 3, den Art. 1 und
den Art. 20 des Grundgesetzes, wonach die Menschen-
würde und die demokratische Ordnung unantastbar sind.
Wer das nicht bejaht, ist nicht im Verfassungsbogen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Meine Damen und Herren, wir müssen also lernen,
„der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das alles kroch“,
wie Bert Brecht einmal sagte, und diesen Kampf aufneh-
men. Herr Westerwelle, Ihre Abwägung beruht darauf,
dass Sie die Gefahr unterschätzen. Ich erinnere an die Sta-
bilisierung der Weimarer Demokratie, als alle, auch Sozi-
aldemokraten, die Nazis schon abgeschrieben und ge-
dacht hatten, sie seien eine vorübergehende Erscheinung
gewesen. Bei der nächsten Krise aber waren sie explosi-
onsartig wieder da. Hier heißt es wirklich: Principiis
obsta, sero medicina paratur, si mala per longas conva-
luere moras!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Michael Glos [CDU/CSU]: So ein belesener Kerl! Warum hat den der Schröder nicht zum Minister gemacht?)


Aus dieser Debatte geht aber auch etwas Tröstliches
hervor. Das habe ich kürzlich auch Leuten aus der ameri-
kanischen Botschaft gesagt, die besorgt nachfragten: Der
Unterschied zu Weimar besteht darin, dass sich in der
Weimarer Zeit die wichtigsten und mächtigsten Men-

schen des Landes die Nazis wie flegelhafte Nutztiere hal-
ten wollten und am Ende selbst gehalten worden sind.
Gott sei Dank ist in Wirtschaft und Gesellschaft des heu-
tigen Deutschlands kein vernünftiger Mensch bereit, auf
diese Karte zu setzen. Das ist der Unterschied zu Weimar.
Das haben wir gemeinsam erreicht und das sollten wir der
Welt auch gemeinsam sagen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)


Meine Damen und Herren, warum das Parlament?
Warum stellen wir den Antrag? Nicht nur, weil wir ein
Wächteramt haben, sondern weil der zentrale Angriff de-
rer, die auf Volksgemeinschaft, Führerprinzip und völki-
sche Gedanken setzen, gegen das Parlament, gegen die
Vertretung des Volkes und gegen den parlamentarischen
Prozess geht.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dagegen richtet sich der Angriff und unsere Antwort muss
und wird sein: Wir sagen nicht nur, andere sollten han-
deln, sondern wir handeln selber und sind dazu in der
Lage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir schauen nicht nur zu, ob die anderen möglicherweise
ein Risiko eingehen, um dann hinterher vielleicht ätzende
Kommentierungen abzugeben. Es ist eine manchmal zu
beobachtende bürgerliche Verhaltensweise, erst einmal zu
schauen, ob sich andere den Hals brechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nein, wir sind davon überzeugt: Die NPD hat in unse-

rer Ordnung nichts zu suchen, wir kämpfen miteinander
und werden miteinander Erfolg haben, damit diese Ge-
danken und dieses Handeln aus unserem Land dauerhaft
verschwinden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen.
Zunächst zur Beschlussempfehlung des Innenaus-

schusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Erkenntnisse der
Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern zur
Verfassungswidrigkeit der ‚Nationaldemokratischen Par-
tei Deutschlands‘“, Drucksachen 14/4500 und 14/4923.
Der Ausschuss empfiehlt dem Bundestag, beim Bundes-
verfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswid-
rigkeit der NPD sowie die Folgeentscheidungen dazu zu
beantragen. Weiter wird empfohlen, den Präsidenten des
Bundestages zu beauftragen, einen Prozessbevollmäch-
tigten zu bestellen und die Entscheidungen der Bundesre-
gierung und des Bundesrates, Anträge auf ein Verbot der
NPD zu stellen, zu begrüßen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Ludwig Stiegler
13806


(C)



(D)



(A)



(B)


Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Innen-
ausschusses auf Drucksache 14/4923? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen, PDS und einer Stimme der F.D.P. gegen die Stimmen
von CDU/CSU und der restlichen F.D.P. und bei einigen
Enthaltungen bei Bündnis 90/Die Grünen angenommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4883 mit dem
Titel „Verfassungswidrigkeit der Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der F.D.P.
und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4888 mit dem Ti-
tel „Für eine wirksame und nachhaltige Bekämpfung des
Rechtsextremismus – deshalb gegen ein NPD-Verbot“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen
der F.D.P.-Fraktion und bei einigen Enthaltungen der
CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen des Hauses im
Übrigen abgelehnt worden.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4897 mit dem Titel
„Bestrebungen zur Wiederbelebung nationalsozialisti-
schen Gedankenguts sind verfassungswidrig“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion und gegen einige Stimmen der SPD-Fraktion mit
den Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt.

Es sind einige Erklärungen zur Abstimmung zu Proto-
koll genommen worden, und zwar von den Kollegen und

(Köln Bettin2)

Axel Berg und Konrad Gilges5).

Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts
angelangt.

Ich möchte mitteilen, dass es heute keine namentlichen
Abstimmungen gibt.

Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Vereinbarte Debatte zur Steuerpolitik

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und bitte diejenigen, die an
der Debatte nicht teilnehmen wollen, den Plenarsaal mög-
lichst geräuschlos zu verlassen.

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wilhelm Schmidt.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1414102600
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Man hat immer das Gefühl, dass der
Vermittlungsausschuss ein eher trockenes Gremium ist,
ein Gremium, das hinter den Kulissen versucht, die eine
oder andere Position zusammenzubringen, damit Ergeb-
nisse erzielt werden können, die sowohl dem Verfas-
sungsorgan Bundestag als auch dem Verfassungsorgan
Bundesrat am Ende die Zustimmung ermöglichen. Die
gestrige Vermittlungsausschusssitzung hat nicht nur sehr
lange gedauert, sondern ist auch genau diesem Anspruch
gerecht geworden. Man hat sich über die unterschiedli-
chen Positionen ausgetauscht und hat sich sehr stark da-
rum bemüht, einen Kompromiss zu finden. Dass das an-
gesichts der vorliegenden Vermittlungsaufträge nicht
ganz leicht sein würde, war klar. Wir haben deswegen
– ohne die Zeit für die Vorbesprechungen einzurechnen –
siebeneinhalb Stunden gebraucht und sind zu Ergebnissen
gekommen, die heute, so hoffe ich, die Zustimmung des
Hauses, aber auch am 21. Dezember dieses Jahres die Zu-
stimmung des Bundesrates finden werden.

Sie sehen mich als Vertreter der Koalition, insbeson-
dere der SPD, sehr zufrieden, weil wir bei den Entschei-
dungen, die der Vermittlungsausschuss gestern getroffen
hat, weitestgehend unsere Positionen durchgesetzt haben,
ohne dabei, wie ich finde, die andere Seite übermäßig ver-
letzt bzw. die anderen Positionen nicht ausreichend
berücksichtigt zu haben. Ich hoffe deswegen auch darauf,
dass die Opposition dieses Hauses, aber auch die B-Län-
der im Bundesrat die erzielten Ergebnisse entsprechend
würdigen und entsprechend abstimmen werden.

Wir haben zwei der vier Vermittlungsaufträge zunächst
nicht behandelt. Das Verkehrswegeänderungsgesetz wur-
de nicht behandelt, weil es hier noch Abstimmungsbedarf
gibt, und zwar sowohl aufseiten der Bundesregierung als
auch aufseiten der Bundesländer. Das haben wir entspre-
chend gewürdigt und haben deswegen das Gesetzespaket
von der Tagesordnung abgesetzt.

Wir haben auch das Bundeswahlgesetz nicht behan-
delt, obwohl die Dinge dadurch – das gebe ich zu – ein
wenig schwieriger werden; denn die Vorbereitungen für
die nächste Bundestagswahl müssen im administrativen
Bereich nun wirklich langsam in Gang kommen. Aber da
wir auch noch die Wahlkreisreform vor uns haben, schien
es uns gerechtfertigt zu sein, dass wir dem Wunsch der
Bundesländer nachkommen, keine Entscheidung am ges-
trigen Abend herbeizuführen. Das ist insbesondere auch
deswegen wichtig, weil die Frage der Entschädigung für
die Wahlorganisationskosten eine besondere Rolle für die
Gemeinden und Städte spielt. Hier gibt es noch Verhand-
lungsbedarf. Dem wollten wir Rechnung tragen.

Ich komme nun auf den Punkt zu sprechen, den wir ab-
schließend behandelt haben, nämlich die Gefangenenent-
lohnung. Sie wissen, dass es dazu ein Verfassungsge-
richtsurteil gibt, das uns zwingt, jetzt zügig zu handeln. Das
haben wir auch getan: Der Deutsche Bundestag hat vor ei-
niger Zeit mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen die
Änderung des betreffenden Gesetzes beschlossen, die die
Anhebung der Gefangenenentlohnung zum Ziel hatte. Dies
ist nicht auf Zustimmung der Länder gestoßen. Wir wollen
das im Grundsatz durchaus respektieren, weil die Länder

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 14
2) Anlage 15
3) Anlage 16
4) Anlage 17
5) Anlage 18

diejenigen sind, die das ganz allein zahlen müssen. Von da-
her ist das Interesse auf der Länderseite naturgemäß größer.

Aber es besteht auch ein prinzipielles Interesse daran,
dass die Gefangenenentlohnung, die bisher 5 Prozent vom
Ecklohn betragen hat, also bei voller Beschäftigung etwa
220 DM im Monat ausmachte, nicht mehr auf diesem
niedrigen Niveau verharrt. Insofern haben wir das Verfas-
sungsgerichtsurteil begrüßt. Wir haben begonnen, die not-
wendigen Veränderungen herbeizuführen.

In den Verhandlungen von gestern Abend ist aber nicht
mehr herausgekommen, als den Ecklohn auf 9 Prozent an-
zuheben. Das ist eine Anhebung um immerhin fast das
Doppelte. Es ist wichtig, das als Ausgangspunkt zu be-
werten; jedenfalls sehen wir es so. Der Bundestagsbe-
schluss von 15 Prozent ist damit nicht im Entferntesten er-
reicht worden; aber unter diesen Umständen war nicht
mehr möglich. Ich sage noch einmal: Wir betrachten das
als Ausgangspunkt.

Der zweite Beschluss in diesem Paket besteht darin,
die Entlassungsmöglichkeit vorzuziehen oder Arbeitsur-
laub, festgesetzt auf sechs Tage, zu gewähren. Auch das
ist ein Faktum, das, auch wenn es keine direkten finanzi-
ellen Auswirkungen hat, den arbeitenden Gefangenen
entgegenkommt.

Schließlich haben wir den Ausgleichsfaktor für die
Zahlungen, die mit diesem Arbeitsbefreiungstatbestand
zusammenhängen, auf 15 Prozent festgesetzt.

Ich glaube, dass dies insgesamt zwar nicht unbedingt
das Gelbe vom Ei ist, aber ein Ergebnis, das wir tragen
können und tragen wollen. Deswegen empfehlen wir Ih-
nen hier die Zustimmung. Im weitesten Sinne hat es diese
Zustimmung gestern im Vermittlungsausschuss gegeben:
Es gab immerhin 23 Stimmen für dieses Paket.

Ich will noch einen kurzen Hinweis auf die Diskussion
über die Entfernungspauschale geben. Wir fühlen uns in
der Koalition darin bestärkt, mit der Entfernungspau-
schale, die gestern als unechter Beschluss zustande ge-
kommen ist, unsere Politiklinie aufrechterhalten zu ha-
ben.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Welche Linie? Die Leute abkassieren!)


Diese Linie lässt sich mit folgenden Worten skizzieren:
Wir wollen ökologisch vorgehen und der Bevölkerung
klarmachen, dass sie dadurch, dass wir den ÖPNV dem
PKW-Verkehr, was die steuerliche Entlastung angeht,
gleichstellen, eine neue Chance hat, die sie nutzen sollte.

Ich bin sehr zufrieden. Ich empfehle Ihnen, beide Er-
gebnisse des Vermittlungsausschusses anzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102700
Ich erteile dem Kolle-
gen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414102800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt,
um es von vornherein klarzustellen: Das Ergebnis der Ver-
handlungen zur Entfernungspauschale, das gestern Abend

im Vermittlungsausschuss erzielt worden ist – Sie haben
es gewollt –, werden wir im Bundestag eindeutig ableh-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Das war nicht immer so klar gestern Abend!)


Die ganze Diskussion über eine Entfernungspauschale
und einen Heizkostenzuschuss ist letztlich nur ein plum-
pes Ablenkungsmanöver von der völlig verfehlten Öko-
steuer.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Dr. Peter Struck [SPD]: Sie sind gegen die Pendler! Sie wollen den Pendlern nicht helfen!)


Wir haben von Anfang an gesagt – die Menschen haben
das spätestens im letzten Jahr gemerkt –, dass mit dieser
Steuer allen Bürgern das Geld aus der Tasche gezogen
wird. Mit der Entfernungspauschale geben Sie davon ei-
nem Bruchteil der Bevölkerung etwas zurück.

Als die Verärgerung über die Ökosteuer für die Regie-
rung gefährlich wurde, hat Schröder reagiert. Aber die
nächstliegende Konsequenz, die Abschaffung der Öko-
steuer oder zumindest der Verzicht auf die nächste Er-
höhung ab dem 1. Januar, konnte und wollte der Kanzler
– offenbar aus politisch-taktischen Gründen – nicht zie-
hen. Dem stand die Rücksichtnahme auf die Grünen ent-
gegen, denen er nicht die letzte Trophäe ihrer Regierungs-
verantwortung nehmen wollte. Dem stand auch die
gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung entgegen,
dass die Ökosteuer zur Senkung der Rentenbeiträge ver-
wendet werde. Also musste der Kanzler ein anderes Ka-
ninchen aus dem Zylinder ziehen. Das waren dann die
Entfernungspauschale und der Heizkostenzuschuss. Sie
sollen den Volkszorn beschwichtigen, ohne die Grünen zu
demütigen und ohne dass die Regierung eingestehen
muss, dass die Ökosteuer im Kern gescheitert ist.

Aber wie das „Handelsblatt“ treffend schrieb: Wer es
allen recht machen will, macht alles falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Genau das ist bei der Entfernungspauschale der Fall. Sie
ist der Ausdruck einer Politik, die sich nicht an sachlichen
Notwendigkeiten orientiert,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Haben Sie etwas dagegen, dass die Leute mehr Geld von der Steuer absetzen können? Haben Sie was gegen Pendler? Gibt es keine Pendler in CDU-regierten Ländern?)


sondern den einzigen Zweck der Machtausübung im
Machterhalt sieht.

Das Gesetzgebungsverfahren zur Entfernungspau-
schale ist ein Modellfall dafür, wie der Bundeskanzler
reagiert. Erst geht er großspurig mit dem Versprechen an
die Öffentlichkeit: 80 Pfennig Entfernungspauschale für
alle, unabhängig von den Verkehrsmitteln. – Dann be-
kommt er Druck von den Ländern, weil die nicht mit fi-
nanzieren wollen, und so werden aus den 80 Pfennig für
die Bahn-, Bus- und Radfahrer 60 Pfennig und oben wird
noch ein Deckel eingezogen. Dann laufen die Grünen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sturm und von den groß angekündigten 80 Pfennig blei-
ben noch 70 Pfennig für alle. Erst ab 11 Kilometer blei-
ben die ursprünglich von Schröder versprochenen
80 Pfennig, unabhängig vom Verkehrsmittel. Der einge-
zogene Deckel bewirkt, dass das Ganze schön bürokra-
tisch die Probleme erschwert und die Finanzämter noch
mehr Arbeit haben.


(Joachim Poß [SPD]: Sie wollten doch einen niedrigeren Deckel! Sagen Sie das doch den Leuten!)


Meine Damen und Herren, dieses Gesetz erfreut nicht
einmal mehr die Steuerberater, denn sie haben schon mit
der Steuerreform genug zusätzliche Arbeit bekommen.
Das ist ein Regierungsstil nach dem Motto: Mal sehen,
was dabei herauskommt, Hauptsache, es ist falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414102900
Kollege Rauen, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwalbe?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414103000
Ja, bitte.


Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1414103100
Herr Kollege
Rauen, Sie haben gerade davon gesprochen, dass ein obe-
rer Deckel eingezogen wird. Können Sie vielleicht einmal
erklären, wie eine Verkäuferin entlastet wird, die in Mer-
seburg oder in Weißenfels im Saalepark – um ein Beispiel
aus meinem Wahlkreis zu nehmen – mit einem Gering-
verdienervertrag, einem 630-Mark-Vertrag, arbeitet und
jeden Tag 15 bis 20 Kilometer zur Arbeit fahren muss?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414103200
Das ist eine sehr interes-
sante Frage.


(Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Übrigens, Herr Schwalbe, für Sie ändert sich nichts, damit das klar ist!)


– Ich will das in aller Ruhe beantworten, denn das ist eine
sehr solide Frage. Genau die, die am meisten leiden, näm-
lich die Autofahrer, die ihr Auto dringend brauchen, um
überhaupt zur Arbeit zu kommen, werden überhaupt nicht
entlastet. Bei dieser Verkäuferin ist der Fall gegeben – da
sie den Grundfreibetrag ohnehin nicht erreicht –, dass
8 Kilometer wirksam werden. Davon hat sie einen Gro-
schen mehr – 80 Pfennig täglich – und sie fährt zwanzig-
mal im Monat hin und her. Das heißt, 20 mal 80 Pfennig
kann sie steuerlich geltend machen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei 630 Mark fährt sie jeden Tag? Baut doch hier keinen Popanz auf!)


– Ich weiß ja, Sie wollen das Beispiel nicht hören. Ich
habe es ja gestern auch gemerkt. Sie wissen genau, dass
es wahr ist. Sie wollen nicht hören,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Beispiel ist unsinnig!)


dass die deutsche Öffentlichkeit erfährt, wie gering die
Entlastung für diejenigen ist, die wirklich belastet wer-
den.

Ich bleibe bei der Antwort: Sie kann also 80 Pfennig
pro Tag steuerlich absetzen. Das sind bei 20 Fahrten im
Monat 16 DM. Ich unterstelle einmal, sie hat eine Steuer-
progression von 35 Prozent, dann sind das 5,60 DM.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie muss aber im Monat 20 mal 40 Kilometer fahren, das
sind 800 Kilometer.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist so lächerlich!)


Wenn sie 10 Liter pro 100 Kilometer braucht, sind das
80 Liter im Monat. Das macht genau 5,60 DM im Monat,
die sie aufgrund der 7 Pfennig Erhöhung durch die nächste
Stufe der Ökosteuerreform mehr zahlen muss. Das heißt,
es ist ein völliges Nullsummenspiel. Sie hat keine Entlas-
tung, sie bekommt lediglich das zurück, was sie aufgrund
der Erhöhung im nächsten Jahr mehr zahlen muss.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414103300
Kollege Rauen, der
Kollege Schwalbe will noch einmal nachfragen, und dann
möchte Ihnen die Kollegin Hendricks noch eine Zwi-
schenfrage stellen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414103400
Ja, bitte schön.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1414103500
Erst Kollege
Schwalbe, weil er noch nachfragen möchte.


Clemens Schwalbe (CDU):
Rede ID: ID1414103600
Herr Kollege
Rauen, ich wollte eigentlich nicht hören, was sie eventu-
ell absetzen könnte. Vielmehr geht es mir darum: Wenn
eine Arbeitskraft nur einen 630-Mark-Job hat, zahlt sie
meines Wissens überhaupt keine Steuern. Wie soll sie
steuerlich etwas geltend machen, wenn sie überhaupt
keine Steuern zahlt?


(Zuruf von der SPD: Es ist doch schön, dass sie keine Steuern zahlen muss!)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414103700
Bei einem 630-Mark-Job
kann sie in der Tat nichts absetzen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Sie hat aber die Chance, dass ihr Arbeitgeber ihr die
80 Pfennig pro Kilometer Entfernung steuerfrei zahlt,
wenn er eine pauschale Lohnsteuer von 15 Prozent dazu-
bezahlt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414103800
Herr Kollege,
gestatten Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin
Hendricks?


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414103900
Ja.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Peter Rauen

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1414104000
Herr Kollege Rauen,
der Kollege Schwalbe ist mir mit seiner Zusatzfrage in ge-
wisser Weise zuvorgekommen. Ich wollte Sie nämlich
fragen, ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass jemand, der
ohnehin steuerfrei ist, auch nicht steuerlich entlastet wer-
den kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und sind Sie auch bereit, mir zu bestätigen, dass jemand,
der einen Geringverdienerarbeitsvertrag mit 630 DM im
Monat hat, jedenfalls ziemlich ausgebeutet sein muss,
wenn er dafür zwanzigmal zur Arbeit fahren muss, also je-
den Arbeitstag im Monat?

Sind Sie schließlich auch bereit, mir zu bestätigen, dass
dann, wenn jemand schon auf diese Weise so ausgebeutet
wird, der Arbeitgeber eben diesem Arbeitnehmer höchst-
wahrscheinlich auch keine pauschal versteuerte Fahrkarte
zur Verfügung stellen wird – leider Gottes?

Den Menschen geht es nicht wegen der steuerlichen
Bedingungen schlecht, sondern wegen der Arbeitsmarkt-
bedingungen, die in manchen Gegenden dieses Landes
leider herrschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414104100
Frau Hendricks, das ist ja
eine wunderschöne klassenkämpferische Frage, die Sie da
stellen. Aber vielleicht können Sie sich vorstellen, dass
diese Verkäuferin, von der gesprochen wurde, froh ist, die
630-Mark-Arbeitsstelle überhaupt zu haben, und deshalb
auch gerne zu der Arbeitsstelle fährt.

Sie wollen ja nur von der Tatsache ablenken, dass mit
dem, was Sie zur Entfernungspauschale vorschlagen, mit
dieser Erhöhung um 10 Pfennig für die Menschen auf dem
flachen Land, die keine Alternative zu ihrem Auto haben,
um zur Arbeit zu kommen, in der Tat gerade nur die Mehr-
kosten abgedeckt werden, die durch die Ökosteuerer-
höhung ab nächstem Januar auf sie zukommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat sogar der CDUSpitze wehgetan!)


Meine Damen und Herren, wir haben ja mitbekommen,
wie sich die Ergebnisse durch die Diskussionen in der Ko-
alition täglich geändert haben. Dass dieses Verfahren Me-
thode hat, zeigt ein anderes Beispiel aus den letzten Ta-
gen; ich meine die Auseinandersetzung um die Neu-
fassung der AfA-Tabellen. Die Bundesregierung hat im-
mer wieder beteuert, dass die Verlängerung der Abschrei-
bungsfristen für die Wirtschaft zu Mehrbelastungen von
nicht mehr als 3,4 Milliarden DM führen soll. Das stand
nicht nur im Finanztableau des Steuersenkungsgesetzes,
das hat nicht nur der Bundesfinanzminister gesagt, son-
dern das hat auch Bundeskanzler Schröder in den jüngsten
Tagen der Wirtschaft mehrmals sehr deutlich verspro-
chen.

Weil auch der zweite Entwurf des Bundesfinanzminis-
teriums weit über das gesetzte Ziel hinausschießt, be-

schließen die Finanzminister des Bundesfinanzministeri-
ums und der Länder eine öffentliche Anhörung. In dieser
Anhörung am 30. November 2000 führt sich der Steuer-
abteilungsleiter des Bundes dann so arrogant oder provo-
zierend auf, dass die Veranstaltung in einem allgemeinen
Tumult endet und sich die Vertreter der Wirtschaft fragen,
warum sie überhaupt dort hingekommen sind. Obwohl
danach selbst Frau Scheel von den Grünen anmahnt, die
Sorgen und Einwände der Wirtschaft ernst zu nehmen,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was heißt „selbst Frau Scheel“?)


obwohl die Finanzminister der von der Union regierten
Länder ebenso wie der Wirtschaftsausschuss des Bundes-
rates mit guten Gründen eine förmliche Beteiligung des
Bundesrates fordern und der Einführung der neuen Tabel-
len ausdrücklich widersprechen – so wie gestern im Bun-
desrat geschehen –, will das Bundesfinanzministerium
diese Tabellen jetzt einfach durchsetzen und ab 1. Januar
in Kraft treten lassen. Das ist wiederum ein schwerer An-
schlag gegen die Wirtschaft, der insbesondere zur Be-
nachteiligung des Mittelstandes führt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen hat Frau Scheel ja auch den Mittelstandspreis bekommen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414104200
War die Anhörung
vom 30. November 2000 nur eine Alibiveranstaltung?
Waren Ihre Zusagen an die Wirtschaft nur leere Verspre-
chungen oder entscheidet jetzt gar der Steuerabteilungs-
leiter des Bundesfinanzministeriums, wo es mit den Steu-
ertabellen langgeht?

Wenn die Ökosteuer gegen alle Vernunft dennoch
nicht abgeschafft wird, sind auch wir der Meinung, dass
die Pendler entlastet werden müssen. Aber wir wollen vor
allen Dingen diejenigen entlasten, die keine Alternative
zum Auto haben, um zur Arbeit zu kommen. Bei denen
reicht, um es zu wiederholen, die Entlastung gerade aus,
um die Erhöhung der Ökosteuer in der nächsten Stufe zu
finanzieren. Die einzige Möglichkeit, die Folgen des mas-
siven Energiepreisanstiegs abzufedern, ist der Verzicht
auf die Ökosteuer. Das sagen nicht nur wir, das hat auch
die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses zu unse-
ren Gesetzentwürfen ergeben.


(Joachim Poß [SPD]: Wer hat das in der Anhörung gesagt?)


Der Verzicht auf die Ökosteuer ist aber nicht nur ein
Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Er wird sich wahr-
scheinlich auch aus Rechtsgründen gar nicht vermeiden
lassen. Wir alle haben gehört, dass der Bundesfinanzhof
in einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfas-
sungsgericht wesentliche Teile des Ökosteuergesetzes als
verfassungswidrig bezeichnet hat. Die Kritik des Bundes-
finanzhofes gilt den Vergünstigungen, die für energiein-
tensive Betriebe des produzierenden Gewerbes vorgese-
hen sind. Diese sollen Nachteile für Unternehmen, die im
internationalen Wettbewerb stehen, vermeiden. Das führt
zu solchen Blüten, dass zum Beispiel die Brotfabrik bei

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013810


(C)



(D)



(A)



(B)


der Ökosteuer entlastet wird, der Bäckermeister aber die
volle Ökosteuer bezahlen muss.

Natürlich stehen nicht nur die Betriebe des produzie-
renden Gewerbes im internationalen Wettbewerb. Auch
dienstleistende Unternehmen müssen sich gegenüber aus-
ländischen Konkurrenten behaupten. Die Logik, die den
Ermäßigungen für das produzierende Gewerbe zugrunde
liegt, würde doch fordern, auch die deutschen Transport-
unternehmen von der Ökosteuer auszunehmen. Oder
braucht man diese nur deshalb nicht zu berücksichtigen,
weil es sich bei ihnen zum großen Teil um kleine oder
kleinste Betriebe handelt?

Auch Ihre Behauptung, dass die Bürger das, was Sie
ihnen durch die Ökosteuer abnehmen, über niedri-
gere Rentenversicherungsbeiträge zurückbekämen, wird
durch die gebetsmühlenhafte Wiederholung nicht richti-
ger. Bei der Einführung der Ökosteuer Anfang 1999 ha-
ben Sie sich noch bemüht, den Schein zu wahren. Die
Senkung der Rentenversicherungsbeiträge entsprach da-
mals genau dem Betrag, den Sie mit der ersten Stufe der
Steuerreform eingenommen haben. Dieses Junktim war
im Gesetz damals, Anfang 1999, auch exakt formuliert. In
der Begründung des Gesetzes zur Fortführung der ökolo-
gischen Steuerreform Ende 1999 war von einer solchen
Entsprechung schon nicht mehr die Rede. Da heißt es nur
noch unverbindlich: Das Aufkommen ermöglicht, die
Beiträge zur Rentenversicherung in den weiteren Stufen
zu senken.

Tatsache ist: Mit der Ökosteuer werden Sie bis zum
Jahr 2003, wenn alle fünf Stufen gegriffen haben, ein-
schließlich Mehrwertsteuer 37 Milliarden DM einneh-
men. Im Rentenbericht der Regierung steht, dass der Bei-
trag von 1998 bis 2003 um ganze 1,2 Prozent fallen wird.
Das sind aber bei 16 Milliarden DM pro Prozentpunkt
Rentenversicherungsbeitrag ganze 19 Milliarden DM.
Wo bleiben die restlichen circa 19 Milliarden DM, die Sie
in Form von Beitragssenkungen den Bürgern wieder
zurückgeben wollen? So haben Sie es versprochen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Herr Bundeskanzler, ziehen Sie den Schlussstrich un-

ter diese verfehlte Politik!

(Joachim Poß [SPD]: Der Bundeskanzler ist doch gar nicht da! Der ist doch in Nizza!)


Verzichten Sie auf die Flickschusterei mit der Entfer-
nungspauschale und dem Heizkostenzuschuss. Sie errei-
chen damit 2 Millionen Haushalte. Wir haben 39 Milli-
onen Haushalte in Deutschland, die durch die Erhöhung
der Energiekosten genauso belastet sind und die durch die
Mehrkosten oft an die Grenze kommen, bis zu der sie sich
noch selbst helfen können. An all diese Haushalte wird
nicht gedacht. Es wird ein kleiner Teil ausgenommen; der
Rest hat letztlich nur die Kosten zu tragen.


(Beifall des Abg. Erich G. Fritz [CDU/CSU])

Machen Sie Nägel mit Köpfen! Schaffen Sie die Öko-
steuer ab! Alles andere ist weiße Salbe und Flickschuste-
rei.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414104300
Das Wort hat
jetzt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grü-
nen, Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsaus-
schuss hat gestern unter anderem die Erhöhung der Ent-
fernungspauschale beschlossen. Ich kann für meine
Fraktion sagen: Wir finden dieses Ergebnis sehr gut; denn
damit wird nach jahrelangen Diskussionen endlich mit
der einseitigen steuerlichen Bevorzugung des Autos, auch
durch die Kilometerpauschale, Schluss gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese einheitliche Entfernungspauschale stellt erstmals
Fußgänger, Radfahrer und eben auch die Nutzer von Bus
und Bahn den Autopendlern gleich. Das ist ein großer Er-
folg der Koalition und ein riesiger Fortschritt im Vergleich
zur bisherigen Situation.

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, eigent-
lich würden Sie ja gerne zustimmen. Deshalb haben Sie
hier einen solch quälenden Redebeitrag abgeliefert. Auch
Sie haben nämlich dies alles in Ihrem Programm stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wird noch zustimmen!)


Ich will die Gründe nennen, warum es vernünftig ist,
eine einheitliche Entfernungspauschale einzuführen: Ers-
tens ist es gerecht. Denn es wird endlich kein Verkehrs-
mittel mehr einseitig steuerlich privilegiert. Wir schaffen
damit endlich die jahrzehntelange Autovorrangpolitik, die
wir im Steuerrecht hatten, ab und stellen Wettbewerbsge-
rechtigkeit für Busse und Bahnen her.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Die Entfernungspauschale, die wir jetzt be-
schlossen haben, ist unbürokratisch und transparent. Bis
zum zehnten Kilometer sind 70 Pfennig und ab dem
elften Kilometer sind 80 Pfennig anzusetzen. Damit ma-
chen wir endlich Schluss mit der bisherigen Verführung
zur Steuerhinterziehung.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Seien wir doch einmal ehrlich: Bisher war es so – das ha-
ben auch Sie von der Opposition in den Debatten bemän-
gelt –, dass diejenigen, die mit dem öffentlichen Nahver-
kehr gefahren sind, in der Regel dennoch steuerlich den
PKW abgerechnet haben. Damit machen wir jetzt
Schluss; denn wir sehen eine einheitliche Behandlung
aller Verkehrsmittel vor. Das ist ein großer Erfolg. Es gibt
keine Bevorzugung mehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


An dieser unbürokratischen Regelung ändert auch die
von uns vorgesehene Nachweisgrenze von 10 000 DM
nichts. Das bedeutet nämlich, dass 97 Prozent aller

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Peter Rauen

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(C)



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(B)


Pendler ihre Kosten pauschal angeben können und dass
nur 3 Prozent ihre Fahrten individuell nachweisen müs-
sen. Denn 97 Prozent der Pendler fahren weniger als
58 Kilometer. Das heißt, mit dieser Nachweisgrenze ver-
hindern wir Missbrauch. Dies ist auch vernünftig. Wir ha-
ben also auch an diesem Punkt im Vermittlungsausschuss
eine gute Regelung gefunden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Die Entfernungspauschale ist ökologisch.
Weil mit ihr endlich alle Verkehrsmittel gleich behandelt
werden, schafft sie nicht nur den Anreiz, genau abzurech-
nen, wie man fährt, sondern auch den Anreiz, auf öffent-
liche Verkehrsmittel umzusteigen. Damit ist sie ein wich-
tiger Beitrag zum Klimaschutz.

Außerdem kommen zwei Drittel dieser zusätzlich von
uns beschlossenen Förderung in Höhe von 1 Milli-
arde DM – so hoch ist nur noch das Finanzrisiko von Bund
und Ländern – den Nutzern des öffentlichen Nah- und
Fernverkehrs zugute und ein Drittel den PKW-Pendlern.
Das heißt, gerade für die Nutzer des öffentlichen Nah- und
Fernverkehrs ist diese Vereinbarung ein echter Fortschritt.
Ich will deshalb gerade mit Blick auf den Bundesrat, zum
Beispiel auf Hamburg und Berlin, deutlich sagen: Wir un-
terstützen mit diesem Vorschlag nicht nur die Pendler in
der Fläche, sondern gerade auch die Menschen, die tag-
täglich millionenfach den öffentlichen Nahverkehr in den
Metropolen nutzen.


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich kann deshalb an die Länder Berlin und Hamburg nur
appellieren, diesem Vorschlag zuzustimmen. Denn dies
ist eine echte Entlastung für die Menschen in den Städten
und nicht nur für die Menschen auf dem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Ganze zeigt, dass die Entfernungspauschale alles
andere als ein Widerspruch zum Konzept der Ökosteuer
ist. Im Gegenteil: Sie ist eine absolut sinnvolle Ergän-
zung.

Die Vorteile der Entfernungspauschale im Vergleich
zur bisherigen Kilometerpauschale liegen auf der Hand.
Deshalb haben Sie, meine Damen und Herren von der Op-
position, und zwar sowohl Sie von der F.D.P. als auch Sie
von der CDU/CSU, inzwischen längst das Konzept einer
verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale der
Grünen und der SPD übernommen. In den Petersberger
Beschlüssen von 1998 forderten Sie von der Union zum
Beispiel eine Pauschale von 40 Pfennig.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Vor einem ganz anderen Hintergrund!)


Ich habe mir heute das aktuelle steuerpolitische Konzept
der CDU, das im Internet zu finden ist, genauer angese-
hen. Noch kann man es im Internet nachlesen; vielleicht
kommt Frau Merkel jetzt auf die Idee, es zu löschen. Die-
ses Konzept ist überschrieben mit: „Die bessere Alterna-

tive“. Was ist nun gerade in diesem Punkt Ihre „bessere
Alternative“? Die sollte man einmal vortragen; denn ich
finde, die Menschen sollten sie kennen. Sie fordern in die-
sem Konzept – Herr Rauen, hören Sie einmal zu – „eine
Pauschale von 50 Pfennig“,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wir haben auch nicht die Ökosteuer eingeführt!)


und zwar erst dann – das ist wichtig –, wenn „die Ar-
beitsstätte weiter als 15 Kilometer von der Wohnung ent-
fernt ist.“


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! Oh! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist denn mit der Arbeitnehmerin aus Weißenfels?)


Außerdem wollen Sie einen „auf 1 500 DM verminderten
Arbeitnehmerpauschbetrag“ einführen.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

– Ich habe also richtig verstanden.

Erstens wollen Sie für alle, die einen Arbeitsweg von
weniger als 15 Kilometern haben, die Pauschale komplett
streichen,


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

während wir bis zum zehnten Kilometer eine Pauschale
von 70 Pfennig vorsehen. Diese Tatsache sollten alle Bür-
ger kennen. Immerhin ist davon die Hälfte aller Pendler
betroffen, weil sie einen Arbeitsweg unter 15 Kilometern
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens wollen Sie für alle anderen Pendler eine Ki-
lometerpauschale einführen, die 30 Pfennig unter unserer
Pauschale liegt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ohne das Abkassiermodell Ökosteuer! – Gegenruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Außerdem wollen sie für alle Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer so ganz nebenbei noch die Werbungskosten-
pauschale um 500 DM kürzen. Das soll Ihre so genannte
bessere Alternative sein? Mit Ihren Vorschlägen hätten
Sie alle Pendler um ein Vielfaches zusätzlich belastet. Ich
kann nur sagen: Unser Vorschlag ist besser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Maßnahme ist eine gute Ergänzung zum Kon-
zept der ökologischen Steuerreform. Diesen Punkt will
ich noch näher ausführen. Vor zwei Jahren, im Wahlkampf
1998, hat die gesamte Republik – also nicht nur wir und
die SPD – die Senkung der Lohnnebenkosten gefordert.
Wir haben das umgesetzt. Das Aufkommen aus der öko-
logischen Steuerreform wird in vollem Umfang für die
Senkung des Rentenversicherungsbeitrages genutzt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Kerstin Müller (Köln)

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(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht! Wo bleiben denn die 18 Milliarden?)


Damit konnten wir die versicherungsfremden Leistungen
aus der gesetzlichen Rentenversicherung sozusagen aus-
lagern. Das haben nicht nur wir, sondern auch Sie gefor-
dert.

Wir entlasten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer sowie die Unternehmen im kommenden Jahr um ins-
gesamt 22 Milliarden DM. Sie sollten angesichts dieser
Entlastung aufhören, falsche Behauptungen aufzustellen.
Die Forderung nach Aussetzung der Ökosteuer macht
überhaupt keinen Sinn. Wer das fordert, muss auch gleich-
zeitig zugeben – da sollte er ehrlich sein –, dass er damit
eigentlich auch die Erhöhung des Rentenbeitrags fordert.
Der Beitrag würde nämlich steigen, wenn das Aufkom-
men aus der Ökosteuer nicht mehr in die Rentenversiche-
rung fließen würde.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben, weil mich Ihre Vor-
würfe wirklich nerven.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich kann verstehen, dass Sie das nervt!)


Ein Ehepaar mit einem durchschnittlichen Einkommen
von 5 000 DM im Monat fährt mit einem Achtliterauto
15 000 Kilometer im Jahr. Was würde diese Familie spa-
ren, wenn wir die Ökosteuer aussetzen? Wenn wir die Ent-
lastung einbeziehen, die die Senkung des Rentenversi-
cherungsbeitrages mit sich bringt, dann kommt man auf
einen Betrag von sage und schreibe 20 Pfennig, die diese
Familie im Monat spart.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das ist doch eine Milchmädchenrechnung! Was ist mit den Geringverdienern?)


Da wir uns in einer steuerpolitischen Debatte befinden,
muss ich noch Folgendes hinzufügen: Die gleiche Fami-
lie entlasten wir mit unserer Steuerreform im nächsten
Jahr um 163 DM im Monat. Was soll also die Debatte um
20 Pfennig im Monat, wenn wir mit unserer Steuerreform
eine Entlastung um 163 DM für diese Familie schaffen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist Steuerpolitik à la Rot-Grün: Wir entlasten die Fa-
milien.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Was ist mit den Rentnern und den Geringverdienern?)


Wir steuern außerdem ökologisch um.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Das war absolut überfällig, nachdem Sie 16 Jahre lang
nichts für den Klimaschutz und fast gar nichts für die Fa-
milien getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme jetzt zu der Frage der Finanzierung. Wir
haben das Finanzvolumen auf 1 Milliarde DM reduziert.
Nach meiner Meinung kann es keinen Hinderungsgrund
für die Länder mehr geben, diesem Vermittlungsergebnis
zuzustimmen. Ich möchte in diesem Zusammenhang da-
ran erinnern, dass es gerade die Ministerpräsidenten der
Länder waren – auch die Ministerpräsidenten der von Ih-
nen regierten Länder –,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: RotGrün kassiert und die Länder sollen bezahlen! Was ist daran seriös?)


die nach einem sozialen Ausgleich für die gestiegenen
Energiekosten – nicht aufgrund der Ökosteuer, sondern
aufgrund der höheren Energiepreise – gerufen haben. Ich
meine: Wer die Musik bestellt, der sollte sich wenigstens
an der Finanzierung beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: Sie sollten für eine bessere Musik sorgen!)


Ich möchte für den Bund deutlich sagen: Man kann nun
wirklich nicht behaupten – das haben die Länder gestern
eindeutig zugegeben –, der Bund sei den Ländern nicht
entgegengekommen. 75 Prozent der Kosten des gesamten
Entlastungspaketes trägt der Bund. Die restlichen 25 Pro-
zent sollen sich Länder und Gemeinden teilen. Ich meine,
dass wir ein sehr faires Angebot bezüglich der Finanzie-
rung vorgelegt haben. Ich kann von dieser Stelle aus nur
noch einmal an alle Länder appellieren, diesem ökolo-
gisch und sozial vernünftigen Ergebnis, dessen Lasten fi-
nanziell gerecht verteilt werden, im Bundesrat am 21. De-
zember zuzustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für meine Fraktion handelt es sich um ein in jeder Hin-
sicht gutes Ergebnis: die Gleichbehandlung aller Ver-
kehrsteilnehmer, die Unterstützung für Pendler, die nur ei-
nen kurzen Arbeitsweg haben, und die Entlastung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir werden dem
Ergebnis deshalb gerne zustimmen.

Ich möchte noch einmal an Sie appellieren. Auch Ihr
Programm beinhaltet eine Entfernungspauschale. Sie ist
sogar niedriger als die, die wir vorsehen. Ich hielte es für
ein gutes Zeichen, wenn wir diese Entlastung für die Bür-
gerinnen und Bürger gemeinsam beschließen würden.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Erst eine neue Steuer und dann eine Entlastung!)


Vielleicht können Sie heute – was Sie gestern Nacht
nach zweieinhalb Stunden nicht geschafft haben – Ihrem
Herzen folgen und über die Hürde springen und dem
Ergebnis des Vermittlungsausschusses zustimmen. Ich
– und ich glaube, auch die Menschen in unserem Land –
hielte das für vernünftig.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Kerstin Müller (Köln)


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414104400
Jetzt folgt eine
Kurzintervention des Kollegen Rauen.


Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1414104500
Frau Müller, Sie haben
mich eben auf die Entfernungspauschale angesprochen,
die im Steueränderungsgesetz von 1997 enthalten war.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Heute!)

Sie haben richtig gesagt, dass dies eine Fernpendlerpau-
schale in Höhe von 50 Pfennig pro Kilometer für alle, un-
abhängig vom Verkehrsmittel, war, die eine tägliche
Strecke von mindestens 15 Kilometern zum Arbeitsplatz
zurücklegen mussten. Dieser Betrag sollte unabhängig
von dem Arbeitnehmerpauschbetrag gezahlt werden, der
zurzeit immer noch verrechnet wird.


(Joachim Poß [SPD]: Den haben Sie doch nach Ihrem Konzept um 500 DM kürzen wollen!)


Erst muss jemand den Pauschbetrag erreichen, bevor er
die Entfernungspauschale überhaupt angerechnet wird.

Ist Ihnen bekannt, dass dieser damalige Vorschlag

(Joachim Poß [SPD]: Der ist doch bekannt, Herr Rauen! Sagen Sie doch den Menschen die Wahrheit!)


im Gesamtkontext mit einem Reformkonzept mit einem
Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einem Ausgangs-
steuersatz von 39 Prozent, einem flachen Tarif, stand,
nach dem die Arbeitnehmer bereits ab 1998 massiv ent-
lastet worden wären? Dieser Tarif kommt erst im Jahre
2005. Jetzt werden die Arbeitnehmer zunächst nicht ent-
lastet und haben zusätzlich diese Belastung.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natürlich werden sie entlastet! Ab dem 1. Januar werden sie massiv entlastet!)


Ist Ihnen bekannt, dass wir damals keine Probleme mit
dem Energiepreis hatten und dieses Gesetz damals erst
recht nicht mit einem solchen Irrsinn von Ökosteuergesetz
gekoppelt war, wie wir ihn zurzeit in Deutschland haben?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414104600
Frau Müller, Sie
können erwidern, müssen es aber nicht.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Da ich eher selten dazu Gelegenheit habe, möchte
ich etwas erwidern.

Ich spreche nicht von Ihrem Konzept von 1997, son-
dern von dem, das ich mir heute aus dem Internet gezogen
habe. Das ist Ihr aktuelles Konzept.


(Joachim Poß [SPD]: Januar 2000!)

In diesem aktuellen Konzept schlagen Sie die Regelun-

gen vor, die ich eben genannt habe, das heißt, eine
Pauschale, die erst bei einer Strecke von 15 Kilometern
greift und sich auf 50 Pfennig und eben nicht auf 70 oder
80 Pfennig beläuft. Ich finde, das sollten die Menschen
wissen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gefälschte Wiedergabe!)


– Das ist keine gefälschte Wiedergabe. – Wenn Sie etwas
anderes wollen, müssen Sie Ihr Konzept ändern. Entwe-
der Sie stehen zu Ihrem Steuerkonzept oder nicht. Ich
habe Ihr aktuelles Steuerkonzept vorgelesen, mehr nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie hat immer noch nicht kapiert, dass wir diesen Mist nicht wollen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414104700
Jetzt hat Herr
Kollege Hermann Otto Solms das Wort.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414104800
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die F.D.P. hat
seit vielen Jahren die Umwandlung der Kilometerpau-
schale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-
pauschale gefordert.


(Beifall bei der F.D.P.)

So war es auch im Koalitionsbeschluss zu den Petersber-
ger Beschlüssen vereinbart, allerdings im Rahmen eines
völlig anders gestalteten Gesamtkonzeptes. Deswegen ist
der Vergleich so nicht zulässig.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben noch vor wenigen Monaten dieses Konzept im
Bundestag zur Abstimmung gestellt. SPD und Grüne ha-
ben es mit ihrer Mehrheit abgelehnt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Richtig, wegen des anderen Gesamtkonzepts, Herr Solms!)


Noch im Juni hat Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks
im Rahmen der Beantwortung einer Frage gesagt: „Die
Bundesregierung ist gegen kurzfristige aktionistische
steuerliche Maßnahmen; vielmehr wird sie die Entwick-
lung der Benzinpreise sorgfältig beobachten.“


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Richtig, deswegen haben wir jetzt auch eine Entfernungspauschale!)


Interessant ist – mit den gestiegenen Energiepreisen be-
gründen Sie auch Ihren Gesetzentwurf –, dass Sie in dem
Moment, in dem die Energiepreise wieder drastisch sin-
ken und der Euro steigt, doch zu kurzfristig wirkenden
Maßnahmen bereit sind. Es scheint also mit der Begrün-
dung nicht weit her zu sein.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein, weil wir die Entfernungspauschale einführen!)


Es scheint doch darum zu gehen, die fehlerhafte
Entwicklung und insbesondere die schädlichen Aus-
wirkungen der Ökosteuer auf die Wählerschaft ausglei-
chen und tarnen zu wollen, weil Sie Angst vor der nächs-
ten Erhöhung und deren Folgen, insbesondere im
Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen, haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013814


(C)



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(A)



(B)



(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Unsinn!)


Wir sind für die Entfernungspauschale. Aber weil Sie
diese auch jetzt wieder falsch machen – dazu werde ich
gleich etwas sagen –, werden wir ihr nicht zustimmen.
Wir werden uns enthalten. Ich will auch erklären, warum.

Das Interessante ist, dass es einen heftigen – wie in der
Presse berichtet wurde – Streit zwischen Grünen und SPD
darüber gegeben hat, wie diese ausgestaltet werden soll.
Wie immer ist ein fauler Kompromiss herausgekommen.
Die SPD wollte – so interpretiere ich das – vorwiegend
eine Entlastung der Pendler erreichen. Nur, mit dieser
Entlastung von 80 Pfennig bei mehr als 10 Kilometern
Entfernung entlasten Sie die Pendler nicht ausreichend.
Die Entlastung eines durchschnittlichen Pendlers mit
20 Kilometern Entfernung und 9 Litern Benzinverbrauch
auf 100 Kilometern liegt bei etwa 55 DM, die Belastung
aber bei 277 DM.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach! Das machen Sie aber mal richtig klar! Das stimmt doch nicht!)


Das ist also nur eine teilweise Entlastung.
Was mir wichtiger ist: Ökologisch ist dies das völlig

falsche Instrument. Deswegen verstehe ich die Begrün-
dung von Frau Müller überhaupt nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wenn sich die Grünen für eine ökologische Steuerreform
eingesetzt hätten, hätten sie natürlich eine Erhöhung der
Pauschale verhindern müssen; denn die Erhöhung der
Pauschale führt dazu, dass die so genannte Lenkungs-
wirkung der Ökosteuer – die ja ohnehin nicht vorhanden
ist – noch einmal geschwächt wird.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Aus diesem Grunde war unser Konzept, das wir auf

dem Petersberg beschlossen haben, ökologisch stimmig.
Wir haben gesagt, wir müssen die ökologische Wirkung
erhöhen und deshalb die Entfernungspauschale etwas
niedriger ansetzen. Deswegen hatten wir 50 Pfennig
beschlossen. Es wird doch ökologisch erst ein Schuh da-
raus, wenn damit eine Lenkungswirkung erzielt wird,
wenn man versucht, die Leute dazu zu bewegen, von den
privaten Verkehrsmitteln etwas weniger Gebrauch zu
machen.

Deswegen ist diese Maßnahme in sich widersprüch-
lich, wie überhaupt die ganze ökologische Steuerreform
in sich widersprüchlich ist. Das ist auch mehrfach
bestätigt worden, jüngst vom Sachverständigenrat, der
gesagt hat, dass diese Unstimmigkeit Anlass geben sollte,
den bisher verfolgten Ansatz aufzugeben. Das ist die alte
Diskussion.

Bei der Ökosteuer haben Sie die Betriebe, die beson-
ders energieintensiv arbeiten, geschont, indem Sie sie
ausgenommen oder deren Belastung niedrig gehalten
haben. Sie haben das Aufkommen aus der Ökosteuer
genutzt, um die Rente zu finanzieren, damit eine Renten-
steuer verhindert und so dazu beigetragen, dass eine völ-

lige Verwirrung eingetreten ist und kein Mensch mehr
den Eindruck hat, dass etwas ökologisch Vernünftiges
geschieht.

Das ist in meinen Augen das große Dilemma bei dieser
Diskussion: dass hier das gute Argument, eine vernünftige
ökologische Politik zu machen – das wir alle unterstüt-
zen –, mit einer völlig verfehlten Maßnahme ad absurdum
geführt wird


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und dass die Menschen draußen im Lande den Eindruck
gewinnen, die ökologische Argumentation sei nur eine
vorgeschobene, eine Scheinargumentation zur Durchset-
zung ganz anderer Ziele.


(Walter Hirche [F.D.P.]: So ist es ja auch! Ein bisschen linke Tasche, rechte Tasche!)


Das haben Sie mit dieser Diskussion bewirkt und das ist
schädlich.

Es ist nun einmal so: Wenn man eine Sache falsch an-
fängt, schafft man es nie mehr, sie wieder stimmig zu
machen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das hat schon Johann Wolfgang von Goethe festgestellt,
indem er sagte: „Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt
mit dem Zuknöpfen nicht zurande.“


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


So ist es geschehen. Sie haben mit Ihrer Ökosteuer ein
falsches, nicht stimmiges Konzept auf den Tisch gelegt,


(Monika Ganseforth [SPD]: Das wird durch Wiederholung nicht richtiger!)


was daran liegt, dass es unterschiedliche Vorstellungen
zwischen der SPD und den Grünen gibt. Das Ergebnis ist
eine totale Verwirrung und Enttäuschung bei den Betrof-
fenen. Mit der fehlangelegten Maßnahme, die Sie jetzt
durchsetzen wollen, wird die Situation nicht bereinigt,
sondern noch schlimmer. Deswegen können Sie von uns
keine Zustimmung erwarten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414104900
Die heutige De-
batte zeigt, dass es im Deutschen Bundestag gute Litera-
turkenntnisse gibt.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Barbara Höll.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414105000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die PDS wird dem Vermittlungs-
ergebnis bezüglich der Änderung des Strafvollzugsgeset-
zes zustimmen. Obwohl wir die Lösung nicht für optimal
halten, finden wir, dass das zumindest ein Schritt in die
richtige Richtung ist.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Hermann Otto Solms

13815


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun zur Frage der Entfernungspauschale, der
verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale. Ich
denke, sowohl das unechte Vermittlungsergebnis als auch
das Gezerre auf dem Weg dahin zeigt noch einmal die
Verkorkstheit der rot-grünen Ökosteuer


(Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt gitter)

der Seite der F.D.P.!)

– Herr Schmidt, halten Sie sich noch etwas zurück und
warten Sie auf die Begründung –, einer Steuer, die weder
eine ausreichende ökologische Lenkungswirkung entfal-
tet noch sozial gerecht ist. Wir meinen, dass das Ver-
mittlungsergebnis, das jetzt erzielt wurde, zumindest ei-
nen gewissen sozialen Ausgleich schafft. Aber es zeigt im
Nachhinein auch das Eingeständnis, dass es notwendig
war, bei Ihrer Ökosteuer einen sozialen Ausgleich herzu-
stellen.
Wir alle in diesem Haus wissen sicherlich, dass die Ursa-
che für die gestiegenen Mineralölpreise nicht in erster Li-
nie bei der OPEC liegt und nicht in erster Linie auf die
Ökosteuer zurückzuführen ist. Vielmehr haben insbeson-
dere die Mineralölkonzerne einen riesigen Reibach ge-
macht.


(Beifall bei der PDS)

Trotzdem sind wir als Politikerinnen und Politiker für den
Teil der Verteuerung, den wir geschaffen haben, verant-
wortlich. Das ist nun einmal die Ökosteuer.

Frau Müller hat versucht, zu beweisen, wie gut jetzt der
soziale Ausgleich sei. Sie haben als Beispiel eine berufs-
tätige Familie herausgegriffen – natürlich, weil nur dann
Einkommensteuer gezahlt wird, wenn jemand berufstätig
ist. Es ist und bleibt aber so, dass weder die Rentnerin und
der Rentner noch die Studentin und der Student, noch die
von der Sozialhilfe abhängigen Familien einen sozialen
Ausgleich bekommen – auch nicht durch die Entfer-
nungspauschale. Diese Menschen sind aber die durch die
Ökosteuer wirklich Gekniffenen.


(Beifall bei der PDS)

Denn sie haben mehr Belastungen, aber keinerlei sozialen
Ausgleich.

Vor diesem Hintergrund müssen Sie verstehen, dass
unsere Begeisterung sich etwas in Grenzen hält. Zumin-
dest ist das nun gefundene Ergebnis aber ein Schritt in die
richtige Richtung. Allerdings kann ich mir nicht verknei-
fen, Sie noch einmal daran zu erinnern, dass wir es waren
– in diesem Jahr in der ersten Lesung zum Haushalt wa-
ren es mindestens drei Rednerinnen und Redner von der
PDS –, die gefordert haben, die verkehrsmittelunabhän-
gige Entfernungspauschale als eine mögliche Nachbesse-
rung zur Ökosteuer einzuführen. Das wurde damals von
Rot-Grün noch abgelehnt. Wir freuen uns, das der PDS-
Vorschlag jetzt eine solche Mehrheit findet.


(Beifall bei der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz im Gegenteil! Wir haben sie beschlossen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat doch mit der Ökosteuer nichts zu tun!)


– Natürlich hat das mit der Ökosteuer zu tun; das wissen
wir auch alle.

Wir freuen uns, dass es endlich gelungen ist, Fußgän-
ger, Radfahrer, Benutzer und Benutzerinnen des ÖPNV
den Autopendlern gleichzustellen. Unzulänglichkeiten
sind aber geblieben. Es ist klar, dass sich bei einem Betrag
von 70 Pfennig pro Entfernungskilometer für die große
Masse der Autopendler – die durchschnittliche Entfer-
nung zwischen Arbeits- und Wohnort beträgt 10,7 Kilo-
meter – nichts ändern wird.

Im Zusammenhang mit der Einführung und Erhöhung
der Entfernungspauschale wird häufig über die Gefahr
der Zersiedlung gesprochen. Ich finde, man sollte nicht
aus dem Auge verlieren – das möchte ich noch einmal
hervorheben –, dass sehr viele Menschen aus den Stadt-
kernen heraus in Gewerbegebiete, die außerhalb der
Wohngebiete liegen, fahren müssen. Lange Pendelwege
entstehen eben nicht ausschließlich, weil die Menschen
ins Grüne ziehen wollen, sondern weil die Gewerbege-
biete auf der grünen Wiese entstanden sind und weil – das
ist die Hauptursache – eine Vielzahl von Menschen über-
haupt keine Chance hat, vom Auto auf andere Verkehrs-
mittel umzusteigen.

Damit sind wir wieder bei der Ökosteuer. Es bleibt nun
einmal ein Grundfehler der Ökosteuer, dass man die Mehr-
einnahmen in die Rentenkassen gibt, anstatt sie für den
ökologischen Umbau der Gesellschaft zu verwenden.


(Beifall bei der PDS)

Wir können einen ökologischen Umbau der Gesellschaft
mit den Menschen gemeinsam nur erreichen, wenn sie
vernünftige Chancen haben, ihr persönliches Verhalten zu
ändern, zum Beispiel indem sie die Möglichkeit bekom-
men, vom Auto auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.
Bislang ist es aber nicht zu einer Verkehrswende ge-
kommen. Wir brauchen den Ausbau der Bahn; wir brau-
chen eine Senkung der Tarife im Personennahverkehr; wir
brauchen die Verbesserung des Angebotes des ÖPNV. Die
Diskussionen der letzten Wochen zeigen aber, dass genau
der gegenteilige Prozess einsetzt. Die Bahn zieht sich
massiv aus der Fläche zurück und ganze Regionen – zum
Beispiel im Schwarzwald, in Ostfriesland oder im Um-
land von Berlin – werden vom Schienenverkehr abgekop-
pelt. Das kann nicht sein. Wir müssen das Geld aus der
Ökosteuer gezielt für den ökologischen Umbau einsetzen.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
einen weiteren Fehler der Ökosteuer – übrigens ist dieser
Fehler der Grund dafür, dass Sie heute Nacht so lange dis-
kutieren mussten –: Der Bund nimmt die Mehreinnahmen
aus der mit Ihrer Mehrheit verabschiedeten Ökosteuer zur
Gänze. Jetzt aber, wenn es einen ersten sozialen Ausgleich
gibt, sollen sich die Länder und die Kommunen an der Fi-
nanzierung des sozialen Ausgleiches beteiligen. Das ist
ganz einfach ein Grundfehler in der Konstruktion.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich denke, es ist mehr als verständlich, dass die Länder an
diesem Punkt erst einmal protestiert haben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Barbara Höll
13816


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Müller hat angemahnt, die Länder sollten sich be-
teiligen. Ich finde, wir müssen die Ermahnung erweitern:
Die Länder dürfen ihre Belastungen nicht ihrerseits auf
die Kommunen abwälzen, denn die Kommunen sind
durch die Ökosteuer schon genug belastet. Wenn die Län-
der und Kommunen diesen sozialen Ausgleich im Ergeb-
nis zu über 50 Prozent gegenfinanzieren sollen, dann ist
das für sie schon ein Problem.

Abschließend möchte ich feststellen: Die PDS wird
dem Vermittlungsergebnis zustimmen, obwohl die Ver-
korkstheit der Ökosteuer dadurch nicht aufgehoben wird.
Die Verkehrsmittelunabhängigkeit ist aber ein Schritt in
die richtige Richtung. Und es erfolgt ein gewisser sozia-
ler Ausgleich. Den unterstützen wir mit ganzer Kraft.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] (BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414105100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Joachim Poß.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1414105200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! So sehr man Literaturkenntnisse in
diesem Hohen Hause begrüßen sollte, wie die Präsidentin
das gemacht hat, so sehr muss man doch bemängeln,
wenn die Kenntnis der eigenen Parteiprogramme nicht in
gleicher Weise ausgeprägt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hatte den Eindruck, dass sich Herr Rauen schon des
eigenen Konzeptes schämt. Wir reden nicht von den Pe-
tersberger Beschlüssen, sondern – erinnern Sie sich an
den Anfang dieses Jahres – von der „besseren Alternative
der CDU/CSU“, erarbeitet in einem sehr mühsamen Pro-
zess von den Herren Faltlhauser und Merz.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das sind zwei gute Leute!)


In diesem Vorschlag steht – das müssen die Pendlerinnen
und Pendler wissen –: Bis zum 15. Kilometer soll jede
Pauschale wegfallen. Ab dem 16. Kilometer gibt es dann
nur noch eine einheitliche, verkehrsmittelunabhängige
Entfernungspauschale auf der Basis von 50 Pfennig. Da-
mit errechnete die CDU/CSU sich ein Volumen von
5,1 Milliarden DM, mit dem sie im Wesentlichen die Ab-
senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent gegenfi-
nanzieren wollte. Für die Spitzenverdiener sollten die
Pendler also abkassiert werden! Das ist Ihr Konzept.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Das werden wir den Bürgerinnen und Bürgern in den
nächsten Wochen bis zum 21. Dezember noch einmal
deutlich vor Augen führen.

Heute ist der letzte Sitzungstag des Deutschen Bun-
destages in diesem Jahr. Wir stehen kurz vor Weihnach-

ten. Wir können feststellen: Es war für die Bürgerinnen
und Bürger in Deutschland steuerpolitisch ein gutes Jahr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Die Koalition hat für sie Steuerentlastungen in einer
Höhe beschlossen, die es in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland noch nicht gegeben hat.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Falsch!)

– Das ist nicht falsch. Ich kenne die Steuergeschichte der
80er-Jahre etwas besser als Sie. Ich will mich hier aber
nicht in Details verlieren.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Besserwisser!)

Ob ein großer Teil der Steuerzahler, nämlich Pendle-

rinnen und Pendler sowie die Benutzer der öffentlichen
Verkehrsmittel, eine zusätzliche steuerpolitische Gabe auf
ihrem Tisch wiederfinden, hängt vom Verhalten der
CDU/CSU und der von ihr geführten Länder am 21. De-
zember dieses Jahres ab. Denn mit dem Ergebnis, das wir
gestern mit diesem so genannten unechten Vermitt-
lungsergebnis erzielt haben, werden die Bürgerinnen und
Bürger zusätzlich zu den 45Milliarden DM, die wir schon
an Entlastung beschlossen haben, im nächsten Jahr um
eine weitere Milliarde DM entlastet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unecht entlastet!)


– Wir haben doch gemerkt, wie „leicht“ es Ihnen fiel, zu
einem Ergebnis zu kommen. Weshalb haben Sie denn
dann bei den Beratungen eine Auszeit von zwei Stunden
genommen? Sie haben sie gebraucht, weil Sie die Pro-
bleme sehen, vor denen Sie stehen. Ihre Länder müssen
doch begründen, warum die Pendler und die Benutzer des
öffentlichen Nahverkehrs nicht entlastet werden sollen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414105300
Herr Kollege
Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Rössel?


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1414105400
Ja, gerne.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1414105500
Herr Kollege Poß, ich
nehme Bezug auf Ihre Bemerkung zu dem „erfolgreichen
Jahr in der Steuerpolitik“. Nehmen Sie diese Bewertung
auch angesichts der Entwicklung der Aktienkurse der
Versicherungsunternehmen vor? Ich frage vor dem Hin-
tergrund der Tatsache, dass nach Bekanntwerden der
Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne an Beteiligungen
die Aktienkurse der Allianz und der Münchner Rückver-
sicherung von einem Tag auf den anderen um 20 Prozent
gestiegen sind. Können Sie bestätigen, dass ein Ergebnis
der Steuerpolitik der Bundesregierung darin besteht, diese
Entwicklung maßgeblich befördert zu haben?


(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat die falschen Aktien!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Barbara Höll

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(B)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1414105600
Ich will ja nicht persönlich wer-
den, sondern bleibe ganz sachlich.

Ich kann Ihnen bestätigen, Herr Kollege Rössel, dass
wenige Tage nach Bekanntwerden dieser Konzeption an
den Börsen die von Ihnen beschriebene Reaktion einge-
treten ist. Im Übrigen hatten wir kurz darauf, eine Woche
später, schon wieder eine andere Entwicklung. Ich wäre
also vorsichtig mit solchen Belegen. Aber richtig ist, das
haben wir gesagt: Wir wollen Verkrustungen aufbrechen.
Und das scheint uns eine geeignete Maßnahme zu sein,
diese Verkrustungen aufzubrechen, Herr Rössel. Deswe-
gen stehe ich auch zu dem, was wir beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin gespannt darauf, wie Ihre Länder sich am

21. dieses Monats verhalten werden. Es gibt nämlich kei-
nen vernünftigen Grund, den von unserer Seite vorgeleg-
ten Kompromiss im Bundesrat endgültig scheitern zu las-
sen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht die
Zustimmung der unionsgeführten Länder zu der von uns
vorgeschlagenen Entlastung für alle Pendler.

Frau Kollegin Müller hat schon die Vorteile dieser Ent-
fernungspauschale dargestellt: dass damit erstmals alle
Verkehrsmittel gleich behandelt werden. Der öffentliche
Verkehr wird dem Individualverkehr gleichgestellt. Das
ist ein Durchbruch für die Bundesrepublik Deutschland,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Künftig können alle Pendler ohne Nachweis einen Be-
trag von bis zu 10 000 DM jährlich von der Steuer abset-
zen. Das entspricht einer Entfernung von der Wohnung
zur Arbeitsstätte von circa 56 Kilometern. Einen längeren
Weg haben nur drei Prozent aller Pendler. Diese Lang-
pendler können einen höheren steuerlichen Abzug geltend
machen, wenn sie nachweisen, dass sie mit ihrem eigenen
PKW oder mit einem zur Nutzung überlassenen PKW
eine größere Wegstrecke zur Arbeit zurückgelegt haben.

Wenn Sie jetzt kritisieren, das sei bürokratisch, müssen
Sie doch ehrlicherweise den Menschen auch sagen, dass
Sie gestern Abend eine Grenze von 6 500 DM vorgeschla-
gen haben. Damit würden Sie Bürokratie produzieren,
Herr Rauen, nicht mit unserem Vorschlag. Jeder Fach-
kundige weiß, dass wir keine Bürokratie produzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das müssen sie im Übrigen einmal weitergeben an Ihren
CDU-Generalsekretär Meyer. Der kennt nicht einmal das
eigene Programm, wie seine heutige Stellungnahme be-
wiesen hat. Er hat nämlich gesagt, das sei ein Programm
für Steuerberater. Das ist kein Programm für Steuerbera-
ter. Offenbar weiß Herr Meyer nicht einmal, dass auch in
Ihrem Programm die Entfernungspauschale als Instru-
ment vorgeschlagen wird. Es wird Zeit, dass der Mann da-
zulernt; diese Inkompetenz fällt doch langsam auf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel werden durch
die vorgeschlagene Regelung gegenüber dem geltenden
Recht sämtlich begünstigt. Wir haben als Nachweisgrenze
einen Betrag von rund 10 000 DM gewählt. Dieser Betrag
entspricht dem Preis einer Jahresnetzkarte der Deutschen
Bahn in der ersten Klasse. Das Ergebnis ist ein deutliches
Signal und ein großer Anreiz für die Benutzung der öf-
fentlichen Verkehrsmittel und damit eine wichtige um-
welt- und verkehrspolitische Weichenstellung.

Sie haben diesen Kompromiss mit fadenscheinigen
Gründen abgelehnt, zum Beispiel mit dem Grund, dass
wir darauf bestehen, dass die Finanzverfassung eingehal-
ten wird. Ja, wollen wir denn, dass wir bei der Gelegen-
heit Verfassungsbruch begehen? Was haben Sie denn
überhaupt für Vorstellungen?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist doch Herrn Schröder sonst nicht fremd! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch nun wirklich Unsinn!)


– Herr Fromme, Sie haben ja sogar eine gewisse formale
Ausbildung. Sie sollten mit solchen Behauptungen vor-
sichtig sein.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Allerdings!)

Das muss man Ihnen, glaube ich, sagen, weil Sie nicht
Unkenntnis für sich in Anspruch nehmen können.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Bückeburger Urteile sind alle veröffentlicht! Das ist kein Geheimnis!)


Die Wählerinnen und Wähler werden sehr schnell er-
kennen, welch eine obstruktive Haltung Sie hier einge-
nommen haben. Ich bin mir deshalb ganz sicher: Wir wer-
den uns am 21. Dezember so durchsetzen, wie wir uns am
14. Juli durchgesetzt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt auch für eine weitere Entlastung der Landwirte

mit einem noch einmal ermäßigten Steuersatz fürAgrar-
diesel.Wir haben uns bereit erklärt, bei einer Zustimmung
der Unionsseite zur Entfernungspauschale auch hier eine
entsprechende Initiative zu ergreifen.

Im Sommer wurde eine Steuerreform – mit Stimmen
auch aus dem Lager der von der Union geführten oder
mitregierten Bundesländer – beschlossen, wie es sie in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht
gegeben hat.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Deshalb sind auch so viele Reparaturgesetze notwendig!)


Das Steuersenkungsgesetz allein hat ein Entlastungsvolu-
men von 63 Milliarden DM.

Das Bundesfinanzministerium hat am Mittwoch damit
begonnen, die Bürger in den letzten Wochen vor dem Jah-
reswechsel über die Reformschritte zu informieren. Das
ist wichtig, denn jeder soll wissen, was Bundestag und
Bundesrat beschlossen haben. Jeder soll mitbekommen,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013818


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(A)



(B)


dass CDU/CSU und F.D.P. jahrelang von Entlastung im-
mer nur geredet, aber nie finanzierbare Konzepte vorge-
legt haben.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie haben sie doch verhindert!)


Wir machen die Entlastung praktisch. Großer Gewin-
ner dieser Steuerpolitik ist neben den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern und den Familien mit Kindern der
Mittelstand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch lächerlich!)


Ich hebe das hervor, weil Sie wahrheitswidrig immer noch
anderes behaupten. Der Vorwurf, dass wir Politik für die
Großkonzerne machten, ist schlichtweg falsch. Die Zah-
len belegen das Gegenteil. Die Informationskampagne
des Finanzministeriums wird dazu beitragen, diese Be-
hauptung der Opposition ad absurdum zu führen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Kommen die AfA-Tabellen auch vor?)


– Ich kann ja verstehen, Herr Fromme, dass Parteien, die
es 16 Jahre lang nicht geschafft haben, den Mittelstand zu
entlasten, jetzt nicht begeistert „Hurra!“ schreien.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein bisschen mehr Wahrheitsliebe wäre allerdings gebo-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um in diesem Zusammenhang nur einen einzigen
Punkt herauszugreifen: Wir haben es geschafft, die Perso-
nenunternehmen, von denen ein Großteil dem Mittelstand
zuzurechnen ist, faktisch von der Gewerbesteuer zu be-
freien. Das ist eine Forderung, die jahrzehntelang von den
Verbänden erhoben worden ist. Wir haben das geschafft –
und nicht Sie!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben es so gemacht, dass die Gewerbesteuer als
Hauptfinanzierungsquelle der Kommunen erhalten bleibt.
Das war übrigens im Konzept der Union anders: Sie woll-
ten den Kommunen ans Leder. Aber das ist mit uns nicht
zu machen.

Unsere steuerpolitische Bilanz ist eindrucksvoll.
Gleichzeitig gefährden wir damit nicht unser Konsolidie-
rungsziel. Also: Ohne Gefährdung des Konsolidierungs-
ziels realisieren wir die größte Steuerentlastung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland und leisten
damit sichtbare Beiträge zu mehr Gerechtigkeit und mehr
sozialer Ausgewogenheit, zur Förderung eines nachhalti-
gen Aufschwungs, zur Entlastung des Mittelstands, des
Motors der deutschen Wirtschaft, zu international wettbe-
werbsfähigen Steuersätzen und zu strukturellen Verbesse-
rungen bei der Besteuerung der Unternehmen sowie zum
konsequenten Abbau fragwürdiger Sonderregelungen und
ungerechtfertigter Steuervergünstigungen – und das alles,

nachdem CDU/CSU und F.D.P. das deutsche Steuerrecht
verwüstet hatten und Millionäre in vielen Fällen über-
haupt keine Steuern gezahlt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir setzen den Verfassungsgrundsatz der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch. Wir
haben mit unserer Politik zu einer verbesserten Umwelt-
effizienz des Steuersystems und zur Entlastung des Fak-
tors Arbeit beigetragen – nicht mehr und nicht weniger.
Das ist die Bilanz, mit der wir vor Weihnachten in diesem
Jahr den Bürgern gegenübertreten.

Ein wichtiges Standbein unserer Steuerpolitik ist die
sozialökologische Steuerreform; landläufig wird sie als
Ökosteuer bezeichnet. Sie nennen sie Abzockersteuer und
wollen sich damit beliebt machen. Ruprecht Polenz wollte
dieses perfide Spiel offensichtlich nicht mehr mitspielen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Er wollte sich bei der nächsten Ökosteuerkampagne nicht
mehr auf ein Kickboard stellen lassen


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist vom Roller gefallen!)


und die Leute glauben machen, bald müssten sie alle Rol-
ler fahren, weil die Sozis das Benzin verteuern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ruprecht Polenz hat die Reißleine gezogen und damit ei-
ner Oppositionspolitik, die nur diskreditiert, verleumdet
und auf Stimmungen setzt, eine klare Absage erteilt. Das
gilt übrigens auch für die Sozialdemagogie der PDS, um
das noch einmal hinzuzufügen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!)


Ich will deshalb auf diesen Punkt der Ökosteuer nicht
eingehen. Ich will nur noch einmal an Folgendes erinnern:
Sie werfen uns vor, wir „tanken für die Rente“. Sie haben
aber in der Vergangenheit dann nach dem Motto gehan-
delt: Wir tanken, um Löcher zu stopfen. Das kommt für
uns nicht in Frage.


(Beifall bei der SPD – Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Wer hat diesen Menschen nur so verbittert? – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ich bin überhaupt nicht verbittert. Ich bin voller Freude,
dass wir kurz vor Weihnachten eine solch eindrucksvolle
steuerpolitische Bilanz hier im Bundestag diskutieren
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben bereits jetzt – durch das Steuerentlastungs-
gesetz und das Familienförderungsgesetz – dafür gesorgt,
dass die Familien mit Kindern jetzt zu Weihnachten wie-
der stärker zu ihrem Recht kommen. Etwas pathetisch ge-
sprochen: Sie können wieder etwas mehr auf den Gaben-
tisch legen. Das gilt auch für die Durchschnittsverdiener,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Joachim Poß

13819


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(D)



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die bei Ihnen jahrelang die Lastesel der Nation waren. Das
haben wir geändert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Politik setzen wir überzeugend fort. Deswegen:
Es war ein gutes Jahr, nicht nur für diese Koalition, son-
dern für die Bürgerinnen und Bürger, für Arbeitnehmer,
für Familien und für den Mittelstand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das merken sie besonders mit der Heizölrechnung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414105700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt.

Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Herr Poß, Sie tun ja gerade so, als würden Sie
heute über die größte Wohltat aller Zeiten


(Joachim Poß [SPD]: Das Wort „Wohltat“ habe ich nicht gebraucht!)


– das schönste Weihnachtsgeschenk aller Zeiten – ent-
scheiden. Aber nun wollen wir einmal das Ganze wieder
auf die Realität zurückführen.

Was tun Sie denn? Sie zocken die Bürger durch fünf-
malige Steuererhöhungen auf brutale Weise ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie haben sie geprügelt und Sie prügeln sie auch in Zu-
kunft durch weitere drei Steuererhöhungen.


(Joachim Poß [SPD]: Wir waren schon immer gegen die Prügelstrafe! Ich weiß gar nicht, was Sie da reden!)


Anschließend versuchen Sie, die Verwundungen, die Sie
damit angerichtet haben, mit einem kleinen Heftpflaster
zu heilen. Meine Damen und Herren, so geht es nicht. Wir
sind der Meinung, wenn man die Leute erst gar nicht prü-
gelt, braucht man auch kein Heftpflaster.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Das Ganze wird jetzt aber noch etwas pikant gewürzt;

hier zeigt sich – das will ich nicht verschweigen – eine ge-
wisse Raffinesse des Finanzministers. Der Bundesfinanz-
minister kassiert die Ökosteuer ganz allein, sorgt aber
dafür, dass für das Heftpflaster, also den Ausgleich der
Ökosteuer, den größten Teil die Länder zahlen müssen.
Meine Damen und Herren, so geht es natürlich auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Albert Schmidt DIE GRÜNEN]: 25 Prozent! Das ist doch nicht der größte Teil!)


Ich habe sehr wohl Verständnis für die Kritik der Län-
der, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Berechnun-
gen von Bayern und Nordrhein-Westfalen – auch dies ist
gestern deutlich zum Ausdruck gekommen und heute

noch einmal bestätigt worden – andere als die vom Bund
vorgelegten sind.


(Albert Schmidt DIE GRÜNEN]: Die Länder haben ja nach der Erhöhung geschrien! Dann sollen sie auch mit zahlen!)


Von vornherein besser wäre es gewesen und wäre es
immer noch, wenn Sie das Grundübel beseitigten, wenn
Sie also die Ökosteuer abschafften oder zumindest die
weiteren Stufen ab dem 1. Januar 2001 aussetzten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vorhin ist behauptet worden, dass dann die Beiträge

zur Rentenversicherung steigen müssten. Ich will Ihnen
dazu einmal etwas sagen: Zum 1. Januar erhöhen Sie er-
neut die Ökosteuer; die Erhöhung macht in einem Jahr
fast 6 Milliarden DM aus. Der Rentenversicherungsbei-
trag sinkt jedoch nicht im gleichen Maße. Die zukünftige
Beitragssenkung bei der Rentenversicherung macht ge-
rade einmal 3,2 Milliarden DM aus. Angesichts dessen
können Sie doch nicht ständig behaupten, die Ökosteuer
werde zur Senkung der Beitragssätze in der Rentenversi-
cherung verwendet. Dem ist nicht so und das muss man
auch deutlich zum Ausdruck bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Nun möchte ich aber auch ein paar Sätze darauf ver-

wenden, was nun tatsächlich an konkreten Auswirkungen
für die Bürger im Beschluss des Vermittlungsausschusses
enthalten ist. Ist die Entfernungspauschale wirklich ein
Ausgleich für die gestiegenen Benzinkosten und für das,
was Sie mit Ihrer Ökosteuer angerichtet haben? Ich ver-
deutliche Ihnen das an einem Beispiel: Bei einer Fahrt-
strecke von 20 Kilometern und einem Durchschnittsver-
brauch von 10 Litern pro 100 Kilometer


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Durchschnittsverbrauch liegt heute bei 8,9 und nicht bei 10 Litern!)


beträgt der Mehraufwand bei einer Benzinpreiserhöhung
von 35 Pfennigen – das ist genau der Preisanstieg, den Sie
allein durch die Ökosteuererhöhungen verursachen –
280 DM im Jahr. Nun betonen Sie, ab 10 Kilometern
werde die Pauschale für Autofahrer um 10 Pfennige er-
höht. Das bringt bei einem Grenzsteuersatz von 35 Pro-
zent nicht etwa eine Steuerersparnis von 280 DM – dies
entspräche den Mehrkosten –, sondern nur von ganzen
70 DM. Hier kann man nicht von Entlastung der Autofah-
rer sprechen, sondern das ist, wie ich vorhin sagte, ein
kleines Heftpflaster auf die große Wunde, die Sie den
Menschen zunächst einmal zugefügt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich füge ein Zweites hinzu – Frau Müller hat es vorhin

selbst gesagt –: Der Großteil der Entlastungen in diesem
Paket landet eben nicht bei den Autofahrern, die durch die
Ökosteuer zusätzlich belastet sind, sondern bei denen, die
zum Beispiel die Bahn benutzen. Genau hier wird in ei-
nem wesentlich höheren Maße entlastet – letztlich sub-
ventioniert –, obwohl keine entsprechende Belastung vor-
handen ist. Frau Müller hat gesagt, 75 Prozent des

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Joachim Poß
13820


(C)



(D)



(A)



(B)


gesamten Volumens lande bei den Bahnbenutzern und nur
25 Prozent bei den Autofahrern.


(Albert Schmidt DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht gesagt!)


– Natürlich hat sie das gesagt, sie hat von drei Viertel und
ein Viertel gesprochen, das sind nach Adam Riese 75 bzw.
25 Prozent.

Angesichts dessen wird deutlich: Nicht der Personen-
kreis, von dem Sie ständig reden, wird entlastet; entlastet
wird vielmehr ein ganz anderer Personenkreis, der aber
durch die Belastungen nicht so stark in Anspruch genom-
men wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ein Weiteres zu den konkreten Auswirkungen: Die Ge-

ringverdiener – Peter Rauen hat in seinem Beitrag das
Beispiel einer Verkäuferin gebracht –, diejenigen, die
steuerlich kaum etwas oder gar nichts geltend machen
können, aber doch auf das Auto angewiesen sind, werden
durch die Ökosteuer zwar belastet, aber durch keine Ihrer
Maßnahmen entlastet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie kann man jemanden von der Steuer entlasten, der keine Steuer bezahlt?)


Ich will jetzt noch auf das eingehen, was in der Debatte
eben eine Rolle gespielt hat, nämlich auf den Vorschlag
seinerzeit in unserem Steuerkonzept, die Entfernungspau-
schale zu reduzieren. Ich finde, es ist schon fast ein biss-
chen unverschämt, dass dies immer wieder erwähnt wird,
ohne den Gesamtzusammenhang zu sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb will ich die zwei Punkte, die für eine Gesamtbe-
trachtung wesentlich sind – wesentlich auch für die
Beurteilung dessen, was Sie im Unterschied dazu vorse-
hen –, herausstellen:

Erstens. Im Zusammenhang mit der Senkung der Pau-
schale war bei uns ein Steuersatz von 15 bis 35 Prozent
vorgesehen, und zwar nicht erst im Jahr 2005, sondern
schon wesentlich früher.

Zweitens. Wir hatten all dies ohne Mehreinnahmen
durch eine Ökosteuer geplant. Sie dagegen veranstalten
den ganzen Zirkus nur deshalb, weil Sie die Ökosteuer
eingeführt und erhöht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ansonsten würden Sie ja weder die Entfernungspauschale
einführen noch die Kilometersätze erhöhen. Den Zusam-
menhang mit der Ökosteuer können Sie nicht auflösen; er
ist vorhanden und der entscheidende Punkt.

Was Sie jetzt machen, ist eine massive Steuererhöhung
in fünf Schritten. Sie sind nicht bereit, trotz unserer stän-
digen Anträge und trotz der Argumentation von Fachleu-
ten, wenigstens auf die weiteren Stufen der Ökosteuer
zu verzichten. Sie sehen nicht einmal eine vollständige
Entlastung der Pendler vor,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Was wollen Sie denn?)


sondern belasten stattdessen einseitig die Geringverdiener
und bevorzugen letztlich diejenigen, die durch die Öko-
steuer nicht so sehr belastet sind, nämlich die Bahnfahrer.
All dies macht deutlich: Sie betreiben eine riesengroße
Flickschusterei, weil Sie nicht in der Lage sind, Ihre ideo-
logischen Scheuklappen endlich abzustreifen und etwas
Vernünftiges zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!)


Wir haben unsere Bereitschaft zum Kompromiss heute
Nacht gezeigt. Wir haben sehr lange verhandelt, weil wir
der Meinung sind, wir sollten uns nicht verschließen,
wenn es irgendwo eine Möglichkeit gibt, zu Verbesserun-
gen für die Betroffenen zu kommen. Aber nachdem Sie
keine Bereitschaft gezeigt haben, auf die berechtigten Fi-
nanzierungsprobleme der Länder einzugehen, nach-
dem Sie keine Bereitschaft gezeigt haben, die einseitige
Bevorzugung derjenigen, die durch die Ökosteuer nicht
belastet werden, zu beseitigen und auch nicht bereit wa-
ren, andere Probleme im Zusammenhang mit der Öko-
steuer zu lösen, ist eine Zustimmung unsererseits nicht
möglich gewesen und wird auch heute nicht möglich sein.


(Albert Schmidt DIE GRÜNEN]: Sie verwenden zu viele Sätze, um den Leuten zu erklären, warum Sie sie nicht entlasten wollen!)


Die richtige Entscheidung kann nur sein, das Übel an
der Wurzel zu packen und die Ökosteuer wieder abzu-
schaffen. Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal
auf das hinweisen, was Sie in Ihrer Koalitionsvereinba-
rung geschrieben haben. Dort hieß es noch, Entscheidun-
gen über die Ökosteuer seien immer im Lichte der Preis-
entwicklung auf dem Energiemarkt und der konjunk-
turellen Entwicklung zu sehen. Wenn Sie wenigstens das
ernst nehmen würden, was Sie selbst in Ihrer Koalitions-
vereinbarung geschrieben haben, wären wir schon ein
Stück weiter. Sie müssten dann die Konsequenz ziehen
und wenigstens die weiteren Stufen der Ökosteuer ausset-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414105800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulrike Mehl.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1414105900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich habe einmal gehört, dass man ei-
nen Lerninhalt, den man vermitteln muss, etwa 40 Mal
wiederholen muss, damit er haften bleibt. Ich glaube, das
haben wir in den letzten Wochen gemacht. Aber bei Ihnen
bleibt nichts haften. Ich verstehe das nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vor allen Dingen sollten Sie einmal über Ihre eigene Ar-
gumentation nachdenken, die vorne und hinten nicht
stimmt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Gerda Hasselfeldt

13821


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich halte es für einen richtig guten Erfolg, dass es jetzt
eine Entfernungspauschale gibt. Das passt auch zum
Konzept der Ökosteuer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum ersten Mal wird der öffentliche Personennahverkehr
mit begünstigt, und zwar nicht aus Gründen des Selbst-
zwecks, sondern aus Klimaschutzgründen. Wer Klima-
schutz will, der darf nicht heiße Luft produzieren, so wie
Sie das tun, sondern muss Entscheidungen treffen. Wir ha-
ben sie getroffen, und zwar die richtigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Sachverständigenrat, Herr Solms, hat eine ganze

Reihe von Gutachten vorgelegt. Ich kann mich an viele
Debatten erinnern, die wir über diese Gutachten geführt
haben. Ich weiß inzwischen, dass man vorsichtig sein
muss, wenn man bestimmte Teile aus solchen Gutachten
zur Unterstützung der eigenen Argumentation heranzieht.
Aber zur Ökosteuer hat sich der Sachverständigenrat ganz
klar geäußert: Sie ist notwendig und richtig; man hätte
zwar auch einen anderen Ansatz wählen können; aber die
Einführung der Ökosteuer ist gut. Der Sachverständigen-
rat hat auch schon in früheren Gutachten einen Benzin-
preis von 4,50 DM pro Liter empfohlen. Wenn Sie sich
diese Position zu Eigen machten, dann könnten Sie etwas
erleben. Ich empfehle Ihnen das nicht. Deswegen lassen
wir die Energiepreise in maßvollen, planbaren und über-
schaubaren Stufen ansteigen. Dies ist auch in weiten Tei-
len der Wirtschaft auf positive Resonanz gestoßen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414106000
Frau Kollegin
Mehl, der Kollege Seifert und der Kollege Solms haben
den Wunsch, Zwischenfragen zu stellen.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1414106100
Ich lasse jetzt keine zu, sorry.
Es wird immer behauptet, dass die Ökosteuer schuld an

den vergleichsweise hohen Benzinpreisen in Deutschland
sei. Das ist nicht wahr. Die Ökosteuer hat an den Benzin-
preiserhöhungen, die es jetzt gegeben hat, nur einen ver-
schwindend geringen Anteil.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber sie ist der Motor der Benzinpreiserhöhungen!)


Entscheidend war, dass der Erdölpreis weltweit gestiegen
ist und dass der Dollarkurs eine entsprechende Wirkung
hatte. Darauf und nicht auf die Ökosteuer haben wir mit
der Einführung der Entfernungspauschale reagiert. Die
Ökosteuer wird komplett zurückgegeben, nicht aber die
Kosten des Benzinpreisanstiegs.

Sie haben in den Debatten über die Ökosteuer immer
behauptet, Deutschland mache mit der Einführung einer
solchen Steuer einen Alleingang. Dem ist nicht so. Eine
ganze Reihe anderer europäischer Staaten hat längst die
Ökosteuer eingeführt, allen voran Dänemark. In einer Stu-
die der Forschungsstelle der Universität Berlin – man
kann zwar nicht alles miteinander vergleichen; Dänemark
ist anders strukturiert als Deutschland und hat eine andere
Form der Ökosteuer gewählt; aber vom Prinzip her ist es

ähnlich – wurde Dänemark bescheinigt, dass es mit seiner
Klimaschutzpolitik beispielgebend ist, insbesondere we-
gen seiner Konstruktion der Ökosteuer.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich – ich möchte das
noch einmal sagen, obwohl wir schon viele Male darauf
hingewiesen haben – klar machen, wie Sie argumentieren.
Die CDU hat in ihrem Zukunftsprogramm 1998 Folgen-
des formuliert:

Unser Steuer- und Abgabensystem macht gerade das
teuer, was wir am dringendsten brauchen: Arbeits-
plätze. Dagegen ist das, woran wir sparen müssen,
eher zu billig zu haben: Energie und Rohstoffeinsatz.
Dieses Ungleichgewicht müssen wir wieder stärker
ins Lot bringen, wenn wir unseren beiden Hauptzie-
len, mehr Beschäftigung und weniger Umweltbelas-
tung, näher kommen wollen.

Dem kann man nur zustimmen.

(Beifall bei der SPD)


Die ehemalige Bundesumweltministerin Angela Merkel
hat 1995 gesagt:

Als Umweltministerin halte ich es für erforderlich,
die Energiepreise schrittweise anzuheben und so ein
deutliches Signal zum Energiesparen zu geben.

Ich frage mich, wie Ihre Sinneswandlung zustande ge-
kommen ist; denn an den Fakten selbst hat sich nichts
geändert, sieht man einmal davon ab, dass Sie auf den Op-
positionsbänken sitzen.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich habe noch mehr Zitate.

Zum Schluss möchte ich noch auf etwas anderes zu
sprechen kommen. Es gibt eine von Ihnen eingerichtete
Internetseite, deren Adresse „www.weg-mit-der-oeko-
steuer.de“ lautet. Auf dieser Seite kann man sich, indem
man die entsprechenden Zahlen eingibt, ausrechnen, wie
hoch die Steuerbelastung am Ende ist. Bei einem Benzin-
preis von 2,07 DM, 15 000 gefahrenen Kilometern und
einem Verbrauch von 6,7 Liter auf 100 Kilometern kommt
man auf folgendes Ergebnis: 1 289,38 DM Ökosteuer, Mi-
neralölsteuer und Mehrwertsteuer. Sie verschweigen da-
bei, dass mindestens 50 Pfennig der Mineralölsteuer ent-
standen sind, als Sie noch an der Regierung waren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wird natürlich schön verheimlicht.
Im Übrigen kann man auf dieser Internetseite noch

nicht einmal den eigentlichen Ökosteueranteil dieses Be-
trags ausrechnen. Legt man eine Erhöhung der Ökosteuer
um drei mal 6 Pfennig zugrunde, dann beträgt die Belas-
tung durch die Ökosteuer 180 DM im Jahr; pro Tag sind
das 50 Pfennig. Dennoch sprechen Sie von Abzockerei
und vom Untergang der Republik. Das nenne ich Heu-
chelei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Abzockerei bleibt Abzockerei!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Ulrike Mehl
13822


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(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414106200
Zu einer Kurz-
intervention erteile ich dem Abgeordneten Seifert das
Wort.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414106300
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Hätte die Kollegin Mehl eine Zwi-
schenfrage zugelassen, dann hätten wir diesen Tagesord-
nungspunkt schneller abschließen können. Das sage ich
auch an die Adresse derjenigen, die soeben ein bisschen
herumgenölt haben.

Ich möchte darauf hinweisen, dass der von Ihnen so-
eben beschriebene große Erfolg nur für einen Teil der Be-
völkerung zutrifft. Bestimmte Teile der Bevölkerung,
zum Beispiel Behinderte, die auf ihr Auto angewiesen
sind, haben von der Entfernungspauschale nichts, da ihr
ausschließlich berufliche Zwecke zugrunde gelegt wer-
den.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: So sind sie halt!)


Es gibt aber Personen, die müssen das Auto benutzen,
wenn sie einmal ins Theater, zum Arzt oder woandershin
wollen bzw. wenn sie einfach nur am Leben teilhaben
möchten.

Es ist in Ihrer Regierungszeit nicht das erste, nicht das
zweite und nicht das fünfte Mal, dass Menschen mit Be-
hinderungen von bestimmten sozialen Maßnahmen aus-
geschlossen werden. Das muss zumindest gesagt werden
dürfen. Beim nächsten Mal sollte man berücksichtigen,
dass es so nicht weitergehen kann.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)



Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1414106400
Herr Kollege, Sie haben Recht,
wenn Sie sagen, dass man natürlich auch solche Dinge
berücksichtigen soll. Ich sage dazu nur einen Satz: Man
darf das eine gegen das andere nicht ausspielen; vielmehr
muss man schauen, an welcher Stelle ein solches Anlie-
gen zu regeln ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414106500
Ich schließe die
Aussprache.

Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Entfernungspauschale
– Drucksachen 14/4242, 14/4435, 14/4631,
14/4899, 14/4942 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen also zur Abstimmung. Der Vermittlungs-
ausschuss hat gemäß § 10Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses auf Drucksache 14/4942? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Strafvollzugsgesetzes
– Drucksachen 14/3763, 14/4452, 14/4622,
14/4943 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Der Berichterstatter, Ludwig Stiegler, wünscht kurz
das Wort zur Berichterstattung.


(Unruhe)

– Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen jetzt einen
Moment aufpassen, weil es um eine Korrektur geht. Das
müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen.

Bitte schön, Herr Stiegler.


Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1414106600
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Dem Sekretariat ist in langer Nachtar-
beit ein kleiner Fehler unterlaufen. In der Drucksa-
che 14/4943 habe ich zwei Änderungen anzubringen.

In Art. 1 Nr. 8 ist in § 47 Abs. 1 des Strafvollzugsgeset-
zes der zweite Satz zu streichen. Dieser Satz ist überflüs-
sig, weil bei Untersuchungsgefangenen keine Aufteilung
zwischen Hausgeld, Eigengeld und Überbrückungsgeld
stattfindet.

Außerdem müssen in Art. 1 Nr. 9 in § 200 die Wörter
„Die Bemessungen“ durch die Wörter „Der Bemessung“
ersetzt werden.

Ich bitte Sie, über die Beschlussempfehlung nach Maß-
gabe dieser Korrekturen abzustimmen.

Vielen Dank.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414106700
Ich danke
auch. – Wird noch das Wort zur Erklärung gewünscht? –
Das ist nicht der Fall. Dann können wir jetzt abstimmen.

Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-
ses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bis
auf die F.D.P., die sich enthalten hat, angenommen wor-
den.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13823


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes

Singhammer, Karl-Josef Laumann, Mario Eichhorn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Die Auswirkungen der demographischen Ent-
wicklung auf die sozialen Sicherungssysteme
öffentlich machen
– Drucksache 14/4645 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

b) Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche
Rentenversicherung, insbesondere über die Ent-
wicklung der Einnahmen und Ausgaben, der
Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderli-
chen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalender-
jahren gemäß 154 SGB VI

(Rentenversicherungsbericht 2000)

und
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenver-
sicherungsbericht 2000
– Drucksache 14/4730 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
ordnung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Dirk Niebel, Ernst Burgbacher,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weitere Abgeord-
neter und der Fraktion der F.D.P.
Jährliche Vorlage einer Generationenbilanz
und Aufnahme der Daten in die Haushaltssta-
tistik des Bundes
– Drucksachen 14/1758, 14/4910 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Erika Lotz.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1414106800
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! Die CDU legt heute einen Antrag

vor, in dem es sinngemäß heißt, dass die Reformen der
sozialen Sicherungssysteme, also auch der Rentenversi-
cherung, nur mit einer zukunftsgerichteten Familienpoli-
tik sinnvoll sind. Da kann ich Ihnen nur voll zustim-
men – zum einen aus meiner innersten Überzeugung he-
raus, zum anderen aber vor allem deshalb, weil das genau
unsere Politik ist.

Wenn Sie auf die vergangenen beiden Jahre zurück-
blicken, in denen wir regieren, dann werden Sie sicher
feststellen, dass wir gerade in der Familienpolitik viel ge-
tan haben, um die finanzielle Situation der Familien zu
verbessern.

In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, da-
rauf hinzuweisen, dass viele der Maßnahmen überfällig
waren, weil CDU/CSU-F.D.P.-Regierungen in dieser Hin-
sicht jahrelang untätig waren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das kann ich Ihnen gern an einigen Beispielen erläutern.
Familienpolitik kann ja nicht losgelöst von den allge-

meinen politischen Rahmenbedingungen gestaltet wer-
den. Gerade die Zukunft unserer Kinder setzt konsoli-
dierte Haushalte in Bund, Ländern und Kommunen
voraus. Bei Regierungsantritt haben wir eine Situation
vorgefunden, in der fast jede vierte Steuermark für Zinsen
an die Banken ausgegeben werden musste und nicht für
Bürgerinnen und Bürger sowie für Familien ausgegeben
werden konnte. Eine solche Situation ist nicht tragbar und
in hohem Maße zukunftsgefährdend. Deshalb haben wir
als Erstes ein Zukunftsprogramm aufgelegt – wie wir in-
zwischen feststellen können, mit gutem Erfolg. Dies war
die Voraussetzung, um die Handlungsfähigkeit der Regie-
rung wieder herzustellen.

Ich muss auch an das Familienurteil erinnern – das
kann ich Ihnen nicht ersparen –: Die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998
sind gefasst worden, weil es bei der Familienförderung
eklatante Versäumnisse gab, Versäumnisse von Ihnen und
nicht von Rot-Grün.


(Peter Dreßen [SPD]: Das war nicht das erste Urteil!)


Das Bundesverfassungsgericht hat damals unter anderem
entschieden, dass in den Jahren 1985, 1987 und 1988
Kindergeld und Kinderfreibeträge nicht in allen Fällen
ausreichten, ein Mindestmaß an Sachbedarf von Kindern
steuerfrei zu stellen. Wer hat denn in diesen Jahren re-
giert?

Infolge der verfehlten Familienpolitik der CDU be-
schäftigen sich jetzt die Finanzämter mit offenen Altfällen.
Alle noch nicht bestandskräftigen Einkommensteuerfest-
setzungen der zwischen 1983 und 1995 liegenden Jahre
müssen überprüft werden. Sofern entsprechend den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts ein Nachbesserungs-
bedarf besteht, kann mit einer Steuererstattung gerechnet
werden. Das erfolgt zurzeit.

Auch möchte ich noch daran erinnern, dass wirkliche
familienpolitische Maßnahmen, wie beispielsweise die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
13824


(C)



(D)



(A)



(B)


Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes
im Jahre 1996, nur auf Drängen der SPD in Kraft traten.
Bereits ein Jahr später, als die zweite Anhebung in Kraft
treten sollte, bekam die Union kalte Füße und wollte die
ein Jahr zuvor geplante weitere Erhöhung zur Förderung
der Familien um ein Jahr verschieben. Allein dem damals
drohenden Widerstand der SPD im Bundesrat gegen die-
ses Ansinnen war es zu verdanken, dass dieses Vorhaben
noch vor der Beratung im Bundesrat zurückgezogen
wurde. Auch in dem Petersberger Steuerkonzept von
1998/1999 war weder eine Erhöhung des Kindergeldes
noch des -freibetrages vorgesehen. Mittelfristig war dies
schon aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar.

Die Quittung hat uns das Bundesverfassungsgericht
prompt präsentiert. Wir mussten darauf natürlich reagieren
und wir haben darauf reagiert. Aber wir haben – das
möchte ich ausdrücklich betonen – nicht nur die Forderun-
gen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, sondern
wir sind auf der Grundlage unseres Verständnisses von ei-
ner sozial gerechten Familienpolitik entsprechend weit
über die Vorgaben hinausgegangen. Das Familienurteil
zielte lediglich auf die Herstellung der horizontalen Steu-
ergerechtigkeit ab. Das führte jedoch dazu, dass Familien
mit hohem Einkommen erhebliche Verbesserungen ihrer
Einkommenssituation erfuhren, bei Familien mit geringe-
rem Einkommen aber keine oder nur geringfügige Verbes-
serungen spürbar wurden.

Da unser Ziel die bedarfsgerechte Förderung der Fa-
milien war, haben wir nicht nur die Kinderfreibeträge,
sondern auch das Kindergeld erhöht, um zu einer mög-
lichst gleichmäßigen Verbesserung der Einkommenssi-
tuation der Familien zu kommen. Im Rahmen des Geset-
zes zur Familienförderung hat die Bundesregierung in der
ersten Stufe ab 2000 zusätzlich zum Kinderfreibetrag in
Höhe von gegenwärtig 6 912 DM einen einheitlichen
Freibetrag für Kinderbetreuung in Höhe von 3 024 DM
für alle Kinder bis zu 16 Jahren eingeführt. Nachdem das
Kindergeld bereits zum 1. Januar 1999 von 220 DM auf
250 DM erhöht wurde, ist es zum Jahresbeginn 2000 noch
einmal um weitere 20 DM auf 270 DM im Monat erhöht
worden.

Die ab 1. Januar 2000 verbesserte Familienförderung
erreicht auch Familien, die Sozialhilfe beziehen. Das war
bisher nicht der Fall. Bislang bewirkten Kindergeldzah-
lungen bei Sozialhilfeempfängern eine entsprechend ver-
minderte Sozialhilfe. Das erhöhte Kindergeld kommt da-
mit den einkommensschwachen Familien in voller Höhe
zugute.

Das zweistufig angelegte Paket zur Familienförderung
wird die jahrzehntelange, von der früheren Koalition zu
verantwortende verfassungswidrige Benachteiligung von
Familien mit Kindern im Steuerrecht beenden. Bereits mit
dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 hat die
Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie in der Entlas-
tung von Familien insbesondere mit geringen oder mittle-
ren Einkommen einen wichtigen steuerpolitischen
Schwerpunkt sieht. Diese Politik wird nun konsequent
fortgeführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Einher geht damit ein Beitrag zur Steuervereinfa-
chung, weil mehrere bisher gesonderte steuerliche Rege-
lungen zur Berücksichtigung kindbedingter Aufwendun-
gen in den neuen Tatbeständen aufgehen und damit
entbehrlich werden. Insgesamt führt die jetzt geltende
erste Stufe der Neuregelung einschließlich der Erhöhung
des Kindergeldes für erste und zweite Kinder von monat-
lich 250 DM auf 270 DM im Entstehungsjahr zu Minder-
einnahmen von rund 5,5 Milliarden DM. Im Umkehr-
schluss will ich damit betonen, dass 5,5Milliarden DM an
zusätzlicher Förderung für die Familien jetzt bereitstehen.


(Beifall bei der SPD)

Im Jahr 2001 wird die Bundesregierung entscheiden,

wie ab dem Jahr 2002 auch die steuerliche Berücksichti-
gung des Erziehungsbedarfs neu zu regeln ist. Diese
Entscheidung wird im Einklang mit den dann gegebenen
familien- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen ge-
troffen.

Die Maßnahme soll mit einer Reform der Ausbil-
dungsförderung verzahnt werden. In dem in der letzten
Woche vom Bundestag verabschiedeten Haushalt für das
kommende Jahr stehen für die BAföG-Reform rund
400 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung. Wir werden
mit dieser Strukturreform erreichen, dass circa 80 000 Ju-
gendliche BAföG-berechtigt sind. Auch diese Maßnahme
entlastet die Familien und ermöglicht auch Kindern von
Eltern mit geringem Einkommen, ein Studium zu absol-
vieren.

Wir haben aber nicht nur mit finanziellen Mitteln ver-
sucht, die Lage der Familien zu verbessern, sondern ha-
ben bei der Gesetzesnovelle zum Erziehungsgeld vor al-
lem Wert darauf gelegt, dass Eltern bei der Gestaltung der
Aufgabenverteilung in der Familie mehr Wahlfreiheit er-
halten. Beide Eltern können jetzt gleichzeitig Erzie-
hungsurlaub – Elternzeit – in Anspruch nehmen und
während des Erziehungsurlaubs bis zu 30 Stunden in der
Woche einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Vätern wird
durch den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit erstmals
eine realistische Chance eröffnet, sich an den Erziehungs-
aufgaben zu beteiligen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gleichzeitig erhalten Frauen damit bessere Möglichkei-
ten, durch eine Teilzeitbeschäftigung den Kontakt zum
Beruf aufrechtzuerhalten. Das ist zukunftsfähige Famili-
enpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insgesamt können wir schon jetzt eine Bilanz vorwei-
sen, die sich sehen lassen kann. Wir wollen aber natürlich
nicht auf der Stelle stehen bleiben. Wenn Sie den Entwurf
des Altersvermögensgesetzes aufmerksam gelesen haben,
dann ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass dort viele Ele-
mente enthalten sind, die die Situation der Familien wei-
ter verbessern und Paare ermutigen sollen, sich für Kin-
der zu entscheiden.

Nicht unwesentlich ist für Frauen bei der Entscheidung
für Kinder die Tatsache, dass durch Kindererziehung
Lücken im Erwerbsleben entstehen bzw. durch Teilzeit-
beschäftigung unterdurchschnittliche Löhne in diesen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Erika Lotz

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(A)



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Zeiten zu niedrigen Renten führen. Deshalb wollen wir
kindbezogene Lücken durch Höherbewertung der ent-
sprechenden Versicherungszeiten schließen. Niedrige
Entgelte in den so genannten Kinderberücksichtigungs-
zeiten werden nach den Grundsätzen der Rente nach Min-
desteinkommen aufgewertet. Dabei werden die individu-
ellen Entgeltpunkte um bis zu 50 Prozent auf maximal
100 Prozent des Durchschnittseinkommens erhöht. Diese
Regelung kommt auch Alleinerziehenden zugute, die von
den bisherigen Regelungen der Rente nach Mindestein-
kommen vielfach nicht begünstigt wurden, weil sie ge-
zwungen waren, einer Vollzeitbeschäftigung nachzuge-
hen.

Für die Frauen, die wegen gleichzeitiger Erziehung
von zwei oder mehr Kindern nicht erwerbstätig sein kön-
nen, werden zusätzlich zu den Kindererziehungszeiten
– dies sind drei Jahre je Kind – die verbleibenden Jahre
der Kinderberücksichtigungszeit mit 33 Prozent des
Durchschnittseinkommens bewertet.

Auch der Rentenversicherungsbericht 2000 ist Ge-
genstand der Tagesordnung.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Auch die Generationenbilanz!)


Ich möchte auch dazu noch ein paar Worte sagen: Der
Rentenversicherungsbericht legt noch einmal detailliert
die Notwendigkeit unserer angestrebten Rentenreform
dar. Die Berechnungen über die künftige Entwicklung
aller relevanten Daten geben uns Recht. Zu diesem Er-
gebnis kommt auch der Sozialbeirat in seinem Gutachten.
Er stellt fest, dass das von der Bundesregierung ange-
strebte Beitragsniveau von etwa 22 Prozent im Jahre 2030
erreicht werden kann. Dies ist ein Ziel, das uns im Inte-
resse der Arbeitnehmer sowie möglichst geringer Lohn-
nebenkosten besonders am Herzen liegt. Denn hohe
Lohnnebenkosten – das wissen Sie – wirken sich negativ
auf die Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte aus. Da-
runter leiden auch die Arbeitnehmer, weil dies zum Abbau
von Arbeitsplätzen führt. Ich bin stolz darauf, dass es uns
gelungen ist, schon zweimal den Rentenversicherungs-
beitrag zu senken. Eine dritte Absenkung steht vor der
Tür. Das erleben die Menschen seit 16 Jahren zum ersten
Mal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weiterhin stellt der Sozialbeirat fest, dass die aktuellen
Rentenwerte – dies sind bessere Indikatoren für das Leis-
tungsniveau als das Rentenniveau – in den kommenden
vier Jahren um 8,5 Prozent steigen werden: um 8,2 Pro-
zent in den neuen Ländern, um 9,8 Prozent in den alten
Ländern. Das hängt damit zusammen, dass im Vergleich
zu früheren Prognosen die Beschäftigungsentwicklung
der Zukunft wesentlich günstiger eingeschätzt wird. Dies
ist sicher nicht zuletzt auf die positive Steuerpolitik der
Regierung und auf die Begrenzung der Lohnnebenkosten
zurückzuführen, die erst mit diesem Rentenkonzept mög-
lich wird.

Darüber hinaus bewertet der Sozialbeirat das vorgese-
hene Rentenanpassungsverfahren positiv, da diskre-
tionäre Eingriffe zur Eliminierung unerwünschter Effekte

von vornherein vermieden werden und dem Gesetzgeber
insbesondere durch die Entkopplung von steuerpoliti-
schen Entscheidungen einerseits und Entscheidungen zur
Gestaltung der Leistungen der Rentenversicherung ande-
rerseits größere Handlungsfreiheit in den verschiedenen
Bereichen verschafft und gleichzeitig die Zielgenauigkeit
der Maßnahmen erhöht wird.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der vorgelegte
Rentenversicherungsbericht bestätigt, dass mit der im No-
vember dieses Jahres verabschiedeten Reform der Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und mit dem Al-
tersvermögensgesetz die Grundlage für eine zukunfts-
fähige Altersversicherung gelegt wurde, eine Altersversi-
cherung, die den demographischen und gesellschaftlichen
Veränderungen entspricht.

Nun noch ein paar Worte zu dem Antrag der F.D.P.,
jährlich eine Generationenbilanz vorzulegen. Natürlich
möchten alle wissen, wie die Zukunft aussieht, welche
Belastungen den kommenden Generationen entstehen.
Aber, diese Bilanz muss seriös sein. Mit den Modellen,
die jetzt vorliegen, ist dies nicht möglich. Der Manipula-
tion können Tür und Tor geöffnet werden.

Kritisch ist schon die Wahl des Basisjahres. Dabei
muss berücksichtigt werden, wie gut oder wie schlecht die
Konjunktur ist. Trotz dieser Unsicherheiten werden Be-
rechnungen hinsichtlich der zukünftigen Situation ange-
stellt. Man muss daher sagen, dass es einfach zu viele
Möglichkeiten der Manipulation gibt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Reine Bedenkenträgerei! Kein Gestaltungswille!)


Ich schließe nicht aus, dass dieses Instrument weiter-
entwickelt werden kann. Zurzeit ist dies aber nicht der
Fall. Deswegen ist der Vorschlag, der im Haushaltsaus-
schuss gemacht und der im Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung beraten wurde, richtig, nämlich den Wis-
senschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums
zu bitten,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Noch ein Arbeitskreis!)

die Anwendbarkeit des Konzeptes im Hinblick auf die
Haushaltsbilanz zu prüfen.

Wir sorgen dafür, dass weder die heutigen noch die
zukünftigen Beitragszahler überfordert werden. Gleich-
zeitig sorgen wir dafür, dass das Leistungsniveau einen
angemessenen Standard behält.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Bei 26 Prozent für die Altersversorgung ist dies nicht glaubhaft!)


Wir geben mit unserer Reform insbesondere den jüngeren
Generationen eine Perspektive für die Alterssicherung.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Dass sie keine hat!)

Die Opposition ist nach wie vor eingeladen, daran mitzu-
wirken.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Erika Lotz
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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414106900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Andreas Storm.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1414107000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der demographische Wandel
stellt in der Tat eine große Herausforderung für unsere ge-
samte Gesellschaft dar. Kein Geringerer als unser Kollege
und frühere Bundestagsvizepräsident, Hans-Ulrich Klose,
hat ihn sogar als eine „Revolution auf leisen Sohlen“ be-
zeichnet.

Die nackten Tatsachen sind, dass heute etwa drei Er-
werbstätige auf einen Rentner kommen. In 30 Jahren wer-
den auf drei Erwerbstätige zwei Rentner kommen. Das
heißt, wir müssen in den nächsten drei Jahrzehnten mit ei-
ner Verdoppelung des Anteils älterer Menschen, bezogen
auf die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, rech-
nen. Hinter diesen statistischen Zahlen verbirgt sich eine
Veränderung unserer Gesellschaft, die ihresgleichen
sucht. Nicht nur die sozialen Sicherungssysteme, aber
eben auch diese, werden vor dramatischen Herausforde-
rungen stehen.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben schon seit ei-
nigen Jahren die Konsequenzen untersucht. Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin kam in diesem
Sommer zu dem Ergebnis, dass ohne weitere Reformen
der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung bis zum Jahr 2030 von heute 13,6 Prozent über die
20-Prozent-Marke steigen würde. Bis zum Jahr 2040
würde er sogar auf über 23 Prozent steigen. Für die Pfle-
geversicherung wird bis zum Jahr 2030 eine Verdoppe-
lung des Beitragssatzes erwartet.

Welche Konsequenzen zieht die Koalition aus diesen
Prognosen? Diese Frage ist gerade in Bezug auf das
Thema Rentenreform sehr spannend; denn steigende
Beiträge in der Kranken- und der Pflegeversicherung ha-
ben gravierende Auswirkungen auf die Rentenfinanzen.
Die Rentenkassen haben nämlich die Hälfte des Anstiegs
der Beitragsbelastung zu tragen; die andere Hälfte schmä-
lert das Alterseinkommen der Rentner.

Wenn man sich nun anschaut, mit welchen Annahmen
Sie bei der Vorlage Ihrer Rentenreform gerechnet haben,
stellt man fest, dass Sie davon ausgehen, dass bis zum Jahr
2029, also fast drei Jahrzehnte lang, der Krankenver-
sicherungsbeitrag unverändert auf dem heutigen Niveau
bleibt. Das ist aber eine Annahme, die möglicherweise
schon nächstes Jahr zu Ostern überholt ist.

Die Wissenschaftler sagen uns – ich wiederhole dies –:
Ohne Reformen steigt der Krankenversicherungsbeitrag
über die 20-Prozent-Marke. Sie unterstellen aber, er
bliebe konstant bei 13,6 Prozent. Allein der Anstieg des
Krankenversicherungsbeitrags hätte zur Folge, dass der
Beitragssatz für die Rentenversicherung um weit über ei-
nen halben Prozentpunkt höher liegen würde, als dies
nach Ihren Berechnungen der Fall wäre.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Rechnen konnten die noch nie!)


Die Sachverständigen, die ihr Jahresgutachten Mitte
November abgegeben haben, haben außerdem kritisiert,
dass bei der Annahme in Bezug auf den Anstieg der Le-

benserwartung mit viel zu günstigen Prognosen gerech-
net worden ist. Im Jahresgutachten des Sachverständigen-
rates wurde darauf hingewiesen, dass der gegenüber den
bisherigen Annahmen in den nächsten drei Jahrzehnten zu
erwartende um ein Jahr höhere Anstieg der Lebenserwar-
tung, wie ihn führende Bevölkerungsforscher in Deutsch-
land annehmen, auch einen nachhaltigen Einfluss auf den
Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung hat,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl!)

nämlich einen Anstieg um weitere 0,4 Prozent.

Diese beiden Beispiele zeigen zunächst einmal, dass
bisher mit Annahmen, die massiv schönrechnen, operiert
worden ist


(Peter Dreßen [SPD]: Ihre Annahme ist auch nur eine Hypothese!)


und dass die Zielsetzung, lieber Kollege Dreßen, den Bei-
tragsatz in der gesetzlichen Rentenversicherung bei
22 Prozent zu stabilisieren, nicht zu erreichen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Der ist sowieso viel zu hoch!)


Diese Beispiele zeigen aber ein Zweites, nämlich dass
alle sozialen Sicherungssysteme massiv vom demogra-
phischen Wandel betroffen sein werden, dass es erhebli-
che Rückwirkungen auf die einzelnen sozialen Siche-
rungssysteme geben wird. Aus diesem Grunde ist es
höchste Zeit, der Öffentlichkeit diese Dramatik bewusst
zu machen. Es ist unumgänglich, unverzüglich ausrei-
chende Reformmaßnahmen durchzuführen, für die die
Regierung Vorschläge vorlegen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Genau darauf zielt unser Antrag ab.


(Peter Dreßen [SPD]: Die Rentenreform liegt auf dem Tisch!)


Die Bundesregierung hätte eigentlich schon längst Be-
rechnungen und einen umfangreichen Bericht vorlegen
müssen, welche Auswirkungen der demographische Wan-
del auf die sozialen Sicherungssysteme hat.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es! – Erika Lotz [SPD]: Haben wir doch!)


Deshalb fordern wir von Ihnen, dass Sie spätestens im
kommenden Jahr – früher geht es natürlich nicht; denn das
Jahr ist zu Ende – einen Bericht über die Auswirkungen
des demographischen Wandels auf die Renten-, Kran-
ken- und Pflegeversicherung sowie die anderen öffentli-
chen Alterssicherungssysteme vorlegen.

Dann müssen Konsequenzen daraus gezogen werden.
Dabei muss es darum gehen, die durch die Veränderung
der Alterspyramide entstehenden Belastungen gerecht
zwischen den Generationen zu verteilen. Hierzu sind Sie
nicht in der Lage.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herzstück Ihrer Rentenreform ist ein so genannter Aus-

gleichsfaktor,

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Kür zungsfaktor!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000 13827


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(B)


der in Wirklichkeit nichts anderes als ein willkürlicher
Kürzungsfaktor ist, durch den einseitig die jüngere Gene-
ration belastet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Deswegen wollen die die Generationenbilanz nicht!)


Ich darf Ihnen kurz das Fazit vortragen, das der Sach-
verständigenrat zu Ihrem Ausgleichsfaktor zieht:

Unstrittig ist dennoch, dass die Vermittelbarkeit und
damit die Akzeptanz der Reform unter den asymme-
trischen Verteilungswirkungen des Ausgleichsfak-
tors leidet, zumal es für diesen Faktor, anders als für
einen demographischen Faktor, keine systematisch-
analytische Begründung gibt, sondern nur eine fis-
kalische.

Soweit der Sachverständigenrat.

(Erika Lotz [SPD]: Er sagt doch nicht, er sei falsch!)

Ein vernichtenderes Urteil über eine Rentenreform als

das, dass Ihnen jede systematische und analytische
Grundlage für die von Ihnen vorgeschlagene Rentenfor-
mel fehlt, hat bisher kaum ein Expertengremium gefällt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Deshalb rufe ich Sie an dieser Stelle noch einmal auf:

Lassen Sie die Finger von dieser willkürlichen Kürzung
der Renten für die junge Generation!


(Peter Dreßen [SPD]: Der Demographiefaktor war auch nur willkürlich! Ihr habt nur die Hälfte genommen!)


– Kollege Dreßen, wie Sie eben gehört haben, ist die Ein-
führung eines Demographiefaktors nach Einschätzung
der Sachverständigen ein Vorschlag, der systematisch und
analytisch begründet und eben nicht willkürlich ist. Durch
ihn werden die Lasten zwischen den Generationen ge-
recht verteilt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [F.D.P.]: Verschonen Sie doch den Herrn Dreßen mit Fakten! – Erika Lotz [SPD]: Sie können noch nicht einmal richtig lesen!)


Aber es gibt ja noch einen weiteren Vorschlag, nämlich
den der Rentenversicherungsträger. Dieser Vorschlag
wäre eine Lösung. Er würde alle Nachteile Ihrer Renten-
formel ausschließen und zu einer gerechten Lastenver-
teilung zwischen den Generationen führen. Er würde
dazu führen, dass das Rentenniveau auch noch nach drei
Jahrzehnten für alle akzeptable ist.

Laufen Sie nicht wie mit Scheuklappen durch die Ge-
gend! Geben Sie sich endlich einen Ruck und machen Sie
den Weg frei für eine Rentenreform, die auch auf lange
Sicht Bestand haben kann!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihre bisherigen Vorschläge sind nicht geeignet, das

Vertrauen der älteren Generation, aber auch der jüngeren
Generation in die Handlungsfähigkeit der Sozialpolitik
wieder herzustellen. Es ist wirklich Zeit für einen Neube-

ginn – nicht nur in der Rentenpolitik, sondern in der ge-
samten Sozialpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Die teilt bestimmt unsere Meinung!)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen
heute ein paar Tage vor dem Einstieg in eine sehr an-
strengende, differenzierte, tief gehende Debatte um eine
notwendige grundsätzliche Rentenreform.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sozialpolitischer Schweinsgalopp ist das, was Sie machen!)


Wir befinden uns an der Schwelle einer sehr großen Re-
form und werden am Montag mit den Anhörungen dazu
beginnen. Deswegen ist es gut, bereits heute den Renten-
bericht und insbesondere die Anmerkungen des Sozial-
beirates dazu sowie die Würdigung durch den Sachver-
ständigenrat zu diskutieren, Herr Storm.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Und die Generationenbilanz!)


Denn sowohl der Rentenbericht als auch der Sachver-
ständigenrat, der sich mit vielen Punkten der Reform aus-
einander setzt, und der Sozialbeirat kommen übereinstim-
mend zu dem Ergebnis, dass eine große Rentenreform
absolut notwendig ist, unter anderem wegen der verän-
derten demographischen Entwicklung, des veränderten
Altersaufbaus in der Bundesrepublik Deutschland. Sie
kommen ebenso übereinstimmend zu der Einschätzung,
dass die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, nämlich
die private und die betriebliche Vorsorge als zusätzliche
Säulen neben die gesetzliche Rentenversicherung zu stel-
len,


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Kommt mir bekannt vor! Als hätten wir das irgendwann schon mal gefordert!)


der richtige Schritt sind, um ein zukunftssicherndes Ren-
tensystem aufzubauen, das auch für die jungen Genera-
tionen eine sichere Altersversorgung schaffen wird.

Genau dies ist der Unterschied zu dem, was wir hier
vorgefunden haben. Wir haben in der Tat den Versuch ei-
ner Rentenreform vorgefunden. Aber die blümsche Re-
form hat an dieser Stelle versagt,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die war gerecht!)


da sie sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht
hat, wie den Schwierigkeiten in der gesetzlichen Alters-
vorsorge durch zusätzliche Konzepte, durch eine zusätz-
liche Stütze in Form der privaten Altersvorsorge entge-
gengetreten werden kann.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Andreas Storm
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(C)



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(A)



(B)


Der Sachverständigenrat bestätigt uns, dass wir hier
große Schritte in die richtige Richtung machen, dass wir
mit dieser Rentenreform sozusagen einen doppelten Para-
digmenwechsel eingeleitet haben, den der Sachverständi-
genrat positiv bewertet. Da muss ich schon sagen, Herr
Storm: Sie haben den Bericht des Sachverständigenrates
offenbar mit einer völlig falschen Brille gelesen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Das war doch ein wörtliches Zitat!)


– Wirklich, Herr Storm, im Ernst! Der Sachverständigen-
rat ist ja nun wirklich kein Gremium, das man in irgend-
einer Weise grüner oder roter Positionen verdächtigen
könnte. Neben den Einschätzungen des Sozialbeirates be-
wertet gerade dieser Bericht die Eckpfeiler der Rentenre-
form, über die wir ab der nächsten Woche, auch in den An-
hörungen, diskutieren werden, in hohem Maße positiv.

Es wird ausdrücklich gelobt, dass die private Vorsorge,
und zwar in der von uns vorgesehenen Struktur, aufgebaut
wird. Es wird ausdrücklich auch die Kinderkomponente
bei dieser privaten Vorsorge gelobt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Dazu haben wir euch zwingen müssen!)


Darüber hinaus wird vom Sozialbeirat – selbstverständ-
lich, weil er sie selber vorgeschlagen hat –, aber ebenso
vom Sachverständigenrat die modifizierte Nettolohnan-
passung gelobt.

Der Rentenbericht und diese beiden Gutachten zeigen
deutlich, dass wir ohne die Ökosteuer und ohne die modi-
fizierte Nettolohnanpassung in der Zukunft eine Beitrags-
entwicklung haben würden, die volkswirtschaftlich und
unter den Aspekten der Generationengerechtigkeit nicht
hinzunehmen sein würde. Beide Gremien und der Ren-
tenbericht machen absolut deutlich, dass sowohl die Öko-
steuer wie auch die modifizierte Nettolohnanpassung
wichtige Elemente sind, um für die Zukunft eine vernünf-
tige Rentenentwicklung zu sichern. Sie zeigen uns, dass
es auf diese Weise mit großer Wahrscheinlichkeit gelingt,
die 22-Prozent-Marke bei den Beiträgen bis 2030 nicht zu
überschreiten. Ebenso zeigen sie uns, dass die Beiträge in
den nächsten 20 Jahren mit Sicherheit unter 20 Prozent
bleiben werden, große Strecken sogar unter 19 Prozent.

Man sollte die Beiträge als einen wichtigen Faktor zur
Herstellung eines gerechten Ausgleiches zwischen den
Generationen betrachten. Insofern haben wir noch einmal
gutachterlich bescheinigt bekommen, dass wir bei der
Rentenreform auf dem richtigen Weg sind.

Meine Damen und Herren, auch die anderen Aspekte
der Rentenreform wie beispielsweise die Hinter-
bliebenenversorgung oder auch die –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107300
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Storm?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107400

– Ja, wenn ich meinen Satz zu Ende gebracht habe; dann
gerne, Herr Storm. – Unterstützung von Frauen, die allein
erziehend sind, sind wesentlich und zukunftsweisend.

Herr Storm, bitte schön.


Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1414107500
Frau Kollegin Dückert,
Sie haben gesagt, Sie fühlen sich in Ihrer Auffassung be-
stätigt, dass die 22-Prozent-Marke erreicht werde. Haben
Sie zur Kenntnis genommen, dass die Sachverständigen
– wie ich schon ausgeführt habe – in ihrem Gutachten
diese Berechnungen infrage gestellt haben und zu dem Er-
gebnis gekommen sind, dass durch Anpassungsformel,
Ausgleichsfaktor usw. diese Beitragsentwicklung wohl
nicht erreicht werden könne und dass deshalb die Ver-
pflichtung bestehe, zu anderen geeigneten Maßnahmen zu
greifen, dass also aus Sicht des Sachverständigenrates die
Reform – unabhängig von der Bewertung der Einzelmaß-
nahmen – nicht ausreicht, um das Beitragsziel zu errei-
chen?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107600

Herr Storm, ich weiß ja, dass Sie nächtens sehr gerne
rechnen.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das denn? – Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich finde das skandalös!)


Deshalb ist Ihnen bestimmt nicht entgangen, dass den Be-
rechnungen neun verschiedene Modelle sowie drei unter-
schiedliche Entwicklungspfade bezüglich Beschäfti-
gungs- und Beitragssatzentwicklung zugrunde gelegt sind
und dass bei verschiedenen Kombinationen in der Tat un-
terschiedliche Ergebnisse herauskommen. Alle Wissen-
schaftler, auch der Sachverständigenrat und der Sozial-
beirat, sagen, dass man das nicht über einen Zeitraum von
15 Jahren – auf den der Bericht angelegt ist – und schon
gar nicht über einen Zeitraum von 30 Jahren hundertpro-
zentig berechnen kann. Diese Bundesregierung ist aber
– auch das sagen Sachverständigenrat und Sozialbeirat –
bereit – und das ist bislang einmalig; Sie haben das zum
Beispiel nicht gemacht –, in diesen Gesetzentwurf zur
Rentenreform die Selbstverpflichtung aufzunehmen, die
22-Prozent-Marke mit gesetzlichen Maßnahmen zu si-
chern, wenn sie anders nicht gehalten werden kann. Ab-
seits von allen Modellrechnungen, an denen man sich er-
freuen kann oder auch nicht, haben wir die Verantwortung
dafür übernommen, dass diese Marke eingehalten wird,
weil wir sie im Sinne der Generationengerechtigkeit für
wichtig halten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, insgesamt sind die uns vor-
liegenden Gutachten eine gute Ausgangsbasis. Es gibt kri-
tische Anmerkungen und das finde ich auch richtig. Da-
rüber werden wir diskutieren müssen. Der zentrale Aspekt
sind die Fragen, die sich um den Ausgleichsfaktor ranken:
Was ist gerecht? Was ist generationengerecht? Gibt es ge-
rechtere Formen? Diese Debatte dreht sich allein um die
Fragen: Ist es richtig, diejenigen, die aufgrund ihres fort-
geschrittenen Alters nicht mehr ausreichend privat vor-
sorgen können, in der Phase der Rentenauszahlung mittels
eines Abschlagsfaktors nicht zu sehr zu belasten? Ist
es richtig, diejenigen stärker zu belasten, die heute jung
sind und mit staatlicher Förderung die private Vorsorge

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Thea Dückert

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(C)



(D)



(A)



(B)


aufbauen können? Die Argumente zu diesen Fragen muss
man ernsthaft gegeneinander abwägen.

Wir halten unseren Vorschlag für gerecht. Weil die
Rentenreform in der Bevölkerung Unterstützung finden
muss, muss man – das weiß ich wohl – über Gerechtig-
keitsvorstellungen auch streiten. Das werden wir in der
Zukunft tun. Ich freue mich darauf, mit Ihnen diese De-
batte im Ausschuss führen zu können.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1414107800
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Es ist bezeichnend, dass die
Kollegin Dückert den Antrag zur Generationenbilanz mit
keinem Wort erwähnt hat. Aber auf die Grünen komme
ich gleich noch zu sprechen.

In der 58. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages am
30. September 1999 hat der Arbeitsminister Walter
Riester gesagt – ich zitiere –:

Zunächst komme ich zu der ... Forderung ... eine
Generationenbilanz vorzulegen. Diese Grundlinie
halte ich für spannend und wichtig.

Riester sagte weiter, er wolle diese Überlegung aufneh-
men. Wörtlich:

Ich wäre sehr daran interessiert, wenn wir an dieser
Frage einer Generationenbilanz arbeiten könnten.

Der Bundesarbeitsminister ist hier heute leider nicht
anwesend. Seit der Antrag, eine Generationenbilanz in
die Haushaltsgesetzgebung aufzunehmen, an den Aus-
schuss überwiesen wurde, sind 36 Wochen vergangen,
ohne dass irgendetwas geschehen ist. Wir waren geduldig
und wollten auf die Zusammenarbeit warten. Wir hatten
gedacht, dass wenigstens mit der Vorlage des Ren-
tenreformgesetzes die Frage der Generationengerechtig-
keit aufgegriffen würde. Aber nichts ist passiert. Es ist
Aufgabe des Ausschussvorsitzes, wichtige Dinge zu bear-
beiten. Wenn man signalisiert, dass man bereit ist, etwas
gemeinsam auf den Weg zu bringen, dann hätten wir von-
seiten der Regierungskoalition mehr Engagement erwar-
tet.


(Erika Lotz [SPD]: Ihr wolltet das doch nicht auf der Tagesordnung haben! – Zuruf von der SPD: Ihr habt doch gar nicht beantragt, dass das auf die Tagesordnung kommt!)


Nicht einmal in der Rentendebatte haben Sie dieses
Thema aufgenommen. Hätten wir nicht gemeckert, wäre
es auch heute nicht zur Sprache gekommen. Das ist also
Generationengerechtigkeit, wie Sie sie verstehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Seit Sie regieren, meine Damen und Herren, wird in

diesem Land weniger erwirtschaftet. Dennoch wird der
Umfang der Leistungen ausgeweitet; es wird immer mehr

verteilt. Das haben wir beim Gesetz zur Neuregelung der
Einmalzahlungen gerade wieder gesehen. Sie verfrüh-
stücken die Zukunft unserer Kinder, wenn Sie diesen für
die Handlungsfähigkeit und die finanziellen Spielräume
der Republik wichtigen Indikator nicht aufnehmen und in
Zukunft bei politischen Entscheidungen nicht berücksich-
tigen wollen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Schulden haben Sie denn unseren Kindern hinterlassen? 1,5 Billionen DM!)


Gerade die Grünen, die hier vor Selbstgerechtigkeit
triefen und sich immer wieder als Rächer der Enterbten
aufführen, machen überhaupt nichts für die kommenden
Generationen, sondern wollen den Rentenversicherungs-
beitrag auf insgesamt 26 Prozent nur für die Altersvor-
sorge erhöhen. Das ist absolut nicht das, was wir uns als
Liberale unter Generationengerechtigkeit vorstellen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Eine Generationenbilanz ist eine Entscheidungshilfe

für die Politik. Sie soll Brücken bauen zwischen den Ge-
nerationen; denn nur Fairness bei der Belastung jeder ein-
zelnen Generation kann dazu führen, dass die jungen
Menschen in diesem Land den Generationenvertrag
nicht von sich aus kündigen werden.


(Erika Lotz [SPD]: Was ist das für ein dummes Gerede!)


Die demographische Entwicklung zeigt, dass wir poli-
tisch handeln müssen. Die F.D.P. versteht sich als die Par-
tei der sozialen Verantwortung.


(Lachen bei der PDS)

Wir fordern Sie deshalb auf, diese Gefälligkeitspolitik
endlich zu beenden! Wir fordern Sie auf, die Bilanz-
ergebnisse bei Ihren politischen Handlungen zu be-
rücksichtigen! An dem Umfang der Umsetzung der Er-
gebnisse der Generationenbilanz wird man Erfolg und
Misserfolg Ihrer Regierungsarbeit messen können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Der Haushaltsausschuss hat im ersten Satz eines Ent-

schließungsantrages, der Ihnen vorliegt, gesagt – ich zi-
tiere –:

Eine Zuordnung der Abgaben an den Staat und der
Leistungen des Staates zu einzelnen Altersgruppen
der Bevölkerung kann wichtige Hinweise für die
Ausrichtung der Finanzpolitik liefern und Reform-
bedarf verdeutlichen.

(Erika Lotz [SPD]: Herr Niebel, lesen Sie ein mal den letzten Satz vor!)

Genauso ist das. Es gibt überhaupt keine Veranlassung,
dieses wichtige Thema wieder einmal in einen Arbeits-
kreis abzuschieben. Ihre Tatenlosigkeit geht den Men-
schen in diesem Land auf die Nerven! Es ist in der Öf-
fentlichkeit einfach nicht mehr erklärbar, wieso, weshalb
und warum Sie versuchen, eine Generation gegen die an-
dere Generation auszuspielen.


(Erika Lotz [SPD]: Lesen Sie noch den letzten Satz vor!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dr. Thea Dückert
13830


(C)



(D)



(A)



(B)


Es geht nicht nur darum, dass die Jungen keine Rente
mehr bekommen werden, wenn Sie so weitermachen. Es
geht auch darum, dass sich die Älteren Gedanken und Sor-
gen über die Zukunft ihrer Kinder machen. Ich sage Ihnen
offen und ehrlich: Das ist keine Fairness und keine gleich-
mäßige Belastung unterschiedlicher Generationen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wenn ich mir den Antrag der Union ansehe, dann muss

ich feststellen: Es ist selbstverständlich richtig, dieses
Thema zu bearbeiten. Er ist aber auch der Beweis dafür,
dass es dringend notwendig ist, in naher Zukunft, noch in
dieser Legislaturperiode und deutlich vor der Bundes-
tagswahl, die Zuwanderung in diesem Land gesetzlich
zu regeln.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten Frau Schwaetzer reden lassen sollen, die hat zur Rente wenigstens etwas zu sagen!)


Die F.D.P. hat hierzu mittlerweile zwei Vorschläge in die
Beratungen des Deutschen Bundestages eingebracht. Wir
werden uns auf der Basis dieser Vorschläge bestimmt mit
Ihnen verständigen können. Sie sind die Grundlage dafür,
dass sich die Liberalen wie bei so vielen Gesetzesvorha-
ben durchsetzen werden.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss:
Generationenbilanz, Transparenz, F.D.P. – mehr davon.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. – Lachen bei der SPD und bei der PDS – Erika Lotz [SPD]: Das war der Weihnachtswunsch von Herrn Niebel!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414107900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Pia Maier.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1414108000
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Was wir hier gerade von der CDU und von der
F.D.P. gehört haben, klang schon dramatisch: Herr Storm
hat die Zukunft furchtbar schwarz gemalt; Herr Niebel
sieht die Zukunft seiner Kinder „verfrühstückt“.

Was Sie mit Ihren Anträgen erzeugen wollen, ist Panik
vor jeder Rentenreform, vor dieser wie vor einer alterna-
tiven, die durchaus möglich wäre. Das ist wirklich nicht
die richtige Zeit dafür.


(Beifall bei der PDS)

Herr Storm hat freundlicherweise schon ein paar Zah-

len zum Verhältnis Beitragszahler–Rentner zitiert. Ich
möchte noch eine Zahl hinzufügen und fange der Voll-
ständigkeit halber von vorne an: 1965 haben 4,6 Beitrags-
zahler einen Rentner finanziert. Heute sind es 2,4. 2030
werden es 1,7 sein. Eine Halbierung des Verhältnisses von
Beitragszahlern zu Rentnern haben wir in den letzten
35 Jahren schon erlebt. Ich sehe nicht ein, warum eine ge-
ringere Verschiebung des Verhältnisses in den nächsten
30 Jahren eine Rentenreform, wie sie die derzeitige Re-
gierungskoalition plant, wirklich rechtfertigen soll.


(Beifall bei der PDS)


Eine Rentenreform geht auch anders. Es geht nämlich
nicht nur um das Verhältnis von Alten zu Jungen, sondern
auch um das Verhältnis von Einnahmen zu Ausgaben, die
für die Rente verwandt werden. Es geht um eine Auswei-
tung der Beitragspflicht, mit der man auch die Beiträge
zur Rentenversicherung erhöhen könnte, mit der man
dafür sorgen könnte, dass es eine Rente von allen für alle
bleibt.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Genau darum geht es!)

Es geht auch nicht nur um die Frage der Belastung mit

Steuern und Abgaben, wie sie die F.D.P. bis auf Heller und
Pfennig genau ausgerechnet haben möchte, sondern es
geht um die Frage der Bemessungsgrundlage für die Bei-
träge, nicht nur für die Arbeitnehmer und Arbeitnehme-
rinnen, sondern auch für die Unternehmen.

Der technische Fortschritt, den sich vor der Einführung
der sozialen Sicherungssysteme ja auch keiner vorstellen
konnte, wird weitergehen und die Sozialversicherungen
haben sich angepasst. Heute ist mit immer weniger
Arbeitskräften immer mehr Wertschöpfung möglich. Die
Produktivität ist enorm gestiegen. Deswegen ging auch
die Veränderung der sozialen Sicherungssysteme bis
heute gut.

Auf diese Belastungen und Veränderungen müssen wir
reagieren. Eine Wertschöpfungsabgabe, bei der die
Beiträge zur sozialen Sicherung nicht mehr nach Arbeits-
kräften, sondern nach der Wertschöpfung des Betriebes
festgelegt werden, wäre wirklich eine Alternative, um die
Beitragslast der Unternehmer zeitnah und modern zu ge-
stalten.


(Beifall bei der PDS)

Der Panikmache kann also weder mit dem Konzept der

CDU/CSU wirksam begegenet werden noch mit der Ge-
nerationenbilanz der F.D.P., noch mit der aktuellen Re-
form, wie die Regierungskoalition sie vorschlägt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist keine Generationenbilanz der F.D.P.! Das ist eine Chance für alle Generationen!)


Ein Systembruch hin zu einer zwangsweisen privaten
Vorsorge ist, wenn man nicht nur die Zahlen zur Ent-
wicklung der Rente und der sozialen Sicherung von heute
bis 2030, sondern auch die Entwicklung in den letzten
30 Jahren berücksichtigt, nicht nötig. Eine Alternative ist
wirklich möglich. Es gibt eine andere Rentenreform, die
sowohl den jetzigen Rentnern und Rentnerinnen als auch
meiner Generation und zukünftigen Generationen ihre
Rente sichert.

Meine Damen und Herren, es ist der letzte Plenarsit-
zungstag vor Weihnachten. Es ist bereits gestern Abend
hier etwas lockerer zugegangen. Ich möchte meine letzte
Rede vor Weihnachten auch dazu nutzen, noch ein kleines
Geschenk zu überreichen. Mein Geschenk soll an Herrn
Bundeskanzler Schröder gehen. Ich hoffe, Frau Mascher
übergibt es ihm im Kabinett.


(Abg. Angela Marquardt [PDS] legt ein Lebkuchenherz auf den Stuhl des Bundeskanzlers)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Dirk Niebel

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Ich hoffe, dass Herr Schröder an dem „Basta“, das er
geäußert hat, noch lange zu knabbern haben wird und dass
er dieses Lebkuchenherz solidarisch mit dem ganzen Ka-
binett teilt.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Dann war das mit dem Verfrühstücken ja gar nicht so falsch!)


Es ist Weihnachten. Ich wünsche noch einen schönen
Tag.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414108100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Johannes Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1414108200
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts wird die
sozialen Grundlagen in den kommenden Jahren in
Deutschland so sehr beeinflussen wie der Verlust des
Gleichgewichts zwischen den Generationen. Wenn sich
der freie Fall der Geburtenzahlen in Deutschland so fort-
setzt, dann werden weder die Rentenversicherung noch
die Krankenversicherung noch die Pflegeversicherung
dauerhaft auf einem sicheren und festen Fundament wei-
terentwickelt werden können.

Um gleich zu Beginn jedes Missverständnis auszu-
schließen, sage ich: Wenn wir diese Thematik hier ernst-
haft und seriös diskutieren, geht es nicht darum, die Zahl
der Deutschen zu erhöhen. Die Berechenbarkeit der so-
zialen Sicherungssysteme in Deutschland hängt nicht da-
von ab, ob 70, 80 oder 85 Millionen Einwohner in der
Bundesrepublik leben. Die Sicherheit der Rente und die
Finanzierbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherung
hängen aber sehr wohl davon ab, dass das Gleichgewicht
zwischen den Generationen nicht weiter aus der Balance
gerät.


(Erika Lotz [SPD]: Sie hängen davon ab, dass Arbeitsplätze da sind!)


Derzeit stehen zehn Personen im erwerbsfähigen Alter
ungefähr vier Personen gegenüber, die über 60 Jahre alt
sind. In den kommenden Jahren, bis 2030, wird sich das
Verhältnis dramatisch ändern: Dann werden zehn er-
werbsfähigen Personen rund acht Rentner gegenüberste-
hen. Der bisherige Generationenvertrag wird damit fak-
tisch aufgekündigt.

Eine gleiche Entwicklung sehen wir in unseren euro-
päischen Nachbarländern, gerade in Italien, Griechenland
oder Spanien. Diese Länder galten in der Vergangenheit
immer als besonders familien- und kinderfreundlich. Dort
ist jetzt eine ähnliche Entwicklung und eine gleiche Pro-
blematik feststellbar; für Deutschland ist sie allerdings
besonders gravierend.

Schauen wir uns nur den Arbeitsmarkt an! Jahr für
Jahr scheiden 230 000 Menschen mehr aus dem Erwerbs-
leben aus, als neu hinzukommen. Das bedeutet natürlich
auch, dass 230 000 Beitragszahler für die Sozialversiche-
rungssysteme fehlen. Die Zahl der Arbeitslosen wird

selbstverständlich entsprechend sinken. Das ist eine
kleine Rechenoperation, die jeder nachvollziehen kann.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Bei den Krankenversicherungen steigen die Behand-

lungskosten naturgemäß mit dem Alter an. Eine DIW-
Studie prognostiziert allein aufgrund der Alterung der
deutschen Bevölkerung bei konstanter Medizintechnik im
Jahr 2040 einen Beitragssatz von etwa 15,5 Prozent. Bei
zunehmendem medizinischen Fortschritt könnte er leicht
über 23 Prozent liegen.

Von der Pflegeversicherung erhalten heute etwa
1,7 Millionen Menschen Leistungen. Durch die demogra-
phische Entwicklung rechnet man bis zum Jahr 2010, in
also nicht einmal mehr neun Jahren, mit weiteren 350 000
Pflegebedürftigen.

Diese einschneidende demographische Entwicklung,
die die Grundlagen unseres Zusammenlebens dramatisch
ändern wird, bedarf einer eingehenden Erläuterung im
Deutschen Bundestag. Es bedarf entsprechend klarer Ent-
scheidungsgrundlagen. Deshalb haben wir diesen Antrag
eingebracht und wir hoffen, einen Bericht zu erhalten.

Die Zuwanderung, die gerne als Antwort auf die de-
mographischen Probleme gesehen wird, wird diese
Schwierigkeiten weder in Deutschland noch in Europa
insgesamt lösen können.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Lösen nicht, aber vermindern!)


Um die Balance zwischen den Generationen zu halten,
wäre nach einer Modellrechnung der Vereinten Nationen
eine jährliche Zuwanderung nach Deutschland von sage
und schreibe 3,5Millionen Menschen nötig. Nur so würde
die Relation der 15- bis 64-Jährigen zu den über 64-Jähri-
gen konstant bleiben. Es geht also um das Generationen-
verhältnis. Wenn wir tatsächlich 3,5 Millionen Menschen
einwandern lassen würden, was von niemandem in die-
sem Hause ernsthaft vertreten wird – ich kenne jedenfalls
keine Stimme in dieser Richtung –, entspräche das pro
Jahr einer Zuwanderungsrate in Höhe der Bevölkerungs-
dichte von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vor-
pommern. Das würde die Menschen in Deutschland über-
fordern.

Was wir in Deutschland brauchen – daran führt kein
Weg vorbei –, ist eine dauerhafte Änderung des demogra-
phischen Verhaltens. Das heißt, wir brauchen wieder mehr
Kinder in unserem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Weihnachten ist Zeit!)


Deshalb müssen wir eine zukunftsgerichtete Familien-
politik betreiben, die diesen Namen verdient: kein staat-
licher Druck zu mehr Kindern, aber Hilfe und Unterstüt-
zung für die jungen Paare, die sich Kinder wünschen.

Ich nenne Ihnen drei Beispiele. Erstens. Es ist ein
Skandal, dass Kinder in Deutschland in vielen Fällen zum
Armutsrisiko werden, dass Familien mit Kindern im rei-
chen Deutschland immer mehr auf der Schattenseite leben.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Pia Maier
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(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das produziert?)


Wir können sicherlich nicht alle finanziellen Aufwendun-
gen für Kinder ausgleichen, aber wir müssen einen großen
Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit gehen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen sogar bestätigt, dass Sie das vernachlässigt haben!)


Wir haben deshalb vonseiten der CSU vorgeschlagen,
zunächst ein Familiengeld von 1 000 DM pro Kind und
Monat zu vereinbaren und dabei die bisherigen Leistun-
gen wie Erziehungsgeld und Kindergeld zusammenzufas-
sen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Warum haben Sie das nicht vor fünf Jahren gesagt?)


– Sie brauchen hier nicht so laut zu schreien. Sie müssen
nur einfach diesen Vorschlag aufgreifen. Das wäre besser.


(Erika Lotz [SPD]: Jetzt können Sie das leicht sagen! Das hätten Sie früher machen sollen!)


Zweitens brauchen wir eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf. Das betrifft vor allem junge Frauen
mit einer langer Ausbildung, die ihren Beruf ausüben und
nicht vor die Entscheidung „Beruf und Karriere oder Kin-
der“ gestellt werden wollen.


(Erika Lotz [SPD]: Ausbildungszeiten in der Rente haben Sie gekürzt!)


Drittens brauchen wir auch wieder – das ist vielleicht
das Wichtigste – eine Aufwertung der Erziehungsleistun-
gen in der Öffentlichkeit. Kinder zu erziehen, Kraft, Mühe
und auch Freude in die Sozialisation von Kindern einzu-
bringen, ist eine Aufgabe, die bei uns zu gering geschätzt
wird. Auf der anderen Seite kann keine andere Institution
diese Aufgabe so gut wie die Familie lösen.

Meine Damen und Herren, ein Land ohne Kinder ist
ein Land ohne Zukunft. Wir wollen, dass unser Land eine
Zukunft hat. Deshalb sind wir für eine Familienpolitik,
die diesen Namen verdient. Ich fordere Sie auf, mitzuma-
chen und unsere Vorschläge aufzugreifen; dann sind Sie
auf der richtigen Seite.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414108300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4645 und 14/4730 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. zur jährlichen
Vorlage einer Generationenbilanz und Aufnahme der
Daten in die Haushaltsstatistik des Bundes, Druck-

sache 14/4910. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksa-
che 14/1758 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ist
die Beschlussempfehlung angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/4910 die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Gegen die Stimmen von CDU/CSU ist die
Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunktpunkt 13 auf:
Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem
Gesetz zur Ergänzung des Lebenspartner-

(Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz – LpartGErG)

– Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550,
14/4875, 14/4878 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Margot von Renesse, SPD-Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1414108400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die CDU will eine Debatte zur
Anrufung des Vermittlungsausschusses. Sie können sie
haben. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass
ein Parlament, das ein Gesetz verabschiedet hat, dem die
Zustimmung des Bundesrates verweigert wurde, auch
wenn es zustimmungspflichtig ist, an der Durchsetzung
des von ihm verabschiedeten Gesetzes automatisch inte-
ressiert ist. Eigentlich hätte es keiner Debatte zu dieser
Selbstverständlichkeit bedurft. Aber bitte sehr, Sie be-
kommen sie.

Was ist in diesem Gesetz enthalten? Ich bin sehr ge-
spannt, wie die CDU sich verhalten wird, da sie nach
ihrem kleinen Parteitag vor gut einem Jahr erklärt hat, sie
sei zwar im Prinzip gegen das familienrechtliche Institut
– das ist Ihnen unbenommen–, aber für Lebenserleichte-
rungen sei sie sehr. Nun geht es in diesem zustimmungs-
pflichtigen Gesetz zentral um Lebenserleichterungen. Es
ist mir daher unklar, wie Sie sich argumentativ verhalten
wollen; aber wir werden es abwarten. Ich erwarte jeden-
falls, dass sich in der Diskussion, die hoffentlich anders
als in der zweiten und dritten Lesung verlaufen wird, die
ich noch lebhaft in Erinnerung habe, Kompromisse so-
wohl mit der F.D.P. als auch mit der CDU/CSU finden las-
sen.


(Zuruf des Abg. Rainer Funke [F.D.P.])


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Johannes Singhammer

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– Bitte jetzt keine Zwischenrufe! Ich bin es inzwischen
ein bisschen leid, wenn Sie erlauben.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Ich richte mich nach Ihnen!)


– Danke schön.
Fangen wir einmal mit der F.D.P. an. Die F.D.P. hat in

ihrem Gesetzentwurf erbschaftsteuerrechtliche Regelun-
gen, die wir auch haben. Ich denke daher, dass es relativ
einfach sein wird, sich mit Ihnen zumindest in diesem
Punkt zu einigen. Was Sie nicht haben, sind Regelungen
im Einkommensteuerrecht. Das ist insofern verblüffend,
als auch Sie gesetzliche Unterhaltspflichten – wenn
auch in geringerem Maße als wir – in Ihrem Gesetzent-
wurf vorsehen. Wir werden sicherlich darüber zu reden
haben, dass unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Grund-
gesetz, der die Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen
fordert, jedenfalls – wenn wir die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu diesem Themenkreis ernst
nehmen – unvermeidliche Abzüge von der Bemessungs-
grundlage zu berücksichtigen sind.

Über dieses Problem wird auch mit der CDU/CSU auf-
grund von durch die Verfassung gebotenen Regelungen,
die sie akzeptieren muss, weil sie den Grund dieser Rege-
lung, nämlich das Bestehen einer Unterhaltspflicht, nun
einmal hinzunehmen hat, zu reden sein. Herr Geis, wir
werden uns sicherlich bei Philippi, das heißt in Karlsruhe,
wiedersehen. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass von
den von Ihnen benannten Sachverständigen nicht ein Ein-
ziger das von Ihnen viel gebrauchte Argument wiederholt
hat, bereits die Existenz eines familienrechtlichen Insti-
tuts für gleichgeschlechtliche Paare sei ein Angriff auf
Art. 6 Grundgesetz, weil die Einzigartigkeit der Stellung
der Ehe dadurch gefährdet werde.

Die Argumente, die auf diesem Gebiet von zwei Sach-
verständigen geäußert wurden, waren eher etwas apo-
kryph: Der eine beklagte das Fehlen der Eheschließungs-
freiheit für den Fall, dass man in einer solchen
Lebenspartnerschaft lebe – daraufhin ergab sich ein ge-
wisses Wogen in der Runde, weil dieses Argument wirk-
lich etwas eigentümlich war – und der Zweite sagte, die
Existenz eines solchen Instituts könne möglicherweise
ambivalente Personen zur Homosexualität verführen.
Dieses Argument unterstellt, dass die Homosexualität von
Verfassung wegen gegenüber der Heterosexualität min-
derwertig sei. Ich denke, dass davon in der Verfassung
nichts zu lesen ist, wie im Übrigen in der Verfassung auch
nicht zu lesen ist, dass Ehelosigkeit etwas Schlechteres
sei als die Ehe. Das wäre nämlich die negative Kehrseite
der Eheschließungsfreiheit, die ich zumindest nicht hin-
nähme.

Ich denke, dass wir uns darüber unterhalten müssen,
und zwar ohne Schaum vor dem Mund und unter Akzep-
tanz dessen, dass wir den ersten Teil dieses Gesetzes be-
reits verabschiedet haben. Wir mussten gewisse Hürden
hinnehmen – das gebe ich zu –, die aber nicht in unserem
Verantwortungsbereich lagen. Sie müssen diese Tatsache
hinnehmen, bis Karlsruhe möglicherweise etwas anderes
sagt, was wir alle nicht wissen. Nach einem Spruch von

Karlsruhe können die entsprechenden Schlussfolgerun-
gen gezogen werden.

Das gilt übrigens auch für das Beihilferecht, das keine
Konsequenz aus Art. 6 Grundgesetz ist, sondern das sich
auf die berühmten hergebrachten Grundsätze des Berufs-
beamtentums gründet, die den Dienstherrn zur Fürsorge
gegenüber seinen Beamten verpflichten. Der Beamte er-
hält Beihilfe nicht nur für seine unterhaltsberechtigten na-
hen Angehörigen, sondern zum Beispiel auch für Umzüge
oder – wie uns in einem sehr berühmten Fall klar gemacht
worden ist – sogar für Prozesskosten, die mit Art. 6
Grundgesetz nun wirklich nichts zu tun haben. Ich denke
also, dass die Unterhaltspflicht bzw. das Unterhaltsrecht
die Basis des Beihilferechts bildet. Wenn wir in der ge-
setzlichen Krankenkasse eine Familienmitversicherung
haben, erscheint es mir schwer vertretbar, wenn irgend-
wann ein beamtenrechtlicher Dienstherr sagen sollte, in
Bezug auf seine Beamten ginge ihn das nichts an.

Dass wir bei der Regelung des BSHG die Länder, wie
ich hoffe, auf unserer Seite haben, steht auf einem ganz
anderen Blatt. Es kann doch wohl nicht ernsthaft sein,
dass ein heterosexuelles Paar, das verheiratet oder unver-
heiratet zusammenlebt, im Rahmen der Sozialhilfe eine
vorhandene Unterhaltsleistung angerechnet bekommt,
während ein homosexuelles Paar, das in einer ebensol-
chen Beistandsgemeinschaft lebt, davon verschont bleibt.
Ich habe immer gesagt, die gleichgeschlechtlichen Paare
stehen meinem Herzen nicht so nahe, dass ich deswegen
heterosexuelle Paare schlechter behandelt sehen möchte.
Ich denke, das wird bei Ihnen nicht anders sein; das ver-
mute ich zumindest. Ich hoffe daher, dass wir auch in die-
sem Punkt zu einem Ergebnis kommen werden.

Übrig bleibt die Frage der Eheschließung vor dem
Standesamt.Die sakramentale Funktion des Standesamts
verblüfft mich, weil ich aus dem Geschichtsunterricht
noch gut weiß, dass dies die Konsequenz aus dem Kul-
turkampf war. Ich wage mir kaum auszumalen, was der
selige Bismarck zu dem sagen würde, was heute daraus
gemacht wird. Ich kann mich jedenfalls daran erinnern, in
Geschichte gelernt zu haben, dass eine Reihe katholischer
Bischöfe im Zusammenhang mit der Aussage, der Stan-
desbeamte habe mit der Ehe nichts zu tun, ins Gefängnis
gingen. Wenn Sie aber doch der Auffassung sind, dass ein
gleichgeschlechtliches Paar es nicht wert sei, einem deut-
schen Standesbeamten ins Auge zu blicken, dann sei es
drum. Dann machen Sie es eben beim Einwohnermelde-
amt oder von mir aus beim Handelsregister. Darüber wer-
den wir uns einigen können.

Ich glaube, es gibt gute Gründe, von einer Einigung
auszugehen, gerade wegen des kleinen Parteitags der
CDU. Weil ich mich zusammen mit Herrn Beck schon seit
vielen Jahren mit diesem Thema beschäftige, mache ich
Sie jedenfalls auf eines aufmerksam: Ich wäre niemals be-
reit gewesen – das hätte niemand erwarten dürfen –, etwas
am Gewicht des Art. 6 des Grundgesetzes – kein Jota, kein
Gramm – zu ändern; denn ich gehöre zu den Leuten, de-
ren Familienbiographie Kardinal Meisner nur Freude ma-
chen würde. Deswegen kann ich mit gutem Recht sagen:

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Margot von Renesse
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Ich erwarte einen Kompromiss. Ich denke, dass wir alle
inzwischen gelassen genug sind, um ihn zu finden.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414108500
Jetzt hat das Wort der
Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1414108600
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hier dazu
Stellung zu nehmen, weshalb die CDU/CSU-Fraktion das
Vermittlungsbegehren der SPD und der Grünen ablehnen
wird.

Die Koalitionsparteien haben den Entwurf des Lebens-
partnerschaftsgesetzes im Frühsommer in den Bundes-
tag eingebracht. Darüber haben wir Anfang Juli in erster
Lesung beraten. Von Anfang an war sichtbar, dass sich die
Unionsparteien ganz entschieden gegen dieses Gesetz
wenden. Das galt nicht nur für die CDU/CSU-Fraktion im
Bundestag, sondern auch für die Bundesländer, in denen
die CDU oder die CSU an der Landesregierung beteiligt
ist. Damit war auch von Anfang an klar, dass dieses Ge-
setz den Bundesrat nicht als ein Gesetz passieren würde,
jedenfalls nicht in der damaligen Form, in der der gesamte
Sachverhalt geregelt wird; denn dieser Gesetzentwurf ent-
hielt bekanntermaßen sowohl zustimmungspflichtige als
auch zustimmungsfreie Teile.

Deshalb war es für uns unverständlich, weshalb die
Koalitionsparteien die Aufspaltung dieses Gesetzes erst
auf den letzten Drücker vorgenommen haben. Ein Groß-
teil der Ausschussmitglieder hat die beiden Gesetzent-
würfe, die früher ein Gesetzentwurf gewesen waren,
äußerst kurzfristig erhalten. Eine vernünftige Beratung in
der Fraktion und ihren Gremien über die Frage, ob die
Aufspaltung gelungen sei, ob nicht doch zustimmungs-
pflichtige Teile in dem einen oder anderen Gesetzentwurf
enthalten seien, war nicht mehr möglich. Deshalb haben
wir am Mittwoch, den 8. November, also an dem Tag, an
dem der Ausschuss getagt hat, darum gebeten, die Bera-
tungen um acht Tage zu verschieben; denn wir wollten uns
erst einmal über die eben genannten Fragen klar werden.
Aber sowohl unsere Anregung, dazu erst einmal Experten
anzuhören, als auch unsere Bitte, die Beratungen um acht
Tage zu verschieben, wurde einfach abgebügelt. Dieses
Verhalten der Koalition ist für mich nach wie vor unver-
ständlich, zumal es dafür überhaupt keinen Grund gab.
Hier hat man einfach mit den Muskeln gespielt. Es hat
sich jetzt erwiesen, dass das falsch war; denn die Auf-
spaltung ist nach unserer Meinung nicht gelungen.

Die Aufspaltung ist nach unserer Auffassung nicht ge-
lungen, weil es Ihnen aufgrund der Hast und der Schnel-
ligkeit, mit der dieses Gesetz durch den Ausschuss und
das Parlament geboxt werden musste, nicht möglich war,
wichtige Elemente aus dem angeblich zustimmungsfreien
Teil herauszunehmen, zum Beispiel den Standesbeam-
ten. Diesen wollten Sie ursprünglich herausnehmen. Das
sei Ihnen zugestanden und dazu liegt auch ein entspre-
chender Antrag mit Datum vom 3. November vor. Aber

zum Schluss tauchte der Standesbeamte in der Beschluss-
empfehlung des Rechtsausschusses wieder auf. Dies ging
auch so durch den Bundestag und den Bundesrat und ist
nun im Gesetz enthalten. Damit ist dieses Gesetz vom
äußeren Anschein her zunächst einmal zustimmungs-
pflichtig. Insoweit ist die Aufspaltung nicht gelungen.

Das Bundesjustizministerium hat zwar inzwischen ein
Berichtigungsverfahren nach der Gemeinsamen Ge-
schäftsordnung von Bundestag und Bundesrat eingeleitet.
Ich weiß nicht, ob der Bundestagspräsident und der
Bundesratspräsident der Berichtigung zustimmen wer-
den. Peinlich ist die Sache allemal, und zwar in höchstem
Maße. Die interessante Frage ist – zumindest für das Bun-
desverfassungsgericht –, ob eine solche nachträgliche Be-
richtigung überhaupt zulässig ist. Angesichts der Tatsa-
che, dass in diesem angeblich zustimmungsfreien Gesetz
noch immer Bezug auf das Namensrecht genommen wird,
wodurch der Standesbeamte wieder ins Spiel gebracht
wird und unter Umständen im Gesetz bleibt, sind die
Zweifel berechtigt, ob die Aufspaltung wirklich gelungen
ist.

Zudem enthält dieses angeblich zustimmungsfreie Ge-
setz, so sagt jedenfalls der Innenausschuss des Bundesra-
tes, nach wie vor ausländerrechtliche Regelungen und
damit auch Ausführungsregelungen. Deshalb ist der In-
nenausschuss des Bundesrates der Auffassung, das Gesetz
sei nach wie vor zustimmungspflichtig. – Über die Frage,
ob die Aufspaltung gelungen ist, besteht also Streit.

Die Aufspaltung ist nach unserer Meinung auch un-
zulässig, weil beide Gesetzesteile – Frau von Renesse, Sie
benutzten dieses Wort vorhin zu Recht; es handelt sich um
Teile einer Gesamtregelung – zusammengehören. Auch
ich weiß, dass der Bundestag aufgrund seiner gesetzgebe-
rischen Freiheit Gesetzentwürfe so gestalten kann, dass
ein Teil zustimmungsfrei und der andere zustimmungs-
pflichtig ist. Aber diese Freiheit hat immer dort ihre
Grenze, wo Willkür im Spiel ist. Willkür ist immer dann
im Spiel, wenn beide Gesetzesteile unabdingbar aufei-
nander angewiesen sind.

Dass genau das in diesem Fall zutrifft, haben Sie sehr
plausibel vorgetragen: Das so genannte Ergänzungsge-
setz kann ohne das Lebenspartnerschaftsgesetz gar nicht
existieren; dies macht keinen Sinn. Das so genannte Er-
gänzungsgesetz kann schlecht im Bundesgesetzblatt ste-
hen, wenn das angeblich zustimmungsfreie Lebenspart-
nerschaftsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht
keinen Bestand hat. Schon aufgrund dieser Überlegung
sind beide Gesetze zweifellos aufeinander angewiesen.


(Zuruf der Abg. Margot von Renesse [SPD]: Aber das erste geht ohne das zweite!)


– Vielleicht machen auch Sie jetzt keine Zwischenrufe.
Wie sehr die beiden Gesetze aufeinander angewiesen

sind, zeigt sich noch in vielen anderen Punkten, zum Bei-
spiel in der Unterhaltsregelung, einer Kernregelung des
Gesetzesvorhabens als Ganzem. Wir wissen, dass, wie
bei Eheleuten, die Unterhaltsregelung gleichgeschlecht-
licher Partner im Lebenspartnerschaftsgesetz verankert
ist. Dagegen sind Fragen des Steuerrechts oder des Be-
amtenrechts – ich erinnere an das Beihilferecht –, die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Margot von Renesse

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(B)


Partnerschaften dieser Art betreffen, im Ergänzungsge-
setz geregelt. Da Unterhaltsregelung und steuerrechtliche
Fragen aber unmittelbar zusammenhängen, können sie ei-
gentlich nicht in unterschiedlichen Gesetzen behandelt
werden.

Dasselbe gilt für das Erbrecht. Das so genannte
Stammgesetz enthält die erbrechtliche Regelung. Die
steuerlichen Folgen der erbrechtlichen Regelung befinden
sich allerdings im Ergänzungsgesetz. Wiederum hängt
beides eng zusammen. Ich meine, dass verfassungsrecht-
liche Zweifel an der Zulässigkeit der Aufspaltung dieses
Gesetzes sehr wohl berechtigt sind.

Wir sind aus einem weiteren Grund – dieser Punkt ist
schon vorhin genannt worden – der Auffassung, dass die-
ses Gesetz abgelehnt werden sollte. Wir teilen die Ansicht
des Innenministers, dass sowohl der zustimmungsfreie
Hauptteil als auch der zustimmungspflichtige Teil Art. 3
unserer Verfassung, des Grundgesetzes, nicht entspricht.
Wir glauben, dass es nicht richtig ist, gleichgeschlechtli-
che Gemeinschaften gegenüber anderen Verantwortungs-
gemeinschaften bevorzugt zu behandeln. Frau von
Renesse, hier handelt es sich um ein verfassungsrechtli-
ches Problem. Das sagt auch der Innenminister.

Über Art. 14Abs. 1 des Grundgesetzes kommt die Fra-
ge ins Spiel, ob nicht das Erbrecht stärker zu schützen ist.
Das ist die Auffassung des Innenministers, der ich mich
anschließe.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Erbrecht wird geschützt!– Margot von Renesse [SPD])

dem, der noch nicht gestorben ist?)

– Sie missverstehen das, was ich gesagt habe, ganz ein-
deutig. Sie sollten ein bisschen länger darüber nachden-
ken, was durch Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes ge-
schützt werden soll. Vielleicht fragen Sie einmal bei
Ihrem Parteifreund Schily nach; er wird es Ihnen mögli-
cherweise privatissime et gratis sagen. Die Zeit ist heute
zu kurz, um darauf weiter einzugehen.

Ich bin natürlich der Auffassung, dass Art. 6 des
Grundgesetzes verletzt ist. Es bestehen in höchstem
Maße verfassungsrechtliche Bedenken. Daher macht das
Gesetz insgesamt keinen Sinn. Man muss beide Teile vor
das Bundesverfassungsgericht bringen. Das Vermitt-
lungsverfahren selbst macht keinerlei Sinn; denn der eine
Teil kann nicht ohne den anderen bestehen. Es hat keinen
Sinn, jetzt bei einem Teil nach einem Kompromiss zu su-
chen, den anderen Teil aber so stehen zu lassen. Sie hät-
ten beide Teile zusammenlassen sollen. Dann hätten wir
vielleicht zu beiden Teilen im Vermittlungsausschuss, mit
den Kollegen aus Bundestag und Bundesrat eine Rege-
lung finden können. Aber Sie haben den ursprünglichen
Gesetzentwurf aufgespalten. Der eine Teil steht jetzt im
Raum, hilflos ohne den anderen, ein Ungeheuer gewis-
sermaßen, ein Unikum, eine Luftblase, wenn Sie so wol-
len.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie gegen eine Luftblase klagen?)


Aber lassen wir diese Qualifizierungen heute und blei-
ben wir bei rein juristischen Erwägungen. Ich meine, dass
erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Deshalb sind wir der Auffassung, dass das Vermitt-
lungsbegehren nichts bringen wird. Wir wenden uns da-
her dagegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414108700
Jetzt hat das Wort der
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414108800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende
dieser langen Sitzungswoche scheinen auch die Meta-
phern langsam auszugehen, zumindest humpeln die Bil-
der jetzt durch das Parlament.

Herr Geis, was Sie hier zum Verfahren gesagt haben,
bedarf einer Richtigstellung. Wir haben Sie zweieinhalb
Wochen vor der entscheidenden Rechtsausschusssitzung
in Berichterstattergesprächen informiert, wie wir verfah-
ren werden. Wir haben Ihnen auch gesagt, an welchem
Tag Sie die redaktionell überarbeiteten Entwürfe bekom-
men werden, die nur technisch auseinander genommen
wurden wie ein Reißverschluss. In der Sache war Ihnen
bekannt, was in ihnen steht. Fünf Tage vor der Rechts-
ausschusssitzung – und ich meine, das muss zum Lesen
reichen – haben Sie die Entwürfe per E-Mail in Ihren
Büros gehabt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, nein!)


Wenn Sie nicht in Ihren Büros arbeiten und diese Dinge
nicht abrufen, ist das Ihr Problem. Ihnen sind die Ent-
würfe sogar vom Bundesjustizministerium in den Wahl-
kreis geschickt worden, Herr Geis.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nicht vollständig!)


Da kann man sich wirklich nicht beschweren.
Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist am 10. November

vom Bundestag verabschiedet worden und hat den Bun-
desrat am 1. Dezember passiert. Dabei war eine so ge-
nannte offensichtliche Unrichtigkeit in der Vorlage, die
Sie gerade aufgegriffen haben. Die hat aber weder die Ko-
alition noch die Bundesregierung zu verantworten. Wir
haben einen korrekten Änderungsantrag in den Ausschuss
eingebracht. Wir wissen nicht, wie es passierte, aber im
Ausschusssekretariat wurde der Beschluss falsch proto-
kolliert und dem Plenum und damit auch dem Bundesrat
in zwei Punkten redaktionell falsch übermittelt. Die Ver-
antwortung für diesen Ausschuss trägt Herr Scholz von
der CDU, der heute nicht da ist und das nicht erklären
kann.

Wir sollten hier nicht mit Vorwürfen arbeiten. Ihr Ob-
mann, Herr Geis, hat ja auch zugestimmt, dass diese of-
fensichtliche Unrichtigkeit berichtigt wird. Deshalb soll-
ten wir das, nachdem wir so etwas vereinbart haben, hier
nicht noch einmal im Plenum scheinbar vor der Öffent-
lichkeit strittig stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Norbert Geis
13836


(C)



(D)



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(B)


Nun zur Sache. Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist
verabschiedet. Es werden damit viele Probleme gelöst
und es findet ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel in
unserem Land statt. Erstmals erkennt unsere Rechtsord-
nung homosexuelle Partnerschaften rechtlich an und
respektiert sie. Das ist ein entscheidender Schritt. Wir ha-
ben über 60 Gesetze geändert und deshalb auch die ganz
große Zahl von Problemen – auch in dem zustimmungs-
freien Teil – gelöst. Daher steht das Gesetz für sich auch
nicht hilflos in der Landschaft, sondern es ist ein gutes
Fundament für weitere rechtliche Entwicklungen.

Meine Damen und Herren, es ist nun entschieden: Das
Lebenspartnerschaftsgesetz, das familienrechtliche Insti-
tut, kommt ins Bundesgesetzblatt. Jetzt stellen sich nur ei-
nige Fragen, die sich darauf beziehen, ob allgemein gel-
tende Rechtsgrundsätze unserer Rechtsordnung auch für
die eingetragene Lebenspartnerschaft gelten. Die Frage
des Ob haben wir entschieden. Jetzt geht es nur noch in ei-
nigen Details um das Wie. Hier geht es darum, ob es zu ei-
ner parteipolitischen Blockade oder zu einer fachlichen,
sachgerechten Diskussion kommt. Ich hoffe, dass sich alle
Oppositionsparteien, die im Vermittlungsausschuss ver-
treten sind, für die offene Diskussion entscheiden und mit
uns in der Sache reden, vielleicht auch streiten, sodass wir
zu einem guten Kompromiss kommen.

Um welche Fragen geht es, Herr Geis? Beim Steuer-
recht geht es um die Grundsatzfragen: Gilt weiterhin, dass
man nur nach seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit be-
steuert werden darf? Und kann der Steuergesetzgeber da-
von absehen, dass der Familienrechtgesetzgeber gesetzli-
che Unterhaltsverpflichtungen geschaffen hat?

Das kann er nicht. Wenn wir es als Bundestag und als
Bundesrat nicht tun, dann werden das die Gerichte korri-
gieren. Wir können nicht aus rein parteipolitischer Taktik
bestimmte Rechtsgrundsätze aushebeln.

Das Gleiche gilt für das Sozialrecht. Bei der Bedürf-
tigkeitsprüfung können wir doch nicht davon absehen,
dass der Familienrechtsgesetzgeber gesetzliche Unter-
haltspflichten und -rechte geschaffen hat. Deshalb müs-
sen selbstverständlich – genau wie in der Ehe – das Ver-
mögen und das Einkommen des eingetragenen Lebens-
partners herangezogen werden,


(Margot von Renesse [SPD]: Zugunsten der Sozialhilfe)


bevor der Staat Sozialhilfe oder Wohngeld zahlen muss.
Das Gleiche gilt für das Beamtenrecht und das Ali-

mentationsprinzip. Selbstverständlich muss dabei auch
berücksichtigt werden, welche gesetzliche Unterhaltsver-
pflichtungen der zu alimentierende Beamte hat. Damit ist
auch die entsprechende Beihilfeberechtigung verfas-
sungsrechtlich zwingend einzuschließen.

Ein anderer, eher verwaltungsrechtlicher Grundsatz
gilt ebenfalls in diesem Land: Für Personenstandsfragen
ist nun einmal das Standesamt zuständig, nicht die Kfz-
Stelle oder das Grünflächenamt;


(Heiterkeit)

deshalb ist es vernünftig, dies auch in das Gesetz zu
schreiben.

Meine Damen und Herren, öffnen Sie sich, führen Sie
keinen Kulturkampf gegen die Rechte von Lesben und
Schwulen, sondern helfen Sie, mit uns eine sachgerechte
Lösung zu finden. Wir wollen uns gern gemeinsam mit Ih-
nen im Vermittlungsausschuss die dafür notwendige Be-
ratungszeit nehmen. Ich glaube, wenn der Rauch der
Schlacht der letzten Wochen verzogen und der Theater-
donner verhallt ist, können wir alle miteinander vielleicht
auch in der Sache vernünftig und ruhig ins Gespräch
kommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann hätten Sie sich anders verhalten müssen, Herr Beck!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414108900
Das Wort hat jetzt der
Kollege Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1414109000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Beck, wir werden keinen Kul-
turkampf miteinander auszutragen haben. Die F.D.P.-
Bundestagsfraktion begrüßt die Anrufung des Vermitt-
lungsausschusses zum Lebenspartnerschaftsgesetz. Es
besteht damit noch Hoffnung, insgesamt zu einer trag-
fähigen und praktikablen Lösung zu kommen.

Nach der Abstimmung im Bundesrat blieb von dem ur-
sprünglichen Reformwerk nur noch ein Torso übrig. Es
gibt einen Überhang an Pflichten, aber keinen Ausgleich
an Rechten. Dies ist zweifellos ein untragbarer Zustand,
der den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen in
keiner Weise gerecht wird. Mit der dilettantischen Taktik,
mit der Rot-Grün das Gesetz durch die Gremien des Bun-
destages und auch den Rechtsausschuss gepaukt hat – –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Funke, nun bringen Sie doch nicht so viel Schärfe hinein!)


– Ich bringe überhaupt keine Schärfe hinein. Es war
wirklich dilettantisch – Sie waren ja nicht dabei, Herr
Schmidt –, wie das im Bundestag und vor allem im
Rechtssausschuss durchgepaukt worden ist. Das hätten
Sie einmal erleben sollen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich habe mir immer berichten lassen, dass das von Ihnen völlig übertrieben kommentiert wurde!)


Da hätten Sie als Demokrat schon Ihre Zweifel bekom-
men.

Die Entscheidung des Bundesrates war von vornherein
absehbar. Wenn Sie, meine Damen und Herren von den
Regierungsfraktionen, frühzeitig das Gespräch auch mit
der F.D.P. und der Opposition insgesamt gesucht und die
Bereitschaft und den Willen zum Kompromiss gezeigt
hätten,


(Margot von Renesse [SPD]: Lieber Herr Funke, wie oft habe ich das gesucht!)


wäre uns dieses Schauspiel erspart geblieben.

(Beifall bei der F.D.P.)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Volker Beck (Köln)


13837


(C)



(D)



(A)



(B)


Die gestrige Erklärung des Bundestages zur Rehabili-
tierung von homosexuellen NS-Unrechtsopfern zeigt
doch, dass eine parteiübergreifende Einigung möglich ist,
wenn nur der Wille dazu vorhanden ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Bei diesem Gesetz war er leider nicht vorhanden.

Die F.D.P. wird in dem anstehenden Vermittlungsver-
fahren ihre Ideen erneut einbringen. Wir haben einen Ge-
setzentwurf vorgelegt. An diesem F.D.P.-Gesetzentwurf
werden wir uns zu orientieren haben. Wir werden erneut
für ein neues und modernes Rechtsinstitut für gleichge-
schlechtliche Paare werben. Wir wollen eine eingetragene
Lebenspartnerschaft, die nicht nur auf starren Verordnun-
gen und Reglementierungen beruht, sondern wir wollen
ein Institut, das offen ist für neue Wege. Wir werben für
mehr Freiheit und für mehr Flexibilität.


(Beifall bei der F.D.P.)

Gemeinsam und in Absprache mit den Landesregierun-
gen, an denen die F.D.P. beteiligt ist, wird sich die F.D.P.
in die Beratungen einbringen. Wir werden sehr genau da-
rauf achten, ob die Koalitionsparteien wirklich an einer
Zusammenarbeit interessiert sind oder ob es nur um die
Inszenierung eines Medienspektakels geht. Letzteres
wäre der Sache in keiner Weise angemessen.


(Beifall bei der F.D.P.)

An der F.D.P. wird eine vernünftige, verfassungsfeste

und von der breiten Gesellschaft getragene Lösung nicht
scheitern.


(Walter Hirche [F.D.P.]: „Verfassungsfest“, das ist entscheidend!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414109100
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Christina Schenk, PDS-Fraktion.


Christina Schenk (PDS):
Rede ID: ID1414109200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Selbstverständlich wird die PDS-
Fraktion dem Antrag auf Anrufung des Vermittlungsaus-
schusses zustimmen; denn wie sollte etwas besser werden
als dadurch, dass man miteinander redet.

Aus meiner Sicht wird immer deutlicher: Die Regie-
rungsfraktionen, namentlich die Grünen, haben sich ver-
kämpft. Sie haben sich in einem Projekt verkämpft, das
zum einen rechtssystematisch eine Fehlkonstruktion ist
und zum anderen an den Regelungsbedürfnissen derjeni-
gen, für die es vorgeblich gedacht ist, vorbeigeht.

SPD und Grüne haben den Gesetzentwurf in einen zu-
stimmungsfreien und einen zustimmungspflichtigen Teil
aufgesplittet. Dieses durchaus nicht unübliche Verfahren
ist im Fall der eingetragenen Lebenspartnerschaft hand-
werklich ein Unding. Nach der nun wahrlich nicht über-
raschenden Ablehnung durch den Bundesrat bleibt ein
Rechtsinstitut übrig, das grundlegende rechtliche Zusam-
menhänge in unüberbrückbare Widersprüche verwandelt.

Das führt zu Absurditäten, von denen ich hier nur einige
nennen möchte:

Die Lebenspartner sind während und nach der Partner-
schaft einander unterhaltsverpflichtet, ohne dass sie dies
wie Eheleute steuerlich geltend machen können; das ha-
ben andere hier auch schon angeführt. Ein zweites Bei-
spiel: Die Unterhaltsverpflichtung findet laut Gesetz zwar
bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe, nicht aber bei
der Sozialhilfe Berücksichtigung. Ein weiteres Beispiel:
Eingetragene Lebenspartner können nach dem Tod des
Partners zwar dessen Milchladen, nicht aber die Gaststätte
oder den Handwerksbetrieb weiterführen. Viertes und
letztes Beispiel: Während infolge einer Eheschließung der
Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für die Kinder entfällt,
ist dies bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht
der Fall, obwohl auch hier der Lebenspartner für die Kin-
der seiner Partnerin bzw. seines Partners unterhaltspflich-
tig wird.


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Diese Reihe von Beispielen könnte noch eine Weile fort-
geführt werden. Ich will in Anbetracht der Zeit darauf ver-
zichten.

Ich möchte hier noch einmal mit Nachdruck sagen:
Selbst wenn das Ergänzungsgesetz in Kraft treten würde,
blieben lesbischen und schwulen Paaren wesentliche
Eherechte versagt. Das hier von der Koalition postulierte
Abstandsgebot ist aus Sicht der PDS in keiner Weise sach-
gerecht und widerspricht zudem dem Gleichheitsgebot
des Art. 3 des Grundgesetzes.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Eine Regelung mit deutlichem Abstand zur Ehe wird

im Übrigen von der überwiegenden Mehrheit der Lesben
und Schwulen abgelehnt. Das ist zumindest das Ergebnis
der vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen
Studie des SOFOS-Instituts der Universität Bamberg.
Leider kennt kaum jemand diese Studie, obwohl sie be-
reits im Januar an das BMJ übergeben wurde. Ich meine,
das ist kein Zufall; denn das Konzept der eingetragenen
Lebenspartnerschaft passt nicht zu den Ergebnissen die-
ser Erhebung. In der Studie – das ist eine repräsentative
Studie, darauf möchte ich hinweisen – heißt es: Etwa zwei
Drittel der Befragten befürworten eine Regelung, die ih-
nen die Möglichkeit der flexiblen Ausgestaltung ihrer Be-
ziehungen gibt. Insofern finde ich den Ansatz der F.D.P.
in Teilen tatsächlich sehr modern; es lohnt sich also, hier
weiter über ihn zu diskutieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die zwei Drittel der Befragten, von denen ich sprach, for-
dern eine Reform des Familienrechts,


(Margot von Renesse [SPD]: Die die Ehe abschafft, darauf kommt es an!)


die die Vielfalt an familiären Lebensformen endlich zur
Kenntnis nimmt und diese nicht in das Korsett von an-
tiquiertem Eheballast und ungerechtfertigten Privilegien
presst.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Rainer Funke
13838


(C)



(D)



(A)



(B)


Abschließend möchte ich sagen: Es freut mich sehr,
dass auch im Bundesrat über Alternativen zur eingetra-
genen Lebenspartnerschaft nachgedacht und auf den fran-
zösischen Zivilpakt verwiesen wurde. Eine solche Rege-
lung nämlich wäre zukunftsfähig, weil sie für Homo- und
Heterosexuelle offen wäre und somit nicht eine diskrimi-
nierende Sondergesetzgebung für Lesben und Schwule
zur Folge hätte.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414109300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf An-
rufung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Er-
gänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und anderer
Gesetze. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache
14/4878? – Gegenprobe! – Der Antrag ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zurÄnderung des Versicherungsaufsichtsgeset-
zes, insbesondere zur Durchführung der EG-
Richtlinie 98/78/EGvom 27. Oktober 1998 über
die zusätzliche Beaufsichtigung der einer Versi-
cherungsgruppe angehörenden Versicherungs-
unternehmen sowie zur Umstellung von Vor-
schriften auf Euro
– Drucksache 14/4453 –

(Erste Beratung 130. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss) – Drucksache 14/4921 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Lennartz
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)


Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen da-
her gleich zur Abstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
Versicherungsaufsichtsgesetzes, Drucksachen 14/4453
und 14/4921. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim-
mig angenommen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Enthaltung der PDS!)

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit wenigen Enthaltungen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des


(ERPWirtschaftsplangesetz 2001)

– Drucksache 14/4299 –

(Erste Beratung 133. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/4930 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Ursula
Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
ERP-Sondervermögen für Mittelstandsförde-
rung erhöhen
–Drucksachen 14/4556, 14/4931 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margareta Wolf (Frankfurt)


Es ist zwar eine Aussprache vorgesehen; aber alle Re-
den, nämlich die der Kollegin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
und der Kollegen Otto Bernhardt, Hans-Josef Fell, Rainer
Funke und Rolf Kutzmutz, sind zu Protokoll gegeben
worden.1) Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines ERP-Wirt-
schaftsplangesetzes 2001, Drucksachen 14/4299 und
14/4930. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „ERP-Sondervermögen für Mittelstandsförde-
rung erhöhen“, Drucksache 14/4931. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4556 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist
die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Doris

Barnett, Silvia Schmidt (Eisleben), Klaus
Brandner, weiterer Abgeordneter und der Frak-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Christina Schenk

13839


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(B)


1) Anlage 19

tion der SPD sowie der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Volker Beck (Köln), Grietje
Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Teilhabe von Gehörlosen und Ertaubten an
der Informationsgesellschaft – Gleichbe-
rechtigten Zugang zum Fernsehen sichern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Diemers, Karl-Josef Laumann, Bernd
Neumann (Bremen), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion CDU/CSU/
Verbesserung des Programmangebots für
Schwerhörige, Gehörlose, Sehbehinderte
und Blinde im Fernsehen und den neuen
Medien
– Drucksachen 14/3382, 14/4385,14/4917 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Claudia Nolte

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Zunächst bekommt die
Kollegin Doris Barnett für die SPD-Fraktion das Wort.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1414109400
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Unser Antrag, den wir heute be-
handeln, hat seine Geschichte: Nicht der Weltbehinder-
tentag war Auslöser, nein, es war ein Betroffener, der sich
bei mir beschwerte, dass es im Fernsehen viel zu wenig
Sendungen für Hörgeschädigte und Ertaubte gebe. Diesen
Menschen ist ebenso wie den Sehbehinderten und Blin-
den die Teilhabe an der Informationsgesellschaft, so wie
wir sie kennen, weitgehend verwehrt – und das, obwohl
wir im Grundgesetz festgelegt haben, dass niemand we-
gen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Unser
aller Ziel – da sind sich die Fraktionen ja einig – ist nicht
die Ausgrenzung von Minderheiten, sondern deren selbst-
verständliche Teilhabe an der Informationsgesellschaft.
Also muss sich dies auch beim gleichberechtigten Zugang
zu den Medien abbilden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Der heutige Stand der Technik bietet dafür gute Mög-
lichkeiten. Das Internet ist gerade für Gehörlose und Er-
taubte das ideale Medium zur Teilhabe an der Informati-
onsvielfalt, die über diesen Verbreitungsweg angeboten
wird. Das gilt dank der vorhandenen Softwareprogramme
auch für die Sehbehinderten und die Blinden, wobei ich
nicht verschweigen will, dass die Kosten für die Son-
derausstattung der PCs vorerst noch erheblich sind.

Ich meine hier das klassische elektronische Medium,
das Fernsehen. Der Zugang für den betroffenen Perso-
nenkreis ist mangelhaft. Das liegt vielleicht auch daran,
dass wir viel zu lange taub und blind für die Bedürfnisse
unserer Mitbürger waren, die beim Hören und Sehen De-
fizite haben.


(Beifall bei der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)


Vielen Menschen, sicherlich auch Kolleginnen und
Kollegen hier im Hause, kommt es gar nicht in den Sinn,
dass Fernseher ein wichtiges Teilhabeinstrument auch für
die Menschen sind, die nicht oder nur schlecht hören oder
sehen können. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass
kaum einer von den inzwischen 14 Millionen Hörbehin-
derten und circa 700 000 Sehbehinderten einen Fernseher
besitzt. Der Bayerische Blinden- und Sehbehinderten-
bund hat 1996 eine Umfrage bei seinen Mitgliedern
durchgeführt und festgestellt, dass rund 97 Prozent der
Befragten ein Fernsehgerät besitzen und davon wieder
über 81 Prozent regelmäßig fernsehen.

Natürlich stehen Nachrichtensendungen auf der Be-
liebtheitsskala ganz oben, aber auch nur deshalb, weil
– bislang nur wenige – Sendungen mit Audiodeskrip-
tion – das ist eine besonders ausführliche Bildbeschrei-
bung auf der zweiten Tonspur – unterlegt sind. Zwar hat
sich die Zahl der Filme mit Audiodeskription von 1999 bis
2000 von 80 auf 140 Sendungen im öffentlich-rechtli-
chen Rundfunk, also bei ARD und ZDF, fast verdoppelt.
Auch Arte, 3sat und die dritten Programme der ARD
strahlen diese Audiodeskriptionsprogramme in Wieder-
holung aus. Aber von der Erfüllung des Wunsches der Be-
troffenen, nämlich einen Film pro Tag, sind wir noch weit
entfernt.

Das Kostenargument ist für mich an dieser Stelle nicht
überzeugend. Ein 90-Minuten-Film mit dieser besonde-
ren Bildbeschreibung verursacht lediglich Zusatzkosten
in Höhe von 8 000 bis 10 000 DM. Diese fallen aber, be-
trachtet man die Gesamtproduktionskosten, kaum ins Ge-
wicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für hörgeschädigte und gehörlose Zuschauer sind die
öffentlich-rechtlichen Sender bereits aktiver. Seit 1997
untertitelt der WDR jährlich 12 000 Sendeminuten neu.
Das sind 200 Stunden. Der Bayerische Rundfunk unterti-
telt 150 Stunden pro Jahr und andere Sender, auch das
ZDF, leisten einen Beitrag entsprechend ihrer Größe. Die
Kosten für die Untertitelung sind wirklich gering. Einen
„Tatort“ zu produzieren kostet 30 000 DM pro Sendemi-
nute, die Untertitelung aber nur 40 DM pro Minute. Es
kostet also gerade einmal 3 600 DM, einen 90-Minuten-
Film zu untertiteln.

Auf die Gebärdensprache sind in Deutschland etwa
80 000 bis maximal 180 000 Menschen angewiesen. Nach
Meinung des rheinland-pfälzischen Landesverbandes der
Gehörlosen ist sie eine wichtige Verständigungshilfe bei
aktuellen Sendungen wie Live-Berichten, politischen Ge-
sprächsrunden und Talkshows, weil hier ganz schnell
übersetzt werden muss. Bei Filmen wird Untertitelung be-
vorzugt. Phoenix bietet Gebärdendolmetscher bei Nach-
richtensendungen an. Diese Dienstleistung, also das
Übersetzen durch Gebärdendolmetscher, ist zwar deutlich
teurer als die Untertitelung. Aber sollte uns die Teilhabe
von Seh- und Hörbehinderten das nicht wert sein?


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn es darum geht, neue Technologien einzuführen,
gönnen wir uns oft einen Blick über den großen Teich.
Wenn es darum geht, Menschen mit Behinderungen den

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
13840


(C)



(D)



(A)



(B)


Zugang zum Medium Fernsehen zu gewährleisten, lohnt
es sich erst recht, in die USA zu blicken. Obwohl in den
USA öffentlich-rechtlicher Rundfunk so gut wie unbe-
kannt ist, gibt es dort hervorragende gesetzliche Re-
gelungen, um Gehörlose und Ertaubte, Sehbehinderte und
Blinde am alltäglichen Leben und somit auch am Fernse-
hen teilnehmen zu lassen. So wenig es dort denkbar ist, für
Rollstuhlfahrer keine Rampe zur öffentlichen Bibliothek
zu haben, so wenig ist es dort denkbar, keine Untertitelung
bzw. Audiodeskription zu haben.

Hören Sie bitte gut zu: 1990 wurde mit einer Über-
gangsfrist von drei Jahren gesetzlich geregelt, dass jedes
Fernsehgerät, das eine Bildschirmdiagonale von mehr als
33 cm hat, einen eingebauten Decoder für die Untertite-
lung haben muss, um den Millionen von Hörgeschädigten
die Teilhabe am aktuellen Leben zu ermöglichen. Ab 2002
müssen alle großen Fernsehanstalten – und die sind
privat – und die fünf größten Kabelbetreiber sicherstellen,
dass pro Quartal mindestens 50 Sendestunden neu mit Au-
diodeskription unterlegt sind, damit auch Sehbehinderte
nicht ausgeschlossen bleiben.

Auch in England wird für seh- und hörbehinderte
Menschen sehr viel getan. Mindestens 15 Programmstun-
den pro Woche müssen pro Sender mit Audiodeskription
für Sehbehinderte unterlegt sein. Was die Gehörlosen
anbelangt: Bei BBC 1 sind zurzeit 70 Prozent aller Pro-
gramme untertitelt. Bis 2008 soll das gesamte Programm-
angebot untertitelt sein. Dann ist dort das Fernseh-
programm für Gehörlose diskriminierungsfrei.
Mit Blick auf das, was für seh- und hörgeschädigte Men-
schen getan werden kann, müssen wir auch hier endlich
aufwachen und handeln.

Sicher, der Bundestag kann nicht in die Rundfunkho-
heit der Länder eingreifen. Aber als der für das SGB IX
zuständige Gesetzgeber haben wir die Pflicht, auf Defizite
aufmerksam zu machen und deren Beseitigung anzumah-
nen, wenn dies vonseiten der Verantwortlichen nicht ge-
schieht.

Wir meinen, der Grundversorgungsauftrag, den die
öffentlich-rechtlichen Sender zu erfüllen haben, hat auch
den Zugang zum Medium Fernsehen für Menschen mit
Seh- oder Hörbehinderungen zu beinhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Er muss diskriminierungsfrei, vielfältig, ausgewogen und
flächendeckend auch für Behinderte und Minderheiten er-
folgen. Dies ist schließlich auch der Grund, warum öf-
fentlich-rechtliches Fernsehen gebührenfinanziert ist.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414109500
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1414109600
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414109700
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414109800
Frau Kollegin Barnett, warum
bestehen Sie auf den öffentlichen-rechtlichen Sendern?


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1414109900
Zu den privaten komme ich
noch.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1414110000
Gut, denn das ist noch wichti-
ger. Sie haben gerade die positiven Beispiele genannt. Ich
finde, der Bundesgesetzgeber muss doch die Möglichkeit
haben, gesetzliche Rahmenbedingungen dafür zu schaf-
fen, dass auch die privaten Sender ihrer Verpflichtung,
Menschen mit Behinderungen nicht zu benachteiligen,
nachkommen, und zwar möglichst bald.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1414110100
Herr Kollege Seifert, schön
wäre es. Ich bin mir auch sicher, dass der Kulturstaatsmi-
nister sehr gerne die Gesetzgebungshoheit für eine ein-
heitliche Regelung hätte. Bei uns aber haben die 16 Län-
der die Gesetzgebungshoheit und können auch Re-
gelungen für die Privaten treffen. Wir haben keine
Gesetzgebungskompetenz, appellieren aber an die Län-
der, auch etwas bei den Privaten zu tun.


(Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

– Wenn Sie mich jetzt bitte fortfahren lassen. Ich komme
gleich auf die Privaten.

Nur weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk gebühren-
finanziert ist und sehr wenig Werbezeit hat, kann sich das
private Fernsehen nicht aus der Verantwortung stehlen,
Sendungen für hör- oder sehbehinderte Menschen anzu-
bieten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Von den Privaten wird zwar argumentiert, dass sie sich
über Werbeeinnahmen finanzieren müssten und dass der
betroffene Personenkreis eher älter sei und gar kein Pri-
vatfernsehen sehe, aber dies halte ich für Unsinn und der
Lebenswirklichkeit nicht entsprechend. Behinderte Men-
schen müssen wie wir den vollen Kaufpreis für Produkte
zahlen, für die im privaten Fernsehen geworben wird.
Also finanzieren sie dann, wenn sie die Produkte kaufen,
die privaten Sender mit.

Auch ist es dreist, zu unterstellen, seh- oder hörbehin-
derte Menschen seien grundsätzlich alt und an Sendungen
der Privaten nicht interessiert. Zwar haben RTL und Pro 7
erste Versuche gestartet, aber so wenig, wie sich die öf-
fentlich-rechtlichen Sender zufrieden zurücklehnen dür-
fen, dürfen sich die Privaten mit Hinweis auf ihre Werbe-
finanzierung aus der Verantwortung für seh- oder
hörgeschädigte Menschen verabschieden.

Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes ist nicht beliebig
interpretierbar. Er gilt in allen Lebensbereichen. Auch pri-
vate Fernsehsender müssen alles Notwendige unterneh-
men, um ihr Programm seh- oder hörgeschädigten Zu-
schauern zugänglich zu machen.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Deshalb haben wir auch den Prüfantrag in unseren An-

trag geschrieben, dass im Falle der Verweigerung vonsei-
ten der Privaten eine Quote zu überlegen ist. Ich verweise
hier nochmals ausdrücklich auf die Regulierungsdichte in
den USA, die allen größeren Fernsehanstalten vorschrei-
ben, in ständig wachsendem Umfang Sendungen zu

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Doris Barnett

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untertiteln und mit Audiodeskription zu unterlegen. Nie-
mand hier im Hause – das glaube ich wenigstens – würde
behaupten, die USA seien im Medienbereich überregu-
liert.

Das, was von Gesetzes wegen in den USA und in Eng-
land möglich ist, muss doch auch bei uns möglich sein.
Denn – und da komme ich nochmals auf unser Grundge-
setz zurück – niemand darf wegen seiner Behinderung be-
nachteiligt werden. Also muss der gleichberechtigte Zu-
gang von Gehörlosen und Ertaubten, von Sehbehinderten
und Blinden zum Informationsmedium Fernsehen auch
tatsächlich möglich sein.

Es ist bedauerlich, dass sich die CDU/CSU weigerte,
bei einem so wichtigen Thema einen gemeinsamen An-
trag mit uns zu formulieren. Deswegen werden wir unse-
rem Antrag in der geänderten Fassung zustimmen und den
Antrag der CDU/CSU ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Es gehören immer zwei dazu, wenn man etwas nicht schafft, Frau Barnett!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414110200
Ich erteile das Wort
der Kollegin Renate Diemers, CDU/CSU-Fraktion.


Renate Diemers (CDU):
Rede ID: ID1414110300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Barnett, schon vor
Beginn der Debatte waren wir uns in der Tat fraktions-
übergreifend über die prinzipielle Zielsetzung unserer Ini-
tiativen einig.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: So ist das!)


Bevor ich zu den Unterschieden zwischen unseren Anträ-
gen komme, möchte ich aber grundsätzliche Ausführun-
gen machen, da sich viele Menschen zu wenig mit diesem
Thema auseinander setzen bzw. ihnen die Problematik zu
wenig bewusst ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Internationale
Raumstation wurde vor wenigen Tagen um gigantische
Sonnensegel erweitert. Das ist eine technische Meisterleis-
tung, der Inbegriff der technischen Entwicklung. Stellen
Sie sich einmal kurz vor, Sie sehen diese faszinierenden
Fernsehberichte über derartige technische Meisterleistun-
gen: Raumstation, Bilder vom Mars oder Grenzen spren-
gende Forschungsergebnisse. Sie sind jedoch gehörlos
oder schwerhörig, und Sie sind sich bewusst, dass Sie in
einem der reichsten Länder der Welt bei einem der mäch-
tigsten Fernsehsender Europas diese Meldungen sehen.
Einfache technische Hilfen wie zum Beispiel Untertitel
werden nicht eingesetzt. Auch das Geld für einen Gebär-
dendolmetscher wird gespart.

Andere, aber vergleichbare Probleme haben Blinde
und Sehbehinderte. Auch hier gibt es inzwischen techni-
sche Möglichkeiten, zum Beispiel akustische Untertitel
für die Bildbeschreibung. Aus diesem Grunde haben wir
in unserem Antrag von Anfang an auch die Blinden und
Sehbehinderten berücksichtigt.

Mit dem Beispiel der Raumstation möchte ich Ihnen
deutlich machen, dass technische Entwicklungen alte
Grenzen immer wieder überschreiten und permanent neue
Wege aufzeigen. Nur bei relativ einfach zu lösenden
Problemen stagnieren wir, obwohl diese Probleme durch-
aus technisch lösbar sind und dazu lediglich eine große
Portion guter Wille gehört.

Aber es handelt sich bei den Behinderten, um die es
heute geht, um eine Gruppe von Menschen ohne ausrei-
chende Lobby. Sie haben aber berechtigte Ansprüche auf
Lebensqualität wie jeder von uns.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Volker Beck NEN])


Gehörlose und Blinde möchten nicht nur einige wenige
spezielle Sendungen, sondern das ganze komplette Fern-
sehprogramm.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Wem nützen eigentlich Festreden zum Weltbehinderten-
tag am 3. Dezember, und wem nützen Hochglanzbro-
schüren über eine vorbildliche Behindertenarbeit?

Gehen wir doch bitte nicht wieder zur Tagesordnung
über und verweisen wir nicht immer nur auf die allabend-
lichen Nachrichtensendungen mit Gebärdendolmetscher
zum Beispiel bei Phoenix. Dafür haben viele von uns al-
len, das heißt fraktionsübergreifend, lange gekämpft. Ich
selbst habe vor etlichen Jahren dieses Thema parteiintern
immer wieder aufgegriffen. Aber der Ausbau des Ange-
botes für Schwerhörige und Sehbehinderte in der deut-
schen Fernsehlandschaft lässt nach wie vor zu wünschen
übrig. Das Programmangebot ist im internationalen Ver-
gleich peinlich gering.

Es reicht eben nicht aus, ein paar Sendungen oder auch
Sendereihen anzubieten, die sich speziell an diese Men-
schen wenden. Warum nicht auch Olympische Spiele, Un-
terhaltungshits am Samstagabend oder Sonderbericht-
erstattungen? Auch Gehörlose sind daran interessiert, zu
erfahren, warum ein schreckliches Unglück passiert ist,
warum es immer noch keinen neuen US-Präsidenten gibt.
Sie wollen nicht immer nur auf die Zusammenfassung am
Abend warten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Gehörlose und Blinde wollen und müssen sicher sein,
dass auch sie wichtige, eventuell sogar lebensrettende
Meldungen – ich nenne plakativ eine Naturkatastro-
phenwarnung oder Nachrichten über einen Chemieun-
fall – schlichtweg verstehen können.

In der Diskussion über das Programmangebot für
Gehörlose und Blinde sollten auch folgende Punkte ange-
sprochen werden: erstens die Unterscheidung zwischen
den öffentlich-rechtlichen und den privaten Fernseh-
anstalten. Die öffentlich-rechtlichen werden über Ge-
bühren finanziert, und sie sollten auch aus diesem Grunde
die Verbesserung des Programmangebotes als Aufgabe
der Grundversorgung ansehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Doris Barnett
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Die privaten Fernsehanstalten sind seit jeher aufgerufen,
eine Selbstverpflichtung einzugehen. Es gibt inzwischen
auch einige wenige gute Beispiele der Umsetzung. Den-
noch sollten wir darauf drängen, dass sich die privaten
Sender offiziell zu dieser freiwilligen Selbstverpflichtung
bekennen und dementsprechend eine gewisse Erfolgs-
kontrolle durch die Öffentlichkeit ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Zweitens. Dazu gehört eine freiwillige Selbstver-

pflichtung, deren Umsetzung nicht an Kosten scheitern
sollte. Wir sehen einmal davon ab, dass es sich im Ver-
gleich zu anderen Maßnahmen – zum Beispiel milliar-
denschweren Übertragungsrechten – um eine relativ ge-
ringe Summe handelt, die für Untertitel – sei es visueller,
sei es akustischer Art; darauf ist schon hingewiesen wor-
den – oder für Gebärdendolmetscher aufgewendet werden
muss. Wir bewerten es an dieser Stelle auch nicht, dass
sich gerade die privaten Sender derartige Kosten über
Werbepartner sogar mit zusätzlichen Gewinnen zurück-
zahlen lassen. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass es
durchaus legitim ist, beispielsweise behinderte Kinder als
Zielgruppe zu entdecken und Kindersendungen, die für
gehörlose und blinde Kinder verständlich sind, über Wer-
bepartner zu finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Werbung ist nichts Anstößiges – schon gar nicht, wenn
diese Kinder davon direkt profitieren können.

Drittens. Die Integration Behinderter in die Gesell-
schaft ist eine im Grundgesetz von uns allen geforderte
Aufgabe. Diese wird aber von punktuell wirksamen Maß-
nahmen nicht erbracht. Notwendig sind ein grundsätz-
liches Bekenntnis und möglichst grundsätzlich einzuset-
zende Hilfen. Die Integration kann nur verbessert werden,
wenn der Zugang zu Informationen prinzipiell gewährleis-
tet ist. Dazu gehören – das betone ich noch einmal –
Informationen jeglicher Art für alle Altersgruppen: Nach-
richten, Unterhaltung, Sport oder auch politische Sendun-
gen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vernachlässigen dür-
fen wir auf keinen Fall den Aspekt der Wissensgesell-
schaft und die Bedeutung dieser Frage für die Arbeits-
welt. Auch die Berufswelt von Behinderten, ihre
Berufswahl und ihre Berufsausübung sind von ihrem
Wissensstand abhängig. Eine geringere Teilhabe an Infor-
mationen koppelt Behinderte derzeit von der Berufswelt
ab – zusätzlich zu ihrer Behinderung. Festzuhalten bleibt,
dass es bei der Informationsbeschaffung keine Barrieren
geben darf.

Ich freue mich, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der SPD, Ihren ursprünglichen Antrag um einige
wesentliche Punkte ergänzt haben. Unserer Auffassung
nach geht er aber leider immer noch nicht weit genug.
Insofern kommt einer der Punkte unseres Antrags zum
Tragen, die entscheidend über Ihren Antrag hinausgehen.
Ich nenne die Rolle der neuen Medien. Sie klammern
diese komplett aus und begründen das damit, das Inter-
net sei sowieso schon das klassische Medium der Gehör-
losen. Aber die neuen Medien bedeuten doch viel mehr als
nur das Internet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Ich nenne das Stichwort Konvergenz, das heißt die Ver-
einheitlichung der Medien. In diesem Zusammenhang be-
deutet es, dass es in Zukunft durch die ständige Annähe-
rung der verschiedenen Medienformen und die technische
Fortentwicklung eine Verknüpfung des Angebotes geben
könnte. Beispielhaft und verkürzt ausgedrückt: Fernseh-
empfang mit der grundsätzlichen Möglichkeit, sich per
Datennetz individuelle Zusatzinformationen akustischer
oder visueller Art auf das eigene Gerät zu laden. Daher ha-
ben wir in unserem Antrag explizit auf diesen Punkt hin-
gewiesen und fordern zugleich die Unternehmen auf, an
der technischen Entwicklung und an der Software inten-
siv zu arbeiten.


(Jörg Tauss [SPD]: Gut vorgelesen!)

– Herr Tauss, Sie wissen, dass dies ein wesentliches
Thema ist, das ich bearbeite. Dazu muss ich nichts vorle-
sen, das habe ich mir selbst erarbeitet.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Toll!)

Ein anderer bedeutender Unterschied zwischen unse-

ren Anträgen betrifft die Androhung einer Quote. Die
Androhung einer solchen Maßnahme fordert nahezu he-
raus, dass freiwillige Selbstverpflichtungen nicht einge-
gangen werden.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Sie zerstört eine Atmosphäre des Aufbruchs zu neuen
Möglichkeiten. Daher lehnen wir die Androhung einer
Quote ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Selbstverständlich bleibt eine gesetzliche Regelung im-
mer eine Option. Zunächst aber muss einmal die Chance
gegeben werden, zu reagieren – freiwillig und unter Be-
obachtung der Öffentlichkeit, die wir heute verstärkt her-
stellen wollen.

Aus diesen Gründen werden wir uns bei Ihrem Antrag
enthalten und bitten um Zustimmung zu unserer Initiative.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte
ich Sie daran erinnern, dass auch unsere Parlamentsde-
batten nicht durch Gebärdendolmetscher übersetzt wer-
den. Vielleicht können wir gemeinsam dazu heute hier die
Anregung geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)


Nun wünsche ich Ihnen eine besinnliche Advents- und
Weihnachtszeit. Wir sollten einmal darüber nachdenken,
ob wir in der Vergangenheit immer fair miteinander um-
gegangen sind und ob wir das für die Zukunft nicht etwas
besser bewerkstelligen können. Ich wünsche Ihnen ein
frohes Weihnachtsfest.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Renate Diemers

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Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414110400
Für Bündnis 90/Die
Grünen sollte jetzt eigentlich die Kollegin Grietje Bettin
sprechen. Sie ist plötzlich erkrankt und hat deswegen ihre
Rede zu Protokoll gegeben1). Wir wünschen ihr von die-
ser Stelle gute Besserung.


(Beifall)

Ich erteile nun dem Kollegen Dirk Niebel für die

F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dirk Niebel (F.D.P.) (von der Abg. Angela Marquardt
[PDS] mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Marquardt,
vielen herzlichen Dank, über Ihren Applaus freue ich
mich besonders. Auch Staatssekretär Pick hat gesagt, dass
er nur wegen meiner Rede gekommen ist. Ich hätte mir al-
lerdings gewünscht, dass auch ein Vertreter des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, das ja im-
merhin federführend ist, bei der Debatte zu diesem Thema
anwesend gewesen wäre.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Franz Thönnes [SPD]: Er ist doch da!)


– Er kommt spät, aber er kommt.

(Franz Thönnes [SPD]: Er war die ganze Zeit schon da!)

Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat in der letzten Sit-

zungswoche eine Gruppe von Menschen mit den unter-
schiedlichsten Behinderungen aus dem gesamten Bun-
desgebiet hier nach Berlin eingeladen, um die
spezifischen Probleme dieser Bevölkerungsgruppe zu be-
sprechen. Es ist immer wieder klar geworden, dass das
zentrale Thema die Barrierefreiheit ist. Barrierefreiheit
muss man in einem umfassenden Sinn verstehen, und
zwar nicht nur im Sinne einer Absenkung von Bordstei-
nen, sondern insbesondere im Sinne einer Teilhabe an der
Gesellschaft. Für einige Menschen ist das Betrachten ei-
ner Nachrichtensendung oder einer komplexeren Inter-
netseite nämlich mit enormen Zugangshürden versehen.
Diese Menschen sind deshalb bei der politischen Willens-
bildung ausgegrenzt.

Wir wollen diese Hürden überwinden. Aus diesem
Grund habe ich mich im Juni 1999 an Bundestagspräsi-
dent Thierse mit der Frage gewandt, ob es nicht möglich
wäre, die Debatten des Deutschen Bundestages durch
Gebärdendolmetscher zu begleiten. Er fand die Idee
sehr gut, hat leider allerdings viele technische Probleme
gesehen. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ver-
weisen in der Regel auf den Sender Phoenix. Ich habe vor-
hin geklärt, dass die Debatten dort zwar übertragen wer-
den, aber dass selbst diese Debatte nicht mit
Gebärdendolmetschern begleitet wird. Das finde ich
natürlich fatal.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Wir begrüßen grundsätzlich diese Anträge, weil sie der
informationellen Integration behinderter Menschen in
diesem Land dienen. Wir sind allerdings der Ansicht, dass

es schade ist, dass Rot-Grün mit der Quote eine Zustim-
mung fast unmöglich macht. Dazu kommt: Allein die
Union berücksichtigt die neuen Medien. Allerdings gehen
beide Anträge von altbekannten oder herkömmlichen
Mitteln aus, also von Untertiteln, Übersetzungen durch
Gebärdendolmetscher und Ähnlichem.

Wir denken, dass wir einen weiter gehenden Ansatz
brauchen. Wir müssen behindertengerechte Programme
und Sendungen über Behinderte in das normale Pro-
gramm integrieren, auch in die dritten Programme, bei de-
nen wir oftmals mit Sendungen aus der Konserve leben
müssen. Es wäre natürlich wünschenswert, eine behin-
dertengerechte Spiegelung des laufenden Programms
über Satellit auf einem anderen Kanal empfangen zu kön-
nen. Wir wollen auf gar keinen Fall einen reinen Sparten-
kanal mit Sendungen für Behinderte. Das würde dazu
führen, dass sich Nichtbehinderte diese in aller Regel
nicht ansehen würden. Dadurch würden Behinderte noch
weiter aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Das ist
mit Sicherheit nicht zielführend.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)


Guido Westerwelle hat am 4. Juli Bundestagspräsident
Thierse mit der Bitte angeschrieben, zu prüfen, ob wir,
wenn wir Private auffordern, mehr für Behinderte zu tun,
nicht mit gutem Beispiel vorangehen sollten. Wir sollten
zumindest dafür sorgen, unsere eigene Internetseite
„www.bundestag.de“ behindertengerecht zu gestalten.
Herr Thierse hat das positiv und mit großem Wohlwollen
aufgenommen. Passiert ist leider nichts. Dabei ist es gar
nicht so schwierig, eine Internetseite behindertengerecht
zu gestalten. Ich denke, wir sollten als Allererstes vor der
eigenen Haustür kehren und zusehen, dass wir dort vor-
ankommen.


(Erika Lotz [SPD]: Was meinen Sie damit?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich Sie

zum Schluss meiner Rede mit freundlichen Weihnachts-
grüßen nach Hause schicke, möchte ich Sie darauf hin-
weisen, was wir in Zukunft in diesem Bereich brauchen:
Wir brauchen Barrierefreiheit, Teilhabemöglichkeiten
und wir brauchen mehr F.D.P.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414110500
Nun hat die Kollegin
Angela Marquardt für die PDS-Fraktion das Wort.

Angela Marquardt (PDS) (von Abg. Dirk Niebel
[F.D.P] mit Beifall begrüßt): Vielen Dank, Herr Niebel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, wir sind uns alle einig, dass Gehörlose, Sehbehin-
derte und Menschen mit eingeschränkter Mobilität nicht
irgendeine Zielgruppe der elektronischen Medien sind
wie jede andere. Sie sind eine besonders wichtige Ziel-
gruppe, gerade weil für sie die elektronischen Informati-
ons- und Kommunikationsmittel eine Möglichkeit bieten,
an der Gesellschaft teilzuhaben, eine Möglichkeit, die sie
sonst nicht haben – egal, ob es das Telefon ist, das Inter-
net oder auch das Fernsehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 200013844


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1) Anlage 20

Wer will, dass Menschen mit Behinderungen dem
Grundgesetz entsprechend nicht benachteiligt werden,
der sollte gerade auf die Medien achten, die für diese Per-
sonengruppe wichtig sind, und sollte sie überprüfen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS unterstützt beide hier vorliegenden Anträge,

auch wenn Unterschiede deutlich geworden sind. Eigent-
lich sind sie unwesentlich und es ist bedauerlich, dass ge-
rade zu diesem Thema kein gemeinsamer Antrag vorge-
legt worden ist.

Wir unterstützen den Appell, dass die öffentlich-recht-
lichen sowie die privaten Rundfunkanstalten den Anteil
der Sendeminuten mit Untertiteln und Audiodeskription
erhöhen sollen. Doch leider bleibt es bei Ihnen beim Ap-
pell. Rechtliche Regelungen werden nicht eingefordert.
Wir wissen, dass damit die praktische Wirkung dieser An-
träge gleich null ist. Es entsteht der Eindruck, dass recht-
liche Konsequenzen nicht erwünscht sind, dass sie nicht
eingefordert werden sollen.

Seit Jahren fordern Behindertenverbände, insbeson-
dere die Gehörlosen, die gesetzliche Anerkennung der
deutschen Gebärdensprache. Wir alle in diesem Hause
sollten das unterstützen, nicht nur die PDS.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darüber hinaus fordern wir auch aus diesen Gründen ein
bundesweites Gleichstellungsgesetz.

Ich möchte kurz die Gelegenheit nutzen, um auf die
Bedeutung der neuen Medien einzugehen. Eine Kleine
Anfrage der PDS hat ergeben, dass die gesamte Förderung
von Behinderten und Senioren fast vollständig auf Wirt-
schaftssponsoring baut, das also in Abhängigkeit von der
Industrie geschieht. Gleichzeitig gibt es keine Pro-
gramme, die Menschen mit Behinderungen und Senioren
– neben den großen Chancen, die ihnen das Netz bie-
tet – auf die Gefahren hinsichtlich der Sicherheit ihrer Da-
ten aufmerksam machen. Es liegt auf der Hand, dass hier
ein Zusammenhang besteht. Natürlich, Kollegin Diemers,
ist Sponsoring gut, auch Werbung; aber Behinderte dürfen
genauso wenig wie andere Menschen in dieser Gesell-
schaft zum Spielball der IuK-Branche gemacht werden.
Wichtig ist: Aufklärung, Bildung und Zugangssicherung
müssen auch Aufgaben des Staates sein.


(Renate Diemers [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Der Zugang zu den Medien, zu den neuen wie zu den

konventionellen, ist ein Recht aller Bürgerinnen und Bür-
ger. Der Zugang muss für alle finanzierbar sein. Die Men-
schen müssen die Möglichkeit haben, Kompetenz im Um-
gang mit diesen Medien zu erlangen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist wahr!)

Der Zugang muss für alle Bevölkerungsgruppen glei-

chermaßen gesichert werden.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.])


Dazu gehören natürlich auch die technischen Vorausset-
zungen, behindertengerechte Hard- und Software bei-
spielsweise, an deren Entwicklung die Wirtschaft nur
geringes Interesse hat, weil ihre Hauptzielgruppe nun ein-

mal der junge, dynamische, entwicklungsstarke Mensch
ohne körperliches Handicap ist. Dieser Entwicklung müs-
sen wir etwas entgegensetzen.


(Beifall bei der PDS)

Deswegen möchte ich kurz auf die Videotheken einge-

hen. Es sollte Standard sein, dass in den Videotheken De-
coder zum Ausleihen bereitgehalten werden, damit für
Hörgeschädigte die Untertitel bei Spielfilmen sichtbar ge-
macht werden können. Das zum Beispiel wird in den vor-
liegenden Anträgen ausgespart. Da steht einfach nur: Die
Videotheken sollen angehalten werden. Ich frage mich:
Warum können wir es nicht fordern, warum können wir
sie nicht dazu verpflichten, diese Decoder zum Ausleihen
zur Verfügung zu stellen?


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass es bei Ap-

pellen bleibt und man sich um wirklich praktische Kon-
sequenzen herumdrücken will. Deswegen lassen Sie mich
an Sie appellieren: Belassen Sie es nicht bei diesen schö-
nen Vorweihnachtsreden.

In diesem Sinne wünsche ich allen hier noch Anwe-
senden ein schönes Weihnachtsfest.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414110600
Ich erfahre, dass
Phoenix diese Debatte mit Gebärdendolmetscher über-
trägt. Das finden wir alle sehr gut, meine Damen und Her-
ren.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-

ses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache
14/4917. Zunächst stimmen wir ab über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen,
Drucksache 14/3382, mit dem Titel „Teilhabe von Ge-
hörlosen und Ertaubten an der Informationsgesellschaft –
Gleichberechtigten Zugang zum Fernsehen sichern“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 die Annahme des Antra-
ges in der Ausschussfassung. Wer stimmt dem zu? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Bei Enthaltung von
CDU/CSU und F.D.P. ist die Beschlussempfehlung an-
genommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4385 zur Verbesserung des
Programmangebots für Schwerhörige, Gehörlose, Sehbe-
hinderte und Blinde im Fernsehen und in den neuen Me-
dien. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der SPD und vom Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes zurVerbesse-
rung der betrieblichen Altersversorgung

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Angela Marquardt

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(A)



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– Drucksache 14/4363 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/4918 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Enders
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Es ist vereinbart, dass die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Ich lese die Namen der Redner vor: Peter Enders,
Meinrad Belle, Helmut Wilhelm, Dr. Max Stadler, Ulla
Jelpke1) und Fritz Rudolf Körper2).

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Alters-
versorgung, Drucksachen 14/4363 und 14/4918. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
probe! – Stimmenthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig
in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Ich danke Ihnen, dass Sie
den Gesetzentwurf einstimmig angenommen haben.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung gefährlicher Hunde
– Drucksache 14/4451 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/4920 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Bahr
Günter Baumann
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle,
Ulrich Heinrich, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Bevölkerung wirksam vor „Kampfhunden“
schützen
– Drucksachen 14/3785, 14/4919 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Bahr
Günter Baumann
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Alfred Hartenbach,
Margot von Renesse, Hans-Joachim Hacker, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Hans-Christian Ströbele, Ulrike Höfken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Obligatorische Haftpflichtversicherung für
Hunde
– Drucksache 14/3825, 14/4916 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Margot von Renesse
Dr. Jürgen Gehb
Jörg van Essen
Sabine Jünger

Interfraktionell ist vereinbart worden, auch hier die Re-
debeiträge zu Protokoll zu geben. Es sind dies: Ernst Bahr,
Günter Baumann, Ulrike Höfken, Hildebrecht Braun, Eva
Bulling-Schröter und Fritz Rudolf Körper3). Wir kommen
also gleich zur Abstimmung.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung gefährlicher
Hunde, Drucksachen 14/4451 und 14/4920. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen der
F.D.P. und bei einigen Enthaltungen der PDS ist der Ge-
setzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen
die Stimmen der F.D.P. und bei Enthaltung der PDS an-
genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussem-
pfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktion
der F.D.P. mit dem Titel „Bevölkerung wirksam vor
Kampfhunden schützen“, Drucksache 14/4919. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3785
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der F.D.P. angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen zu einer obligatorischen Haft-
pflichtversicherung für Hunde, Drucksache 14/4916. Der
Ausschuss empfiehlt die Annahme des Antrages auf
Drucksache 14/3825 in der Ausschussfassung. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
13846


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Redebeitrag lag bei Redaktionsschluss nicht vor.
2) Anlage 21 3) Anlage 22

gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

ordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss,
Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS zu der vereinbarten Debatte
zur aktuellen Situation in Nahost
– Drucksachen 14/4398, 14/4847 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Joachim Hörster
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Günther Friedrich Nolting, Ulrich
Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Für eine Konferenz für Sicherheit und Zusam-
menarbeit im Nahen Osten (KSZNO)

– Drucksachen 14/4392, 14/4848 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Joachim Hörster
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich bitte Sie
um Aufmerksamkeit, weil wir die Rednerfolge ein biss-
chen geändert haben, da auch die F.D.P. Antragstellerin
ist. Das Präsidium schlägt Ihnen daher vor, dass zuerst der
Kollege Gehrcke redet, dann der Kollege Irmer, der Kol-
lege Moosbauer, der Kollege Hörster und schließlich für
die Bundesregierung Dr. Volmer. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der
Kollege Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1414110700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Friedensprozess im Na-
hen Osten liegt in Trümmern. Das Leid der Opfer ist
furchtbar. Die soziale Not nimmt vor allem unter den
Palästinensern dramatisch zu. Ich frage mich, ob sich der
Nahe Osten bereits in einem neuen Krieg befindet. We-
nigstens ist jener schmale Grat erreicht, jene zerbrechli-
che Grenze, die zwischen Nichtkrieg und Krieg liegt,
wenn sie nicht schon überschritten ist.

Wer Frieden will, muss für Frieden Einfluss nehmen.
Das fordere ich vom Deutschen Bundestag, von der Bun-
desregierung und von der Europäischen Union. Sich für
den Frieden im Nahen Osten einzusetzen, dazu ermuntere

ich die Zivilgesellschaft, die Öffentlichkeit, alle Initiati-
ven und Gruppen und auch die Kirchen.


(Beifall bei der PDS)

Israel hat das Recht auf sichere Grenzen und gute

Nachbarschaft zu den arabischen Staaten. Damit das
Wirklichkeit wird, muss es Frieden und Sicherheit in der
ganzen Region geben. Auch für den Nahen Osten gilt:
gleiche Sicherheit. Ohne gleiche Sicherheit hat keine
Seite Sicherheit. Anders gesagt: Es wird keinen Frieden
für Israel geben, wenn die Palästinenser nicht in Frieden
leben können. Das Recht der Palästinenser auf ihren eige-
nen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt ist derzeit der
wichtigste Baustein für den Frieden Israels.

In dieser Frage muss sich vor allem Israel bewegen.
Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen. Israel muss
sich bewegen, weil es alles besitzt: Boden, Wasser, wirt-
schaftliche und militärische Stärke. Israel besitzt auch,
was den Palästinensern und der ganzen arabischen Welt
heilig ist: den Tempelberg und Ostjerusalem.

Diese Beschreibung wird von vielen im Deutschen
Bundestag – so ist mein Eindruck aus den Debatten –
geteilt. Strittig ist jedoch, ob wir offen darüber reden und
auch gegenüber Israel eine solche Position einnehmen
sollen. Das wichtigste Gegenargument ist das beson-
dere deutsch-israelische Verhältnis, wonach Deutschland
keine Forderungen an den Staat Israel stellen darf oder
stellen soll. Die deutsche Schuld an der Schoah bleibt.
Deutschland wird mit Rassenwahn und millionenfachem
Mord an Juden verbunden bleiben.

Was bedeutet das aber für unser politisches Verhalten?
Aus meiner Sicht leisten wir Israel einen schlechten
Dienst, wenn wir der Regierung und den Menschen in die-
ser gefährlichen Situation das verweigern, was wir ihnen
gerade geben müssen: Solidarität durch Wahrhaftigkeit.
Aus deutscher Schuld darf keine Sprachlosigkeit entste-
hen. Bescheidenheit ja, aber keine Sprachlosigkeit! Wir
müssen vielmehr Mitverantwortung übernehmen. Das be-
sondere deutsch-israelische Verhältnis verlangt von uns
politische Initiativen, die dem Ernst der Lage gerecht wer-
den. Unsere geschichtliche Schuld und unsere Mitverant-
wortung für die Sicherheit Israels können wir nicht auf
dem Rücken der Palästinenser abladen, indem wir zu
ihren Rechten, zu ihren Nöten und zu ihren Ansprüchen
schweigen.


(Beifall bei der PDS)

Auch aus eigenem Interesse ist Israel aufgefordert, zu

den Osloer Vereinbarungen zurückzukehren. Das heißt,
Israel muss den gefährlichen und provokativen Sied-
lungsbau im Herzen des arabischen Lebens stoppen.
Israel muss die Bereitschaft entwickeln, über die drama-
tische Flüchtlingsfrage zu sprechen.

Die deutsche Politik muss die Courage aufbringen, in
diese Richtung Druck auf Israel auszuüben. Auch das sind
wir unserem besonderen Verhältnis zum Staat Israel
schuldig. Vor der Konsequenz des Druckausübens mag
man zurückschrecken. Aber Politik ist auch immer Druck
und Druck in Richtung Frieden ist vernünftig. Gerade die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs

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israelische Friedensbewegung, etwa der Friedenspreisträ-
ger Uri Avnery, hat uns gebeten, zu diesem Druck auf
Israel beizutragen.

Nicht der Konflikt, sondern seine Lösung verlangt
nach Internationalisierung. Eine internationale Untersu-
chungskommission ist ein erster wichtiger Schritt. Hilf-
reich könnten darüber hinaus UN-Beobachter sein, die in
den von Israel besetzten Gebieten tätig werden. Die USA
dürfen nicht weiter UN-Initiativen zum Nahen Osten
blockieren.

Neben den USA und Russland sollte die Europäische
Union zu einem Faktor werden, der sich im Nahen Osten
aktiv um Vermittlung bemüht. Viele europäische Staaten
sind bereit, deutlicher Position zu beziehen, die Bundes-
regierung aber blockiert eine noch aktivere Nahostpolitik
der Europäischen Union.

Was ich hier vorgetragen habe, wird sowohl in der isra-
elischen Friedensbewegung als auch in der palästinen-
sischen Freiheitsbewegung akzeptiert. Es ist sowohl im
Interesse Israels als auch Palästinas, aber auch im Inte-
resse der deutschen Politik, alles zu tun, damit sich kein
neuer Nahostkrieg ausbreitet.

Vor Weihnachten hat jeder meiner Vorredner seine
Weihnachtsbotschaft verkündet. Gestatten Sie auch einem
praktizierenden Atheisten, an die Weihnachtsverkündi-
gung zu erinnern: Frieden auf Erden und den Menschen
ein Wohlgefallen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die guten Willens sind!)


Weder herrscht Friede noch können die Menschen Wohl-
gefallen an dem Zustand der Erde finden. Lassen Sie uns
ein Stück weit dazu beitragen, dass etwas mehr Friede
herrscht und sich etwas mehr Wohlgefallen ausbreiten
kann.


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aber nicht bei Ihrer Rede!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414110800
Nun hat das Wort der
Kollege Ulrich Irmer, F.D.P.-Fraktion.


Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1414110900
Frau Präsidentin! Sie waren ge-
rade so freundlich, den Text der Rede einer Kollegin zu
Protokoll zu nehmen, die erkrankt ist. Ich muss leider be-
kennen, dass auch ich von einer Grippe gebeutelt werde.
Man sollte mich heute vorsichtshalber nicht einmal mit
der Zange anfassen; sonst bin ich ja recht appetitlich, aber
heute empfehle ich das niemandem.


(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Sollte meine Stimme versagen, mache ich das wie ein ech-
ter Liberaler, der immer seine Zweitstimme fertig in der
Tasche hat und diese dann zum Einsatz bringt.

Meine Damen und Herren! Die Situation im Nahen
Osten ist vom Kollegen Gehrcke eindrucksvoll und rich-
tig geschildert worden. Es ist beklagenswert, dass es dort
den Scharfmachern auf beiden Seiten immer wieder ge-
lingt, den Friedensprozess ins Stocken zu bringen und der
Gefahr des Scheiterns auszusetzen. Wir von der F.D.P.-
Fraktion haben vorgeschlagen, die deutsche Bundesregie-
rung solle die Initiative zu einer Konferenz für Sicher-
heit und Zusammenarbeit im Nahen Osten ergreifen.
Beispiel dafür ist die Konferenz für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit in Europa, die ja bekanntlich vor einem
Vierteljahrhundert dazu geführt hat, dass die Teilung Eu-
ropas überwunden werden konnte, die Blöcke aufgelöst
wurden, sich nicht mehr feindlich gegenüber standen und
konstruktive Friedenslösungen gefunden werden konnten.

Als wir dies vorgeschlagen haben, ist uns der Bundes-
außenminister mit zwei Einwänden entgegengetreten: Er
hat zum einen gesagt, wir hätten bereits den Prozess von
Barcelona. Allerdings ist der Prozess von Barcelona weit
davon entfernt – dies hat sich Mitte November bei der ge-
scheiterten Außenministerkonferenz gezeigt –, irgendet-
was ausrichten zu können. Er ist nicht einmal in der Lage,
sein eigentliches Ziel zu erreichen,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


nämlich die Stabilisierung der wirtschaftlichen und sozia-
len Strukturen, geschweige denn auf eine Friedenslösung
für die ganze Region zwischen Israel und Palästina hin-
zuwirken. Zum Zweiten hat uns der Bundesaußenminister
entgegengehalten, die Situation im Nahen Osten sei mit
der in Europa nicht zu vergleichen und deshalb solle eine
solche Konferenz nicht stattfinden.

Es ist schon dramatisch zu beobachten, wie Joseph
Fischer vom strahlenden Friedensapostel zum drögen Ak-
tenschieber abgestürzt ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS – Erika Lotz [SPD]: Wir müssen offensichtlich zwei verschiedene Personen kennen!)


Er hat nichts als bürokratische Einwände und lässt jede
Vision vermissen. Leider haben mir auch die Kollegen
von der CDU/CSU im Auswärtigen Ausschuss entgegen-
gehalten, unsere Vorschläge seien eher ein Traum und zu
visionär. Aber: wenn wir in der Politik keinen Träumen
mehr nachhängen und keine Visionen mehr entwickeln
dürften – gerade und auch in der Außenpolitik –, können
wir die Politik gleich bleiben lassen!


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Alle großen Entwicklungen sind durch Vorstellungen
eingeleitet worden, die zu dem Zeitpunkt, an dem sie ent-
wickelt wurden, eher unrealistisch wirkten. Ich fordere
die Bundesregierung auf, auf dem europäischen Gipfel in
Nizza die Gelegenheit zu nutzen, den Europäern vorzu-
schlagen, diese Konferenz für Sicherheit und Zusammen-
arbeit im Nahen Osten einzuberufen. Es ist mit Recht ge-
sagt worden, dass die Deutschen gegenüber Israel eine
ganz besondere Verantwortung tragen. Einer solchen Ver-
antwortung müssen wir uns stellen und der können wir

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Wolfgang Gehrcke
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uns am besten dadurch stellen, dass wir aktiv zu einer
Friedenslösung beitragen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich habe in der Vorweihnachtszeit – Weihnachten ist ja
das Fest der Kinder – einen kleinen Traum: Die Kinder in
Israel und Palästina sollen nächstes Jahr den Frieden erle-
ben.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte, dass Sarah und Schimon genauso wie Amal
und Achmed den Frieden so erleben und genießen kön-
nen, wie das glücklicherweise Christoph, Maria, René,
Anna und Thomas – und wie sie sonst noch alle heißen
mögen – in Europa können. In diesem Sinne: Fröhliche
Weihnachten!


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111000
Der Kollege
Christoph Moosbauer ist unerwartet verhindert und gibt
seine Rede zu Protokoll.1)

Jetzt hat das Wort der Kollege Joachim Hörster für die
CDU/CSU-Fraktion.


Joachim Hörster (CDU):
Rede ID: ID1414111100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn man sich den PDS-An-
trag und seine Begründung anschaut, dann muss man fest-
stellen, dass uns dies als Vermittlungspartner im Nahost-
konflikt absolut untauglich machen würde; denn dieser
Antrag ist so einseitig, dass es sich Israel von vornherein
verbeten würde, uns als Vermittler zu akzeptieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus möchte ich festhalten, dass die Ver-
hältnisse ein bisschen komplizierter sind, als sie in dem
Antrag dargestellt werden. Das Kernproblem für uns
Deutsche ist, eine Leitlinie zu finden, mit deren Hilfe wir
im Nahostkonflikt überhaupt vermittelnd tätig werden
können. Es gibt im Grunde genommen nur eine Leitlinie:
Erstens. Wir wollen Frieden. Zweitens. Wir wollen, dass
die Menschenrechte eingehalten werden. Die Einhaltung
der Menschenrechte gilt für beide Seiten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Rolf Kutzmutz [PDS])


Hinzu kommt, dass Israel der einzige Staat ist, der den
Maßstäben, die wir an eine Zivilgesellschaft stellen, am
nächsten kommt.


(Beifall der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Dirk Niebel [F.D.P.])


Auch dieser Gesichtspunkt ist in der Debatte zu berück-
sichtigen.

Ich finde, dass die Bundesrepublik Deutschland inner-
halb der Europäischen Union bisher eine sehr kluge und

gute Rolle im Nahostkonflikt gespielt hat. Das sage ich
ausdrücklich als Oppositionspolitiker, zumal es im Ver-
gleich zur Nahostpolitik früherer Bundesregierungen,
wenn man genau hinschaut, keinen Bruch gibt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Genau das habe ich schon immer vermutet!)


Die Deutschen sind nur innerhalb des europäischen
Kontextes fähig, mäßigend auf die Verhältnisse im Nahen
Osten einzuwirken. Es finden dort Ausbrüche statt, die
mit unserem Verständnis von politischer Auseinan-
dersetzung nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Die
Mahnung, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu be-
folgen, findet weder auf der einen noch auf der anderen
Seite Gehör. Dass immer gleich geschossen werden muss,
wenn sich die Gemüter erhitzen, gehört in unserer Region
– Gott sei Dank – der Vergangenheit an. Aber die dort be-
teiligten Parteien machen regelmäßig und rücksichtslos
von der Waffe Gebrauch, und zwar beide Seiten.

Ich sage auch als Vorsitzender der Deutsch-Arabischen
Parlamentariergruppe Folgendes ganz bewusst: Auch auf
der Seite der Steine werfenden palästinensischen Kinder
gibt es ausgesprochene Experten. Von solchen Geschos-
sen möchte ich nicht getroffen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich muss auch zugeben, dass die Art und Weise, wie die

Israelis gegen die Palästinenser vorgehen, durch nichts
gerechtfertigt ist und dass dadurch Menschenrechte in er-
heblichem Maße verletzt werden. Wer einmal neben dem
Zelt einer palästinensischen Familie gestanden hat, deren
Haus von den israelischen Militärs einfach abgerissen
worden ist, nur weil ein Mitglied dieser palästinensischen
Familie als ein der Hamas-Bewegung Angehörender
verdächtigt wird, der weiß, mit welcher Brutalität man
dort miteinander umgeht.

Lieber Herr Irmer, bei aller Sympathie für den Antrag
der Freien Demokraten: Es gibt gegenwärtig überhaupt
keinen realistischen Anknüpfungspunkt dafür, dass es zu
einer solchen Konferenz kommen könnte. Dagegen
spricht die archaische Art und Weise, wie die beiden Kon-
fliktparteien aufeinander losgehen. Wir erleben heute,
dass der Konflikt ein Teil der israelischen Innenpolitik
hinsichtlich der Regierungsbildung, möglicher Neuwah-
len und was auch immer geworden ist. Dieser Zustand
lässt kaum Spielraum, einen Ausgleich zwischen den Par-
teien herzustellen.

Es handelt sich dabei im Übrigen nicht um eine Frage
des Geldes. Ich möchte daran erinnern, dass allein die Eu-
ropäische Union zwischen 1993 und 1998 mit 1,8 Milli-
arden Euro der größte Geldgeber Palästinas gewesen ist.
Wenn wir hinsichtlich der israelischen Seite feststellen,
dass sich die Parteien des Landes nicht in der Lage sehen,
auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten und sich auf eine
gemeinsame Linie im Hinblick auf mögliche Ergebnisse
des Friedensprozesses zu verständigen, dann müssen wir
genauso sehen, dass ein großer Teil der 1,8 Milliar-
den Euro, an denen die Bundesrepublik nicht unmaß-
geblich beteiligt ist, nicht unbedingt dort ankommt, wo er
hinkommen soll.


(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider wahr!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Ulrich Irmer

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1) Anlage 23

Um das zu belegen, brauche ich gar keine europäische
Quelle, sondern nur den Rechnungshof der Palästinensi-
schen Autonomiebehörde zu zitieren, der der eigenen Re-
gierung einen schlampigen Umgang mit Geld vorwirft.
Der Rechnungshof beklagt Korruption, Unterschlagung
und vieles andere mehr.

Schon Israel und die Palästinensische Autonomie-
behörde, die unmittelbar nebeneinander leben, haben so
viele innenpolitische Probleme, dass sie noch nicht ein-
mal in der Lage sind, zu definieren, worüber sie mitei-
nander letztendlich verhandeln wollen, und zwar so, dass
sich der Verhandlungspartner auf die Verhandlungslinie
des anderen verlassen kann.

Schaut man sich das arabische Umfeld an, stellt man
fest, dass die Interessen Syriens und Iraks nicht die glei-
chen sind. Auch die Interessen der Golfstaaten und der be-
völkerungsreichen Länder der Region, zum Beispiel Je-
men oder Ägypten, sind nicht identisch. Das heißt, die
arabische Welt müsste ebenfalls einmal zu einer Defini-
tion gemeinsamer Interessen kommen, damit eine solche
Konferenz überhaupt einen Gegenstand hat, über den sie
verhandeln kann.


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Ihr wart ja damals auch gegen die KSZE!)


– Herr Kollege Irmer, ich respektiere, dass Sie gesund-
heitlich nicht voll auf der Höhe sind. Ich verbuche diese
Bemerkung unter „lässliche Sünde“ und erteile sofort Ab-
solution.

Wenn wir die Sache realistisch betrachten, dann erken-
nen wir, dass in der arabischen Welt überhaupt keine
Chance besteht, eine Grundlage zu finden, auf der man
eine solche Konferenz einberufen und solche Verhand-
lungen führen könnte. In der gegenwärtigen Situation
bleibt uns in der Europäischen Union daher nichts ande-
res übrig, als mit den vorhandenen diplomatischen Mög-
lichkeiten durch Unterstützung der Vereinigten Staaten
und durch bilaterale, möglichst nicht auf offenem Markt
ausgetragene Gespräche auf die Parteien einzuwirken,
zunächst einmal den Ausbruch von Gewalt zurückzu-
drängen und wieder zu einigermaßen normalen Verhält-
nissen zu kommen. Wenn das geschehen ist, kann man
hoffen, dass die Beteiligten an den Verhandlungstisch
zurückkehren, weil es in der Tat keine Alternative dazu
gibt.

In diesem Zusammenhang richte ich den Appell an den
Staat Israel, der etwas Großzügigere zu sein; denn er ist in
der Region der Stärkste. Israel hat die Europäische Union
und die Vereinigten Staaten von Amerika im Rücken.
Niemand bestreitet das Existenzrecht dieses Staates und
niemand will es gefährden. Israel ist die größte Militär-
macht in der Region und hat den besten Überblick. Des-
wegen müsste man von Israel eher ein vernünftiges
Entgegenkommen erwarten können, als dies von der zer-
splitterten arabischen Landschaft zu erwarten ist. Darauf
setzen wir unsere Hoffnung. Wir hoffen, dass die Bun-
desregierung in diesem Sinne ihre Kontakte zu den Par-
teien nutzt und das fortsetzt, was beim Nahostbesuch des
Bundeskanzlers praktiziert worden ist, nämlich befrie-
dend auf die Menschen einzuwirken.

In diesem Sinne sehen wir uns nicht in der Lage, die
Anträge von PDS und F.D.P. zu unterstützen. Wir lehnen
sie beide ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111200
Ich erteile das Wort
dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Ludger
Volmer.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1414111300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Bundestag hat im Oktober über die Lage im Nahen
Osten debattiert, damals im Hinblick auf die Reise des
Bundeskanzlers in die Region. Die Reise ist von allen Ge-
sprächspartnern in der Region in schwierigen Zeiten als
ein Zeichen besonderer Solidarität verstanden und be-
grüßt worden. Insoweit war die Reise erfolgreich. Den-
noch sind die Kernforderungen des Kanzlers, nämlich ein
Ende der Gewalt und die Rückkehr an den Verhand-
lungstisch, bis heute nicht umgesetzt worden.

Die Situation ist nach wie vor besorgniserregend. Tage
mit relativer Ruhe wechseln sich ab mit verschärften Aus-
einandersetzungen. Zahlreiche Opfer unter der Zivilbe-
völkerung sowie die Zerstörung eines großen Teils der In-
frastruktur in besetzten Gebieten lassen Beobachtern das
Ausbleiben einer Friedenslösung unerträglich erscheinen,
auch wenn sich die Sicherheitslage in jüngster Zeit und in
den letzten Tagen leicht verbessert hat und es kleine ermu-
tigende Zeichen gibt. Es gibt zwischen Israel und Paläs-
tina erstmals wieder Gesprächskanäle und Kontakte,
beide Seiten signalisieren grundsätzlich Verhandlungs-
bereitschaft. Wir hoffen, dass sie in Dialog und Verhand-
lungen münden werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Israel hat in den letzten Tagen mit einer Reihe von
Maßnahmen zu einer Entspannung der Situation beigetra-
gen und auch die palästinensische Seite hat angesichts der
großen Leiden der Bevölkerung große Geduld bewiesen.

Insgesamt wird die gegenwärtige Lage geprägt von der
innenpolitischen Unsicherheit in Israel, der zu Ende ge-
henden Clinton-Administration sowie internationalen
Friedensbemühungen. Wir unterstützen die engagierten
Bemühungen des US-Präsidenten, zu einer Friedenslö-
sung beizutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Elemente für eine Lösung liegen auf dem Tisch. Es ist
über alles gesprochen worden. Offen ist jedoch, wie weit
die Positionen voneinander entfernt sind. Das größte Pro-
blem ist zurzeit das mangelnde Vertrauen; denn ohne den
Willen beider Seiten des Konfliktes können weder ameri-
kanische noch russische noch europäische Vermittler ei-
nen wesentlichen Fortschritt erreichen.

Meine Damen und Herren, zeitgleich zu unserer De-
batte tagt in Nizza der Rat der Staats- und Regierungs-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Joachim Hörster
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(C)



(D)



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(B)


chefs der EU. Neben den allgemeinen Schlussfolgerun-
gen werden die Staats- und Regierungschefs eine geson-
derte Erklärung zum Nahen Osten verabschieden, in
der die Parteien angesichts des Leidens der Bevölkerun-
gen, der Gewalt und des Hasses genau dazu, zur Rückkehr
zu Friedensverhandlungen, aufgefordert werden. Die
Staats- und Regierungschefs bieten darin die Unterstüt-
zung der EU für den Verhandlungsprozess an. Sie appel-
lieren an die beiden politischen Führer, Premierminister
Barak und Präsident Arafat, sich persönlich stärker zu en-
gagieren, die Abkommen von Scharm el-Scheich und
Gaza umzusetzen und konkrete Schritte einzuleiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Schon in der so genannten Berliner Erklärung vom
25.März 1999 haben die Staats- und Regierungschefs, da-
mals unter der deutschen EU-Präsidentschaft, in klarer
Sprache an die Konfliktparteien formuliert, – ich zitiere –:

Die Europäische Union ruft beide Parteien nach-
drücklich dazu auf, alle Handlungen zu unterlassen,
die dem Ergebnis der Verhandlungen über deren end-
gültigen Status vorgreifen, und jede Handlung zu un-
terlassen, die gegen das Völkerrecht verstößt,
einschließlich jeder Siedlungstätigkeit, sowie gegen
Aufwiegelung und Gewalt vorzugehen.

Als Schlüsselproblem taucht immer wieder die Sied-
lungspolitik auf. Diesen Faktor haben die EU-Außenmi-
nister auch in der Erklärung des Allgemeinen Rates vom
20. November 2000 als Ursache unter anderem für – ich
zitiere – „die Frustration ... der palästinensischen Bevöl-
kerung“ unterstrichen. Die Bundesregierung ist besorgt,
dass mehrere VN-Sicherheitsratsresolutionen, die sich
mit dieser Frage beschäftigt haben, bis heute nicht umge-
setzt sind.

Unser Appell, meine Damen und Herren, ist deshalb
ein doppelter: Die Bundesregierung fordert die israelische
Regierung auf: Stoppen Sie den Siedlungsbau! Überden-
ken Sie die Siedlungspolitik insgesamt!


(Beifall bei der PDS)

Dies ist in Israels unmittelbarem eigenen Interesse. Ohne
einen Frieden Israels mit der palästinensischen Seite gibt
es keine friedvolle Zukunft für die junge Generation in Is-
rael und der Region. Einseitige Maßnahmen schaffen
vollendete Tatsachen, die die Friedensverhandlungen we-
sentlich erschweren.

Die Bundesregierung fordert aber genauso nachdrück-
lich die palästinensische Führung auf: Geben Sie nicht nur
den Sicherheitskräften strikte Anweisung, für die Einstel-
lung der Schüsse auf Israel zu sorgen – wie dies Präsident
Arafat angekündigt hat –, sondern sorgen Sie mit allen
Ihren Mitteln dafür, dass von Einzelnen keine Gewalt ge-
gen israelische Bürger ausgeht und ausgeübt wird!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur eine Sicherheitsgarantie für den Staat Israel und seine
Menschen wird auch dem palästinensischen Volk ein Le-
ben in Frieden in einem eigenen Staat sichern. Nur so be-

steht eine Chance, im Interesse der nächsten Generationen
den Teufelskreis von Hass und Gewalt zu durchbrechen.

Unser Ziel muss ein gerechter, umfassender und dau-
erhafter Frieden in der gesamten Region sein. Dazu gehört
auch ein Frieden mit Syrien und Libanon. Wir appellieren
deshalb auch an die Regierungen dieser Länder, alles zu
tun, damit der Rückzug Israels aus dem Südlibanon und
die Erfüllung der Sicherheitsratsresolution 425 als
Chance zu weiterer Deeskalation genutzt wird. Deeskala-
tion und Gewaltverzicht sind das Gebot der Stunde. Dafür
plädieren wir.


(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111400
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Entschließungsantrag der Fraktion der PDS zu der
vereinbarten Debatte zur aktuellen Situation in Nahost,
Drucksache 14/4847. Der Ausschuss empfiehlt, den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 14/4398 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist
die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich stelle jetzt die Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.
mit dem Titel „Für eine Konferenz für Sicherheit und Zu-
sammenarbeit im Nahen Osten (KSZNO)“, Drucksa-
che 14/4848, zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt
auf Drucksache 14/4392, den Antrag abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Gegen die Stimmen von PDS und F.D.P.
ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf:
25 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung des Gerichtsvollzieherkosten-
rechts – GvKostRNeuOG –
– Drucksache 14/3432 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4913 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Wolfgang Freiherr v. Stetten
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umstellung des Kostenrechts und der Steu-
erberatungsgebührenverordnung auf Euro –
KostREuroUG –
– Drucksache 14/4222 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Staatsminister Dr. Ludger Volmer

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(C)



(D)



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(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

(Drucksache 14/4908)

Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Wolfgang Freiherr v. Stetten
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Es ist vereinbart worden, die Reden zu Protokoll zu ge-
ben; das betrifft die Kollegen Alfred Hartenbach,
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Helmut Wilhelm,
Rainer Funke, Dr. Evelyn Kenzler und Prof. Dr. Eckhart
Pick.1) Wir kommen damit zu den Abstimmungen. Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Gerichtsvollzie-
herkostenrechts, Drucksachen 14/3432 und 14/4913. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die Stim-
men von F.D.P. und PDS ist der Gesetzentwurf damit in
zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Stimmenthaltungen? – Gegen die Fraktionen
von F.D.P. und PDS ist der Gesetzentwurf in dritter Bera-
tung angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Umstellung des Kosten-
rechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf
Euro, Drucksachen 14/4222 und 14/4908. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg von
Essen, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der
F.D.P.
Ende der doppelten Benachteiligung für die
Rechtsanwälte in den neuen Ländern
– Drucksache 14/3485 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsaussschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P.-Fraktion fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre kei-
nen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Ihre Reden zu Protokoll
gegeben haben die Kollegen Alfred Hartenbach, Staatsse-
kretär Dr. Eckhart Pick und Dr. Evelyn Kenzler, sodass
noch drei Redner übrig bleiben.2)Als Erstem übergebe ich
dem Kollegen Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion das
Wort.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1414111500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung
fehlt mir ein wenig der Glaube daran, dass die Bundesre-
gierung bereit ist, die Wiedervereinigung auch im beruf-
lichen Alltag der Justiz durchzusetzen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Wie kann es denn sonst sein, dass der Rechtsanwalt oder
Notar, der im Ostteil Berlins oder in den neuen Bundes-
ländern ein Mandat annimmt, noch einen Abschlag der
Gebühren in Höhe von 10 Prozent hinnehmen muss, ob-
wohl er doch regelmäßig weit niedrigere Gegenstands-
werte als seine Kollegen im Westen hat?


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist in der Tat unglaublich!)


Seit Mai 1999 gelten bei der Deutschen Bahn in Ost
und West die gleichen Preise. Die Kosten für Telefon,
Porto und Kfz sind in Ost und West ebenfalls gleich hoch.
Die Kosten für Versicherung, Bewirtschaftung und Büro-
miete liegen zum Teil über dem Westniveau.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur zum Teil!)


Ist da eigentlich die Rechtspflege eine Ausnahme?
1996 hat das Justizministerium den Abschlag von

20 Prozent auf 10 Prozent gesenkt. Es ist jetzt an der Zeit,
ihn gänzlich verschwinden zu lassen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei liegt es letztlich allein in der Hand der Justizminis-
terin, ob sie dieser Bestrafung für die Anwälte der neuen
Bundesländer und teilweise auch Berlins ein Ende setzen
will.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Staatssekretär, geben Sie sich einen Ruck und been-
den Sie diese doppelte Benachteiligung für Rechtsan-
wälte, Notare und letztlich die gesamte Justiz. Die Kolle-
gen im Osten arbeiten nämlich genauso gut wie ihre
Kollegen in den alten Bundesländern.


(Beifall bei der F.D.P.)

Bei den Architekten und Ingenieuren hat man bereits 1993
die notwendigen Konsequenzen gezogen und ihnen die
gleichen Gebühren nach der HOAI zugebilligt. Warum

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
13852


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(D)



(A)



(B)


1) Anlage 24 2) Anlage 25

soll das nicht auch für die Rechtsanwälte und Notare gel-
ten?


(Beifall bei der F.D.P. und der PDS)

Lassen Sie mich abschließend auf einen Sonderfall zu

sprechen kommen, nämlich auf den Sonderfall Berlin.
Wie der Regierende Bürgermeister Berlins – bei dem ich
immer noch die Hoffnung habe, dass er wieder ein eigen-
ständiges Justizressort einführt –


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


bereits auf dem Anwaltstag 2000 ausgeführt hat, ist der
Abschlag in Berlin nicht nur unsinnig, sondern offen-
sichtlich auch widersprüchlich.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Im Ostteil der Stadt ist die Arbeitslosigkeit geringer als im
Westen. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ist
in manchen Stadtteilen im Osten höher als in denen des
Westens. Wie kann man da noch guten Gewissens an dem
Abschlag festhalten? Auch die Justizministerkonferenz
hat daher vollkommen zu Recht auf ihrer jüngsten Tagung
Berlin darin unterstützt, den Abschlag abzuschaffen, und
zwar mit einem Abstimmungsergebnis von 16 : 0; es be-
deutet schon etwas, wenn sich die Länder so einheitlich
verhalten.

Die Behauptung, dass man den Abschlag nur im Ein-
klang mit den neuen Bundesländern abschaffen könne, ist
falsch. So bedarf es doch weder einer Zustimmung des
Bundesrates noch eines sonstigen Votums der neuen Län-
der, geschweige denn eines Gesetzes. Thüringen zum Bei-
spiel aber hält, wie mir vom Bundesjustizministerium
mitgeteilt wurde, eine rasche Aufhebung des Gebühren-
abschlags für unumgänglich. Schließlich besteht dieses
Votum für Berlin nunmehr aufgrund der Beschlüsse des
Bundesrates einstimmig.

Es liegt also allein an der Bundesjustizministerin, mit
der heutigen Debatte, die die letzte des Bundestages vor
dem Weihnachtsfest ist, die Bereitschaft zu zeigen, die
Anwälte und Notare in Ost und West gleich zu behandeln.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also ein Weihnachtsgeschenk?)


– Nein, ich habe nur darauf hingewiesen, dass wir die
Letzten aus dem Rechtsausschuss sind, die in dieser De-
batte noch reden, und dass es jetzt bei der Justizministe-
rin liegt, die Arbeit der Notare in Ost und West gleich zu
behandeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111600
Das Wort hat nun der
Kollege Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! In der letzten Debatte dieses Jahrtausends – denn
nach richtiger Rechnung geht das zweite Jahrtausend erst
in diesem Monat zu Ende – geht es wieder einmal um
Geld und letztendlich um die Beseitigung der Folgen der
deutschen Vereinigung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der deutschen Teilung!)


– Gut, der Teilung und dann der Vereinigung.
Ich verheimliche nicht meine klammheimliche Freude

darüber, dass ein solcher Antrag gestellt wird. Denn dies
gibt mir Gelegenheit, meine grundsätzliche Sympathie
dafür zum Ausdruck zu bringen. Ich selber bin ja Rechts-
anwalt. Sie wollen die Gebühren für Rechtsanwälte in der
Bundesrepublik Deutschland, vor allen Dingen in Berlin,
erhöhen. Dagegen kann ein Rechtsanwalt eigentlich
nichts haben.

Auch die Gründe, die Sie genannt haben und die auf
der Hand liegen, sind richtig:


(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie sind zwingend!)

Die Kosten sind ganz erheblich gestiegen. Die durch-
schnittlichen Einnahmen von Rechtsanwälten in der Bun-
desrepublik, vor allen Dingen in Ostdeutschland, sind ge-
fallen. Sie haben ja die Zahlen von 1996 und 1997
miteinander verglichen. 1998 war die Tendenz ähnlich.
Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sehr viel
mehr Anwälte tätig sind, wie das auch bei den Ärzten der
Fall ist. Die Anwälte bekommen zudem ihr Honorar nach
sehr viel geringeren Streitwerten. Denn die Streitwerte in
Ostdeutschland sind geringer, weil die Löhne und Mieten
meist niedriger sind als in Westdeutschland. Also bekom-
men wiederum die Anwälte weniger.

Das alles ist sehr zu Herzen gehend und sehr ernst zu
nehmen. Wenn ich mit den Kolleginnen und Kollegen
spreche, dann sagen sie natürlich: Jetzt tu doch endlich
einmal etwas im Deutschen Bundestag, damit die gesetz-
lichen Gebühren den Lebensverhältnissen angepasst wer-
den. Alles d’accord! Ich habe dafür große Sympathie.

Nur, der Partei der angeblichen Gerechtigkeit sage ich:
Sie müssen berücksichtigen – das kommt in Ihrem Antrag
nicht vor –, dass Sie das Geld anderer Leute ausgeben
wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Der Mandanten!)


Sie wollen letztlich das Geld der Mandanten ausgeben.
Denn die müssen das nachher bezahlen. Solange die Men-
schen in den östlichen Bundesländern weniger verdienen
und solange der Lohn vieler – auch der im öffentlichen
Dienst tätigen Menschen – mit einem Abschlag versehen
ist, so lange ist überhaupt nicht zu vermitteln, dass ausge-
rechnet bei den Rechtsanwälten eine Ausnahme gemacht
wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nur deshalb – alle übrigen Gründe der Kolleginnen und
Kollegen sind richtig – ist es ungerecht, wenn wir die

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Rainer Funke

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(D)



(A)



(B)


Gebühren erhöhen. Solange wir es nicht schaffen, das Ni-
veau der Einkommen, vor allen Dingen das im öffentli-
chen Dienst, anzugleichen – es ist natürlich zu fragen,
warum wir das nicht schaffen; Sie haben dazu gestern
Anträge eingebracht; wir haben versucht, da etwas zu än-
dern –, so lange gäbe es eine Gerechtigkeitslücke und so
lange können wir die Anwälte nicht bevorzugen. Das sage
ich, obwohl ich selber davon betroffen bin.

Dazu noch eine Ausnahme: das Land Berlin. Den Be-
schluss der Justizministerkonferenz, den Sie hier genannt
haben, haben Sie zutreffend wiedergegeben. Er ist ein-
stimmig gefasst worden. Nur, in Berlin – Sie haben ver-
gessen, das zu erwähnen – ist die Angleichung der Löhne,
vor allen Dingen die der Einkommen im öffentlichen
Dienst, weitgehend umgesetzt. Deshalb besteht in Berlin
eine Sondersituation. Wenn die Justizminister nun gesagt
haben, in Berlin sei es gerechtfertigt, dass die Gebühren
verändert werden und in Ost und West gesetzlich gleich
sein sollten, dann hat das diesen Grund und spricht eher
dagegen, das im Rest der östlichen Bundesländer genauso
zu machen. Denn genau diese Voraussetzung ist dort nicht
gegeben.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111700
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414111800
Bitte sehr, Herr Kol-
lege. Das ist die letzte Zwischenfrage in diesem Jahrtau-
send.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1414111900
Das weiß man noch nicht,
da vermutlich noch ein Vertreter des Ministeriums spre-
chen wird. Vermutlich kommen noch viele Zwischenfra-
gen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1414112000
Nein, diese Rede
wurde zu Protokoll gegeben.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1414112100
Herr Kollege, da Sie die
unterschiedlichen Einkommen in Ost und West beklagen
– in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu –, möchte ich Sie
fragen, warum Sie persönlich gegen den Antrag der F.D.P.
gestimmt haben, zum Beispiel die Bundeswehrangehöri-
gen in Ost und West gleich zu besolden.


(Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

einem solchen Antrag – so wie jeder andere Abgeord-
nete – gerne zustimmen, erst recht jetzt vor Weihnachten,
aber auch schon vor einem halben Jahr. Die Frage ist aber:
Woher nehmen wir das Geld dafür? Solange wir einen
strapazierten Bundeshaushalt haben, weil alte Schulden
beglichen werden müssen, kann meinem Herzenswunsch
und dem aller


(Jörg Tauss [SPD]: Aller!)


Kolleginnen und Kollegen nicht nachgekommen werden,
die Gehälter der Beamten anzugleichen.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Ihr Antrag ist im Prinzip richtig. Aber er wurde zur Unzeit
gestellt, weil die Finanzierung im Augenblick nicht si-
chergestellt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die Menschen haben jetzt das Geld nötig!)


– Sie haben jetzt das Geld nötig. Aber man muss sich fra-
gen, woher das Geld kommen soll. Darüber können wir
uns – wir haben das bereits gestern getan – weiterhin un-
terhalten.

Ich plädiere dafür, gegen Ihren Antrag zu stimmen,
weil ich der Meinung bin, dass Rechtsanwälte und
Rechtsanwältinnen nicht wollen können, dass eine solche
Gerechtigkeitslücke geschaffen wird.

Nun verabschiede auch ich mich und wünsche Ihnen
allen – wiederum entgegen meinen Berufsinteressen – ein
möglichst streitarmes Weihnachten, ein möglichst rechts-
streitarmes Weihnachten, ein möglichst streitarmes nächs-
tes Jahr, ein möglichst rechtsstreitarmes nächstes Jahr,
nämlich ein friedliches Weihnachten und ein friedliches
neues Jahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414112200
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Andrea Voßhoff von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1414112300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag der
F.D.P. behandeln wir wieder einmal das Thema „Aufhe-
bung der zehnprozentigen Gebührenermäßigung für
Anwaltsgebühren, aber auch anderer Kostengesetze in
den neuen Ländern“.

Worum geht es konkret? Gemäß Anlage I des Eini-
gungsvertrages ist bei den Gebühren nach der Bundes-
rechtsanwaltsgebührenordnung, aber auch nach anderen
Kostengesetzen für das Gebiet der neuen Länder ein Ab-
schlag vorzunehmen. Dieser belief sich zunächst auf
20 Prozent. Der Kollege Funke hat bereits darauf hinge-
wiesen, dass dieser im Jahre 1996 auf 10 Prozent reduziert
wurde.

Das Ergebnis ist: Für anwaltliche und notarielle, aber
auch für andere justizielle Leistungen wird im Gebiet der
neuen Länder gegenwärtig eine Gebühr von 90 Prozent
der Gebühr nach der westdeutschen Regelung erhoben.
Diese Gebühr will die F.D.P. nun auf 100 Prozent anglei-
chen.

Bereits im vergangenen Jahr – übrigens auch im De-
zember – stand die Frage schon einmal auf der Tagesord-
nung dieses Hohen Hauses, im Zusammenhang mit der
Novellierung des § 78 ZPO.


(Rainer Funke [F.D.P.]: Richtig!)


Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Hans-Christian Ströbele
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(D)



(A)



(B)


Soweit ich den Protokollen entnehmen konnte, waren sich
bereits im vergangenen Jahr fast alle Redner – nicht alle,
Herr Ströbele hat dies gerade erwähnt – zu diesem Thema
einig, dass eine Angleichung der Gebühren in Ostdeutsch-
land an das in Westdeutschland geltende Niveau wün-
schens- und erstrebenswert ist. Ich darf aus der damaligen
Debatte den Staatssekretär Pick zitieren, der für das An-
liegen großes Verständnis signalisierte und für die
Bundesregierung erklärte, alle Bestrebungen zu unterstüt-
zen, die zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen
führen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Mit dem Hinweis auf die noch nicht vorhandenen glei-
chen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen
Ländern konnte die Bundesregierung im vergangenen
Jahr dem Vorhaben nicht zustimmen. Ein halbes Jahr spä-
ter, am 2. Juni 2000, hat die Bundesjustizministerin in ih-
rer Begrüßungsrede beim 51. Deutschen Anwaltstag in
Berlin die Forderung nach Aufhebung des zehnprozenti-
gen Ostabschlags dem Grunde nach immer noch für rich-
tig gehalten. Sie verwies aber nach wie vor ebenfalls da-
rauf, dass die für die Abschaffung des bestehenden
Abschlags erforderliche Angleichung der Lebensverhält-
nisse noch nicht vorliege.

Wieder ist ein halbes Jahr vergangen. Mit nahezu vor-
weihnachtlicher Spannung harren wir schon jetzt der Po-
sition, die die Bundesregierung in dieser Frage heute ver-
treten wird. Zumindest werden wir sie im Protokoll
nachlesen können. Wir können ahnen, dass sich diese Po-
sition wahrscheinlich wieder an der Kernfrage orientiert,
die mit diesem Antrag verbunden ist, nämlich die Frage
nach dem Stand der Angleichung der Lebensverhält-
nisse in Ost und West.

Unabhängig von der konkreten Detailforderung der
F.D.P. gilt: Diese Kernforderung, nämlich die Anglei-
chung der Einkommensverhältnisse in Ost und West, ist
von grundsätzlicher Bedeutung; denn sie ist der Dreh- und
Angelpunkt des Aufbaus Ost.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Umso bedauerlicher ist es, dass dieser Tagesordnungs-

punkt Schlusspunkt der heutigen Debatte und damit wohl
auch Schlusspunkt der Debatte im Jahr 2000 ist. Das zeigt
wieder einmal – wenn auch in kleinen Nuancen –, wel-
chen Stellenwert die rot-grüne Regierungsmehrheit der
Entwicklung in den neuen Länder zubilligt.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber, aber!)


Etwas zur Chefsache zu erklären heißt für diese Regie-
rung eben noch lange nicht, es auch als solche zu behan-
deln.


(Brigitte Adler [SPD]: Das ist unerträglich!)

Zur konkreten Forderung des F.D.P.-Antrages möchte

ich eines unmissverständlich zum Ausdruck bringen: Ich
halte die perspektivische Angleichung der Gebühren dem
Grunde nach für richtig und geboten.


(Jörg Tauss [SPD]: Das sind diejenigen, die in den neuen Bundesländern alle Tarife senken wollen!)


Angesichts der Tatsache, dass im Jahre 1996 der Ge-
bührenabschlag von 20 auf 10 Prozent reduziert wurde,
liegt die Diskussion um die Streichung auch dieses letzten
Abschlags heute, vier Jahre später, natürlich nahe.

Ich kann die Argumente der betroffenen Standesvertre-
tungen für die Abschaffung des Abschlags nachvollzie-
hen. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass be-
reits geringere Streitwerte, wie wir sie auch in den neuen
Ländern vorfinden, die Höhe der Gebühren nach unten re-
gulieren. Betriebliche Kostenquoten in den Kanzleien von
bis zu 70 Prozent belasten zusätzlich.


(Brigitte Adler [SPD]: Wer hat denn den Einigungsvertrag unterschrieben? Das sind doch Sie gewesen!)


Der im vergangenen Jahr bei der Postulationsfähigkeit
in Richtung Rechtsangleichung beschrittene Weg ist kon-
sequent fortzusetzen.


(Zuruf der Abg. Brigitte Adler [SPD])

– Hören Sie doch bitte bis zum Ende zu, bevor Sie kriti-
sieren. – Die Frage ist allerdings, ob die Streichung auch
des letzten Abschlags, wie von der F.D.P. gewünscht, zum
jetzigen Zeitpunkt realisierbar ist.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Deshalb müssen wir uns auch mit folgender Frage aus-
einander setzen: Gestalten Sich die Einkommensverhält-
nisse der Menschen in den neuen Ländern mittlerweile so,
dass die Abschaffung des Gebührenabschlags Ost vertret-
bar ist?

Nach einer Recherche der brandenburgischen Landes-
regierung liegt das allgemeine Einkommensniveau unter
Einbeziehung der hohen Erwerbslosenquote in den neuen
Ländern im Vergleich zum alten Bundesgebiet bei etwa
70 Prozent.

Wie dem Jahresbericht 2000 der Bundesregierung
zum Stand der deutschen Einheit zu entnehmen ist, hat
sich die Angleichung der Löhne und Gehälter in letzter
Zeit deutlich verlangsamt. Mittlerweile wurde ein durch-
schnittliches Tarifniveau von 91 Prozent der Westentgelte
erreicht. Während in der Druckindustrie und bei den Ban-
ken die Tarife teilweise bei 100 Prozent der Westtarife lie-
gen, sind zum Beispiel im Hotel- und Gaststättengewerbe
nur rund drei Viertel des Westtarifs erreicht.

Auch nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes
liegen die Einkommensverhältnisse der Menschen im
Osten regelmäßig und teilweise deutlich unter den Ein-
kommensverhältnissen der Menschen in den alten Bun-
desländern. Am besten schneidet danach das Versiche-
rungsgewerbe ab. Der Bruttomonatsverdienst eines ost-
deutschen Angestellten liegt hier bei 86,35 Prozent des
Verdienstes seines westdeutschen Kollegen. Es folgt der
Einzelhandel mit einem Verhältnis von Ost zu West von
circa 80 Prozent, sodann das Kreditgewerbe mit circa
77 Prozent, das produzierende Gewerbe mit circa 74 Pro-
zent und der Großhandel mit circa 72 Prozent. Schluss-
licht bildet nach den aktuellen Zahlen des Statistischen
Bundesamtes das Handwerk. Hier liegen die Vergleichs-
werte durchgängig unter 70 Prozent. Angesichts dieser
Zahlen wird man nicht guten Gewissens von einer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 141. Sitzung. Berlin, Freitag, den 8. Dezember 2000
Andrea Voßhoff

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Angleichung der Einkommensverhältnisse dieser Berufs-
gruppen sprechen können.


(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Es bestehen noch weitere Unterschiede: Die Besol-
dung für Richter und Beamte im Osten beträgt gegenwär-
tig 86,5 Prozent des Westniveaus. Sie wird allerdings
rückwirkend ab August dieses Jahres auf 87 Prozent, ab
Januar 2001 auf 88,5 und ab Januar 2002 auf 90 Prozent
angehoben.

Schließlich noch zu dem in den neuen Ländern nieder-
gelassenen Arzt: Die von den ostdeutschen kassenärztli-
chen Vereinigungen ausgehandelten Gesamtvergütungen
für die Behandlung von Kassenpatienten fallen regel-
mäßig geringer aus als diejenigen im Westen. Im Ergeb-
nis verdient der ostdeutsche Arzt durchschnittlich 80 Pro-
zent dessen, was der westdeutsche Kollege verdient.

Angesichts der Tatsache, dass sich die Einkommens-
verhältnisse im Osten denjenigen im Westen bisher nicht
wirklich angeglichen haben, sehe ich zwar dem Grunde
nach Konsens hinsichtlich der Forderung nach einer Ge-
bührenangleichung, bei der zeitlichen Umsetzung jedoch
noch erheblichen Diskussionsbedarf, und zwar in beide
Richtungen.

Natürlich beeinflusst das geringe Einkommen in be-
stimmten Verfahren auch die Streitwerte und damit die
Gebühren der Anwälte. Es reduziert auch die Bereitschaft
in der Bevölkerung, juristische Hilfe in Anspruch zu neh-
men.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414112400
Frau Kol-
legin Voßhoff, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Funke?


Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1414112500
Bitte schön, Herr Kol-
lege.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1414112600
Frau Kollegin, sind Sie der
Auffassung, dass wir beispielsweise für das Emsland die
Gebührenordnung für Anwälte nach unten hin angleichen
müssen, weil dort das Durchschnittseinkommen geringer
ist als zum Beispiel in Hamburg?


Andrea Astrid Voßhoff (CDU):
Rede ID: ID1414112700
Herr Funke, dies ist
nicht vergleichbar. Sie können die strukturschwachen und
strukturstarken Regionen innerhalb der alten Länder nicht
zum Maßstab nehmen. Wir machen auch innerhalb der
neuen Bundesländer keine Unterschiede.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rainer Funke [F.D.P.]: Für Berlin gilt das nicht!)


Mit welchen Belastungen haben aber Privathaushalte
zu rechnen, wenn Gebührenanpassungen – zumindest im
anwaltlichen Bereich – zu 90 Prozent den privatrechtli-
chen Bereich betreffen?

Die Konferenz der Justizminister der ostdeutschen
Länder vom Oktober dieses Jahres sowie die Konferenz
der Justizminister aller deutschen Bundesländer vom No-
vember halten die Erhöhung der anwaltlichen Gebühren
für das Gebiet aller neuen Länder – bis auf Berlin; Sie ha-
ben es erwähnt – gegenwärtig mehrheitlich nicht für rea-
lisierbar.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Über diese Bedenken können wir uns nicht ohne wei-
teres hinwegsetzen. Ich sehe deshalb in den Argumenta-
tionen und den Diskussionen in den Ausschüssen eine
Möglichkeit und eine entsprechende Notwendigkeit, dass
wir uns intensiver mit diesem Thema beschäftigen,
bedingt auch durch die Zahlen, die ich gerade genannt
habe –, auch hinsichtlich der Auswirkungen einer Er-
höhung.

Eines dürfte klar sein: Wir bewegen uns mit dem An-
trag der F.D.P. in einem Spannungsfeld zwischen dem
Wünschbaren und – da stimme ich Ihnen, Herr Funke,
hundertprozentig zu – Notwendigen auf der einen Seite
und dem Machbaren auf der anderen Seite.

Klar ist aber auch, dass eine Angleichung nicht auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden darf und für
die Betroffenen mit einer klaren, vielleicht zeitlich struk-
turierten Perspektive versehen werden muss.

Ich darf mich den Wünschen meiner Vorredner an-
schließen und Ihnen angenehme Feiertage wünschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1414112800
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3485 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um in Ihrer aller
Namen den Saaldienerinnen und Saaldienern am Ende
des Jahres für ihre Arbeit für uns alle sehr herzlich zu dan-
ken.


(Beifall)

Ihnen allen wünsche ich ein friedvolles und fröh-

liches Weihnachtsfest und einen gelungenen Start in das
Jahr 2001.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 17. Januar 2001, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.