Gesamtes Protokol
Schönen
guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Steuerpolitik der
Bundesregierung. Das Wort für den einleitenden fünf-
minütigen Bericht hat der Bundesfinanzminister Hans
Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Zur Einführung. Wir
haben heute im Kabinett noch einmal über dieses Thema
diskutiert und festgestellt: Der Konsolidierungskurs der
Bundesregierung ist die Basis für weit reichende Steuer-
senkungen. Bereits im vergangenen und in diesem Jahr
sind Bürger durch höheres Kindergeld, einen gestiegenen
Grundfreibetrag und niedrigere Steuersätze entlastet wor-
den. Durch die Steuerreform 2000 wird dieser Kurs fort-
gesetzt: Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unterneh-
men werden allein im nächsten Jahr netto um rund
45 Milliarden DM entlastet. Das Entlastungsvolumen
steigt in zwei weiteren Stufen 2003 und 2005.
Im Vergleich zu 1998 werden die Steuerzahler in 2005
rund 95 Milliarden DM weniger Steuern zu zahlen haben
– das sind von der Ausgangslage her 2,6 Prozent des Brut-
toinlandsproduktes –, das ist eine enorme Summe. Rund
30 Milliarden DM der Gesamtentlastung entfallen auf die
Wirtschaft. Bei den privaten Haushalten beträgt die Ent-
lastung rund 65 Milliarden DM.
Ein paar Beispiele: Ein verheirateter Arbeitnehmer
oder eine Arbeitnehmerin mit zwei Kindern und einem
jährlichen Einkommen von 60 000 DM wird in 2005 über
4 000 DM weniger Steuern zahlen müssen als 1998. Bei
einem Jahreseinkommen von 45 000 DM sind es noch
über 3 000 DM Entlastung. Die zum 1. Januar 2001 in
Kraft tretende nächste Reformstufe wird gegenüber dem
Jahr 2000 für die Familie eine Entlastung von rund
740 DM bei einem jährlichen Einkommen von
60 000 DM bringen und eine Entlastung von 430 DM bei
einem Einkommen von 45 000 DM. Das ist die Wirklich-
keit. Es kommt also zu einer deutlichen Entlastung.
Aber entlastet werden nicht nur die privaten Haushalte,
auch die Unternehmen müssen Jahr für Jahr deutlich we-
niger zahlen. Um jetzt auf die Personenunternehmen ein-
zugehen: Ein verheirateter Malermeister mit einem Ge-
winn vor Steuern von 90 000 DM hat 1998 rund
21 300 DM Steuern gezahlt, im Jahr 2005 werden es über
5 600 DM, also rund 26 Prozent, weniger sein. Eine ver-
heiratete Inhaberin eines Tiefbaubetriebes mit einem Ge-
winn von 250 000 DM wird um rund 22 Prozent entlastet.
Das macht klar: Ein großer Gewinner der Steuerreform ist
der Mittelstand.
Wenn Sie wollen, kann ich nachher übrigens gerne
noch einmal über das Thema kalte Progression reden; das
ist nur die andere Seite derselben Sache. Dabei geht es um
die Frage, wie sich der Steueranteil verändert, wenn das
Einkommen nicht gleich bleibt, sondern steigt, was ja der
Fall ist. Die Behauptung, dass dann auch der Anteil der
Steuern stiege, ist jedenfalls grundlegend falsch. Viel-
mehr sinkt der Anteil der Steuern. Aber darüber können
wir in der Diskussion gerne noch reden.
Zu den Steuersätzen. Die enorme Entlastung erreichen
wir, indem wir die Steuersätze für alle Steuerzahler dras-
tisch reduzieren. 1998 lag der Eingangssteuersatz bei der
Einkommensteuer noch bei 25,9 Prozent. Am 1. Januar
des nächsten Jahres sinkt er auf 19,9 Prozent und bis 2005
auf 15 Prozent. Auch der Spitzensteuersatz sinkt um
11 Prozentpunkte. 1998 betrug er 53 Prozent. Im nächsten
Jahr liegt er bei 48,5 Prozent. 2005 werden es noch
42 Prozent sein. – Die Steuersätze sinken also über den
gesamten Tarif.
Gleichzeitig wird der Grundfreibetrag massiv angeho-
ben. Im Jahr 2001 bleiben für einen ledigen Arbeitnehmer
von vornherein – ohne Berücksichtigung weiterer Ab-
zugsmöglichkeiten – rund 14 000 DM steuerfrei, 2005
rund 15 000 DM. Der steuerfreie Jahresarbeitslohn liegt
im nächsten Jahr bei rund 38 000DM. Im Jahre 2005 müs-
sen die Bürger bei einem Einkommen von unter
40 300 DM keine Steuern mehr zahlen.
13537
139. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Beginn: 13.00 Uhr
Ich will noch eine Bemerkung zur Einordnung inner-
halb der Europäischen Union machen. Wir liegen dann,
was die Eingangssteuerbelastung, das heißt die Kombina-
tion von Grundfreibetrag und Eingangssteuersatz, betrifft,
mit Finnland am unteren Ende. Wir haben auch, was den
Spitzensteuersatz betrifft, mit die niedrigste Steuerlast in
Europa.
Es gibt zwar zwei Länder, die einen niedrigeren Spitzen-
steuersatz haben, nämlich Großbritannien und Portugal
– dort beträgt der Spitzensteuersatz 40 Prozent –, aber die-
ser tritt dort bereits bei einem wesentlich niedrigeren Ein-
kommen ein – in Portugal bei 60 000 DM, in Großbritan-
nien bei 66 000 DM –, während bei uns die 42 Prozent erst
bei 102 000 DM eintreten. Ich sage dies für alle, die diese
Debatte noch führen wollen: Das ist das Ergebnis des Ver-
fahrens vom Sommer.
Im Bereich der Unternehmensbesteuerung senken wir
nächstes Jahr den Körperschaftsteuersatz auf 25 Prozent
ab. Das ergibt dann mit der Gewerbesteuer, wie Sie wis-
sen, für die Körperschaften eine Belastung von etwa
38 Prozent. Das ist einer der niedrigsten Körper-
schaftsteuersätze in der Europäischen Union. In der Ge-
samtbelastung liegen wir damit in der Europäischen
Union im Mittelfeld, im Vergleich zu Hauptwettbewer-
bern wie Frankreich, den meisten Bundesstaaten der Ver-
einigten Staaten und Japan niedriger.
Die Personenunternehmen werden nicht nur durch die
Absenkung der Steuersätze in der Einkommensteuer ent-
lastet. Mit der Steuerreform 2000 ermöglichen wir ihnen
gleichzeitig die Verrechnung der Gewerbesteuerschuld
mit der Einkommensteuer. Dadurch fällt die Gewerbe-
steuer für die Personenunternehmen als Kostenfaktor in
der Regel – das hängt von dem örtlichen Steuersatz ab –
nahezu weg. Darin liegt eine bedeutende Entlastung. Ge-
werbesteuerpflichtige und gewerbesteuerfreie Personen-
unternehmen werden durch die neue Regelung nahezu
gleichgestellt. Das ist, wie Sie wissen, eine der großen
Zielsetzungen des deutschen Mittelstandes, solange wir in
der alten Bundesrepublik zurückdenken können. Mit der
Steuerreform 2000 wird dies ab dem 1. Januar nächsten
Jahres erreicht.
Ein paar Sätze zu den volkswirtschaftlichen Effekten.
Durch die Entlastung von Bürgern und Wirtschaft errei-
chen wir mit der Steuerreform positive volkswirtschaftli-
che Effekte. Niedrigere Steuersätze erhöhen die Motiva-
tion zu investieren. Die geringere Steuerlast stärkt die
Investitionskraft der Unternehmen. Es wird mehr Investi-
tionen und Innovationen in Deutschland geben.
Das Wirtschaftswachstum hat sich bereits deutlich be-
schleunigt. Wir sind jetzt auf einem sehr soliden Funda-
ment. Höheres Wirtschaftswachstum und stärkere Inves-
titionen schaffen neue Arbeitsplätze. Unserem wichtigs-
ten Ziel, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, kommen
wir so ein Stück näher.
Wir stärken aber nicht nur die Angebotsseite der Wirt-
schaft. Die massive Entlastung der privaten Haushalte
kräftigt die Nachfrage. So bekommen die Unternehmen
mehr Sicherheit, die mit erweiterten Kapazitäten produ-
zierten Güter auch verkaufen zu können. Einen Teil der
Entlastung brauchen die Bürger aber auch – das ist ein an-
deres Thema, das in diesem Hause zurzeit intensiv dis-
kutiert wird –, um private Altersvorsorge aufzubauen.
Ein paar Sätze zur Ökosteuer. Die Ökosteuer wird die
enorme Entlastung der Steuerzahler nicht einschränken.
Die Einnahmen aus der Verteuerung von Energie gibt der
Bund vollständig an die Rentenversicherung weiter. Übri-
gens tun wir an dieser Stelle über die Mineralölsteuer und
die Stromsteuer dasselbe, was die Vorgängermehrheit mit
der Mehrwertsteuer gemacht hat; zurzeit hat das auch die-
selbe Relation. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer
um 1 Prozent wurde damals verhindert, dass der Renten-
versicherungsbeitrag von 20,3 Prozent auf 21,3 Prozent
stieg. Wir haben jetzt durch die rund 17 Milliarden DM
Einnahmen aus der ersten und der zweiten Stufe der Öko-
steuer erreicht, dass der Rentenversicherungsbeitrag von
20,3 Prozent auf 19,3 Prozent abgesenkt werden konnte.
Die dritte Stufe der Ökosteuer zum 1. Januar des nächsten
Jahres im Umfang von rund 5 Milliarden DM ermöglicht
eine weitere Senkung des Rentenversicherungsbeitrags
auf 19,1 Prozent. Damit revidieren wir übrigens auch die
Fehlentwicklung, dass ein großer Teil der Finanzierung
der deutschen Einheit über die Sozialsysteme erfolgte,
also die einseitige Belastung von Arbeitnehmern und bei-
tragszahlenden Betrieben. Diese Fehlentwicklung wird
zurückgenommen.
Der höhere Bundeszuschuss zur Rentenversicherung
hilft bei der Stabilisierung der Sozialversicherungs-
beiträge – ich habe bereits Zahlen genannt –, der Faktor
Arbeit wird entlastet und damit stärker nachgefragt. Die
Ökosteuer hilft also beim Aufbau neuer Arbeitsplätze und
sichert bestehende.
Gleichzeitig lenken wir die deutsche Volkswirtschaft
behutsam auf den Pfad der Nachhaltigkeit. Es kann kei-
nen Zweifel daran geben, dass die bereits eingesetzte Ent-
kopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachs-
tum noch beschleunigt werden muss. Die Energie-
intensität unserer Volkswirtschaft muss sinken, daran
führt kein Weg vorbei. Wir bereiten jetzt den sanften Um-
stieg vor, um späteren schockartigen Entwicklungen vor-
beugen zu können.
Ich will im Übrigen darauf hinweisen, dass unbescha-
det von durchaus verständlicher Einzelkritik an der Aus-
gestaltung der Ökosteuer – besonders wird kritisiert, dass
wir noch keine europäische Harmonisierung haben und
deswegen Ausnahmetatbestände zur Vermeidung von
Wettbewerbsverzerrungen zulasten der deutschen Wirt-
schaft machen müssen – alle sechs Wirtschaftsfor-
schungsinstitute in ihrem Herbstgutachten gesagt haben,
dass die weiteren Stufen der Ökosteuer mit ihrem Konzept
der Belastung der Energie und der Senkung der Renten-
versicherungsbeiträge durchgeführt werden sollen. Das
ist die ausdrückliche Position aller sechs Wirtschaftsfor-
schungsinstitute.
Ein paar Sätze zur Heizkostenbeihilfe: Unbestreitbar
haben die hohen Rohölpreise den Energieverbrauch in
Deutschland verteuert. Für einkommensschwächere Be-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13538
völkerungsgruppen entsteht dadurch ein Problem. Die
Bundesregierung gewährt deshalb eine Heizkostenbei-
hilfe, die BAföG-Empfänger, Wohngeldberechtigte und
einkommensschwache Bürger bekommen sollen. Dieser
einmalige Zuschuss mildert die unerwartete Belastung
aus dem hohen Ölpreis; dieses Instrument ähnelt übrigens
dem, das wir bereits in den 70er-Jahren bei einer ver-
gleichbaren Entwicklung angewandt haben.
Ich komme nun zur Entfernungspauschale: Vom ge-
stiegenen Ölpreis sind auch die Berufspendler betroffen,
die auf das Auto nicht verzichten können. Um die Mehr-
belastung aus dem gestiegenen Benzinpreis zu kompen-
sieren, hat der Bund die Anhebung der Kilometerpau-
schale auf 80 Pfennig und die Umwandlung in eine
Entfernungspauschale vorgeschlagen. Sie wissen, dass
dies im ersten Anlauf im Bundesrat nicht akzeptiert wor-
den ist, sodass es ein Vermittlungsverfahren gibt. Ich bin
mir sicher, dass wir zu einem guten Ergebnis im Sinne der
Einführung einer Entfernungspauschale und der Entlas-
tung derer, die dies in besonderem Maße brauchen, kom-
men werden.
Die Steuerpolitik der Bundesregierung garantiert, dass
die Menschen in diesem Land vom 1. Januar an von Staats
wegen eine alles in allem hohe Entlastung bekommen.
Diese Entlastung ist umso erforderlicher und richtiger, als
durch die gestiegenen Rohölpreise eine erhebliche Ein-
schränkung der Kaufkraft erfolgt. Damit sich dies nicht
nennenswert in der Wirtschaftsentwicklung nieder-
schlägt, ist gerade diese enorme Steuerentlastung von
ganz besonderer Bedeutung. Wir haben einen breiten Auf-
schwung auf einer soliden Grundlage; darüber sind sich
alle Fachleute einig. Die Entlastung ist enorm und wächst
in den nächsten Jahren noch an. Sie ist ökonomisch sinn-
voll und hilft bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Diesen erfolgreichen Kurs der Finanzpolitik werden wir
durchhalten; darauf können Sie sich verlassen.
Ich danke
Ihnen, Herr Bundesfinanzminister. Sie haben für Ihre
Ausführungen eine längere Zeit in Anspruch genommen.
Das ist in Ordnung. Ich will nur darauf hinweisen, dass die
Befragungszeit nicht gekürzt wird, sondern insofern die
Fragestunde wahrscheinlich etwas später aufgerufen
wird.
– Das hängt davon ab, ob die Fraktionen noch Fragebe-
darf haben oder nicht. Die CDU/CSU-Fraktion hat schon
einige Fragesteller benannt. Es wäre ganz schön, wenn
auch von der SPD rechtzeitig mitgeteilt würde, wer den
Bundesfinanzminister befragen möchte.
Ich gebe das Wort zu einer Frage dem Kollegen
Michelbach.
Herr Bundesfinanz-
minister, bei uns Kaufleuten heißt es: Jeder Kaufmann
lobt seine Ware. Ich gestehe Ihnen natürlich zu, dass auch
Sie Ihre Ware loben. Sie tun das in den höchsten Tönen.
Meine Frage ist: Ist es nach dem Sachverständigengut-
achten nicht eher so, dass die Steuerquote seit dem Antritt
der rot-grünen Bundesregierung von 23,0 Prozent auf
24,5 Prozent gestiegen und damit natürlich der Anteil der
Steuern am Bruttoinlandsprodukt wesentlich erhöht wor-
den ist und dadurch Ihr Hinweis auf die Preispolitik der
OECD relativiert wird? Das Problem ist, dass unsere Bür-
ger zu wenig entlastet werden. Auch die Abgabenquote ist
in Ihrer Regierungszeit von 42,3 Prozent auf 43,1 Prozent
gestiegen.
Herr Bundesfinanzminister, zahlreiche Vertreter aus
Wissenschaft und Praxis haben auch auf die Mittelstands-
feindlichkeit Ihrer Steuerreform hingewiesen. Können
Sie die Diskriminierung des Mittelstandes beim Steuerta-
rif und bei der Besteuerung der Gewinne aus Anteilsver-
äußerungen nachvollziehen, wenn Sie bedenken, dass
Kapitalgesellschaften den gesunkenen Körperschaft-
steuersatz schon 2001 in Anspruch nehmen können,
während die Personengesellschaften ihre Steuerlast erst
im Jahre 2005 auf 42 Prozent verringern können bei
gleichzeitiger Geltung der Maßnahmen zur Gegenfinan-
zierung?
Herr Kol-
lege Michelbach, ich glaube, die Frage ist klar gestellt.
Vielen Dank.
Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kol-
lege Michelbach, ich werde Ihnen die Zahlen bezüglich
der Entwicklung der Steuerquote und der Abgabenquote
gerne einmal schriftlich zustellen lassen. Sie werden dann
sehen, dass das, was Sie gerade behauptet haben, nicht
stimmt. Mit Adam Riese lässt sich das ganz einfach bele-
gen: Nächstes Jahr beträgt die steuerliche Entlastung
45 Milliarden DM netto. Das sind 1,1 Prozent vom
Bruttoinlandsprodukt. Damit ist klar, dass die Steuerquote
sinkt. Das ändert sich auch nicht durch die Ökosteuer, de-
ren Aufkommen bei 5 Milliarden DM liegen wird. Zwar
sinkt dadurch die Steuerentlastungsquote von 1,1 Prozent
auf 1 Prozent. Da aber die 5 Milliarden DM zur Senkung
der Rentenversicherungsbeiträge verwandt werden, sin-
ken die Steuern und Abgaben insgesamt um 45 Milliar-
den DM netto. Wie gesagt, ich werde Ihnen die Zahlen
zugänglich machen, inklusive derer, die wir der Europä-
ischen Kommission zugeleitet haben. Die Europäische
Kommission hat bestätigt, dass die Staatsquote sowie die
Steuer- und Abgabenquote gesenkt werden.
Das wird übrigens auch an einem anderen Punkt sicht-
bar. Ich wiederhole gern das, was ich schon am vergange-
nen Freitag deutlich gemacht habe; denn Sie behaupten
noch immer, der Steueranteil am Einkommen würde sich
erhöhen. Ich möchte Ihnen am Fall eines Arbeitnehmer-
haushaltes mit zwei Kindern und einem Bruttoverdienst
von 60 000 DM bei einer angenommenen jährlichen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
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Steigerung, Herr Rauen, von 2,5 Prozent des Einkom-
mens vorrechnen, dass das nicht stimmt. 1998 hat dieser
Haushalt 6 290 DM an Lohnsteuern gezahlt und einen
Nettoverdienst von über 46 000 DM gehabt. 2005 verfügt
dieser Haushalt bei der angenommenen Steigerung über
ein Bruttoeinkommen von rund 71 300 DM. Er zahlt eine
Lohnsteuer in Höhe von 6 540 DM, also – das ist ganz
spannend – gerade einmal 250 DM mehr. Das heißt, dass
die Steigerung des Bruttoeinkommens von rund
11 000 DM quasi steuerfrei geblieben ist. Der Nettover-
dienst liegt dann bei 56 575 DM. Das bedeutet, dass der
Bruttoverdienst zwischen 1998 und 2005 um 18,9 Prozent
und der Nettoverdienst sogar um 22,6 Prozent gestiegen
sind. Anders ausgedrückt: Der Anteil der Steuern am Ein-
kommen sinkt, und zwar nicht nur absolut, sondern auch
– das ist entscheidend – relativ. Ohne unsere Steuerreform
würde der Bruttoverdienst um 18,9 Prozent und der Net-
toverdienst nur um 11 Prozent steigen. Dann wäre der Ef-
fekt der kalten Progression eingetreten, und zwar massiv.
Durch die Reform ist es genau umgekehrt.
Nächster Punkt: Diskriminierung des Mittelstands.
Das stimmt nicht. Herr Michelbach, Sie wissen das doch
auch. Dadurch, dass Sie das immer wieder behaupten,
wird es nicht richtiger. Wenn Sie die Debatte um das
Steuerentlastungsgesetz – das haben Sie übrigens selber
gesagt; ich weiß nicht mehr genau, ob Sie als Person; ich
habe nur noch die Debattenbeiträge von Herrn Merz im
Gedächtnis – im Zusammenhang mit der Debatte um das
Steuersenkungsgesetz sehen, dann wissen Sie, was der
Sachverhalt ist, nämlich dass die Großen per saldo aus
Steuerentlastungsgesetz und Steuersenkungsgesetz keine
Entlastung haben. Das wissen Sie doch. Deswegen ist
auch der Sachverhalt der Absenkung der Körper-
schaftsteuer im Jahre 2005 ein gänzlich anderer als beim
Mittelstand, der eine nachhaltige Nettoentlastung erfährt,
die allerdings, da es sich um 30 Milliarden DM handelt,
nicht auf einen Schlag realisiert werden kann, jedenfalls
dann nicht, wenn man das mit unserer Strategie der Haus-
haltskonsolidierung zusammenbringen will. Der Mittel-
stand ist der Nettogewinner der Reform.
– Ja, ja, natürlich, 30Milliarden DM. Wissen Sie was? Sie
haben ja Pech; denn inzwischen haben dies bereits die
Steuerberater auf ihrem Kongress hier in Berlin deutlich
gemacht.
– Verehrter Herr Hauser, der Herr Vorsitzende hat in sei-
nem Eröffnungsreferat genau dies gesagt. Am Tag darauf
haben Sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die
Überschrift lesen können, dass die Steuerberater nunmehr
den Entlastungseffekt bestätigen. Ich schicke Ihnen die-
sen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gerne
zu, lieber Herr Hauser; ich hatte diesen Presseauszug sei-
nerzeit im Bundestag schon dabei.
Infolge dessen ist die Sache ganz einfach: Der Mittel-
stand bekommt eine Nettoentlastung in Höhe von 30 Mil-
liarden DM, die sich in Stufen aufbaut und im Jahre 2005
vollständig zum Tragen kommen wird. Die Kapitalgesell-
schaften haben wegen ihrer Steuerbelastung aus dem
Steuerentlastungsgesetz bei der Senkung der Körper-
schaftsteuer per saldo keine Entlastung; sie brauchen sie
im Übrigen auch nicht.
Ich erlaube
mir den Hinweis: Je kürzer die Fragen, desto größer ist die
Chance, dass der Bundesfinanzminister auch kurz ant-
wortet.
Ich gebe nun dem Kollegen Spiller das Wort.
Herr Minister, teilen Sie die
Auffassung der wirtschaftswissenschaftlichen Institute,
die in ihrem Herbstgutachten kürzlich die Annahme ver-
treten haben, dank der Steuerreform werde der wirt-
schaftliche Aufschwung in Deutschland im kommenden
Jahr wesentlich an Breite gewinnen, weil nicht mehr al-
leine die ausländische Nachfrage die Konjunktur belebt,
sondern auch die Ausrüstungsinvestitionen der Unterneh-
mungen und die gestiegene Konsumnachfrage von brei-
ten Schichten der Bevölkerung, die sich daraus ergibt,
dass im kommenden Jahr zum ersten Mal seit langem die
Nettolöhne und -gehälter der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer erheblich kräftiger als die Bruttolöhne anstei-
gen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Das kann man sehr
kurz und klar beantworten: Erstens. Alle Institute ein-
schließlich IWF und Kommission sind sich einig, dass die
Steuerreform genau diesen Effekt hat. Sie alle haben sie
deswegen auch positiv bewertet. Es hat lediglich in Brüs-
sel kurzzeitig eine Diskussion darüber gegeben – darauf
möchte ich in diesem Hause hinweisen –, ob die Steuer-
reform nicht prozyklisch sei, das heißt, ob wir sie über-
haupt in diesem Maße und zu diesem Zeitpunkt machen
dürften. Diese Diskussion haben wir hinter uns, nicht zu-
letzt wegen der Ölpreisverteuerung. Jetzt sieht auch die
Kommission, dass es gut ist, diese Steuerreform zu die-
sem Zeitpunkt zu machen.
Zweitens. Die Zahlen bestätigen ausdrücklich, was Sie
zu den Ausrüstungsinvestitionen gesagt haben. Hinsicht-
lich der Nachfrage muss man zwei Dinge unterscheiden.
Objektiv werden wir eine starke Steigerung der Einkom-
men der privaten Haushalte aufgrund der Steuerpolitik
haben, wovon wieder etwas wegen der Ölpreissteigerung
abgeht. Von dieser Seite tun wir also alles, um die Nach-
frage im Binnenmarkt ordentlich zu stützen. Aber dies ist
in besonderem Maße auch eine Frage der Psychologie: Es
kommt darauf an, dass es Zukunftsvertrauen gibt, damit
sich die Einkommenssteigerungen in Nachfrageerhöhun-
gen und nicht in eine höhere Sparrate umsetzen. An die-
ser Aufgabe müssen wir alle wirken. Ich habe übrigens ge-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13540
rade bei führenden Vertretern der Wirtschaftsverbände
mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass sie auf
diesen Sachverhalt selbst hinweisen und sich entspre-
chend verhalten. Wir müssen also deutlich machen, wel-
che Entlastung es hier gibt, dass Zukunftsvertrauen ge-
rechtfertigt ist und dass es deswegen keinen Grund gibt,
die Sparrate zu erhöhen, eher im Gegenteil.
Herr Kol-
lege Thiele.
Herr Minister, Sie ha-
ben gerade wieder ausgeführt, dass sich die Bundesregie-
rung das Ziel gesetzt hat, die Rahmenbedingungen für
Wachstum und Beschäftigung zu verbessern und dazu die
Investitionskraft der Unternehmen zu stärken.
Nun können wir feststellen, dass mit der Steuerreform
die Abschreibungszeiten generell um ein Drittel gesenkt
wurden, für Gebäude in Betriebsvermögen von 4 Prozent
auf 3 Prozent; das ergibt insgesamt eine Belastung von
13,5 Milliarden DM für die Wirtschaft. Vor diesem Hin-
tergrund habe ich die Frage: Wie verträgt sich die Stär-
kung der Investitionskraft mit der beabsichtigten Verlän-
gerung der Abschreibungsfristen? Wie ist der Zeitplan
dafür, wann kommt sie in welcher Form zum Tragen? Ste-
hen Sie zu der Aussage des Bundeskanzlers, dass 3,5 Mil-
liarden DM Mehrbelastung auf keinen Fall überschritten
werden sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die
3,5 Milliarden DM, von denen der Bundeskanzler ge-
sprochen hat, sind ja seit dem Sommer des vergangenen
Jahres Bestandteil unseres Konzepts. Sie sind auch Be-
standteil des Steuerreformkonzepts der CDU/CSU; das
möchte ich immer wieder einmal sagen, damit wir wissen,
worüber wir gemeinsam reden. Wir stehen zu den 3,5Mil-
liarden DM.
Im Übrigen haben wir hier die Situation – weil immer
einzelne Punkte extrapoliert werden, übrigens nach oben
wie nach unten –, dass einzelne Länder sagen, der Betrag
von 3,5 Milliarden DM werde überhaupt nicht erreicht,
einzelne Wirtschaftsverbände dagegen erklären, dieser
Betrag werde überschritten. Wir sind selbstverständlich
jederzeit zu einer Nachprüfung bereit. Wir stehen zu den
3,5 Milliarden DM, die seit einem Vierteljahr im Steuer-
konzept der Regierung stehen. Die allgemeinen Abschrei-
bungstabellen werden aller Voraussicht nach zum 1. Ja-
nuar in Kraft gesetzt.
Nein, das hängt von den Steuerabteilungsleitern ab. – Ich
rate übrigens jedem, einmal darauf zu achten, wie das Ver-
halten der Bundesländer in dieser Frage ist.
Es gibt da eine – ich formuliere es einmal freundlich – ge-
wisse Differenz zwischen dem Abstimmungsverhalten
der Beamten hinter verschlossenen Türen – das muss
durchaus nicht unkoordiniert sein – und den Erklärungen
mancher Landesfinanzminister in der Öffentlichkeit. Hin-
ter verschlossenen Türen ist das Interesse an höheren Ein-
nahmen über Parteigrenzen hinweg vorhanden: Wir ste-
hen zu den 3,5 Milliarden DM und dabei bleibt es auch.
In der Öffentlichkeit erklären gelegentlich auch solche
Länder, sie hätten überhaupt kein Interesse an dem
Thema, die hinter verschlossenen Türen versuchen, mehr
als die 3,5 Milliarden DM hereinzubekommen.
Ich warne also Neugierige und rate dazu, sich einmal
in aller Ruhe sagen zu lassen, wie es wirklich abläuft. Die
3,5 Milliarden DM stehen.
Frau Kolle-
gin Hasselfeldt.
Herr Minister, wie
rechtfertigen Sie denn Ihre Entscheidung, den Körper-
schaftsteuersatz für die Kapitalgesellschaften bereits zum
1. Januar 2001 von immerhin 40 Prozent auf 25 Prozent
zu senken, bei den Personenunternehmen aber den Grenz-
steuersatz bei der Einkommensteuer nur in Trippelschrit-
ten zu senken und ihn im Jahr 2001 bei immerhin noch
48,5 Prozent zu belassen? Wenn Sie darauf mit dem Hin-
weis auf die Haushaltskonsolidierung antworten, wie Sie
es vorhin getan haben, dann möchte ich Sie fragen: Gilt
das Stichwort Haushaltskonsolidierung nur für die 85 Pro-
zent Personenunternehmen? Diese Ungleichbehandlung
von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen ist
mit dem Stichwort Haushaltskonsolidierung allein nicht
gerechtfertigt.
Wie rechtfertigen Sie weiter die Ungleichbehandlung
von Kapital- und Personenunternehmen im Hinblick auf
Veräußerungsgewinnbesteuerung und Umstrukturierung?
Wir haben in den letzten Wochen – noch vor In-Kraft-Tre-
ten der Steuerreform – bereits drei Gesetze mit Änderun-
gen dieser Steuerreform beschlossen. Wie halten Sie es
denn mit der notwendigen Änderung bei den Umstruktu-
rierungsmaßnahmen für Personenunternehmen? Ich
nenne die Stichworte „Mitunternehmererlass – volle Um-
setzung oder Realteilung“? Auch hier wären dringend Än-
derungen des Beschlossenen notwendig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kol-
legin, es tut mir Leid, Ihre Behauptung wird ja nicht da-
durch richtiger, dass Sie sie immer wiederholen. Ich habe
sie Ihnen eben schon widerlegt.
Ich sage es noch einmal: Sehen Sie bitte einfach nach, was
Ihre Fraktion im Bundestag zum Thema Steuerentlas-
tungsgesetz im Frühjahr 1999 gesagt hat. Was Sie hier be-
haupten, ist der schlichte Widerspruch zu Ihren eigenen
Erklärungen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13541
Ich wiederhole es und stelle es anhand von ein paar
Zahlen dar: Die Kapitalgesellschaften sind diejenigen ge-
wesen, die das große Maß der Belastungen im Steuerent-
lastungsgesetz getragen haben. Das war damals auch ge-
wollt. Sie haben es kritisiert. Sie haben damals im
Deutschen Bundestag, also öffentlich, erklärt, das sei – so
Herr Merz wörtlich – ein Programm zur Vertreibung der
großen Gesellschaften aus dem Land. Wir wollten nichts
anderes – das haben wir auch gesagt –, als dass die Be-
lastung durch die Steuersenkung zurückgenommen wird
und dass wir anschließend einen wesentlich niedrigeren
Körperschaftsteuersatz haben. Das heißt, wir haben das
international gültige Prinzip der Verbreiterung der Basis
der Gewinnermittlung mit gleichzeitig wesentlich niedri-
geren Steuersätzen angewendet. Ergebnis war, dass die
Kapitalgesellschaften keine Entlastung bekommen.
Ich sage noch einmal: Das war nie das Problem der Ka-
pitalgesellschaften. Das Problem der Kapitalgesellschaf-
ten war ein international nicht wettbewerbsfähiges Steu-
errecht bzw. Steuersystem. Das Problem der kleinen und
der mittelständischen Betriebe ist, genauso wie bei den
Arbeitnehmern, die hohe Belastung. Deswegen konzen-
trieren wir die gesamte Nettoentlastung für die Wirtschaft
auf die kleinen und auf die mittelständischen Unterneh-
men.
Jetzt komme ich auf Ihr Wahrnehmungsproblem zu
sprechen. Die kleinen und die mittelständischen Unter-
nehmen tragen den geringsten Teil der Gegenfinan-
zierungsmaßnahmen. Die Kapitalgesellschaften tragen
50 Prozent, die privaten Haushalte tragen 25 Prozent und
der Mittelstand trägt ebenfalls 25 Prozent. Der obere
Grenzsteuersatz ist für zwei Drittel der Personenge-
sellschaften zunächst einmal ohne jeden Belang, weil sie
ihn gar nicht erreichen; denn sie weisen einen zu versteu-
ernden Gewinn von weniger als 48 000 DM aus. Sie wer-
den mir zustimmen: Wenn der Spitzensteuersatz bei
102 000 DM greift, dann ist dieser Punkt für diese Unter-
nehmen ohne jede Relevanz.
Was Ihre Bemerkungen zum Spitzensteuersatz angeht,
weise ich wieder darauf hin, dass der Mittelstand im Rah-
men dieser Steuerreform durch die Nettoentlastung von
30 Milliarden DM – sie baut sich in mehreren Stufen
auf – am meisten begünstigt wird. Das heißt, der Mittel-
stand erfährt durch Steuerentlastungsgesetz und Steuer-
senkungsgesetz zum 1. Januar 2001 anders als die Kapi-
talgesellschaften eine Nettoentlastung. Insofern wird der
Mittelstand nicht nur nicht benachteiligt; vielmehr befin-
det er sich bereits zum 1. Januar 2001 in einer besseren
Position als die Kapitalgesellschaften. Von Entlastungs-
stufe zu Entlastungsstufe setzt sich das fort.
Ich komme nun zum Thema Veräußerungsgewinne.
Ich hatte gelegentlich schon den Eindruck – ich weiß
nicht, wie oft man das noch erklären muss –, dass das
Thema „Vollanrechnungsverfahren und Halbeinkünfte-
verfahren“ in Ihren Reihen eine gewisse Verwirrung aus-
gelöst hat. Dafür kann ich aber nichts. Der Sachverhalt ist
ganz einfach: Es gibt keine Steuerfreiheit; vielmehr liegen
Steuerzahlungen zugrunde. Im Unterschied zum bisheri-
gen Verfahren, in dem die Steuern, die vom Unternehmen
gezahlt worden sind, bei der Ausschüttung vollständig er-
stattet wurden, wird nun nichts mehr erstattet.
Das bedeutet aber auch, dass wir bei den Unternehmen
die Mehrfachbesteuerung des gleichen Sachverhaltes
nicht mehr hinnehmen können, weil sie nämlich zum Ka-
pitalverzehr führte. Infolgedessen handelt es sich aber
überhaupt nicht um eine Steuerfreistellung.
Es handelt sich ausschließlich um die Vermeidung des-
sen, was im Vollanrechnungsverfahren völlig unschädlich
ist, nämlich der Mehrfachbesteuerung desselben Sachver-
haltes.
Beim Halbeinkünfteverfahren bleibt es dabei, dass die
25 Prozent Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer ge-
zahlt sind und dass bei der Ausschüttung die Hälfte der
Dividende mit dem persönlichen Steuersatz besteuert
wird, damit man etwa auf dieselbe Steuerbelastung
kommt. Das ist ein anderes Verfahren. Von Steuerfreiheit
und damit von Benachteiligung bzw. Bevorteilung gegen-
über dem anderen System zu reden ist aber völlig fehl am
Platze. Es sind zwei unterschiedliche Systeme. In diesem
Fall handelt es sich um die Vermeidung der Mehrfachbe-
steuerung.
Herr Kol-
lege Lennartz.
Herr Minister Eichel, können
Sie uns vielleicht erklären, wieso bis Ende 1998 die Höhe
der ausländischen Investitionen in Deutschland zum Teil
rückläufig war – ihr Gesamtwert lag bei nur noch knapp
1 Milliarde DM –, während die Höhe der Investitionen
deutscher Unternehmen im Ausland – sie lag bei über
30 Milliarden DM – extrem zugenommen hat? Wie erklä-
ren Sie, dass von 1999 bis zu diesem Jahr umfangreiche
Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland
getätigt wurden und dass deutsche Unternehmen wieder
verstärkt in Deutschland investieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kol-
lege Lennartz, es gibt eine einfache Erklärung. Deutsch-
land ist als Investitionsstandort wieder interessanter ge-
worden. Das ist so. Dazu haben die Haushalts- und die
Steuerpolitik der Bundesregierung einen maßgeblichen
Beitrag geleistet, wie Sie das übrigens bereits in der un-
mittelbaren Reaktion auf unser Zukunftsprogramm 2000
in ausländischen Wirtschaftszeitungen – extrem in denen,
die uns vorher immer massiv kritisiert haben –, zum Bei-
spiel im „Wall Street Journal“, lesen konnten, nach dem
Motto: Es lohnt sich wieder, in Deutschland zu investie-
ren. – Das ist der erste Teil meiner Antwort.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13542
Im zweiten Teil meiner Antwort will ich das noch ein
Stückchen weitertreiben, weil wir im Grunde daran ein
gemeinsames Interesse haben müssen. Wenn das auslän-
dische Kapital einen Bogen um Deutschland macht, ist es
auch für das inländische Kapital schlecht, denn das heißt
ja: Wir halten euer Land als Investitionsstandort für
schlecht. Das kann nicht so sein, dass das nur für die Aus-
länder gilt; das gilt dann auch für die Inländer.
Auch deswegen sage ich: Wir tun eine Menge, um die
Investitionsbedingungen zu verbessern.
Ich will aber auf einen anderen Sachverhalt hinweisen,
weil es dabei natürlich auch einige Schwankungen gibt.
Ich nehme den Fall Daimler-Chrysler: Auf der einen Seite
findet ein unmittelbarer massiver Kapitalabfluss aus
Deutschland statt, aber das muss nicht – einmal abgese-
hen von den Problemen, die dieses Unternehmen im Mo-
ment hat – eine Schwächung der deutschen Wirtschaft be-
deuten, denn eine Verflechtung über den Atlantik hinweg
ist ja prinzipiell vernünftig. Entscheidend ist an dieser
Stelle nur, dass diese Verflechtung nicht einseitig ist, son-
dern dass sich diese Verflechtung sowohl nach der einen
wie nach der anderen Richtung erstreckt.
Dies steckt übrigens hinter den enorm gewachsenen
Kapitaltransaktionen. Wir haben es zurzeit – das hat sich
in den letzten Jahren gewaltig verstärkt – mit einer inten-
siven Zunahme der Verflechtung der Volkswirtschaften
diesseits und jenseits des Atlantiks und – das ist dann für
die Abflussbilanzen unschädlich – natürlich auch inner-
halb der Euro-Zone zu tun. Das heißt, aus „nationalen“, in
einem Land ansässigen und schwerpunktmäßig tätigen
Unternehmen werden europäische Unternehmen. Zuneh-
mend gibt es die Tendenz zur transatlantischen Verflech-
tung.
Auch aus diesem Grunde haben wir – übrigens in bei-
den Richtungen – eine starke Erhöhung der Kapitaltrans-
fers.
Herr Kol-
lege Solms, Sie haben das Wort.
Herr Minister, Sie
erklären immer wieder, dass das Aufkommen aus der
Ökosteuer voll und ganz zur Finanzierung der Rentenver-
sicherung herangezogen wurde.
Das ist zum Gutteil richtig. Ein kleiner Teil wird ja
auch für andere Zwecke genutzt, aber darauf kommt es
mir jetzt nicht an.
Mit dieser Äußerung versuchen Sie doch den Eindruck
zu erwecken, dass damit eine entsprechende Absenkung
der Beiträge der Arbeitnehmer erreicht wird. In Wirklich-
keit werden aber die Beiträge der Arbeitnehmer nur von
19,3 auf 19,1 Prozent gesenkt. Das sind etwa 3,2 Milliar-
den DM. Das Mehraufkommen aus der Ökosteuer beträgt
aber 7 bis 8 Milliarden DM.
– So steht es im Haushalt.
Das heißt, dass Ihre Aussage einerseits richtig ist, aber
andererseits einen völlig falschen Eindruck erweckt. Ist es
nicht so, Herr Minister, dass die Arbeitnehmer bei den
Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung eben
keine dem Mehraufkommen bei der Ökosteuer entspre-
chende Nettoentlastung erfahren?
Dazu kommt, dass 1 Pfennig zusätzliche Mehrwert-
steuer ohnehin aus Ihrer Rechnung herausgehalten wird.
Diese Mehreinnahmen fließen dem allgemeinen Haushalt
zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst
einmal, Herr Kollege Solms: Es ist derselbe Sachverhalt
wie der, den Sie – mit unserer Zustimmung damals – bei
der Mehrwertsteuer in Anspruch genommen haben. Sie
würden ja auch nicht behaupten, dass Sie die Einnahmen
aus der damaligen Erhöhung der Mehrwertsteuer um ei-
nen Prozentpunkt anderweitig verwendet haben. Das ist
auch nachweisbar; das ist nicht geschehen. Die rund
17 Milliarden DM sind in vollem Umfang für den vorge-
sehenen Zweck verwendet worden. Dasselbe gilt auch
hinsichtlich der Verwendung von 200 Millionen DM für
das Programm zur Nutzung erneuerbarer Energien.
Ich will übrigens darauf hinweisen, dass wir in der Zu-
kunft in diesem Zusammenhang noch ein anderes Pro-
blem bekommen. Ich habe ein Haushaltsrisiko. Bis 2003
sind die Beiträge in weiteren Stufen vollständig für
die Rentenversicherungsbeiträge vorgesehen. Jedenfalls
heute gibt es keine Planung, eine weitere Erhöhung der
Ökosteuer dann vorzunehmen.
Bis auf folgenden Punkt wurde nichts in das Renten-
reformkonzept eingerechnet: Der Zuschuss für die Rente
soll dynamisiert werden. Diese Überlegung ist in die mit-
telfristige Finanzplanung des Bundes einbezogen worden.
Der Zuschuss von etwa 33 Milliarden DM soll dynami-
siert werden, indem er an die Steigerung der Lohnsumme
gekoppelt wird. Dieses Risiko soll der allgemeine Haus-
halt tragen. Es ist also nicht so, dass wir von der Ökosteuer
irgendetwas für den Haushalt abzweigen. Es ist vielmehr
so, dass nach dem Jahr 2003 der allgemeine Haushalt das
Risiko der Dynamisierung dieses Zuschusses trägt.
Ich gebe zu, dass ich im Moment die entsprechenden
Zahlen nicht vorliegen habe. Nach meiner Erinnerung
handelt es sich um eine Summe von 5 Milliarden DM. Sie
müssen aber beachten, dass der Zuschuss zur Rentenver-
sicherung um die Steuerentlastung bei Agrardiesel ver-
mindert wird, weil der Agrardiesel von der Ökosteuer aus-
genommen wird.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13543
– Das ist eines der Probleme. Steuerentlastungen mindern
natürlich das Steueraufkommen und damit den Zuschuss
für die Rentenversicherung.
– Nein, wir senken beim Agrardiesel die Steuer.
– Auch das ist falsch.
– Nein. Die Gasölbeihilfe verschwindet. Das eingesparte
Geld kommt aber dem Agrarhaushalt zugute und bewirkt
eine massive Aufstockung dieses Agrarhaushaltes. Damit
senken wir die Steuerbelastung beim Agrardiesel.
– Das ist alles falsch, was Sie sagen. Dies ist eine Minde-
rung der Einnahmen aus der Ökosteuer.
Ich komme zur Nettoentlastung. Herr Kollege Solms,
der Sachverhalt ist der gleiche wie bei der Mehrwert-
steuer, nämlich dass die Beiträge steigen müssten.
– Nein, das hat nichts mit der Rentenreform zu tun, Herr
Kollege Solms. – Sie haben nämlich mit den Mehrein-
nahmen aus dem Mehrwertsteueraufkommen damals
nicht die Beiträge gesenkt, sondern eine Erhöhung ver-
hindert. Es ist so – das hängt mit dem Zahlenverhältnis
von Beitragszahlern zu Rentenempfängern zusammen –,
dass auch bei der Verwendung der Einnahmen aus der
Ökosteuer ein solches Element enthalten ist. Deswegen
spiegelt die Senkung der Beiträge um 0,2 Prozentpunkte
nicht punktgenau den vollen Umfang des Zuschusses von
etwa 5 Milliarden DM wider, sondern entspricht nur einer
Summe von 3,2 Milliarden DM.
Ohne den Zuschuss aus der Ökosteuer hätten wir einen
Beitragssatz, der um mehr als 0,2 Prozentpunkte höher
liegen würde, weil sich die Ausgaben der Rentenversi-
cherung erhöht haben. Man kann also von einer vollstän-
digen Übertragung der Einnahmen aus der Ökosteuer
– minus 200 Millionen DM für die Förderung von ener-
gieeinsparenden Maßnahmen – auf die Rentenversiche-
rung sprechen.
Herr Kol-
lege Seiffert.
Herr Minister, nach dem
Vermittlungsverfahren haben Sie § 34 des Einkommen-
steuergesetzes verändert. Ich möchte in diesem Zusam-
menhang fragen: Warum sind für Handelsvertreter und
die Abfindungen für ausscheidende Arbeitnehmer – so
weit sie über dem Freibetrag liegen – nicht mit einbezo-
gen worden? Wieso wird nicht die Besteuerung nach dem
halben durchschnittlichen Steuersatz wie bei den Ver-
äußerungserlösen vorgenommen? Wie rechtfertigen Sie
diese Ungleichbehandlung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kol-
lege, diese Situation ist dadurch entstanden, dass Landes-
regierungen, die sich bereit erklärten, an der Steuerreform
mitzuwirken, und die sich nicht gänzlich einer Mit-
wirkung verweigert haben – es gab ja eine ganze Reihe
von Landesregierungen aus Ihren Reihen, die dies getan
haben –, Bedingungen gestellt haben und an ihre kon-
struktive Mitwirkung Erwartungen geknüpft haben. Die
rheinland-pfälzische Landesregierung und Herr Brüderle
in Abstimmung mit der F.D.P. haben daran mitgewirkt,
dass die Wiedereinführung des halben Steuersatzes bei
Betriebsveräußerungen in dieser Form – das ist von Herrn
Brüderle ausdrücklich bestätigt worden – im Gesetz auf-
genommen worden ist.
Es gab in diesem Zusammenhang keine Verabredung
hinsichtlich der Regelungen für Handelsvertreter und der
Arbeitnehmerabfindungen. Ich sage aber aufgrund mei-
ner Kenntnis des Verfahrens, dass angesichts der Gesamt-
summe, um die es dann gegangen wäre, eine Einigung
nicht zustande gekommen wäre. Die Bundesländer hätten
sich nämlich nicht in der Lage gesehen – der Bundes-
haushalt befindet sich in keiner anderen Situation, auch
wenn wir manchmal etwas anders darüber reden –, wei-
tere Einnahmeausfälle zu verkraften. Das erleben Sie im
gegenwärtigen Verhalten der Länderregierungen, für das
ich wegen ihrer Finanzlage volles Verständnis habe. Aber
als Bundesfinanzminister muss ich darauf bestehen, dass
die Finanzverfassung eingehalten wird. Was man sich
nicht leisten kann, kann man auch nicht beschließen. Man
kann aber nicht sagen: Was ich mir nicht leisten kann, sol-
len gefälligst andere bezahlen.
Herr Kol-
lege von Larcher.
Herr Minister, der Ge-
schäftsführer der Kreishandwerkerschaft in meinem
Wahlkreis sagt mir, dass er gerade als Mittelständler mit
der Steuerreform sehr einverstanden und zufrieden sei;
endlich sei der Reformstau überwunden.
– Ob Sie lachen oder nicht: Er sagt das. Ähnliches erfahre
ich bei Betriebsbesuchen bei Mittelständlern in meinem
Wahlkreis. Sind der Bundesregierung mehrere solcher
Stellungnahmen von Praktikern, von Mittelständlern be-
kannt, die das Gegenteil von dem beinhalten, was die
Opposition jetzt wieder so laut schreit und was Herr
Michelbach wider besseres Wissen mit konstanter Stur-
heit immer wieder behauptet?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Bundesminister Hans Eichel
13544
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kol-
lege von Larcher, dieselben Erfahrungen mache auch ich.
Im Übrigen ist das ganz einfach zu erklären. An der Spitze
der Steuerreformkommission stand der Steuerexperte des
Deutschen Industrie- und Handelstages, Herr Kühn.
Übrigens haben alle Wirtschaftsverbände, bevor die
Brühler Kommission ihre Empfehlungen abgegeben hat,
dem ausdrücklich zugestimmt, ebenso die Steuerexperten
der Wirtschaftsverbände, die wir bei der weiteren Bear-
beitung beteiligt haben. Dasselbe gilt für die Steuerexper-
ten des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ich halte das für
ein völlig richtiges Verfahren.
Bei allen meinen Vorträgen vor Unternehmerinnen und
Unternehmern erlebe ich das, was Sie sagen. Einzelne
Kritik gibt es; das ist gar keine Frage. Es gibt auch immer
wieder zunächst die Behauptung, wie sie heute von Ihnen,
Frau Hasselfeldt, oder Ihnen, Herr Michelbach, hier auf-
gestellt worden ist. Aber nach einer kurzen Diskussion
sind diese Behauptungen vollständig widerlegt. Ich sage
Ihnen: Auch Ihre Propagandawelle wird immer
schwächer, vor allen Dingen deshalb, weil die Steuerbe-
rater nun gar nicht mehr anders können, als ihrer Klientel
die richtigen Konsequenzen unserer Steuerreform zu er-
klären. Der Kollege Müller sagt mir, er ziehe die Ver-
sammlungen immer sofort auf seine Seite, wenn er den
Teilnehmern sage, sie sollten sich, wenn sie meinten, dass
die Steuerreform für den Mittelstand nur Nachteile
bringe, doch einmal überlegen, ob sie das zurückhaben
wollten, was im letzten Jahr der Regierung Kohl gegolten
hätte. Dann sei absolute Ruhe in jeder Unternehmer-
versammlung.
Mir liegen
noch sieben Wortmeldungen vor; aber die Zeit ist leider
deutlich überschritten, sodass uns nur noch fünf Minuten
für Fragen aus anderen Geschäftsbereichen bleiben.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Uhl.
Herr Eichel, hat
sich das Bundeskabinett heute mit der Aussagegenehmi-
gung für den Bundesaußenminister Joschka Fischer be-
schäftigt, der in dem Prozess gegen den Terroristen Hans-
Joachim Klein als Zeuge auftreten soll? Ich frage weiter:
Sieht die Bundesregierung nicht eine große Gefahr in der
Zeugenaussage dahin gehend, dass dadurch das Ansehen
der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beschädigt
werden kann? Denn schließlich wird dadurch einem brei-
ten Kreis publik, welche unmittelbare Nähe zwischen
dem Außenminister und dem Terroristen Klein damals be-
stand. Schließlich hat der Terrorist Klein Joschka Fischer
als sein großes Vorbild bezeichnet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn er
nur diesem Vorbild nachgeeifert hätte, Herr Kollege!
Die Sache ist einfach. Erstens. Die Bundesregierung
hat sich damit nicht befasst. Zweitens. In einem rechts-
staatlichen Verfahren, in dem ein Mitglied der Bundesre-
gierung als Zeuge auftreten soll, liegt überhaupt kein Pro-
blem für das Ansehen der Bundesrepublik. Es ist doch
völlig selbstverständlich, dass, wenn erforderlich, in ei-
nem rechtsstaatlichen Verfahren jeder von uns seinen Bei-
trag zur Findung der Wahrheit zu leisten hat.
Herr Minister, der „Bild“-Zei-
tung von heute habe ich entnommen, dass Sie sich im Ka-
binett mit dem erleichterten Arbeitsmarktzugang Nicht-
deutscher beschäftigt haben. – Auch Staatssekretär
Andres ist ja anwesend, sodass er Ihnen vielleicht bei der
Beantwortung meiner Frage zur Seite springen kann. – Sie
erinnern sich, dass die Koalition im März dieses Jahres
den Antrag der F.D.P.-Fraktion auf Abschaffung der
Arbeitsgenehmigungspflicht abgelehnt hat. Jetzt hat die
Koalition eine Regelung getroffen, die Bürgerkriegs- und
anderen Flüchtlingen – nach einer Vorrangprüfung – ei-
nen unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt zubilligt,
Asylbewerbern allerdings weiterhin ein Arbeitsverbot
von zwölf Monaten auferlegt – dies wird hier Wartefrist
genannt –, bevor der Betroffene das Recht erwirbt, in die
Vorrangprüfung einzutreten. Der „Bild“-Zeitung ent-
nehme ich jetzt, dass diese Änderung, die ich sehr befür-
worte, weil sie in die richtige Richtung geht – nach mei-
nem Dafürhalten ist sie allerdings nicht weit genug –, in
der Zukunft bei den Gemeinden Minderausgaben von
900 Millionen DM und bei den Sozialversicherungsträ-
gern Mehreinnahmen von ungefähr 1,3MilliardenDM er-
warten lässt.
Ich frage daher die Bundesregierung, aus welchem
Grund sie – wenn sie denn schon bei der Vorrangprüfung
bleiben will – dieses zwölfmonatige Arbeitsverbot bei
Asylbewerbern aufrechterhalten hat. Denn Sie gehen ja
richtigerweise davon aus, dass ein Mensch, der sich in un-
serem Land aufhalten darf, für die Dauer seines legalen
Aufenthaltes auch die Möglichkeit bekommen sollte,
selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Warum dür-
fen also Asylbewerber insbesondere vor dem Hintergrund
der Tatsache, dass Sie die Vorrangprüfung nicht abge-
schafft haben, nicht vom ersten Tag an arbeiten?
Herr Parla-
mentarischer Staatssekretär, bitte.
G
Herr Kollege Niebel,
ich versuche jetzt, einige Ihrer vielfältigen Fragen zu be-
antworten und auf Ihre Behauptungen einzugehen: Das
Bundeskabinett hat heute einer Ministerverordnung zuge-
stimmt, mit der die Arbeitsgenehmigungsverordnung
geändert wird. Diese Verordnung hat zum Ersten das Ziel,
den seit 1997 bestehenden so genannten Clever-Erlass
aufzuheben. Zum Zweiten hat sie die Gleichbehandlung
aller von Ihnen genannten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt
zum Ziel, indem eine einheitliche einjährige Wartefrist
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13545
eingeführt wird. Zum Dritten wird mit ihr verwirklicht,
dass betroffene Personen, die bereits seit einem Jahr bei
einem Arbeitgeber arbeiten, nicht eine erneute Vorrang-
prüfung machen müssen, sondern weiter bei diesem Ar-
beitgeber arbeiten können. – Das enthält diese Verord-
nung im Wesentlichen.
Wir folgen mit dieser Verordnung mehreren Überle-
gungen: Zum einen reagieren wir damit auf die derzeitige
Arbeitsmarktsituation mit immerhin noch 3,65 Milli-
onen Arbeitslosen, wie die Bundesanstalt für Arbeit erst
kürzlich mitgeteilt hat. Zum anderen wollen wir mit die-
ser Regelung vermeiden, dass es zusätzliche Anreize auf
Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland aus-
schließlich aus wirtschaftlichen Gründen und Arbeits-
marktgesichtspunkten gibt. Ferner wollen wir mit dieser
Regelung notwendige Integrationsansätze umsetzen.
Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie in diesem Zu-
sammenhang bereits im März dieses Jahres einen Antrag
gestellt haben. Aber Sie wissen, dass dieser Antrag den
Wegfall des kompletten Arbeitsgenehmigungsrechtes be-
inhaltete. Wir haben Ihnen schon damals gesagt, dass die
Bundesregierung ein solches Ansinnen für Unsinn hält.
Das sehen wir nach wie vor so. Wir halten das für unsin-
nig und das, was wir mit dieser Verordnung auf den Weg
gebracht haben, für völlig richtig.
Zu den Zahlen, die Sie genannt haben, darf ich Ihnen
sagen, dass nach Erkenntnissen der Bundesregierung
etwa 120 000 Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber und
geduldete Ausländer unter das Arbeitsmarktzugangsver-
bot fallen. Diese Zahl gilt für den Zeitraum vom 15. Mai
1997 bis heute. Mit der neuen Verordnung wird es mög-
lich sein, dass rund 85 000 dieser Personen einen unmit-
telbaren Arbeitsmarktzugang bekommen, weil ihre War-
tefrist erfüllt ist. Unterstellt man, dass etwa 80 Prozent
dieser Personen eine Arbeit bekommen, dann würden sich
die Zahlen ergeben, die Sie einer großen Boulevard-
zeitung entnommen haben. Wir würden nämlich auf der
einen Seite rund 900 Millionen DM an Sozialhilfezahlun-
gen einsparen und bei einer Beschäftigungsquote von
80 Prozent beim Bruttosozialprodukt zusätzlich 3,3 Mil-
liarden DM erwirtschaften. Diese Personengruppe würde
rund 1,2Milliarden DM Sozialversicherungsbeiträge zah-
len. Diese Zahlen unterstellen wir auch bei der Vermu-
tung, dass nicht die vollen 100 Prozent der betroffenen
Menschen erwerbstätig sein werden – dies auch wegen
der Vorrangprüfung –, sondern nur 80 Prozent.
Danke
schön. – Es liegt eine letzte Frage des Kollegen Bleser vor.
Herr Präsident, meine
Frage betrifft einen anderen Geschäftsbereich. Ich frage
die Bundesregierung, in welchem Umfang sie bereit ist,
die Kosten der BSE-Schnelltests, für die Beseitigung von
nicht zugelassenem Tiermehl und für die Entsorgung von
Tierkadavern zu übernehmen.
Herr Staats-
sekretär Thalheim antwortet.
D
Herr Kollege Bleser, in der heutigen Kabinettsitzung hat
– so bin ich informiert worden – der Bundesland-
wirtschaftsminister über die Ergebnisse des Agrarrates
berichtet. Der Herr Bundesminister hat diese Ergebnisse
bereits in der gemeinsamen Sitzung des Agrarausschusses
und des Gesundheitsausschusses dargestellt. Darüber hi-
naus ist im Kabinett nicht über eine mögliche Kosten-
übernahme diskutiert worden. Wie Sie wissen, ist eine
gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern ein-
berufen worden, die zur Stunde in Bonn tagt, die die Vo-
raussetzungen für eine mögliche Kostenkalkulation
schaffen soll. Wenn sie auf dem Tisch liegt, wird die Ent-
scheidung zu treffen sein, wie hinsichtlich der Kosten-
übernahme im Einzelnen verfahren wird.
Damit be-
ende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/4860 –
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Die Fragen 1 und 2 des Ab-
geordneten Hartmut Koschyk werden schriftlich beant-
wortet.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Christa Nickels zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Max Straubinger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich der Bundesaus-
schuss Kassen/Ärzte darauf geeinigt haben soll, dass zukünftig
keine Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Kinderärzte, sondern nur
noch Spezialärzte Sprachtherapien verordnen dürfen?
C
Herr Kollege, ich beant-
worte Ihre Frage wie folgt: Der Bundesausschuss der
Ärzte und Krankenkassen hat dem Bundesministerium
für Gesundheit die am 16. Oktober 2000 beschlossenen
Heilmittelrichtlinien zur Prüfung nach § 94 des SGB V
vorgelegt. Ich glaube, es ist wichtig, zu wissen, dass diese
Richtlinien am 26. Oktober 2000 bei uns im Haus einge-
gangen sind. Deshalb ist das Fristende für die Prüfung in
unserem Haus nicht der 16.Dezember – wie manche mei-
ner Kollegen angenommen haben –, sondern der 27. De-
zember.
Zur Prüfung der Befürchtungen und Vorwürfe, die ge-
gen die in diesen Richtlinien vorgesehen Neuregelungen
zur Verordnung von logopädischen Leistungen erhoben
werden, hat unser Haus den Bundesausschuss mit Schrei-
ben vom 2. November um Stellungnahme gebeten. Wir
haben die Antwort am 20. November erhalten. Diese war
unseres Erachtens noch nicht ausführlich genug, damit
wir diese Sorgen und Befürchtungen mit Fug und Recht
ausräumen können.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
13546
Deshalb haben wir einen ausführlichen Fragenkatalog
erstellt. Weil wir ausreichend Zeit haben wollen, der
Sache nachzugehen, haben wir diesen mit Fax vom
1.Dezember an den Bundesausschuss gesandt und gebe-
ten, noch einmal Stellung zu nehmen. Wir haben dabei
eine kurze Frist gesetzt; heute sollen die Antworten ein-
gehen. Sie werden bei uns im Haus dann intensiv geprüft
werden. Ohne diese zusätzliche Stellungnahme des Bun-
desausschusses können wir Ihnen nicht das Ergebnis einer
sorgfältigen Prüfung vorlegen. Deshalb können wir zu
den Vorwürfen und Befürchtungen noch nicht substanti-
iert Stellung nehmen. Wir werden das aber alles prüfen
und Sie können sicher sein, dass keine Regelung umge-
setzt wird, die die Versorgung der Versicherten beein-
trächtigen würde.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Straubinger.
Frau Staatssekretärin,
zunächst möchte ich mich bedanken, dass Sie meine kurz-
fristig abgeänderte Frage angenommen haben. Es war in
der schriftlichen Vorlage ein Fehler enthalten.
Meine Zusatzfrage: Es gibt in ganz Deutschland ja nur
163 solcher Spezialärzte. Ist nicht zu befürchten, dass die
Sprachtherapien nicht mehr so zur Anwendung kommen
werden, wie das im Moment – und zwar aufgrund medi-
zinischer Notwendigkeit – der Fall ist?
C
Herr Kollege, Sie sagen zu
Recht, dass es von diesen Spezialärzten – Phoniater und
Pädoaudiologen – nur 167 gibt. Wir haben die Richtlinien
speziell daraufhin überprüft, ob es richtig ist, dass sie so
gefasst sind, dass nur noch Phoniater und Pädoaudiologen
diese Verschreibungen vornehmen dürfen.
Hier ist klar geworden: Im Gegensatz zu den geltenden
Richtlinien werden für die Folgeverschreibungen – also
dann, wenn nach der Erstverschreibung nicht der ge-
wünschte therapeutische Erfolg erzielt worden ist – neue
diagnostische Maßnahmen zugrunde gelegt. Das dient der
Qualitätssicherung, damit der Patient nicht nur nach der
Devise „mehr von demselben“, behandelt wird, obwohl
das vielleicht nicht hilft. Wir wollen, dass der Patient an-
gemessen behandelt wird.
Ob die Folgeverschreibungen tatsächlich nur von Pho-
niatern und Pädoaudiologen durchgeführt werden können
oder auch von Kinder- oder HNO-Ärzten – Sie wissen, es
gibt 4 097 HNO-Ärzte und 6 602 Kinderärzte, die sich
durchaus weitergebildet haben bzw. weiterbilden kön-
nen –, ist eine Frage der Interpretation. Vielleicht bleibt es
auch in Zukunft dabei. Welche Interpretation in diesem
speziellen Punkt die richtige ist, ist noch nicht geklärt. Wir
haben dazu vom Bundesausschuss noch keine aussage-
kräftige Antwort bekommen. Wir werden das noch prüfen
und dazu werden auch noch Stellungnahmen eingehen.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade die Zusatzausbildung angesprochen. In-
wieweit müsste diese Zusatzausbildung möglicherweise
von HNO- bzw. Kinderärzten erbracht werden und wie
hoch ist der Aufwand?
C
Das kann ich nicht sagen.
In der Richtlinie sind die diagnostischen Maßnahmen, die
ergriffen werden müssen, speziell auf die Behandlungs-
gruppen bezogen. Daraus können Sie aber nicht ableiten,
dass eine ganz bestimmte Qualifikation und erst recht
nicht eine bestimmte Facharztqualifikation erforderlich
ist. Das müssen wir prüfen. Deshalb kann ich Ihre Frage
noch nicht beantworten.
Unser Haus prüft das, wir haben einen umfangreichen
Fragenkatalog nachgeschoben. Die nächste Stellung-
nahme war für heute vorgesehen. In der heutigen Sitzung
des Gesundheitsausschusses – ich sehe Ihren Kollegen
Wolf – hat unsere Fachabteilung schon mitgeteilt, dass der
Bundesausschuss gestern Abend bei uns angerufen und
erklärt hat, dass diese spezielle Frage nicht bis heute be-
antwortet werden kann, die Beantwortung noch ein paar
Tage brauchen wird. Das ist aber ein Punkt, auf den wir
unser besonderes Augenmerk gerichtet haben. Wir wer-
den Sie darüber unterrichten; darum haben auch die Kol-
legen im Gesundheitsausschuss gebeten.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Niebel.
Frau Staatssekretärin, Sie haben
soeben richtigerweise angemerkt, dass es dann, wenn eine
Folgeverordnung nur von einem Phoniater oder Pädoau-
diologen durchgeführt werden kann, zu starken Verord-
nungsengpässen kommen würde, was natürlich nicht nur
die ungefähr 2 500 niedergelassenen logopädischen Pra-
xen dramatisch treffen würde, sondern insbesondere auch
die Patientinnen und Patienten, darunter vor allem die
Kinder.
Ist die Bundesregierung gewillt, wenn die Interpreta-
tion dahin gehen wird, dass nur Phoniater und Pädoau-
diologen für Folgeverordnungen zuständig sein können,
die Richtlinie entsprechend abzulehnen? Ist die Bundes-
regierung weiterhin gewillt, die diagnostischen Erkennt-
nisse und Erfahrungen, die in der Berufsgruppe der Lo-
gopädinnen und Logopäden vorhanden sind, mit in ihre
Überlegungen einzubeziehen? Denn diese sind in aller
Regel bei vielen diagnostischen Verfahren weitaus kom-
petenter als manch ein HNO- oder Kinderarzt?
C
Herr Kollege Niebel, der
Gesetzgeber hat aus guten Gründen die Festlegung von
Richtlinien, die sich auf Therapie, Diagnostik und auf ent-
sprechende Arznei- und Heilmittel beziehen, den Selbst-
verwaltungsgremien überlassen. Denn natürlich ist die
Politik hier noch weniger sachverständig, als die Fach-
leute es sind.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
13547
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie als F.D.P.-Mit-
glied wollen, dass wir die Rechte und Pflichten der Selbst-
verwaltungsorgane aufheben. Wir sind gehalten, zu prü-
fen, ob hier die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt wurden,
ob alle Berufsgruppen ausreichend und richtig angehört
und ob die Argumente entsprechend gewürdigt wurden.
Das haben wir getan. Wir als Bundesgesetzgeber sind
natürlich gehalten, darauf zu achten, dass der Sicherstel-
lungsauftrag gewährleistet ist und damit die Rechte der
Patienten auf angemessene Versorgung nach den §§ 12,
27, 80 und anderen im SGB V eingehalten werden. Das
machen wir selbstverständlich auch.
Ich rufe die
Frage 4 des Abgeordneten Straubinger auf:
Wird mit einer solchen Maßnahme nicht die flächendeckende
Versorgung mit Sprachtherapie gefährdet?
C
Die Frage 4, ob mit solchen
Maßnahmen – damit sind die Richtlinien des Bundesaus-
schusses gemeint – nicht die flächendeckende Versorgung
mit Sprachtherapie gefährdet wird, beantworte ich wie
folgt: Die Richtlinien des Bundesausschusses – das sagte
ich schon, Herr Kollege Straubinger – sind gemäß § 94
Sozialgesetzbuch V unserem Haus vorzulegen und müs-
sen geprüft werden. Ich habe dazu schon einiges im Rah-
men der Beantwortung der Frage des Kollegen Niebel ge-
sagt. Unser Haus, also das Gesundheitsministerium, kann
die Richtlinien innerhalb von zwei Monaten in bestimm-
ten Punkten beanstanden. Das Gesundheitsministerium
wird im Rahmen der Überprüfung selbstverständlich be-
achten, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirt-
schaftliche Versorgung mit Leistungen zur Stimm-,
Sprech- und Sprachtherapie gewährleistet bleibt und da-
mit eben auch der Sicherstellungsauftrag erfüllt werden
muss.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
wird die Bundesregierung diese Verordnung nach den
jetzt vorliegenden Berichten bzw. Darlegungen des Bun-
desausschusses möglicherweise beanstanden?
C
Herr Kollege, das kann ich
Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt wirklich noch nicht sagen.
Heute haben die Kollegen im Gesundheitsausschuss da-
rum gebeten, dass wir ihnen das zweite Schreiben, das wir
dem Bundesausschuss am 2. Dezember dieses Jahres per
Fax zugeschickt haben, übermitteln. Darin ist ein um-
fangreicher Fragenkatalog aufgelistet. Es geht unter an-
derem darum, wie diese Interpretationsspielräume, von
denen wir eben gesprochen haben, vom Bundesausschuss
gefüllt werden. Diese müssen auf jeden Fall noch spezifi-
ziert werden, damit keine Missinterpretationen möglich
sind, die wirklich zu einer Beeinträchtigung der Versor-
gung führen könnten. Diese Fragen sind aber noch nicht
ausreichend beantwortet. Wir warten darauf. Vorher kön-
nen wir uns kein Urteil darüber erlauben, ob diese Richt-
linien so, wie sie vorgelegt worden sind, von uns bean-
standet werden müssen oder ob sie zum 1. April nächsten
Jahres in Kraft treten. Das kann ich Ihnen noch nicht sa-
gen.
Ich habe den Kollegen im Gesundheitsausschuss zuge-
sagt, dass wir sie informieren. Ich habe übrigens gestern
eine kurze Information an alle Abgeordneten geschickt,
da zurzeit alle Abgeordneten Fragen dazu haben. Wir
werden Sie selbstverständlich informieren, wenn die Er-
gebnisse vorliegen. Das machen wir unaufgefordert, denn
ich weiß, dass Sie alle sich in Ihrer Bürgersprechstunde
aus guten Gründen intensiv um diese Belange kümmern.
Eine weitere
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
können Sie sich erklären, warum der Bundesausschuss zu
einer solchen Überlegung kommt? Beruht dies allein auf
qualitativen Gesichtspunkten oder könnten hier nicht
auch finanzielle Gesichtspunkte – zum Beispiel Decke-
lung in der Gesundheitsreform – eine Rolle spielen?
C
Letzteres kann man aus-
schließen, wenn Sie nicht dem Bundesausschuss Böswil-
ligkeit unterstellen wollen, was ich nicht mache. Es ist so,
dass das Arznei- und Heilmittelbudget nach § 84 Sozial-
gesetzbuch V so geregelt ist, dass das Budget keinen
festen Deckel, sondern eine prospektive Obergrenze hat.
Es besteht also eine Öffnungsklausel.
Bei der Anpassung des Budgets müssen folgende
Aspekte berücksichtigt werden – ich lese es kurz vor –:
erstens Veränderungen der Zahl und der Altersstruktur der
Versicherten; zweitens Veränderungen der Preise der Arz-
nei-, Verband- und Heilmittel; drittens Veränderungen der
gesetzlichen Leistungspflicht der Krankenkassen und
viertens bestehende Wirtschaftlichkeitsreserven, aber
auch Innovationen.
Das heißt, dieser finanzielle Aspekt kann kein Beweg-
grund sein. Leitmotiv des Bundesausschusses ist, die
Qualität zu verbessern. Unter diesen Gesichtspunkten
wird es auch in unserem Haus – so, wie ich Ihnen das eben
dargelegt habe – geprüft.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Wolf.
Frau Staatssekretärin, be-
gutachtet die Bundesregierung dieses Thema nicht ein
bisschen blauäugig? Im Bundesausschuss sitzen Vertreter
der Krankenkassen und der Ärzte. Diese wissen natürlich,
dass jetzt vielerorts in Deutschland die Budgets über-
schritten werden. Ist dies nicht doch ein Indiz dafür, dass
die Bundesregierung es noch ein wenig ernster nehmen
und auch über die Budgetierung nachdenken sollte? Es
kommen jetzt immer häufiger Berichte über Maßnahmen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Christa Nickels
13548
des Bundesausschusses dahin gehend, dass die Verord-
nungsfähigkeit von bestimmten Therapien immer stärker
eingeschränkt wird. Ist dies nicht eigentlich ein Grund,
um über die Aufhebung der Budgetierung nachzudenken,
damit – wie Sie selbst es formuliert haben – die Erfüllung
des Sicherstellungsauftrages gewährleistet bleibt? Müss-
ten Sie nicht ein wenig stärker über die Motive nachden-
ken, als Sie es derzeit tun?
C
Herr Kollege Wolf, erstens
gehe ich davon aus, dass Sie als Mitglied des Gesund-
heitsausschusses und der CDU/CSU nicht beabsichtigen,
die Zuständigkeiten und Kompetenzen, die der Gesetzge-
ber insgesamt den Selbstverwaltungsgremien übergeben
hat, wieder zu verstaatlichen.
Zweitens gehe ich nicht davon aus, dass die Ärzte und
Krankenkassen aus eigensüchtigen Gewinninteressen
Teile der für die Versorgung vorhandenen Mittel sach-
fremd umleiten wollen.
Drittens – das habe ich gerade schon Ihrem Kollegen
dargelegt und Sie müssten es als Mitglied des Gesund-
heitsausschusses eigentlich wissen – setzt § 84 SGB V für
das Arznei- und Heilmittelbudget ganz klar keine feste
Obergrenze.
Im Gegenteil, er enthält vier Öffnungsklauseln, die zwin-
gend eingehalten werden müssen. Von daher gesehen
kann das nicht sein.
Ich habe mich, wie das ganze Haus, intensiv damit be-
schäftigt. Für das letzte Jahr haben wir mittlerweile
Kenntnis darüber, wie die Budgets gewirkt haben. Es gibt
sehr viele kassenärztliche Vereinigungen, die mit dem
Budget ausgekommen sind oder es unterschritten haben,
bei einer sehr guten Versorgung. Es gibt auch kassenärzt-
liche Vereinigungen, die ihr Budget nicht ausgeschöpft
haben, wo aber dann die Heilmittelerbringer klagen. Da
muss man sich fragen, warum dann nicht innerhalb der
kassenärztlichen Vereinigung dafür gesorgt wurde, dass
deren Situation im Rahmen des noch nicht ausge-
schöpften Budgets, wenn denn solche Klagen kommen
und sie berechtigt sind, verbessert wird.
Ich sehe für Blauäugigkeit, die Sie hier unterstellen,
überhaupt keinen Anhaltspunkt und kann die Frage inso-
fern auch nicht nachvollziehen.
Ich danke
Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Die Frage 5 der Kollegin Sylvia Bonitz zum Ge-
schäftsbereich des Bundeskanzleramtes wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung.
Bedeuten die Äußerungen des Staatsministers im AuswärtigenAmt , Dr. Ludger Volmer, in seinem Papier mit dem Titel„Grüne Akzente in der deutschen Außenpolitik“ vom 6. Novem-ber 2000, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung (BMZ), welches trotz der gesunkenenEntwicklungshilfe über ungleich mehr Programm- und Projekt-mittel als das AA verfüge, versuche, sich originäre Themen desAA anzueignen, was die Frage provoziere, wofür man eigentlichzwei Außenministerien brauche, dass es in der Bundesregierungentgegen den Auskünften von Staatssekretär Erich Stather vomBMZ und Staatsminister Dr. Ludger Volmer in der Fragestundevom Mittwoch, den 11. Oktober 2000 (Plenarprotokoll 14/123S. 11789 A), doch Überlegungen gibt, das BMZ mit dem Aus-wärtigen Amt zusammenzulegen?
D
Herr Kollege Weiß, das in Ihrer Frage erwähnte Pa-
pier „Grüne Akzente in der deutschen Außenpolitik“
wurde von mir in meiner Eigenschaft als MdB und Abge-
ordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen veröffentlicht.
Das geht sowohl aus dem Papier selber als auch aus dem
Rahmen, in dem es präsentiert wurde, nämlich bei einer
Pressekonferenz der Fraktion von Bündnis 90/Die Grü-
nen, klar hervor.
Die Bundesregierung hat sich zu dieser Frage bereits in
der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 11. Ok-
tober 2000 geäußert. Sowohl Staatssekretär Stather vom
BMZ als auch ich hatten dabei unterstrichen, dass es in
der Bundesrepublik Deutschland weiterhin, wie in der
Koalitionsvereinbarung festgelegt, ein eigenständiges
BMZ geben werde. Daran hat sich nichts geändert.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Weiß.
Herr
Staatsminister, Ihre Antwort muss mich zwingend zu fol-
gender Zusatzfrage bewegen: Nachdem bereits der Herr
Außenminister Wert darauf gelegt hat, dass er Ansprachen
als Privatperson hält und diese nichts damit zu tun haben,
was er als Bundesaußenminister sagt, und Sie nunmehr
darlegen, dass Sie Pressekonferenzen in Ihrer Eigenschaft
als Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen geben und das nichts damit tun hat, dass Sie
Staatsminister im Auswärtigen Amt sind,
veranlasst mich das zu der Frage, ob es als Grüner nur mit
dieser Art von Persönlichkeitsspaltung auszuhalten ist,
Mitglied in dieser Bundesregierung zu sein,
und ob es Bemühungen Ihrerseits gibt, vielleicht dann
doch wieder zu einer Vereinheitlichung in Ihrem Persön-
lichkeitsbild zu finden.
D
Herr Kollege, ich habe nicht behauptet, dass das
nichts miteinander zu tun hat. Aber bestimmte Fragen
können aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Aribert Wolf
13549
werden. Sie werden auch Mitgliedern der Bundesregie-
rung, die an den Acquis der Bundesregierung, den Koali-
tionsvertrag, gebunden sind, zubilligen, dass sie über den
Tag hinausreichende Fragen aufwerfen. Das ist das Recht
eines jeden Abgeordneten.
Eine zweite
Zusatzfrage des Kollegen Weiß.
Herr
Staatsminister, nachdem ich schon einmal zu dem The-
menkomplex gefragt habe, muss ich Sie noch einmal fra-
gen: Muss es nicht für die Öffentlichkeit und für das Par-
lament etwas verwunderlich sein, dass vor einiger Zeit der
beamtete Staatssekretär im Auswärtigen Amt anlässlich
der ersten deutschen Botschafterkonferenz Andeutungen
gemacht hat, eine Zusammenlegung von BMZ und Aus-
wärtigem Amt sei vielleicht angebracht, und dass nun-
mehr Sie mit Ihren Äußerungen, die Sie – wohlgemerkt
nicht als Staatsminister, sondern als Bundestagsabgeord-
neter – gemacht haben, die Frage stellen, ob wir eigent-
lich zwei Außenministerien brauchen, und rechtfertigt
diese Häufung von öffentlich gewordenen und öffentlich
gemachten Anmerkungen von Mitgliedern der Bundesre-
gierung, speziell aus dem Auswärtigen Amt, nicht doch
die Frage, ob es Überlegungen gibt, diese beiden Minis-
terien zusammenzulegen, und was denn ausgerechnet die
Staatssekretärs- und Staatsministerebene im Auswärtigen
Amt bewegt, sich nun mehrmals öffentlich in diese Rich-
tung zu äußern?
D
Es gibt keine entsprechenden Überlegungen. Erin-
nern Sie sich an die Haushaltsdebatte: Meines Wissens lag
da ein Antrag der F.D.P. vor, in dem ein solcher Vorschlag
gemacht wurde. Dieser Antrag ist auf parlamentarischer
Ebene mit den Stimmen aller anderen Parteien zurückge-
wiesen worden. Auch die Bundesregierung denkt darüber
nicht nach.
Allerdings ist festzuhalten, dass sich die Arbeitsberei-
che des Auswärtigen Amtes und des BMZ in manchen Be-
reichen überschneiden. Deshalb muss hin und wieder da-
rüber gesprochen werden, wie die Arbeitsteilung definiert
werden kann. In Ihrer zweiten Frage, die ich gleich noch
beantworten werde, haben Sie genau danach gefragt. Ihre
Anfrage gab uns, also dem Auswärtigen Amt, und dem
BMZ erneut Anlass, die Arbeitsteilung einvernehmlich zu
beschreiben und zu definieren.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Helias.
Herr Staatsminister,
hat sich die so genannte gemischte Besetzung der Lei-
tungspositionen im Auswärtigen Amt und im Bundesmi-
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung – mit einem der SPD angehörenden Staats-
minister im Auswärtigen Amt einerseits und einer der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angehörenden Parla-
mentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ande-
rerseits als Fehlbesetzung erwiesen? Oder ist diese Beset-
zung eher der gegenseitigen Koordination förderlich?
Gibt es, Herr Staatsminister, Überlegungen innerhalb der
Bundesregierung, dieses so genannte gemischte Verhält-
nis in den Leitungspositionen der beiden Bundesministe-
rien wieder rückgängig zu machen?
D
Aus dieser Über-Kreuz-Besetzung hat sich kein Pro-
blem ergeben. Im Gegenteil: Es hat sich eher als günstig
erwiesen, dass die jeweiligen Programmperspektiven der
beiden Koalitionsfraktionen in beiden Häusern zur Gel-
tung kommen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Hedrich.
Herr Präsident,
jetzt müssen Sie mir einmal helfen. Muss ich den Kolle-
gen Dr. Ludger Volmer, um eine präzise Antwort zu be-
kommen, jetzt als Abgeordneten oder als Staatsminister
ansprechen?
Sie müssen
ihn als Staatsminister ansprechen; denn als solcher steht
er zur Beantwortung der Fragen für die Bundesregierung
zur Verfügung.
Ich bedanke
mich für diesen Hinweis.
Können Sie mir eine Frage zum Themenkomplex der
„originären Aufgaben“ beantworten? Der Hintergrund ist:
Sie haben in Ihrem Papier angesprochen, dass sich das
BMZ zunehmend „originäre Aufgaben“ des Auswärtigen
Amtes aneigne. Können Sie uns einmal beschreiben, wel-
cher Art diese Aufgaben sind? Können Sie in diesem Zu-
sammenhang auch gleich erwähnen, ob Sie sich über die
„originären Aufgaben“ mit dem BMZ abgestimmt haben?
D
Herr Kollege Hedrich, das, was Sie jetzt fragen, ent-
spricht weitestgehend der zweiten Frage des Kollegen
Weiß. Es geht dabei um einige Themenfelder, bei denen
es zu Überschneidungen kommt. Es geht auf der einen
Seite um die generelle, also übergreifende Zuständigkeit
und auf der anderen Seite um die Durchführungskompe-
tenz etwa auf der Projektebene. Bei solchen Themen muss
die Arbeitsteilung, wie ich vorhin schon einmal ausführte,
definiert werden. Hin und wieder ist es auch ganz günstig,
wenn man nachjustiert.
Ich rufe die
Frage 7 des Kollegen Peter Weiß auf:
Welche Bundesministerien sind nach der Geschäftsordnungder Bundesregierung federführend zuständig für die BereicheKindersoldaten, Landminen, Stabilitätspakt für Südosteuropa,Krisenpräventionen, insbesondere ziviler Friedensdienst, und inwelcher Weise sollen entsprechend den unter Frage 6 genanntenÄußerungen des Staatsministers Dr. Ludger Volmer diese Zustän-digkeiten neu geordnet werden?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Staatsminister Dr. Ludger Volmer
13550
D
Herr Kollege Weiß, Sie fragen nach genau diesen
Bereichen. Darauf antworte ich wie folgt: Für die Berei-
che Krisenprävention, Kindersoldaten, Landminen und
Stabilitätspakt für Südosteuropa liegt die übergreifende
Zuständigkeit beim Auswärtigen Amt. Das BMZ trägt un-
ter anderem durch den zivilen Friedensdienst zum Abbau
der Ursachen von Konflikten sowie zur gewaltfreien Kon-
fliktbearbeitung bei. Es ist nicht geplant, diese Zuständig-
keitsverteilung neu zu ordnen.
Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, nachdem Sie unter anderem dargelegt ha-
ben, dass die übergeordnete Zuständigkeit zum Beispiel
für den Stabilitätspakt für Südosteuropa beim Auswärti-
gen Amt liegt, möchte ich Sie fragen: Sind Ihre vorhin zi-
tierten öffentlichen Äußerungen, die Sie als Bundestags-
abgeordneter und nicht als Staatsminister gemacht haben,
vielleicht darauf zurückzuführen, dass Sie bedauern, dass
die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten
Mittel für den Stabilitätspakt für Südosteuropa zum
größeren Teil durch das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verausgabt
werden? Würden Sie es für richtiger halten, diese Zuord-
nung zum BMZ rückgängig zu machen und die Mittel
wieder stärker in das Auswärtige Amt zu verlagern?
D
Nein, ich bedauere diese Aufteilung nicht. Sie hat
sich als recht günstig erwiesen. Die Aufteilung beträgt 2:1
zugunsten des BMZ. Das macht Sinn, weil diese Mittel
zum größten Teil mittelfristigen Wiederaufbaumaßnah-
men dienen, wofür das BMZ definitionsgemäß zuständig
ist. Das andere Drittel ist für Sofortmaßnahmen der un-
mittelbaren Katastrophen- und humanitären Hilfe vorge-
sehen. Dafür ist das Auswärtige Amt auch auf der Durch-
führungsebene zuständig. Von daher sehe ich da kein
Problem.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, da Sie in Ihren „Grünen Akzenten in der
deutschen Außenpolitik“ – ich wiederhole es: als Bundes-
tagsabgeordneter, nicht als Staatsminister im Auswärtigen
Amt – unter anderem das Gesamtkonzept der Krisen-
prävention und zivilen Konfliktbearbeitung als ein The-
menfeld gekennzeichnet haben, bei dem das Entwick-
lungshilfeministerium sich nach Ihrer Auffassung
originäre Themen des Auswärtigen Amtes aneignet,
möchte ich Sie fragen, ob die von Ihnen bereits erwähnte
Konzeption für den zivilen Friedensdienst mit dem Aus-
wärtigen Amt abgestimmt worden ist, wie sich das Ver-
hältnis zwischen dem zivilen Friedensdienst in Verant-
wortung des BMZ einerseits und den zivilen
Friedensfachkräften in Verantwortung des Auswärtigen
Amtes andererseits bestimmt und ob sich problematische
Überschneidungen dieser beiden neuen Personalfach-
dienste ergeben haben.
D
Dies ist genau eines der Arbeitsgebiete, wo es darauf
ankommt, die Arbeitsteilung relativ präzise zu definieren.
Die Bundesregierung geht deshalb folgendermaßen damit
um: Krisenprävention ist eine Querschnittsaufgabe. Sie
erfordert eine national und international koordinierte, auf
die jeweilige Situation zugeschnittene Gesamtstrategie,
die die Instrumente der Außen-, Sicherheits-, Entwick-
lungs-, Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt-, Kultur- und
Rechtspolitik verzahnt. In diesem Sinne sind mehrere Mi-
nisterien, nicht nur das AA und das BMZ, an diesem Ge-
samtprojekt beteiligt. Innerhalb der Bundesregierung ist
allerdings das Auswärtige Amt für die Erarbeitung von
Strategien zu drohenden internationalen Konflikten fe-
derführend, wie sich auch aus dem Gesamtkonzept zu
Krisenprävention und Konfliktbeilegung der Bundesre-
gierung ergibt.
Die Erarbeitung dieser Strategien und die Koordinie-
rung der konkreten Maßnahmen erfolgen in enger Ab-
stimmung mit den Ressorts, darunter auch dem BMZ. Für
den zivilen Friedensdienst ist das BMZ zuständig. Ent-
scheidungen über Projektanträge, die von anerkannten
Entwicklungsdiensten gestellt werden können, trifft das
BMZ nach Beteiligung des AA. Im Gegensatz dazu wird
ziviles Personal für den Einsatz in internationalen Frie-
densmissionen vom Auswärtigen Amt ausgebildet. Von
ihm wird auch der Einsatz in völkerrechtlich verabredeten
Missionen der Vereinten Nationen und der OSZE teil-
weise finanziert.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Helias.
Herr Staatsminister,
wenn nach Ihren Darlegungen die Aufgabe des Auswärti-
gen Amtes insbesondere auch in der Koordination der
Außenpolitik liegt, wie bestimmt sich dann die Abgren-
zung zum Bundeskanzleramt? Werden nun die Außenpo-
litik und die Entwicklungspolitik von Ihnen koordiniert
– und der zuständige Abteilungsleiter und Kanzlerberater
Michael Steiner wirkt mit – oder ist es eher umgekehrt,
dass das Kanzleramt die Außenpolitik koordiniert?
D
Wir haben gerade über das Feld von Krisenpräven-
tion und ziviler Konfliktbearbeitung geredet. Dazu hat die
Bundesregierung ein Gesamtkonzept beschlossen, das
den einzelnen Ressorts Aufgaben zuweist, wie ich sie ge-
rade beschrieben habe. Ansonsten gilt für dieses Feld wie
für alle anderen auch, dass der Bundeskanzler die Richt-
linien der Politik bestimmt. Insoweit spielt das Bundes-
kanzleramt natürlich eine Rolle. Die Zusammenarbeit
zwischen dem Kanzleramt und dem Außenministerium ist
vertrauensvoll.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13551
Noch eine
Zusatzfrage des Kollegen Hedrich.
Herr Staatsmi-
nister, sind nicht auch Sie der Auffassung, dass man Zu-
ständigkeitsfragen und erst recht Fragen über die Zusam-
menlegung von Ministerien offen diskutieren sollte? Die
Kollegen der F.D.P. beispielsweise plädieren nachhaltig
für eine Zusammenlegung; man kann eine solche Auffas-
sung teilen oder nicht, sie stellt aber eine klare Position
dar. Sollte nicht vonseiten der Bundesregierung klar er-
kennbar werden, dass man für eine Beibehaltung der bei-
den Ministerien plädiert, statt ständig die Öffentlichkeit
durch Überlegungen, wie Sie sie angestellt haben und wie
sie vorher Herr Staatssekretär Pleuger angestellt hat, zu
verunsichern? Ist es nicht insgesamt für das Ansehen der
Entwicklungspolitik schädlich, wenn ständig darüber spe-
kuliert wird, ob diesem Politikfeld eine eigene ministeri-
elle Zuständigkeit zugeordnet wird oder nicht?
D
Herr Kollege, es geht nicht um die ministerielle Zu-
ständigkeit – diese ist völlig klar –, sondern es geht um die
Arbeitsteilung innerhalb dieser Zuständigkeit. Diese Dis-
kussion wird meines Wissens außerhalb der Bundesregie-
rung und von Nichtregierungsorganisationen ständig ge-
führt und es gibt keinen Grund, warum sich nicht auch
Abgeordnete in gewissem Umfang daran beteiligen soll-
ten.
Die Fragen
8 und 9 der Kollegin Monika Brudlewsky werden schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Heidi Lippmann auf:
Kann die Bundesregierung Angaben des Innenministers der
Einmarsches der KFOR-Truppen im Kosovo und
dem 18. November 2000 insgesamt 1 055 Menschen, darunter
917 Serben, durch ethnisch motivierte Gewaltakte getötet worden
sind?
D
Frau Kollegin Lippmann, die Bundesregierung kann
die in Ihrer Frage aufgeführten Zahlenangaben nicht be-
stätigen. Soweit der Bundesregierung bekannt ist, sind
vom Beginn der Stationierung der KFOR-Truppen bis
zum August 2000 insgesamt 621 mutmaßliche Tötungs-
delikte gemeldet worden. UNMIK vermutet als
hauptsächliche Motive die weit verbreitete Kriminalität,
Hass auf Angehörige anderer Ethnien und alte Abrech-
nungen zwischen verfeindeten Großfamilien.
Eine Zu-
satzfrage der Kollegin Lippmann.
Herr Staatsminister, teilt Ihr
Amt die Einschätzung von Verteidigungsminister Rudolf
Scharping, die er in einer Plenardebatte über eine Kontin-
gentverlängerung der Stationierung der KFOR-Truppen
abgegeben hat, wonach er etwas zynisch betonte, im Ko-
sovo würden pro Woche nicht mehr Zivilpersonen getötet
als durchschnittlich in einer europäischen Hauptstadt, und
wenn ja, welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser
Äußerung?
D
Mir ist weder diese Äußerung noch der Zusammen-
hang, in dem sie gefallen sein könnte, bekannt. Die Bun-
desregierung geht davon aus, dass es zu Tötungsdelikten
gekommen ist und nach wie vor eine massive Gefährdung
für bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere im
Norden des Kosovo und im Süden Serbiens, besteht und
von daher eine weitere Präsenz von KFOR notwendig ist.
Ich rufe die
Frage 11 der Kollegin Lippmann auf:
Werden auch diese Gewaltverbrechen vom International Cri-
minal Tribunal for the Former Yugoslavia untersucht und
verfolgt, und wenn nein, warum nicht?
D
Frau Kollegin, der Internationale Strafgerichtshof
für das ehemalige Jugoslawien hat mehrfach erklärt, dass
er im Kosovo nach allen Seiten hin ermittelt. Diese Er-
mittlungen werden – wie bei Strafverfolgungsbehörden
üblich – vertraulich geführt, um den gewünschten Erfolg
sicherzustellen.
Eine Zu-
satzfrage.
Liegen zwischenzeitlich
Ihrem Hause Ergebnisse dieser vertraulichen Ermittlun-
gen vor? Wenn ja, können diese den Ausschüssen zur Ver-
fügung gestellt werden?
D
Nach Kenntnis der Bundesregierung wird ermittelt;
bis jetzt ist aber noch keine Anklage erhoben worden. Ich
will prüfen, ob uns Zwischenergebnisse vorliegen, die wir
den entsprechenden Ausschüssen zur Verfügung stellen
können.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Vom ICTY wird im Kosovo
das zentrale Leichenschauhaus betrieben, das Mitglieder
des Verteidigungsausschusses am 22. Mai dieses Jahres
besuchen konnten. Liegen dem Auswärtigen Amt mittler-
weile konkrete Zahlen vor, wie viele Menschen aus den so
genannten Massengräbern vom ICTY exhumiert wurden?
D
Frau Kollegin, Ich kann Ihre Frage nicht aus dem
Stand beantworten. Die Antwort müsste ich Ihnen schrift-
lich nachreichen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 200013552
Die
Frage 12 der Kollegin Sylvia Bonitz wird schriftlich be-
antwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbe-
reichs. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra-
gen gebe ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr.
Barbara Hendricks das Wort.
Ich rufe Frage 13 des Abgeordneten Meinolf Michels
auf:
Wie hoch ist der Betrag, den die Landwirtschaft für die Jahre
1999 und 2000 an Ökosteuer gezahlt hat, und wie viel wird sie
nach Schätzung der Bundesregierung in den Jahren 2001, 2002
und 2003 zahlen müssen?
D
Herr Kollege Michels,
nach den Berechnungen der Bundesregierung wird die
Landwirtschaft durch die ökologische Steuerreform im
Jahr 1999 mit 245 Millionen DM, im Jahr 2000 mit
504 Millionen DM, im Jahr 2001 mit 673 Millionen DM,
im Jahr 2002 mit 842Millionen DM und im Jahr 2003 mit
1,02 Milliarden DM belastet. Berücksichtigt sind dabei
die Erhöhung der Mineralölsteuer auf Kraftstoffe um jähr-
lich 6 Pfennig je Liter, die einmalige Erhöhung der Mine-
ralölsteuer auf Heizöl und Gas im Jahr 1999 sowie die
Einführung und Erhöhung der Stromsteuer.
Ich weise aber darauf hin, dass der Landwirtschaft Mit-
tel in Höhe von voraussichtlich 870Millionen DM für das
Jahr 1999 und 375 Millionen DM für das Jahr 2000 nach
dem Landwirtschafts-Gasölverwendungsgesetz, der so
genannten Gasölverbilligung, zugewiesen werden. Nach
dem neuen Agrardieselgesetz entstehen im Jahr 2001 Ver-
gütungsansprüche von 460 Millionen DM, im Jahr 2002
von 580 Millionen DM und im Jahr 2003 von 700 Milli-
onen DM. Jede weitere Senkung des Agrardieselsteuer-
satzes um 1 Pfennig entspricht einer Entlastung von
20 Millionen DM.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Michels.
Schönen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Können Sie uns bestätigen, dass die Beträge, die Sie
eben genannt haben, eine zusätzliche Belastung für die
Landwirtschaft seit 1998 bedeuten? Denn durch die Die-
selrückvergütung – das haben Sie auch gesagt – wurde das
mit 835 Millionen DM abgefangen.
D
Herr Kollege, ich hatte Ih-
nen die entsprechenden Summen getrennt voneinander
genannt, also auch die jährlichen Belastungen durch die
Ökosteuer, wobei man im Bereich des Dieselkraftstoffs
für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge nicht vollstän-
dig zwischen betrieblicher und privater Nutzung unter-
scheiden kann. Das unterscheide ich hier nicht.
– Nein, wieso denn? Der Bauer tankt und nutzt sein be-
ruflich genutztes Fahrzeug auch privat. Das ist doch völ-
lig klar. Diesen privaten Anteil kann man schlecht her-
ausrechnen. Das ist wirklich keine Unterstellung.
– Nein, Herr Kollege. Ich habe lediglich alle zusätzlichen
Kosten, die anfallen, genannt.
– Herr Ronsöhr, nun beruhigen Sie sich doch. – Den
Hauptanteil an den zusätzlichen Kosten, die anfallen, ma-
chen natürlich die 6 Pfennig pro Liter Diesel aus. Wenn
der Bauer privat ein Fahrzeug fährt, das gar keinen Diesel
braucht, dann muss er natürlich wie jeder andere Privat-
mann beim Tanken von Super oder bleifreiem Benzin
Ökosteuer zahlen. Das ist doch wohl klar. Wie gesagt, der
Anteil der privaten Nutzung lässt sich kaum herausrech-
nen. Der Bauer ist eben zeitweise auch Privatmensch und
macht Privatfahrten. Damit ist kein Vorwurf verbunden;
das möchte ich ausdrücklich sagen.
Ich habe Ihnen also die Höhe der jährlichen Belastun-
gen und der Entlastungen genannt, die durch die Gasöl-
verbilligung 1999 und 2000 und durch das Agrardieselge-
setz ab dem Jahr 2001 wirksam werden. Das müssten Sie
noch saldieren.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
ist Ihnen eigentlich nicht bekannt, dass derjenige, der die
Dieselrückvergütung in Anspruch nimmt, die Zeiten, in
denen er sein Fahrzeug privat nutzt, angeben muss, also
wie viele Kilometer er privat gefahren ist? Denn der für
private Zwecke verbrauchte Dieselkraftstoff unterliegt
nicht der Verbilligung.
D
Selbstverständlich ist das
so.
Ihre Aussage von eben
ließ aber eine andere Schlussfolgerung zu.
D
Aber nein! Ich habe gerade
doch ausdrücklich gesagt, dass ich damit keinen Vorwurf
verbinden möchte, etwa in dem Sinne: Da hat jemand ver-
billigten Diesel in seinen privaten Tank gefüllt. Das habe
ich ausdrücklich nicht gesagt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13553
Ich rufe
Frage 14 des Kollegen Meinolf Michels auf:
Welche Anteile der von der Landwirtschaft entrichteten Öko-
steuer sind in den Jahren 1999 und 2000 in die Landwirtschaft zur
Senkung der Sozialversicherungsbeiträge wieder zurückgeflossen
und wie schätzt die Bundesregierung diese Beträge für die Jahre
2001, 2002 und 2003 ein?
D
Die Landwirtschaft wird
durch die Senkung der Lohnnebenkosten bzw. der
Beiträge zur Alterskasse im Jahr 1999 um 35 Milli-
onen DM, im Jahr 2000 um 44 Millionen DM, im Jahr
2001 um 53 Millionen DM, im Jahr 2002 um 62 Milli-
onen DM und im Jahr 2003 um 70 Millionen DM entlas-
tet. Das ergibt in diesem Bereich eine Gesamtentlastung
von 264 Millionen DM.
Dazu ist zu bemerken, dass hinsichtlich der Beiträge
zur landwirtschaftlichen Alterskasse nur mittelbar eine
Entlastungswirkung eintritt; denn der Beitrag in der Al-
terssicherung der Landwirte ist mit dem Beitragssatz in
der gesetzlichen Rentenversicherung verknüpft. Die Sen-
kung und Stabilisierung des Beitragssatzes in der gesetz-
lichen Rentenversicherung hat deshalb in den Jahren 1999
und 2000 dämpfend auf den Beitragsanstieg in der Al-
terssicherung der Landwirte gewirkt. Diese Wirkung wird
auch in den kommenden Jahren eintreten.
Ich rufe die
Frage 15 der Kollegin Gerda Hasselfeldt auf:
Welche Aktivitäten wurden bisher vonseiten der Bundesregie-rung auf europäischer Ebene unternommen, um innerhalb der EUdie Energiesteuern zu harmonisieren und die Wettbewerbsnach-teile für deutsche Unternehmen durch die im europäischen Al-leingang eingeführte Ökosteuer zu beseitigen?
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
die Bundesregierung misst der Harmonisierung der Ener-
giebesteuerung große Bedeutung bei. Deshalb hat sie die
deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999
zum Anlass genommen, im Mai 1999 einen Kompromiss-
vorschlag vorzulegen. Dem Vorschlag gingen intensive
Gespräche mit der Europäischen Kommission und einzel-
nen Mitgliedstaaten voraus. Bis auf Spanien und Irland
konnten sich alle Mitgliedstaaten mit diesem Vorschlag
einverstanden erklären. Zu Beginn der portugiesischen
Präsidentschaft hat sich Deutschland auf dem Ecofin-Rat
vom 31. Januar 2000 zum wiederholten Male für eine zü-
gige Fortsetzung der Verhandlungen eingesetzt.
Die intensiven Bemühungen wurden auch auf bilatera-
ler Ebene fortgeführt. Ende letzten Jahres hat Minister
Eichel das Thema der Energiesteuerharmonisierung mit
seinem niederländischen Amtskollegen Zalm und dem
portugiesischen Wirtschaftsminister Moura erörtert. Im
Februar dieses Jahres fand ein Gespräch mit dem italieni-
schen Finanzminister Visco und im Juni dieses Jahres mit
dem spanischen Finanzminister Rato statt. Zuletzt be-
stand im November Gelegenheit, Energiesteuerfragen mit
dem griechischen Finanzminister Papantoniou zu erör-
tern. Auch der Dialog mit der Kommission wurde stetig
fortgesetzt. Wiederholt wurden Gespräche mit dem für
Steuerfragen zuständigen Kommissar Bolkestein geführt.
Im Mai dieses Jahres hat sich Minister Eichel noch einmal
schriftlich an Kommissar Bolkestein gewandt und kon-
struktive Vorschläge zum Fortgang der Verhandlungen
gemacht.
Trotz der zahlreichen Bemühungen der Bundesregie-
rung scheitert eine Einigung nach wie vor an der unnach-
giebigen Haltung einzelner Mitgliedstaaten. Um die Har-
monisierung der Energiebesteuerung voranzubringen,
setzt sich die Bundesregierung im Rahmen der Regie-
rungskonferenz bei den Umwelt- und Energiesteuern für
einen Übergang von der Einstimmigkeit zu Entscheidun-
gen mit qualifizierter Mehrheit ein.
Im Übrigen kann bei der Ökosteuer nicht von einem
nationalen Alleingang ausgegangen werden, wie es in Ih-
rer Frage unterstellt wird, weil Deutschland dem Beispiel
anderer Länder, wie zum Beispiel Dänemark und den Nie-
derlanden, gefolgt ist.
Eine Zu-
satzfrage, Frau Kollegin Hasselfeldt.
Frau Staatssekretä-
rin, die Aufzählung der vielen Termine verdeutlicht noch
lange nicht, dass die Ergebnisse zufriedenstellend wären;
denn wir haben auf europäischer Ebene keine Harmoni-
sierung. Da Sie nun mit der nationalen Entscheidung, im
Rahmen der Ökosteuer die Steuer in fünf Stufen zu er-
höhen, zu einseitigen Wettbewerbsnachteilen der deut-
schen Wirtschaft, insbesondere des Transportgewerbes
und der Landwirtschaft, beigetragen haben, möchte ich
wissen, ob Sie bereit sind, wenigstens diese Wettbe-
werbsnachteile für die deutsche Wirtschaft durch natio-
nale Entscheidungen, zum Beispiel durch die Rücknahme
der Ökosteuer, zu korrigieren.
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Sie in Ihrer
Frage nach den Aktivitäten der Bundesregierung gefragt
hatten. Diese habe ich Ihnen deswegen in aller Ausführ-
lichkeit dargestellt.
– Das war aber Gegenstand Ihrer Ausgangsfrage.
Ich habe Sie auch über die Ergebnisse unterrichtet: Ins-
besondere Spanien zeigt sich sehr hartleibig. Möglicher-
weise wäre es eine Hilfestellung, wenn die Union auf der
Ebene der Europäischen Volkspartei einmal vertrauens-
voll mit der spanischen Schwesterpartei spräche; denn in
Spanien gibt es eine konservative Regierung, wie wir wis-
sen, die das von Anfang an blockiert hat. Vielleicht kön-
nen Sie da einmal etwas bewegen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 200013554
Irland ist nicht mehr das Hauptproblem. Außer von Irland
und Spanien ist unser Vorschlag schon damals nicht
blockiert worden. Eine Einigung ist im Juni 1999 na-
mentlich an Spanien gescheitert. Wie gesagt, Sie können
da vielleicht einmal initiativ werden.
Im Übrigen ist die von Ihnen behauptete Wettbewerbs-
verzerrung zumindest für die Landwirtschaft nicht zutref-
fend. Wie Sie wissen, hat der Mineralölsteuersatz im Jahr
1999, also vor der ersten Ökosteuerstufe, 62 Pfennig be-
tragen. Jetzt senken wir mit dem Agrardieselgesetz die
Steuerbelastung für Landwirte auf 57 Pfennig. Das heißt,
der Steuersatz ist 5 Pfennig niedriger als am Ende Ihrer
Regierungszeit. In der Tat gibt es für die Landwirtschaft
keine Ökosteuerbelastung, jedenfalls nicht beim Sprit.
Das muss man einmal deutlich sagen.
Im Transportgewerbe gibt es möglicherweise Wettbe-
werbsverzerrungen; insbesondere im grenznahen Bereich
ist dies nicht von der Hand zu weisen. Fährt man aber wei-
tere Strecken durch Europa, muss man immer dort tanken,
wo der Tank gerade leer ist; das ergibt sich zwangsläufig.
Es gibt Transportunternehmer, die von Deutschland nach
Frankreich, und solche, die von Frankreich nach Deutsch-
land fahren. Man kann sich da alle Richtungen vorstellen.
Insofern gleicht sich das im grenzüberschreitenden Ver-
kehr wieder aus.
Im inländischen Verkehr gibt es natürlich keine inter-
nationalen Wettbewerbsnachteile; das liegt auf der Hand.
Ich glaube also, dass Sie von Wettbewerbsnachteilen
durch die Ökosteuer in diesem Sinne nicht sprechen kön-
nen, zumal die Benzinpreise in der Europäischen Union
auch für das Transportgewerbe durchaus unterschiedlich
sind. Es gibt zwar in einzelnen Ländern gewisse Erstat-
tungsbeträge, aber zunächst durchaus höhere Dieselsteu-
ersätze, sodass sich das nicht ohne weiteres vergleichen
lässt.
Frau Staatssekretä-
rin, habe ich Sie richtig verstanden – auch wenn Sie das
zum Schluss etwas zu relativieren versuchten –, dass Sie
sehr wohl Wettbewerbsverzerrungen zum Beispiel im
Transportgewerbe sehen, aber nicht bereit sind, diese zu
korrigieren?
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
ich hatte darauf hingewiesen, dass es in den einzelnen
Ländern natürlich unterschiedliche Belastungssituationen
gibt, dass aber eine Wettbewerbsbenachteiligung schon
durch die Art und Weise, wie sich der Gütertransportver-
kehr abwickelt, nur im grenznahen Bereich entstehen
kann.
Wenn man in einem Land tankt, in dem der Kraftstoff bil-
liger ist – wie zum Beispiel in Luxemburg –, und dann von
Luxemburg aus nach Deutschland fährt, dann hat man in
der Tat einen Wettbewerbsvorteil. Wenn man aber inner-
halb Deutschlands von A nach B fährt – das tun natürlich
sehr viele Unternehmer; sie fahren nur im innerdeutschen
Verkehr –, dann hat man sich auch nur mit den Konkur-
renten im innerdeutschen Verkehr zu vergleichen. Für
diese Unternehmer ist es völlig gleichgültig, wie viel der
Sprit in Dänemark oder Portugal kostet. Sie müssen also
bitte die in Ihrer Frage enthaltene Behauptung relativie-
ren. Im grenzüberschreitenden Verkehr kann es in der Tat
zu Wettbewerbsverzerrungen kommen. Aber da man im-
mer dort tanken muss, wo der Tank gerade leer ist, gleicht
sich dies im Übrigen, wenn man weiter ins Landesinnere
hineinfährt, aus.
Jetzt liegen
mir vier weitere Zusatzfragen vor: nacheinander der Kol-
lege Ronsöhr, der Kollege Deß, die Kollegin Blank und
der Kollege Dreßen.
Frau
Staatssekretärin, sind Sie bereit, Ihre Aussage hinsichtlich
der steuerlichen Belastung beim Agrardiesel zu korrigie-
ren? Sie haben eben von einer steuerlichen Belastung
während unserer Regierungszeit bis 1998/1999 von über
60 Pfennig gesprochen. Sind Sie bereit, zu akzeptieren,
dass es in unserer Regierungszeit aufgrund der Gasöl-
rückvergütung eine steuerliche Belastung von 21 Pfennig
gab und dass Sie diese steuerliche Belastung jetzt für die
Landwirtschaft stärker als die Ökosteuer erhöht haben,
nämlich – wenn es bei 57 Pfennig bleibt – um 36 Pfennig
– und wenn es zu 47 Pfennig kommt – um 26 Pfennig? Ich
bitte doch, Ihre Aussagen zu korrigieren.
Ich kann jetzt allerdings verstehen, dass Sie Belastun-
gen gegenüber der Landwirtschaft als Entlastungen be-
zeichnet haben. Wer Rechnungen aufmacht, die im Grun-
de genommen auf Missverständnissen beruhen, kommt zu
keinen anderen Ergebnissen.
D
Herr Kollege Ronsöhr, ich
habe eben in meiner Antwort auf die Frage der Frau Kol-
legin Hasselfeldt nicht gesagt, dass die Landwirte damals
62 Pfennig zahlen mussten, sondern ich habe gesagt: Der
normale Mineralölsteuersatz betrug 62 Pfennig.
Ich bitte, das im Protokoll nachzuprüfen. Ich habe nicht
gesagt: Die Landwirte mussten 62 Pfennig zahlen, son-
dern ich habe gesagt: Der normale Mineralölsteuersatz
betrug 62 Pfennig.
Ich habe so geantwortet, wie ich es Ihnen gerade eben
wiederholt habe.
Wir werden das hinterher im Protokoll überprüfen. Ich
habe gesagt: Der normale Mineralölsteuersatz betrug
62 Pfennig. In Zukunft wird – ab dem Jahr 2001 –
nach dem neuen Agrardieselgesetz die Belastung für die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
13555
Landwirtschaft bei 57 Pfennig liegen; das sind 5 Pfennig
weniger, als der normale Mineralölsteuersatz betrug.
Insofern ist da kein Anteil von Ökosteuer drin.
Sie haben gleichwohl Recht, wenn Sie sagen, dass die
Gasölverbilligung, die es zu der Zeit Ihrer Regierungs-
verantwortung gab, das Mineralöl für die Landwirtschaft
auf 21 Pfennig verbilligt hat. Das ist richtig; das bestreite
ich nicht. Das ist der Fall.
Herr Kol-
lege Deß.
Frau Staatssekretärin, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die deutschen
Landwirte, so wie es der Kollege Ronsöhr gesagt hat, in
unserer Regierungszeit 21 Pfennig und die Franzosen
16 Pfennig pro Liter gezahlt haben? Der Unterschied von
5 Pfennig bedeutete für die deutsche Landwirtschaft
Mehrkosten in Höhe von 100 Millionen DM.
Heute liegt der Steueranteil in Frankreich bei 5 Pfen-
nig, während er in Deutschland bei 57 Pfennig liegt. Wenn
es dabei bleibt, werden die deutschen Bauern gegenüber
den französischen Kollegen einen Nachteil von über
1 Milliarde DM haben. Bei einer Senkung auf 47 Pfennig
wird der Nachteil bei circa 840 Millionen DM liegen.
D
Herr Kollege, es ist durch-
aus möglich, dass die von Ihnen genannten Zahlen richtig
sind. Was Sie gesagt haben, habe ich nicht im Kopf und
kann es daher jetzt nicht überprüfen. Ich will aber darauf
hinweisen, dass es im Vergleich mit anderen Wirtschafts-
zweigen – das gilt auch für die Landwirtschaft – in den
einzelnen Ländern immer unterschiedliche Be- und Ent-
lastungssituationen gibt. Zwar ist es so, dass die Land-
wirte in den meisten Ländern mit sehr vielen nationalen
Subventionen versehen werden; gleichwohl gibt es in an-
deren Bereichen unterschiedliche Bedingungen, zum Bei-
spiel beim allgemeinen Steuerrecht. Diese Bereiche kann
man nicht ohne weiteres vergleichen.
Ich bin nicht bereit, lediglich den Mineralölsteuersatz
Frankreichs mit dem Deutschlands zu vergleichen; zumal
der Anteil des Mineralölverbrauchs an den Betriebskosten
in der Landwirtschaft im Schnitt bei rund 3 Prozent liegt.
Deswegen ist der Mineralölsteuersatz im Hinblick auf die
Kostensituation insgesamt zwar nicht irrelevant, aber von
nicht ausschlaggebender Bedeutung.
Frau Kolle-
gin Blank.
Frau Staatssekretärin,
sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein deut-
scher LKW steuerlich mit 43 000 DM belastet ist,
während ein französischer LKW mit 30 000 DM und ein
niederländischer LKW mit 28 000 DM belastet ist? Sind
Sie in Kenntnis dieser Zahlen bereit, etwas gegen die
wettbewerbsverzerrenden Bedingungen und damit für
den deutschen Transportunternehmer zu tun?
D
Frau Kollegin Blank, auch
in diesem Fall gilt es, zu berücksichtigen, dass zum Bei-
spiel im Ertragsteuersystem unterschiedliche Bedingun-
gen herrschen. Ich darf darauf hinweisen, dass wir auch
zugunsten des Transportgewerbes eine umfassende Un-
ternehmensteuerreform mit der Möglichkeit der soforti-
gen Verrechnung der Gewerbesteuer vornehmen.
Sie müssen das Besteuerungsrecht insgesamt betrach-
ten. Der Spitzensteuersatz beträgt in den Niederlanden
60 Prozent. Er muss natürlich auch von Transportunter-
nehmern, sofern sie als Personengesellschaften organi-
siert sind, gezahlt werden. Sie müssen solche Vergleiche
immer übergreifend anstellen. Ich darf noch einmal sa-
gen: Eine tatsächliche Wettbewerbsverzerrung entsteht
nur im grenznahen Bereich.
Herr Kol-
lege Dreßen.
Frau Staatssekretärin, wir haben
gerade über die Transportunternehmen gesprochen. Bei
deren Demonstrationen habe ich zur Kenntnis genom-
men, dass die Ökosteuer für die Spediteure eigentlich eine
untergeordnete Rolle gespielt hat. Unter den Spediteuren
spielte die Frage, ob man auf deutscher oder auf europä-
ischer Ebene gegen das Lohndumping, das zum Teil durch
ostdeutsche Unternehmen betrieben wird, vorgeht, eine
größere Rolle.
Außerdem wurde bemängelt, dass die Sicherheitsstan-
dards bei uns im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch
sind. Ich hoffe, die Bundesregierung will die Sicherheits-
standards von LKW nicht abschaffen, nur damit hier die-
selben Voraussetzungen bestehen. Teilen Sie die Ein-
schätzung, dass für die Transportunternehmer viele
andere Punkte – zum Beispiel die Harmonisierung in vie-
len anderen Bereichen; Stichwort „Kampf gegen Lohn-
dumping“, das heißt gleicher Lohn für gleiche Leistung –
wichtiger als die Ökosteuer sind? Wir müssen vielleicht
eine Harmonisierung auf europäischer Ebene vornehmen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
13556
D
Herr Kollege Dreßen, das
kann ich durch viele Gespräche, die ich mit Vertretern des
Transportgewerbes geführt habe, bestätigen. Das eigentli-
che Problem ist in der Tat das Lohndumping, die so ge-
nannte graue Kabotage, wodurch insbesondere aus dem
mittel- und osteuropäischen Ausland das deutsche Fern-
verkehrsgewerbe beeinträchtigt wird. Es sind garantiert
nicht die Spritkosten, die ins Gewicht fallen.
Ein Lastwagen, der seine Fahrt in Polen beginnt, tankt
in Polen, und zwar entsprechend den polnischen Sprit-
preisen. Das ist völlig klar. Es wird aber durch den Zoll
überprüft, dass nicht mehr als 200 Liter mitgeführt wer-
den. Wenn der Lastwagen durch Deutschland fährt, dann
ist der Treibstoff irgendwann verbraucht, sodass das Pro-
blem wirklich nicht relevant ist. Vielmehr ist das Problem
relevant, dass auf diesen Lastwagen möglicherweise zwei
polnische oder bulgarische oder rumänische Fahrer bzw.
Beifahrer sitzen, die zu Dumpinglöhnen von unter 8 DM
pro Stunde – manchmal nur 5 DM – rund um die Uhr fah-
ren.
Es ist ebenfalls darauf hinzuweisen – das ist vielen Ver-
tretern des Gewerbes klar –, dass an diesem Geschäft
natürlich auch einzelne Vertreter ihres eigenen Gewerbes
aus der Bundesrepublik Deutschland in großem Umfang
beteiligt sind, was letztlich dazu führt, dass manche, die
in großem Stil gerade dieses Lohndumping von mittel-
oder osteuropäischen Fahrern auf deutschen Lastwagen
betreiben lassen, am Niedergang des mittelständischen
Transportgewerbes die Hauptschuld tragen.
Herr Kol-
lege Hauser, Sie haben das Wort.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir erleben zurzeit, dass die
Bundesregierung durchaus bereit ist, ihre Fehler in der
Ökosteuer ein Stück weit zu korrigieren.
Warum sind Sie nicht bereit, in einem Wirtschafts-
zweig, der wirklich eklatant unter den beschriebenen Be-
lastungen und obendrein auch noch unter Wettbewerbs-
verzerrungen leidet, wie es beim Unterglas-Gartenbau der
Fall ist, ebenfalls entsprechende Korrekturen vorzuneh-
men?
D
Herr Kollege Hauser, ich
muss Ihre Eingangsbemerkung zurückweisen; denn es
handelt sich hier nicht um Korrekturen der Ökosteuer.
Beim Heizölkostenzuschuss ist es ganz offenbar. Im Jahr
1999 ist die Steuer auf leichtes Heizöl um 4 Pfennig er-
höht worden. Danach erfolgte keine weitere Erhöhung. Es
sind auch keine weiteren Erhöhungsstufen vorgesehen.
Aber in der Heizperiode des Winters 1999/2000, also vor
genau einem Jahr, betrug der Preis für 1 Liter Heizöl nur
ungefähr 40 Prozent dessen, was er heute kostet. Das liegt
an der Preisentwicklung auf dem Weltmarkt und in keiner
Weise an der Ökosteuer. Zwischen der letzten Heizperi-
ode und dieser Heizperiode ist nun wirklich überhaupt
keine steuerliche Veränderung vorgenommen worden. Ich
bitte Sie, das einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen. Sie
müssen diese beiden Heizperioden miteinander verglei-
chen. Zwischen ihnen hat es überhaupt keine Änderung
im Besteuerungssystem gegeben.
Es gab bereits in den 70er-Jahren bei explodierenden
Rohölkosten einen einmaligen Heizölkostenzuschuss.
Die Bundesregierung will diesen Zuschuss gewähren,
weil die Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Ex-
plosion der Heizölpreise, die nicht durch irgendwelche
steuerliche Maßnahmen, sondern durch die Weltmarkt-
preise verursacht waren, sich nicht in kurzer Zeit in ihrem
Budget darauf einrichten konnten, dass sie letztlich auch
Umschichtungen in ihrem Budget vorzunehmen haben.
Das Ganze ist als einmalige Hilfe konzipiert. Es tut uns
Leid, aber wir können natürlich nicht auf Dauer mit steu-
erlichen Maßnahmen gegen Weltmarktpreise angehen.
Die Bürgerinnen und Bürger werden im nächsten Jahr, bis
zur nächsten Heizperiode, aus ihren eigenen Mitteln Vor-
sorge treffen müssen. Das ist in einem marktwirtschaftli-
chen System nicht anders denkbar, auch wenn sich das
jetzt hart anhört. Es kann nur als einmaliger Zuschuss ge-
leistet werden, weil nicht auf Dauer Weltmarktpreise
durch steuerliche Maßnahmen oder durch Zuschüsse aus-
geglichen werden können.
Was die Unterglasbetriebe anbelangt, so ist auch da die
eigentliche Wettbewerbsverzerrung nicht durch steuerli-
che Maßnahmen, sondern durch eine von der EU jeden-
falls nicht beanstandete Sonderpreisregelung des nieder-
ländischen Gartenbauverbandes mit der niederländischen
Gasuni NV, die bis zum Jahr 2002 genehmigt ist, bedingt.
Die Bundesregierung prüft, ob sie zugunsten des Garten-
baus für diese zwei Jahre wegen der Wettbewerbsverzer-
rung, die nicht auf steuerlichen Maßnahmen beruht, son-
dern aufgrund von Einzelpreisabsprachen zwischen den
Gaslieferanten der Niederlande – man kann eher sagen,
dem Gaslieferanten, denn er fördert das Gas aus der Nord-
see und verkauft es in den ganzen Niederlanden und auch
darüber hinaus – und dem Gartenbauverband besteht,
möglicherweise eine Hilfestellung geben kann. Auch dies
hat nichts mit steuerlichen Maßnahmen zu tun. Der
Hauptkonkurrent des deutschen Gartenbaus ist zweifellos
der niederländische Gartenbau. Insofern ist an dieser
Stelle die eigentliche Vergleichsnotwendigkeit gegeben.
Wir prüfen dies zurzeit.
Was das Transportgewerbe anbelangt, so darf ich Sie
– das haben Sie in Vergleich zur Entfernungspauschale
gesetzt – darauf hinweisen, dass die Entfernungspau-
schale – systematisch gesehen – eine Ausweitung der
Werbungskosten der Arbeitnehmer ist. Die Werbungskos-
ten für den Arbeitnehmer dienen dazu, dass er in die Lage
versetzt wird, seinen Beruf überhaupt auszuüben, also
auch dazu, zur Arbeitsstätte zu gelangen. Diese Kosten
sind sozusagen die Betriebsausgaben des Arbeitnehmers.
Im Transportgewerbe ist es so wie in jedem anderen
Wirtschaftszweig auch: Die steigenden Kosten werden im
steuerlichen System von vornherein berücksichtigt, weil
sie als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13557
Herr Kol-
lege Straubinger.
Frau Staatssekretärin,
Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Dreßen hat mich
dazu veranlasst, mich zu melden. Der Kollege Dreßen
hat gesagt, dass ostdeutsche Unternehmungen für das
Lohndumping verantwortlich sind. Sie haben aber nur
das Lohndumping osteuropäischer Unternehmungen er-
wähnt. Es würde mich also interessieren, ob Sie die Auf-
fassung des Kollegen Dreßen teilen, dass auch ost-
deutsche Unternehmungen für das Lohndumping
verantwortlich sind.
Darüber hinaus interessiert mich, ob nicht insbesondere
ostdeutsche Unternehmungen im Transportgewerbe von
der Ökosteuer betroffen sind.
D
Herr Kollege Straubinger,
ich bin davon ausgegangen, dass der Kollege Dreßen das
Lohndumping in Ost- und Mitteleuropa meinte,
das uns aus leidvoller Erfahrung bekannt ist. Häufig al-
lerdings geht von einzelnen deutschen Unternehmen – ich
betone: von einzelnen, also nicht von der Mehrheit der
deutschen Unternehmen – dieses Lohndumping aus.
Ich glaube also, dass ich die Frage des Kollegen Dreßen
richtig beantwortet habe, indem ich auf diesen Punkt hin-
gewiesen habe.
Wie wir wissen, gibt es im südwestdeutschen Raum ein
großes Unternehmen, das den gesamten Fuhrpark eines
ehemaligen bulgarischen Staatsbetriebes aufgekauft hat.
Wahrscheinlich fahren nicht mehr dieselben Autos, weil
sie mittlerweile verschlissen sind. Aber durch den Kauf
hat das Unternehmen Einfluss auf die Löhne der bulgari-
schen Fahrer gewonnen, die jetzt – sozusagen unter deut-
scher Flagge – deutsche LKW zu Dumpinglöhnen fahren.
Solange solche schwarzen Schafe innerhalb der Wirt-
schaft selber existieren – wohlgemerkt: es handelt sich um
einzelne Unternehmen –, besteht eine Gefahr aufgrund
des Lohndumpings – diese hat der Kollege Dreßen ange-
sprochen – für diejenigen Unternehmen, die ihre Mitar-
beiter tarifgerecht entlohnen.
Ich komme zum zweiten Teil Ihrer Frage. Es gibt auf-
grund der Ökosteuer keine besondere Belastung der Un-
ternehmen in den ostdeutschen Ländern. Es mag dort
Transportunternehmen geben, die keine Tariflöhne zah-
len. Wir wissen ja, dass in der ostdeutschen Wirtschaft Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer häufig nicht tarifge-
bunden entlohnt werden.
Das ist aber nicht mit dem Lohndumping vergleichbar,
das aus Ost- und Mitteleuropa zu uns nach Deutschland
herüberschwappt.
Es scheint
mir, als wenn die Frage 15 sehr beliebt ist. – Herr Kollege
Schauerte, bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, ich möchte noch einmal auf den Anteil der Mehr-
wertsteuer an den gestiegenen Preisen bei Heiz- und Die-
selöl zurückkommen. Sie haben sehr vollmundig erklärt,
dass in diesem Bereich nichts mehr passiert sei. Teilen Sie
meine Einschätzung, dass sich bei einem Anstieg des Ben-
zinpreises um 50 Pfennig zusätzliche Mehrwertsteuerein-
nahmen in Höhe von 8 Pfennig ergeben? Teilen Sie ferner
meine Ansicht, dass bei einem Anstieg der Heizölkosten
von 40 auf 90 Pfennig ebenfalls zusätzliche Mehrwert-
steuereinnahmen in Höhe von 8 Pfennig fließen? Ist der
Finanzminister im Prinzip nicht ein Trittbrettfahrer in Be-
zug auf diese Entwicklung?
D
Herr Kollege Schauerte, es
ist richtig, dass bei steigenden Preisen auch die Einnah-
men aus der Mehrwertsteuer steigen. Da wir bei der Mi-
neralölsteuer eine Mehrwertsteuer in Höhe des Normal-
satzes von 16 Prozent haben, kommen auf 50 Pfennig
– ich bestätige Ihnen, dass Sie richtig gerechnet haben –
8 Pfennig Mehrwertsteuer.
Diese Mehreinnahmen lassen sich aber nicht vermei-
den. Was wären denn Ihre Vorstellungen, wie wir zukünf-
tig in diesen Fällen mit der Mehrwertsteuer umgehen sol-
len? Sollen wir bei steigenden Preisen die Mehrwertsteuer
senken und bei sinkenden Preisen die Mehrwertsteuer bei
einzelnen Produkten erhöhen? Wir haben nur zwei Mehr-
wertsteuersätze, da in der Europäischen Union festgelegt
ist, dass es nicht mehr als zwei Mehrwertsteuersätze ge-
ben darf. Deshalb lässt es sich nicht vermeiden, dass in
Teilbereichen die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer auf-
grund gestiegener Preise steigen, während in anderen Be-
reichen – siehe Lebensmittel – die Einnahmen aus der
Mehrwertsteuer aufgrund gesunkener Preise sinken.
Das ist bei einem Mehrwertsteuersystem einfach so und –
das wissen Sie auch – das lässt sich nicht ändern.
Eine zweite
Zusatzfrage zu dieser Frage haben Sie nicht, Herr Kollege
Schauerte.
Dann kommen wir zu der Zusatzfrage des Kollegen
Sebastian.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 200013558
Frau Staats-
sekretärin, Sie haben eben die Nachteile des Transportge-
werbes durch die erhöhten Energiekosten dargestellt. Sie
haben aber auch gesagt, dass nach Ihrer Ansicht nur im
grenznahen Raum Nachteile entstehen. Können Sie sich
vorstellen, dass unsere Transportgewerbeunternehmen
generell im internationalen Wettbewerb bestehen müs-
sen?
D
Herr Kollege Sebastian,
ich habe versucht, zu erläutern, dass – das müsste doch ei-
gentlich nachvollziehbar sein – zum Beispiel der Fahrer
eines LKW, der von Portugal nach Schweden fährt, also
im europäischen Raum unterwegs ist, zwar in Portugal
billiger tanken kann, weil der Sprit dort etwas billiger ist,
dann aber durch Frankreich fahren muss, wo er wieder,
und zwar zu französischen Preisen, tanken muss, weil er
nicht mit einer Tankfüllung durch Frankreich kommt.
Dann fährt er durch die Niederlande, wo er zu niederlän-
dischen Preisen tanken muss, die durchaus höher als bei
uns sind. Dafür erhält er auch keine Rückvergütung. Dann
kommt er durch Deutschland, wo der Sprit billiger ist,
dann durch Dänemark, wo er wieder teurer ist. Das heißt,
bei einem LKW-Fahrer, der im internationalen Raum un-
terwegs ist, gleicht sich das aus, weil er naturgemäß zwi-
schendurch immer wieder tanken muss.
Im grenznahen Bereich ist es in der Tat so, dass ein
Transportunternehmer mit einer Tankfüllung, die er zu
Hause billig erworben hat – das kann eigentlich nur in Lu-
xemburg sein, denn sonst ist es im grenznahen Bereich
nirgendwo billiger als bei uns –, zum Beispiel einem
Transportunternehmer aus Trier Konkurrenz machen
kann. Aber der Transportunternehmer aus Trier fährt viel-
leicht einen kleinen Umweg über Wasserbillig und tankt
in Luxemburg. Daran können wir ihn nicht hindern.
Das heißt, im grenznahen Bereich kann es zu Wettbe-
werbsverzerrungen kommen, aber im internationalen Ver-
kehr müssen sich die Unterschiede bei den Spritpreisen
logisch ausgleichen.
Herr Kollege Meister,
bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, ich möchte auf das Stichwort Unterglasbaubetriebe
zurückkommen, zu denen vorhin der Kollege Hauser et-
was gefragt hat. Sie haben dankenswerterweise gesagt,
dass bei der Bundesregierung geprüft wird, ob dort eine
Hilfestellung gewährt werden soll. Wir haben jetzt die
letzte Sitzungswoche dieses Jahres. Wir wissen, dass die
Unterglasbaubetriebe gerade jetzt in einer Extremsitua-
tion sind, dass ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Des-
halb ist meine Frage: Bis wann können wir denn damit
rechnen, dass die Bundesregierung ihre Prüfung ab-
geschlossen hat und tatsächlich ein Hilfsprogramm für die
Unterglasbaubetriebe vorgelegt wird?
In dem Zusammenhang können Sie vielleicht auch eine
kurze Erläuterung geben, ob es sich dabei um eine tatsäch-
liche Hilfe handeln wird oder ob es um langfristige Maß-
nahmen geht, bei denen eine Umrüstung in Richtung öko-
logischer Verbesserung angestrebt wird, was dann keine
tatsächliche Hilfestellung in der aktuellen Notlage wäre,
sondern lediglich ein langfristiges Programm zur Steige-
rung der Energieeffizienz. Handelt es sich also um ein
Programm, das aus der aktuell schlechten Wettbewerbssi-
tuation heraushelfen soll?
Frau Staatssekretärin,
bitte.
D
Herr Kollege Meister, wie
Ihnen vielleicht bekannt ist, hat dieser Deutsche Bundes-
tag im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Haus-
haltes in der vergangenen Woche im Rahmen des Einzel-
plans 10 Hilfen für die Unterglasbaubetriebe bereit-
gestellt, und zwar – zum Teil so, wie Sie es gerade ange-
sprochen haben – jeweils 15 Millionen DM für das
nächste und das übernächste Jahr zugunsten von Energie-
sparinvestitionen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes“ sowie darüber hinaus jeweils 10 Millionen DM
für das nächste und das übernächste Jahr als Zinsverbilli-
gungsprogramme für Betriebskredite, die sozusagen über
die aktuelle Not hinweghelfen sollen. Die Bedingungen
dafür werden gerade im Bundeslandwirtschaftsministe-
rium ausgearbeitet. Daneben stehen Programme der Deut-
schen Siedlungs- und Landesrentenbank zur Verfügung,
zum Beispiel für Jungbauern – wobei der Begriff des
Jungbauern in der Landwirtschaft etwas weiter gefasst ist,
als man das allgemein annimmt; das sind nicht nur die bis
25-Jährigen, sondern nach meiner Kenntnis auch noch
40-Jährige; ich weiß es nicht genau. Dies ist also schon
beschlossen und wird unmittelbar zu Beginn des Jahres
2001 wirksam.
Die Bundesregierung prüft daneben, ob noch weitere
Hilfestellungen notwendig sind. Dieser Prüfungsprozess
ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich darf darauf hin-
weisen, dass die Maßnahmen, die ich Ihnen gerade vor-
getragen habe, schon durch den Deutschen Bundestag
verabschiedet worden sind – leider nicht mit Ihrer Zu-
stimmung; denn Sie haben dem Einzelplan 10 nicht zuge-
stimmt.
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]:Wir
hatten ja ein bisschen mehr gefordert!)
Nun rufe ich die
Frage 16 der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt auf:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die steigenden Belastun-
gen durch die Ökosteuer, insbesondere für Familien im ländlichen
Raum, die im Alltag keine Alternative zum Auto haben?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13559
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
in der Diskussion über die ökologische Steuerreform wird
oft behauptet, die Bewohner des ländlichen Raums seien
von der Mineralölsteuererhöhung finanziell stärker be-
troffen als die Bewohner in städtischen Regionen, da sie
längere Fahrtwege zurückzulegen und damit höhere Kos-
ten für den Kraftstoffverbrauch zu tragen hätten. Untersu-
chungen haben aber ergeben, dass höhere Fahrleistungen
weniger im ländlichen Raum, sondern eher in den Bal-
lungsgebieten anfallen. Hier sind auch der Motorisie-
rungsgrad und – wegen der größeren Verkehrsdichte – der
Kraftstoffverbrauch höher als in typisch ländlichen Ge-
bieten.
Eher trifft das Argument zu, dass die im ländlichen
Raum vorherrschende Unterversorgung mit Angeboten
des öffentlichen Personennahverkehrs – kurz: ÖPNV – zu
Benachteiligungen führt, weil die ländlichen Bewohner
dadurch, anders als in städtischen Regionen, kaum Alter-
nativen zum Auto haben. Dies gilt vor allem für Fahrten
außerhalb des Berufsverkehrs und abseits der Schienen-
strecken. Damit steht die Bundesregierung vor dem Re-
sultat der verfehlten Verkehrspolitik der Vorgängerregie-
rung, die den motorisierten Individualverkehr völlig
einseitig bevorzugt hatte.
Für den ÖPNV sind die Länder zuständig. Diese erhal-
ten durch das Regionalisierungsgesetz allein im Jahr 2000
rund 13 Milliarden DM aus dem Mineralölsteueraufkom-
men des Bundes. Nach einem im Benehmen mit den Län-
dern vergebenen Gutachten der WIBERA sind die nach
diesem Gesetz geleisteten Beiträge mehr als ausreichend
bemessen. Zudem erhalten die Unternehmen des ÖPNV
eine Erstattung der Mineralölsteuer und einen ermäßigten
Stromsteuersatz. Die bevorstehende Einführung einer
verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale wird
ebenfalls dazu beitragen, die Attraktivität des ÖPNVnicht
zuletzt zugunsten der Bewohner des ländlichen Raums zu
erhöhen.
Eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin, bitte sehr.
Frau Staatssekretä-
rin, in Ihrer Koalitionsvereinbarung ist enthalten – und
zwar ziemlich wörtlich, – dass die Entscheidungen über
die Ökosteuer immer vor dem Hintergrund der generellen
konjunkturellen Entwicklung und der Preisentwicklung
zu treffen sind. Wenn Sie nun die Entwicklung des Prei-
ses des Mineralöls und des Heizöls unabhängig von der
Steuer betrachten, dann müssten Sie eigentlich daraus die
Konsequenz ziehen, wenigstens die weiteren Stufen bei
der Ökosteuer auszusetzen. Sind Sie dazu bereit?
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
die Bundesregierung, vertreten durch unterschiedlichste
Mitglieder der Bundesregierung, hat Ihnen und Mitglie-
dern Ihrer Fraktion nunmehr seit mehreren Wochen ver-
sucht klarzumachen, dass dies nicht zielführend sein
kann. Dies führte nämlich dazu, dass der Spielraum für
Preiserhöhungen vonseiten der Ölkonzerne größer würde.
Wir können es ja täglich an den Tankstellen erleben: Ein-
mal geht es 3 Pfennig hinauf und dann wieder 3 Pfennig
hinunter. Wenn wir die nächste Stufe der Ökosteuer aus-
setzen würden, dann wäre dies überhaupt keine Gewähr
dafür, dass nicht gleichwohl in der folgenden Woche die
Preise um 8, 10 oder 12 Pfennig steigen, vielleicht aber
auch um 7 Pfennig sinken würden. All dies ist denkbar,
weil im Rahmen der Preisentwicklung die steuerliche
Frage nur peripher ist.
Frau Staatssekretä-
rin, gehe ich dann recht in der Annahme, dass das, was in
Ihrer Koalitionsvereinbarung steht, nur weiße Salbe ist?
D
Frau Kollegin Hasselfeldt,
ich glaube nicht, dass man das, was man auf Papier
druckt, als weiße Salbe bezeichnen kann.
Jetzt möchte Kollege
Ronsöhr eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, da die Entwicklung des ländlichen
Raumes sehr stark von Unterglasbetrieben im Gartenbau
abhängt, möchte ich zum Gartenbau eine Frage stellen.
Sie haben soeben gesagt, dass sich die Regierung noch in
einem Diskussionsprozess dahin gehend befindet, ob es
weitere Hilfen für den Gartenbau geben wird. Müsste man
nicht jetzt schnell entscheiden? Denn die hohen Energie-
kosten für den deutschen Unterglasgartenbau entstehen
im Winter und nicht im Sommer. Wenn man den Garten-
baubetrieben helfen will, dann müsste man ihnen in die-
sem Winter helfen.
Könnten Sie sich die Regelung vorstellen – eine solche
ist zumindest in Gartenbaukreisen andiskutiert worden –,
den Gartenbaubetrieben eine Befreiung sowohl von der
Ökosteuer, die 4 Pfennig ausmacht, als auch von der
Steuer auf Heizöl, die noch einmal 8 Pfennig beträgt, zu
gewähren, um zumindest hier zu einer Entlastung zu kom-
men? Dies ist umso wichtiger, als die Niederländer zurzeit
weitere entlastende Maßnahmen für den niederländischen
Gartenbau beschlossen haben. In den Niederlanden ist so-
wieso schon eine Entlastung erfolgt; weitere entlastende
Maßnahmen sind jetzt hinzugekommen. Finden Sie nicht,
dass die Bundesregierung im Interesse der Erhaltung des
Unterglasgartenbaus in Deutschland jetzt umfassend und
sehr schnell handeln müsste?
Das war an sich eine
Zusatzfrage zu Frage 15, Frau Staatssekretärin.
Bitte sehr.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 200013560
D
Sie haben den Schlenker
gut gefunden, das ist keine Frage.
Herr Kollege Ronsöhr, ich darf Sie noch einmal darauf
hinweisen, dass die Bundesregierung und die sie tragen-
den Koalitionsfraktionen schon tätig geworden sind.
Im gerade für das Jahr 2001 verabschiedeten Haushalt ha-
ben wir schon Hilfen für die Unterglasbetriebe vorgese-
hen. An dieser Stelle ist das eigentliche Problem in der Tat
die Wettbewerbsverzerrung durch die Niederländer. Das
liegt aber, wie ich Ihnen gerade schon gesagt habe, an ver-
günstigten Gaspreisen.
– Nein, das ist nicht wahr. Die Preise sind so niedrig, wie
sie sind.
Sie sind nicht ausdrücklich genehmigt, aber sie sind bis
inklusive 2002 nicht durch die Europäische Kommission
beanstandet worden und betragen nach meinem Kennt-
nisstand umgerechnet rund 33 Pfennig pro Kilowatt-
stunde Gas.
Darin liegt der eigentliche Wettbewerbsvorteil. Dieses
Problem greifen wir auf europäischer Ebene auf, weil wir
dafür sorgen wollen, dass dieser Wettbewerbsvorteil je-
denfalls nicht über das Jahr 2002 fortbesteht.
Gleichwohl ist sich die Bundesregierung der schwieri-
gen Lage der Unterglasbetriebe bewusst. Ich kann aber
nicht versprechen, dass wir etwa auf jegliche Besteuerung
der Heizstoffe verzichten. Ich glaube, dass Sie diese For-
derung auch nicht ernsthaft aufstellen.
– Wenn Sie die ernsthaft meinen sollten, Herr Ronsöhr,
dann scheinen Sie als Abgeordneter der Bundesrepublik
Deutschland in der Tat einen Mangel an Verantwortungs-
bewusstsein zu pflegen.
Herr Kollege, Sie ha-
ben nicht mehr das Wort.
Jetzt hat der Kollege von Klaeden eine Zusatzfrage zur
Frage 16 der Kollegin Gerda Hasselfeldt. Bitte sehr.
Ich möchte auf das
Argument der Frau Staatssekretärin eingehen, dass ein
Aussetzen der Ökosteuer dazu führen würde, dass die Mi-
neralölpreise steigen würden. Frau Staatssekretärin,
müssten Sie dann nicht logischerweise Mehrwertsteuer
auf Mieten erheben, damit die Mieten in Deutschland sin-
ken?
D
Herr Kollege von Klaeden,
ich habe Ihnen gerade gesagt, dass sich die Preisentwick-
lung völlig unabhängig von der Steuerentwicklung so
oder so gestalten kann. Ich habe darauf hingewiesen, dass
es sogar sein könnte, dass nach einer Erhöhung der Öko-
steuer anschließend die Preise sinken, wenn sich die Welt-
marktpreise entsprechend entwickeln. Ich habe nicht ge-
sagt, dass es auf jeden Fall zu einer Erhöhung kommen
müsste.
Vielmehr habe ich gesagt, es gebe Spielraum für zusätzli-
che Steuererhöhungen.
Nun hat der Kollege
Hauser eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade davon geredet,
dass der öffentliche Personennahverkehr entlastet werden
würde. Können Sie uns mitteilen, wie hoch die Belastung
durch die Stromsteuer ist, damit dem Eindruck entgegen-
gewirkt werden kann, dass es sich um eine Entlastung
handele? Es ist nämlich vielmehr eine Belastung.
D
Herr Kollege Hauser, die
Frage kann ich Ihnen aus dem Kopf leider nicht beant-
worten; ich werde die Antwort aber nachreichen. Jeden-
falls ist bei der Stromsteuer ein reduzierter Satz für den öf-
fentlichen Personennahverkehr eingeführt worden.
Nun hat die Kollegin
Bulling-Schröter eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
wie ich mitbekommen habe, fordert die CDU/CSU die
Abschaffung der Ökosteuer, mit der die so genannten
Lohnnebenkosten gesenkt werden. Können Sie mir sagen,
in welcher Höhe die Rentenbeiträge erhöht werden müss-
ten, wenn die Ökosteuer sofort abgeschafft würde?
D
Wenn die Ökosteuer sofort
abgeschafft würde, müssten die Rentenbeiträge in diesem
Jahr sofort wieder um 1 Prozentpunkt und im nächsten
Jahr um 1,2 Prozentpunkte erhöht werden. Diese Zahlen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13561
entsprechen genau den Senkungen, die wir durch die Öko-
steuer haben herbeiführen können.
Nun kommen wir zur
Frage 17 des Abgeordneten Hauser:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Verfassungsbe-
schwerden gegen die Ökosteuer beim Bundesverfassungsgericht
anhängig sind und welche Regelungen jeweils kritisiert werden?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
D
Herr Kollege Hauser, der
Bundesregierung sind vom Bundesverfassungsgericht
bislang drei Verfassungsbeschwerdeverfahren zur Stel-
lungnahme zugeleitet worden. Die Verfassungsbeschwer-
den wenden sich gegen die §§ 2, 25 und 25 a des Mine-
ralölsteuergesetzes sowie gegen die §§ 3, 5 Abs. 1, 9
Abs. 3 und 10 Abs. 1 und 2 des Stromsteuergesetzes.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, ich habe die Frage deshalb gestellt,
weil mir eine Information vorliegt, in der es heißt, dass es
nach Angaben des Bundesverfassungsgerichtes derzeit
zehn Klagen gegen die Ökosteuer gibt. Ich möchte Sie
deshalb bitten, Ihre Antwort zu überprüfen. Sind Sie wei-
terhin in der Lage, mir zu sagen, wie viele Verfahren vor
Finanzgerichten anhängig sind?
D
Herr Kollege Hauser, ich
kann hier nur eine Aussage zu den Verfahren machen, zu
denen die Bundesregierung eine Stellungnahme vorneh-
men soll. Das sind die drei von mir genannten Verfahren.
Wenn es weitere Verfahren gäbe, würde das möglicher-
weise durch die Presse mitgeteilt. Ich weiß nicht, woraus
Sie zitieren.
Der Bundesregierung liegen gesicherte Erkenntnisse
über verfassungsgerichtliche Verfahren erst dann vor,
wenn sie uns vom Bundesverfassungsgericht zur Stel-
lungnahme zugeleitet werden. Insofern kann ich Ihnen
nicht mehr sagen als das, was ich Ihnen über die drei Ver-
fahren gesagt habe.
Ob und, wenn ja, wie viele Verfahren bei den Finanz-
gerichten anhängig sind, kann ich natürlich nicht sagen.
Das müsste ich über eine Erhebung in den Ländern klären
lassen. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich Ihrer Intention
entspricht. Dazu müsste die Bundesjustizministerin ihre
Länderjustizministerkollegen darum bitten, dass diese
sich bei den Finanzgerichten erkundigen, welche Verfah-
ren anhängig sind.
Wenn Sie als Abgeordneter darauf bestehen, müssten wir
diesen Weg beschreiten. Ich weiß nicht, ob es tunlich ist.
Ihre zweite Zusatz-
frage, Herr Kollege Hauser.
Frau Staatssekretärin, ich habe nicht danach gefragt, wie
viele Verfahren anhängig sind, zu denen Sie eine Stellung-
nahme abgeben sollen, sondern danach, wie viele Verfah-
ren es gibt. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, sich noch ein-
mal damit zu beschäftigen, um uns eine detaillierte
Angabe darüber zu geben, wie viele Verfahren anhängig
sind und was Gegenstand dieser Verfahren ist?
Zu den Finanzgerichten: Jedes Finanzgericht ver-
öffentlicht die Zahl der anhängigen Verfahren. Es wäre
mit Sicherheit keine Riesenaufgabe, das entsprechend zu
eruieren. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, diese Informatio-
nen einzuholen?
D
Herr Kollege Hauser, ich
habe Ihnen gerade schon gesagt: Gesicherte Erkenntnisse
über verfassungsgerichtliche Verfahren erhält die Bun-
desregierung erst dann, wenn ihr diese vom Bundesver-
fassungsgericht zur Stellungnahme zugeleitet worden
sind. Deswegen kann ich mich gesichert nur zu den drei
Verfahren äußern, die ich gerade angesprochen habe;
denn zu diesen ist die Bundesregierung zur Stellung-
nahme aufgefordert worden.
Sie sagen, dass es Pressemitteilungen gibt, die andere
Zahlen nennen. Vielleicht könnten Sie mir die Quelle
nennen, aus der Sie zitieren und die davon ausgeht, dass
es mittlerweile zehn Verfahren gibt. Wir können uns dann
beim Bundesverfassungsgericht sachkundig machen. Bis
jetzt haben wir eine gesicherte Erkenntnis über drei Ver-
fahren. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Im Übrigen sind
das Verfahren, die in der Öffentlichkeit bekannt geworden
sind. Die Gegenstände habe ich Ihnen genannt.
Bezüglich der Finanzgerichte werde ich Ihre Frage
prüfen. Ich kann Ihnen keine Zusage machen, weil hier
das Bundesjustizministerium tätig werden müsste.
Wir kommen nun zur
Frage 18 des Abgeordneten Hauser:
Wurde die Bundesregierung zu den oben genannten anhängi-
gen Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht
schon um Stellungnahme gebeten und, wenn ja, wie lautet diese?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Die Bundesregierung hat
in ihren Stellungnahmen gegenüber dem Bundesverfas-
sungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der mit den
Verfassungsbeschwerden angegriffenen Vorschriften dar-
gelegt.
Erste Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
13562
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es handelt
sich hier um eine „unmaßgebliche Meinung des Bundes-
finanzhofs“?
D
Ich würde das Wort „un-
maßgeblich“ nicht benutzen. Aber es handelt sich in der
Tat um eine Meinungsäußerung des Bundesfinanzhofs,
die keine Urteilskraft hat.
Keine weitere Zusatz-
frage.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Ronsöhr auf:
Bestätigt die Bundesregierung die Aussage des Bundesminis-
ters für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Karl-Heinz
Funke, dass Landwirte von der Ökosteuer ab kommendem Jahr
nicht mehr betroffen seien?
Ich habe den Eindruck, dass die Frage nach der Öko-
steuer allmählich ausgelotet ist. Gleichwohl bitte ich Sie,
Frau Staatssekretärin, zu antworten.
D
Die Aussage von Bundes-
landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke bezog sich
ausschließlich auf den in der Land- und Forstwirtschaft
verwendeten Dieselkraftstoff. Der für Agrardiesel festge-
setzte Steuersatz von 57 Pfennigen je Liter liegt 5 Pfen-
nige je Liter unter dem Mineralölsteuersatz, der vor dem
Einstieg in die ökologische Steuerreform Anfang 1999
allgemein gegolten hat. Der Mineralölsteuersatz betrug
zum 1. Januar 1999 62 Pfennige je Liter. Mit der Fest-
schreibung des Steuersatzes für Agrardiesel ist die Land-
und Forstwirtschaft daher von der Ökosteuer auf Kraft-
stoffe nicht betroffen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau
Staatssekretärin, sind Sie – ich frage noch einmal, weil Sie
jetzt wieder mit dem allgemeinen Steuersatz gekommen
sind – bereit, zu bestätigen, dass der Steuersatz für die
Landwirtschaft bis 1999 21 Pfennige je Liter betragen und
sich nunmehr auf 57 Pfennige je Liter erhöht hat, sodass
die Belastung für die Landwirtschaft dann, wenn es dabei
bleibt, doppelt so stark ist wie die allgemeine Belastung
durch die Ökosteuer? Wie man angesichts dessen immer
von einem „Ausstieg“ aus der Ökosteuer reden kann, kann
ich bis heute nicht nachvollziehen.
D
Herr Kollege Ronsöhr, wie
Sie wissen, ist die Gasölverbilligung eine Subvention ge-
wesen, die aus dem Haushalt des Bundeslandwirtschafts-
ministeriums geleistet worden ist und die tatsächlich dazu
gedient hat, die Mineralölsteuer auf Dieselkraftstoffe in
der Landwirtschaft auf 21 Pfennige je Liter zu senken.
Der Steuersatz betrug damals naturgemäß 62 Pfennige je
Liter. Früher war er auch einmal niedriger; aber Sie haben
ihn während Ihrer Regierungszeit ordentlich erhöht.
In der Tat ist der Steuersatz für in der Landwirtschaft
verwendete Dieselkraftstoffe durch Subventionen wieder
gesenkt worden. Wir schaffen jetzt einen steuerlichen Tat-
bestand, der dazu führt, dass die Landwirtschaft – ich
räume das ein – zwar nicht 21 Pfennige je Liter, aber
57 Pfennige je Liter zahlen muss. Dieser Steuersatz ist um
5 Pfennige niedriger als der allgemeine Mineralölsteuer-
satz vor der Einführung der Ökosteuer.
Herr Kollege, wollen
Sie noch eine zweite Zusatzfrage stellen?
– Dann kommen wir jetzt zur Frage 20 des Kollegen
Ronsöhr:
Bei wie viel Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Be-
triebe in Deutschland wird aufgrund der Überschreitung der
Sockelbeträge bei Strom sowie bei Heizöl/Gas der Steuersatz re-
duziert?
D
Im Sektor Landwirtschaft
übersteigen circa 10 bis 12 Prozent der Betriebe die
Sockelbeträge der Ökosteuer und kommen somit in den
Genuss der reduzierten Steuersätze auf Heizöl, Gas und
Strom.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Frau
Staatssekretärin, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der
Steuersatz erst dann auf 20 Prozent reduziert wird, wenn
die Sockelbeträge schon zu 100 Prozent entrichtet worden
sind, und dass das insbesondere kleine strukturierte Be-
triebe und damit das Handwerk und die Landwirtschaft
belastet? Diese müssen erst einmal 100 Prozent zahlen
und kommen erst dann in den Genuss der Reduzierung auf
20 Prozent. Sind Sie bereit, das anzuerkennen, und kön-
nen Sie die von mir gestellte Frage bitte richtig beantwor-
ten?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13563
D
Herr Kollege Ronsöhr, ich
bin bereit, anzuerkennen, dass eine Sockelbetragsrege-
lung, die der Verwaltungsvereinfachung dient und die
– ich muss die Zahl einmal nennen – zu Mehrkosten in
Höhe von maximal 2 000 DM pro Jahr führen kann, näm-
lich 1 000 DM für Strom und noch einmal 1 000 DM ent-
weder für Gas oder Heizöl, in der Tat bei kleinen Betrie-
ben zu einer Zusatzbelastung führen kann – egal ob dies
landwirtschaftliche oder andere kleine Betriebe sind –
und sich erst danach der reduzierte Steuersatz auswirkt.
Diese Regelung dient letztlich dazu, dies verwaltungs-
mäßig überhaupt noch handhaben zu können, wobei eine
Belastung in Höhe von 2 000 DM im Jahr eine durchaus
überschaubare Belastung ist. Wenn man bedenkt, dass
diese Ausgaben natürlich auch in die Betriebskostenbe-
rechnung einfließen und sich somit gewinnmindernd aus-
wirken, sieht man, dass diese Belastung in Höhe von
2 000 DM je nach dem persönlichen Steuersatz des Be-
triebsinhabers gemindert wird.
Herr Kollege
Ronsöhr, Sie haben keine Zusatzfrage mehr. Ich habe ge-
nau darauf geachtet.
– Ja, Sie können dessen sicher sein.
Jetzt kann der Kollege Hirche eine Zusatzfrage stellen.
Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, welches
ist der tiefere Grund dafür, dass alle kleinen Betriebe die
Sockelbeträge erst zu 100 Prozent entrichten müssen, aber
bei den größeren Betrieben die Reduktion auf bis zu
20 Prozent des Sockelbetrages direkt vorgenommen wird,
und Sie somit den Konzentrationsprozess in der Land-
wirtschaft begünstigen?
D
Herr Kollege Hirche, ich
glaube nicht, dass dies wesentlich mit dem Konzentra-
tionsprozess in der Landwirtschaft, sondern wesentlich
mit der Art und Weise der Produktion zu tun hat.
Als wir uns darüber unterhalten haben, dass es wohl not-
wendig wäre, auch die Landwirtschaft so wie das produ-
zierende Gewerbe im Rahmen der Ökosteuer mit einem
reduzierten Satz zu versehen, haben alle sachkundigen
Menschen aus dem Bereich Landwirtschaft mir gesagt:
Im Wesentlichen werden davon selbstverständlich die
Gartenbaubetriebe, die eben schon genannten Unterglas-
betriebe, profitieren, weil sie naturgemäß sehr hohe Ener-
giekosten haben. Es wird möglicherweise noch bei den
Schweinezüchtern der Fall sein, weil die eben auch rela-
tiv hohe Stromkosten haben.
Im Übrigen ist es von der Produktion abhängig, wie
viel Strom, Gas oder Heizöl denn überhaupt verbraucht
wird. Sie können nicht einfach sagen: Das eine sind die
kleinen und das andere sind die großen Betriebe.
Es kommt auf die Art der Produktion innerhalb der Land-
wirtschaft an.
Jetzt kämen wir ei-
gentlich zur Frage 21 der Kollegin Wöhrl. Sie telefoniert
gerade mit dem Handy, was ich schon mal nicht gut finde.
Ich habe auch irgendwo ein Handypiepen gehört. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir waren uns einig, dass wir
das Handy hier nicht benutzen wollen.
Nun rufe ich die Frage 21 der Kollegin Wöhrl auf:
Hält es die Bundesregierung für vereinbar mit dem Gleich-
heitsgrundsatz des Grundgesetzes, dass ein Handelsunternehmen
– zum Beispiel ein Baumarkt – die Ökosteuer zu 100 Prozent zah-
len muss, obwohl es zum Teil dieselben Produkte herstellt wie ein
Industriebetrieb, der nur 20 Prozent der Ökosteuer zahlen muss?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Die Bundesregierung hält
es mit dem Gleichheitsgrundsatz für vereinbar, dass Un-
ternehmen des produzierenden Gewerbes im Gegensatz
zu Handelsunternehmen einem ermäßigten Ökosteuersatz
unterliegen. Bei Unternehmen, die körperliche Waren
herstellen, besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass
die Erhöhung der Energiesteuern zu höheren Produkti-
onskosten und damit zu einer Verschlechterung der inter-
nationalen Wettbewerbssituation führt.
Einem vergleichbaren, durch Energiesteuern verur-
sachten Wettbewerbsdruck unterliegen Handelsunterneh-
men in der Regel nicht. Die Unterscheidung zwischen
Unternehmen, die Güter produzieren, und anderen Unter-
nehmen ist nur auf der Grundlage einer generalisierenden
und typisierenden Betrachtungsweise durchführbar. Der
Gesetzgeber durfte daher für die Anwendung der Steuer-
begünstigung auf den Schwerpunkt der wirtschaftlichen
Tätigkeit des Unternehmens abstellen und solche Berei-
che unberücksichtigt lassen, die nur eine untergeordnete
Bedeutung haben.
Die Zulässigkeit von generalisierenden, typisierenden
und pauschalierenden Regelungen hat das Bundesverfas-
sungsgericht in mehreren Entscheidungen anerkannt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 200013564
Erste Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin,
dass die Ökosteuer weder öko noch logisch ist, ist nicht
nur meine Auffassung. Ich glaube, da bin ich nicht die
Einzige. Teilen Sie die Auffassung, dass das vorgescho-
bene ökologische Motiv, nämlich die Menschen durch die
Energieverteuerung zum sparsamen Umgang mit Energie
zu erziehen, durch die Ermäßigungsregelung ad absur-
dum geführt wird?
D
Frau Kollegin Wöhrl, ich
teile diese Auffassung nicht.
Zweite Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin,
die erste Korrektur, die Sie an Ihrem ursprünglichen Öko-
steuerkonzept vorgenommen haben, war die Ermäßi-
gungsregelung. Die zweite Korrektur soll jetzt in Form ei-
ner komplizierten, nach Entfernung und Verkehrsmitteln
differenzierten Entfernungspauschale kommen. Das alles
sind Maßnahmen von Ihrer Seite aus, um nur die Öko-
steuer nicht zurücknehmen zu müssen.
Es stellt sich die Frage, ob Ihr steuerpolitisches Motto
ist, je komplizierter, desto besser, oder meinen Sie nicht
auch, dass unser gemeinsames Ziel ein einfacheres Steu-
errecht ist?
D
Frau Kollegin Wöhrl, das,
was Sie als erste Korrektur bezeichnet haben, ist von An-
fang an integraler Bestandteil des Ökosteuergesetzes ge-
wesen.
Wir haben von Anfang an das produzierende Gewerbe
von den größten Teilen der Belastung ausnehmen wollen,
weil es in besonderer Weise dem internationalen Wettbe-
werb unterliegt. Das ist keine irgendwie geartete Korrek-
tur.
Ich darf auch zurückweisen, dass das, was wir im Zu-
sammenhang mit der Entfernungspauschale und dem ein-
maligen Heizölkostenzuschuss nunmehr zugunsten der
Bürgerinnen und Bürger tun, im Kern etwas mit der Öko-
steuer zu tun hätte. Im Kern hat es mit den explodierten
Preisen zu tun. Ich habe das eben diesem Hohen Hause am
Beispiel der Heizölbesteuerung schon einmal klarge-
macht.
Es geht in dem Zusammenhang nicht um die Öko-
steuer, sondern es geht darum, die Menschen, die sich
nicht haben vorbereiten können auf die so explodierten
Preise, wenigstens für ein Jahr in gewisser Weise von
diesen hohen Preisen zu entlasten. Natürlich nicht voll-
ständig; das wäre auch unter marktwirtschaftlichen Ge-
sichtspunkten und unter den Gesichtspunkten der haus-
haltswirtschaftlichen Notwendigkeiten und der haushalts-
wirtschaftlichen Vernunft nicht möglich. Insofern glaube
ich nicht, dass Sie etwa der Steuerpolitik der Bundes-
regierung vorwerfen könnten, sie sei nicht stringent.
Nun kommt die
Frage 22 der Kollegin Dagmar Wöhrl:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass es bei Dienstleis-tungen, wie zum Beispiel Verkehr, Handel, Beherbergungsge-werbe, keinen internationalen Wettbewerb gibt, vor dem Hinter-grund, dass die Bundesregierung die Ermäßigungsregelung fürdas produzierende Gewerbe damit begründet, dass diese Unter-nehmen im internationalen Wettbewerb stehen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Die Bundesregierung be-
streitet nicht, dass es in einzelnen Bereichen der genann-
ten Wirtschaftszweige einen internationalen Wettbewerb
geben kann. Die Energiesteuern auf Heizstoffe und Strom
dürften die Wettbewerbssituation dieser Sektoren in aller
Regel jedoch nicht wesentlich beeinflussen.
Erste Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin,
ich bin froh, dass Sie anerkennen, dass es hier zu Wettbe-
werbsverzerrungen kommt. Es liegt auch auf der Hand
und es ist Tatsache, dass Gütertransporte immer mehr von
ausländischen Firmen anstelle von deutschen Unterneh-
men durchgeführt werden. Sie aber glauben, dass hohe
Kraftstoffpreise und die hohe Steuerlast dazu führen wer-
den, dass zukünftig immer mehr Transporte von der
Straße auf die Schiene verlagert werden. Frage: Glauben
Sie wirklich daran? Haben Sie einen konkreten Nachweis
dafür, dass die Nachfrage nach Gütertransporten auf der
Schiene aufgrund dieser Tatsache in den letzten Monaten
zugenommen hat?
D
Frau Kollegin Wöhrl, ich
bin über die aktuelle Güterverkehrsstatistik nicht infor-
miert. Ich werde aber dafür Sorge tragen, dass Ihnen das
Bundesverkehrsministerium diese Frage nachträglich be-
antwortet.
Zweite Zusatzfrage,
Frau Kollegin.
Die Dienstleistungs-
wirtschaft ist sehr stark durch die Ökosteuer belastet,
aber auch die privaten Haushalte müssen die Ökosteuer
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13565
größtenteils in vollem Umfang zahlen. Die Ökosteuer ist
als Verbrauchsteuer unabhängig vom Einkommen, wie
Sie wissen, und Familien mit Kindern verbrauchen mehr
Energie als Familien ohne Kinder. Würden Sie mir vor
diesem Hintergrund zugestehen, dass die Ökosteuer ex-
trem unsozial ist?
D
Frau Kollegin Wöhrl, alle
Verbrauchsteuern haben wie der Name schon sagt, die
Tendenz, beim Verbrauch anzusetzen. Das ist zum Bei-
spiel bei der Mehrwertsteuer nicht anders; das wissen Sie.
Da waren Sie zu Ihrer Regierungszeit immer recht schnell
bei der Hand, für Erhöhungen zu sorgen. Weil die Mehr-
wertsteuer auf alle Produkte erhoben wird, hat das natür-
lich das Leben insbesondere für Familien deutlich mehr
beeinflusst, also teurer gemacht, als es durch die zusätzli-
che Belastung aufgrund der Ökoölsteuer geschieht.
Es ist natürlich auch nicht so, dass mit der Zahl der
Kinder der Energieverbrauch exponentiell steigt. Bei ei-
ner Familie mit, sagen wir, einem, zwei oder drei Kindern
werden Sie davon ausgehen können, dass sie in der Regel
alle mit einem Elternteil oder mit beiden Elternteilen in ei-
nem Auto unterwegs sind. Sie sind nicht in zwei Autos un-
terwegs.
Was die Heizenergie angeht, ist es zweifellos anders.
Bei einer größeren Wohnfläche muss man natürlich mehr
heizen. Aber ich hatte Sie darauf hingewiesen, dass wir
die Ökosteuer auf leichtes Heizöl im Jahr 1999 nur ein
einziges Mal mit 4 Pfennig erhoben haben. Seither hat es
in dem Bereich keine Erhöhungsstufen gegeben.
Die Fragen 23 bis 27
werden schriftlich beantwortet.
Deswegen kommt jetzt die Frage 28 des Kollegen
Janovsky:
Hält die Bundesregierung es im Rahmen der EU-Osterweite-
rung für sinnvoll, die Grenzübergänge nach Polen generell zu ver-
bessern, und trifft es in diesem Zusammenhang zu, dass zum Bei-
spiel am Autobahngrenzübergang Ludwigsdorf für ein- und
ausreisende Fahrzeuge eine weitere Abfertigungsspur geschaffen
werden soll?
D
Herr Kollege Janovsky, die
Bundesregierung sieht sich einerseits in der Pflicht, den
Warenverkehr über die deutschen Ostgrenzen zugunsten
der nationalen Wirtschaft möglichst reibungslos zu ge-
stalten, andererseits aber an diesen Grenzen angesichts
des herannahenden Beitritts unserer östlichen Nachbar-
länder zur EU nur noch die zwingend erforderlichen
Haushaltsmittel einzusetzen. Die Bundesregierung beab-
sichtigt daher, an der Grenze zu Polen nur noch solche
Grenzübergänge für den Warenverkehr zu errichten, die
bereits völkerrechtlich vereinbart sind.
Zur Bewältigung des weiterhin ansteigenden Güter-
verkehrs sind allerdings die Erweiterung und Modernisie-
rung bestehender Grenzübergänge erforderlich, was unter
Einsatz relativ begrenzter Mittel erfolgen kann. Eine sol-
che durch den Verkehrszuwachs erforderlich gewordene
Erweiterungsmaßnahme ist die Errichtung je einer weite-
ren Einlassspur im Eingangsbereich des Autobahngrenz-
zollamtes Ludwigsdorf in beide Fahrtrichtungen. Deren
Errichtung ist im kommenden Jahr vorgesehen.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
ist die Fertigstellung dieser Maßnahme auch im nächsten
Jahr vorgesehen?
D
Ich habe von Errichtung
gesprochen. Normalerweise bedeutet Errichtung auch
Fertigstellung. Gleichwohl will ich mich nicht für den
Baufortschritt verbürgen.
Herr Janovsky, Sie
möchten keine Zusatzfrage mehr stellen?
Dann kommt die ebenfalls von Ihnen gestellte
Frage 29:
Welche Fahrzeug- und Güterarten stehen bei der Verbesserungder Grenzübergänge ggf. im Vordergrund, und für welche Fahr-zeug- und Güterarten soll dies zum Beispiel am GrenzübergangLudwigsdorf gelten?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege Janovsky, die
Notwendigkeit von Verbesserungen an den Grenzüber-
gängen besteht insbesondere im Warenverkehr. Auch die
Errichtung einer weiteren Zulaufspur auf jeder Eingangs-
seite am Grenzübergang Ludwigsdorf Autobahn/Jedrzy-
chowice dient einer verbesserten Abfertigung des Waren-
verkehrs. Die neuen Spuren sind für alle Güter- und
Fahrzeugarten, auch für überbreite Schwerlasttransporte,
vorgesehen und dienen dazu, stauende LKW schnellst-
möglich von der Autobahn auf den Vorstauraum leiten zu
können.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? – Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 30 der Kollegin Eva Bulling-
Schröter auf:
Welche Anweisung hat die Bundesregierung dem deutschenVertreter in der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Ent-wicklung zur gestrigen und heutigen Sitzung der EBWEmit auf den Weg gegeben, damit der Beschluss des DeutschenBundestages vom 17. Juni 1999, mit dem die Beschlussempfeh-lung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-cherheit auf Bundestagsdrucksache 14/1143 angenommen wurde,keine Unterstützung zum Bau der Atomkraftwerke in der Ukrainezu leisten, erfüllt wird?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
DagmarWöhrl
13566
Es klappt also doch noch, Frau Kollegin. Es geht
schneller, als wir gedacht haben. Die Frau Staatssekretä-
rin antwortet. Bitte sehr.
D
Frau Kollegin Bulling-
Schröter, das Direktorium der EBWE wird auf Vorschlag
des Managements der Bank am 7. Dezember 2000 einen
Beschluss zur Finanzierung der beiden ukrainischen
Kernkraftwerke K 2 und R 4 fassen. Die Bundesregierung
hat den deutschen Vertreter im Direktorium angewiesen,
dem Vorschlag des Managements nicht zuzustimmen.
Zusatzfrage, Frau
Kollegin, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
hat die Bundesregierung das Gutachten der US-amerika-
nischen Consulting-Firma Stone & Webster, das für die
Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung die
Grundlage für die Entscheidung über die Kreditvergabe
für K 2 und R 4 darstellt, auf sachliche Richtigkeit ge-
prüft?
D
Frau Kollegin Bulling-
Schröter, das kann ich aus eigener Kenntnis nicht beant-
worten. Ich gehe davon aus, dass es so ist. Aber es ist je-
denfalls nicht bis zu meiner Ebene gekommen. Ich wäre
auch für eine solche sachliche Prüfung nicht zuständig.
Ich nehme an, dass das Gutachten, wenn es dem Bundes-
finanzministerium, dem Bundesumweltministerium oder
beiden vorliegt, auch auf sachliche Richtigkeit geprüft
worden ist. Aber ich kann es nicht mit Bestimmtheit sa-
gen.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Das ist natürlich sehr
schade. Ich wollte Sie jetzt fragen, wie die Bundesregie-
rung die Tatsache beurteilt, dass innerhalb des Wirt-
schaftlichkeitsgutachtens die Auswirkungen des Kursver-
falls der ukrainischen Währung für K 2 und R 4 für einen
längeren Zeitraum berücksichtigt wurden als für die nicht
nuklearen Alternativen zu K 2 und R 4, und wie Sie dazu
stehen. Aber gut, Sie kennen das Gutachten nicht.
D
Frau Kollegin Bulling-
Schröter, anhand Ihrer Fragestellung war nicht erkennbar,
dass Sie so in die Einzelheiten eines Gutachtens eindrin-
gen wollten. Es wäre vielleicht tunlich gewesen, wenn Sie
in Ihrer Fragestellung einen kleinen Hinweis darauf gege-
ben hätten.
Vielleicht schreibt sie
noch einen Brief an das Ministerium; dann bekommt sie
eine genaue Antwort.
D
Das machen wir natürlich.
Die nächste Zusatz-
frage stellt der Kollege Hirche.
Frau Staatssekretärin, wenn
morgen – das ist ja der 7. Dezember – die Gremien anders
entscheiden, als die Bundesregierung möchte, wird die
Bundesregierung dann den Beschluss dieses internationa-
len Gremiums akzeptieren?
D
Herr Kollege Hirche, die
Bundesregierung hat gar keine andere Möglichkeit, als
den Beschluss eines solchen internationalen Gremiums zu
akzeptieren. Es gibt nämlich in diesem Gremium kein Ve-
torecht. Vielmehr verfügt Deutschland analog zu seinem
Kapitalanteil an der Bank lediglich über 8,52 Prozent der
Stimmen. Insofern kann kein Veto ausgeübt werden.
Nun rufe ich die
Frage 31 der Kollegin Eva-Maria Bulling-Schröter auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um weitere Fi-
nanzquellen wie etwa Hermes-Bürgschaften und Euratom-Mittel
zum Bau der ukrainischen Atomkraftwerke K 2 und R 4 zu ver-
weigern?
Das ist die letzte Frage für Sie, Frau Staatssekretärin.
Die kriegen wir auch noch hin. Jetzt haben Sie die Gele-
genheit zur Antwort.
D
Frau Kollegin Bulling-
Schröter, Hermes-Bürgschaften werden für die Ukraine
nicht zur Verfügung gestellt. Die Vergabe von Euratom-
Mitteln liegt in der Kompetenz der EU-Kommission. Die
Darlehen werden auf dem Kapitalmarkt aufgenommen.
Es handelt sich somit nicht um Gelder aus dem EU-Haus-
halt oder den Haushalten der Mitgliedstaaten.
Eine Zusatzfrage? –
Keine Zusatzfragen mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, wie
schwierig es ist, eine solche Fragestunde durchzustehen.
Ich glaube, wir sollten der Staatssekretärin für die Beant-
wortung der Fragen herzlich danken.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
13567
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen
werden alle schriftlich beantwortet.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Auch da wer-
den alle Fragen schriftlich beantwortet.
Nun komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Verteidigung.
Die Fragen 46 und 47 werden schriftlich beantwortet.
Ist der Kollege Nolting da?
– Wunderbar. Dann rufe ich seine Frage 48 auf:
Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Handlungsweise der
Bundesregierung, bei Auslandseinsätzen des Kommandos Spezi-
alkräfte auf die vorherige, bzw. in begründeten Ausnah-
mefällen, auf die nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bun-
destages zu verzichten, und teilt die Bundesregierung meine
Befürchtung, dass eine derartige Handlungsweise die Parlaments-
armee Bundeswehr in eine Regierungsarmee verwandelt?
Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Brigitte
Schulte zur Verfügung. Bitte sehr.
B
Herzlichen Dank, Frau Präsi-
dentin. – Herr Kollege Nolting, jeder Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte im Ausland bedarf nach dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 der
grundsätzlich vorherigen Zustimmung des Deutschen
Bundestages. Das gilt damit auch für Einsätze des Kom-
mandos Spezialkräfte, kurz KSK.
Die Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom
19. Juni 1998 und vom 8. Juni 2000 in Verbindung mit
dem Beschluss vom 11. Juni 1999 sind nach Auffassung
der Bundesregierung die Rechtsgrundlage für den Einsatz
von KSK-Kräften in Bosnien-Herzegowina und im Ko-
sovo. In diesen Bundestagsbeschlüssen werden einzelne
Kräfte mit bestimmten Fähigkeiten – zum Beispiel Infan-
terie, Führungs-, Aufklärungs- und Sicherungskräfte –
sowie mögliche Beiträge zur Einsatzunterstützung defi-
niert, es werden jedoch nicht die einzelnen militärischen
Verbände benannt, die in Bosnien-Herzegowina oder im
Kosovo eingesetzt werden sollen. KSK-Kräfte mit den
entsprechenden Fähigkeiten wurden in der Vergangenheit
eingesetzt.
Da der Deutsche Bundestag die deutsche Beteiligung
an SFOR- und KFOR-Operationen bereits gebilligt hat,
muss nach Auffassung der Bundesregierung nicht vor
bzw. nach jedem KSK-Einsatz um seine erneute konstitu-
tive Zustimmung zu einem solchen Einsatz gebeten wer-
den, denn die KSK-Einsätze finden im Rahmen der völ-
kerrechtlich durch VN-Mandat und verfassungsrechtlich
durch die genannten Bundestagsbeschlüsse abgesicherten
internationalen Friedensmissionen SFOR und KFOR
statt. Eine besondere Unterrichtung der Ausschüsse bzw.
des Plenums des Deutschen Bundestages war aus rechtli-
cher Sicht nicht geboten, weil die Operationen von Sol-
daten der SFOR- und KFOR-Truppen im Rahmen der je-
weils gültigen Rechtsgrundlagen durchgeführt wurden
und deshalb rechtlich keine Besonderheiten darstellten.
Erste Zusatzfrage,
Herr Kollege Nolting?
Frau Staatsse-
kretärin, wenn wir von einer Parlamentsarmee sprechen,
wäre es dann nicht angebracht, wieder zu Verfahren
zurückzukehren, die die letzte Regierung praktiziert hatte,
dass zum Beispiel die Sprecher des Verteidigungsaus-
schusses und des Auswärtigen Ausschusses zeitnah infor-
miert werden, wie das beispielweise im Fall des Einsatzes
von Soldaten in Tirana geschehen ist?
B
Herr Kollege Nolting, wir ha-
ben über dieses Thema schon einmal gesprochen.
In besonders sensiblen oder wichtigen Bereichen werden
die Fraktionsvorsitzenden oder die von den Fraktionsvor-
sitzenden benannten Vertrauensleute unterrichtet. Dass
darüber hinaus der Kreis der Informationsempfänger
klein gehalten werden muss, weil sonst bestimmte Zu-
griffsmöglichkeiten nicht genutzt werden könnten, ist
selbstverständlich. Nach Durchführung der Maßnahmen
wird bekanntermaßen der Verteidigungsausschuss unter-
richtet, der ja ein geschlossener Ausschuss ist. Ich kann
deswegen keinen Verstoß erkennen.
Zweite Zusatzfrage,
Herr Kollege Nolting? – Bitte sehr.
Frau Staatsse-
kretärin, halten Sie es für richtig, dass die Mitglieder des
Verteidigungsausschusses erst nach einer Woche durch
das Ministerium informiert wurden, und zwar auf schrift-
lichem Weg und zudem in einer nichts sagenden Art und
Weise? Halten Sie es weiter für richtig, das Abgeordnete,
die wenige Tage nach diesem Einsatz im Ministerium
nachfragten, keine Antwort bekommen haben?
B
Ich habe in diesem Fall mein
Verständnis vom Umgang mit dem Parlament nicht ver-
wirklicht gesehen,
habe Ihnen aber damals schon erklärt: Wir waren an dem
Tag, an dem sich die genannten Vorfälle ereigneten, mit
Kolleginnen und Kollegen aus demHaushaltsausschuss
zusammen. Der Minister hat sofort – ich war bei den Be-
richterstattergesprächen anwesend – die Kollegen im
Haushaltsausschuss von der Zugreifaktion unterrichtet.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Vizepräsidentin Anke Fuchs
13568
Wir waren dabei in der Phase der Berichterstattung über
den Haushalt, sodass der Minister und ich – ich weiß
nicht, wem wir dafür die Schuld geben sollten – wohl da-
von ausgingen, das Parlament würde entsprechend unter-
richtet. Wir haben Ihnen versprochen, hier für die Zukunft
– ich verspreche Ihnen das auch hier vor dem Parlament –
Verbesserungen vorzunehmen.
Ich rufe die Frage 49
des Kollegen Nolting auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die Wahr-
nehmung polizeilicher Aufgaben im In- und Ausland nicht Teil des
Auftrages der Bundeswehr ist, und wie begründet sie dann die
Festnahme von per Haftbefehl gesuchten Verbrechern auf dem
Balkan durch das Kommando Spezialkräfte anstelle der
Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes GSG 9?
Was haben Sie denn jetzt zu versprechen, Frau Staats-
sekretärin?
B
Frau Vizepräsidentin, ich
würde vieles versprechen wollen, aber in diesem Falle ist
es natürlich so, dass wir nur gegenüber dem Parlament
Verpflichtungen, es zu unterrichten, eingehen.
Ja, Herr Kollege Nolting, die Wahrnehmung polizeili-
cher Aufgaben durch Angehörige deutscher Streitkräfte
auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist
aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen. Das
Grundgesetz sieht eine strikte funktionale Trennung zwi-
schen Polizei- und Streitkräfteaufgaben auf dem Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland vor. Diese verfassungs-
rechtliche Vorgabe wird von der Bundesregierung selbst-
verständlich beachtet.
Polizeiliche Aufgaben können allerdings im Rahmen
von Friedensmissionen sehr wohl durch die Streitkräfte
wahrgenommen werden, wie insbesondere das Beispiel
der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zeigt.
Die Wahrnehmung solcher Aufgaben im Rahmen von
Auslandseinsätzen gestattet das Grundgesetz in der Vor-
schrift des Art. 24 Abs. 2. In diesem Falle war das selbst-
verständlich; denn das Kommando Spezialkräfte war in
SFOR und KFOR eingeordnet.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege, bitte sehr.
Frau Staatsse-
kretärin, wäre es dann nicht angebracht – auch um Rechts-
sicherheit zu schaffen –, dass solche Aufgaben in die Be-
schlussvorlage mit aufgenommen werden, sodass auch
das Parlament im Einzelnen darüber informiert ist, was
unsere Soldaten dort zu leisten haben?
B
Jetzt stapeln Sie tief, um das
freundlich auszudrücken; denn Sie sind jemand, der durch
seine lange Zugehörigkeit zum Verteidigungsausschuss
eigentlich weiß, dass sich die Spektren der Aufgaben in
der aktuellen Situation verändern können, und zwar
schnell. Sie wissen natürlich auch, dass die Bundeswehr
zeitweilig sogar ein Gefängnis betreiben musste, weil
dafür niemand anders zur Verfügung stand. In dem Mo-
ment, wo die Bundeswehr in einem Land eingesetzt wird,
in dem nicht Recht und Ordnung herrschen und in dem es
nicht immer einen erkennbaren Gegner gibt, ist die Wahr-
nehmung solcher Aufgaben durch die entsprechenden Be-
schlüsse des Bundestages oder durch die Beschlüsse der
UN abgesichert. Ich meine, dass in solchen Situationen
Rechtssicherheit gegeben ist.
Noch eine Zusatz-
frage? – Nein, das ist nicht der Fall. Ich danke Frau Staats-
sekretärin Brigitte Schulte für die Beantwortung der Fra-
gen.
Ich möchte mitteilen, dass die Fragen 36 und 37 des
Abgeordneten Klaus Lennartz nach der Geschäftsord-
nung behandelt und die Fragen 38 und 39 des Kollegen
Peter Bleser und die Frage 40 des Kollegen Albert Deß
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten schriftlich beant-
wortet werden. Auch die restlichen Fragen, also die Fra-
gen 50 bis 72, werden schriftlich beantwortet. Damit ist
die Fragestunde beendet.
– Tut mir Leid, Herr Niebel, die Fragestunde ist genau
jetzt beendet.
– Das ist skandalös. Da bin ich Ihrer Auffassung. Aber ich
kann es nicht ändern, weil die Fragestunde, wie gesagt,
beendet ist.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zur jüngsten
Privatisierung von über 100 000 Eisenbahner-
wohnungen
Ich darf Sie alle darauf aufmerksam machen, dass die
Redezeit in der Aktuellen Stunde beschränkt ist.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Winfried
Wolf für die PDS-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Man könnte
sich – oberflächlich gesehen – bei dem Thema Eisen-
bahnerwohnungen damit begnügen, aus der Erklärung des
Deutschen Mieterbundes zu zitieren, die die Schlagzeile
trägt, dies sei ein schwarzer Tag für die Mieter und Eisen-
bahner, und in der festgestellt wird, dass es hier um einen
allgemeinen Ausverkauf von preiswertem Wohnraum
geht, dass das vor dem Hintergrund der allgemeinen
Rückführung des sozialen Wohnungsbaus gesehen wer-
den muss und dass unter anderem die Kommunen am
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte
13569
Ende dafür blechen werden, weil sie mehr Sozialhilfe und
mehr Wohngeld gewähren und entsprechende Belegungs-
rechte kaufen müssen. So könnte man sagen, dass es im
Westen und Osten nicht viel Neues gibt, dass wir es mit
einem der größten Verkäufe von Wohnungen zu tun ha-
ben, deren Mieten teurer werden, und dass davon 200 000
bis 300 000 Mieterinnen und Mieter betroffen sind, die
jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Heimat ha-
ben, mit dem ganzen negativen Beigeschmack, den dieser
Begriff in Westdeutschland hat.
Es ist aber mehr. Es gibt bereits beim Deutschen Mie-
terbund eine Besonderheit: Die Präsidentin des Deut-
schen Mieterbundes, Frau Anke Fuchs, hat einerseits die
Möglichkeit, in dieser Eigenschaft zu reden, und ist ande-
rerseits Mitglied der Koalitionsparteien.
Und nun präsidiere
ich auch noch, Herr Kollege. Das habe ich mir gewünscht.
Ich habe es geahnt, Frau
Präsidentin.
Dies betrifft auch eine Reihe von SPD-Kolleginnen
und -Kollegen, unter anderem die Landesgruppe der SPD
in Bayern, die sich gegen eine solche Lösung heftig ver-
wahrt und für eine Konsenslösung plädiert hat. Der Lan-
desverband der SPD in Hessen hat Ähnliches gesagt usw.
Man kann hier schon das große Wort gebrauchen: Es geht
hierbei an die sozialdemokratische Ehre und Substanz.
Herr Wissmann gab Anfang 1998 bekannt, dass die Ei-
senbahnerwohnungen verkauft werden würden. Dagegen
haben die SPD und die damalige GdED heftig protestiert.
Im Wahlkampf ist von der SPD deutlich gesagt worden:
Wenn wir gewählt werden, wird es nicht zum Verkauf die-
ser Wohnungen kommen.
– Ich danke für die Bestätigung von der F.D.P. – Die SPD
hat in Briefen an die Mieterinnen und Mieter der entspre-
chenden Wohnungen zugesichert, dass es zu keinem Ver-
kauf kommen werde.
Damit wurden in diesem Bereich sicherlich weit mehr als
100 000 Stimmen für die SPD gewonnen bzw. erhalten.
Nach der Wahl sieht es anders aus. Man muss nun fest-
stellen, dass alle drei Verkehrsminister, die wir bisher von
der neuen Koalition erleben durften,
sich darin einig waren, dass die Wohnungen verkauft wer-
den sollen,
dass also in diesem Bereich die CDU/CSU- und F.D.P.-
Politik fortgesetzt werden soll – trotz eines Alternativmo-
dells, in dem aufgezeigt wurde, wie es ohne Privatisierung
gehen könnte, trotz der fortwährenden Forderungen der
Gewerkschaft Transnet und sogar angesichts der Tatsa-
che, dass die WCM und Herr Ehlerding, wenn auch in
kleinerem Maßstab, als Teilkäufer – Herr Ehlerding wird
sich sagen, dass es sich lohnt, Schmiergeld zu zahlen, so-
gar noch nach einem Regierungswechsel – und die Firma
Nomura als Hauptkäuferin auftreten, obwohl SPD-Minis-
terpräsidenten seinerzeit gesagt haben, dass ein japani-
scher Käufer wegen der Krise im japanischen Versiche-
rungsgewerbe nicht akzeptabel sei.
Wenn uns gleich die Fortschritte beim Mieterschutz
vorgeführt werden, dann kann ich schon jetzt nur sagen:
Insgesamt ist ganz eindeutig, dass der Verkauf für die
Mieterinnen und Mieter einen Negativposten darstellen
wird. Ich mache das an zwei Beispielen fest. Zum einen
wird es ohne Zweifel zu einer Erhöhung der Mieten kom-
men. Die „Süddeutsche Zeitung“ rechnet vor, dass es im
Extremfall eine Erhöhung von bis zu 50 Prozent in zehn
Jahren sein wird. Zum anderen – das ist ganz wichtig –
gelten alle Vereinbarungen nur für die aktiven oder inak-
tiven Eisenbahner in diesen Wohnungen, nicht aber für je-
nes Drittel der Mieterinnen und Mieter, die nicht früher
Eisenbahner waren oder jetzt Eisenbahner sind.
Überhaupt muss man sich klarmachen, dass das Ganze
keine Wohltätigkeitsveranstaltung ist, sondern dass priva-
tisiert wird, um Kasse zu machen. Wenn ein Global Player
wie Nomura jetzt eine Stiftung einrichtet und an Grünan-
lagen und Kindergärten denkt, dann gilt das Wort: ein
Schelm, der Böses dabei denkt.
Letzter Punkt: Ich habe von Wortbruch geredet. Das
schien sich nur auf die SPD zu beziehen. Es gilt aber für
das gesamte Haus, soweit die Fraktionen für eine Privati-
sierung in irgendeiner Form eintreten. Als Beleg dafür
blende ich zum 2. Dezember 1993 zurück. Damals wurde
im Bundestag in Bonn nach der Abstimmung zum Eisen-
bahnneuordnungsgesetz eine Entschließung einstimmig
bei zwei Enthaltungen angenommen, in der unter ande-
rem festgestellt wird:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge
zu tragen, dass die für die Wohnungsversorgung der
Mitarbeiter der Eisenbahnen des Bundes, des Bun-
deseisenbahnvermögens, des Eisenbahn-Bundesam-
tes sowie der bisher wohnberechtigten inaktiven
Eisenbahner und Eisenbahnerinnen benötigten Woh-
nungen nicht an Dritte veräußert werden.
Dieser Wortbruch betrifft also alle Parteien, sofern sie in
irgendeiner Form einer Privatisierung zustimmen. Man
muss sich nicht über Politikverdrossenheit wundern,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Dr. Winfried Wolf
13570
wenn so eindeutig gegen frühere Beschlüsse des Bundes-
tages verstoßen wird.
Danke schön.
Jetzt hat der Kollege
Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich jetzt mit etwas be-
legter Stimme spreche, dann liegt das nicht an dem von
Herrn Wolf behaupteten Substanzverlust der SPD, son-
dern ist schlicht jahreszeitlich bedingt.
Drei Fragen standen bei der Privatisierung der Eisen-
bahnerwohnungen von Anfang an im Mittelpunkt:
Erstens. Bleibt der Charakter der Eisenbahner-Woh-
nungsgesellschaften als betrieblicher Sozialeinrichtungen
erhalten oder – anders ausgedrückt – besteht die bisherige
Wohnungsfürsorge fort?
Die zweite Frage: Sind die Rechte der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der 18 Eisenbahner-Wohnungsgesell-
schaften weiterhin gewährleistet?
Drittens – sicherlich eine besonders wichtige Frage –:
Ist der Schutz der Mieterinnen und Mieter gewährleistet?
Nach dem damaligen Stand – 1998, sozusagen Stand
Wissmann – mussten wir große Sorgen haben, dass alle
drei Fragen nicht positiv beantwortet werden könnten.
Das war damals auch die Sorge der SPD-Bundes-
tagsfraktion. Deshalb gab es zu Recht beträchtliche Vor-
behalte gegenüber dem, was bis dahin über den möglichen
Vertragsabschluss bekannt war. Ich glaube, es ist nicht zu-
letzt ein Verdienst der Gewerkschaften, die maßgeblich
mitgeholfen haben, dass in dem endgültigen Vertrags-
werk, das heute vorliegt, vieles Positive durchgesetzt wer-
den konnte und dass die Vorbehalte, die damals auch in
der SPD bestanden haben – das will ich hier gern zuge-
stehen –, ausgeräumt worden sind.
Ich möchte zunächst auf den Charakter der Eisen-
bahnerwohnungen als betrieblicher Sozialeinrichtung
eingehen; das war ja der Kernpunkt, den der Hauptperso-
nalrat gerichtlich geklärt wissen wollte. Das war der
Kernpunkt der Sorge des Hauptpersonalrats. Diese Sorge
ist ausgeräumt. Es gibt einen klaren, eindeutigen Be-
standsschutz für die Wohnungsfürsorge, eine Bestandsga-
rantie sämtlicher 18 Eisenbahner-Wohnungsgesellschaf-
ten durch Verbot der Verschmelzung mit anderen
Gesellschaften und – ganz besonders wichtig für die Ge-
werkschaften und auch für uns – die zeitlich unbefristete
Einrichtung paritätisch besetzter Aufsichtsräte mit einem
Doppelstimmrecht für einen Vertreter des Bundeseisen-
bahnvermögens. – Ich nenne hier nur die wichtigsten
Punkte. Ein dritter wichtiger Punkt ist das Weisungsrecht
des Bundeseisenbahnvermögens gegenüber den Eisen-
bahner-Wohnungsgesellschaften.
Ich glaube, damit ist die erste Frage, die erste Sorge,
der erste Vorbehalt geklärt.
Zweiter Punkt: Sind die Rechte der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter gewährleistet? Auch darauf gibt es eine
klare Antwort: ja. Wir haben den notwendigen, ja sogar ei-
nen sehr guten Mitarbeiterschutz: unbefristete Beschäfti-
gungsgarantie, unbefristete Fortführung der betrieblichen
Altersversorgung, Aufrechterhaltung aller Betriebsver-
einbarungen.
Auch dies sind nur die wichtigsten Punkte. Ich denke,
dass hier im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter alles das, was nötig und wichtig ist, durchgesetzt wer-
den konnte.
Zuletzt zum Mieterschutz: Wir sollten uns in der Dis-
kussion in diesen Wochen – mögen wir auch unterschied-
licher Auffassung sein – davor hüten, die Mieterinnen und
Mieter unnötig zu verunsichern. Mit dem Vertragswerk,
das heute vorliegt, ist der Mieterschutz wirklich gewähr-
leistet: Begrenzung der Mieterhöhungsspielräume auf
3 Prozent zuzüglich Inflationsrate. Ich denke, dass die
rein theoretische Berechnung einer Erhöhung von 50 Pro-
zent in zehn Jahren absurdes Theater ist. Ich muss das hier
so deutlich sagen. Dann könnte man genauso gut sagen,
dass nach dem Miethöhegesetz in neun Jahren eine 90-
prozentige Mieterhöhung möglich ist. Hier sollte man
nicht Bilder von Entwicklungen an die Wand malen, die
fern von jeglicher Realität sind. Damit macht man den
Menschen nur Angst. Das ist hier wirklich völlig unbe-
rechtigt.
Einzelvertraglicher Ausschluss von Luxusmodernisie-
rung, Vorzug der Mieterprivatisierung, Vorzugsbedingun-
gen für Mieterprivatisierung 10 Prozent unter dem
Marktpreis: Ich glaube, dass hier über den normalen Mie-
terschutz hinaus – darüber werden wir demnächst ja noch
einmal ausdrücklich bei der Mietrechtsreform diskutie-
ren – weit reichende Mieterschutzrechte gewährleistet
sind. Deshalb ist es mit dieser Verunsicherungskampagne
nicht weit her.
Zum Schluss eine Anmerkung zur grundsätzlichen
wohnungspolitischen Bedeutung der Privatisierung. Nach
meiner Auffassung muss man hier einen deutlichen Un-
terschied zwischen dem Besitz des Bundes an Geschäfts-
anteilen und etwa kommunalen Wohnungsunternehmen
machen.
Kommunale Wohnungsunternehmen sind ein ganz wich-
tiges Instrument der sozialen Wohnungspolitik vor Ort;
die Beteiligung des Bundes durch den Besitz von Antei-
len an Wohnungsunternehmen hat bei weitem nicht diese
Qualität. Deswegen können wir auch aus wohnungspoli-
tischen Gründen zu dieser Veräußerung von Geschäftsan-
teilen des Bundes guten Gewissens grundsätzlich Ja
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Dr. Winfried Wolf
13571
sagen, erst recht Ja sagen unter den Bedingungen, die jetzt
ausgehandelt worden sind.
Herzlichen Dank.
Jetzt hat die Kollegin
Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Renate Blank (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Bundestagsvizeprä-
sidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es tut mir
Leid, sagen zu müssen: Der Verkauf der Eisenbahner-
wohnungen läuft unter dem Motto „Wahlbetrug der
SPD“.
Es handelt sich um eine eiskalte Wählertäuschung der
SPD; denn noch im Wahlkampf 1998 haben Sie vollmun-
dig getönt, dass im Fall einer Regierungsübernahme die
Eisenbahnerwohnungen nicht verkauft werden. Kurz
nach der Wahl war das Versprechen hinfällig und eine to-
tale Kehrtwendung wurde vollzogen. Die Ängste und
Nöte der Mieter, deren Sie sich im Wahlkampf so innig
angenommen haben, spielen für Sie jetzt keine Rolle
mehr. Sie haben die Mieter der Eisenbahnerwohnungen
bewusst belogen.
Auch ist das Bedauern der SPD-Kollegen, insbeson-
dere derjenigen vor Ort, die einen großen Bestand an
Wohnungen haben und nun erklären, dass der Verkauf
eine große, ja sogar eine schreckliche Enttäuschung für
sie sei, pure Heuchelei. Das Vergießen von Krokodilsträ-
nen
soll darüber hinwegtäuschen, dass zu keiner Zeit beab-
sichtigt war, den Verkauf rückgängig zu machen; denn es
war Ihnen schon in Wahlkampfzeiten bestens bekannt,
dass es vertragliche Bindungen und Vereinbarungen gibt.
Herr Kollege Spanier, Sie hätten Ihre Vorbehalte früher
äußern müssen, anstatt im Wahlkampf zu tönen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie hat-
ten stets die Absicht, die Wohnungen zu verkaufen. Wie
sonst hätten SPD-Haushälter kurz nach der Wahl im Jahr
1998 auf die Frage eines CSU-Kollegen, ob der Verkauf
der Wohnungen denn nun gestoppt werde, ganz unmiss-
verständlich antworten können: „Was soll die Frage? Die
Wohnungen werden selbstverständlich verkauft!“?
Sie brauchen die 4,6Milliarden DM natürlich dringend
zur Abführung an das Eisenbahnvermögen. Die von Ihnen
nun ausgehandelten Mehreinnahmen von rund 500 Milli-
onen DM, die in den Verkehrshaushalt fließen sollen, ge-
hen eindeutig zulasten der Mieter bzw. der Käufer der Ei-
senbahnerwohnungen.
Zudem verschweigen Sie, dass wir in diesen drei Jahren
durchaus zusätzliche Einkommen – Zinseinnahmen, Er-
sparung von Zinszahlungen – gehabt hätten, deren
Summe über 500 Millionen DM liegt.
Heute Morgen hat der Verkehrsminister im Ausschuss
auf meine Fragen nach Marktpreisen, einer Einfluss-
nahme des Hauptpersonalrats oder seitens des Bundesei-
senbahnvermögens keine Antwort gegeben. Ich hoffe,
dass dies nicht der Stil des neuen Verkehrsministers ist.
Ich hoffe, dass er lernfähig ist und die Fragen der Abge-
ordneten in Zukunft etwas ernster nimmt und sie beant-
wortet.
Wir haben im Jahr 1997 mit der Deutschen Bahn AG,
den Eisenbahnergewerkschaften und dem Hauptpersonal-
rat beim Bundeseisenbahnvermögen und beim Gesamtbe-
triebsrat der Deutschen Bahn AG in einer Wohnungsfür-
sorgevereinbarung vorbildliche Mieter- und Mitarbeiter-
schutzbestimmungen durchgesetzt, die weit über die
Zusagen gegenüber den Personalvertretern hinausgingen.
Sie brüsten sich heute, Sie hätten hervorragende soziale
Bedingungen durchgesetzt. Wo sind denn Ihre ange-
blichen Verbesserungen? Sie bestehen doch nur für die
Mitarbeiter der Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften.
Die Mieter und die künftigen Käufer werden die Zeche
bezahlen müssen. Sie werden mir doch wohl nicht weis-
machen wollen, dass Sie bei einem höheren Verkaufserlös
bessere Bedingungen für Mieter und Käufer hätten er-
reichen können. Das Gegenteil ist der Fall.
Zur Erläuterung erwähne ich nur einen Punkt. Was pas-
siert zum Beispiel nach zehn Jahren, wenn die restlichen
80 Prozent der Eisenbahnerwohnungen verkauft werden?
Darauf ist der Minister auch heute Morgen die Antwort
schuldig geblieben.
Über 50 Prozent der Wohnungen werden nun an die ja-
panische Gruppe verkauft. Bei unseren damaligen Vor-
schlägen waren soziale Gesichtspunkte ein wesentliches
Kriterium für die Auswahl der Erwerber.
Ich gehe davon aus, dass die Nomura-Gruppe wirt-
schaftliche Erwartungen hat, die sich durch Miet-
steigerungen, Einsparungen bei Instandhaltungen
und Instandsetzungen und durch höhere Verkaufs-
preise der Wohnungen niederschlagen könnten.
Frau Bundestagsvizepräsidentin, das sind Ihre Worte als
Vorsitzende des Mieterbundes.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Wolfgang Spanier
13572
Das haben Sie gut zi-
tiert, Frau Kollegin.
Die schier unendliche
Geschichte des Verkaufs der Eisenbahnerwohnungen ist
jetzt zu Ende und ein weiterer Wahlbetrug der SPD steht
fest.
Der Bundeskanzler sollte sich, nachdem er dies bei den
Rentnern getan hat, auch bei den Mietern der Eisen-
bahnerwohnungen entschuldigen.
Das Wort hat jetzt
der Kollege Matthias Berninger für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Entschei-
dend ist doch folgender Punkt: Die Eisenbahnerwohnun-
gen werden für 5,1 Milliarden DM netto verkauft. Das ist
eine halbe Milliarde DM mehr, als die alte Regierung aus-
gehandelt hat. Die Gründe, warum es eine halbe Milli-
arde DM mehr ist, werden wir sicher heute noch erörtern.
Dieses Geld kommt komplett der Bundesbahn zugute.
Es unterstützt die Bundesbahn bei ihrem Sanierungskurs.
Ich sage es hier ganz deutlich: Ich verstehe die Proteste
der Gewerkschaften schon aus dem Grund nicht, weil das
Geld komplett für die Frühverrentung und für die Absen-
kung des Defizits beim Bundeseisenbahnvermögen ein-
gesetzt wird.
Dies führt am Ende dazu, dass die Bahn mehr investieren
kann, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn
sichere Arbeitsplätze haben.
Ich freue mich auch deshalb über diesen Abschluss, weil
dieses Geld für die Bahnreform sehr dringend nötig ist.
Ein zweiter wichtiger Punkt: Wenn Sie sich die lange
Liste der Rechte der Mieterinnen und Mieter und der
Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hier aus-
gehandelt worden sind, ansehen, werden Sie zu dem
Schluss kommen, dass es sich eindeutig um eine Besser-
stellung aller Bewohner der Eisenbahnerwohnungen im
Vergleich zum normalen Mieter handelt.
Es ist insbesondere eine Besserstellung der Eisenbahne-
rinnen und Eisenbahner in den Wohnungen, und zwar un-
abhängig davon, in welcher Region jemand eine Woh-
nung gekauft hat.
– Nun wird hier dazwischengerufen, es handele sich um
eine Verschlechterung des bisherigen Zustandes. Auch
das ist nicht richtig. Würden diese Wohnungen im Besitz
des Bundes bleiben, wäre er gezwungen – schon, um die
Substanz dieser Wohnungen zu erhalten –, Mieterhöhun-
gen vorzunehmen, so wie er das bei anderen Wohnungen
im Bundesvermögen, zum Beispiel im GAGFAH-Be-
reich, tut. Vor diesem Hintergrund ist die getroffene Rege-
lung, ist dieser Verkauf für die Mieter keineswegs
schlechter. Sie betreiben hier Augenwischerei; das muss
man zurückweisen.
Nun komme ich zu den sozialen Gesichtspunkten, die
meine Vorrednerin angesprochen hat. Ich betrachte es als
ziemlich sozial von der alten Bundesregierung, dass sie
zum Beispiel der baden-württembergischen Landesent-
wicklungsgesellschaft die Wohnungen zu einem
Schnäppchenpreis verkauft hat. – Allein in Karlsruhe
wurden jetzt 5 Prozent der Wohnungen für 60 Milli-
onen DM mehr verkauft, als Sie erzielen wollten. – Das
war sehr sozial, aber nicht für die Menschen, für die Mie-
ter, sondern für diese baden-württembergischen Woh-
nungsgesellschaften. Darüber sollten Sie sich Gedanken
machen.
Ich denke, es war Zufall, dass der damalige Verkehrs-
minister und sein Staatssekretär aus Baden-Württemberg
kamen. Aber mit Sozialpolitik hatte das mit Sicherheit
nichts zu tun. Das war ein Schnäppchen, das war eine Be-
günstigung.
Es war sicher auch sehr sozial von einem der Käufer,
nämlich von Herrn Ehlerding, dem Mehrheitsaktionär
von WCM, dass er die Union ausgerechnet im Wahljahr
mit Spenden in Millionenhöhe bedacht hat, nachdem die
Verkaufsentscheidung feststand.
– Selbstverständlich kann ich das beweisen. Das steht in
dem Rechenschaftsbericht, den die Union abgegeben hat.
Da hat sie ausnahmsweise einmal die Wahrheit gesagt. Es
war die größte Einzelspende in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland, die Sie bekommen haben.
Das mag von Herrn Ehlerding sehr sozial im Sinne der
Union gewesen sein, aber die sozialen Interessen der Mie-
terinnen und Mieter standen bei dieser Entscheidung mit
Sicherheit nicht im Vordergrund. Auch das muss man hier
festhalten.
Die Bundesregierung hat in ihren Verhandlungen mit
dem neuen Bieterkonsortium erreicht, dass ein fairer Preis
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000 13573
für die Wohnungen erzielt wurde – ich habe das geschil-
dert –, im Fall von Karlsruhe beispielsweise ist er um fast
20 Prozent höher als der, der vorher geboten wurde. Aber
auch in anderen Fällen wurden höhere Erlöse erzielt.
Diese Einnahmen brauchen wir dringend für den Bundes-
haushalt.
Wir setzen sie komplett für die Bahn ein.
Die Gewerkschaften sollten die Verantwortung für das
Unternehmen Bahn endlich ernst nehmen. Wenn sie
gleichzeitig mehr Investitionen, die Absicherung ihrer
Besitzstände und gute soziale Bedingungen für den Über-
gang der Bahn AG in ein wirtschaftlich überlebensfähiges
Unternehmen fordern, ist es nicht redlich, sich gegen den
Verkauf der Eisenbahnerwohnungen zu stellen, zumal wir
die Rechte der Mieterinnen und Mieter komplett abgesi-
chert haben.
Wir haben des Weiteren eine Beschäftigungsgarantie
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Eisen-
bahner-Wohnungsgesellschaften vereinbart. Darüber hi-
naus haben wir abgesichert, dass diese Wohnungsgesell-
schaften eben nicht sofort völlig zerschlagen und verkauft
werden können, wie hier immer gedroht wird. Es gibt ein-
deutige Regelungen zum Bestandsschutz für die Nutzer
der Wohnungen, zum Beispiel, dass in den nächsten zehn
Jahren nur 20 Prozent des Wohnungsbestandes überhaupt
verkauft werden können.
Ich vertrete nach wie vor die Auffassung, dass die In-
teressen der Mieterinnen und Mieter durch den Verkauf
nicht verschlechtert wurden, sondern dass die Mieterin-
nen und Mieter am Ende besser dastehen, als wenn der
Bund – quasi als arme Verwandtschaft – die Wohnungen
weiterhin in seinem Portfolio gehalten hätte.
Jetzt hat der Kollege
Dr. Günter Rexrodt das Wort für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! „Versprochen – gehalten“: Mit die-
sem Motto ist die SPD vor kurzem an die Öffentlichkeit
getreten. Man wollte Bilanz über das ziehen, was man
versprochen und gehalten hat. Ich stelle aber fest: Ein Jahr
lang befanden Sie sich auf einem Schlingerkurs. Dann be-
kamen Sie durch die Steuerreform Aufwind. Jetzt schlin-
gern Sie aber schon wieder.
An einzelnen Stellungnahmen erkennt man – das ist rich-
tig bemerkt worden –, dass Sie schon wieder schlingern.
Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD hat vor den
Bundestagswahlen wörtlich gesagt: „Die SPD lehnt den
geplanten Verkauf“ – ich füge hinzu: der Eisenbahner-
wohnungen – „entschieden ab.“
Es wurden Briefe geschrieben, Reden gehalten und
eine Aktionseinheit mit der Gewerkschaft Transnet ge-
schmiedet. Erst wurden die Mieter verängstigt und dann
wieder hoffnungsvoll gestimmt. Es hat Prozesse gegeben.
Aber zu guter Letzt verkaufen Sie. Dies ist ein Stück aus
dem Tollhaus.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin nicht ge-
gen die Privatisierung; ich bin sogar sehr dafür.
Was soll denn der Bund mit einem riesigen Wohnungsbe-
stand? Ich habe schon Vorbehalte – darüber kann man
aber unterschiedlicher Auffassung sein –, wenn das im
kommunalen Bereich der Fall ist. Wir haben einen Markt,
der durch ein Überangebot an Wohnungen gekennzeich-
net ist. Ich bin der Meinung, dass die Mieter in aller Re-
gel bei privaten Eigentümern besser aufgehoben sind,
weil diese mehr finanzielle Mittel haben und sich mehr
um die Wohnungen kümmern.
Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Es ist überhaupt
nicht falsch, was Sie da machen. Aber ich muss ebenso
deutlich sagen: Sie haben die Wähler hinters Licht ge-
führt.
Sie haben gesagt, Sie verkaufen nicht. Jetzt aber verkau-
fen Sie. Immer wenn es um Privatisierungen ging, haben
Sie den Privatisierungsprozess prinzipiell infrage gestellt.
So war es bei der Privatisierung der Lufthansa, der Tele-
kom und der gelben Post sowie bei der Liberalisierung der
Energiemärkte.
Heute profitieren Sie mächtig von den Privatisierungen,
weil dadurch Geld hereinkommt. Herr Berninger, der Ver-
kauf der Wohnungen bringt 5,1 Milliarden DM, die man
sehr gut gebrauchen kann. Vorher aber haben Sie den
Wählern gesagt: Wir verkaufen nicht. Was für ein starkes
Stück leisten Sie sich eigentlich? Was ist mit Ihrem Motto
„versprochen – gehalten“? Das ist der entscheidende
Punkt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine
Bemerkung machen. Schon während unserer Regierungs-
zeit gab es zwei Bieterkonsortien. Das eine Konsortium
würde von dem japanischen Versicherungsunternehmen
Nomura und das andere von WCM angeführt. Von der
SPD war zu hören, dass es mit Nomura als einem börsen-
und gewinnorientierten, verwertungsinteressierten japa-
nischen Versicherungsunternehmen für die Mieter gefähr-
lich werde. Für die SPD handelte es sich also um einen bö-
sen Japaner. Ich frage mich: Wie kann man so schnell aus
einem bösen einen guten Japaner machen?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Matthias Berninger
13574
Auf der anderen Seite gab es Herrn Ehlerding, der von
Herrn Schröder und Herrn Clement hoch gelobt wurde,
er sei anständig und vertrete die Mieterinteressen. Es hieß,
in diese Richtung müsse privatisiert werden. Auf einmal
ist davon nichts mehr zu hören. Nun steht eine Spende im
Raum. Dazu muss man sagen, dass die Spende ordnungs-
gemäß verbucht wurde
und dass sie im Nachhinein erfolgte.
Es kann doch nicht sein, dass Entscheidungen gegen
jemanden getroffen werden, nur weil er einer Partei Spen-
den zukommen lässt. Dafür kann er doch nicht bestraft
werden. Nach unserer Verfassung und nach dem Parteien-
gesetz sind Spenden hoch willkommen; die Gesellschaft
ist froh darüber. Es kann doch nicht sein, dass man auf-
grund dieser Spende an ein anderes Bieterkonsortium ver-
kauft. Was wird da eigentlich gespielt? Ich habe den Ein-
druck, als wenn jemand abgestraft werden würde. Aber
nicht nur das: Es wird auf die falschen Gruppen Rücksicht
genommen. Dadurch wurden die Wähler und die gesamte
Öffentlichkeit hinters Licht geführt. So haben Sie bei Pri-
vatisierungen immer gehandelt.
Ich habe es schon einmal gesagt: Sie kassieren das
Geld und spielen sich dann als die großen Sanierer des
Haushalts auf, die hohe Schule der Finanzpolitik. Sie ma-
chen das auf eine Art und Weise, die man Ihnen nicht
durchgehen lässt. Die Leute draußen wissen, worum es
geht. Auch bei diesem Deal ist das der Fall.
Nun hat die Kollegin
Iris Gleicke, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Die PDS hat diese Aktuelle
Stunde zum Verkauf der Eisenbahnerwohnungen bean-
tragt. Das ist ihr gutes Recht als Oppositionsfraktion; ich
finde das auch völlig in Ordnung.
Genau genommen freue ich mich über diese Aktuelle
Stunde. Ich freue mich nämlich über jede Gelegenheit, bei
der wir hier im Parlament und bei den Bürgerinnen und
Bürgern für unsere verantwortungsvolle und mieter-
freundliche Wohnungspolitik werben können.
Denn eines steht fest: Die Interessen der Mieterinnen und
Mieter sind bei dieser Bundesregierung und bei meiner
Fraktion in guten Händen.
Das gilt für alle Mieterinnen und Mieter in unserem Land
und das gilt ganz besonders für die Mieter der Eisenbahn-
wohnungen.
Wir wissen sehr wohl, dass wir hier eine ganz beson-
dere Verantwortung tragen; das haben wir immer gewusst.
Wir haben in der Fraktion hart mit uns gerungen. Wir ha-
ben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir ha-
ben diesem Verkauf schließlich im vollen Bewusstsein
dieser Verantwortung zugestimmt.
Wir haben diesem Verkauf deshalb zustimmen können,
weil Franz Müntefering als damaliger Bundesminister
wirklich einmalige Schutzrechte für die Mieter der Eisen-
bahnerwohnungen ausgehandelt hat,
und zwar nicht nur für die Mieter, sondern auch für die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei den Eisenbahner-
Wohnungsgesellschaften.
Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben mit
großer Sorgfalt mögliche Alternativen geprüft und sind zu
guter Letzt zu der Überzeugung gelangt, dass der Verkauf
in der jetzigen Form nicht nur eine vertretbare, sondern
eine wirklich gute Lösung darstellt.
Der Deutsche Mieterbund, der dem Verkauf bekannt-
lich sehr kritisch gegenübersteht, hat angekündigt, dass er
die ausgehandelten Konditionen jetzt sehr sorgfältig prü-
fen wird. Das finde ich absolut richtig und in Ordnung. Ich
bin überzeugt davon, dass auch der Mieterbund nach die-
ser Überprüfung zu dem Ergebnis kommen wird, dass hier
für die Mieter der Eisenbahnerwohnungen wirklich ein-
malige Konditionen ausgehandelt worden sind.
Übrigens, Frau Kollegin Blank: Auch der Kollege Dirk
Fischer von der Union hat im vergangenen August zuge-
geben, dass die Verkaufsverträge von Franz Müntefering
nachgebessert worden sind. Ich möchte hier noch einmal
sehr deutlich sagen: Sie sind entscheidend nachgebessert
worden.
Ein Wort auch zu der Kollegin Ostrowski. Sie haben
hier jedes Recht zu sachlicher Kritik. Wenn ich aber dann
in einer Pressemitteilung von Frau Ostrowski lesen muss,
dass SPD und Bundesregierung rechtswidrig handeln,
dann kommt mir die Galle hoch. Sie wissen ganz genau,
dass die Gewerkschaft in dieser Frage alle rechtlichen
Mittel ausgeschöpft hat. Sie wissen ganz genau, dass es
dazu eine höchstrichterliche Entscheidung gibt. Sie wis-
sen ganz genau, dass dieser Verkauf nicht rechtswidrig ist.
Solche Behauptungen müssen wir uns von Ihnen nicht
bieten lassen! So sollten wir hier nicht miteinander um-
gehen; das ist wirklich unanständig.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Dr. Günter Rexrodt
13575
Das bin ich von Ihnen übrigens auch gar nicht gewohnt.
Wenn das nur ein sprachlicher Missgriff war, dann sollten
Sie sich hier dafür entschuldigen. Aber wenn Sie daran
festhalten, dann ist das eine wirklich ungeheuerliche
Verleumdung.
Ein Wort aber auch zur CDU und ihrem Finanzgeba-
ren. Das Ehepaar Ehlerding gehört ja nun unstrittig zu den
ausgesprochenen Wohltätern der Menschheit. Das gilt je-
denfalls für den christdemokratischen Teil der Mensch-
heit. Erst gab es ein paar Millionen für die CDU in Meck-
lenburg-Vorpommern, deren Vorsitzende damals Angela
Merkel hieß, und später gab es dann noch ein paar Milli-
onen für die Bundes-CDU.
Ich weiß nicht, ob hier jemals ein Zusammenhang mit
dem Zuschlag für Ehlerdings WCM nachgewiesen wer-
den wird. Im Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung bis
zum Beweis des Gegenteils.
Aber das hat doch einen sehr merkwürdigen Beige-
schmack.
Deshalb bin ich froh darüber, dass die Ehlerdings nicht,
wie ursprünglich vorgesehen, 30 000 Wohnungen, son-
dern nur 4 000 kaufen können.
Um es offen zu sagen: Noch lieber wäre mir gewesen, sie
würden keine einzige Wohnung bekommen. Aber das war
leider nicht möglich.
Eine letzte Bemerkung zu den Gewerkschaften. Ich
weiß, dass die Gewerkschaften mit dem Verkauf nicht
einverstanden sind.
Wir haben diese Haltung zu respektieren. Unser Verhält-
nis zu den Gewerkschaften ist und bleibt von gegenseiti-
gem Respekt und freundschaftlichem Umgang geprägt.
Freunde können und dürfen sich auch streiten. Deshalb
bleiben sie trotzdem Freunde.
Schönen Dank.
Das Wort „verar-
schen“, Herr Kollege, ist nicht sehr parlamentarisch.
Nun hat der Kollege Norbert Königshofen für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Norbert Königshofen (von Abgeordne-
ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein
Hinweis an die PDS: Die CDU/CSU ist und war für den
Verkauf der Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften. Denn
die Deutsche Bahn AG ist ein modernes Verkehrsdienst-
leistungsunternehmen und kein Unternehmen in der Tra-
dition der Deutschen Reichsbahn der ehemaligen DDR.
Bei uns hat ein solches Unternehmen andere Aufgaben als
in der früheren DDR. Deswegen ist es sinnvoll, den ge-
samten Ballast abzustoßen.
Der Sinn dieser Aktuellen Stunde ist, einmal mehr das
Verhalten der SPD in solchen und anderen kritischen Fra-
gen aufzuzeigen. Frau Gleicke hat vorhin gesagt, die Mie-
ter der Eisenbahnerwohnungen und die Wähler seien bei
der SPD in guten Händen.
Ich glaube, dass man auch bei diesem Beispiel einmal
mehr sagen muss: Die Mieter und die Wähler werden von
der SPD nach Strich und Faden betrogen.
Wenn wir einen kurzen Blick zurückwerfen, dann kann
man das sehr genau nachweisen. Am 24. Juni 1998 haben
wir den Verkauf der Eisenbahner-Wohnungsgesellschaf-
ten bekannt gegeben. Die SPD war voll dagegen. Es gibt
dazu eine Reihe von Zitaten. Ich möchte einmal in Erin-
nerung rufen, was dazu am selben Tag der wohnungspo-
litische Sprecher Achim Großmann, Frau Ferner, damals
verkehrspolitische Sprecherin und später beamtete Staats-
sekretärin, Herr Kollege Wagner und Herr Kollege
Reschke gesagt haben: Sie lehnten den geplanten Verkauf
entschieden ab, weil kein Erhalt der Gesellschaften als
Sozialeinrichtung gewährleistet sei. Nach dem Salami-
prinzip würden die Wohnungen einer kapitalorientierten
Vermarktung zugeführt. Das Zweiklassenmietrecht führe
zur Verdrängung etwa jedes vierten Mieterhaushalts und
die Chance einer sowohl für den Bund als auch für die
Mieter finanziell interessanten Mieterprivatisierung wer-
de vertan. Gewinne steckten sich jetzt andere ein. – Das
war am 24. Juni 1998.
Je näher die Bundestagswahlen kamen, umso schriller
wurden die Stimmen aus der SPD. Achim Großmann, jet-
ziger Parlamentarischer Staatssekretär, sagte am 10. Sep-
tember 1998 – damals war er noch in der Opposition –:
Die von dieser Bundesregierung beabsichtigte Ver-
schleuderung bundeseigener Wohnungen werden
wir verhindern und ihr das Konzept einer sozialver-
träglichen Privatisierung dieses Wohnungsbestandes
an Mieterinnen und Mieter entgegensetzen.
So lautete es vor der Wahl.
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Iris Gleicke
13576
Nach der Wahl, meine Damen und Herren, sah Franz
Müntefering, der neue Verkehrsminister, sehr schnell die
Notwendigkeit des Verkaufes ein. Er sagte, es müsse noch
etwas nachgebessert werden. Dieser Verkauf wurde dann
auch von der SPD in einer Fraktionssitzung gebilligt.
Schauen wir uns einmal an, was der Mieterbund zu die-
sen Nachbesserungen sagt – ich zitiere hier einmal den
Direktor des Mieterbundes, Franz-Georg Rips –:
Die nachträglich ausgehandelten Schutzrechte für
die Mieter der Eisenbahnerwohnungen rechtfertigen
die Verkaufsentscheidung nicht.
Meine Damen und Herren, all das, was Sie zu den
Nachbesserungen sagen – wir würden Ihnen gerne dazu
gratulieren –, trifft nicht auf die Zustimmung der Betrof-
fenen und nicht auf die des Mieterbundes. Im Gegenteil:
Es ist einmal mehr deutlich geworden, dass Sie sich vor
einer Wahl gerne als Anwalt der Mieter, als Anwalt der
kleinen Leute aufspielen, nach der Wahl dann aber das
machen, was aus der Sicht einer Regierung notwendig er-
scheint.
Fazit: Die SPD hat jetzt vollzogen, was sie vor der
Wahl bekämpft hat. Sie waren vor der Wahl auch gegen
die Beteiligung von Nomura, die ja 1 Milliarde DM mehr
geboten hat. Wir haben uns dann auf Ihren Hinweis hin für
die deutsche Bietergruppe entschieden. Jetzt übernimmt
Nomura 60 Prozent; dafür bekommen Sie 500 Millio-
nen DM mehr. Ich bin gespannt, wie sich das auf die ein-
zelnen Wohnungen auswirkt.
Wieder einmal wird deutlich, meine Damen und Her-
ren von der SPD, dass man Ihnen nicht trauen kann, wenn
Sie vor der Wahl etwas versprechen. Das können wir zur
Ökosteuer nachweisen; ich darf an die Rente erinnern;
und ich darf auf diese Angelegenheit verweisen. Ich
glaube, dass Sie als SPD auf Dauer lernen müssen, dass es
sich auszahlt, den Menschen von Anfang an – und nicht
erst im Nachhinein – die Wahrheit zu sagen.
Falls Sie das nicht tun, wird es für Sie eines Tages ein bö-
ses Erwachen geben.
Für Bündnis 90/Die
Grünen hat jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig
das Wort.
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das
Gefühl, wir erleben ein Stück aus dem Tollhaus, Herr Kol-
lege Rexrodt.
Denn ich verstehe wirklich nicht, dass sich die, die diesen
Verkauf zwischen 1994 und 1998 mit aller Verve betrie-
ben haben, jetzt hinstellen und – wie der Kollege Grund
mit seinem peinlichen Zwischenruf – sagen: „Wohnungen
verramscht, Mieter verarscht!“ Ich verstehe Ihre Argu-
mentation überhaupt nicht und finde sie schlicht peinlich.
Wir sollten zur Sache reden.
In der Sache geht es darum, zu versuchen – und das ist
das Engagement dieser Regierung und dieser Koalition –,
in einer wirklich erstmaligen und historisch einmaligen
Form eine Privatisierung mit einem hohen Maß an Schutz
sowohl für die betroffenen Mieter und für den Erhalt der
Wohnungsfürsorge als auch für die Beschäftigten und die
mit ihnen getroffenen betrieblichen Vereinbarungen zu
verbinden.
Ich glaube, dem Zusammenführen dieser beiden Ziele
sollten wir nicht mit so peinlich-billiger Polemik begeg-
nen. Wir sollten vielmehr darauf achten, ob es gelingen
kann – ich gehe davon aus, dass es auf der Grundlage der
abgeschlossenen Verträge auch wirklich gelingt –, diese
beiden Ziele – also soziales Engagement sowie soziale
Verantwortung für Wohnungsfürsorge und für engagierte
Wohnungsbewirtschaftung – mit einem effizienten privat-
wirtschaftlichen Wohnungsmanagement zu verbinden.
Ich denke, dies wird erreicht werden.
Ich möchte von dem, was ausgehandelt worden ist,
noch ein paar Punkte, die meiner Meinung nach zu wenig
betont wurden, in den Raum stellen. Denn darüber gilt
es zu diskutieren. Die Mieter bekommen ein Wohnrecht
auf Lebenszeit einzelvertraglich schriftlich zugesichert.
Mieterhöhungen sind auf 3 Prozent zuzüglich der Inflati-
onsrate im Jahr begrenzt. Seien Sie nicht böse: Ich bin
ziemlich sicher, dass sich der Mieterbund und auch die
Präsidentin des Mieterbundes eine solche Begenzung der
Mieterhöhungen,
wie sie für die Eisenbahnerwohnungen festgelegt sind
– das ist einmalig in Deutschland, sensationell – auch für
viele andere Wohnungen wünschen würden.
Weitere Punkte sind der Ausschluss von Luxusmoderni-
sierung; die Aufrechterhaltung der Wohnungsfürsorge
und der Wohnungsbeschaffung; die Privatisierung nur
dann, wenn mindestens zwei Drittel der Bewohner Nicht-
eisenbahner sind und damit nicht der Wohnungsfürsorge
unterliegen,
die Privatisierung bevorzugt durch Verkauf an die Eisen-
bahner, und zwar mit dem Angebot, den Kaufpreis um
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Norbert Königshofen
13577
10 Prozent zu mindern. All das sind Punkte, die für eine
großartige Leistung stehen.
Ich möchte auch den Bereich der Wohnungsfürsorge
ansprechen, weil insoweit diejenigen betroffen sind, die
noch nicht in diesen Wohnungen wohnen, die als Be-
schäftigte der Bahn AG aber den Anspruch auf die
Wohnungsfürsorge weiterhin haben werden. In diesem
Sinn wird es beim betrieblichen Sondervermögen bleiben,
weil das Bundeseisenbahnvermögen 5,1 Prozent des Ge-
sellschaftsanteils bei allen Einzelgesellschaften halten
wird.
– Moment, lassen Sie mich doch erst einmal weiterreden.
Sie hätten sich die Unterlagen genauer anschauen können,
Frau Kollegin.
Der Aufsichtsrat wird nämlich paritätisch besetzt sein;
das Bundeseisenbahnvermögen wird ein Weisungsrecht
behalten; die einheitliche Wohnungsfürsorge in der Woh-
nungsbeschaffung für Eisenbahnbeschäftigte, die eine
Wohnung suchen, wird aufrecht erhalten; die einzelnen
Gesellschaften dürfen nicht mit anderen Gesellschaften
der jeweiligen Eigentümer verschmolzen werden. Ich
denke, das alles sind enorme Errungenschaften, durch die
die Wohnungsfürsorge in Zukunft für die DBAG und für
die Beschäftigten der Bahn
erhalten wird. Dazu kommt, dass innerhalb von zehn Jah-
ren maximal 20 Prozent des Wohnungsbestandes verkauft
werden dürfen.
Ich denke, das ist wirklich eine soziale Leistung, auf die
die Beteiligten stolz sein können.
Eines möchte ich noch kurz sagen: Es ist erreicht wor-
den, dass eine unbefristete Beschäftigungsgarantie für
die Mitarbeiter der Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften
nach Abschluss der Verträge erhalten bleibt und sie ihre
betriebliche Altersvorsorge unbefristet bis zum Eintritt in
den Ruhestand behalten, dass die Betriebsvereinbarung
und der Erhalt der tarifvertraglichen Besitzstände der Be-
schäftigten für mindestens zehn Jahre weitergeführt wer-
den – das sind Punkte, die Sie nicht ausgehandelt hatten –
und dass die Schulung und Weiterbildung als Angebot für
die Beschäftigten intensiviert werden. Auch das ist ein
wesentlicher Punkt.
Ich wünschte mir, in vielen anderen Fällen würde die
Privatisierung von Unternehmen mit solchen sozialen
Bindungen verknüpft. Dann könnten wir ganz anders dis-
kutieren, als Sie es jetzt mit Ihrer Polemik hier tun.
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Uwe Hiksch, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Am 24. November 1997 schrieb
Rudolf Scharping als stellvertretender Vorsitzender der
Bundes-SPD an die Mieter der Eisenbahnerwohnungen,
dass sozialer Mietwohnungsbestand nicht einfach Ban-
ken, Versicherungen und Energieunternehmen überlassen
werden darf. Das war im Wahlkampf.
Das war in der Zeit, als um Wählerinnen- und Wähler-
stimmen und um die Hoffnungen der Menschen, die in
diesen Wohnungen leben, gekämpft wurde. Jetzt ent-
scheidet dieselbe Bundesregierung, eine sozialdemokra-
tisch geführte Bundesregierung, genau diese Wohnungen
an den drittgrößten Versicherungskonzern, den es auf der
Welt gibt, Nomura, zu verkaufen.
Kurze Zeit später, am 4. Februar 1998, haben 100 Ei-
senbahner 5 000 Protestunterschriften dem damaligen
Bundesverkehrsministerium übergeben. Damals haben
beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen Anke
Fuchs, Hans Georg Wagner, Ulrike Mascher und Hanna
Wolf zugesagt, dass dann, wenn ein Regierungswechsel
käme, der Protest der Eisenbahner gegen den Verkauf
nachhaltig unterstützt würde. Wahlversprechen gebro-
chen!
Ich habe manchmal den Eindruck, wenn ich mir die
Regierungspolitik der sozialdemokratisch geführten Bun-
desregierung anschaue, dass sie sich vorgenommen hat,
ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen, und zwar
mit dem Rekord, Wahlversprechen so häufig zu brechen,
dass man darin endlich Weltmeister wird, völlig egal, was
vorher zugesagt wurde, völlig egal, welche sozialen Aus-
wirkungen es hat, und völlig egal, was den Menschen ge-
sagt wurde.
Der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen ist ein Ver-
brechen.
– „Verbrechen“ wollte ich nicht sagen, Entschuldigung.
Der Verkauf von Eisenbahnerwohnungen ist ein Brechen
von Wahlversprechen, das Enttäuschungen hervorrufen
und dazu führen wird, dass die Menschen, die in Nürnberg
und München – in München beispielsweise gibt es
3 800 Wohnungen, in Nürnberg 2 300 – dazu bewegt
wurden, zur Wahl zu gehen, um für ihre Interessen abzu-
stimmen, wieder in Wahlenthaltung, in Enttäuschung
und in Abwendung von der Politik flüchten werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Franziska Eichstädt-Bohlig
13578
Natürlich weiß ich, dass Sie das nicht sehr gern hören,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sozialdemokratie
hat sich angewöhnt, zu vergessen, was sie bis 1998 gesagt
hat. Sie wollte nämlich die Interessenvertretung der klei-
nen Menschen sein.
Jetzt, angesichts der Interessen der Großen, hat sie ver-
gessen, die Interessen der kleinen Menschen, die von uns
damals gemeinsam zur Wahl gebracht wurden, um eine
neue Politik durchzusetzen, zu vertreten.
Ich kann dem, was Georg Kronawitter, der Altoberbür-
germeister von München, geschrieben hat, nur zustim-
men. Georg Kronawitter schrieb damals:
Seit 1995 versuchte der frühere Finanzminister
Dr. Theo Waigel, die Eisenbahnerwohnungen zum
Stopfen von Haushaltslöchern zu verscherbeln. Er ist
am Widerstand der Eisenbahner gescheitert. Soll
jetzt die SPD als verspäteter „Erfüllungsgehilfe“ ei-
ner eiskalten Kohl/Waigel-Politik durchsetzen, was
nicht mal der CDU/CSU gelungen ist? Nein, das geht
nicht!
Es heißt weiter in dem Brief von Georg Kronawitter an
den damaligen Verkehrsminister:
Bahnbedienstete sind die treuesten
Wähler der SPD. Ein Verkauf der 113 000 Wohnun-
gen wäre ein Faustschlag ins Gesicht aller Eisen-
bahner, aber auch ein Faustschlag ins Gesicht all je-
ner, die mit einem bescheidenen Monatssalär
auskommen müssen.
Was hier passiert, ist ein sozial- und wohnungspoliti-
scher Skandal. Was hier passiert, ist, dass die Gewerk-
schaft Transnet, damals noch GdED, mitgeholfen hat,
dass ein Regierungswechsel auch mit einem Politikwech-
sel verbunden werden konnte und heute all das gebrochen
und verraten wird.
Deshalb kann ich dem, was die Mieterbundpräsidentin
Anke Fuchs in ihrer Pressemitteilung erklärt hat, nur zu-
stimmen, nämlich, dass es ein schwarzer Tag für die Mie-
terinnen und Mieter
hier in der Bundesrepublik Deutschland sei. Der Ausver-
kauf von Wohnungen in öffentlichem Eigentum sei woh-
nungs-, fiskal- und sozialpolitisch falsch. Dies gelte auch
für den Verkauf der Bahnwohnungen. Auch hier gehe
preiswerter Wohnraum auf Dauer verloren. Dies erklärte
Anke Fuchs.
Das ist richtig und die Wahrheit. Nur, das möchte man
plötzlich nicht mehr hören, denn am einfachsten kann
man von Wahlversprechen ablenken, indem man sich an
sie schlichtweg nicht mehr erinnert.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Genossin
Christine Ostrowski, warum jetzt bezüglich der Eisen-
bahnerwohnungen nicht das Alternativmodell, das vor der
Wahl noch von der Sozialdemokratie mit vertreten wurde,
umgesetzt wird, erklärte das Wohnungsministerium ganz
deutlich: Das genannte Privatisierungsmodell ist erneut
geprüft worden. Es führt jedoch nicht zu den Einnahmen,
die das Bundeseisenbahnvermögen zur Erfüllung seiner
Verpflichtungen benötigt.
Hieran wird ganz deutlich: Der Verkauf der Eisen-
bahnerwohnungen hatte nur ein einziges Ziel, nämlich das
Stopfen von Löchern in den Kassen. Es ging nicht um die
Interessen der Mieterinnen und Mieter dieser Wohnun-
gen.
Liebe sozialdemokratisch-liberale – wenn ich das zu
den Grünen so sagen darf – Bundesregierung,
schämen Sie sich dafür, dass Sie diese Wahlversprechen
gebrochen haben! Nehmen Sie den Verkauf der Eisen-
bahnerwohnungen zurück! Die Menschen in diesen Woh-
nungen haben ein Recht darauf, dass das, was vor der
Wahl gegolten hat, auch nach der Wahl gilt und umgesetzt
wird.
Danke schön.
Und nun hat der Kol-
lege Hans Georg Wagner für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Dies ist überhaupt kein schwerer
Gang. Ich bringe zunächst meine Bewunderung darüber
zum Ausdruck, wie man in fünf Minuten so viel Blödsinn
zusammenreden kann, wie es eben hier von jemandem ge-
macht wurde,
der als Hauptberichterstatter des Verkehrsausschusses die
Geschichte von Anfang an mitbekommen hat. Ich bedaure
eigentlich, dass die seinerzeitigen Berichterstatter, der
Kollege Bartholomäus Kalb, Kristin Heyne, Barbara Höll
und Jürgen Koppelin, nicht hier sind. Diese könnten näm-
lich etwas ganz anderes bestätigen, nämlich das, was ich
jetzt sagen werde.
– Natürlich, Herr Kollege. Sie haben die Geschichte ja
nicht gekannt. Das, was vor der Wahl vereinbart worden
ist, hat unsere Zustimmung nicht gefunden. Deswegen ha-
ben wir nachverhandelt und es verbessert und das Bom-
benergebnis erzielt, das jetzt vorliegt.
– Herr Kollege, von interessierter Seite aus Deutschland
ist an die Berichterstatter herangetragen worden, wir soll-
ten um Gottes Willen keinen japanischen Eigentümer für
die Eisenbahnerwohnungen zulassen. Wir haben uns da-
ran gehalten, aber es ist trotzdem geklagt worden. Es wa-
ren die Landesentwicklungsgesellschaften und nicht die
Nomura, denen Herr Wissmann die Wohnungen verkau-
fen wollte. Das ist die geschichtliche Tatsache. Plötzlich
sollen sie wieder hinein. Es wurde bis zum Schluss ge-
klagt.
Zusagen den Berichterstattern, Herrn Minister
Wissmann und Herrn Staatssekretär Carstens gegenüber,
dass man einverstanden sei, lagen vor. Danach hat die Ge-
werkschaftsführung gewechselt, Herr Kollege Hiksch. Da
sagte man: Das machen wir jetzt alles nicht mehr mit. –
Dabei hatten wir schon so weit verhandelt, dass man ei-
gentlich nicht mehr zurück kann. Da Ihr eigener Minister,
Herr Wissmann, den Vertrag paraphiert hat – Herr Kollege
Rexrodt, Sie waren damals auch in der Bundesregierung
und müssten wissen, wie und was darüber im Bundeska-
binett gesprochen worden ist –, besteht eine vertragliche
Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland. Die neue
Bundesregierung musste den Vertrag erfüllen. Sie musste
aber nachverhandeln. Herr Friedrich, Sie sind auch bes-
tens informiert.
Wir mussten die Verhandlung weiterführen, wir muss-
ten nachverhandeln und Verbesserungen für die Mieter er-
zielen. Diese sind erreicht worden. Der Vertrag, wie er
jetzt vorliegt, kann von uns uneingeschränkt unterschrie-
ben und könnte auch von den Gewerkschaften mit getra-
gen werden.
Ich bin auch sicher, dass die gewerkschaftlichen Rechte,
die Sie den Gewerkschaften immer nehmen wollen,
berücksichtigt sind. Bei den Verbesserungen im Betriebs-
verfassungsgesetz, die wir vornehmen wollen, schreien
Sie ja schon wieder Zeter und Mordio. Alle Verbesserun-
gen zugunsten der Gewerkschaften haben Sie bisher ab-
gelehnt.
Bei den Eisenbahnerwohnungen entdecken Sie jetzt
plötzlich Ihr Herz für die Gewerkschaften. Sie machen
sich lächerlich mit dieser Argumentationslinie, meine Da-
men und Herren.
Was Bayern angeht, Herr Hiksch: Wir hätten nicht ge-
dacht, dass Sie das anführen. Aber wir haben Konsequen-
zen gezogen aus dem damaligen Verkauf der Neue-Hei-
mat-Wohnungen in München. Wir haben der Firma diese
Eisenbahnerwohnungen nicht überlassen. Das müssen Sie
doch wissen. Lesen Sie doch einmal den Bericht von
Herrn Bodewig, in dem das ganz klar steht.
Wir haben eine völlig andere Regelung gefunden, und
ich finde, sie ist besser. Dass man die Anzahl der Woh-
nungen für die Familie aus Hamburg, die für die CDU ge-
spendet hat, reduziert, ist eine gute Sache. Sie haben ja die
Spenden in der Tasche und haben sie auch im Rechen-
schaftsbericht ausgewiesen, dann kann ja nichts mehr pas-
sieren. 8 Millionen DM Spenden haben Sie wegen der
Wohnungen gekriegt. Jetzt kriegen die Spender nur 4 000
Wohnungen von ehemals 33 000 Wohnungen. Das müsste
auch sie doch zufrieden stellen. Sie haben Ihr Geld, Sie
haben ihre Spende kassiert, Sie haben damit Wahlkämpfe
geführt,
und wir haben die Wahl 1998 gewonnen.
Ich sage noch einmal: Wir haben uns nichts zuschulden
kommen lassen, was die Mieter angeht – die Kollegin
Fuchs nicht und auch keiner der damaligen Gesprächs-
teilnehmer, also auch nicht Franz Müntefering, Klimmt
und Großmann. Einen besseren Mieterschutz als in dieser
vertraglichen Regelung gibt es in ganz Deutschland nicht,
auch nicht in den christlichen Wohnungsbaugesell-
schaften.
Wenn Sie sich manche Gesellschaft daraufhin ansehen,
dann werden Sie wahrscheinlich verzweifeln, wenn Sie
die Ergebnisse sehen.
Ich finde, es war richtig, dass die Bundestagsfraktion
der SPD seinerzeit zugestimmt hat,
dass jetzt die Verhandlungen weitergeführt worden sind
und dass dieses Ergebnis herausgekommen ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Hans Georg Wagner
13580
Ich danke der PDS dafür, dass ich Gelegenheit hatte, in
fünf Minuten noch das eine oder andere dazu zu sagen.
Ich wundere mich nur, dass ausgerechnet die rechte Seite
des Hauses die Gelegenheit, die ihr die PDS verschafft,
wahrnimmt, um jetzt gegen die Bundesregierung und ge-
gen die Grundlagen, die sie selbst geschaffen hat zu pole-
misieren.
Schönen Dank.
Jetzt hat das Wort der
Kollege Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ver-
kauf der Eisenbahnerwohnungen, um das noch einmal
klarzustellen, ist der klassische Wahlbetrug, der in dieser
Form in diesem Hohen Hause niemals zu verzeichnen ge-
wesen ist.
Eigentlich müsste Ihnen die Schamröte ins Gesicht stei-
gen. Da ist gelogen worden, dass sich buchstäblich die
Balken gebogen haben. Das ist beispiellos.
Ich nenne Ihnen den ersten Akt: Die frühere unionsge-
führte Bundesregierung gibt bekannt, dass die Privatisie-
rung der Eisenbahnerwohnungen geplant ist.
Zweiter Akt: Es erhebt sich ein Sturm der Entrüstung,
es gibt Protestgeschrei, die SPD macht mobil. Abordnun-
gen von Mietersprechern kommen nach Bonn. Es werden
Versammlungen durchgeführt und es wird versprochen:
Wählt uns – die SPD ist gemeint –, dann werden die Woh-
nungen nicht verkauft.
Am 24. Juni 1998 – es ist schon einmal zitiert worden,
aber es muss noch einmal sein, ich kann es Ihnen nicht er-
sparen – hat die damalige Abgeordnete Ferner, die dann
Staatssekretärin geworden ist, sich öffentlich gegen den
Verkauf der Eisenbahnerwohnungen ausgesprochen und
dies damit begründet, das sei notwendig, weil eine Sala-
mitaktik zu einer kapitalorientierten Vermarktung der
Eisenbahnerwohnungen und ein Zweiklassen-Mietrecht
zur Verdrängung jedes vierten Miethaushaltes führe. So
waren damals die Worte.
Der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude –
um das hier auch klar zu sagen – versprach auf einer
großen Demonstration auf dem Marienplatz in München,
zu der die Mieter sternmarschartig zusammengekommen
waren, er werde dafür sorgen, dass diese Wohnungen
nicht verkauft würden,
und in einer Presseerklärung der Münchener SPD vom
21. Juni 1998 hieß es, dass die Mieter bei der Bundes-
tagswahl am 27. September 1998 entscheiden könnten, ob
sie ihre eigenen Wohnungen loswerden wollten oder die
bisherige Bundesregierung. So war es damals.
In der Folge hat eine nicht unbeträchtliche Zahl von
Mieterinnen und Mietern in München und anderswo der
SPD geglaubt und dieser Partei ihre Stimme gegeben. Das
ist die Wahrheit.
Dritter Akt: Nach der Bundestagswahl klang das Ganze
völlig anders. Da ist den Mietern von Rot-Grün plötzlich
zugerufen worden: April, April! Was gilt mein Wort vor
der Wahl noch? – Versprechungen vor der Wahl haben
eine Verfallsdauer bis zum Zeitpunkt kurz nach der Wahl.
So war es. Jetzt hat man mit aller Kraft versucht, diesen
Kauf durchzuziehen. Man hat selbst die Mühsal eines Ver-
waltungsgerichtsverfahrens bis zur letzten Instanz, dem
Bundesverwaltungsgericht, durchgezogen, um den Ver-
kauf durchzusetzen.
Alle Kompromissangebote, die auch von unserer Seite
kamen, wurden abgelehnt. Es gab beispielsweise in Mün-
chen eine sehr intensive Debatte, weil bei uns die Miet-
preise besonders hoch sind und die Problematik hier des-
halb besonders schwierig ist. Man hat einen Durch-
gangserwerb angeboten, sodass zunächst die Kommune
und ihre Gesellschaften die Wohnungen erwerben und sie
dann an diejenigen Mieter weiterverkaufen können, die
das wünschen. Aber alles ist kompromisslos abgelehnt
worden. Man hat das von Anfang an verfolgt. Letztend-
lich – das sage ich Ihnen – fühlen sich viele Tausende
Mieter verraten und verkauft.
Es kommt noch hinzu: Gleichzeitig werden diese Men-
schen mit den Tatarenmeldungen aus der Presse konfron-
tiert, dass auch noch riesige Entlassungen bei der Deut-
sche Bahn AG bevorstehen. Wie müssen sich diese Leute
denn fühlen? Warum muss ihnen noch zusätzlich Angst
gemacht werden? Ich sage: Das ist nicht in Ordnung; das
ist nicht seriös. Es ist schlimm, was hier passiert ist.
Im Übrigen sieht das nicht nur die Opposition so.
Ich zitiere den langjährigen Oberbürgermeister der Lan-
deshauptstadt München, Georg Kronawitter. Er schrieb
vor wenigen Tagen einen Brief an den Bundeskanzler
Gerhard Schröder, aus dem ich jetzt einen Satz zitiere.
Georg Kronawitter – ein hoch geehrter Sozialdemokrat –
schreibt:
Da muss es einem Sozialdemokraten vor Scham die
Kehle zuschnüren.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Hans Georg Wagner
13581
Er formuliert weiter:
Ich schätze Kanzler Schröder. Aber in Sachen Bahn-
wohnungen bin ich bitter enttäuscht und sehr betrof-
fen, weil ich als Bürgeranwalt ... weiß, welche Not
an bezahlbaren Wohnungen in München herrscht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie uns
schon nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens Ihrem
eigenen Genossen. Schauen Sie sich an, was Sie hier an-
gerichtet haben: Sie haben nicht nur sich selbst geschadet
– das müssen Sie selber verantworten –, sondern Sie ha-
ben der gesamten Politik geschadet, weil die Glaubwür-
digkeit dadurch schwer getroffen worden ist.
Nach dem Rentenbetrug jetzt der Mieterbetrug. Schä-
men Sie sich!
Das Wort hat nun der
Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann.
A
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt wollen wir
einmal die Gelegenheit nutzen, das zurechtzurücken, was
hier gesagt worden ist.
Ich bin froh – das haben auch Frau Gleicke, Herr Spanier
und Herr Wagner gesagt –, dass wir die Gelegenheit dazu
haben. Es ist ja toll, vor der Öffentlichkeit noch einmal er-
klären und ein paar Hintergründe aufdecken zu können,
wie es zu diesem Verkauf gekommen ist.
– Ich würde wahrscheinlich noch drei Stunden reden kön-
nen, ohne Sie zu überzeugen, Herr Hirche. Aber es geht
mir darum, dass es die Menschen verstehen, die uns
zuhören und uns zuschauen. Das ist mir wichtiger, als dass
es die F.D.P. begreift.
Mitte 1998, als der Verkauf ins Haus stand, haben wir
gesagt – es ist Gott sei Dank zitiert worden; ich habe die
Pressemitteilungen für den Fall, dass vielleicht falsch zi-
tiert werden würde, mitgebracht; Herr Rexrodt hat we-
sentliche Bestandteile ausgelassen,
aber Herr Königshofen hat sie dankenswerterweise zi-
tiert –: So, wie der Verkauf und die Verträge vorbereitet
wurden, können wir dem nicht zustimmen.
Warum wir nicht zustimmen konnten, haben wir in drei
Spiegelstrichen begründet; ich wiederhole das noch ein-
mal. Der eine Spiegelstrich lautet: Der Erhalt der Gesell-
schaften als Sozialeinrichtungen, wie es das Gesetz vor-
sieht, ist nicht gewährleistet.
Das war in den letzten zwei Jahren der Hauptauseinan-
dersetzungspunkt. Um die Wohnungen überhaupt verkau-
fen zu können, wollten Sie mit den Verträgen, die Sie
vorgelegt haben, die sozialen Betriebseinrichtungen zer-
schlagen. Wir haben es geschafft, dass sie erhalten blei-
ben. Das ist für die Mieterinnen und Mieter der größte Er-
folg, den man erzielen konnte.
Wir haben im dritten Spiegelstrich gesagt: Die Chance
einer für den Bund wie für die Mieter finanziell interes-
santen Mieterprivatisierung wird vertan. Wir haben in den
neuen Verträgen sichergestellt, dass die Mieter Vorkaufs-
rechte haben, und zwar zu einem Preis, der 10 Prozent un-
ter dem Marktwert liegt. Das heißt, wir haben die Mieter-
privatisierung, die wir immer wollten, in den Vertrag
hineingeschrieben. Das ist der zweite große Gewinn für
die Mieterinnen und Mieter.
Als wir die Regierung übernahmen, haben wir natür-
lich darüber nachgedacht, ob wir von den Verträgen
zurücktreten können, die paraphiert waren, wie Herr
Wagner gesagt hat. Was haben wir vorgefunden? Wir ha-
ben völlig ruinöse Staatsfinanzen vorgefunden. Herr
Waigel hatte die 4,6 Milliarden DM bereits in den Haus-
haltsentwurf 1999 geschrieben.
Wir hätten also im Infrastrukturbereich, bei den Investi-
tionen für die Schiene 4,6 Milliarden DM streichen müs-
sen.
Das war die Ausgangslage: ruinöse Staatsfinanzen und
keine Vorsorge für die Schiene.
In den letzten Wochen ist Gott sei Dank klar geworden, in
welchem maroden Zustand Sie die Bahn in Deutschland
hinterlassen haben.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Johannes Singhammer
13582
Das ist ein Scherbenhaufen, den wir aufräumen müssen.
Wir müssen das in Ordnung bringen.
Also haben wir gesagt: Es gibt paraphierte Verträge.
Wir sind in einer finanziell äußerst engen Situation.
Jetzt geht es darum, die Verträge, die auf dem Tisch lie-
gen, so neu zu verhandeln, dass die Mieterinnen und Mie-
ter einen echten Kündigungsschutz und Mieterschutz er-
halten,
dass die Beschäftigten wieder zur Ruhe kommen können
und dass die sozialen Betriebseinrichtungen gesichert
werden. Genau das haben wir getan.
Ich will Ihnen das auch kurz erläutern.
Hinzu kam noch, dass wir neben diesen Vorstellungen,
über die wir verhandelt haben, plötzlich die Bedenken der
EU auf dem Tisch hatten. Was war passiert? Es war nicht
der Meistbietende, sondern der weniger Bietende ge-
nommen worden.
Wir haben natürlich mit dem Personalrat und der Ge-
werkschaft Gespräche geführt. Wir haben uns ihre Sorgen
zu Eigen gemacht, was die sozialen Betriebseinrichtun-
gen angeht. Wir haben gesagt: Okay, wir schauen, ob wir
das nachverhandeln können.
Der äußerst schwierige Prozess, der dann gelaufen ist
– wir stellen uns hier der Debatte –, hat aus unserer Sicht
sehr gute Ergebnisse erbracht. Er hat mehrere Gewinner.
Die ersten Gewinner sind die Mieterinnen und Mieter
der Eisenbahnerwohnungen. Sie haben hervorragende
Mieter- und Kündigungsschutzklauseln. Ich will Ihnen
einmal ein paar Beispiele nennen, damit die falschen Zah-
len ausgeräumt werden, die in Zeitungen gehandelt wer-
den.
Nehmen wir einmal an, ein Mieterhaushalt zahlt zur-
zeit 7 DM Miete. Die ortsübliche Vergleichsmiete liegt
bei 9,10 DM. Dann hätte nach dem Gesetz zur Regelung
der Miethöhe, wie es jetzt noch Gültigkeit hat, die Miete
um 30 Prozent, also um 2,10 DM, auf die ortsübliche Ver-
gleichsmiete angehoben werden können, auch bei den
Eisenbahner-Wohnungen. Denn auch sie müssen be-
triebswirtschaftlich geführt werden. Wir haben jetzt in
den Vertrag gesetzt, dass die Mieten um 3 Prozent plus In-
flationsrate erhöht werden dürfen. Das wären im Moment
zusammen 4,5 Prozent, also eine Steigerung von 31 Pfen-
nig im Jahre 2001.
31 Pfennig als Höchstmaß für Mietsteigerungen gegen-
über 2,10 DM, die vorher möglich waren – wenn das kein
Erfolg für Mieterinnen und Mieter ist, dann weiß ich
nicht, was ein Erfolg ist.
Wir haben sichergestellt, dass die Beschäftigten der
Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften dort weiter arbei-
ten können. Wir haben eine unbefristete Beschäftigungs-
garantie für die Mitarbeiter der Eisenbahner-Wohnungs-
gesellschaften durch Ausschluss betriebsbedingter
Kündigungen festgelegt. Vorher war sie auf fünf Jahre
befristet. Die betriebliche Altersversorgung für alle Mit-
arbeiter der Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften wird
unbefristet bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand fortge-
setzt. Vorher war sie an die Kündigungsfrist gekoppelt.
Das heißt, nach fünf Jahren hätte ihnen gekündigt werden
können. Dann wäre nach fünf Jahren die betriebliche Al-
tersvorsorge weg gewesen. Jetzt ist beides unbefristet bis
zum Eintritt in den Ruhestand gesichert. Das haben wir
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwirkt.
Wir haben einen Bestandsschutz für die Gesellschaften
vereinbart. Die 18 Gesellschaften bleiben bestehen. Der
alte Vertrag hatte vorgesehen, dass sie mit allen mögli-
chen anderen Gesellschaften hätten verschmolzen werden
können. Wir erhalten die 18 Eisenbahner-Wohnungsge-
sellschaften, die es jetzt gibt, unbefristet.
– „Betriebswirtschaftlicher Quatsch“? Das haben wir für
die Menschen, die dort arbeiten, und die, die dort wohnen,
verhandelt. Es ist gut, dass wir das gemacht haben.
Gewinner sind nicht nur die Mieterinnen und Mieter
und die Beschäftigten der Eisenbahner-Wohnungsgesell-
schaften, Gewinner ist auch die Gewerkschaft. Sie hat
hart gestritten und einen sehr guten Erfolg erzielt. Denn
sie hat sichergestellt, dass das, was laut Gesetz möglich
ist, ausgehandelt worden ist. Es ist erreicht worden, dass
die 18 Gesellschaften und die sozialen Betriebseinrich-
tungen erhalten bleiben. Deswegen ist auch die Ge-
werkschaft auf der Gewinnerseite, auch wenn sie das nach
außen vielleicht nicht so deutlich sagen kann, wie ich das
hier sagen kann.
Schließlich ist auch das Bundeseisenbahnvermögen
Gewinner. Denn wir haben nicht nur die 4,6 Milliar-
den DM erwirtschaftet, sondern 500 Millionen DM mehr,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretär Achim Großmann
13583
die dem Bundeseisenbahnvermögen zur Lösung bahnspe-
zifischer Probleme zufließen. Das war möglich, obwohl
wir mehr in den Vertrag hineinverhandelt haben, als Sie es
geschafft haben. Wir haben für die Mieterinnen und Mie-
ter, für die Beschäftigten und für die Gewerkschaften
mehr herausverhandelt und trotzdem einen höheren Preis
bekommen. Auch das muss Ihnen zu denken geben: Sie
haben damals zu früh die Luft herausgelassen und nicht
richtig verhandelt;
und zwar weder für die Mieter noch für die Beschäftigten
und auch nicht für die Kasse, in die Sie die Einnahmen lei-
ten wollten. Herr Berninger hat Ihnen das schon gesagt.
Ich kann hier aufrecht sagen: Wir haben in einem
äußerst schwierigen Prozess viel erreicht. Es stimmt, dass
wir mit uns gerungen und gesagt haben: Wenn möglich,
müssen wir die Verträge rückgängig machen; aber wenn
das nicht geht – ich habe geschildert, warum es nicht ging
– müssen wir sie so verhandeln, dass wir vor den Miete-
rinnen und Mietern bestehen können. – Das haben wir ge-
macht und wir werden uns auch weiter der Diskussion mit
den Mieterinnen und Mietern stellen. Wir haben Heraus-
ragendes für sie vereinbart: einen Mieter- und Kündi-
gungsschutz, den es sonst in Deutschland kaum gibt.
Wir haben den Beschäftigten, der Gewerkschaft und dem
Bundeseisenbahnvermögen geholfen.
Wir stellen uns deswegen Ihren Vorwürfen gerne, weil wir
glauben, dagegen argumentieren zu können.
Ich will zum Schluss die zusätzlich verhandelten
Punkte nennen: Aufrechterhaltung einheitlicher Woh-
nungsfürsorge und Wohnungsbeschaffung durch Ab-
schluss zeitlich unbefristeter, inhaltlich gleicher Vertrags-
werke mit sämtlichen Eisenbahnwohnungs-Gesell-
schaften und Investoren; Verpflichtung der Erwerber, in-
nerhalb von zehn Jahren nach der Übernahme der Ge-
schäftsanteile nicht mehr als 20 Prozent des derzeitigen
Wohnungsbestandes der Gesellschaften zu veräußern
– das vorrangig an Mieter. Das war bei Ihnen überhaupt
nicht geregelt, Frau Blank; Sie haben gefragt, was nach
zehn Jahren passiert. Wenn Ihr Vertragsentwurf in Kraft
getreten wäre, wäre der Verkauf von heute auf morgen
losgegangen; danach hätten Sie fragen müssen.
Ich nenne weiter: zeitlich unbefristete Einrichtung pa-
ritätisch besetzter Aufsichtsräte bei den Eisenbahner-
Wohnungsgesellschaften mit weitreichenden Mitsprache-
rechten und einem doppelten Stimmrecht für einen
Vertreter des Bundeseisenbahnvermögens und schließlich
Weisungsrecht des Bundeseisenbahnvermögens gegen-
über den Eisenbahner-Wohnungsgesellschaften in Woh-
nungsfürsorgefragen. Das heißt: Wenn jemand aus einer
Wohnungsfürsorge-Wohnung auszieht, darf ein anderer
Eisenbahner zu denselben Bedingungen dort einziehen;
das Gleiche gilt für die Witwe und die Kinder der Eisen-
bahner, die unter denselben Bedingungen dort wohnen
bleiben können.
Was will man unter dem Diktat der leeren Kassen, die
Sie uns hinterlassen haben, mehr?
Vielen Dank.
Als letzter Redner
dieser Debatte hat der Kollege Peter Letzgus von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Peter Letzgus (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir als letztem
Redner dieser Debatte noch kurze Anmerkungen. Es ist
ohnehin im Prinzip alles gesagt worden.
– Noch nicht von mir, Herr Küster, da haben Sie Recht.
Vor gut einer Woche erreichte uns die Nachricht vom
Gewerkschaftstag der Eisenbahner in Magdeburg, dass
der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen perfekt ist. Die
Nachricht wurde vom Bundesminister Kurt Bodewig von
der SPD verkündet. – Die Parteizugehörigkeit ist in die-
sem Zusammenhang wichtig, denn wenn man sich die
Problematik und die Chronologie der Ereignisse ansieht,
ist das nicht unbedingt selbstverständlich.
Bereits die alte Bundesregierung hatte die Privatisie-
rung der über 112 000 Eisenbahnerwohnungen – davon
ungefähr 16 000 in den neuen Bundesländern – vorange-
trieben. Im Juni 1998 gab der damalige Verkehrsminister
Matthias Wissmann den Verkauf bzw. die Privatisierung
der Wohnungen bekannt. Bei der Vergabe wurde nicht auf
das finanziell attraktivste, sondern auf das sozialste An-
gebot geachtet.
Außerdem – dafür waren nicht nur CDU/CSU, sondern
auch Kollegen der SPD – sollten die Wohnungen in deut-
scher Hand bleiben.
Damals wurden unter anderem folgende Mieterschutz-
bestimmungen zwischen dem BMV, der DB AG, dem
Bundeseisenbahnvermögen und den Eisenbahnergewerk-
schaften vereinbart: Wohnrecht auf Lebenszeit für alle
derzeitigen Mieter der Eisenbahnerwohnungen, gesichert
durch Einzelverträge – das ist identisch mit der jetzt zu-
stande gekommenen Vereinbarung –; Begrenzung der
Mieterhöhung auf höchstens 3 Prozent pro Jahr, zuzüglich
Inflationsrate, für die nächsten zehn Jahre – auch das ist
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 139. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. Dezember 2000
Parl. Staatssekretär Achim Großmann
13584
mit dem jetzigen Vertrag identisch; nur lag damals die In-
flationsrate noch ungefähr bei 1 Prozent, heute ist sie ent-
schieden höher –
und schließlich der einzelvertragliche Ausschluss von Lu-
xussanierungen.
Der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen wurde da-
mals von der SPD abgelehnt. Die damalige verkehrspoli-
tische Sprecherin Elke Ferner – sie ist schon mehrfach zi-
tiert worden, vom Kollegen Königshofen und vom
Kollegen Singhammer – sprach von „Salamitaktik“. Herr
Staatssekretär Großmann, ich möchte das Zitat jetzt voll-
ständig vortragen. Kollegin Ferner sagte damals:
Die SPD lehnt den geplanten Verkauf entschieden
ab: Der Erhalt der Gesellschaften als Sozialeinrich-
tung – wie das Gesetz es vorsieht – ist nicht gewähr-
leistet. Nach dem Salamiprinzip werden die Woh-
nungen einer kapitalorientierten Vermarktung
zugeführt.
Wenig später heißt es – Stichwort „Nomura“ –:
Gewinne stecken sich jetzt andere ein.
Stichwort „Nomura“.
– Das ist nicht zitiert worden. Deshalb möchten wir das
festhalten.
Aber nicht nur Elke Ferner, sondern auch andere SPD-
Politiker positionierten sich damals klar gegen den Ver-
kauf der Eisenbahnerwohnungen und riefen zum Poli-
tikwechsel in Bonn auf; dann werde es den Verkauf nicht
geben. Die SPD-Bundestagsfraktion forderte die dama-
lige Bundesregierung auf, die Eisenbahnerwohnungen
nicht zu verkaufen. Mit der Zusage, nicht zu verkaufen,
wurde von der SPD massiv Wahlkampf im Herbst 1998
betrieben.
Darauf ist schon von mehreren Rednern meiner Fraktion
hingewiesen worden. Die SPD gewann – leider – den
Bundestagswahlkampf und die Eisenbahnerwohnungen
werden verkauft. Von versprochen und gehalten kann hier
nicht die Rede sein. Kollege Rexrodt hat schon eindeutig
darauf hingewiesen.
Nachdem mit der ehemaligen Bietergemeinschaft noch
1998 nachverhandelt worden war, konnten schon damals
viele Verbesserungen erreicht werden. Insofern ist der
Eindruck, der hier von der Koalition geweckt werden soll,
das alles habe erst sie zustande gebracht und sie sei für die
guten Taten verantwortlich, falsch.
– Ich habe gesagt, es sind durchaus viele Verbesserungen
erreicht worden. Auf das andere komme ich noch zu spre-
chen.
Im März 1999 hat sich die SPD mit diesen Nachbesse-
rungen befasst. Als Ergebnis der Beratungen wurde die
politische Kehrtwendung vollzogen. Wir begrüßen, dass
der Verkauf der Eisenbahnerwohnungen nunmehr perfekt
ist. Privatisierungen sind in Deutschland immer gut ge-
laufen, auch gegen den Widerstand der meisten Kollegen
aus den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen.
Wir begrüßen auch, dass noch weitere Verbesserungen für
die Mieter erreicht wurden. Ich erspare mir jetzt die Auf-
zählung dieser Verbesserungen; Kollege Großmann hat
schon ausdrücklich darauf hingewiesen.
Außerdem ist Ihre
Redezeit schon zu Ende.
Wenn man sich jedoch
die damalige Haltung der SPD in der Opposition betrach-
tet und die Rolle rückwärts sieht, die sie jetzt als Regie-
rungspartei macht, dann ist der Eindruck wohl nicht
falsch, dass sich die Mieter der Eisenbahnerwohnungen
getäuscht fühlen.
Ich bedanke mich.
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 7. Dezember 2000,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.