Protokoll:
14133

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 133

  • date_rangeDatum: 16. November 2000

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:22 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:33 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Gedenken an die Opfer des Gletscherbahn- unglücks von Kaprun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12749 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Manfred Heise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12749 B Wahl des Abgeordneten Christian Simmert als stellvertretendes Mitglied in das Kurato- rium der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12749 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 12749 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 26 a und b, 27 a und b und 30 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12750 A Jürgen Koppelin F.D.P. (zur GO) . . . . . . . . . . 12750 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD (zur GO) 12750 D Eckart von Klaeden CDU/CSU (zur GO) . . . 12751 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN (zur GO) . . . . . . . . . . . . . . . . 12751 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . . 12752 A Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenver- sicherung und zur Förderung eines kapi- talgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG) (Drucksache 14/4595) . . . . . . . . . . . . . 12753 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Ren- ten wegen verminderter Erwerbs- fähigkeit (Drucksachen 14/4230, 14/4630, 14/4634) 12753 A c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Versorgungsabschläge (Drucksachen 14/4231, 14/4620) . . . . 12753 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die ge- setzliche Rentenversicherung, insbeson- dere überdie Entwicklung derEinnahmen und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderlichen Beitrags- satzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 SGB VI (Rentenversiche- rungsbericht 1999) (Drucksache 14/2116) . . . . . . . . . . . . . . . . 12753 C Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 12753 C Manfred Grund CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12755 C Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12756 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12760 D Dr. Irmgard Schwaetzer F.D.P. . . . . . . . . . . . . 12762 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12764 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD . . . . . . . . . . . . . 12766 B Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12768 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 12769 B Ulla Schmidt (Aachen) SPD . . . . . . . . . . . 12769 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12771 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS . . . . . . . . . 12771 D Plenarprotokoll 14/133 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 133. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 I n h a l t : Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12772 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . . . . . . . . 12774 B Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12775 C Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12776 C Andreas Storm CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12778 A Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12779 D Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . . . . . . . . . . 12780 A Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12781 C Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12781 D Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12782 B Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12782 D Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU . . . . 12783 B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . . . . . . . . . . 12783 D Tagesordnungspunkt 4: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: 29. Rahmenplan der Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstuktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 (2004) (Drucksache 14/3250) . . . . . . . . . . . . . 12786 A b) Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Dagmar Wöhrl, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/ CSU: Zukunft der deutschen Regio- nalförderpolitik im Zusammenhang mit der Reform des Strukturfonds der Europäischen Union (Drucksachen 14/3353, 14/4112) . . . . 12786 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 12786 B Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 12788 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12789 A Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12790 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12791 D Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . . 12792 D Rainer Brüderle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 12794 A Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12794 D Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12796 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 12797 A Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege- lung der Zuwanderung (Drucksache 14/3679) . . . . . . . . . . . . . 12798 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: „Berliner Rede“ des Bundespräsidenten umsetzen – Zu- wanderung nach Deutschland ver- bindlich regeln (Drucksache 14/3697) . . . . . . . . . . . . . 12798 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 16: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfra- gen über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 14/2674) . . . . . . . . . . . . . 12798 C b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion PDS: Kurdi- sche Namensgebung in derBundesre- publik Deutschland ermöglichen (Drucksache 14/3749) . . . . . . . . . . . . . 12798 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . . . . . . . . . . . . 12799 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12799 D Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . 12800 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . 12802 B Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12804 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12806 B Dirk Niebel F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12808 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12809 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12809 D Dr. Michael Bürsch SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12811 A Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 12812 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12813 C Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12814 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 12816 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12817 A Leyla Onur SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12817 C Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 12817 D Tagesordnungspunkt 29: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zuordnungsrechtes (Drucksache 14/757) . . . . . . . . . . . . . . 12818 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000II b) Antrag der Abgeordneten Dr. HelmutHaussmann, Ulrich Irmer, weiterer Ab-geordneter und Fraktion F.D.P.: Für ei-nen offenen und partnerschaftlichenDialog mit Namibia(Drucksache 14/4414) . . . . . . . . . . . . . 12818 A c) Antrag der Abgeordneten KarinKortmann, Adelheid Tröscher, weitererAbgeordneter und der Fraktion SPD so-wie der Abgeordneten Dr. AngelikaKöster-Loßack, Ekin Deligöz, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Kinderrechteschützen – Kinderhandel wirksambekämpfen(Drucksache 14/4152) . . . . . . . . . . . . . 12818 B Tagesordnungspunkt 28: a) Erste Beratung des von den FraktionenSPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines GesetzeszurUmsetzung derUVP-Änderungs-richtlinie, der IVU-Richtlinie undweiterer EG-Richtlinien zum Um-weltschutz(Drucksache 14/4599) . . . . . . . . . . . . . 12818 B b) Antrag der Abgeordneten BirgitHomburger, Ulrike Flach, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion F.D.P.:Umsetzung der IVU-Richtlinie – Um-weltgesetzbuch auf den Weg bringen(Drucksache 14/3397) . . . . . . . . . . . . . 12818 C Tagesordnungspunkt 30: Abschließende Beratungen ohne Aus-sprache a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Einführungdes Euro im Sozial- und Arbeitsrechtsowie zur Änderung anderer Vorschrif-ten (4. Euro-Einführungsgesetz)(Drucksachen 14/4375, 14/4388, 14/463314/4657) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12818 C c) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu der Verord-nung der Bundesregierung: Erste Ver-ordnung zur Änderung der Batterie-verordnung(Drucksachen 14/4303, 14/4440 Nr. 2.1,14/4600) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12819 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere abschließende Beratungen ohneAussprache (Ergänzung zu TOP 30) a) – Zweite Beratung und Schlussabstim-mung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Gemeinsamen Protokoll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Überein- kommens und des Pariser Überein- kommens (Gesetz zu dem Gemein-samen Protokoll über dieAnwendung des Wiener Überein-kommens und des Pariser Über-einkommens) (Drucksache 14/3953) . . . . . . . . . . . 12819 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Atomgesetzes ((Neuntes)Gesetz zur Änderung des Atomge-setzes) (Drucksachen 14/3950, 14/4617) 12819 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Zusam-menlegung des Bundesamtes fürWirtschaft mit dem Bundesaus-fuhramt (Drucksachen 14/3951, 14/4615) . . . . 12819 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde betr. Verantwortung der früheren Bundesregierung für die Ertei- lung einer Unbedenklichkeitserklärung für das atomare Endlager Morsleben 12819 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 12820 A Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12821 A Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 12822 A Birgit Homburger F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 12823 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 12824 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12824 D Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12826 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 12827 B Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12828 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12829 B Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12830 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 12831 D Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12833 A Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung:Agrarbericht 2000Agrar- und ernährungspolitischerBericht der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 III – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion CDU/CSU zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 2000 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Matthias Weisheit, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion SPD sowie der Ab- geordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarbericht 2000 Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung (Drucksachen 14/2672, 14/3380, 14/3391, 14/4236) . . . . . . . . . . . . . . . . 12833 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung ei- ner Vergütung der Mineralölsteuer für die Land- und Forstwirtschaft (Agrar- dieselgesetz – AgrdG) (Drucksachen 14/4218, 14/4294, 14/4616, 14/4619) . . . . . . . . . . . . . . . . 12834 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Forsten zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Tanken von einge- färbtem Agrardiesel unbürokratisch ausgestalten (Drucksachen 14/3105, 14/4605) . . . . 12834 A Holger Ortel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12834 B Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 12835 C Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . 12837 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12838 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12840 D Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12841 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12842 C Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12843 C Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . 12844 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12845 D Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . 12847 B Ulrich Heinrich F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 12849 C Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12850 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 12851 D Karl-Heinz Funke, Bundesminister BML . . . 12852 B Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Hauptstadtkulturförderung (Drucksachen 14/3182, 14/4597 [neu]) 12853 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 12853 C Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . . 12856 A Dr. Günter Rexrodt F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . 12857 C Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12858 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12860 A Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK . . . 12860 D Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . 12861 B Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Ent- fernungspauschale und zur Zahlung ei- nes einmaligen Heizkostenzuschusses (Drucksachen 14/4435, 14/4631, 14/4632) 12863 D Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 12864 B Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 12865 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12868 B Gisela Frick F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12869 C Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 12870 D Ingrid Arndt-Brauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12871 D Tagesordnungspunkt 9: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über Teilzeitar- beit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen (Drucksachen 14/4374, 14/4625) 12873 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dr. Maria Böhmer, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Fortbestand befristeter Arbeitsverhältnisse (Drucksachen 14/3292, 14/4625) 12873 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000IV F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Beschäftigungsförderung (Drucksachen 14/4103, 14/4625) 12873 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion CDU/ CSU: Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsver- träglich und familiengerecht fördern (Drucksache 14/4526) . . . . . . . . . . . . . 12873 D Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12874 A Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . 12875 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 12875 D Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12877 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12879 B Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . 12880 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12881 B Tagesordnungspunkt 10: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüs- tungskontrolle und Nichtverbreitung so- wie über die Entwicklung der Streitkräf- tepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 1999) (Drucksache 14/3233) . . . . . . . . . . . . . . . 12882 C Petra Ernstberger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12882 C Hans-Dirk Bierling CDU/CSU . . . . . . . . . . . 12884 C Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 12886 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 12887 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12888 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion CDU/CSU: Wett- bewerbsfähigkeit der deutschen Binnen- schifffahrt erhalten und sichern (Drucksache 14/4387) . . . . . . . . . . . . . . . 12889 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion F.D.P.: Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt be- seitigen (Drucksache 14/4602) . . . . . . . . . . . . . . . 12889 D Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz) (Drucksachen 14/4051, 14/4618) . . . . . . . 12890 A Tagesordnungspunkt 13: a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Günter Rexrodt, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abgeord- neten und der Fraktion F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen Rabattrechts an die EU-Richtlinie über den elektro- nischen Geschäftsverkehr (Rabatt- rechtsanpassungsG) (Drucksache 14/4423) . . . . . . . . . . . . . 12890 C b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Rainer Funke, Rainer Brüderle, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Anpassung des deutschen Zu- gaberechts an die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG) (Drucksache 14/4424) . . . . . . . . . . . . . 12890 C Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Erika Simm, weiteren Abgeordneten und der Fraktion SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksache 14/3763) . . . . . . . . . . . . . 12890 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksache 14/4452) . . . . . . . . . . . . . 12890 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- derung des Strafvollzugsgesetzes (5. StVollzÄndG) (Drucksache 14/4070, 14/4622) . . . . . 12891 A Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12891 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 12892 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 V Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12893 D Jörg van Essen F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12895 A Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12896 C Karin Schubert, Ministerin (Sachsen-Anhalt) 12896 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 12897 D Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser (Bonn), Norbert Röttgen, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion CDU/CSU: Sicherung der außeruni- versitären interdisziplinären Grundla- genforschung in der Informations- und Kommunikationstechnik – zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Rolf Kutzmutz,Ursula Lötzer und der Fraktion PDS: Keine Fusion des GMD-Forschungszen- trums für Informationstechnik und der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) zulasten der IuK-Grundlagenfor- schung (Drucksachen 14/3097, 14/4037, 14/4373) 12899 B Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Transparenz und parlamentari- sche Kontrolle bei Rüstungsexporten (Drucksache 14/4349) . . . . . . . . . . . . . 12899 D b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konven- tionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999) (Drucksache 14/4179) . . . . . . . . . . . . . 12899 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Heidi Lippmann, Fred Gebhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Li- zenzen an die Türkei (Drucksachen 14/3004, 14/4487) . . . . 12900 A Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12900 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . . . . . 12901 B Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2001 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2001) (Drucksache 14/4299) . . . . . . . . . . . . . 12902 B b) Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr.Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion PDS: ERP-Sonderver- mögen für Mittelstandsförderung er- höhen (Drucksache 14/4556) . . . . . . . . . . . . . 12902 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Bernd Neumann (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Sachgerechter Schutz der Rechte für Software (Drucksache 14/4384) . . . . . . . . . . . . . . . 12902 C Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU 12902 D Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12904 C Tagesordnungspunkt 20: a) Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Uta Zapf, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion SPD, der Abgeord- neten Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion CDU/CSU, der Abgeord- neten Angelika Beer, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion F.D.P.: 46. Plenartagung der Parlamentari- schen Versammlung der NATO (NATO PV) vom 17. bis 21. Novem- ber 2000 in Berlin (Drucksache 14/4601) . . . . . . . . . . . . . 12905 A b) Antrag der Fraktion PDS: Europäische Sicherheit und NATO (Drucksache 14/4598) . . . . . . . . . . . . . 12905 B Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12905 B Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 12906 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12908 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12909 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000VI Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über Teilzeit- arbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen (Tagesordnungspunkt 9 a) . . . 12909 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern – Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt be- seitigen (Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord- nungspunkt 5) Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12910 A Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 12912 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12913 B Hans-Michael Goldmann F.D.P. . . . . . . . . . . 12913 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12914 D Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) (Tagesord- nungspunkt 12) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) SPD . . . . 12915 D Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 12916 D Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12919 C Rainer Funke F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12920 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 12920 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur An- passung des deutschen Rabattrechts an die EU-Richtlinie über den elektroni- schen Geschäftsverkehr (Rabattrechts- anpassungsG) – des Entwurfs eines Gesetzes zur An- passung des deutschen Zugaberechts an die EU-Richtlinie über den elektroni- schen Geschäftsverkehr (Zugaberechts- anpassungsG) (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 12921 C Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12921 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 12923 A Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12924 A Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12924 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12925 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 12926 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts zu den Anträgen: – Sicherung der außeruniversitären inter- disziplinären Grundlagenforschung in der Informations- und Kommunikati- onstechnik – keine Fusion des GMD-Forschungs- zentrums für Informationstechnik und der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) zu- lasten der IuK-Grundlagenforschung (Tagesordnungspunkt 15) Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12926 D Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 12927 A Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12928 C Ulrike Flach F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12929 B Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12929 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12930 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags: Transparenz und parla- mentarische Kontrolle bei Rüstungs- exporten – der Unterrichtung: Bericht der Bundes- regierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht) – des Berichts: keine Lieferung von Pan- zern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 VII Dr. Ditmar Staffelt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 12931 D Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 12932 D Claudia Roth (Augsburg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12934 B Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 12935 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Feststel- lung des Wirtschaftsplans des ERP-Son- dervermögens für das Jahr 2001 (ERP- Wirtschaftsplangesetz 2001) – Antrag: ERP-Sondervermögen für Mit- telstandsförderung (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . . 12936 A Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 12937 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12938 B Gudrun Kopp F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12939 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12939 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 12940 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sachgerechter Schutz der Rechte für Software (Tagesordnungspunkt 19) Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12941 C Dirk Manzewski SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12942 B Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12943 B Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12944 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 12944 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge – 46. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV) vom 17. bis 21. November 2000 in Ber- lin – Europäische Sicherheit und NATO (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12945 B Ulrich Irmer F.D.P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12946 B Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 12947 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 Karl Lamers 12908 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12909 (C) (D) (A) (B) Andres, Gerd SPD 16.11.2000 Balt, Monika PDS 16.11.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 16.11.2000* Burchardt, Ursula SPD 16.11.2000 Catenhusen, SPD 16.11.2000 Wolf-Michael Ehlert, Heidemarie PDS 16.11.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 16.11.2000 Joseph DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.11.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 16.11.2000 Hempelmann, Rolf SPD 16.11.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 16.11.2000 DIE GRÜNEN Hornung, Siegfried CDU/CSU 16.11.2000 Kramme, Anette SPD 16.11.2000 Lörcher, Christa SPD 16.11.2000* Nietan, Dietmar SPD 16.11.2000 Poß, Joachim SPD 16.11.2000 Schily, Otto SPD 16.11.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 16.11.2000 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 16.11.2000 Schultz (Everswinkel), SPD 16.11.2000 Reinhard Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 16.11.2000 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 16.11.2000 Wülfing, Elke CDU/CSU 16.11.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) zurAbstimmung über den Entwurf eines Geset- zes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeits- verträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen (Tagesord- nungspunkt 9 a) Eine Reglementierung der Arbeitgeber durch einen all- gemeinen oder auch beschränkten Rechtsanspruch be- stimmter Bevölkerungsgruppen auf Teilzeitarbeit ist ab- zulehnen. Deutschland kann eine erfreuliche Bilanz vorweisen: Seit 1991 stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten um über ein Drittel auf 6,3 Millionen. Die Teilzeitbeschäf- tigten haben inzwischen an allen abhängig Beschäftigten einen Anteil von 19,5 Prozent. Unter den gegenwärtigen rechtlichen Bedingungen ist davon auszugehen, dass die Zahl der Teilzeitbeschäftigten noch weiter zunehmen wird. Diese Erfolgs-Story möchte die Regierung nun mit ei- nem allgemeinen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit fort- schreiben. Sie wird damit das Gegenteil von dem errei- chen, was sie beabsichtigt. Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass mit ei- nem Weniger an Reglementierung ein Mehr an Teilzeitar- beitsplätzen geschaffen wird. Den Unternehmen Fesseln anzulegen hat hingegen zur Folge, dass den Betrieben die Planungssicherheit aus der Hand genommen wird. Zudem sind Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Gerade kleine und mittlere Betriebe werden daher aus betriebsorganisatorischen Gründen von Einstellungen sol- cher Personen absehen, bei denen zu befürchten ist, dass sie einen Anspruch auf Teilzeitarbeit geltend machen könnten, obwohl betriebliche Gründe dagegen stehen. Auch ein auf bestimmte Bevölkerungsgruppen be- schränkter Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit wird den dann bevorzugten Gruppen – etwa Arbeitnehmern mit Kindern unter 12 Jahren oder mit pflegebedürftigen nahen Angehörigen – nicht gerecht werden. Vielmehr wird die- ser eingeschränkte Rechtsanspruch zur Folge haben, dass gerade diese Gruppen bei Einstellungen das Nachsehen haben werden. Statt mit neuen Gesetzen den Unternehmern etwas aufzuzwingen, sollte lieber überlegt werden, wie die Rah- menbedingungen – etwa bei der Sozialversicherungs- pflicht – verändert werden könnten, um Teilzeitarbeit für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer attraktiver zu gestalten. Deshalb lehne ich den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung zur Teilzeitarbeit mit Entschiedenheit ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnen- schifffahrt erhalten und sichern – Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt beseitigen (Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord- nungspunkt 5) Annette Faße (SPD): Bei Regierungsantritt im Herbst 1998 haben wir versprochen, den Schutt der alten Regierung Stück für Stück wegzukehren und im Sinne des Koalitionsvertrags eine effiziente und umweltgerechte Verkehrspolitik zu verwirklichen. Das halten wir ein. Wir gestalten ein Verkehrssystem, das zum einen die Mobilität aller Menschen flächendeckend und umweltverträglich gewährleistet und zum anderen dem Wirtschaftsstandort Deutschland gerecht wird. Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass infrastrukturelles Wunschdenken und die harte haushaltspolitische Realität endlich wieder deckungs- gleich sind. Im Gegensatz zu unseren abgewählten Vor- gängern haben wir uns zum Ziel gesetzt, nur das zu ver- sprechen, was wir auch halten können. Das Verkehrssystem Schiff/Wasserstraße ist in vielen Fällen besonders geeignet, unsere verkehrspolitischen Ziele optimal miteinander zu verbinden. Die Nutzung der Wasserstraßen trägt erheblich zur Sicherung von Stand- ortqualität und Arbeitsplätzen bei. Binnen- und Küsten- schifffahrt sind umweltfreundliche und wirtschaftliche Transportalternativen. Trotz aller Schwierigkeiten liegt die Transportleistung der Binnenschifffahrt derzeit nur ungleich niedriger als die Transportleistung der Eisen- bahnen. Im letzten Jahr transportierte die Binnenschiff- fahrt 228,9 Millionen Tonnen (Verkehrsleistung: 62,6 Mil- liarden Tonnenkilometer), die Eisenbahnen brachten es auf 287,3 Millionen Tonnen (71,4 Milliarden Tonnenkilo- meter). Die Binnenschifffahrt ist keinesfalls nur ein Massen- guttransporteur. Sie ist unter anderem mit dem Container- transport im Seehafen-Hinterlandverkehr in einem Markt- segment tätig, das aufgrund des stark wachsenden Außenhandels und einer Güterstrukturentwicklung in Richtung containerisierbarer Güter auch zukünftig außer- ordentlich gute Zuwachsraten verspricht. Die Binnen- schifffahrt ist trotz aller häufig geäußerten gegenteiligen Meinungen ein innovativer Wirtschaftszweig. Deshalb müssen wir die Wettbewerbschancen der deutschen Bin- nenschifffahrt auch zukünftig fördern und die Arbeits- plätze in diesem Bereich sichern. Ein Baustein dazu ist das Forschungsprogramm der Bundesregierung „Schiffbau und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“, das sowohl der See- wie auch der Bin- nenschifffahrt zugute kommen soll. Das Programm ist mit insgesamt 180 Millionen Mark ausgestattet und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. In der Schiffstechnik zielt das Programm auf die Verbesserung des Produktes Schiff und die Erhöhung der Produktivität der Werften und ihrer Zu- lieferer. 1999 hatten Binnenschiffswerften beispielsweise 27 Binnenschiffe im Wert von 88 Millionen DM bei ihren Auftraggebern abgeliefert. Für die Schifffahrt sollen neue Anstöße zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Wasserwege gegeben werden. Immerhin wird etwa 55 Prozent der in der EU erbrachten Verkehrsleistung von der Binnenschifffahrt auf dem deutschen Wasserstraßen- netz abgewickelt. Das Programm soll dazu beitragen, neue Forschungsmöglichkeiten an unseren Hochschulen zu schaffen und ein enges Forschungsnetzwerk zwischen Werften, Zulieferern, Dienstleistungsunternehmen und der Wissenschaft zu knüpfen. Vor der Sommerpause haben wir einen Gesetzentwurf zur Errichtung eines Deutschen Binnenschifffahrtsfonds zur weiteren parlamentarischen Abstimmung auf den Weg gebracht. Die Mittel des Fonds können nach EU-Maßgabe zur Förderung der Binnenschifffahrt und, im Falle einer schweren Marktstörung, für Abwrackmaßnahmen ver- wendet werden. Der Fonds soll aus den Restmitteln der bis zum 28. April 1999 durchgeführten Strukturbereini- gungsmaßnahmen und den aufgelaufenen Sonderbeiträ- gen gespeist werden. Hinzu kommen Zinseinnahmen aus der Verwaltung der Finanzmittel. Für die nationale Ver- wendung der Zinseinnahmen sollen zusammen mit den Verbänden Vorschläge erarbeitet werden. Nach einer Ver- ordnung des EU-Rates vom 29. März 1999 über kapa- zitätsbezogene Maßnahmen für die Binnenschifffahrts- flotten der Gemeinschaft und zur Förderung des Binnenschiffsverkehrs ist jeder EU-Mitgliedstaat ver- pflichtet, einen Binnenschifffahrtsfonds zu errichten. Bis zur Errichtung des Binnenschifffahrtsfonds können die nationalen Abwrackfonds beibehalten werden und deren Aufgaben wahrnehmen. Der Fonds soll, wie bereits der nationale Abwrackfonds, von der Wasser- und Schiff- fahrtsverwaltung West in Münster verwaltet werden. Seit 1999 stehen zudem 3 Millionen DM jährlich zur Ausbildungsförderung in der Binnenschifffahrt bereit. Damit kann die Nachwuchssituation in der deutschen Binnenschifffahrt maßgeblich verbessert werden. Derzeit wird in der deutschen Binnenschifffahrt aufgrund der Er- tragssituation nur in sehr geringem Umfang ausgebildet. Die Folge ist bereits heute ein Mangel an fachlich gut qua- lifizierten deutschen Binnenschiffern. Durch die Ausbil- dungsbeihilfen schafft der Verkehrsminister nun eine wichtige Voraussetzung, diesen Mangel zu beseitigen und die Binnenschifffahrt als kostengünstigen und umwelt- freundlichen Verkehrsträger stärker in ein integriertes Ge- samtverkehrssystem einzubinden. Ausbildungsbeihilfen werden für die Ausbildung von Schiffsjungen als nicht rückzahlbare Zuschüsse gewährt. Die Ausbildungsbei- hilfe für den einzelnen Auszubildenden darf dabei 50 Pro- zent der gesamten Ausbildungskosten, höchstens jedoch 50 000 DM für die Dauer der gesamten dreijährigen Aus- bildungszeit zum Binnenschiffer nicht überschreiten. Eine wettbewerbsfähige Binnenschifffahrt setzt eine wirtschaftlich leistungsfähige Infrastruktur voraus. Der Ausbau des Wasserstraßennetzes ist daher eine verkehrs- politisch vordringliche Aufgabe, insbesondere da die öst- lichen und südöstlichen Verkehrsverbindungen zu unse- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012910 (C) (D) (A) (B) ren neuen EU-Beitrittsländern erhebliche Schwachstellen aufweisen. Wasserstraßeninvestitionen kommen nicht nur Schifffahrt und Häfen zugute, sondern entlasten auch Straße und Schiene. Die Bundesregierung hat zurzeit für die künftigen Investitionen in die Infrastruktur von Straße, Schiene und Wasserstraße drei Programme vorge- sehen. Bis zur Überarbeitung des BVWP hat die Bundes- regierung als ersten wichtigen Schritt im November 1999 das „Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundes- verkehrswege 1999 bis 2002“ verabschiedet, in dem das Verhältnis zwischen notwendigen Baumaßnahmen und fi- nanzieller Machbarkeit wieder auf den Boden der Realität gestellt wird. Das IP stellt in dem Zeitraum von 1999 bis 2002 insgesamt 67,4 Milliarden DM für Investitionen in die Verkehrswege zur Verfügung. Alle laufenden Wasser- straßenausbauprojekte sind im Investitionsprogramm ent- halten. Zum Anti-Stau-Programm. Als weitere konsequente Maßnahme zur „Vermeidung des Verkehrsinfarkts“ wer- den vom Bund zusätzliche 7,4 Milliarden DM zur Besei- tigung von Engpässen im Autobahnnetz, im Schienenwe- genetz und im Netz der Bundeswasserstraßen zur Verfügung gestellt. Mit dem Anti-Stau-Programm mobili- sieren wir Mittel, die ab 2003 zusätzlich zum normalen In- vestitionsprogramm in die Verkehrsinfrastruktur gesteckt werden können. Aus diesem Programm sind für die Was- serstraßen 900 Millionen DM vorgesehen. Zudem arbeiten wir an einer neuen Fassung des Bun- desverkehrswegeplans. Der noch gültige BVWP hat dazu geführt, dass in vielen Bereichen Hoffnungen auf eine schnelle Planung und Baudurchführung geschürt wurden, ohne sie auch nur im geringsten einhalten zu können. Un- ser Ziel ist eine integrierte Planung, die erstmals Bau- maßnahmen bei Straße, Schiene und Wasserstraße aufei- nander abstimmt. Ich denke, dass wir im neuen BVWP und vor allem mit einem damit verbundenen Wasser- straßenausbaugesetz klare Akzente und Entwicklungsper- spektiven für die Binnenschifffahrt setzen können. Wir wissen aber auch alle, dass Wasserwege sensibel auf Eingriffe reagieren und daher sorgfältige und ausge- wogene Planungen Voraussetzung für eine Realisierung sind. Dies erfordert natürlich auch entsprechende Zeit. Eine Zusammenarbeit mit den Umweltschutzverbänden ist für uns selbstverständlich, auch wenn diese nicht im- mer einfach ist. Gemeinsam erarbeitete Lösungen sind aber besser als spätere Klagen. Dennoch muss Politik auch den Mut haben, nach Abwägung auch gegen Ver- bände zu entscheiden. Die beschränkten Finanzressourcen werden bei der Prioritätensetzung eine noch wichtigere Rolle als in der Vergangenheit spielen. Dies gilt besonders für Projektlis- ten mit Projekten hoher und niedriger Rentabilität. So wird es auch auf das Augenmaß ankommen, Ausbauziele nicht so hoch anzusetzen, dass die hieraus resultierenden Kostensprünge die Rentabilität nicht in Unrentabilität verkehren. Das Koalitionsziel eines integrierten Verkehrssystems unter dem Leitmotiv Steigerung der Effizienz und der Umweltverträglichkeit werden wir konsequent anstreben und umsetzen. Wir bemühen uns, den engen Investitions- spielraum zugunsten der deutschen Binnenschifffahrt und der Wasserstraßen zu nutzen. Das macht der Verkehrs- haushalt für dieses Jahr deutlich. Bei den Bundeswasser- straßen liegt der Etatansatz für Investitionen bei rund 1,3 Milliarden DM. Für eine erfolgreiche Umsetzung von Verlagerungs- konzepten auf den Wasserweg ist die Rolle der Häfen als Schnittstellen von entscheidender Wichtigkeit. Die Opti- mierung dieser Schnittstellen ist deshalb ebenfalls eine sehr wichtige Aufgabe. Vor allem gilt es, durch Investi- tionen in die Infrastruktur (zum Beispiel Optimierung ei- nes Netzes von „nassen Terminals“) die Leistungsfähig- keit der Häfen zu steigern. Die Binnenhäfen sind die Schnittstellen in multimodalen Transportketten schlecht- hin, die eine effiziente Verknüpfung der Verkehrsträger Wasserstraße, Schiene und Straße erst ermöglichen. Sie sind bedeutende Umschlagplätze des kombinierten Ver- kehrs und bieten attraktive Möglichkeiten zur stärkeren Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsträger. Binnenhä- fen sind Instrumente der Verkehrs-, der Standort- und Be- schäftigungs- sowie der Strukturpolitik. Die fast 100 öf- fentlichen Binnenhäfen in Deutschland sind nach meiner Wahrnehmung schon längst keine reinen „Wasserbahn- höfe“ mehr, sondern sind Wirtschaftsstandorte, an denen Logistik für Europa erbracht wird. Die Einbindung von Binnenhäfen als Knotenpunkte in die deutsche und euro- päische Güterverkehrsplanung ist daher unerlässlich. Jede Tonne, die statt auf der Straße auf Schiene und Wasser- straße transportiert wird, ist auch ein Beitrag zur Engpass- beseitigung auf unseren Straßen. In Zusammenarbeit mit den Ländern versuchen wir, die logistischen Schnittstellenfunktionen der Binnen- und auch Seehäfen zu optimieren, um zum einen die hohen Ka- pazitätsreserven der Binnenschifffahrt, die mir besonders am Herzen liegt, zu aktivieren und zum anderen die Schiene wieder attraktiver zu machen. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. Einerseits müssen wir über die Investitionspolitik die Hinterlandanbindungen zu den Häfen attraktiver machen und andererseits über die Ord- nungspolitik zu einer wesentlich erhöhten Bereitschaft bei Verladern und Spediteuren beitragen, den Wasserweg und die Schiene als Transportalternative gegenüber der Straße zu wählen. Der KV spielt deshalb in unseren Überlegun- gen eine bedeutende Rolle. Das wird durch die Projekt- gruppe der SPD-Bundestagsfraktion „Zukunftsperspekti- ven des kombinierten Verkehrs“ deutlich, die in Kürze Eckpunkte für eine intelligente und zielführende Vernet- zung der Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße vorlegen wird. Ein erster großer Erfolg ist die Aufstockung der KV-Mittel für Dritte auf 120 Millionen DM. Sie kom- men auch der Binnenschifffahrt zugute, die gerade in die- sem Marktsegment hohe Wachstumsraten aufweisen kann. Wir sind überzeugt, dass der kombinierte Verkehr (KV) bei der Bewältigung des zukünftigen Güterver- kehrsaufkommens durch die Optimierung der Rahmenbe- dingungen und den zielgerichteten Einsatz eine wichtige Entlastungsfunktion übernehmen kann. Die Treffsicher- heit der KV-Förderung muss allerdings erhöht werden. Die KV-Förderung für Dritte ist im Sinne eines integrier- ten Verkehrssystems für die Verkehrsträger Straße, Schiene, Wasserstraße zu stärken. Die dafür vorgesehene Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12911 (C) (D) (A) (B) Richtlinie zur Förderung Dritter im KVwird überarbeitet. In diesem Zusammenhang sollte man zumindest ein paar Gedanken daran verschwenden, ob die Förderung des DB-KV nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz nicht auch angezapft werden kann. Der Bau und Einsatz innovativer Umschlagtechnolo- gien muss gefördert werden. Zu den systembedingten Hemmnissen des KV gehören die Umschlagterminals als Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern. Deshalb müssen innovative, Kosten senkende Umschlaganlagen, die neben dem Ganzzug neue Produktionsformen für neue Transportmärkte ermöglichen, hinsichtlich ihrer Realisie- rung unterstützt werden. Noch einige Worte zur so genannten Pällmann-Kom- mission: Die angestrebte Umstellung der zeitbezogenen auf eine streckenbezogene Gebühr für schwere LKW auf Bundesautobahnen ist eine wichtige Weichenstellung zur verursachergerechten Anlastung der Preise. Eine neue Abgabe für die Wasserstraßen wird es mit dieser Bundes- regierung auch in Zukunft nicht geben. Genauso wenig wie eine PKW-Maut. Bei all unseren Überlegungen steht für mich an erster Stelle, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene und Wasserstraße zu verlagern. Jede Tonne, die statt auf der Straße auf Schiene und Wasserstraße transportiert wird, ist schließlich auch ein Beitrag zur Engpassbeseitigung auf unseren Straßen! Wesentlich stärker als bisher müssen wir bei unseren Entscheidungen die europäische Ebene und die Frage der EU-Osterweiterung berücksichtigen. Denn nur was wir heute auf den Weg bringen, hilft uns morgen, den Ver- kehrsinfarkt zu vermeiden. Wir wollen Mobilität gestal- ten, statt Staus verwalten. Renate Blank (CDU/CSU): Die deutschen Binnen- wasserstraßen zählen zu den bedeutendsten Güterver- kehrswegen in Europa und sind unverzichtbare Lebens- adern des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Die wirtschaftliche Lage der deutschen Binnenschifffahrt steht aber leider in krassem Gegensatz zu den Zukunfts- chancen, die ihr als umweltfreundlichem und sicherem Verkehrsträger mit erheblich freien Kapazitäten einge- räumt werden. Ohne ein gut ausgebautes, leistungsfähiges Wasser- straßennetz, das die großen Seehäfen mit ihrem Hinter- land und die bedeutendsten Industriezentren miteinander verbindet, werden die Verkehrszuwächse der vor uns lie- genden Jahre im Rahmen eines Gesamtverkehrssystems jedoch nicht zu bewältigen sein. Es muss daher alles ge- tan werden, um in einer ökologisch vertretbaren Weise die Binnenwasserstraßen auszubauen, damit der Wirtschafts- standort Deutschland, aber auch die deutsche Binnen- schifffahrt gestärkt werden können. Extrem wichtig ist eine ganzjährige Befahrbarkeit der Wasserstraßen, damit die Binnenschifffahrt mittels moderner Datenerfassung Logistiksysteme aufbauen und neue Frachtpotenziale er- schließen kann. Die Regierungskoalition reagiert leider nicht auf diese Fakten, von einem Konzept ganz zu schweigen. Der Was- serstraßenausbau wird bei allen bisher begonnenen Pro- jekten zeitlich gestreckt. Neue wichtige Maßnahmen wer- den nicht begonnen. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Ich denke hier insbesondere an das VDE-Projekt Nr. 17 und den Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen. Der Ausbau der Donau mit ganzjähriger Befahrbarkeit ist im Hinblick auf die positive Situation im ehemaligen Jugoslawien und die sich daraus ergebenden Verkehrs- ströme nach Südosteuropa von Bedeutung. In diesen Län- dern muss auf das System Wasser gesetzt werden; denn die dortigen Straßen sind weniger leistungsfähig. Aussagen und politisches Handeln stimmen bei Rot- Grün leider nicht überein. Wohlwollenden Erklärungen zu diesem umweltfreundlichen Verkehrsträger und dessen Bedeutung für die künftige Abwicklung des Verkehrs- wachstums stehen harte Fakten gegenüber: Investitionen in die Infrastruktur werden verringert und ihre Nutzung zugleich verteuert. Wenn man den in der vergangenen Woche vorgelegten Verkehrsbericht 2000 liest, wird klar, dass die Binnenschifffahrt nicht gerade zu den Lieblings- kindern rot-grüner Verkehrspolitik gehört; denn nur we- nige Zeilen handeln vom Verkehrsträger Schifffahrt. Dadurch ist mir auch klar geworden, allerdings ohne jeg- liches Verständnis für Ihr Nichthandeln, warum Sie unse- rer maßvollen Erhöhung von 100 Millionen DM für In- vestitionen im Wasserstraßenhaushalt nicht zugestimmt haben. Sie wollten doch alles besser machen. Aber wahr- scheinlich hat hier der Kanzler – der Verkehrsminister hatte so und so nicht viel zu sagen – Nein und damit „Basta“ gesagt. Herr Kollege Bodewig, auf Sie warten nun große Aufgaben. Der massive Rückgang der Zahlen der deutschen Bin- nenschifffahrtsunternehmen in den letzten Jahren auf un- ter 1 000 Unternehmen und die Existenzschwierigkeiten bei vielen bestehenden Partikulieren müssen uns doch alle aufrütteln. Wenn nun die Pällmann-Kommission vor- schlägt, Schifffahrtsabgaben auf Rhein, Donau und Elbe einzuführen, und gleichzeitig die Bundesregierung Pläne zur Aufhebung der Mineralölsteuerbefreiung in der Bin- nenschifffahrt verfolgt, was unabhängig von völkerrecht- lich bindenden Verträgen enorme Kostensteigerungen auslösen würde, während in anderen europäischen Län- dern kräftige Subventionen fließen, dann treibt Rot-Grün die deutsche Binnenschifffahrt in den Ruin. Zum Beispiel erhält das niederländische Binnenschiff- fahrtsgewerbe als Kompensation für die gestiegenen Gasölpreise 30 Millionen Gulden zum Kauf schadstoff- und verbrauchsarmer Schiffsmotoren. Unabhängig von den 30 Millionen Gulden wird der Verkehr über Wasser- straßen mit jährlich rund 162 Millionen Gulden subven- tioniert. Auch Frankreich unterstützt das nationale Ge- werbe kräftig. Zum einen wird der Kauf neuer Schiffsmotoren subventioniert und ergänzt das Subven- tionsprogramm zur Modernisierung der Flotte und zum anderen gibt es direkte finanzielle Entlastungen wegen der gestiegenen Gasölpreise. Ferner gibt es eine Rege- lung, dass gezahlte Kanal- und Wasserstraßenabgaben an die Schifffahrt zurückgezahlt werden. Zusätzlich wurde die Befahrgebühr – Surpéage – für den Canal du Nord ge- strichen. Weitere Konsequenzen, sprich Subventionen sollen folgen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012912 (C) (D) (A) (B) Was machte der deutsche Verkehrsminister? Nichts! Ich bin gespannt, was der neue Verkehrsminister zuwege bringt. Angesichts der großen Probleme – die enormen Preissteigerungen beim Gasöl kann kein Partikulierbe- trieb verkraften – muss er für das deutsche Gewerbe tätig werden. Herr Bodewig, ich fordere Sie auf, umgehend zu handeln. Ich möchte an dieser Stelle allen Partikulieren und ihren Familien danken, dass sie mit großem finanziellen Risiko trotzdem durchhalten und nicht aufgeben. Es ist für mich geradezu makaber, dass ausgerechnet der Verkehrs- träger Binnenschifffahrt, der nachweislich den geringsten Energieverbrauch hat und mit seinen vorhandenen freien Kapazitäten die Straßen nachhaltig entlasten könnte, von der Bundesregierung im Stich gelassen wird. Um dem EU-Binnenmarkt und der zunehmenden Ver- flechtung zwischen nationalen und internationalen Märk- ten gerecht zu werden, muss auch für die Binnenschiff- fahrt eine europäische Marktordnung mit harmonisierten Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Dies muss eine Kernaufgabe der europäischen Verkehrspolitik sein. Neben den ungleichen Wettbewerbsbedingungen auf EU- Ebene erschweren Unternehmen aus den mittel- und ost- europäischen Staaten mit nicht vergleichbaren Lohnni- veaus die Situation zusätzlich. Alle Verantwortlichen sollten den Ernst der Situation erkennen und handeln. Nur mit leistungsfähigen Unter- nehmen wird es möglich sein, die wachsenden Verkehrs- ströme zu bewältigen. Wer jetzt die Augen vor drohenden Existenzvernichtungen verschließt, fügt nicht nur der Binnenschifffahrt, sondern auch unserer gesamten Volks- wirtschaft großen Schaden zu. Es ist daher dringend ge- boten, für die deutsche Binnenschifffahrt ein zukunftsorien- tiertes Gesamtkonzept zu entwickeln, auch im Hinblick auf die EU-Ost-Erweiterung; denn hier wird es zuneh- mend Schwierigkeiten geben. Außerdem ist dem Bundes- tag jährlich ein Bericht zur Lage des Binnenschifffahrts- gewerbes vorzulegen. Wenn nicht gehandelt wird, gibt es bald kein Binnen- schiff unter deutscher Flagge mehr! Ich hoffe, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, unserem Antrag im Interesse der deutschen Binnenschiff- fahrt zustimmen. Ich erwarte, dass der neue Minister un- sere Forderungen umsetzt. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Sicherung und Erhaltung der Wettbewerbs- fähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt ist dieser Bun- desregierung tatsächlich ein zentrales Anliegen. Dies ist bereits in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen. Zur Umsetzung der ökonomischen und ökologischen Ziele sollen Voraussetzungen für die Verlagerung möglichst ho- her Verkehrsanteile auf Schiene und Wasserstraßen ge- troffen werden – wir wollen die Harmonisierungsdefizite im europäischen Wettbewerb so beseitigen, dass die Marktposition insbesondere der Binnenschifffahrt ge- stärkt wird. Wir freuen uns, dass wir hier Ihre Unterstüt- zung haben. Meine Fraktion kann Ihrem Antrag dennoch nicht zu- stimmen. Das hat auch gravierende Gründe: Die Umset- zung von einigen Ihrer Vorschläge erfordert erhebliche Mehrausgaben. Ziel dieser Bundesregierung ist aber auch die Konsolidierung der von Ihnen übernommenen Bun- desfinanzen. Dennoch wird neben den notwendigen Er- satzinvestitionen auch der Ausbau im Rahmen des Mach- baren und der Haushaltslage fortgesetzt. Wir sind aber auch dabei den Bundesverkehrswegeplan zu überarbei- ten, um eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger und Verlagerungspotenziale zu berücksichtigen. Sie wissen selbst, dass der alte Verkehrswegeplan nie finanzierbar war und Sie haben ihn doch nur als Märchenbuch zur all- gemeinen Beruhigung gepflegt. Wir wollen ihn der Rea- lität anpassen. Eine Reihe von Baumaßnahmen haben wir denn auch in den Haushalt 2001 eingestellt. Aber auch anderes steht entgegen – und das wissen Sie auch: An der Donau sind die mit der Bayerischen Staats- regierung vereinbarten Gutachten über die Art des Aus- baus noch nicht abgeschlossen und so lange kann die Pla- nung nicht weitergeführt werden. Und ich fürchte, die Bayerische Staatsregierung hat sich hier mit der Nichtausweisung des Bereichs der lsar- mündung als FFH-Gebiet – obwohl unstrittig alle Voraus- setzungen hierfür vorgelegen hätten – selbst ein Bein ge- stellt. Die Begründung: FFH-Gebiete dürften nur dort ausgewiesen werden, wo Infrastrukturmaßnahmen und Ähnliches nicht beeinträchtigt werden. Dem steht ein neu- es Urteil des EuGH diametral entgegen, und ich fürchte, hier wird der Binnenschifffahrt von der CSU-geführten Bayerischen Staatsregierung ein Bein gestellt. Ich bedauere, dass ich wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit nicht auf alle Punkte ein- gehen kann. Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen hat der Bundesverkehrsminister bereits Ende 1998 im Bericht vor dem Verkehrsausschuss angekündigt, und daran wird gearbeitet. Seit 1999 werden im Einzelplan 123 Millio- nenDM für die Ausbildungsförderung in der Binnen- schifffahrt bereitgestellt. Für die Kooperation der Verkehrs- träger wird der KV-Leertitel 2001 auf 120 MillionenDM erhöht. Ein Konzept für eine gesamteuropäische Binnen- schiffpolitik ist zu begrüßen, fällt aber vorrangig in die Zu- ständigkeit der EU-Gremien bzw. internationaler Strom- kommissionen. Für die Wiederbefahrbarmachung der Donau im jugoslawischen Abschnitt hat auch die Bundes- regierung Geld zur Verfügung gestellt, wichtig deshalb, weil im Verkehr mit den südosteuropäischen Staaten die Donau den wohl wichtigsten Verkehrsweg darstellt. Ich meine, die Verkehrspolitik der Bundesregierung ist, was die Binnenschifffahrt betrifft, auf dem richtigen Weg. Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Endlich haben wir hier Gelegenheit, die Rolle der Binnenschifffahrt im Verkehrsgeschehen ins Zentrum unserer gemeinsamen Überlegungen zu rücken. Eigentlich unverständlich, dass die Binnenschifffahrt, der Verkehrsweg Wasser, das Meer insgesamt und unsere maritimen Chancen häufig eine so untergeordnete Rolle spielen. Dabei liegen die Vorteile der Binnenschifffahrt als umweltfreundlicher, sicherer und Energie sparender Transportweg auf der Hand. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12913 (C) (D) (A) (B) Gerade Binnenschiffe weisen nur eine geringe Lärm- und Schadstoffemission auf, der spezifische Energiever- brauch liegt um das 20fache unter dem der LKWs und deutlich unter dem der Bahn. Bei den Umweltkosten nimmt die Binnenschifffahrt mit 0,35 DM je tausend Ton- nenkilometer im Vergleich zu ihren Wettbewerbern eine unangefochtene Spitzenposition ein (Bahn 1,15 DM, Straßengüterverkehr 5,01 DM). Es gibt keine Verkehrsbe- schränkungen an Feiertagen, auch ein 24-Stunden-Rhyth- mus am Tag ist möglich. Das weitmaschige Netz der Was- serstraßen verbindet alle bedeutenden Industriestandorte und Wirtschaftsregionen Deutschlands untereinander so- wie mit den großen Häfen an der Nord- und Ostseeküste. Allein 56 von 74 deutschen Großstädten weisen einen Wasserstraßenanschluss auf. Erstmals verbindet eine Großschifffahrtsstraße die Nordsee mit dem Schwarzen Meer auf einer Gesamtlänge von circa 3 600 km. Damit werden 15 europäische Staaten durch ein Wasserstraßen- netz miteinander verbunden. Vor diesem Hintergrund müsste das Bild der Binnen- schifffahrt eigentlich in hellen Farben erstrahlen, jedoch sieht die Realität anders aus. Die Binnenschifffahrt be- findet sich gegenwärtig in einer besonders schweren Si- tuation, denn die Ertragslage ist absolut unzureichend. In dieser Situation fühlt sich die Binnenschifffahrt durch die Verkehrspolitik der Bundesregierung im Stich gelassen. Mit Erstaunen und Verärgerung hat die Binnenschifffahrt zur Kenntnis nehmen müssen, dass Investitionsleistungen des Bundes ganz überwiegend der Straße oder der Bahn zugesprochen werden, während der Ausbau der Binnen- wasserstraßen vernachlässigt wird! Es ist scharf zu kritisieren, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien dem Verkehrsträger Wasser- weg so wenig Bedeutung beimessen. Der Ausbau eines Binnenwasserstraßennetzes hat bei der Bundesregierung keine Bedeutung. In einer gemeinsamen Resolution der Binnenschifffahrtsvereine sind die Forderungen klar be- nannt. Der Ausbau der Elbe, der Weser, der Saale, des Elbe-Lübeck-Kanals und gerade der Donau ist zwingend notwendig, auch um ein Netzwerk zu den östlichen Nach- barn zu schaffen. Wenn wir die Engpässe nicht beseitigen, wenn wir die Brücken nicht erhöhen, um Containertrans- porte zu ermöglichen, wenn die Schnittstellen zum euro- päischen Wasserstraßensystem nicht hergestellt werden, wenn die Kooperation nicht mit anderen Verkehrsträgern vorangetrieben wird, dann wird die Binnenschifffahrt aus ihrem nicht selbst verschuldeten Randdasein als Ver- kehrsträger nicht herauskommen. SPD und Grüne betreiben gegenüber dem Verkehrsträ- ger Wasserstraße und unseren Binnenschiffern eine Poli- tik der Geringschätzung, die beleidigend ist. Dabei sind die Anstrengungen der deutschen Binnenschifffahrt, sich selbst in eine gute Ertragssituation hineinzuarbeiten, au- ßerordentlich groß. Aber eine Fülle von Engpässen im Be- reich der Binnenwasserstraßen mit kostensteigernden Umlademöglichkeiten lässt die Kosten für deutsche Bin- nenschiffe anschwellen und sie den Vergleich mit den an- deren Verkehrsträgern verlieren. Neben dramatischen Netzdefiziten im deutschen Bin- nenwasserstraßennetz werden deutsche Binnenschiffer gegenüber europäischen Bewerbern sehr stark benach- teiligt. Gerade gegenüber dem starken Mitbewerber, den niederländischen Binnenschiffern, gibt es eine solche Fül- le von Wettbewerbsnachteilen, dass die deutschen Bin- nenschiffer wegen fehlender Harmonisierung der Kosten für das Betreiben eines Binnenschiffes hoffnungslos un- terlegen sind. Deshalb: Die deutsche Bundesregierung muss mehr für die Binnenschifffahrt tun. Sie muss Signale aussenden, sie muss endlich ausreichende Mittel für die Binnenschiff- fahrt bereitstellen. Und sie muss für die Schifffahrt ins- gesamt Weichen stellen. An der deutschen Küste kann ein Großcontainerhafen entstehen. Die Bundesregierung, wir alle müssen klar sagen, dass wir die Chancen des Küs- tenlandes Deutschland zukunftsorientiert nutzen wollen. Ein Tiefwasserhafen für Großcontainerschiffe an der deutschen Bucht ist das richtige, aber auch notwendige Si- gnal. Ja, wir wollen an der Verkehrsentwicklung der Zu- kunft teilnehmen. Wer Ja zum Großcontainerhafen an der deutschen Nordseeküste sagt, der muss auch Ja zur guten Hinterlandanbindung sagen, der muss Weichenstellun- gen vornehmen und Entwicklungsakzente setzen. So ist zum Beispiel ein Tiefseewasserhafen für Großcontainer- schiffe möglicherweise in Wilhelmshaven ohne ein Ja zum Jade-Weser-Kanal nicht vorstellbar. Die Bundesregierung muss sich darüber im Klaren sein – und wir müssen sie dazu ermutigen –, dass die deutsche Binnenschifffahrt nur dann ihren gerechten Marktanteil sich erkämpfen kann, wenn Zukunftswei- chen, verbunden mit Zukunftsinvestitionen, konsequent Bestandteile unserer jeweiligen Haushalte sind. Im vor- liegenden Antrag der F.D.P. werden wichtige Forderun- gen erhoben, die bei einer möglichst zügigen Realisierung ganz entschieden dazu beitragen werden, dass die deut- sche Binnenschifffahrt in einem gut ausgebauten Binnen- wasserstraßennetz und bei fairen Wettbewerbsbedingun- gen beste Zukunftschancen hat. Der Satz „Navigare necesse est“ – Schifffahrt tut not – ist hoch aktuell. Dr. Winfried Wolf (PDS): Die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. verlangen eine verstärkte Förderung der Bin- nenschifffahrt. Unter anderem wird eingeklagt: eine „Ver- lagerung von Transporten auf die Wasserstraßen“ – so der Antrag von CDU/CSU –, ein „nationaler Aktionsplan für die Binnenwasserstraßen“ – so der F.D.P.-Antrag. Diese Bekenntnisse zur christlich-liberalen Binnenschifffahrt sind grundsätzlich zu begrüßen. Dabei verwundert aller- dings der christliche-liberale Aktivismus. Tatsächlich nehmen die Transporte der Binnenschiff- fahrt seit 1982 in Westdeutschland und seit 1991 in Ge- samtdeutschland ab, schrumpfte die Zahl der Unterneh- men seit 1994 und bis 1999 um ein Drittel und ging die Zahl der Beschäftigten dramatisch zurück: 1982 waren dies – beim fahrenden Personal – 10 340 und 1998 6 475 Menschen. Ähnlich die Bilanz bei den Anteilen an der Verkehrsleistung: 1982 hatte die Binnenschifffahrt einen Anteilen am Güterverkehrsmarkt von 21 Prozent, 1998 waren es noch 13,7. Da bleibt die Gretchenfrage: Wer stellte in all den Jahren Regierung und Verkehrsminister? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012914 (C) (D) (A) (B) Wer heute über den Zustand der Binnenschifffahrt klagt, der sollte sagen: Der Trend, wie wir ihn unter CDU/CSU und F.D.P. bis 1998 erlebten, hält an. Die Binnenschiff- fahrt ist in fast allen Bereichen rückläufig. Hier ist es sinnvoll, sich fünf Strukturelemente und Grundtendenzen der Binnenschifffahrt vor Augen zu hal- ten: Erstens. Von allen Verkehrsträgern deckt die Binnen- schifffahrt die Wegekosten am wenigsten. Allerdings ist diese Transportart besonders umweltfreundlich und sie weist wenig „externe Kosten“ auf. Zweitens. Auch imma- nent ist die Struktur dieses Gewerbes betriebswirtschaftlich nicht allzu überzeugend. So hatten wir 1998 das folgende Verhältnis bei den Beschäftigten: Es gab 12700 Beschäf- tigte für Betreuung von Wasserstraßen und Häfen, 5021 Be- schäftigte zusätzlich in der Verwaltung und 7 635 Erwerb- stätige auf den Binnenschiffen selbst. Ein solches Verhältnis gibt es bei keinem anderen Verkehrsträger: Von 25000 Beschäftigten sind weniger als ein Drittel auf den Verkehrsmitteln, den Binnenschiffen, beschäftigt. Drittens. Der beschriebene Rückgang der Zahl der Be- schäftigten findet dann auch primär beim fahrenden Per- sonal statt. Die entscheidende Tendenz, die dabei diesen Abbau der Beschäftigtenzahl und den Bankrott der Bin- nenschiffer – der Partikuliere – bewirkt, ist in der Tatsa- che zu sehen, dass es immer größere Schiffe und immer größere Unternehmen bzw. einen Bankrott der Partiku- liere gibt. Viertens. Das wiederum hängt eng mit dem Ausbau der Wasserwege zusammen: Die Schifffahrtswege werden für immer größere Schiffe ausgebaut, es gibt immer tiefere Kanäle, immer größere, also breitere und längere Schleu- sen. Das heißt aber auch, es gibt immer „tiefere“ Ein- schnitte in Landschaft und Natur. Fünftens. Die Binnenschifffahrt steht in erster Linie in Konkurrenz zur Schiene. Besser gesagt: Sie wird in diese Konkurrenzsituation gebracht, unter anderem dadurch, dass Schiene und Binnenschiffe um die so genannten Massengüter konkurrieren und die Schiene nicht verstärkt eingesetzt wird, um teure Fertig- und Halbfertigprodukte zu transportieren, womit sie dem Binnenschiff Kapazität überlassen und umgekehrt dem LKWTonnage abnehmen würde. An dieser Stelle ist auf die Anträge zurückzukommen: Diese Anträge dokumentieren wenig Einsicht in die ei- gene falsche Politik im Zeitraum 1982 bis 1998. Noch mehr: In diesen Anträgen finden sich Vorschläge, die in den letzten zwei Jahrzehnten realisierte – falsche – Poli- tik fortzusetzen oder gar zu steigern. Gefordert wird ein verstärkter Ausbau der Wasserwege, tiefere Schifffahrts- wege, die Beseitigung von „Nadelöhren“ usw. Und nir- gendwo wird konkret gesagt, von was denn zur Binnen- schifffahrt verlagert werden soll. Unter den gegebenen Bedingungen heißt dies, die Konkurrenz Schiene-Bin- nenschiff zu steigern. Hier gibt es im Übrigen kaum einen Unterschied zur Politik der SPD-Grünen-Regierung. Staatssekretär Scheffler zum Beispiel sieht im Ausbau der Wasser- straßen „eine verkehrspolitisch vordringliche Aufgabe“. Dabei erleben wir gerade in den Binnenschifffahrtsberei- chen, die ausgebaut werden, wie zum Beispiel im Verlauf des Projektes 17 zum Teil dramatische Rückgänge der Tonnage. Als Beispiel sei die Schleuse Kleinmachnow ge- nannt: Hier hatten wir allein 1999 gegenüber 1998 ein Minus von 15 Prozent. Dennoch wird diese Schleuse aus- gebaut für Großmotorschiffe von 110 Meter Länge. Da- von gibt es in ganz Deutschland gerade mal 11 Schiffe. Der Fachreferent Winfried Lücking vom BUND äußerte hierzu: „Für diese elf Schiffe werden 5 Milliarden DM ausgegeben. Das ist volkswirtschaftlicher Irrsinn.“ Das Kontrastprogramm der PDS sieht hierzu wie folgt aus: Erstens. Wir sagen grundsätzlich Ja zur Förderung der Binnenschifffahrt. Zweitens. Dabei muss die Tatsache zur Kenntnis ge- nommen werden, dass alle Verkehrsarten ihre Kosten nicht decken und dass dies für die Binnenschifffahrt im besonderem Maß gilt. Daraus folgt: Verkehrsplanung muss gerade im Bereich Güterverkehr nach volkswirt- schaftlichen und nach umweltpolitischen Kriterien erfol- gen. Drittens. Das Binnenschiff muss vor allem Güter von der Straße holen; die Konkurrenz zur Schiene ist eine un- glückliche und umweltpolitisch fatale. Viertens. Die Schiffe müssen den Flüssen angepasst sein – und nicht umgekehrt. Das schützt Natur, spart Geld, erspart Bundeswehreinsätze an der Oder und anderswo und erhält Beschäftigung. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) (Tagesordnungspunkt 12) Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Wir be- raten und verabschieden heute in zweiter und dritter Le- sung das Namensaktiengesetz. Dieses Gesetz, das im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P., also mit großer Mehrheit beschlossen worden ist, hat eine bedeutsame Wirkung für den Finanzplatz und somit auch für die Finanzmärkte in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus. Das Gesetz stärkt die internationale Wettbewerbs- fähigkeit unseres Landes, denn die Namensaktie ist im in- ternationalen Wettbewerb die bedeutsamste Form der Be- teiligung an Unternehmen. Wo liegen die Ursachen für das neue Gesetz? Durch den Wechsel der größten deutschen Publikumsgesell- schaften von der herkömmlichen Inhaber- zur Namensak- tie ist deutlich geworden, dass die Regelungen zur Na- mensaktie im Aktiengesetz veraltet sind. Darüber hinaus ist immer deutlicher geworden, dass die bisherigen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12915 (C) (D) (A) (B) datenschutzrechtlichen Regelungen zum Aktienregister völlig unzureichend sind und das sehr umfassende Recht auf Einsicht in das Aktienregister auf Sorge und Unver- ständnis stößt. Die Veränderungen der Kapitalmarktkultur stehen im Widerspruch zu den bürokratischen Formerfordernissen, die rund um die Hauptversammlungen im deutschen Aktiengesetz bestehen. Außerdem haben sie mit der ra- santen und modernen Entwicklung der Informationstech- nologie nicht Schritt gehalten. Besondere Schwierigkei- ten bestehen daher auch im grenzüberschreitenden Bereich. Der Gesetzentwurf enthält vielfältige Formerleichte- rungen und Rücknahmen bürokratischer und gesetzlicher Erfordernisse, sodass die Unternehmen durchweg von Kosten entlastet werden. Das Ziel, das Recht der Namensaktie zu aktualisieren und den sich aus der Renaissance dieser Aktienform erge- benden Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wird von den Gesellschaften sehr begrüßt. In den Gesprächen der Berichterstatter mit einer Expertenrunde und auch bei persönlichen Gesprächen, die von mir geführt worden sind, wurde das Gesetz durchweg gelobt. In den vergangenen Monaten ist zwischen der Kredit- wirtschaft und den Namensaktiengesellschaften ein Streit darüber entbrannt, wer die Kosten der Übermittlung von Aktionärsdaten zu tragen hat. Beide Seiten konnten sich in langwierigen Verhandlungen leider auf keine einver- nehmliche Lösung einigen. Die deutsche Industrie befürwortet die vom Rechts- ausschuss gefundene Lösung, wonach die Emittenten den Banken „die notwendigen zusätzlichen Kosten“ zu erset- zen haben. Die Emittenten dürfen aber nur insoweit mit zusätzlichen Kosten belastet werden, wie diese in den Kreditinstituten nach dem jeweils neuesten Stand der Technik unmittelbar für die Übermittlung der Aktionärs- daten anfallen. Es bleibt zu hoffen, dass bei der Frage der notwendi- gen zusätzlichen Kosten zwischen den Gesellschaften und den Banken bald eine Einigung erzielt wird. Es wäre sehr schade, wenn der Gesetzgeber zu guter Letzt auf dem Verordnungsweg eine Kostenregelung herbeiführen müsste. Ich setze daher nach wie vor auf eine Einigung unter den Betroffenen. Die Regelungen zur Namensaktie werden insbeson- dere in den §§ 67 und 68 modernisiert. Die in das Aktien- register aufzunehmenden Daten werden neu bestimmt. Die Umschreibung von Aktien im Aktienregister wird eindeutig und datenschutzrechtlich klar geregelt. Insbe- sondere wird das Recht auf Einsicht in das Aktienregister erheblich eingeschränkt und auf die eigenen Daten des je- weiligen Aktionärs begrenzt. Hinsichtlich der Stimmrechtsausübung werden Inha- ber- und Namensaktie weitgehend gleichgestellt. Bei bei- den Aktienformen wird künftig die offene wie auch die verdeckte Stimmrechtsausübung in der Hauptversamm- lung zulässig und eine generelle Vollmacht über alle Aktien im Depot möglich sein. Das Aktienrecht wird für neue Informationstechnolo- gien, die unter anderem Erleichterungen der Stimm- rechtsausübung und der Vollmachtserteilung betreffen, geöffnet. Besonders bedeutsam ist dabei die Zurück- nahme der Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten im Aktiengesetz. Bei der Nachgründung gemäß § 52 des Aktiengesetzes wird der Anwendungsbereich der Norm stark einge- schränkt, sodass eine erhebliche Entlastung in der Praxis und gerade auch bei kleinen Aktiengesellschaften zu erwarten ist. Die Erleichterungen bei den Handelsregisterbekannt- machungen betreffen insbesondere die Bekanntmachung bei den Zweigniederlassungen. Der Rechtsausschuss hat die Frage der Entfristung der Dauervollmachten nach § 135 des Aktiengesetzes erörtert und befürwortet die vorgeschlagene Entfristung aus Gründen der Entbürokratisierung. Der Rechtsausschuss erwartet allerdings, dass sich aufgrund der sich abzeich- nenden technologischen Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Namensaktien, in den nächsten Jahren neue Instrumente der Stimmrechtsausübung eröffnen werden. Diese könnten in einigen Jahren an die Seite der traditio- nellen Stimmrechtsvollmacht zugunsten von Kreditinsti- tuten über das gesamte Depot treten und diese überflüssig machen. Der Rechtsausschuss fordert daher die Bundesregie- rung auf, nach Ablauf von drei Jahren einen Bericht da- rüber vorzulegen, wie die Stimmrechtsausübung in Deutschland sich seither entwickelt hat und ob die erwar- teten Veränderungen eingetreten sind. Abschließend bedanke ich mich sehr herzlich bei der Bundesregierung, ganz besonders beim BMJ, für die gute Vorarbeit und auch für die Begleitung bei den Berichter- stattergesprächen. Herzlichen Dank ebenfalls an Frau Dr. Tiemann und Herrn Funke für die sehr gute Atmo- sphäre bei den Abstimmungsgesprächen der Berichter- statter. Zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich ja schon er- wähnt, dass es für dieses neue Gesetz eine breite Mehrheit gibt. Das ist sehr gut und erzielt gleichzeitig eine entspre- chende positive Außenwirkung. Die Änderungsanträge der F.D.P. mussten wir leider ablehnen, da sie unter anderem noch einer intensiven Überprüfung und weiteren Beratung bedürfen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu der Ihnen vorliegen- den Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses und be- danke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): In der ersten Le- sung des Namensaktiengesetzes habe ich ausgeführt, dass der Entwurf des Namensaktiengesetzes eine bedeutsame Initiative darstellt, weshalb die CDU/CSU dem Gesetz- entwurf grundsätzlich positiv gegenübersteht, aber im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss nachhaltig darauf hinwirken wird, dass einige ihrer Meinung nach notwendige Verbesserungen in den Gesetzentwurf mit aufgenommen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012916 (C) (D) (A) (B) Die Beratungen im Ausschuss waren sehr konstruktiv und meiner Meinung nach auch sehr effektiv und frucht- bar. Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden wir die Namensaktie stärken. Wir werden damit dem internatio- nalen Anpassungsdruck, dem der Finanzplatz Deutsch- land unterliegt, entgegentreten und auf diese Weise unse- ren Finanzplatz international konkurrenzfähiger machen. Die Stärkung der Namensaktie bedeutet dabei nicht, dass wir sie gegenüber der Inhaberaktie bevorzugen würden. Inhalt unserer Bemühungen war und ist es, bestehende Probleme zu beseitigen, damit sowohl Inhaber- als auch Namensaktie „gleichberechtigt“ sind und die Gesell- schaften eine wirkliche Wahl zwischen den beiden Aktientypen haben. Der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich dabei in eine Linie ein, die schon von der vorigen Bundesregierung durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz und nicht zuletzt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, dem KonTraG, vorgegeben wurde. Die ist also eine außerordentlich vorausschauende und weise Politik. Lange Zeit schien für die Deckung von großen Kapital- nachfragen die flexible Inhaberaktie besser geeignet. Inso- fern ist die Namensaktie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland zunehmend von der Inhaberaktie verdrängt worden. Jetzt scheint sich ein Kreis zu schließen. Die Be- deutung der Namensaktie hat nämlich in den letzten Jahren wieder erheblich zugenommen. Der Bedeutungszuwachs für die Namensaktie ist die logische Konsequenz der Tat- sache, dass die Namensaktie als die international gängige Beteiligungsform anzusehen ist. lm Zuge der Globalisie- rung ist die Anteilseignerstruktur bei deutschen Unterneh- men internationaler geworden. Gleichzeitig nahm der Trend zu, Aktien an unterschiedlichen Börsen auf der Welt zu handeln. Da die bisher in Deutschland verbreitete Inha- beraktie in einigen anderen Rechtsordnungen völlig unbe- kannt ist und zum Beispiel eine Notierungsaufnahme an US-amerikanischen Börsen nur mit „registred shares“, der US-amerikanischen Namensaktie, erfolgt, haben auch viele große deutsche Unternehmen zunehmend auf Namensak- tien umgestellt; von den Unternehmen des DAX bereits mehr als ein Drittel. Mit diesen Zahlen wird deutlich, dass auch innerdeutsche Beteiligungen von der Handhabbarkeit der Namensaktie abhängen. Wir müssen für die, die sich international betätigen wol- len, Möglichkeiten hierzu eröffnen und grenzüberschrei- tende Schwierigkeiten auf ein Minimum reduzieren. Eine Reduzierung grenzüberschreitender Schwierigkeiten be- deutet im Fall der Namensaktie, dass die Gesetzeslage auf den Stand des derzeit technisch Möglichen gebracht wird. Die Namensaktie hatte bisher erhebliche Nachteile. Die Gesetzeslage der Namensaktie bot deshalb den Ge- sellschaften bisher nicht den nötigen Anreiz, um auf die Entwicklungen der Globalisierung angemessen reagieren zu können. Ein Hauptgrund für die geringe Akzeptanz der Namensaktie kann darin gesehen werden, dass die Ab- wicklung von Geschäften mit Namensaktien wegen des zu führenden Aktienbuches kompliziert und kosteninten- siv war. Viele Gesellschaften haben deshalb von einer Umstellung auf oder der Einführung von Namensaktien verzichtet, damit aber gleichzeitig ihre Zugangsvoraus- setzungen zu internationalen Börsen erschwert bzw. ihre internationale Attraktivität vermindert. Aufgrund der modernen Computertechnik besteht heute die Möglichkeit, das Aktienbuch elektronisch zu führen, wodurch wesentliche Arbeitserleichterungen und Kosteneinsparungen entstehen. Gleichzeitig bietet das elektronisch geführte Aktienbuch Möglichkeiten, die vor- her in diesem Umfang nicht bestanden haben. Mithilfe der Technologie werden die Gesellschaften in der Lage sein, den Kontakt zu ihren Aktionären intensiver und effektiver zu gestalten. Informationen erreichen schneller und kos- tengünstiger den Aktionär. Durch einen regelmäßigen Kontakt kann auf die persönlichen Präferenzen der ein- zelnen Aktionäre eingegangen werden. Ohne Probleme lassen sich Verkaufs- und Kaufbewegungen verfolgen, wodurch die Gesellschaft informiert ist, in welchen Hän- den sich welche Anteilspakete befinden. Gerade die Be- ziehung zum Aktionär gewinnt im verschärften nationa- len und internationalen Wettbewerb an Bedeutung. Geld investiert sich leichter, wenn Chancen und Risiken der In- vestition richtig abgeschätzt werden können. Die Ent- scheidung der Anleger hängt davon ab, ob Vertrauen in die Unternehmensführung besteht. Dieses Vertrauen kann durch regelmäßige, umfassende und teilweise auch durch individuelle Informationen gewonnen werden. Die Ein- führung des elektronischen Aktienregisters war daher ein notwendiger Schritt. Gleichfalls bestand die Notwendigkeit, zahlreiche an- dere Bestimmungen an die Entwicklungen der Wirt- schaftspraxis anzupassen. Die Veränderung der Anteils- eignerstruktur, die Zunahme der Zahl der Aktionäre und der umlaufenden Aktien haben deutlich aufgezeigt, dass eine Anpassung des Aktienrechts an die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts dringend notwendig ist. Das AktG musste für neue Informationstechnologien geöffnet werden, um die Vorteile des elektronischen Aktienregisters auch rich- tig nutzen zu können und um das Aktienrecht „fit“ für das 21. Jahrhundert zu machen. Dieser Punkt war zwischen den Fraktionen in den Beratungen unstreitig. Zudem kön- nen die Gesellschaften mithilfe der neuen Informations- technologien und der dadurch bedingten Erleichterung und Beschleunigung von Arbeitsvorgängen erhebliche Kosten einsparen und die Mittel für neue Investitionen nutzen. Da es nicht galt, auf halbem Wege stehen zu bleiben, waren die formalen Voraussetzungen des Aktienrechts ei- ner kritischen Überprüfung zu unterziehen. Durch die größere internationale Anteilseignerstruktur entwickelten sich bestehende Schrift und Formerfordernisse vielfach zu „Hemmschuhen“ des Aktienrechts. Notwendig waren somit Überlegungen, Erleichterungen bei der Stimm- rechtsausübung und der Vollmachtserteilung zu erreichen. Trotz aller Notwendigkeiten hat die Fraktion der CDU/CSU hinsichtlich der Erleichterung von Formerfor- dernissen nicht nur unkritischen Optimismus an den Tag gelegt, sondern darauf hingewiesen, dass gerade den Schriftformerfordernissen im Rechtsverkehr unter ande- rem eine wichtige Beweisfunktion zukommt und jede Än- derung gut überlegt und diskutiert werden sollte, da nicht jede Erleichterung von Formerfordernissen oder die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12917 (C) (D) (A) (B) Einführung neuer Informationstechnologien auch unter dem Strich zu einer wirklichen Erleichterung in der Pra- xis und damit zu einem Fortschritt führt. Kritisiert haben wir insbesondere, dass in § 134 AktG-E anfangs keine Verpflichtung zum nachprüfbaren Festhalten der Vollmachtserteilung vorgesehen war. Wir haben dies zu Beginn der Beratungen versucht zu korrigieren, um die Aufnahme einer Verpflichtung, ähnlich der im § 135 II 4 AktG-E, zu erreichen. Die in den Beratungen beschlossene Änderung des § 134 III 3 AktG-E ist daher sehr positiv zu bewerten. Eine mögliche Freistellung von jeder Form hätte zu Missbrauch einladen können. Zwar geht der Gesetzent- wurf bei der Vollmacht an Private weiterhin von der Schriftform als Regel aus, doch stellt er diese Regel zur Disposition der Satzung. Um Rechtsklarheit zu schaffen und um unnötige Probleme gar nicht erst entstehen zu las- sen, ist die Änderung sehr sinnvoll. Aufgabe der Politik ist es, auf neue Entwicklungen adäquate Antworten zu geben. Ich bin der Meinung, dass die Einführung des Aktienregisters und die Öffnung des Aktienrechts für neue Informationstechnologien eine adä- quate Antwort auf die bisherigen Probleme der Namens- aktie sind. Mit diesen Schritten hat die Namensaktie viele Vorteile gegenüber der Inhaberaktie, sodass im Aktien- recht nunmehr zwei gleichwertige Aktientypen zur Verfü- gung stehen. Mit der Stärkung der Namensaktie werden wir für deutsche Gesellschaften den Zugang zu interna- tionalen Börsen handhabbar machen. Die Möglichkeit, Aktien auf bedeutenden Kapitalmärkten einheitlich zu handeln, wird zusätzlich dazu führen, dass deutsche Be- teiligungen für ausländische Investoren interessanter wer- den. Im Einzelnen möchte ich zum vorliegenden Gesetz- entwurf noch Folgendes ausführen: Im Rahmen der Be- ratungen im Rechtsausschuss hat sich gezeigt, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung zu § 67 VZ AktG-E mit dem Inhalt, dass der Aktionär auch Auskunft über Daten verlangen kann, die zu Aktionären gehören, denen mehr als 5 Prozent der Aktien der Gesellschaft gehören, mehrheitlich als nicht notwendig angesehen wurde. § 21 I Wertpapierhandelsgesetz sieht nämlich be- reits entsprechende Mitteilungspflichten vor. Die Fraktion der CDU/CSU hat bereits zu Anfang der Beratungen die Meinung vertreten, dass die Löschung des Veräußeres und die Neueintragung des Erwerbers bzw. des von ihm beauftragten Legitimationsaktionärs begriff- lich getrennt werden sollten. Begründet haben wir dies damit, dass sich beim Erwerb von Namensaktien die neuen Aktionäre oftmals nicht in das Aktienregister ein- tragen lassen bzw. manche Erwerber erst nach einiger Zeit in das Aktienregister eingetragen werden, was zu Irrita- tionen führen kann, da nach § 67 II AktG-E noch der alte Eigentümer als Aktionär der Gesellschaft gilt, das heißt, zu Hauptverhandlungen eingeladen wird und dort mögli- cherweise noch sein Stimmrecht ausübt. Im neuen § 67 III AktG-E wurde diese begriffliche Trennung vorgenom- men, sodass auch in diesem Punkt unser Wunsch erfüllt worden ist. Zu einem sehr umstrittenen Punkt in den Beratungen gehörte sicherlich die Frage, ob im Rahmen des § 67 IV AktG-E die interne Kostenfrage der Datenübermittlung mitentschieden werden sollte. Dies haben wir sehr inten- siv beraten und ein Berichterstattergespräch mit Vertretern des Bundesverbandes deutscher Banken, des Bundesver- bandes der Deutschen Industrie, der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sowie des Bundesbeauftragten für den Datenschutz am 12. Oktober 2000 geführt. Wir haben uns daraufhin dafür entschieden, § 128 VI AktG-E dergestalt zu ändern, dass die Bundesministerien für Wirtschaft und für Finanzen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, dass die Gesellschaften den Kreditinstitu- ten und den Vereinigungen von Aktionären unter anderem die Aufwendungen für die Übermittlung der Angaben gemäß § 67 IVAktG-E zu ersetzen haben. Diese Entscheidung ist aus der Sicht der CDU/CSU richtig. Für die Entscheidung unserer Fraktion war maß- geblich, dass wir eine einseitige Abwälzung der Übermitt- lungskosten durch die Kreditinstitute auf den Aktionär ab- lehnen. Die Kreditinstitute hätten – in diesem Punkt waren wir uns sicher – die Kosten auf den Aktionär umgelegt, wenn eine Erstattung der Kosten von den betreffenden Ge- sellschaften unterblieben wäre. Der Gesetzgeber musste also Stellung beziehen. Die Fraktion der CDU/CSU ist kei- neswegs der Ansicht, dass die Einführung einer Kostener- stattung der Förderung des Finanzplatzes Deutschland kontraproduktiv entgegenwirkt. Des Weiteren sind wir nicht der Ansicht, dass, wie verschiedentlich behauptet wird, die Kosten der Kreditinstitute im Wesentlichen da- durch bedingt sind, dass die Kreditinstitute Investitionen in die EDV unterlassen haben. Ob dies im Einzelfall ge- schehen ist, möchte ich nicht abschließend bewerten. Mei- nes Erachtens kann dies aber auch dahinstehen, da die Übermittlung unstreitig mit Kosten verbunden ist und mo- derne EDV diese Kosten nur minimieren kann. Über die Höhe der Kostenerstattung wird im Rahmen des Gesetz- gebungsverfahren aber, gerade nicht entschieden, da deren Festsetzung einer späteren Rechtsverordnung vorbehalten bleibt. Klargestellt wird dagegen, dass nur die „erforderli- chen“ Kosten zu erstatten sind. Deshalb geht auch der Vor- wurf ins Leere, wir würden den Modernisierungsdruck zur Umstellung der EDV-Systeme, dem die Kreditinstitute ausgesetzt sind, künstlich abschwächen. Kosten sind näm- lich insoweit nicht erforderlich, als sie durch veraltete Sys- teme bedingt sind. Die CDU/CSU hat eine Umlegung der Übermittlungs- kosten auf den Aktionär abgelehnt, da durch die Transakti- onskosten die Attraktivität der Namensaktie beeinträchtigt worden wäre und möglicherweise den Aktionär von der Eintragung ins Aktienregister abgehalten hätte. Eine Nicht- eintragung hätte aber wiederum das gesetzgeberische Leit- bild des vollständigen Aktienregisters konterkariert. Für unser Empfinden war das Argument, dass der Aktionär durch seine Order zum Kauf von Namensaktien das Ent- stehen der beschriebenen Kosten ausgelöst hat, nicht stich- haltig. Die alleinige Belastung der Kreditinstitute wäre gleichfalls bedenklich gewesen, da diese im Verhältnis Ak- tionär/Gesellschaft nur Dritte sind. Die maßgeblichen Be- ziehungen bestehen im Verhältnis Aktionär/Gesellschaft. Gerade die Namensaktie dient einer Verbesserung der so genannten „investor relations“. Deswegen sollten auch die kostenmäßigen Konsequenzen vorrangig in dieser Bezie- hung angesiedelt sein. Das Interesse der Gesellschaften an einem vollständigen Aktienregister, auch gerade im Hin- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012918 (C) (D) (A) (B) blick auf Investor-Relations-Überlegungen, ist nicht von der Hand zu weisen. Dieses Interesse sollte sich deshalb auch im Rahmen einer Kostentragungspflicht widerspie- geln, weshalb wir auf eine entsprechende Änderung in § 67 IVAktG-E Wert gelegt haben. Schon in der ersten Lesung haben wir die Änderung in § 125 II 3 AktG-E – Pflicht der Gesellschaft, alle zwölf Tage vor der Einladung eingetragene Aktionäre, zu unter- richten – begrüßt, da durch sie aufwendige „Nach-Mai- ling-Aktionen“ reduziert werden. Im Rahmen der Bera- tungen ist die Frist von zwölf Tagen auf eine Frist von zwei Wochen verlängert worden. Diese Verlängerung än- dert nichts an unserer Zustimmung. Zusätzlich haben wir in der ersten Lesung gefordert, dass die Frist des § 125 II 3 AktG-E auch für die Mitteilung der Kreditinstitute nach § 128 I, AtG-E gelten sollte, da auch bei den Kreditinsti- tuten Unsicherheit darüber besteht, ab welchem Zeitpunkt auf eine Weitergabe der Unterlagen verzichtet werden kann. Diese Ansicht konnten wir im Rechtsausschuss durch- setzen, sodass entsprechend § 125 II 3 AktG-E, der nun von einer zweiwöchigen Frist ausgeht, auch für die Kre- ditinstitute gilt, dass Mitteilungen nach § 125 I AktG-E nur dann an die Aktionäre unverzüglich weiterzugeben sind, wenn spätestens zwei Wochen vor der Hauptver- sammlung Inhaberaktien in Verwahrung genommen wer- den bzw. das Kreditinstitut zwei Wochen vor der Haupt- versammlung für Namensaktien, die ihm nicht gehören, in das Aktienregister eingetragen wird. Nicht versäumen möchte ich es, mich noch kurz zu dem Änderungsvorschlag der F.D.P. zur Einfügung eines § 248 a in das AktG zu äußern. Wir hätten dies durchaus begrüßt. Die Vorschrift wäre ein akzeptables Mittel gewesen, um auf unberechtigte, ja missbräuchliche Anfechtungsklagen zügig zu reagieren. Gleichzeitig wären auch die Rechte der Kläger gewahrt worden, indem ihnen in Abs. 3 ein Scha- densersatzanspruch gegen die Gesellschaft zugestanden hätte. Leider ist die Regelung nicht mit aufgenommen worden und ich frage mich wirklich, welche Perspektive die Bundesregierung hier hat. Die gegenwärtige Situation ist ein wirkliches Ärgernis und lässt sich nicht auf die lange Bank schieben. Wir werden nach wie vor auf eine zügige Lösung des Problems drängen. Spätestens 2002 – mir wäre das zu spät – ergibt sich dafür eine andere Gelegenheit: Die nächste Bundestagswahl ist schon 2002. Wenn wir wieder die Bundesregierung stellen, lassen wir die F.D.P. viel- leicht mitregieren. Alles in allem kann ich feststellen, dass die meisten Kri- tikpunkte, die von der CDU/CSU am Anfang der Beratun- gen genannt wurden, beseitigt wurden. Wir haben ein Ge- setz vor uns liegen, das in dieser Fassung – man freut sich ja immer, so etwas ausnahmsweise feststellen zu können – sorgfältig ausgearbeitet und gut durchdacht ist. Die CDU/CSU wird daher dem Gesetzentwurf in der uns vor- liegenden Fassung zustimmen. Wir haben ein schönes Stück Arbeit geleistet; doch befinden wir uns erst am An- fang eines neuen technischen Zeitalters. Die Zukunft wird noch viele Veränderungen mit sich bringen, auf die wir zu reagieren haben. Ich meine das Stichwort „virtuelle Haupt- versammlung“. Der Entwurf geht nicht so weit, dass er statt der persönlichen Stimmabgabe die elektronische Ab- stimmung vorsähe. Wie in der Begründung aber ausge- führt wird, erzielen die vorgeschlagenen Formlockerun- gen praktisch schon jetzt das entsprechende Ergebnis und schneiden die zukünftige Entwicklung nicht ab. In den Be- ratungen konnte auch nicht der Vorschlag des Bundesrates berücksichtigt werden, die Zuständigkeiten für die Geneh- migung der Einrichtung des automatisierten Abrufsverfah- rens im Bereich des Grundbuchrechts, des Handels-, Ge- nossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregisters zu vereinheitlichen. Nach wie vor werden wir aber überlegen müssen, ob die Vereinheitlichung in Zuständigkeitsfragen aus rechtstechnischen Überlegungen nicht in Angriff ge- nommen werden sollte. Es gibt also weiterhin viel zu tun. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Mit dem hier zur Beratung vorliegenden Ge- setz machen wir das Aktienrecht fit für das Internetzeital- ter. Den Charme dieser neuen Aktienart macht schon seine Bezeichnung deutlich: Namensaktie. Der Aktionär ist mit Name, Wohnort und Beruf bekannt. Diese drei Angaben werden eingetragen. Die bisherigen Aktienbücher werden durch elektronisch führbare Aktienregister ersetzt und der Datenschutz der Aktionäre wird verbessert: Jeder Ak- tionär kann künftig nur eigene Daten einsehen. Ob Aktien auf den Inhaber oder auf Namen lauten, stellt das Gesetz bekanntlich zur freien Wahl. Die Entscheidung bei börsennotierten Aktiengesell- schaften fiel bislang eindeutig zugunsten der Inhaberak- tien aus. Seit mehr als einem Jahr dreht der Trend von der Inhaberaktie hin zur Namensaktie. Dieser unerwartete Trend zur Namensaktie hat uns herausgefordert. Das Ak- tienrecht war bisher für diesen Trend nicht gerüstet. Im- mer mehr Gesellschaften setzen auf den elektronisch re- gistrierten Anteilseigener. Daimler-Chrysler ist sogleich mit Namensaktien gestartet. Inzwischen sind viele wei- tere Publikumsgesellschaften wie Siemens, die deutsche Telekom, Mannesmann oder die Dresdner Bank gefolgt. Hauptgrund ist: In den USA sind Namensaktien üblich, sodass eine Notierung an der Wall Street nur mit Namens- aktien möglich ist. Des Weiteren ist es für international ex- pandierende Unternehmen wichtig, Beteiligungserwerb in eigenen Aktien zu bezahlen. Die Aktie ist aber nur dann eine geeignete Akquisitionsgewährung, wenn sie im Aus- land akzeptiert ist. Genau das ist bei der Namensaktie der Fall. Ich komme nun zu den wesentlichen Reformpunkten. Die Vorschriften des Aktiengesetzes über Namensaktien werden aktualisiert: elektronische Aktienregister, Daten- schutz, Zulassung elektronischer Willensäußerung, ge- lockerte Schrifterfordernisse etc. Das Aktiengesetz von 1965 beruht noch weitgehend auf den damals üblichen technischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen. Den heutigen Bedingungen der Girosammelverwahrung für Namensaktien und der elektronischen Führung von Aktienregistern wird das bestehende Gesetz aber nicht mehr gerecht. In dem neuen Gesetz werden deshalb die in das Aktienregister aufzunehmenden Daten neu bestimmt. Insbesondere wird das Recht auf Einsicht in das Aktien- register erheblich eingeschränkt und auf die eigenen Daten des jeweiligen Aktionärs begrenzt. Ferner haben wir eine begrenzende Regelung für die Zweckverwendung von Da- ten aufgenommen. Die Daten können für aktienrechtliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12919 (C) (D) (A) (B) Aufgaben, aber auch für Investor-Relations-Maßnahmen verwendet werden. Die weitere Verwendung der Daten für gewerbliche Zwecke außerhalb der Gesellschaft kann der Aktionär durch Widerspruch verhindern. Bezüglich der Stimmrechtsausübung erfolgt eine weit- gehende Gleichstellung der Inhaber- und Namensaktie. Bei beiden Aktienformen wird künftig eine offene, wie auch versteckte Stimmrechtsausübung in der Hauptver- sammlung zulässig sein und eine generelle Vollmacht über alle Aktien im Depot möglich. Dadurch kann einem erheblichen Einbruch der Hauptversammlungspräsenz bei Publikumsgesellschaften mit Namensaktien entge- gengewirkt werden. Nicht zuletzt wird das Aktienrecht den neuen Informationstechnologien angepasst, vor allem im Bereich der elektronischen Stimmrechtsausübung und der Vollmachtserteilung. Dieses begrüße ich sehr. Besonders bedeutsam ist dabei die Zurücknahme der Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten im Aktienge- setz. Auch damit bereiten wir das deutsche Gesellschafts- recht auf die künftigen Harmonisierungsmaßnahmen der EU im Bereich der grenzüberschreitenden Stimmrechts- ausübung vor. Zur Erhöhung der Präsenzen müssen dringend die In- formationspflichten der depotführenden Banken auch für ausländische Unternehmen ausgeweitet werden. Hier be- steht Handlungsbedarf vonseiten der Europäischen Union. Im Gesetzentwurf wird ebenfalls geregelt, dass das De- potstimmrecht nicht mehr alle 15 Monate neu erteilt wer- den muss. Das Instrument des Depotstimmrechts ist aber nur „second best“. Banken, die Kredite an ein Unterneh- men vergeben, haben hinsichtlich der Unternehmenspoli- tik andere Interessen als andere Aktionäre. Dieses kann nicht im Sinne einer effizienten Corporate Governance sein. Insbesondere deshalb wurde festgelegt, nach drei Jahren die Möglichkeit zu prüfen, inwieweit durch die neuen Informationstechnologien das Depotstimmrecht überflüssig werden kann – Stichwort: Hauptversammlung im Internet. Stark eingeschränkt werden zudem die Vorschriften über die Nachgründung, sprich die Umwandlung einer kleinen GmbH in eine Aktiengesellschaft. Dadurch erreichen wir eine erhebliche Entlastung in der Praxis, die vor allem den kleinen und jungen Aktiengesellschaften helfen wird. Die Erleichterungen bei den Handelsregistern betreffen vor al- lem die Bekanntmachungen bei den Zweigniederlassungen. Hierdurch können kostenträchtige und nutzlose Mehrfach- bekanntmachungen zurückgefahren werden. Zur Vermei- dung von Umgehungen der Sachgründungsvorschriften und zum Schutz der neu hinzukommenden Aktionäre ist es aus- reichend, wenn die besonders komplizierten Form- und Ver- fahrenserfordernisse für Nachgründungsgeschäfte auf sol- che Verträge begrenzt werden, die die Gesellschaft mit den Gründern oder hinzutretenden Aktionären von einigem Ge- wicht schließt. Ich freue mich, dass alle Fraktionen dem Gesetzent- wurf zustimmen. Rainer Funke (F.D.P.): Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die Verabschiedung des Namensaktiengesetzes, wenn wir auch weitergehende Regelungen hinsichtlich der Dauer- vollmachten im VW-Gesetz sowie eine Ergänzung zu § 248 a Aktiengesetz gewünscht hätten. Im Zuge der Internationalisierung unserer Finanz- märkte hat sich gerade in den letzten zwei Jahren eine Rückentwicklung von Inhaberaktien zu Namensaktien, insbesondere bei den großen DAX-Werten, ergeben. Die bisherigen Bestimmungen des Aktiengesetzes sind, insbe- sondere was die heutigen technischen Erfordernisse der Giro-Sammelverwahrung und der elektronischen Führung von Aktienregistern angeht, nicht mehr auf dem neuesten Stand der Entwicklung. Deswegen war diese Novellierung des Aktienrechts notwendig und ich begrüße, dass diese Regelung nunmehr auch einvernehmlich aufgrund intensi- ver Berichterstattergespräche beschlossen werden kann. Damit haben die betroffenen Aktiengesellschaften schon für die nächste Hauptversammlungssaison ein modernes Instrumentarium zur Verfügung. In zweiter Lesung beantragen wir ebenfalls eine Ände- rung des VW-Gesetzes, wonach in Zukunft auch Dauer- vollmachten für die Wahrnehmung der Aktionärsrechte in der Hauptversammlung erteilt werden können. Sollte unserem Antrag von der Mehrheit des Hauses nicht ent- sprochen werden, muss sich das Hohe Haus den Vorwurf gefallen lassen, dass in der deutschen Börsenlandschaft Volkswagen die einzige Aktiengesellschaft sein wird, in der das Vollmachtsrecht der Aktionäre eingeschränkt ist. Einschränkungen des Aktionärsrechts und Sonderrechte werden an der Börse nicht mehr honoriert und sind auch nicht mehr zeitgemäß. Diese Sonderrechte schaden der Gesellschaft und damit den Aktionären und Arbeitneh- mern und sollten demnach schleunigst beseitigt werden. Gleichzeitig legen wir Ihnen einen Änderungsantrag vor, in dem wir anregen, einen neuen § 248 a des Aktien- gesetzes einzuführen. Dieser § 248 a orientiert sich an § 16 des Umwandlungsgesetzes, der von dem Hohen Hause im Jahre 1994 fast einstimmig verabschiedet wurde. Wir wollen mit dieser Ergänzung erreichen, dass die aktienrechtliche Anfechtungsklage im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre so verändert wird, dass er- presserischen Aktionären, die in der Hauptversammlung insbesondere Fusionen und Kapitalerhöhungen behin- dern, das Handwerk gelegt wird. Denn diese Aktionäre haben nicht etwa die Absicht, ihre Minderheitsrechte wahrzunehmen, wofür ich noch Verständnis hätte, son- dern lassen sich den Verzicht auf die Anfechtungsklage mit hohen Summen abgelten, natürlich zulasten der Ge- sellschaft und der anderen Aktionäre. Dieser Antrag kommt für die Bundesregierung auch nicht überraschend. Trotzdem ist sie untätig geblieben, obwohl sie selbst eingeräumt hat, dass Handlungsbedarf besteht. Für solch eine Vogel-Strauß-Politik habe ich kein Verständnis. Dies gilt umso mehr, als der Deutsche Juris- tentag diese Problematik ausführlichst diskutiert hat. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Das Aktiengesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1965 geht noch weitgehend von einem überschaubaren und über- wiegend nationalen Bestand von Aktionären aus. Zwi- schenzeitlich hat sich die Aktionärskultur in Deutschland wesentlich verändert. Die Zahl der umlaufenden Aktien und der Aktionäre hat erheblich zugenommen. Mit der zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012920 (C) (D) (A) (B) nehmenden Internationalisierung des Aktienmarkts ging und geht eine Anpassung des nationalen Aktien-, Börsen- und Kapitalmarktrechts an internationales Recht einher. Im Zuge dieser Entwicklung haben nunmehr große bör- sennotierte Aktiengesellschaften auf Namensaktien um- gestellt. Diese veränderten Rahmenbedingungen und der Einzug moderner Kommunikationsmedien in das Aktien- geschäft veranlassten die Bundesregierung nunmehr, ei- nen Gesetzentwurf eines Namensaktiengesetzes dem Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen. Grundsätzlich unterstützt die PDS Bestrebungen, ei- nige durch die geltende Rechtslage in der Praxis entstan- dene Probleme zu beheben und das Aktiengesetz zudem an die Erfordernisse und Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung und -übertragung anzupassen. Kritik- würdig aber ist, dass der Gesetzentwurf den selbst ge- stellten Ansprüchen nur ungenügend gerecht wird. Die Bundesregierung macht in der Zielstellung des Gesetz- entwurfs darauf aufmerksam, dass die bisherigen daten- schutzrechtlichen Regelungen völlig unzureichend seien und der Verbesserung bedürften. Nach unserer Auffas- sung ist der vorliegende Gesetzentwurf aber kaum geeig- net, den Datenschutz der Kleinaktionäre hinreichend zu verbessern. Erhebliche Mängel beim Datenschutz, die durch die Einführung und Verbreitung der Namensaktien entstanden sind, werden durch diesen Gesetzentwurf nicht behoben, sondern teilweise sogar verschlechtert. Inhaber von Namensaktien können sich in den Haupt- versammlungen gegenüber der Aktiengesellschaft nicht mehr wirklich anonym durch Dritte vertreten lassen. Da- mit aber werden die Prinzipien der geheimen Wahl und der geheimen Abstimmung verletzt. Daraus können für den Aktionär Nachteile entstehen, wenn er neben seiner Aktionärseigenschaft noch weitere Rechtsbeziehungen zu der Aktiengesellschaft unterhält. Dies betrifft beispiels- weise Kunden und Schuldner der Gesellschaft, insbeson- dere aber ihre Beschäftigten. Belegschaftsaktionäre, die ihre Vertreter anweisen, in einer Hauptversammlung ge- gen die Vorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat zu stim- men, haben ein begründetes und schützenswertes Inte- resse, dies vor ihrem Arbeitgeber verborgen zu halten. All das ist unzureichend sichergestellt. Die Bundesregierung soll sicherstellen, dass auch Be- legschaftsaktionäre ihre Aktionärsrechte in vollem Um- fang in Anspruch nehmen können, ohne berufliche Nach- teile befürchten zu müssen. Dies wird umso dringlicher vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung im Rah- men der Rentenreform auch die betriebliche Alterssiche- rung ausbauen will. Dies wird zweifelsohne zu einem Be- deutungsgewinn der Belegschaftsaktien führen. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammen- hang ebenfalls, dass die Koalition die Beteiligung von Be- schäftigten am Kapital der Aktiengesellschaften als zusätz- liches Instrument der Mitbestimmung betrachtet. Wenn diese Zielstellung ernst genommen werden soll, muss das Aktiengesetz ihnen volle demokratische Mitspracherechte ermöglichen. Dies muss insbesondere die faktische Mög- lichkeit zur geheimen Abstimmung und Wahl beinhalten. Der Gesetzentwurf kann aus den genannten Gründen in dieser Form durch die PDS-Fraktion nur abgelehnt werden. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zurAnpassung des deutschen Rabattrechts an die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (RabattrechtsanpassungsG) – des Entwurfs eines Gesetzes zurAnpassung des deutschen Zugaberechts an die EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG) (Tagungsordnungspunkt 13 a und b) Birgit Roth (Speyer) (SPD): Das deutsche Rabattge- setz stammt aus dem Jahre 1933. Wir alle wissen, wie ex- trem sich in der Zwischenzeit die Märkte und Wirt- schaftsabläufe verändert haben, und es liegt an uns, das Rabattgesetz auf den neuesten Stand zu bringen. Wir haben mittlerweile eine E-Commerce-Richtlinie auf europäischer Ebene, die im Juli 2000 in Kraft gesetzt wurde und deren Umsetzung auf nationaler Ebene in den kommenden Monaten ansteht. Je schneller wir nun die wirtschaftlichen und gesetzli- chen Rahmenbedingungen für unsere deutschen Anbieter modernisieren, desto besser. Denn nehmen wir zum Beispiel das Internet: Im Inter- net besteht bereits die Möglichkeit, Rabatte über 3 Pro- zent zu geben; denn entscheidend ist das Rabattgesetz des Herkunftslandes des jeweiligen Anbieters und nicht die deutsche Gesetzgebung. Damit können ausländische An- bieter weit höhere Rabatte einräumen und zu günstigeren Konditionen anbieten als inländische Unternehmen. Im Endeffekt werden damit unsere inländischen An- bieter benachteiligt, weil sie an ein veraltetes Regelwerk gebunden sind. Eine Benachteiligung deutscher Anbieter ist für uns aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten nicht akzeptabel und deswegen streben wir die Liberali- sierung an. Vor wenigen Monaten hat es eine Verbändeanhörung zum Thema gegeben, in der sich eine überwältigende Mehrheit für die Abschaffung des Rabattgesetzes bzw. der Zugabeverordnung ausgesprochen hat, auch einige Ein- zelhandelsverbände. Doch wenn wir eine neue Regelung finden, dann muss es auch eine sein, die den Mittelstand unterstützt und eventuelle Benachteiligungen vermeidet, denn es ist un- ser erklärtes Ziel, eine mittelstandsfreundliche Politik zu machen. Da noch eine weitere Anhörung in Bezug auf die Zu- gabeverordnung ansteht, überweisen wir den Antrag der F.D.P. an die Ausschüsse. Bereits in absehbarer Zeit wird es eine Lösung von unserer Seite geben. Dirk Manzewski (SPD): In der Vergangenheit hat es schon häufiger Bemühungen gegeben, Rabattgesetz und Zugabeverordnung abzuschaffen. Bislang sind jedoch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12921 (C) (D) (A) (B) alle Initiativen am überwiegenden Widerstand der Inte- ressenverbände von Wirtschaft und Verbrauchern ge- scheitert. Inzwischen haben sich die Aspekte, auf denen die Ab- lehnung einmal beruhte, jedoch grundlegend geändert. Dies ist vor allem auf die im Juli in Kraft getretene EU- Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zu- rückzuführen. Danach muss sich ein Anbieter, der über das Internet wirbt, ausschließlich an das Wettbewerbs- recht seines Heimatlandes halten – und dies unabhängig davon, wo er seine Waren oder Leistungen anbietet. Spä- testens diese EU-Richtlinie zwingt uns nun dazu, erneut über das Prinzip von Rabattgesetz und Zugabeverordnung nachzudenken. Zu Recht verweist die FDPdarauf, dass Deutschland in diesem Zusammenhang innerhalb der Europäischen Union die restriktivsten Vorschriften hat. Dadurch sind Anbieter mit Sitz in Deutschland beim E-Commerce ge- genüber ihren Mitbewerbern aus den Nachbarländern massiv benachteiligt. Ausländische Anbieter aus anderen EU-Staaten dürfen mit höheren Rabatten und attraktiven Zusatzleistungen in Deutschland um Kunden werben, während dies den einheimischen Anbietern untersagt ist. Da das Herkunftslandprinzip gilt, sind deutsche Unter- nehmen darüber hinaus an das inländische Rabatt- und Zugabeverbot auch bei Geschäften im europäischen Aus- land gebunden. Rabattgesetz und Zugabeverordnung stellen damit in ihrer derzeitigen Form gravierende Wettbewerbsnachteile im internationalen Zusammenhang dar. Dies beschränkt sich nicht nur auf den Bereich des E-Commerce, da Inter- netanbieter immer mehr auch mit stationären Händlern und Dienstleistern in Konkurrenz stehen. Es ist daher nur folgerichtig, dass der Gesetzgeber auf- grund der Chancengleichheit Vorgaben schaffen muss, um Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen im In- und Ausland zu verhindern. Auch deutschen Anbietern muss es möglich gemacht werden, sich mit Rabatten oder Zusatzleistungen im internationalen Wettbewerb zu be- haupten. Die Bundesregierung hat dies längst erkannt und die ersten Schritte hierzu eingeleitet. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium hat das Bundesjustizministerium deshalb auch Ende Juni dieses Jahres einen Anhörungs- termin durchgeführt, an dem über 70 Verbände und Insti- tutionen bzw. Behörden teilgenommen haben. Überwiegend haben sich diese dabei für eine Abschaf- fung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung ausgespro- chen. Es sind hierbei aber auch deutlich Ängste um den Verlust des Wettbewerbsschutzes – insbesondere durch die Vertreter kleiner und mittelständischer Unter- nehmen – laut geworden. Diese Bedenken dürfen wir nicht auf die leichte Schul- ter nehmen. Es muss sich uns vielmehr die Frage stellen, ob bei einer Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabe- verordnung Auffangregeln geschaffen werden müssen, um Wettbewerbsverstöße angemessen zu ahnden. Nach meiner Auffassung erscheinen allerdings nicht alle vorgetragenen Bedenken gerechtfertigt. Soweit be- fürchtet wird, dass das Schutzniveau des Wettbewerbs- rechts in Deutschland nun völlig außer Kraft gesetzt würde, bleibt darauf hinzuweisen, dass die E-Commerce Richtlinie selbst Anforderungen zum Beispiel an die Transparenz von Preisen stellt. Im Übrigen gelten bei uns immer noch die wettbewerbsrechtlichen Auffanggeneral- klauseln des sittenwidrigen Wettbewerbs und der irre- führenden Werbung nach §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, die bei Problemen mit Ra- batten oder Zugaben greifen würden. Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang be- reits eine Vielzahl von Grundsätzen aufgestellt, die dann zur Geltung kämen. So sind beispielsweise generell alle Handlungen sittenwidrig, die darauf gerichtet sind, den Wettbewerb als solchen zu beseitigen oder auf einem be- stimmten Gebiet in nicht unerheblichem Ausmaß aufzu- heben. Die Gewährung von Werbegeschenken ist immer dann unlauter, wenn sie geeignet ist, einen moralischen Kaufzwang auszuüben oder einen übertriebenen An- lockungseffekt zu entfalten. Allein dies zeigt, dass keine Wettbewerbsschutzlosigkeit eintreten wird. Im Übrigen muss man sich darüber im Klaren sein, dass schon heute im alltäglichen Wirtschaftsleben Rabatt- gesetz und Zugabeverordnung häufig unterlaufen werden. Höhere Rabatte oder Zugaben als gesetzlich erlaubt sind – leider – mittlerweile üblich. Auch der Befürchtung, dass der mittelständische Fach- und Einzelhandel gegenüber großen Unternehmen bei Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung ei- nen Nachteil erleiden würde, kann nicht ungeteilt zuge- stimmt werden. Rabattgesetz und Zugabeverordnung können bereits jetzt aufgelegte Bonusprogramme großer Unternehmen und Unternehmenskooperationen vielfach nicht unterbinden. Ein Blick auf Österreich zeigt im Übrigen, dass ein Missbrauch bei einem größeren Spielraum von Rabatten nicht unbedingt zu erwarten ist. Die Abschaffung des Ra- battgesetzes hat dort eben nicht zu einem ausufernden Rabattwettbewerb geführt. Wir sind uns also in vielem einig. Gleichwohl sollten Schnellschüsse vermieden werden. Dazu sind uns die An- gelegenheit und die Besorgnis aus Teilen des Mittelstan- des viel zu wichtig. Insoweit bedaure ich es, dass die F.D.P. mit ihrem Gesetzentwurf etwas vorschnell einer Entscheidung der Bundesregierung vorgegriffen und nicht zunächst noch abgewartet hat, bis diese ihre intensi- ven Bemühungen abgeschlossen hat. Ich halte es nämlich für sehr vernünftig, dass die Bun- desregierung das von ihr unter anderem aus der Ver- bandsanhörung abgeleitete Ergebnis noch mit den Spit- zenverbänden und -organisationen abschließend beraten will. Ich wundere mich, warum ihr hierfür von der F.D.P. nicht die Zeit gegeben wird. Hoffentlich liegt die Ursache nicht darin, dass man sich gerne mit fremden Federn schmücken möchte. Im Übrigen muss uns allen klar sein, dass dieser ganze Komplex zwingend mit einer umfas- senden Harmonisierung des Werbe- und Wettbewerbs- rechts in der EU einhergehen muss – nicht nur, weil es keine Privilegierung von Online-Wettbewerb und -Wer- bung gegenüber herkömmlichem Wettbewerb und Wer- bung geben darf. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012922 (C) (D) (A) (B) Ich begrüße daher ausdrücklich die Ankündigung des Staatssekretärs Professor Dr. Pick, dass das Bundesjustiz- ministerium schon Anfang nächsten Jahres eine Exper- tengruppe zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen ein- berufen will. Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die Wirtschaft be- findet sich im Umbruch. Das zusammenwachsende Eu- ropa und die sich globalisierende Weltwirtschaft fordern sowohl von der Wirtschaft als auch von den Konsumen- ten neue Flexibilität und Dynamik. Die Öffnung der Märk- te hat zu veränderten Arbeits-, Lebens- und Konsum- gewohnheiten und zu neuen Formen der Konkurrenz geführt. Dies erfordert auch eine Anpassung des deut- schen Wettbewerbsrechts. Faktischer Handlungsdruck besteht hier vor allem bei dem über 70 Jahre alten Rabatt- gesetz und der Zugabeverordnung. Insbesondere vor demHintergrund der bevorstehenden EU-Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, E-Commerce sind beide Gesetze problematisch. Würden sie nicht abgeschafft, hätten sie eine Diskriminierung deutscher Unternehmen zur Folge. In der E-Commerce- Richtlinie ist nämlich das so genannte Herkunftsland- prinzip verankert, wonach innerhalb der EU die rechtli- chen Rahmenbedingungen des Landes gelten, in dem der Händler seinen Sitz hat. Die deutschen Gesetze in ihrer Ausformung als Totalverbot sind in ihrer Strenge einma- lig in Europa. Während sich deutsche Internethändler an Rabattgesetz und Zugabeverordnung halten müssten, könnte die Konkurrenz deutschen Verbrauchern Rabatte und Zugaben gewähren. Der ausländischen Konkurrenz stünden außerdem Kundenbindungssysteme und neue Marketinginstrumente wie Community Shopping zur Ver- fügung, während sie deutschen Händlern versagt bleiben würden. Auch dem stationären Händler, der mit preiswer- teren Angeboten aus dem Internet konfrontiert wird, bleibt keine Möglichkeit, auf diese Angebote zu reagie- ren. Die rasante Zunahme des grenzüberschreitenden Mar- ketings und des Internethandels in Europa machen ein harmonisiertes europäisches Wettbewerbsrecht dringend erforderlich. Eine bloß ersatzlose Streichung von Rabatt- gesetz und Zugabeverordnung kann nicht die Lösung sein. Sie würde ebenfalls mit einer Diskriminierung der deutschen Wirtschaft einhergehen, für die im europä- ischen Vergleich eine weit höhere Messlatte an das Wett- bewerbsverhalten als in einer Reihe von EU-Mitglieds- ländern gilt. Ohne Harmonisierung besteht die Gefahr eines „race to the bottom“, der dann die Bundesrepublik zwingt, unser Wettbewerbsrecht auf dem niedrigst mögli- chen Level einzupendeln. Dies kann aber nicht im Sinne einer mittelständisch orientierten Politik liegen. Wirklich hilfreich für die gleichzeitige Verwirklichung der Ziele Binnenmarkt, Verhinderung von lnländerdiskriminierung und Schutz mittelständischer Interessen ist nur ein inte- grierter Ansatz auf EU-Ebene mit dem Ziel der Schaffung eines rechtlich einheitlichen Mindestniveaus für fairen Wettbewerb, das sich an § 1 des deutschen UWG orien- tiert. Auch und gerade der deutsche Mittelstand kann davon nur profitieren. Durch seine Flexibilität und seine Ser- viceorientierung könnte er bei einem fairen einheitlichen europäischen Wettbewerbsrahmen nach Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung die neuen Marke- tingspielräume besonders gut nutzen. Gezielt eingesetzte Rabatte und neue Kundenbindungssysteme können das Überleben im Wettbewerb gegenüber Dauerniedrigpreis- strategien ermöglichen. Die neue Vertriebsform des Inter- nets kann mit neuen Werbekonzepten genutzt werden. Der Schutz des mittelständischen Einzelhandels kann durch die Beibehaltung von Rabattgesetz und Zugabeverord- nung nicht verbessert werden. Mittelständische Interessen gilt es vielmehr bei der Reform des UWG zu berücksich- tigen. Die EU-Kommission hat im Juli vergangenen Jahres beschlossen, die deutsche Zugabeverordnung und das Rabattgesetz im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem EU-Vertrag vom Europäischen Gerichtshof prüfen zu las- sen. Schon bald könnte damit neben dem faktischen auch ein rechtlicher Handlungsdruck entstehen. Daher sollte nun schleunigst nach neuen, europatauglichen und mittel- standsfreundlichen Lösungen gesucht werden. Die Anträge müssen nun an die zuständigen Aus- schüsse überwiesen werden. Die Union wird die betroffe- nen Wirtschaftszweige und Verbände in das Beratungs- verfahren in geeigneter Weise einbinden und kündigt schon jetzt an, dass wir ein Hearing zu den anstehenden Fragen durchführen. Wir gehen dabei davon aus, dass die beiden Vorschriften am Ende des Beratungsverfahrens aufgehoben werden. Da mit der Aufhebung ganz erhebli- che Veränderungen in den Marketingstrategien gerade des Mittelstandes erforderlich sind, halten wir eine Über- gangsfrist von einem Jahr für unverzichtbar. Mindestens diesen Zeitraum sollte der Mittelstand haben, um eigene moderne Marketing-, Vertriebs- und Kundenbindungs- systeme zu entwickeln. Der Zeitraum ist auch darum er- forderlich, weil solche Bindungssysteme in den weitaus meisten Fällen nicht die alleinige unternehmerische Ent- scheidung eines jeweiligen beteiligten Handelspartners sein können. Diese Kundenbindungssysteme werden im Wesentlichen auf Kooperationen aufbauen, für die man einfach eine gewisse Zeit braucht. Wir erwarten vom Han- del, dass er keine weitere Zeit verliert und sich unverzüg- lich auf diese neue Entwicklung vorbereitet. In diesem Zusammenhang halten wir es jedoch auch für unverzichtbar, dass die Bundesregierung in der Wettbewerbspolitik und in der europäischen Harmonisie- rung der Wettbewerbspolitik, einschließlich der Entwick- lung einer europäischen Lauterkeitsrichtlinie, nun endlich ihre völlig zögerliche, wenn nicht gar untätige Haltung aufgibt und im Interesse eines lebendigen Wettbewerbs, der mittelstandsfreundlich und verbrauchergerecht ist, handelt. Die Wirtschaft, die Unternehmen und die Ver- braucher erwarten klare, einheitliche Rechtsrahmen für den Wettbewerb und klare, auch nationale Zuständigkei- ten für die Überwachung und Einhaltung der Marktregeln bis hin zu klaren gerichtlichen Zuständigkeiten. Der Vor- stoß der EU-Kommission in diesen Bereichen sollte nicht einfach nur abgewehrt werden, sondern als Gelegenheit begriffen werden, nun aktiv eine vernünftige europäische Wettbewerbsharmonisierung zu betreiben. Wir stimmen der Überweisung an die Fachausschüsse zu. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12923 (C) (D) (A) (B) Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Deutschland hat die strengsten Regelungen in Europa und der Welt gegen Rabatte. Weil das so ist, haben wir den ehemaligen Wirtschaftsminister Günter Rexroth bei seinem Vorhaben, das Rabattgesetz und die Zugabe- verordnung im Interesse des Wettbewerbs und im Inte- resse der Verbraucher abzuschaffen, unterstützt. Das war im Sommer 1994. Gekippt wurde das Einspruchsgesetz im Bundesrat und jetzt dürfen Sie mal raten durch wen: durch den hochmögenden ehemaligen rheinland-pfälzi- schen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, dem Mann, der heute hier mit poltrigem Ton ausgerechnet uns, der rot-grünen Bundesregierung, vorwirft, wir seien struktur- konservativ und kämen nicht in die Puschen. Wenn Sie damals im Sommer 1994 nicht gegen die Abschaffung des Rabattgesetzes im Bundesrat gestimmt hätten und Ihren eigenen Wirtschaftsminister nicht demontiert hätten, gäbe es bereits seit 1994 kein Rabattgesetz mehr in unserem Land. Sie haben die Abschaffung blockiert und ich fände es nur angemessen, Sie würden dafür erst einmal die Ver- antwortung hier und heute übernehmen. Die Abschaffung des über 65 Jahre alten Rabattgeset- zes und der Zugabeverordnung ist längst überfällig, des- halb haben wir uns nach dem Regierungswechsel daran gemacht, mit dem Einzelhandel, mit der mittelständi- schen Wirtschaft, mit den Verbraucherverbänden über die Abschaffung des Gesetzes zu sprechen. Wir haben An- hörungen im BMJ und BMWI durchgeführt und werden noch in diesem Jahr einen Referentenentwurf dazu vorle- gen. Wir wollen den Verbrauchern günstigere Angebote nicht länger vorenthalten und ihnen mehr Spielraum bei Preisverhandlungen geben. Die Verbraucher sind bisher die größten Verlierer der bestehenden Regelung. Außer- dem wollen wir die Rahmenbedingungen für den grenzü- berschreitenden elektronischen Handel verbessern und dadurch die Marktposition deutscher Unternehmen im in- ternationalen Wettbewerb stärken. Zurzeit gerät das Rabattgesetz durch die zu verab- schiedende E-Commerce-Richtlinie der EU unter Be- schuss: Nach Art. 3 des Entwurfs der Richtlinie müssen europäische Unternehmen, die via Internet auf dem deut- schen Markt anbieten wollen, in Zukunft nur noch das Recht ihres Herkunftslandes anwenden; das würde für die deutschen Unternehmen einen enormen Nachteil darstel- len, da hier bekanntlich Rabatte verboten sind. E-Com- merce wird in Deutschland aber immer beliebter. Das belegen eindrucksvoll neueste Zahlen einer Allensbach- Studie. Danach hat in Deutschland fast jeder Zehnte der zwischen 16- und 64-Jährigen schon einmal online einge- kauft. Der Trend zum Kauf per Internet soll nach Ein- schätzung der Demoskopen weiter anhalten. Dieser Ent- wicklung muss in Deutschland nun auch die Rechtslage angepasst werden. Deutschland hat eine der strengsten Regelungen in Eu- ropa und auf der Welt gegen Rabatte, ich sagte es bereits. Überspitzt ausgedrückt: Nur das 3-prozentige Skonto ist erlaubt. Alle weiteren Rabatte sind verboten. Folgende Beispiele machen die Defizite deutlich: eine Versand- firma will auf ihre Textilien eine lebenslange Garantie ge- ben; ein Bäcker will beim Kauf von zehn Brötchen eine Tragetasche aus Stoff dazutun; ein Produkt im Internet wird billiger, je mehr Käufer sich dafür interessieren – das so genannte Co-Shopping-Modell. Alles bisher verboten! Mein Fazit: Das deutsche Wettbewerbsrecht ist in vielen Teilen überreguliert und schränkt die Kreativität von Ver- brauchern und Händlern erheblich ein. Einige Einzelhändler haben Angst, dass damit der Strukturwandel im Einzelhandel zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen beschleunigt werde. Für die meis- ten der kleinen Einzelhändler bietet sich aber gerade durch die Liberalisierung eine Chance, sich in ihrer Ni- sche zu behaupten: Sie haben die Möglichkeit, situations- bedingt mit Preisnachlässen zu reagieren. Da der Spiel- raum des Einzelhandels für systematische Formen der Rabattgewährung angesichts der niedrigen Betriebser- gebnisse gering sein dürfte, wird es nach unserer Auffas- sung zu keiner weiteren Beschleunigung der Konzentra- tion im Handel kommen. Eher im Gegenteil: Wenn Rabattgesetz und Zugabeverordnung nicht abgeschafft würden, fallen gerade die kleinen Unternehmen durch die E-Commerce-Richtlinie hinten herunter. Die Regelungen zum unlauteren Wettbewerb (UWG) müssen dagegen weitgehend bestehen bleiben. Deshalb setzen wir uns bei der Europäischen Kommission dafür ein, dass eine Richtlinie dazu erarbeitet wird. Allerdings gibt es auch beim Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb einige alte Zöpfe, die infolge einer europäischen Harmo- nisierung abgeschnitten werden müssen: Beispielsweise dürfen zum einen beim Sommerschlussverkauf keine „normalen“ Fahrräder, sondern nur Sporträder (saisonale Produkte) herunter gesetzt und zum anderen keine durch Werbeblöcke unterbrochenen kostenlosen Telefonge- spräche angeboten werden. Es ist zweifelhaft, ob solche Angebote dem Wettbewerb wirklich schaden. Gudrun Kopp (F.D.P.): Wenn sich die wahre Leis- tungsfähigkeit deutscher Politik daran messen lassen müsste, dass endlich überflüssige Gesetze und Verord- nungen abgeschafft werden, dann hätte der Deutsche Bundestag jetzt eine ideale Möglichkeit dazu. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion legt zwei Gesetzent- würfe vor, die die Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung vorsehen. Übrigens ist dies die Wie- dervorlage dessen, was schon 1994 der damalige F.D.P.- Wirtschaftsminister, Dr. Günter Rexrodt, in weiser Vo- raussicht und zum Vorteil der Verbraucher gewollt hat. Damals, kurz vor der Bundestagswahl, scheiterte dieses Vorhaben jedoch an der nötigen Mehrheit im Bundesrat. Inzwischen, sechs Jahre später, ist eine EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr bis spätestens Ende 2001 in nationales Recht umzuwandeln. Und daraus ergibt sich erneut Handlungsbedarf. Die Europäer haben sich nach langem Ringen auf das Herkunftslandprinzip geeinigt. Das leuchtet ein; denn ge- rade einem mittelständischen Exporteur wird es schwer fallen, das jeweilige Rabatt- und Zugaberecht in 15 und demnächst sogar in 25 Mitgliedstaaten zu beachten und danach seine Werbestrategien auszurichten. In Deutschland bestehen mit dem Rabattgesetz und der Zugabeverordnung die restriktivsten Vorschriften. Das hat zur Folge, dass Anbieter mit Sitz in Deutschland ge- genüber ihren Mitbewerbern aus den Nachbarländern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012924 (C) (D) (A) (B) massiv benachteiligt sind. Andererseits jedoch werden im Handelsalltag de facto beide Gesetze inzwischen längst ausgehebelt. Laut einer Emnid-Umfrage vom Mai 2000 gaben fast 44 Prozent der westdeutschen und circa 30 Prozent der ostdeutschen Befragten an, in den vergangenen drei Jah- ren schon deutlich niedrigere Preise – das heißt mehr als drei Prozent –, als zunächst angegeben, ausgehandelt zu haben. Besonders hohe Preisnachlässe gab es demnach bei Kleidung mit bis zu 33 Prozent, bei Unterhaltungs- elektronik mit 17 Prozent bei Haushaltsgeräten mit gut 16 Prozent. Auch diese Zahlen belegen: Das Rabattgesetz aus dem Jahr 1933 ist kein Verbraucherschutzgesetz, son- dern es behindert den Wettbewerb, und zwar zum Nach- teil der Konsumenten. Ähnlich verhält es sich mit der Zugabeverordnung. Auch diese muss ersatzlos fallen. Der Gesetzgeber kann nicht länger vertreten, dass etwa die kostenlose Abgabe einer Stofftasche anstelle einer Plastiktüte als Verstoß ge- gen die Zugabeverordnung gilt. Wer Ausuferungen bei den Zugaben befürchtet, dem sei gesagt, dass diese über das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das UWB, eingedämmt bleiben. Den Ankündigungen von Wirtschaftsminister Müller, nun beim Rabattgesetz und bei der Zugabeverordnung ak- tiv werden zu wollen, sind bislang keine Taten gefolgt. Für die F.D.P. ist dies nicht länger hinnehmbar, wenn durch Abwarten ausländische Anbieter auf dem deutschen Markt erhebliche Startvorteile nutzen können – was Arbeitsplätze in diesem Land kosten könnte. Viele Mo- nate sind nun schon in diesem Jahr verstrichen, ohne dass seitens der Bundesregierung die nötige Gesetzesinitiative zur Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabever- ordnung vorliegt. Wir ergreifen eine solche Initiative heute. Sie entspricht unserem modernen, liberalen Ver- braucherbild. Rolf Kutzmutz (PDS): Die PDS-Fraktion begrüßt die parlamentarischen Initiativen der F.D.P. und hofft den- noch zugleich, dass am Ende des Beratungsprozesses eine etwas andere Antwort des Gesetzgebers steht. Auch wir plädieren für die Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung, allerdings bei Klarstellungen und ge- gebenenfalls Ergänzungen im Gesetz zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, UWG, sowie der Preisangaben- verordnung. Für uns ist dabei nicht die E-Commerce- Richtlinie der EU das „Problem“, sondern bestenfalls der Anlass, sich diesem Thema endlich gesetzgeberisch zu- zuwenden. Aber wenn ich die fundierten Begründungen der F.D.P.-Kolleginnen und -Kollegen lese, scheint es bei ih- nen ja ähnlich zu sein. Entscheidend, jetzt zu handeln, ist nicht die bunte Welt der Internet-Händler, von der heute noch niemand weiß, ob und wann sie massenhaft aus dem virtuellen ins praktische Stadium gelangt. Ausschlagge- bend ist vielmehr die kostenlose Tasse Kaffee in der Warte-Ecke, für die ein Friseurmeister verklagt werden kann, oder der satte Barzahler-Rabatt, um den jeder mit Selbstverständlichkeit beim Neuwagenkauf feilscht. Wenn das gesetzte Recht im Laufe der Zeit gewachse- nen, aber inzwischen elementaren Bedürfnissen wider- spricht – wie im ersten Fall – oder sowieso nicht mehr durchgesetzt wird – wie im zweiten Beispiel –, dann ist es spätestens an der Zeit, es zu ändern, zumal es mittlerweile eher bei Rechtsanwaltskanzleien – getarnt als verbrau- cherschützende Abmahnvereine – denn im Handel Ar- beitsplätze sichert, ohne Verbraucher tatsächlich zu schüt- zen. Ich gebe zu, auch die PDS war in der vergangenen Wahlperiode noch gegen die Abschaffung von Rabattge- setz und Zugabeverordnung. Aber das war auch vor „payback“ und vor dem erfolgreichen Einschreiten des Kartellamtes gegen Verkäufe unter Einstandspreis. Zwei- fellos ist beispielsweise das Payback-System, obwohl es massenhaft Kunden von kleinen Einzelhändlern wegbin- det, kein Verstoß gegen das Rabattgesetz. Hier zieht nicht die Höhe des Rabattes, sondern die Sortimentsbreite, in der Vergünstigungen locken und das für den Kunden mit keinerlei Aufwand – nämlich nur dem Zücken einer Kar- te – verbundene, aber juristisch folgenreiche Wechseln vom Käufer zum „Vereinsmitglied“. Payback trotz Ra- battgesetz ist ein Beispiel dafür, wie sich im Zeitalter der EDV ein einstiger Schutzwall in ein Verlies für kleine und mittelständische Händler wandeln kann. Natürlich könn- ten auch sie gegen Metro und Co. erfolgreich konkurrie- ren, beispielsweise mit lokalen Werbegemeinschaften. Nur brauchen sie dazu noch viel mehr als die großen Han- delskonzerne Freiheit bei Preisabschlägen und bei Zu- gabe-Möglichkeiten zum Kauf der Hauptware. Mit den inzwischen erfolgreich angewendeten Ausle- gungsgrundsätzen zum Verkauf unter Einstandspreis nach § 20 GWB im Falle Wal Mart, Lidl und Aldi wurde durch das Kartellamt zugleich exerziert, dass es mittlerweile auch durchaus erfolgversprechende Rechtsinstrumente gegen ruinöse Kampfpreise gibt. Auf diesem Feld – dem der Preiswahrheit, der Preisklarheit und damit der Kos- tenwahrheit – gilt es unseres Erachtens, weitere Pflöcke einzurammen, bis Rabattgesetz und Zugabenverordnung außer Kraft treten. So würde bei deren Wegfall natürlich auch die Lufthansa mit ihrem breitgefächerten Bonus- meilen-System juristisch endgültig auf die sichere Seite kommen; deshalb kämpft ja auch dieser Weltkonzern ge- meinsam mit McDonalds oder Bertelsmann in der „Initia- tive Mehr Bonus für Kunden“ vehement für den kleinen Kaufmann an der Ecke... Aber umgekehrt müsste dann auch gesichert werden, dass zum Beispiel beim Anpreisen von Flugtickets tatsächlich alle Kosten für den Kunden – nicht nur Ticket- preis und Rabatte, sondern ebenso die Nebenkosten von Flugsicherheitsgebühren bis zu Kerosin-Aufschlägen – sofort eindeutig ausgewiesen sind. Inwieweit dazu die §§ 1 und 3 des UWG, einschlägige BGB-Paragraphen und die Preisangaben-Verordnung zu präzisieren sind, muss aus unserer Sicht im anstehenden Gesetzgebungsverfahren gründlich geprüft werden. Die neuen Auslegungsgrundsätze des Bundeskartell- amtes zum Einstandspreis funktionieren zwar, sind aber nur aufwendig zu handhaben. Wir plädieren des- halb nachdrücklich dafür, den einstigen § 6 d UWG mo- difiziert wieder einzuführen, wonach es bei beworbenen Angeboten keine Abgabemengen-Beschränkung geben darf. Damit hätte jeder Wettbewerber die Chance, zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12925 (C) (D) (A) (B) Kampfpreisen beworbene Produkte oder Dienstleistun- gen selber aufzukaufen und günstig anzubieten. Wettbe- werb würde nicht länger allein über den Preis, bei dem die Kleinen langfristig nur verlieren können, sondern viel stärker über das gesamte Spektrum der Dienstleistungen eines Händlers stattfinden. Um solche gesetzgeberischen Schritte ergänzt könnten Rabattgesetz und Zugabeverord- nung als Dinosaurier des deutschen Handels- und Wettbe- werbsrechts dann tatsächlich beerdigt werden. Dr. Eckart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz: Uns liegen heute zwei Gesetzent- würfe vor, mit denen sich die F.D.P.-Fraktion an der Dis- kussion zur Liberalisierung des Zugabe- und Rabattrechts beteiligt. Diese Diskussion ist schon vor einigen Monaten von der Bundesregierung eingeleitet worden. Nun möchten die Kollegen von der Opposition ganz offensichtlich auf den fahrenden Zug aufspringen. Erfreulich daran ist, dass sich die F.D.P. offensichtlich den schon von der Bundesregie- rung dargelegten Sachargumenten nicht verschließen will. Weniger erfreulich ist, dass die F.D.P. wieder einmal meint, Politik müsse im Wege des „Schnellschussverfah- rens“ betrieben werden und dabei vergisst, dass sie mit die- ser Vorgehensweise schon vor sechs Jahren gescheitert ist. Doch zurück zu den Sachargumenten: An der Spitze steht zu Recht die Europäische Rechtsentwicklung. Unser Rabatt- und Zugabeverbot ist nach Ablauf der Umset- zungsfrist für die E-Commerce-Richtlinie Anfang 2002 nicht mehr zu halten. Von da an müssen Internet-Anbieter aus dem EG-Ausland diese Verbote nicht mehr beachten und können mit Rabatten und Zugaben auf den deutschen Markt drängen. Wenn wir keine Liberalisierung durch- führen, dann blieben nur noch inländische Anbieter an die Verbote gebunden. lnländerdiskriminierung und Wettbe- werbsverzerrungen wären die Folge. Dies wäre insbeson- dere auf dem Wachstumsmarkt „Elektronischer Geschäfts- verkehr“ nicht hinnehmbar. Ich will gar nicht bezweifeln, dass die F.D.P-Entwürfe auch im Übrigen einige bedenkenswerte Überlegungen enthalten. So ist es sicherlich richtig, dass Zugabever- ordnung und Rabattgesetz in der Praxis immer mehr an Bedeutung verloren haben. Dieses Argument wird auch nicht dadurch falsch, dass es von der Opposition stammt. Trotzdem lässt sich die Bundesregierung nicht von ihrem Reformkurs abbringen, der doch ein wenig von der Oppo- sitionsinitiative abweicht: Die Bundesregierung berücksichtigt sorgfältig die von den Reformgegnern vorgebrachten Gegenargumente und prüft gründlich, welche Auswirkungen die Liberalisie- rung für Verbraucher und Mittelstand nach sich ziehen könnte. Ein gemeinsamer Referentenentwurf des BMWi und des BMJ wird noch in diesem Jahr mit den betroffe- nen Verbänden und Organisationen diskutiert werden. Wir sollten die dort gewonnenen Erkenntnisse abwarten, be- vor wir uns hier intensiv mit der Materie auseinander set- zen. Die Bundesregierung kann auch den gesamteuropä- ischen Rahmen nicht aus den Augen verlieren. Wir brau- chen tragfähige Konzepte, um innerhalb der Europä- ischen Gemeinschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und einen hohen Schutzstandard gegen irre- führende und unlautere Werbung zu sichern. Dazu soll schon Anfang nächsten Jahres eine Expertengruppe beim BMJ einberufen werden, die entsprechende Lösungsvor- schläge erarbeitet. Trotz etlicher Unzulänglichkeiten und der in einigen Punkten sehr oberflächlichen Begründung des Gesetzent- wurfs darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P-Fraktion, für Ihre Initiative danken. Die Bundesre- gierung fühlt sich dadurch in ihrem Vorhaben bestärkt und ermutigt. Sie wird die Reform fortsetzen und zu einem für Wirtschaft und Verbraucher guten Ergebnis führen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts zu den Anträgen: – Sicherung der außeruniversitären interdiszi- plinären Grundlagenforschung in der Infor- mations- und Kommunikationstechnik; – Keine Fusion des GMD-Forschungszentrums für Informationstechnik und der Fraunhofer- Gesellschaft (FhG) zulasten der IuK-Grundla- genforschung (Tagesordnungspunkt 15) Jörg Tauss (SPD): Erneut debattieren wir heute im Deutschen Bundestag die beabsichtigte Fusion von GMD und FhG. Erfreulicherweise hat sich gegenüber unserer letzten Debatte der Nebel etwas gelichtet. Die Modera- toren haben den Kurs des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung und der beiden betroffenen Einrich- tungen bestätigt. Jetzt kommt es deshalb darauf an, die Debatten zu versachlichen. Zum Teil geistern, zumal bei der GMD, wirkliche Horrorannahmen über die Folgen der beschlossenen Fusion durch die Gänge, Flure oder gar durch die Presse. Deshalb war es gut, dass Herr Staatsse- kretär Catenhusen hier nochmals die Dinge zurecht- gerückt hat. Ich hoffe, dass künftig auf dieser Grundlage die Debatte weitergeführt und die Fusion vollzogen wer- den wird. Ich hoffe sehr, dass dies jetzt möglich ist. Wenn aber weiterhin Befürchtungen geschürt werden, dass die Grundlagenforschung gefährdet und die Arbeitsplätze in allen Bereichen der GMD gefährdet seien, laufen wir tatsächlich Gefahr, dass der Fusion ein irreparabler Scha- den droht. Wir wollen – in sozialer Verantwortung für die Beschäftigten und in der forschungspolitischen Zielset- zung des Bundes – mit der Fusion den Wissenschafts- standort Deutschland und hier vor allem die Informatik in Deutschland stärken. Bei einem Gespräch mit dem Präsidenten der DFG fragte ich diese Woche nach den Stärken der deutschen Forschungslandschaft. Es fielen ihm viele wichtige und interessante Bereiche ein. Die Informatik gehörte nicht dazu, wenngleich wir durch die Initiativen der neuen Bun- desregierung sicher auf einem guten Weg sind. Diesen Weg wollen wir weitergehen, damit sich an diesem Zu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012926 (C) (D) (A) (B) stand etwas ändert. Sowohl grundlagen- als auch anwen- dungsbezogen müssen wir eine unglaubliche Aufholjagd bestehen. Hierzu bedarf es einer Bündelung der Stärken beider Einrichtungen und der Sachkompetenz aller Beschäftigten an ihrem jeweiligen Platz. Wir wollen auch künftig und vermehrt spin-offs der intelligenten jungen Leute aus GMD und FhG. Wir wollen dort auch künftig sichere Arbeitsplätze. Wir wollen die Fusion zum Erfolg führen: im Interesse von GMD und FhG und letztlich in unser aller Interesse. Norbert Hauser (Bonn) (CDU/CSU): Herzlichen Glückwunsch, Ministerin Bulmahn! Herzlichen Glück- wunsch Staatssekretär Thomas! Gegen alle Widerstände aus Wissenschaft und Wirtschaft und vor allem der Be- troffenen haben Sie die Fusion von GMD und FhG auf den Weg gebracht. Ohne Rücksicht auf Verluste haben Sie die GMD dem vermeintlichen politischen Erfolg ge- opfert – nach dem Motto: „Augen zu und durch“. Sie ha- ben nur vergessen: Wer so handelt, handelt blind. Pleiten, Pech und Pannen – das passt zum Versuch der Forschungsministerin und ihres Staatssekretärs, eine Fu- sion gegen die Widerstände aller von oben zu verordnen. Zu den Pleiten: Sie haben im Ausschuss und auch in der Plenardebatte zur Einbringung des Antrages meiner Fraktion darauf verwiesen, dass alle Fachleute in den Auf- sichtsgremien für die Fusion gestimmt hätten. Jetzt muss- ten Sie feststellen: Die Vertreter von Wirtschaft, Wissen- schaft und Belegschaft, die in der Aufsichtsratssitzung der GMD im April 2000 noch zustimmten, sind Ihnen inzwi- schen von der Fahne gegangen. Eindeutiger konnte das Misstrauensvotum kaum ausfallen. Dickschädel haben sich gegen Fachleute und Betroffene durchgesetzt. Nicht mehr die partnerschaftliche Zusammenarbeit stand im Vordergrund, sondern die „feindliche Übergabe“ an die FhG. Zum Pech: Pech haben alle Bediensteten der GMD, de- nen man in geradezu unverschämter Weise unterstellte, es ginge ihnen nur um ihren Arbeitsplatz. Nur um ihren Ar- beitsplatz? Seit wann ist es bei ihnen oder in diesem Hau- se verpönt, um seinen Arbeitsplatz zu kämpfen? Aber darum ging und darum geht es nicht einmal. GMD-Pro- fessoren und ihre Mitarbeiter haben erst recht in Zeiten von Green-Card keine Angst um ihre Arbeitsplätze. Wenn Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit aber statt Grundlagenforschung kundenbestimmte Auftrags- forschung werden soll, können die Wissenschaftler auch in der Industrie anheuern und dort ein Vielfaches verdie- nen. Das werden sie jedoch nicht tun. Sie werden dorthin gehen, wo sie auch in Zukunft Grundlagenforschung be- treiben können. Sie sind damit zumindest für GMD und FhG, in einigen Fällen auch für den Standort Deutschland verloren. Pech hat damit auch die deutsche Forschungs- landschaft. Allen beschwichtigenden Erklärungen zum Trotz: Die Grundlagenforschung ist nach der Fusion nicht gesichert und angesichts der internationalen Konkurrenz zu den USAwird diese Politik langfristig nicht ohne Fol- gen bleiben. Die USA stocken ihre Mittel für die interdis- ziplinäre Grundlagenforschung auf dem IT-Sektor bis 2004 um jährlich 1,378 Milliarden US-Dollar auf. Zum gleichen Zeitraum verabschieden Sie sich weitestgehend aus der IT-Grundlagenforschung. Sie feiern die Green- Card für Computerexperten als Superlösung, treiben aber gleichzeitig führende Wissenschaftler ins Ausland. Ihre Politik hat eine abenteuerliche Logik! Zu den Pannen, und davon gab es im Fusionsprozess viele: Hoffnungsfroh hieß es am 29. September 1999 in der Pressemitteilung der Bundesforschungsministerin zur beabsichtigten Fusion von GMD und FhG: Es wird Aufgabe von Vorständen- und Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern sein, eine gemeinsame Unter- nehmensphilosophie und -identität zu entwickeln und zu etablieren. Die Verfahren und Abläufe beider Organisationen sollen in dieser Zeit harmonisiert werden. Von diesen Ankündigungen ist nichts übriggeblieben. Misstrauen und gegenseitige Vorwürfe, gepaart mit poli- tischem Druck seitens des BMBF, waren kennzeichnend für das weitere Fusionsverfahren. Um keine völlige Pleite zu erleben, sah sich das BMBF gezwungen, zwei externe Moderatoren einzuschalten, um den gordischen Knoten durchschlagen zu können. Die Fusion im Handstreich war gescheitert. Aber bereits bei der Auswahl der Moderatoren zeigte Staatssekretär Thomas mangelndes Fingerspitzengefühl. Es musste nicht sein, dass man mit Professor Sommerlatte einen alten Bekannten auswählte, mit dem man bereits 1969 in einer gemeinsamen Studiengruppe für System- forschung in Heidelberg war. So ist es kein Wunder, dass in den VDI-Nachrichten vom 3. November 2000 die Schlussfolgerung gezogen wurde: Der Eindruck drängt sich auf, dass das politische In- teresse auf die Erkenntnisse der Studie nicht ohne Einfluss geblieben ist. Aber auch der beste Moderatorenbericht bleibt nur Ma- kulatur, wenn die Koalition keine Bereitschaft zeigt, ihn umzusetzen. So scheint es Sie völlig kalt zu lassen, dass die zentralen Eckpunkte, die die Moderatoren als unab- dingbar für eine erfolgreiche Fusion herausgearbeitet ha- ben, keineswegs gesichert sind. Dazu drei Beispiele: Erstens. Als Ausgleich für aus- bleibende Mittel für Grundlagenforschung soll das Pro- jekt „Leben und Arbeiten in einer vernetzten Welt“ ge- startet werden, das mit zusätzlich 70 Millionen DM vom Bund und mit 7 Millionen DM von den Sitzländern fi- nanziert werden soll. Die Mittel sind – zumindest erkenn- bar – in der Finanzplanung des Bundes nicht enthalten. Bisher handelt es sich bei diesem Projekt um eine Luft- buchung, auf die sich die GMD nicht verlassen kann. Zweitens. Ähnlich verhält es sich bei der IT-Akademie, auch genannt Exellence-Center oder GMD-University. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement hatte Ende August 2000 in seiner Regierungserklärung die Errich- tung der IT-Akademie angekündigt. Ausgleichsmittel in Höhe von 110 Millionen DM aus den Ausgleichsmitteln für den Regierungsumzug seien sicher, der Bund werde die Akademie unterstützen. Staatssekretär Thomas si- cherte noch anlässlich der Schlosstage der GMD in Sankt Augustin massive Hilfe durch den Bund zu. Zahlen in ei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12927 (C) (D) (A) (B) ner Größenordnung von 25 Millionen DM pro Jahr wur- den genannt. In den Haushaltsberatungen kein Wort mehr davon! Ein Antrag der Union in Höhe von 25 Millionen DM im Ausschuss für Bildung und Forschung wurde abgelehnt, stattdessen war die Koalition bereit, gerade einmal 5 Mil- lionen DM zur Verfügung zu stellen und dies auch noch unter dem Titel „Virtuelles Studium und virtuelle Hoch- schulprojekte“. Im Übrigen wurden die Stadt Bonn und ihre Nachbarn mit diesem Thema noch nicht befasst. We- der gibt es einen entsprechenden Beschluss der Stadt Bonn noch den notwendigen Beschluss des Koordinie- rungsausschusses. Die Koalition befindet sich zurzeit offenbar in einem Diätkurs. Mit diesen „massiven Hilfen“ schaffen sie noch nicht einmal die Lightversion eines Excellence-Centers. Drittens. Die Finanzfragen sind die offene Flanke im gesamten Fusionsverfahren. Erklären Sie doch den Insti- tutsleitern, mit welcher finanziellen Unterstützung sie in den nächsten Jahren rechnen können! Bis heute ist unge- klärt, mit welchem Verteilungsschlüssel von Grundfinan- zierung und Drittmittelfinanzierung die GMD-Institute in die Fusion gehen sollen. Aufgrund der gemachten Erfahrungen kann ich alle In- stitute der Helmholtz-Gesellschaft und der Blauen Liste nur warnen: Wenn ein Mitglied dieser Bundesregierung zu Ihnen kommt und eine Fusion vorschlägt, werfen Sie ihn sofort raus! Ansonsten laufen Sie Gefahr, dass von Ih- rer Einrichtung nichts übrig bleibt. Dass die SPD den Kurs ihrer Ministerin stützte bzw. stützen musste, um sie vor weiterem Schaden zu bewah- ren, ist klar. Aber warum tut es ihr Koalitionspartner? Während die SPD immer mit dem Kopf durch die Wand wollte, hatten die Grünen in Ausschussberatungen und auch bei der Plenardebatte im Mai 2000 Verständnis für die Sorgen der Mitarbeiter gezeigt. Dies schlägt sich auch in der Beschlussempfehlung des Ausschusses nieder, über den wir heute abstimmen. Da heißt es: Vonseiten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird betont, dass ein Konsens unter den Beteiligten eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen der Fusion sei. Ein Konsens unter den Beteiligten liegt nicht vor. Wenn Sie tatsächlich dieser Meinung sind, dann müssen Sie von den Grünen, die Beschlussempfehlung ablehnen und unseren Antrag annehmen. Bei den inzwischen fünfzehnmonatigen Fusionsver- handlungen bleibt ein fader Beigeschmack. Was hoff- nungsvoll begann, endet für die GMD im Desaster. Kritik wird in dieser Bundesregierung nur akzeptiert, wenn sie der eigenen Meinung entspricht. Wenn nicht, wird die Sa- che durchgezogen – „basta“. Sie wollten eine Revolution in der IT-Forschungslandschaft, das haben Sie erreicht: Die Wissenschaftler und ihre Mitarbeiter sind auf den Barrikaden. Und so müssen Sie sich nicht wundern, wenn in dem bereits zitierten Artikel der VDI-Nachrichten fol- gendes Fazit aus der Fusion gezogen wird: Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und ihr Staatssekretär Uwe Thomas werden den so oft be- klagten Brain Drain mit der Fusion nicht bremsen, sondern eher ankurbeln. Und die Gesellschaft für In- formatik e. V. warnt schon heute, dass die Stellung der deutschen Informatik- Grundlagenforschung im internationalen Vergleich katastrophal ist. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Die Bundesforschungsministerin hat durch ihre Politik einen bleibenden Schaden für die deutsche Forschungs- landschaft hinterlassen. Dafür kann Sie keinen Applaus von unserer Seite erwarten. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte die Oppositionsfraktionen von CDU/CSU und FDP daran erinnern, dass sie 16 Jahre Zeit hatten, die For- schungsstruktur in der Informationstechnologie zu orga- nisieren. Statt Forschungsmittel zu kürzen, hätten sie sich besser um die Verbesserung der Forschungsstrukturen gekümmert! Die GMD und FhG hatten letzten Herbst beschlossen zu fusionieren, um gemeinsame Synergien zu erschließen. Dieser Beschluss wird jetzt trotz einiger Irrungen und Wirrungen umgesetzt werden. Die wiederholten Er- höhungen der Haushaltsmittel für die Informations- und Kommunikationstechnologie durch Rot-Grün dürften dazu beitragen, den Fusionsprozess zu erleichtern. Nach der erfolgten Einschaltung der Moderatoren und den mittlerweile erfolgten Fusionsbeschlüssen der Auf- sichtsräte gilt es nun nach vorne zu blicken: An die FhG möchte ich appellieren, die berechtigten Interessen der FhG im weiteren Verlauf der Fusion zu berücksichtigen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GMD sollten noch einmal allen Mut zusammenfassen und die Fusion offensiv angehen. Dort, wo die Stärken der GMD liegen, soll sie diese in den Vordergrund stellen. Dort, wo bislang Schwächen lagen, soll sie dies als Chance sehen, gemein- sam mit der Fraunhofer-Gesellschaft auch hier Stärken zu entwickeln. Dort, wo Verkrustungen entstanden sind, soll- ten diese in der Fusion aufgelöst werden. Auch sollte überlegt werden, die Vertreter der Betriebsräte in das Steering Commitee aufzunehmen. Dies würde sicher als vertrauensbildende Maßnahme aufgefasst werden. Es müssen zufriedenstellende Antworten gegeben wer- den, wie die Mitarbeiter in den Bereichen Verwaltung und Infrastruktur in die neue Struktur eingebunden werden. Es geht hier immerhin um 600 Mitarbeiter, für die baldmög- lichst ein Konzept vorgelegt werden sollte. Die Sicherung der Grundlagenforschung – was das be- rechtigte Anliegen der Opposition mit ihren Anträgen be- trifft – ist aus meiner Sicht mit dem Fusionsprozess mach- bar. Damit dies aber tatsächlich umfassend gelingt, scheinen aus meiner Sicht vor allem zwei Punkte von großer Bedeutung: Erstens sollte das Finanzierungskon- zept eine Vollfinanzierung für grundlagennahe For- schungsprojekte vorsehen. Konkret heißt dies, dass EU-Projekte aus dem Bereich der Grundlagenforschung durch das Bundesforschungsministerium kofinanziert werden. Zweitens sollte das 40-Prozent-Modell der FhG flexibel gehandhabt werden. Das heißt, dass zum Beispiel Veröffentlichungen in der Evaluierung berücksichtigt werden müssen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012928 (C) (D) (A) (B) Doch auch außerhalb des direkten Forschungsbereichs nimmt die GMD wichtige Funktionen wahr, die in der FhG erhalten bleiben sollten. So arbeitet die GMD in in- ternationalen Organisationen mit, die die künftigen Stan- dards für Internet und Multimedia definieren. Zum Bei- spiel stellt sie das deutsche Büro des World Wide Web Consortiums sowie das deutsche Büro und den Vorsitz der Internet Society. Die GMD nahm darüber hinaus bislang wichtige Aufgaben in der Ausbildung wahr. Diese Funk- tion wird dann weiterhin ausgefüllt werden, wenn eine institutionelle Förderung vorhanden ist, die über das hi- nausgeht, was rein anwendungsorientierten Einrichtun- gen zur Verfügung steht. Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen, warum ich diese Vorgehensweise für die richtige halte. Sowohl bei GMD als auch bei FhG handelt es sich um in- ternational anerkannte Forschungseinrichtungen, die das Potenzial dazu haben, eine ganz bedeutende Rolle in die- sem Zukunftssektor einzunehmen. Dies wird gelingen, wenn beide Partner ihre Stärken erfolgreich einbringen und miteinander verbinden. Damit dies gelingen kann, muss der Grundlagenforschung der Rücken gestärkt wer- den. In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran er- innern, dass der Staat sich vor allem dort engagieren sollte, wo der Markt wichtige Funktionen nicht erfüllen kann wie in der Vorlaufforschung. Bündnis 90/Die Grünen würden sich freuen, wenn der Fusionsprozess auch dazu genutzt werden würde, die For- schungsgesellschaften stärker auf gesellschaftliche Be- dürfnisse auszurichten. Hierzu gehört vor allem eine zu- kunftsfähige Entwicklung der Gesellschaft sowie der Erhalt und die Verbesserung der natürlichen Lebensbe- dingungen. Ulrike Flach (F.D.P.): Der Zusammenschluss des GMD-Forschungszentrums für Informationstechnik und der Fraunhofer-Gesellschaft sollte eine Kompetenzbün- delung beider Einrichtungen auf dem Gebiet der IuK- Technologien bringen. Europas größte IuK-Forschungs- organisation sollte geschaffen werden. Auch die F.D.P. unterstützt dieses Ziel. Bei dem Fusionsplan herausgekommen ist der Eindruck einer feindlichen Übernahme. Die gegenwärtig durch das BMBF betriebene Verschmelzung, faktisch ein Aufgehen der GMD in der FhG, führt nach Meinung vieler Wissen- schaftler dazu, dass die IuK-Grundlagenforschung der GMD bedeutend geschwächt wird. Die beiden For- schungseinrichtungen sind in ihrer wirtschaftlichen Orga- nisation sehr unterschiedlich. Würde man die GMD zur Ei- genmittelerwirtschaftung nach dem FhG-Modell zwingen, würde man viele Forschungsräume beschränken. Ich will aus Zeitgründen nicht auf die intensiven, auch persönlichen Auseinandersetzungen eingehen, die seit dem Fusionsbeschluss am 29. September letzten Jahres gelaufen sind. Vieles liegt auch im atmosphärischen Be- reich, und leider hat die Bundesministerin nicht zur Ent- spannung der Lage beigetragen. Sie, Frau Bulmahn, ha- ben am 30. März in einem Schreiben an die Belegschaft der GMD gesagt: „Die Umsetzung der Fusion muss sorg- fältig vorbereitet werden, und zwar unter Bedingungen, die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der GMD und der FhG breit mitgetragen werden.“ Diesen Anspruch erfüllt der Fusionsplan nicht. Hier wurde in wenigen Monaten ein Fusionsplan ent- wickelt, der von der großen Mehrzahl der Wissenschaft- ler der GMD nicht mitgetragen wird. Die System-Evalua- tion der HGF durch den Wissenschaftsrat wurde nicht abgewartet. Vom Standort Birlinghoven hören wir, dass es zu ersten Kündigungen gekommen ist. Leute, die Alter- nativen haben, orientieren sich weg von der GMD in die USA. Das kann doch nicht das Ergebnis sein! Brain Drain durch Versagen der Politik! Das würde nicht dazu führen, dass unsere Forschungseinrichtungen gestärkt, dass Cen- ters of Excellence gebildet werden. Die F.D.P. unterstützt die Anträge von Union und PDS, denn wir sind uns in den Zielen einig: Die interdiszi- plinäre Grundlagenforschung muss auch nach der Fusion ein wesentliches und umfassend gefördertes Forschungs- ziel bleiben; wenn keine Übereinstimmung zur Sicherung der Grundlagenforschung zu erzielen ist, ist als letzte Konsequenz auf die Fusion zu verzichten. Der Vertreter des BMBF in der Gesellschafterversammlung der GMD soll in diesem Fall einer Fusion nicht zustimmen. Ich werde am 27. November zur Betriebsversammlung der GMD hier in Berlin gehen. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Argumente nicht nur hier im Haus, son- dern auch mit den Betroffenen vor Ort austauschen wür- den. Mitte Dezember werden die BLK und die Gesell- schafterversammlung der GMD über die Fusion beraten. Es ist also noch ein Monat Zeit für Verbesserungen, den Sie, Frau Ministerin, intensiv nutzen sollten. Wir brau- chen einen Zusammenschluss mit Genuss, aber keine Fusion ohne Vision. Maritta Böttcher (PDS):Was hier passiert ist, ist ein Desaster. Unter dem Vorwand, das GMD-Forschungs- zentrum für Informationstechnik und die Fraunhofer- Gesellschaft zu der größten IuK-Forschungsorganisation in Europa verschmelzen zu wollen, hat die Bundes- forschungsministerin Edelgard Bulmahn viel Porzellan zerschlagen: Wo einst von beiden Seiten interessierte Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter die neue Forschungsgesellschaft be- grüßten, laufen der GMD nun die hoch qualifizierten Mit- arbeiter davon. Wo die GMD auf solide IuK-Grundlagenforschung verweisen konnte, stellt sich heute ernstlich die Frage, ob die Finanzierung der Grundlagenforschung mittelfristig in der neuen FhG zu halten ist. Wo bisher eine demokratische Mitbestimmung der Mitarbeiter und der Institutsleiter in einem Wissenschaft- lich-Technischen Rat bestand, wird sie durch den Mehr- heitsgesellschafter Bund mit Zustimmung der Aufsichts- räte durch eine Vorgabe der Themen und Lösungsansätze durch „Zuwender“-Gremien und Ministerium ersetzt. Nicht einmal die Aufsichtsräte vom Bertelsmann-Kon- zern und von der Telekom haben der Fusion zugestimmt. Der Wissenschaftlich-Technische Rat bleibt in den offizi- ellen Papieren unerwähnt und jeder muss davon ausge- hen, dass eine demokratische Mitbestimmung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12929 (C) (D) (A) (B) Beschäftigten in einer neuen Fraunhofer-Gesellschaft nicht gewollt ist. Der von der Bundesregierung vorgelegte Moderato- renvorschlag zur inhaltlichen, strukturellen und finanziel- len Realisierung der Fusion ist mit heißer Nadel gestrickt. Das Gefälligkeitsgutachten räumte Widersprüche nicht aus. Unstrittig ist, dass die Forschung und die Entwicklung auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikations- technologien eines der strategisch wichtigen Zukunftsfel- der dieses Jahrhunderts ist. Dass hier ein riesengroßer Be- darf an gut ausgebildeten Fachkräften besteht, hat ja Ihre misslungene Green-Card-Lösung bereits gezeigt. Warum aber graben Sie mit der Verschmelzung von GMD und FhG einer kontinuierlichen IuK-Grundlagen- forschung mittelfristig das Wasser ab, obwohl sie das Fundament der IuK-Forschung ist? Warum unterstützen Sie nicht die herkömmlichen Formen der Aus- und Fort- bildung von Diplomandinnen und Diplomanden sowie Doktorandinnen und Doktoranden in den Forschungsin- stituten selbst? Hier sind Arbeit und Lernen verflochten. Eine Art „Turbo-Uni“ bzw. ein „Center of Excellence“, in dem die Studentinnen und Studenten schmalspurig auf dem IT-Gebiet ausgebildet werden und von Anfang an im Praktikum bei neuen Instituten der FhG stehen, ist kein Ersatz. Es erweckt eher den Anschein, als ob die studen- tische Ausbildung einer wirtschaftlich motivierten Aus- nutzung des Goldes in den Köpfen der Studierenden be- reits ab dem ersten Semester geopfert wird. Warum haben Sie keine Lösung favorisiert, die es ausgezeichnet quali- fizierten jungen Leuten – auch Frauen – auf dem Gebiet der IuK-Technologien ein Ansporn ist, in einer neuen FhG mitzuarbeiten? Inzwischen ist eine überstürzte Fusion zwischen dem GMD Forschungszentrum für Informationstechnik und der Fraunhofer-Gesellschaft beschlossene Sache, obwohl Staatssekretär Lange sich skeptisch zeigt, ob die juristi- schen Feinheiten bis zum 1. Januar 2001 ausgearbeitet werden können. Die PDS-Bundestagsfraktion wird heute dem Antrag der CDU/CSU zum Erhalt der InK-Grundlagenforschung zustimmen. Die CDU/CSU hat in diesem Fall den wun- den Punkt getroffen. Ebenso wie wir ist sie nicht der Mei- nung, dass durch die Art und Weise sowie die Konditio- nen dieser Fusion tatsächlich ein solider Erhalt der InK-Grundlagenforschung gewährleistet ist, auch wenn nach mündlicher Bekundung von Staatssekretär Uwe Thomas die Grundfinanzierung in der Substanz zunächst fünf Jahre nicht angegriffen werden soll. Die Zitterpartie um die IuK-Grundlagenforschung steht völlig im Gegen- satz zu den Feststellungen in der Studie „Wissens- und Technologietransfer in Deutschland.“ Dort wird ausge- führt: Wesentlich für die Leistung der Institute ist es aller- dings, über grundfinanzierte Vorlaufforschung und Projekte für öffentliche Auftraggeber eine ausrei- chende Kompetenz aufzubauen, um fortlaufend auf neue Entwicklung der Forschung reagieren zu kön- nen. Eine adäquate Balance zwischen kurzfristiger und langfristiger Forschung ist eine wesentliche He- rausforderung der Fraunhofer-Institute. Auch von den Forderungen unseres Antrages ist übri- gens fast nichts berücksichtigt. Statt dessen werden zwei Drittel der in der GMD-Forschenden selbst gezwungen, Fördermittel bei ohnehin stark umkämpften Fördertöpfen der Industrie, der EU und der Länder einzutreiben; 600 Ar- beitsplätze in der Verwaltung und den zentralen Diensten gefährdet, da für diese Beschäftigten kein schlüssiges Konzept vorliegt; die Forschung noch unmittelbarer nach wirtschaftlichen Maßgaben und zu Zwecken der Wirt- schaft organisiert. Wir meinen: Die Zukunftsentscheidungen für die Ge- sellschaft dürfen nicht vorrangig in Industrielabors und Konzernetagen gefällt werden. Eine Umsteuerung der staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik ist not- wendig, die gesellschaftliche Zielvorstellungen im öko- nomischen und ökologischen Bereich in einem demokra- tischen Prozess entwickelt, formuliert und umsetzt. Dies setzt eine Forschungspolitik voraus, die vom einseitigen industriepolitischen Interesse unabhängig ist und den langfristigen gesellschaftlichen Bedarf im Sinne ökologi- scher, sozialer und ökonomischer Zukunftsvorsorge berücksichtigt. Und das heißt auch Übernahme von Ver- antwortung für die Gestaltung der natürlichen Existenz- voraussetzungen und Ressourcen sowie die Erhaltung des Wissens- und Qualifikationsniveaus. Durch eine entspre- chende Schwerpunktsetzung muss ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen technischem Neuerungs- und gesell- schaftlichem Vorsorgewissen geschaffen werden. Nur so kann der Staat seine Aufgabe wahrnehmen, die gesamtge- sellschaftlichen Interessen über die Einzelinteressen zu stellen. Von diesen Vorstellungen haben wir uns mit der Fusion von GMD und FhG als dem Auftakt der Neugestaltung der Forschungslandschaft gerade ein Stück entfernt. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Infor- mations- und Kommunikationstechnologien haben in der Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung Priorität. Mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Ar- beitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr- hunderts“ hat die Bundesregierung ein Rahmenkonzept vorgelegt, das alle Politikfelder umfasst, insbesondere neue Weichen in der Bildungs- und Forschungspolitik stellt und alle gesellschaftlichen Gruppen zur Mitarbeit aufruft. In diesem Jahr stellt das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung circa 1,2 Milliarden DM für die Weiterentwicklung, Nutzung und Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien zur Ver- fügung. Das sind etwa 5 Prozent mehr als im letzten Jahr. Seit dem Regierungswechsel im Jahr 1998 haben wir den Mittelaufwuchs in diesem Förderbereich sogar um über 14 Prozent gesteigert. Ähnlich hohe Steigerungen wie in diesem Jahr werden in den nächsten Jahren erfolgen. Und bei der Verwendung der Haushaltsmehreinnahmen in- folge der Zinseinsparungen durch die Schuldentilgung werden wir hier ebenfalls einen Schwerpunkt setzen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012930 (C) (D) (A) (B) In Hochtechnologiefeldern wie der Informations- und Kommunikationstechnik ist die enge Verbindung von Forschung und Anwendung ausschlaggebend für den Er- folg am Markt und damit für wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze. Die Fusion der Fraunhofer-Ge- sellschaft mit dem GMD-Forschungszentrum Informati- onstechnik ist das zentrale Instrument, um die deutsche IuK-Forschung zu profilieren und international in eine herausragende Position zu bringen. Die Bundesregierung hat diesen Aufbruch angestoßen, um wertvolle Kapazitä- ten auszubauen und Synergien zu nutzen. Mit der Zusam- menführung wird eine strategische Orientierung und deutliche Stärkung der Forschung auf diesem Gebiet er- reicht. Das von den Moderatoren Dr. Tom Sommerlatte, von Arthur D. Litte und Prof. Arnold Picot vom Institut für Or- ganisation der Universität München vorgelegte Konzept für die Fusion von FhG und GMD ist für die Bundesre- gierung eine Bestätigung ihres Ansatzes. Im einzelnen ist Folgendes vorgesehen: Kernstück ist die Einrichtung einer IuK-Gruppe, in der die Institute der GMD und die IuK-Institute der FhG zusammengefasst werden. Damit werden sowohl auf der Ebene der For- schungsstrategie als auch auf der Ebene der Finanzierung die Grundlagen für die Fusion geschaffen. Die Strategie für die Vorlaufforschung wird auf Gruppenebene ent- wickelt und umgesetzt. Im Hinblick auf die Ertragsleis- tungen wird nicht jedes Institut einzeln, sondern die Gruppe als Ganzes betrachtet. 60 Prozent Erträge sind das Gruppenziel. Und dabei werden sämtliche Erträge, das heißt eingeworbene Wirtschaftserträge und öffentliche Projektförderung und nicht nur die Wirtschaftserträge, be- trachtet. Das Budget der Gruppe besteht aus Grundfinan- zierung und Erträgen der GMD, Grundfinanzierung und Erträgen der IuK-Institute der FhG sowie aus zusätzlich bereitzustellenden Mitteln der Projektförderung. Auch die Elemente, die für die künftige Entwicklung der erweiterten FhG von entscheidender Bedeutung sein werden, finden in dem Konzept Berücksichtigung. Zur frühzeitigen Positionierung in zukünftig bedeutenden Technologiefeldern muss die FhG gezielt in eigener Ver- antwortung Vorlaufforschung betreiben. Mit der Fusion wird die Vorlaufforschung in der erweiterten FhG gestärkt und fester verankert. Daneben ist der Ausbau der Aus- gründungsaktivitäten sowie das Einwerben von EU-Mit- teln in größerem Umfang als bisher notwendig. Auch hier werden sich durch das Zusammengehen von FhG und GMD ganz neue Chancen bieten. Es ist offenkundig, dass für diese Aufgaben ausrei- chend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen müssen. Und ich versichere Ihnen, dass das BMBF dafür sorgen wird. Wir werden in den nächsten 5 Jahren jährlich zu- sätzliche Projektmittel für die IuK-Forschung in der FhG bereitstellen. Darüber hinaus werden wir auch die institu- tionelle Förderung der erweiterten FhG deutlich anheben. Das vorliegende Konzept ist tragfähig und überzeu- gend. Die Forschungskapazitäten von Bund und Ländern im IuK-Bereich werden dabei mit rund 400 Millionen DM gebündelt. Es entsteht ein Forschungsbereich, der den künftigen Anforderungen an die moderne Informations- gesellschaft Rechnung trägt. Das Konzept verbindet – und das kann niemand von der Hand weisen – Stärken und Kompetenzen beider Einrichtungen miteinander. Das ist auf der einen Seite die konsequente Marktorientierung der FhG und auf der anderen Seite die Kompetenz der GMD in der Vorlaufforschung. Für beide Partner wird die Fu- sion zu einer Verbreiterung der wissenschaftlichen und technologischen Basis mit neuen Themen und einer er- weiterten Forschungsstruktur führen. Noch ein Wort zur Reformfähigkeit der deutschen For- schungsförderung. Die Bundesregierung hat mit der Fusion von GMD und FhG gezeigt, dass die von anerkannten In- stitutionen – ich denke da auch an den Wissenschaftsrat – geforderte Flexibilität in der institutionellen Forschungs- förderung ein Stück weiterkommt. Wir überschreiten er- starrte institutionelle Grenzen. Aber es gibt auch ein festes Fundament für diese Strukturreform. Denn es gilt die Zu- sage des Bundes, dass es im Zusammenhang mit der Fusion nicht zu Entlassungen kommen wird. Sicher ist es für man- che unbequem, in Neuland aufzubrechen. Aber viele sind dazu bereit und wir werden sie dabei unterstützen. Die in den vergangenen Monaten verfolgten Ansätze für Kooperationen zwischen den Instituten beider Ein- richtungen sind bereits zahlreich und viel versprechend. Das BMBF hat einen Fonds von 30 Millionen DM unmit- telbar für Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt. Die ersten Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von über 20 Millionen DM laufen bereits. Und wir kommen zügig voran. Der Senat der FhG und der Aufsichtsrat der GMD haben der Fusion auf der Grundlage des Moderatorenkonzepts vor wenigen Tagen zugestimmt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die GMD die Chance nutzen und die neue FhG diesen Weg erfolg- reich gehen wird. Im Übrigen bereitet das BMBF zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen die Gründung einer IT-Akademie in Verbindung mit der GMD vor. Dafür sollen Mittel aus dem Bonn-Berlin-Ausgleichsfonds, aus dem Zukunftsinvesti- tionsprogramm und aus Fachtiteln des BMBF-Haushalts zur Verfügung gestellt werden. Die Unkenrufe des Kollegen Lauser sind deshalb nichts anderes als eine gezielte Desin- formation der Öffentlichkeit. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrages: Transparenz und parlamenta- rische Kontrolle bei Rüstungsexporten; – derUnterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über ihre Exportpolitik für konventio- nelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüs- tungsexportbericht); – des Berichts: Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Mit großem Interesse habe ich die Forderung der PDS in ihrem Antrag nach mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12931 (C) (D) (A) (B) Transparenz und parlamentarischer Kontrolle bei Rüs- tungsexporten zur Kenntnis genommen. Die PDS hat of- fensichtlich nicht mitbekommen, dass die Bundesregie- rung mit der Verabschiedung der „Politischen Grundsätze über den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs- tungsgütern“ erheblich zu einer verbesserten Transparenz der Rüstungsexportpolitik beigetragen hat. In diesen neuen Grundsätzen hat die Bundesregierung klar und eindeutig zusätzliche Richtlinien festgelegt, die nicht nur restriktiver sind, sondern auch zu wesentlich mehr Transparenz führen. Ich will der PDS daher an dieser Stelle noch einmal kurz die wichtigsten Punkte nennen: Erstens. Die Beachtung der Menschenrechte ist für jede Exportentscheidung von besonderer Bedeutung, un- abhängig davon, um welches Empfängerland es sich han- delt. Die Grundsätze gehen weit über diejenigen des EU- Verhaltenskodex hinaus, der sagt, dass erst bei einem eindeutigen Risiko keine Ausfuhrgenehmigung erteilt werden soll. Neben dem Menschenrechtskriterium wer- den ausdrücklich weitere Kriterien wie die nachhaltige Entwicklung sowie das Verhalten gegenüber der interna- tionalen Gemeinschaft berücksichtigt. Zweitens. Es wird klargestellt, dass bei NATO-, EU- und diesen gleichgestellten Ländern wie Schweiz oder Australien Genehmigungen die Regel sind und Ableh- nung die Ausnahme. Bei Drittstaaten sollen Genehmigun- gen wie bisher zurückhaltend erteilt werden. Drittens. Die Sicherstellung des Endverbleibs erhält ein größeres Gewicht als bisher. Viertens. Der EU-Verhaltenskodex wird zum integra- len Bestandteil der Grundsätze. Fünftens. Die Bundesregierung verpflichtet sich, jähr- lich dem Bundestag einen Rüstungsexportbericht über die Entwicklungen des jeweils abgelaufenen Kalenderjahres vorzulegen. Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der PDS einmal aufzeigen, welche Konsequenzen ihre Forderun- gen hätten. Sie fordern eine Regelung, wonach vor der Entscheidung der Bundesregierung bzw. des Bundessi- cherheitsrates über die Ausfuhr von Rüstungsgütern die Auffassungen bestimmter Parlamentsausschüsse einzu- holen und zu berücksichtigen sind. Sie können doch wohl nicht im Ernst fordern, vor jeder Entscheidung ein derart langwieriges Verfahren in Gang zu setzen. Wer auch nur etwas von Wirtschaft versteht, der weiß, dass es bei inter- nationalen Ausschreibungen um Fristen, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit geht. Diese wichtigen Voraussetzun- gen wären bei dem von ihnen vorgeschlagenen Verfahren nicht gegeben. Im Gegenteil: Ein solches Verfahren würde die deutschen Anbieter zu einer völligen Offenle- gung ihrer Geschäftsvorhaben zwingen, wovon andere Wettbewerber aus dem In- und Ausland profitieren wür- den. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen kommen bei dem Antrag der PDS über- haupt nicht zu Worte. Unter den von der PDS vorgeschla- genen Bedingungen braucht sich ein deutsches Unterneh- men wegen Aussichtslosigkeit erst gar nicht mehr an internationalen Rüstungsexportausschreibungen beteili- gen. Von daher sollte die PDS doch besser gleich sagen, was sie wirklich will, nämlich die Verhinderung deutscher Rüstungsexporte und damit die Abschaffung der deut- schen Rüstungswirtschaft schlechthin. Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien eine optimale Balance bei diesem sicher nicht einfachen Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es gelun- gen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzli- che politische Kriterien anzupassen und dabei die Wett- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrecht zu halten. Die Richtlinien haben sich schon jetzt bewährt: Mehr Transparenz und klare Kriterien sind ein guter Ver- trauensschutz für die deutsche Wirtschaft auch hinsicht- lich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unterneh- men in einer stark zusammenwachsenden internationalen Rüstungswirtschaft. Die Entscheidungen über Exportvorhaben werden maßgeblich unter außen-, sicherheits- und bündnispoliti- schen Interessen, unter Beachtung der Menschenrechte, aber auch unter Beachtung der ökonomischen Interessen getroffen. Bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Be- deutung sind, wird der Bundessicherheitsrat befasst. Zu- sätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertretenen Ressorts nimmt nun auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hieran teil, um besonde- ren entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu tra- gen. Ich will es noch einmal sagen: Mit den neuen Leitli- nien aus diesem Jahr lässt es sich gut arbeiten. Für weitere Verfahrensänderungen sehe ich keinen Handlungsbedarf. Wir lehnen daher die beiden Anträge der PDS ab. Zum Rüstungsexportbericht will ich mich hier nicht ausführlich äußern. Er liegt allen vor. Darin wird in aller Offenheit das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgü- ter, die Auswirkungen von Abrüstungsvereinbarungen auf die Exportkontrolle, die deutsche Rüstungsexportkon- trollpolitik im multilateralen Rahmen sowie die Exporte von Rüstungsgütern im Jahr 1999 dargestellt. In puncto Transparenz sind wir mit dem Rüstungsbericht im inter- nationalen Vergleich absolute Spitze. Ich empfehle der PDS diese spannende Lektüre. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Dass die Debatte über die Rüstungsexportpolitik der rot-grünen Bundesregierung zu dieser Tageszeit stattfindet zeigt, dass diese Regierung in Fragen der Rüstungsexportpolitik keine überzeugende Figur macht. Früher hätten SPD und Grüne dafür gesorgt, dass diese Debatte an herausragender Stelle platziert wor- den wäre. Das Bild der Koalition ist geprägt von Schein- heiligkeiten und Inkonsequenz. Sie ist kurzsichtig, kaum europatauglich, industriepolitisch falsch und nimmt keine Rücksicht auf die Bündnisfähigkeit Deutschlands. Die Auseinandersetzungen um die Lieferung eines Leopard-Panzers zu Erprobungszwecken, die Diskussion um die spätere Lieferung auf der einen Seite und die Zu- stimmung zur Lieferung der Munitionsfabrik auf der an- deren zeigen ein verwirrendes Bild und übertünchen doch nur, dass diese Regierung in größtem Umfang Waffen je- der Art an die Türkei liefert. Der vorgelegte Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für das Jahr 1999 zeigt das ganze Dilemma der Regierung: Es ist ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012932 (C) (D) (A) (B) Dokument, das sowohl die Grünen durch die geänderten rüstungspolitischen Grundsätze beruhigen soll als auch der Regierung einigermaßen die Handlungsfähigkeit im Rüstungsexport erhalten soll. Richtigerweise bezeichnet laut „taz“ ein internes grü- nes Papier ja dann auch die neuen rüstungspolitischen Grundsätze als „Placebo für die grüne Seele, das im Här- tetest der Koalition nicht greift“. Im Ausland wird diese Politik zunehmend als Sonder- weg angesehen, was unserer Bündnisfähigkeit und unse- rem Ziel, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa zu erreichen, nicht förderlich ist. Entsprechend schlecht sind die Noten für die Bundesregierung in der Rüstungsexportpolitik von allen Seiten. Die Rüstungswirtschaft sorgt sich um ihre Kooperati- onsfähigkeit. Die deutschen Unternehmen sind durch die neuen exportpolitischen Grundsätze als Partner für andere Unternehmen in der Gemeinschaft nicht attraktiver ge- worden. Die Ausrede der Regierung, man könne eine Be- hinderung von Kooperationen nicht feststellen, entlarvt sich selbst: Etwas, was gar nicht mehr stattfindet, kann man auch nicht feststellen. Die Betriebsräte, mit denen sich die SPD mal wieder unterhalten sollte, wissen ein Lied von den Konsequenzen zu singen. Besonders problematisch ist die neue Endverbleibsre- gelung bei Komponentenlieferung. Diese ist bei Direkt- export selbstverständlich nötig. Bei Zulieferung dem Partner aber vorschreiben zu wollen, wohin er exportieren darf, ist falsch. Das kann man nur über gemeinsame Re- geln steuern, aber nicht auf diesem Wege. Das Ergebnis ist, dass deutsche Unternehmen gar nicht mehr als Partner infrage kommen. Da haben sie völlig außer Acht gelassen, dass man Regeln verlässlich gestalten und Folgewirkun- gen vorher bedenken muss. Auf der anderen Seite wird auch Ihr Anspruch einer wirklich neuen Politik nicht erfüllt. Mit Recht verbreitet das Kasseler Friedensforum in einer Stellungnahme die Aussage: „Die Regierung genehmigt fast alles.“ Die Aus- rede, 1999 habe es noch keine veränderte Beschlusslage der Bundesregierung gegeben, zählt nicht, denn zu dieser Zeit war der europäische Verhaltenskodex vom 8. Juni 1998 nach Aussage der Bundesregierung bereits Grund- lage ihrer Politik und sie behauptet ja selbst, ihre Grundsätze seien nichts anderes als eine Übertragung dieses europä- ischen Kodex in das deutsche Regelwerk. Es ist schon erstaunlich, wenn man sich an frühere De- batten erinnert, in welche Länder die Bundesregierung mit Zustimmung der Grünen Waffenexporte genehmigt hat. Ich hätte Lust sie alle aufzuzählen. Es ist eine Liste, die von Albanien, Algerien, Aserbaidschan über Bangla- desch, Weißrussland, Botswana, Burkina-Faso, Gabun, Ghana, Indonesien, Libanon, Nepal, Nigeria bis Pakistan, Philippinen, Sambia, Simbabwe, Uganda und Usbekistan reicht. Die Konsequenz ist, dass ihre Politik ohne jede Glaubwürdigkeit dasteht und der Unterschied zwischen einer hohen öffentlich dargestellten Moral auf der einen Seite und der politischen Praxis auf der anderen Seite of- fensichtlich ist. Es wäre viel besser, diese Regierung würde sich zu dem einfachen Sachverhalt öffentlich er- klären, dass Rüstungsexport eine schwierige Angelegen- heit ist und zwar unabhängig davon, was man in den Grundsätzen niedergelegt hat, dass in jedem Fall die Ab- wägung schwierig ist, müssen doch in jedem Einzelfall sowohl außen- und sicherheitspolitische Erwägungen an- gestellt werden als auch die Sicherheitsinteressen des Empfängerlandes gebührend gewürdigt werden. Niemand bestreitet, dass in diese Abwägungsprozesse auch Menschenrechtsfragen, entwicklungspolitische Fra- gen, Fragen der politischen Kooperation, strategische Langfristüberlegungen der Einflussmöglichkeiten in be- stimmten Ländern, aber auch wirtschafts- und technolo- giepolitische, bündnis- und europapolitische und sicher noch weitere Fragen eingehen. Der Öffentlichkeit weis- zumachen, es gäbe sozusagen wenige exklusiv entschei- dende Kriterien, ist nichts anderes als Populismus. Das hat zum Beispiel auch der Vorsitzende des Aus- wärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose, erkannt, als er kürzlich erklärte, er hielte den Begriff der Menschen- rechte für zu unscharf, um ihn im sensiblen Bereich der Rüstungsexporte als Kriterium gelten zu lassen. Er wäre sicher nicht so weit gegangen wie die SPD-Verteidi- gungspolitikerin Frau Wohlleben, die vor wenigen Wo- chen einen Gastkommentar in der „Welt“ mit der Über- schrift „Rüstungsexport ist gut“ veröffentlicht hat. Aber Frau Wohlleben hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die wehrtechnische Industrie in einem klassischen Sinne eine strategische Industriesparte ist und dass man sorgsam damit umgehen muss, wenn man auf Dauer im Konzert der europäischen Länder und innerhalb der NATO seinen technologischen und politischen Einfluss nicht verlieren will. Für die CDU/CSU sind die Grundlagen der Rüstungs- exportpolitik eindeutig. Eine verantwortungsvolle Rüs- tungsexportkontrolle muss sich einem differenzierten Abwägungsprozess stellen. Vorrang einer Rüstungsexport politik muss die gemeinsame europäische Politik und dür- fen nicht nationale Sonderwege haben. Deutschland tut gut daran, intensiv dazu beizutragen, einen gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa und trans- nationale wirtschaftliche Strukturen in der Rüstungsin- dustrie zu entwickeln, um Kapazitäten in Europa anzu- passen und den Druck im Bezug auf die Exporte in die Entwicklungsländer zu verringern. Dazu gehören dann auch gemeinsame Exportregelungen. Wer sich auf Sonderwege – und würden sie auch nur durch andere so empfunden – einlässt, der verliert mit der Unfähigkeit gemeinsamer europäischer Entwicklungen wegen eingeschränkter Exportmöglichkeiten auch einen wichtigen Einfluss auf politische und strategische Über- legungen in Europa und der NATO und schadet damit der Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheits- politik. Es hat keinen Sinn, als Rot-Grün rhetorisch popu- listisch Positionen zu vertreten, die dann nicht einzuhal- ten sind, damit deutsche Einflusschancen zu verspielen und dennoch nicht an den Realitäten einer einheitlichen europäischen Politik vorbeizukommen. Gemeinsame eu- ropäische Regelungen statt des alten Zustandes mit erheb- lichen Überkapazitäten in Frankreich und Großbritannien wie auch auf einigen Sektoren in Deutschland verbessern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12933 (C) (D) (A) (B) immer den europäischen Saldo. Darauf kommt es auch in Zukunft an. Die Bundesregierung wird mit ihrem jetzt gewählten Ansatz in einem Spagat bleiben, der die deutsche Position bei unseren Partnern unter den Generalverdacht mangeln- der Fähigkeit zur Zusammenarbeit stellt. Ein Mitarbeiter des Außenministers hat ja wohl – so war am 14. September in der „taz“ zu lesen – ein Papier verfasst, in dem die Wirkung Ihrer Politik als defensiv bis hilflos bezeichnet wird. In einem anderen Papier soll darüber nachgedacht wer- den, „ob auch Deutschland ... die Rüstungsexportpolitik gegenüber einzelnen Staaten als Instrument politischer Einflussnahme nutzt“; Rüstungsexport als Instrument konditionierter Interessenpolitik also! Man darf gespannt sein, was die Diskussion ergibt. Warten Sie nicht zu lange mit Entscheidungen, sonst ma- chen Sie die Bundesregierung handlungsunfähig. Die Regierung muss auch schnellstens ihr Verhältnis zum NATO-Partner Türkei klären, was Rüstungsexporte angeht. Es ist unerträglich, auf der einen Seite der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten für die Europäische Union zu geben und die NATO-Mitgliedschaft der Türkei als wertvoll zu erklären, während der NATO-Partner Tür- kei auf der anderen Seite sozusagen in eine mindere Stufe der NATO-Mitgliedschaft abqualifiziert wird, wie Sie das mit Ihrer Rüstungsexportpolitik tun. Die CDU/CSU- Fraktion setzt auf gemeinsame europäische Lösungen und auf transparente Abwägungsprozesse, während der rot- grünen Koalition nichts anderes übrig bleibt, als weiter im Dunkeln zu munkeln. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vor genau einem Jahr führten wir innerhalb der rot-grünen Koalition eine recht heftige Debatte über den berühmt-berüchtigten Testpanzer Leo 2 für die Türkei. Dieser Streit hatte ein konstruktives Ergebnis: die neuge- fassten Rüstungsexportrichtlinien. Wie Sie wissen, wur- den die alten politischen Grundsätze der Bundesregierung generalüberholt und deutlich verbessert in Richtung Men- schenrechte, Nachhaltigkeit und verbindlichem Endver- bleib. In deutlichem Gegensatz zu den Richtlinien aus dem Jahr 1982 hatten wir nicht die Absicht, die Ausfuhr von Waffen weiter zu liberalisieren. Im Gegenteil: Zum ersten Mal wurden die Rüstungsexportrichtlinien mit dem Ziel einer Verschärfung überarbeitet. Natürlich: Pazifistische Rüstungsexportlinien sähen anders aus. Aber: Ich finde, wir haben eine vertretbare Kompromisslösung gefunden. Insbesondere wenn ich mir vergegenwärtige, dass in den neuen politischen Grundsätzen zum ersten Mal ein weit reichendes Menschenrechtskriterium verankert werden konnte. Der Lage der Menschrechte im Empfängerland wird jetzt bei der Prüfung von Rüstungsexportanträgen beson- deres Gewicht beigemessen – und das nicht nur aufgrund eigener Erkenntnisse, sondern auch basierend auf Berich- ten der UNO, der OSZE, des Europarates oder internatio- naler Menschenrechtsorganisationen. Wenn der Verdacht besteht, dass die zu exportierenden Kriegswaffen zu in- terner Repression missbraucht werden, erfolgt keine Genehmigung. Und hierbei ist die allgemeine Lage der Menschenrechte im Empfängerland ein entscheidendes Prüfkriterium. Diese Menschenrechtsklausel gilt für alle Staaten glei- chermaßen, also auch für NATO-Partner und damit auch für die Türkei – ein großer Verhandlungserfolg. Bundes- kanzler Schröder hat anlässlich der Verabschiedung der neuen politischen Grundsätze klargestellt, dass angesichts der seit langem unhaltbaren Menschenrechtssituation in der Türkei an einen Export der Leo 2-Panzer derzeit nicht zu denken sei. Daran hat sich bis heute nichts verändert. Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission eine ernüchternde Bilanz über die Entwicklung in der Türkei in den letzten zwölf Monaten vorgelegt und festgestellt, dass es in der Türkei keine substanziellen Verbesserungen gibt. Also wird es auch keine Panzerlieferungen geben können. Denn die Lage der Menschenrechte ist beunruhi- gend. Folter ist nach wie vor weit verbreitet. Weiterhin werden Todesurteile ausgesprochen, wenn auch nicht vollstreckt. Die Situation der kurdischen Bevölkerung hat sich, was ihre sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte angeht, ebenfalls nicht zum Besseren entwickelt. Und das Militär wird nach wie vor nicht zivil kontrolliert. Enttäuscht über den Kommissionsbericht dürften in Deutschland nicht nur diejenigen sein, die sich erhofft hatten, bei einem positiveren Bericht leichter Menschen in die Türkei abschieben zu können. Auch die Rüstungs- industrie, die sich neue Aufträge versprach, wird es nun- mehr schwerer haben – und das ist gut so. Eine zentrale Frage konnte bei der Neufassung der Rüs- tungsexport-Richtlinien allerdings nicht gelöst werden, nämlich das Erfordernis größerer Transparenz und parla- mentarischer Kontrolle. Hierzu zwei Punkte: Die Bun- desregierung hat zwar einen Rüstungsexportbericht vor- gelegt, in dem das Bemühen deutlich erkennbar wird, über das hinauszugehen, was andere Staaten bereit sind zu offenbaren. Aber dennoch – Hand auf Herz – dieser Be- richt enthält kaum Angaben, die nicht über Pressebe- richte, parlamentarische Anfragen oder über die Fach- presse bereits bekannt sind. Ich meine, es gibt hier deutliche Verbesserungsmög- lichkeiten. Lassen Sie mich dies kurz illustrieren: Im ver- gangenen Jahr wurden lediglich 85 Anfragen für Rüs- tungsexporte im Wert von zusammen 10 Millionen DM abgelehnt. Das klingt bescheiden, wenn ich lese, dass gleichzeitig Ausfuhren in Höhe von 6,5 Milliarden DM bewilligt wurden. Das Bundeswirtschaftsministerium sagt nun: Ja, man müsse berücksichtigen, in wie vielen Fällen Exportvorhaben nach einer negativ beschiedenen Voranfrage beerdigt worden seien. Nun frage ich mich: Warum fehlen im Bericht Angaben über diese abgelehn- ten Voranfragen? Hieran könnte man doch die restriktive Haltung der Bundesregierung besser veranschaulichen, als an den bescheidenen 10 Millionen DM, die schlus- sendlich vom BSR abgelehnt worden sind. Ergänzungen für den Rüstungsexportbericht fallen mir viele ein: So müsste dieser doch Auskunft über bewilligte oder in Anspruch genommene Hermes-Kredite für Waf- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012934 (C) (D) (A) (B) fenausfuhren geben. Es fehlt eine Übersicht über interna- tionale Rüstungskooperationsprogramme mit deutscher Beteiligung – ein Aspekt von wachsender Bedeutung, wie mir im Zuge der Verhandlungen über die neuen politischen Grundsätze klar wurde. Auch gehören Verstöße gegen Ex- portbestimmungen, zum Beispiel über den Endverbleib exportierter Kriegswaffen, in einen Rüstungsexportbe- richt. Ich bin gespannt, welche Vorschläge noch in den Ausschüssen vorgebracht werden. Der zweite Aspekt der nicht gelösten Transparenzfrage bei Rüstungsexporten betrifft die Frage der parlamentari- schen Kontrolle. Über Rüstungsexporte sollte meines Er- achtens nicht allein in klandestinen, nicht kontrollierbaren Runden – wie dem Bundessicherheitsrat – beraten wer- den. Hier muss Öffentlichkeit geschaffen werden. Wir brauchen eine parlamentarischen Kontrolle, die einem Vergleich mit Schweden oder den USA standhält. Ich finde, dass die PDS hier einen ernst zu nehmenden Vor- schlag unterbreitet hat. Ich habe heute der Vernehmung der Herren Max Strauß und Erich Riedl im Untersuchungsausschuss beiwohnen dürfen. Derzeit bemühen wir uns dort ja bekanntlich um die Aufklärung des Panzer-Deals mit Saudi-Arabien. Nach elf Monaten intensiver Erlebnisse in den Sitzungen des Aus- schusses ist eine Erkenntnis meiner Meinung nach unaus- weichlich: Wenn wir Waffenhändlern und Schmiergeldjä- gern, wie den Herren Schreiber, Holzer, Pfahls und Max Strauß wirklich das Handwerk legen wollen, dann kommen wir an der Einrichtung eines parlamentarischen Überwa- chungsgremiums für Rüstungsexporte nicht vorbei. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: I. Mit dem Rüs- tungsexportbericht 1999 wird von der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag erstmalig eine detaillierte Auf- schlüsselung der Rüstungsexporte des Vorjahres vorge- legt. Der Rüstungsexportbericht beruht auf einer Zusage in der Koalitionsvereinbarung und in den neuen, im Ja- nuar 2000 verabschiedeten rüstungsexportpolitischen Grundsätzen. Sein Ziel ist die Verbesserung der Transpa- renz unserer Rüstungsexportpolitik. Der Bericht geht hierbei so weit, wie wir unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen ge- hen können. Dabei müssen wir auch die Kooperations- fähigkeit unserer Unternehmen in einer immer stärker zu- sammenwachsenden europäischen Rüstungswirtschaft beachten. Die Bundesregierung hat mit dem Rüstungsexport- bericht einen guten Ausgleich zwischen dem Transpa- renzinteresse einerseits und dem Vertraulichkeitsgebot andererseits gefunden. Bei der Transparenz von Rüs- tungsexporten stehen wir mit diesem Bericht auch im in- ternationalen Vergleich sicherlich mit in der ersten Reihe. II. Lassen Sie mich die wesentlichen Ergebnisse des Rüstungsexportberichts 1999 kurz zusammenfassen: Erstens. Die Zahlen belegen, dass Rüstungsexporte, das heißt die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, nur einen unwesentlichen Teil an den deutschen Gesamtausfuhren ausmachen, auf den aus si- cherheitspolitischen Erwägungen aber auch nicht ver- zichtet werden kann. So lag der Anteil des Ausfuhrge- nehmigungsvolumens an den Gesamtausfuhren 1999 bei 0,7 Prozent, nur auf Kriegswaffen bezogen liegt das Ver- hältnis bei 0,3 Prozent. Zweitens. Der Genehmigungswert für Rüstungsgüter ist 1999 auf 5,9 Milliarden DM angestiegen und liegt damit um 10 Prozent über dem des Vorjahres. Dieser An- stieg ist auf Sonderfaktoren zurückzuführen, insbeson- dere auf den Abbau eines Bearbeitungsstaus. Drittens. Aufschlussreich ist auch, dass rund drei Viertel unserer Rüstungsexportgenehmigungen für EU/ NATO-Länder und gleichgestellte Länder ausgestellt wurden, bei denen Rüstungsexporte grundsätzlich nicht zu beschränken sind. Nur ein Viertel des Genehmigungs- volumens entfiel auf sogenannte Drittstaaten. Die Geneh- migungen für diese Staaten werden in dem Bericht nicht nur nach einzelnen Ländern, sondern auch nach Ausfuhr- listenpositionen weiter aufgeschlüsselt. Viertens. Wichtigstes Empfängerland von deutschen Rüstungsexporten – ich spreche jetzt von tatsächlichen Ausfuhren – war 1999 die Türkei, gefolgt von den USA und Italien. Die Türkei ist unter dem Gesichtspunkt der Beachtung der Menschenrechte als Empfängerland von Rüstungsgütern schwierig, sie ist aber auch ein wichtiger NATO-Partner in einer insgesamt unruhigen Region. Des- wegen prüft die Bundesregierung alle Rüstungsexporte in die Türkei im Einzelfall sehr sorgfältig. Die Ausfuhren betrafen deshalb zu 98 Prozent auch Lieferungen im Ma- rinesektor der Türkei. III. Ich sagte schon, dass wir mit diesem Bericht in Be- zug auf Transparenz von Rüstungsexporten so weit gehen, wie wir unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse der betroffenen Unternehmen gehen können. Außerdem beantwortet die Bundesregierung zahlreiche Anfragen zu Rüstungsexporten aus dem Parlament, wobei es allerdings auch hier rechtliche Grenzen gibt. Schließ- lich legen wir den Bundestagsausschüssen für Wirtschaft, Auswärtiges und Haushalt zusätzlich jährliche Angaben über die Ausfuhrgenehmigungen von Dual-use-Gütern vor. Zusammenfassend glaube ich, dass die Bundesregie- rung die Transparenz von Rüstungsexporten wesentlich verbessert hat. IV. Im PDS-Antrag „Transparenz und parlamenta- rische Kontrolle bei Rüstungsexporten“ geht es weder um Transparenz noch um Kontrolle aufgrund nachträglicher Unterrichtung. Worum es geht, ist die Mitsprache über aktuelle Genehmigungsanträge. Eine solche Mitsprache über aktuelle Einzelfälle des Rüstungsexports kann nach Auffassung der Bundesregierung aber nicht eingeräumt werden. Ein solches Mitspracherecht würde Kernkom- petenzen der Regierung berühren. V. Was den PDS-Antrag „Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei“ angeht, so wurde dieser in allen zuständigen Ausschüssen beraten und abgelehnt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12935 (C) (D) (A) (B) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2001); – Antrag: ERP-Sondervermögen für Mittel- standsförderung (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Der Gesetzent- wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 weist, wie auch im laufenden Jahr 2000, ein Gesamtvolumen an För- derkrediten in Höhe von 11 Milliarden DM auf. Dieses Vo- lumen scheint ausreichend bemessen, um den Finanzie- rungsbedarf für Existenzgründer und die mittelständischen Unternehmen abzudecken. Aber es ist nicht nur das Ge- samtvolumen unverändert, auch die Aufteilung auf die ver- schiedenen bewährten Programme wie das Aufbaupro- gramm und die Regionale Wirtschaftsförderung, die Eigenkapitalhilfe, Existenzgründungsdarlehen, Kapitalbe- teiligungen und Bürgschaftsbanken, Ausbildungsplatzpro- gramm und Innovationsprogramm sowie die Programme für Umweltschutzmaßnahmen und Energieverwendung, aber auch die Lieferungen in Entwicklungsländer sind weit- gehend gleichgeblieben. Die geplante Programmaufteilung ist wegen der gegen- seitigen Deckungsfähigkeit unproblematisch; denn höhere Beanspruchungen in ein Darlehensprogramm können bei geringerer Nachfrage in anderen Programmen ausgegli- chen werden. Darüber hinaus werden etwaige Überschrei- tungen den zuständigen Parlamentsgremien ja auch unver- züglich mitgeteilt. So weit, so gut. Wäre es dabei im ERP-Wirtschafts- plangesetz geblieben, könnten wir uns wie in nahezu al- len vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten bei diesem allseits in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – in den neuen wie den alten Bundesländern – akzeptierten und als zentralen Baustein der Finanzierung von Existenzgrün- dern, kleinen und mittleren Unternehmen gewürdigten Sondervermögen politisch zurücklehnen und eine im Deutschen Bundestag sonst seltene Einmütigkeit über alle Fraktionen hinweg demonstrieren. Dieses Jahr ist das ersichtlich nicht der Fall, wie die ausgiebigen Diskussionen im ERP-Unterausschuss bele- gen. Die Gründe dafür sind zum einen der Verkauf der An- teile des Bundes an der Deutschen Ausgleichsbank, an die Kreditanstalt für Wiederaufbau und zum anderen die Übernahme von Haftungsrisiken für Beteiligungen aus dem bewährten BTU-Beteiligungsprogramm für kleine Technologieunternehmen. Beide Vorgänge haben erhebliche Bedenken, und zwar parteiübergreifend, in den Reihen des Unterausschusses „ERP-Rahmenpläne“ und im Wirtschaftsausschuss aus- gelöst und nicht alle dieser Bedenken sind bisher aus- geräumt oder auf dem Wege zu einer allseits akzeptierten Lösung, wie ich als Vorsitzende des Unterausschusses feststellen muss. Der Verkauf der DtAan die KfW löst Be- fürchtungen aus, ob die Fortführung der DtA als selbst- ständige Gründer- und Mittelstandsbank auch wirklich garantiert sei und ob die Änderungen in der Eigentümer- position nicht Programmverlagerungen zulasten der Aus- gleichsbank bewirken werden. Nach den verlässlichen Informationen des Bundesmi- nisters für Wirtschaft und Technologie wird die Selbst- ständigkeit der DtA voll gewahrt und ihr darüber hinaus durch die Konzentration aller Mittelstandsprogramme aus dem ERP-Sondervermögen ein bedeutendes Programm- volumen zusätzlich zufließen. Dass nun konstruktive Ge- spräche über die Sicherung der Synergie zwischen beiden Häusern bei der Organisation im Informations- und Kom- munikationsbereich sowie bei der Refinanzierung laufen, ist notwendig und, angesichts des raschen Wandels auf den internationalen Finanzmärkten, auch überfällig. Da- mit wird auch der Kritik des Bundesrechnungshofs und der aus den Reihen des Parlaments Rechnung getragen. Auf beide öffentlichen Banken kommen zudem neue und gewichtige Herausforderungen zu. Innovative Finan- zierungsinstrumente werden in der Folge der absehbaren Inhalte des Baseler Konsultationspapiers entstehen müs- sen, um die Folgen für die Finanzierung der kleinen und mittleren Unternehmen abzumildern bzw. neue Gestal- tungsspielräume für jene Banken bzw. Finanzinstitutio- nen zu gewinnen, die nur allzu leicht gesonnen sind, sich aus dem Kreditgeschäft für kleine und mittlere Unterneh- men oder gar Gründer zurückzuziehen. Die KfW hat in der vergangenen Woche mir ihrem neuen Verbriefungsin- strument dafür ein erstes erfolgreiches Beispiel gegeben. Der Zuschlag des Verkaufserlöses des Bundeswirt- schaftsministeriums aus dem Verkauf der DtAwird außer- dem helfen, die Finanzierungsprobleme des ERP- Sondervermögens aus der Übernahme des BTU-Be- teiligungsprogramms für kleine Technologieunternehmen zu lösen. Allerdings werden die Zinserträge aus diesem Vermö- gen auf keinen Fall ausreichen, den gesetzlich vorgeschrie- benen Substanzerhalt des Sondervermögens zu sichern. Deswegen ist es unerlässlich, dass die ERP-Rücklage der KfW so schnell wie möglich dem ERP zugeschlagen wird, um eventuelle Ausfälle, mit denen in Höhen von 30 Prozent gerechnet wird, abzusichern. Ich möchte als Unterausschussvorsitzende deutlich machen, dass der Unterausschuss mit Sorge die zu- nehmende Übertragung von Haftungsrisiken an das ERP- Sondervermögen sieht. Auch wenn das Vermögen auf den ersten Blick achtungsgebietend aussieht, so war sein bisheriger realer Substanzerhalt doch der Tatsache zu ver- danken, dass er als revolvierender Fonds nahezu keine Ri- siken trug – diese lagen und liegen bei den Hausbanken –, sondern die für kleine und mittlere Unternehmen höheren Marktzinsen „heruntersubventionierte“. Eine Ausnahme bildeten nur die speziellen Programme in den neuen Bun- desländern, wo nach der deutschen Einheit wegen fehlen- den Eigenkapitals und sonstiger Sicherheiten eine teil- weise Übernahme des Risikos unvermeidlich war, wollte man die Banken überhaupt zum Engagement bewegen. Mit der Übernahme des Eigenkapitalhilfeprogramms in das ERP-Sondervermögen wurde dieses Prinzip durch- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012936 (C) (D) (A) (B) brochen. Ein wirtschaftspolitischer Sündenfall zulasten der Mittelstandskredite, wie ich heute bemerke, im Ver- trauen auf die schriftliche Zusage des damaligen Bundes- finanzministers Dr. Theodor Waigel an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt, die Aus- fälle für das EKH aus dem Bundeshaushalt zu ersetzen. Ein Jahr später war das heilige Versprechen Dr. Waigels Makulatur. Zwar werden die Altfälle des Eigenkapitalhil- feprogramms noch vom Bundesfinanzminister ersetzt – wenigstens teilweise –, aber die neuen Risiken müssen vom ERP-Sondervermögen getragen werden. Und diese Ausfälle summieren sich – hier ist man natürlich auf mehr oder weniger zutreffende Schätzungen angewiesen – auf immerhin mindestens 550 Millionen DM pro Jahr. Beim BTU-Programm werden circa 110 Millionen DM als ver- mutete Ausfälle eingesetzt. Und hier sind wir bei einem grundsätzlichen Problem: Das kleine ERP-Sondervermögen reagiert bei seiner jet- zigen Höhe natürlich empfindlicher als der große Bun- deshaushalt auf solche Ausfälle, von denen niemand die exakte Höhe voraussagen kann. Beim Eigenkapitalhilfe- programm hat man sich bei den so genannten Altfällen ja auch mehrfach kräftig verschätzt. Deswegen ist es selbst- verständlich, dass wir Wirtschaftspolitiker einstimmig eine volle Information des Parlaments über die jeweilige Risikolage und denkbare Risikoprognosen erwarten. Die bisherige kameralistische Buchführung des ERP-Sonder- vermögen-Gesetzes reicht gewiss nicht aus. Wir haben deswegen mit dem Bundeswirtschafts- und dem Bundesfinanzministerium vereinbart, dass sie dem Parlament demnächst Vorschläge unterbreiten, über die der Bundestag regelmäßig jährlich nach der Verabschie- dung des Gesetzes informiert wird und falls durch Ände- rung der Risiken erforderlich, auch häufiger. Den Änderungen auf den internationalen Finanzmärk- ten mit ihrer Fülle von neuen Finanzierungsinstrumenten, insbesondere den Handel von Risiken, muss auch das öf- fentliche Finanzwesen Rechnung tragen. Eine bloße Fuß- note im Gesetz und eine nachträgliche Mitteilung über lei- der eingetretene Risiken ist sicher zu wenig. Die Neigung, Risiken in andere Legislaturperioden zu verschieben, nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ ist für viele nur zu verführerisch. Ein verantwortliches Parlament muss deswegen dafür sorgen, dass das öffentliche Kon- trolling der neuen Problemlage auch gewachsen ist. Ich glaube nach der letzten Unterausschusssitzung, dass unser aller Botschaft angekommen ist, und plädiere deswegen für eine Annahme des Gesetzes in der vorlie- genden Fassung. Eine Verweigerung durch die CDU/CSU sowie die F.D.P. hielte ich für nicht gerechtfertigt: Denn dem Sündenfall der Risikoübernahme des EKH-Pro- gramms ohne jeden Ausgleich für das ERP-Sonderver- mögen haben Dr. Waigel und Dr. Rexrodt begangen: Den Apfel zu essen und die Hässlichkeit des Apfelkitsches zu beklagen passt nicht ganz zusammen. Ich darf als Unterausschussvorsitzende allen Kollegin- nen und Kollegen im Unterausschuss für ihre zuverläs- sige, offene und kooperative Mitarbeit danken. Es ist schön, dass es jenseits aller notwendiger politischen Aus- einandersetzung noch so viel Bereitschaft zum gemeinsa- men Lernen und Handeln wie etwa bei unseren Potsdamer Gesprächen gibt. Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):Das ERP-Sondervermö- gen ist ein wertvoller Schatz unseres Landes, mit dem wir pfleglich umgehen müssen. Über den in Zahlen aus- drückbaren Wert hinaus – der Vermögensbestand beträgt rund 24 Milliarden DM – hat das ERP-Sondervermögen auch einen immateriellen Wert, der sich aus seiner Ge- schichte ergibt: als beispiellose und bewundernswerte Wiederaufbauhilfe einer Siegernation für den ehemaligen Kriegsgegner. Es ist deshalb nicht nur unsere juristische, sondern auch unsere moralische Pflicht, den berühmten § 5 des ERP-Verwaltungsgesetzes von 1953 zu respektie- ren, der uns verpflichtet, das Sondervermögen in seinem Bestand zu erhalten. Das war bislang stets partei- und fraktionsübergreifender Konsens und ist es hoffentlich immer noch. Es ist normal und folgerichtig, dass sich die Funktion des ERP-Sondervermögens über die Jahre und Jahrzehnte hinweg gewandelt hat. Ging es in der Nachkriegszeit um den Wiederaufbau der wichtigsten Industrien sowie der Infrastruktur, steht heute, 55 Jahre nach Kriegsende, die Mittelstandsförderung eindeutig im Vordergrund. Das be- deutet aber nicht, dass das ERP-Sondervermögen die ge- samte Mittelstandsförderung allein schultern kann, auch wenn das der Finanzminister gern sähe. Der vorliegende Entwurf des ERP-Wirtschaftsplan- gesetzes 2001 enthält ein Zahlenwerk, das die Beamten des Wirtschaftsministeriums sorgfältig zusammengestellt haben und an dem nichts auszusetzen ist. Das Kardinal- problem dieses Gesetzentwurfes ist indes in § 5 Abs. 1 versteckt: Die Gewährleistungsermächtigung für das Bundeswirtschaftsministerium wird von 450 Millionen DM auf künftig 1,65 Milliarden DM fast vervierfacht. Der Grund liegt in der Haftungsübernahme für das BTU-Pro- gramm der DtA, mit dem kleinen Technologieunterneh- men Beteiligungskapital zur Verfügung gestellt wird. Die Haftung lag bislang beim Bund und hatte mit dem ERP- Sondervermögen nichts zu tun. Zweifellos ist das BTU-Programm ein schönes und sinnvolles Programm, das zukunftweisende Existenz- gründungen unterstützt und vielfach erst ermöglicht. Aber es ist mit Risiken für den Beteiligungsgeber verbunden. Das Bundeswirtschaftsministerium selbst geht von einer Ausfallquote von 30 Prozent aus. Die Bewilligungen wei- sen eine stark steigende Tendenz auf: Wurden im ge- samten Jahr 1999 237 Anträge mit einem Volumen von 153 Millionen Euro bewilligt, so waren es allein von Januar bis September 2000 schon 295 Anträge mit einem Volumen von 232 Millionen Euro. Dazu kommt, dass die von der Regierungskoalition durchgesetzte Unterneh- mensteuerreform die steuerlichen Rahmenbedingungen für privates Beteiligungskapital ab dem kommenden Jahr drastisch verschlechtert. Dadurch wird die Nachfrage beim BTU-Programm weiter steigen. Interessant ist nun, was die Regierung zur Abdeckung dieser neuen Haftungsrisiken vorschlägt. Da wird zum ei- nen die so genannte ERP-Rücklage in der KfW-Bilanz herangezogen. Wenn das so einfach geht, ist die Frage er- laubt, warum diese Rücklage nicht schon früher zur Mit- telstandsförderung eingesetzt wurde. Zum anderen aber – und das ist noch viel interessanter – soll der Kaufpreis, den das ERP-Sondervermögen als DtA-Anteilseigner für den Verkauf der DtA von der KfW erhält, für die BTU- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12937 (C) (D) (A) (B) Absicherung herhalten. Hier werden fröhlich die Erlöse eines Geschäfts verplant, das noch gar nicht stattgefunden hat. Die Verlagerung des BTU-Programms vom Bund auf das ERP-Sondervermögen wirft ein ganz neues Licht auf den von der Bundesregierung beabsichtigten Verkauf der DtA an die KfW. Für diese Transaktion führt die Bundes- regierung wohlklingend Gründe an. Sie redet davon, dass Synergieeffekte erzielt werden sollen, indem parallele Strukturen bei DtA und KfW abgebaut werden. Und sie redet davon, dass das Förderangebot für die mittelständi- schen Unternehmen durch die Zusammenführung über- sichtlicher werden soll. Das hört sich alles gut an. Aber diese löblichen Motive scheinen nur vorgeschoben zu sein. In Wirklichkeit ist der DtA-Verkauf allein dazu da, 3 Milliarden DM – so viel ist die DtA ungefähr wert – in die Staatskasse zu spülen. Der auf den Bundeshaushalt entfallende Teil des Ver- kaufserlöses ist für die Mittelstandsförderung ohnehin verloren – das hat uns Herr Staatssekretär Oberhaus im Unterausschuss unmissverständlich klar gemacht. Aber auch der Teil des Kaufpreises, der dem ERP-Sonderver- mögen zusteht, entlastet mittelbar den Bundeshaushalt. Das ERP-Sondervermögen muss das Geld für die BTU- Haftungsrisiken einsetzen, die der Finanzminister nicht mehr tragen will. Mit dem § 5 Abs. 1 des Gesetzentwurfs, den wir heute beraten, soll diese Risikoverschiebung er- möglicht werden. Deshalb können wir den Entwurf nicht gutheißen. Wir meinen: Wenn die Zusammenführung von DtA und KfWwirklich etwas für den Mittelstand bringen soll, dann müssen die Verkaufserlöse vollständig der Mittel- standsförderung zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehört auch, dass der Bundesfinanzminister die Haftung für das risikobehaftete BTU-Programm nicht in das ERP- Sondervermögen „abdrückt“. Das Schlimmste ist jedoch: Wir sollen als Parlamentarier die Haftungsübernahme für das BTU-Programm durch das ERP-Sondervermögen ak- zeptieren, ohne dass feststeht, dass die Finanzierungs- konstruktion der Bundesregierung überhaupt funktio- niert. Was ist, wenn der Verkauf der DtA an die KfW scheitert, weil zum Beispiel die bankrechtlichen Pro- bleme nicht gelöst werden können? Was ist, wenn für die DtA ein wesentlich geringerer Wert ermittelt wird, als ihn das Wirtschaftsministerium derzeit annimmt? Was ist, wenn das Ausfallrisiko höher als angenommen ist und wenn mehr Beteiligungszusagen gegeben werden als der- zeit absehbar? In allen drei Fällen wäre das Ergebnis, dass die Risiken nicht ausreichend abgesichert sind. Wir in der CDU/CSU-Fraktion nehmen das seit 1953 geltende Substanzerhaltungsgebot ernst. Das Erbe von George Marshall ist uns zu schade dafür, dass es Herr Minister Eichel dafür hernimmt, um seinen Ruhm als Konsolidierungskünstler zu vermehren. Wir halten die Übernahme des BTU-Programms durch das ERP-Sonder- vermögen für unverantwortlich. Wir lehnen diesen Ent- wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 daher ab. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist der vorliegende Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens ein wichtiger Einzelhaushalt – hat er doch wichtigen Einfluss auf Mit- telstandsförderung, Existenzgründungen und – aus bünd- nisgrüner Sicht besonders wichtig – auch auf Darlehen im Bereich des Umweltschutzes. Gerade in diesem Bereich hat die ERP-Förderung vor allem auch im Osten in den letzten Jahren hervorragendes geleistet. Diese erfolgrei- che Arbeit gilt es fortzusetzen. Hinsichtlich des Gesamtfördervolumens sieht der Ent- wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 das gleiche Volumen wie das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2000 vor. Innerhalb der einzelnen Ansätze erfolgten leichte Ände- rungen, mit einer geringfügigen Anhebung zugunsten des ERP-Umweltprogramms auf 2 150 Millionen DM. Diese Anhebung darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Bündnis 90/Die Grünen gerne eine Mittelausstattung von 2,3 Milliarden DM gesehen hätten. Die Etatisierung von 2,15 Mrd. DM darf nicht als Präjudiz für Prioritäten im Rahmen künftiger Wirtschaftspläne verstanden werden. Im Gegenteil wird Bündnis 90/Die Grünen den Mittelab- fluss genau beobachten und in den kommenden Jahren ge- gebenenfalls eine Mittelaufstockung einfordern. Mit dem BMWi besteht Einvernehmen darüber, dass das ERP-Sondervermögen in der Bewirtschaftungspraxis Mittel und Wege finden wird, um einem eventuell höhe- ren Finanzbedarf für ERP-Umweltdarlehen Rechnung zu tragen. Insoweit ergeben sich aus den Ansätzen für 2001 keine Präjudizien für die Folgejahre. Das Wirtschaftsplangesetz 2001 steht somit auf soli- dem Fundament und findet damit die Zustimmung meiner Fraktion. Kommen wir nun zur Veräußerung der Anteile der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) an die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die bündnisgrüne Fraktion trägt diese Veräußerung mit, da sie zur Straffung und Effizi- enzsteigerung der ERP-Darlehen beiträgt. Aus Sicht mei- ner Fraktion ist es daher wichtig, im Bereich der erfolg- reichen Umweltdarlehen, die von der DtA bearbeitet wurden, eine vernünftige Übergangslösung ohne Brüche zu schaffen. Daher soll, wie im Kabinettbeschluss vom 21. Juni 2000 vorgesehen, bei der Geschäftsfeldabgren- zung zwischen KfW und DtA die Abwicklung der Um- weltförderung im Wege der Geschäftsbesorgung durch die DtA für die KfW erfolgen. Dabei sind aus Sicht der bündnisgrünen Fraktion in dem noch abzuschließenden Vertrag zwischen KfW und DtA sowie gegebenenfalls in einer vertraglichen Vereinbarung des Bundes mit der KfW folgende Eckpunkte wichtig und zu regeln: Die bestehen- den Umweltprogramme der DtA (ERP-Umwelt- und Energiesparprogramm, DtA-Umweltprogramm) sowie das Umweltbürgschaftsprogramm werden im Zuge der Geschäftsbesorgung von der DtA im Auftrag der KfW wahrgenommen, wobei die bisherige Finanz- und Perso- nalausstattung sowie Verfahrensgestaltung unberührt bleiben und die vertragliche Regelung der Zustimmung des BMU bedarf. Die bisher im Wege von Mandatarver- trägen mit dem BMU von der DtA abgewickelten Pro- gramme „Pilotprojekte Inland“ und „Pilotprojekte Ausland“ werden entsprechend den bestehenden vertrag- lichen Regelungen und Verfahren von der DtA weiterge- führt. Eine Übernahme dieser Programme durch die KfW erfolgt mit der Zustimmung des BMU und wenn sicher- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012938 (C) (D) (A) (B) gestellt ist, dass mit der Abwicklung erfahrenes Personal betraut wird, das die Vorgaben des BMU kennt und um- setzt, und mindestens die gleichen Konditionen, die der- zeit mit der DtA vereinbart sind bzw. regelmäßig verein- bart werden, gewährleistet sind. Die DtA reicht die Förderung im eigenen Namen für Rechnung der KfW aus. Soweit das bisherige DtA-Umweltprogramm im Rahmen des KfW-Umweltprogramms fortgeführt wird, werden die hierzu erforderlichen zusätzlichen Mittel entspre- chend der bisherigen Praxis bedarfsgerecht mindestens zu den bisherigen Konditionen bereitgestellt. Das zum Umweitschutzbürgschaftsprogramm vorlie- gende konkrete Konzept zur Umgestaltung zu einem Be- teiligungsprogramm wird umgesetzt. Eine Umstellung der Umweltförderung erfolgt erst auf der Grundlage eines detaillierten „Überleitungs-Konzeptes“ der KfW zu den finanziellen, personellen, organisatorischen und verfah- rensmäßigen Auswirkungen mit der Zustimmung des BMU. Wir sind uns sicher, dass mit der Umsetzung dieser Eckpunkte die erfolgreiche Arbeit der DtA im Bereich der Umweltprogramme problemlos und ohne Umstellungs- brüche erfolgen wird. Einer erfolgreichen Finanzierung der ERP-Darlehen im Bereich des Umweltschutzes steht auch aus unserer Sicht mit der Übernahme der DtA-An- teile durch die KfWnichts mehr im Wege. Damit kann das für die Wirtschaft so wichtige ERP-Sondervermögen wei- terhin seine Unterstützung für den Mittelstand entfalten. Für Bündnis 90/Die Grünen eine unverzichtbare Stütze für eine funktionierende Wirtschaft. Gudrun Kopp (F.D.P.): Der Wirtschaftsplan des ERP- Sondervermögens für das Jahr 2001 weist etliche Risiken und Unwägbarkeiten auf. Bei gleich bleibenden Mitteln von circa 13,5 Milliarden DM stellt sich die Frage nach dem nötigen Kapitalstock für die Mittelstandsförderung, wenn andererseits neue Risiken aufkommen. Solche Risi- ken bestehen durch die Verlagerung des Eigenhilfepro- gramms – EKH – und des Beteiligungskapitals für kleine Technologieunternehmen – BTU – vom Bundeshaushalt in das ERP-Sondervermögen. Besonders beim BTU-Programm ergeben sich viele Risiken und Fragen wie diese: Weshalb will die Bundes- regierung die Förderung von High-Tech-Unternehmen für die nächsten zehn Jahre einfrieren? Diese Frage ist umso unverständlicher vor dem Hintergrund, dass Deutschland im internationalen Vergleich Nachholbedarf bei der Grün- dung von innovativen Unternehmen hat. Gleiches gilt auch für den Venture-Capital-Markt. Die Risikoverteilung im BTU-Programm zwischen dem Bund einerseits und der Kreditanstalt für Wiederauf- bau KfW, bzw. der Deutschen Ausgleichsbank, DtA, an- dererseits ist in den vergangenen Jahren schon einseitig zulasten der Hauptleihinstitute verschoben worden. Nun liegt die Frage nahe, ob mit einer weiteren Reduzierung des Risikoanteils des Bundes zu rechnen ist. Zwangsläu- fig würde das zu einer Verschlechterung der Förderkondi- tionen bei KfW und DtA führen. Davon abgesehen erwarte ich durch den im Bundeska- binett beschlossenen Verkauf der Deutschen Ausgleichs- bank an die Kreditanstalt für Wiederaufbau schlechte Zeiten für den Fortbestand einer zielgerichteten Mittel- standsförderung. Ich bin überzeugt: Die DtA wird zur Hauptabteilung der KfW werden, deren Konzernstruktu- ren nicht zum Charakter einer Mittelstandsbank wie der DtA passen. Konzernrechnungslegung und -Audit sowie das Controlling der KfW werden zwangsläufig dazu führen, dass die vielen kleinen Förderleistungen und vor allem Beratungsstrukturen der DtA nicht mehr lange Luft zum Atmen behalten. Die behaupteten positiven Synergieeffekte aus der Zu- sammenführung von DtA und KfW erscheinen in diesem Licht kurz- bis mittelfristig äußerst zweifelhaft. Unzwei- felhaft ist dagegen, dass der Finanzminister primär von diesem „Deal“ profitieren wird. Rolf Kutzmutz (PDS): Eine neue Kultur der Selbst- ständigkeit, eine Gründeroffensive, Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze durch Innovation vor allem in jun- gen Unternehmen – das sind die Schlagworte, mit denen die Bundesregierung ihre angeblich erfolgreiche Politik beschwört. Die Tatsachen in der Wirtschaftsförderung sprechen jedoch eine andere Sprache: Teils bricht sie ein, teils bekommt die Regierung Angst vor dem Erfolg, weil er ihr zu teuer wird. Der massive Rückgang der Zahl der Zusagen insbe- sondere bei der Eigenkapitalhilfe, aber auch den anderen Mittelstandsprogrammen des ERP in diesem Jahr werden auch von Regierung und Koalition nicht bestritten. Die von ihnen dafür in diversen Ausschussberatungen angebo- tenen Erklärungsmuster – von vorjähriger großer Nach- frage wegen steigenden Zinserwartungen über eine „Kon- solidierung“ des Gründungsgeschehens in Ost und West, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, bis hin zur vergleichsweise guten Liquiditätssituation von Mittel- ständlern – bleiben jedoch fragwürdig. Zum einen spre- chen eigentlich bekanntlich alle Wirtschaftsdaten gegen einen sinkenden Förderbedarf. So lagen auch die preisbe- reinigten nicht staatlichen Ausrüstungsinvestitionen 1999 nach wie vor unter jenen von 1991! Zum anderen handelt es sich bei den Rückgängen keineswegs um einen kurzfris- tigen Trend. Ich habe einmal die Zusagen der ersten neun Monate dieses Jahres nicht nur mit jenen im Vorjahreszeitraum, sondern auch mit denen von 1998 verglichen: Die Eigen- kapitalhilfe Ost sackte seitdem auf die Hälfte, die übrigen Zusagen an ostdeutsche Mittelständler um fast 30 Prozent ab. In Westdeutschland gab es knapp ein Drittel weniger Eigenkapitalhilfe und mehr als ein Fünftel weniger sons- tige Zusagen. Nur die Umweltförderung im Westen scheint – bei starken Schwankungen – zu wachsen. Ost- deutschen Mittelständlern fehlt aber offensichtlich trotz des Erneuerbare-Energien-Gesetzes das Geld für den Ei- genanteil an Umweltschutzinvestitionen. Hier geht es kon- tinuierlich bergab, auf mittlerweile nur noch 57 Prozent des vor zwei Jahren, also noch unter Kanzler Kohl, er- reichten Zusagenniveaus! Neben den allgemeinen wirtschafts- und steuerpoliti- schen Rahmenbedingungen für Existenzgründer und Kleinunternehmen insbesondere in Ostdeutschland müs- sen wir uns also möglicherweise auch einmal über die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12939 (C) (D) (A) (B) Ausgestaltung der Darlehensförderkulisse unterhalten: Was muss an den Angeboten verändert werden, damit sie wieder zu mehr Arbeitsplätzen beitragen? Davor muss aber seitens der Regierung erst einmal ein schlimmer Verdacht ausgeräumt werden: den einer rigi- den, hinter die offiziellen Förderkriterien zurückfallenden Bewilligungspraxis, um nicht die bereits bestehenden Ri- siken für den ERP-Haushalt zu vergrößern und ihn in den mittelfristigen Finanzplanungen weiter zurückfahren zu können, also den einer Mittelstandsförderung allein nach vermeintlicher Kassenlage statt nach primär volkswirt- schaftlichen Erfordernissen. Denn wo man bei den Ver- antwortlichen auch nachfragt, überall wird über die an- geblich unerwarteten Mehrkosten der ab 1997 ins ERP-Vermögen verlagerten Eigenkapitalhilfe geklagt. Konkrete Zahlen rückt die Regierung aber bis jetzt nicht heraus. Selbst in einer heute zugegangenen Antwort verdunkelt sie noch mehr, als sie erhellt: Einerseits ver- meldet sie ohne Zahlenangaben tatsächliche Kosten etwas unter Vorkalkulation; andererseits spricht sie von einer dauerhaften Kalkulation von 2 Milliarden DM Eigenka- pitalhilfe pro Jahr. 1999 wurden aber nur knapp 1,5 Mil- liarden DM gewährt! Entweder das Finanzierungspro- blem besteht nicht, dann stellt sich die Frage nach Defiziten in der Förderkulisse umso schärfer. Oder aber das Problem ist so groß, dass man neuen Risiken von För- derprogrammen in diesem Vermögen nicht zustimmen kann, wenn es einem mit Mittelstandsförderung wirklich ernst ist. Ich meine die Kosten für Beteiligungskapital an klei- nen Technologieunternehmen, die mit dem neuen Wirt- schaftsplan aus dem Bundeshaushalt in das ERP-Vermö- gen verlagert werden sollen. Offensichtlich hat hier die Bundesregierung Angst vor dem politischen Erfolg be- kommen. Die Förderung wird nicht nur gut angenommen, sie stützt auch vergleichsweise viele und zukunftsträch- tige Arbeitsplätze. Das mit diesem Programm mobilisierte Kapital stieg von knapp 300Millionen 1996 auf fast 1,5Milliarden DM im vergangenen Jahr. Mit dem Volu- men wuchsen aber auch die Ausfallrisiken: In den beiden vergangenen Jahren wurden 175 Millionen DM fällig. Noch wesentlich höhere Beträge mussten schon für die bis jetzt gewährte Förderung für die nächsten Jahre ein- geplant werden. Eine Verlagerung in das ERP-Vermögen darf aber we- der dessen traditionelle Aufgaben beschränken – über die Instrumente dazu sollte man, wie gesagt, weiter nachden- ken –, noch die zukunftsträchtige Beteiligungsförderung abwürgen. In diesem Zusammenhang muss ich die Regie- rung schließlich an ihre löbliche Selbstverpflichtung von Anfang 1999 erinnern: Bis zum Ende der Wahlperiode wollte sie jährlich 4 Milliarden DM Kapital mobilisieren. Zur Halbzeit wurde aber erst etwa die Hälfte erreicht. Nicht weniger Fördervolumen, sondern mehr tut Not, wenn Innovationen auch tatsächlich in Wertschöpfung und damit in Arbeitsplätze münden sollen. Mit dem vor- liegenden Antrag unterbreitet die PDS-Fraktion praktika- ble Angebote zur Auflösung dieses Dilemmas. Wir sollten in den nächsten Wochen über die beste Lö- sung streiten, damit am Ende, wie in der Vergangenheit, ein von allen Seiten dieses Hauses getragener Wirt- schaftsplan im Rahmen dieser wichtigen Förderkulisse steht. Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Das ERP-Son- dervermögen hat sich besonders in den letzten Jahren er- folgreich zum zentralen Element der finanziellen Mittelstandsförderung des Bundes entwickelt. Das Eigen- kapital und die Erträge dieses Sondervermögens, das in der Nachkriegszeit aus Mitteln des Wiederaufbaupro- gramms für Europa gebildet worden ist, werden dabei im- mer wieder revolvierend eingesetzt, um vor allem Kredite und haftende Mittel zu günstigen Konditionen bereitzu- stellen. Die ERP-Programme richten sich schwerpunkt- mäßig an Existenzgründer und an dynamisch wachsende, investierende Unternehmen. Diese Ausrichtung ist konse- quent. Denn es sind gerade die jungen Unternehmen, die den Strukturwandel vorantreiben. Sie stärken die Leis- tungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirt- schaft. Sie sorgen für mehr Beschäftigung. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die Kreditan- stalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank, flankieren in einer beträchtlichen Größenordnung die im Kern vom ERP-Sondervermögen gestaltete finanzielle Wirtschaftsförderung mit ihren jeweiligen Eigenprogram- men. Beide werden dies nach der jetzt beschlossenen und im Detail noch umzusetzenden Geschäftsfeldabgrenzung noch zielgenauer tun können. Dies ist einer der Effekte der bevorstehenden Übertragung der Kapitalanteile der Deutschen Ausgleichsbank an die Kreditanstalt für Wie- deraufbau. Um diese Förderleistung anschaulicher zu machen: Im Bereich der Unternehmensgründungen, also bei Existenz- gründungen einschließlich Nachfolger-Lösungen und beim Start junger Unternehmen, erwarten wir im nächsten Jahr rund 75 000 Zusagen beim ERP-Sondervermögen und bei den beiden Förderbanken. Das damit korrespondierende Finanzierungsvolumen wird rund 30 Milliarden DM be- tragen, rund die Hälfte davon als geförderte Mittel. Im Zeit- punkt der Finanzierungszusage werden rund 500 000 Ar- beitsplätze geschaffen, vor allem aber gesichert. Für bestehende und wachsende Unternehmen erwarten wir beim ERP-Sondervermögen und bei den Förderban- ken im Jahr 2001 insgesamt rund 30 000 Zusagen mit ei- nem Finanzierungsvolumen von rund 20 Milliarden DM. Im Zeitpunkt der Zusagen können rund 60 000 Arbeits- plätze neu geschaffen und mehr als 900 000 gesichert werden. Der heute eingebrachte Entwurf des ERP-Wirtschafts- plangesetzes 2001 zeigt, dass wir den besonderen Finan- zierungsproblemen mittelständischer Unternehmen in den neuen Bundesländern entgegenkommen. Knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel von insgesamt rund 11 Milliarden DM können von dortigen Unternehmen in Anspruch genommen werden. Die Nachfrage in den neuen Ländern geht zwar zurück. Aber in jedem Falle Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012940 (C) (D) (A) (B) bleibt die Förderintensität im Osten deutlich höher als im Westen, wenn man die Bevölkerungszahlen oder den Un- ternehmensbestand als Bezugsgröße wählt. Ein wichtiges neues Element im Wirtschaftsplan 2001 ist die Übernahme von Haftungsrisiken durch das ERP- Sondervermögen für Beteiligungen, die ab 2001 aus dem erfolgreichen BTU-Beteiligungsprogramm für kleine Technologieunternehmen gefördert werden. Dabei muss ich besonders betonen: Alle Ausfälle für Zusagen in die- sem Programm, die vor 2001 gegeben wurden, werden weiterhin aus dem Bundeshaushalt getragen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS „ERP- Sondervermögen für Mittelstandsförderung erhöhen“ zeigt, dass noch Unsicherheit darüber besteht, ob das ERP-Sondervermögen die Übernahme der Risiken aus dem BTU-Programm ab 2001 dauerhaft tragen kann. Die Bundesregierung hat nach sorgfältigen Berechnungen keinen Zweifel daran, dass das ERP-Sondervermögen die Belastungen aus Neuzusagen im BTU-Programm tragen kann, und zwar ohne die Substanz des ERP-Sonder- vermögens zu gefährden und ohne die übrigen Förderauf- gaben zu vernachlässigen. Denn dem ERP-Sondervermögen stehen künftig zwei neue Ertragsquellen dauerhaft zur Verfügung: Einmal sind dies die Erträge, die das ERP-Sondervermögen aus der Anlage des Verkaufserlöses erzielen kann, den die Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Übernahme der Kapitalanteile der Deutschen Ausgleichsbank leisten wird. Der zweite Baustein für die künftige Finanzierung der Ausfälle im BTU-Programm wird durch nachhaltige Nutzung der jährlichen Erträge aus der so genannten ERP-Rücklage in der KGW-Bilanz gebildet. Das reicht nach unseren Berechnungen aus, um dauerhaft 2 Milliar- den DM Beteiligungskapital jährlich zu mobilisieren. Allerdings muss sich das ERP-Sondervermögen in der Ertragssteuerung dafür wappnen, um die zu erwartenden Ausfälle zeitgleich auch decken zu können. Deshalb ist beabsichtigt, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie als Verwalter des ERP-Sondervermö- gens künftig in der KfW-Bilanz, die unabhängig vom Wirtschaftsplangesetz jedes Jahr aufgestellt wird, eine Reserveposition zur Absicherung bestehender Risiken aus BTU-Zusagen bildet. Diese wird dann jederzeit und auch im Parlament im Zusammenhang mit einer aktualisierten Ausfallbetrachtung die Beantwortung der Frage erlauben, ob den Risiken ausreichend Rechnung getragen worden ist. Sicherlich wäre es für jeden Mittelstandspolitiker reiz- voll, noch mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt verwen- den zu können. Ich betone aber, dass dies mit der BTU- Übernahme nicht zu begründen wäre. Die finanzielle Förderung des ERP-Sondervermögens kann auch 2001 ohne Einschränkungen auf dem hohen Niveau der Vor- jahre fortgesetzt werden und zusätzlich ist die Übernahme der BTU-Risiken auf der Grundlage der getroffenen Ver- einbarungen gesichert. Eine Einschränkung der Mittelstandsförderung – wie bisweilen behauptet – wird es nicht geben. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sachgerechter Schutz derRechte fürSoftware (Tagesordnungspunkt 19) Hubertus Heil (SPD): Die rasante Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnolo- gien macht auf vielen Ebenen eine Überarbeitung bishe- riger rechtlicher Regelungen notwendig. In diesem Zu- sammenhang gibt es auch eine Diskussion über die Bestimmungen des Patentrechts hinsichtlich des Schutzes von Software. Um es ganz klar zu sagen: Auch wir wol- len keine generelle Ausdehnung der Patentierbarkeit von Software, da wir befürchten, dass Monopolstrukturen ge- stärkt werden, weil kleine Sofwareunternehmen und selbstständige Programmierer in ihrer Existenz betroffen und insgesamt der Fortschritt in der Softwareentwicklung deutlich gebremst werden könnte. Die Europäische Patentorganisation, EPO, wird auf der Diplomatischen Konferenz zur Revision des Europä- ischen Patentübereinkommens vom 20. bis zum 29. No- vember 2000 in München entscheiden, ob „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ aus der Liste der „als sol- che“ nicht patentfähigen Erfindungen des Art. 52 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens, EPÜ, gestri- chen werden soll. Die Bundesregierung hat sich ebenfalls klar und deutlich gegen eine solche Änderung des Wort- lauts der Vorschrift ausgesprochen. Bei der Sitzung des Verwaltungsrates der Europäischen Patentorganisation, EPO, vom 5. bis 8. September 2000 stimmten 10 der 19 Vertragsstaaten für den entsprechenden Vorschlag des Europäischen Patentamtes. Dabei wurden die Delegatio- nen Deutschlands, Dänemarks, Frankreichs, des Verein- ten Königreichs, Schwedens, Spaniens, Portugals und Luxemburgs mit nur einer Stimme Mehrheit überstimmt. Die EU-Kommission bereitet derzeit eine Richtlinie zur Frage der Patentierbarkeit von Software vor. Die Bin- nenmarktdirektion hat dazu das Papier „Patentierbarkeit Computer – Implementierter Erfindungen“ vorgelegt und einen breiten Diskussionsprozess eingeleitet. Diesem Prozess darf nicht vorgegriffen werden. Er ist ergebnisof- fen zu gestalten. Wir Sozialdemokraten unterstützen die Bundesregierung daher in ihrem Ziel, für die Diplomati- sche Konferenz die nunmehr notwendige Zweidrittel- mehrheit für die Beibehaltung der derzeitigen Regelun- gen zu erlangen, um die Abstimmung innerhalb der Europäischen Union nicht sinnlos zu machen. Die bestehenden Patentierungsmöglichkeiten in Bezug auf Softwareerfindungen sind vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch bei Software-Entwick- lern nicht ausreichend bekannt. Deshalb sehen sie sich durch die vorgeschlagenen Änderungen gefährdet. In der Informationsökonomie gewinnt die Kooperation im Netz- werk an Bedeutung gegenüber hierarchischer Koopera- tion. Bei der Softwareentwicklung ist die Zusammenar- beit von kleinen und mittleren Unternehmen und freien Softwareentwicklern der Produktion in Großunternehmen zum Teil überlegen. Bestes Beispiel ist die Netzwicklung der Open-Source-Software Linux. Es gewährleistet durch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12941 (C) (D) (A) (B) Offenheit des Quellcodes gleichzeitig Interoperabilität und Wettbewerb. Es ist – diese Bemerkung sei mir an die- ser Stelle gestattet – deshalb auch nicht so virusanfällig wie die weitverbreitete Softwaremonokultur des größten Herstellers. Großunternehmen, aber auch kleine und mittlere Un- ternehmen machen zunehmend von der bereits heute be- stehenden Möglichkeit, Patente auf Softwareerfindungen zu erhalten, Gebrauch. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen kann Patentschutz für Softwareentwicklun- gen besonders wichtig werden, wenn sie sich gegen Nachahmer schützen müssen. Um zu vermeiden, dass der Wettbewerb um Innovationen hinter juristische Ausei- nandersetzungen zurücktritt, müssen die patentrechtli- chen Regelungen klar und eindeutig gefasst sein, damit Rechtssicherheit besteht. Volkswirtschaftlich können ne- gative Effekte bei einer völligen Freigabe der Patentier- barkeit von Software entstehen. Ein großer Teil der Ener- gie der Entwicklungsarbeit müsste dann auf die Recherche bestehender Patente verwandt werden. Auf der anderen Seite müssen die Rechte der Entwick- ler von Software gewahrt werden. Unternehmen und Pro- grammierer müssen angemessene Erträge für ihre Arbeit realisieren können. Notwendig ist eine breite Debatte über den geeigneten Schutz der Rechte der Entwickler, die Ge- währleistung von Anreizen zur Investition in Software, von Innovationen und Sicherstellung von Wettbewerb auf den Softwaremärkten. Für die SPD-Fraktion möchte ich deshalb erklären, dass wir die Bundesregierung dabei unterstützen, ihre Be- mühungen fortzusetzen, die Änderung des Art. 52 Abs. 3 des Europäischen Patentübereinkommens auf der Diplo- matischen Konferenz zu verhindern. Zudem fordern wir die Bundesregierung auf, eine breite Debatte über Wett- bewerb und Innovation auf den Softwaremärkten anzu- stoßen. Die Ergebnisse dieser Beratungen sollten in die Debatte zur Entwicklung einer EU-Richtlinie einfließen. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, den Zeit- plan der EU-Kommission so zu gestalten, dass dieses möglich wird. Dem uns vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden wir nicht zustimmen, und zwar nicht, weil wir die grundsätzliche Intention Ihres Antrages nicht teilen. Meine eben gemachten Ausführungen haben das, so glaube ich, deutlich gemacht. Wir werden gegen diesen Antrag stimmen, weil er von der Bundesregierung, die im Übrigen in der Sache auch nicht erst überzeugt werden muss, etwas verlangt, was unmöglich ist. In diesem Antrag wird die Bundesregierung unter anderem aufge- fordert „sicherzustellen“, dass auf der Diplomatischen Konferenz keine Ausweitungen der Patentierungsmög- lichkeiten für Software beschlossen werden. – Meine Da- men und Herren von der CDU, wie soll denn da etwas „si- chergestellt“ werden? Deutschland ist nicht allein auf der Welt. Die Bundesregierung wird versuchen, unsere euro- päischen Vertragspartner zu überzeugen! Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Dirk Manzewski (SPD): Der Antrag der CDU/CSU- Fraktion zum sachgerechten Schutz der Rechte für Soft- ware geht davon aus, das auf der Diplomatischen Konfe- renz der Europäischen Patentämter Ende dieses Monats vorgesehen ist, auf europäischer Ebene generell die Pa- tentierung von Software zu ermöglichen. Richtig ist inso- weit, dass sich hierfür auf der dieser Konferenz vorange- gangenen Sitzung des Verwaltungsrates der Europäischen Patentorganisation eine knappe Mehrheit von einer Stimme gefunden hat. Die Vertreter aus Deutschland ha- ben sich im Übrigen ebenso wie die Frankreichs, Groß- britanniens, Dänemarks, Schwedens, Spaniens und Portu- gals eindeutig dagegen ausgesprochen. Da diese Haltung der Union bekannt ist, erübrigt sich eigentlich bereits ein Teil Ihrer Aufforderung an die Bun- desregierung, sich insoweit zu positionieren. Dies umso mehr, als die Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage der F.D.P.-Fraktion Ende Oktober diesen Jahres zum Sinn und den Grenzen der Patentierbarkeit von Computersoftware ausführlich Stellung genommen hat. Eine Änderung des Europäischen Patentübereinkom- mens zum jetzigen Zeitpunkt erscheint schon aus gesetzestechnischen Gründen nicht sinnvoll, da die EU- Kommission derzeit eine Richtlinie zur Frage der Paten- tierbarkeit von Software vorbereitet. Ein entsprechendes Sondierungspapier ist bereits am 19. Oktober vorgelegt worden. Damit wurde ein breiter Diskussionsprozess ein- geleitet, der ergebnisoffen zu gestalten ist. Diesem Pro- zess sollte nicht vorgegriffen werden. Die im CDU/CSU-Antrag geforderte Frist von drei Monaten, innerhalb derer sich die Bundesregierung zu Software-Patenten verbindlich positionieren soll, er- scheint mir in diesem Zusammenhang vollkommen will- kürlich und bestenfalls hinderlich für die anstehenden Verhandlungen. Die Bundesregierung hat in der bereits erwähnten Be- antwortung der Kleinen Anfrage der F.D.P.-Fraktion im Übrigen deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik Deutschland durch Artikel 27 des WTO-Übereinkom- mens über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums verpflichtet ist, Patentschutz für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik zu gewähren. Demzufolge müssen Patente auch für Erfindungen erteilt werden, die sich auf Software beziehen, wenn dies beantragt wird und die übri- gen Voraussetzungen für eine Patenterteilung vorliegen. Demgegenüber dürfen keine Patente erteilt werden, wenn eine Computersoftware keine Erfindung darstellt. In diesem Falle ist der Softwareentwickler aber nicht schutzlos. Ihm steht vielmehr ein rechtlicher Schutz nach den Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes zu. Die be- stehenden Patentierungsmöglichkeiten in Bezug auf Soft- ware-Erfindungen sind jedoch leider vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch Soft- wareentwicklern nicht ausreichend bekannt. Gerade für diese kann aber ein Patentschutz für Software-Erfindun- gen besonders wichtig werden, weil sie sich nicht wie Großunternehmen durch Einsatz ihrer Marktmacht gegen Nachahmer schützen können. Um zu vermeiden, dass Wettbewerb um Innovationen hinter juristischen Ausein- andersetzungen zurücktritt, müssen die patentrechtlichen Regelungen klar und eindeutig gefasst sein, damit Rechts- sicherheit besteht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012942 (C) (D) (A) (B) Es wird jedem einleuchten, dass der Schutz des geisti- gen Eigentums an einer echten Erfindung dem Erfinder möglich sein muss. Das Patentrecht hat den Zweck, Un- ternehmern und Geldgebern Anreize zu schaffen, in die riskante und kapitalintensive Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Lösungen zu investieren. Doch ge- rade in Bereichen wie der Softwareentwicklung – oder etwa der Genforschung – können selbst Experten kaum überblicken, welche Implikationen eine Neuerung jeweils beinhaltet. Um die Gefahr von „Trivial- oder Sperrpaten- ten“ und weltmarktbeherrschenden Monopolen abzuwen- den, müssen differenzierte Lösungen gefunden werden, die den Wettbewerb und die Entwicklung in diesem Wirt- schaftszweig nicht beeinträchtigen, sondern sie fördern. Genau daran aber wird intensiv gearbeitet. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, in Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, quasi im Alleingang ein weltweites Moratorium bei der Soft- warepatentierung zu erreichen. Sie zeigen damit ein bemerkenswertes Maß an Vertrauen in die globalen Einflussmöglichkeiten der von Gerhard Schröder geführ- ten Regierung. Aber auch Sie sollten sich den Realitäten der globalisierten Weltwirtschaft und den kodifizierten Regeln des internationalen Handels stellen. Für mich bedeutet das, eine breite Debatte über Wett- bewerb und Innovation auf den Softwaremärkten zu ini- tiieren, auf deren Grundlage wir mit unseren europäischen Partnern eine Software-Patent-Richtlinie erarbeiten, wel- che den berechtigten Befürchtungen um Wettbewerbsver- zerrungen Rechnung trägt und welche auch wettbe- werbsfördernden Konzepten wie beispielsweise der „Open-Source-Technologie“ einen Platz einräumt. Mit einer schlüssigen europäischen Patentrichtlinie, hinter der die Mitgliedstaaten der EU stehen, kann man meiner An- sicht nach auch weltweit mehr Einfluss ausüben, als dies im nationalen Schnellschuss möglich wäre. Ich hoffe, dass es der Bundesregierung noch gelingen wird, für die Diplomatische Konferenz die notwendige Mehrheit für die Beibehaltung der derzeitigen Regelung zusammenzubekommen. Lassen sie mich dabei noch an- merken, dass selbst die bei der Diplomatischen Konferenz getroffene Entscheidung noch nicht das letzte Wort in die- ser Sache wäre, da diese noch durch die nationalen Parla- mente ratifiziert werden müssten. Ich bitte daher die Bun- desregierung, in ihren Bemühungen in diesem Sinne nicht nachzulassen. Margarete Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Auf der Grundlage der vorbereitenden Ver- handlungen zu der Diplomatischen Konferenz zur Re- vision des Europäischen Patentübereinkommens vom 20. bis zum 29. November in München ist vorgesehen, Software aus den Ausnahmeregeln des § 52 Abs. 2 EPÜ herauszunehmen. Darin sind Gegenstände beschrieben, die „als solche“ nicht patentierbar sind. Bereits in den letzten Jahren ist die Patentierbarkeit von Software durch die Praxis der Patentämter und die Rechtsprechung immer weiter ausgedehnt worden. Diese Entwicklung darf jetzt nicht durch die Änderung des EPÜ nachvollzogen wer- den. Im Gegenteil: Wir brauchen eine grundlegende Prü- fung der bisherigen Praxis. Bei der Sitzung des Verwaltungsrates des Europäischen Patentübereinkommens vom 5. bis zum 8. September 2000 wurden die Regierungen Deutschlands, Dänemarks, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, Schwedens, Spaniens, Portugals und Luxemburgs mit einer Stimme Mehrheit überstimmt. Die EU-Kommission bereitet der- zeit eine Richtlinie zur Frage der Patentierbarkeit von Software vor. Die Binnenmarktdirektion hat dazu ein Son- dierungspapier zur „Patentierbarkeit Computer-Imple- mentierter Erfindungen“ vorgelegt und einen breiten Dis- kussionsprozess eingeleitet. Diesem Prozess darf nicht vorgegriffen werden. Er ist ergebnisoffen zu gestalten. Wir unterstützen die Bundesregierung daher in ihrem Ziel, für die Diplomatische Konferenz die nunmehr not- wendige Zweidrittelmehrheit zusammenzubekommen, um zunächst eine Änderung der Rechtslage und eine Aus- weitung der Patentierbarkeit zu verhindern. Insbesondere Entwickler von Open-Source-Software, kleine und mitt- lere Unternehmen und freie Entwickler von Software se- hen sich durch die Ausweitung der Patentierbarkeit von Software gefährdet. In der Informationsökonomie gewinnt die Kooperation im Netzwerk gegenüber der hierarchi- schen Kooperation an Bedeutung. Bei der Software- entwicklung ist die Zusammenarbeit von kleinen und mitt- leren Unternehmen und freien Softwareentwicklern der Entwicklung in Grossunternehmen zum Teil überlegen. Open Source hat eine wichtige Funktion bei der Her- stellung von mehr Wettbewerb auf dem Softwaremarkt. Es gewährleistet durch die Offenheit des Quellcodes die Möglichkeit, Interoperabilität und Wettbewerb gleichzei- tig zu gewährleisten. Open Source ermöglicht es, Wettbe- werb und Kommunikationsfähigkeit unterschiedlicher Softwarelösungen sicherzustellen. Das Open-Source-Be- triebssystem Linux setzt sich bei Servern mehr und mehr durch – gegen MS-Windows und andere proprietäre Be- triebssysteme. Es läuft stabiler, ist billiger und kann den je- weiligen Bedürfnissen der Nutzer dank seines offenen Quellcodes besser angepasst werden. Zudem lässt sich Li- nux wesentlich besser gegen Angriffe von außen sichern. Daher darf Open Source durch Software-Patente nicht be- hindert werden. Die Patentierbarkeit von Software nutzt vor allem den Großunternehmen: Sie verfügen über eigene Patent- und Rechtsabteilungen, die Recherchen und Anmeldungen effizient abwickeln können. Die zunehmende Patentier- barkeit von Software führt dazu, dass der Wettbewerb um Innovation hinter juristische Auseinandersetzungen zu- rücktritt. Eine Studie des Massachusetts Institute of Tech- nologie hat auch volkswirtschaftlich negative Effekte der Patentierbarkeit von Software nachgewiesen. Ein großer Teil der Energie der Entwicklungsarbeit müsste dann auf die Recherche bestehender Patente verwandt werden. Die Rechte der Entwickler von Software müssen ge- wahrt werden. Unternehmen und Programmierer müssen angemessene Erträge für ihre Arbeit realisieren können. Patente erscheinen uns dafür nicht geeignet. Softwareent- wickler betonen zum Teil den völlig eigenen Charakter von Software; andere sehen sich ausreichend durch das Urheberrecht geschützt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12943 (C) (D) (A) (B) Notwendig ist eine breite Debatte über den geeigneten Schutz der Rechte der Entwickler, die Gewährleistung von Anreizen zur Investition in Software, von Innovatio- nen und die Sicherstellung von Wettbewerb auf den Soft- waremärkten. Angela Marquardt (PDS): Alle Fraktionen sind sich einig, dass Software-Patente die Innovationspotenziale und den Wettbewerb beeinträchtigen. Die PDS fällt da nicht aus dem Rahmen. Die Entwicklungen im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationstechnolo- gien sind derart schnelllebig, dass Patente oftmals wie Blockaden wirken. Gerade im Bereich der Software wer- den die bestehenden Programme eigentlich ständig, ohne Unterbrechung weiterentwickelt. Software ist am ehesten mit einer gerade entstehenden ganz neuen Sprache vergleichbar, die dadurch reicher, umfassender, stimmiger wird, dass sie viele sprechen, dass sie variiert wird, ergänzt wird. Ein fertiges Produkt im klassischen Sinne gibt es kaum noch – und ist auch nicht wünschenswert. Dort, wo eine Software nicht weiterentwickelt wird, kommt der Entwicklungsprozess zum Stehen. Es ist also nicht verwunderlich, dass so- gar die Software produzierende Industrie ein starkes Inte- resse an Open-Source-Technologie hat. Selbst der welt- weit zweitgrößte Softwarehersteller ORACLE lehnt Software-Patente strikt ab. Neben den volkswirtschaftlichen Gründen, die gegen eine Patentierbarkeit sprechen, sind es vor allem aber auch soziale Gründe und Sicherheitsinteressen, die uns zu Gegnern der Software-Patente werden lassen. Gerade bei Verschlüsselungssoftware kann man nicht erwarten, dass sich alle auf nicht nachvollziehbare Programme einzelner Großunternehmen verlassen. Hier muss das Programm nachvollziehbar sein, weil nur so die Frage der Sicherheit nachvollziehbar, die Funktion einer Software beurteilbar ist. Das heißt, der Quellcode muss einsehbar sein. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass das Wirtschaftsmi- nisterium die Entwicklung der freien Software Gnu Pri- vacy Guard unterstützen will, mit der man E-Mails ver- schlüsseln kann. Die Bundesregierung hat sich in einem Eckpunktepapier für eine starke und uneingeschränkte Kryptographie ausgesprochen und gefordert, die Ent- wicklung deutscher Kryptosoftware zu unterstützen. Ich sehe die Regierung in diesem Punkt genau auf dem rich- tigen Weg. Die Förderung von Open-Source-Software hat, wie er- wähnt, auch eine soziale, eine politische Funktion. Offene Betriebssysteme wie Linux sind zwar inzwischen zu ei- nem kommerziell lukrativen Geschäft geworden, den- noch kann mit Open Source Software viel Geld gespart werden, weil teure Softwarelizenzen entfallen. Diese Einsicht, die auch der Bundesregierung nicht ganz fremd sein dürfte, hat allerdings bisher nicht zu Kon- sequenzen geführt. Ich kenne keine Bundesbehörde, die mit Linux arbeitet. Wir alle sind Microsoft-Abhängige. In Sachsen hat die PDS-Landtagsfraktion einen Antrag ein- gebracht, Computer, die im Zusammenhang mit der Ak- tion „Schulen ans Netz“ angeschafft werden, mit dem freien Betriebssystem Linux laufen zu lassen. Ich muss wohl kaum hinzufügen, dass der Antrag abgelehnt wurde. Dabei befürwortet – wie im Handelsblatt vom 30. Juni nachzulesen war – inzwischen sogar Staatssekretär Mosdorf die Möglichkeit, bei „Schulen ans Netz“ Open- Source zu stärken. Aber da war die PDS wohl mal wieder etwas der Zeit voraus. Nach diesen Ausführungen werden Sie sicher nicht er- staunt sein, dass wir die Forderungen im zweiten Teil des hier vorliegenden CDU/CSU-Antrages teilen. Unklar er- scheint mir das von der Union geforderte eigenständige Schutzrecht für Software. Worauf soll das hinauslaufen? In den Ausschüssen werden wir sicher darüber sprechen. Vielleicht schaffen wir es ja, zu einem gemeinsamen An- trag zu kommen. Ich bekunde hier jedenfalls schon ein- mal mein Interesse daran. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz:Das Internet und die neuen Tele- kommunikationsmedien werden sich auf alle Rechtsge- biete auswirken. Die Gesetzgebung muss hier rasch gestaltend eingreifen und die Modernisierung unseres Rechts vorantreiben. Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Entwurf eines Namensaktiengesetzes wollen wir dies für das Aktienrecht tun. Hier erscheint eine Mo- dernisierung dringlich. Die Verwendung neuer Tech- nologien ist in den Kapitalmärkten besonders fortge- schritten. Um ein Beispiel vor Augen zu führen: Ein Anleger, der von seinem Laptop aus seine Kauf- und Verkaufentschei- dungen online trifft, versteht es nicht mehr, dass er be- stimmte Unternehmensmitteilungen nicht auch online er- halten oder seine Stimmrechtvollmachten auf diesem Wege erteilen kann. Das Namensaktiengesetz wird dies möglich machen. Erstens wird das völlig veraltete Recht zur Namensak- tie grundlegend aktualisiert und auf den Stand moderner Datenübertragung und elektronischer Aktienregister ge- bracht. Dabei haben wir besonderen Wert auf die daten- schutzrechtliche Absicherung und Verbesserung gelegt. Der einzige streitige Punkt war die Frage, wer die Kosten für die Datenübermittlung tragen sollte. Es wäre schön, wenn sich die Streitpunkte auch bei anderen Vorhaben auf solche Details reduzieren ließen. Ich danke den Bericht- erstattern dafür, dass sie eine sehr ausgewogene Lösung hierzu gefunden haben. Zweitens – dieser Punkt ist vielleicht noch wichtiger –: In dem Entwurf werden viele Formerfordernisse aus alter Zeit rund um die aktienrechtliche Hauptversammlung so- weit wie möglich heruntergefahren. Teilnehmerverzeich- nisse auf den Hauptversammlungen werden in Zukunft auf Bildschirmen dargestellt, Aufsichtsratssitzungen kön- nen im Bedarfsfall rasch als Videokonferenz einberufen werden, Stimmrechtsvollmachten können auch in elektro- nischer Form erteilt werden und ähnliches mehr. Dies sind mutige Modernisierungen unseres Aktienrechts. Das Namensaktiengesetz wird dem nicht mit dem Ge- sellschaftsrecht befassten Betrachter als eine eher techni- sche Novelle erscheinen. Der Entwurf hat aber das Poten- zial, eine beachtliche Modernisierung und Veränderung anzuschieben. Es wird zum Beispiel interessant zu beob- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012944 (C) (D) (A) (B) achten sein, wie in der Zukunft die Stimmrechtsausübung auf den Hauptversammlungen unserer Aktiengesellschaf- ten neu organisiert werden wird. Das alte Depotstimm- recht der Banken wird Konkurrenz bekommen, so viel können wir heute schon vorhersagen. Das Gesetz enthält weiter eine Einschränkung des sehr bürokratischen und aus heutiger Sicht unverständlich komplizierten Nachgründungsverfahrens für neu gegrün- dete Aktiengesellschaften. Dies betrifft besonders die Start-Up-Unternehmen und die Neuemissionen am Neuen Markt. Die beteiligten Kreise haben diesen Gesetzge- bungsvorschlag mit großer Erleichterung aufgenommen. Sie können sich vorstellen – oder sie werden es schon wis- sen –, dass dieser Entwurf hohe Zustimmung bei allen be- teiligten Kreisen gefunden hat und dringlichst erwartet wird. Ich möchte deshalb an dieser Stelle den Berichter- stattern und den Kollegen im Rechtsausschuss, aber auch im Wirtschaftsausschuss für die sehr zügige und kon- struktive Beratung des Entwurfs danken. Das gilt über die Fraktionsgrenzen hinweg. Ich freue mich, sagen zu kön- nen, dass wir damit auch im internationalen Vergleich auf diesem Rechtsgebiet eine innovative Rolle übernehmen. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die zwei Ihnen vorliegenden Änderungsanträge der F.D.P.-Fraktion ein- gehen. Sie betreffen den Entwurf nicht unmittelbar. Beim VW-Gesetz ist immerhin ein Zusammenhang nicht zu leugnen. Es ist auch nicht so, dass wir kein Verständnis für den Antrag haben. Aber nachdem Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P.-Frak- tion, in der 12. und 13. Wahlperiode zweimal vergeblich versucht haben, das VW-Gesetz abzuschaffen oder zu än- dern, sollte Ihnen einsichtig geworden sein: Es wäre rich- tiger und besser, wenn der Anstoß zur Reform in diesem Fall von den Betroffenen selbst ausginge. Auch Ihren Vorschlag zur Reform des Anfechtungs- rechts nehmen wir durchaus ernst. Ich bin aber nicht da- mit einverstanden, einen so wichtigen, im Einzelnen in der Wissenschaft und Praxis umstrittenen Vorschlag von erheblicher Tragweite handstreichartig und ohne Diskus- sion mit den beteiligten Kreisen im Rahmen eines völlig anderen Gesetzgebungsverfahrens mitzuregeln. Es ist Ihr gutes Recht, auf das Thema hinzuweisen und Änderungen anzumahnen. Wir lassen uns aber eine sorgfältige Geset- zesarbeit dadurch nicht nehmen. Das Anfechtungsrecht ist zudem zentraler Punkt in der von der Bundesregierung eingesetzten Corporate Governance Kommission, wo wir Gelegenheit haben, den gesamten Sachverstand einzu- sammeln. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge – 46. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV) vom 17. bis 21. November 2000 in Berlin; – Europäische Sicherheit und NATO (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die NATO steht in Zeiten des Wandels. Während des Ost- West-Konfliktes war ihr Bereich auf die kollektive Ver- teidigung beschränkt. Heute haben sich die Aufgaben ge- wandelt: Die NATO ist engagiert bei militärischen Krisenmanagementoperationen. Daher steht sie in einer besonderen sicherheitspolitischen Verantwortung. Die Aufgabe heute ist die Weiterentwicklung eines global und regional verschränkten Multilateralismus. Die NATO ist Bestandteil eines Netzwerkes von Si- cherheitsorganisationen für Europa: NATO, Europäische Union und OSZE. In einem weiten Verständnis von Si- cherheit gehört auch der Europarat dazu. Darüber hinaus haben wir kooperative Sicherheitsbeziehungen zu den osteuropäischen Staaten in unterschiedlicher Dichte auf- gebaut. Einige sind inzwischen Mitglieder der NATO, die anderen kooperieren mit uns über die Partnerschaft für den Frieden. In diesem Kontext hat sie mehrere Funktio- nen. Sie ist das wesentliche materielle Band der transatlan- tischen Beziehungen, um das herum kulturelle und wirt- schaftliche Verbindungen geknüpft wurden. Sie hat sich als stabile Organisation erwiesen. Die anderen Ebenen der transatlantischen Beziehungen müssen jedoch energisch weiterentwickelt werden. Die transatlantischen Beziehungen waren in ihrer Ge- schichte nicht frei von Meinungsunterschieden und Kon- flikten. Partnerschaft und Freundschaft zeichneten sich nicht dadurch aus, dass solche Probleme unter den Tep- pich gekehrt wurden, sondern dass darüber offen debat- tiert wurde. Die Bewältigung der Probleme hat den Zu- sammenhang des Bündnisses eher gestärkt. Auch heute sind sie nicht frei von Differenzen. Ein Punkt, über den wir in der Gegenwart diskutieren und der auch Thema in den nächsten Tagen auf der Herb- sttagung der Nordatlantischen Versammlung in Berlin sein wird, ist das von den Vereinigten Staaten geplante System einer nationalen Raketenabwehr. Wir gehen dabei von unterschiedlichen sicherheitspolitischen Analysen aus, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der An- satz der europäischen Seite im transatlantischen Verhält- nis geht eher von der rüstungskontrollpolitischen Seite aus. Die diesjährige parlamentarische Versammlung der NATO gibt uns die Möglichkeit, die Diskussionen zu die- sem Thema gemeinsam auch mit amerikanischen Kolle- gen zu vertiefen. Ein sicherheitspolitisches Thema, mit dem wir uns in den nächsten Jahren, nicht zuletzt aus humanitären Grün- den, intensiv werden widmen müssen, sind Kleinwaffen. Es sind diejenigen Waffen, durch die gegenwärtig die meisten Menschen umkommen. Daher ist hier dringender Handlungsbedarf. Die Mittel der Rüstungskontrolle auf diesem Gebiet sind noch sehr beschränkt. Notwendig sind zum Beispiel die unauslöschliche Kennzeichnung von Kleinwaffen und eine größere Transparenz bei der Her- stellung und beim Handel mit diesen Waffen. Da diese Waffen heute vor allem in innergesellschaftlichen Krie- gen benutzt werden, ist es notwendig, die betroffenen Ge- sellschaften zu stabilisieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12945 (C) (D) (A) (B) Die Bundeswehr befindet sich in einem fundamentalen Wandel. Wir unternehmen große Anstrengungen, die ge- genüber der NATO und der Europäischen Union einge- gangenen Verpflichtungen der NATO zu erfüllen. Die Modernisierung und Reduzierung der Bundeswehr wird ein langwieriger Prozess, der integraler Bestandteil unse- rer multilateralen Sicherheitspolitik ist. Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen, dessen Bedeutung inzwischen in allen sicherheitspoliti- schen Organisationen an Bedeutung gewinnt: Prävention im Sinn von Gewaltverhinderung. Das schon erwähnte Problem der Kleinwaffen zeigt, dass zeitgemäße Sicher- heitspolitik präventiv orientiert sein muss. Unser Ziel ist es, unsere militärischen Kapazitäten nicht einzusetzen und dafür die erforderlichen Instrumente und Mechanis- men der Prävention zu schaffen. Der Kosovo-Krieg hat gezeigt, dass unsere Instrumente dafür nicht ausreichend waren und die Bedeutung einer strategisch angelegten Prävention zu lange unterschätzt wurde. Die NATO wirkt jetzt im Rahmen von KFOR stabilisierend und ist damit auch präventiv tätig. Allerdings kann Militär keinen Frie- den schaffen, den müssen sich die Menschen in den Ge- sellschaften selbst erarbeiten. Eine der Lehren aus dem Krieg ist, dass in den Jahren seit dem Ende des Ost-West- Konfliktes diese sicherheits- und friedenspolitische Stra- tegie immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und wir die Handlungsfähigkeit der UNO stärken müssen. In unserem interfraktionellen Antrag stellen wir he- raus, dass die transatlantischen Beziehungen und das Netzwerk der Sicherheitsorganisationen für Europa eine der besten Garantien gegen eine Renationalisierung der Sicherheitspolitik ist. Dialog über strittige Punkte wie die National Missile Defense gehören ebenfalls dazu. Die NATO spielt in diesem Netzwerk nicht die einzige, aber eine wichtige Rolle. Ulrich Irmer (F.D.P.): Die Berliner Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO diese Woche in Berlin, zehn Jahre nach Wiederherstellung der deut- schen Einheit und nach dem Ende des Kalten Krieges, ist Anlass für eine Bilanz sowie für einen Ausblick auf zukünftige Herausforderungen. Nach wie vor gilt, dass die NATO nicht nur das dauerhafteste, sondern auch das erfolgreichste Sicherheits- und Verteidigungsbündnis der neueren Weltgeschichte darstellt. Der Erfolg der Allianz ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die demo- kratischen Staaten Europas und Nordamerikas nicht nur zu einem klassischen Militärbündnis, sondern zu einer po- litischen Wertegemeinschaft verbunden haben, deren höchstes politisches Ziel eine gerechte und dauerhafte Friedensordnung in Europa ist. Die Kombination aus mi- litärischer Abschreckungsfähigkeit und dem Willen zu Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung war der Schlüssel zur Überwindung der deutschen und euro- päischen Teilung. Mit dem Beitritt Polens, der Tschechi- schen Republik und Ungarns, mit einer Fülle von Part- nerschafts- und Kooperationsverträgen mit den jungen Demokratien in Osteuropa und mit seiner Bereitschaft zur weiteren Öffnung, hat das Bündnis gezeigt, dass es sich gegen niemanden richtet, sondern als Garant für Stabilität und Sicherheit an der Gestaltung des politischen Wandels in Europa mitwirkt. Wer Freiheit verwirklichen, beschützen und bewahren will, braucht hierfür auch militärische Durchsetzungs- fähigkeit. Die Verteidigung der freiheitlichen Verfassung unserer Gesellschaft ist daher eine zentrale Aufgabe un- serer Streitkräfte im Rahmen der NATO. Sie können diese Aufgabe indessen nur dann wahrnehmen, wenn sie hier- für mit adäquaten Mitteln ausgestattet werden. Dies ist je- doch nicht der Fall. Lag die Bundesregierung 1990 noch mit einem Anteil der Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,4 Prozent des Bruttosozialproduktes an fünfter Stelle unter den NATO-Partnern, so bildet sie heute mit 1,4 Pro- zent das Schlusslicht. Dies hat im Kosovo-Konflikt unter anderem dazu geführt, dass Luftwaffe, Heer und Marine bei ihrem Einsatz praktisch kaum Führungsaufgaben übernehmen konnten, weil sie nicht in der Lage waren, mit den besser ausgestatteten Bündnispartnern zu kom- munizieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es schon ausge- sprochen abenteuerlich, wenn sich der Bundesverteidi- gungsminister nicht nur zur Stärkung des deutschen An- teils an den Krisenreaktionskräften der Europäischen Union und zum Ausbau des Euro-Korps, sondern auch noch zur permanenten Bereitstellung deutscher Kontin- gente im Rahmen der UNO-Friedensmissionen verpflich- tet. Derartige Zusagen erfordern nicht nur erhebliche zu- sätzliche Aufwendungen im Bereich der strategischen Transportfähigkeit, der Satellitenaufklärung und moderner Präzisionswaffen. Sie werfen vor allem auch eminente verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich Auftrag, Man- datierung und parlamentarischer Zustimmungspflichtig- keit deutscher Einsätze auf. Selbstverständlich muss es auch Aufgabe der Bundes- wehr in der Zukunft sein können, gemeinsam mit Bünd- nispartnern Menschen aus Notlagen zu retten, Konflikte zu verhüten und Krisen zu bewältigen. Derartige Bünd- nisoperationen bedürfen jedoch ebenso einer zweifels- freien völkerrechtlichen Legitimierung, wie die deutsche Beteiligung hieran eine vorherige Zustimmung durch den Deutschen Bundestag zwingend voraussetzt. Auch im Rahmen der neuen NATO-Strategie muss die Bündnis- und Landesverteidigung absolute Priorität bei- behalten. Es ist bei der überwiegenden Zahl der Mitglied- staaten, gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrun- gen in Bosnien und im Kosovo, keine wachsende Neigung zu militärischen Interventionen außerhalb des Bündnisge- bietes zu erkennen. Wenn die NATO die Rolle als Stabi- litätsfaktor im euro-atlantischen Raum beibehalten will, darf sie nicht die Rolle eines Weltpolizisten übernehmen. Die Erfahrungen im Kosovo und in Bosnien haben auch gezeigt, dass der Aufbau einer gemeinsamen euro- päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die die- sen Namen verdient, unerlässlich ist. Dies kann aus libe- raler Sicht aber nur komplementär zur NATO über die Verstärkung einer europäischen Handlungsfähigkeit im Bündnis selbst erfolgen. Am Ende der gegenwärtig statt- findenden Bemühungen sollte daher nicht eine – wie auch immer geartete – „Euro-NATO“, sondern eine ausgewo- genere Verantwortungs- und Lastenteilung zwischen Eu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012946 (C) (D) (A) (B) ropa und den USA stehen. Eine Arbeitsteilung nach dem Motto: „Amerika kämpft und Europa zahlt“, ist keine so- lide Grundlage für eine belastbare Sicherheitspartner- schaft. Deshalb muss die Herausbildung einer eigenstän- digen europäischen Verteidigungspolitik innerhalb der NATO auch an die Entwicklung einer transatlantischen Verteidigungsindustrie gekoppelt sein. Beide Seiten des Atlantiks verbinden zu viele gemein- same Interessen, als dass man es sich leisten könnte, ge- trennte Wege zu gehen. Die Neugestaltung der Aufgaben im Bündnis, ohne die bewährte Sicherheitspartnerschaft infrage zu stellen, ist daher die entscheidende Herausfor- derung für die Zukunft der NATO. Wolfgang Gehrcke (PDS):Wenn der Umstand, dass sich der Bundestag erst zu später Nacht- bzw. früher Mor- genstunde mit der Parlamentarischen Versammlung der NATO befasst, Ausdruck dafür wäre, wie viel oder eher wenig die NATO für die deutsche Politik bedeutet, dann würde mich das aufrichtig freuen. Man soll sich bekannt- lich nicht zu früh freuen. Für die deutsche Außen-, Innen- und Sicherheitspolitik gilt noch immer: „NATO first“. Ich habe dies immer für falsch gehalten. Nach dem Ende der Systemauseinandersetzung in Europa hätte die Chance bestanden, weiter abzurüsten und im Zuge dieses Prozes- ses Militärbündnisse und damit auch die NATO zu über- winden. Die NATO und mit ihr die deutsche Politik ist diesen vernünftigen und logischen Weg nicht gegangen; im Gegenteil: Selbst der Status quo wurde nicht gehalten. Qualitativ ist eine neue Runde der Hochrüstung eingetre- ten. Der Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugo- slawien war vielleicht der tiefste Einschnitt in der Nach- kriegsgeschichte. Das Bündnis, das für sich selbst immer wieder den Anspruch erhob, ein Bündnis zur Verhinde- rung von Kriegen zu sein, hat in Europa Krieg geführt und dies im Widerspruch zur Charta der Vereinten Nationen, aber auch zur eigenen Charta. Die Washingtoner Gipfelvereinbarungen vom letzten Jahr haben die politische Grundlage der NATO tief verän- dert: Aus einem Bündnis zur Verteidigung der Territorien seiner Mitgliedsländer, das seine militärischen Entschei- dungen an der Beschlussfassung des VN-Sicherheitsrates – und zwar ausschließlich daran – gekoppelt hatte, wurde ein Militärbündnis, das weltweit Interessen verficht und sich weltweite Interventionsmöglichkeiten auch ohne die UNO anmaßt. Das schafft keine Sicherheit, sondern ist eine Gefahr für Sicherheit. Mehr Sicherheit entsteht auch nicht, wenn die NATO sich über ihre jetzigen Mitglieds- länder hinaus ausweitet. Gerade in Europa kann Sicher- heit nur Sicherheit mit Russland und nicht gegen Russ- land sein. Jeder weiß, dass die Aufnahme von Staaten, die ehemals zur Sowjetunion gehörten, die Sicherheitsinte- ressen von Russland berührt und in diesem Sinne destabi- lisierend wirkt. Die neue NATO-Konzeption drückt sich auch in verän- derten Zielsetzungen für die Armeen der Mitgliedstaaten aus. Es spricht für einen grundsätzlichen Paradigmenwech- sel deutscher Politik, wenn der Generalinspekteur der Bun- deswehr, General Kujat, auf der jüngsten Kommandeursta- gung als Ziel der Bundeswehrreform ihre „Veränderung von einer Verteidigungsarmee in ein hochwirksames In- strument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ be- nennt. Dies hätte sich keine CDU/CSU-Regierung leisten können, ohne einen Sturm der Entrüstung gerade bei der heutigen Koalition auszulösen. Die Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik ist schlichtweg verfassungswidrig und politisch abenteuer- lich. Wer sie so einsetzen will, wird auf den Widerstand zumindest meiner Fraktion treffen. Die grundsätzlich unterschiedlichen Positionen kom- men auch in den vorliegenden Anträgen, dem überfraktio- nellen einerseits und dem meiner Fraktion andererseits, zum Ausdruck. Kollege Markus Meckel hatte meiner Fraktion angeboten, den interfraktionellen Antrag mitzu- zeichnen. Ich habe Achtung vor der Zivilcourage des Kol- legen Meckel, der PDS ein solches Angebot zu machen, trotz des noch bestehenden Tabus bei der Zusammenarbeit mit meiner Fraktion. Ich konnte auch keine Absicht erken- nen, meine Fraktion sozusagen vorzuführen; aber mit- zeichnen konnten wir den Antrag trotzdem nicht: Die ge- gensätzlichen Überzeugungen und Einschätzungen lassen dies nicht zu. Und dies ist gut so. Aber ich komme bei an- derer Gelegenheit auf dieses Angebot gern zurück. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12947 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bit-
ten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)

Wir sind erschüttert über die Brandkatastrophe in

der Kapruner Gletscherbahn, die 155 Menschen das
Leben gekostet hat. Am vergangenen Samstag endete ein
sonniger Herbsttag, an dem sich die angereisten Sportler
auf ein unbeschwertes Skivergnügen gefreut hatten, jäh in
der größten zivilen Katastrophe, die unser Nachbarland
Österreich jemals heimgesucht hat. Fast 40 Deutsche sind
unter den Opfern. Viele von uns kennen dieses Skigebiet
oder sind selbst schon mit der Gletscherbahn gefahren.
Wir teilen den Schrecken über das Geschehene.

An dieser Stelle möchte ich allen Kräften, auch jenen,
die von Deutschland aus sofortige Hilfe leisteten, für
ihren Einsatz Dank und Anerkennung aussprechen.

Wir trauern um die Opfer. Unser Mitgefühl gilt den An-
gehörigen der Opfer, ihren Familien, Freunden und allen,
die ihnen nahe standen.

Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen er-
hoben. Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute feiert der Kol-
lege Manfred Heise seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere
ihm im Namen des Hauses sehr herzlich und wünsche al-
les Gute.


(Beifall)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen teilt mit, dass

Herr Günter Saathoff als stellvertretendes Mitglied aus
dem Kuratorium der Stiftung „Erinnerung, Verantwor-
tung und Zukunft“ ausscheidet. Als Nachfolger wird der
Abgeordnete Christian Simmert vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist der Kollege Simmert als stellvertretendes Mit-
glied in das Kuratorium der Stiftung entsandt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.: Hal-
tung der Bundesregierung zur Rücknahme von deutschem
Atommüll aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague

(siehe 132. Sitzung)


2. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Be-
richt der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversi-
cherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen
und Ausgaben, der Schwankungsreserve sowie des jeweils er-
forderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren
gemäß § 154 SGB VI (Rentenversicherungsbericht 1999)

– Drucksache 14/2116 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

3. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 30.)

a) – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der

Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Gemeinsamen Protokoll vom 21. September 1988
über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und

(Gesetz zu dem Gemeinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens)

– Drucksache 14/3953 – (Erste Beratung 122. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des

([Neuntes] Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes)

122. Sitzung)
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für

(16. Ausschuss)

Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusam-
menlegung des Bundesamtes für Wirtschaft mit dem

(Erste Beratung 124. Sitzung)


12749


(C)



(D)



(A)



(B)


133. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000

Beginn: 9.22 Uhr

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirt-
schaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache
14/4615 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

4. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN: Verantwortung der früheren Bundesregie-
rung für die Erteilung einer Unbedenklichkeitserklärung
für das atomare Endlager Morsleben


(Bayreuth)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Wasser-
straßen ausbauen und Nachteile der Deutschen Flagge im
EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt beseitigen
– Drucksache 14/4602 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, fol-
gende Tagesordnungspunkte abzusetzen: Tagesordnungs-
punkt 26 a und b – Bekämpfung gefährlicher Hunde –,
27 a und b – straßenverkehrsrechtliche Vorschriften – so-
wie 30 b – betriebliche Altersversorgung. Der Tagesord-
nungspunkt 28 a und b – es handelt sich um die UVP- und
die IVU-Richtlinie – soll ohne Debatte beraten werden.
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tion der F.D.P. hat beantragt, den Tagesordnungspunkt 10
– Jahresabrüstungsbericht – und den Tagesordnungs-
punkt 17 – Rüstungsexport – verbunden zu beraten.

Das Wort hat der Kollege Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1413300100
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Tagesordnung weist heute ei-
nige Punkte auf, die uns nicht zufrieden stellen können.
Ich will den Bericht der Ausländerbeauftragten anspre-
chen, der erst zu später Stunde behandelt wird. Wir als
F.D.P.-Fraktion hätten uns gewünscht, dass wir diesen Be-
richt umfassender und vielleicht zu einem anderen Zeit-
punkt, wenn auch die Öffentlichkeit Gelegenheit hat, sich
die Debatte darüber anzuhören, diskutieren könnten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das aber mag das Problem der Koalition sein. Wir bit-
ten jedenfalls darum, einen anderen Zeitpunkt für den Be-
richt der Ausländerbeauftragten, den wir für wichtig hal-
ten, zu finden, und darum, die Debatte darüber, für die
jetzt 45 Minuten vorgesehen sind, zu verlängern.

Der Grund unseres Geschäftsordnungsantrags ist: Wir
werden heute etwa gegen 18 Uhr über das Thema Abrüs-
tung und um Mitternacht über das Thema Rüstungsexport
debattieren. Wir als F.D.P.-Fraktion sind der Auffassung,
dass wir über beides zusammen diskutieren könnten, wo-

bei wir die jeweils vorgesehene halbe Stunde Debattenzeit
zusammennehmen möchten, sodass eine einstündige Dis-
kussion möglich wird.

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition
von Rot-Grün muss sich schon fragen lassen, warum, seit
sie regiert, über Themen wie Rüstungsexporte oder Men-
schenrechte in China ständig in den Nachtstunden debat-
tiert wird.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)


Man muss fast fragen: Warum scheuen Sie das Tageslicht
beim Thema Rüstungsexport?


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Mein Gott ist das peinlich! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Aufgrund der Zurufe der Sozialdemokraten sage ich Ih-
nen, warum. Ich zitiere aus der „Welt“ vom 3. November
2000. Da hieß es unter der Überschrift „Bom-
bengeschäft“:

Die deutschen Kriegswaffenexporte, von denen es
immer heißt, sie seien restriktiv, haben sich im ver-
gangenen Jahr im Vergleich zu 1998 mehr als ver-
doppelt. Von Beschränkung kann keine Rede sein.

Das ist der Sachverhalt. Sie haben uns neue Rüstungs-
exportrichtlinien auf den Tisch gelegt. Das ist wunderbar,
darüber können wir sprechen. Aber das soll nur der Be-
friedigung der grünen Wähler draußen dienen. Vor allem
die Grünen wandern draußen mit der Friedenspalme
durch die Gegend und hier beschließen sie über Exporte
noch und noch.


(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der PDS)


Es wird deutlich: Früher haben Sie uns, die alte Koali-
tion, bei den Rüstungsexporten kritisiert. Heute exportie-
ren Sie viel mehr, als es die alte Koalition von F.D.P. und
CDU/CSU getan hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darüber wollen wir zu passender Zeit diskutieren, damit
auch die deutsche Bevölkerung davon Kenntnis nehmen
kann. Wir wollen das nicht um Mitternacht tun. Ich sage
es noch einmal: Scheuen Sie nicht das Tageslicht! Dis-
kutieren Sie mit uns zu einer angemessenen Zeit! Wir
schlagen vor, die beiden Tagesordnungspunkte zusam-
menzufassen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1413300300
Guten Morgen,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon
merkwürdig, dass vonseiten einer der Oppositionsfraktio-




Präsident Wolfgang Thierse
12750


(C)



(D)



(A)



(B)


nen, nachdem wir über drei Wochen über die heutige Ta-
gesordnung gesprochen haben, solche Geschäftsord-
nungsanträge gestellt werden, aber nicht mit entsprechen-
den Anträgen aufgewartet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich frage mich: Wo sind die Anträge der F.D.P. zu den

Themen Rüstungsexport und Abrüstung, die uns dazu ge-
bracht hätten, diese Themen früher auf die Tagesordnung
zu setzen, wie Sie es soeben verlangt haben?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern handelt es sich um eine ganz einfache Kiste. Sie
hätten alles in der Hand gehabt, aber Sie haben sich vor-
her nicht gemeldet. Von daher sehen wir Ihren Antrag
nicht ein.

Wir sehen auch keinen inneren Zusammenhang zwi-
schen beiden Themen. Das sage ich sehr nachdrücklich.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie ressortieren in zwei unterschiedlichen Ministerien
und das allein zeigt schon, dass es keinen direkten Zu-
sammenhang gibt.

Von daher werden wir Ihren Geschäftsordnungsantrag
ablehnen, auch wenn Sie sehr vordergründig versuchen,
daraus noch einmal in polemischer Weise etwas zu ma-
chen.

Ich schlage den Mitgliedern unserer Fraktion und dem
Haus im Übrigen an dieser Stelle vor, die Tagesordnung
ein wenig zu entschärfen und zusammenzufassen, indem
ich den Antrag stelle, den Tagesordnungspunkt 5 – Rege-
lung der Zuwanderung und die Umsetzung der „Berliner
Rede“ des Bundespräsidenten – mit dem Tagesordnungs-
punkt 16 – Bericht der Ausländerbeauftragten – unter dem
Punkt 5 des heutigen Tages zusammenzufassen.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das hätten Sie vor drei Wochen auch haben können!)


– Nein, das haben wir mit Rücksicht auf Sie bisher nicht
gemacht; aber nun entschärfen wir die Lage und sorgen
dafür, dass die Debatte über den Rüstungsexport früher
stattfinden kann. Das ist unser Antrag, den ich hier stelle.
Ihren Antrag werden wir ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300400
Ich erteile dem Kolle-
gen Eckart von Klaeden das Wort.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kollegen! Der heutige Don-
nerstag hat für die Regierungskoalition schlecht begon-
nen. Auch die weitere Tagesordnung verspricht keine
Besserung. Daher ist es verständlich, dass Sie die Fragen
um den Rüstungsexport und die Abrüstung voneinander
trennen wollen. Ihr widersprüchliches Verhalten in der

Rüstungsexportpolitik soll nicht bei Tage, sondern in der
Nacht besprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)

Dass Rüstungsexporte und Abrüstung nichts miteinan-

der zu tun haben, entspricht von der intellektuellen Qua-
lität her den Verteidigungsleistungen des – jetzt wohl ehe-
maligen – Bundesverkehrsministers Klimmt, die wir in
den letzten beiden Tagen leider haben erleben müssen.


(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Dass ein sachlicher Zusammenhang besteht, darauf haben
Sie in der letzten Legislaturperiode immer wieder hinge-
wiesen.

Dass Rüstungsexporte und Abrüstung zusammen be-
handelt werden müssen, bedarf keiner weiteren Begrün-
dung. Ich will nur einmal darauf hinweisen, dass Sie sich
in der vergangenen Legislaturperiode in über 20 Kleinen
Anfragen, Änderungsanträgen bei der Beratung des
Bundeshaushalts und selbstständigen Anträgen gerade
zum Zusammenhang von Rüstungsexport und Abrüstung
geäußert haben.

Sie haben die Sorge, dass insbesondere Ihre wider-
sprüchliche Rüstungsexportpolitik im Verhältnis zur Tür-
kei zur Sprache kommt. Dabei wollen wir nicht mitma-
chen. Wir unterstützen den Antrag der F.D.P.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300500
Ich erteile der Kolle-
gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, das
Wort.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt bin ich gespannt!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ehren; aber Wilhelm Schmidt hat darauf hingewiesen,
dass wir über die heutige Tagesordnung sehr lange disku-
tiert haben. Sie haben vorher diese Punkte nicht vorge-
schlagen und sich selber nicht engagiert.

Ich will Ihnen, ohne auf den Inhalt einzugehen – das
gehört nicht in eine Geschäftsordnungsdebatte –, dazu nur
eines sagen: Im Unterschied zu Ihrer Koalition diskutie-
ren wir offen und ehrlich über Rüstungsexporte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich bin schon beeindruckt!)


– In der Tat ist das so. Die neuen Exportrichtlinien sind ein
klares Zeichen dafür. Was Sie angeht, so haben wir noch
heute mit einem Untersuchungsausschuss zu tun, der
Fuchs-Panzerlieferungen zum Gegenstand hat. Das ist der
Unterschied.

Die beiden Debatten gehören nicht zusammen: In der
einen Debatte geht es um außenpolitische Aspekte. Bei




Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


12751


(C)



(D)



(A)



(B)


dem anderen Punkt geht es um deutsche Rüstungsexporte.
Wir werden das unabhängig voneinander debattieren.

Aber wir haben Ihnen einen Vorschlag gemacht, wie
wir früher am Abend darüber reden können. Wir wollen
über zwei andere Tagesordnungspunkte, die wirklich zu-
sammengehören, zusammen debattieren.


(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Damit die Debatte über Rüstungsexporte noch später stattfindet!)


Damit erreichen wir eine zeitliche Entspannung. So kön-
nen wir früher am Abend über die Rüstungsexporte spre-
chen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300600
Ich erteile der Kolle-
gin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1413300700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist das Anlie-
gen der F.D.P.-Fraktion berechtigt. Ich finde es gar nicht
verwerflich, dass die F.D.P.-Fraktion dabei die PDS un-
terstützt. Das ist eine neue Situation im Hause.

Natürlich gibt es einen inhaltlichen Zusammenhang
zwischen dem Jahresabrüstungsbericht der Bundesregie-
rung und unseren Anträgen zu Rüstungsexporten. Insbe-
sondere gibt es diesen Zusammenhang, da sich offen-
sichtlich auch in der neuen Regierungskoalition die
Auffassung durchsetzt, dass man Abrüstung am besten
dadurch bewerkstelligt, dass man die Rüstungsexporte
verstärkt. Das finden wir nicht. Deshalb lohnt es sich,
diese Fragen zusammen zu diskutieren.

Der zweite Punkt, den wir natürlich ebenfalls unter-
stützen, ist, dass solche wichtigen Themen, nämlich die
Kontrolle von Rüstungsexporten, Transparenz bei Rüs-
tungsexporten und Waffen- und Panzerlieferungen in die
Türkei, nicht in Mitternachtsrunden gehören. Ich weiß,
dass diese Themen der Regierungskoalition im Moment
nicht besonders angenehm sind; denn es kracht ja ohnehin
schon ziemlich im Gebälk. Sie in nächtlichen Stunden zu
debattieren finden wir völlig unangemessen, weil sie zu
diesen Zeiten der Öffentlichkeit meist verborgen bleiben.
Das mag ja vielen von Ihnen recht sein, aber uns ist es
überhaupt nicht recht. Deshalb finden wir es richtig, das
zu verändern. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Mehr Licht,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsko-
alition!


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)

Es gibt natürlich auch einen ganz eigennützigen Grund

der PDS: Sie wissen sehr wohl, dass es uns Woche für Wo-
che nervt, dass ausgerechnet unsere Tagesordnungs-
punkte zu oft sehr wichtigen Themen immer in die Stun-
den vor oder kurz nach Mitternacht geschoben werden.
Dann haben wir natürlich immer die Situation, dass wir
nicht mehr diskutieren. Um diese Zeit haben viele Kolle-
gen gute Gründe – manchmal auch nicht so gute Gründe –,

ihre Debattenbeiträge zu Protokoll zu geben. Das führt
natürlich dazu, dass Sie uns mit unseren schlauen Überle-
gungen alleine lassen. Es führt auch dazu, dass der Ideen-
wettstreit mit der linken Opposition in diesem Parlament
kaum mehr stattfindet. Ich finde, das macht den politi-
schen Diskurs ärmer. Auch auf diese Weise kann man
Minderheitenrechte verhunzen.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Über das Pro-
blem „Panzer in die Türkei – ja oder nein“ und über an-
dere Probleme des Rüstungsexportes um 18 Uhr statt, wie
heute geplant, um 23 Uhr zu diskutieren, finden wir span-
nender. Deshalb werden wir dem Antrag der F.D.P. zu-
stimmen.

Ich will im Zusammenhang mit dem Antrag der SPD
einen weiteren Punkt nennen. Die F.D.P. hat erstmals ei-
nen eigenen Tagesordnungspunkt zu einer vernünftigen
Zeit, nämlich zur Kernzeit, einbringen können, wie das
für die kleinen Fraktionen ja wirklich die Ausnahme ist.
Deshalb hat es die F.D.P. in der Runde der parlamentari-
schen Geschäftsführer abgelehnt, den Bericht der Auslän-
derbeauftragten zu diesem Tagesordnungspunkt hinzuzu-
nehmen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völlig sachfremd!)


– Nein, das ist nicht völlig sachfremd. Wenn Sie so vor-
gehen, werden auch Minderheitenrechte verletzt.


(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)

Denn die Regierungskoalition kann diese Debattenpunkte
der Oppositionsfraktionen – insbesondere der kleinen Op-
positionsfraktionen – dann immer mit eigenen Themen
dominieren. Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir
Ihren Antrag diesbezüglich ablehnen.

Eine letzte Klarstellung: Wenn die Punkte so zusam-
mengelegt werden, wie es die SPD beantragt, dann wird
natürlich die Debatte um die Rüstungsexporte noch wei-
ter in die Nachtstunden geschoben. Die Debatte wird da-
durch nicht verkürzt – das ist doch völlig eindeutig –, weil
sich die Redezeiten zu den vorherigen Punkten automa-
tisch verändern. Das zur Klarstellung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413300800
Wir kommen zur Ab-
stimmung. Wer dem Geschäftsordnungsantrag der F.D.P.
auf Zusammenlegung der Tagesordnungspunkte 10 und
17 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Das Letzte war die Mehrheit. Da-
mit ist der Geschäftsordnungsantrag abgelehnt.

Wir kommen zum Geschäftsordnungsantrag der SPD
auf Zusammenlegung der Tagesordnungspunkte 5 und 16.
Wer stimmt diesem Antrag zu? – Wer stimmt dagegen? –
Dieser Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion und von Teilen der
F.D.P.-Fraktion angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a bis c sowie Zu-
satzpunkt 2 auf:




Katrin Göring-Eckardt
12752


(C)



(D)



(A)



(B)


3a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förde-
rung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermö-
gens (Altersvermögensgesetz – AVmG)

– Drucksache 14/4595 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Reform der Renten wegen verminderter Er-
werbsfähigkeit
– Drucksache 14/4230 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/4630 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/4634 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Dr. Konstanze Wegner
Antje Hermenau

c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Versorgungsabschläge
– Drucksache 14/4231 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses

(4. Ausschuss)

– Drucksache 14/4620 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Meinrad Belle
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Petra Pau

ZP 2 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche
Rentenversicherung, insbesondere über die Ent-
wicklung der Einnahmen und Ausgaben, der
Schwankungsreserve sowie des jeweils erforderli-
chen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalender-

(Rentenversicherungsbericht 1999)

– Drucksache 14/2116 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Zum Gesetzentwurf zur Reform der Renten wegen ver-
minderter Erwerbsfähigkeit liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU, zwei Änderungsanträge der
Fraktion der PDS sowie jeweils ein Entschließungsantrag
der beiden genannten Fraktionen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, das
Wort.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413300900
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über
die Probleme der Rentenkassen wurde schon seit Jahren
nur gesprochen. Wir haben bereits im letzten Jahr ent-
schlossen gehandelt: Wir haben die versicherungsfrem-
den Leistungen aus der Rentenkasse herausgenommen
und die Beitragssätze gesenkt. Heute leiten wir den Ge-
setzgebungsprozess ein, indem wir über Lösungen disku-
tieren, um dann entschlossen zu handeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei geht es uns zunächst darum, einen fairen Aus-
gleich zwischen den Generationen zu finden. Das ist un-
ser Weg und wir meinen, dass das der einzig gangbare
Weg ist. Wir haben einen Lösungsvorschlag auf den Tisch
gelegt, der diesem Anspruch gerecht wird. Bei unserer
Rentenreform sind Junge und Ältere gleichermaßen Ge-
winner. Wir schaffen Gerechtigkeit zwischen den Gene-
rationen, wir setzen auf Solidarität mit Gewinn sowie auf
Sicherheit und Bezahlbarkeit. Deswegen konzentrieren
wir uns auf vier Schwerpunkte:

Erstens. Wir ergänzen die gesetzliche Rente mit einer
zusätzlichen kapitalgedeckten Rente und werden damit
das Rentenniveau – insgesamt dauerhaft anheben.

Zweitens. Wir werden den Weg, die Rentenversiche-
rungsbeiträge zu senken, konsequent fortsetzen und zu ei-
ner Stabilisierung der Beiträge und damit zu einer Be-
grenzung der Lohnnebenkosten kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Präsident Wolfgang Thierse

12753


(C)



(D)



(A)



(B)


Drittens. Wir werden insbesondere die Menschen – das
betrifft vor allem Frauen – unterstützen, die durch Unter-
brechung ihrer Erwerbstätigkeit oder aufgrund einer ge-
ringeren Bezahlung infolge Kindererziehung letztlich
niedrigere Renten haben. Damit muss Schluss sein!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Wir möchten die verschämte Altersarmut in
diesem Land beenden, weil die Politik nicht darauf setzen
darf, dass ältere Menschen aus Scham oder weil sie den
Rückgriff auf die Kinder scheuen, ihre berechtigten An-
sprüche nicht anmelden. – Das sind unsere Ziele.

Das Herzstück unseres Gesetzentwurfs ist die Förde-
rung des Aufbaus eines zusätzlichen Altersvermögens.
Diese Altersvorsorge ist freiwillig und zusätzlich. Sie ist
also kein Ersatz, sondern eine Ergänzung der gesetzlichen
Rente. Wir werden den Aufbau dieser zusätzlichen Al-
tersvorsorge durch umfassende staatliche Zulagen
unterstützen. Wir haben das Ziel, das Versorgungsniveau
im Alter insgesamt zu erhöhen. In Zukunft soll die ge-
setzliche Rente als Basis durch eine zusätzliche Rente er-
gänzt werden.

Damit die Möglichkeit eines zusätzlichen Vermögens-
aufbaus kein Privileg von wenigen wird, starten wir
das größte Programm zur Förderung eines Alters-
vorsorgevermögens, das jemals in dieser Republik aufge-
legt worden ist. Wir wollen, dass alle Rentenversicherten
die Möglichkeit erhalten, sich ergänzend abzusichern.
Dies betrifft vor allem die Menschen, die nicht viel ver-
dienen oder mittlere Einkommen haben – also vor allem
junge Familien mit Kindern –, die im Gegensatz zu Bes-
serverdienenden eine zusätzliche Altersvorsorge bislang
nicht betreiben können.

Dieses Ziel ist uns fast 20Milliarden DM jährlich wert;
der Startschuss soll im Jahr 2002 fallen. Damit niemand
finanziell überfordert wird, beginnen wir im ersten Jahr
mit einem Beitrag von 1 Prozent des Bruttoentgelts. Der
Staat gibt von Anfang an Geld dazu. Der Beitrag steigt in
insgesamt vier Schritten alle zwei Jahre um jeweils 1 Pro-
zent und erreicht im Jahre 2008 insgesamt vier Prozent
vom Bruttoentgelt.

Vom Staat werden all diejenigen gefördert, die in die
gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Nach der An-
laufphase bekommen Alleinstehende 300 DM im Jahr,
Verheiratete 600 DM und für jedes Kind gibt es 360 DM.
Ich mache dies deutlich am Beispiel einer Familie mit
zwei Kindern und einem Jahresverdienst von durch-
schnittlich 50 000 DM: Wenn diese Familie jährlich
680 DM für die Altersvorsorge aufwendet, dann gibt der
Staat 1 320 DM dazu, nämlich 300 DM für den Ehemann,
300 DM für die Ehefrau, 360 DM für das erste Kind und
360 DM für das zweite Kind. Das ist die breite Förderung
durch die von allen gewünschte ergänzende Altersvor-
sorge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer monatlich auf seinen Lohnzettel schaut, der weiß,
dass die Schmerzgrenze bei den Abgaben längst erreicht

ist. Deswegen sind Fragestellungen, die die Abgaben be-
treffen, für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land
ein zentraler Punkt. Auch für die Betriebe ist das wichtig.
Wir haben sehr schnell erste Schritte eingeleitet und ha-
ben den Rentenversicherungsbeitrag auf 19,3 Prozent ab-
gesenkt. Gestern hat das Kabinett beschlossen, ab dem
1. Januar nächsten Jahres den Rentenversicherungsbei-
trag erneut um 0,2 Prozentpunkte auf 19,1 Prozent abzu-
senken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch wichtiger aber ist es, diese Beiträge langfristig
zu stabilisieren und auf niedrigem Niveau zu halten. Des-
wegen werden wir durch diese Reform sicherstellen, dass
der Beitragssatz mindestens zehn Jahre unter 19 Prozent
und mindestens 20 Jahre unter 20 Prozent bleibt. Auf
Jahre hinaus bedeutet dies, dass die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer mehr Geld in den Taschen haben und
dass die Unternehmer mehr Spielraum haben, um zu in-
vestieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Denn immer wei-
ter steigende Beitragssätze hätten negative Konsequenzen
für die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Lande.

Die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages von
20,3 Prozent auf 19,3 Prozent, die wir schon vorgenom-
men haben, bringt für die Arbeitgeber und für die Arbeit-
nehmer eine Entlastung von insgesamt rund 16 Milliar-
den DM. Dabei entfallen 8 Milliarden DM auf die
Beschäftigten und 8Milliarden DM auf die Betriebe. Die-
ser Weg wird weitergegangen.

In vielen Gesprächen mit älteren und jüngeren Men-
schen wurde ich immer wieder besorgt gefragt, wie viel
Geld die Rentner in Zukunft zur Verfügung haben werden.
Dazu muss man Folgendes ganz klar sagen: Für die heu-
tigen Rentner wird sich nichts ändern. Ihre Renten werden
ab dem 1. Juli nächsten Jahres an die Lohnentwicklung
kontinuierlich angepasst. Dies wird sich nicht ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch für diejenigen, die 55 Jahre und älter sind, wird sich
nichts ändern. Sie werden ihre Renten auf gleichem Ni-
veau bekommen und sie werden bis zum Ende ihres Ren-
tenbezuges entsprechend der Lohnentwicklung ange-
passt. Bei den Jüngeren ist dies so nicht zu verwirklichen.

Die Menschen werden älter; darüber freuen wir uns.
Durch die längere Lebenserwartung werden sie ein Mehr
an Rentenleistung bekommen, da sie länger Rente bezie-
hen. Allerdings werden wir einen Ausgleichsfaktor ein-
führen, der dieser Entwicklung ab dem Jahr 2011 in be-
schränktem Umfang Rechnung trägt: Der Ausgleichsfaktor
beginnt mit 0,3 Prozentpunkten ab dem Jahr 2011. Es wird
im Jahr 2030 bei 6 Prozentpunkten begrenzt. Dennoch er-
halten die Rentner durch die verlängerte Bezugszeit der
Rente ein insgesamt größeres Rentenvolumen.

Unhabhängig davon ist es wichtig, Vorsorge zu tref-
fen. Das ist der entscheidende Ansatz. Damit die Men-
schen dies leisten können, bauen wir die ergänzende, ka-
pitalgestützte Vorsorge auf und unterstützen das gerade
für Personen mit geringerem und mittlerem Verdienst so-
wie für Familien mit Kindern in ganz erheblichem Maße.




Bundesminister Walter Riester
12754


(C)



(D)



(A)



(B)


Ein weiterer Punkt: Wir werden mit der Rentenreform
dafür sorgen, dass das fortwährende Ärgernis der Exis-
tenzgefährdung vieler Menschen im Alter, weil sie in ih-
rer Erwerbsbiografie Unterbrechungen wegen der Erzie-
hung ihrer Kinder haben, beendet wird. Wir werden mit
dieser Reform dafür sorgen, dass die niedrigeren Verdien-
ste derjenigen, die Kindererziehung mit Erwerbstätig-
keit verbunden haben, rentenrechtlich höher bewertet
werden, und zwar maximal bis zum Durchschnittsver-
dienst aller Versicherten. Die rentenrechtlichen Anwart-
schaften werden bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes
höher als bisher bewertet. Das betrifft im Regelfall die
Frauen.

Nun gibt es Fälle, in denen mehrere Kinder gleichzei-
tig erzogen werden und eine Erwerbstätigkeit deswegen
gar nicht möglich ist. Wir werden auch die Rentenan-
sprüche derjenigen, die zwei oder mehr Kinder gleichzei-
tig erzogen haben, höher als bisher bewerten und für
diese – das sind im Regelfall Frauen – erstmals sicher-
stellen, dass Arbeitsunterbrechungen wegen Kindererzie-
hung nicht im Rentenalter zu Armut führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen um die Schwierigkeiten gerade der Men-
schen, die behinderte Kinder erziehen. Deswegen wollen
wir sicherstellen, dass diejenigen, die ein behindertes Kind
erziehen und deswegen häufig nicht erwerbstätig sein kön-
nen, nicht im Alter bestraft werden. Wir werden die Ren-
tenansprüche im Fall der Erziehung eines behinderten
Kindes in den ersten 18 Lebensjahren höher als bisher be-
werten, sodass die Menschen, die die anspruchsvolle Auf-
gabe übernommen haben, ein behindertes Kind zu erzie-
hen, nicht im Alter bestraft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden darüber hinaus dafür sorgen, dass der Staat

junge Menschen unterstützt, die nicht gleich in das Er-
werbsleben eintreten können und deswegen Lücken in ih-
rer Erwerbsbiografie haben. Auch für diese werden wir
rentenrechtliche Lücken schließen. Damit stellen wir uns
konsequent der Aufgabe, dass Unterbrechungen zu Be-
ginn des Arbeitslebens im Falle von Frühinvalidität nicht
zu Armut führen.


(Beifall bei der SPD)

Nun möchte ich auf ein Thema zu sprechen kommen,

das mich sehr bewegt, das sehr ernst zu nehmen ist und
um das immer wieder öffentlich gestritten wird, nämlich
die Frage: Wie können wir verschämte Altersarmut
bekämpfen bzw. dafür sorgen, dass sie erst gar nicht auf-
tritt? Wir alle wissen, dass die Statistiken die Altersarmut
nur unzureichend ausweisen. Viele ältere Menschen mit
geringen Renten und ohne Rücklagen scheuen den Gang
zum Sozialamt. Viele ältere Menschen haben auch
Angst – aus welchen Gründen auch immer –, dass ein
Rückgriff auf die Kinder mit dem Hinweis auf die Unter-
haltspflicht erhebliche Probleme aufwerfen könnte. Da-
rauf, dass Menschen aufgrund ihrer Ängste auf eine Exis-
tenzsicherung im Alter verzichten, darf Politik nicht
setzen, zumindest möchte ich keine Politik vertreten, mit
der bewusst oder unbewusst darauf gesetzt wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301000
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ja.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1413301100
Herr Minister, Sie brin-
gen heute eines der wichtigsten Reformvorhaben der rot-
grünen Bundesregierung ein. Wie bewerten Sie eigentlich
die Tatsache, dass bei Ihrer Einbringungsrede nur ein
Minister auf der Regierungsbank anwesend ist und der
Bundeskanzler während Ihrer Rede den Plenarsaal ver-
lassen hat?


(Widerspruch bei der SPD)


Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Ich darf Ihnen versichern, dass wir gestern
im Kabinett gerade über das jetzige Thema sehr intensiv
diskutiert haben und geschlossen der Meinung waren:
Dieser Gesetzentwurf wird in dieser Form eingebracht.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe, bevor ich unterbrochen wurde, über die Men-

schen gesprochen, die unserer Unterstützung im besonde-
ren Maße bedürfen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD], an Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] gerichtet: Herr Grund, da sitzen keine Männer; da sitzt eine Frau! – Unruhe bei der CDU/CSU)


– Vielleicht kann man sich wieder auf die Aufgabe kon-
zentrieren, den Menschen zu helfen, die unserer Unter-
stützung bedürfen. Damit ist es mir sehr ernst.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen zwei Dinge zur Vermeidung von ver-

schämter Armut sicherstellen: Die Rentenversicherungs-
träger sollen hierzu Information und Beratung bei der An-
tragstellung verbessern und damit unterstützende und
ergänzende Hilfen anbieten. Wir wollen zweitens auf den
Unterhaltsrückgriff bei Kindern und bei Eltern ver-
zichten. Dies ist ein richtiger Schritt, um auch diesen
Menschen Sicherheit im Alter und bei dauerhafter Er-
werbsminderung zu gewähren.

Wir haben heute die zweite und dritte Lesung zu den
Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten. Ich habe in
der ersten Lesung darauf hingewiesen, dass wir zwar die
grundlegende Richtung des Rentenreformgesetzes 1999
in Bezug auf die Frage der Erwerbsunfähigkeit mittragen,
dass wir aber entscheidende soziale Schieflagen korrigie-
ren. Wir korrigieren die Schieflage, dass Menschen, die
noch teilerwerbsfähig sind und zwischen drei und sechs
Stunden arbeiten können, aber arbeitslos sind und in der
Regel keine Chance haben, einen Arbeitsplatz zu bekom-
men, nicht rentenrechtlich abgestraft werden, sondern
weiterhin eine volle Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stellen sicher, dass die 40-Jährigen und Älteren
nicht, wie von der früheren Regierung vorgesehen, sofort
ihren Berufsschutz verlieren, sondern dass sie weiterhin
bei Berufsunfähigkeit eine Teilrente wegen Berufsun-
fähigkeit erhalten.




Bundesminister Walter Riester

12755


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir stellen sicher, dass die Schwerbehinderten bei der
Heraufsetzung des Rentenzugangsalters eine weitere Frist
bekommen, bei der die 50-Jährigen und Älteren weiterhin
nach altem Recht mit 60 Jahren ohne Rentenabschläge in
den vorgezogenen Altersruhestand gehen können. Das ist
für diese Menschen ganz entscheidend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An diesem Punkt hatte ich in der ersten Lesung den
Eindruck – das wurde auch in vielen Punkten signali-
siert –, dass zumindest hier ein breiter Konsens im Parla-
ment vorhanden ist und wir die Zustimmung der Opposi-
tion gewinnen können. Es wird sich heute zeigen, ob die
Opposition in dieser Frage zumindest die Kraft hat, in die-
ser entscheidenden Frage mitzustimmen.


(Beifall bei der SPD)

Unsere Reform hat viele Gewinner. Deshalb werden

wir die vier Ziele, die ich vorgetragen habe, unbeirrt
durchsetzen. Die Gewinner sind alle heutigen Rentner.
Ihre Renten werden gesichert. Sie werden kontinuierlich
entsprechend der Lohnentwicklung angehoben. Sie wis-
sen auch, dass sie bezahlbar bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Gewinner sind vor allem auch die jüngeren Men-
schen, die Beitragszahler, weil sie wissen, dass die
Beiträge nicht kontinuierlich ansteigen, dass die Lohnne-
benkosten begrenzt werden und dass sie gleichzeitig eine
breite soziale Unterstützung bekommen zum Aufbau ei-
ner ergänzenden kapitalgedeckten Vorsorge. Sie wissen,
dass die Gesamtvorsorge im Alter stabil ist.


(Beifall bei der SPD)

Die Gewinner sind Frauen und kinderreiche Familien,

die im besonderen Maße durch die Reform besser gestellt
sind. Die Gewinner sind vor allem sozial Schwache, auf
deren Situation sich diese Reform einstellt. Sie bietet
Hilfe an.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen ist diese Reform viel mehr als eine überfäl-
lige und notwendige Reparatur. Diese Reform ist eine zu-
kunftsweisende Reform über mehrere Jahrzehnte. Die
Rentenversicherung wird um eine zusätzliche Altersvor-
sorge ergänzt: Wir kombinieren Solidarität mit Eigenver-
antwortung. Mit staatlicher Förderung starten wir das
größte Programm zum Aufbau von Altersvermögen. Wir
setzen auf Solidarität mit Gewinn, und wir setzen auf Si-
cherheit und Bezahlbarkeit. Es lohnt sich, an diesem Kon-
zept festzuhalten und dies auch gegen Widerstände durch-
zusetzen. Denn dies ist eine Reform, die viele Gewinner
hat. Die neue Rente vereint, was allen nützt: Solidarität
mit Gewinn.

Es ist lange geredet worden. Jetzt muss gehandelt wer-
den, und zwar zügig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Weichen sind gestellt, der Zug setzt sich in Bewe-
gung. Die heutige Verabschiedung der Reform der Er-

werbsunfähigkeitsrenten ist die erste Station auf dem Weg
zu einer großen Rentenreform.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Auweia!)

Ich lade auch die Union ein, einzusteigen; bevor das Si-

gnal ertönt: Die Türen schließen selbsttätig.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301200
Ich erteile dem Kolle-
gen Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Horst Seehofer (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion führt zurzeit ei-
nen intensiven rentenpolitischen Dialog mit allen gesell-
schaftlichen Gruppen. Bei unserem gestrigen Gespräch
haben uns alle Verbände die Frage gestellt: Wozu sollen
wir eigentlich Stellung nehmen? Der Gesetzentwurf, der
heute vorliegt, gilt in seinen wesentlichen Bestandteilen
bereits nicht mehr. Er soll geändert werden und das, was
neu kommen soll, ist nicht bekannt. Niemand in der Re-
publik weiß noch, was auf ihn zukommt, weder die Rent-
ner noch die Beitragszahler.


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Chaos ist bei dieser Koalition Programm. Nicht die Ge-
werkschaften, nicht die Sozialverbände, nicht die Oppo-
sition, sondern die ständigen taktischen Haken des Bun-
desarbeitsministers haben Beitragszahler und Rentner in
der Bundesrepublik Deutschland verunsichert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich nehme als Beispiel die Rentenformel, die Vertrau-
ensgrundlage unserer gesetzlichen Rentenversicherung.
Danach bestimmen sich die jährliche Rentenanpassung
und das Rentenniveau. Ich möchte Ihnen einmal auf-
zählen, was die Regierung in den letzten zwölf Monaten
hier angestellt hat: 1999 Anpassung nach der Nettolohn-
entwicklung. Im Jahr 2000 gab es einen doppelten Wort-
bruch: Anpassung – entgegen den Wahlversprechungen –
nach Inflationsrate, nicht nach Nettolohnentwicklung.
Die dabei zugrunde gelegte Inflationsrate war nicht von
diesem Jahr, sondern vom letzten Jahr. Dafür hat sich der
Bundeskanzler bei den Rentnern entschuldigt. Für das
nächste Jahr steht eine Anpassung nach Inflationsrate im
Gesetz, was jetzt wieder in Nettolohnanpassung geändert
werden soll. Im Jahre 2002 soll ein modifiziertes Netto-
lohnprinzip gelten. Herausgerechnet werden soll die dann
erfolgte Steuersenkung, was inzwischen aber in der Re-
gierung wieder umstritten ist. Darüber, wie die Rentenan-
passung im Jahr 2002 erfolgen soll, wird diskutiert.

So geht es lustig weiter: Für 2003 ist die nächste Runde
der Änderungen angesagt. Dann soll die Rentenanpas-
sung doppelt modifiziert werden. Herausgerechnet wer-
den die Steuersenkung und der 2002 eingeführte 1-pro-
zentige Beitrag zur privaten Altersvorsorge. Im Jahre
2004 wird wieder geändert. Da wird der private Vorsor-




Bundesminister Walter Riester
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(D)



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(B)


gebeitrag erneut zur Hälfte angerechnet, obwohl im Jahre
2003 ein Vorsorgebeitrag überhaupt nicht anfällt.

Meine Damen und Herren, in sechs Jahren sechs Än-
derungen der Rentenformel! Am schönsten hat es die
„Frankfurter Rundschau“ kommentiert:

Wer das jetzt nicht verstanden hat, braucht deshalb
nicht an seiner Intelligenz zu zweifeln. Entstanden ist
ein bürokratischer Albtraum.

(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Ich füge hinzu: Innerhalb von sechs Jahren sechs Än-

derungen, das ist ein Weltrekord der Pfuscherei.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.])

Herr Bundeskanzler, den bisherigen Rekord hält auch
diese Regierung. Aufgestellt wurde er vor einem Jahr von
der Bundesgesundheitsministerin, die hier eine Reform
vorlegte, die sie gar nicht wollte. Der Ausschuss legte ei-
nen ganz anderen Reformvorschlag vor, als die Regierung
beabsichtigt hatte.

Dies erwähne ich zum Stichwort Verunsicherung, weil
der Arbeitsminister dazu neigt, uns vorzuhalten, die Op-
position, Gewerkschaften und Sozialverbände seien bös-
artig und verstünden das nicht. Nein, diese pausenlose
Taktiererei und der pausenlose Zickzackkurs haben zu ei-
ner Verunsicherung bei 18 Millionen Rentnern und
30 Millionen Beitragszahlern geführt, wie es in der Ge-
schichte der Rentenversicherung nie zuvor der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun wird die Beitragssatzstabilität groß gefeiert. Da-
bei wird verschwiegen, dass die Beiträge zur gesetzlichen
Rentenversicherung langfristig auf 22 Prozent ansteigen.
Der Öffentlichkeit wird pausenlos verschwiegen, dass die
Ökosteuer die Menschen zusätzlich belastet, obwohl die
damit verbundenen Einnahmen des Staates der Renten-
versicherung zugeführt werden. Die Ökosteuer ist in
Wahrheit nichts anderes als der Rentenbeitrag an der
Tankstelle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Man muss beides zusammenzählen: Die Kombination

aus steigenden Rentenversicherungsbeiträgen und Öko-
steuer wird die Menschen bei der Finanzierung der ge-
setzlichen Alterssicherung in Zukunft mehr belasten als je
zuvor. Zum Dank dafür bekommen sie weniger Rente
denn je. Das – mehr zahlen und weniger Rente – ist die
Folge Ihrer Politik!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich habe gerade gehört, es gebe nur Gewinner.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Außer die CDU!)

Ich beginne mit dem so genannten Ausgleichsfaktor. Ob-
wohl der Arbeitsminister und die Koalition am Dienstag
beschlossen haben, dass der Ausgleichsfaktor verändert

werden soll, gehe ich von dem aus, was heute vorliegt:
Ausgleichsfaktor heißt, dass für die Menschen, die ab
dem Jahre 2011 in Rente gehen, 20 Jahre lang jährlich
0,3 Prozent, insgesamt also 6 Prozent, von der Rente ab-
gezogen werden. Es handelt sich um einen semantischen
Trick: Es ist kein Ausgleichsfaktor, sondern ein Kür-
zungsfaktor.

Der Kürzungsfaktor trifft nur die junge Generation. Je
später ein Angehöriger dieser Generation in Rente geht,
desto höher ist der Abzug. Herr Bundeskanzler, das ist ein
Programm zur Frühverrentung, weil künftig derjenige der
Dumme ist, der länger arbeitet; denn dann bekommt er ei-
nen Rentenabschlag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS)


Diese Rentenreform bürdet den heute 20-, 30- und
40-Jährigen überproportionale Lasten auf. Deshalb, Herr
Arbeitsminister, ist die junge Generation der Verlierer die-
ser Reform.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ihr Rentenniveau liegt um 13 Prozentpunkte niedriger als
das heutige. Dazu kommt eine Beitragssteigerung von
heute 19,1 Prozent auf 22 Prozent. Außerdem werden
sie in den nächsten 30 Jahren bis zu 4 Prozent ihres Ein-
kommens für die private Altersvorsorge aufbringen müs-
sen. Ich stelle fest: höhere Beiträge, geringeres Rentenni-
veau. Der Bundesfinanzminister hat in einer Rede in der
Humboldt-Universität diese Woche gesagt, dass diese Ge-
neration zwei Jahre länger arbeiten soll.


(Hans Eichel, Bundesminister: Das stimmt doch gar nicht!)


Trotz höherer Beiträge, eines geringeren Rentenniveaus
und einer längeren Lebensarbeitszeit stellt sich der Ar-
beitsminister hier hin und behauptet, es gebe Gewinner
bei dieser Reform. In Wirklichkeit gehört die junge Ge-
neration zu den großen Verlierern dieser Reform.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte Ihnen heute wieder ein Angebot machen:

Alle, der Verband der Rentenversicherungsträger, der
VdK – das ist die Vertretung der Rentner –, die Opposi-
tion, insbesondere die Union, die Gewerkschaften und die
Arbeitgeber fordern seit Wochen und Monaten, mit dieser
sozialen Schieflage, mit dieser Ungerechtigkeit auf-
zuhören. Die Forderung lautet: Weg mit dem Ausgleichs-
faktor und her mit dem einzigen gerechten Instrument,
dem Demographiefaktor!

Damit Sie den Verantwortungswillen der Opposition
sehen, sage ich: Wir sind bereit, bei einem Demogra-
phiefaktor mitzumachen, wie ihn die Gewerkschaften
und die Arbeitgeber im Zusammenhang mit den Ge-
sprächen beim VDR vorgeschlagen haben. Dieser Demo-
graphiefaktor soll ab dem Jahre 2011 für alle, für diejeni-
gen im Rentenbestand und für diejenigen im Ren-
tenzugang, gelten. Die Anpassung der Renten soll sich
nach den Lohnsteigerungen richten. Zum Ausgleich für
die steigende Lebenserwartung und die längere Renten-
laufzeit soll ein Abschlag von 0,25 Prozentpunkten erfol-
gen. Doch das würde bedeuten, dass alle Generationen an




Horst Seehofer

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(B)


der Finanzierung der steigenden Lebenserwartung ge-
recht beteiligt werden. Außerdem hätte dieser Weg den
großen Vorteil, dass das Rentenniveau in den Jahren 2020
bis 2030 sogar höher läge, als Sie es vorsehen. So sieht
unsere Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung
aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unsere Vorschläge scheitern bisher nur daran, dass Sie
sich auf Gedeih und Verderb dem – richtigen – Demogra-
phiefaktor von Norbert Blüm nicht annähern wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, ich mache Ihnen das Angebot:

Übernehmen Sie diese Zahlen und nennen Sie den Faktor
meinetwegen anders! Sie können ihn Riester-Faktor,
VdK-Faktor oder DGB-Faktor nennen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Schröder-Faktor!)

Wichtig ist, dass es zu einer gerechten Lastenverteilung
zwischen Jung und Alt kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Klimmt-Faktor!)


Das Herzstück ist die private Vorsorge. Ich darf darauf
hinweisen, dass die Fraktion der CDU/CSU die erste
Fraktion des Deutschen Bundestags war, die dazu einen
ganz konkreten Vorschlag gemacht hat. Wir haben öffent-
lich gesagt, dass die gesetzliche Rente durch private und
betriebliche Altersvorsorge ergänzt werden muss und dass
man den Familien und den kleinen Leuten bei der Finan-
zierung der Vorsorgebeiträge helfen muss. In der Grund-
idee stimmen wir überein. Aber ich muss sagen: Hand-
werklich ist es äußerst miserabel umgesetzt worden.


(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich möchte das auch begründen: Der Grundfehler besteht
darin, dass die gleiche Regierung, die uns monatelang
aufgefordert hat, schnell zu einem Konsens zu kommen,
damit es möglichst schnell zu einer Regelung der priva-
ten Vorsorge – dem Herzstück der Reform – kommen
kann, jetzt das In-Kraft-Treten der privaten Vorsorge um
ein Jahr verschiebt. Je rascher wir eine Regelung zur Vor-
sorge umsetzen, meine Damen und Herren, desto günsti-
ger ist es für die Menschen. In diesem Bereich gilt wirk-
lich der Satz: Verlorene Zeit ist verlorenes Geld.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: 16 Jahre verlorene Zeit!)


Deshalb ist es ein fataler Fehler, dass Sie die Einführung
der privaten Vorsorge um ein Jahr verschieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Bei dieser Regierung muss man ja immer ein wenig

hinterfragen, ob die vorgetragenen Argumente zutreffen.
Die Verschiebung wurde mit Barmherzigkeit gegenüber
den Ländern begründet. Die Haushalte der Länder seien
jetzt durch die Steuerreform finanziell belastet, die private
Vorsorge müsse verschoben werden, weil die Länder nicht
auch noch die Einführung der privaten Vorsorge im Jahre
2001 mitfinanzieren könnten. Ich habe einmal in den
Regierungsmaterialien nachgeschaut, in welcher Form

die Bundesländer durch die steuerliche Begünstigung der
privaten Vorsorge und die Zulagenförderung im Jahre
2001, würde sie denn schon im Jahre 2001 eingeführt
– ich hoffe, das wird noch erfolgen –, betroffen wären.
Insgesamt würden die Belastungen im Rechnungsjahr
2001 für Bund, Länder und Kommunen 537 Millionen
DM ausmachen. Davon entfielen auf die Länder 216 Mil-
lionen DM. Bei 16 Bundesländern entfielen auf jedes
Bundesland durchschnittlich 13 Millionen DM. Glaubt
diese Regierung wirklich, sie könne uns wegen einer
durchschnittlichen Belastung eines jeden Bundeslandes in
Höhe von 13 Millionen DM verkaufen, dass die Ein-
führung der privaten Vorsorge vom Jahre 2001 auf das
Jahr 2002 verschoben werden muss? Nein, das ist nicht
der wahre Grund.

Der wahre Grund ist, dass Sie im Jahre 2002 den Men-
schen erneut die Unwahrheit sagen wollen, so wie Sie es
1998 bei der Rente auch gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wir haben doch keine christdemokratische Regierung mehr! Wie ist das denn mit der Moral?)


– Liebe Frau Schmidt, ich lese Ihnen gerne vor, was die
Fraktionschefin der Grünen, Kerstin Müller, am Diens-
tagvormittag im Hessischen Rundfunk


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Diese Woche!)


– in dieser Woche – gesagt hat:

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das schert sie doch heute nicht mehr!)

Die Taktik, die Einschnitte auf die Zeit nach der Bundes-
tagswahl 2002 zu verschieben, sei doch durchsichtig. Das
geschehe, so sagte sie, aus wahltaktischen Gründen. Am
Vormittag sagt sie das, bekommt aber dann in wenigen
Stunden so viel Geschmack daran, den Wählern die Wahr-
heit vorzuenthalten. Herr Schlauch, einen Menschen, der
so kraftvoll wie Sie angetreten und angelaufen ist, dann
aber so kurz springt, nennt man in Oberbayern einen
„Spargeltarzan“.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten!)


Vormittags wird von den Grünen gesagt, ein solches Vor-
gehen sei reine Wahltaktik, nachmittags aber stimmt man
diesem Wählerschwindel zu. Das sind die Grünen des
Jahres 2000.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Wahrheit ist, dass die Koalition – dafür kämpft sie
jetzt – im Wahljahr Wohltaten verteilen will, aber dann,
wenn die Stimmabgabe erfolgt ist, Rentenkürzungen be-
absichtigt.

Herr Riester, es ist nicht wahr, dass die Bestandsrent-
ner nicht betroffen sind.


(Ilse Janz [SPD]: So ein dummes Zeug!)





Horst Seehofer
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Durch die Verringerung der Rentenanpassungen in den
nächsten acht Jahren in Höhe der Vorsorgebeiträge, die
völlig systemfremd sind, werden den Rentnern, die heute
schon Rente bekommen, bei den Rentenanpassungen
4 Prozent ihrer Rente weggenommen. Bei jemandem, der
2 000 DM Rente als langjährig Versicherter bekommt,
machen 4 Prozent 80 DM im Monat aus.


(Zuruf von der SPD: Falsch!)

Was für ein Zirkus ist in Deutschland wegen 5 DM Selbst-
beteiligung veranstaltet worden? Jetzt werden 100, 80
bzw. 60 DM im Monat einfach abgeräumt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Ausgestaltung der privaten Vorsorge ist geradezu

ein Treppenwitz. Bei dem Spitzengespräch beim Bundes-
kanzler, wo er auf einem Wisch hierfür 19,5 Milliar-
den DM angeboten hat, war noch keine Rede von einer
Kinderkomponente. 30 DM pro Kind im Monat war un-
ser Vorschlag. Monatelang ist uns gesagt worden, das sei
nicht finanzierbar; diese Forderung zeuge von einer un-
verantwortlichen Handlungsweise der Opposition.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das war völliger Quatsch! Im September dann haben Sie sich diesem Gedanken genähert. Das einzige Beispiel, das Sie jetzt als soziale Ausgestaltung der Vorsorge bringen, ist immer das Beispiel von Familien mit Kindern. Sie verschweigen, dass die Kinderkomponente auf Forderung der CDU/CSUBundestagsfraktion zustande kommt. Das ist das einzige positive Beispiel, das Sie nennen können. Alles andere, Herr Riester, werden Sie mit Sicherheit fundamental verändern müssen, zum Beispiel die betrieblichen Altersversorgungen, die Ihre Bundestagsfraktion mit Priorität versehen will. Kein einziger wesentlicher Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung fällt heute nach Ihrem Regierungsentwurf unter die Förderung. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Weil Sie es nicht verstanden haben, Kollege Seehofer!)


Die betrieblichen Altersversorgungen bieten im Regelfall
Schutz bei Tod und Invalidität. Sie schreiben jetzt aber ins
Gesetz, dass eine betriebliche Altersversorgung nur ge-
fördert wird, wenn sie nicht vor dem 60. Lebensjahr aus-
bezahlt wird. Wenn nun aber dummerweise jemand vor
Erreichen des 60. Lebensjahres stirbt oder erwerbsun-
fähig wird, dann bekommt er nichts. Das ist doch ein
Treppenwitz!

Das Wohneigentum ist nicht in die Förderung einbe-
zogen, genauso wenig wie die Altverträge der Lebens-
versicherungen. Wie soll denn das gehen, wenn jemand
aus einer Hypothek, die er für den Kauf einer Eigentums-
wohnung für seine Familie aufgenommen hat, eine Be-
lastung von 1 500 DM hat? Die berücksichtigen Sie nicht
als Altersvermögensbildung. Sie verpflichten den noch,
4 Prozent seines Einkommens in die Riester-Altersver-
mögensbildung zu zahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Auch wenn jemand seit 20 Jahren in die Lebensver-
sicherung einbezahlt hat und noch weitere 20 Jahre ver-
pflichtet ist, zählt das nach Ihrem Konzept nicht zur Al-
tersvermögensbildung. Jetzt haben Sie über Nacht noch
etwas zusammen geschustert, von dem uns gestern die
Verbände sagten: Das ist absolut nicht zu praktizieren.

Angenommen, eine Familie mit zwei Kindern hat Ver-
pflichtungen aus der Lebensversicherung. Jetzt kommt
der Herr Riester und sagt: 4 Prozent zusätzlich! Wenn
diese Familie zudem ein unterdurchschnittliches Einkom-
men hat, ist sie durch Ihre Rentenkürzung ohnehin beson-
ders betroffen. Wie soll denn das gehen?

Ich sage Ihnen: Erstens. Sie müssen zwingend einen
Weg finden, damit die betriebliche Altersversorgung in
die Förderung hereinkommt. Im Moment fällt kein
Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung
unter die Förderung. Zweitens. Sie müssen Lösungen fin-
den für die Altverträge bei Lebensversicherungen und an-
deren Verträgen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Völlig falsch!)

Drittens. Sie müssen Lösungen finden für das Wohnei-
gentum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

An die Sozialdemokraten, die ja so sozial sein wollen,

gewandt, sage ich: Im Jahre 2002 – wenn es dabei bleibt;
es kann ja nächste Woche schon wieder anders sein – muss
1 Prozent des Einkommens gespart und kann dann geför-
dert werden. Das führt bei denen, die 30 000 DM verdie-
nen, zu einer jährlichen Förderung von 75 DM im Jahre
2002. Der Chef dieser Angestellten, der 100 000 DM ver-
dient, bekommt eine Förderung von 450 DM. Meine Da-
men und Herren, eine solche Spreizung werden Sie nicht
durchhalten. Der eine bekommt 75 DM, der andere, ob-
wohl er das Dreifache verdient, bekommt die sechsfache
Förderung, nämlich 450 DM.

Ich bitte Sie dringend, die Struktur dieser Förderung
noch einmal zu überdenken. Wenn die kleinen Leute
– diejenigen, die 30 000, 40 000 oder 50 000 DM brutto
verdienen –, im Jahr 2002 mit einer solchen Förderung ab-
gespeist werden, wird das, so befürchte ich, ein Flop.
Denn die private Vorsorge ist kein Erfolg, wenn diejeni-
gen, die ohnehin schon sparen, weil sie es vom Gehalt her
können, noch Mitnahmeeffekte bei der Steuer haben, son-
dern sie ist nur ein Erfolg, wenn diejenigen, die unter-
durchschnittlich verdienen, auch finanziell in der Lage
sind, diese Vorsorge zu betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413301300
Das werden Sie ändern,
das werden Sie ändern müssen.

Sie werden auch das Rentenniveau ändern müssen.
Bei 45 Versicherungsjahren, bei einem erfüllten Erwerbs-
leben, kommt nach dem Willen dieser Regierung im Jahre
2030 ein Rentenniveau von 61 Prozent heraus. Ein sol-
ches Rentenniveau hatten wir zuletzt in den 60er-Jahren.
Das sind 13 Prozent weniger. Bei jemandem, der das
ganze Leben gearbeitet hat, sind es 260 DM weniger; bei
jemandem, der 28 oder 30 Versicherungsjahre hat, sind es
180 DM weniger. Und dann wird hier davon geredet, dass
es nur Gewinner gibt!




Horst Seehofer

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Wir bleiben bei dem, was wir vor der Bundestagswahl
verabschiedet haben: Das Rentenniveau kann nicht unter
64 Prozent sinken, weil Sie sonst durch die gesetzliche
Rentenreform eine Altersarmut produzieren. Es macht
keinen Sinn, zuerst Altersarmut herzustellen und an-
schließend die Kommunen aufzufordern, eine Grundrente
an diese Altersarmen zu bezahlen. Das macht keinen Sinn.


(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Vor der Bundestagswahl sagten Sie, Herr Bundeskanz-
ler, die Absenkung des Renteniveaus auf 64 Prozent, wie
die CDU/CSU es wolle, sei unanständig. Ich sage Ihnen:
Die von Ihnen angestrebte Absenkung auf 61 Prozent ist
schamlos, gegenüber den Rentnern und der jungen Gene-
ration.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Damit Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
wissen, wie überflüssig Ihre Reform ist, will ich Ihnen
Folgendes sagen: Wenn es beim geltenden Recht bliebe,
wenn also der demographische Faktor, den Sie nur ausge-
setzt haben, wieder in Kraft träte – wir haben ihn noch vor
der Bundestagswahl eingeführt, weil wir den Menschen
anständigerweise noch vor der Wahl sagen wollten, wie es
nach der Wahl weitergeht –,


(Zuruf von der SPD: Quatsch! – Gegenruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)


dann würde im Jahre 2030 der Beitragssatz in der gesetz-
lichen Rente aufgrund des von Norbert Blüm eingeführ-
ten Demographiefaktors nur um 0,2 Beitragspunkte
– das haben alle Verbände im Rahmen des Rentendialogs
gesagt; die Zahl wurden nicht von uns, sondern von den
Rentenversicherungsträgern berechnet – höher liegen, als
es nach dieser Reform der Fall wäre.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist die Unwahrheit, Herr Kollege Seehofer!)


Weil man den demographischen Faktor nicht will,
macht man den ganzen Schwindel im Jahre 2002. Sie ma-
chen die ganzen Verdrehungen, nur weil Sie Gefangene
Ihrer eigenen Aussage sind, der demographische Faktor
komme nicht infrage. Ich sage Ihnen: Freunden Sie sich
mit dem demographischen Faktor an! Dann können Sie
sich den Diskurs in der Koalition sparen. Sie haben die
Probleme nicht gelöst. Sie haben sich um des Koalitions-
friedens willen verständigt, aber die Lösung der Probleme
auf die lange Bank geschoben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Ganze ist deshalb so betrüblich, weil es im Grunde

eine erstklassige Idee im Rahmen der Sozialpolitik ist, die
gesetzliche Rente als Fundament in verschlankter Form
für die Alterssicherung aufrechtzuerhalten, eine private
und betriebliche Altersvorsorge aufzubauen und bei die-
sem Aufbau den kleinen Leuten und den Familien mit
Kindern zu helfen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das machen wir doch auch!)


Diese erstklassige Grundidee ist von dieser Regierung
drittklassig umgesetzt worden. Die Reform ist verkorkst.
Ich sage es noch einmal: Chaos gehört zum Programm
dieser Regierung. Von Gerechtigkeit und Klarheit ist diese
Rentenreform so weit entfernt – Lichtjahre auseinander –
wie Karl Marx von Bill Gates.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Michael Glos [CDU/CSU]: Hervorragender Vergleich!)


Herr Bundeskanzler, wir warnen Sie, dieses Vorhaben
in drei Sitzungswochen im Zeitraum Dezember bis Januar
durchzusetzen, um dieses Thema möglichst aus den Wahl-
kämpfen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz
zu halten. Sie wollen alles vorher sozusagen abgeräumt
haben. Sie können aber ein solch großes Reformwerk
nicht einfach durch den Deutschen Bundestag peitschen.
Wir sind nach wie vor bereit, konstruktiv an einer sozial
gerechten und tragfähigen Rentenreform mitzuwirken.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist wieder die Unwahrheit!)


Aber diesem Werk können wir nicht zustimmen. Wenn
Sie mit dem Kopf durch die Wand wollen, wenn Sie diese
Reform gegen den Willen der Gewerkschaften, der Ar-
beitgeber, der Sozialverbände, der Opposition sowie der
Rentenversicherungsträger – und damit gegen den Willen
der Bevölkerung – durchsetzen wollen,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch keine Verhandlungsvollmacht!)


dann muss ich Ihnen sagen: Tun Sie es ruhig; Sie haben
die Mehrheit. Aber Sie müssen wissen, Herr Bundeskanz-
ler, dass wir vom ersten Tag an nach Verabschiedung die-
ser Reform darum kämpfen, dass sie wieder rückgängig
gemacht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind zu einem tragfähigen Konsens bereit, der ge-

genüber den Menschen sozialverantwortlich ist. Schauen
Sie sich die Umfragen an, wie die Menschen die Renten-
reform beurteilen! Wenn Sie die Reform gegen den Rat
aller Fachverbände durchpeitschen wollen, dann werden
Sie schon bei den Wahlen in Baden-Württemberg und in
Rheinland-Pfalz erleben, wie sich die Menschen von die-
ser Reform und dieser Politik abwenden, indem sie ein-
fach sagen: Mit uns nicht. Basta!


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301400
Ich erteile das Wort
der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

battieren heute über ein Gesetz, das in den letzten Mona-
ten sehr umstritten war, das immer noch umstritten ist und
das in den letzten Tagen für Aufregung sorgte. Der Ent-
scheidungsprozess um diesen Gesetzentwurf zeigt, welch




Horst Seehofer
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schwieriges Thema wir hier zu beraten haben, ein Thema,
das alle Beitrags- und Steuerzahler, das alle Rentner und
Rentnerinnen, die jetzigen und die potenziellen, angeht.
Deswegen ist bei diesem Thema sehr viel Sensibilität an-
gesagt.

Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang etwas zu der
Auseinandersetzung sagen, die Sie von der Union seit
Wochen und auch heute hier führen. Diese Auseinander-
setzung ist aus meiner Sicht in erster Linie ein Nachklap-
pen aus einem zwei Jahre zurückliegenden Wahlkampf
und ein Vorgeschmack auf die bevorstehenden Wahl-
kämpfe.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Die Grünen haben das Thema Generationengerech-

tigkeit bereits auf die Tagesordnung gesetzt, als das noch
etwas exotisch klang. Aber lassen Sie mich einmal fest-
stellen, was aus meiner Sicht der Unterschied zwischen
der Union und der SPD ist. Die Union hat vor der Wahl
mit einer minimalen Reform versucht, über die nächsten
Jahre zu kommen. Diese Reform wurde mit dem Satz
flankiert, die Rente sei sicher, wohl wissend, dass dieser
Satz höchstens für die damalige Rentnergeneration galt.
Die Auswirkungen dieser Reform aber sollten im Wesent-
lichen nach der Wahl spürbar werden. Jetzt ergehen Sie
sich in wöchentlich neuen Forderungen, die erfüllt wer-
den müssen, damit Ihre Mitarbeit nicht scheitert. Ich
finde, Ihre Haltung ist nicht sehr mutig und nicht sehr
ernsthaft.

Die SPD hingegen hat sich in einem sehr schwierigen
Prozess – dafür kann man nur Anerkennung finden – der
wirklichen Probleme angenommen und die notwendigen
Diskussionen, auch die langfristig notwendigen, geführt.
Wir haben dann gemeinsam über tragfähige Maßnahmen
geredet. Wir haben das – auch im Unterschied zu Ihnen –
in aller Offenheit getan und nicht über Hintertürchen. Was
wir als Koalition gemeinsam tun, ist deshalb glaubwür-
dig, weil wir Mut und Ehrlichkeit verbinden und weil wir
wissen, dass es darauf ankommen wird, unsere Verspre-
chungen gemeinsam einzulösen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben bis zum Schluss um entsprechende Regelun-
gen gerungen. Mit dem Wissen darum werden wir in die
parlamentarischen Beratungen gehen.

Sie von der Union wissen längst, dass Sie dieser Re-
form eigentlich zustimmen müssten – zumindest, wenn
Sie Ihre eigenen Maßstäbe anlegen würden. Sie wissen
das genau; aber weil Ihnen die Themen für eine ernsthafte
und sachliche Auseinandersetzung fehlen, wollen Sie es
offenbar bei Verunsicherung und Verweigerung belassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich auch ein Wort an manche Gewerk-
schafter sagen. Ich verstehe die Angst, die dort artikuliert
wird. Diese Angst rührt von 16 Jahren Sozialabbau unter
Kohl her. Sie rührt vielleicht auch von der von vielen ge-
teilten Annahme her, dass vieles einfach durch Umvertei-
lung zu lösen sei. Nun haben wir aber in dieser konkreten
Situation eines gemerkt: Gerechtigkeit ist nicht eindi-

mensional; Gerechtigkeit heißt: Die Sicherheiten, die der
Sozialstaat bietet und die die Gesellschaft braucht, müs-
sen auch für die kommenden Generationen erhalten blei-
ben.

Das geht aber nur, wenn unser Vorgehen auf gegensei-
tigem Vertrauen basiert. Niemand, der dieser Koalition
angehört, will die sozialen Errungenschaften gefährden.
Im Gegenteil: Wir wollen sie erhalten und gestalten, über
heute und morgen hinaus. Wenn wir dieses Vertrauen zu-
einander haben – dafür gibt es, so glaube ich, jeden er-
denklichen Grund –, dann können wir auch das Vertrauen
der Jüngeren und der Älteren gewinnen. Dieses Vertrauen
braucht die Gesellschaft, ein Vertrauen, das aber auch die
gesellschaftlichen Kräfte zeigen müssen, wenn sie den so-
zialen Zusammenhalt in dieser Gesellschaft weiter voran-
treiben wollen. Ich würde die Gewerkschaften gerne
dafür gewinnen, für die Stärkung dieses sozialen Zusam-
menhalts gemeinsam einzutreten.

Lassen Sie mich deutlich machen, was diesen sozialen
Zusammenhalt der Generationen untereinander und in-
nerhalb der jeweiligen Generation in diesem Gesetzent-
wurf ausmacht:


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zu dem, was Herr Seehofer gesagt hat!)


Einer tritt für den anderen ein, die Jüngeren für die Älte-
ren. Die Jüngeren wollen sich natürlich darauf verlassen
können, dass das System noch funktioniert, wenn sie
selbst alt sind. Das ist der Grundgedanke unseres Renten-
systems.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir alle wissen aber auch um den veränderten Alters-

aufbau, die demographischen Probleme dieses Landes.
Was tun wir? Wir sorgen dafür, dass die Generationen
nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden. Zusam-
menhalt heißt hier: Jede Generation wird nach ihren
Möglichkeiten belastet. Die Lohnzusatzkosten, die die Er-
werbstätigen zu zahlen haben, sind vor unserer Regie-
rungszeit in die Höhe geschnellt. Das hat sich vor allem auf
den Arbeitsmarkt negativ ausgewirkt. Dem haben wir ein
Ende gesetzt. Durch die Ökosteuer haben wir die Renten-
beiträge gesenkt und senken sie weiter.

Dafür braucht es auch die Beteiligung der jetzigen
Rentnergeneration. Zwischen Großeltern und Enkeln
– das wissen wir – hat Solidarität schon immer funktio-
niert. Wir legen deshalb Wert darauf, dass die Renten-
beiträge, wie es vereinbart ist, in den nächsten Jahren
deutlich unter 19 Prozent sinken. Wir legen Wert darauf,
dass die Älteren wissen, was sie dazu beisteuern, und
zwar schon 2002.

Wir, Rot und Grün, werden es gemeinsam ganz sicher
nicht Ihnen von der Union überlassen, mit Hiobsbot-
schaften über exorbitante Kürzungen an die Menschen
heranzutreten, wie Sie das beim Inflationsausgleich ge-
macht haben. Nein, die Renten werden steigen, weil wir
eine positive Lohnentwicklung haben, und die jetzige
Rentnergeneration wird ihren Beitrag dazu leisten, dass
die Lohnnebenkosten auch weiter sinken werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Katrin Göring-Eckardt

12761


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist gerecht, das ist fair und das ist ehrlich, auch des-
halb, weil wir die nächsten 30 Jahre fest im Blick haben.
Das bedeutet, die Zukunftsfähigkeit des Systems zu ge-
währleisten.

Die gesetzliche Rentenversicherung wird auch in Zu-
kunft den Hauptteil der Altersversorgung ausmachen. Wir
alle aber wissen: Das reicht nicht aus, um im Alter den
gleichen Lebensstandard wie im Berufsleben zu sichern.
Die Menschen sichern sich längst zusätzlich ab. Was also
tun wir? Zunächst sagen wir klar, wie viel private oder be-
triebliche Vorsorge nötig ist. Wir tun das übrigens sehr dif-
ferenziert, weil wir nämlich wissen, dass 50-Jährige keine
Traumrenditen mehr erreichen können. Deshalb sagen
wir: Bei euch wird es ein eher kleiner Teil sein, den ihr
durch die private Altersvorsorge zusätzlich bekommt. Bei
den Jüngeren wird der Ertrag höher sein, wenn sie jetzt
mit der Vorsorge beginnen. Zugleich sagen wir den jetzi-
gen Rentnerinnen und Rentnern: Das ist ein Betrag, der
den Jüngeren nicht im Portemonnaie verbleibt, der ihnen
nicht zur Verfügung steht; deshalb wird er bei der Netto-
lohnentwicklung nicht berücksichtigt. Dieser Beitrag
muss geleistet werden.

Übrigens, mit dem Geld, das durch eine Zusatzvor-
sorge in Bewegung gesetzt wird, wollen wir etwas gesell-
schaftlich Sinnvolles in Bewegung bringen. Deshalb ist es
wichtig, dass die Menschen wissen, wo sie ihr Geld anle-
gen, ob das Anlageformen sind, die nach ethischen, öko-
logischen und sozialen Kriterien aufgebaut sind. Gerade
da, wo der Staat nur begrenzt eintreten kann, macht das
Sinn und bringt uns gemeinsam voran.

Aber wir tun noch etwas. Natürlich sorgen die meisten
schon heute vor. Aber manche können das nicht: weil sie
niedrige Einkommen haben oder sagen, sie brauchen das
Geld für die Kinder. Deshalb unterstützen wir diejenigen,
die nicht aus eigener Kraft vorsorgen können. Wir greifen
den Leuten mit niedrigen Einkommen und den Familien
unter die Arme. 20 Milliarden DM stehen dafür zur Ver-
fügung. Wenn ich Sie auf der rechten Seite des Hauses er-
innern darf: Bevor Sie einen Gemischtwarenladen von
Forderungen aufgemacht haben, war das Ihr zentraler
Punkt.

Damit sind wir gleich bei einer anderen Frage. Gesell-
schaftlicher Zusammenhalt bedeutet auch: Frauen haben
ein Recht auf eine eigenständige Alterssicherung. Was tun
wir? Die Förderung der Zusatzvorsorge, die übrigens den
Frauen direkt zukommt, ist das eine. Vor allem aber ma-
chen wir Schluss mit einem Leitbild von Frauenbiografie,
das Sie, glaube ich, noch immer im Kopf haben, nach dem
Frauen nur von Männern abgeleitete Ansprüche haben.
Das ist übrigens ein eklatanter Unterschied zu Blüm. Zu
seinen Vorstellungen – das kann ich Ihnen ganz klar sa-
gen, Herr Seehofer – wollen wir ganz sicher nicht zurück.
Frauen wollen heutzutage beides: berufstätig sein und
Kinder erziehen. Zwei von drei Müttern sind berufstätig.

Worauf kommt es also an, wenn wir von Rentenversi-
cherung als Solidargemeinschaft reden? Die Solidarge-
meinschaft muss dort eintreten, wo Einbußen entstehen:
Wo Teilzeit gearbeitet wird, weil Kinder erzogen werden,
stocken wir die Anrechnung der Kindererziehungszeiten
auf. Wo Frauen in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, um

Familie und Beruf verbinden zu können, müssen sie eine
Aufwertung ihres Gehalts bekommen.

Wenn wir sozialen Zusammenhalt ernst nehmen, müs-
sen wir dringend einen weiteren Punkt ansprechen: Armut
– auch die Armut im Alter – ist einer Gesellschaft wie
der unseren unwürdig. Wir produzieren sie übrigens nicht
mit dieser Reform. Es wird nicht mehr, sondern weniger
Menschen, vor allem weniger Frauen geben, die in Zu-
kunft von Sozialhilfe leben müssen. Das ist ein wirklicher
Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber egal, wie viele davon betroffen sind, was tun wir?
Die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren alten
Eltern soll wegfallen. Deshalb soll die Sozialhilfe im Al-
ter in Pauschalen ausgezahlt werden. Das ist ein kleiner
Schritt. Ich bitte Sie, sich auf sachliche Weise sehr gut zu
überlegen, ob Sie diesen kleinen Schritt, der alten Men-
schen Selbstbestimmung und Würde zurückgibt, nicht ge-
meinsam mit uns gehen wollen, indem die von Ihnen re-
gierten Länder zustimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sozialer Zusammenhalt, soziale Sicherheit bei der Al-
tersvorsorge, das heißt noch einmal auf den Punkt gebracht:
niedrige Beiträge, Generationengerechtigkeit, langfristige
Absicherung der Altersversorgung, eigenständige Frau-
enrenten und Vermeidung von Armut.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Floskeln, Floskeln, Floskeln!)


Lassen Sie mich abschließend Ihnen von der Union sa-
gen: All die Offenheit und die Auseinandersetzungen im
Zusammenhang mit dieser Reform waren geprägt von der
Suche nach dem besten Weg für das Erreichen eines in der
Koalition gemeinsam formulierten und gesellschaftlich
extrem relevanten Zieles. Sprechen Sie ruhig weiter von
Nachbessern und Chaos, Herr Seehofer. Ich spreche von
einer offenen Debatte, von Aufeinander-Hören, von ei-
nem Kraftakt, an dem viele gerade auch außerhalb dieses
Hauses beteiligt waren. Ich spreche von einer ehrlichen
gesellschaftlichen Debatte, an deren Ende die Menschen
wissen, was auf sie zukommt und worauf sie sich verlas-
sen können. Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme
herzustellen und zu gewinnen, das schafft man eben nicht,
wenn man halbherzige Reformen macht. Vertrauen her-
stellen heißt, das zu tun, was notwendig ist. Haben Sie
diesen Mut! Wir haben ihn.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301500
Ich erteile das Wort
Kollegin Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1413301600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Göring-
Eckardt hat uns gerade aufgefordert, ehrlich zu sein. Das
wollen wir gerne tun. Nur, wenn wir das wirklich wollen,




Katrin Göring-Eckardt
12762


(C)



(D)



(A)



(B)


müssten wir uns einmal über die Details der Rentenreform
unterhalten. Über Predigten zu diskutieren ist praktisch
unmöglich. Deswegen ist das, was Sie gerade gesagt ha-
ben, dafür keine gute Vorlage.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Riester, als wir mit den Rentenkonsensge-
sprächen begonnen haben, da haben wir immer wieder be-
tont, dass es in gewissen Fragen Übereinstimmung gibt,
nämlich in der Zielrichtung, die Altersversorgung lang-
fristig zu sichern, und in der Erkenntnis, dass zu dieser
langfristigen Sicherheit eben nicht nur die gesetzliche
Rentenversicherung gehört, sondern notwendigerweise
auch eine kapitalgedeckte Vorsorge, die wir damals im-
mer als Eigenvorsorge definiert haben.

Ihr neuester „Umfaller“ gegenüber den Gewerkschaf-
ten zeichnet sich ja dadurch aus, dass Sie nun doch wie-
der stärker statt auf individuelle Vorsorge auf tariflich ge-
bundene und damit kollektive Vorsorge setzen. Dies ist
der neueste Haken im Zuge der gesamten Auseinander-
setzung,


(Beifall des Abg. Horst Seehofer [CDU/CSU])

der es einem natürlich schwer macht, sich zu dem zu
äußern, was Sie – spät genug, nämlich erst gestern – auf
den Tisch gelegt haben. Aber wir wissen schon heute, dass
das – zumindest, was wichtige Einzelfragen anbelangt –
schon wieder mit einem täglichen Verfallsdatum versehen
worden ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen, Herr Riester, sage ich: Sie sind ganz gut ge-
startet; aber Sie sind schlecht gelandet. Das ist deswegen
so, weil Sie von Anfang an kein im Detail stimmiges Kon-
zept hatten. Deswegen mussten Sie immer wieder im De-
tail nachbessern. Ich bin zwar nicht mit allem, was Herr
Seehofer soeben ausgeführt hat, einverstanden. Aber ei-
nes ist klar geworden: Wir müssen uns noch über viele
Fragen verständigen. Sie aber zwingen uns einen äußerst
engen Zeitplan auf, indem Sie die zweite und dritte Le-
sung bereits am 27. Januar vorsehen, und zwar nicht des
Jahres 2002 – dann wäre die Beratungszeit seriös –, son-
dern des Jahres 2001! Nicht einmal acht Wochen haben
wir nun für die Beratung über ein solches Reformwerk,
das 30 Jahre halten soll, zur Verfügung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Unglaublich!)

Deswegen, Herr Riester, sind Ihre Angebote zur Zu-

sammenarbeit nur leeres Gerede. In acht Wochen kann
man eine solche Reform nicht seriös bearbeiten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber das tun Sie natürlich auch nur, um Ihren mehrstufi-
gen ungeordneten Rückzug ein wenig zu kaschieren. Des-
wegen wiederhole ich für die F.D.P.: Wir bestehen darauf,
dass wir eine langfristig sichere Altersvorsorge brauchen.

Herr Seehofer, an dieser Stelle ist auch Ihre Argumen-
tation unseriös. Sie argumentieren praktisch ausschließ-

lich mit einem Versorgungsniveau auf der Grundlage der
gesetzlichen Rentenversicherung. Das hat auch Herr
Blüm immer getan und wir wussten schon damals alle,
dass das nicht ausreichen wird. Es reicht auch jetzt nicht
aus. Wenn Sie das weiter behaupten, streuen Sie der jun-
gen Generation Sand in die Augen. Das ist nicht vernünf-
tig.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie kaschieren damit natürlich auch, dass Sie im
Grunde einen Beitragssatz in Höhe von 22 Prozent in der
gesetzlichen Rentenversicherung akzeptiert haben. Sie
sind an dieser Stelle schon längst auf das Riester-Konzept
aufgesprungen. 22 Prozent für die gesetzliche Rentenver-
sicherung und 4 Prozent für die private Vorsorge – das
macht einen Beitragssatz von 26 Prozent. Herr Riester,
das ist keine Beitragssatzsenkung, das ist eine massive
Beitragssatzerhöhung, und zwar ab dem Tag, ab dem die
private Vorsorge so gefördert wird, dass sie – hoffentlich
tatsächlich auch von allen – in Angriff genommen wird.
Es ist und bleibt eine massive Beitragssatzerhöhung, die
die F.D.P. nicht mitmachen wird.


(Beifall bei der F.D.P.)

Unser Ziel ist nach wie vor – man könnte es erreichen,

wenn man seriös darüber debattieren und entscheiden
würde –, den Beitragssatz auf 20 Prozent zu begrenzen.
Das durchzustehen ist sicherlich schwierig, sowohl in den
Gewerkschaften als auch in der CDU. Es wäre aber ein Si-
gnal an die junge Generation. Das, was Sie machen,
spricht der Generationengerechtigkeit Hohn.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu den Grünen, die das Wort Generationengerechtig-
keit im Munde führen, kann ich nur sagen: Mit dem, was
Sie jetzt schon mit der SPD vereinbart haben, verraten Sie
die junge Generation.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Noch ein Wort zur so genannten Beitragssatzsenkung,
Herr Riester. Der Kollege Metzger von den Grünen – im
Ausschuss hat mir gestern jemand gesagt, er sei ein Aus-
laufmodell; was eigentlich ganz schade wäre, denn er ist
vernünftig – hat ganz klar erkannt, dass das, was Sie in der
gesetzlichen Rentenversicherung gemacht haben, keine
wirkliche Beitragssatzsenkung, sondern eine schlichte
Umfinanzierung ist. Sie führen eine unsoziale Ökosteuer
ein, um damit argumentieren zu können, die Beitragssätze
in der gesetzlichen Rentenversicherung gesenkt zu haben.
Aber damit kaschieren Sie den Reformbedarf und das ist
der Fehler.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Professor Rürup – er war bereits bei Herrn Blüm Bera-
ter und ist jetzt der Hauptberater von Herrn Riester bei der
Gestaltung der Rentenreform – hat Ihnen gestern in sei-
nem Gutachten und heute auf allen möglichen Wellen
im Radio noch einmal bescheinigt, dass die Lasten der




Dr. Irmgard Schwaetzer

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(C)



(D)



(A)



(B)


verlängerten Lebenserwartung in Ihrem Entwurf unge-
recht verteilt sind. Heute Morgen hat er ganz klar gesagt,
man müsse sich im Grunde wieder dem demographischen
Faktor der alten Regierung – er hat es vornehm formu-
liert – annähern. Alles, was Sie in der jetzigen Koalition
bisher gemacht haben – Sie haben sich 1998 im Wahl-
kampf gegen den demographischen Faktor ausgesprochen
und haben deswegen jetzt Hemmungen, sich diesem
Thema wieder anzunähern –, ist Krampf.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Der Abschlagsfaktor – das bescheinigen Ihnen wirk-

lich alle – bestraft diejenigen, die tatsächlich, wie wir das
alle wollen und vorgesehen haben, bis zum 65. Lebensjahr
arbeiten. Die werden nämlich weniger Rente erhalten als
diejenigen, die sich frühpensionieren lassen. Das kann
doch nicht wahr sein, das kann nicht wirklich Ihre Über-
zeugung sein.

Lassen Sie uns deshalb über etwas diskutieren, was der
VDR – der Verband Deutscher Rentenversicherungsträ-
ger –, der VdK und andere Sozialverbände in die Dis-
kussion eingebracht haben und was unserem alten Demo-
graphiefaktor verdammt nahe kommt.

Die private Vorsorge ist in der Tat die entscheidende
Neuerung dieser Rentenreform. Das war auch der Grund,
weshalb wir gesagt haben, wir steigen in die Konsensge-
spräche ein. Wir haben von Anfang an gesagt, dass sie
natürlich kapitalgedeckt sein muss; darüber herrscht in-
zwischen auch Konsens. Wir haben darüber hinaus immer
gesagt, dass das auf individueller Entscheidung beruhen
muss. Wir haben daher von Anfang an gesagt, dass es
nicht unser Ziel sein kann, große Geldtöpfe zu schaffen,
über die dann Arbeitgeber und Gewerkschaften gemein-
sam entscheiden. In welchem Jahrhundert leben denn die-
jenigen, die so etwas machen wollen? Natürlich müssen
wir uns über die Altersversorgung von IT-Spezialisten
Gedanken machen, aber entscheiden tun sie selber. Nicht
Herr Zwickel von der IG Metall und genauso wenig die
Ideologen von der IG Medien werden diejenigen sein, die
darüber entscheiden, und in deren Tarifbereiche werden
viele dieser Spezialisten fallen. Das kann doch nicht im
Ernst ein moderner Weg, ein Weg des 21. Jahrhunderts
sein. Deswegen werden wir ihn nicht mitgehen.


(Beifall bei der F.D.P.)

In Ihrem Entwurf sind einige Punkte nicht enthalten,

die dringend erforderlich sind. Zum ersten Punkt, der
fehlt, sagte Ihnen Herr Rürup, der auch Ihr Berater ist,
dass Sie besser den Mut hätten haben sollen, ihn aufzu-
nehmen, nämlich in allen Vorsorgebereichen, in der ge-
setzlichen Rentenversicherung, in der privaten und be-
trieblichen Altersversorgung, die Beiträge steuerfrei zu
stellen und auf die so genannte nachgelagerte Besteue-
rung, das heißt: die Besteuerung bei Auszahlung, überzu-
gehen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Finanzministerium liegt ein solcher Entwurf in der
Schublade. Aber Sie haben nicht den Mut aufgebracht,
dieses in das Gesetz aufzunehmen.


(Horst Schild [SPD]: Sie müssen einmal in diesen Entwurf hineinschauen! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie haben das nicht gelesen, auch Herr Seehofer nicht!)


Wir werden weiterhin versuchen, Sie zu überzeugen,
dass es dringend eines Gesamtkonzeptes bedarf. In dem
Gesetzentwurf steht nicht, dass die selbst genutzte Immo-
bilie ebenfalls gefördert wird. Das kann doch nur ein
Treppenwitz sein.


(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


80 Prozent der Bevölkerung sehen das private Eigentum
in Form einer Immobilie als die beste Zusatzaltersversor-
gung an, die es überhaupt gibt. Sie hingegen sagen: Was
80 Prozent der Bevölkerung wollen, interessiert uns nicht;
wir machen andere Vorschriften.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen sage ich Ihnen: Auch das wird ein Thema im
Bundestag und im Bundesrat sein. Die Länder Rheinland-
Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und – da bin ich ganz
sicher – noch viele andere Länder werden Sie zwingen,
diesen Aspekt zu berücksichtigen.

Unterm Strich enthält dieser Entwurf für die wichtige
private Vorsorge weder Anlagefreiheit noch Wahlrechte,
noch Wettbewerb. Damit ist er unzureichend. Sie wollen
zwar einen Schritt machen, aber in Ihrem Beglückungs-
wunsch und Ihrem Regelungsdrang machen Sie alle guten
Ansätze wieder zunichte. Das werden wir nicht akzep-
tieren.

Wir werden uns darüber auch nach dem 27. Ja-
nuar 2001 auseinander setzen. Wenn Sie auf Ihrem Zeit-
plan bestehen, dann ist die Diskussion schon heute been-
det. Sie können davon ausgehen, dass Sie ständig werden
nachbessern müssen und nie etwas Vernünftiges zustande
bekommen. Wir werden versuchen, das zu verhindern.

Danke.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Hätten Sie eine Rentenreform gemacht, hätten wir dies heute!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301700
Ich erteile dem Kolle-
gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413301800
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Heute nun legen uns die Ko-
alitionsfraktionen ein Reformpaket vor, das keiner so
recht haben will. Ich glaube, auch Sie selbst merken das,
weil Sie auf Dankschreiben von Gewinnern, auf die der
Minister verwiesen hat, nicht zurückgreifen können.
Diese Reform ist wie Ihre Ökosteuer ein Angebot ohne
Nachfrage.


(Beifall bei der PDS)





Dr. Irmgard Schwaetzer
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will Ihnen etwas erzählen: Ich war gestern bei ei-
nem wunderschönen Konzert von Angelo Branduardi.


(Zurufe von der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU: Oh!)


– Sie sollten nicht neidisch sein, sondern stattdessen auch
wieder einmal in ein Konzert gehen; denn wenn man sich
nur mit Drucksachen und Paragraphen umgibt, dann
kommt so etwas heraus, wie Sie es heute vorgelegt haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich wollte Ihnen von dem Konzert erzählen:
Branduardi hat Geschichtenlieder vom heiligen Franz
von Assisi vorgetragen. Wenn es so etwas wie eine Bot-
schaft des heiligen Franz gibt, dann ist es die: Man sollte
Wunder und andere Wohltaten nur dann vollbringen,
wenn sie das Volk auch versteht und gebrauchen kann.
Diesem Maßstab wird Ihr Rentenkonzept nicht gerecht.


(Beifall bei der PDS)

Wie gehen Sie vor? Früher hätten Sie von einem Ver-

mittlungsproblem gesprochen. Das machen Sie dieses
Mal nicht; denn der Minister hat alles hinreichend erklärt.
Ich weiß, wie gut er das kann. Ich sage Ihnen eines: Indem
Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen, übernehmen Sie
eine Logik, die ich immer mit den Worten beschreiben
möchte: Sie verwechseln den Bundestag mit dem Leben.
Es gibt nämlich einen himmelweiten Unterschied zwi-
schen „gut“ und „gut erklärt“.


(Beifall bei der PDS)

So haben Sie mit großer Mehrheit beschlossen, sich dem
„Basta!“ des Bundeskanzlers anzuschließen. Wir sagen
Ihnen aber: Zukunftsfragen der Gesellschaft lassen sich
nicht mit „Basta!“ beantworten.


(Beifall bei der PDS)

Wer heute Ja zur Rentenreform sagt, muss sich entschei-
den zwischen der Solidargemeinschaft auf der einen Seite
oder der Ellenbogengesellschaft auf der anderen Seite,
zwischen der Formel: „Stärkere besiegen Schwächere“
oder der Formel: „Einer trage des anderen Last“. Wir fin-
den, Sie haben sich bisher falsch entschieden.


(Beifall bei der PDS)

Wir sagen es Ihnen deshalb ganz deutlich: Der unso-

ziale Ansatz dieser Reform gehört abgelehnt. Sie müssen
mit unserem Widerstand rechnen. Sie können nicht auf
uns zählen. Falls es notwendig sein sollte, dies noch ein-
mal zu sagen: Die PDS-Fraktion ist nicht die Westenta-
schenreserve des Bundeskanzlers.


(Ilse Janz [SPD]: Das wollen wir auch nicht!)

Ich will unsere Kritik wiederholen. Wir glauben, dass

Sie mit diesem Konzept keine Ergänzungsvorsorge ein-
führen; vielmehr handelt es sich um einen teilweisen Er-
satz der gesetzlichen Rente durch eine Privatvorsorge.
Es sind eben nicht die 4 Prozent als quantitativer Faktor,
über die man streiten müsste. Es geht vielmehr um den
Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Rentenver-

sicherung, und das von einer sozialdemokratisch geführ-
ten Regierung.


(Beifall bei der PDS)

Sie geben die paritätische Finanzierung teilweise auf.
Minister Riester versucht, auch diese Kritik wegzurech-
nen, aber sie bleibt trotzdem bestehen. Sie wollen die
staatliche Förderung von Ungerechtigkeiten zwischen
Mann und Frau bei der Förderung privater Vorsorge fest-
schreiben. Zu all dem sagen wir Nein.

Ich will den Unterschied zwischen der Kritik seitens
der CDU/CSU- und der PDS-Kritik deutlich machen.
Herr Seehofer hat gesagt: Das geht schon alles in die rich-
tige Richtung. Ihr wart nur nicht konsequent und habt an
vielen Stellen falsch angesetzt. – Unsere Sicht auf die
Dinge ist: Im Konzept sind viele Fragen angesprochen
und zum Teil auch Verbesserungen vorgenommen wor-
den, die wir anerkennen. Aber der Grundsatz, der Einstieg
in den Ausstieg aus der gesetzlichen Rentenversicherung
– und das von Sozialdemokraten und Grünen –, stellt den
falschen Weg dar.


(Beifall bei der PDS – Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Dann sind Sie aber nicht zukunftsfähig!)


– Zur Zukunftsfähigkeit und zu dem, was Sie darunter
verstehen, kommen wir noch.

Besonders bedrückend finde ich in diesem Streit die
Rolle der Grünen. Sie konnten ihre Position bei der Ab-
senkung des Rentenniveaus nicht genug durchsetzen;
sie konnten sie nicht schnell genug betreiben. Ich sage Ih-
nen: Was die Grünen hier machen, ist ein unredliches
Spiel. Was sie Generationengerechtigkeit nennen, ist im
Grunde ein Setzen auf Generationenneid. Ich glaube, das
wird nicht funktionieren.


(Beifall bei der PDS)

Jung und Alt werden den Grünen dafür die rote Karte zei-
gen, und die haben sie auch verdient.

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie woll-
ten einen Rentenkonsens. Mit wem haben Sie den denn
jetzt erreicht? Mit sich selbst, vielleicht mit den großen
Wirtschaftsverbänden und mit den – das sagt man wohl
nicht immer so direkt – privaten Versicherungsträgern.
Sie wollten ja auch die CDU einbinden. Das hat sich jetzt
aber wohl gründlich erledigt. Damit ist doch eigentlich die
Geschäftsgrundlage für den Konsens, den Sie einmal an-
gestrebt haben, entfallen. Das heißt, der Mitte-Rechts-
Konsens ist gescheitert. Nun stellen wir Ihnen die Frage:
Wenn parlamentarisch alles so offen ist, wie Sie immer sa-
gen, warum in aller Welt versuchen Sie dann nicht, bei der
Rentenfrage einen Mitte-Links-Konsens zustande zu
bringen,


(Beifall bei der PDS)

und zwar einen Konsens zwischen Ihnen und den Ge-
werkschaften, den Sozialverbänden, den Rentenversiche-
rungsträgern, den Kirchen und – wir sind zwar beschei-
den, aber so selbstlos nun auch wieder nicht – auch der
PDS? Wir sagen Ihnen: Es geht auch anders. Politik ist
immer Menschenwerk. Wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf
unter „Alternativen“ schreiben: „Keine“, dann ist das ein
großes Armutszeugnis. Das ist hier noch einmal zu kons-
tatieren.




Roland Claus

12765


(C)



(D)



(A)



(B)


Unser Nein im Grundsatz wird dennoch eine ganze
Reihe von Vorschlägen zu Veränderungen in Einzelheiten
nach sich ziehen. Wir halten Nachbesserungen für drin-
gend geboten und auch möglich, zum Beispiel bei der
Frage nach flexiblen Anwartschaften für alle. Sie haben
ja schon Verbesserungen bei den bis 25-jährigen erreicht;
wir wollen das gerne ausdehnen. Wir denken, dass der so
genannte Ausgleichsfaktor, der ja eigentlich ein Kür-
zungsbetrag ist, auf den Prüfstand gehört. Dort ist er ja
wohl auch gegenwärtig. Über diese Sache müssen wir
noch einmal reden.

Wir müssen diese Gelegenheit auch nutzen, um Ihnen
noch einmal zu sagen – obwohl es nicht Bestandteil die-
ses Reformgesetzes ist –: Wir brauchen endlich Wege zur
Rentenangleichung in Ost und West.


(Beifall bei der PDS)

Das ist natürlich nicht einfach. Sie merken inzwischen,
dass sich dies nicht über eine Lohnangleichung regeln
lässt. Die Menschen müssen endlich wissen, wann dieser
Prozess beginnen und in welchen Schritten er ablaufen
wird. Sie wissen, dass die PDS bereit ist, an konstruktiven
Lösungen mitzuwirken. Letztendlich sei daran erinnert,
dass Sie noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur Beseitigung des Rentenstrafrechts umzusetzen haben.
Das ist noch eine von Ihnen einzulösende Bringeschuld.

Ich will noch ein Wort zu den Grünen sagen: Sie spre-
chen von Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren.
Das sagt die Opposition natürlich auch, weil es ihr gutes
Recht ist. Die Grünen betreiben aber doch tatsächlich Op-
position in der Koalition und der blanke Eigennutz von
Minister Fischer wird auch noch mit dem Begriff „pro-
fessionelle Führung“ beschönigt.


(Beifall bei der PDS)

Wir sagen Ihnen: So wird das Vertrauen in die Politik
nicht gestärkt, sondern zerstört. Sie standen einst für De-
mokratie von unten, jetzt betreiben Sie nur noch Macht-
erhalt von oben.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Herr Bundeskanzler, Herr Minister Riester, Reformen
sind nur etwas wert, wenn sie bei den Bürgerinnen und
Bürgern auch ankommen, und zwar im positiven Sinn und
nicht als mit einem „Basta!“ verbundene Kürzungsmaß-
nahme. Die PDS-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass
diese Rentenreform nicht so umgesetzt wird, wie sie ge-
plant ist.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1413301900
Ich erteile der Kolle-
gin Ulla Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1413302000
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Seehofer, ich
kann verstehen, dass Ihnen das alles ein bisschen wehtut.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wem? Dem Rentner und dem jungen Menschen tut es weh!)


Es tut nicht nur weh, dass Ihre Parteiführung Sie aus dem
Konsensgespräch hinaus katapultiert hat. Es tut auch weh,
erleben zu müssen, dass in allen Umfragen allein den So-
zialdemokraten und den Grünen Kompetenz bei der Lö-
sung von Alterssicherungsproblemen zugeschrieben
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus dem, was Sie gesagt haben, wird klar, dass es
schwer fällt, an diesem Reformentwurf wirklich Kritik zu
üben;


(Lachen bei der CDU/CSU)

ich will gar nicht auf die Details eingehen. Ich schließe
mich der „Frankfurter Rundschau“ an und will nicht an
Ihrer Intelligenz zweifeln. Allerdings, Herr Kollege
Seehofer, muss ich Ihnen vorhalten: Sie haben den Ge-
setzentwurf nicht gelesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Welchen? Gibt es wieder einen neuen?)


Hätten Sie ihn gelesen, wüssten Sie, dass er nicht sechs
verschiedene Formeln beinhaltet. Zu einer Formel gehört
– ich komme wieder zum Thema der Intelligenz –, dass
sie in sechs Jahren mit sechs unterschiedlichen Zahlen
aufgefüllt werden muss, weil die sich jeweils ändernden
Daten einbezogen werden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Strukturen ändern sich!)


Ich könnte noch auf andere Dinge eingehen; alle rele-
vanten Fragen – auch das Problem der Erwerbsunfähig-
keit – sind geklärt. Lesen Sie unseren Entwurf! Dann un-
terhalten wir uns im Ausschuss darüber. Sie werden aber
zugeben müssen, dass Ihre Kritikpunkte nicht zutreffen,
und dann sind wir wieder ein Stück weiter.

Ich könnte auch an Ihr kurzes Gedächtnis erinnern.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Gerade wollten Sie mich nicht beleidigen!)

Sie sagen, derjenige sei der Dumme, der länger in Arbeit
bleibt bzw. später in Rente geht, weil er dann den Aus-
gleichsfaktor zu spüren bekommt. Sie haben wohl ver-
gessen, dass eine der letzten Handlungen Ihrer Regierung
war, für jeden, der nach dem Jahre 2002 vor dem Errei-
chen des 65. Lebensjahres in Rente geht, einen Abzug von
jeweils 3,6 Prozent vom Rentenanspruch für jedes Jahr
vor Erreichen der gesetzlichen Altersrente vorzusehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt sagen Sie mir einmal, was besser ist: 3,6 Prozent
oder 0,3 Prozent?

Herr Kollege Seehofer, all das hat etwas damit zu tun,
dass Sie die Reform des Arbeitsministers Riester als
Quantensprung bezeichnet haben. Dass Sie dies nicht im
Zusammenhang mit dem Reformgesetz von Norbert
Blüm gesagt haben, lässt vieles über die Qualität dieses
Entwurfes erahnen.




Roland Claus
12766


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb, Frau Kollegin Schwaetzer, ist es kein Hohn,
wenn hier von unserer Seite von Generationengerechtig-
keit gesprochen wird. Hohn ist – so empfinde ich das
oft –, wenn plötzlich von Mitgliedern der früheren Bun-
desregierung Tag für Tag von sozialer Gerechtigkeit und
von den Problemen von Einkommensschwachen gespro-
chen wird sowie die Frage aufgeworfen wird, was getan
werden müsse, um Frauen im Alter stärker abzusichern.
Das ist Hohn, weil Sie zur Umsetzung dieser Ziele
16 Jahre lang Zeit hatten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

(Vo r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf

Seiters)
Ich möchte Ihnen noch sagen, wer die Gewinnerinnen

und Gewinner unserer geplanten Reform sind. Gewinner
und Gewinnerinnen sind diejenigen, die nur über ein ge-
ringes Einkommen verfügen. Diese Menschen zahlen we-
gen ihres geringen Einkommens immer nur geringe
Beiträge in die Rentenversicherung. Am Ende ihres Er-
werbslebens hätten sie eine geringe Rente bezogen, die
das Sozialhilfeniveau auch heute nicht erreicht. Diese
Menschen zählen deswegen zu den Gewinnerinnen und
Gewinnern, weil wir mit unserem Reformkonzept diesen
Kreislauf zum ersten Mal durchbrechen: Wir geben näm-
lich einkommensschwachen Personen und Personen, die
eine gebrochene Erwerbsbiografie haben, Geld in die
Hand, damit sie sich eine zweite Säule der Altersvorsorge
aufbauen können. Das ist Sozialpolitik! Das ist Bekämp-
fung von Altersarmut!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne ein Beispiel, an dem ich das deutlich machen
kann. Eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern und
einem Bruttoeinkommen von 20 000 DM bekommt, auch
wenn sie ein Leben lang erwerbstätig war, nur eine ge-
ringe Rente. Angesichts ihrer Situation – 20 000 Brut-
toeinkommen, zwei Kinder – raten wir ihr, sich eine
zweite Säule aufzubauen: 4 Prozent, das wären 800 DM
im Jahr. Und wir fördern sie: Für die beiden Kinder be-
kommt sie 720 DM im Jahr,


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das ziehen Sie bei der Hinterbliebenenrente doch ab!)


für sich selbst 300 DM. Insgesamt bekommt sie also
1 020 DM. Wir verlangen nur, dass sie 10 DM im Monat
selber dazu gibt, das kann jeder und jede. Wenn diese Frau
so angespart hat und in Rente geht, dann bekommt sie ne-
ben ihrer normalen Rente eine zusätzliche Rente, die man
heute auf fast 800 DM ansetzen kann. Das ist gelebte So-
zialpolitik! Das ist eine Rentenpolitik, die Altersarmut
verhindert!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Seehofer, Sie sind nie auf die Idee gekom-
men, so etwas zu machen. Dass das also wehtut, kann ich
verstehen.

Ein weiterer Punkt. Wir wollen verhindern, dass Men-
schen, weil sie Kinder erziehen, im Alter dafür bestraft
werden. Dies trifft vor allem Frauen; bei den Männern
sind es nur 2 Prozent. Wir wollen die Zeiten, die Men-
schen weniger arbeiten oder in denen Sie oft geringer ver-
dienen, weil sie Kindererziehung und Familienarbeit
machen, höher bewerten. Auch hier möchte ich ein Bei-
spiel nennen, damit deutlich wird, was dadurch erreicht
wird: Eine Mutter von einem Kind, die drei Jahre zu
Hause bleibt, bekommt drei Entgeltpunkte, die wir ihr als
eigenständige Beitragsleistung geben. Ab dem 4. Lebens-
jahr des Kindes geht sie wieder arbeiten und verdient
70 Prozent des Durchschnittseinkommens, etwas, was
heute bei Frauen leider noch immer normal ist. Wenn das
Kind zehn Jahre alt ist, hat die Frau allein aus diesen zehn
Jahren einen monatlichen Rentenanspruch von 490 DM.
Dies haben heute viele Frauen erst nach einem ganzen Ar-
beitsleben gehabt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit machen wir deutlich, dass wir nicht wollen, dass
Frauen für die Erziehung von Kindern bestraft werden.
Auch sie zählen zu den Gewinnerinnen dieser Reform.

Ich könnte die Zahl der Beispiele fortführen. Eine Mut-
ter von drei Kindern hat allein aufgrund der Tatsache, drei
Kinder großgezogen zu haben, einen Rentenanspruch von
über 500 DM. Das entspricht einer Beitragsleistung von
fast 120 000 DM.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das haben wir doch gemacht!)


Wer ein behindertes, pflegebedürftiges Kind erzieht
– Frau Böhmer, ich appelliere an Ihr christliches Gewis-
sen –, bekommt heute über die Pflegeversicherung
0,75 Entgeltpunkte an Beitragsleistung. Durch unsere
Bemühungen bekommt derjenige bis zum 18. Lebensjahr
dieses Kindes die Beitragsleistung auf 1 Entgeltpunkt an-
gehoben. Das sind nach heutigem Recht knapp 900 DM
an monatlichen Rentenleistungen. Das ist ein Erfolg. Ich
bin stolz darauf, dass wir das geschafft haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft
die soziale Grundsicherung im Alter, die Sie auch nicht
wollen. Für uns hat es etwas mit der Würde der Menschen
zu tun, dass sie im Alter nach dem Erwerbsleben nicht
zum Sozialamt gehen müssen, um ihre kleine Rente auf-
zubessern, dass sie, wenn sie 65 Jahre alt sind und mit ei-
gener Erwerbstätigkeit nicht aus der Armut herauskom-
men, einen Anspruch auf eine soziale Grundsicherung im
Alter haben, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Kinder
hierfür herangezogen werden. Ich frage Sie: Was hat es
mit dem christlichen Menschenbild zu tun, dass Sie dies
nicht wollen, meine Damen und Herren von der Union?
Was hat es mit dem christlichen Menschenbild zu tun,
dass Sie nicht wollen, dass wir die Rentenansprüche der
Eltern, die diese bei der Erziehung eines pflegebedürfti-
gen behinderten Kindes in den ersten 18 Lebensjahren
erworben haben, höher als bisher bewerten und ihren




Ulla Schmidt (Aachen)


12767


(C)



(D)



(A)



(B)


Kindern eine soziale Grundsicherung garantieren, um sie
wenigstens finanziell zu entlasten?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts der Debatte, die Sie zurzeit über die Frage
führen, wie der Begriff „Leitkultur“ inhaltlich auszufüllen
sei, empfehle ich Ihnen: Diskutieren Sie doch einmal über
die Fragen, wie sich die Armut von Menschen bekämpfen
lässt und wie die Würde von Menschen gewahrt werden
kann! Wenn Sie das tun, dann kommen Sie auch ein Stück
weiter.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413302100
Ich erteile
das Wort nunmehr der Kollegin Dr. Maria Böhmer für die
CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Frau Ulla Schmidt sagte eben, es täte weh,
was hier geschieht. In der Tat, Frau Schmidt, es tut weh.
Aber wem tut es weh?


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ihnen!)

Es tut der Mehrzahl der Rentenempfänger in unserem
Land weh; denn zwei Drittel aller Rentenempfänger sind
Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von 18 Millionen Rentenempfängern sind 11 Millionen
Frauen. Ihr Gesetzentwurf ist ein Schlag in das Gesicht
der Frauen in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Sie haben immer gesagt, Sie wollten die Nachteile für
Frauen in der Rente beseitigen. Aber wie sieht die Realität
aus? Die Kürzung des Rentenniveausmacht viele Rent-
nerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern. Das
wird besonders an der Tatsache deutlich, dass die durch-
schnittliche Frauenrente bei 900 DM pro Monat liegt. So
darf man mit Menschen, die ein Leben lang hart gearbei-
tet haben, in unserem Land nicht umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Erzählen Sie doch nicht solche Unwahrheiten!)


– Sie sprechen von Unwahrheiten? Ich sage Ihnen, wo ich
das gelesen habe: Ich habe das im Programm der SPD für
die Bundestagswahl 1998 gelesen. Und die SPD selbst be-
zeichnet dies als Unwahrheit? Sie sollten eigentlich wis-
sen, was Sie den Menschen vor der Wahl versprochen ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Es ist nämlich so: Sie brechen Ihre Wahlversprechen und
würden die eigene Kritik von damals am liebsten im Tre-
sor einschließen.

Was erreichen Sie mit Ihrem jetzigen Gesetzentwurf?
Sie schaffen schmerzliche soziale Ungerechtigkeiten für
Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der
privaten Vorsorge und leiten mit Ihrem Rentenreform-
gesetzentwurf – das ist die Krönung, Herr Minister – das
Aus für die Witwenrente ein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber viele Frauen sind auf Witwenrente angewiesen;
denn 70 Prozent der Frauen haben heute in Deutschland
eine eigene Rente, die niedriger ist als 1 200 DM. Wenn
Sie jetzt die Witwenrente wegreformieren, dann bedeutet
das, dass Sie die Frauen vor die Türen des Sozialamtes
schicken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit bekämpft man nicht die Altersarmut. Damit produ-
ziert man vielmehr neue Altersarmut. Sie behaupten zwar,
dass die armen alten Frauen nicht zum Sozialamt gehen
müssen, weil der Regress in der Sozialhilfe beseitigt wor-
den ist. Aber tatsächlich schicken Sie sie dorthin. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von zentraler Bedeutung ist die Frage: Wie wirkt sich

die Senkung des Rentenniveaus auf die Mehrzahl der
Rentenempfänger – das sind die Frauen – aus? Wir wis-
sen aus gutem Grund, warum wir auf einem Rentenniveau
von 64 Prozent beharren. Aber jetzt spielt sich ein Drama
ab. Das Rentenniveau soll nur noch bei 61 Prozent liegen.
Der so genannte Eckrentner muss 45 Jahre lang Beiträge
dafür gezahlt haben. Aber welche Frau kann schon
45 Jahre Beitragszeiten aufweisen? In den alten Bundes-
ländern liegen die durchschnittlichen Beitragszeiten bei
25 Jahren und in den neuen Bundesländern bei 37 Jahren.
Das bedeutet, dass das Niveau der Renten für Frauen auf
unter 50 Prozent fallen wird. Das ist ein Skandal ohne-
gleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Niveauabsenkung, liebe Kollegen von der SPD

und dem Bündnis 90/Die Grünen, trifft Frauen doppelt,
nämlich über die eigene Rente und über die Witwenrente.
Die Witwenrente berechnet sich aus der gekürzten Rente
des Mannes. Frauen sind also von der Rentenkürzung, die
Sie vornehmen, doppelt betroffen. Sie sind auch härter be-
troffen. Für denjenigen, der eine niedrigere Rente hat, ist
es wesentlich schmerzlicher, wenn das Rentenniveau
sinkt.

Wir müssen die Frage stellen, wie solche Versorgungs-
lücken gefüllt werden können. Es ist wichtig, dass die pri-
vate Vorsorge aufgebaut wird. Es muss aber auch die
Frage gestellt werden, ob die Betreffenden das leisten
können. Ich sehe immer wieder die Verkäuferin in der
Bäckerei vor mir, die einen Stundenlohn von 8 DM hat.
Das ist kein Einzelfall. Wie soll die Betreffende mit dem,
was Sie ihr bieten, klarkommen? Wie soll sie in der Lage
sein, die private Vorsorgemit dem minimalen Einstieg in




Ulla Schmidt (Aachen)

12768


(C)



(D)



(A)



(B)


die private Vorsorge überhaupt zu leisten? Ich muss Ihnen
sagen: All das, was Sie heute an geplanten Neuregelungen
und Verbesserungen für die Frauen verkündet haben,
wirkt sich nicht zum Vorteil für die Frauen aus. Sie spre-
chen von der Aufwertung der Teilzeitbeschäftigung bei
der Rente. Dies führt tatsächlich zu einer leichten Ver-
besserung der Situation der Frauen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da werden Sie neidisch, dass Sie das nicht durchgesetzt haben!)


– Ich werde nicht blass vor Neid, aber ich werde blass,
wenn ich sehe, was das unter dem Strich für Frauen be-
deutet. Das will ich Ihnen einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413302200
Frau Kolle-
gin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1413302300
Lassen Sie mich zu-
erst diesen Gedanken zu Ende führen! Danach können Sie
gerne eine Zwischenfrage stellen.

Eine Hausfrau, die fünf Jahre Vollzeit gearbeitet hat,
diese dann wegen Kindererziehung unterbrochen und da-
nach acht Jahre Teilzeit gearbeitet hat, bekäme nach gel-
tendem Recht 598 DM, eine katastrophal niedrige Rente.
Wenn sie die nach Ihrem Gesetzentwurf vorgesehenen
kindbezogenen Leistungen bekäme, hätte sie 662 DM.
Aber sie muss eine Verringerung des Rentenniveaus ver-
kraften. Damit bekommt sie unterm Strich weniger als
heute.

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Frau, die 39 Jahre
Teilzeit gearbeitet und zwei Kinder großgezogen hat.
Nach geltendem Recht bekäme sie 1 239 DM. Trotz der
Aufbesserung, die Sie für Teilzeitbeschäftigung vorsehen,
wird sie später 5 Prozent weniger haben. So sieht die
Rechnung aus. Das bedeuten Ihre angeblichen Verbesse-
rungen für Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413302400
Gestatten
Sie jetzt die Frage des Kollegen Brandner?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1413302500
Ja.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1413302600
Frau Kollegin Böhmer, Sie
haben uns mitgeteilt, dass Sie das Wahlprogramm der
SPD gelesen haben, aber nicht, ob Sie auch den Gesetz-
entwurf zur Rentenreform kennen.


(Beifall bei der SPD)

Ist Ihnen entgangen, dass der Gesetzentwurf vorsieht,
dass insbesondere die Entgelte von Frauen, die während
der Kindererziehungsphase Teilzeit arbeiten, rentenrecht-
lich über zehn Jahre so aufgewertet werden, dass diese
Frauen auf Rentenversicherungsbeiträge in Höhe des
Durchschnittsverdienstniveaus kommen, was letztlich er-
hebliche Rentensteigerungen zur Folge haben wird?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1413302700
Herr Kollege, ich bin
zum einen etwas verwundert, dass Sie sagen, dass es
durchaus einen Unterschied zwischen dem Wahlpro-
gramm der SPD und dem Entwurf, den Sie vorgelegt ha-
ben, geben könne. Das ist Ihre Aussage. Sie bestätigen
also noch die große Diskrepanz, die hier besteht.

Zum anderen habe ich gerade erläutert, dass die Höher-
bewertung der Teilzeitarbeit durch die Veränderungen des
Rentenniveaus für Frauen aufgefressen wird. Alles, was
Sie im Bereich der Teilzeitarbeit machen, wird durch die
Absenkung des Rentenniveaus für Frauen zunichte ge-
macht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413302800
Frau Kolle-
gin Böhmer, nun möchte Frau Schmidt eine Frage stellen.
Gestatten Sie diese?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1413302900
Ja, bitte.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1413303000
Frau Kollegin
Böhmer, ist Ihnen, wenn Sie den Gesetzentwurf der Ko-
alitionsfraktionen und der Bundesregierung gelesen ha-
ben, aufgefallen, dass gerade der Rententeil, dem höher
bewertete Erziehungszeiten zugrunde liegen, bei der Kür-
zung durch den Ausgleichsfaktor ausgenommen wurde?


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1413303100
Frau Kollegin
Schmidt, ich habe mir genau diese Stelle sehr intensiv an-
gesehen. Ich halte es für richtig, dass Sie das so machen.
Das ändert aber nichts daran, dass die Absenkung des
Rentenniveaus in dieser dramatischen Art und Weise nicht
durch die Aufwertung der Teilzeit kompensiert werden
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Gegenteil, es kommt unter dem Strich trotz der Auf-
besserung der Teilzeitarbeit zu einem Minus für die
Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ihre Antwort zeigt, dass es Ihnen schwer fällt, den Gesetzentwurf zu bewerten, weil Sie wissen, dass das, was wir machen, ein Riesenfortschritt ist, ein Quantensprung, wie der Kollege Seehofer sagt!)


– Frau Kollegin, ich möchte weiter antworten und bitte
Sie, so freundlich zu sein, meine Antwort auch entgegen-
zunehmen.

Sie haben die Aufwertung nur für die Teilzeitarbeit ge-
macht. Nur dort berücksichtigen Sie die Kindererzie-
hungszeiten


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Nein, schon wieder ist es falsch!)


und dann – lassen Sie mich erst zu Ende reden –, wenn je-
mand einen geringen Verdienst hat. Ich habe den Entwurf
weitergelesen. Wir haben Ihnen gesagt, dass es nicht nur




Dr. Maria Böhmer

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(C)



(D)



(A)



(B)


verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch sozial un-
gerecht sei, nur bei einer Gruppe von Frauen die Kinder-
erziehungszeiten besser zu bewerten. Gerade die Frauen,
die wegen Kindererziehung ihre Erwerbstätigkeit unter-
brochen haben, waren bei Ihnen zunächst außen vor. Als
Reaktion auf unseren harten Protest haben Sie erklärt, wer
zwei oder mehr Kinder habe, solle eine analoge Verbes-
serung erhalten. Entsprechendes haben Sie für behinderte
Kinder getan.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist auch schlimm?)


– Nein, das ist richtig. – Sie haben allerdings die Mütter
vergessen, die ein Kind großziehen. Ich frage mich noch
heute, worin die Rechtfertigung dafür liegt, dass Kinder-
erziehung bei Ihnen ungleich behandelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Frau Schmidt, ich bin mit meiner Antwort noch nicht

fertig.

(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ich bin mit der Antwort zufrieden!)

Ich muss Ihnen nämlich noch sagen, dass die Frauen, die
älter sind und ihre Kinder vor 1992 geboren haben – Sie
haben den Schnitt ab 1991 gemacht –, keinen Gewinn von
Ihren Vorschlägen haben, obwohl sie Teilzeitarbeit ver-
richten.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Liebe Frau Kollegin Böhmer, auch das haben Sie nicht richtig gelesen!)


Das heißt, alle Frauen, die ihre Kinder vor 1992 geboren
haben, gehen bei Ihnen völlig leer aus.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Auch falsch!)

Das ist der Skandal an diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dies ist besonders dramatisch; denn diese Frauen be-

kommen geringere Renten, weil sie länger für die Fami-
lien da waren. Diese Frauen können keine private Vor-
sorge mehr aufbauen. Diese Frauen werden von der
Absenkung des Rentenniveaus getroffen, obwohl sie
dafür gesorgt haben, dass morgen Beitragszahler da sind.
So kann man mit der Leistung von Frauen in Deutschland
nicht umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Frau Schmidt, noch eine Frage?)


Frau Schmidt, möchten Sie noch etwas fragen? Ich bin
gern zu weiteren Auskünften bereit.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ihre Antwort zeigt, dass Sie den Gesetzentwurf nicht verstanden haben, Frau Kollegin! Ich möchte Ihnen Peinlichkeiten ersparen!)


– Sie können mich gern noch einmal fragen. Wir machen
das dann so wie in einer Prüfung. Ich werde Ihnen dann
gerne eine Antwort geben.

Ich komme nun zur Witwenrente und damit zu dem ei-
gentlichen Drama. Der Begriff „Witwenrente“ ist bis
heute nicht angeklungen, obwohl 98 Prozent der Rentne-
rinnen in Deutschland auf sie angewiesen sind. Jetzt er-
folgt eine Mehrfachkürzung bei der Witwenrente. Sie ha-
ben im letzten Jahr – das hat die „Bild“-Zeitung als
„Horrormeldung aus Bonn“ bezeichnet – angekündigt,
dass die Witwenrente gekürzt werden soll. Daraufhin ha-
ben wir mit Ihnen gekämpft. Ich habe Sie vor einem Ren-
tenroulette gewarnt, als Sie eine Wahlmöglichkeit zwi-
schen der Hinterbliebenenversorgung und einem
Splittingansatz eröffnen wollten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist auch nach wie vor richtig!)


Ich habe Ihnen immer gesagt, dass Sie die Finger davon
lassen sollen; denn nur derjenige, der weiß, wer in der Ehe
zuerst stirbt, kann sicher wählen, welches Modell – Hin-
terbliebenenversorgung oder Splitting – besser ist. Das
aber würde bedeuten, dass Sie den Menschen in Deutsch-
land ein makaberes Vabanquespiel zumuten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer glaubt, dass Sie aus unserem Vorschlag, die Wit-

wenrente in eine eigenständige Sicherung umzuwandeln
und dabei die Kinderzahl zu berücksichtigen, gelernt hät-
ten, muss erneut erkennen, dass sich bei Ihnen das Ganze
in Überschriften erschöpft. Sie gehen zwar so vor, dass
Sie die Höhe der Witwenrente nach der Kinderzahl staf-
feln; aber es ist wichtig – wie so oft bei der SPD – nach-
zurechnen. Nach der Neuregelung ist das Niveau der Wit-
wenrente für eine Hausfrau, wie ich sie eben beschrieben
habe, und für eine Frau, die einer Teilzeitbeschäftigung
nachgeht, nicht höher als nach geltendem Recht; denn Sie
sehen eine Festschreibung des Freibetrages vor und Sie
wollen zukünftig alle Einkommen, also auch Spargutha-
ben – Geld, das man mühselig auf die hohe Kante gelegt
hat; ich erinnere an den Fall, dass man das Geld für eine
kleine Wohnung gespart hat, die man vermietet –, anrech-
nen. Ich kann allen in Deutschland nur raten, die Finger
von entsprechenden Sparplänen zu lassen; denn das, was
die SPD plant, ist völlig kontraproduktiv. Wer spart und
später eine Witwenrente bezieht, wird der Dumme sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter dem Strich bedeuten Ihre Pläne, dass die Haus-

frau durch die Verrechnung bei der Witwenrente zu-
künftig 11 Prozent weniger bekommt. Eine Frau, die ei-
ner Teilzeitbeschäftigung nachgeht, bekommt 29 Prozent
weniger und eine Frau, die einer Vollzeitbeschäftigung
nachgeht, bekommt sogar 34 Prozent weniger. Obwohl es
Frauen gibt, deren Einkommen nach Ihren Plänen im Al-
ter um ein Drittel niedriger ausfällt – das Minus im Porte-
monnaie kann bei 300 DM liegen –, verkaufen Sie den
Menschen draußen, dass Frauen die Gewinnerinnen der
Rentenreform sind. Lesen Sie erst einmal Ihren eigenen
Entwurf und dann reden wir weiter!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Unter diesem Gesichtspunkt kann ich Ihnen nur sagen:

Eine Rentenreform, die an der Mehrheit der Rentenemp-
fänger vorbeigeht und die für zwei Drittel der Menschen,




Dr. Maria Böhmer
12770


(C)



(D)



(A)



(B)


die heute Rente beziehen, bzw. für die Mehrheit derjeni-
gen, die zukünftig eine Rente beziehen werden, Unge-
rechtigkeit bedeutet, sowohl was die Gleichbehandlung
der Generationen als auch was die zukünftige Situation
der Frauen betrifft, verdient es nicht, „zukunftsorientiert“
genannt zu werden. Zur Verständigung über diese Reform
werden wir nicht die Hand reichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413303200
Ich gebe der
Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413303300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Die Rentendebatte zeichnet sich schon seit Jahren durch
Wortungetüme und Zahlengestrüppe aus. Wer kennt den
„Eckrentner“ oder den „Standardrentner“? Wer in unserer
Bevölkerung kann glaubhaft nachvollziehen, dass die Be-
hauptung von Herrn Seehofer, der demographische Fak-
tor sei besser als der Ausgleichsfaktor, stimmt? Ich
glaube, dass noch nicht einmal Ihre Fraktion das wirklich
versteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Doch!)


Das heißt, das Problem ist schwer zu lösen. Niemand
versteht eine Fachdebatte, wie sie hier geführt wird. Die
Mehrheit der Bevölkerung versteht aber, worum es im
Kern geht. Der normale Menschenverstand legt einem ei-
nes nahe: Wer erlebt und weiß, dass die Bevölkerung ins-
gesamt heutzutage eine höhere Lebenserwartung hat
– was zu begrüßen ist –, dass in dieser Gesellschaft aber
gleichzeitig weniger Kinder geboren werden, der kann an
fünf Fingern abzählen, dass es mit der Umlagefinanzie-
rung Probleme geben muss und geben wird. Das haben
die Menschen erkannt. Aus eigener Anschauung wissen
sie, dass die gesetzliche Rentenversicherung einer
grundsätzlichen Reform bedarf. Wichtig ist vor allen
Dingen, dass sie ein zweites – kapitalgedecktes – Stand-
bein bekommt.

Übrigens, Frau Schwaetzer, wir führen eine kapitalge-
deckte Säule ein, die Sie zu Ihrer Regierungszeit nicht ha-
ben durchsetzen können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Stimmt! Das war mit Blüm nicht zu machen!)


– Das war mit Blüm nicht zu machen. Ich danke Ihnen. –
Gleichzeitig steigen wir – Sie haben das hier an-
gezweifelt – in die nachgelagerte Besteuerung ein.

Ich freue mich, dass wir seit gestern nachlesen können,
dass der Sachverständigenrat, der der Arbeits- und Sozi-
alpolitik der Bundesregierung ja nicht unbedingt immer
sehr positiv gegenübersteht, sagt, dass wir gerade an die-
ser Stelle Probleme der Zukunft aufgreifen und dass des-
wegen unser Handeln zukunftsfähig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist aber auch das einzig Positive, was der Sachverständigenrat sagt! – Gegenruf des Abg. Franz Thönnes [SPD]: Ist das richtig oder falsch?)


Es braucht Mut, das, was eigentlich so einfach nachzu-
vollziehen ist, auszusprechen und hier Wahrheiten zu be-
nennen.

Die eine Wahrheit ist: Die gesetzliche Rente reicht in
der Zukunft nicht aus, um den Lebensstandard zu sichern.
Walter Riester hat vor anderthalb Jahren dieses das erste
Mal sehr deutlich gesagt. Diese Aussage ist in der „Bild“-
Zeitung, natürlich mit freundlicher Unterstützung der Op-
position,


(Jörg Tauss [SPD]: Pfui!)

zerrissen worden. Seine Aussage ist mit Argumenten zer-
rissen worden wie: Den Rentnern wird in die Tasche
gegriffen. Seine Aussage meinte aber vielmehr, dass die
junge Generation wegen der demographischen Entwick-
lung zukünftig Probleme mit der Rente bekommen wird.
Das heißt, dass der jungen Generation Lösungen für die
Zukunft angeboten werden müssen, weil nicht die Gene-
ration, die schon in Rente ist, dieses Problem hat. Das
Problem entsteht dadurch, dass beispielsweise der Alters-
aufbau dieser Gesellschaft im Jahre 2030 völlig anders
aussehen wird.

Eine zweite Wahrheit, die wir im Zusammenhang mit
dieser Rentenreform benennen müssen, lautet, dass die
Belastungen steigen werden. Wir müssen darüber reden,
dass wir diese Belastungen gerecht und fair zwischen den
Generationen verteilen. Für uns, meine Damen und Her-
ren, bedeutet das, dass auch die ältere Generation ihren
Beitrag leisten muss.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie verraten doch die junge Generation mit den hohen Beitragssätzen!)


– Wir verraten Ihnen gerne, auf welche Weise: nämlich
durch einen geringeren und langsameren Anstieg der
Renten, und zwar schon in dieser Legislaturperiode. Das
ist der Beitrag der älteren Generation. Daraus haben wir
nie einen Hehl gemacht. Ich bitte Sie von der Opposition,
dieses endlich ehrlich und gemeinsam mit uns auszu-
sprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413303400
Frau Kolle-
gin Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Knake-Werner?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413303500
Ja,
gerne.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1413303600
Frau Kollegin
Dückert, könnten Sie mir die Frage beantworten, warum




Dr. Maria Böhmer

12771


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie die zukünftige Rentenlast zwar gerecht zwischen den
Generationen, aber ganz offensichtlich nicht gerecht
zwischen Arbeitgebern und abhängig Beschäftigten ver-
teilen wollen? Es ist ja wohl eindeutig, dass nach Ihrem
Konzept die Arbeitgeber künftig 11 Prozent in die Renten-
versicherung einzahlen sollen, die abhängig Beschäftig-
ten und damit die junge Generation aber 15 Prozent. Wie
erklären Sie sich denn diese Ungerechtigkeit? Ich finde,
das hat mit sozialer Gerechtigkeit nicht so viel zu tun.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413303700

Frau Knake-Werner, wir stimmen sicherlich in dem Punkt
überein, dass man unterschiedliche Perspektiven wählen
kann, um die Frage der sozialen Gerechtigkeit zu be-
trachten. Sie geben hier ein Argument zu bedenken, das
auch die Gewerkschaften vortragen, nämlich dass der
Einstieg in die private Vorsorge die paritätische Fi-
nanzierung sozusagen untergraben würde. Ich habe eben
vorgetragen, dass das Grundproblem darin besteht,


(Zuruf von der CDU/CSU: Rot-Grün!)

dass das zukünftige Rentenniveau der gesetzlichen
Rentenversicherung den Lebensstandard der jeweiligen
Generation nicht mehr sichern kann und wir deshalb
zusätzlich private Vorsorge brauchen. Die gesetzliche
Rentenversicherung ist paritätisch finanziert und wird
paritätisch finanziert bleiben. Aber wir besitzen die
Ehrlichkeit, der jungen Generation heute zu sagen: Liebe
Leute, wenn ihr euren heutigen Lebensstandard auch als
Rentner haben wollt, dann müsst ihr zusätzlich privat vor-
sorgen. Wir schreiben ihnen nicht vor, wie sie privat vor-
sorgen sollen – private Vorsorge heißt, einen eigenen
Beitrag zu leisten –, sondern wir geben ihnen einen
Zuschuss zur privaten Vorsorge. Sie müssen also nicht
alleine dafür sorgen, schon gar nicht die Bezieher kleiner
Einkommen.

Außerdem haben sie die Wahl zwischen der privaten
und der betrieblichen Vorsorge. Sie wissen, dass über Ta-
rifverträge allerlei Zuschuss von Arbeitgebern für die be-
triebliche Vorsorge ausgehandelt werden kann bzw. auch
schon existiert.

Deswegen sage ich Ihnen: Es ist ein Abtauchen vor der
Realität, wenn Sie behaupten, dass wir hier Gerechtigkeit
untergraben. Nein, wir geben hier vielmehr eine Hand-
lungsmöglichkeit gerade für die junge Generation, selbst-
ständig mit Unterstützung des Staates ihre Rente zu si-
chern.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413303800
Frau
Dückert, gestatten Sie eine Zusatzfrage von Frau Knake-
Werner?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413303900
Ja.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413304000
Außerdem
hat sich der Kollege Seehofer zu einer Zwischenfrage
gemeldet. Ihre Redezeit wird dadurch nicht beein-
trächtigt.


Dr. Heidi Knake-Werner (PDS):
Rede ID: ID1413304100
Sie haben meine
Frage nicht beantwortet. Ich habe gefragt: Wie wollen Sie
denn eigentlich die Arbeitgeber in Ihr Konzept von
sozialer Gerechtigkeit einbeziehen? Darauf haben Sie
jetzt nicht reagiert. Das wüsste ich aber gerne, weil unser
Verständnis von Parität, von solidarischer Finanzierung
der Rentenversicherung, bisher ist, die Beiträge zwischen
Arbeitgebern und abhängig Beschäftigten aufzusplitten.

Jetzt haben Sie ein anderes Konzept gewählt: Absen-
kung des Rentenniveaus und ergänzende private Vor-
sorge, um so die heute bestehende gesetzliche Rente zu si-
chern. Da bleiben die Arbeitgeber vor der Tür. Wie wollen
Sie die Arbeitgeber in Ihr Konzept einbeziehen?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413304200

Frau Knake-Werner, es tut mit Leid, Sie haben mir viel-
leicht nicht richtig zugehört. Ich glaube, ich habe ein-
deutig und unmissverständlich gesagt, dass die gesetz-
liche Rentenversicherung in der Vergangenheit, zum
heutigen Zeitpunkt und in der Zukunft paritätisch fi-
nanziert wird, dass wir den Menschen aber sagen, dass wir
ihnen, wenn sie sich zusätzlich besser absichern wollen,
Hilfestellung geben. Ich denke, das ist, was Chancen-
verteilung anbelangt, eine angemessene, faire Reaktion
und auch eine gerechte Reaktion auf die Veränderungen in
dieser Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413304300
Herr Kol-
lege Seehofer.


Horst Seehofer (CSU):
Rede ID: ID1413304400
Frau Kollegin Dückert,
Sie haben gerade gesagt, Sie wollten den Menschen nicht
vorschreiben, wie sie sparen und ob sie sparen. Das hat
mich jetzt doch etwas überrascht; denn wir haben heute
Nacht in Ihrem Gesetzentwurf einen neuen Satz gefun-
den, der da lautet:

Ob der Abschluss eines privaten Altersversi-
cherungsvertrages obligatorisch vorgesehen werden
soll, ist im Laufe der weiteren Legislaturperiode zu
prüfen.

Das heißt, im Gegensatz zu allen bisherigen Ge-
sprächen, die wir geführt haben, spielen Sie jetzt mit dem
Gedanken, in Deutschland einen Sparzwang einzuführen.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da waren wir uns doch einig, Herr Seehofer, dass wir das prüfen wollen! Das war doch auch Ihr Vorschlag!)


Sie schreiben ja von Prüfung in der „weiteren Legis-
laturperiode“. Haben Sie die Absicht – mich interessiert
jetzt die Meinung der Grünen –, das den Menschen noch
vor der Bundestagswahl zu sagen oder erst anschließend?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Dr. Heidi Knake-Werner
12772


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413304500

Herr Seehofer, ich antworte Ihnen gerne auf diese Frage,
aber ich muss zunächst darauf hinweisen: Sie haben
meine letzte Antwort missinterpretiert. Wenn ich von
Wahlfreiheit bei der privaten Vorsorge sprach, dann habe
ich von der Freiheit für den Arbeitnehmer und für alle an-
deren gesprochen, zwischen den Systemen privater und
betrieblicher Vorsorge und auch die Anlageform frei zu
wählen.

Die Frage, ob wir bei der zusätzlichen, kapitalgedeck-
ten Vorsorge zukünftig zu einem Obligatorium kommen
müssen, ist im Moment abschließend nicht zu beantwor-
ten. Ich sage: Es kann sein. Ich persönlich bin davon über-
zeugt, dass die Stütze, die wir als Hilfe für den Aufbau der
privaten Förderung geben, und zwar gerade Beziehern
kleiner Einkommen, gerade Menschen mit Kindern, zu ei-
ner privaten Vorsorge in jedem einzelnen Haushalt führen
wird. Und dann wird dieses Obligatorium nicht notwen-
dig sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich möchte meine Rede
fortsetzen und dabei an eine Äußerung aus der CDU/CSU
anknüpfen. Herr Seehofer hat uns vorhin mit der Kritik an
unserem Konzept – es macht eben das, was er Quanten-
sprung nennt, nämlich Aufbau der privaten Vorsorge, der
kapitalgedeckten Vorsorge – gesagt, dieses alles sei nicht
genug. Die CDU/CSU hat ihre Kritik formuliert: Es reicht
alles nicht; es reicht an keiner Stelle: Es reicht nicht bei
der Frauenförderung und so weiter. Herr Seehofer wollte
uns das blümsche Konzept verkaufen.

Meine Damen und Herren, wir können hier trefflich
über Faktoren streiten; dazu sagte ich eingangs etwas.
Aber wir können nicht darüber streiten, dass die Zukunfts-
fragen in der blümschen Rentenreform überhaupt nicht
angedacht worden waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo ist in der blümschen Rentenreform auch nur an-
satzweise der Aufbau einer kapitalgedeckten Altersvor-
sorge sichtbar, was Sie, Herr Seehofer, heute als Quan-
tensprung bezeichnen? Sie haben über das Ganze geredet,
getan haben Sie nichts; es war ein Nullangebot hin-
sichtlich der Zukunftsfragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wo in Ihrem Konzept – Frau Schwaetzer hat es ja ge-
rade zugegeben – ist zum Beispiel die nachgelagerte Be-
steuerung angegangen worden?


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Was, zugegeben? Angemahnt habe ich das! Mutlos sind Sie!)


– Frau Schwaetzer, Sie wollen uns hier ein längst ausge-
laufenes Modell als Rentenkonzept verkaufen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben in der Zukunft ganz andere Probleme zu lösen
und dazu brauchen wir die kapitalgedeckte Altersvorsorge
und übrigens auch die nachgelagerte Besteuerung.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Sie haben mir nicht zugehört! Warum machen Sie es nicht bei allen? Das wäre mutig gewesen!)


Sie haben genau diese Herausforderung verschlafen,
meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie verlangen bei der privaten Vorsorge eine verstärkte
Förderung für Familien mit Kindern. Dazu möchte ich
zwei Dinge festhalten. Erstens. Wir sorgen nicht nur für
eine steuerliche Unterstützung, sondern wir haben für die-
jenigen mit kleinem Einkommen, die keine Steuern zah-
len – weil wir eine gute Steuerreform gemacht ha-
ben –, einen direkten Zuschuss vorgesehen. Wir nehmen
viel Geld in die Hand, für den Zuschuss bei kleinen Ein-
kommen beispielsweise 20 Milliarden DM.

Zweitens. Wir haben einen doppelten Kinderfaktor
vorgesehen, das heißt, je mehr Kinder jemand hat, desto
geringer wird der Mindestbeitrag, den er leisten muss, um
in die private Vorsorge zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber nicht genug damit: Für jedes Kind gibt es
360 DM. Wir haben vorhin gehört, was das zum Beispiel
für eine Alleinerziehendemit zwei Kindern bedeutet, die
dann mit 10 DM Monatsbeitrag in eine mit über 2 000DM
recht gut finanzierte private Altersvorsorge kommen
kann. Auch hier läuft Ihre Kritik vollständig ins Leere.

Allerdings haben wir für die Frauen an dieser Stelle
noch sehr viel mehr getan. Die Ehefrau zum Beispiel, die
nicht arbeitet, weil sie die Kinder erzieht, wird mit diesem
Konzept – das ist eingeklagt worden – eigenständig fi-
nanziert. Eine Frau mit zwei Kindern kann so 1 200 DM
als Zuschuss für die private Vorsorge für sich geltend ma-
chen. Das sind keine Peanuts, das ist nicht gar nichts, wie
Sie es uns geboten haben, sondern das ist ein reales An-
gebot an die Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mich freut an dieser Stelle besonders, dass Alleiner-
ziehende durch unseren Ansatz in den Genuss einer zu-
sätzlichen Unterstützung kommen, nicht nur bei der pri-
vaten Vorsorge, sondern auch bei der Rente. Was Sie
vorhin diskutiert haben, nämlich dass jetzt endlich die Er-
ziehung des Kindes während der ersten zehn Jahre quasi
mit zusätzlichen Beiträgen in die Rentenversicherung un-
terstützt wird, hilft gerade allein erziehenden Frauen.
Wenn eine Frau im vierten Lebensjahr ihres Kindes in Ar-
beit geht, Teilzeit oder Vollzeit, wird sie unterdurch-
schnittlich verdienen. Das ist in dieser Gesellschaft so, die
Frauen in dieser Weise diskriminiert. Aber sie wird, wenn
sie arbeiten geht, für die Jahre bis zum zehnten Lebens-
jahr des Kindes einen Beitragsgegenwert von etwa






(C)



(D)



(A)



(B)


22 000 DM bekommen. Ich frage Sie: Ist das nichts oder
ist das eine Unterstützung der allein erziehenden Frauen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413304600
Frau Kolle-
gin Dückert, Sie haben Ihre Redezeit jetzt deutlich über-
schritten. Ich schlage vor, dass Sie einen schönen Ab-
schlusssatz formulieren.


(Heiterkeit)



Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413304700

Ich mache jetzt einen schönen Abschluss.

Erstens möchte ich, auch an Frau Böhmer gerichtet, sa-
gen, dass wir eine ehrliche Debatte wollen. Dazu gehört
übrigens, dass Sie hier nicht verbreiten dürfen, dass Wit-
wen heute eine gekürzte Hinterbliebenenrente bekom-
men.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein, morgen! Mit Ihrem Gesetz!)


Nur bei Frauen, die heute unter 40 Jahre sind, wird die
Regelung überhaupt greifen. Wir wollen auch nicht, dass
die Frauen am Kochtopf kleben bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens sage ich abschließend: Ich glaube, wir haben
ein rundes Konzept, das mutig ist, weil es Wahrheiten an-
spricht, das einen Quantensprung bedeutet, weil wir in die
private Vorsorge gehen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


das Frauen hilft, vor allem Alleinerziehenden, und das Er-
werbsbiografielücken auffüllt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413304800
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413304900
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vier
Minuten Redezeit, die mir verbleiben, kann ich mich auf
nur wenige Punkte konzentrieren.

Ich war ja doch überrascht, Frau Kollegin Dückert,
dass Sie jetzt wieder die nachgelagerte Besteuerung an-
gemahnt haben. Sie hätten doch genug Zeit gehabt, dies in
der Koalition durchzusetzen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber die Grünen haben ja folgendes Leitmotiv: Vorher
werden die Backen aufgeblasen und große Forderungen

gestellt. Dann gibt es dramatische Verhandlungen und
zum Schluss kommt das heraus, was die SPD schon vor-
her angekündigt hat. – Das haben wir in dieser Woche er-
lebt, als das neue Sprecherduo Kuhn/Künast erhebliche
Veränderungen gefordert hat und hinterher nichts heraus-
gekommen ist. Sie sind als Sturmvögel gestartet und als
Teichhühner gelandet.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Die SPD spielt mit den Grünen Moorhuhn schießen!)


Das erleben wir die ganze Zeit: Die nachgelagerte
Besteuerung gilt nur für die private Vorsorge. Es bleibt,
wie Herr Riester vorgeschlagen hat, bei der Verschiebung
der privaten Vorsorge. Die Forderungen der Grünen sind
abgelehnt bzw. schubladiert worden.

Im Rahmen der Invalidenrente sollten ursprünglich
keine Kosten auf die Krankenversicherung übertragen
werden. Genau das Gegenteil ist jetzt eingetreten:


(Erika Lotz [SPD]: Hattet ihr doch auch beschlossen!)


250 Millionen DM werden auf die Krankenversicherung
übertragen. Über die restlichen Kosten in Höhe von
50 Millionen DM ist noch nicht entschieden. Die werden
wahrscheinlich ein Jahr später bei der Krankenver-
sicherung landen.

Die junge Generation soll geschont werden. Das ist
doch das Generalthema der Grünen; das ist übrigens auch
unser Generalthema. Nur, genau das Gegenteil tritt ein:
Wer kann mir erklären, wie die junge Generation geschont
wird, wenn deren Beiträge in Zukunft auf 26 bzw. 28 Pro-
zent steigen? Genau das ist hier vorgesehen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Herr Riester, davon zu sprechen, dass die derzeitigen
Beiträge von 19,1 gesenkt werden, das ist mathematisch
einfach nicht erklärbar, wenn sie nach Ihrem Plan auf
26 bis 28 Prozent steigen sollen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sind „Gewinner“!)


Ein interessanter Punkt ist hier noch gar nicht ange-
sprochen worden: In den Annahmen, die diesen Berech-
nungen zugrunde liegen, ist eine zehn- bis zwanzigjährige
Periode der Hochkonjunktur vorgesehen. Die Berech-
nungen, so wie sie jetzt durchgeführt worden sind, treten
nur dann ein, wenn dies auch so ist.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Richtig!)

Wenn aber die Entwicklung so verläuft, wie sie immer
war, nämlich dass es auch einmal konjunkturelle
Rückschläge gibt, dann werden allein die Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung – das wird schon heute
von den Fachleuten so berechnet – auf etwa 23 bzw.
24 Prozent ansteigen. Kämen noch 4 Prozentpunkte für
die private Vorsorge hinzu, ergäbe sich ein Beitragsniveau
von 28 Prozent allein für die Rentenversicherung. Die
Beiträge für die Krankenversicherung und für die
Pflegeversicherung werden aller Voraussicht nach eben-




Dr. Thea Dückert
12774


(C)



(D)



(A)



(B)


falls ansteigen. Wir erreichen somit ein Beitragsniveau,
das man jungen Menschen wirklich nicht mehr zumuten
kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wäre unverantwortlich, dem die Zustimmung zu
geben. Denn unser Grundanliegen ist: Die Lastenver-
teilung muss für die Generationen gerecht gestaltet wer-
den.

Den gleichen Fehler begehen Sie bei dem von Ihnen
vorgesehenen so genannten Ausgleichsfaktor. Er kommt
zu spät, trifft einseitig die junge Generation und veranlasst
die Menschen, vorzeitig in Rente zu gehen. Er ist also völ-
lig falsch angelegt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Dies ist ein zweiter Punkt, bei dem deutlich wird, dass die
junge Generation die Hauptlasten zu tragen hat, dass die
Lasten steigen und dass von Generationengerechtigkeit
überhaupt nichts übrig bleibt. Ich möchte die Sprüche der
Grünen über das Erfordernis der Generationengerech-
tigkeit nicht mehr hören. Sie haben auf der gesamten
Front versagt und in den Rentenreformverhandlungen
überhaupt nichts durchgesetzt.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich abschließend ein Wort zur privaten
Vorsorge sagen: Der in diesem Zusammenhang vorgese-
hene Anlagekatalog wird von Verhandlungswoche zu Ver-
handlungswoche immer enger geschnürt. Jetzt wird er an-
geblich auch noch mit einem Tarifvorbehalt versehen.
Wenn Sie einen gesetzlichen Tarifvorbehalt einführen,
dann ist das eine Kriegserklärung gegen das Bündnis für
Arbeit. Das sage ich Ihnen voraus.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja!)

Dann brummt es aber in Deutschland. Das hieße ja, dass
die gesetzlich vorgesehene Förderung der Vorsorge-
beiträge daran gebunden ist, dass sie in Tarifverträgen so
ausgehandelt wird. Da, wo dies nicht geschieht, würden
die Arbeitnehmer außen vor bleiben. Das kann doch wirk-
lich nicht sein. Ich habe nichts dagegen, dass tarifver-
traglich etwas vereinbart wird. Das entspricht ja auch der
Tarifautonomie. Aber die gesetzlichen Bedingungen kön-
nen doch nicht an Tarifverträge geknüpft werden. Frau
Dückert, da hätten Sie verhandeln können. Dieser Punkt
ist jetzt plötzlich neu in der Öffentlichkeit bekannt gege-
ben worden. Ich frage mich, wo Ihr Einfluss geblieben ist.

Meine Damen und Herren, so, wie es jetzt vorgesehen
ist, ist das nicht zustimmungsfähig. Wir sind gern bereit,
an den Verhandlungen konstruktiv teilzunehmen, aber ich
sehe nicht, wie in den drei verbleibenden Sitzungswochen
– wenn Sie die Haushaltswoche ausklammern, bleiben
nicht mehr Sitzungswochen – eine grundsätzliche Ver-
handlung dieses sehr komplexen und komplizierten Sach-
verhalts durchgeführt werden kann.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wir schaffen das schon, Herr Solms! – Frau Schwaetzer und ich bereiten das vor! Gell, Irmgard, wir Frauen schaffen das schon!)


Wir haben uns von Anfang an konstruktiv an den Ver-
handlungen beteiligt. Nach den vielen Haken, die Sie ge-
schlagen haben, sind wir aber heute verwirrter als am An-
fang der Diskussion. Ich bitte Sie, klären Sie erst einmal
die Meinungsverschiedenheiten in Ihren Reihen, danach
reden wir über das, was Sie als Vorschläge vorlegen. Mit
dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wird das kaum
möglich sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413305000
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Ilja Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413305100
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Betroffene auf den Rängen und im
Lande! Wir reden heute nicht nur – in erster Lesung – über
das Rentenreformkonzept der Bundesregierung, sondern
wir sollen auch das Erwerbsminderungsrentenver-
schlechterungsgesetz verabschieden. Die PDS lehnt den
vorliegenden Gesetzentwurf ab. Ich hätte ungefähr
elfundneunzig Punkte, das hier zu begründen, werde mich
aber auf wenige beschränken, weil mich die Zeit dazu
zwingt.

Ihr eigener Entwurf, Herr Minister, entspricht weder
der Maßgabe der 1998 von Ihnen getroffenen Koalitions-
vereinbarung, die vorsah, bis zum 31. Dezember dieses
Jahres eine Regelung für eine armutsfeste Erwerbs-
minderungsrente vorzulegen, noch – das ist für uns
wichtiger – entspricht er den Interessen der betroffenen
Menschen.


(Beifall bei der PDS)

Mit der Erlaubnis von Herrn Jörg Rosin aus Kempen,

nahe der niederländischen Grenze, möchte ich daher aus
einem Schreiben an den Petitionsausschuss des Bundes-
tages zitieren – ich glaube, es sagt genug aus –:

Ich möchte mich in einer besonderen Notlage an Sie
wenden und hoffe, dass Sie mir helfen kön-
nen ...
Ich wurde am 17. 6. 1962 geboren. Seit 1981 bin ich
durch einen Verkehrsunfall querschnittsgelähmt und
ständig auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit 1983
beziehe ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente und gehe
„auf Kosten meiner Gesundheit“ einer Halbtagsbe-
schäftigung bei der Stadtverwaltung Kempen nach.
Dadurch habe ich Gesamteinkünfte von circa
3 400 DM brutto.
Durch die Rentenreform, die ab Januar 2001 für
mich gilt, ändert sich Folgendes: Zunächst einmal
wird die Erwerbsunfähigkeitsrente in eine um ein
Drittel niedrigere Berufsunfähigkeitsrente umge-
wandelt. Um diese voll zu erhalten, dürfte mein Ein-
kommen allerdings 1 250 DM brutto nicht überstei-
gen.




Dr. Hermann Otto Solms

12775


(C)



(D)



(A)



(B)


Durch mein zu hohes Gehalt bei der Stadtverwaltung

(1 900 DM brutto) bekomme ich ab Januar 2001 nur

noch ein Drittel der BU-Rente. In DM ausgedrückt
bedeutet das, dass ich ab Januar 2001 circa
1 900 DM Bruttogehalt plus circa 350 DM BU-
Rente bekomme.
Schätzungsweise wird ein Nettoeinkommen von
circa 1 920 DM übrig bleiben. Zudem wird mein
Krankenkassenbeitrag vom ermäßigten auf den nor-
malen Beitrag angehoben.
Allein zum Wohnen muss ich monatlich circa
1 250 DM (inklusive Nebenkosten) aufbringen.
Demnach stehen meiner Frau und mir circa 670 DM
für Lebensmittel, Auto, Kleidung, Telefon, Versiche-
rung usw. zur Verfügung.
Aufgrund meiner Behinderung gehe ich durch die
Halbtagsbeschäftigung über meine körperlichen
Möglichkeiten hinaus, weshalb es mir nicht möglich
ist, noch mehr zu arbeiten und mehr Geld zu verdie-
nen.
Ich finde so eine Art der Rentenreform, gelinde ge-
sagt, behindertenfeindlich, weil der Staat uns da-
durch in eine Situation hineindrängt, aus der es kei-
nen Ausweg gibt.
Würde ich meine Arbeit aufgeben, um die EU-Rente
in Anspruch zu nehmen, müsste ich mit circa
1 600 DM brutto auskommen. Das ist zudem ein
Schritt, den ich nicht gehen möchte, weil ich meine
verbleibende Arbeitskraft nutzen möchte, um so
auch am öffentlichen Leben teilzuhaben.
Wie ich die Sache auch drehe und wende, der Staat
hat mich durch diese Reform absolut ins finanzielle
Abseits gedrängt.

So weit der Brief von Herrn Rosin.
Ich fordere deshalb – jetzt spricht wieder der PDS-Ab-

geordnete – die Bundesregierung auf: Ziehen Sie dieses
Gesetz, das ein Erwerbsminderungsverschlechterungs-
gesetz ist, zurück! Heute haben Sie dazu noch die Chance.
Bleiben Sie bei der geltenden, für die Betroffenen günsti-
geren Rechtslage wenigstens noch für ein Jahr. Sie hätten,
auch die Möglichkeit, das RRG 99, das die CDU/CSU-
F.D.P.-Regierung beschlossen hat, abzuschaffen. Dann
würde der jetzige Zustand weiterhin gelten, der immer
noch besser als das ist, was Sie uns vorlegen.

Der jetzt geplante Ausstieg aus der Solidarität mit ei-
ner der schwächsten Gruppen in der Gesellschaft darf so
nicht durchgehen. Das betrifft sowohl Menschen, die
HIV-positiv sind, wie Menschen mit chronischen Krank-
heiten, etwa durch Arbeit verursacht oder durch Unfall
Geschädigte. Wir, die PDS, sagen dazu: Mit uns ist eine
derart unsoziale Regelung nicht zu machen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413305200
Für die
SPD-Fraktion gebe ich nun dem Kollegen Horst Schild
das Wort.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1413305300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Lassen Sie mich am Anfang noch zwei oder
drei Anmerkungen zu dem machen, was der Kollege
Seehofer vorhin gesagt hat. Ich denke, es ist angemessen,
beim Vortragen des einen oder anderen Argumentes im
Umgang einigermaßen fair zu sein. Wenn Sie beispiels-
weise sagen, Kollege Seehofer, dass es lächerlich sei, we-
gen 13 Millionen DM die Förderung der zweiten und
dritten Säule um ein Jahr zu verschieben, dann weiß ich
nicht, wie Sie auf die 13 Millionen DM kommen.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das steht in dem Papier drin!)


Eines müssen wir vorab klarstellen – es ist hier nicht so
deutlich gesagt worden –: Es handelt sich um eine Ver-
dopplung des Fördervolumens im ersten Jahr des Beginns
dieser Förderung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Weil sie im ersten Jahr ausfällt!)


– Es ist eine Verdopplung.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Wenn Sie sie vom ersten Jahr auf das zweite Jahr verschieben, ist es eine Verdopplung!)


– Das ist klar. Darüber können wir reden. Aber wir müs-
sen der Fairness halber sagen: Wenn ich insgesamt ein
Entlastungsvolumen von 20 Milliarden DM habe und
dies – bezogen auf acht Jahre – pro Jahr im Durchschnitt
2,5 Milliarden DM weniger Steuern einbringt, dann be-
deutet natürlich auch die Verdopplung des Einstiegsvolu-
mens einen zusätzlichen Ausfall von etwa 2,5 Milliar-
den DM. Darüber können Sie gerne einmal mit den Ihrer
eigenen Partei angehörenden Finanzministern sprechen.
Sie machen unserem Finanzminister und dem Deutschen
Bundestag Probleme, wenn es beispielsweise darum geht,
der Erhöhung der Fahrtkostenpauschale zuzustimmen.
Aber darüber kann man reden. Bloß muss dabei ehrlich ar-
gumentiert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Punkt: Es ist nicht zutreffend – ich rede

jetzt nicht über den Diskussionsentwurf, sondern über den
heute hier vorliegenden Gesetzentwurf –, wenn hier be-
hauptet wird, die Durchführungswege der betrieblichen
Altersvorsorge seien in diesem Gesetz nicht enthalten. Es
ist eindeutig, auch wenn es im Detail noch Nachbesse-
rungen geben mag: Die Direktzusage und die Pensions-
kasse als zwei Durchführungswege der betrieblichen Al-
tersvorsorge sind durch diesen Gesetzestext erfasst.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben deutlich gesagt – das findet man in der Be-

gründung des Gesetzentwurfes –, dass wir die weiteren
Durchführungswege, nämlich die Unterstützungskasse
und die Pensionszusage daraufhin prüfen werden, wie
weit gegebenenfalls diese Durchführungswege in dieses
Förderinstrumentarium eingefasst sind.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Ihr Tarifvorbehalt macht das alles kaputt!)





Dr. Ilja Seifert
12776


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Kollegin Schwaetzer, Sie haben vorhin gesagt:
Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben
nicht den Mut gehabt, den Einstieg in die nachgelagerte
Besteuerung vorzunehmen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Nein! Sie haben nicht den Mut gehabt, die nachgelagerte Besteuerung konsequent umzusetzen! Das habe ich gesagt!)


– Nein, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten nicht den Mut
gehabt, den Einstieg in die nachgelagerte Besteuerung
vorzunehmen.


(Widerspruch der Abgeordneten)

Kollege Solms hat so getan, als sei es gar nichts, was man
hier gemacht hätte.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Das ist auch nichts!)


Ich freue mich, dass man mit diesem Gesetzentwurf
dem Hause offensichtlich als Neuigkeit den Einstieg in
die nachgelagerte Besteuerung verkünden kann, der in
der Tat – ich schränke das jetzt ein – im Bereich der zu-
sätzlich geförderten Altersvorsorge erfasst ist. Sie müssen
auch einmal sehen, welches Fördervolumen einschließ-
lich der Eigenbeiträge in den nächsten Jahren steuerfrei
gestellt wird. Niemand wird das heute sagen können. Wir
hoffen, dass ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer des Personenkreises, der in diesem Gesetz ge-
nannt ist, diese Möglichkeiten in Zukunft auch nutzt.
Wenn sie genutzt werden, dann handelt es sich um ein
enormes Volumen, das steuerfrei gestellt wird. Es befin-
det sich mindestens im zweistelligen Milliardenbereich.
Man muss das Ganze natürlich ernsthaft prüfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Da ist ja wirklich Begeisterung in der SPD-Fraktion!)


– Ja, das ist etwas, worauf wir stolz sind, Herr Kollege.
Dieser Einstieg ist doch immer wieder gefordert wor-

den, und zwar nicht nur von der Wissenschaft oder von
denen, die im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge
tätig sind. Er ist doch auch von diesem Hause gefordert
worden.


(Beifall bei der SPD – Horst Seehofer [CDU/ CSU]: Das heißt aber doch nicht, dass Sie den kleinen Leuten nichts mehr geben sollten!)


– Herr Kollege Seehofer, eines müssen wir zur Kenntnis
nehmen: Wenn wir die nachgelagerte Besteuerung wol-
len, dann hat das auch Konsequenzen für die steuerliche
Behandlung der Ansparphase. Wir können uns doch nicht
jeweils nur die Rosinen herauspicken.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Aber Sie können für die kleinen Leute schneller etwas tun!)


– Ich versuche gerade deutlich zu machen: Wir tun es ja.
Wir haben hier kein Förderinstrument eingesetzt, das alle
gleich behandelt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ihr müsst die Stufen schneller machen!)


– Herr Kollege Laumann, ich versuche, gleich darauf ein-
zugehen. – Wir haben vielmehr ein Förderinstrument ein-
gesetzt, das insbesondere auf Familien mit Kindern bei
kleinem und durchschnittlichem Einkommen abzielt.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sagen: „Wir wollen in dieser Republik den

progressiven Steuertarif abschaffen“, dann mag man sich
darüber unterhalten, wie man bisweilen die Kluft zwi-
schen Zulage und steuerlicher Entlastung schließt. So-
lange wir einen Steuertarif haben, der progressiv gestaltet
ist, geht das nicht – so schwer uns das auch ankommen
mag. Auch wir würden gerne die Lücke zwischen Kin-
dergeld und steuerlicher Entlastung für Kinder schließen.
Das Problem werden wir erst dann lösen, wenn der För-
derbeitrag so hoch ist, dass er an der Beitragsbemes-
sungsgrenze dem Grenzsteuersatz entspricht. Eher geht
das nicht. Eher können wir die Lücke nicht schließen. Wir
müssen uns entscheiden, was wir wollen. Wir wollen in
der Ansparphase steuerfrei stellen.

Das hat auch Konsequenzen. Erstmalig werden die hier
im Gesetz genannten Durchführungswege bzw. Anla-
gemöglichkeiten alle gleich behandelt:


(Beifall bei der SPD)

ob Lebensversicherung, ob Banksparplan, ob Investment-
fonds. Es hat auch Konsequenzen im Hinblick auf das,
was sich in den Jahren aufbaut. Am Ende steht bei Eintritt
in die Rente ein viel größeres Volumen zur Verfügung, als
wenn wir beispielsweise in der Aufbauphase immer wie-
der einen steuerlichen Zugriff haben. Da kommt am Ende
mehr heraus. Das kann man gut nachrechnen. Darauf sind
wir stolz. Das Ganze hat natürlich auch Konsequenzen für
Überlegungen zur möglichen zukünftigen steuerlichen
Behandlung aller Alterssysteme.

Ich möchte abschließend noch darauf hinweisen: Wenn
wir einmal die Verbindung zwischen dem Steuerentlas-
tungsgesetz und dem herstellen, was wir an zusätzlicher
Förderung in den Gesetzentwurf eingestellt haben, dann
stellen wir beispielsweise fest: Ein verheirateter Durch-
schnittsverdiener mit zwei Kindern wird im Jahre 2002
durch das Steuerentlastungsgesetz 3 000 DM weniger
zahlen und er erhält zusätzlich 328 DM Fördervolumen.
Das sind 3 328Mark mehr als bisher. Im Jahre 2005 steigt
die Entlastung durch die Steuerreform auf 4 000 DM plus
657 DM aus dem Altersvermögensgesetz. Das sind Spiel-
räume, die wir in der Vergangenheit nicht gehabt haben.
Ich denke, diese Spielräume werden in Zukunft dazu bei-
tragen, dass diejenigen, die in der Vergangenheit nicht den
Spielraum hatten, über die zweite und dritte Säule für ihr
Alter vorzusorgen, in der Zukunft diese Möglichkeit ha-
ben werden. Darauf sind wir zu Recht stolz.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413305400
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Andreas Storm.




Horst Schild

12777


(C)



(D)



(A)



(B)



Andreas Storm (CDU):
Rede ID: ID1413305500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Gegen das Schauspiel, das diese Ko-
alition in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten
abgeliefert hat, ist die Echternacher Springprozession
eine geradezu vorbildlich geordnete Veranstaltung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Arbeitsminister hat mittlerweile so viel Pirouetten ge-
dreht, dass selbst die eigenen Parteigenossen und der Ko-
alitionspartner längst nicht mehr durchblicken. Wenn wir
richtig gerechnet haben, liegt nach anderthalb Jahren mitt-
lerweile das sechste Konzept vor. Frau Dückert, Sie haben
vorhin eines richtig dargestellt: Diese Vorlage sei mutig.
In der Tat ist diese Vorlage mutig, vor allen Dingen aber
ist sie chaotisch, handwerklich dilettantisch und unausge-
goren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Ich will Ihnen das Stück für Stück zeigen.
Das Herzstück einer jeden Rentenreform ist die Ren-

tenformel. Nun haben Sie in der gesamten Fachwelt, bei
den Sozialverbänden und den Gewerkschaften, eine klare
Front, die sagt, der von Ihnen vorgelegte Ausgleichsfaktor
sei völlig inakzeptabel. Professor Ruland, der Chef des
Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, sagt Ih-
nen dazu:

Seine Bezeichnung ist eine Täuschung. Er gleicht
nichts aus. Er ist ein linearisierter Kürzungsfaktor,
der in den Jahren 2011 bis 2030 die Rente um jeweils
0,3 Prozent mindert...

Mit anderen Worten: Wer später in Rente geht, kriegt we-
niger Rente.

Mit diesem Ungetüm, Herr Minister, schaffen Sie nicht
nur einen massiven Anreiz zur Frühverrentung und be-
strafen diejenigen, die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten
wollen, Sie produzieren gleichzeitig 21 verschiedene
Rentenniveaus. Sie haben richtig gehört: 21 verschiedene
Rentenniveaus. Das bedeutet, dass im gleichen Zeit-
raum – das ist das Schlimme daran – durch gleiche Bei-
träge in gleicher Höhe erworbene Anwartschaften künftig
nicht mehr zu gleichen Rentenleistungen führen werden.
Das ist ein massiver Verstoß gegen einen tragenden
Grundsatz der Rentenversicherung.


(Peter Dreßen [SPD]: Was haben Sie mit dem demographischen Faktor gemacht? Das war bei Ihnen noch schlimmer!)


Was das mit einer gerechten Lastenverteilung zwi-
schen der älteren und jüngeren Generation zu tun haben
soll, müssen Sie uns einmal deutlich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der DGB-Vorstand bei den Rentenversicherungsträ-

gern, Dr. Standfest, hat deswegen am Montag zum Aus-
gleichsfaktor gesagt:

Er sollte so nicht Gesetz werden, weil er zu einer
unvertretbaren Benachteiligung der jüngeren Gene-
rationen führt.

Das ist die Position der Gewerkschaften und das ist, na-
hezu deckungsgleich, auch die Position des Sachverstän-
digenrates, der gestern sein Jahresgutachten vorgelegt hat.
Herr Riester, hören Sie auf die Experten und streichen Sie
diesen unsäglichen Willkürfaktor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich komme zum nächsten Punkt, der so genannten mo-

difizierten Nettolohnanpassung, das heißt, die Formel,
mit der die Renten angepasst werden sollen. Auch das ist
ein Etikettenschwindel. In Wirklichkeit werden die Rent-
ner in den nächsten Jahren von der Nettoeinkommens-
entwicklung der Beitragszahler abgekoppelt. Die Renten-
versicherer haben errechnet, dass allein durch die
modifizierte Nettolohnanpassung das Rentenniveau nach
konventioneller Rechnung von 70 Prozent auf 65 Prozent
sinkt. Wäre es eine Nettoanpassung, müsste das Renten-
niveau gleich bleiben. Es ist also eine eindeutige Mogel-
packung; der Inhalt hält nicht das, was der Titel verspricht.

Damit ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht:
Für die jüngere Generation, für diejenigen, die nach dem
Jahr 2030 in Rente gehen, sinkt das Rentenniveau auf
61 Prozent oder sogar noch tiefer.


(Zuruf von der SPD: Falsch gerechnet, Herr Storm!)


Dies ist vor allen Dingen auch deswegen nicht akzeptabel,
weil beispielsweise die Erwerbsunfähigkeitsrente, die
eine abgeleitete Rente ist, für die junge Generation in eine
Dimension kommt, die mit sozialer Absicherung nichts
mehr zu tun hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Erika Lotz [SPD]: Dass Sie das in den Mund nehmen! Bei dem, was Sie vorher beschlossen haben!)


Auch aus diesem Grunde ist eine Zustimmung zur Reform
der Erwerbsunfähigkeitsrente für uns nicht möglich.

Meine Damen und Herren, die Kollegin Schmidt hat
vorhin beim Stichwort Frauen- und Hinterbliebenen-
rente behauptet, für die heutige Frauengeneration sei al-
les halb so wild. Aber das ist es gerade nicht. Denn bereits
jetzt soll ja der Freibetrag für die Anrechnung anderer
Einkünfte eingefroren werden. Das bedeutet, dass die
Hinterbliebenenrente in Zukunft massiv an Wert verlieren
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Herr Kollege Storm, wir wollen eigenständige, keine abgeleiteten Ansprüche! Wir haben ein anderes Frauenverständnis, weil wir die Frauen als eigenständige Personen sehen und nicht als Anhängsel des Mannes! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was nützt die Eigenständigkeit, wenn sie weniger Geld kriegen? – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Nein, mehr Geld!)


– Liebe Frau Schmidt, was übrigens die wenigsten bislang
wissen, ist, dass Sie auch andere Einkunftsarten anrech-
nen wollen, mit Ausnahme der Einkünfte, die den so ge-
nannten Riester-Kriterien entsprechen. Das bedeutet bei-






(C)



(D)



(A)



(B)


spielsweise, dass Lebensversicherungen in Zukunft auf
die Hinterbliebenenrente angerechnet werden, weil sie im
Riester-Katalog nicht enthalten sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Unmöglich!)


Wir wissen ja, Herr Arbeitsminister, dass Sie den de-
mographischen Faktor scheuen wie der Teufel das
Weihwasser. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei. Ihr
Weg, die Generationen ungleich zu behandeln, ist eindeu-
tig ein Irrweg. Deshalb noch einmal unser Angebot: Wenn
Sie nicht den demographischen Faktor nehmen wollen,
der bereits jetzt im Gesetzblatt steht – man braucht ihn ja
nur wirksam werden zu lassen –, dann wären wir auch be-
reit, über alternative Vorschläge mit uns reden zu lassen.

Der Präsident des Sozialverbandes VdK, Walter
Hirrlinger, hat einen jährlichen, für alle Rentner einen ein-
heitlichen Abzug vorgeschlagen. Das ist eine verlässliche
neue Rentenformel und wäre ein gangbarer Weg.

Die Rentenversicherungsträger haben zuletzt am Mon-
tag eine Rentenformel vorgeschlagen, die ebenfalls im
Sinne eines demographischen Faktors alle gleich behan-
delt. Diese Formel kann ja durchaus anders heißen. Das
Ergebnis ist, dass nach dem Vorschlag der Rentenversi-
cherungsträger der Beitragssatz auf einem niedrigen Ni-
veau gehalten werden kann, das Renteniveau für die junge
Generation aber um 3 Prozentpunkte höher liegt als bei
Ihrem Vorschlag. Warum laufen Sie eigentlich wie mit
Scheuklappen durch die Gegend und verschließen sich
diesen besseren Lösungen, die seit Wochen auf dem Tisch
liegen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So sind sie nun einmal: kleinkariert!)


Meine Damen und Herren, nun zur Förderung der pri-
vaten und betrieblichen Vorsorge. Wir sind uns alle
einig, dass wir erreichen müssen, dass nach Möglichkeit
jeder ein zweites Standbein der Altersvorsorge bekommt.


(Erika Lotz [SPD]: Sie haben aber nichts dafür getan!)


Aber mit Ihrem Vorschlag erreichen Sie dieses gerade
nicht. Denn weder die bestehenden betrieblichen Alters-
vorsorgesysteme noch die gängigen Produkte der privaten
Vorsorge werden von den Riester-Kriterien erfasst. Das
bedeutet konkret, dass junge Leute, die im letzten oder im
vorletzten Jahr, weil alle Welt gesagt hat, man müsse pri-
vat vorsorgen, ein Vorsorgeprodukt erworben haben, ei-
nen Alterssparvertrag abgeschlossen haben, nun gesagt
bekommen: Das ist ja schön, dass ihr bereits vorsorgt.
Aber schließt bitte noch einen zweiten Alterssparvertrag
ab, weil dieser die Kriterien nicht erfüllt. So kann man mit
den Menschen nicht umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist ein Förderprogramm für Versicherungsvertreter!)


Sie haben bisher keine Regelungen vorgesehen, wie die
bestehenden Formen von ergänzender Vorsorge in die
neuen Formen der Vorsorge überführt werden können.

Was das Stichwort soziale Gerechtigkeit bei der pri-
vaten Vorsorge angeht, möchte ich Sie fragen: Halten Sie
es für in Ordnung, dass die steuerliche Förderung dyna-
misiert ist und damit Jahr für Jahr ansteigt – sie ist an die
Beitragsbemessungsgrenze gekoppelt –, während die Al-
terssparprämien für Geringverdiener eingefroren bleiben?
Das bedeutet, dass die Verkäuferin mit 1 700 DM netto im
Monat ab 2008 – nach der letzten Stufe – Jahr für Jahr
immer den gleichen Förderbetrag bekommt, während der
Marktleiter, der von der steuerlichen Förderung profitiert,
jedes Jahr eine höhere Förderung erhält. Die Schere geht
also auseinander.


(Horst Schild [SPD]: Wir senken die Steuersätze!)


Was das mit sozialer Gerechtigkeit zu tun haben soll,
müssen Sie mir wirklich einmal klar machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Noch ein Wort zum Zeitplan der Beratungen: Es war

eigentlich bis zum Sommer allgemeiner Konsens, dass
wir mindestens drei bis fünf Monate für die Beratung über
diese große Reform brauchen. Nun haben Sie aus rein
wahltaktischen Gründen erklärt, das Rentenreformgesetz
solle bis Ende Januar im Bundesgesetzblatt veröffentlicht
werden.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Zwei Sitzungswochen! Das sind nur zwei Monate, in denen auch noch fünf Wochen parlamentarischer Weihnachtspause eingeschlossen sind. Das bedeutet, eine seriöse Beratung über diese Rentenreform ist nicht machbar. Aber eine solche Beratung durchzuführen – man kann gar nicht mehr anders, als dies zu unterstellen – beabsichtigen Sie offenbar auch nicht. Deswegen sage ich Ihnen jetzt voraus: Wenn Sie dieses Gesetz mit aller Gewalt durch den Deutschen Bundestag durchpeitschen wollen, dann kann man schon heute darauf wetten, ob die erste Nachbesserung bereits an Ostern oder erst an Pfingsten fällig ist. Ihr Weg ist ein Irrweg. Wir werden ihn nicht mitgehen. Es ist Zeit für einen rentenpolitischen Neubeginn. Nun spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Erika Lotz. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck: Aus der sehr heftigen Kritik der CDU/CSU und F.D.P. spricht eindeutig das schlechte Gewissen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413305600
Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1413305700

weil sie eine vernünftige und zukunftsweisende Renten-
reform nicht auf den Weg gebracht haben. Wenn Sie heute
kritisieren, unsere Vorschläge seien sozial ungerecht,
dann will ich Sie daran erinnern, wie sich Ihr Demogra-
phiefaktor ausgewirkt hätte: Die Renten wären schon




Andreas Storm

12779


(C)



(D)



(A)



(B)


viel früher gekürzt worden und das Rentenniveau hätte
schon im Jahr 2015 bei 64 Prozent gelegen. Es gab aus
meiner Sicht keine Garantie, dass es nicht noch weiter ge-
senkt worden wäre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie heute die eigenständige Vorsorge reklamie-
ren, dann muss ich Sie fragen, Herr Storm: Was haben Sie
denn getan, damit die Menschen eigenständig vorsorgen
können?


(Beifall bei der SPD)

Wir fördern die eigenständige Vorsorge und berücksichti-
gen dabei die Einkommenssituation derjenigen, die wenig
haben. Wir berücksichtigen dabei die Situation der Men-
schen, die Kinder erziehen. Sie alle wollen wir gesondert
fördern. Das machen wir auch.


(Beifall bei der SPD – Dr. Barbara Höll [PDS]: Wer in die gesetzliche Rentenkasse einzahlt, hat privat vorgesorgt!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413305800
Frau Kolle-
gin Lotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Blüm?


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1413305900
Ja, bitte.


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1413306000
Frau Kollegin, halten
Sie es im Sinne der eigenständigen Vorsorge für richtig,
dass Frauen bei gleich hohen Beiträgen eine niedrigere
Rente aus der Privatversicherung bekommen?


(Zurufe von der SPD: Das ist falsch!)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1413306100
Herr Kollege Blüm, das, was Sie
behaupten, stimmt einfach nicht;


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Natürlich stimmt das!)


denn wir berücksichtigen auch die Einkommenssituation
der Frauen. Wir gehen davon aus – darauf zielt Ihre Frage
ab –, dass diejenigen, die später Produkte für die private
Vorsorge anbieten werden, Unisexverträge anbieten wer-
den. Nun möchte ich mit meinen Ausführungen fortfahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Nein, Sie haben die Frage nicht beantwortet! Volltreffer!)


Frau Kollegin Böhmer, ich fand es ein bisschen unver-
antwortlich, als Sie geschildert haben, wie die Hinter-
bliebenenregelung angeblich aussehen wird. Ich möchte
ganz deutlich sagen: Es wird sich für die jetzigen Witwen
nichts ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird sich auch nichts für die Paare ändern, bei denen
ein Partner 40 Jahre oder älter ist. Wir werden bei der
Neuregelung auch die Situation der Menschen berück-
sichtigen, die Kinder erziehen. Wir setzen darauf, dass die

Erwerbstätigkeit von Frauen, die schon zugenommen hat,
weiter steigen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir setzen auf eine eigenständige Rentenversicherung für
Frauen und nicht auf eine abgeleitete Hinterbliebenenver-
sorgung.


(Beifall bei SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Dr. Böhmer, wenn Ihnen das Wohl der Frauen so
am Herzen liegt, dann frage ich Sie: Wo war Ihr Protest,
als beispielsweise die Rentenanwartschaften, für die ers-
ten Jahre der Berufstätigkeit, also die Ausbildung, ge-
kürzt worden sind? Dort sind von einem Tag auf den an-
deren die Anwartschaften gekürzt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Warum haben Sie es dann nicht zurückgenommen?)


Wo ist denn Ihr Engagement gewesen? Ich sage dazu nur:
1,5 Billionen DM Schulden und 82 Milliarden DM Zin-
sen jedes Jahr.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Und ein wiedervereinigtes Deutschland!)


Ich nenne hier auch die Erhöhungen beim Bundeszu-
schuss. Das haben wir gemacht. Sie haben noch kein ein-
ziges Wort darüber verloren, dass alle Regelungen, die Sie
gemacht haben, etwa der demographische Faktor,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das war eine geniale Erfindung!)


bei gleichzeitig steigenden Beiträgen eingetreten wären,
während wir die Beiträge zur Rentenversicherung gesenkt
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Aber ohne Ökosteuer!)


Lassen Sie mich noch etwas zu dem Gesetz sagen, das
wir heute verabschieden werden, nämlich zum Gesetz zur
Reform der Erwerbsminderungsrente. Heute ist des-
halb ein guter Tag für viele Menschen,


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ein schwarzer Tage!)


für Arbeitnehmer, die gesundheitlich angeschlagen sind.
Sie müssen jetzt, wenn sie teilerwerbsgemindert sind, also
noch eine Teilzeitarbeit leisten können, nicht mehr be-
fürchten, in die Sozialhilfe abzurutschen. Wir wissen,
dass trotz der guten Politik von Rot-Grün Arbeitnehmern
mit gesundheitlichen Einschränkungen der Arbeitsmarkt
oft verschlossen bleibt und sie keine Arbeit bekommen.
Die Bundesregierung hat mit ihrem Korrekturgesetz die
Regelungen Ihres Rentenreformgesetzes 1999 bezüglich
Erwerbsunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsrenten aus-
gesetzt. Heute beschließen wir eine Verbesserung für die
Arbeitnehmer, die leistungsgemindert sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Erika Lotz
12780


(C)



(D)



(A)



(B)


Diejenigen Arbeitnehmer, die zwischen drei und sechs
Stunden arbeiten können, aber arbeitslos sind, werden
eine volle Erwerbsminderungsrente bekommen. Wir las-
sen die Menschen nicht im Stich. Welche Chancen hat
denn zum Beispiel ein Bauarbeiter, wenn er noch täglich
vier Stunden arbeiten kann, aber keinen Arbeitsplatz fin-
det? Wäre es nach Ihrem Willen gegangen, hätte er eine
Teilrente bekommen und ein Teilarbeitslosengeld. Aber
nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes hätte es die be-
dürftigkeitsabhängige Arbeitslosenhilfe bzw. Sozialhilfe
gegeben. Dies wollen wir nicht, und das verstehen auch
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht; schließ-
lich bezahlen sie in allen Sozialversicherungszweigen
ihre Beiträge.

Nach unserem Gesetz werden auch die Erwerbsminde-
rungsrenten höher sein als nach dem Rentenreformgesetz
1999 von CDU/CSU und F.D.P., weil wir die Zurech-
nungszeiten vom 55. Lebensjahr auf das 60. Lebensjahr
ausdehnen und weil wir den demographischen Faktor aus-
gesetzt haben. Für die Arbeitnehmer, die noch sechs Stun-
den oder mehr arbeiten können, haben wir keine andere
Regelung vorgesehen als Sie.

Ich will noch auf zwei wichtige Neuregelungen einge-
hen. Nach der alten Regelung wären die Renten wegen
Berufsunfähigkeit ohne Übergangsfristen entfallen. Das
ist sehr heftig kritisiert worden. Wir sind der Auffassung,
dass man das nicht machen kann. Von einem Tag auf den
anderen kann eine solche Leistung, auf die viele Versi-
cherte vertrauen, nicht einfach wegfallen. Deshalb haben
wir lange Übergangsfristen vorgesehen.

Dem Vertrauensschutz tragen wir auch bei den
SchwerbehindertenRechnung. Bei den Versicherten, die
bereits das 50. Lebensjahr vollendet haben und berufs-
oder erwerbsgemindert sind, gilt weiterhin die Alters-
grenze von 60 Jahren ohne Abschläge.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Wir beschließen
heute eine notwendige sachgerechte Zuordnung der von
den einzelnen Sozialversicherungszweigen zu tragenden
Risiken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Problem hatte auch die alte Koalition gelöst, aber
mit beachtlichen sozialen Härten für die Betroffenen. Das
machen wir nicht mit. Deshalb verändern wir dies. Es
wird also weiterhin Renten geben, die die Arbeitsmarkt-
chance berücksichtigen. Die Erwerbsminderungsrenten
werden höher ausfallen. Es wird vernünftige Übergangs-
lösungen für Berufsunfähigkeitsrenten geben. Bei den Al-
tersrenten für Schwerbehinderte tragen wir dem Vertrau-
ensschutz der Menschen Rechnung. Es gibt also viele
Verbesserungen für die Menschen, die unsere Solidarität
brauchen.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass ich
nicht verstehe, warum Sie unserem Gesetzentwurf nicht
zustimmen wollen. Gestern haben Sie, Herr Laumann, im
Ausschuss ausgeführt, dass die Gesetzesänderung 90 Pro-
zent dessen beinhalte, was die alte Regierung beschlossen
habe.


(Zuruf von der SPD: So ist es! – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Wir hatten ein anderes Rentenniveau!)


Auch wenn die 10 Prozent Änderungen, die wir vorneh-
men, gewichtig sind, so versteht doch niemand, dass Sie
nicht bereit sind, diese Novelle mitzutragen. Sie suchen
billige Ausflüchte, Sie suchen ein Schlupfloch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für die weiteren Gespräche mag das ein Zeichen sein. Ich
fordere Sie aber noch einmal auf: Stimmen Sie diesen Ver-
besserungen zu! Es wäre gut für die Menschen


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Irrtum!)

und es wäre auch gut für die weiteren Konsensgespräche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413306200
Ich gebe
zunächst dem Kollegen Dr. Ilja Seifert und dann dem Kol-
legen Laumann das Wort zu Kurzinterventionen.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413306300
Vielen Dank, Herr Präsident. –
Frau Kollegin Lotz, Sie haben gerade sehr laut gesagt,
dass Sie die Erwerbsminderungsrente für schwerbehin-
derte Menschen gewaltig verbessern würden. Sind Sie be-
reit, der Ehrlichkeit halber zuzugeben, dass zum Beispiel
Menschen, die im Förderungsbereich einer Werkstatt für
Behinderte tätig sind – hier handelt es sich zweifellos um
sehr schwer behinderte Menschen –, nach Ihrem Modell
keinerlei Chance haben, auch nur die geringsten Renten-
ansprüche zu erwerben? Unter dem verlängerten Dach ei-
ner Werkstatt für Behinderte können sie sich nämlich
nicht nach zum Beispiel 20 Jahren eine gewisse Anwart-
schaft erarbeiten. Sind Sie bereit, dies wenigstens der Ehr-
lichkeit halber dazu zu sagen, damit die Menschen im
Lande, die uns zuhören und die aus Ihrer Rede Hoffnung
geschöpft haben, von der Realität nicht enttäuscht wer-
den?


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413306400
Herr Kol-
lege Laumann.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1413306500
Frau Kollegin
Lotz, es ist richtig, dass Sie bei der Erwerbsunfähigkeits-
rente wesentliche Punkte der alten Regierung übernom-
men haben. Dies sind im Übrigen Punkte, die Sie seinerzeit
bekämpft haben. Auch ist die Einführung der arbeitsmarkt-
bedingten Erwerbsunfähigkeitsrente richtig; das wird von
uns ausdrücklich anerkannt.

Aber es gibt zwei Gründe, warum wir schlicht und er-
greifend nicht zustimmen können. In der Woche, in der
Sie das Gesetz zunächst verabschieden wollten, ent-
brannte in der Bundesregierung und in der sie tragenden
Koalition ein großer Streit darüber, wer die Zeche bezah-
len soll. Erst am Montag ist dieser Streit in der Regierung
beigelegt worden. Im Ausschuss konnte uns die Bundes-
regierung nicht sagen, wie es bei Krankenkassenbelastun-
gen von mehr als 250 Millionen DM laufen soll. Es gibt




Erika Lotz

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(C)



(D)



(A)



(B)


keinen Antrag und somit auch keine gesetzliche Grund-
lage dafür, wie Mehrbelastungen den Krankenkassen er-
stattet werden sollen, sondern lediglich vage Andeutun-
gen, dass man das Gesetz, das man heute reformiert, in
den nächsten Wochen kassieren und in einem entschei-
denden Punkt ändern werde. Das hat die Parlamentarische
Staatssekretärin Mascher gestern im Ausschuss angekün-
digt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Nachbesserung im Juli 2001!)


Der zweite Grund: Wir hatten ein Rentenniveau von
64 Prozent als Grundlage auch für Erwerbsunfähigkeits-
renten. Sie haben eines von 61 Prozent.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Sie wissen jedoch ganz genau, dass diese Absenkung ge-
rade bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten noch stärker als
bei den Altersruherenten durchschlägt.

Sie können nun wirklich von keiner Opposition ver-
langen, einer Reform der EU-Renten zuzustimmen, bei
der die Finanzierung für die Krankenkassen nicht sicher-
gestellt ist, bei der vor der Verabschiedung im Ausschuss
die zuständige Staatssekretärin schon Änderungsbedarf
anmeldet und bei der Sie schließlich auch das Rentenni-
veau nicht definieren können. So etwas ist einfach Pfusch.
Wir erleben heute wieder: Wenn Sie ein Gesetz machen
müssen, bekommen Sie es einfach nicht auf die Reihe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413306600
Zur Erwi-
derung die Kollegin Erika Lotz.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Einen Handwerker hätte man schon entlassen! – Gegenruf von der SPD: Laumann, Laumann, bleib bei deinen Leisten!)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1413306700
Herr Seifert, ich beginne bei Ihnen.
Ich habe hier betont, dass wir das Rentenreformgesetz
1999 verbessern wollen. Das machen wir.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Basta!)


Es gab Bestimmungen, die wir ausgesetzt haben. Es wird
vernünftige Übergangsregelungen bei der Zahlung der
Berufsunfähigkeitsrente und eine Verbesserung bei der
Zahlung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähig-
keit geben.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wann kommt die erste Reform der Reform?)


In der gestrigen Ausschusssitzung haben Sie betont,
die Invalidenrente in der ehemaligen DDR sei besser als
das gewesen, was wir machen. Herr Seifert, ich habe mir
erlaubt, das noch einmal nachzulesen. Ich habe festge-
stellt: In der ehemaligen DDR galt die Regelung, dass
man, um eine Invalidenrente zu beziehen, zu zwei Dritteln
erwerbs- bzw. leistungsgemindert sein musste. Was daran

und an einer Mindestrente von 330 Mark besser sein soll,
das müssen Sie den Menschen einmal erklären.


(Beifall bei der SPD – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Frage nicht beantwortet!)


Herr Laumann, die von uns beschlossene Regelung
stellt eine Verbesserung der Berufsunfähigkeitsrente dar.
Sie haben hier auf die Kosten hingewiesen, die auf die
Krankenkassen aufgrund der Zahlung von Renten auf Zeit
eventuell zukommen.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Was heißt hier „eventuell“?)


Diese Regelung haben Sie schon 1997 beschlossen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da waren sich Arbeitsminister und Gesundheitsminister einig!)


Wir gehen davon aus, dass die Belastungen für die Kran-
kenkassen nicht höher als 250 Millionen DM und von da-
her nicht beitragssatzrelevant sein werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie benutzen etwas, was Sie selbst schon längst be-

schlossen haben und was die Problematik überhaupt nicht
verändert, heute als Begründung, um dem Gesetzentwurf
zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbs-
fähigkeit nicht zuzustimmen. Das ist eine ganze billige
Ausrede und sonst nichts!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Fragen Sie mal Frau Fischer!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413306800
Als letztem
Redner in dieser Debatte – dann kommen wir zu den Ab-
stimmungen – gebe ich dem Kollegen Franz Thönnes von
der sozialdemokratischen Fraktion das Wort.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413306900
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die wunderbare Ver-
wandlung, die wir in der Debatte heute Morgen erleben,
ist schon erstaunlich: Die rechte Seite dieses Hauses ver-
sucht in ihren Redebeiträgen, sich selbst vom Bock zum
Gärtner zu machen, und vergisst, was in den Jahren ihrer
Regierungsverantwortung alles geschehen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Altersgrenze ist 1996 vorzeitig – einseitig – auf
60 Jahre angehoben worden, was die Altersrente oder die
Altersteilzeit angeht.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das haben Sie doch gelassen! Warum haben Sie das nicht zurückgenommen? – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie reden von 70!)


Sie haben sich einseitig vom gemeinsamen Rentenkon-
sens von 1992 verabschiedet. Sie haben das Wachstums-
und Beschäftigungsförderungsgesetz – mit Verschlechte-
rungen bei den Zugangsvoraussetzungen und mit einer




Karl-Josef Laumann
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(C)



(D)



(A)



(B)


nochmaligen Heraufsetzung der Altersgrenze – einseitig
durchgepaukt. Sie haben die Altersgrenze für den Bezug
der Altersrente von Frauen ab dem Jahr 2000 in monatli-
chen Stufen heraufgesetzt.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Warum haben Sie das gelassen? Das ist doch ein Witz!)


Sie haben die Altersgrenze für langjährig Versicherte ab
dem Jahr 2000 in monatlichen Stufen von 63 auf 65 Jahre
heraufgesetzt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber ihr nehmt das jetzt gerne mit!)


Sie haben das Rentenniveau einseitig abgesenkt – wir ha-
ben das vorhin gehört –: 64 Prozent für alle, und zwar bei
einem Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung von 24 Prozent im Jahr 2030. Dazu sage ich Ihnen:
Die Täter von gestern taugen nicht als Sanitäter von mor-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Basta!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413307000
Herr Kol-
lege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Schnieber-Jastram?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413307100
Ja.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1413307200
Herr Kol-
lege Thönnes, ich möchte nur Folgendes fragen: Warum
haben Sie das nicht zurückgenommen?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413307300
Sehr geehrte Frau Schnieber-
Jastram, Sie stellen eine rhetorische Frage. Sie wissen ge-
nau, in welche Situation Sie die Rentenversicherung mit
Ihrer Politik gebracht haben:


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Antworten!)


die Zahlung von Fremdleistungen durch die Rentenversi-
cherung; die Beitragszahler mussten Kosten der deutschen
Einheit tragen; kein anständiger Abbau der Arbeitslosigkeit,
Sie haben Scheinselbstständige und 630-Mark-Kräfte aus-
geklammert. Vor diesem Hintergrund ist die gesamte Ren-
tenversicherung in ein Dilemma geraten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am Ende Ihrer Regierungszeit sah die Situation so aus:
Während 1991 der Beitragssatz zur Rentenversicherung
bei 17,7 Prozent lag und die Reserve noch 26 Monatsaus-
gaben betrug, war der Beitragssatz 1997 auf 20,3 Prozent
angestiegen und die Reserve betrug nur noch 0,6 Monats-
ausgaben. Sie haben bei der Renten-, der Finanz-, der
Steuer- und der Arbeitsmarktpolitik auf der ganzen Linie

versagt. Dafür haben Sie die Quittung von den Menschen
bekommen.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie haben die Menschen getäuscht und im Wahlkampf gelogen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413307400
Gestatten
Sie, Herr Kollege Thönnes, zwei weitere Zusatzfragen?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413307500
Ja.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413307600
Erst die Kol-
legin Schnieber-Jastram, dann der Kollege Blüm.


Birgit Schnieber-Jastram (CDU):
Rede ID: ID1413307700
Herr Kol-
lege Thönnes, ich habe hierzu noch eine Frage: Sie haben
unsere Rentenreform zurückgenommen. Warum haben
Sie dann bei der Vorlage Ihrer Reform die Punkte, die Sie
gerade kritisiert haben, nicht zurückgenommen, sondern
beibehalten?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413307800
Frau Schnieber-Jastram, Sie
wissen genau, dass wir Punkte ausgesetzt haben, um die
Rentenversicherung jetzt auf ein solides und vernünftiges
Fundament zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss nämlich ein anständiger Ausgleich zwischen der
älteren und der jüngeren Generation erfolgen, weil Soli-
darität keine Einbahnstraße ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Seehofer [CDU/CSU]: Schwacher Auftritt! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Und das ist der neue sozialpolitische Sprecher! Junge, Junge!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413307900
Kollege
Blüm.


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1413308000
Ich habe eine ganz
einfache mathematische Frage: Sie haben uns gerade
attackiert, weil der Rentenversicherungsbeitrag nach un-
serem Modell 2030 24 Prozent betragen hätte. Ist es rich-
tig, dass hiervon die Arbeitnehmer 12 Prozent gezahlt hät-
ten? Ihr Modell sieht einen Beitrag von 22 Prozent vor,
von dem die Arbeitnehmer 11 Prozent plus 4 Prozent als
private Vorsorge zahlen. Jetzt kommt meine mathe-
matische Frage, die jeder Matheschüler aus dem zweiten
Schuljahr beantworten kann: Wenn der Arbeitnehmer
nach unserem Modell 12 Prozent und nach Ihrem 15 Pro-
zent zahlt, wo ist dann die Belastung der Arbeitnehmer
höher? 15 oder 12? Zweites Schuljahr!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)





Franz Thönnes

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(C)



(D)



(A)



(B)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413308100
Werter Kollege Blüm, so ein-
fach kann man natürlich Rechnungen aufmachen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Dabei sollte man aber auch ein Stück weit ehrlich sein


(Dr. Norbert Blüm [CDU/CSU]: 15 oder 12 – was ist mehr?)


und sagen, welche Unsicherheiten dies langfristig für die
Menschen bedeutet hätte.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 15 oder 12?)


Man sollte auch so ehrlich sein und ihnen sagen, dass wir
nach unseren Berechnungen am Ende wieder auf ein Ren-
tenniveau kommen, das um die 70 Prozent liegt. Das ist
die Wahrheit. So müssen Sie rechnen.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Es gibt auch ein Leben vor der Rente!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413308200
Herr Kol-
lege Thönnes, möchten Sie den Dialog fortsetzen?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1413308300
Ich glaube, am Ende der De-
batte sollte das jetzt eigentlich genügen. Ich mache jetzt
weiter.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Und die Arbeitgeber nehmen Sie heraus!)


Nun warten Sie doch einmal ab, welche Möglichkeiten
sich durch die Vorrangsregelung für Tarifverträge und
durch betriebliche Altersversorgung noch ergeben. Unse-
rer und der Fantasie der Gewerkschaften ist an dieser
Stelle keine Grenze gesetzt.


(Beifall bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Keine Zwischenfrage mehr?)


– Nein, das hatte ich gerade gesagt. Irgendwann muss es
einmal gut sein. Ihr habt schon drei gestellt.

Man muss auch noch einmal sagen, dass Sie den Men-
schen mit Ihrer Politik etwas vorgegaukelt haben. Sie ha-
ben ihnen vorgegaukelt, dass die Renten sicher seien. Das
haben Sie allen Rentnerinnen und Rentnern auch noch
brieflich mitgeteilt. Es ist bis heute noch nicht geklärt, aus
welcher Kasse das Geld für diese Briefe gekommen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute stellt sich der Kollege Seehofer hier hin und
sagt, die Frage der Erwerbsunfähigkeit sei in unserem Ge-
setzentwurf nicht geregelt. Ich kann Ihnen da nur emp-
fehlen, auf die Seite 54, Abs. 2 Nr. 2, unseres Gesetzent-
wurfes zu schauen: Ein Altersvorsorgevertrag liegt vor,
wenn

Leistungen nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres
oder dem Beginn einer Rente wegen verminderter Er-
werbsfähigkeit oder Altersrente des Steuerpflichtigen
aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder nach

dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte er-
bracht werden …

Ein bisschen Lesen hilft weiter und bewahrt einen vor
falschen Argumentationen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt: Sie haben vorhin hier erklärt, dass
die Frauen dadurch benachteiligt werden, dass Kinderer-
ziehungszeiten erst ab dem Jahre 1992 angerechnet wür-
den. Seien Sie wenigstens so ehrlich und sagen Sie, dass
diese Regelung auch für Kinder gilt, die bis dahin zehn
Jahre alt waren, also bis 1983 zurückreicht.

Betrachten wir einen anderen Punkt, den Sie hier an-
geschnitten haben. Sie sagen, das sei ein Programm, das
geradezu zur Frühverrentung einladen würde.


(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Ist doch so!)


Die 3,6 Prozent, die von Ihnen als Abschlag eingeführt
worden sind, tragen in Verbindung mit dem 0,3 prozenti-
gen Ausgleich doch wahrhaftig nicht dazu bei, dass je-
mand versucht, dies zum Anlass für eine Frühverrentung
zu nehmen.


(Zuruf von der SPD: Eben! – Birgit SchnieberJastram [CDU/CSU]: Sie können wirklich nicht rechnen!)


Dummheit ist keine Alterserscheinung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sage Ihnen: Die älteren Menschen sind cleverer, als
Sie heute hier argumentieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte hinzufügen: Wenn die Menschen sich an-
sehen, wie die Rentenentwicklung in den letzten Jahren
gewesen ist, wissen sie, dass sie bei dieser Regierung auf
der besseren Seite sind. Ihre Steuer- und Finanzpolitik so-
wie Ihr Versagen in der Wirtschaftspolitik haben mit dazu
geführt, dass die Belastungen für die Arbeitgeber und die
Arbeitnehmer immer weiter angestiegen sind und dass
letzten Endes auch die Steigerungsrate bei den Löhnen
nicht mehr eine solche gewesen ist, die als gute Grundlage
für eine Rentenanpassung hätte herhalten können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das waren Riesters Tarifverträge! Da hat Riester Tariefverträge gemacht!)


Die älteren Menschen haben in den letzten Jahren Ihrer
Regierungstätigkeit immer eine Rentenanpassung be-
kommen, die unterhalb der Preissteigerungsrate lag. Die
Sozialdemokraten und die Grünen haben dafür gesorgt,
dass sie jetzt darüber liegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch hier gilt wieder: Die Täter von gestern taugen nicht
als Sanitäter von morgen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Zum Abschluss möchte ich auf den Kollegen Claus von
der PDS zurückkommen, der Franz von Assisi zitiert hat,
indem er sagte: Man solle eine Reform machen, die die
Menschen brauchen,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Also, mit Heiligen kennt ihr euch nicht aus!)


man solle eine Reform machen, die auch verstanden wird.

(Zuruf von der SPD: Recht hat er!)


Ich glaube, die Menschen verstehen diese Reform. Auch
in den nächsten Wochen werden wir mit den Gewerk-
schaften und den Sozialverbänden darüber diskutieren,
weil wir ein großes Interesse daran haben, sie in Gemein-
samkeit umzusetzen.

Ich möchte mit Franz von Assisi schließen, wenn schon
der Fraktionsvorsitzender der PDS meint, ihn zitieren zu
müssen. Ich sage Ihnen: Wir haben nicht mehr viel Zeit,
etwas zu tun.


(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Darum verschieben Sie es!)


Wir müssen das Rentenversicherungssystem jetzt auf eine
solide Grundlage stellen. Daher zitiere ich Franz von As-
sisi: „Brüder, so lange wir Zeit haben, lasst uns Gutes
tun.“ Das machen wir jetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dass ihr schon die Heiligen zitiert, macht doch euren Zustand deutlich!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413308400
Ich bin ver-
sucht zu sagen: Liebe Brüder und Schwestern, ich schließe
die Aussprache.


(Heiterkeit und Beifall)

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache

ist geschlossen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf

Drucksache 14/4595 zu überweisen zur federführenden
Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
und zur Mitberatung an die Ausschüsse Innen, Recht, Fi-
nanzen, Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten, Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend, Gesundheit, Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Angelegenheiten der Neuen Länder und an den Haus-
haltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ander-
weitige Vorschläge liegen nicht vor. – Die Überweisung
ist so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Reform der Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit, Drucksachen 14/4230
und 14/4630. Hierzu liegen mehrere Änderungsanträge
vor, über die wir zuerst abstimmen.

Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4636 ab. Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit

den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der Fraktion der PDS abgelehnt.

Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4638. Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen?
– Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/4639. Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch
dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten
Beratung angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über zwei Ent-
schließungsanträge, zunächst über den Entschließungsan-
trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4637.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? –


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Schwerer Fehler!)


Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P.
bei Enthaltung der PDS und gegen die Stimmen der
CDU/CSU abgelehnt.

Ich lasse nun über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/4640 abstimmen. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS
abgelehnt.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 3 c, zur Ab-
stimmung über den von den Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur
Neuordnung der Versorgungsabschläge, Drucksachen
14/4231 und 14/4620.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthal-
tung der F.D.P. und gegen die Stimmen der PDS ange-
nommen.




Franz Thönnes

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(C)



(D)



(A)



(B)


Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der
zweiten Beratung angenommen.

Zusatzpunkt 2: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 14/2116 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
4 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-

gierung
Neunundzwanzigster Rahmenplan der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-
nalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum
2000 bis 2003 (2004)

– Drucksache 14/3250 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Klaus Hofbauer, Dagmar Wöhrl, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der deutschen Regionalförderpolitik
im Zusammenhang mit der Reform des Struk-
turfonds der Europäischen Union
– Drucksachen 14/3353, 14/4112 –

Zur Unterrichtung durch die Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich darf diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die
nunmehr dieser Debatte nicht folgen möchten, bitten,
möglichst ruhig und zügig den Plenarsaal zu verlassen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.

S
Siegmar Mosdorf (SPD):
Rede ID: ID1413308500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
hat seit vielen Jahren eine für unsere Volkswirtschaft
wichtige Zielsetzung, nämlich den Strukturwandel vo-
ranzubringen, die Modernisierung unserer Volkswirt-

schaft zu begleiten, die Innovationsfähigkeit der Wirt-
schaft zu stützen und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze
zu schaffen.

Die Gemeinschaftsaufgabe hat sich in den letzten
30 Jahren überparteilich bewährt. Wir haben gemeinsam
versucht, damit auch gleichwertige Lebensverhältnisse
im Bundesgebiet zu erreichen. Mit ihrem bundeseinheit-
lichen Regelwerk bietet die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ausrei-
chende Flexibilität für die konkrete Umsetzung in den
Ländern entsprechend den regionalen Erfordernissen. Der
Rahmenplan wird laufend überarbeitet. Im Planungsaus-
schuss reden wir regelmäßig – zuletzt geschah das im
März 2000 – über die Förderregeln, die wir für wichtig
halten.

Die Förderregeln des Rahmenplans müssen seit dem
1. Januar 2000 mit beihilferechtlichen Vorgaben der Eu-
ropäischen Kommission in Einklang stehen. Im Zuge der
beihilferechtlichen Prüfung hat die Kommission wieder-
holt Fragen gestellt, die eine Genehmigung des 29. Rah-
menplans bisher verhindert haben. Die Bundesregierung
steht mit den Dienststellen der Europäischen Kommission
in intensiven Gesprächen, um die noch offenen Fragen zu
erörtern und möglichst bald eine entsprechende Geneh-
migung zu erreichen.

Bereits im März 1999 hat die Bundesregierung bei der
EU-Kommission die deutschen Fördergebiete für die Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ ab dem Jahr 2000 angemeldet. Während
die Kommission für die neuen Bundesländer im August
1999 die Genehmigung insgesamt erteilt hat, hat sie be-
züglich der westdeutschen Länder und bezüglich Berlins
ein Hauptprüfverfahren zum Umfang des Fördergebiets
eröffnet. Mit ihrer Entscheidung vom 14. März 2000 ge-
nehmigte sie in Westdeutschland und Berlin eine uneinge-
schränkte Förderung nur in einem Fördergebiet, das
17,7 Prozent der deutschen Bevölkerung umfasst, obwohl
sie ursprünglich einen Fördergebietsumfang von
23,4 Prozent für Deutschland errechnet und auch akzep-
tiert hatte.

Gegen diese Entscheidung hat die Bundesregierung
nach einem entsprechenden Beschluss des GA-Planungs-
ausschusses vom 16. Juni 2000 beim EuGH Klage einge-
reicht. Die Entscheidung der Kommission über die
Herabsetzung des Förderplafonds basiert auf einem Be-
rechnungsverfahren, das nach Auffassung Deutschlands
gegen den in der Gemeinschaft geltenden Grundsatz der
Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten verstößt. Deshalb
hat die Bundesregierung die Klage eingereicht.

Im strittigen Gebietsumfang von circa 4,7 Millionen
Einwohnern bestehen derzeit nur eingeschränkte Förder-
möglichkeiten. Die Bundesregierung bedauert dies und
drängt darauf, dass sich die Europäische Kommission an-
gesichts des Handlungsbedarfs in diesem Feld möglichst
bald bereit erklärt, die entsprechenden Anträge zu geneh-
migen.

Natürlich musste auch die Gemeinschaftsaufgabe ihren
Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Sie alle wis-
sen, dass wir dabei sind, auch in diesem Bereich zu sparen.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
12786


(C)



(D)



(A)



(B)


Für die Gemeinschaftsaufgabe West stehen im Jahr 2000
gleichwohl Barmittel in Höhe von 242 Millionen DM und
damit etwas mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Für das
Jahr 2001 sind von uns 285Millionen DM vorgesehen. An
Verpflichtungsermächtigungen sind im Jahre 2000
255 Millionen DM verfügbar. Für das Jahr 2001 sind
260 Millionen DM vorgesehen.

Die große Bedeutung der Gemeinschaftsaufgabe für
die regionale Entwicklung sehen Sie daran, dass von Ja-
nuar bis September 2000 in den alten Bundesländern für
rund 540Anträge 350 Millionen DM GA-Mittel bewilligt
worden sind. Die dadurch ausgelösten Impulse sind be-
merkenswert: In der gewerbliche Wirtschaft ist ein Inves-
titionsvolumen von circa 2,2 Milliarden DM angestoßen
worden. Damit sind etwa 13 500 Dauerarbeitsplätze gesi-
chert sowie 6 200 Dauerarbeitsplätze zusätzlich geschaf-
fen worden. Ich finde, das ist ein großer Erfolg. Deshalb
müssen wir diesen Weg fortsetzen. Im Bereich der wirt-
schaftsnahen Infrastruktur sind Investitionen in Höhe von
rund 115 Millionen DM ausgelöst worden.

In den neuen Bundesländern ist die Gemeinschaftsauf-
gabe das wichtigste Instrument der Investitionsförderung
zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruk-
tur überhaupt. Für die GAOst stellt der Bund im Jahr 2000
Barmittel in Höhe von 2,291 Milliarden DM und Ver-
pflichtungsermächtigungen in Höhe von 1,89 Milliar-
den DM zur Verfügung. Für das Jahr 2001 sind Barmittel
in Höhe von 1,992 Milliarden DM und Verpflichtungser-
mächtigungen in Höhe von 1,5 Milliarden DM vorgese-
hen.

Von Januar bis September 2000 sind für die rund
3 000 Anträge der gewerblichen Wirtschaft circa 2,1 Mil-
liarden DM GA-Mittel bewilligt worden, die ein Investi-
tionsvolumen von 8,5 Milliarden DM ausgelöst haben
und damit etwa 70 200 Dauerarbeitsplätze gesichert und
rund 18 600 neue Dauerarbeitsplätze geschaffen haben.
Für circa 230 Anträge zur wirtschaftsnahen Infrastruktur
sind rund 803 Millionen DM bewilligt worden, die inves-
tive Gesamtausgaben in Höhe von 1,2 Milliarden DM an-
gestoßen haben.

Diese systematische Arbeit in der regionalen Wirt-
schaftsförderung steht vor neuen Herausforderungen. An
erster Stelle ist dabei die Herausforderung der Osterweite-
rung zu nennen, eine wichtige Veränderung der Architek-
tur der Europäischen Union. Wir sind davon überzeugt,
dass die Osterweiterung insbesondere der deutschen Volks-
wirtschaft zugute kommen wird, nicht nur durch neue For-
men der Arbeitsteilung, sondern auch durch mögliche For-
men der Kooperation über die Grenzen hinweg. Wir sind
deshalb auch der Auffassung, dass wir alles tun müssen
– das war auch Gegenstand der Länderwirtschaftsminister-
konferenz vor wenigen Tagen in Stuttgart –, um in den
Grenzgebieten bei dieser Erweiterung, die natürlich eine
Veränderung darstellt, zielgenau zu helfen. Man kann das
in etwa mit der Süderweiterung oder der Erweiterung in an-
deren Gebieten vergleichen. Unsere Zielvorstellung sieht
so aus, dass aus den Grenzgebieten im Osten, die in den
letzten Jahren hermetisch abgeriegelt waren, in Zukunft
Handelsdrehscheiben werden, von denen wir gemein-
schaftlich profitieren.

In der bis Ende 2006 laufenden Strukturfondsförderpe-
riode können in den Fördergebieten erhebliche EU-Mit-
tel – allein circa 20 Milliarden Euro in den neuen Bun-
desländern – eingesetzt werden. Die Grenzregionen sind
bis Ende 2006 darüber hinaus Teil der EU-Gemein-
schaftsinitiative Interreg, deren Mittelausstattung gegen-
über der vorherigen Förderperiode deutlich erhöht wor-
den ist.

Es gibt eine weitere Herausforderung für die regionale
Wirtschaftsförderung: Es stellt sich die Frage, was nach
2006, also nach der laufenden Förderperiode, passieren
soll. Wir sind auch als Nettozahler für den EU-Haushalt
entschieden dafür, weiterhin gezielt eine europäische Re-
gionalförderung für die strukturschwachen Gebiete zu er-
halten, um so unsere Hauptziele – Strukturwandel, Innova-
tionsförderung, Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit –
nach 2006 fortsetzen zu können. Im Gegenzug muss – das
ist ganz klar – der nationale regionalpolitische Handlungs-
spielraum endlich erweitert werden. Wir müssen auch in
diesem Bereich mehr Subsidiarität erreichen. Das gilt
ebenso für viele andere Programme; aber hier brauchen wir
besonders dringend Flexibilität, weil wir so eine höhere Ef-
fektivität der Förderprogramme erzielen können.

Die Bundesregierung wird sich bei der anstehenden
Überarbeitung der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit
regionaler Zielsetzung sowie des multisektoralen Regio-
nalbeihilferahmens für große Investitionsvorhaben für
eine Flexibilisierung des Beihilferechts einsetzen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Die Mitgliedstaaten müssen größere Spielräume in der
nationalen Regionalpolitik erhalten. Wir sollten diese
Spielräume im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nutzen.

Ich glaube, wir sind uns auch einig, dass wir die jetzt
festgelegten Bedingungen nicht akzeptieren können.
Auch die deutsche Klage gegen die Reduzierung der GA-
Fördergebiete durch die Europäische Kommission zielt
auf eine von uns gemeinsam beabsichtigte Positionierung.
Insgesamt werden wir versuchen, die EU-Osterweiterung
und die Weiterentwicklung des EU-Beihilferechts in den
folgenden Jahren in eine moderne regionalpolitische
Konzeption zu führen und damit auch unsere Handlungs-
fähigkeit zu erhöhen. Wir drängen nachdrücklich darauf,
dass wir als diejenigen, die für den Aufbau Europas, die
Integration und die Erweiterung Europas besonders enga-
giert eintreten, bei diesen regionalpolitischen Instrumen-
ten von der Europäischen Kommission Unterstützung er-
fahren und nicht mit Hemmnissen konfrontiert oder
blockiert werden. Deshalb hoffen wir sehr, dass wir mit
unserer Klage erfolgreich sein werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413308600
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer für die CDU/CSU-
Fraktion.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)



Klaus Hofbauer (CSU):
Rede ID: ID1413308700
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion will mit ihrer Großen Anfrage die regio-
nale Strukturpolitik erneut in den Mittelpunkt der Diskus-
sion stellen und deren Bedeutung in der Vergangenheit
und vor allen Dingen auch für die Zukunft unterstreichen.
Zunächst stelle ich fest – da stimme ich mit Ihnen, Herr
Staatssekretär, überein –: Die bisherige nationale Struk-
turpolitik, die durch europäische Programme unterstützt
worden ist, war äußerst erfolgreich. Wir haben in den
strukturschwachen Gebieten, insbesondere in den ländli-
chen Gebieten, großartige Erfolge erzielen können. Dabei
möchte ich nicht unerwähnt lassen – ich glaube, dass Sie,
Herr Staatssekretär, da mit mir übereinstimmen –, dass in
den strukturschwachen Gebieten sowohl unsere Unter-
nehmer als auch die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer entscheidend dazu beigetragen haben, dass
wir diese Erfolge erzielen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider müssen wir aber feststellen, dass wir immer

mehr von europäischen Bestimmungen gegängelt wer-
den. Hier, Herr Staatssekretär, erwarten wir von der Bun-
desregierung etwas mehr Schwung. Wir fordern mehr Ini-
tiativen und Aktivitäten, um gegen diese Gängelung
vorzugehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich mache der rot-grünen Regierung zum Vorwurf, dass
sie gegen diese Bestrebungen nicht mit dem notwendigen
Nachdruck vorgeht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben ja bereits die Reduzierung der Förderkulisse

angesprochen. Es kommt hinzu, dass selbst die in diesem
Zusammenhang bestehende Übergangsregelung über
Nacht gekippt wurde und dass es in den Arbeitsamtsbezir-
ken keine Feinabgrenzung mehr gibt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Herr Staatssekretär, ich habe schon ein wenig den Ein-

druck, dass Sie erst, als Sie parteiübergreifend im Wirt-
schaftsausschuss darauf hingewiesen wurden, dass diese
Probleme entstehen, eine entsprechende Klage beim
EuGH eingereicht haben. Sie hätten bereits bei den dies-
bezüglichen Verhandlungen die Interessen Deutschlands
besser und intensiver vertreten sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine wei-

tere Bemerkung: Ich habe den Eindruck, dass unter der
jetzigen Bundesregierung die Regionalpolitik nicht mehr
die Rolle spielt, die sie in den vergangenen Jahren gespielt
hat. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich zu diesen
Themen in den letzten Wochen und Monaten bzw. in den
letzten zwei Jahren überhaupt nicht geäußert. Bei den
Haushaltsberatungen hat der Bundeswirtschaftsminister
lediglich in einem Nebensatz zur Struktur- und Regional-
politik Stellung bezogen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die machen nur noch Zentralismus!)


Ich stimme mit Ihnen, Herr Staatssekretär, überein,
dass die größte Herausforderung der Strukturpolitik ins-
gesamt die Osterweiterung sein wird. Die CDU/CSU-
Fraktion tritt uneingeschränkt für die EU-Osterweiterung
ein. Denn wir sind der Meinung, dass sie eine Chance für
die Menschen in Deutschland und – das betone ich aus-
drücklich – insbesondere für die Menschen in den grenz-
nahen Zonen bietet. Die Menschen, die jahrzehntelang
Stacheldraht vor ihrer Haustüre hatten, erleben diese Frei-
heit sehr konkret und werden diese Chance besonders nut-
zen.

Nur, wir müssen die EU-Osterweiterung natürlich auch
aktiv aus der Region heraus und im Rahmen unserer Po-
litik gestalten. Meiner Meinung nach fehlen Konzepte der
Bundesregierung, wie die Osterweiterung im Bereich der
Strukturpolitik gestaltet und nach vorne gebracht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die CDU/CSU-Fraktion wird deswegen einen Antrag

mit ganz konkreten Vorschlägen einbringen:
Erstens. Wir fordern einen nationalen Grenzgürtel-

aktionsplan. Dieser bezieht sich nicht nur auf die Finan-
zen. Vielmehr fordern wir eine Reihe von Aktivitäten, die
grenzüberschreitend gestaltet werden sollten, damit wir
die Aktivitäten der letzten zehn Jahre ausbauen können.

Zweitens. Wir brauchen ein Förderprogramm für die
deutschen grenznahen Regionen. Ich bitte Sie, nicht nur
davon zu sprechen, sondern den Vorschlag des Kommis-
sars Verheugen aufzugreifen, ihn zu unterstützen und ihn
auch umzusetzen. Wir haben ja auch in den Ländern Ver-
bündete. Denn es gibt in diesem Zusammenhang eine ge-
meinsame Initiative des Freistaates Sachsen, Mecklen-
burg-Vorpommerns, Brandenburgs, Berlins und des
Freistaates Bayern. Greifen Sie diesen gemeinsamen Vor-
schlag auf und setzen Sie ihn um!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Drittens. Wir fordern, dass im Zusammenhang mit der
EU-Osterweiterung nach dem Vorbild der Verkehrspro-
jekte „Deutsche Einheit“ ein Programm für dort erforder-
liche Verkehrsprojekte aufgelegt wird. Seit der Öffnung
der Grenze vor zehn Jahren hat zum Beispiel das Ver-
kehrsaufkommen zwischen Bayern und Tschechien dras-
tisch zugenommen, und es wird sich noch deutlich ver-
stärken, wenn die Osterweiterung kommt. Wir müssen
deswegen die Verkehrsprojekte vorantreiben, und wir
brauchen Projekte analog zu den Projekten „Deutsche
Einheit“.

Viertens. Ich hatte schon erwartet, dass bei der heuti-
gen Diskussion zur Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ein
ganz klares Bekenntnis zur GA abgegeben wird. Sie spre-
chen davon, dass uns die Kommission in Brüssel ein-
schränkt. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass
dies der Bundesregierung Recht ist, um so einen Schuldi-
gen zu finden und die Gelder reduzieren zu können. In der
mittelfristigen Finanzplanung werden die Mittel bis
2004 reduziert. Das ist kein Bekenntnis zur Gemein-
schaftsaufgabe.






(C)



(D)



(A)



(B)


Meine fünfte Forderung hat bereits der Herr Staatsse-
kretär angesprochen: Wie es mit der Strukturpolitik nach
2006 weitergehen wird, steht momentan in den Sternen.
Es soll bis 2003 eine ganz klare Position eingenommen
werden. Ich bitte dringend darum, dass die Beitrittsver-
handlungen auch unter dem Gesichtspunkt der Struktur-
politik geführt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Struktur-
politik wird auch in Zukunft notwendig sein. Deswegen
bin ich der Meinung, dass wir die Instrumente der EU und
die nationalen Instrumente verstärkt aufeinander abstim-
men müssen. Dann werden wir auch eine Perspektive ha-
ben. In diesem Sinne treten wir gemeinsam für die Schaf-
fung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein, wie sie auch
im Grundgesetz festgeschrieben sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413308800
Das Wort für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Werner
Schulz.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
einer spannungsgeladenen und äußerst kontroversen De-
batte zur Rentenreform beraten wir jetzt mit der Unter-
richtung durch die Bundesregierung zum 29. Rahmenplan
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 – ein
endlos langer Titel – ein offensichtlich weniger strittiges
Thema. Es ist ein Thema, bei dem sehr große Überein-
stimmung herrscht, zumindest was den Erfolg dieses In-
strumentariums betrifft.

Allein die Zahl 29 verweist darauf, dass wir es hier mit
einer sehr langen Tradition zu tun haben. Es geht um ein
Instrument, das immer wieder verbessert, präzisiert und
an die bestehenden Verhältnisse und Probleme angepasst
worden ist. Es ist ein Instrument, das sich bewährt hat und
ausgereift ist und das nie automatisch oder schematisch
fortgeschrieben worden ist. Betrachten wir allein die Ge-
währung von Lohnkostenzuschüssen. Diese haben ge-
rade in den ostdeutschen Bundesländern gute Dienste ge-
leistet. Das zeigt, dass die Fördermöglichkeiten den
Problemen angepasst, ausgeweitet und vertieft worden
sind.

Auch diesmal, bei der 29. Rahmenplanung, gibt es Än-
derungen, die die weitere Differenzierung der Förderung
betreffen. Wir haben die strikte Unterteilung, dass der
Osten praktisch in die Fördergebiete A und B aufgeglie-
dert ist und der Westen in die Fördergebiete C und D.
Schon daran erkennt man die Priorität, die der Förderung
der strukturschwachen Regionen im Osten nach wie vor
eingeräumt wird und werden muss.

Wir haben bei der Beurteilung der Förderfähigkeiten
und der Investvorhaben Veränderungen vorgenommen.
Damit ist nicht mehr der Zeitpunkt der Antragstellung ent-
scheidend. Jetzt wird zeitnah über die Sachlage entschie-
den. Damit können wir zielgenauer, effektiver und aktu-

eller fördern. Somit haben wir eine Verbesserung des In-
struments erreicht. So werden beispielsweise bei der In-
frastrukturhilfe Missbrauch und Mitnahmeeffekte künftig
ausgeschlossen. In gewisser Weise sind Mängel behoben
worden.

Wir reden über ein Instrument, das sich bei der aktiven
Regionalpolitik vor allen Dingen im Osten bewährt hat.
Es ist neben der Investitionsförderung eine der tragenden
Säulen der Strukturhilfe beim Aufbau Ost.

Die Gemeinschaftsaufgabe ist mit großem Erfolg ver-
bunden gewesen. Staatssekretär Mosdorf hat einige Zah-
len schon vorgestellt. Allein in den Jahren 1997 bis 1999
haben Bund und Länder gemeinsam, wie sich das gehört,
durch ihre Unterstützung – sie betrug 16 Milliarden DM –
Investitionen in Höhe von etwa 60 Milliarden DM ange-
stoßen. Das sicherte über 300 000 Arbeitsplätze. 110 000
neue Arbeitsplätze wurden auf diese Art und Weise durch
die Förderung neu geschaffen.

Ich will an dieser Stelle eines wirklich nicht verber-
gen – das ist ein kritisches Moment; deswegen liegt heute
ein Entschließungsantrag vor –: Beim Abbau der Arbeits-
losigkeit gibt es noch immer eine Disproportion zwi-
schen Frauen und Männern. Wir haben hier ein sehr
einschneidendes Problem. Die offiziell ausgewiesene Ar-
beitslosenquote liegt bei den Männern bei 15 Prozent und
bei den Frauen bei über 19 Prozent. Wir sind hierfür von
einer UNO-Kommission gerügt worden, die sich mit der
Diskriminierung von Frauen beschäftigt. Die Bundesre-
publik wurde deshalb gerügt, weil die Förderung von
Frauen nicht in dem erforderlichen Maß geschieht, be-
sonders in den ostdeutschen Bundesländern.

Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag ein-
gebracht, der die Bundesregierung in dieser Hinsicht be-
sonders verpflichtet; denn man sieht die Disproportion bei
der GA auch dieses Mal. Im Westen werden demnächst
dreimal so viele Dauerarbeitsplätze für Männer wie für
Frauen entstehen. Im Osten ist diese Zahl doppelt so groß.
Das heißt, es werden im Osten bedeutend mehr Arbeits-
plätze für Männer als für Frauen entstehen. Dies geschieht
vor dem Hintergrund der derzeitigen Problemlage, dass
viele Frauen vom Aufbau Ost ausgeschlossen sind. Der
Aufbau Ost findet zwar statt; aber er kann offensichtlich
Frauen nicht die erforderlichen Arbeitsplätze bieten. Das
dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will etwas zur Perspektive der Gemeinschaftsauf-
gabe sagen, die vor dem Hintergrund der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit, der Globalisierung, der Beschleu-
nigung des technischen Fortschritts, der EU-Osterweite-
rung und der Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufholpro-
zesses in Ostdeutschland stattfindet. Hier besteht auch
künftig ein enormer regionalpolitischer Handlungsbedarf.
Das heißt, dass die Akteure in den Regionen noch stärker
eingebunden werden müssen. Im Grunde genommen ent-
scheidet sich letztlich vor Ort, ob der Strukturwandel
von Erfolg gekrönt ist. Deswegen geht es hier um eine
wesentlich bessere Abstimmung zwischen den Akteuren.




Klaus Hofbauer

12789


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will auf ein Problem eingehen, das mir wichtig er-
scheint: Es ist die Osterweiterung der EU und die damit
auf uns zukommenden Aufgaben, gerade für die neuen
Bundesländer. Wenn man so will, war die deutsche Verei-
nigung der erste Schritt auf dem Weg zur Osterweiterung,
den wir jetzt weitergehen müssen. Wir müssen diese Re-
gionen noch wesentlich besser auf das vorbereiten, was
auf sie zukommt. Die Infrastruktur muss weiter ausgebaut
und verbessert werden; denn der eigentliche Tauglich-
keitstest findet bei den neuen Strukturen in Ostdeutsch-
land statt. Der Strukturwandel in den Regionen wird
durch die EU-Osterweiterung beschleunigt und erneut auf
den Prüfstand gestellt, sodass enormer regionalpolitischer
Handlungsbedarf besteht.

Wir gehen allerdings davon aus, dass gerade die Bun-
desregierung – das ist deutlich geworden – diese Aufgabe
voll erkannt und im Visier hat, dass sie ihrer Verantwor-
tung nachkommen wird. Das erhoffen wir uns auch von
den regionalpolitischen Verantwortungsträgern; denn die
Entscheidungen müssen in den Ländern und Regionen ge-
troffen werden. Es liegt vor allen Dingen im Interesse der
betroffenen Regionen, rechtzeitig auf den Wettbewerbs-
und Anpassungsdruck zu reagieren. Bei aller Unterstüt-
zung durch den Bund: Die Initiativen müssen vor Ort grei-
fen.

Es wurde die Frage gestellt, wo die Zukunft der Struk-
turpolitik liegt. Kollege Hofbauer, Sie haben gesagt, sie
stehe in den Sternen; aber sie ist natürlich auch nach 2006
in den europäischen Sternen zu suchen. Das ist eindeutig.
Allerdings – diese Kritik sollten wir aufnehmen – muss
der nationale Handlungsspielraum erhalten bleiben. Die
restriktiven Maßnahmen der EU, mit denen wir zu tun ha-
ben, sind nicht in jeder Weise förderlich.

Bei diesen Aspekten müssen wir darauf achten, dass wir
in der europäischen wie in der nationalen Förderpolitik zu
einer Übereinstimmung kommen. Das heißt, 2006 stellt
sich nicht nur die Frage der europäischen Kongruenz,
sondern auch die Frage, wie wir das im eigenen nationalen
Rahmen weiterführen werden: Werden wir die Differen-
zierung zwischen Ost und West so beibehalten oder haben
wir mittlerweile eine solche Anpassung erreicht, dass auch
hier eine Neubestimmung der Gemeinschaftsaufgabe von-
nöten ist? Sind wir mithilfe dieses Instruments nun so weit,
dass wir das, was wir unter einheitlichen Arbeits- und Le-
bensbedingungen in Deutschland verstehen, überall er-
reicht haben? Das heißt, der Handlungsbedarf – eu-
ropäisch und national – ist nach 2006 in hohem Maße
gegeben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413308900
Das Wort für die
F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Rainer Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1413309000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Regionale Wirtschaftsförderung
bleibt nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in eini-
gen Regionen der alten Bundesländer notwendig. Sie ver-

folgt das Ziel, schwach entwickelten oder ländlichen Re-
gionen eine Entwicklungs- und Wachstumsperspektive zu
geben. Dafür steht ein regionalpolitischer Instrumenten-
mix zur Verfügung, der in aller Regel öffentliche Mittel
zur Anschubfinanzierung beinhaltet.

Regionale Wirtschaftsförderung ist insofern ein wich-
tiger Baustein der Wirtschaftspolitik. Für weniger ent-
wickelte Regionen bedeutet regionale Wirtschaftspolitik
eine Chance auf bessere Wachstumsaussichten. Deshalb
muss strukturschwachen Regionen auch das Recht auf
eine eigenständige Regionalpolitik zugebilligt werden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich,
dass die Bundesregierung auf Betreiben der 16 Länder-
wirtschaftsminister vor dem Europäischen Gerichtshof
gegen die willkürliche Beschneidung des deutschen
Förderplafonds klagt. Die Reduzierung des deutschen
Förderplafonds von 23,4 Prozent auf 17,6 Prozent der Ge-
samtbevölkerung durch die Europäische Kommission
verringert das GA-Fördergebiet automatisch um mehr als
2 Millionen Einwohner. Entsprechend schmälern sich die
Entwicklungs- und Wachstumschancen in strukturell be-
nachteiligten deutschen Regionen.

Der Gang vor den Europäischen Gerichtshof sollte die
Bundesregierung und insbesondere Bundeswirtschafts-
minister Müller, der wieder mal – wie jedes Mal, wenn
eine wichtige Debatte zu wirtschaftspolitischen Themen,
etwa zum Jahreswirtschaftsbericht, ansteht – sein Desin-
teresse durch Abwesenheit dokumentiert,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

nicht davon entbinden, politisch weiter für die Sache der
regionalen Wirtschaftsförderung zu kämpfen. Ich will
hier nicht die Frage aufwerfen, ob sich der Wirtschafts-
minister in Brüssel für die regionale Wirtschaftsförderung
ähnlich stark einsetzt wie beispielsweise für die Kohle-
beihilfen. Aber ein politisches Einlenken der Europä-
ischen Kommission wäre bei der Rücknahme der nicht
nachvollziehbaren Beschränkungen der Förderkulisse
und im Interesse der betroffenen Regionen in jedem Fall
wünschenswert.

Wir sind uns darin einig, dass wir einen europäischen
Wirtschaftsrahmen und eine Ordnungspolitik brauchen.
Das ergibt sich schon allein aus der Idee eines gemeinsa-
men Marktes. Wer Wettbewerb in Europa will, der muss
für diesen Wettbewerb auch einheitliche Spielregeln fest-
legen. Vorstöße, Herr Staatssekretär, wie bei der Forde-
rung Ihres Ministers nach einem nationalen Energie-
sockel, sind dagegen nicht nur ordnungspolitisch mehr als
fragwürdig, sondern auch regionalpolitisch kontrapro-
duktiv.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie stellen nämlich nicht nur die Waren- und Dienstleis-
tungsfreiheit des europäischen Binnenmarktes infrage;
sie schwächen darüber hinaus das berechtigte Interesse an
regionalpolitischen Aktivitäten in Deutschland.




Werner Schulz (Leipzig)

12790


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ verfolgen im Ge-
gensatz zu dem angedachten nationalen Energiesockel ein
anderes Ziel. Sie sind nämlich dazu gedacht, die Wettbe-
werbsfähigkeit in strukturschwachen Regionen zu fördern.
Sie sollen also Wettbewerb erst richtig möglich machen.
Dagegen soll der müllersche Energiesockel Wettbewerb
ausschließen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Diesen Unterschied muss auch die Bundesregierung und
vor allen Dingen der Bundeswirtschaftsminister erken-
nen.

Es muss sichergestellt werden, dass eine eigenständige
regionale Politik möglich bleibt. Das gebietet auch das
Subsidiaritätsprinzip. Dieses Prinzip ist im Amsterda-
mer Vertrag ausdrücklich festgeschrieben; zudem ist es
wirtschaftspolitisch geboten. Der dahinter stehende Ge-
danke der Hilfe zur Selbsthilfe stärkt den Wettbewerb so-
wie die Zielgenauigkeit beim Einsatz der Mittel und ver-
bessert damit auch die regionale Infrastruktur.

Regionale Wirtschaftsförderung soll langfristige Ent-
wicklungs- und Wachstumsprozesse möglich machen. Es
geht deshalb nicht an, dass die Europäische Kommission
versucht, den Handlungsspielraum regionaler Wirt-
schafspolitik immer weiter einzuschränken. Dieser neue
europäische Zentralismus ist für die Chancen Europas
insgesamt kontraproduktiv.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Die Europäische Kommission will die Dinge bis ins
kleinste Detail regeln, und zwar starr und bürokratisch.
Die Regionen sind damit vor Ort nur noch ausführende
Organe der Zentrale in Brüssel. Das kann nicht der rich-
tige Ansatz sein. Die Regionen haben damit kaum noch
die Möglichkeit, den Instrumentenmix subsidiär nach den
Gegebenheiten vor Ort selbst zu bestimmen, da bei kleins-
ten Abweichungen von den Vorgaben ein beihilferechtli-
ches Verfahren durch die Europäische Kommission droht.
Damit werden die Wirkung der regionalen Wirtschafts-
förderung nachhaltig geschwächt sowie die Zielgenauig-
keit des Mitteleinsatzes und der Wettbewerb unterschied-
licher Ansätze untergraben. Das ist ein elementarer Ver-
stoß gegen das Prinzip der Subsidiarität.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, sich in

Brüssel für eine wettbewerblich orientierte dezentrale Re-
gionalpolitik stark zu machen. Eine europäische Ordnung
darf nicht den eigenverantwortlichen Einsatz der festge-
setzten Mittel verhindern, sie muss ihn vielmehr fördern.
Um dem Prinzip des gemeinsamen Marktes zu entspre-
chen, reicht es, für die Regionen zentral ein bestimmtes
Budget zu fixieren.


(Beifall bei der F.D.P.)

Die Gestaltung des Mitteleinsatzes muss allerdings in re-
gionaler Verantwortung bleiben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das schafft für die Kommunen und Regionen mehr Hand-
lungsspielraum und stärkt somit das Subsidiaritätsprin-
zip. Wir sind angesichts der Erfolge der kommunalen
Selbstverwaltung davon überzeugt, dass dieser Grundsatz
richtig ist. Es hat seinen Grund, weshalb die Dinosaurier
erdgeschichtlich ausgestorben sind. Brüssel darf nicht der
neue Dinosaurier werden. Sie kennen diese Viecher: we-
nig Kopf und viel Hinterteil. Wir brauchen viel Kopf und
wenig Hinterteil.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Schönes Bild!)


Ohne eine selbstbestimmte Regionalpolitik wären Ent-
wicklungsschübe wie in Irland oder in Spanien nicht denk-
bar gewesen. Die Ursachen für den Umstand, dass Irland
– gottlob – vom Sorgenkind zur Boomregion Europas auf-
gestiegen ist, liegen in europäischen Strukturmitteln, aller-
dings verbunden mit gekonnter ortsnaher Ansiedlungspo-
litik. Es zeigt, wie wichtig eine eigenverantwortliche
Handlungsweise ist.

Ich möchte zum Schluss kommen: Die Bundesregie-
rung muss sich dringend weiteren Problemfeldern der Re-
gionalförderung annehmen, etwa der Tatsache, dass die
europaweiten Spielregeln in unterschiedlichen Regionen
unterschiedlich eingehalten werden. Man hat manchmal
den Eindruck, dass die Europäische Kommission mit
zweierlei Maß zu messen scheint. So darf es zum Beispiel
nicht sein, dass in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz
die Schuhindustrie in Pirmasens vor die Hunde geht, weil
andere Länder die Schuhproduktion europarechtswidrig
massiv subventionieren.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das widerspricht zutiefst dem Wettbewerbsgedanken ei-
nes gemeinsamen Marktes. Deshalb muss sich die Regie-
rung für eine einheitliche Anwendung der Spielregeln in
allen Regionen Europas einsetzen. Nur dann finden diese
prinzipiell sinnvollen Rahmenbedingungen auch eine Ak-
zeptanz, die notwendig ist. Die Bedeutung des Wirt-
schaftsministeriums in der Regierung muss gestärkt wer-
den; der Wirtschaftsminister muss mit seiner Lust-
losigkeit aufhören und ins Parlament kommen, wenn er
gefordert ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413309100
Für die PDS-Fraktion
spricht der Kollege Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1413309200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es hat manche Irritation gegeben
und deshalb will ich für meine Fraktion zu Beginn klar-
stellen: Auch wir setzen uns natürlich für die Erhaltung des
wichtigen Instruments der Wirtschaftsförderung, der Ge-
meinschaftsaufgabe, ein. Das Instrument muss aber zwei-
fellos – das ist hier schon angesprochen worden – ständig
qualifiziert werden, damit es langfristig trägt. Dabei geht
es uns um drei Aspekte: Im diesjährigen Rahmenplan




Rainer Brüderle

12791


(C)



(D)



(A)



(B)


sind Beiträge der GA für die Arbeitsmarktpolitik und die
Stadtentwicklung ausgebaut worden; die Förderung von
Frauen – Herr Kollege Schulz hat dazu etwas gesagt –
kommt neu hinzu.

Es gibt eine Reihe von Absichtserklärungen, zu denen
die PDS-Fraktion bekanntlich bereits in der vergangenen
Wahlperiode Taten gefordert hat. Aus diesem Grund wer-
den wir den Koalitionsantrag zur Bekämpfung der
Frauenarbeitslosigkeit mithilfe der Gemeinschaftsauf-
gabe auch – trotz der Beweihräucherung der Bundesre-
gierung – unterstützen. Hier liegt aber das erste Problem:
Der Rahmenplan ist sehr innovativ, das alltägliche För-
dergeschäft verdient diese Bezeichnung aber aus meiner
Sicht noch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)


So wird im Rahmenplan ausdrücklich eine arbeits-
marktpolitische Initiative des Bundeslandwirtschaftsmi-
nisteriums für die Landwirtschaft und den ländlichen
Raum erwähnt. In dessen Etat wird bereits – ich zitiere –
von in diesem Zusammenhang zu ergreifenden Maßnah-
men durch das Wirtschaftsministerium gesprochen. Nur,
im Wirtschaftsetat findet sich dazu nichts. Unsere Nach-
fragen beantwortete das Wirtschaftsministerium mit der
lapidaren Feststellung, das GA-Fördersystem sei ohnehin
so breit angelegt, dass neben spezifischen regionalpoliti-
schen Zielen auch andere Politikbereiche unterstützt wer-
den könnten. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass die bis-
herigen GA-Mittel allesamt schon durch traditionelle
Förderung gebunden sind. Insofern wären unsere entspre-
chenden Haushaltsanträge mit ihren bescheidenen Ansät-
zen wenigstens ein kleines Signal für dringend nötige
tatsächliche Vernetzungen regional wirksamer Maßnah-
men.


(Beifall bei der PDS)

Damit bin ich beim zweiten Problem angelangt. Das

Ziel der Gemeinschaftsaufgabe ist hier mehrfach be-
schrieben worden – insoweit gibt es auch Übereinstim-
mung –: regionale Wirtschaftsförderung, die zur Gleich-
behandlung von strukturschwachen Regionen im regio-
nalen Standortwettbewerb beitragen soll. Aber, was
passiert in der Praxis auch, und zwar, Herr Brüderle, eben
nicht nur zwischen Staaten, sondern auch innerhalb der
Bundesrepublik Deutschland?

Da verlagert beispielsweise – ich beschränke mich nur
auf eines von mehreren Beispielen – eine Zwiebackfirma
ihre Produktion aus einem strukturschwachen Gebiet
West, deshalb höchstgefördert, in ein für Ostverhältnisse
strukturstärkeres Gebiet, deshalb niedrig gefördert. Im
schwachen Westen werden 430 Arbeitsplätze vernichtet,
im nicht viel schwächeren Osten nur 100 neue geschaffen,
natürlich zu den vergleichsweise miserablen dortigen
Lohn- und Arbeitsbedingungen. Das Ganze wird dann
auch noch mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus
den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert.

Nicht, dass wir von der PDS uns nicht über neue
Arbeitsplätze im Osten freuen würden. Das ist nicht die
Frage. Aber wenn die Angleichung der Lebensverhält-
nisse in den Regionen wie in dem geschilderten Fall auf

eine Angleichung nach unten hinausläuft, wird das ganze
Fördersystem diskreditiert.


(Beifall bei der PDS)

Damit bin ich beim dritten Aspekt angelangt. Breiten

Raum sowohl in den Fragen der CDU/CSU als auch in
den Antworten der Regierung nimmt die Kritik an der
restriktiven Beihilfengenehmigung durch die EU-Kom-
mission ein. Das hat heute ebenfalls eine Rolle gespielt.
Aber kann sich denn hierzulande über den – dieser Satz ist
nicht von mir; ich zitiere – multisektoralen Rahmen für
große Vorhaben in der Regionalförderung wirklich je-
mand ernsthaft wundern, wenn er sich Elf/Leuna, die Vul-
kan-Werften oder VWMosel vor Augen hält?

Auch bei der Klage gegen die Beschränkung der west-
deutschen Fördergebiete sollten wir zumindest keine trü-
gerischen Illusionen aufkommen lassen. Mit der neuen
Härte hat die Kommission zwar ihre 30-jährige eigene
Praxis revidiert, aber faktisch nur eine rechtlich durch
nichts abgesicherte Privilegierung Deutschlands beendet.
Es wäre aus meiner Sicht abenteuerlich, im Rat auf Mehr-
heiten, geschweige denn Einstimmigkeit zur Änderung
der dem entgegen stehenden Beihilferichtlinie oder gar
des EG-Vertrages zu setzen.

Wir sollten, statt nur auf Brüssel zu schimpfen und zu
klagen, eine offensive Strategie für die Zukunft angehen.
Das heißt eben auch, zügig mit einer Reform der nationa-
len Regionalförderung zu beginnen. Zum einen müssen
im Rahmen der institutionellen Reform und der Ost-
erweiterung der EU politische Freiräume für nationale
Politik errungen werden. Zum anderen sollte auch die Ge-
meinschaftsaufgabe selber im Rahmen der anstehenden
grundlegenden Reform der Bund-Länder-Beziehungen
– ich nennen nur Stichworte: Länderfinanzausgleich und
Solidarpakt – überprüft werden. So könnte sie vielleicht
auf eine reine Infrastrukturförderung, die jedoch im um-
fassenden Sinne auch den Kultur- und den Sozialbereich
beinhalten sollte, beschränkt werden. Die einzelbetriebli-
che Förderung läge dann in der Finanzhoheit der Länder.
Dies wiederum würde aber einen wirklich gerechten Län-
derfinanzausgleich voraussetzen, bei dem beispielsweise
die so genannten Geberländer bei der Finanzkraftermitt-
lung auch die kommunalen Steuereinnahmen voll erfas-
sen müssten.

Das sind natürlich nur erste Überlegungen zu einem
durchaus komplexen Thema. Statt aber nur zu klagen,
sollten wir tatsächlich mit diesen ernsthaften Überlegun-
gen beginnen.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413309300
Nächster Redner ist
der Kollege Christian Müller, SPD-Fraktion.


Christian Müller (SPD):
Rede ID: ID1413309400
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! An sich ist es ein
schöner Anlass, dass wir heute Gelegenheit haben, über
die Regionalförderung und die Gemeinschaftsaufgabe zu




Rolf Kutzmutz
12792


(C)



(D)



(A)



(B)


diskutieren. Das Gute daran ist vielleicht auch, dass, bei
allen Versuchen mehr oder weniger berechtigter Kritik, in
bestimmten grundlegenden Positionen Gemeinsamkeiten
vorhanden sind. Diese möchte ich zunächst unterstrei-
chen, weil sie uns schon deshalb verbinden, weil wir, so
hoffe ich, alle der Meinung sind, dass wir mit der Ge-
meinschaftsaufgabe ein modernes und leistungsfähiges
Instrument der Regional- und Wirtschaftsförderung vor
uns haben, das ausgebaut werden kann und bei dem wir
die Chance haben, all jene Disparitäten, über die heute
schon geredet worden ist, besser in den Griff zu bekom-
men.


(Beifall bei den Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden uns sicherlich auch auf eine gemeinsame
Position gegenüber der Europäischen Union verständi-
gen können. Wir sollten die Bundesregierung unterstüt-
zen, Herr Hofbauer, anstatt sie der Nachlässigkeit zu zei-
hen. Das haben wir in diesem Jahr auch schon gemeinsam
im Wirtschaftsausschuss getan. Ich glaube nicht, dass Sie
ernsthaft der Meinung sind, die Bundesregierung habe das
Ganze schleifen lassen. Die Bundesregierung hat von An-
fang an versucht, die bestehenden Handlungsspielräume
zu erhalten. Wir alle sollten die Bundesregierung in ihrer
Haltung gemeinsam bestärken.


(Beifall bei der SPD)

Ich halte es auch nicht für richtig, wenn Sie der Mei-

nung sind, dass der Gemeinschaftsaufgabe in der Bundes-
politik nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher zu-
kommt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir alle sind uns ihrer
Bedeutung bewusst. Das gilt auch für das Bundeswirt-
schaftsministerium. Man sollte jetzt nicht etwas konstru-
ieren, so wie Sie es getan haben, Herr Brüderle, um die
heutige Abwesenheit des Bundesministers für Wirtschaft
und Technologie zu erklären und auszunutzen.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Er hat keine Lust! – Weiterer Zuruf von der F.D.P.: Das ist die Wahrheit!)


Die Herausforderung Osterweiterung ist ein Thema,
das uns alle sicherlich stark beschäftigt. Die Frage nach
den Konzepten steht sehr wohl im Raum. Sie hat in der
Beantwortung der Großen Anfrage eine wesentliche Rolle
gespielt. Ich möchte unterstreichen, dass wir – das ist der
entscheidende Ansatz – die vorhandenen Instrumente von
der nationalen GA über die Strukturfonds bis hin zu den
Interreg-Programmen bis 2006 nutzen müssen, wenn wir
bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der Heraus-
forderung Osterweiterung schaffen wollen.

Ein anderer Punkt – darauf ist schon hingewiesen wor-
den – ist genauso wesentlich: Wir müssen die nationalen
Handlungsspielräume auch für die Zeit nach 2006 erhal-
ten oder, wenn sie verloren gegangen sind, zurückge-
winnen. Das ist die wichtigste Aufgabe, bei deren Erfül-
lung wir alle – auch die Länder – die Bundesregierung
unterstützen sollten. Die Frage, was in diesem Zusam-
menhang zu tun ist, ist sicherlich auch von Bedeutung.
Deswegen sollten wir in Ruhe darüber nachdenken, was

es bringen soll, kostenträchtige Zusatzprogramme von der
Europäischen Union zu fordern, wenn vielleicht dadurch
Begehrlichkeiten anderer europäischer Länder geweckt
werden. Darüber sollten wir in Ruhe nachdenken. Wich-
tig ist, dass eine europäische Unterstützung für die
Freiräume, die wir zu gewinnen suchen, erfolgt. Das an-
dere gehört sicherlich auch in den Kontext. Wir sollten
dies nicht aus den Augen verlieren.

Da ich gerade die Konzepte angesprochen habe,
möchte ich noch auf Folgendes hinweisen: Wir sollten al-
les tun, um die Funktion der Gemeinschaftsaufgabe, die
ohnehin politikfelderübergreifend angelegt ist, zu stärken.
Sie hat, wie ich schon gesagt habe, in der Tat das Zeug
dazu, ein universelles und vernünftiges Förderungsinstru-
ment zu sein, und muss es auch bleiben. Wir müssen uns
alle darüber klar werden, dass die Verbindung verschie-
dener Politiken der entscheidende Ansatz sein muss. Es
kommt nicht immer nur auf Geld bzw. Haushaltsmittel an,
so wichtig es auch ist, dass eine Gemeinschaftsaufgabe
mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet ist. Es
kommt darauf an, dass wir die Synergieeffekte, die durch
die Verbindung verschiedener Politiken entstehen, nut-
zen.

Das Problem besteht darin, dass wir in einer Region zu
wenig projekt- und problembezogene Politiken auf eine
Entwicklungsaufgabe hin organisieren können. Daran
werden wir vor allen Dingen arbeiten müssen. Ich denke,
dass wir das Thema „Entwicklung von unten“ noch ein-
mal ins Auge fassen müssen. Entwicklung von unten ist
der entscheidende Ansatz, um Erfolge erzielen zu können.

Sie erinnern sich alle daran, dass wir das Thema der re-
gionalen Entwicklungskonzepte, der integrierten Kon-
zepte seit Jahren in den Rahmenplänen finden. Die prak-
tischen Erfahrungen zeigen, dass in sehr vielen – vor
allem aber auch schwachen – Regionen sich bedauerli-
cherweise nicht die Kräfte befinden, die das vernünftig or-
ganisieren. Dies muss auch von unten ausgehen.

Bund und Länder sollten ein Stück mehr Verantwor-
tung dafür übernehmen, die Konsensbildung in den Re-
gionen anzustoßen und voranzubringen. Dies ist für die in
der Transformation befindlichen ostdeutschen Regionen
ein wichtiges Thema.

Sehen Sie sich einmal unseren Ansatz des regionalen
Managements an, der noch in den 29. Rahmenplan hi-
neingebracht worden ist. Es ist ein vernünftiges Instru-
ment. Mit diesem regionalen Management können wir
Defizite, die in den Landratsämtern und anderswo vor-
handen sind, ausgleichen helfen. Wenn es uns gelänge, in
verschiedenen Modellprojekten Erfolge zu erzielen, wäre
das gut. Das ist eine unserer Initiativen, für die Sie uns lo-
ben könnten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich darf noch etwas in diesem Zusammenhang erwäh-
nen.




Christian Müller (Zittau)


12793


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413309500
Herr Kollege!


Christian Müller (SPD):
Rede ID: ID1413309600
Ich will dies noch zu
Ende bringen, dann kann Herr Brüderle seine Frage stel-
len.

Wenn wir verschiedene Politiken miteinander ver-
knüpfen wollen, um Synergieeffekte zu erzielen, kommt
der ostdeutsche Inno-Regio-Wettbewerb ins Spiel. Mit
diesem Anstoß zur Vernetzung haben wir die Möglichkeit,
eine Verbindung moderner, zeitgemäßer, innovativer In-
dustrien bzw. Unternehmen zur Gemeinschaftsaufgabe
herzustellen und eine Verbesserung regionaler Wirt-
schaftsstrukturen zu erreichen. Es ist ohnehin klar, dass
durch Inno-Regio angestoßene Projekte in der zweiten
Phase in der Regel auch der Finanzierung durch Mittel der
Gemeinschaftsaufgabe bedürfen. Auch das gehört zu den
Konzepten, die wir verfolgen werden.

So, Herr Kollege Herr Brüderle, Ihre Frage.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413309700
Herr Kollege
Brüderle, Sie können Ihre Frage stellen.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1413309800
Herr Kollege Müller, Sie
haben den Regionalmanager angesprochen. Muss nicht
ein Landeswirtschaftsminister Regionalmanager sein? Ist
es nicht ein Ausweis dafür, dass das Wirtschaftsministe-
rium seine Aufgaben nicht anständig erfüllt, der Wirt-
schaftsminister sich nicht um seine Angelegenheiten
kümmert, wenn wir jetzt Ersatzmanager sein müssen?
Dann können wir den Wirtschaftsminister abschaffen.
Diese Aufgliederung verstehe ich nicht. Ein Wirtschafts-
minister – ich war es zwölf Jahre lang – ist ein Regio-
nalmanager. Wenn er es nicht ist, ist er fehl am Platz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das war aber jetzt ein Eigenlob! – Gegenruf des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das können Sie hinzufügen, Herr Kollege! Es war aber eine Frage!)



Christian Müller (SPD):
Rede ID: ID1413309900
Lieber Herr
Brüderle, wir können gelegentlich bei einer Weinreise
durch Rheinland-Pfalz überprüfen, ob das so ist. Die Er-
fahrungen, die uns vorliegen, besagen, dass diese Art von
Management durch den Landeswirtschaftsminister nicht
zwangsläufig in allen Bundesländern in den bedürftigen
Regionen Wirkung zeigt.

Im Übrigen sind wir uns darin einig, wenn wir von in-
tegrierter Regionalentwicklung reden, dass es eine von
unten ist. Das heißt, die Konsensbildung in der Region ist
ein wesentliches Element. Die Regionalmanager sollen
zunächst einmal den Regionen helfen. Dass die Landes-
regierung und die Landeswirtschaftsminister als diejeni-
gen, die Regionalförderungspolitik durchführen, in das
Boot gehören, versteht sich von selbst. Aber machen Sie
es nicht kleiner, als es ist. Es ist sicherlich nicht das Ei des
Kolumbus, aber es hilft in diesem Fall sehr, die regionale
Konsensbildung bei den Regionen, die es allein nicht

schaffen, anzustoßen und voranzubringen. Die stärkeren
Regionen brauchen das sicherlich nicht.

Nun möchte ich noch zwei Bemerkungen zu dem ma-
chen, was Sie, Herr Kutzmutz, angesprochen haben; das
schließt sich unmittelbar an die Frage von Herrn Brüderle
an. Sehr oft läuft das tägliche Fördergeschäft nicht so gut.
Jeder kann die Wirtschaftsförderung seiner eigenen Land-
kreise daraufhin überprüfen. Es ist ein ernsthaftes Handi-
cap, wenn dort das nötige Engagement der Verantwortli-
chen nicht zustande kommt. Im Übrigen hat es auch etwas
damit zu tun, dass ein Landrat seinen Landkreis natürlich
als Region ansieht. Auch wenn dies nachvollziehbar sein
mag, entspricht es doch den Erfordernissen keinesfalls.
Da die Region mehr als nur ein Landkreis ist, muss mit
dem Regionalmanager ein zusammenführendes Element
eingebaut werden. Vielleicht kann man auf diese Weise
über die vielerorts anzutreffende Kirchturmspolitik hin-
wegkommen.

Sie haben auch die Reform der Bund-Länder-Finanz-
beziehungen angesprochen. Wir müssen an dieser Stelle
gemeinsam daran arbeiten, dass uns die Gemeinschafts-
aufgabe auch nach dieser Reform erhalten bleibt, weil sie
geeignet ist, als ein Ordnungsrahmen zu wirken, einen
Systemansatz beinhaltet, den Subventionswettlauf der
Regionen in geordnete Bahnen lenkt, die Koordinierung
der raumwirksamen Politiken verstärkt, die Bündelung
der Länderinteressen gegenüber Brüssel ermöglicht und
damit dem Verfassungsauftrag entspricht, der Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse näher zu kommen. In-
sofern ist eine Substitution durch die europäische Regio-
nalförderung nicht möglich. Wir brauchen – das ist ganz
wichtig – die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur auch nach 2006,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

weil unser regionalpolitischer Handlungsbedarf erhalten
bleiben wird. Wir dürfen sogar annehmen, dass er noch
zunimmt.

Meine Damen und Herren, dies ist Anlass genug, in
dieser Debatte festzuhalten, dass wir die Bundesregierung
in ihren Bemühungen unterstützen sollten, die notwendi-
gen Handlungsspielräume zu gewinnen und zu erhalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413310000
Es spricht jetzt der
Kollege Ulrich Klinkert für die CDU/CSU-Fraktion.


Ulrich Klinkert (CDU):
Rede ID: ID1413310100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Verlauf der
Debatte verfolgt, stellt man fest, dass wir parteienüber-
greifend der Meinung sind, dass die regionale Wirt-
schaftsförderung eines der wichtigsten Instrumente ist,
um regionale Nachteile auszugleichen, vor allen Dingen
den ländlichen Raum zu fördern und die Strukturentwick-
lung voranzubringen. In den letzten Jahren wurde durch
dieses Instrument Beschäftigung gesichert, wurden in den
Regionen Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen.






(C)



(D)



(A)



(B)


In den alten wie in den neuen Bundesländern wurde die
Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ intensivst genutzt und
fast zu 100 Prozent abgeschöpft, wenn man einmal vom
Land Sachsen-Anhalt absieht, das es nur auf eine 78-pro-
zentige Ausnutzung der zur Verfügung gestellten Mittel
gebracht hat.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Wer regiert denn da?)


Aber in diesem Bundesland werden die Schwerpunkte of-
fensichtlich nicht auf Investitionen in Arbeitsplätze ge-
legt.

Wir haben auch gehört, dass die regionale Wirtschafts-
förderung aus verschiedenen Gründen in Zukunft so wie
bisher leider nicht fortgesetzt werden kann. Die Brüsseler
Bürokratie verlangt eine Reduzierung des Bevölkerungs-
plafonds auf 17,6 Prozent bei der nationalen Förderung.
Dies betrifft vor allen Dingen die alten Bundesländer. Der
Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ hat ja par-
teienübergreifend die Bundesregierung ermuntert, recht-
liche Schritte gegen Brüssel einzuleiten. Die Bundes-
regierung hat, was wir ausdrücklich unterstützen, eine
Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Wir
erwarten aber von der Bundesregierung – darin stimme
ich dem Kollegen Hofbauer eindeutig zu –, dass sie sich
engagierter als bisher für die Interessen des Bundes, der
Länder und der deutschen Wirtschaft einsetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Man hat den Eindruck, dass die rot-grüne Bundesre-

gierung in Brüssel keine allzu große Autorität besitzt. Die
Folge ist die Beschneidung nationaler Spielräume. Aber
gerade für Gebiete, die von der EU-Osterweiterung be-
sonders betroffen sein werden, sind eigenverantwortliche,
nationale Handlungsmöglichkeiten immens wichtig.
Deutschland hat jetzt nur noch die Chance, in den Bei-
trittsverhandlungen so aufzutreten, dass es einerseits an-
erkennt, dass EU-Strukturfondsmittel – wir haben sie
schließlich durch unsere Einzahlungen maßgeblich zur
Verfügung gestellt – sehr wohl in die Beitrittsländer wei-
tergeleitet werden, dass es andererseits aber auch die
Möglichkeit hat, den Strukturwandel in den Grenzgebie-
ten Deutschlands eigenverantwortlich weiterhin zu unter-
stützen. Es darf nicht sein, dass die Missbrauchskontrolle
der Europäischen Union zur Verhinderungsstrategie jeder
nationalen Förderung missbraucht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gerade in diesem Punkt erwarten wir – ich sage es noch
einmal – ein stärkeres Engagement der Bundesregierung.

Die Osterweiterung – daran soll nicht der leiseste
Zweifel bestehen – ist eine politische Notwendigkeit und
eine wirtschaftliche Chance. Aber wir dürfen auch deren
Risiken nicht übersehen, insbesondere diejenigen für die
grenznahen Regionen, sowohl in West als auch in Ost.
Wenn vermieden werden soll, dass es zu Standortverlage-
rungen oder zu Kundenbewegungen massiven Ausmaßes
in die Beitrittsländer kommt, dann muss sich die Regie-
rung dafür einsetzen, dass die Strukturnachteile ausgegli-
chen werden können. Dabei ist die Wirtschaft in den

neuen Bundesländern in einer besonders kritischen Situa-
tion, weil in den Unternehmen oft finanzielle Rücklagen
fehlen – dadurch können Schwankungen schlecht ausge-
glichen werden – und wir von einer wirtschaftlichen Sta-
bilität insgesamt noch weit entfernt sind.

Allerdings hat die Bundesregierung gerade an dieser
Stelle die Weichen in die falsche Richtung gestellt. Anstatt
dass mit der GAdie Wirtschaft weiter stabilisiert wird, er-
folgt eine massive Kürzung der Wirtschaftsförderung in
den neuen Bundesländern, und zwar, um es in Zahlen aus-
zudrücken, von 1998 bis 2004 um immerhin 42 Prozent,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Oh Gott! Wer hat Ihnen denn das wieder aufgedrückt?)


das heißt von 2,94Milliarden DM auf 1,7 Milliarden DM.
Ich halte dies schlicht für unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Was Sie da sagen, ist unverantwortlich, weil es daneben ist!)


Dabei müssten die Zahlen der wirtschaftlichen Ent-
wicklung in den neuen Bundesländern bei der Bundesre-
gierung die Alarmglocken klingeln lassen; denn das Wirt-
schaftswachstum fällt im Vergleich zu den alten Bundes-
ländern und die Arbeitslosigkeit stagniert auf sehr hohem
Niveau.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wider besseres Wissen erzählt er einen solchen Quatsch!)


Noch 1998 wollte sich der neu gewählte Bundeskanzler
an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit messen lassen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Klinkert, seitdem geht es mit der Arbeitslosigkeit herunter! Bis 1998 ging sie hoch!)


Wenn man sich die Ergebnisse in den neuen Bundeslän-
dern ansieht, dann erkennt man:


(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: „Halbieren“ hat er gesagt! „Halbieren!“)


– Hören Sie mir doch erst einmal zu! Ich sage, wie die
Zahlen in der Realität aussehen.

1998 betrug die Arbeitslosigkeit in den neuen Bun-
desländern 17 Prozent. Im Jahr 2000 wird sie bei unge-
fähr 17,1 Prozent liegen. Im günstigsten Fall wird sie im
kommenden Jahr – auch nach Aussage der Wirtschafts-
weisen – um 0,4 Prozentpunkte sinken. Anders ausge-
drückt: Die Arbeitslosigkeit betrug 1997 im Osten unge-
fähr das 1,8fache der Arbeitslosigkeit im Westen. Sie wird
im Jahr 2001 das Zweieinhalbfache der Arbeitslosenquote
im Westen betragen. Wer dann noch davon spricht, dass
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den neuen
Bundesländern ein maßgeblicher Erfolg erzielt worden
ist, der verkleistert schlichtweg die Augen der Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vor dem Hintergrund der Lage, in der sich die neuen

Bundesländer befinden, ist die massive Kürzung der Re-
gionalförderung unverantwortlich. Im Entschließungsan-
trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Ta-
gesordnungspunkt ist von „Verstetigung der Mittel“ oder




Ulrich Klinkert

12795


(C)



(D)



(A)



(B)


von einer „erfolgreichen Politik der Bundesregierung zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ die Rede. Ich emp-
finde das als Verhöhnung der Menschen in den neuen
Bundesländern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Bundes-
regierung, die in der Lage ist, sich in Brüssel durchzuset-
zen. Wir brauchen aber mindestens genauso dringend eine
Bundesregierung, die im eigenen Land etwas bewegen
kann, statt es zu lähmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413310200
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion.


Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1413310300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
legen! Liebe Kolleginnen! Herr Klinkert, im Oktober hat-
ten wir den niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit seit
sechs Jahren – gute Aussichten für das kommende Jahr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Nur im Westen!)


Auch die fünf Weisen haben gestern einen weiteren
Rückgang der Arbeitslosigkeit um 200 000 Personen vo-
rausgesagt. Gleichzeitig verzeichnen sie hohe Wachs-
tumsraten der Wirtschaft von 3 Prozent in diesem Jahr und
im nächsten Jahr.


(Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Auch nur im Westen!)


Das ist das Ergebnis der erfolgreichen Wirtschafts-,
Wachstums- und Beschäftigungspolitik der Bundesregie-
rung. Auch die ostdeutsche Wirtschaft wächst. So ist dort
das verarbeitende Gewerbe mit einem Produktionszu-
wachs von 8,4 Prozent in 1999 erstmalig zum Träger von
Wachstum und Beschäftigung geworden.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, trotz – da gebe ich
Ihnen teilweise Recht – vieler anderer positiver Signale
profitieren die Arbeitsmärkte in den neuen Ländern noch
nicht in gleichem Maße wie die Arbeitsmärkte in den al-
ten Ländern. Das ist korrekt. In Bezug auf die Arbeitslo-
senquote ist Deutschland immer noch in Ost und West ge-
spalten. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass
Bundesregierung und Bundesländer weiterhin auf die
Strukturpolitik setzen. Solange nämlich die Lebensver-
hältnisse gespalten sind, gibt es zur regionalen Wirt-
schaftsförderung, so wie sie hier mit dem 29. Rahmenplan
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ vorgelegt wurde, keine Alternative.

Eine effektive Strukturpolitik muss allerdings be-
stimmte Zielgruppen genauer ins Auge fassen. So zum
Beispiel die Zielgruppe der Frauen, die der Kollege
Werner Schulz dankenswerterweise bereits in seiner Rede
berücksichtigt hat. Kaum eine Gruppe in Deutschland ist
auf so bedrückende Weise von Arbeitslosigkeit betroffen

wie die Frauen in Ostdeutschland. Der Einbruch bei der
Beschäftigung nach der Wende traf Frauen in den neuen
Bundesländern besonders stark. Bis heute, zehn Jahre da-
nach, stellt sich der Arbeitsmarkt für Frauen nach wie vor
weitaus ungünstiger dar als der für Männer. So liegt in den
neuen Bundesländern die Arbeitslosenquote von Frauen
im Jahre 1999 mit 19,8 Prozent deutlich höher als die der
Männer, die bei 15,5 Prozent liegt; nämlich um mehr als
ein Viertel.

Hinzu kommt, dass Frauen es immer noch sehr viel
schwerer haben, Arbeit zu finden. Nach Angaben der
Bundesanstalt für Arbeit lag die durchschnittliche
Dauer der Arbeitslosigkeit von Frauen mit 36Wochen fast
50 Prozent über der der Männer, die bei 24,6Wochen lag.
Im Vergleich zu den Frauen in den alten Bundesländern
schneiden die Frauen in den neuen Bundesländern
schlechter ab, denn sie sind mehr als doppelt so häufig ar-
beitslos.

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir verzeichnen
also in einem doppelten Sinne gespaltene Lebensverhält-
nisse: zwischen den alten und den neuen Bundesländern
einerseits, zwischen Frauen und Männern in den neuen
Bundesländern andererseits. Wir stellen fest: Frauen sind
überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Von
den Erfolgen der regionalen Wirtschaftspolitik profitieren
sie aber nur unterdurchschnittlich.

Wir von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stellen mit
unserem Entschließungsantrag auf eine zielgenaue Struk-
turpolitik ab. Deshalb wollen wir, dass künftig Förder-
konzepte unter dem Gesichtspunkt entwickelt werden,
dass sie besser zur Überwindung der Frauenarbeitslosig-
keit beitragen. Wir wollen im Rahmen einer Erfolgskon-
trolle die Maßnahmen ermitteln, die zur Überwindung der
Frauenarbeitslosigkeit besonders erfolgreich sind. Wir
wollen, dass künftig für die einzelnen Fördergebiete Ar-
beitsmarktdaten getrennt nach Frauen und Männern aus-
gewiesen werden.

Mit einer solchen zielgenaueren Zuschneidung der
Strukturpolitik leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur
Effizienzsteigerung und zur Herstellung von Chancen-
gleichheit. Das gebieten nicht nur das Grundgesetz und
der Amsterdamer Vertrag, das gebietet auch die ökono-
mische Vernunft. Das Potenzial unserer gut ausgebildeten
Frauen nicht richtig zu nutzen wäre nämlich eine
unglaubliche Verschwendung der einzigen Ressource, die
Deutschland hat: eine Verschwendung von Wissen, Bil-
dung und Erfahrung. Deshalb bitte ich Sie, dem Ihnen
vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413310400
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das ist aber ein Höhepunkt!)





Ulrich Klinkert
12796


(C)



(D)



(A)



(B)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1413310500
Frau
Präsidentin! Verehrte Kollegen! Verehrte Bürgerinnen
und Bürger!

Mir hat das Bild von Rainer Brüderle gut gefallen, die
EU-Regionalpolitik mit einem Dinosaurier zu verglei-
chen – kleiner Kopf und dicker Hintern, der alles platt
macht. Für mich ist die EU-Regionalpolitik eher noch wie
eine Krake. Sie erstickt immer mehr jede örtliche Initia-
tive und das müssen wir gemeinsam ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Regionalförderung der Vergangenheit, als es noch

mehr Mitsprache gab, war ein Erfolg, ablesbar besonders
an Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern. Von 1991
bis 1999 hat sie zur Sicherung von über 1 Million Ar-
beitsplätzen und zur Neuschaffung von 780 000 zusätzli-
chen Arbeitsplätzen beigetragen. Das ist ein großer Erfolg
für die regionale Strukturpolitik.

Die Regionalförderung hat Wachstumsimpulse gege-
ben und zu modernen Strukturen beigetragen. Wer mit of-
fenen Augen durch die neuen Bundesländer fährt, erlebt,
dass sich eine ganze Region im Aufbruch befindet, hier
ein Modellraum entsteht, der Vorbild und Beispiel der eu-
ropäischen Osterweiterung werden wird. Doch noch gibt
es strukturelle Verwerfungen, noch kann man von glei-
chen Lebensbedingungen in unserem Land nicht spre-
chen.

Für fast 40 Prozent der Bevölkerung gilt: Ihr Einkom-
men liegt bis zu 25 Prozent unter dem europäischen
Durchschnitt, so nachzulesen im Bericht der Bundesre-
gierung zum 29. Rahmenplan. Er enthält weitere Feststel-
lungen, die wir teilen: In den neuen Ländern ist die Auf-
holphase noch nicht abgeschlossen. Es gibt noch keinen
sich selbst tragenden Aufschwung am Arbeitsmarkt.

Und in den alten Ländern? Die Rahmenbedingungen
für schwach strukturierte Regionen haben sich eher ver-
schärft als gemildert, der Anpassungsdruck für Schwach-
regionen hat zugenommen. Die krisenhafte Lage im
ländlichen Raum hat sich durch die EG-Agrarreform
wesentlich verstärkt. Sie belastet die deutsche Landwirt-
schaft in Zukunft mit 5 Milliarden DM zusätzlich. Das
Höfesterben nimmt zu. Aktuell kommt hinzu, dass der
Truppenabbau gerade in den Randräumen Deutschlands
eine folgenreiche zusätzliche Belastung mit sich bringt.

Doch trotz dieser Herausforderungen, die ein Mehr an
Maßnahmen und Mitteln erfordern, hat es in der regiona-
len Strukturpolitik eine Tendenz- und Wirkungswende ge-
geben. Tatsache ist: Seit dem 1. Januar 2000 ist der För-
derumfang in Deutschland durch die EU-Kommission
drastisch reduziert worden, von 40,7 Prozent der Gesamt-
bevölkerung auf 34,9 Prozent, fast 6 Millionen Einwoh-
ner weniger. Bei Ziel-2-Gebieten hat Brüssel bei
10,3 Millionen Menschen Schluss gemacht, dass heißt:
um über 5 Millionen Einwohner reduziert.

Tatsache ist: Die Förderkulisse in Deutschland-West ist
auf dem niedrigsten Stand, den es je gab. Tatsache ist: Die
EU hält immer mehr das Heft des Handelns in der Hand.
Nationale Eigenständigkeit wird immer stärker zurückge-

drängt. Brüssel diktiert das Geschehen, verbunden mit ei-
nem teilweise unvertretbaren bürokratischen Aufwand.

Tatsache ist schließlich, dass die Regierung in ihrer
Antwort mehr oder weniger verschlüsselt mitteilt: Mit ei-
nem Ende der Regionalförderung in Deutschland ist im
Jahr 2006 zu rechnen. Tatsache ist aber auch, dass nur
noch mit EU-Mitteln Regionen gefördert werden, in de-
nen die Kaufkraftparität weniger als 75 Prozent des euro-
päischen Gesamtdurchschnitts beträgt.

Erinnern wir uns: Für fast 40 Prozent der Bevölkerung
hat die Regierung Förderung von Brüssel gefordert. Das
bedeutet, dass fast 40 Prozent unserer Bevölkerung in
Einkommensverhältnissen leben, die unter dem europä-
ischen Durchschnitt liegen. Es gibt also eine Wohlstands-
grenze in unserem Land, nicht nur zwischen Ost und
West, sondern noch mehr zwischen Ballungsräumen und
ländlichen Räumen, und sie wird durch steigende Ener-
giekosten und durch die Ökosteuer immer weiter ver-
schärft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer Binnenwanderung verhindern will, die zu neuen

großen Problemen in unserem Land führen wird, muss zü-
gig unserem Verfassungsauftrag zur Schaffung gleich-
wertiger Lebensverhältnisse gerecht werden. Allein die
Binnenwanderung zwischen Ost und West betrug in den
letzten zehn Jahren 1 Million Menschen.

Die Regierung argumentiert: Die neuen Bundesländer
bleiben mit 20Milliarden DM in der höchsten Förderstufe
bis 2006. 500 Millionen DM zusätzlich fließen jährlich in
die Strukturförderung. Deutschland erhält also noch ein-
mal einen anständigen Schluck aus der Pulle, bis es in Sa-
chen Regionalhilfe Tabula rasa gibt. Doch der Schluck
bleibt im Hals stecken, wenn man die Gesamtleistung
Deutschlands in Brüssel und die Rückflüsse vergleicht.

Im Einzelplan 60 unseres Haushalts ist nachlesbar:
Deutschland wird in diesem Jahr 42,8 Milliarden DM an
die EU abführen und erhält 21Milliarden DM zurück, we-
niger als 50 Prozent. Für 2001 sind 44,9 Milliarden DM
vorgesehen, für 2002 45,9 Milliarden DM. Das sind fast
26 Prozent des EU-Haushalts, Tendenz steigend. Die
Rückflüsse dagegen stagnieren bei gut 21Milliarden DM.
Von einer Steigerung der Strukturmittel ist keine Rede, sie
bleiben für sieben Jahre eingefroren.

Einen tatsächlichen Rückgang gibt es bei den nationa-
len Mitteln für die Gemeinschaftsaufgabe. Gab es in
Deutschland West 1991 noch 1 Milliarde DM, gibt es
heute im neuen Haushalt nur noch 242 Millionen DM,
also 750 Millionen DM weniger. Ich finde – da sind wir
uns ja auch alle einig –, dieser Abbau muss gestoppt wer-
den.

Wir von der Union erwarten: Es darf zu keinem Ende
der Regionalförderung nach 2006 kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Regionalförderung muss raus aus der europäischen
Zentralisierung, wieder zurück in nationale Kompetenz.
Es darf nicht bei dem alleinigen Initiativrecht der EU in






(C)



(D)



(A)



(B)


der Regionalpolitik bleiben. Den nationalen Regierungen
ist das Initiativrecht einzuräumen. Es muss auch nach
2006 ein Programm für periphere Regionen geben. Der
Antrag unserer Fraktion, ein Grenzlandgürtel-Aktions-
plan, sollte eine breite Unterstützung erfahren. – Wir er-
warten in diesen fünf Punkten aktives Regierungshan-
deln.

In der Regionalpolitik hat es in der Vergangenheit stets
eine breite parlamentarische Basis gegeben. Dabei sollte
es bleiben. Unsere überfraktionelle Initiative, für die ar-
men Schlucker zu streiten, hat zweifellos dazu beigetra-
gen. Für die Unterstützung dabei möchte ich mich beson-
ders bei meinem Kollegen Christian Müller sowie bei der
APER bedanken, die mit Umsicht die Interessen der Re-
gion wahrnehmen.

Doch auch die APER ist der Auffassung, dass die Pra-
xis der Regionalförderung eine Reform braucht. Eine Be-
triebsgründung in Neubrandenburg wird mit 50 Prozent
EU- und GA-Fördermitteln bezuschusst, in Berlin mit fast
30 Prozent, in meiner Heimatstadt Flensburg mit 15 Pro-
zent, weil Schleswig-Holstein keine Ergänzungsmittel
aufbringen kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413310600
Herr Kollege, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1413310700
Ich
komme zum Schluss. Alle Städte gehören zu Förderge-
bieten. Wie wird wohl ein Betriebsgründer bei diesen un-
terschiedlichen Bedingungen entscheiden?

Wir brauchen eine Veränderung dieser Bedingungen.
Wir brauchen ein Ende der Wettbewerbsverzerrung bei
der Regionalförderung. Wir brauchen mehr Gerechtig-
keit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413310800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/3250 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 14/4623 soll an dieselben
Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b und ,
wie heute Morgen beschlossen, die Tagesordnungspunkte
16 a und 16 b auf:

5 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Max
Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Zuwanderung
– Drucksache 14/3679 –

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Max
Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.
„Berliner Rede“ des Bundespräsidenten umset-
zen – Zuwanderung nach Deutschland verbind-
lich regeln
– Drucksache 14/3697 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

16 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Beauftragten der Bundesregierung
fürAusländerfragen über die Lage derAuslän-
der in der Bundesrepublik Deutschland
– Drucksache 14/2674 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Eva Bulling-Schröter, Roland Claus, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Kurdische Namensgebung in der Bundesrepu-
blik Deutschland ermöglichen
– Drucksache 14/3749 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P.-
Fraktion zehn Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Guido Westerwelle von der F.D.P.-Fraktion.




Wolfgang Börnsen (Bönstrup)

12798


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413310900
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will
zunächst eine Bemerkung zu der Tatsache machen, dass
wir eine verbundene Debatte führen. Unabhängig von
Geschäftsordnungsüberlegungen möchte ich mein per-
sönliches Empfinden zum Ausdruck bringen, dass ich es
sehr bedauere, dass der Bericht der Ausländerbeauftrag-
ten, den ich für ein sehr bemerkenswertes Dokument
halte, sozusagen an diese Debatte angehängt beraten wer-
den muss. Dieser Bericht hätte eine eigene Debatte in die-
sem Hause verdient,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


weil eine Reihe von hervorragenden Anregungen in ihm
enthalten sind. Vieles, was dort enthalten ist, entspricht
nicht meiner Meinung und auch nicht der Meinung mei-
ner Fraktion; aber darum geht es an dieser Stelle nicht.
Der Bericht wäre eine exzellente Diskussionsgrundlage
gewesen. Ich bedauere es nachdrücklich und halte dieses
Vorgehen für einen großen Fehler.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir reden in Deutschland auf der einen Seite immer

davon, dass die Migrationspolitik eine zentrale Aufgabe
für unsere Gesellschaft darstelle. Wenn aber der Bundes-
tag durch eine entsprechende Debatte zum Ausdruck brin-
gen kann, dass es sich um eine solch zentrale Angelegen-
heit unserer Gesellschaft für die Zukunftsfähigkeit
handelt, dann müssen wir auf der anderen Seite erleben,
dass die verschiedenen Punkte in einen Topf geworfen
werden, sodass eine Differenzierung kaum noch möglich
ist.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir Freien Demokraten legen heute zum zweiten

Mal einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Er wurde
erstmalig 1997 vom Bundesrat auf Initiative von Rhein-
land-Pfalz eingebracht. Dieser Gesetzentwurf trägt die
Handschrift des verstorbenen Justizministers von
Rheinland-Pfalz, Peter Caesar, der gewissermaßen noch
im Nachhinein ein großes Kompliment für seine Arbeit
bekommt. Denn dieser Gesetzentwurf ist auch heute noch
modern und zeitgemäß. Lange bevor in diesem Haus da-
rüber diskutiert wurde, ob wir eine Zuwanderungsre-
gelung brauchen, hat er das Problem erkannt und Lösun-
gen vorgelegt. Lange Zeit gab es in diesem Hause keine
Bereitschaft – von der Bereitschaft Einzelner abgesehen –,
die Zuwanderungspolitik endlich als eine Chance und als
eine Notwendigkeit für die Politik zu begreifen. Es ist
wirklich bemerkenswert, dass Peter Caesar als Mitglied
der sozialliberalen Regierung von Rheinland-Pfalz schon
lange vor der Zeit einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt
hat.


(Beifall bei der F.D.P.)

Heute diskutieren wir über diesen Gesetzentwurf, der

natürlich – das ist gut so – überarbeitet und aktualisiert
worden ist, um die Erkenntnisse aus den Debatten der
letzten Jahre aufzugreifen. Eine moderne Migrationspoli-
tik muss nach Auffassung der Freien Demokraten auf
zwei Säulen stehen: Wir müssen erstens diejenigen, die in
Deutschland leben, auf vernünftige Weise integrieren,

und wir müssen zweitens denjenigen, die nach Deutsch-
land kommen, ein geregeltes Zuwanderungsverfahren er-
möglichen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Jeder andere Ansatz wäre nicht zeitgemäß.

Wir haben in dieser Legislaturperiode – über die Par-
teigrenzen hinweg – schon ein modernes Staatsan-
gehörigkeitsrecht beschlossen, das ein Optionsmodell
beinhaltet. Dieses Optionsmodell kommt übrigens den
Regelungen sehr nahe, die die Landesregierung von
Rheinland-Pfalz und die wir als Freie Demokraten sei-
nerzeit eingebracht hatten. Dieser Teil der in dieser Le-
gislaturperiode anstehenden Aufgabe ist erledigt. Die Er-
ledigung des anderen Teils liegt noch vor uns.

Es ist aus unserer Sicht ein Fehler, wenn Kommissio-
nen – egal, ob es sich um eine Regierungskommission
oder um, wie bei der Union, eine parteigebundene Kom-
mission handelt –, die sich mit einer modernen Zuwande-
rungspolitik beschäftigen, lediglich als Instrument der
Vertagung dienen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir möchten mit unserem Gesetzentwurf parlamentari-
schen Druck aufbauen, damit noch in dieser Legislatur-
periode ein modernes Zuwanderungsrecht im Interesse
aller in Deutschland Lebenden beschlossen wird.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413311000
Herr Kollege
Westerwelle, gestatten Sie Zwischenfragen der Kollegen
Cem Özdemir und Dieter Wiefelspütz?


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413311100
Ja, selbstverständ-
lich.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413311200
Ich
danke Ihnen, dass Sie uns die Möglichkeit geben, Zwi-
schenfragen zu stellen.

Herr Kollege Westerwelle, angesichts der Tatsache
– Sie haben vorhin das Staatsangehörigkeitsrecht ange-
sprochen und die Rolle von Rheinland-Pfalz bei dem Ver-
such, einen Kompromiss zu finden, erwähnt –, dass Ihre
Fraktion einen Antrag vorgelegt hat, der eine Gebühren-
senkung und eine Verlängerung der Frist beinhaltet, bis zu
der die Kinder nachträglich in den Genuss des Geburts-
rechts kommen, möchte ich Sie fragen: Sind Sie mit mir
darin einig, dass die Tatsache, dass gerade die erste
Generation von dem Angebot des neuen Staatsangehörig-
keitsrechts weniger Gebrauch macht, als es vor der Ände-
rung des Staatsangehörigkeitsrechts der Fall war, ein Be-
leg dafür ist, dass gerade die Teile, die Rheinland-Pfalz in
das Gesetz eingebracht hat, dazu beigetragen haben, dass
die Akzeptanz des Gesetzes bei denen, für die wir das Ge-
setz gemacht haben, nämlich den Nichtdeutschen, leider
nicht so ist, wie wir uns das wünschen sollten?


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413311300
Nein, dieser Mei-
nung bin ich nicht. Ich glaube auch, dass Sie da die Ini-
tiative der Freien Demokraten gründlich missverstehen
wollen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Zunächst zur Frage hinsichtlich der ersten Generation.
Ich bin unverändert der Auffassung – das ist die Meinung
meiner Fraktion und es ist das, was der Deutsche Bun-
destag auf unsere Initiative hin beschlossen hat –, dass je-
mand, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, beurteilen
kann, ob er die deutsche Staatsangehörigkeit braucht.
Wenn das so ist, braucht er keine zweite.

Das Zweite, was dazu gesagt werden muss, betrifft die
Kinder, die bereits geboren sind. Wir haben in unserem
Gesetz, das wir über die Parteigrenzen hinweg verab-
schiedet haben, beschlossen, dass sich die Kinder, die in
Deutschland geboren werden und mit dem deutschen Pass
groß werden, dann, wenn sie volljährig sind, entscheiden
müssen, ob sie den Pass ihrer Eltern oder den deutschen
Pass haben möchten. Denn wir sind der Meinung, Inte-
grationspolitik setzt ein Integrationsangebot, aber auch
eine bewusste Integrationsentscheidung der Betroffenen
voraus.

Jetzt ging es um die Übergangsregelung für Kinder, die
bereits in Deutschland geboren wurden und für die wir im
Gesetz eine so genannte analoge Regelung beschlossen
haben. Die Praxis zeigt, dass zum Beispiel die Gebühren
in diesem Zusammenhang ein Hindernis für etwas sind,
was wir politisch erreichen möchten, nämlich dass mög-
lichst viele Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit be-
kommen, damit sie sich hier integrieren. Wenn man nun
aufgrund der Erfahrungen mit dem Verwaltungsverfahren
nach einem Jahr zu neuen Erkenntnissen gelangt ist, dann
wäre es doch borniert, wenn der Deutsche Bundestag
diese nicht zur Kenntnis nehmen und seine gesetzgebe-
rischen Konsequenzen nicht dementsprechend ziehen
würde.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen haben wir unseren Antrag vorgelegt.

Wenn Sie das genauso sehen, ist es mir gleichgültig, ob
Sie in der Debatte sagen: Das habe ich, Özdemir, schon
vor 80 Jahren gesagt. – Meinetwegen, Hauptsache, Sie
stimmen zu.


(Cem Özdemir [Bündnis 90/DIE GRÜNEN]: Sehe ich so alt aus?)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413311400
Herr Kollege
Wiefelspütz, Ihre Frage bitte.


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413311500
Frau Präsidentin,
ich möchte ausdrücklich erklären: Ich wollte den Kolle-
gen Özdemir nicht kränken, indem ich den Eindruck er-
wecke, er sähe aus wie 80.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist doch nicht schlimm! Wir werden doch alle mal 80! Manche vielleicht auch nicht!)


Bitte, Herr Wiefelspütz.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413311600
HerrKollegeWesterwelle,
Sie haben gerade die so genannte Zuwanderungskommis-
sion als Verschiebebahnhof kritisiert, wenn ich das richtig

verstanden habe. Sind Sie denn ernsthaft der Auffassung,
Kollege Westerwelle, dass unsere frühere Kollegin Frau
Schmalz-Jacobsen, Ausländerbeauftragte der damaligen
Bundesregierung – von uns allen sehr geschätzt –, dieser
Kommission ihre Arbeitskraft, ihr Engagement, ihre Be-
gabung, ihre schöpferische Leistung


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Hast du noch was?)


in der Erkenntnis zur Verfügung stellt, dass dies ein Ver-
schiebebahnhof ist? Das kann ich nicht glauben. Widerle-
gen Sie mir das bitte!


Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1413311700
Zunächst einmal,
Herr Kollege, möchte ich ausdrücklich die positiven
Attribute, die Sie mit meiner Parteifreundin Cornelia
Schmalz-Jacobsen verbunden haben, unterstreichen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Mir wäre es lieb gewesen, Sie hätten das schon in der al-
ten Legislaturperiode öffentlich so gesagt.


(Leyla Onur [SPD]: Haben wir! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Herr Wiefelspütz sollte sich mehr um jüngere Damen kümmern!)


Nun jenseits der Frotzelei mit großem Ernst: Nein, ich
bin nicht der Auffassung, dass diese Kommission ein Feh-
ler ist, überhaupt nicht.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ein bisschen schon!)


Im Gegenteil, wenn Sie, Herr Kollege, nachlesen, was ich
hier im Bundestag schon mehrfach gesagt habe, werden
Sie feststellen, dass ich immer der Meinung war, dass die
Einsetzung der Kommission sinnvoll ist. Meine Partei
will aber verhindern – deswegen machen wir parla-
mentarischen Druck –, dass diese Kommission lange als
Verschiebebahnhof gebraucht wird, weil man Angst vor
der eigenen Courage hat. Wir wollen, dass in dieser Le-
gislaturperiode nicht nur getagt, sondern ein Gesetz ver-
abschiedet wird.


(Beifall bei der F.D.P. – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Westerwelle, Sie machen Vorschläge, wir machen Politik, einverstanden?)


– Das war die Arroganz der Macht, Herr Kollege
Wiefelspütz. Die sollten Sie sich nach zwei Jahren noch
nicht angewöhnen.


(Ilse Janz [SPD]: Mit Arroganz kennen Sie sich gut aus!)


Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch der Herr Bundespräsident hat sich mit sehr klaren
Worten für eine gesetzliche Einwanderungsregelung aus-
gesprochen. Er hat am 12. Mai dieses Jahres eine bemer-
kenswerte Berliner Rede gehalten. Dort finden wir auch
Aussagen zur Notwendigkeit einer entsprechenden Ein-
wanderungssteuerung. Wenn ein Verfassungsorgan, in
dem Falle unser Bundespräsident, diese in kurzen, präg-
nanten Worten als Notwendigkeit beschreibt, dann steht
es dem Deutschen Bundestag gut an, wenn er eine solche
Initiative des Bundespräsidenten begrüßt und damit zum




Dr. Guido Westerwelle
12800


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausdruck bringt, dass er in diesem Fall für uns alle ge-
sprochen hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen rechne ich mit Ihrer Zustimmung, was den vor-
liegenden Antrag angeht. Ich glaube, das ist wirklich das
Mindeste, was man erwarten kann.

Ich möchte mich noch einmal an Sie von den Grünen
wenden – denn ich habe mir natürlich angeschaut, was Sie
in Ihrem Parteirat beschlossen haben, und in dem Papier
nachgelesen, das Sie in diesem Zusammenhang gemein-
sam vorgelegt haben –: Sie müssen erkennen, dass die
Zeit, in der Sie in der Opposition waren, vorbei ist. Heute
erwartet man von Ihnen nicht Denkschriften, sondern Ge-
setzentwürfe.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ CSU]: Schon gar nicht Kommissionen!)


Wenn Sie in der Regierung sind, können Sie nicht nur be-
schreiben und formulieren, was Sie gerne hätten. Viel-
mehr müssen Sie bereit sein, so mutig zu sein, den parla-
mentarischen Weg einzuschlagen. Sie haben bis heute
dazu keinen Gesetzentwurf eingebracht. Es ist traurig,
dass bis heute im Deutschen Bundestag nur ein Gesetz-
entwurf der F.D.P. bezüglich einer kontrollierten Zu-
wanderungssteuerung vorliegt.


(Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben da in der alten Regierung nichts zustande gebracht, Herr Westerwelle!)


Sie müssten meiner Einschätzung nach mehr machen, als
Sie bisher getan haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Aufsätze zu schreiben ist eine schöne Tätigkeit, Herr Kol-
lege Özdemir. Das tue auch ich gelegentlich gerne. Aber
wir erwarten hier auch von Ihrer Fraktion Schwarzbrot.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächstes Jahr!)


Meine Damen und Herren, Kernpunkt einer Zuwan-
derungssteuerungspolitik muss sein, dass wir in Deutsch-
land bereit sind zu quotieren. Wir müssen bereit sein,
Zuwanderungshöchstgrenzen festzusetzen. Der große
Unterschied zwischen Ihrer Politik und unserer Politik be-
steht derzeit darin, dass Sie eigentlich eine Politik einer
nach oben offenen Zuwanderung machen wollen,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Richtig!)

während wir sagen: Zuwanderung braucht Höchstgrenzen
bzw. Höchstquoten und muss sich endlich auch an wohl-
verstandenen nationalen Interessen in unserem Lande
ausrichten.


(Beifall bei der F.D.P. – Zuruf des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])


Jedes Land in Europa und im Grunde genommen auch je-
des andere Einwanderungsland geht einerseits den Weg

der Integration und andererseits vor allen Dingen auch
den Weg der gezielten Zuwanderungssteuerung.Wir in
Deutschland müssen selbstverständlich entscheiden, wen
wir zum Beispiel unter beruflichen Gründen, unter Bil-
dungsgesichtspunkten und Altersstrukturgesichtspunkten
nach Deutschland einladen, wen wir hier haben möchten,
weil er, weil sie unser Land voranbringt. Das hat nichts
mit irgendwelchen humanitären Überlegungen zu tun und
nichts damit, dass Ansprüche aus Art. 16 des Grundgeset-
zes in irgendeiner Weise beschränkt werden sollen.

An die CDU/CSU gerichtet, möchte ich feststellen: Ich
halte es für einen großen Fehler der Konservativen, dass
sie die gesamte Diskussion über eine bessere Zuwande-
rungssteuerung, die heutzutage endlich geführt werden
muss, mit einer ziemlich platten Asyldiskussion verbin-
den.


(Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das Problem in Deutschland und das Problem unserer
Rechtslage ist nicht das Asylrecht. Wer, weil er verfolgt
und an Leib und Leben bedroht wird, in Deutschland
Schutz sucht, der muss in jedem Fall auch in Zukunft
Schutz finden.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Auch das muss im Grundgesetz stehen!)


Die Frage ist vielmehr: Haben wir nicht ein Vollzugs-
defizit? Müssen die Länder nicht eine verbesserte Voll-
streckung, was Abschiebungen angeht, durchführen? Ich
kann nicht akzeptieren, dass wir in Deutschland Asylbe-
werber haben, die rechtskräftig abgelehnt und sogar we-
gen Straftaten verurteilt wurden und dann anschließend
nicht in das Land zurückgeführt werden, aus dem sie ka-
men. Das gefährdet in Wahrheit die Akzeptanz des Asyl-
rechts in Deutschland sehr viel mehr. Darüber muss mei-
ner Einschätzung nach eine Diskussion geführt werden.


(Beifall bei der F.D.P.)

Pauschale Begriffe wie zum Beispiel „Leitkultur“ –

das Wort „Überlegenheitskultur“ würde sehr viel besser
passen –


(Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch!)

führen uns kein bisschen weiter. Sie müssen sich der sach-
lichen Auseinandersetzung stellen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sie aber auch!)


Wer nach Deutschland kommen will, der muss bereit sein,
sich zu integrieren, der muss natürlich unsere Sprache ler-
nen,


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Der muss sie können!)


sich auf den Boden unserer Verfassung begeben und un-
ser Werteverständnis haben. Es ist ein Fehler, wenn Sie
diese ganze Diskussion beenden wollen, indem Sie ein




Dr. Guido Westerwelle

12801


(C)



(D)



(A)



(B)


Schlagwort in die Welt setzen und mit einem Anspruch
der Überlegenheit jede differenzierte Diskussion erschla-
gen.


(Beifall bei der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Dummes Zeug! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Das wollen wir als Freie Demokraten jedenfalls nicht.
Auch dies zeigt den Unterschied zwischen einer konser-
vativen und einer modernen liberalen Partei.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen und Herren, wir möchten – das ist eine

Diskussion, die wir in diesem Haus führen möchten und
müssen –, dass die Zuwanderungspolitik in Deutschland
auf ein gesetzliches Fundament gestellt wird.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sie waren zu lange im Container, habe ich den Eindruck!)


Es ist für uns selbstverständlich, dass es humanitäre An-
sprüche gibt. Es ist für uns selbstverständlich, dass Men-
schen, die verfolgt werden, Schutz brauchen. Aber ebenso
selbstverständlich muss sein, dass Deutschland berechtigt
ist, nach eigenem wohlverstandenen nationalen Interesse
selbst zu entscheiden, wer zu uns kommt und hier leben
soll. Integration gehört selbstverständlich dazu.

Diesen Weg werden Sie irgendwann – früher oder spä-
ter – mitgehen. Sie werden behaupten, Sie hätten ihn er-
funden. Sie werden diesen Weg mitgehen, da bin ich mir
ganz sicher.


(Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413311800
Es spricht jetzt die
Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenminis-
terium, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413311900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Westerwelle, ich glaube, niemand hier im Haus braucht
ein Patent darauf anzumelden, dass er der Erfinder eines
Einwanderungsgesetzes sei; denn bis auf CDU/CSU ha-
ben in den vergangenen Jahren alle Parteien, die hier
vertreten sind, ihre Konzepte entwickelt. Den Werdegang
in meiner Partei kenne ich nun wirklich genau.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Bringen Sie einmal einen Gesetzentwurf ein!)


Uns sollte nicht das Windhundprinzip leiten, sondern
die Einsicht, dass ein gutes Gesetz – ich betone: ein gutes
Gesetz –


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Macht der Innenminister wieder einen Doppelbockanstich oder wo ist er?)


zur Steuerung der Zuwanderung sorgfältige Vorarbeit
voraussetzt: umfangreiche Datensammlungen und Pro-
gnosen, den Blick über den Tellerrand unserer nationalen

Grenzen hinaus, klare begriffliche Zuordnungen und
nicht zuletzt – das ist sehr wichtig – das Werben um die
Akzeptanz bei den Bürgern.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Was meinen Sie wohl, wer die hat? Fragen Sie die Leute draußen!)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., le-
gen offenbar mehr Wert auf Profilierung als auf Konsens.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Was soll denn das?)

Das finde ich schade, denn einige Elemente Ihres Gesetz-
entwurfs sind erwägenswert und greifen Vorschläge auf,
die wir schon vor etlichen Jahren gemacht haben.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sie haben doch einmal einen eigenen in Ihrer Oppositionszeit gehabt! Wo ist er denn?)


So bringt die F.D.P., Herr Zeitlmann, noch einmal die
Überlegung ein, die Entscheidung über die Aufnahme von
Zuwanderern in Deutschland nicht nur wirtschafts-, ar-
beitsmarkt- und entwicklungspolitisch, sondern auch un-
ter Berücksichtigung humanitärer Gesichtspunkte zu tref-
fen. – Herr Westerwelle, Sie haben offenbar übersehen,
dass es in Ihrem eigenen Entwurf auch um humanitäre
Aspekte ging. – Ich finde es ebenso richtig, dass man die
Vorbedingungen beim Namen nennt, die ein Interessent
erfüllen muss, damit sein Zuwanderungsantrag ange-
nommen werden kann. Andere Teile dieses Gesetzent-
wurfs aber sind wenig durchdacht, sie sind bürokratisch
und setzen vor allem zu einseitig auf die Pflichten des Zu-
wanderers, anstatt ihm auch Angebote zu Hilfen und
Entgegenkommen bei der Eingliederung zu machen.

Die neuen Chancen, die die Bundesregierung auslän-
dischen Computerspezialisten einräumt, als „kurzfristige
bereichsspezifische Spezialregelung“ abzutun, führt in
die Irre.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Ist es doch! Es ist eine Saisonarbeiterregelung, nur müssen die Leute keinen Spargel stechen!)


Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, welche Bresche die
Green-Card-Initiative der Bundesregierung in eine abso-
lut festgefahrene und von Vorurteilen und Denkblockaden
überwucherte öffentliche Diskussion über Migrationsfra-
gen geschlagen hat!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])


Die Wirkung war so stark, dass sich die CDU in ihrem
neuen Thesenpapier von dem Dogma, dem zufolge
Deutschland kein Einwanderungsland sei, gelöst hat
und zur – freilich sehr späten – Einsicht gekommen ist.
Das möchte ich Ihnen, den Kollegen von der Union, aus-
drücklich bescheinigen. Sie haben sich bewegt, wenn
auch zehn bis 15 Jahre zu spät. Sie haben das zweifellos
in dem Bemühen getan, die tiefe Kluft zwischen sich und
der Wirtschaft ein bisschen zu überbrücken.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nicht so viel Gas im Leerlauf, Frau Staatssekretärin!)





Dr. Guido Westerwelle
12802


(C)



(D)



(A)



(B)


So weit, so gut. Es wäre alles ganz ordentlich gelaufen,
hätten sich nicht Herr Merz und Frau Merkel selber mit
der unseligen und unsäglichen Leitkultur-Debatte wie-
der in den Sumpf hineingezogen. Welch eine vertane
Chance! Es geht doch nicht an, dass Sie vormittags von
Weltoffenheit und Toleranz sprechen und Solidarität mit
den Minderheiten in unserer Gesellschaft bekunden und
abends mit deren Ausgrenzung auf Stimmenfang gehen.
Eine solche Politik darf es nicht geben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir wollen Intoleranz ausgrenzen, Frau Staatssekretärin!)


Es geht auch nicht an, unsere christlich-abendländische
Tradition zum Fundament unseres Zusammenlebens zu
erklären, dabei aber völlig zu ignorieren, dass wir es mitt-
lerweile auch mit Menschen anderer Religionsgemein-
schaften zu tun haben, die friedlich und auf Dauer bei uns
leben wollen.

Professor Oberndörfer, Politologe und Vorsitzender
des Rates für Migration, schreibt:

Zur Kultur der Bundesrepublik Deutschland gehören
schon jetzt die religiösen Vorstellungen seiner jüdi-
schen, muslimischen oder buddhistischen Staatsbür-
ger. Einzelnen Minderheiten oder auch Mehrheiten
wird die Freiheit des Bekenntnisses und der Wer-
bung für ihre jeweiligen kulturellen Werte einge-
räumt. Deren Verbindlichkeit für die Gesamtheit
aber darf im modernen Verfassungsstaat nicht vom
Staat und seinen Organen eingefordert und erzwun-
gen werden.

Ich glaube, Sie haben nicht erkannt, was dahinter steckt.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt keinen Volkshochschulvortrag, sondern etwas zum Gesetzentwurf!)


Da sich die CSU abermals vom Begriff des Einwande-
rungslandes Deutschland abgrenzt – wenn auch mit der
relativierenden Einschränkung „klassisch“ –, und zu-
gleich mit ihrer Absicht, das Asylrecht zu beschneiden,
nicht hinterm Berg hält, während die CDU in dieser Frage
offen bleibt, haben wir es – leider – mit einer tief gespal-
tenen Union zu tun.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Oh je! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/ CSU]: Sie haben die Faschingsrede erwischt!)


Das kann uns freilich nicht davon abhalten, in der Frage
der Zuwanderung nach einem breiten Konsens zu suchen;
dies halte ich für sinnvoll.

Die Bundesregierung hat großes Vertrauen in die Ar-
beit der kritisch gewürdigten Zuwanderungskommis-
sion unter Leitung von Frau Süssmuth. Auch die Bürge-
rinnen und Bürger begleiten diese Arbeit mit Sympathie.
Ich kann nur an alle im Bundestag vertretenen Parteien
ausdrücklich appellieren, die Empfehlungen, die diese
Kommission im nächsten Sommer vorlegen wird, zu be-
herzigen.

Wir kommen in der Debatte nur weiter, wenn wir Vor-
teile und Probleme der Migration offensiv und sachlich
beim Namen nennen. Der Beitrag des Zuwanderers für

unser gedeihliches Zusammenleben bezieht sich nicht nur
auf Arbeits- und Kaufkraft, auf Steuerzahlungen und So-
zialversicherungsabgaben, sondern zum Beispiel auch auf
die Leistungen als Unternehmer und die integrationsför-
dernde Wirkung, die von ausländischen Familien ausgeht.
Zum Bericht der Ausländerbeauftragten der Bundesregie-
rung sage ich ausdrücklich, dass wir ihn im Unterschied
zur früheren Bundesregierung nicht cool-distanzierend
abtun, sondern als einen wertvollen Beitrag zur migrati-
onspolitischen Debatte gewürdigt wissen wollen.

Ebenso wahr ist auch, dass nicht jeder Neuankömm-
ling mit edlen Absichten hierher kommt, dass es Abschot-
tungstendenzen und den Trend zu Parallelgesellschaften
gibt. Nicht ohne Grund stellt die Bundesregierung im
neuen Staatsangehörigkeitsrecht Anforderungen an
Sprachkenntnisse und an Verfassungstreue.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Beim Einbürgern! Das ist etwas ganz anderes!)


Ich glaube auch, dass wir künftig die auf Dauer angelegte
Zuwanderung mit klaren und verbindlichen Regelungen
für die Integration verknüpfen sollten. Dass sich Zuwan-
derer sprachlich schulen, beruflich orientieren und auf un-
ser Grundgesetz einlassen sollen, halte ich für selbstver-
ständlich.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sie haben keine Leitkultur!)


Allerdings muss ihnen der aufnehmende Staat auch den
Weg dafür ebnen: mit erschwinglichen Sprachkursen so-
wie Rat und Betreuung. Vielleicht können wir uns vom
niederländischen Modell der Eingliederungsvereinbarung
anregen lassen, ohne es völlig zu kopieren.

Eines sollten wir in diesem Zusammenhang hier im
Parlament gemeinsam festhalten: Das verbale Sortieren
von Zuwanderern in solche, die uns nützen, und solche,
die uns ausnützen, ist menschenverachtend und gehört
nicht in diese Auseinandersetzung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundespräsident hat andere, wie ich finde, sehr viel
treffendere Ausdrücke gewählt. Er sprach von Menschen,
die uns brauchen, und Menschen, die wir brauchen. Bei-
des markiert die möglichen Wege nach Deutschland. Der
erste war zweifellos bisher der vorherrschende: Asylsu-
chende, Bürgerkriegsflüchtlinge, nachziehende Familien-
mitglieder, Aussiedler und Kontingentflüchtlinge sind ge-
kommen. Das wird und muss auch in Zukunft möglich
sein.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ob und wie wir nun den zweiten Weg öffnen – durchaus
auch aus eigenen Interessen, die demographisch, beschäf-
tigungspolitisch und humanitär begründet sind –, wird in
naher Zukunft zu entscheiden sein – wenn möglich, im
Konsens der Demokraten.

Konfuzius ist einmal gefragt worden, was er als Erstes
täte, wenn er die Regierungsgewalt übernehmen könnte.
Er hat geantwortet: Ich würde zuerst die Begriffe richtig




Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast

12803


(C)



(D)



(A)



(B)


stellen. Jetzt hören Sie bitte gut zu; denn es ist klar, was er
meinte, Herr Kollege Marschewski. Er meinte, man
müsse richtige und einfache Namen benutzen, um im
Kopf und im Herzen Ordnung zu schaffen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Mein Herz ist in Ordnung!)


Nur so kann man die Köpfe und Herzen anderer Men-
schen erreichen und vermeiden, dass mit Schlagworten
Missbrauch betrieben wird.

Ich glaube, Sie wissen, worauf ich in meiner Schluss-
anmerkung hinaus möchte, nämlich auf den Appell, liebe
Kolleginnen und Kollegen, das Wort „Leitkultur“ aus
dem Verkehr zu ziehen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Frau Oberzensor!)


und zwar ganz und gar, egal, ob man nun zwischen
„deutsch“ oder „in Deutschland“ unterscheidet. Nach al-
lem, was bei uns geschehen ist, einschließlich der barba-
rischen Zerstörung kultureller Vielfalt in der NS-Diktatur,
sollten wir nicht mehr „leiten“ wollen. Mit einer Kultur
der Bescheidenheit kommen wir sehr viel besser zurecht.

Herr Kollege Westerwelle, eines möchte ich Ihnen zum
Schluss noch ganz kurz sagen: Richten Sie Ihr flammen-
des Plädoyer für eine günstigere Gebühr für die Ein-
bürgerung ausländischer Kinder unter zehn Jahren
– darin stimmen wir alle, auch wir im Bundesinnenminis-
terium, überein – doch bitte auch an die Länder und ge-
winnen Sie sie dafür, indem sie mit Verantwortung tragen!
Dann kämen wir vor allen Dingen in der Verwaltungspra-
xis, die dies unter bestimmten Voraussetzungen ermög-
licht, sehr viel weiter und könnten in den verbleibenden
sechs Wochen, die diese gesetzliche Regelung noch vor-
sieht, vielen Kindern die Einbürgerung zu erträglichen
Bedingungen ermöglichen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312000
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1413312100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In leicht modifizierter
Form liegt uns heute der recycelte Gesetzentwurf der
F.D.P. aus den Jahren 1997 und 1998 vor – damals noch
mit dem viel versprechenden Titel „Zuwanderungsbe-
grenzungsgesetz“, jetzt mit der neuen Überschrift „Gesetz
zur Regelung der Zuwanderung“. Das bietet Anlass, auch
im Deutschen Bundestag einmal über die Themen zu spre-
chen, über die in den vergangenen Wochen öffentlich hef-
tig diskutiert wurde.

Asylrecht, Zuwanderungspolitik, Integration und
Staatsangehörigkeit sind wichtige Themen – und das zu
Recht; denn es sind Megathemen mit Bedeutung für die
Zukunft unseres Landes. Es geht um die Chancen und
Perspektiven, die sich aus einer vernünftigen, die Interes-

sen unseres Landes hinreichend berücksichtigenden Zu-
wanderungspolitik ergeben, und um die Vermeidung der
Risiken, die zwangsläufig mit einer ungesteuerten und
nach derzeitiger Rechtslage nur sehr begrenzt steuerbaren
Zuwanderung verbunden sind.

Es geht auch darum, wie wir die vielfältigen Integra-
tionsprobleme lösen und dadurch die Lebensperspektiven
der rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer
spürbar verbessern können. Es geht dabei um ein friedli-
ches und soweit wie möglich konfliktfreies Miteinander
aller Menschen in unserem Lande, gleichgültig, welcher
Hautfarbe, Nationalität oder Religion sie sind.

Merkwürdigerweise halten wir uns immer noch viel zu
lange mit der Erörterung der angeblich so wichtigen Frage
auf, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland sei
oder nicht. Gegenfrage: Welche neue Erkenntnis gewinnt
man eigentlich dadurch, dass man diese Frage – je nach
Einschätzung und Interesse – mit Ja oder Nein beantwor-
tet?


(Zuruf von der SPD: Keine! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Kopf ändert sich etwas! – Weiterer Zuruf von der SPD: Die Frage stellt die CDU/CSU, nicht wir! – Gegenruf des Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist eine völlig richtige Position!)


Wer die Ansicht vertritt, jedes Land, in das Menschen ein-
wandern, sei ein Einwanderungsland, wird selbstver-
ständlich zu der Auffassung gelangen, Deutschland sei ein
Einwanderungsland. Wer meint, dass man zutreffender-
weise nur solche Länder als Einwanderungsländer be-
zeichnen könne, die sich gezielt um Einwanderung
bemühen, der wird die Bundesrepublik selbstverständlich
nicht als Einwanderungsland bezeichnen, da wir seit dem
Jahre 1973 aus guten Gründen nicht mehr um Zuwande-
rung werben. Nicht zuletzt durch die Erörterung dieser
Frage drehen wir uns jetzt seit vielen Jahren rhetorisch-
kraftvoll im Kreis und kommen keinen Meter von der
Stelle.

Vor wenigen Wochen begann eine erregte öffentliche
Debatte über die Frage, ob man denn auch in Wahl-
kampfzeiten über Zuwanderungspolitik sprechen darf.
Rot-Grün fürchtet diese Debatte offensichtlich deshalb,
weil viele inhaltliche Positionen in der Bevölkerung nicht
mehrheitsfähig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Themen eines Wahlkampfes bestimmt der Wähler

nach den politischen Herausforderungen der Zeit und
nach seinen Problemen und Anliegen. Wer in die Wahlka-
bine tritt, der muss wissen, für welche Politik, aber auch
gegen welche Politik er sich mit seiner Stimmabgabe ent-
scheidet.

Natürlich sind ausländer- und asylpolitische Themen
gleichermaßen wichtig wie sensibel. Diese Feststellung
kann aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass sensi-
ble Themen im Wahlkampf nicht erörtert werden dürfen.




Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
12804


(C)



(D)



(A)



(B)



(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sensible Themen sollen sensibel bearbeitet werden!)


Ich ahne schon, was kommt: Die Rente ist so wichtig und
die Gesundheitspolitik ist so kompliziert; deswegen darf
die Union darüber nicht sprechen. Es kann doch nicht da-
rauf ankommen, ob man über derartige Themen spricht,
sondern darauf wie: mit welchen Worten, mit welchen Ar-
gumenten und welche politischen Ziele man vertritt.


(Zuruf von der SPD: Genau! Das ist der Punkt!)


Wenn sich demokratische Parteien verabreden würden,
ausländerpolitische Themen in Wahlkämpfen zu tabuisie-
ren, dann begingen wir einen verhängnisvollen Fehler.
Wir würden dann ungewollt jene extremen politischen
Kräfte stärken, die wir alle gemeinsam bekämpfen wol-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sieht das Herr Merz genauso?)


In punkto Sensibilität muss sich die Abteilung Rot-
Grün jedenfalls um CDU und CSU keine Sorgen machen.
Falls gewünscht, bin ich gerne bereit, zu zitieren, wie sich
der Wahlkämpfer Gerhard Schröder im letzten Bundes-
tagswahlkampf dem Thema „Ausländer und Krimina-
lität“ mit der ihm eigenen Sensibilität genähert hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Lies mal vor! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Vorlesen!)


Was wäre eigentlich passiert, wenn sich ein Politiker der
Union so wie der Wahlkämpfer Gerhard Schröder über
das Thema Ausländerkriminalität geäußert hätte? Ein
Sturm der Entrüstung wäre durch unser Land gegangen.

Warum hat es eigentlich zum Thema „deutsche Leit-
kultur“ nicht schon im Juli 1998 einen Sturm der Entrüs-
tung gegeben? Theo Sommer schrieb in der „Zeit“ vom
16. Juli 1998:

Die überwölbende Gemeinschaft erträgt durchaus
lebendige Untergemeinschaften – aber die Vielfalt
hat sich in der Einheit zu bewähren. Ein Deutschland,
das aus lauter Gettos besteht, ein paar für Türken, ein
paar für Griechen, ein Dutzend für die Deutschen,
kann nicht das Ziel sein. Töricht ist auch der Einfall,
den Türken etwa formellen Minderheitenschutz zu
gewähren wie den Dänen, den Sorben oder Friesen.
Er liefe auf eine künstliche Absonderung hinaus, wo
Integration angestrebt werden sollte – und Integra-
tion bedeutet zwangsläufig ein gutes Stück Assimila-
tion an die deutsche Leitkultur und deren Kernwerte.

(Beifall bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ab in den Verfassungsschutzbericht!)


Warum hat sich keiner aufgeregt, als Professor Schmid
von der Universität Bamberg das Gleiche mit anderen
Worten in der Sachverständigenanhörung des Deutschen
Bundestages zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes
gesagt hat? Kein Einziger hat sich darüber aufgeregt. Es

wäre nicht nur ungerecht, es wäre geradezu töricht, Theo
Sommer und Professor Schmid wegen dieser Meinungs-
äußerungen zu unterstellen, sie seien latent ausländer-
feindlich oder Stichwortgeber für den Rechtsextremis-
mus. Das wäre einfach absurd.

Wir von der Union sagen unmissverständlich: Integra-
tion ist weder einseitige Assimilation noch unverbunde-
nes Nebeneinander auf Dauer. Multikulti und Parallelge-
sellschaften sind kein Zukunftsmodell. Unser Ziel muss
eine Kultur der Toleranz und des Miteinander auf dem Bo-
den unserer Verfassungswerte und im Bewusstsein der ei-
genen Identität sein. In diesem Sinne ist es zu verstehen,
wenn die Beachtung dieser Werte als Leitkultur in
Deutschland bezeichnet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die verehrte politische Konkurrenz hat sich an der De-

batte zum Thema Leitkultur in den letzten Wochen unter
anderem mit den Begriffen „Pickelhaube“, „Entenhau-
sen“ und „Erbsensuppe“ beteiligt. Es wäre nett, wenn Sie
heute einmal in ganzen Sätzen mitteilen könnten, was Sie
eigentlich daran stört, dass wir von der Union von denje-
nigen, die zu uns kommen und hier auf Dauer leben wol-
len, zwar nicht die Aufgabe der eigenen kulturellen oder
religiösen Prägung, aber doch die Bejahung und Einord-
nung in den bei uns für das Zusammenleben geltenden
und wichtigen Werte- und Ordnungsrahmen verlangen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sagen Sie das Herrn Spiegel!)


Wenn wir jetzt die notwendige Gesamtbetrachtung der
Thematik vornehmen, kann zwangsläufig kein Teilas-
pekt – auch nicht das Asylrecht – außen vor bleiben. Die
Probleme der Asylpraxis sind allen bestens bekannt, aber
die Bereitschaft der Parteien, die Probleme zu lösen, ist
unterschiedlich ausgeprägt. Unser Problem sind nicht die
tatsächlich politisch Verfolgten; unser Problem sind die-
jenigen, die sich zu Unrecht auf politische Verfolgung be-
rufen und dennoch über Jahre hinweg – nicht wenige so-
gar auf Dauer – in der Bundesrepublik Deutschland
bleiben. Deswegen ist es schlichtweg falsch zu sagen, das
Asylrecht habe nichts mit Zuwanderung zu tun. Diese
Aussage ist jedenfalls angesichts der gegenwärtigen Asyl-
praxis falsch.

Deswegen wird sich die Union intensiv mit der Frage
beschäftigen, wie wir diese Probleme so gut wie möglich
lösen können. Ob hierfür Änderungen im Grundgesetz
notwendig sind, muss in Ruhe erörtert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: So auch Herr Schily, im Gegensatz zu seiner Staatssekretärin!)


Die Zuwanderungsdebatten der letzten Jahre waren über-
wiegend von Zahlen geprägt. Zahlen sind wichtig, aber
nicht alles. Wir sollten auch einmal über Ziele sprechen
und zugeben, dass wir auch in Zukunft auf Zuwanderung
angewiesen sein werden, und zwar nicht nur aus volks-
wirtschaftlichen Gründen.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])





Wolfgang Bosbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Welt ändert sich in einem dramatischen Tempo.
Nicht nur Firmen und Konzerne, sondern auch Volkswirt-
schaften stehen in einem scharfen internationalen Wettbe-
werb. Deswegen muss sich auch die Bundesrepublik
Deutschland am Wettbewerb um die besten Köpfe be-
teiligen. Die besten Köpfe werden wir nur dann in unser
Land bekommen, wenn hier kein ausländerfeindliches
Klima existiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen müssen wir die Voraussetzungen dafür schaf-
fen, dass Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik
Deutschland keine Chance hat. Eine wichtige Vorausset-
zung hierfür ist eine vernünftige Ausländerpolitik,


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])


die die Aufnahmebereitschaft und die Aufnahmefähigkeit
unseres Landes berücksichtigt. Man muss offen darüber
sprechen dürfen, dass Zuwanderung immer auch mit Be-
lastungen verbunden ist und dass mehr Integration wich-
tiger ist als mehr Einwanderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können nicht alles so lassen, wie es ist, und dann

im geltenden Recht einen neuen Zuwanderungstatbestand
nach dem anderen schaffen. Eine solche Politik ent-
spräche weder den Interessen unseres Landes noch gäbe
es hierfür eine Mehrheit in der Bevölkerung. Wenn es ir-
gendein politisches Gebiet gibt, auf dem ein breiter ge-
sellschaftlicher Konsens wichtig wäre, dann ist es der Be-
reich der Zuwanderungspolitik. Voraussetzung für einen
gesellschaftlichen Konsens ist eine vernünftige, die Inte-
ressen unseres Landes ausreichend berücksichtigende Po-
litik. Dafür steht die Union.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312200
Für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Marieluise Beck.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Es gibt wohl kaum eine Debatte, die so von Mythen, auch
von falschen Vorstellungen, von Emotionen, von Ängs-
ten, von Bedrohungsgefühlen geprägt ist wie die Debatte
um Ausländer und um Einwanderungspolitik. Das heißt,
wir haben auch seitens der Politik eine sehr verantwor-
tungsvolle Aufgabe, immer sachlich zu bleiben, rational
zu argumentieren und nicht Stimmungen und Vorurteile
zu schüren, wo es doch so verlockend ist, dies zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wie viel sich an Vorstellungen und Fantasien zusam-
menbraut, belegen Umfragen, denen zufolge zum Bei-
spiel in Ostdeutschland zwei Drittel der Bevölkerung
meinen, es gebe zu viele Ausländer in ihrem Land, ob-
wohl wir alle wissen, dass dort 2,1 Prozent der Menschen

Ausländer sind. Offensichtlich gehen Gefühle und Rea-
litäten oftmals sehr stark auseinander.

Deutschland hat aber eine Geschichte der Einwande-
rung und Auswanderung. Seit 1959 sind 30 Millionen
Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gekom-
men, 21 Millionen sind wieder weggezogen. 9 Millionen
Menschen sind hier geblieben. Damit ist Deutschland im-
mer ein Einwanderungsland gewesen. Nun kann man
sagen, der Streit um diesen Begriff sei ein Streit um des
Kaisers Bart.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Wir haben zum Glück keinen Kaiser mehr! Der Kaiser ist geflüchtet!)


Das glaube ich deswegen nicht, weil man, wenn man kein
Einwanderungsland sein will, keine Einwanderungspoli-
tik und auch keine systematische Integrationspolitik be-
treibt, sondern Ausländerpolitik. Das hat die Haltung und
auch die Stimmung in der Bevölkerung dahin gehend ge-
prägt, als hätten wir es eigentlich gar nicht mit Einwan-
derung zu tun. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
mit der Einführung des Geburtsrechts hat genau das auf-
genommen. Die jungen Menschen werden jetzt qua Ge-
burt Teil dieser Gesellschaft. Sie bekommen damit
Rechte, müssen aber auch Pflichten für diese Gesellschaft
übernehmen. Das ist der Inhalt des Geburtsrechts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun wird in der Einwanderungsdebatte immer der Ein-
druck erweckt, die Zuwanderung erfolge im Augenblick
vollkommen unkontrolliert und ungesteuert. Das ist nicht
richtig. Wir haben durchaus viele Einwanderungs- und
Zuwanderungstatbestände. Nur sind sie so kompliziert, so
wirr, so unsystematisch, so bürokratisch, dass sie einer
modernen Einwanderungsgesellschaft nicht mehr ent-
sprechen. Wir stehen an einer neuen Schwelle: Deutsch-
land muss die Einwanderung nicht mehr abwehren. Wir
müssen uns vielmehr Mühe geben, zu werben und Men-
schen zu bekommen, die wir auch aus eigenem Interesse
hier haben wollen. Die IT-Zuwanderung läuft ja schlep-
pend.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Weil die Grün-Card keine Green-Card ist!)


Es ist also durchaus nicht so, dass uns die Menschen, die
wir auch aus wirtschaftlichen Gründen bei uns haben wol-
len, das Land „einrennen“. Wir müssen um sie werben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ein Misserfolg der Regierung!)


Es wird in Zukunft schon deshalb eine höhere Zahl an
Einwanderern geben, weil die Europäische Union 25 Län-
der umfassen wird. Man muss sich vorstellen, was das an
Mobilität und Zuwanderungsbewegungen bedeuten
wird. Die Freizügigkeit gilt für alle Unionsbürger. Das
wird eine große Herausforderung für die deutsche Gesell-
schaft werden.

Die ökonomischen Veränderungen erfordern mehr Mo-
bilität von den Menschen, weil die Wirtschaft zunehmend




Wolfgang Bosbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


grenzüberschreitend agiert, weil es einen Kampf um die
besten Köpfe gibt und weil sich auch schon ein Arbeits-
kräftemangel in einzelnen Segmenten der Wirtschaft ab-
zeichnet.

Wir müssen aber auch die Tatsache ernst nehmen, dass
die politische Debatte, die jetzt unter den Eliten geführt
wird, zum Teil auf Unverständnis bei den Menschen stößt,
die selber arbeitslos sind und die manchmal das Gefühl
haben: Wird eigentlich auch noch über mich gesprochen
oder wird nur noch über diejenigen gesprochen, die zu-
wandern sollen? Wir müssen beides zusammenbringen,
nämlich durch Qualifikation denjenigen, die schon hier
leben, den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu ermöglichen
und gleichzeitig diejenigen zu unterstützen, die zuwan-
dern wollen. Wenn wir das nicht schaffen, wird die Ab-
wehrhaltung der Bevölkerung gegenüber den Zuwande-
rern zu groß.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch gegen die demographische Entwicklung, also
gegen die aus dem Gleichgewicht geratene Balance zwi-
schen Alt und Jung, ist Zuwanderung kein Allheilmittel.
Wir werden keine Demographen finden, die uns exakt sa-
gen können, wie viele Menschen in dieses Land zuwan-
dern müssen, damit die Balance wieder hergestellt wird.
Die Zahl derjenigen, die in ein Land integriert werden
können, richtet sich nach dem Gefühl der Gesellschaft
– das ist eine Frage der Verständigung –: Wie viele
Zuwanderer können wir sozial integrieren? Wie viele Be-
gleitmaßnahmen vor Ort, in den Ländern, in den Kom-
munen, in den Schulen, und wie viele Qualifikationsmaß-
nahmen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt können wir
vorhalten?

Wir haben mit Ihnen von der F.D.P. einen Dissens,
wenn es um die Gesamtquoten geht. Die Tatsache, dass
es Zuwanderung aufgrund der innerhalb der Europä-
ischen Union gewährten Freizügigkeit, aufgrund rechtlich
verbriefter Ansprüche – dazu gehört die Familienzusam-
menführung – und auch aus humanitären Gründen geben
wird, die weder Sie noch wir von den Grünen infrage stel-
len, bedeutet, dass dann, wenn eine Gesamtquote für die
Zuwanderung festgelegt werden soll, die Zahl der indi-
schen IT-Fachleute, die von der Wirtschaft gewünscht
werden, mit der Zahl der Schutzsuchenden, die vor der
Grenze stehen, verrechnet werden muss. Das geht nicht.
Das ist auch nicht flexibel. Das wäre kein modernes Ein-
wanderungskonzept.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gehe davon aus, dass über diesen Punkt noch einmal
verhandelt wird. Integration und Einwanderung gehören
also zusammen. Das ist sozusagen die tibetanische Ge-
betsmühle aller Ausländerbeauftragten seit Heinz Kühn.

Heute liegt der Vierte Bericht der Ausländerbeauftrag-
ten vor, der en detail Vorschläge und Leitlinien zur Inte-
grationsförderung beinhaltet. Wenn man sich die große
Zahl derjenigen, die nach Deutschland zuwandern, klar-
macht, muss man sagen: Obwohl es große Mängel in der
Integrationspolitik gegeben hat, ist die deutsche Zuwan-
derungsgeschichte eine Erfolgsstory. Es gibt ja auch un-

glaublich vieles, was unseren Städten und Gemeinden gut
gelingt. Wir sollten uns nicht immer nur auf die Probleme
konzentrieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.])


Die Gesellschaft hat eine enorme Integrationsleistung
vollbracht. Es gibt eine enorme Selbstverständlichkeit im
Alltag von denjenigen, die hinzugekommen sind, und
denjenigen, die hier schon gelebt haben. Es gibt eine Fülle
von Belegen für gelungene Integration. Ich weise auch auf
den Sechsten Familienbericht hin, in dem das sehr ein-
deutig belegt wird. Aber natürlich geht Integration nicht
ohne Konflikte und Probleme vonstatten. Auch darauf
muss man hinweisen. Ein Blick in den Bildungsbereich,
in die Schulen und in den Ausbildungsbereich, zeigt das.
Wir haben Konflikte natürlich auch in den Stadtvierteln.

Deswegen: Wer Einwanderung haben möchte, muss
Integrationspolitik gestalten. Wer Integration fordert,
muss sie auch fördern. Hier gibt es viele Defizite. Die
Ausländerbeauftragten sagen, „Frühzeitigkeit“ sei das
Stichwort für jede Integrationspolitik: Frühzeitigkeit
beim Spracherwerb, also in den Kindergärten, in den
Schulen, Frühzeitigkeit bei der Förderung von Seitenein-
steigern und Frühzeitigkeit bei denen, die neu hierhin
kommen, bei Sprach- und Orientierungskursen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P.)


Ein Blick über die Grenzen zeigt uns, dass sich der hollän-
dische Staat diese Integrationspolitik eine Menge kosten
lässt.


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Achtung, gut zuhören!)


12 000 Gulden pro Einwanderer für eine umfassende Be-
ratung. Was Zugänge zum Arbeitsmarkt, was das Sich-
Orientieren im jeweiligen Land und die Sprachförderung
anlangt, bin ich dafür, dass wir uns für die Bewältigung
dieser zentralen Aufgaben zwischen Bund und Ländern
verständigen, wenn wir diese Integrationspolitik gemein-
sam wollen. Die Ausländerbeauftragte steht hier an der
Spitze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist die Sprach-

förderung von der Bundesregierung neu geordnet wor-
den. Übernommen hat sie ein Wirrwarr von Sprachförde-
rung, die in vier verschiedenen Ministerien für unter-
schiedliche Migrantengruppen geregelt war. Durch die
Zusammenführung der Sprachförderung wird der Kreis
derjenigen, die berechtigt sind, am Sprachunterricht teil-
zunehmen, deutlich erweitert. Wir werden etwa 110 000
Menschen pro Jahr mit Sprachkursen fördern. Das gilt
auch für Menschen, die nicht aus EU-Ländern kommen.
Dies gilt auch für GFK-Flüchtlinge. Das ist ein guter
Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Marieluise Beck (Bremen)


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Ich wünsche mir, dass die Öffentlichkeit diesen Schritt
auch wahrnimmt und würdigt.

Zum Schluss noch ein Wort zur Debatte um den Begriff
„Leitkultur“. Dieser Begriff ist mit Inhalt offensichtlich
schwer zu füllen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nur für Böswillige!)


Wir können in den Berichten der Ausländerbeauftragten
schon lange finden, dass es bei Einwanderung um eine ge-
meinsame Grundlage gehen muss. Dies bezieht sich auf
die Werte des Grundgesetzes und die Sprache. Die Bot-
schaft, die mit dem Begriff „Leitkultur“ vermittelt worden
ist, lautet: Diejenigen, die zu uns kommen, müssen sich
anpassen. Das erzeugt die Illusion in der Bevölkerung,
dass Einwanderung ersparen könnte, dass sich beide Sei-
ten verändern müssen. Einwanderung bedeutet eine Ver-
änderung für die Gesellschaft, weil andere Kulturen da-
zukommen, weil man sich immer wieder neu ver-
ständigen muss und alte Gewissheiten zum Teil verloren
gehen. Diese kulturelle Verständigung ist ein Prozess,
meine Damen und Herren. Deutschland hat sich durch
Einwanderung verändert. Es wird sich weiter durch Ein-
wanderung verändern. Das ist nicht immer leicht. Wir Po-
litiker sind gut beraten, dies auch offen und ehrlich aus-
zusprechen.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312300
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Dirk Niebel das Wort.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1413312400
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin
Beck, Sie haben in Ihrem durchaus nachdenkenswerten
Bericht, der meines Erachtens eine längere Debattenzeit
in diesem Hause erfordert hätte, um ihm gerecht zu wer-
den,


(Beifall Beifall bei den Abgeordneten der F.D.P. sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


aber auch in Ihrem Redebeitrag unter anderem die Ak-
zeptanz der Zuwanderung und die Integration von Men-
schen nicht deutscher Nationalität in diesem Land ange-
sprochen. Ich möchte auf beides kurz eingehen.

Was erstens die Akzeptanz angeht, ist es für mich sehr
verwunderlich, dass der Antrag der Freien Demokraten im
Haushaltsausschuss, Ihren Haushalt um 1 Million DM zu
erhöhen, um die Ergebnisse der Zuwanderungskommis-
sion in der Öffentlichkeit transparent zu gestalten, damit
die Akzeptanz von Zuwanderung im Vorgriff auf eine ge-
setzliche Regelung erhöht wird, von Ihren eigenen
Parteifreunden im Haushaltsausschuss abgelehnt worden
ist. Das ist mir unbegreiflich. Ich finde, dass es der Sache,
für die Sie kämpfen, nicht zuträglich ist.


(Beifall bei der F.D.P. – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Doppelmoral: Sonntagsreden und Handeln!)


Das Zweite ist die Frage der Integration. Sie haben zu
Recht gesagt, dass Integration zwingend notwendig ist.


(Zuruf des Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU] – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich wäre den Kollegen der Union dankbar, wenn sie mir
die Gelegenheit gäben, die wenige Zeit auszunutzen, die
für eine Kurzintervention zur Verfügung steht.

Eine wesentliche Voraussetzung für Integration ist
natürlich auch der Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie erinnern
sich sicherlich sehr gut an unseren Antrag zur Abschaf-
fung der Arbeitsgenehmigungspflicht, der dafür sorgen
sollte, dass Menschen, die sich in diesem Land aufhalten
dürfen, für die Dauer des erlaubten Aufenthalts ihren
Lebensunterhalt selbst verdienen können, um nicht am
Tropf der Sozialkassen hängen zu müssen,


(Beifall bei der F.D.P.)

was außer von der PDS von allen Fraktionen hier abge-
lehnt worden ist. Unser Antrag hat aber insofern etwas be-
wirkt, als dass eine Arbeitsgruppe im Bundeskanzleramt
getagt hat, die zu dem Ergebnis gekommen ist, das gene-
relle Arbeitsverbot für Asylbewerber, die nach dem
Mai 1997 eingereist sind, aufzuheben und durch eine
zwölfmonatige Wartefrist – so nennen Sie es; ich sage:
durch ein zwölfmonatiges Arbeitsverbot – zu ersetzen.
Das wäre ja im Grunde ein Schritt in die richtige Richtung
gewesen. Aber es ist nun Monate her, dass dieses Ergeb-
nis erzielt worden ist, und es ist einfach nicht umgesetzt
worden. Die Menschen in diesem Land warten darauf,
dass Sie Ihren Ankündigungen Taten folgen lassen und
dass sich auch der große Koalitionspartner einmal ein
Stück weit bewegt. Wenigstens diese Ergebnisse sollten
umgesetzt werden, damit wir einen Schritt weiterkom-
men.

Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen: Die baden-
württembergischen Liberalen haben im Bereich der
Integration eine Initiative gestartet, für die ich um Ihre
Unterstützung werben will. Es geht um die Bürger-
kriegsflüchtlinge, die hier in jeder Gemeinde im Hand-
werk, im Gewerbe, in der Gastronomie integriert sind, die
inländische Arbeitsplätze stabilisieren, die niemals einen
Pfennig an Sozialleistungen bezogen haben und die jetzt
in ihr Heimatland zurückgeführt werden sollen, obwohl
sie den Aufbau dort bereits durch Überweisung von Geld
unterstützen. Warum sollten wir nicht eine Möglichkeit
im Ausländerrecht schaffen, diesen Menschen, die hier
wirklich integriert sind, einen dauernden Aufenthaltssta-
tus zu geben? Es macht doch keinen Sinn, bei uns inte-
grierte Menschen zurückzuschicken und stattdessen nicht
integrierte ins Land zu holen. Lassen Sie uns mit denen
beginnen, die schon im Land sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312500
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Beck, bitte.




Marieluise Beck (Bremen)

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Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Lieber Kollege Niebel, zu den Haushaltsbe-
ratungen: Ich bin natürlich immer froh, wenn sich je-
mand über die Stärkung der Ausländerbeauftragten Ge-
danken macht. Das ist ja ein Thema, dass alle Beauf-
tragten, egal, welcher Regierung sie zugeordnet sind,
beschäftigt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das hat bei uns Tradition!)


Zu meiner großen Freude hat es in dieser Haushaltsrunde
durchaus eine Stärkung der Beauftragten gegeben. Der
Arbeitsstab der Beauftragten wird personell aufgestockt,
um unter anderem das Sekretariat der Zuwanderungs-
kommission besetzen zu können.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Heißt das: Mehr Geld ist nicht nötig? – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Frau Beck, Sie sind eine sehr bescheidene Frau, schnell zufrieden zu stellen!)


– Weniger bescheiden als meine Vorgängerin, kann ich
nur sagen, wenn ich mir das Büro der Beauftragten an-
schaue;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


denn es ist in den letzten beiden Jahren zu meiner Freude
ganz erklecklich gewachsen.

Zum Bereich Arbeitsmarktpolitik: Sie wissen, dass
zu der Zeit, als die F.D.P. die Beauftragte stellte und mit
in der Regierung war, sogar ein völliges Arbeitsverbot für
Flüchtlinge eingeführt worden ist.


(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie hat aber immer dagegen gekämpft!)


– Sie wollte es nie; das ist mir bekannt. – Vonseiten der
Bündnisgrünen wären wir gerne noch ein Stück weiter
gegangen und hätten noch kürzere Fristen oder eigentlich
gar keine Fristen bevorzugt, allenfalls die im Gesetz vor-
gesehene dreimonatige Wartefrist. Sie wissen aber auch,
dass es in jeder Koalition Aushandlungsprozesse gibt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aha, die SPD ist schuld, Frau Staatssekretärin! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Die Koalition ist tief gespalten!)


Deswegen ist das, was wir jetzt vereinbart haben, ein
guter Schritt. Es gibt für Flüchtlinge kein totales Arbeits-
verbot mehr. Sie haben die Möglichkeit, nach einem Jahr
– unter Wahrung des Vorrangprinzips – auf den Arbeits-
markt zu gehen. Ich gebe Ihnen Recht – das ist auch ein
Teil unserer Leitlinien; hier fangen übrigens die Differen-
zen darüber an, was Integration eigentlich ist –, dass die
Möglichkeit, durch Arbeit selbst den eigenen Unterhalt zu
verdienen, ein zentraler Teil von Integrationspolitik ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das Spannende ist, dass zum Beispiel die Union immer
davon redet, sie wolle Integration, aber dann, wenn es da-
rum geht, den Zugang zum Arbeitmarkt zu ermöglichen,
die Werbetrommel gegen einen solchen Zugang rührt. Ge-
nau das zeigt uns, dass wir uns hinsichtlich der Ausge-
staltung von Integrationspolitik gar nicht in allen Punkten
einig sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit bin ich bei den von Herrn Niebel angesproche-
nen bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Die Bund-
Länder-Innenministerkonferenz wird sich in zehn Tagen
mit dem Antrag der Bundesregierung befassen, dass den
wenigen verbliebenen bosnischen Bürgerinnen und Bür-
gern – sie sind oft schwer traumatisiert; viele von Ihnen
sind gut integriert – endlich ein Bleiberecht gewährt wird.
Es waren CDU-Bürgermeister, die gesagt haben: Ihr dürft
doch meinem Handwerksmeister nicht den Mitarbeiter
wegnehmen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Können Sie mir nur einen nennen?)


– Ich kann Ihnen viele nennen, zum Beispiel den aus
Arnsberg. Andere kommen aus Baden-Württemberg.

Ich hoffe nur, dass der baden-württembergische Innen-
minister – in Baden-Württemberg regiert Ihre Partei – auf
der Bund-Länder-Innenministerkonferenz nicht zu den
Blockierern dieses Antrags gehören wird. Ich wäre Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie in diesem Sinne heftig drücken
und schieben und am besten auch den Minister Beckstein
einfangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312600
Nächste Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Petra Pau für die PDS-
Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312700
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der Bericht der Bundesbeauftragten
für Ausländerfragen hätte es verdient, seriös und nicht nur
als Anhängsel – oder über den Weg des Vortragens von
Kurzinterventionen – hier behandelt zu werden; zumal in
diesem Bericht drängende Probleme kompetent beschrie-
ben werden, die genauso kompetent gelöst werden müs-
sen. Gleiches gilt für unseren Antrag zur Namensgebung.
Auch hierzu werden wir uns äußern. Ich bedaure das ge-
wählte Verfahren und die damit unweigerlich verbundene
Missachtung der Ausländerbeauftragten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der F.D.P., gelegent-
lich werde ich gefragt, ob ich auf dem Boden des Grund-
gesetzes stehe. Ich bekenne: Ja. Ich füge in aller Beschei-
denheit hinzu: Keine Partei verteidigt das Grundgesetz
derzeit mehr als die PDS.


(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das sind die Nachrichten aus Entenhausen!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Das war beim großen Lauschangriff wie bei der Verteidi-
gung des Asylrechts so und das ist auch so, Kollege
Marschewski, wenn wir eine anmaßende Leitkultur ab-
lehnen.


(Beifall bei der PDS)

Nun führt die F.D.P. mit ihrem Antrag ein neues Gelöb-

nis ein. Die F.D.P. fragt: Stehen Sie hinter der „Berliner
Rede“ des Bundespräsidenten, insbesondere hinter je-
nen Passagen, die wir – gemeint ist die F.D.P. – so und so
verstanden haben? – Ich finde, dass Sie dem Bundesprä-
sidenten Unrecht tun, wenn Sie seine Rede so selektieren.
Sie machen sich selbst ganz niedlich, wenn Sie solche Au-
toritätsbeweise brauchen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: „Selektieren“! Das darf man nicht sagen! Der ist zwar schlimm, der Westerwelle, aber so schlimm ist er nicht!)


Bei uns ist es üblich, Reden zu hören, Nachdenkliches
mitzunehmen und Anregendes aufzunehmen – auch von
der F.D.P.; es muss ja nicht aus dem Big-Brother-Contai-
ner sein, Kollege Westerwelle.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist blanker Neid! Sie wollen auch da rein!)


– Ich muss da nicht hinein; denn im Gegensatz zu ihm
habe ich es nicht nötig. – Wir brauchen aber keine Ab-
stimmung im Bundestag über diese Rede. Das mag etwas
mit Selbstbewusstsein, aber auch mit Respekt vor dem
Bundespräsidenten zu tun haben. Stellen Sie sich doch nur
einmal eine Minute lang vor, die Mehrheit dieses Hauses
sage zu der vorgelegten Redemitschrift einfach: Nein, wir
haben etwas anderes verstanden. Glauben Sie, das gefiele
dem Bundespräsidenten?


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Nein, mir auch nicht! Das nennt man raffinierte Oppositionspolitik!)


Wir debattieren heute unter anderem über einen Antrag
der F.D.P. zur Frage der Einwanderung. Wir tun das vor
dem Hintergrund zahlreicher Erklärungen und Papiere zu
diesem Thema. Ich begrüße es durchaus, dass wenigstens
Sie von der F.D.P. keine Leitkultur erfunden haben; zu-
mal Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes besagt:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Ab-
stammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Hei-
mat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen
oder politischen Anschauungen benachteiligt oder
bevorzugt werden. ...

(Beifall bei der PDS – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist auch eine kulturelle Errungenschaft!)


Mit einem Wort, Herr Kollege Bosbach: Das Grundgesetz
beschreibt mitnichten eine Leitkultur. Es folgt einem uni-
versellen Ansatz. Das Wort „multikulturell“ war seiner
Zeit wahrscheinlich noch nicht erfunden.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das waren noch Zeiten!)


Gleichwohl folgt der Antrag der F.D.P. einem Muster,
das in Papieren von Bündnis 90/Die Grünen bis hin zur
CSU zu finden ist. Ihr Vorschlag läuft auf eine Quotenre-
gelung hinaus, die Kapitalinteressen als Gebot annimmt
und humane wie kulturelle Gewinne letztendlich opfern
wird. Um nicht missverstanden zu werden: Das Drei-Säu-
len-Modell von Bündnis 90/Die Grünen ist nicht mit den
zwölf Thesen der CSU gleichzusetzen. Nur, wer, wie auch
Sie in Ihrem Antrag, anfängt, Einwandernde, Asylsu-
chende und Bürgerkriegsflüchtlinge mit konjunkturellen
Wünschen von Wirtschaftsverbänden zu verbandeln, ist
auf dem Holzweg. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis,
was umgangssprachlich alles in dieser Debatte im Mo-
ment mitschwingt. Welche Botschaft verbreiten wir ei-
gentlich, wenn wir von „unnützen“ oder uns „ausnützen-
den“ Einwanderern reden?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Lassen Sie es doch!)


Die CSU hat jetzt das Zwölf-Thesen-Papier mit den
Worten vorgestellt, es sei prägnanter als das der CDU.
Fürwahr: Die Botschaft der CSU ist, Ausländerinnen und
Ausländer sowie Einwanderinnen und Einwanderer sind
Klötze am deutschen Bein, es sei denn, sie spielen Fuß-
ball oder bringen auf andere Weise schnell klingende
Münze ins Land.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das nützt bei dieser miserablen Fußballmannschaft auch nichts mehr!)


Meine Grundbotschaft lautet: Ohne Ausländer und Aus-
länderinnen sowie Einwanderer und Einwanderinnen
– das gilt über Jahrhunderte hinweg – wäre Deutschland
arm dran.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wer im parteiinternen Gerangel bei der CDU, um auch
Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nun tatsäch-
lich obsiegt hat, weiß ich noch nicht: die Liberalen oder
die Nationalen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wir sind eine demokratische Partei!)


Bei der CSU ist es deutlich: Die Bornierten haben ge-
wonnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Solche Diskussionen kennen Sie gar nicht! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!)


Nun zum letzten Punkt. Liebe Kollegen von der F.D.P.,
Sie haben Recht: Es gibt politischen Handlungsbedarf.
Die Bürger an den viel zitierten Stammtischen müssen
ebenso wissen, was Recht und was gewollt ist, wie jene,
die sich der Bundesrepublik Deutschland zuwenden wol-
len. Beide müssen sich arrangieren. Das derzeitige Recht
leistet dies noch nicht, weil es unübersichtlich, willkür-
lich, bürokratisch und eben nicht menschlich ist – leider.
Damit hinkt die Politik den Realitäten und übrigens auch
internationalen Ansprüchen hinterher.




Petra Pau
12810


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413312800
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Genau!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413312900
Gerne, aber die Zeit, die hier auf-
leuchtet, hätte ich gerne noch ausgenutzt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413313000
Sie sind
jetzt eine Minute über der Zeit.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413313100
Integration kann es übrigens nur auf
gleicher Augenhöhe, von Mensch zu Mensch geben. Al-
lein vor dem Hintergrund der Gefahren für Würde und Le-
ben, die hierzulande von Rechtsextremisten ausgehen,
wäre anderes als das geboten gewesen, was bisher auf
dem Tisch des Hauses liegt. Dazu gehört auch die Einbe-
ziehung der Betroffenen in die zahlreichen Kommissio-
nen. Auch dazu werden wir Vorschläge unterbreiten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413313200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Michael Bürsch von der SPD-
Fraktion.


Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1413313300
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Streit um Begriffe
soll das Positive nicht verloren gehen. Die Diskussion um
Zuwanderung ist in Bewegung geraten. Dazu hat die
F.D.P. beigetragen, dazu hat der Bundespräsident beige-
tragen, vielleicht auch nicht unwesentlich der Bundes-
kanzler mit der Green-Card-Initiative. Kurzum: Die Dis-
kussion ist in Bewegung. Ich werde versuchen, das
Positive zu betonen, und will sehen, wie wir daraus viel-
leicht gemeinsam ein Konzept für Zuwanderung und In-
tegration entwickeln können. Ich nenne fünf zukunftsge-
richtete Eckpunkte, über die wir uns vielleicht jenseits der
Begriffsstreitigkeiten verständigen könnten und die aus
Sicht der SPD maßgeblich sind:

Erstens. Wir werden die Strukturen unseres Zuwande-
rungs- und Ausländerrechts grundlegend reformieren
müssen. Dabei spielen die Frage der Zuwanderung und ih-
rer Steuerung, die Frage der Arbeitsberechtigung für die
bei uns lebenden Ausländer, die Internationalisierung der
Hochschulen und der Wirtschaft und verstärkte Integrati-
onsbemühungen für 7 Millionen Ausländer eine Rolle.
Auf all diesen Feldern muss in den nächsten Jahren auf
bestehende Defizite und neue Herausforderungen reagiert
werden.

Zweitens. Zuwanderung nach Deutschland hängt di-
rekt mit der Integration der Menschen, die zu uns kom-
men, zusammen. Anders gesagt: Zuwanderung und Inte-
gration sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Dabei kommt der Sprachförderung, wie wir wissen, große
Bedeutung zu. Das holländische Modell des Integrations-

vertrages – es wurde schon mehrfach genannt – ist viel-
leicht nachahmenswert.

Drittens. Wir können Deutschland nicht durch eine na-
tionale Zuwanderungsregelung abschotten. Wir brauchen
eine abgestimmte Migrations- und Asylpolitik auf eu-
ropäischer Ebene.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier bleibt bis zum Jahr 2004 noch viel zu tun, um die
Vorgaben des Amsterdamer Vertrages zu erfüllen. Hier
wird auch, Herr Kollege Westerwelle, ein Defizit Ihres
Vorschlages deutlich: Dieser Punkt ist darin nicht enthal-
ten.

Viertens. Der grundgesetzlich geschützte Familien-
nachzug, die verfassungsrechtlich und völkerrechtlich ga-
rantierte Gewährung von Schutz für politisch Verfolgte
und Flüchtlinge, die Freizügigkeit für EU-Bürger und
eine Vielzahl rechtlicher Normen, die Rechtsansprüche
für dauerhafte Zuwanderung und zeitweilige Aufenthalte
gewährleisten, dürfen durch eine Zuwanderungsregelung
nicht ausgehebelt werden. Das ist der Punkt, der uns wich-
tig ist. Für die SPD steht insbesondere fest: Das Grund-
recht auf Asyl muss unangetastet bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fünftens. Ein zentrales Problem ist die Akzeptanz ei-
ner Zuwanderungsregelung in der Bevölkerung. Ich sage
es einmal vorsichtig: Die Integrations- und Aufnahmebe-
reitschaft der Deutschen ist noch verbesserungsfähig. Ich
sehe es, wenn wir denn an einer Lösung interessiert sind,
als unsere gemeinsame Aufgabe an, Ängste abzubauen
und Integration nachhaltig zu fördern.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Da, Herr Bosbach, ist die vorsichtige Frage zu stellen,
ob Wahlkämpfe dafür geeignet sind, dieser Aufgabe,
Ängste abzubauen und für Integration nachhaltig zu wer-
ben, wirklich gewissenhaft und seriös nachzukommen.

Schon vor über 300 Jahren gab es mit dem so genann-
ten Potsdamer Edikt von Kurfürst Friedrich Wilhelm ein
herausragendes Modell für gelungene Zuwanderung


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: 1640 bis 1688, der Große Kurfürst war das!)


und Integration von 20 000 französischen Hugenotten
hier nach Berlin und Brandenburg. Ein Zeitzeuge schrieb
damals begeistert – bitte, Herr Marschewski, genau für
Ihre Ohren –:

Wir haben ihnen, den Zugewanderten, unsere Manu-
fakturen zu danken. Sie gaben uns die erste Idee vom
Handel, den wir vorher nicht kannten. Berlin ver-
dankt ihnen seine Polizei,

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist ja klar, das bestreite ich ja nicht!)







(C)



(D)



(A)



(B)


einen Teil seiner gepflasterten Straßen, seine Wo-
chenmärkte. Die Zugewanderten haben Überfluss
und Wohlstand eingeführt, diese Stadt zu einer der
schönsten Städte Europas gemacht.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Durch sie kam der Geschmack an Künsten und Wis-
senschaften zu uns. Sie milderten unsere rauen Sit-
ten,

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Damit meinen Sie jetzt Ihren Staatssekretär Körper!)

sie setzten uns in den Stand, uns mit den aufgeklär-
testen Nationen zu vergleichen.

Was lernen wir aus diesem Teil der deutschen Ge-
schichte? Wir lernen zumindest: Toleranz hat Tradition in
Deutschland. Im Übrigen bringt Zuwanderung Nutzen für
Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, und speziell in Bay-
ern hilft Zuwanderung, die rauen Sitten zu mildern.


(Beifall bei der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Es könnte helfen, Herr Zeitlmann, es könnte helfen.
An die Adresse des Antragstellers F.D.P. eine klare

Aussage: Die SPD, die selbst durch den Innenminister
eine Kommission und eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat,
die sich mit den Themen Zuwanderung und Integration
befassen, wird im nächsten Jahr einen verbindlichen Ent-
wurf zur Regelung der Zuwanderung und Integration vor-
legen. Gesagt, getan.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Eine gute Rede! Da kann man jedes Wort unterschreiben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413313400
Das Wort
hat jetzt Kollege Wolfgang Zeitlmann von der CDU/CSU-
Fraktion.


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1413313500
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege
Bürsch, ich will Ihrem Bild von den bayerischen rauen
Sitten Rechnung tragen und Ihnen etwas mehr Klarheit
über das verschaffen, was in Ihrem Kopf über Bayern oder
über die CDU/CSU anscheinend herumgeistert.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ich beziehe mich auf veröffentlichte Quellen! – Horst Kubatschka [SPD]: Das ist nicht Bayern! – Gegenruf von der CDU/CSU: Er sieht ja schon aus wie ein Geist!)


Wir diskutieren zwei Dinge, zum einen einen F.D.P.-
Gesetzentwurf und zum anderen den Antrag der F.D.P.,
eine Rede des Bundespräsidenten umzusetzen.

Ich habe mir die Freiheit erlaubt, einmal aus dem
Ticker herauszuholen, was der Bundespräsident in den

letzten vier Wochen alles erklärt hat, und rate der F.D.P.,
wenn sie solche Anträge stellt, aufzupassen, dass sie nicht
gelegentlich in Zugzwang kommt; denn da gibt es eine
ungeheure Menge an Erklärungen im Detail, zum Beispiel
zur Wehrpflicht


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Eine gute Erklärung!)


und dazu, dass die Ostförderung genauer greifen müsse,

(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Auch eine gute Erklärung!)

dazu, dass man Oppositionellen mehr Gehör verschaffen
müsse.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe ja nichts dagegen, aber ich warte darauf, dass der
Bundespräsident sich vielleicht auch einmal zu Legehen-
nen oder zu sonstigen Details äußert.


(Leyla Onur [SPD]: Sind wir hier im Karneval?)


Ein Bundespräsident, der über den Parteien steht – d’ac-
cord –, aber wenn er sich in die Tagespolitik einmischt,
dann muss er auch damit rechnen, dass er in der Tagespo-
litik kritisiert wird.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Ich kritisiere jetzt nicht den Bundespräsidenten, son-
dern Ihren Antrag. Ich habe die Rede des Bundespräsi-
denten nicht nachgelesen,


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist der Fehler!)


sondern ich gehe von Ihrem Papier aus. Dort schreiben
Sie: Einwanderung darf nicht dem Zufall überlassen blei-
ben. Sie muss geprägt sein von den sozialen und wirt-
schaftlichen Interessen unserer Gesellschaft. Diesen bei-
den Punkten könnte ich schon zustimmen. Aber wenn Sie
dann im vorvorletzten Spiegelstrich schreiben, das
Grundrecht auf Asyl solle nicht zur Disposition gestellt
werden, dann wird eine hehre Monstranz – Kollege Uhl
nennt das so – vor uns her getragen.

Im Ergebnis bin ich völlig offen. Ich teile die Meinung
des Kollegen Bosbach, dass wir alles prüfen müssen. Wir
haben im Innenausschuss zigmal über das Thema disku-
tiert, und da wurde immer wieder wie eine Monstranz vor
uns hergetragen: „Aber dieses muss so bleiben“, als
würde der staunende deutsche Betrachter verstehen, was
damit gemeint ist. Ein subjektives Grundrecht ist eine
Rechtsform, und eine Institutsgarantie ist auch nur eine
Rechtsform. Es wird hier alles so vermengt, als wollten
die, die für eine Änderung des Grundrechts in eine Insti-
tutsgarantie sind, das Ganze abschaffen und die wilden
Sitten Bayerns einführen, um Ihr Bild zu nutzen. Diese
Semantik, wie sie in der Politik augenblicklich herrscht,
halte ich für bedenklich.

Auch hier spielt immer wieder das Thema Leitkultur
eine Rolle. Es gibt heute, am 16. November, in der „Zeit“




Dr. Michael Bürsch
12812


(C)



(D)



(A)



(B)


einen wunderschönen Artikel von Herrn Joffe mit dem Ti-
tel „Lust auf Leit“, den Sie nachlesen müssen. „Ohne
Leitkultur kommt ein Land nicht aus“, heißt es im Unter-
titel.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie Zehetmair schon gelesen?)


Ich sage nur: Wenn man sich an einem Begriff wie Leit-
kultur seit Tagen und Wochen in der politischen Debatte
festbeißt, zeigt mir das, dass etwas in diesem Land kurios
läuft. Es kann doch nicht sein, dass eine Selbstverständ-
lichkeit – Kollege Bosbach hat davon gesprochen; ich
habe Ihnen gerade gesagt: „Die Zeit“ sieht es völlig an-
ders als Sie – verschleiert wird. Da wird doch um den
heißen Brei herum geredet.

Für mich ist das Thema Leitkultur genauso, als wenn
ich sage: Ich lade jetzt Menschen zu mir ins Haus
ein – –


(Leyla Onur [SPD]: Danke schön!)

– Ich habe Sie ja nicht eingeladen. Sagen Sie doch nicht
„danke“, bevor ich Sie einlade. Aber wenn ich es täte,
dann würde meine Hausordnung gelten. Etwas anderes ist
auch eine Leitkultur nicht.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Haben Sie etwa zu Hause eine Hausordnung?)


– Herr Westerwelle, wenn Sie kämen, würde ich mir eine
zulegen – damit das klar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir haben verstanden!)


Meine Damen und Herren, es ist immer wieder, wenn
es um die Frage der Zuwanderung geht – auch in den ei-
genen Reihen –, die Rede davon: Assimilation wollen wir
nicht. Im „Duden“ steht, was „Assimilation“ ist, was da-
mit gemeint ist: Anpassung, Angleichung. Wenn ich mor-
gen nach Amerika auswandern würde, hätte ich überhaupt
kein Problem damit, mich der amerikanischen Hausord-
nung oder Leitkultur – was auch immer Sie wollen – an-
zupassen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie in Amerika erst einmal finden!)


Ich meine, auch die Marschewskis und die Lafontaines
sind einmal eingewandert und haben sich angepasst.


(Heiterkeit)

Beim Kollegen Özdemir habe ich nicht das Gefühl, dass
er nicht assimiliert ist. Und auch ein Henry Kissinger ist
in den USAwohl assimiliert.

Meine Damen und Herren, aber eines sage ich Ihnen
dazu: Es geht nicht, dass Sie uns mit Begriffen in dieser
Weise jagen und hektisch argumentieren und ich dann
lese: „Der grüne Parteirat hat eine multikulturelle
Demokratie gefordert“ und „Die PDS hat einen Rechts-
anspruch auf Einwanderung formuliert“.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413313600
Herr Kol-
lege Zeitlmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Marschewski?


Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1413313700
Ich ahne, was er
will. Deswegen gerne, ja.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1413313800

Lieber Herr Kollege Zeitlmann, Sie als Bayer haben viel-
leicht nicht die entsprechenden historischen Kenntnisse.
Trotzdem muss ich Sie fragen: Sind Sie wirklich der Mei-
nung, dass OstpreußenAusland war?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)



Wolfgang Zeitlmann (CSU):
Rede ID: ID1413313900
Herr Kolle-
ge Marschewski, ich habe meine Aussage, die
„Marschewskis“ und „Lafontaines“ seien auch einmal
zugewandert, nicht auf Ostpreußen bezogen. Ich habe
mich vielmehr auf den Namensursprung bezogen. In
Ihrem Namen erkenne ich slawische Ursprünge


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und in dem Namen unseres Exkollegen Lafontaine den
Ursprung aus dem französischen Raum.

Die deutsche Gesellschaft hat den Begriff Assimilation
nie so negativ gesehen, wie er jetzt von einigen betrachtet
wird.

Einen Punkt muss ich noch erwähnen. Wer einen
Rechtsanspruch auf Einwanderung fordert, der braucht
sich überhaupt nicht zu wundern, wenn dazu in dieser Re-
publik unterschiedliche Auffassungen bestehen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Wer macht denn das mit dem Rechtsanspruch?)


Denjenigen, die wie die Grünen das Asylrecht auf nicht-
staatliche und auf geschlechtsspezifische Verfolgung
erweitern wollen und die – wie Frau Beck vor ein paar Mi-
nuten – sagen, auch die Bevölkerung habe einen An-
passungsprozess durchzumachen, muss ich sagen: In die-
sem Punkt werden Sie Widerspruch erfahren. Ich teile
nicht die Meinung, dass sich die Masse der Deutschen an-
passen muss. Ich glaube vielmehr, dass sich primär derje-
nige, der zuwandert, anpassen muss und nicht umgekehrt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413314000
Frau
Beck, melden Sie sich zu einer Kurzintervention? – Das
ist also nicht der Fall.

Jetzt hat die Kollegin Leyla Onur von der SPD-Frak-
tion das Wort.




Wolfgang Zeitlmann

12813


(C)



(D)



(A)



(B)



Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1413314100
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich bin sehr froh darüber, dass wir den Bericht der
Ausländerbeauftragten nicht erst zu später Stunde, son-
dern schon heute Nachmittag diskutieren können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings gehe ich davon aus, dass das nicht die letzte
Debatte zu diesem Thema sein darf.

Ich finde den Beitrag von Herrn Zeitlmann dem The-
ma nicht angemessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die fünfte Jahreszeit hat zwar begonnen, wie wir auch in
Norddeutschland festgestellt haben. Es ist aber einfach
unerhört, zu diesem Thema eine Büttenrede abzuliefern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Wenn Sie keinen Humor haben, können wir nichts dafür!)


Wir behandeln heute also auch den Bericht der
Ausländerbeauftragten. Ich freue mich sehr, dass über
diesen Bericht im Plenum und nicht nur in den Fachaus-
schüssen diskutiert wird und dass daraus Folgerungen ge-
zogen werden. Die Berichte der heute schon mehrfach ge-
lobten Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen wurden zwar
auch zur Kenntnis genommen – von uns intensiver be-
handelt und genauer bewertet als von der damaligen Re-
gierungsmehrheit –, aber Schlussfolgerungen aus diesen
Berichten wurden in der Regel nicht gezogen.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Zum Glück!)


Wir können sagen, dass aus dem Bericht der Auslän-
derbeauftragten Marieluise Beck schon jetzt entspre-
chende politische Konsequenzen gezogen worden sind.
Das kann ich Ihnen an drei Beispielen deutlich machen.

Wir haben festzustellen,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Dass es mehr Personal gibt!)

dass in Ihrer Regierungszeit zwar vollmundige Ankündi-
gungen gemacht wurden, aber nie politische Taten gefolgt
sind. Wir haben ferner festzustellen, dass es 16 Jahre Still-
stand in der Migrationspolitik gab.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist nun wirklich Unsinn, Frau Kollegin! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das glaubt ihr wohl selber nicht!)


Nach Ihrer Philosophie war es ganz einfach: Deutschland
durfte kein Einwanderungsland sein; deswegen durfte es
keine ernsthaft betriebene Integrationspolitik geben.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sie sollten zu einem Begräbnisinstitut gehen!)


Wenn wir heute trotzdem Integrationserfolge in den Län-
dern und Kommunen feststellen können, dann sind sie

nicht auf Ihre Politik zurückzuführen, sondern auf die Po-
litik engagierter Menschen in den Kommunen und Län-
dern. Dafür sei ihnen ausdrücklich Dank gesagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am 27. September 1998 hat in Deutschland eine neue
Politik für Migranten und Migrantinnen begonnen. Das ist
von diesen sehr wohl bemerkt worden.

Es hat in der Tat entsprechend unserer Koalitionsver-
einbarung ein Paradigmenwechsel stattgefunden. In un-
serer Koalitionsvereinbarung heißt es:

Wir erkennen an, dass ein unumkehrbarer Zuwande-
rungsprozess ... stattgefunden hat, und setzen auf die
Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwan-
derer, die sich zu unseren Verfassungswerten beken-
nen.

Nicht zu deutscher Leitkultur, sondern zu unseren Ver-
fassungswerten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie heute so tun, als ob man diesen Begriff ver-
harmlosen könne – Sie sind ja eifrig zurückgerudert; das
haben wir durchaus beobachten können –,


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nein! Irrtum! – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das weisen wir zurück!)


dann sollten Sie sich bitte auch klarmachen,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Es waren nur ein paar Gutmenschen bei uns!)

wer diesen Begriff in die politische Diskussion einge-
bracht hat und welche Wirkung dieser Begriff der deut-
schen Leitkultur nicht nur auf die Migranten und Migran-
tinnen hat, die hier in Deutschland leben, sondern ganz
besonders auf unsere europäischen Nachbarn. Das nehme
ich Herrn Merz besonders übel, weil er innerhalb von fünf
Jahren im Europäischen Parlament gelernt haben müsste,
wie man in der Europäischen Union, in ganz Europa mit-
einander umgeht, wie sensibel gerade unsere Nachbarn
sind, wenn es um solche Fragen und Begriffe geht. Da
kann ich nur feststellen: Diesen Begriff hat er ganz be-
wusst geprägt, um auf diese Weise am rechten Rand auf
Wählerstimmenfang zu gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich komme zurück zu dem Bericht der Ausländerbe-
auftragten. Es ist ein hervorragender Bericht mit hervor-
ragenden Anregungen, Forderungen und auch Herausfor-
derungen für uns alle. Dabei muss ich jedoch feststellen,
dass wir natürlich nicht alles buchstabengetreu umsetzen
können und werden.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ach so!)

Das weiß auch Frau Beck. Denn wenn Sie als Ausländer-
beauftragte hier einen Forderungskatalog aufstellen, ist
das nur die eine Sichtweise. Wir, die wir uns damit zu be-






(C)



(D)



(A)



(B)


schäftigen und auseinander zu setzen haben, haben dabei
die gesamtpolitische Situation zu berücksichtigen. Aber
das haben wir bisher immer gemeinsam in Gesprächen zu
regeln verstanden. Deswegen haben wir schon heute Er-
folge vorzuweisen. Sie hatten in 16 Jahren überhaupt
nichts zu bieten.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben bereits nach der Hälfte der Legislaturperiode
ganz konkrete Ergebnisse, die sich wahrlich sehen lassen
können.

Ein Ergebnis ist die Reform des Staatsbürger-
schaftsrechts.


(Ina Lenke [F.D.P.]: Vergessen Sie dabei aber nicht die F.D.P.!)


– Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Wenn die Re-
form des Staatsbürgerschaftsrechts leider nicht so gelun-
gen ist, wie wir uns und insbesondere die Migranten und
Migrantinnen sich das gewünscht haben, liegt das auch an
der F.D.P.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Das muss einmal gesagt werden! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Gott sei Dank!)


Nichtsdestoweniger sage ich: Dieses neue Staatsbür-
gerschaftsrecht ist, wie Frau Beck einmal gesagt hat, ein
Meilenstein, ein riesengroßer Fortschritt. Es ging dabei
tatsächlich um die Frage: alles oder nichts. Aus der Kennt-
nis heraus, dass wir nach 16 Jahren Stillstand endlich
Fortschritte erzielen mussten, haben wir diesen ersten
großen Schritt mit Ihnen gemeinsam getan. Das ist auch
richtig so. Das heißt aber nicht, dass aus meiner Sicht in
Zukunft nicht weitere Schritte folgen sollten und müssten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insbesondere für die hier geborenen Kinder bedeutet
die Reform eine große Chance. Ich fordere auch von hier
aus nochmals auf, die Fristen, die zum Ende des Jahres ab-
laufen, einzuhalten, damit bis zum 31. Dezember 1999 in
Deutschland geborene Kinder, die zu diesem Zeitpunkt
noch nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hatten, von
der Möglichkeit Gebrauch machen können, neben der
Staatsbürgerschaft der Eltern die deutsche Staatsbürger-
schaft zu bekommen. Ich appelliere an alle, dafür zu sor-
gen, dass dieser Teil des Staatsbürgerschaftsrechts ein Er-
folg wird.

Meine Damen und Herren, als ein weiterer großer Er-
folg – wenn auch für viele vielleicht nur eine Kleinigkeit –
ist die Änderung des § 19 des Ausländergesetzes zu nen-
nen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die es Ehegatten endlich möglich macht – in erster Linie
sind davon die Frauen betroffen –, schon nach zwei Jah-

ren und in Härtefällen auch noch früher einen eigenstän-
digen Aufenthaltsstatus zu erlangen.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Viele Nutten freuen sich über den Nebenverdienst!)


Dagegen haben Sie sich mit Händen und Füßen gewehrt.
Wir haben es getan. Darauf muss man nicht stolz sein.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Nein!)

Denn es ist ganz selbstverständlich, dass man seine
Ankündigungen einhält.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nicht mal stolz sind Sie!)


Herr Niebel, der jetzt nach seiner Kurzintervention
verschwunden ist,


(Ina Lenke [F.D.P.]: Ein anderer Termin! – Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Er hat einen anderen Termin!)


ist auf das Arbeitserlaubnisrecht eingegangen. Ich darf Ih-
nen hier mitteilen, dass wir im Hinblick auf den Clever-
Erlass – man muss hinzufügen: den blümschen Clever-Er-
lass; denn Norbert Blüm hat dafür gesorgt, dass
Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge seit
15. Mai 1997 mit einem generellen Arbeitsverbot belegt
worden sind – in schwierigen Verhandlungen – das ist in
der Tat so – zu einem vernünftigen und wirkungsvollen
Ergebnis gekommen sind. Bestellen Sie bitte Herrn
Niebel: Ich habe damals den Antrag, den Sie eingebracht
haben, als solchen entlarvt, wie er wirklich zu bewerten
ist: Es ging Ihnen nie darum, Menschen die Chance zu ge-
ben


(Ina Lenke [F.D.P.]: Jetzt reicht es aber!)

zu arbeiten. Vielmehr ging es Ihnen darum, diesen Men-
schen nur zu Niedriglöhnen eine Möglichkeit auf dem Ar-
beitsmarkt einzuräumen. Das habe ich damals sehr aus-
führlich hier erläutert. Dazu stehe ich auch heute noch.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Was für ein Unsinn! – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Bleiben Sie ganz ruhig! Auch Frauen können einen Herzinfarkt bekommen!)


Ich stelle abschließend fest, dass das neue Sprachför-
derungskonzept, das nun endlich vorliegt, nur ein Modul
eines vernünftigen zukunftsorientierten Integrationskon-
zeptes ist. Die Sprachförderung ist dabei ein ganz wich-
tiger Baustein. Aber es fehlt noch die Ausfüllung der an-
deren Bausteine. Dies wird in den kommenden Monaten
und Jahren erfolgen. Wir setzen auf ein Integrationskon-
zept 2000. Ich sage Ihnen: Es wird kommen. Wir erfüllen
damit einen weiteren Teil dessen, was wir den Bürgerin-
nen und Bürgern vor der Wahl versprochen haben und
jetzt hiermit einhalten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Die Dame ist nicht einmal ein Schlafmittel!)





Leyla Onur

12815


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413314200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1413314300
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 9. Fe-
bruar dieses Jahres ist der Bericht der Ausländerbeauf-
tragten erschienen. Kaum sind neun Monate ins Land
gegangen, wird nun – innerhalb weniger Minuten – über
diese Problematik diskutiert. Das zeigt, welche Dring-
lichkeit und welchen Stellenwert Rot-Grün diesem
Thema beimisst.

Lassen Sie mich zu diesem Bericht drei Bemerkungen
machen:

Erstens. Deutschland ist ein ausländerfreundliches
Land. Wir haben nach den Zahlen, die Sie als Anlage bei-
gefügt haben, in den Jahren 1995 bis 1999 10,5 Millionen
Menschen aufgenommen. 7,2 Millionen haben Deutsch-
land wieder verlassen. Immer dann, wenn irgendwo eine
Katastrophe eingetreten ist bzw. ein Flüchtlingsproblem
bestand, haben die Deutschen ein weites Herz bewiesen.


(Petra Pau [PDS]: Auch Bayern?)

Deutschland hat im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg
auf dem Balkan mehr bosnische Flüchtlinge aufgenom-
men als die großen Nationen Frankreich, Großbritannien
und andere insgesamt. Das sollte hier zuallererst einmal
festgestellt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Es gibt in unserem Land eine Minderheit,

die Taten begeht, die wir alle mit Entschiedenheit
bekämpfen. Sie haben Ihrem Bericht eine Anlage beige-
fügt, in der Sie Zahlen bezüglich der 1997 und 1998 be-
gangenen fremdenfeindlichen Straftaten nennen. Logi-
scherweise können Sie darin nicht die von diesem Jahr
berücksichtigen. Trotzdem sind diese Zahlen interessant:
So lässt sich feststellen, dass in diesem Zeitraum zum Bei-
spiel in Niedersachsen eine Zunahme von 10,9 Prozent
und in Nordrhein-Westfalen eine Zunahme von 3,1 Pro-
zent zu verzeichnen ist, während in den unionsregierten
Ländern Bayern und Baden-Württemberg eine Abnahme
von 14,4 Prozent bzw. eine Verringerung von 11,5 Prozent
zu verzeichnen ist. Offensichtlich ist in diesen Ländern
die Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten erfolgrei-
cher gelaufen als in den Ländern, in denen Rot-Grün das
Sagen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist unredlich, wenn hier von einigen eine Ursache-

Wirkungs-Kette konstruiert wird, die lautet: Wer sich ge-
gen den Doppelpass ausspricht, wer gegen eine unbe-
grenzte Zuwanderung ist, der bereitet dem Rechts-
extremismus den Nährboden. – Umgekehrt wird ein
Schuh daraus:


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer die Probleme im Zusammenleben von Deutschen und
Ausländern tabuisiert oder verdrängt, wer es als politisch
unkorrekt ansieht, darüber zu sprechen, der schafft die
Probleme mit. Deshalb möchte ich hier ausdrücklich dem

Innenminister Recht geben, der gesagt hat: Es muss er-
laubt sein, offen darüber zu sprechen.

Es ist übrigens auch nicht ausländerfeindlich, darauf
hinzuweisen, dass Integrationsbereitschaft selbstver-
ständlich gerade jene zeigen müssen, die nach Deutsch-
land kommen. Hier enthält der Bericht, Frau Beck, eini-
ges, was der Wirklichkeit nicht entspricht. Die
Wirklichkeit in Großstädten wie München oder Berlin
sieht anders aus. Was ist bei der Integration in den letzten
Jahren schief gelaufen? Wir stellen fest, dass sich die In-
tegration generell nicht in günstiger Weise entwickelt hat,
sondern dass zunehmend Probleme auftauchen.

Es entwickelt sich eine Parallelgesellschaft.Wir stel-
len fest, dass in bestimmten Vierteln unserer großen
Städte und in machen Schulen ein Anteil von 80 Prozent
an Nichtdeutschen vorhanden ist. Es gibt Klassen in Mün-
chen, in denen es noch ein, zwei deutsche Kinder gibt.
Hier stellt sich doch die Frage: Wer integriert wen? Das
sind die Probleme vor Ort. Die Eltern reagieren darauf so,
dass sie ihre Kinder von den Schulen nehmen oder mit
dem Umzugslaster gegen diese Orte abstimmen. Das sind
die Probleme, denen wir uns stellen müssen, die aber in
Ihrem Bericht allenfalls am Rande auftauchen.

Ich sage Ihnen deshalb im Zusammenhang mit der
Leitkultur noch etwas: Ein Nebeneinanderexistieren von
beliebigen Arten von Kulturen ohne gemeinsame Basis ist
höchst gefährlich.


(Eva Bulling-Schröter [PDS]: Warum?)

Wir erleben jetzt eine Entwicklung hin zu Parallelkultu-
ren. Diese haben die Tendenz in sich, sich weiter ausei-
nander zu entwickeln. Das bedeutet letztendlich, statt mit-
einander zu leben, wird nebeneinander, im schlimmsten
Fall gegeneinander gelebt. Das sind die Probleme, die wir
lösen müssen.

Deshalb müssen wir zunächst einmal die Integrations-
anstrengungen vermehren und verbessern und danach erst
können wir über weitere Zuwanderung sprechen. Zuerst
müssen wir die Integrationsaufgaben lösen. Das Kardi-
nalproblem besteht in den mangelnden Sprachkenntnis-
sen.Wir sehen mit Sorge, dass so genannte Sprachinseln
entstehen, das heißt, man versteht sich nicht mehr.


(Leyla Onur [SPD]: Das stimmt! Das kann ich verstehen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist zwischen Bayern und Deutschen auch so!)


Wenn jemand 20 Jahre in Deutschland lebt und immer
noch nicht in der Lage ist, sich einigermaßen auszudrücken
und mit seinen Nachbarn zu verständigen, dann schließt er
sich selber von der Gemeinschaft aus. Umgekehrt müssen
wir ihm sagen, dass es seine erste Pflicht ist, Deutsch zu ler-
nen, damit er sich hier wirklich verständigen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wichtig ist – das sage ich abschließend –, dass diese

Thematik in seriöser Weise und nicht unter Zeitdruck, wie
es heute geschieht, diskutiert wird. Es hätte auch nicht
diese Verzögerungen geben dürfen, schließlich ist dieser






(C)



(D)



(A)



(B)


Bericht schon neun Monate alt. Ich hoffe, wir können das
in geeigneter Weise nachholen


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nicht zweimal den gleichen Bericht!)


und Klarheit über die Positionen schaffen. Vor allem müs-
sen wir sagen, was wir von denen erwarten, die zu uns ge-
kommen sind.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413314400
Erlauben
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Özdemir?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1413314500
Ja, klar,
selbstverständlich.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413314600
Herz-
lichen Dank, Herr Kollege Singhammer. Sie haben gerade
gesagt, von demjenigen, der seit 20 Jahren hier lebt, kann
man erwarten, dass er Deutsch kann. Sind Sie mit mir darin
einig, dass man natürlich von Menschen, die hier das Licht
der Welt erblickt haben, erwarten muss, dass sie Deutsch
können? Stimmen Sie mit mir auch überein, dass für die
Generation meiner Eltern, die vor 30, 40 Jahren über die
Anwerbeabkommen hierher geholt wurde, weder die
Entsendeländer noch wir als Empfängerland irgendeine
Art von Vorkehrung getroffen haben, geschweige denn, sie
auf das vorbereitet haben, was sie erwartet hat?

Sind Sie weiter bereit, mir zuzustimmen, dass es bei-
spielsweise in den 70er-Jahren in Betrieben Überlegun-
gen gab, Sprachkurse einzurichten, und viele Arbeitgeber
gesagt haben: Mein Ali kann genau so viel Deutsch, dass
er am Fließband die drei Handgriffe machen kann, die er
machen muss; mehr Deutsch braucht er nicht, weil das
eine Geldverschwendung wäre?

Sind Sie nicht auch dann der Meinung, dass es un-
dankbar gegenüber diesen Menschen ist, die in diesem
Land alt und krank geworden sind, jetzt zu sagen: Ihr
könnt nicht genügend Deutsch?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1413314700
Herr Kollege
Özdemir, wenn sich jemand 20 Jahre in Deutschland auf-
hält und im Berufsleben integriert ist, wenn er hier seinen
Lebensmittelpunkt hat,


(Renate Rennebach [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


dann halte ich es für selbstverständlich, dass er wenigs-
tens so weit Deutsch kann, dass er sich mit seinen Nach-
barn verständigen kann und sich nicht selbst dadurch aus-
schließt, dass er die Sprache des Landes, in dem er seit
20 Jahren lebt, nicht beherrscht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Rennebach [SPD]: Keine Ahnung! Nicht zugehört!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413314800
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Onur das Wort.


Leyla Onur (SPD):
Rede ID: ID1413314900
Herr Kollege Singhammer, Sie
können es wohl nicht lassen. Sie sind nicht in der Lage,
einen Appell aufzunehmen. Dieser kommt schließlich
nicht von mir. Wir kennen uns aus dem Ausschuss. Ich
will mich nicht zu unserem Verhältnis äußern.


(Zurufe von der CDU/CSU und F.D.P.: Oh!)

Hören Sie doch einfach einmal zu, was Herr Paul

Spiegel auf der Demonstrationskundgebung gesagt hat:

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ich habe es gehört!)

Dann aber möchte ich alle Politiker in die Pflicht
nehmen, sie auffordern, ihre populistische Sprache
zu zügeln...

Auch heute haben Sie wieder das Unwort „Doppelpass“
und das Unwort „deutsche Leitkultur“ benutzt. Lassen Sie
davon ab. Sie wissen doch, was Sie damit herausgefordert
haben. Anständige Demokraten, Herr Singhammer, sam-
meln keine Unterschriften gegen Ausländer.


(Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das entscheiden doch nicht Sie!)


Anständige Demokraten arbeiten nicht mit ausländer-
feindlichen Begriffen und machen damit Ausländerfeind-
lichkeit salonfähig.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie begeben sich auf ein Niveau, das ist unter aller Würde!)


Das Ergebnis der Kampagne vor der Hessenwahl erleben
wir jetzt. Sie haben wir alle nicht vergessen.


(Dr. Klaus W. Lippold [CDU/CSU]: Das Ergebnis habt ihr wirklich nicht vergessen!)


Deswegen noch einmal von mir die herzliche und ernst
gemeinte Bitte: Hören Sie mit missverständlichen Begrif-
fen auf, um auf dem rechten Rand nach Stimmen zu schie-
len.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Scheinheilige Nudel!)


Versuchen Sie wirklich, als anständiger Demokrat ge-
meinsam mit uns eine konsensuale Integrations- und Ein-
wanderungspolitik zu gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die GRÜNEN – Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Was heißt hier anständig? – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sie sollten bei einem Beerdigungsinstitut als Trauerredner anheuern!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315000
Kollege
Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1413315100
Frau Kollegin
Onur, die Verwendung der Begriffe „Leitkultur“ oder
„Doppelpass“ werden weiterhin erlaubt sein und haben
nicht den von Ihnen kritisierten Effekt. Auch werden wir




Johannes Singhammer

12817


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht vorher bei Ihnen um eine Genehmigung nachfragen,
ob wir diese Begriffe weiter verwenden dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Oberlehrer! Ach Oma, sei ruhig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315200
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/3679, 14/3697, 14/2674 und
14/3749 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c sowie
28 a und 28 b auf:
29a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten

Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zu-
ordnungsrechtes
– Drucksache 14/757 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Joachim Günther

(Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der F.D.P.
Für einen offenen und partnerschaftlichen Dia-
log mit Namibia
– Drucksache 14/4414 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Kortmann, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Kinderrechte schützen – Kinderhandel wirk-
sam bekämpfen
– Drucksache 14/4152 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus

28 a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-

wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UVP-
Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und
weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz
– Drucksache 14/4599 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit

(Bayreuth)

der F.D.P.
Umsetzung der IVU-Richtlinie – Umweltge-
setzbuch auf den Weg bringen
– Drucksache 14/3397 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschla-
gen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a und
30 c sowie den Zusatzpunkten 3 a und 3 b. Es handelt sich
um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 30 a auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeits-
recht sowie zur Änderung anderer Vorschriften

(4. Euro-Einführungsgesetz)

– Drucksachen 14/4375, 14/4388 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/4633 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Heinz Schemken

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthal-
tung der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer




Johannes Singhammer
12818


(C)



(D)



(A)



(B)


stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Ge-
setzentwurf mit gleichem Stimmenverhältnis angenom-
men.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 c auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Erste Verordnung zur Änderung der Batterie-
verordnung
– Drucksachen 14/4303, 14/4440 Nr. 2.1,
14/4600 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Werner August Wittlich
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 14/4303 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig
angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 a auf:
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des

von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Gemeinsamen
Protokoll vom 21. September 1988 über die
Anwendung des Wiener Übereinkommens

(Gesetz zu dem Gemeinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens)

– Drucksache 14/3953 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

( gesetzes)

– Drucksache 14/3950 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/4617 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ge-
meinsamen Protokoll über die Anwendung des Wiener
und des Pariser Übereinkommens, Drucksache 14/3953.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-

cherheit empfiehlt auf Drucksache 14/4617 unter Ziffer 1,
den Gesetzentwurf mit einer redaktionellen Änderung der
deutschen Fassung der Überschrift des Gemeinsamen
Protokolls anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Atomgesetzes, Drucksache 14/3950 und 14/4617. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit empfiehlt auf Drucksache 14/4617 unter Ziffer 2, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 3 b auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Zusammenlegung des Bundesamtes
fürWirtschaft mit dem Bundesausfuhramt
– Drucksache 14/3951 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/4615 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Verantwortung der früheren Bundesregierung
für die Erteilung einer Unbedenklichkeitser-
klärung für das atomare Endlager Morsleben

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

12819


(C)



(D)



(A)



(B)


Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Der Zustand im Atommüllendlager
Morsleben ist dramatisch. Dort lagern rund 37 000 Ton-
nen Atommüll, gut 10 000 Tonnen davon lagern in den
akut gefährdeten Räumen. In diesem Bereich im Südfeld
können nach Einschätzungen der Fachleute jederzeit bis
zu 1 000 Tonnen schwere Salzbrocken von der Decke auf
den dort lagernden Atommüll fallen.

Untersuchungen haben im Südfeld in den Deckenbe-
reichen zwischen den Hohlräumen Risse bis zu 16 cm
Breite nachgewiesen und dies ausgerechnet in jenem sen-
siblen Bereich, in dem der Atommüll nicht einmal gesta-
pelt, sondern einfach nur in Einlagerungskammern ab-
gekippt, gestürzt worden ist.

Alle, die sich länger mit diesem Problem beschäftigen,
wissen, dass die Sicherheit des Endlagers Morsleben von
Geologen, Umweltpolitikern und Umweltverbänden
schon seit Jahren bezweifelt wird. Dennoch haben wir es
damit zu tun, dass die frühere Bundesregierung dort trotz
Tropfstellen und Rissen über Jahre hinweg weiter Atom-
müll einlagern ließ.


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

In – wie ich finde – skandalöser Weise setzte sich die Re-
gierung Kohl über alle Sicherheitsbedenken hinweg.


(Monika Ganseforth [SPD]: Leider wahr!)

Die Geschichte der Atommüllkippe Morsleben ist eine

finstere Fortsetzungsgeschichte deutsch-deutscher Art ei-
nes verantwortungslosen Umgangs mit Atommüll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


So richtig es ist, dass das erste Kapitel dieser finsteren Ge-
schichte des verantwortungslosen Umgangs mit Atom-
müll die SED geschrieben hat, so richtig ist auch, dass die
Fortschreibung dieser Geschichte vom Kanzler der Ein-
heit, Helmut Kohl, und seiner Umweltministerin Angela
Merkel betrieben worden ist. Zuerst wurde per Eini-
gungsvertrag dafür gesorgt, noch zehn Jahre – bis zum
Jahr 2000 – einlagern zu können; 1998 setzten Sie in der
Novelle des Atomgesetzes sogar einen Weiterbetrieb die-
ses Endlagers bis zum Jahr 2005 durch.

Sie taten dies, obwohl Sie wussten, dass diese Anlage
nach bundesdeutschem Recht nie genehmigungsfähig ge-
wesen wäre. Ich behaupte sogar, Sie taten das nicht, ob-
wohl sie nie genehmigungsfähig gewesen wäre, sondern
gerade weil sie nie genehmigungsfähig gewesen wäre; Sie
hofften, auf diese Weise ein akutes Problem zur Seite zu
schieben, da es damals kein Endlager für schwach- und
mittelaktiven Müll gab. Deshalb wurde von Ihnen in vier
Jahren mehr Atommüll als zu Zeiten der DDR in dieses
Lager eingebracht. Sie haben damit – CDU/CSU und
F.D.P. – dort mehr abgekippt als die SED.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Puh!)


Noch 1998, als sich die bundeseigenen Geologen
schon seit über zwei Jahren von der Annahme der lang-

fristigen Standsicherheit der Grube verabschiedet hatten,
wurden Kritiker, die auf die Einsturzgefahr – gerade in
dem jetzt gefährdeten Bereich – hinwiesen, von der da-
maligen Ministerin Merkel der Panikmache bezichtigt.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Schlimmer noch: Ihre Ministerin hat damals die Geneh-
migungsbehörden daran gehindert, tätig zu werden. 1995
wurde ein vom sachsen-anhaltinischen Umweltministe-
rium verhängtes Versturzverbot für diesen Abschnitt kur-
zerhand per Bundesweisung von Ihnen kassiert.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)


Es bedurfte des Antritts dieser neuen Regierung, um
diesem Treiben durch eine Aufhebung der Weisung durch
mich endlich ein Ende zu bereiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus den neuen Erkenntnissen der Rissbildung hat das
Bundesamt für Strahlenschutz als Betreiber des Endlagers
nunmehr Konsequenzen ziehen müssen. Der Präsident
des Amtes hat als Sofortmaßnahme die Sperrung be-
stimmter Bereiche des Südfeldes angeordnet. Eine mögli-
che unzulässige Freisetzung radioaktiver Stäube in die
Umgebung wird durch geeignete technische Maßnahmen
im Zusammenhang mit der Belüftung – die Bergleute sa-
gen dazu Bewetterung – verhindert. Als wichtigste Maß-
nahme wird umgehend – voraussichtlich wird damit noch
in der nächsten Woche begonnen – die Verfüllung der
Resthohlräume in den beiden betroffenen Einlagerungs-
kammern in Angriff genommen. Ich bin den Behörden des
Bundes und des Landes dafür dankbar, dass es möglich
gewesen ist, sowohl die bergrechtlichen als auch die
atomrechtlichen Voraussetzungen für diese Sofortmaß-
nahme innerhalb von drei Tagen genehmigungsfest zu
schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eines aber steht uns noch bevor: der zügige, sichere
und dauerhafte Einschluss der in Morsleben lagernden ra-
dioaktiven Abfälle. Es ist leider wahr, dass durch Ihr
Taktieren mit möglichst langer Offenhaltung viel Zeit
vergangen ist. Aber wir werden in enger Abstimmung
mit dem Bergamt und der atomrechtlichen Planfeststel-
lungsbehörde des Landes Sachsen-Anhalt Wege finden,
dieses Problem mit der gleichen Geschwindigkeit zu lö-
sen, wie wir das aufgrund der akuten Notsituation hier
getan haben.

Sie haben unter Ihrer Verantwortung mit dem Weiter-
betrieb von Morsleben dem nationalen, aber auch dem in-
ternationalen Ansehen der bundesdeutschen Sicherheits-
philosophie in Endlagerfragen einen denkbar schlechten
Dienst erwiesen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er spricht von Ansehen! Das haut dem Fass den Boden aus!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Die Vorfälle in Morsleben belegen zudem einmal mehr,
dass das alte, von Ihnen zu verantwortende Entsorgungs-
konzept gescheitert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie belegen, dass die Endlagerung radioaktiver Abfälle
auf eine neue Basis gestellt werden muss. Dem haben wir
mit einem neuen Konzept der direkten Endlagerung
und dem Ein-Endlager-Konzept Rechnung getragen. Ich
danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Endlagerung oder Zwischenlagerung? Sagen Sie das einmal genau!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1413315400
Herr Präsident! Kol-
leginnen und Kollegen! Die Fraktion der Bündnisgrünen
gibt uns heute Gelegenheit, wieder einmal aufzuzeigen,
wie schwach


(Zuruf von der SPD: Frau Merkel war!)

Rot-Grün im Umgang mit atomrechtlichen Fragen und
mit praktischen Dingen des Lebens ist.


(Lachen bei der SPD)

Man müsste sich eigentlich dafür bedanken, dass man

wieder ein paar Minuten Zeit hat, die Dinge aufzuzeigen.

(Zuruf von der SPD: Wo ist Frau Merkel?)


Wenn man sich mit den Themen beschäftigt, kommt
man darauf, dass es vielleicht doch um ein Ablenkungs-
manöver – Stichworte: Ministerrücktritt, Parteienfinan-
zierungsprobleme – geht.


(Zuruf von der SPD: Waren Sie schon einmal in Morsleben?)


Nein, diese Ablenkung lassen wir Ihnen nicht durchge-
hen. Wir setzen uns mit der inhaltlichen Frage auseinan-
der.


(Zuruf von der SPD: Hauptsache, Sie bleiben jetzt beim Thema!)


Herr Bundesminister, Sie haben wohlweislich ver-
schwiegen, was Sie unter einer Unbedenklichkeitserklä-
rung verstehen, die man aus dem Finanzamtsbereich und
aus den Sozialversicherungen kennt. Das, was Sie hier da-
mit meinen, lassen Sie weg. Meinen Sie vielleicht die
Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission? Oder
was meinen Sie mit „Unbedenklichkeitserklärung“? Es
sieht danach aus, als würde Rot-Grün die Gelegenheit
nutzen, der Allgemeinheit ein neues Horrorszenario in Sa-
chen Atom unterzujubeln.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich darf mich mit der Vergangenheit beschäftigen, weil

der Herr Minister auch dies weggelassen hat: Nach der
Wiedervereinigung hat sich die Bundesregierung sehr

verantwortlich um die kerntechnischen Einrichtungen
und Altlasten in den neuen Ländern gekümmert – ich er-
innere an Greifswald, ich erinnere an die Bergbaubetriebe
Wismut und an Morsleben – und ist hier ihrer Verantwor-
tung sehr gerecht geworden. Anders als bei Greifswald
entschied man sich, das Endlager Morsleben in Betrieb zu
halten, und zwar aus gutem Grund. Man wusste,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nichts wussten Sie!)


dass man durch den Rückbau von Greifswald und ähnli-
cher kerntechnischer Anlagen eine ganze Reihe von La-
germöglichkeiten braucht. Das war der Grund, warum
man die Dinge so geregelt hat.


(Zuruf von der SPD: Das kann man doch nicht irgendwo hinschütten!)


Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesre-
gierung umfangreiche Sicherheitsanalysen durch BGR
und GRS in Auftrag gegeben hat und dass die sicherheits-
technischen Nachrüstungen im Umfang von mehreren
100 Millionen DM auch durchgeführt wurden. Alle Maß-
nahmen wurden seinerzeit im Einvernehmen mit den zu-
ständigen Bergbehörden des Landes durchgeführt.

Ein Weiterbetrieb erfolgte zunächst auf der Grundlage
der in der DDR erteilten Genehmigung, deren Geltung im
Einigungsvertrag fortgeschrieben wurde. Man hat dann
1992 – ich betone: 1992 – ein Planfeststellungsverfahren
für den Betrieb der Anlage und für die Stilllegung bean-
tragt. Später, 1997, hat man den Antrag zum Planfeststel-
lungsverfahren auf Stilllegung eingeschränkt.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es interessiert uns nicht, was Sie sagen!)


– Wir wissen schon, dass Sie das, was wir sagen, nicht in-
teressiert.

Man hat ein paar Tage vor der Wahl 1998 die Einlage-
rung in Gorleben eingestellt. Insofern ist es einfach nicht
richtig, wenn Sie, Herr Trittin, behaupten, dass Sie die
Einlagerung per Weisung eingestellt haben. Ich verstehe
nicht, wie ein Bundesminister so etwas behaupten kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das klären wir heute noch auf!)


Es bedurfte auf alle Fälle nicht der Weisung des grünen
Umweltministers, um die Anlage stillzulegen.

Noch ein paar Bemerkungen zu den technischen Vo-
raussetzungen, mit denen Sie vermutlich nicht sehr viel zu
tun haben: Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am
9. Mai 1997 festgestellt, dass über den Antrag auf Stillle-
gung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens ent-
schieden werden soll. Bis zum heutigen Tage ist über die
Planfeststellung nicht befunden worden. Wenn Ihnen das
tatsächlich ein so wichtiges Anliegen gewesen wäre, dann
muss ich Sie fragen, was Sie in den zwei Jahren Ihrer
Amtszeit eigentlich getan haben. Sie haben nichts getan.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Reaktor-Sicherheitskommission hat nach einer Be-

gehung, die vor wenigen Tagen stattfand, festgestellt, dass
es zu Abschieferungen kommt. Die Fachleute sagen, dass




Bundesminister Jürgen Trittin

12821


(C)



(D)



(A)



(B)


dies in solchen Bergwerken üblich ist. Das wusste man
auch schon vorher. Jetzt wird ein Horrorszenario an die
Wand gemalt, obwohl der Präsident des Bundesamtes für
Strahlenschutz bestätigt hat, dass eine akute radiologische
Gefährdung nicht zu befürchten ist.


(Zuruf von der SPD: Er sitzt dort! Fragen Sie ihn!)


Ich gebe Ihnen den Rat: Kümmern Sie sich rasch um
einen Planfeststellungsbeschluss bezüglich der Stillle-
gung des Endlagers. Wenn Sie das tun würden, dann hät-
ten Sie ein gutes Werk getan.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315500
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Reinhard Weis
von der SPD-Fraktion.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1413315600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in diesem
Jahr mehrmals Anlass gehabt, den Prozess „Zehn Jahre
deutsche Einheit“ positiv zu würdigen und auch Erfolge
festzustellen. Aber die Geschichte des Endlagers Morsle-
ben gehört nicht zu dieser erfolgreichen Bilanz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich war 1990 als Abgeordneter der SPD-Fraktion Mit-
glied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Energie und
Reaktorsicherheit der letzten demokratisch gewählten
Volkskammer. Mit meiner Fraktion hatte ich versucht, die
Geltung der DDR-Betriebsgenehmigung für das Endlager
Morsleben für radioaktive Abfälle nicht ungeprüft im Ei-
nigungsvertrag festschreiben zu lassen. Das ist uns leider
nicht gelungen. Ich bin mit dem Vorsatz in den Bundestag
eingezogen, entweder die Eignung des Salzstockes Mors-
leben, der ja nicht unberührt war, sondern in dem aktiv
Bergbau betrieben wurde, in einem ordentlichen Planfest-
stellungsverfahren nachweisen oder, wenn dies nicht ge-
lingen sollte, die Betriebsgenehmigung widerrufen zu las-
sen.

Die damalige Bundesregierung kannte wie wir unzäh-
lige Beispiele dafür, dass Genehmigungsverfahren in der
DDR nicht immer rechtsstaatlichen Kriterien genügten
und dass auch die zugrunde liegenden Standards nicht ge-
eignet waren, die Schutzziele der Bundesrepublik zu er-
füllen. Dass ausgerechnet auf dem Gebiet des Strahlen-
schutzes, bei der Bewertung eines Endlagers, das ja für
Tausende Jahre Sicherheit gewähren soll, alle Bedenken
wider besseres Wissen weggewischt wurden, hatte nicht
nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen zur Folge,
dass die Umweltpolitik von Herrn Töpfer und später von
Frau Merkel an Glaubwürdigkeit verloren hat.

Natürlich gab es aus der Sicht der Befürworter der
Kernenergienutzung einen plausiblen Grund für die Au-
gen-zu-und-durch-Politik. Von Herrn Obermeier haben
wir gerade die Wiederholung der Argumente gehört. Sie
wussten genau, dass für die Errichtung eines Endlagers
keine Zustimmung in der Bevölkerung zu erhalten war.
Deshalb war das Endlager Morsleben im Gegensatz zu

anderen Hinterlassenschaften in den Augen der Koalition
von CDU/CSU und F.D.P. keine Erblast, sondern höchst
willkommen.

Der Einigungsvertrag hat die Betriebsgenehmigung
nicht unbefristet festgeschrieben, sondern nur bis zum
31. Juni 2000. Wenigstens dieses Ergebnis hat die Debatte
in der Volkskammer gehabt. Ich habe gehofft, dass diese
Debatte einige Zweifel in den Köpfen hinterlässt. Aber
Herr Töpfer und später Frau Merkel haben die Chancen
für einen fachlich korrekten Schritt, nämlich die Einfüh-
rung, die zügige Abarbeitung und Ermöglichung eines
Planfeststellungsverfahrens zur Überprüfung der Be-
triebsgenehmigung des Endlagers und seiner geologi-
schen Bedingungen und die Erarbeitung eines Konzeptes
für die Nachbetriebsphase trotz unserer Entschließungs-
anträge und Anfragen im Parlament nicht genutzt. Auch
die Expertisen von Wissenschaftlern und die Haltung der
Landesregierung in Sachsen-Anhalt haben kein Nachden-
ken bewirkt. Es wurde schon nachgedacht, aber eher da-
rüber, wie die Öffentlichkeit einzulullen sei und wie der
Druck aus der Opposition und der Fachwelt zu entkräften
sei. Dazu musste auch ein höchstrichterliches Urteil her-
halten, in dem aber nur formalrechtlich der Fortbestand
der Betriebsgenehmigung durch den Einigungsvertrag
festgestellt wurde. Grundlage für die Urteilsbegründung
war keine fachliche Würdigung der Verhältnisse und der
Einsprüche.

Der Gipfel der Ignoranz gegenüber allen Warnungen
– Herr Minister Trittin hat es auch schon festgestellt – war
1998 die Entscheidung der Regierung Kohl mit der Um-
weltministerin Frau Merkel, entgegen dem Einigungsver-
trag durch die Atomgesetznovelle ohne jegliche fachliche
Begründung die Betriebsgenehmigung formal bis zum
Jahre 2005 zu verlängern. Kommen Sie mir nicht mit der
Mär, Herr Obermeier, das sei notwendig gewesen, damit
schließlich ein Planfeststellungsverfahren für die Stillle-
gung gemacht werden könnte. Dafür hätte es andere Wege
und frühere Zeitpunkte gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu dieser Mär passt überhaupt nicht die bundesauf-
sichtliche Weisung an die Landesregierung von Sachsen-
Anhalt, die gestoppte Einlagerung wieder aufzunehmen,
die Frau Merkel verfügt hat. Sie haben sich über alle
Sicherheitsbedenken von Fachleuten hinweggesetzt und
sie ignoriert, genauso wie Sie die Sicherheitsinteressen
der Bevölkerung ignoriert haben. Bis heute ignorieren Sie
sie, wenn wir die Rede von Herrn Obermeier ernst neh-
men wollen.


(Beifall bei der SPD)

Wahrlich, die Geschichte der Behandlung des Endla-

gers Morsleben ist in der Phase der Verantwortung von
Kohl, Töpfer und Merkel kein Ruhmesblatt der deutschen
Strahlenschutz- und Atomsicherheitspolitik und gehört
nicht in die Erfolgsbilanz des Einigungsprozesses.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Franz Obermeier
12822


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315700
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der F.D.P.-
Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1413315800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Westerwelle
hat 1997 den Spruch geprägt, die F.D.P. und die Grünen,
das sei wie Aufklärung und Romantik. Das passt auch
auf den Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde, und
zwar deshalb, weil ich vonseiten der F.D.P., um unnötige
Panikmache zu vermeiden, jetzt erst einmal sage, was
das Bundesamt für Strahlenschutz als zuständige
Behörde und als Betreiber des Endlagers gerade gestern
mitgeteilt hat. Das BfS hat mitgeteilt, dass wegen der
Sperrung bestimmter Bereiche im betroffenen Südfeld
längst Sofortmaßnahmen getroffen worden sind. Durch
eineAnpassung der Belüftung sei sichergestellt, dass eine
gesundheitsgefährdende Freisetzung von radioaktivem
Staub nicht stattfinden kann, auch dann nicht, wenn
tonnenschwere Salzbrocken in dieser Minute abstürzen
sollten. Außerdem wird schon in wenigen Tagen mit der
Verfüllung der restlichen Einlagerungskammern begon-
nen. Die Standsicherheit des Südfeldes sei nicht gefähr-
det, auch eine gesundheitsgefährdende Situation bestehe
nicht. Das Planfeststellungsverfahren zur Verschließung
des Salzstocks läuft seit langem. – So viel zu den aktuel-
len Tatsachen, wie sie vom BfS, geführt von einem grü-
nen Behördenchef, dargestellt werden.


(Zuruf von der SPD: Der Präsident des Amtes schüttelt gerade den Kopf!)


Die Sperrung des gesamten Endlagers Morsleben
gehörte übrigens im Eindruck einer gerichtlichen Eilent-
scheidung zu den letzten Amtshandlungen der damaligen
Bundesumweltministerin Merkel. Das Hauptverfahren
dazu ist zwar bis heute nicht abgeschlossen, aber die rot-
grüne Bundesregierung hat ja ohnehin entschieden, die
Einlagerung radioaktiven Abfalls dort nicht mehr aufzu-
nehmen. Diese Entscheidung halte ich durchaus für rich-
tig.


(Monika Ganseforth [SPD]: Hätte man eher machen müssen!)


Eines sollte man dennoch festhalten, Herr Trittin: In
Morsleben lassen sich immerhin geeignete Sofortmaß-
nahmen ergreifen. Ich frage mich allerdings, welche So-
fortmaßnahmen Sie einleiten wollten, wenn sie bei Cas-
toren notwendig werden sollten, die auf der grünen Wiese
stehen, weil die Bundesregierung über kein tragfähiges
Endlagerkonzept verfügt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie haben ohnehin ein gewisses Faible für Atom-

müllzwischenlager, Herr Trittin. Zwischenlager sorgen
aber nicht zuletzt mit Blick auf La Hague für ein ungutes
Gefühl. Dies haben wir gestern im Rahmen der Aktuellen
Stunde schon einmal diskutiert, und ich habe darauf hin-
gewiesen, dass noch eine ganze Menge Atommüll aus
Frankreich zurückgenommen werden muss.


(Monika Ganseforth [SPD]: Altlasten sind das, die wir von Ihnen übernommen haben!)


– Es ist nett, dass Sie das dazwischenrufen, Frau Kollegin
Ganseforth. Ich will Ihnen noch einmal sagen, wer die
Verantwortung dafür trägt, dass das Zeug noch in Frank-
reich steht.


(Zuruf von der SPD: Eure Altlasten!)

Das war nämlich nicht die alte Bundesregierung; sie hat
transportieren wollen. Verantwortlich, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, sind diejenigen, die
seinerzeit demonstriert haben, die die Transporte blo-
ckiert haben,


(Lachen bei der SPD)

die sich auf Schienen angekettet haben. Dieser Bundes-
umweltminister war dabei; also ist er mitverantwortlich
dafür, dass diese Transporte nicht stattgefunden haben.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben kein Konzept gehabt!)


Sie sind also für diese unerträgliche Situation mitver-
antwortlich, Herr Trittin. Sie haben damals demonstriert.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie verwechseln Ursache und Wirkung!)


Heute haben Sie die unbequemen Demonstrationsmär-
sche mit einem bequemen Ministersessel vertauscht. Aber
die Ziele, die Sie verfolgen, sind immer noch dieselben.

Wir kritisieren vonseiten der F.D.P. schon lange, dass
die dringend erforderliche Entsorgung von Atommüll
dem tagespolitischen Opportunismus von Rot-Grün ge-
opfert wird. Statt Atommüll unterirdisch an sorgfältig
dafür ausgewählten Stellen sicher zu lagern, erzwingt die
Bundesregierung oberirdische Provisorien ohne Rück-
sicht auf riskante Langfristfolgen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt bringen Sie aber fachlich einiges ganz schön durcheinander!)


Die Suche nach fragwürdigen Alternativen für die End-
lagerprojekte Schacht Konrad und Gorleben ist außerdem
eine groteske Geldverschwendung. Die F.D.P. hat deshalb
parlamentarisch beantragt, diesem Unsinn Einhalt zu ge-
bieten.

Die F.D.P. fordert Sie auf, Herr Minister Trittin, dem
Parlament ein schlüssiges Endlagerkonzept vorzulegen,
anstatt den Deutschen Bundestag mit Schuldzuweisungen
aufzuhalten, wo es keine Schuld zuzuweisen gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie den Versuch, Ängste der Bevölkerung populis-
tisch zu nutzen, und tun Sie bitte endlich Ihre Arbeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413315900
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der PDS-
Fraktion.






(C)



(D)



(A)



(B)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413316000
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bei einer Rückblende vergan-
gener Taten und Unterlassungen will ich namens der PDS
eingestehen, dass die Genehmigung von Morsleben im
Jahre 1986 durch die damals verantwortlichen Stellen der
DDR ein Fehler war. Es hätte erkannt werden müssen,
dass in einem weiträumig ausgehöhlten Kalibergwerk
schwer vorhersagbare Verformungen auftreten und Ein-
brüche von Schweben erwartet werden können. Ver-
gleichbare Erfahrungen wurden im damaligen Westen
auch im so genannten Versuchsendlager Asse gemacht,
das ebenso ein Kalibergwerk war. Nun droht der Absturz
der Decke über einer Einlagerungskammer.

Unzweifelhaft ist auch, dass sich die frühere Bundes-
regierung für den Betrieb des atomaren Endlagers Mors-
leben eingesetzt hat. So erteilte Bundesumweltministerin
Angela Merkel im Juni 1995 eine Weisung zum Weiter-
betrieb des Lagers, nachdem das Land einen teilweisen
Einlagerungsstopp verfügt hatte. Aber auch die Abge-
ordneten aus CDU/CSU und F.D.P. förderten den Wei-
terbetrieb. Durch die am 1. Mai 1998 in Kraft getretene
Atomrechtsnovelle wurde die Betriebsgenehmigung für
Morsleben um fünf Jahre, also bis zum 30. Juni 2005, ver-
längert.


(Monika Ganseforth [SPD]: Unverantwortlich war das!)


Morsleben wurde auch von Atomanlagen genutzt, die
in SPD-geführten Ländern liegen. So genehmigte das
rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen die Verbringung
von Abrissabfällen des AKWWürgassen nach Morsleben.
Die Bundesanstalt für Strahlenschutz hat unter Herrn
König die Zwischenlagerung von Abfällen, darunter Co-
balt-60-Strahlenquellen, legalisiert. Diese Abfälle dürfen
in Morsleben aber nicht endgelagert werden. Mit dieser
Legalisierung hat Herr König faktisch auf der besagten
„Unbedenklichkeitserklärung“, um die es in dieser Aktu-
ellen Stunde geht, aufgebaut. Ich fordere den Bundesum-
weltminister bei dieser Gelegenheit auf, die zwischenge-
lagerten Abfälle aus der Grube entfernen zu lassen. – Er
hat gerade genickt.


(Beifall bei der PDS)

Auch wenn die Risse schon seit längerem bekannt sein

sollten, erscheinen mir Maßnahmen zur Abwehr der Ge-
fahr des Absturzes von 10 000 Tonnen Salzgestein in ei-
nen ungeordneten Haufen von Atommüllfässern plausi-
bel. Wenn die Fachleute der Bundesregierung auf
Gefahrenabwehr plädieren, dann kann ich zunächst nicht
anders, als der Bundesregierung Glauben zu schenken.
Auch ohne das Vorliegen von gesetzlich geforderten Plan-
unterlagen zum Abschluss der Grube muss mit den Si-
cherungsarbeiten unverzüglich begonnen werden.

Ich teile jedoch nicht die Auffassung von Sachsen-An-
halts Umweltminister Konrad Keller und seinem nieder-
sächsischen Kollegen Jüttner, dass – ich lese aus einer
Tickermeldung vor – die bisherigen Zeitpläne des Bun-
desamtes zur Stilllegung als zu langfristig bezeichnet wer-
den müssen. Keller und Jüttner monieren, dass das Plan-

feststellungsverfahren zur Verschließung des ehemaligen
Salzstocks bereits seit mehr als acht Jahren laufe.

Nach meinen Informationen ist es nämlich nicht so,
dass Antragsteller und Genehmigungsbehörde trödelten;
vielmehr haben sie eher über Zeitdruck zu klagen. Ein
Problem scheint zu sein, dass bisher keines der betrachte-
ten Verschlusskonzepte in Bezug auf seine technischen
Folgen hinreichend erprobt worden ist und dass die Ab-
wägung der günstigsten Variante deshalb Schwierigkeiten
macht.

Eine sorgfältige Abwägung ist jedoch erforderlich, da
im Rahmen der gesetzlich geforderten Beteiligung der
Bürger und der Träger öffentlicher Belange vertretbare
Planunterlagen öffentlich ausgelegt werden müssen. Ich
kann die Bundesregierung an dieser Stelle nur eindring-
lich davor warnen, im Zuge der Sicherungsmaßnahmen
die Öffentlichkeitsbeteiligung zu beschneiden. Der Ver-
dacht darf nicht aufkommen, dass hier ohne Beteiligung
einfach Fakten geschaffen werden sollen.

Zum Schluss: Das BfS ist gleichzeitig Aufsichts-
behörde und Betreiber von Morsleben. Es wäre zu über-
legen, ob diese Verantwortlichkeiten für die Zukunft nicht
getrennt werden.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413316100
Jetzt hat
die Kollegin Steffi Lemke vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413316200
Sehr
geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kollegin-
nen! „Morsleben ist sicher“ – mit dieser Durchhalteparole
haben uns CDU/CSU und F.D.P., an ihrer Spitze die ehe-
malige Umweltministerin Merkel, jahrelang einzubläuen
versucht, dass dort ein vollkommen sicheres Endlager
existiert, in das man bedenkenlos radioaktiven Müll ein-
lagern kann. Wer anderes sagte, dem wurde – wahl-
weise – Panikmache, Unfähigkeit oder ideologische Ver-
bohrtheit vorgeworfen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Noch heute!)

Das eigentliche Problem dieser ganzen Geschichte war

meiner Ansicht nach aber, dass die alte Bundesregierung
das wider besseres Wissen getan hat. Frau Merkel war be-
kannt, dass die ehemalige Betriebsgenehmigung aus
DDR-Zeiten immer auf unsicheren Füßen stand. Frau
Merkel wusste, dass es bereits zu DDR-Zeiten Sicher-
heitsbedenken selbst von offiziellen Stellen gab. Frau
Merkel wusste, dass die Gefahr von Wassereinbrüchen
und Deckgebirgszusammenbrüchen nicht auszuschließen
war.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)


Dies war durch Gutachten belegt. Trotzdem wurde
Morsleben genutzt; trotzdem wurde in Morsleben einge-
lagert. Trotzdem haben CDU/CSU und F.D.P. die Einla-






(C)



(D)



(A)



(B)


gerung in Morsleben sogar massiv ausgeweitet und die
Einlagerung von schwachradioaktivem Material wurde
um mittelradioaktiven Müll erweitert. Noch im Jahre
1998, als die Spatzen schon von den Dächern pfiffen, dass
Morsleben Schäden aufweist, haben Sie mit einer bloßen
Gesetzesänderung ohne Sicherheitsüberprüfung entschie-
den, die Genehmigung zur Einlagerung bis 2005 zu ver-
längern. Das heißt, wenn es nach Ihnen gehen würde,
würde heute dort immer noch lustig weiter eingelagert
werden und würden weiterhin alle Sicherheitsrisiken
ignoriert werden.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Ist doch nicht wahr!)


Frau Homburger, Sie haben sich ja um das Thema der
heutigen Aktuellen Stunde fein säuberlich herumge-
drückt. Sie haben zu dem Anteil Ihrer Fraktion an den Ent-
scheidungen der damaligen Bundesregierung nichts ge-
sagt.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie hat doch eine hervorragende Rede gehalten!)


Ich möchte Ihnen zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses
ein Zitat Ihres ehemaligen Staatssekretärs im Umweltmi-
nisterium, Hirche, vorlesen, der im April 1998 – nicht
1970 oder sonst wann – hier im Deutschen Bundestag aus-
geführt hat:

Es liegen keinerlei Sicherheitsdefizite oder bedenk-
liche Mängel vor, die zur Einstellung des Betriebes
in Morsleben führen könnten.

Andere Behauptungen wurden als falsch oder als Panik-
mache abqualifiziert.

Wir brauchen dieses Endlager,

(Birgit Homburger [F.D.P.]: Damals war das auch so!)

– so lauteten die Ausführungen Ihres Fraktionsmitgliedes
weiter –

weil wir die Abfälle, die für dieses Endlager vorge-
sehen sind, eben auch unterbringen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Von Sicherheitsüberprüfungen keine Spur.


(Monika Ganseforth [SPD]: Ohne Rücksicht auf Verluste!)


Morsleben kam Ihrer Atompolitik so gelegen, weil
man in grenznahem Gebiet in einem Endlager mittel- und
schwachradioaktiven Müll einlagern konnte. Da die Ein-
lagerung von Atommüll dort so einfach aussah, sollte der
Eindruck erweckt werden, dass irgendwann auch die Ent-
sorgung von hoch radioaktivem Müll ohne Probleme
möglich sein würde und dass man dafür unproblematisch
ein Endlager finden würde. Sie wussten, dass im ehema-
ligen Grenzgebiet zwischen Ost und West der Widerstand
gegen ein solches Lager eher gering sein würde. Frau
Merkel als Ostdeutsche wusste sehr gut, dass in einer Re-
gion mit hoher Arbeitslosigkeit kritische Fragen, Proteste

oder gar der Widerstand gegen einen der größten Arbeit-
geber vor Ort kaum zu erwarten waren.


(Jörg Tauss [SPD]: Frau Homburger hat es nicht begriffen! – Gegenruf der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]: So viel wie Sie allemal!)


Deshalb haben Sie Untersuchungen zur späteren Stillle-
gung von Morsleben und damit zur Langzeitsicherheit
hinausgezögert, um die Sicherheitsprobleme dabei nicht
öffentlich werden zu lassen.

Herr Obermeier, wir wollen hier noch einmal klarstel-
len: Nicht Frau Merkel hat den Einlagerungsbetrieb been-
det, sondern er musste beendet werden, weil ein Gericht
einer Klage stattgegeben hat. Dadurch wurden Sie ge-
zwungen, kurz vor der Bundestagswahl den Einlage-
rungsbetrieb zu beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Obermeier [CDU/ CSU]: Trittin war es nicht!)


Frau Merkel hat parallel angekündigt, den Einlagerungs-
betrieb wieder aufzunehmen und fortzuführen. Während
Ihrer Regierungszeit hat es kein Bewusstsein für die Si-
cherheitsprobleme gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Hätte nicht Umweltminister Trittin nach dem Regie-
rungswechsel den Einlagerungsbetrieb beendet, würden
Sie heute dort noch weiter Einlagerungen zulassen. Für
Sie stellt es offensichtlich kein Problem dar, dass dort ir-
gendwelche Bröckchen von der Decke gestürzt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Herr Obermeier weiß gar nicht , wo Morsleben ist!)


Wir stehen heute beim Endlager Morsleben vor zwei
großen Problemen: Erstens muss der akuten Einsturzge-
fahr einiger Hohlräume im Endlager begegnet werden
und zweitens müssen wir die Aufgabe angehen, ein
Schließungskonzept für das Endlager zu erstellen, das
langfristig Sicherheit bietet. Das ist angesichts dieser ma-
roden Anlage wirklich eine äußerst schwierige Aufgabe.
Wir brauchen also einerseits Maßnahmen zur akuten Ge-
fahrenabwehr. Diese hat der Präsident des Bundesamtes
für Strahlenschutz bereits angeordnet. Hier geht es nicht
um akute Panikmache, Frau Homburger. Sie haben es
überhaupt nicht begriffen, dass wir in der Öffentlichkeit
eine sehr sachliche und zielorientierte Diskussion führen.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Ich habe schon bemerkt, was für eine Diskussion Sie führen wollen!)


Andererseits müssen diese Sofortmaßnahmen in Überein-
stimmung mit dem langfristig bestmöglichen Schließkon-
zept gebracht werden. Um diese Aufgabe beneide ich die
Experten beim Bundesamt für Strahlenschutz wirklich
nicht.

Die rot-grüne Bundesregierung wird diese Aufgaben
mit Augenmaß, Verantwortungsbewusstsein und einer




Steffi Lemke

12825


(C)



(D)



(A)



(B)


eindeutigen Orientierung am Sicherheitsbedürfnis vor-
nehmen und vollenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das wäre das erste Mal!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413316300
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Paul Laufs von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1413316400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde
gehört zur finsteren Fortsetzungsgeschichte der irrationa-
len Anti-Atom-Agitation, die zum rot-grünen Marken-
zeichen geworden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das neue Katastrophengemälde, das von Morsleben
gezeichnet wird, hat nichts mit der Wirklichkeit und über-
haupt nichts mit den Fakten zu tun.


(Monika Ganseforth [SPD]: Gibt es etwa überhaupt keine Risse? – Ulrich Kasparick [SPD]: Das ist doch unter Ihrem Niveau!)


Es geht wieder einmal allein um destruktive Stimmungs-
mache in der Erwartung, dass diese von den Massenme-
dien ignorant und wohlwollend verbreitet wird.

Ich komme zu den Fakten. Das von Ihnen problemati-
sierte Südfeld des Endlagers Morsleben – das sollten Sie,
Herr Bundesumweltminister, wissen – wird seit Jahren in-
tensiv geotechnisch überwacht. In den Hohlräumen dieses
ehemaligen Salzbergwerkes in rund 500 Metern Tiefe
werden ständig Höhen-, Konvergenz- und Extensometer-
messungen so wie Oberflächenradarmessungen durchge-
führt. Es gibt außerdem eine mikroakustische Über-
wachung. Es gibt die Beobachtung von Rissen mit ent-
sprechenden Meßgeräten und Gipsmarken. Es wurden
geomechanische Modellrechnungen vorgenommen. Die
Ergebnisse aller dieser Untersuchungen sind bis heute un-
bestritten und eindeutig:


(Zuruf von der SPD: Nämlich?)

Die großflächige Standsicherheit der Abbaue im Südfeld
ist langfristig garantiert. Diese Tatsache wird auch durch
gelegentlich lokal auftretende Ablösungen von Steinsalz-
brocken aus den Deckenbereichen nicht infrage gestellt,
wie sie etwa durch Radarmessungen im März dieses Jah-
res im Abbau 8 a, zweite Sohle möglicherweise zu erwar-
ten sind. Die jetzt angekündigten Verfüllungen der Rest-
hohlräume von zwei Einlagerungskammern ist von den
Fachleuten bereits 1996 empfohlen worden.

Mit Ihrer Klage, Herr Trittin, können Sie vielleicht Ihre
Anhänger beeindrucken, aber nicht die sachkundigen
Kollegen hier in diesem Hohen Hause.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vor einem Jahr, im Sommer 1999, hat die von Ihnen,

Herr Minister Trittin, neu eingesetzte Reaktorsicherheits-

kommission das Endlager Morsleben vor Ort besichtigt.
Über die Befunde gibt es einen Bericht des Bergamtes
Staßfurt, der vom Bundesamt für Strahlenschutz akzep-
tiert wurde. Niemand sah eine Veranlassung zum Han-
deln, auch Sie nicht, Herr Trittin.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)

Wer erlaubt Ihnen eigentlich, wer gibt Ihnen das Recht,

mit spitzem Finger auf Töpfer und Merkel zu zeigen?

(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Die haben eingelagert! Das ist wohl ein Unterschied! Die haben Atommüll eingelagert! Das hat er doch nicht gemacht! Sie verwechseln das! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das Sicherheitsrisiko ist Trittin!)


Die Situation vor Ort ist seit Jahren unverändert. Auch
heute stellt das Bundesamt für Strahlenschutz klar: Selbst
wenn ungewöhnlich große Löser auf die dort lagernden
schwach und mittelradioaktiven Abfälle stürzen sollten,
würde keine unzulässige Freisetzung radioaktiver Stäube
in die Umgebung stattfinden.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen wir es doch einstürzen!)


Die Einlagerung von Abfällen in Morsleben wurde
nicht von Ihnen, Herr Trittin, sondern noch vor der Bun-
destagswahl 1998 aufgrund eines Gerichtsbeschlusses
eingestellt,


(Monika Ganseforth [SPD]: Von Gerichten wurde es gestoppt, nicht von Ihnen! Sie würden es weiter betreiben!)


der überhaupt nicht mit sicherheitstechnischen, sondern
allein mit rechtlichen Defiziten begründet wurde.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie würden es weitermachen! Sie halten es nach wie vor für sicher!)


– Ja, nicht mit sicherheitstechnischen Problemen, Herr
Trittin.


(Jürgen Trittin, Bundesminister: Allein nicht!)

Der Beschluss wurde mit rechtlichen Problemen be-

gründet, die es gibt und denen man durch Einstellung der
Einlagerung entsprechend Genüge tun musste.

Meine Damen und Herren, der Zweck dieser wenig ak-
tuellen Debatte ist wieder einmal der Versuch, das Argu-
ment von der ungeklärten Endlagerung radioaktiver Ab-
fälle zu bemühen. Mit diesem Argument wird der
Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie be-
gründet, was unlogisch und unsinnig ist;


(Horst Kubatschka [SPD]: Unter anderem!)

denn die sichere Endlagerung


(Horst Kubatschka [SPD]: Die gibt es nirgends!)


radioaktiver Abfälle ist eine Aufgabe, die auf jeden Fall
gelöst werden muss,


(Horst Kubatschka [SPD]: Wir wissen nicht, wie, Herr Kollege!)





Steffi Lemke
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(C)



(D)



(A)



(B)


weil großen Mengen aus der Medizin, aus der Industrie
und aus kerntechnischen Anlagen in deutschen und aus-
ländischen Zwischenlagern verwahrt werden. Diese Auf-
gabe ist lösbar und wir in Deutschland waren sehr nahe an
der Lösung, als die Regierung Schröder/Trittin weitere
Fortschritte aus rein parteipolitischen Gründen verhin-
derte.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das sieht man ja an Gorleben!)


So wird das unbestritten geeignete und fertig gestellte
Endlager Konrad nicht in Betrieb genommen. Das wäre
die Lösung für die Endlagerung schwach- und mittelra-
dioaktiver Abfälle. Die Erkundungsarbeiten in Gorleben
wurden eingestellt.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Monika Ganseforth [SPD]: Gott sei Dank!)


Die Genehmigung für den Transport von abgebrannten
Brennelementen und Glaskokillen aus Frankreich wird
verweigert, obwohl keine Sacheinwände dagegen vorge-
bracht werden können. Nicht das Entsorgungskonzept
früherer Bundesregierungen, sondern Ihre Politik, Herr
Trittin, ist unverantwortlich und in der Sache absolut in-
kompetent.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Monika Ganseforth [SPD]: Sie hatten doch kein Entsorgungskonzept!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413316500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Frak-
tion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1413316600
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrter Herr Obermeier! Sehr geehrter Herr Laufs! Mich
wundert, dass Ihre Fachexpertin und Ex-Umweltministe-
rin, Frau Merkel nicht hier ist und sich dieser Diskussion
stellt.


(Beifall bei der SPD – Monika Ganseforth [SPD]: So ist es!)


Es wundert mich auch, dass noch kein einziger Kollege
danach gefragt hat. Aber schönen Dank, dann konnte ich
das tun. Vielleicht sitzt Frau Merkel in ihrem Büro und
schaut zu; die heutige Debatte ist auch für sie gedacht.

Morsleben – 381 Einwohner, ein idyllisch gelegenes
Dorf im Allertal. Dieses Dorf ist Teil des Ohre-Kreises,
des Landkreises, aus dem auch ich komme. Der Ort ist
bundesweit bekannt, aber nicht, weil Morsleben eben ein
so kleines, schönes Dörfchen ist, sondern weil diese un-
selige Geschichte des Atomendlagers durch ganz
Deutschland geistert.

In der DDR war Morsleben im Bereich des Sperrge-
bietes. Das heißt, ich selbst kannte dieses Dorf nur vom
Hörensagen; ich konnte dieses Dorf zu DDR-Zeiten nicht
kennen lernen. Als 1970 Morsleben aus neun verschiede-
nen Gruben als Endlager ausgewählt wurde, sind die Bür-

gerinnen und Bürger des Ortes nicht gefragt worden. Das
war zu DDR-Zeiten eben so.

Nach der Wende war die Bundesregierung froh, end-
lich einen Ort für atomare Abfälle „beigetreten“ bekom-
men zu haben.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Unter anderem! – Monika Ganseforth [SPD]: So ist es!)


– Ja, genauso ist das. Welch glücklicher Zufall, kann man
da nur sagen. Natürlich wurde weiter eingelagert; der Ei-
nigungsvertrag gab das schon her. Die Bevölkerung
wurde nicht gefragt. Das war eben wieder so.

Alle Bedenken und alle Einwände des Umweltministe-
riums von Sachsen-Anhalt wurden ausgehebelt. Frau
Merkel, die Fachfrau für atomare Endlagerung, schlug
Gutachten und Expertenmeinungen in den Wind und ent-
schied: Das Endlager ist sicher, keine Gefahr. Sie schaffte
es sogar, die Parteikollegen vor Ort zu überzeugen, sodass
auch unser Landrat in Morsleben einfuhr und sagte: keine
feuchten Stellen; das Endlager ist sicher. Selbstredend ist
auch er Fachmann für Atomendlager, ganz logisch.

Was haben die Menschen in Morsleben getan? Die ha-
ben gehört, was sie hören wollten. Das ist vorhin schon
einmal angesprochen worden. Die Arbeitsplatzsicherung
stand nämlich im Vordergrund. Das war eine ganz
menschliche Regung, die ich auch verstehen kann. Sie
haben das Wort „Sicherheit“ gehört und haben es auch so
aufgenommen.

Wir haben gestern Abend in Morsleben eine öffentliche
Bürgerveranstaltung durchgeführt. Unserer Einladung
folgte neben dem Umweltminister aus Sachsen-Anhalt
auch der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz,
Wolfram König, der heute hier ist.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Sehr schön, dass er da ist!)


Die Stimmungslage gestern Abend war eine ganz andere
als noch vor ein oder zwei Jahren. Damals galt nämlich
der Arbeitsplatzerhalt; aber gestern Abend sind in den
Fragen auch die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger zu-
tage getreten.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wenigstens da seid ihr erfolgreich!)


– Was heißt: „Da seid ihr erfolgreich“? Nicht nur da, Herr
Obermeier.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wir hören die Bürger wenigstens an!)


Bürgerinitiativen, kritische Fachleute, Umweltverbände,
Gutachten – die alte Regierung hat alles in den Wind ge-
schlagen. Niemand hat sich mit den Folgen auseinander
gesetzt, auf Kosten der Bevölkerung und auf Kosten der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Endlagers Morsle-
ben. Das werfe ich der alten Regierung und Frau Merkel
vor.

Nicht Unwissenheit führte dazu, dass wir heute mit der
Einsturzgefahr zu kämpfen haben. Nein, so ist es nicht. In
der Zeit von Sommer 1995 bis zum Regierungswechsel




Dr. Paul Laufs

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(C)



(D)



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(B)


1998 sind alle Verfügungen, die das Land Sachsen-Anhalt
ausgesprochen hat, von Frau Merkel außer Kraft gesetzt
worden. Frau Merkel hat wider besseres Wissen gehan-
delt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie ist ein zu großes Risiko eingegangen – auf Kosten ih-
rer Mitmenschen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mir persönlich läge an einer Aufarbeitung dieser Vor-
gänge und auch der gutachterlichen Stellungnahmen.

Ich bin froh und dankbar, dass Umweltminister Trittin
mit Schreiben vom 4. Mai dieses Jahres alle diese Anwei-
sungen außer Kraft gesetzt hat. Nun kann – fast schon zu
spät – das Land Sachsen-Anhalt mit dem Bundesamt für
Strahlenschutz gemeinsam an die Bewältigung des Scha-
dens gehen. Ich hoffe, dass ab kommenden Montag die
schon angesprochenen vorgezogenen Verfüllmaßnahmen
durchgeführt werden.

Ich möchte ganz deutlich sagen: Hier ist Gefahr im
Verzuge. Es geht um Gefahrenabwehr. Es handelt sich
nicht um eine Gefahr, die eventuell eintreten könnte, son-
dern es handelt sich um eine Gefahr – da können Sie den
Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz fragen –,
die im Verzuge ist. Das muss deutlich gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413316700
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1413316800
Zum Schluss
habe ich die Bitte, dass alle notwendigen Unterlagen, die
für das Planfeststellungsverfahren erforderlich sind und
die der Bund liefern muss, dem Land Sachsen-Anhalt un-
verzüglich zur Verfügung gestellt werden, und zwar zum
Wohle der Bürgerinnen und Bürger von Morsleben und
auch der gesamten Region.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413316900
Als
nächster Redner hat der Kollege Ulrich Klinkert von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Ulrich Klinkert (CDU):
Rede ID: ID1413317000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gewährleistet,
dass aus dem Endlager Morsleben keine unzulässige Frei-
setzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung stattfindet.
Die Standsicherheit des Südfeldes wie des gesamten
Bergwerkes ist nicht gefährdet. – Diese Erkenntnis aus
jüngster Zeit stammt nicht von mir, sondern vom Präsi-
denten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram
König, der sich auf wissenschaftliche Untersuchungen
des BfS und der Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe stützt. Wenn dem so ist, woran kein Zwei-
fel besteht, dann muss ich feststellen, dass der Bundes-

umweltminister im Zuge Panikmache hier und heute dem
Parlament die Unwahrheit gesagt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Da haben Sie nicht zugehört! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zu Ihrer Verantwortung in diesem Bereich!)


Wenn man die Worte des Präsidenten des BfS, Herrn
König, hört, dann fragt man sich allerdings: Warum diese
Aufregung? Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Herr
König ist nämlich in eine von ihm selbst aufgestellte Falle
getappt. Die Erkenntnis, dass es Risse im Südfeld gibt
– übrigens weit oberhalb der infrage kommenden Einlage-
rungsräume und auch noch seitlich versetzt, sodass diese
Räume nicht betroffen sein können –, ist überhaupt nicht
neu. Diese Risse und mögliche Lösen werden von den Fach-
leuten als gefahrlos beherrschbare Erscheinung angesehen.

Nicht neu ist auch, dass schon lange geplant ist, die drei
Einlagerungsräume zu verfüllen bzw. – wie der Bergmann
sagt – zu versetzen. Diese Maßnahme ist vom BfS – übri-
gens lange bevor Herr König dort Präsident wurde – in die
Wege geleitet worden. Unbekannt ist vielleicht die Tatsa-
che, dass sich das damals grün-geführte Umweltministe-
rium des Landes Sachsen-Anhalt immer gegen einen sol-
chen Versatz gesperrt hat und die dafür notwendigen
Genehmigungen verweigert hat.

Interessant ist ferner, dass Herr König selbst in diesem
sachsen-anhaltinischen Umweltministerium als Staatsse-
kretär gearbeitet hat, also für diese Verweigerung auch
persönliche Mitverantwortung tragen muss. Man hätte
folglich schon längst und in Ruhe, spätestens aber seit
1998, verfüllen bzw. versetzen können. Wie gesagt: Die
Risse stellen keine akute Gefahr dar; sie sind spätestens
seit 1996 bekannt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wenn ein Brocken herunterfällt, macht das nichts?)


Dann wollte Herr König in seiner Eigenschaft als Prä-
sident des BfS offensichtlich Entschlossenheit und
Durchsetzungsvermögen dokumentieren und den Versatz
einleiten. Nebenbei wollte er – dagegen ist nichts zu sa-
gen – die dort Beschäftigten mit dieser Aufgabe betrauen,
weil durch die Verweigerungshaltung der Landesregie-
rung erstens das Einlagern nicht mehr möglich ist und
zweitens auch ein Versatz nicht mehr durchgeführt wer-
den kann.

Nach dem Motto „Die Geister, die ich rief, werd’ ich
nun nicht wieder los“ hat die sachsen-anhaltinische Lan-
desregierung die Genehmigung für einen Versatz weiter-
hin nicht erteilt. Um dennoch tätig werden zu können,
musste eine Gefahr für die Bergsicherheit konstruiert wer-
den. Dabei hat Herr König im Rückgriff auf altbekannte
Tatsachen völlig überzogen; im Übrigen hat er wahr-
scheinlich nicht mit der Reaktion der Medien gerechnet.
Die Panikmache hat dazu geführt, dass die Medien ihn mit
„akuter Einsturzgefahr“, „Wassereinbruchsgefahr“ und
anderen Katastrophenszenarien zitieren, die dann wie-
derum zur Verunsicherung der Bevölkerung vor Ort ge-
führt haben.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Richtig!)





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Um diese Verunsicherung wenigstens etwas zu egali-
sieren und den von ihm angerichteten Schaden ein wenig
auszugleichen, ist Herr König gestern nach Morsleben ge-
fahren. Ich habe zwar noch nichts gehört, hoffe aber sehr,
dass er die Situation ein wenig realistischer dargestellt
hat,


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So realistisch, dass es jeden Tag einstürzen kann!)


dass er gesagt hat, dass keine Gefahr des Austretens un-
zulässiger Konzentrationen besteht, dass die Salzbarriere
des Endlagers sicher ist, dass es nicht zu akutem Herab-
fallen von großen Lösen mit Einwirkungen auf die end-
gelagerten Stoffe kommen kann und dass auf keinen Fall
die Gefahr eines Einsturzes des Bergwerkes bzw. von Tei-
len des Bergwerkes besteht.

Herr König sollte auch darstellen, dass die sachsen-an-
haltinische Landesregierung den Versatz sowohl vor dem
Regierungswechsel als auch danach zunächst verweigert
hat und dass die unseriöse Panikmache zu einer Verunsi-
cherung der Bevölkerung geführt hat. Aber es hat ja bei
Rot-Grün Methode, dass man versucht, die Kernenergie-
nutzung durch die Blockade des Entsorgungspfades und
durch Panikmache insgesamt zu diskreditieren.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verschließen immer die Augen! – Jörg Tauss [SPD]: Sie kennen sich wirklich nicht aus!)


Insgesamt betrachte ich diese Aktuelle Stunde als Ei-
gentor von Rot-Grün.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413317100
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt von
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413317200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der
Tat schade, dass man keine ehemalige Ministerin herbei-
zitieren kann, damit sie sich ihrer Verantwortung stellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denn es war die ehemalige Umweltministerin und heutige
CDU-Chefin Frau Merkel,


(Jörg Tauss [SPD]: Der klingen die Ohren!)

die das Atomlager gegen alle Kritik, die es schon damals
gab, und alle Analysen verteidigt hat, obwohl sie gewarnt
war. Sie hat immer wieder alles abgebügelt, indem sie ge-
sagt hat: Morsleben ist sicher. Sie hat den Weiterbetrieb
ohne neues Genehmigungsverfahren bis 2005 durchge-
setzt und ist – das möchte ich hier nochmals sagen – erst
durch einen Gerichtsbeschluss gestoppt worden. Es hat
des Regierungswechsels bedurft,


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist doch Quatsch!)


damit ein neuer Umweltminister, nämlich Umweltminis-
ter Trittin, die Bundesweisung von Frau Merkel zurück-
nehmen konnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso war es!)


Wenn sich Frau Merkel und Herr Hirche ihrer Verant-
wortung hier nicht stellen, so sind heute wenigstens die
ehemaligen parlamentarischen Staatssekretäre Herr Laufs
und Herr Klinkert da, die beide die Verantwortung mitzu-
tragen haben. Nur, wie sie das hier tun, verschlägt mir
wirklich schlichtweg die Sprache.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mir wird noch nachträglich angst und bange, wenn ich mir
überlege, dass solche Menschen wie Sie


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Jetzt wäre ich aber vorsichtig an Ihrer Stelle, Frau Hustedt! Sagen Sie doch mal was zu Ihren Leuten! Unglaublich!)


Verantwortung für die Sicherheit von Atomkraftwerken,
für die Sicherheit von Transporten und für die Sicherheit
von End- und Zwischenlagerstandorten getragen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Was ist mit Fakten?)


Wenn Sie es normal finden, dass Teile des Lagers
– Gott sei Dank nicht das ganze Lager – zusammenbre-
chen, und wenn Sie es normal finden, dass dort zentime-
tergroße Risse auftreten,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Horrorszenario zweiter Teil! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Fakten, Fakten, Fakten! Und immer an die Wähler denken!)


und uns Panikmache vorwerfen, wenn wir sagen, dass da
jetzt etwas getan werden muss, dass gehandelt werden
muss, dass man es gar nicht so weit hätte kommen lassen
dürfen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


dann kann ich nur sagen: Sie haben es noch immer nicht
kapiert.


(Zuruf von der CDU/CSU: Waren Sie schon mal da?)


Das wirft die interessante Frage auf: Warum ist es denn
bei Ihnen immer so, dass Sie die Gefahren verharmlosen?


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Welche? – Dr. Paul Laufs [CDU/CSU]: Das weisen wir entschieden zurück!)


Das tun Sie ja nicht nur bei Morsleben, sondern auch bei
der Wiederaufbereitung, die im Prinzip eine illegale Zwi-
schenlagerung ist, die Sie befördert haben.


(Beifall bei der SPD)





Ulrich Klinkert

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(D)



(A)



(B)


Das tun Sie auch in Bezug auf Gorleben, auf den Schacht
Konrad und auf Asse.

Ich nehme einmal das Beispiel Gorleben, weil Sie in
dem Zusammenhang immer sagen: Wir haben doch ei-
gentlich ein Endlager. Viele Wissenschaftler sagen, Gor-
leben sei nicht für die Lagerung von radioaktivem Müll,
der dort im Umfang von 10 000 Tonnen eingelagert wer-
den soll, geeignet.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Es geht um Morsleben!)


Denn aufgrund mikrobieller anaerober Tätigkeiten könn-
ten sich Gase entwickeln, die dieses Gestein nicht durch-
lässt,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Nicht Gorleben, Morsleben!)


was zu Rissen führen könnte. Das Deckgebirge könnte
dann nicht mehr ausreichen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wer sagt das? – Birgit Homburger [F.D.P.]: Also doch Panikmache!)


– Das ist für Sie natürlich wieder Panikmache, weil Sie
verharmlosen. Dies müssen Sie tun, weil Sie in Bezug auf
die Atomkraft kein Entsorgungskonzept haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie sagen doch selber, dass Sie ein Endlager brauchen! Sagen Sie doch, was Sie machen wollen!)


Sie mussten die Wiederaufbereitung, die im Prinzip
eine illegale Zwischenlagerung ist, genehmigen, weil Sie
ansonsten keinen Entsorgungsnachweis hätten vorlegen
können.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Es geht um Morsleben!)


Obwohl es berechtigte Zweifel an der Geeignetheit von
Gorleben gegeben hat, haben Sie die Erkundung nur des-
halb weiter betrieben, weil Sie sonst keinen Entsorgungs-
nachweis gehabt hätten.


(Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie wissen, dass das nicht stimmt!)


Ihr gesamtes Gebäude der Pro-Atomkraftpolitik wäre wie
ein Kartenhaus in sich zusammengefallen, wenn Sie nur
den geringsten Zweifel an der Sicherheit von Morsleben
bzw. Gorleben oder an der Wiederaufbereitung zugelas-
sen hätten.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist aber ein Unterschied!)


Das ist der Grund dafür, dass Sie in dieser Art und Weise
verharmlosen, wie Sie es tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann nur feststellen: Es wurde Zeit, dass Menschen

an die Regierung kommen, die nicht verharmlosen und
die nicht ideologisch verblendet sind, sondern sich ernst-

haft Gedanken um die Sicherheit der Atomkraft und um
die Entsorgung des Mülls machen


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ihr schiebt alles auf die lange Bank!)


und versuchen, die Fehler, die Sie gemacht haben, wieder
gutzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie versuchen, bei den Leuten Panik zu machen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413317300
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Ganseforth von der SPD-
Fraktion.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1413317400
Herr Präsident! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Es gibt viele Gründe dafür,
dass sich der Regierungswechsel gelohnt hat. Die heutige
Debatte hat mir einen weiteren deutlich gemacht: Es ist
unverantwortlich, was ich von Ihrer Seite gehört habe, als
stimme es gar nicht, dass das Lager Morsleben nicht für
Atommüll geeignet ist und auch nie gewesen ist.

Das ist das Thema, mit dem wir uns heute befassen
müssen, und nicht die Verfüllung oder sonst etwas. Dass
das Ministerium in Bezug auf Morsleben mit großer Ver-
antwortung vorgeht, damit die Menschen keine Angst ha-
ben müssen, das hat nichts damit zu tun, dass es unver-
antwortlich war und ist, in dieses Bergwerk Atommüll
einzulagern.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ihr schiebt alles auf die lange Bank!)


Wir haben es hier wieder mit einer der üblichen Altlas-
ten zu tun. Hier besteht sogar eine doppelte Altlast: eine
Altlast aus der ehemaligen DDR, die nahtlos von der Re-
gierung aus CDU/CSU und F.D.P. fortgeführt worden ist.
Sie haben ja immer das fortgeführt, was in Ihr Konzept
passte, während Sie andererseits alles andere, was die
Kommunisten gemacht haben, furchtbar fanden. Wenn es
aber in Ihr Konzept passte, war es immer vom Besten. Sie
haben das dann unbesehen und in unverantwortlicher
Weise übernommen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie fanden nie etwas schlimm, was die Kommunisten gemacht haben!)


Dabei gab es von Anfang an große Bedenken gegen die
Langzeitsicherheit von Morsleben. Dort hätte nie Atom-
müll gelagert werden dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Beispiel haben Wissenschaftler des Brennstoffinsti-
tuts in Freiberg im Erzgebirge schon in den 70er-Jahren in
einem offiziellen Zwischenbericht im Zusammenhang
mit einer staatlichen Sicherheitsstudie formuliert – jetzt
sollten Sie zuhören –:

Der zentrale Teil der Grube lässt wahrscheinlich
keine ausreichende Standsicherheit erwarten.

Das war damals schon bekannt.




Michaele Hustedt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Trotzdem hat die ehemalige DDR ab 1986 mit der Ein-
lagerung von Atommüll begonnen. Das ist schlimm ge-
nug. Unverantwortlich ist aber, dass Sie das nach der Ver-
einigung nahtlos fortgesetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schon am 2. Oktober 1990 hat das Bundesumweltminis-
terium verfügt,


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ihr schiebt alles auf die lange Bank!)


dass das Endlager Morsleben ab 3. Oktober als „Anlage
des Bundes“ weiterbetrieben wird. Die Regierung
Kohl – verantwortlich war Frau Merkel – hat sogar noch
versucht, eine Verlängerung des Betriebes bis zum Jahre
2005 durchzusetzen. Gerade Frau Merkel hätte doch aus
eigener Erfahrung wissen müssen, wie in Ostdeutschland
mit Sicherheitsstandards umgegangen, wie wenig dort
auf die Bevölkerung Rücksicht genommen und wie viel
geheim gehalten worden ist. Aber wenn es ins Konzept
passt, dann wird es nicht mehr wie sonst bei jeder Gele-
genheit angeprangert, sondern aus ideologischen Grün-
den einfach in Kauf genommen. Sie haben es ja heute
auch gesagt: Sie mussten irgendwo hin mit dem Atom-
müll. Sie haben also die Augen zugedrückt und die Ge-
nehmigung des Unrechtsregimes einfach übernommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie hätten Greifswald geschluckt!)


Wie verblendet muss man sein, ja wie leichtfertig und
fahrlässig, so etwas zu machen und so mit der Sicherheit
der Menschen umzugehen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das richtet sich nicht nur an die Regierung Kohl,
Merkel & Co. – von ihr sitzen hier einige –, sondern ich
finde auch, dass die Genehmigungsbehörden und die Ex-
perten in den Ministerien dafür zur Rechenschaft gezogen
werden müssten oder sich fragen lassen müssten, ob sie
wirklich alles berücksichtigt haben und ob sie nicht auf
Weisung von oben in vorauseilendem Gehorsam das eine
oder andere unterstützt haben. Es gab genug Warnungen.

Die Regierung von Sachsen-Anhalt hat sich gewehrt
und versucht, die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung
in den Mittelpunkt zu stellen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die schieben auch alles auf die lange Bank! – Ulrich Kasparick [SPD], zur CDU/CSU gewandt: Dummes Zeug, was Sie da drüben erzählen! Sie haben keine Ahnung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Doch. Frau Merkel hat per Weisung die Lagerung von
Atommüll durchgesetzt. Es kam Atommüll aus Gund-
remmingen, von Isar 1 und Isar 2, aus dem Versuchs-
atomkraftwerk Kahl, aus Würgassen, aus Hamm-Uen-
trop usw. Es sind Atommüllmengen in das Lager
hereingekommen – der Minister hat es gesagt –, die mehr
waren als zu Zeiten der DDR. Erst mit dem Regierungs-
wechsel wurde ein Schlussstrich unter diese unverant-
wortliche Praxis gezogen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich haben die Gerichte auch etwas dazu gesagt.
Aber es sind acht Jahre verloren gegangen, und es wurde
weiter Atommüll eingelagert. Das hätten wir nicht ge-
macht. Der eingetretene Schaden ist groß genug. Man
muss sich das einmal vorstellen: Die Salzbergwerke sind
über 100 Meter lange Hallen, 25 Meter hoch; das sind
Riesenhallen. Da ist die Standsicherheit nicht gegeben, es
können die Brocken herunterfallen, es sind Risse drin.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wissen Sie, wovon Sie reden?)


Als wir gesagt haben, dass wir damit aufhören, kam
von Ihrer Seite – auch heute haben Sie das wiederholt –
die Frage, welche neuen fachlichen Erkenntnisse dahinter
steckten. Herr Laufs hat es wiederholt: Es ist alles in Ord-
nung, man könnte so weitermachen. – Das zeigt, wie
ignorant Sie sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Zeiten der leichtfertigen Weisungen und dieser Ge-
nehmigungen sind vorbei. Wir von der SPD und vom
Bündnis 90/Die Grünen werden uns – anders als die Re-
gierung Kohl, Merkel & Co. – frei von ideologischen
Festlegungen und ohne Abstriche bei der Sicherheit, an
die Lösung der Aufgabe der Endlager machen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413317500
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Klaus
Lippold von der CDU/CSU.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Jetzt setzt sich die Vernunft durch!)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1413317600
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
haben von der früheren DDR-Regierung,


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Alles übernommen!)


von der SED-Politik in Sachen Kernenergie ein schlim-
mes Erbe übernommen.


(Gerhard Jüttemann [PDS]: Und weitergeführt!)


Unter unserer Regierung mit ihrer verantwortungsvollen
Politik sind wir darangegangen, das zu ändern.


(Widerspruch bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Lüge!)


Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, Frau Ganseforth,
dann hätte der DDR-Staat fortbestanden und dann hätten
wir diese Risiken heute noch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wir haben das beendet, Das sage ich, damit das klar ist!




Monika Ganseforth

12831


(C)



(D)



(A)



(B)


Jetzt will ich Ihnen sagen: Wir haben die unsicheren
Reaktoren in Greifswald abgeschaltet. Dazu haben Sie nie
etwas gesagt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wollen Sie noch dafür gelobt werden, dass Sie Greifswald nicht weitergemacht haben?)


Wir haben Wismut mit einem Riesenaufwand saniert und
wir haben dafür gesorgt, dass auch von Morsleben keine
Gefahr für die Bevölkerung ausgeht.

Ich will auch hier noch einmal in aller Deutlichkeit sa-
gen: Sie greifen wieder auf die alte Politik der Panikma-
che zurück. Man sieht es ja auch bei der Besetzung der
Grünen hier und heute.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Loske, der gesagt hat: „Wir müssen zu einer an-

deren Politik kommen und dürfen nicht immer die Leute
mit Katastrophen verängstigen,


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Stimmt! Die lügen Sie einfach an!)


insbesondere dort, wo sich dies nicht halten lässt“, er ist
heute nicht hier. Heute sitzen hier die, die mit den Ängs-
ten der Bevölkerung spielen, die Katastrophen an die
Wand malen, obgleich die Experten sagen, dass es keine
Gefährdung gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Sie wollen also weiter einlagern? – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Machen wir uns nichts vor: Experten sind doch nicht
Frau Hustedt und nicht Frau Ganseforth und Experte ist
auch nicht Herr Trittin. Die Experten sitzen in der Reak-
tor-Sicherheitskommission. Sie haben bestätigt, dass das
Vorgehen verantwortungsvoll ist. Die Experten sitzen im
Bundesamt für Strahlenschutz. Auch die haben das über
die ganzen Jahre hinweg bestätigt. Die Experten sitzen im
zuständigen Bergamt. Auch sie haben gesagt, es gebe
keine Gefährdung. Sie wollen mit der alten Masche der
Verängstigung Politik machen.


(Widerspruch bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dann gehen Sie mal nach Morsleben und reden dort mit den Leuten!)


Sie wollen von den Schwächen Ihrer derzeitigen Politik
ablenken. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn sich der Minister darauf versteift, das Endlager-

konzept der alten Bundesregierung sei gescheitert, dann
ist dies eine Form der Heuchelei, die wirklich nicht zu
überbieten ist. Erst tun Sie alles, damit das Endlagerkon-
zept nicht zum Tragen kommt, und hinterher sagen Sie, es
sei noch nicht realisiert. – So geht es nicht, Herr Trittin.
Das ist Heuchelei. Sie lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Sie brauchen sich gar nicht so gelassen zurückzuleh-
nen, als sei das alles irrelevant. Das hat auch Herr Klimmt
gemacht, bis der Kanzler gesagt hat, er stütze ihn. Irgend-
wann wird er auch Sie stützen. Ich sagte ausdrücklich:
stützen. – Die Folge ist die gleiche.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ein weiterer Punkt. Ausgerechnet dieser Minister, der
das Endlagerkonzept für gescheitert erklärt, fängt auf ein-
mal an, Transportbehälter auf die grüne Wiese zu stellen,
nennt das Zwischenlager und sagt dann noch, die anderen
seien dafür, dass die Bevölkerung ein Risiko erdulden
muss. Wenn sichere Endlagerkonzepte nicht hinreichend
sind, wieso reden Sie dann von Zwischenlagern? Heute
haben Sie sich verplappert. Sie haben gesagt, Sie wollten
bei den Kraftwerken die direkte Endlagerung. Da sieht
man es doch: Sie haben das Endlagerkonzept abgeschrie-
ben. Sie wollen den Leuten in den Dörfern die Container
auf die grüne Wiese stellen. Das ist Ihre Form von
Sicherheitsphilosophie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)


Ich bin gespannt, Herr Trittin, was die Anti-Kernkraft-
Bewegung von Ihrer Philosophie vor Ort halten wird,
wenn Sie mit den dezentralen Zwischenlagern, die Sie zu
Endlagern machen wollen, anfangen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wer macht denn hier Panik?)


Dafür werden Sie die Quittung bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD)

Bei einem Thema wie dem heutigen wollen Sie doch nur
Ihrer eigenen Klientel signalisieren, Sie seien noch auf
dem Anti-Kernkraft-Pfad. Der Kanzler hat Ihnen in dieser
Frage mehrfach das Rückgrat gebrochen. Die Kernkraft
wird zu Recht weitergeführt, weil sie sicher ist.


(Monika Ganseforth [SPD]: Ideologie ist das, was Sie vertreten! Sie lernen nichts dazu!)


Wir werden mit dem unsinnigen Beschluss, aus der Kern-
kraft auszusteigen, nach der nächsten Wahl Schluss ma-
chen. Damit werden wir eine vernünftige Klimaschutzpo-
litik erreichen,


(Monika Ganseforth [SPD]: Dann wird Morsleben wieder aufgemacht!)


die Sie nicht garantieren können, weil Sie auf den falschen
Feldern und auch mit einer falschen Politik arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413317700
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege Ulrich
Kasparick von der SPD-Fraktion das Wort.




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

12832


(C)



(D)



(A)



(B)



Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1413317800
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der
CDU! Herr Dr. Laufs, wir haben gestern in der Energie-
Enquete-Kommission mit Ihrem verehrten Kollegen Pro-
fessor Töpfer zusammengesessen, dem Leiter des Um-
weltprogramms der Vereinten Nationen. Es war für mich
eine Wohltat, Herrn Töpfer zuzuhören. Nach dem, was ich
von Ihnen erleben musste, möchte ich Ihnen dringend
empfehlen, einmal einen Töpfer-Kurs zu belegen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seine Beiträge waren um Welten besser als das, was
Sie heute hier vorgetragen haben. Ich will Sie kurz zitie-
ren. Sie haben uns, Herr Dr. Laufs – ich kenne Sie aus der
Energie-Enquete-Kommission, das war unter Ihrem Ni-
veau, das können Sie besser –, irrationale Anti-Atom-Agi-
tation vorgeworfen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist völlig unter Ihrem Niveau, solche Vorwürfe zu ma-
chen, noch dazu, wenn sie nicht belegt werden.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Herr Klinkert hat gesagt: Das ist alles nicht neu. Wir

wissen das alles. Die Risse stellen keine akute Gefahr dar.
Das ist alles erfunden.


(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ CSU]: Gut, dass Sie das wiederholen! Das war sehr richtig!)


Das ist alles Panikmache. – Das Schönste war für mich,
dass er den Präsidenten des Bundesamtes, der hier heute
die ganze Zeit sehr aufmerksam zuhört, angreift


(Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!)

und ihm vorwirft, dass er, der als Staatssekretär im Um-
weltministerium in Magdeburg derjenige gewesen ist, der
am engagiertesten für die Schließung gekämpft hat, das
ganze Verfahren verzögere. Das ist reichlich unver-
schämt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will deshalb einen weiteren Punkt aufgreifen. An
Argumenten ist schon viel genannt worden. Worum geht
es? Es geht um 10 000 Kubikmeter mittelradioaktives
Material, das noch nicht einmal gestapelt ist, sondern aus
20 Meter Höhe einfach in den Berg geworfen worden ist.
Das liegt jetzt dort unten und es besteht die Gefahr, dass
Salzbrocken darauf fallen und radioaktiver Staub entsteht.
Das ist die Gefahr, um die es geht. Trotzdem sagen Sie
hier: Es ist alles harmlos, wir wissen das seit Jahren. Sie
zitieren die berühmten Experten, auf die ich noch einmal
zu sprechen kommen wollte. Sie behaupten, diese Exper-
ten hätten Ihnen gesagt, alles sei sicher.

Sie haben damals selber das Bundesamt für Strahlen-
schutz gebeten, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Seit
1994 wissen Sie, dass Wasser eintreten kann. Was machen
Sie denn mit den Gutachten dieser Experten? Sie wischen
sie einfach vom Tisch. Das ist Ihr Problem. Sie nehmen
die Gutachten nicht ernst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Als ich mich auf diese Rede vorbereitet habe, bin ich
richtig zornig geworden: Wir müssen nämlich Ihren Müll
wegräumen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


den Müll einer verfehlten Energiepolitik. Das, was da
liegt, ist der Müll Ihrer verkehrten Energiepolitik. Wir
sind ausgesprochen dankbar dafür, dass damit jetzt end-
lich Schluss ist und dass wir in Deutschland einen ver-
nünftigen Energiepfad gehen. Ich wünsche mir – das be-
trifft insbesondere die beiden früheren Parlamentarischen
Staatssekretäre –: Lassen Sie uns doch einmal zur Sache
reden. Kommen Sie nicht immer mit den Argumenten, wir
würden eine irrationale Anti-Atom-Diskussion führen.

Es geht um ein Gefährdungspotenzial, nämlich um
10 000 Kubikmeter strahlendes Material, das verkippt im
Berg liegt und gesichert werden muss. Ich bin dem Um-
weltminister und dem Bundesamt für Strahlenschutz sehr
dankbar, dass sie jetzt endlich die notwendigen Schritte
einleiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1413317900
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 a bis c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Agrarbericht 2000
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Agrarbericht 2000
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Matthias Weisheit, Brigitte Adler, Ernst Bahr,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarbericht 2000
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– Drucksachen 14/2672, 14/3380, 14/3391,
14/4236 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Meinolf Michels
Marita Sehn






(C)



(D)



(A)



(B)


b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Vergütung der Mineralöl-

(Agrardieselgesetz – AgrdG)

– Drucksachen 14/4218, 14/4294 –

(Erste Beratung 125. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des

Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4616 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Schindler


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/4619 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten (10. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn,
Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Tanken von eingefärbtem Agrardiesel unbüro-
kratisch ausgestalten
– Drucksachen 14/3105, 14/4605 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Holger Ortel

Zum Agrardieselgesetz liegt ein Änderungsantrag der
PDS-Fraktion vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Kol-
lege Holger Ortel von der SPD-Fraktion das Wort.


Holger Ortel (SPD):
Rede ID: ID1413318000
Herr Präsident! Verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Präsident, mit Ihrer freundli-
chen Erlaubnis darf ich einige Gäste, die diese Debatte
verfolgen, herzlich begrüßen, zum Beispiel den Ge-
schäftsführer des niedersächsischen Landvolkes, Herrn
Dr. Sohn, Herrn Scholten, den Präsidenten der Landwirt-
schaftskammer Weser-Ems, Herrn Hensel, den Vizepräsi-
denten der Landwirtschaftskammer Hannover, und den
Kreislandwirt Kai Seeger aus dem Landkreis Oldenburg.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute
in verbundener Debatte über den Agrarbericht 2000 und
das Agrardieselgesetz. Ich möchte diese Beratung etwa
sechs Wochen vor dem Jahreswechsel in den Zusammen-
hang folgender aktueller Themen von grundsätzlicher Be-
deutung stellen:

Erstens. Die seit Jahren andauernde BSE-Krise hat
sich dramatisch zugespitzt. In Frankreich häufen sich die
BSE-Fälle. Die dortige Bevölkerung verzichtet auf den
Verzehr von Rindfleisch, seitdem das Fleisch aus einer
Herde, in der BSE festgestellt wurde, in Verkehr gelangt
ist. Die Regierung hat ein Bündel von Maßnahmen be-
schlossen, wobei ich vor allem auf das vorläufige Verbot
der Tiermehlverfütterung hinweisen möchte.

Spanien hat ein nationales Einfuhrverbot für Rinder
aus Frankreich erlassen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ob es wirksam wird, wird sich erst noch zeigen!)


Auch in Österreich und Italien überlegt man sich solche
Schritte. Die gemeinsame Agrarpolitik droht wegen des
BSE-Skandals auseinander zu brechen. In Frankreich ist
der Rindfleischmarkt zusammengebrochen. Die Preise
für die Erzeuger sind drastisch zurückgegangen. Das darf
bei uns nicht passieren.

Deshalb bitte ich die Bundesregierung, im Interesse
des Verbraucherschutzes, aber auch zum Schutze der
Landwirte zu handeln. Beschließen Sie, Herr Bundesmi-
nister Funke, im Agrarrat am Montag mehr Tests zum
Schutz der Verbraucher. Sorgen Sie dafür, dass für den
Umgang mit Tiermehl EU-weite Beschlüsse gefasst wer-
den und prüfen Sie die Forderungen des Europäischen
Parlaments nach einem Verfütterungsstopp. Wenn die
Schutzmaßnahmen EU-weit verschärft werden, brauchen
wir keine nationalen Einfuhrverbote.

Zweitens. Im Zusammenhang mit dem Schutz vor BSE
und dem drohenden Rückfall in nationalstaatliches Han-
deln fordere ich die EU-Kommission und die Regierun-
gen der Mitgliedstaaten auf, in der Europäischen Union
vergleichbare Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Es
ist nicht hinnehmbar, dass die Mitgliedstaaten bei der
Festsetzung von Steuersätzen für Energie nahezu völlige
Freiheit haben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wollt ihr nicht mal klatschen, sonst merkt man nicht, zu welcher Fraktion er gehört! – Beifall bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Wir klatschen, wann wir wollen!)


– Herr Kollege Carstensen, es wäre gut, wenn Sie mit
Ihren Zurufen etwas aus der Flachwasserzone herauskä-
men.


(Beifall bei der SPD)

Bei landwirtschaftlichem Dieselkraftstoff tritt das

Problem besonders deutlich zutage. Deshalb muss hier
zuerst und ganz schnell etwas getan werden;


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] der Korridor für nationale Maßnahmen muss sehr viel enger werden. Hier sind nicht nur der Rat der Agrarminister und der Landwirtschaftskommissar gefordert; um diese Fragen muss sich endlich auch der Wettbewerbskommissar kümmern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
12834


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich begrüße die gestrige Meldung, die Kommission
wolle Steuerbefreiungen im Mineralölbereich abschaffen.
Wir haben immer gesagt, dass das Agrardieselgesetz und
die Einführung eines besonderen Steuersatzes für land-
wirtschaftlichen Dieselkraftstoff von einer EU-Initiative
begleitet werden müssen. Wir verabschieden jetzt das Ge-
setz und setzen darin einen Steuersatz von 57 Pfennig je
Liter Diesel fest, werden aber in diesem Parlament stän-
dig nachhaken, was sich in Brüssel tut.


(Lachen bei der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich!)


Wir brauchen in der EU vergleichbare und faire Wettbe-
werbsbedingungen für unsere Landwirte. Das bedeutet
aber keinen Abbau von Umweltstandards, das darf nicht
heißen: weniger Tierschutz oder weniger Verbraucher-
schutz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb geht auch die Forderung des Bauernverbandes,
statt Diesel Heizöl zu tanken, ins Leere.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Unsere gemeinsame Devise muss sein: gleiche
Wettbewerbsbedingungen mit ökologischer Vernunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


All diejenigen, die meinen, Landwirtschaftspolitik sei
eine Politik nur für Bauern, irren. Diese Annahme ist
falsch, entspricht nicht unserem Verständnis und wäre
auch nicht zukunftsorientiert.

Wir sind der Auffassung, dass die Landwirtschaftspo-
litik in eine Politik für den ländlichen Raum eingebettet
sein muss, Umwelt- und Naturschutz zwar nicht gegen die
Bauern durchgesetzt werden dürfen, aber eine heraus-
ragende Aufgabe für die Agrarpolitik der Zukunft darstel-
len,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dass Tierschutz immer wichtiger wird und Konsumenten
und Bauern in einem Boot sitzen; deshalb müssen Bauern
die besseren Verbraucherschützer sein.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Um es ganz deutlich zu machen: Wenn wir über ver-
gleichbare und faire Wettbewerbsbedingungen für unsere
Landwirte reden, meinen wir nicht weniger Umwelt-,
Tier- oder Verbraucherschutz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte deshalb den Bundesminister, den Agrarbericht
nicht als Bericht über oder für die Landwirtschaft aufzu-
fassen; der Bericht muss sich noch mehr als bisher an die
Konsumenten richten und umfassend über Umwelt-, Tier-
sowie Verbraucherschutz berichten. Wir helfen unseren
Landwirten und deren Familien mehr, wenn einer breiten

Bevölkerung bewusst wird, wie schwer, aber auch wie gut
und verantwortungsvoll auf deutschen Bauernhöfen gear-
beitet wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss eine Bemerkung ma-
chen: Ich habe mir den Entschließungsantrag der
CDU/CSU-Fraktion angeschaut.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist sehr vernünftig!)


– Das kann durchaus so sein, Herr Kollege. – Was Sie im
Grunde genommen in Ihrem Antrag fordern, ist, Steuern
und Abgaben zu senken und gleichzeitig die Zuschüsse zu
erhöhen. Bei dieser Rechenkunst würde sich der alte
Adam Riese im Grabe herumdrehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Detlev von Larcher [SPD]: Neue Schulden wollen sie machen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413318100
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich nunmehr dem Kollegen
Peter Harry Carstensen das Wort.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1413318200
Herr
Präsident Seiters! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich habe gestern eine Pressemitteilung erhalten, der
zufolge der ehemalige Bundesminister Ertl einen schwe-
ren Unfall gehabt hat, und ich möchte ihm, wenn Sie ge-
statten, auch im Namen des Agrarausschusses, beste Ge-
nesungswünsche übermitteln.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir wissen, wie engagiert er in der Landwirtschaft gewe-
sen ist, und wir wissen auch, was er für die Landwirtschaft
getan hat.

Es ist manchmal erstaunlich, dass nicht gesehen wird,
dass die größte ökologische Leistung der Landwirtschaft
in dieser Welt und insbesondere auch in Deutschland die
Ernährung der Menschen ist. In Deutschland ackert ei-
ner und 110 werden satt.


(Zuruf von der F.D.P.: Es sind mehr!)

– Es mag auch sein, dass es mehr sind. – Dies ist in dieser
Zeit der Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft notwendig.
Man lebt in den Städten und lässt sich aus dem Land, von
dem Bauern ernähren. Ich glaube, es ist angebracht, auch
einmal Dank dafür zu sagen.


(Beifall im ganzen Hause)

Denn die Landwirtschaft liefert nicht nur Nahrung, son-
dern betreibt auch Natur- und Landschaftspflege, pflegt
Erholungsräume und sorgt für gute Luft.


(Detlev von Larcher [SPD]: Stimmt! Da haben Sie Recht!)





Holger Ortel

12835


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies wird neben der Nahrungsmittelerzeugung umsonst
oder zu günstigen Kosten geliefert. Auch dafür ein herzli-
ches Dankeschön.

Die Landwirtschaft ist nicht nur Wirtschaft. In man-
chen Ländern heißt Landwirtschaft Agrarkultur, Agrikul-
tur. Das zeigt, dass wir es mit einem Kulturraum, mit ei-
ner ländlichen Kultur zu tun haben, die bodenständig und
konservativ im guten, bewahrenden Sinne ist. Auf den
ländlichen Raum kann man sich verlassen, wenn der länd-
liche Raum von Landwirtschaft und von Landwirten be-
stimmt wird. Auch für diese Leistung ist den Landwirten,
den Bauern und ihren Familien, aber auch den Fischern
und Förstern Dank auszusprechen. Ich sage das deswe-
gen, weil zur Kulturleistung auch der Erhalt von regiona-
len Sprachen gehört, über die wir hier schon einmal dis-
kutiert haben. Wo wäre wohl das Friesische, das
Plattdeutsche,


(Detlev von Larcher [SPD]: Das Sächsische!)

das Sorbische, wenn es nicht draußen auf dem Lande von
den Bauern gepflegt würde? Also, meine Damen und Her-
ren, sollte unserer Landwirtschaft, unserem ländlichen
Raum Dank und Unterstützung gelten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sagen Sie das einmal Herrn Merz!)


Die Landwirtschaft geht in eine schwer werdende Zu-
kunft. Sie wird in Deutschland und in Europa mit neuen
Herausforderungen fertig werden müssen. WTO und
Osterweiterung sind nur zwei Stichworte. Ich stelle fest:
Von Rot-Grün ist keine Hilfe dazu zu erwarten, dass sich
die Landwirtschaft auf diese Herausforderung einstellen
kann, ganz im Gegenteil: Rot-Grün ist die größte Belas-
tung, die die Bauern je ertragen mussten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Rot-Grün raubt mit der Politik, die durch Minister Funke
vertreten wird, vielen die Chance, sich ordentlich auf die
Herausforderungen der nächsten Jahre vorzubereiten. An-
statt dass man den Bauern Hilfe in einem schwerer wer-
denden Wettbewerb leistet, werden ihnen durch nationale
Entscheidungen zusätzliche Belastungen aufgebürdet.
Für mich ist es schon bedauerlich, dass Minister Funke
weiß, was das bedeutet, und sich nicht durchsetzen kann,
dass Minister Funke ein Minister ist, der nicht handeln
darf, dass Minister Funke in eine Regierung eingebunden
ist, die für die Landwirtschaft nichts übrig hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: Jetzt wird es aber heftig! – Detlev von Larcher [SPD]: Armer Herr Minister!)


Die Arbeit von Funke, die Arbeit des Landwirtschaftsmi-
nisteriums machen deutlich, was Staatssekretär Wille
schon zu Beginn der Legislaturperiode ausgesprochen
hat. Er sagte am 22. Januar 1999 in Berlin:

Die Agrarwirtschaft hat bei der neuen Bundesregie-
rung einen nicht so hohen Stellenwert wie bisher.

Das hat er im März dieses Jahres beim Kreisverbands-
tag in Herford noch einmal verdeutlicht, indem er auf das
Wahlergebnis von 1998 hinwies und sagte:

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich das ge-
samte politische Umfeld für die Landwirtschaft in
Deutschland und in der EU geändert hat. Gartenbau
und Landwirtschaft täten gut daran, sich rechtzeitig
darauf einzustellen.

Herr Staatssekretär und Herr Minister, wir haben das
zur Kenntnis genommen. Auch unsere Bauern merken in-
zwischen schmerzlich, dass von dieser Bundesregierung
keine Hilfe für die Landwirtschaft zu erwarten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Das möchten Sie gern!)


Das „Landwirtschaftliche Wochenblatt“ beginnt sei-
nen Bericht über die Veranstaltung, über die ich gerade
gesprochen habe, mit folgenden Worten:

Gäbe es eine Auszeichnung für das Schönreden einer
besch… Lage, könnte der Staatssekretär im Bundes-
landwirtschaftsministerium (BML), Dr.Martin Wille,
gewiss mit einem Preis rechnen.

Ich füge hinzu: Dies könnte nur die Silbermedaille sein,
weil die Goldmedaille für das Schönreden dem Minister
selbst vorbehalten ist.


(Detlev von Larcher [SPD]: Für seine Arbeit!)

Welchen Stellenwert die Landwirtschaft bei dieser

Bundesregierung hat, wird auch deutlich, wenn der Kanz-
ler den demonstrierenden Bauern im Allgäu sagt: Warum
soll ich mich um euch kümmern? Ihr wählt uns ja doch
nicht! – Von einer Regierung, die nichts für die Landwirt-
schaft übrig hat, kann man keine Hilfe und keine optimale
Vorbereitung auf die schwieriger werdende Zukunft er-
warten. Funke war früher die einzige Hoffnung, an die
sich die Bauern beim Regierungswechsel zu Rot-Grün
klammerten. Sie sind inzwischen von diesem Landwirt-
schaftsminister tief enttäuscht und – ich glaube, mich
trügt mein Eindruck nicht – auch der Minister ist von sei-
ner Arbeit und von den ihm gegebenen Möglichkeiten
enttäuscht. Auf eine der peinlichsten Erfahrungen und
Enttäuschungen – seine und unsere –, nämlich auf das
Agrardieselgesetz, komme ich noch zu sprechen.

Ich habe in den letzten Wochen mit den Landwirten,
mit Mitgliedern und Nichtmitgliedern des örtlichen Bau-
ernverbandes, intensiv gesprochen und gefragt, was in
den letzten 24Monaten bei ihnen geschehen sei, und zwar
vor dem Hintergrund zu erwartender Änderungen durch
WTO und Osterweiterung, die eine Stärkung und nicht die
Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirt-
schaft dringend notwendig machen. Ich habe festgestellt,
dass insbesondere aufgrund der Vielzahl von Steuerände-
rungen und -reformen sowie Haushaltskürzungen die
Bundesregierung und sicherlich auch einige Landesre-
gierungen – ich denke dabei an Schleswig-Holstein –
dafür gesorgt haben, dass die deutsche Landwirtschaft in
ihrer Wettbewerbskraft erheblich geschwächt und im Ver-
gleich zu der Landwirtschaft in anderen Mitgliedstaaten
unangemessen benachteiligt wird. Dies ist offensichtlich.
Die Zahlen sprechen für sich. Wirtschaftsinstitute wie das
RWI und der Wissenschaftliche Beirat des BML bestäti-
gen dies.




Peter H. Carstensen (Nordstrand)

12836


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich weise beispielhaft auf Folgendes hin: Die Agenda-
2000-Beschlüsse kosten die deutsche Landwirtschaft
mindestens 1,5 Milliarden DM pro Jahr; Kürzung des
Agrarhaushaltes um bis zu 1,4 Milliarden DM; Kürzung
der Gasölverbilligung von ehemals 835 Millionen DM
auf 375 Millionen DM und im Jahr 2001 sogar auf null;
Gewährung eines so genannten Ausgleichs durch das
Agrardieselgesetz, in dem vorgesehen ist, die Landwirt-
schaft mit einem Steuersatz von 57 Pfennig pro Liter Die-
selkraftstoff zu belasten – nicht etwa mit 47 Pfennig, wie
wir noch vor 14 Tagen gedacht haben, und auch nicht mit
50 Pfennig, wie wir noch vor einer Woche gedacht ha-
ben –, weil sich derjenige, der eigentlich zuständig ist,
nicht durchsetzen konnte. Die Belastung der Landwirt-
schaft durch die Ökosteuer steigt auf 911 Millionen DM.
Ich muss die Liste nicht fortsetzen, weil der Kollege Deß
sicherlich auch noch darauf eingehen wird.

Ich möchte aber nicht nur die allgemeinen Positionen
deutlich machen, sondern auch darauf hinweisen, dass
uns die Landwirte vor Ort auf ihre Probleme aufmerksam
machen. Ich habe zwei Landwirte danach gefragt, wie es
bei ihnen aussieht: Der entwicklungsfähige Betrieb von
Hans Friedrichsen – den kennen Sie, Herr Bundesminis-
ter; er war derjenige, der Ihnen auf dem Bauerntag in
Nordfriesland gesagt hat: Herr Bundesminister, wenn Sie
die jetzigen Vorschläge zur Steuerreform gemacht haben,
dann haben Sie sich nicht für die Landwirtschaft einge-
setzt, und wenn Sie diesen Vorschlägen zugestimmt ha-
ben, müssten Sie zurücktreten, auch wenn Sie sie nicht ge-
macht haben – hat zusätzliche Belastungen nur durch die
höhere Agrardieselsteuer, die jetzt kommt, von 7 500 DM.
Es ist ein durchschnittlicher Familienbetrieb, auf dem
viele Stunden gearbeitet wird und von dem die Familie
ernährt werden muss.

Der Landwirt Gerhard Volquardsen aus dem Sönke-
Nissen-Koog – kernige Böden; kerniger Junge; er hat in
meiner Landwirtschaftsschule die Ausbildung gemacht;
vielleicht ist er deswegen so gut – hat 200 Hektar spit-
zenmäßigen Ackerboden, der sich intensiv bewirtschaften
lässt. Er wird eine zusätzliche Belastung allein durch die
höhere Agrardieselsteuer von 1 200 DM pro Monat bzw.
14 400 DM pro Jahr haben. Dafür sind Sie verantwortlich.

Die Agrardieseldebatte und der uns heute vorliegende
Beschlussvorschlag bedeuten eine der peinlichsten Nie-
derlagen für den Minister Funke. Nachdem der Minister
angekündigt hatte, dass der Steuersatz beim Agrardiesel
bei 47 bzw. 50 Pfennig liegen werde, ist er ausgetrickst
worden.

Ich sage Ihnen, Herr Minister: Ich habe es auch nicht
verstanden, dass Sie gerade in der hohen Zeit der Debatte,
in der vielleicht noch etwas zu retten und in der der Minis-
ter gefordert gewesen wäre, nicht hier im Land waren,
sondern sich auf eine Reise begeben haben. Ich gönne sie
Ihnen zwar – es ist ja gut, wenn man einmal auf Reisen
geht –, aber hier wäre es notwendig gewesen, mit dem Fi-
nanzminister und dem Koalitionspartner zu sprechen.

Aber offensichtlich steht Resignation schon auf der Ta-
gesordnung. Sie haben nicht für sich, sondern für die Bau-
ern hier im Land zu arbeiten. Sie haben dafür zu sorgen,
dass die Bauern bessere und nicht schlechtere Wettbe-

werbsbedingungen erhalten. Aber das Ergebnis Ihrer Po-
litik sind schlechtere Wettbewerbsbedingungen. Sie ma-
chen die Bauern nicht fit für den Wettbewerb. Sie behin-
dern sie zunehmend in einer unerträglichen Art und
Weise.

Die Stellungnahme des Bauernverbandes zum Agrar-
bericht müsste Sie doch zum Handeln auffordern: Es wird
Kritik an der Methode geübt. Es wird dargestellt, dass es
in den Jahren 1998 und 1999 ein kräftiges Einkommens-
minus gegeben hat und die Hälfte der Haupterwerbsbe-
triebe, statt Eigenkapital zu bilden, es abgebaut hat. Die
Verbindlichkeiten sind gestiegen. Im Durchschnitt der
Betriebe gab es keine Nettoinvestitionen. Dies müsste
doch dazu führen, dass man gerade jetzt, da man weiß,
was in den nächsten Jahren auf die Landwirte zukommen
wird, dafür sorgt, dass es zu einer besseren Situation in der
Landwirtschaft, zu besseren Arbeitsbedingungen und zu
besseren Situationen in Bezug auf Kosten und Auflagen
kommt. Der Bauernverband schließt mit der Aussage: Die
Steuer- und Ausgabenpolitik lässt die deutsche Landwirt-
schaft zum einseitigen Verlierer werden.

Sie erfüllen die berechtigten Forderungen des Bau-
ernverbandes zum vorliegenden Agrarbericht, den Ab-
bau der Wettbewerbsverzerrungen sowie einen entspre-
chenden Ausgleich, in keiner Weise. Sie erfüllen noch
nicht einmal Ihre eigenen Ansprüche, die in Ihrem Koali-
tionspapier niedergelegt sind, in dem Sie sagen, die länd-
lichen Räume sollen gestärkt, die Landwirtschaft soll ge-
sichert und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft
einschließlich der vor- und nachgelagerten Bereiche soll
gestärkt werden.

Stattdessen bürden Sie den Landwirten eine Ökosteuer
und eine Erhöhung der Mineralölsteuer auf. Mit dem
Steuerentlastungsgesetz kommt es nicht zu einer Entlas-
tung, sondern zu einer Belastung. In Bezug auf die Unter-
nehmensteuerreform fallen die Landwirte zurück. Im
Haushaltssanierungsgesetz gibt es Belastungen. In die
„Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruk-
tur und des Küstenschutzes“ nehmen Sie weitere Förder-
tatbestände auf, die Ihnen Ihr Koalitionspartner mit auf-
drückt,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

und mit der Agenda 2000 sorgen Sie für weitere Belas-
tungen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413318300
Herr Kol-
lege Carstensen, Sie haben die Chance, Ihre Redezeit zu
verlängern, indem Sie eine Zwischenfrage zulassen.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1413318400
Ja,
das möchte ich gerne tun. Wenn diese Frage von einem
ausgewiesenen Agrarexperten gestellt wird, nehme ich
dieses Angebot gerne an.


(Heiterkeit – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Jetzt kommt der Agrarspezialist der SPD!)



Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413318500
Im Namen der Bevölke-
rung bedanke ich mich schon jetzt. Ich möchte fragen:




Peter H. Carstensen (Nordstrand)


12837


(C)



(D)



(A)



(B)


Wollen Sie im Ernst behaupten, dass Landwirte durch die
Unternehmensteuerreform keine steuerlichen Entlastun-
gen erhalten haben?


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1413318600
Im
Steuerentlastungsgesetz besteht eine Schieflage zuguns-
ten der Kapitalgesellschaften und zulasten der Einzelun-
ternehmen und Personengesellschaften.


(Matthias Weisheit [SPD]: Das war nicht die Frage!)


Herr Kollege von Larcher, das werden Sie nicht bestreiten
können.


(Detlev von Larcher [SPD]: Doch, heftig!)

– Ja? – Nun gut, Herr Kollege von Larcher, vielleicht wer-
den Sie dann auch das Folgende bestreiten – vielleicht ha-
ben Sie es geändert, das weiß ich nicht, ich gebe nur mei-
nen Kenntnisstand wieder –: Mit einer Entlastung ist erst
ab dem Jahre 2005 zu rechnen. Zuvor ist eine Belastung
für die Landwirtschaft in Höhe von ungefähr 300 Milli-
onen DM aufzurechnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Äußerung des Bauernverbandes! Eindeutig!)


Das sind die Tatsachen. Vielleicht sollten Sie sich mit
Ihrem Finanzminister noch einmal darüber unterhalten.


(Detlev von Larcher [SPD]: Unterhalten Sie sich mal mit Experten!)


Gestern haben wir im Ausschuss eine Debatte geführt.
Wir haben versucht, allgemeine Ziele der Agrarpolitik für
die nächsten zehn Jahre zu formulieren. Es gab keine Ant-
wort auf die Frage, wie Landwirtschaft in zehn Jahren
aussieht. Die Beantwortung dieser Frage ist vielleicht
auch zu schwierig. Das möchte ich gar nicht kritisieren.
Aber wenn man dies nicht weiß und davon ausgehen
kann, dass die Situation für die Landwirte durch die WTO
und die Osterweiterung schwieriger wird, dann erfordert
es doch allein das Vorsorgeprinzip, dafür zu sorgen, dass
die Bauern auf die Herausforderungen vorbereitet wer-
den. Man muss dafür sorgen, dass die Bauern fit gemacht
werden: durch Kostenentlastungen statt durch Kostenbe-
lastungen, durch Unterstützung statt durch zusätzliche
Auflagen. Nein, im Moment stellen wir das Gegenteil
fest.

Herr Bundesminister, dies entspricht auch nicht Ihren
eigenen Äußerungen. Sie selbst haben in „top agrar“ ge-
sagt – das ist in der Ausgabe 11/98 nachzulesen –: „Steu-
erliche Mehrbelastungen sind für die Landwirtschaft in
der jetzigen Situation nicht verkraftbar. Dies will die SPD
auch nicht.“ Was haben Sie seit dieser Zeit bloß gemacht?

Sie sollten sich eines merken: Sie haben den Bauern
etwas vorgekaspert und sie im Regen stehen lassen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Na, na! Unglaublich!)


Sie sind ein Erfüllungsgehilfe eines landwirtschaftsfeind-
lichen Finanzministers, eines landwirtschaftsfeindlichen
Koalitionspartners und eines landwirtschaftsfeindlichen
Bundeskanzlers. Das haben die Bauern nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Um der Bauern in Deutschland willen kann ich Sie nur
auffordern, das zu beherzigen, was im Buch der Sprüche
des Alten Testaments in Kapitel 8 steht. Überschrieben ist
es mit „Die Weisheit als Gabe Gottes“. Dort heißt es in
Vers 5: „Ihr Unerfahrenen, werdet klug, ihr Törichten,
nehmt Vernunft an.“


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Matthias Weisheit [SPD]: Das gilt vielleicht für dich!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413318700
Ich gebe
nunmehr der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413318800
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss sicher-
lich einmal darüber nachdenken, warum Peter Harry
Carstensen nicht Landwirtschaftsminister in Schleswig-
Holstein geworden ist.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ja, darüber denke ich manchmal nach! – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Die Bauern bedauern das!)


Es packt einen doch der blanke Zynismus, wenn man
der Rede meines Vorredners folgt. Das Landwirtschafts-
ressort ist von uns in einer Situation übernommen worden,
in der die Landwirtschaft nun wahrhaftig keine gute Aus-
gangslage hatte. Allein die beim Regierungswechsel nicht
vorhanden gewesenen Vorbereitungen auf die Agenda
2000 sprechen dafür, dass Sie die Vorwürfe, die Sie jetzt
Herrn Minister Funke machen zu können glauben, dem
Ex-Landwirtschaftsminister Borchert hätten machen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vielleicht sollten Sie sich auch überlegen, bevor Sie
hier immer die Agenda 2000 angreifen, dass die Auswir-
kungen der Agenda 2000 auf den ländlichen Raum Grund
genug sind, sie zu unterstützen. Auch sollten Sie einmal
bei Ihrem eigenen Verband nachfragen, ob dies nicht eine
bessere Strategie zur Unterstützung der deutschen Land-
wirtschaft wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Lage der Landwirtschaft ist nach wie vor nicht ro-

sig. Der Strukturwandel hat sich im Zeitraum 1998/99,
auf den sich dieser Agrarbericht bezieht, in der Größen-
ordnung der letzten zwei Jahrzehnte fortgesetzt. Bei den
Haupterwerbsbetrieben musste ein Gewinnrückgang von
7,3 Prozent konstatiert werden; die wichtigsten Gründe
dafür waren der Verfall der Schweinepreise und – dies
spielt immer noch die Hauptrolle – das miserable Preisni-
veau im Lebensmitteleinzelhandel, wo im Zuge einer to-
talen Monopolisierung die Preise gedrückt werden, wo-
rüber der Handel selbst auch nicht froh und glücklich ist.

Die Folgen einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung
und einer falschen Agrarpolitik können nicht innerhalb
weniger Monate behoben werden.




Detlev von Larcher
12838


(C)



(D)



(A)



(B)



(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr habt ja noch nicht einmal einen Ansatz dazu gefunden! Euren Ansatz suchen wir noch!)


Aber die Situation ist nicht nur schlecht. Die Erzeuger-
preise haben im Jahr 2000 erheblich angezogen. Auch der
Agrarexport steigt auf hohem Niveau weiter, wie Sie in
der Agrarausschusssitzung selbst betont haben. Im Wirt-
schaftsjahr 1999/2000 wird mit einer Einkommensver-
besserung gerechnet. Die Arbeitnehmerzahlen in der
Landwirtschaft sind zum ersten Mal seit Jahren wieder
gestiegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir glauben an die Zukunft der Landwirtschaft. Wir
haben trotz Spar- und Konsolidierungszwängen den
Agrarhaushalt auf hohem Niveau halten können. Wir ha-
ben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe, die die alte
Bundesregierung kontinuierlich gekürzt hat, stabilisiert
und bei 1,7 Milliarden DM erhalten. Zusammen mit den
Kofinanzierungen kommen den Landwirten und den
ländlichen Räumen 2,8 Milliarden DM direkt zugute. Wir
haben das Bündnis für Arbeit im ländlichen Raum aufge-
legt und gerade neu die Mittel für zukunftsweisende Mo-
dellprojekte im Haushalt verdoppelt. Wir machen kon-
krete Vorschläge, wie die Probleme der Landwirtschaft
gelöst werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Selbstverständlich sind Wettbewerbsverzerrungen
ein Thema, das aber vornehmlich von den Nachbarlän-
dern in der Europäischen Union an uns herangetragen
wird. Hier müssen Sie sich vorhalten lassen, dass Sie die
Möglichkeit zu Wettbewerbverzerrungen geschaffen ha-
ben. Sie hätten sie lange beheben müssen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Habt ihr gekürzt oder habt ihr nicht gekürzt? Habt ihr den Bauern etwas weggenommen oder habt ihr ihnen nichts weggenommen?)


Stattdessen haben Sie dafür gesorgt, dass diese Flanke of-
fen geblieben ist. Das gilt auch für die Subventionen, die
die Niederländer den Gärtnern geben. Diese Subventio-
nen sind nicht rechtmäßig und hätten nicht notifiziert wer-
den dürfen. Sie aber haben sie schlicht und ergreifend ge-
duldet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber es bewegt sich etwas auf der europäischen Ebene.
Das ist natürlich eine Folge des intensiven Engagements
unseres Ministers.

Die Kommission hat gestern verkündet, die Befreiun-
gen und die Sondergenehmigungen bei der Mineralöl-
steuer mittelfristig abzuschaffen.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das trifft die Landwirtschaft nicht! Die ist absolut ausgenommen!)


Einige Regelungen sollen kurzfristig aufgehoben werden.
Endlich wird auch das Flugbenzin einbezogen. Das ist
eine alte, gemeinsame Forderung von Grünen und Bau-
ern, damit die Wettbewerbsverzerrung durch Dumping-
angebote aus aller Welt endlich aufhört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir unterstützen die Bundesregierung massiv, auf der
EU-Ebene zugunsten der Harmonisierung der Treibstoff-
besteuerung zu intervenieren


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Du bist doch beim Fischler gewesen! Du weißt doch, was er dazu gesagt hat!)


und den Rückhalt der anderen EU-Länder bis Ende dieses
Jahres zu erlangen. Wir fordern die EU-Mitgliedsländer
selbstverständlich auch auf, den Vorschlag, den Agrardie-
sel einzubeziehen, mitzutragen und damit europaunver-
träglichen Auseinandersetzungen – zwischen den Mit-
gliedstaaten untereinander bzw. zwischen den einzelnen
Bevölkerungsgruppen und der Landwirtschaft – entge-
genzutreten.

Die alte Gasölbeihilfe lösen wir heute endlich durch
eine Regelung zum Agrardiesel ab,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Endlich!)


ein Instrument, das die Landwirtschaft steuersystemkon-
form und mit gesellschaftlicher Akzeptanz mit 460 Milli-
onen DM – bis 2003 steigt die Summe auf 700 Milli-
onen DM an – bei den Produktionskosten entlastet. Der
Gesetzentwurf muss heute im Bundestag verabschiedet
werden, um die alte Regelung aus dem Jahre 2000 – auch
Sie wollen sie nicht mehr haben – übergangslos zum 1. Ja-
nuar 2001 zu ersetzen. Der Agrarhaushalt wird so um
diese Summe entlastet. Die damit eingesparten Gelder
kommen wiederum der Landwirtschaft zugute.

Aber – das ist richtig – die Kosten für die Landwirt-
schaft müssen weiter verringert werden.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Tut ihr aber nicht!)


Wir wollen den Steuersatz für den Agrardiesel so ge-
stalten, dass die reale Besteuerung pro Liter Treibstoff für
die Landwirte deutlich unter 57 Pfennig fällt, solange es
keine Harmonisierung auf der EU-Ebene gibt.

Ein gangbarer Weg wäre, wie vom Bauernverband ges-
tern vorgeschlagen, den Treibstoffverbrauch von jetzt
2Milliarden Liter auf 1,6Milliarden Liter pro Jahr zu sen-
ken. Das ist möglich.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Habt ihr das denn im Gesetz?)


Es gibt durch entsprechende Bewirtschaftung die Mög-
lichkeit, ein Drittel einzusparen. Es gibt die Substitution
durch Pflanzenöle – eine Beimischung von 20 oder
30 Prozent –, die bei den allermeisten Motoren möglich
ist. Es ist also realistisch, die 47 Pfennig zu erreichen und
auf diesem Weg ökologisch sinnvoll zu handeln. Durch




Ulrike Höfken

12839


(C)



(D)



(A)



(B)


Einsparungen und Substitutionen, die vorgenommen wer-
den können, kann so eine Einkommenswirksamkeit er-
zielt werden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Steht das im Gesetz? Warum nehmt ihr das Gesetz nicht zurück und schreibt das da rein?)


– Das geht nicht so schnell. – Mit dieser Intention werden
wir uns an dieser Diskussion weiterhin beteiligen. Für
diese Strategie werden wir werben, und zwar als Koalition
insgesamt.

Dem Unterglasanbau helfen wir mit einem Über-
brückungsprogramm und mit einem Energieinvestitions-
programm für Gartenbau und Landwirtschaft. Damit sich
die Landwirtschaft mittelfristig von den Kosten des Mi-
neralöls weitestgehend unabhängig machen kann, haben
wir ein ambitioniertes Förderprogramm für biogene
Treib- und Schmierstoffe aufgelegt. Noch stärker wird
die Einführung regenerativer Energien unterstützt; allein
für die Energiegewinnung aus Biomasse stehen jährlich
70 Millionen DM zur Verfügung. Hinzu kommt der Etat
der Fachagentur nachwachsender Rohstoffe. Durch den
gesamten Bereich nachwachsender Rohstoffe sind wei-
tere Einsparungen und zusätzliche Einkommen der Land-
wirtschaft möglich.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr! Auch wenn ich kein Experte bin: Stimmt trotzdem!)


Auch die Entfernungspauschale, über die wir heute
noch diskutieren werden, zählt zu den Entlastungsvor-
schlägen der Bundesregierung für den ländlichen Raum.
Gerade CDU/CSU und F.D.P. bekämpfen diese Entfer-
nungspauschale und ihre Möglichkeiten der Realisierung
ganz besonders. In dieser Frage stehen die Länder in der
Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Wertschätzung der Lebensmittel ist ein wichtiges
Thema. Noch einmal: Wir tun alles zum Wohle von Ver-
brauchern und von Landwirten. Es geht darum, die Wert-
schätzung unserer Lebensmittel wiederzugewinnen. Her-
kunftskennzeichnung bei Rindfleisch, neue Legehennen-
verordnung, Kennzeichnung von Eiern zum Ende des Jah-
res, Aktionsprogramm „Umwelt und Gesundheit“ – dies
sind nur einige Beispiele für die Aktivitäten der rot-grünen
Regierung.

Aktuell werden alle mit der BSE-Problematik verbun-
denen Vorschläge – Holger Ortel ist darauf schon intensiv
eingegangen – zum Schutz von Verbrauchern und
Landwirtschaft aufgegriffen. Wir Grüne machen diese
Vorschläge schon seit Jahren: flächendeckende Anwen-
dung von Tests – vor allem bei allen Schlachttieren –, He-
rausnahme von Tierkadavermehlen aus der Futterkette,
offene Deklarationen, strenge Überprüfung bei Import.
Alle diese Forderungen sind auch schon von den Bundes-
ländern, dem Europäischen Parlament und der EU-Kom-
mission aufgegriffen worden. Auch wir werden diese For-
derungen nachdrücklich vertreten, wie auch die
Gesundheitsministerin Andrea Fischer erklärt hat.

Wertschätzung heißt für uns aber auch, dass für Qua-
litätslebensmittel entsprechend faire Erzeugerpreise ge-
zahlt werden und die Anstrengungen, die die Landwirt-
schaft für den Verbraucherschutz und den Tierschutz
unternimmt, entsprechend honoriert werden. Die Ver-
braucher werden bei entsprechender Aufklärung dazu
auch bereit sein; ihre Bereitschaft dazu wird auch noch
zunehmen, denn wir haben die Haushaltsmittel im Be-
reich der Verbraucheraufklärung entsprechend erhöht.
Die Ausgaben der Verbraucher für Lebensmittel sind, wie
Sie wissen, auf unter 13 Prozent gesunken. Unser Ansatz-
punkt ist, über Verbraucherschutz und mehr Qualität zu
einer faireren Nachfragesituation zu kommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein letztes Thema: die ökologische Produktion. Der
ökologischen Produktion gehört die Zukunft. Ökoland-
bau ist eine der Wachstumssparten in der Landwirtschaft.
Dieser Markt, auf dem eine starke Nachfrage herrscht,
wurde von der alten Bundesregierung sträflich vernach-
lässigt.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Kein Bundesland unterstützt den Ökolandbau so wie das CSU-regierte Bayern!)


Die Konsequenz war, dass 80 Prozent der Nachfrage vom
Ausland bedient wurden. Wir werden ein Aktionspro-
gramm Ökolandbau auflegen, um einen Anteil von
10 Prozent Ökolandbau in den nächsten fünf Jahren zu er-
reichen. Das ist auch das Programm der Bundesregierung.

Einiges haben wir auf den Weg gebracht. Weiteres wer-
den wir tun. Dazu zählt zum Beispiel auch eine
Imagekampagne für den ökologischen Landbau und seine
Produkte. Dieses wird auch auf der Grünen Woche 2001
vonseiten des Bundeslandwirtschaftsministeriums thema-
tisiert werden. Der Ökolandbau ist ein sehr guter Ansatz,
um von der Billigschiene herunterzukommen und die
Wertschätzung von Lebensmitteln weiterzuentwickeln
und voranzutreiben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413318900
Ich erteile
das Wort der Kollegin Kersten Naumann für die Fraktion
der PDS.

Kersten Naumann (PDS) (von der PDS mit Beifall
begrüßt): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Eine Odyssee soll heute ihr Ende finden. Ob es
ein gutes oder ein schlechtes Ende wird, das entscheiden
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Bereits zur ersten Lesung des Agrardieselgesetzes habe
ich bekräftigt, dass die Fraktion der PDS einen höheren
Mineralölsteuernettosatz vom Grundsatz her auch in der
Land- und Forstwirtschaft für gerechtfertigt hält. Wir tre-
ten allerdings nicht für 57 Pfennig, sondern für 47 Pfen-
nig je Liter Agrardiesel ein. Auch dies würde ja bekannt-




Ulrike Höfken
12840


(C)



(D)



(A)



(B)


lich eine Erhöhung der Nettosteuerbelastung bedeuten.
Bevor ich auf unseren Antrag eingehe, möchte ich mich
deutlich von der Forderung der CDU/CSU nach 12 Pfen-
nig je Liter abgrenzen. Diese Forderung ist in meinen Au-
gen nichts anderes als demagogischer Populismus.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Fraktion beantragt 47 Pfennig je Liter Agrar-
diesel. Letztendlich ist dies ein Kompromiss zwischen der
Forderung nach Abbau der Subventionen und dem Anreiz
zum sparsamen Umgang mit den immer knapper werden-
den Mineralölressourcen. Wir alle wissen, dass ohne fi-
nanziellen Druck die Alternativen Biodiesel bzw. reines
Rapsöl im einzelnen Agrarbetrieb gar nicht erst auf die Ta-
gesordnung gesetzt würden. Es gehört jedoch auch zur po-
litischen Redlichkeit, anzuerkennen, dass zum Zeitpunkt
der Beschlussfassung über die Ökosteuer keineswegs mit
dem inzwischen eingetretenen hohen Anstieg der Mine-
ralölpreise gerechnet werden konnte. Das heißt, wir haben
für die heute zu treffende Parlamentsentscheidung eine
andere Geschäftsgrundlage. In diesem Sinne muss die Po-
litik auch flexibel reagieren, Herr Funke.


(Beifall bei der PDS)

Die durch den Anstieg der Energiepreise bedingten zu-

sätzlichen Belastungen sind in Anbetracht der allgemei-
nen unbefriedigenden Einkommenssituation der Land-
wirtschaft nicht akzeptabel. Das gilt übrigens auch mit
Blick auf das Landwirtschaftsgesetz, mit dem ja bekannt-
lich das Ziel verfolgt wird, die Teilhabe der Landwirt-
schaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu
gewährleisten. Genau darum geht es in unserem Antrag.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

47 Pfennig je Liter Agrardiesel sind auch aus Gründen

der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft
auf dem EU-Binnenmarkt und damit für die Sicherung
von Arbeitsplätzen und Einkommen in den ländlichen
Räumen das Mindeste, was wir heute hier beschließen
sollten, insbesondere, weil offenkundig kurzfristig keine
Chancen für eine Harmonisierung der Steuern der Mit-
gliedsländer der EU bestehen. Selbst mittelfristig kann
ich, obwohl ich Optimistin bin, kaum eine Aussicht auf
Erfolg diesbezüglicher Bestrebungen erkennen.

Übrigens wird in der Begründung unseres Änderungs-
antrages ein Weg gewiesen, wie die 10 Pfennig Differenz
je Liter Agrardiesel gegenüber dem Regierungsentwurf,
also der Einnahmeausfall von rund 200 Millionen DM,
zumindest kurzfristig ohne zusätzliche Belastung des
Bundeshaushaltes finanziert werden könnten: Laut EU-
Kommission werden im Jahr 2000 fast 1 Milliarde Euro
des EU-Agrarbudgets eingespart, die an die Mitgliedslän-
der zurückfließen. Natürlich ist damit derzeit nur für 2001
eine sichere Finanzierungsquelle aufgezeigt; aber ich bin
überzeugt, dass auch im Ergebnis der gesamtwirtschaftli-
chen Entwicklung der Bundesrepublik bei den folgenden
Haushaltsberatungen Deckungsmittel erschließbar sind,
es sei denn, Ihre Wirtschaftsprognosen sind nur Zweckop-
timismus.

Im Übrigen muss ich unseren Antrag nicht weiter be-
gründen: Auch die Agrarminister forderten einmütig
47 Pfennig, und das wohl nicht nur aus einer plötzlichen
Laune heraus.

Selbst das von Vertretern der Koalitionsfraktionen aus-
gelöste Wirrwarr ständig neuer, sich widersprechender
Presseverlautbarungen mit Varianten von 50 bzw.
47 Pfennig, teils an neue Obergrenzen gekoppelt, ist ein
deutlicher Beleg dafür, dass Handlungsbedarf gesehen
wurde. Noch bis vor wenigen Tagen sah ich darin zumin-
dest die Artikulation von Unbehagen. Inzwischen habe
ich jedoch großen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der in die
Welt gesetzten Änderungsvorschläge; denn Tatsache ist,
dass weder von den Koalitionsfraktionen noch von den
Oppositionsfraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. Al-
ternativvorschläge zum Regierungsentwurf in das Ge-
setzgebungsverfahren eingebracht wurden.

Und gestern Abend, welch ein Wunder, wieder ein
neuer Verwirrungsvorschlag der Grünen: Die Bauern sol-
len demnach eine Rückerstattung auf ihren betrieblichen
Dieselverbrauch bekommen, die aus dem Einsparvolu-
men der Landwirtschaft insgesamt bei Unterschreitung
des angesetzten Jahresverbrauchs von 2 Milliarden Litern
finanziert werden soll. Natürlich bin auch ich für einen
ökonomischen Anreiz bei der Energieeinsparung, aber
dann muss derjenige, der einspart, auch den Nutzen haben
und darf nicht zittern müssen, ob auch alle Bauern ausrei-
chend sparen. Solch einen Unsinn hätte sich nicht einmal
die DDR-Plankommission einfallen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-

tion, ich weiß nicht, wie groß Ihre argumentativen Ge-
schütze gegenüber dem Bundeskanzler waren, um sich in
der eigenen Koalition durchzusetzen. Zumindest haben
Sie eines erreicht, nämlich sagen zu können: Das wollten
wir nicht.

Doch, meine Damen und Herren, wem nützt das? Wer-
den wir heute 57 Pfennig beschließen, drängt sich mir
wieder einmal die Frage auf: Welches Verhältnis hat diese
Bundesregierung eigentlich zur Landwirtschaft?


(Beifall bei der PDS, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413319000
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht nun Kollege Ulrich Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1413319100
Herr Präsident! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den
Agrarbericht 2000. Ich hätte mir eigentlich gewünscht,
dass Sie, Herr Minister Funke, hier die Eingangsrede hal-
ten,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wie sich das gehört!)





Kersten Naumann

12841


(C)



(D)



(A)



(B)


den Agrarbericht vorstellen und uns gewissermaßen einen
Weg weisen. Stattdessen sind Sie als letzter Redner in der
Debatte aufgeführt. Ich finde das einfach nicht gut. Wir
sollten wieder zum alten Brauch zurückkehren, nach dem
der Bundesminister seinen Agrarbericht selbst vorstellt
und bei einer so wichtigen Agrardebatte als Erster redet.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Albert Deß [CDU/CSU]: Bei dieser Regierung ist alles verdreht!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutie-
ren heute den Agrarbericht der Bundesregierung, in dem
ja einiges Bemerkenswertes steht. Wir nehmen vieles zur
Kenntnis, wenn auch nicht mit Freude; aber wir müssen
akzeptieren, dass die Entwicklungen in der Vergangenheit
so waren, wie sie waren.

Die Landwirtschaft steckt ja schon lange in der Um-
strukturierungskrise; die Landwirtschaft ist schon lange
der Bereich, der wie kein zweiter einen Strukturwandel
aus eigener Kraft durchstehen muss. Insofern war es und
ist es nicht zu rechtfertigen, was die Bundesregierung ihr
in den letzten zwei Jahren an zusätzlichen Erschwernissen
auferlegt hat.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir wären ja schon froh, wenn wir die Verhältnisse von

1998 hätten; aber die Verhältnisse von 1998 sind laufend
verschlechtert worden.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das Agrardieselgesetz stellt den derzeitigen Schluss-
punkt dar: Mit diesem Gesetz wird die Steuerbelastung
auf 57 Pfennig je Liter Dieselkraftstoff festgeschrieben.
Ausgehend von einer Steuerbelastung von 26 Pfennig be-
deutet dies mehr als eine Verdoppelung und, je nach Be-
triebsstruktur und Betriebsart, eine zusätzliche Belastung
von etwa 80 bis 120 DM pro Hektar, die niemand aus-
gleichen kann, die auch Sie nicht mit diesen wohlfeilen
Ratschlägen ausgleichen können, die jetzt Herr Berninger
und Frau Kollegin Höfken geben. Frau Kollegin Höfken,
was Sie sich dabei gedacht haben, diesen Vorschlag auf-
zugreifen, ist mir völlig schleierhaft.

Sie fordern die Landwirtschaft auf, sparsam mit dem
Kraftstoff umzugehen – als ob ein Bauer mit seinem Trak-
tor spazieren fahren und nur zum Spaß Dieselöl verbrau-
chen würde! Er hat längst alle Reserven mobilisiert, um
Dieselöl einzusparen, und er hat längst dort, wo es der Bo-
den zulässt, die Minimalbodenbearbeitung umgesetzt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Sie tun so, als wären alle Belastungen durch Ein-

sparungen mit moderner Technik zu kompensieren. Denn
jetzt kommt es: Gleichzeitig verlängert diese Bundesre-
gierung die Abschreibungszeiträume. Den Einsatz mo-
derner Technik fordern und die Abschreibungsfristen ver-
längern, das ist ein Widerspruch in sich. So einen Quatsch
haben wir überhaupt noch nicht gehört.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413319200
Herr Kol-
lege Heinrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Höfken?


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1413319300
Bitte sehr.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413319400
Kol-
lege Heinrich, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass
sich die Wettbewerbsbedingungen im Bereich von Treib-
stoffen dahin gehend verändert haben, dass die pflanzli-
chen Öle, besonders die Direktöle, wettbewerbsfähig ge-
worden sind und von daher der Anreiz eines Wechsels
logische Konsequenz sein kann, ohne dass wir dabei die
Vermutung anstellen müssten, dass die Landwirte zu
ihrem Vergnügen auf den Äckern oder Straßen herumfah-
ren, sondern dass das ausschließlich auf die veränderte
Wettbewerbssituation zurückzuführen ist, die sich jetzt ganz
anders darstellt, nämlich zugunsten des Pflanzenöls, und
ganz neue Möglichkeiten bietet?


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1413319500
Herzlichen Dank für diese
Frage. Sie gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen,
dass wir diesen Weg schon in der alten Bundesregierung
eingeschlagen haben. Dass Sie ihn fortsetzen, kritisiere
ich auch nicht, da lobe ich Sie direkt. Aber ein Ergebnis in
diesem Bereich, das sich flächendeckend auswirkt, kann
nur mittel- bis langfristig erreicht werden, nicht aber so
kurzfristig – gewissermaßen über Nacht –, wie Sie die
Steuern verändern. Kein Mensch kann in dieser Ge-
schwindigkeit seine Betriebe umstellen, dass er davon
profitieren kann. Diese Technologie ist erst im Anlaufen,
hier müssen wir noch Erfahrungen sammeln. Zudem muss
erst die breite Einsatzmöglichkeit dieser Technik gegeben
sein. Es muss geklärt werden, wie weit die Motoren das
aushalten und wie weit nicht. Das ist doch der Punkt.


(Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können und wollen diese Technik nicht klein reden,
aber wir können nicht so tun, als sei das alles heute schon
Stand der Technik, als müssten die Bauern nur umschal-
ten und könnten voll davon profitieren. So ist es leider
Gottes nicht.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich habe leider nur sieben

Minuten Redezeit und kann deshalb nur ganz schwer-
punktartig auf die Probleme eingehen.


(Lachen des Abg. Matthias Weisheit [SPD])

– Wenn Sie ruhig sind, bin ich auch etwas leiser, Herr Kol-
lege Weisheit.

Wenn wir die Regierungstätigkeit insgesamt sehen, ist
das Agrardieselgesetz nur der letzte Punkt. Es hat schon
sehr viel früher angefangen, mit der sogenannten Verbes-
serung der Wettbewerbsfähigkeit. Im Haushalt gab es
gravierende Einschnitte, und auch das Steuerreformge-
setz, das für alle anderen einen positiven Effekt hat,
bedeutet für die Landwirtschaft in den nächsten vier Jah-
ren eine Zusatzbelastung von jährlich rund 100 Milli-




Ulrich Heinrich
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(A)



(B)


onen DM. Ich habe die Frau Staatssekretärin im Finanz-
ministerium – leider Gottes ist sie jetzt weg –


(Detlev von Larcher [SPD]: Die kommt wieder!)


kürzlich schon danach gefragt, aber sie hat ausweichend
geantwortet. Sie hat gesagt, die in der Landwirtschaft
Tätigen profitierten ja auch von der Erhöhung des Kin-
dergeldes und von der Absenkung des Mindeststeuersat-
zes. Wohl wahr, aber selbst wenn ich das in Ansatz bringe,
bleibt eine Zusatzbelastung von 100 Millionen DM im
Jahr. Erst in den Jahren 2005 und 2006 gibt es einen
Gleichstand und eine Verbesserung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Belastungen bringen Sie hier noch zusätzlich

ein, ganz abgesehen davon, dass im agrarsozialen Bereich
die Belastungen, die die gesamte Gesellschaft zu tragen
hat, natürlich ebenfalls zu spüren sind. Bei einer Er-
höhung der Beiträge in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung kommt es parallel selbstverständlich auch zu einer
Erhöhung der Beiträge in der landwirtschaftlichen Alters-
sicherung. Insofern gibt es zwar einen Gleichklang, aber
die Einsparungen im landwirtschaftlichen Sozialbereich
gehen noch zusätzlich zulasten der Landwirte. Man kann
also nicht so tun, als wäre man auf dem besten Weg, die
Landwirtschaft in den Stand zu versetzen, in Zukunft im
Wettbewerb – Stichwort Osterweiterung und Stichwort
WTO – bestehen zu können. Es ist ein Riesenfehler von
Ihnen, dass Sie die gegebenen Möglichkeiten nicht nut-
zen.

Ein weiteres Beispiel. Der Herr Umweltminister Trittin
will bei der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Ver-
schärfung um 25 Prozent einführen – wir haben heute
über diesen Gesetzentwurf in erster Lesung nicht debat-
tiert – und er will damit die Anhebung auf das europäische
Niveau, die wir in der letzten Legislaturperiode durchge-
setzt haben, wieder rückgängig machen.


(Karl-Heinz Funke, Bundesminister: Stimmt doch gar nicht!)


– Das stimmt. Sie haben ja nachher die Möglichkeit, Ge-
genargumente anzuführen.

Angesichts der Tatsache, dass Minister Trittin 10 Pro-
zent der Fläche der Bundesrepublik als Biotopvernet-
zungsfläche ausweisen will, haben wir Wettbe-
werbsverzerrungen zu erwarten. Wir werden sehen, was
es heißt, die Verbandsklage zuzulassen. Wir werden se-
hen, welche Auswirkungen sich bezüglich des Eigentums
ergeben, wenn wir die zusätzlichen Lasten, die zugunsten
der Gesellschaft getragen werden müssen, einseitig auf
den Berufsstand abwälzen, der unsere Kulturlandschaft
erhält und pflegt. Es ist eine Herabwürdigung der Arbeit,
die wir doch von den Landwirten fordern, wenn wir ihnen
immer wieder Prügel zwischen die Beine werfen. Das ist
nicht in Ordnung.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ganz zu schweigen von den Haken, die die Ministerin

Fischer bei der Zulassung des Bt-Maises schlägt! Es ist
keine Wettbewerbsgleichheit, sondern eine Erschwernis,
wenn wir in Zukunft mit der gentechnischen Entwicklung
nicht Schritt halten können; denn früher oder später wird

es einen Wettbewerb in diesem Bereich geben. Dann se-
hen wir alt aus, weil wir Minister haben, die ihre Politik
aus dem Bauch heraus betreiben und die sich nicht an den
Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirats, den sie
selber eingesetzt haben, orientieren, sondern genau das
Gegenteil machen. Das ist die Politik dieser Bundesre-
gierung.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)


Meine letzte Bemerkung: Es ist wenig glaubhaft, wenn
im Entschließungsantrag der Regierungskoalition steht,
dass man die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte stärken
will. Was Sie bis jetzt vorgelegt haben, bewirkt in Bezug
auf das Schaffen von Rahmenbedingungen im nationalen
Zuständigkeitsbereich genau das Gegenteil.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413319600
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Detlev von Larcher.


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413319700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mein Kollege Ortel hat schon eine
Reihe bedeutender Landwirte in diesem Hause begrüßt.
Ich möchte den Kreislandwirt aus dem Landkreis Diep-
holz, Herrn Lothar Lampe, und seine liebe Frau begrüßen.

Ich gehe einmal davon aus, dass Minister Funke nach-
her davon spricht, dass die EU-Osterweiterung eine
Chance für die deutsche Landwirtschaft bedeutet und
nicht nur eine Gefahr, die Sie immer an die Wand malen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wenn die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, bestreitet das keiner!)


Deswegen will ich zu diesem Punkt nichts sagen.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass zurzeit in Den

Haag der Weltklimagipfel stattfindet. Dabei geht es un-
ter anderem darum, gegenüber den USAund Japan durch-
zusetzen, dass wenigstens ein Teil der Verpflichtungen zur
CO2-Minderung im jeweiligen Land selbst erbracht wer-den muss. Es geht darum, durchzusetzen, dass sich kein
Land einfach von seiner Verantwortung für das Weltklima
freikaufen kann. Diese Position hat auch die frühere
Bundesregierung vertreten.

Gleichzeitig lassen Sie, meine Damen und Herren von
der rechten Seite des Hauses, schon seit Monaten keine
Gelegenheit aus, mit plattem Populismus gegen eines der
wichtigsten Instrumente zur Verringerung des Energie-
verbrauchs zu Felde zu ziehen. Ihre Doppelzüngigkeit ist
wirklich unerträglich.


(Zurufe von der F.D.P.: Oh!)

Wir bleiben dabei: Die ökologische Steuerreform ist ein
sehr wichtiges Instrument, den Energieverbrauch lang-
fristig zu senken


(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber nicht, wenn eine Berufsgruppe so benachteiligt wird!)





Ulrich Heinrich

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(C)



(D)



(A)



(B)


und Bürgern und Unternehmen Anreize und vor allem
eine verlässliche Planungsgrundlage für Investitionen in
Energie einsparende Technik zu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir alle wissen, dass Sie das jenseits Ihrer taktischen
Überlegungen genauso sehen.

Nun könnte ich eigentlich wieder einmal die ganze
lange Latte von Zitaten bringen, von Frau Merkel, von
Herrn Schäuble, von Herrn Repnik. Das will ich mir spa-
ren. Ich möchte nur ein Zitat von Herrn Repnik bringen,
weil man dieses Zitat so selten hört. Er erklärte nämlich
im „Tagesspiegel“ vom 2. Mai 1995:

Umweltverbrauch zu billig, Arbeit zu teuer –
Deutschland muss notfalls im Alleingang die Öko-
steuer einführen und die Lohnkosten senken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Recht hat er!)


Wo er Recht hat, hat er Recht.
Wir haben immer Wert darauf gelegt, die Ökosteuer so

maßvoll zu erheben, dass die Wettbewerbsfähigkeit der
Unternehmen nicht beeinträchtigt wird. Das gilt auch für
die Landwirtschaft.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: So ein Quatsch, Herr von Larcher!)


– Das ist überhaupt kein Quatsch. Sie leugnen ja die
ganzen Effekte unserer Steuerpolitik. Wenn man diese
alle nicht berücksichtigt, immer nur die Erhöhung betont
und dann noch so tut, als sei die Ökosteuer an den gegen-
wärtigen Preissprüngen schuld, dann kommt man zu sol-
chen komischen Zwischenrufen wie vonseiten der F.D.P.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413319800
Herr Kol-
lege von Larcher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schindler?


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413319900
Vielleicht wartet er noch
ein bisschen und stellt sie dann.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Vielleicht auch nicht!)


– Also, dann bitte, schwarzer Bruder.

(Heiterkeit)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1413320000
Lieber Kollege
– oder auch: roter Bruder; warum denn nicht –, trotz al-
lem menschlichen Verständnis und der guten Freund-
schaft – das soll auch bei aller Unterschiedlichkeit in der
Debatte zum Ausdruck kommen – möchte ich Sie fragen:
Bestätigen Sie, dass die deutsche Landwirtschaft, wie das
Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung
festgestellt hat, durch die Ökosteuer mit 1,1Milliarden DM
belastet wird? Bestätigen Sie weiterhin, dass die Rück-
nahme der Gasölverbilligung aus 1998 – da war sie mit
850 Millionen DM noch voll erhalten – in der energiepo-
litischen Gesamtbilanz, die wir jetzt nach zweieinhalb

Jahren Rot-Grün ziehen müssen, dazu führt, dass wir
1,1 bis 1,2 Milliarden DM netto drauflegen müssen? Dass
noch Haushaltskürzungen aufgrund der ersten Stufe der
Steuerreform, bei der die Erhöhung des Kindergeldes so
groß verkündet wurde, und der zweiten Stufe der Steuer-
reform in diesem Sommer hinzukommen, will ich jetzt
nicht bewerten. Bleiben wir bei der energiepolitischen
Debatte!

Bestätigen Sie weiterhin, dass die Anhebung des Steu-
ersatzes von 23 Pfennig auf 57 Pfennig eine Erhöhung um
über 100 Prozent darstellt?


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413320100
Herr Präsident, ich
könnte jetzt fast meine gesamte Rede, die ich vorbereitet
habe, als Antwort auf die Zwischenfrage vorlesen. Dann
blieben noch sechs Minuten übrig.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist zu viel!)

– Und das ist zu viel.

Ich bestätige das natürlich nicht, lieber schwarzer Bru-
der, vor allen Dingen die 1,1 Milliarden DM nicht. Dass
23 Pfennig weniger als die Hälfte von 57 Pfennig sind, ist
nach Adam Riese natürlich richtig. Aber ich habe ja ge-
sagt, Sie sollten vielleicht ein bisschen warten und erst
dann Ihre Frage stellen; denn mit diesen Punkten will ich
mich gerade auseinander setzen.

Vor dem Hintergrund, dass die Landwirtschaft in den
meisten EU-Staaten Diesel zu zum Teil stark ermäßigten
Steuersätzen bezieht, ist es notwendig, auch den deut-
schen Agrarbetrieben verbilligten Kraftstoff zur Verfü-
gung zu stellen. Dies werden wir ab dem 1. Januar 2001
mit dem Agrardieselgesetz tun. Für die Landwirtschaft
wird damit – darum geht es doch – die Mineralölsteuer-
belastung des Dieselkraftstoffs auf 57 Pfennig pro Liter
begrenzt und damit von den beschlossenen weiteren Stu-
fen der Ökosteuer ausgenommen. Auch deshalb sind Sie
mit Ihren ständigen Attacken gegen unsere ökologische
Steuerreform schief gewickelt.

Richtig ist, dass die Landwirte in einer Reihe von EU-
Mitgliedstaaten noch billiger tanken können. Auch wir
hätten uns durchaus eine niedrigere Belastung für den
Agrardiesel gewünscht. Wir haben hin und her überlegt,
ob wir das schaffen können. Aber ich muss Ihnen leider
sagen, dass Sie von der CDU/CSU diejenigen waren, die
das unmöglich gemacht haben.


(Lachen des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])


Ihnen steht es nicht an, „Haltet den Dieb!“ zu rufen; denn
der Dieb sind Sie selber.

Sie waren es doch, die den Bundeshaushalt mit einer
völlig verfehlten Finanzpolitik in eine so katastrophale
Lage hineinmanövriert haben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Deutsche Einheit!)


dass wir im letzten Jahr ein Haushaltssanierungs-
gesetz auflegen mussten. Sie waren es, die den größten




Detlev von Larcher
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Schuldenberg hinterlassen haben, den es je in Deutsch-
land gegeben hat.


(Beifall bei der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Deutsche Einheit!)


Sie sind verantwortlich dafür, dass die Gasölbeihilfe in
der bis 1999 geltenden Höhe nicht mehr zu halten war.
Wir mussten hier wie auch in vielen anderen Bereichen
schmerzhafte Einschnitte machen.

Ich will Folgendes ganz leise anmerken: Niemand
außer den Landwirten hätte es verstanden, wenn nicht
auch sie ihr Scherflein zur Haushaltssanierung hätten bei-
tragen müssen. Ich kenne die Debatte sehr wohl; ich
wohne schließlich in einem ländlichen Wahlkreis. Ich
weiß, wie unterschiedlich die Debatte in den verschiede-
nen Bevölkerungsgruppen geführt wird.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Mit 4 Milliarden DM!)


Auch unabhängig von den enormen Belastungen für
den Haushalt kann es keine vernünftige Lösung sein, die
Besteuerung des Diesels für die Landwirtschaft weiter zu
senken oder gar die Verwendung von Heizöl zu gestatten.
Wir wollen doch auf europäischer Ebene eine Beendigung
des steuerlichen Subventionswettlaufs erreichen. Unsere
Bemühungen würden nicht glaubwürdiger, wenn wir in
diesem Wettlauf jetzt einen Gang höher schalten würden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Fangen Sie an!)


– Sie schreien „Fangen Sie an“! Sehen Sie sich doch ein-
mal an, was Finanzminister Eichel macht! Und Sie geben
uns den Rat, beim Wettbewerb einen Zahn zuzulegen?
Wenn es nach Ihrer Logik ginge, würden wir zu einem
Nullsteuersatz kommen und müssten am Schluss noch
Zuschüsse zahlen. Deswegen bin ich dafür, dass wir un-
sere Bemühungen in der Europäischen Union koordinie-
ren und dafür sorgen, dass dieser ruinöse Steuerwettbe-
werb nicht stattfindet.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413320200
Herr Kol-
lege von Larcher, der Kollege Heinrich möchte seinem
„roten Bruder“ eine Frage stellen.


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1413320300
Nein, ich lasse jetzt keine
Frage mehr zu.


(Zurufe von der CDU/CSU und von der F.D.P.)


– Wenn Sie ein bisschen zuhören würden, würden Sie
merken, dass ich wirklich zur Sache spreche und dass es
nicht angemessen ist, – –


(Widerspruch bei der CDU/CSU und bei der F.D.P.)


– Lassen wir das!
Ich halte also fest: Das Agrardieselgesetz ist ein Kom-

promiss, der die Landwirtschaft gegenüber der Aus-
gangssituation im nächsten Jahr um knapp 500 Millionen
DM und im Jahr 2003 sogar um 700 Millionen DM ent-

lastet. Es ist ein Kompromiss, der die Landwirtschaft auf
mittlere Sicht vor weiteren Mineralölsteuererhöhungen
schützt. Ein Kompromiss ist selten ein Grund zum Jubeln.
Aber dieser Kompromiss ist erst recht kein Grund, in Ge-
jammer zu verfallen. Es wurden hier schon Landwirte zi-
tiert; ich erwähne nur den Landwirt Gerd Brünning aus
Kirchweyhe, der sagt: Es ist nicht schön, was ihr macht,
aber so schlimm ist es auch wieder nicht.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Kommen Sie mit! Er wird es Ihnen bestätigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was haben Sie ihm denn dafür gezahlt?)


– Das ist eine Unverschämtheit! Hier reden Sie immer
über die gute Arbeit der Landwirte; das bestätige ich. Aber
dieser Zwischenruf ist eine Unverschämtheit gegenüber
den Landwirten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun darf man für den Vergleich der ökonomischen Si-
tuation der Landwirte in den verschiedenen Ländern nicht
nur den Dieselpreis heranziehen. Für die deutschen Land-
wirte ist der Agrarsozialbereich besonders wichtig. Da
müssen gerade wir Sozialdemokraten uns nicht ver-
stecken; denn unsere Landwirte sind sehr zufrieden damit.
Ich erinnere an die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. In diesem
Programm steckt zum Beispiel ein Teil der Mittel, die vor-
her durch die Gasölbeihilfe gebunden waren. Ich erinnere
auch an das Programm „Proland“; so heißt es in Nieder-
sachsen. Mit EU-Geldern und Geldern aus den Landes-
haushalten verbessern wir die Struktur des ländlichen
Raumes insgesamt und tun damit natürlich auch etwas für
die Landwirtschaft und für die Landwirte, die ja in diesem
Raum leben. Außerdem nenne ich das Gesetz zur Förde-
rung erneuerbarer Energien. Darauf ist schon hingewie-
sen worden.

Das sind nur einige Beispiele. Man müsste noch viele
aufzählen, um zu einem zutreffenden Vergleich der Situa-
tion unserer Landwirte mit denen in anderen europäischen
Ländern in der Lage zu sein. Guckt man dagegen nur auf
den Kraftstoffpreis, dann bekommt man ein einseitiges
und schiefes Bild. Deswegen fordere ich Sie, meine Da-
men und Herren von der F.D.P. und von der CDU/CSU,
auf: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413320400
Ich gebe
dem Kollegen Albert Deß für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1413320500
Herr Präsident Seiters!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier wurde
mehrmals die Staatsverschuldung angesprochen. Deswe-
gen möchte ich hierzu einige Zahlen ins Gedächtnis ru-
fen: 1982 haben wir von der SPD-geführten Bundesre-
gierung eine Staatsquote von 50,1 Prozent übernommen.




Detlev von Larcher

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(A)



(B)


Der Haushaltsanteil am Bruttoinlandsprodukt lag bei
15,4 Prozent, und das ohne Wiedervereinigungskosten.
1998 haben wir die Regierung mit einer Staatsquote von
48 Prozent, also 3 Prozent niedriger als 1982, und einem
Haushaltsanteil am Bruttoinlandsprodukt von 12 Prozent,
also 3,4 Prozent niedriger als 1982, übergeben. Das muss
hier endlich einmal zur Kenntnis genommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist nicht neu!)


Wenn man hier nur absolute Zahlen nennt, dann muss man
wissen, dass sich 1998 das Bruttoinlandsprodukt gegen-
über 1982 um das Dreifache erhöht hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt möchte
ich – mit Genehmigung des Herrn Präsidenten – aus ei-
nem parteiinternen Papier der SPD zitieren. In diesem Pa-
pier vom 10. November 1999 heißt es:

Liebe Genossinnen und Genossen, die Auswirkun-
gen der Beschlüsse zur Haushaltssanierung und zur
Ökosteuer auf die Landwirtschaft sind beträchtlich.
Die meisten landwirtschaftlichen Familien werden
mehr oder minder deutliche Einkommenseinbußen
haben.

Auf acht Seiten wird dann der ganze Horrorkatalog der
nationalen Belastungen für die deutsche Landwirtschaft
dargestellt. Am Ende wird festgehalten – ich zitiere wie-
der –:

Die Koalitionsfraktionen haben deshalb die Bundes-
regierung aufgefordert, bis zum Februar 2000 Vor-
schläge zu erarbeiten, wie die Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen Agrarwirtschaft weiter verbessert, die
Land- und Forstwirtschaft im Vergleich zu anderen
Wirtschaftszweigen angemessen entlastet und die
Entwicklung der ländlichen Räume gesichert werden
können.

Das ist ein sehr deutlicher Auftrag an die rot-grüne Bun-
desregierung. Und was hat diese rot-grüne Bundesregie-
rung, was hat Minister Funke getan, um diesenAuftrag zu
verwirklichen? – Nichts, was der eigenen Zielsetzung ent-
spricht. Mit dem Agrardieselgesetz wird klar, dass es be-
züglich der Umsetzung der eigenen Zielsetzungen eine
totale Fehlanzeige gibt. Dieser Minister ist zum Null-Er-
folg-Minister dieser Bundesregierung geworden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Quatsch!)

Harry Peter Carstensen hat bereits aus dem „Top-

Agrar“-Interview vom November 1998 zitiert. Ich wie-
derhole es, damit es in der Bevölkerung entsprechend be-
kannt wird. Darin hat Minister Funke angekündigt:

Steuerliche Mehrbelastungen sind für die Landwirt-
schaft in der jetzigen Situation nicht verkraftbar und
dies will die SPD auch nicht.

Ich muss sagen: Dieser Minister ist laufend umgefallen.
Er ist umgefallen bei der Senkung der Vorsteuerpauschale
von 10 auf 9 Prozent, er ist umgefallen bei der ersten und
zweiten Steuerreform, er ist umgefallen bei der Ökosteuer
und er ist umgefallen beim Agrardieselgesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wenn man die ganze Entstehung des Entwurfs eines
Agrardieselgesetzes betrachtet,


(Detlev von Larcher [SPD]: Wie kann man nur so viel Unsinn reden!)


kann man nur noch von einem politischen Theater spre-
chen. Eine andere Aussage ist hier nicht möglich. Zuerst
wurde für das laufende Jahr der Haushaltsansatz für die
Steuerrückvergütung gewaltig gekürzt. Dann wurde von
57 Pfennig pro Liter gesprochen, dann von 47 Pfennig,
dann von 50 Pfennig; dann sprechen die Grünen wieder
von einem anderen Steuersatz mit Unter- und Obergren-
zen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Tatsache
ist und bleibt: Rot-Grün verteuert den Treibstoff.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eigentlich ist es in erster Linie die OPEC!)


Lieber Kollege Ulrich Heinrich, du hast die damalige
Steuerbelastung noch zu hoch dargestellt. In unserer Re-
gierungszeit, noch 1998, betrug diese – ohne Mehrwert-
steuer – 21 Pfennig. Seitdem Scharping brutto mit netto
verwechselt hat, müssen wir da aufpassen.

Wenn dieses Gesetz beschlossen wird, werden ab 2001
57 Pfennig gezahlt werden müssen. Wenn man sich an-
sieht, welchen Unterschied das zu anderen Staaten aus-
macht, wird die Wettbewerbsverzerrung deutlich: Ein
französischer Kollege wird nach dem jetzigen Steuersatz
bei nur 10 000 Liter Dieselverbrauch im nächsten Jahr
circa 500 DM Steuern zahlen. Ein deutscher Landwirt
wird bei 10 000 Litern 5 700 DM bezahlen. Wenn das
keine Wettbewerbsverzerrung ist, dann weiß ich nicht,
was Wettbewerbsverzerrung bedeutet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Wenn ich von einem durchschnittlichen Einkommen der
deutschen Landwirte ausgehe, bedeutet dies eine Ge-
winnminderung von etwa 10 Prozent allein durch die Ver-
teuerung der Energie in dem Bereich, den die Regierung
zu verantworten hat. Wie soll die deutsche Landwirtschaft
so wettbewerbsfähiger werden, wozu sie von dieser Bun-
desregierung dauernd aufgefordert wird?

Ich halte es auch für eine Verhöhnung, wenn in der Öf-
fentlichkeit davon gesprochen wird, dass die Landwirt-
schaft mit dem heutigen Gesetz eine Entlastung von
700 Millionen DM erfährt. Tatsache ist, dass die deut-
schen Bauern über 1 Milliarde DM mehr bezahlen als die
französischen Bauern.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur beim Diesel!)


Das ist meiner Ansicht nach nicht hinnehmbar.
Davon zu reden, dass diese Regelung in Brüssel no-

velliert werden muss, finde ich schon hanebüchen. Sicher
ist der Ansatz richtig, dass in Brüssel ein Agrardieselge-
setz auf europäischer Ebene erlassen werden müsste. Aber
ich kann doch die Verantwortung nicht nach Brüssel
schieben, wenn ich national verantwortlich bin und es zu-
lasse, dass die Steuersätze in Deutschland so massiv er-
höht werden. Das ist meines Erachtens nicht mehr als ein
billiges Ablenkungsmanöver.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)





Albert Deß
12846


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde es schon gravierend, dass sich unser Bundes-
landwirtschaftsminister nicht einmal in seiner eigenen
Fraktion bzw. gegenüber den Grünen durchsetzen konnte.
Zu einem Minister, der so wenig Durchsetzungsvermögen
besitzt, hat die deutsche Landwirtschaft das Vertrauen
verloren.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das glauben Sie!)

Im Agrarbericht 2000 ist nachzulesen:
Von herausragender Bedeutung ist dabei die Stär-
kung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land-
wirtschaft, damit sie sich im europäischen und inter-
nationalen Wettbewerb behaupten kann.

Die Bundesregierung hat Recht, wenn sie dies schreibt.
Aber weil sie anscheinend merkt, dass sie diese Ziele
nicht vertritt, heißt es im gleichen Agrarbericht, dass eine
Überprüfung der nationalen Agrarpolitik notwendig sei.
Diese Überprüfung ist in der Tat notwendig. In diesen
zwei Jahren sind Kürzungen im Agrarbereich vorgenom-
men worden – dies war ein reiner Horrorkatalog – zum
Nachteil der deutschen Landwirtschaft. Das kann nicht
hingenommen werden.

Die CDU/CSU hat daher einen Antrag eingebracht, in
dem sehr deutlich die Punkte aufgeführt sind, die ver-
wirklicht werden müssen, damit die deutsche Landwirt-
schaft wettbewerbsfähiger wird. Denn ich halte es nicht
für angebracht, wie diese Bundesregierung die deutschen
Bauern und auch die deutschen Bäuerinnen behandelt, die
Enormes leisten, damit unsere wertvolle Kulturlandschaft
gepflegt wird. Wenn es Bundesländer gibt, die ihre Bau-
ern unterstützen, was die Honorierung der Erfüllung von
Umweltauflagen anbelangt, dann sind es der Freistaat
Bayern und das Land Baden-Württemberg, vielleicht
auch noch einige andere Bundesländer. Rot-grün-regierte
Länder sind aber nicht darunter. Daran sieht man am bes-
ten, welchen Stellenwert die Landwirtschaft bei Rot-Grün
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Für mich war es von vornherein klar: Wenn Rot-Grün die
Bundesregierung stellt, dann werden die Benachteiligun-
gen für die Landwirtschaft genauso fortgesetzt,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es vorher unter der alten Regierung war!)


wie sie bereits in den rot-grün-geführten Bundesländern
erfolgt sind.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der F.D.P.)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413320600
Ich gebe
nunmehr dem Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten, Karl-Heinz Funke, das Wort.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,

(von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

ten Damen und Herren! Vorab will ich auf zwei Vorhal-
tungen eingehen, die jenseits der Thematik gemacht wor-
den sind. Der erste Vorwurf war, ich sei in Australien
gewesen, als man über Agrardiesel diskutiert habe, und
ich hätte hier bleiben sollen. Erstens habe ich die Ge-
spräche selbstverständlich vorher und nachher geführt.
Das weiß jeder, der einigermaßen Bescheid weiß. Zwei-
tens will ich deutlich sagen: Angesichts der Tatsache, dass
frühere Bundesregierungen internationale Kontakte sträf-
lichst vernachlässigt haben, ist es notwendig, diese Kon-
takte wieder aufzubauen, zu beleben und auszudehnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sage ich als jemand, der nachweislich dafür bekannt
ist, dass er gar nicht so gerne reist. Damit auch das einmal
klar ist.

Es gibt auf europäischer Ebene eine Absprache, dass
wir uns gerade wegen der WTO-Verhandlungen, dass wir
uns auch wegen des Werbens für das Modell der europä-
ischen Landwirtschaft, für die Multifunktionalität kenn-
zeichnend sein soll, auf diese Reisen begeben, um in der
Cairns-Gruppe und in Amerika das, was wir wollen,
durchsetzungsfähig zu machen. Ich halte das für notwen-
dig und befinde mich damit im großen Chor derer, die das
– Gott sei Dank – tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der australische Minister war eine Woche vorher hier! Das Gespräch ist schon vorher geführt worden!)


– Warum sind denn die Kollegen, die vorher in diesem
Amt waren, nie in Australien gewesen? Australien ist
wortführendes Mitglied der Cairns-Gruppe, Herr Kollege
Carstensen.

Ich habe heute nur eine Debatte über Subventionen
gehört – das ist bedauerlich – und keine Debatte über
Strukturen, über den internationalen Handel und Markt-
chancen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer so über Agrarpolitik redet, hat wesentliche Elemente
verschwiegen


(Detlev von Larcher [SPD]: Ja, er macht sie kaputt!)


und – da wissen Sie, Herr Kollege Carstensen, genau Be-
scheid – reduziert auf das, was seiner Ansicht nach kri-
tikwürdig ist. Das hat mit der Realität und der Zukunft der
Landwirtschaft in Deutschland und Europa verdammt
wenig zu tun. Das muss ich ganz deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einen zweiten Punkt – er ist nicht so wichtig – will ich
nur am Rande erwähnen. Herr Kollege Heinrich, ich habe
den Agrarbericht natürlich vor der Beratung in den Aus-
schüssen selbst eingebracht. Mir ist gesagt worden – ich
will das aber gerne nachprüfen –, das sei auch so üblich.




Albert Deß

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb habe ich heute nicht als Erster hierzu gesprochen.
Das war auch vorher nicht anders.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Doch!)

Aber daran soll es nicht liegen. Ich bin kein Freund über-
triebener Formen. Aber wenn es der Höflichkeit dient, bin
ich beim nächsten Mal gerne bereit, die Sache anders zu
handhaben; das ist gar keine Frage. Aber für entscheidend
halte ich es nicht – Sie wahrscheinlich auch nicht.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Für die Opposition ist das natürlich eine Erleichterung!)


Ich sprach es eben schon an: Dies ist von Ihrer Seite
eine Debatte über Subventionen und nicht über Struktu-
ren. Kollege Deß, von mir aus kann man ja über Land-
wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit auch im Rahmen
staatlicher Unterstützung reden. Aber bitte nehmen Sie
doch auch einmal zur Kenntnis, was die Wissenschaft und
Gutachten belegen! Es besteht nämlich die Notwendig-
keit zur strukturellen Veränderung, um die deutsche und
die europäische Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu ma-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann das jetzt angesichts der knappen Zeit nicht näher
ausführen; das habe ich im Ausschuss getan. Aber da wird
mir nicht geantwortet, weil Sie wissen, dass es stimmt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das weise ich entschieden zurück!)


Wer zum Beispiel bei der Einführung der Milch bei der
Börse in Bayern sieben Bezirke einrichtet – mit all den
Auswirkungen auf die Angebote –, muss mir nicht etwas
über die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Landwirtschaft, in diesem Fall der Bauern, die mel-
ken, erzählen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist wirklich jenseits aller Ökonomie. Nun erwarte ich
nicht, dass Sie hier etwas über Ökonomie sagen. Nur,
dann muss man das, was man vorträgt, auch als Lyrik de-
klarieren.


(Beifall bei der SPD)

Reden wir jetzt einmal über Strukturen und schauen

wir nach Bayern! Warum wird denn dort festgestellt
– nicht von mir, ich zitiere nur; man kann es in regie-
rungsamtlichen Berichten nachlesen –, dass es dort einen
so genannten Strukturstau gibt? Ich würde mich damit
einmal auseinander setzen, bevor ich mich derartig zur
Wettbewerbsfähigkeit äußere, Kollege Deß.

Herr Carstensen, ich gehöre nicht zu denen, die be-
haupten, dass es ausschließlich das Verdienst dieser Bun-
desregierung sei, dass die Landwirte am Markt gegen-
wärtig mehr Einkommen erzielen. Ich habe früher
nämlich immer kritisiert, wenn ein Bundesminister das
für sich in Anspruch nahm. Aber dass auch die Agenda in
ihrer Anlage mit dazu beiträgt, dass wir, was Angebot und
Nachfrage anbelangt, bessere Marktbedingungen haben
und dass die Gewinnmöglichkeiten am Markt für die

Landwirtschaft gegenwärtig besser sind, ist auch Wahr-
heit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Marktentlastung erfolgt durch den Abbau der Preis-
und Marktstützung, verbunden mit zusätzlichen Aus-
gleichszahlungen, auch aufgrund des Euro-Dollar-Ver-
hältnisses, aber vor allen Dingen durch die Agenda.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen wir die höheren Dieselpreise gegenrechnen!)


Das fällt Gott sei Dank alles zusammen. Dies wird Ihnen
auch von allen bestätigt werden, die das agrarökonomisch
untersuchen.

Ich lege nur Wert darauf, festzustellen, dass das so ist.
Ich meine damit gar nicht die Schweinepreise. Ich denke
gegenwärtig an die Rinder- und die Milchpreise, weil wir
in dem Fall – auch bei Weizen und Gerste – ohne Export-
erstattung exportieren können. Dadurch haben wir bes-
sere reale Marktpreise.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht wegen der Agenda!)


– Lesen Sie das bitte nach! Ich bin bisher davon ausge-
gangen, dass Ihnen die Zusammenhänge zwischen Preis-
und Marktstützung und Exporterstattung sehr wohl be-
kannt sind. Das ist eigentlich das Einmaleins europäischer
Agrarpolitik, seitdem wir eine gemeinsame Marktord-
nung haben.


(Beifall bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Dann können Sie davon ausgehen, dass wir das auch wissen!)


Ich will noch etwas zur Steuerreform sagen. Es ist ja
bemerkenswert, dass diese eigentlich nicht mehr kritisiert
wird, seitdem die Landwirte mit ihren Steuernberatern da-
rüber geredet haben. Sie haben hier Landwirte zitiert. Ich
kann auch Landwirte von Spitzenbetrieben zitieren, die
schon nach dem ersten Referentenentwurf bei mir waren.
Diese haben mir gesagt: Ändert bloß nichts mehr! Ich
habe die Sache einmal prüfen lassen. Ich komme gut weg
dabei. – Ich halte es allerdings nicht für möglich, solche
Einzelaussagen – weder Ihre noch meine – zu generali-
sieren.

Aber ich will auf etwas zu sprechen kommen, was in
der Steuerdebatte immer wieder verwechselt wird, wenn
man, wie heute wieder geschehen, darauf hinweist, dass
die Körperschaften entlastet würden. Ich meine sogar,
hier am Rednerpult wäre schon einmal die Rede davon
gewesen, dass man einen Grenzsteuersatz nicht mit ei-
nem Definitivsteuersatz verwechseln darf, was leider
ständig in dieser Debatte getan wurde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Körperschaften werden mit einem feststehenden

Steuersatz von 25 Prozent besteuert, und zwar ohne die
Möglichkeit, die Gewerbesteuer gegenzurechnen. Der
mittelständische Bereich wird von einem Grenzsteuersatz
von 42 Prozent – die Gewerbesteuer wird dabei gegenge-
rechnet – betroffen. Grenzsteuersatz bedeutet in diesem




Bundesminister Karl-Heinz Funke
12848


(C)



(D)



(A)



(B)


Fall, an der Höchstgrenze mit 42 Prozent belastet zu wer-
den. Frau Staatssekretärin Hendricks bestätigt mir das in
diesem Fall. Das heißt, bei niedrigerem Einkommen ist
auch die Belastung niedriger, sodass allenfalls ein Durch-
schnittssteuersatz ermittelt werden könnte; dieser würde
auf jeden Fall unter 42 Prozent liegen. Das bedeutet, dass
derjenige, der unterhalb des Eingangsfreibetrages liegt,
keine Steuern zahlt. Das ist gerade die Bedeutung des
Grenzsteuersatzes.

Ich gebe zu, dass man es nur verstehen kann, wenn man
es weiß und die betriebswirtschaftlichen Feinheiten
kennt. Sonst redet man an der Sache vorbei.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die grundlegende Ausbildung in Agrarökonomie umfasst,
Herr Kollege Carstensen, mindestens ein Semester Steu-
erlehre. Das war zumindest zu meiner Zeit noch so. Sie
aber haben Jura studiert; da soll angeblich alles besser ge-
wesen sein. Aber Landwirte wissen, wie das mit der
Steuer funktioniert, nachdem sie sich entsprechend haben
beraten lassen.

In diesem Zusammenhang will ich ein Weiteres auf-
greifen: Sie haben davon gesprochen, wir würden den
ländlichen Raum total vernachlässigen, gleichsam aus-
bluten lassen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wer hat das gesagt?)


– Sie, Herr Kollege Carstensen, haben das gesagt; Sie ha-
ben auf den ländlichen Raum verwiesen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das habe ich nie gesagt!)


– Entschuldigung, dann nehme ich auch zurück, dass Sie
der Auffassung sind, wir hätten mit der zweiten Säule der
Agenda und den finanziellen Hilfen, die wir erreicht ha-
ben, auf europäischer Ebene ein für Deutschland
hervorragendes Verhandlungsergebnis erzielt und würden
damit eine Stärkung des ländlichen Raumes erreichen,
wie sie vorher nie da gewesen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin den Ländern – von Bayern bis Schleswig-Hol-
stein – dafür sehr dankbar, dass sie die ihnen gewährten
Programme auch umsetzen.


(Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Kollege Heinrich, ich freue mich sehr, dass Sie sich
melden. Ich kann Ihnen im Vorgriff bereits mitteilen, dass
die südlichen Länder – Bayern, Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz – überdurchschnittlich begünstigt wer-
den, weil dort eine nebenerwerblich strukturierte Land-
wirtschaft vorhanden ist. Im Übrigen ist der ländliche
Raum auf diese Mittel angewiesen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413320700
Da Herr
Minister Funke die Zwischenfrage zugelassen hat, erteile
ich Ihnen das Wort.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1413320800
Herr Minister, ich wollte Sie
nicht dafür loben, dass Sie mit dafür gesorgt haben, die
zweite Säule der Agenda 2000 zu stärken,


(Karl-Heinz Funke, Bundesminister: Schade!)

obwohl ich gerne bestätige, dass die zweite Säule zuneh-
mend an Bedeutung gewinnt und die Länder – nicht zu-
letzt Baden-Württemberg – die Förderung gerne anneh-
men. Wir haben im Rahmen der zweiten Säule ein
Programm im Umfang von 300 Millionen Mark aufge-
legt. Daran können sich andere Bundesländer nördlich des
Mains ein Beispiel nehmen.


(Detlev von Larcher [SPD]: Niedersachsen ist Nummer zwei!)


Ich komme zu meiner Frage: Sie haben eingangs ge-
sagt, wir hätten alle so getan, als wären wir nicht in der
Lage, über Strukturen und marktwirtschaftliche Entwick-
lungen zu reden, sondern würden ausschließlich über
Subventionen und andere staatliche Hilfen sprechen. Ge-
ben Sie mir darin Recht, dass die Bundesregierung mit
den von ihr durchgeführten Maßnahmen – heute werden
wir das Agrardieselgesetz verabschieden – die Landwirt-
schaft zusätzlich belastet,


(Karl-Heinz Funke, Bundesminister: Darauf komme ich später!)


und stimmen Sie mir darin zu, dass die Opposition be-
sonders verpflichtet ist, auf Verschlechterungen, die ei-
nen Teil der Bevölkerung betreffen, hinzuweisen?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Heinrich, ich
bestätige Ihnen ausdrücklich, dass wir auf dem Energie-
sektor – in diesem Fall bei der Dieselbesteuerung – in der
Landwirtschaft gegenüber Konkurrenzländern Wettbe-
werbsnachteile haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das haben alle gesagt!)


– Das haben hier alle bestätigt. Ich habe nicht eine Rede
gehört, in der etwas anderes behauptet worden wäre.

Ich bestätige das und bedanke mich bei den Fraktionen
ausdrücklich dafür, dass wir gemeinsam darüber nach-
denken können, wie wir zumindest einen Teil dieser Wett-
bewerbsverzerrungen wieder gutmachen können. Ich ver-
weise in diesem Zusammenhang auf das, was die Kollegin
Naumann – so glaube ich zumindest – gesagt hat. Als wir
das Agrardieselgesetz debattierten, hätten wir andere
Schwerpunkte setzen müssen, wenn wir gewusst hätten,
dass sich angesichts der Marktverhältnisse im Energie-
sektor andere Bedingungen stellten. Ich will Ihnen aber
gerne bestätigen, dass wir hier in einer Verpflichtung ste-
hen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413320900
Herr Minis-
ter, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Deß?




Bundesminister Karl-Heinz Funke

12849


(C)



(D)



(A)



(B)


Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Ja.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1413321000
Herr Minister, Sie haben die
zweite Fördersäule angesprochen. Zuvor gab es ja die
Maßnahme der EU-Verordnung 2078/92. Können Sie mir
erklären, warum von der Gesamtsumme, die zwischen
1993 und 1997 für Deutschland zur Verfügung gestellt
worden ist, 0,6 Prozent nach Schleswig-Holstein, 1,7 Pro-
zent nach Niedersachsen, 0,9 Prozent nach Nordrhein-
Westfalen und 5 Prozent nach Hessen – alles damals SPD-
regierte Länder –, in das CSU-regierte Bayern aber
35 Prozent und nach Baden-Württemberg 22 Prozent ge-
flossen sind? Kann das damit zusammenhängen, dass die
rot-grünen Länder keine Kofinanzierungsmittel hatten?

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Nein, Herr Kollege Deß.


(Lachen bei der CDU/CSU – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Du machst dich lächerlich!)


– Nein. Da muss ich Sie nun wirklich völlig enttäuschen.
In den Gesprächen, die wir mit den Landesministern zur
Verteilung dessen, was von Europa kam, geführt haben,
haben selbst jene Länder, die jetzt niedrige Prozentsätze
aufzuweisen haben, anerkannt, dass aufgrund der Struk-
turen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz
und Hessen das, was im Rahmen der zweiten Säule der
Agenda kommt, unbestritten dorthin muss und nicht in
erster Linie in die anderen Länder. Nur ganz nebenbei:
Niedersachsen hat das Doppelte wie bei Ihrer Regierung –
das Doppelte –, weil wir durch entsprechendes Verhan-
deln aus Brüssel mehr Geld als vorher bekommen.


(Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wer war denn in Niedersachsen Minister? – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Das stimmt doch nicht!)


Daraus, meine Damen und Herren, mögen Sie ersehen,
dass diese Regierung nach objektiven Kriterien und nicht
nach den politischen Verhältnissen in den jeweiligen Län-
dern geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Verteilung dieser Mittel hat mit Kofinanzierung
überhaupt nichts zu tun. Ich weiß von meinem eigenen
Land, von Niedersachsen – in den anderen Ländern über-
schaue ich das nicht; das will ich aber gerne nachprüfen –,
dass dort jede Mark, die im Rahmen der zweiten Säule der
Agenda zur Verfügung steht, kofinanziert wird. Das ist
schlichtweg so.

Ich muss jetzt leider diesen Teil verlassen. Ich hätte
mich gerne noch ein bisschen mit den Größenordnungen,
was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, beschäftigt und
darauf hingewiesen, dass wir uns auch damit zu befassen
haben, wie wir die so genannten variablen Kosten der Be-
triebe, die im europäischen Vergleich bei uns überdurch-
schnittlich hoch sind, reduzieren können. Ich könnte auch
über das reden, was uns die Maschinenringe richtiger-

weise zu der Frage sagen, wo wir gemeinsam mit den
Ländern noch etwas tun müssen. Ich will dies jetzt nicht
tun. Die Probleme, die wir haben, löst man jedenfalls
nicht alleine dadurch, dass man darauf verweist, was
tatsächlich oder vermeintlich weniger an Subventionen
gezahlt wird. Auf die Notwendigkeit, die Haushaltslage
in Ordnung zu bringen, ist in diesem Sinne hingewiesen
worden.

Aber, meine Damen und Herren, wenn ich mir die
Haushaltsanträge der CDU/CSU ansehe, will ich doch
noch eines sagen – das wird man im Rahmen der Debatte
über den Agrarbericht ja sagen dürfen –: Beim Agrardie-
sel müssten Sie, wenn Sie mit steuerbegünstigtem Heizöl
fahren lassen wollen, rund 1,6 Milliarden DM auf den
Tisch legen. 450 Millionen DM für die Alterssicherung,
200 Millionen DM für die Unfallversicherung, 150 Milli-
onen DM für den Vorruhestand, 100Millionen DM für die
Gemeinschaftsaufgabe, obwohl die Kosten des Vorruhe-
standes im Rahmen der zweiten Säule der Agenda von den
Ländern übernommen werden könnten. Das ist eigentlich
ein Sammelsurium von Zahlen – das macht, wenn ich auf
die Schnelle richtig gerechnet habe, 2,8 Milliarden DM
aus –, bei dem am Ende jeder weiß, dass das unseriös ist.


(Beifall bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Die haben ja auch keine Verantwortung!)


Es wird Ihnen draußen garantiert nicht abgenommen, dass
dies angesichts der Haushaltssituation, der Notwendig-
keiten, die heute, gesamtökonomisch gesehen, bestehen,
zu vertreten wäre.

Ich muss in diesem Zusammenhang die F.D.P. loben:
Sie hat solche Forderungen in diesem Umfange bisher
nicht gestellt, sondern wesentlich geringere Forderungen
erhoben.

Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusam-
menhang ein Stichwort aufgreifen und auch dies noch
zum Agrarbericht sagen: Ich bin froh, dass der Agrarbe-
richt, der heute diskutiert wird, in seiner Prognose die
Einkommensentwicklung für das gegenwärtige Wirt-
schaftsjahr unterschätzt hat. Gott sei Dank steigen die
Einnahmen der Landwirte, bei all dem, was wir heute sa-
gen können, mehr als im Agrarbericht angenommen. Ich
bin froh darüber, weil dies Einkommen ist, das über den
Markt erzielt wird und somit – bei allen Schwankungen,
unabhängig von politischen Lagen – eine dauerhafte
Größe ist. Das ist gut und zukunftsträchtig für die Land-
wirtschaft, sodass ich auch optimistisch und positiv da-
rüber denke, was uns der Agrarbericht 2000 bringen wird.

Ich kann jetzt nicht mehr auf die Fragen zur Osterwei-
terung und auf andere Fragen eingehen. Aber Sie kennen
meine Meinung hierzu bereits, auch darüber, wie ich die
Welternährung einschätze und die Chancen, die die deut-
sche Landwirtschaft in diesem Sinne hat.

Herr Kollege Heinrich, zur Gentechnologie will ich
ausdrücklich sagen: Ich glaube, der Weg, das, was die Re-
gierung auch in Absprache mit den Industrieunternehmen
gemacht hat, ist richtig. Wir müssen doch wissen, dass es
diesbezüglich Ängste der Verbraucherschaft gibt, dass wir






(C)



(D)



(A)



(B)


die Akzeptanz erhöhen müssen, wenn wir dem in Zukunft
eine Chance als Schlüsseltechnologie einräumen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, das kann man nur gemeinsam schaffen, in-
dem man mit Offenheit und mit der Absicht, aufklärend
im besten Sinne des Wortes zu wirken, an dieses Problem
herangeht. Ich möchte mich – Sie haben das Bundesnatur-
schutzgesetz angesprochen – ausdrücklich – das mag den
einen oder anderen überraschen – bei den Vertretern der
Grünen-Fraktion für die bisherigen Gespräche bedanken,
insbesondere beim Kollegen Trittin, der auch der Mei-
nung ist, dass Vertragsnaturschutz oberste Priorität haben
muss. Damit können wir vielen in der Fläche Betroffenen
ihre subjektiven Ängste nehmen. Das ist ganz wichtig.
Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.


(Beifall bei der SPD)

Das, was wir bei der UVP und IVU gemacht haben

– ich sage das, damit hier kein Popanz aufgebaut wird –,
ist besser als das, was bisher für die Entwicklung der
Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe vorgesehen war.
Schauen Sie sich bitte die Zahlen an!

Ich möchte mich – damit komme ich zum letzten Punkt
und auch zum Schluss – beim Kollegen Ortel für das be-
danken, was er über das Problem des Tiermehls gesagt
hat. Ich möchte Ihnen ganz offen sagen – wir haben uns
damit in den letzten Tagen intensiv beschäftigt –, dass die
Franzosen nach unserer Meinung dieses Problems durch
das von heute auf morgen ausgesprochene Verbot der
Tiermehlverfütterung nicht Herr werden. Das Tiermehl
wird in Frankreich zu Lagerungszwecken einfach auf ei-
nen Haufen geschüttet. Es soll – ich sage ausdrücklich:
soll – bereits ein Fluss durch Ausschwemmungen ver-
seucht worden sein.

Wir haben in Briefen an den zuständigen EU-Kom-
missar Byrne und den französischen Landwirtschaftsmi-
nister Glavany unsere Meinung zum Ausdruck gebracht,
dass angesichts der obwaltenden Umstände ein
Exportverbot für französisches Tiermehl erlassen wer-
den muss. Das ist notwendig, Herr Kollege Ortel. Wir
werden am kommenden Montag im EU-Agrarrat be-
schließen, dass die Europäische Union ein solches Ex-
portverbot erlassen soll. Das verseuchte Tiermehl darf
nicht nach Deutschland importiert werden. Wenn die Eu-
ropäische Union ein solches Verbot nicht erlässt, dann
müssen wir auch über nationale Maßnahmen, zum Bei-
spiel über eine Eilverordnung, nachdenken. Wir nehmen
dieses Problem sehr ernst; denn Deutschland ist sauber.
Das Tiermehl wird bei uns entsprechend den Vorschriften
hergestellt und verwendet. Wir können uns keine Verwir-
rung leisten.


(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Da haben Sie unsere Zustimmung, Herr Minister!)


– Vielen Dank, Herr Kollege Heinrich.
Ich möchte an die Adresse der Verbraucher sagen: In

Deutschland sind sehr viele Schnelltests durchgeführt
worden bzw. werden auch noch viele durchgeführt.
Deutschland ist Gott sei Dank BSE-frei. Deswegen gibt es

keinen Grund, in irgendeiner Form an der Qualität der
deutschen Rindfleischproduktion zu zweifeln. Zu deut-
schem Rindfleisch kann man Vertrauen haben. Man kann
es mit Genuss essen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Carstensen hat in dieser Woche zum

zweiten Mal aus der Bibel zitiert. Die Tatsache, dass Ihr
Schwiegersohn erfolgreich das Studium der Theologie
absolviert hat


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Meine Tochter studiert auch Theologie!)


– die Tochter studiert auch Theologie! –, scheint wahre
Wunder zu wirken. Ich als praktizierender Protestant
freue mich natürlich darüber. Ich bitte Sie, mein Bibelzi-
tat – mir fiel während Ihrer Rede, die in meinen Augen ein
bisschen scharf war, kein besseres ein – so zu nehmen –
es ist auch humorvoll gemeint –, wie es ist. Ich möchte
Jesaja Kap. 41 Vers 24 zitieren – ein sehr berühmtes Zi-
tat –:

Ihr seid nichts und Euer Tun ist auch nichts und Euch
zu wählen ist ein Gräuel.


(Heiterkeit)

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413321100
Ich habe
Sie, Herr Minister Funke, zwar nicht unterbrochen, weil
ich Sie nicht um das Zitat bringen wollte. Aber ich möchte
grundsätzlich feststellen: Natürlich haben die Mitglieder
der Bundesregierung das Recht, am Schluss einer Debatte
zu sprechen und so lange zu sprechen, wie sie möchten.


(Karl-Heinz Funke, Bundesminister: Entschuldigung!)


Da auch bei der nächsten Debatte Mitglieder der Bun-
desregierung sprechen werden, möchte ich diese auf §§ 28
und 44 der Geschäftsordnung hinweisen. Danach könnte
die Aussprache wieder eröffnet werden, wenn ein Mit-
glied der Bundesregierung nach Schluss der Aussprache
oder nach Ablauf der beschlossenen Redezeit das Wort er-
greift. Das möchte ich nicht anregen.

Ich möchte allerdings dem Kollegen Ronsöhr das ge-
wünschte Wort zu einer Kurzintervention erteilen.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1413321200
Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als
Peter Harry Carstensen das Bibelzitat vorgetragen hat, ha-
ben die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen es auf ihn
bezogen. Mit dem gleichen Recht beziehen wir Ihr Bibel-
zitat, Karl-Heinz Funke, auf Sie. Dann stimmt es auch;
denn die Bauern werden danach handeln.

Ich finde es etwas eigenartig, dass die Darstellung der
steuerliche Entwicklung beim Agrardiesel in den Aus-
führungen des Ministers Funke nur eine sehr untergeord-
nete Rolle gespielt hat.




Bundesminister Karl-Heinz Funke

12851


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte nun auf die Steuerreform zu sprechen
kommen. Natürlich hat eine Steuerreform unterschiedli-
che Auswirkungen auf Betriebe. Aber der Bauernverband
hat eindeutige Berechnungen vorgelegt. Die landwirt-
schaftlichen Buchstellen und deren Organisationen taten
dies auch. Beide kommen bis zum Jahre 2005 auf eine
jährliche Mehrbelastung für die deutsche Landwirtschaft
in Höhe von 100 Millionen DM.


(Detlev von Larcher [SPD]: Aber nicht 2001!)

– Nicht im Jahre 2001; da haben Sie Recht. Es fängt im
Jahre 2002 an und trifft auch für die Jahre 2003, 2004 und
2005 zu.


(Detlev von Larcher [SPD]: 2005 geht es dann los!)


– Herr von Larcher, ich habe Sie ausreden lassen.

(Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Fünf bittere Jahre!)


Von daher finde ich, dass man diese Zahlen zur Kennt-
nis zu nehmen hat und nicht immer von einer Entlastung
der Landwirtschaft sprechen sollte. Wenn wir hier über
Strukturentwicklungen sprechen, dann muss man feststel-
len, dass Strukturen auch von Steuern geprägt werden.
Landwirte bilden häufig GbRs, um eine bestimmte Struk-
turentwicklung und bestimmte Kosten abzufangen.

Bei dieser Steuerreform ist es nicht gelungen, die
Rücknahme des Unternehmererlasses in Gänze wieder
vorzunehmen. Wenn wir schon über die Schaffung von
modernen Strukturen sprechen, dann müsste es auch von
der Bundesregierung wieder ermöglicht werden, dass
man nicht mit einem Mitunternehmererlass zu rechnen
hat, wenn man GbRs gründet, und dass man nicht steuer-
lich abgestraft wird, wenn man sie wieder auflöst.

Sie haben gesagt, hier werde ständig von Subventionen
gesprochen. Herr Funke, eines finde ich typisch: Wieso
sind die 400 Millionen DM, die wir im letzten Jahr der
Knappschaft für die Alterssicherung der Bergleute haben
zukommen lassen, keine Subventionen? Warum aber sind
die 377 Millionen DM für die landwirtschaftliche Alters-
kasse eine Subvention? Diesen Widerspruch lassen wir
Ihnen – sowohl von der F.D.P. als auch von der
CDU/CSU – nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch Quatsch!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413321300
Zu einer Er-
widerung hat Bundesminister Funke das Wort.

Karl-Heinz Funke, Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ronsöhr, ers-
tens hätte ich nach Ihrer Einschätzung vielleicht mehr
über Agrardiesel sagen sollen. Aber ich habe auf die
Zwischenfrage von Herrn Heinrich alles gesagt, was man
dazu sagen kann. Sonst wäre es ohnehin dazu gekommen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie haben nicht von einer Mehrbelastung gesprochen!)


Es ist nur so: Wenn Sie glauben, dies sei das einzige
Problem der Landwirtschaft und gehöre in das Zentrum
der Erörterung,


(Zuruf: Richtig!)

dann – ich weiß gar nicht, wer da „Richtig!“ gerufen hat;
aber derjenige scheint mir eine einigermaßen seltsame
Sichtweise von Landwirtschaft zu haben –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ist darauf aufmerksam zu machen, dass es gravierendere
Probleme gibt. Agrardiesel ist ein Problem unter anderen.
Wenn Sie es so hervorheben, in den Mittelpunkt stellen
und glauben,


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gemacht! Ich habe etwas zur Steuerreform gesagt!)


dass alles andere, was wir gesagt haben – auch das, was
Frau Höfken zum Thema Landwirtschaft als Energieland-
wirtschaft gesagt hat –, unbedeutsam sei, dann kann ich
nur feststellen: Wenn Sie Agrardiesel für das einzige Pro-
blem überhaupt halten, dann haben wir an sich einen
glücklichen Zustand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich verstehe, dass man als Opposition so vorge-

hen muss. Ich freue mich ja im Grunde, dass die Opposi-
tionszeit bei Ihnen dazu geführt hat, dass Sie jetzt zu
solchen Einsichten kommen. Denn als Sie die Mineralöl-
steuer erhöht haben, haben Sie nicht für den entsprechen-
den Ausgleich für die Landwirtschaft gesorgt. Unter die-
sem Gesichtspunkt besteht für Sie also überhaupt kein
Grund, über diesen Aspekt hier so umfassend und inten-
siv zu reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Jetzt
werden Sie aber unverschämt, Herr Minister!)

Meine Damen und Herren, Herr Ronsöhr, was Sie zum
Thema Subventionen gesagt haben, möchte ich aus-
drücklich teilen: Darüber, dass die Tatbestände, die Sie als
Beispiele genannt haben, auch Subventionen bzw. Unter-
stützungen sind, brauchen wir gar nicht zu reden. Damit
habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Damit wir uns
auch darüber verständigen, möchte ich klarstellen: Ich
vertrete und verteidige diese so genannten Subventionen.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Das haben Sie gerade aber nicht gemacht!)


Ich habe lediglich gesagt – dazu stehe ich –: Eine Debatte
über die Zukunft der Landwirtschaft und über den Agrar-
bericht ist total verkürzt, wenn sie sich auf das Thema
Subventionen reduziert und sich nicht mit Fragen der
Strukturen beschäftigt. Darum geht es; dazu stehe ich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413321400
Ich schließe
die Aussprache.




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
12852


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 6 a. Wir kommen zu der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 14/4236. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung, den Agrarbericht 2000 der Bundesregierung auf
Drucksache 14/2672 zur Kenntnis zu nehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Frage nach
der Gegenprobe muss ich, glaube ich, nicht stellen. Das
Haus nimmt den Agrarbericht einstimmig zur Kenntnis.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3380 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü-
nen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
F.D.P. angenommen.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung, den Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/3391 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 6 b. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Agrardieselgesetzes, Drucksachen 14/4218,
4294 und 4616. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4621 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Än-
derungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU
und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der F.D.P. ge-
gen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Ich bitte nunmehr diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalition gegen die übrigen Stimmen des Hauses ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen
Stimmenmehrheit wie in der zweiten Beratung angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 6 c. Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksa-
che 14/4605 zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit
dem Titel „Tanken von eingefärbtem Agrardiesel unbüro-
kratisch ausgestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/3105 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der F.D.P.
und der CDU/CSU angenommen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(23. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen),
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Hauptstadtkulturförderung
– Drucksachen 14/3182, 14/4597 (neu)
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin)

Bernd Neumann (Bremen)

Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Das
Haus ist damit einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Dr. Norbert Lammert für die CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1413321500
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung
hat in den letzten Tagen zwei spektakuläre kulturpoliti-
sche Entscheidungen getroffen, von denen die erste Res-
pekt und jede Unterstützung verdient, während die zweite
hochproblematisch ist. Beide Entscheidungen bzw. Initia-
tiven haben bezeichnenderweise nichts mit dem Haupt-
stadtkulturvertrag zu tun, über den wir nun seit Monaten
reden und verhandeln. Sie haben aber natürlich erheblich
etwas mit Hauptstadtkultur und Bundesförderung in der
Hauptstadt zu tun.

Was die Sicherung der Berggruen-Sammlung für
Berlin und damit für Deutschland angeht, will ich all den-
jenigen, die sich darum offenkundig seit geraumer Zeit
mit Erfolg bemüht haben, ausdrücklich gratulieren. Ob-
wohl ich, wie ich an anderer Stelle deutlich gemacht habe,
das Verfahren unter Nichtbeteiligung des zuständigen
Ausschusses des Bundestages nach wie vor weder für ver-
tretbar noch für hinreichend begründet und deswegen
auch nicht für akzeptabel halte, stehe ich nicht an, zu sa-
gen, dass meine Freude und Begeisterung in der Sache
meinen Ärger über das Verfahren kompensieren. Sie, Herr
Staatsminister, haben die Verfahrenskritik auch als be-
rechtigt akzeptiert. Damit ist der Vorgang für mich erle-
digt.

Die CDU/CSU-Fraktion hat mit ihrem Antrag zur
Hauptstadtkulturförderung, den wir im Frühjahr dieses
Jahres eingebracht haben, zwei Ziele verfolgen wollen.

Erstens. Wir wollten die bereits begonnenen Verhand-
lungen zwischen der Bundesregierung und dem Berliner
Senat und die damit verbundene öffentliche Auseinander-
setzung in dieses Parlament hineinholen.

Zweitens. Wir wollten eine möglichst breite parlamen-
tarische Grundlage für eine solide Formulierung des Ver-
hältnisses von Bund und Hauptstadt in Fragen der Kul-
turförderung erreichen.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

12853


(C)



(D)



(A)



(B)


Beides ist gelungen. Wir stimmen nach der heutigen
Debatte über eine Beschlussempfehlung des Ausschusses
ab, die deutlich macht, dass wir in der grundsätzlichen
Frage des Verhältnisses zwischen Bund und Hauptstadt,
was die Unterstützung von kulturellen Institutionen, Pro-
jekten und Anstrengungen angeht, ein hohes Maß an
Übereinstimmung haben und dass es in dieser Hinsicht
überhaupt keinen Streit gibt. Der Kulturstaat Deutschland
muss unter Wahrung der originären Verantwortlichkeit
der Länder und ihrer beispielhaften kulturellen Vielfalt
ganz besonders in der Hauptstadt erkennbar sein. Dabei
darf sich – das sage ich mit der gleichen Selbstverständ-
lichkeit – die Kulturpolitik des Bundes selbstverständlich
nicht auf die Hauptstadtförderung reduzieren. In beiden
Fragen besteht zwischen uns Übereinstimmung. Ich
glaube, dass das für die weitere Arbeit eine ganz wichtige
Basis – über den unmittelbar zur Entscheidung anstehen-
den Hauptstadtkulturvertrag hinaus – ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die CDU/CSU stimmt wie die anderen Fraktionen der

Absicht von Bundesregierung und Berliner Senat aus-
drücklich zu, einen Vertrag zur Kulturfinanzierung in
der Bundeshauptstadt abzuschließen. Gegen die konkret
vorgesehenen Vereinbarungen des ausgehandelten Vertra-
ges haben wir allerdings erhebliche Einwendungen und
Bedenken. Die vom Bund übernommenen Verpflichtun-
gen lassen weder überzeugende Prioritäten noch inhaltli-
che Konzeptionen für diejenigen Institutionen erkennen,
die in Zukunft ganz in der Verantwortung des Bundes ge-
führt werden sollen.

Ich finde es ausgesprochen schade, dass die bei der
Einbringung dieses Antrages in der Debatte im Mai von
mir für die Fraktionen markierten offenen Fragen in der
Zwischenzeit entweder nicht beantwortet oder in einer
leider sehr unglücklichen Weise behandelt worden sind.
Ich kann das im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden
Redezeit nur stichwortartig belegen.

Sie werden sich daran erinnern, dass ich bereits damals
darauf hingewiesen habe, dass selbstverständlich neu da-
rüber nachgedacht werden muss, welche Aufgaben die
Berliner Festspiele in Zukunft haben sollen, nachdem
sich der Zweck, zu dem sie zu Beginn der 50er-Jahre ge-
gründet worden sind, ganz offensichtlich verbraucht hat.
Uns liegt bis heute nur eine einzige Auskunft zu diesem
Thema vor, nämlich dass der Bund die Verantwortung
dafür in Zukunft alleine übernehmen will. Wir wissen,
wer in Zukunft anstelle des langjährigen, verdienstvollen
Leiters die Führung dieser Festspiele übernehmen soll.
Weder von der Bundesregierung noch vom ernannten Lei-
ter ist bisher irgendeine Auskunft über die Absicht zu
hören gewesen, was mit diesem Instrument dann erfolgen
soll.


(Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Unerhört!)


Wir fühlen uns insofern in der Vermutung sehr be-
stätigt, dass unter den Bedingungen einer vitalen, wirklich
ausstrahlenden Kulturmetropole Berlin für eine solche In-
stitution eigentlich überhaupt keine, schon gar keine
zwingende Notwendigkeit mehr besteht und dass man

dieses Geld an anderer Stelle – für eine Stärkung der Kul-
turinstitutionen in Berlin – sinnvoller einsetzen könnte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Barthel, ich fühle mich in dieser Einschät-
zung durch eine kürzlich erfolgte, sehr bündige Auskunft
des gegenwärtigen Leiters der Berliner Festspiele ausge-
sprochen bestätigt.

Wir haben in der damaligen Debatte bereits darauf hin-
gewiesen, dass das Engagement des Bundes für das Jüdi-
sche Museum, für das sich gute Gründe anführen lassen,
nur dann plausibel wird, wenn es im Kontext eines ge-
schlossenen Konzepts nationaler Gedenkstätten erfolgt,
und dass die Beliebigkeit, das Jüdische Museum ohne
rechtliche Verpflichtung zu übernehmen, das Mahnmal
aufgrund der Entscheidungen des Bundestages zu bauen
und die Topographie des Terrors irgendwo im Unverbind-
lichen stehen zu lassen, nicht akzeptabel ist. Wir haben
dafür bisher keine plausible Begründung gehört. Vermut-
lich gibt es nur einen schlichten Grund: dass die verfüg-
baren Mittel für ein weiteres Engagement nicht ausrei-
chen, was, mit Verlaub, bei anderen Engagements, die
eingegangen werden, keine überzeugende Begründung
ist.


(Beifall der Abg. Margarete Späte [CDU/CSU])


Wir haben schon damals darauf hingewiesen, dass wir
sehr für einen Hauptstadtkulturfonds sind, der neben
Institutionen herausragende Projekte fördert. Wir können
nicht erkennen, dass der gegenwärtige Hauptstadtkultur-
fonds, der zwischen den beiden Partnern ausgehandelt
wurde, diesen Ansprüchen genügt. Dieser Hauptstadtkul-
turfonds unterstützt vielfältige Initiativen, von denen ich
die allermeisten für sinnvoll und einige für zwingend not-
wendig halte. Aber darunter ist fast nichts, was nicht in ge-
nau der gleichen oder in einer sehr ähnlichen Weise in
mehreren Dutzend deutscher Städte auch stattfände. Nur:
Dort kommt niemand auf die Idee, dafür eine Förderung
aus Haushaltsmitteln des Bundes zu beantragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Förderung herausragender Projekte mit Ausstrah-
lungskraft von Berlin weit hinaus nicht nur in den Rest der
Republik, sondern über die Landesgrenzen hinaus, ist auf
diesem Wege eben nicht zu erreichen.

Schließlich muss ich aus gegebenem Anlass an den
Hinweis, Herr Staatsminister, erinnern, den ich bezüglich
der Bemühungen der Bundesregierung, die Berliner
Philharmoniker in die eigene Verantwortung zu über-
nehmen, gegeben habe. Ich habe damals darauf hinge-
wiesen, dass es nicht plausibel sei, dass sich der Bund
massiv direkt und indirekt in die Förderung der Berliner
Orchesterszene einschalten will, aber jegliche Verantwor-
tung für Musiktheater und Sprechtheater kategorisch ab-
lehnt. Ich habe hinzugefügt: Da ist das Interesse am Glanz
und am Vermeiden von Risiken offenkundig ausgeprägter
als an der Aufstellung eines konsistenten Konzeptes; ein
solches ist ja sowieso nur schwer erkennbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Dr. Norbert Lammert
12854


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hätte diese Äußerungen heute gerne zurückgenommen
und bin jetzt ausgesprochen betrübt, dass sich die Be-
sorgnisse, die wir damals vorgetragen haben, nun gerade
durch die Ereignisse der letzten Tage in einer besonders
drastischen Weise bestätigt haben.

Was den ausgehandelten Vertrag angeht, muss ich aus-
drücklich noch einmal darauf hinweisen, dass ich es über-
haupt nicht akzeptabel finde, dass der Bund mit rund der
Hälfte der von ihm insgesamt eingesetzten verfügbaren
Haushaltsmittel, wenn man den Hauptstadtkulturfonds
miteinbezieht, originäre Finanzverpflichtungen des Lan-
des Berlin übernimmt. Hierbei handelt es sich um Ver-
pflichtungen, die Berlin aufgrund geltender Verträge ge-
genüber der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat. Mit
diesen Geldern könnte folglich der Bund in der Haupt-
stadt Berlin Akzente setzen.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das tut er nicht, weil er an dieser Stelle Verpflichtungen
von Berlin übernimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist, mit Verlaub gesagt, Herr Staatsminister, unver-
nünftig. Es ist im Übrigen, selbst wenn sich hier drin der
gute Willen Berlin gegenüber ausdrückt, auch deshalb un-
vernünftig, weil eine unsägliche Praxis Berliner Kultur-
und Finanzpolitik auf diese Weise durch die Bundespoli-
tik geradezu sanktioniert wird. Das können und dürfen wir
nicht tolerieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden die Täter und Opfer verwechselt!)


Ich komme nun, Frau Kollegin Vollmer, auf die aller-
jüngste Entwicklung zu sprechen: Die handstreichartige
Zusage von 3,5 Millionen DM für die Staatskapelle bzw.
die Staatsoper Unter den Linden ist bestenfalls ein Zei-
chen des schlechten Gewissens. Der einzig freundliche
Aspekt, den ich diesem Vorgang abgewinnen kann, ist die
offensichtlich allmählich sich breit machende Einsicht bei
Ihnen bzw. bei der Bundesregierung – in welcher Reihen-
folge auch immer –, dass die Position, die dogmatisch
eine Mitverantwortung des Bundes für die Lösung der
Strukturprobleme der Berliner Opernszene ablehnt, of-
fenkundig nicht zu halten ist. Alle anderen damit zusam-
menhängenden Absichten sind, mit Verlaub gesagt, unse-
riös.

Mit dieser einmaligen finanziellen Zuwendung nach
der Methode von Sonnenkönigen werden überhaupt keine
Probleme gelöst. Es werden die notwendigen Struktur-
veränderungen in der Berliner Opernszene nicht beför-
dert, sondern behindert. Es wird mit dieser einmaligen Fi-
nanzspritze des Bundes weder die Zukunft dieses einen
Opernhauses und/oder Orchesters noch die aller in Rede
stehenden Opernhäuser und ihrer Orchester gesichert. Da-
mit findet eine gravierende Ungleichbehandlung Berli-
ner Opernorchester ohne jede kulturpolitische Begrün-
dung geschweige denn durch irgendeine kulturpolitische
Befassung oder Evaluierung veranlasst statt. Man gibt das
ungelöste Problem im Herbst nächsten Jahres auf höhe-

rem Kostenniveau, nämlich in Form eines um 3,5 Milli-
onen DM gestiegenen Ansatzes, beim Berliner Senat wie-
der ab.


(Dr. Michael Naumann, Staatsminister: Nein!)

Dies ist das genaue Gegenteil einer nachhaltigen Kultur-
politik, Herr Naumann, die einem Mindestanspruch an
Ernsthaftigkeit genügt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Niemand von uns weiß, woher das Geld dafür auf ein-

mal kommt und welche Löcher es an anderer Stelle reißt.
Weder der Berliner Kultursenator noch die Intendanz der
Staatsoper können mir jedenfalls die Frage beantworten,
an wen eigentlich auf welcher haushaltsrechtlichen
Grundlage und mit welcher Zweckbestimmung diese Mit-
tel weitergereicht werden.
Sie werden uns sicher gleich erläutern,


(Dr. Michael Naumann, Staatsminister: Das stimmt!)


ob das eine Spende der Bundesregierung an die Berliner
Staatsoper oder ans Orchester oder an ihren Dirigenten
oder was auch immer ist.

Jedenfalls ist bisher überhaupt keine rechtliche Ver-
pflichtung des Bundes für eine solche Aktivität zu erken-
nen, und Sie haben bislang kategorisch auch nur den
Gedanken einer solchen Inpflichtnahme des Bundes zu-
rückgewiesen, ganz im Unterschied zu uns, die wir mehr-
fach die Bereitschaft zu einer solchen wirklich strukturel-
len Lösung angeboten haben.


(Dr. Michael Naumann, Staatsminister: Na, nun ist sie da!)


– Wenn sie jetzt da ist, dann nehme ich Sie sofort beim
Wort, denn ich habe gerade von einer strukturellen Lö-
sung gesprochen.

Der offensichtliche Versuch der Einflussnahme auf Ber-
liner Personal- und Strukturentscheidungen ohne er-
kennbare Bereitschaft zu einem dauerhaften kulturpoliti-
schen Engagement des Bundes wäre jedenfalls geradezu
peinlich. Er würde geradezu den Rest an Reputation einer
Kulturpolitik zerstören, die nicht an billigen Showeffek-
ten, sondern an der Sache orientiert ist und an für die Zu-
kunft tragfähigen Lösungen interessiert sein muss. Damit
würden Sie, Herr Naumann, den ich nicht für den Erfinder
dieses Handstreichs halte, der Sie aber als Vollstrecker die-
ser Schnapsidee auftreten,


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na!)


Ihre Reputation nachhaltiger gefährden als mit dem al-
bernen Übermut Ihrer völlig unnötigen Auseinanderset-
zung über Kulturföderalismus und Verfassungsfolklore.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe, lieber Herr Naumann, mit großem Interesse

vor wenigen Tagen in einer bedeutenden Berliner Zeitung
den Abdruck einer sicher auch bedeutenden Rede gelesen,
die Sie vor geraumer Zeit bei einer wiederum sicher be-
deutenden Konferenz gehalten haben. Sie hat mindestens




Dr. Norbert Lammert

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(C)



(D)



(A)



(B)


in der Zeitung – weil Sie zu Recht Wert darauf legen, für
Überschriften nicht in Anspruch genommen zu werden –
die Überschrift „Vom Sinn des Regierens“ und beginnt
mit dem Satz:

Wir treiben Politik ohne Anspruch auf Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das glaube ich Ihnen aufs Wort, und es ist im Übrigen
auch richtig. Wahrheitsansprüche darf die Politik nicht er-
heben.


(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr dümmlich!)

Aber den Anspruch auf Vernunft, den Anspruch auf Ernst-
haftigkeit, den Anspruch auf Verlässlichkeit, den An-
spruch auf Kultur in der Kultur, den dürfen wir und den
werden wir nicht aufgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1413321600
Für die
SPD-Fraktion spricht Kollege Eckhardt Barthel.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1413321700
Herr Präsident,
meine Damen und Herren! Bei den letzten Sätzen mit
ihrem Pathos ist es mir richtig ein bisschen warm ums
Herz geworden.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das war beabsichtigt!)


Es war ja eine seltsame Konstruktion einer Rede. Am An-
fang habe ich mich gefreut. Ich dachte; Jetzt redet Herr
Lammert zu dem, was eigentlich vorliegt, nämlich dass es
eine gemeinsame Position gibt. Aber am Schluss waren
Sie weg von dem, was wir heute gemeinsam beschließen,
und haben auf eine Einzelmaßnahme geschossen. Dessen
ungeachtet, dass ich mich darüber nicht gefreut habe, will
ich es mir nicht verkneifen, da Sie ja heute Geburtstag
haben, Ihnen nicht nur zu gratulieren, sondern Ihnen auch
alles Gute zu wünschen. Aber das bezieht sich nur auf Ihr
persönliches Wohlergehen.


(Beifall im ganzen Hause – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Das habe ich befürchtet!)


– Das haben Sie befürchtet.
Meine Damen und Herren, ich sage das wegen der Be-

deutung des Themas und weil ich besonders froh bin, dass
wir diesen Antrag, diese Beschlussempfehlung heute hier
gemeinsam unterstützen.

Sie haben das im ersten Teil Ihrer Rede auch sehr stark
hervorgehoben, wobei ich einmal sagen möchte: Dieser
Ansatz, wie Sie es interpretiert haben, beginnend damit,
dass Sie eine Position in das Parlament hineinbringen, da-
mit dann die Regierung entsprechend handelt, müsste ei-
gentlich umgekehrt sein.

Das Interessante für uns, als wir Ihren Antrag lasen,
war ja, dass wir plötzlich das, was wir schon zwei Jahre
machen, wiederfanden. Deswegen gab es auch keine Pro-
bleme für uns, dem zuzustimmen, weil es eigentlich eine
Unterstützung dieser rot-grünen Koalition und auch der
Politik Naumanns darstellt.

Erfreulich an diesem Antrag ist ja auch die Klarheit,
mit der hier das besondere Interesse und die besondere
Verantwortung des Bundes an der Kulturlandschaft der
Hauptstadt festgeschrieben wird. Es gibt sogar den Be-
griff des Bekenntnisses gleich am Anfang. Ich sage: Ich
finde dieses gut, weil es deutlich macht, dass dieses nicht
nur eine Aufgabe Berlins, sondern auch des Bundes ist.

Worum geht es dabei? Es geht darum, die in der Tat
wohl beispielhafte kulturelle Vielfalt dieser Stadt zu er-
halten und weiterzuentwickeln. Wir wissen, wie sie ent-
standen ist: preußisches Erbe, aber auch die Funktionszu-
schreibung der Teilstädte in Ost und West mit den
Begriffen „Schaufenster der freien Welt“, aber auch „Re-
präsentative Hauptstadt der DDR“.

Wenn wir über die Vielfalt der Kultur in der Hauptstadt
sprechen, denken die meisten oder diejenigen, die die
Stadt nicht so gut kennen, an die Museumsinsel und an die
Opern, die ja durch den Streit jetzt wieder ganz bekannt
geworden sind.

Ich glaube, man sollte, wenn man von Vielfalt redet,
auch einmal versuchen, sie darzustellen. Ich habe mir von
der Kulturverwaltung eine Auflistung besorgt: Was gibt es
eigentlich? Was macht diese Vielfalt der Kultur in der
Hauptstadt aus? Es sind nur Zahlen, aber vielleicht geben
sie doch einen Eindruck von der Vielfalt, um die es hier
geht.

Berlin hat circa 170 Museen, drei Opernhäuser, zwei
Institutionen der leichten Muse, drei staatliche
Sprechtheater, zwölf private Sprechtheater. Jetzt kommen
Gruppen, die im Zusammenhang mit der Frage Kultur-
fonds wichtig sind: In der Stadt arbeiten circa 450 freie
Gruppen, wir haben 200 bis 250 aktive Off-Theater, zwei
subventionierte Kinder- und Jugendtheater, 84 öffentliche
Bibliotheken, circa 250 Galerien, circa 880 Chöre und
15 Orchester.

Das ist in der Tat eine Vielfalt, die es zu erhalten und
– wenn es nach uns allen ginge – zu erweitern gilt. Es wäre
wohl unverantwortlich, wenn mit der deutschen Einheit,
mit der Wiedervereinigung der Stadt, diese kulturelle
Vielfalt verloren ginge oder zumindest verringert würde.

Nur wissen wir alle: Die Stadt Berlin kann diese Auf-
gabe nicht allein leisten. Selbst wenn wir den kulturbe-
flissensten Finanzsenator oder den kulturbeflissensten
Kultursenator hätten, ihnen beiden sind sehr enge Gren-
zen gesetzt. Sie kennen die finanzielle Situation der
Stadt. Deshalb ist eine Hauptstadtkulturförderung auch
weiterhin – ich sage: weiterhin, denn sie wird ja nicht neu
erfunden – unverzichtbar.

Gleichzeitig aber – das deutete sich ganz klar auch im
so genannten Opernstreit an – sind Reformen im Land
Berlin auch in diesem Kulturbereich überfällig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht bei der Frage der Hauptstadtkulturförderung
nicht um ein Notopfer Berlin, es geht auch nicht um Sub-
ventionierung, sondern es geht um Investitionen im Inte-
resse des Bundes und der Länder. Eine Hauptstadt wirkt
nach außen, und eine Hauptstadt wirkt auch nach innen.




Dr. Norbert Lammert
12856


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach außen wirkt sie in der Ausstrahlung, und nach in-
nen – ich möchte das wirklich nicht unterschätzen – ist die
Kultur in einer Hauptstadt auch wichtig für die Identifi-
kation der Bevölkerung in Deutschland mit ihrer Haupt-
stadt. Ich möchte gern, dass diese Identifikation über Kul-
tur geschieht und nicht über Pickelhauben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Eine Hauptstadtkulturförderung – das erleben wir im-
mer wieder in der Diskussion – bedarf natürlich auch der
Akzeptanz. Insofern ist für mich die Frage der Haupt-
stadtkulturförderung ein sehr sensibles Thema, mit dem
man vorsichtig umgehen sollte, übrigens auch im Dialog
zwischen dem Land Berlin und dem Bund. Ich habe den
Eindruck, dass sich seit der Zeit, als hier das letzte Mal da-
rüber gesprochen wurde, dieser Dialog zwischen dem
Bund und dem Land Berlin verbessert hat.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Meine Damen und Herren, es ist richtig, ja, ich halte es

für selbstverständlich, dass die Hauptstadtkulturförde-
rung nicht zulasten der Länder geht. Eine der interessan-
testen Aussagen von Vertretern der Länder und der Kom-
munen bei der Anhörung zur Haupstadt-Kulturförderung
war für mich: Sie geht nicht zulasten der Länder, sondern
hier wird im Gegenteil ein erwünschter kultureller Wett-
bewerb in die Wege geleitet. Auch in der Politik der Län-
der und Kommunen wird der Stellenwert der Kultur er-
höht.

Eine letzte Bemerkung zum Hauptstadtkulturver-
trag, von dem ich hoffe, dass er bald unterschrieben wird.
Wir wollten – da war eigentlich Konsens – Klarheit ha-
ben, wohin die Mittel gehen, die vom Bund gegeben wer-
den. Wir wollten Transparenz haben und wir wollten
weg von der Mischfinanzierung. Darüber waren sich alle
Fraktionen einig.

Wenn Sie, Herr Lammert, jetzt die Tatsache kritisieren,
dass vier Institutionen in die Verantwortung des Bundes
genommen werden sollen, kann man sagen: Es gibt in der
Tat auch andere Möglichkeiten. Einige Ihrer Vorschläge
würden aber bewirken – das haben Sie als einer der
schärfsten Kritiker bisher immer bemängelt –, dass es
wieder weniger Transparenz geben würde und dass in den
bezuschussten Häusern die Problematik wieder zu finden
wäre, die wir eigentlich gemeinsam vermeiden wollten.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ja!)

Man sollte eine Anhörung nicht der Anhörung wegen

durchführen. Ich fand es deshalb ganz interessant, was der
sächsische Staatsminister Professor Meyer während der
Anhörung zu dieser Frage gesagt hat. Er sagte: Betrachtet
diese Angelegenheit nicht ideologisch, sondern geht ganz
pragmatisch vor! Ich glaube, er hat Recht. Diese Auffas-
sung findet sich auch im Hauptstadtkulturvertrag wieder.

Ich bin besonders froh – ich betone, dass es nicht nur
um Opernhäuser geht; ich habe ja vorhin bewusst die ge-
samte Liste vorgelesen –, dass es die vielen kreativen
und innovativen Projekte in dieser Stadt gibt. Gott sei
Dank, Herr Lammert, es gibt sie auch woanders. Wir wol-
len ja keine Kulturhauptstadt, was in der Tat dem Födera-
lismus widerspräche.

Ich lege aber Wert darauf, dass die für diese Projekte
vorgesehenen 20 Millionen DM nicht anderweitig veran-
schlagt werden. In diesem Punkt muss es eine Kontrolle
geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch nicht, dass der Bund bestimmt, wer ge-
fördert wird. Deshalb gibt es den Beirat, den ich für eine
gute Konstruktion halte.

Mit unserem Entschließungsantrag bekennen wir uns
zur besonderen Verantwortung des Bundes für Berlin
ohne Verringerung der Kompetenzen der Länder. Sie kön-
nen es drehen und wenden, wie Sie wollen: Dies ist auch
eine Bestätigung und Unterstützung der Politik, die wir in
diesem Bereich schon gemacht haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413321800
Das Wort hat nun für
die F.D.P.-Fraktion der Kollege Dr. Günter Rexrodt.


Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1413321900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch die F.D.P.-Bundestagsfraktion
begrüßt, dass es diese gemeinsame Entschließung zur
Hauptstadtkulturförderung gibt. Es ist dringend erforder-
lich, dass nach dem Regierungsumzug nach Berlin eine
Regelung für das finanzielle Engagement des Bundes in
Berlin gefunden wird. Diese Förderung ist auch vor dem
Hintergrund dringend erforderlich, dass das Land Berlin,
ein mittelgroßes Bundesland, die Aufgaben hinsichtlich
des kulturellen Potenzials nicht allein schultern kann.

In Berlin befindet sich das Erbe Preußens und das kul-
turelle Erbe der DDR. Hier gibt es auch das Erbe der
hochsubventionierten, aber über weite Strecken enorm
leistungsfähigen Kulturlandschaft des alten West-Ber-
lins. Die Aufgaben in diesem Bereich allein von dem
Bundesland Berlin schultern zu lassen wäre unmöglich.
Das will auch niemand.

Verantwortliche Kulturpolitik, zwischen Bund und
Land abgestimmt, ist aber nicht nur ein Streit um Subven-
tionen oder auch die Suche nach Einsparmöglichkeiten.
Der Deutsche Bundestag kann und darf dem Land Berlin
die Entscheidung darüber nicht abnehmen, wie die Kul-
turpolitik in Berlin im 21. Jahrhundert aussehen muss.
Berlin muss das selbst entscheiden. Die große Koalition
muss aus ihrer Lethargie erwachen. Große Koalitionen tun
sich erheblich schwerer als andere Konstellationen. Aber
es führt kein Weg daran vorbei, dass endlich etwas ge-
schehen muss.

Berlin hat einen neuen Kultursenator – parteilos
und unverbraucht, wie immer gesagt wird. Er muss eine
wichtige und überfällige Aufgabe schultern, was nicht
ganz einfach ist; denn viele Berliner Kulturinstitutionen
befinden sich in einer Krise. Die Bannerträger der Berli-
ner Kulturpolitik im Opernbereich sind in die Jahre




Eckhardt Barthel (Berlin)


12857


(C)



(D)



(A)



(B)


gekommen. Es gibt eine Reihe von einstmals namhaften
Berliner Ballettgruppen, von denen man nichts mehr hört.
Die großen Sprechtheater – ich nehme einmal die Volks-
bühne am Rosa-Luxemburg-Platz aus – sind auch nicht in
allerbester Verfassung. Es gibt Nachfolgeprobleme. Das
Deutsche Theater hat mit zwei Verantwortlichen eine
schwierige Phase durchzumachen. Das ist nie gut. Ich er-
innere mich noch an die Zeit, als ich in Berlin Landespo-
litik gemacht habe. Da gab es beim Schillertheater drei In-
tendanten. Das war grauenhaft. Am Ende ist das
Schillertheater auch geschlossen worden. Das ist während
jener Zeit eingeleitet worden.

Trotz hoher Subventionen – allein für die Opern wur-
den 240 Millionen DM bereitgestellt – hört man überwie-
gend von Etatproblemen, nicht aber von wegweisenden
Neuinszenierungen. Bei den großen Orchestern der Stadt
wurde nach der Wende – alle existierten weiter, alle hat-
ten ihre Lobbys und Fanklubs – mit Fusionen und Ko-
operationen, die nicht durchführbar waren, die unprakti-
kabel waren, ein enormer Dilettantismus an den Tag
gelegt. Die Probleme sind bis heute nicht gelöst. Auch
das, was Herr Stölzl hier vorgelegt hat, funktioniert nicht.

Ich bin auf eine Weise froh, dass wir für die Staatska-
pelle in der Staatsoper heute im Haushaltsausschuss
3,5 Millionen DM bereitgestellt haben. Das war dringend
erforderlich. Die Staatsoper kann und soll mit anderen
Opern kooperieren, sie darf aber nicht ihre künstlerische
Unabhängigkeit verlieren. Deshalb war es notwendig, für
die Kapelle einen Betrag zur Verfügung zu stellen.

Ich habe hier nur eine sehr beschränkte Redezeit. Ich
will aber einen Lichtblick zur Sprache bringen. Ich meine
die Museumslandschaft Berlins, die in Deutschland,
vielleicht sogar in Europa einmalig ist. Ich bin sehr froh
– ich sage das auch mit Blick auf die Koalition –, dass die
Rekonstruktion der Museumsinsel, wo es Sammlungen
von Weltrang gibt, beschleunigt worden ist. Die Mu-
seumsinsel wird noch circa zehn Jahre durch Gerüste ge-
prägt sein, aber es ist allerhöchste Zeit und enorm gut,


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


dass es ein Konzept zur Erschließung der Museumsinsel
durch eine neue Ebene gibt. Das ist das eine.

Das andere ist das Stadtschloss; ich kann es aus zeitli-
chen Gründen hier nur erwähnen. Hier muss dringend
eine Entscheidung gefällt werden. Die Diskussion hat
lange genug gedauert. Ich gebe zu, dass über die Wieder-
errichtung nicht aus dem Stegreif oder in kürzester Zeit
entschieden werden kann; aber es wird schon zehn Jahre
und länger darüber diskutiert. Nun ist wieder eine Kom-
mission eingesetzt worden. Eine Kommission wird immer
nur dann eingesetzt, wenn man eine politische Entschei-
dung verschieben will. Aber diese politische Entschei-
dung ist auch dann fällig, wenn die Kommission ihre Ar-
beit geleistet hat. Also hätte man die Entscheidung auch
jetzt fällen können.


(Beifall bei der F.D.P.)

Man hätte sie – das ist meine Meinung – so fällen sollen,
dass das Stadtschloss in seiner historischen Fassade wie-
der entsteht.

Der Präsident weist mich auf das Überschreiten der
Zeit hin. Ich komme mit meinen Ausführungen zum
Schluss.

Die Abstimmung ist dringend erforderlich. Der Kul-
turhaushalt Berlins muss auf einer sicheren finanziellen
Basis stehen. Es muss ein Kassensturz gemacht werden
und es muss geprüft werden, inwieweit kulturelle Ein-
richtungen erhalten oder geschlossen werden sollen und
wie rationalisiert werden kann. Dass wir diesen Antrag
heute gemeinsam verabschieden, ist eine wichtige Etappe
auf diesem Wege.

Schönen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413322000
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Dr. Antje Vollmer, Bündnis 90/Die
Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413322100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, dass wir heute nicht nur dem Kollegen Lammert
zum Geburtstag – dem auch ich gratulieren will –, sondern
eigentlich uns allen gratulieren können. Ich glaube, in den
vergangenen zwei Jahren, seit es den Kulturausschuss und
einen Kulturstaatsminister, der Michael Naumann heißt,
gibt, hatten wir im Deutschen Bundestag mehr Kulturde-
batten als in den zwei Legislaturperioden vorher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ehrlich gesagt finde ich, dass wir auch ganz schön viel
bewegt haben. Es war nicht immer einfach. Ich denke zum
Beispiel an die Debatte über das Holocaust-Mahnmal,
aber auch das haben wir einer Entscheidung zugeführt.
Auch im Kulturbereich haben wir Geld bewegt. Ich denke
an die Stiftungsdebatte, ich denke aber auch an das, was
wir heute gemeinsam in Bezug auf die Hauptstadtkultur-
förderung verabschieden.

Neu und meistens sehr erfreulich bei den Debatten im
Kulturausschuss ist: Es gibt ungeheuer viele Gemein-
samkeiten. Die Grundhaltung, dass es gemeinsame An-
liegen gibt, ist ehrenvoll für den Parlamentarismus. Zu
dem, was es in Berlin an Kulturpolitik gibt und was noch
möglich ist, gehen die Linien und Meinungen – bis hin zu
kritischen Äußerungen – in den Fraktionen hin und her.
Das begrüße ich außerordentlich. Das Parlament ist
manchmal langweilig genug geworden. Ich finde es gut,
dass wir bei solchen neuen Fragen einen neuen Wind ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Das, worüber wir heute diskutieren, nämlich über die
Grundlagen der Hauptstadtkulturförderung, und das, was
wir demnächst bei der Debatte über den Haushalt haben
werden, ist ein großer Entwurf mit Mut zur Klarheit. Die-
sen Mut zur Klarheit brauchte es. Wir müssen in Berlin
endlich die Grauzone von unterschiedlichen Verantwort-
lichkeiten, bei denen man nicht genau wusste, wo die




Dr. Günter Rexrodt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Gelder wirklich landen und wer im Zweifel wirklich dafür
verantwortlich gemacht werden kann, aufheben.

Der Bund finanziert das Jüdische Museum, den
Martin-Gropius-Bau, das Haus der Kulturen der Welt und
die Berliner Festspiele. Das sind natürlich Lasten für den
Bund, Herr Lammert. Es wäre viel einfacher gewesen, bei
dem Festbetrag von 100 Millionen DM zu bleiben, als die
Verantwortung für die Häuser mit allen Konsequenzen zu
übernehmen. Sie wissen so gut wie wir, dass bei manchen
Häusern erhebliche Folgekosten entstehen können. Dabei
denke ich vor allem an das Jüdische Museum und an die
Berliner Festspiele.

In Bezug auf die Berliner Festspiele war ich erstaunt
– ich will das im Protokoll nachlesen –: Habe ich Sie rich-
tig verstanden, dass Sie für die Auflösung der Berliner
Festspiele sind? Dafür werden Sie in Berlin nicht allzu
viele Freunde finden. Da bin ich mir ziemlich sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Es ging mir um die Frage der Übernahme der Festspiele in die Verantwortung des Bundes ohne jede Auskunft, was er damit vorhat! – Eckardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist unabhängig davon, wer es besitzt!)


– Ich habe Sie so verstanden, als ob Sie die Institution ins-
gesamt infrage stellen wollen. Das fand ich erstaunlich.
Die Festspiele sind in Berlin ja sehr populär. Ich glaube,
dass sie mit einer neuen Handschrift neuen Glanz bekom-
men werden.

Ich habe bis jetzt über die uns durchaus bewussten Fol-
gen auch hinsichtlich der Verantwortung für den Bund ge-
sprochen. Was aber kommt auf Berlin zu? Da kann ich
mich Ihren Worten, Herr Lammert, nur anschließen: Ich
glaube, dass die Reformen in Berlin sehr schwer sind; da
machen wir uns alle keine Illusionen. Ich meine aber, dass
sie notwendig sind. Berlin hat, wie ich glaube, mit dieser
klaren Zuständigkeit die Chance, diese Reformen anzu-
gehen.

In diesem Zusammenhang will ich etwas zu den Zu-
wendungen in Höhe von 3,5Millionen DM für die Staats-
oper unter Daniel Barenboim sagen, die auch mich über-
rascht haben. Jede Förderung, die von Berlin nicht
geleistet werden kann, begrüße ich außerordentlich. Bei
allem Kritischen in dieser Debatte sollten wir alle doch
darauf achten, dass die Bereitschaft, Berlin zu un-
terstützen, dabei nicht verloren geht. Das wäre sehr kon-
traproduktiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden erst einmal die Reformpläne des Berliner
Kultursenators abwarten müssen. Ob der Drahtseilakt der
Opernreform wirklich gelingt, ist und bleibt trotz der
Bemühungen um die Staatskapelle eine Aufgabe, die nur
vom Berliner Kultursenator und vom Berliner Senat
gelöst werden kann. Diese Verantwortung möchte ich ih-
nen auch nicht abnehmen. Nur durch sie kann die Proble-
matik der Opern geklärt werden. Würde sich der Bund um

die Thematik der Opern kümmern, dann würde er die Kri-
tik zu hören bekommen, dass er sich in kommunale oder
Länderzuständigkeiten einmischt. Der Bund kann nur die
Bedeutung der Opern, deren problematische Situation
und das, was das Leiten eines solchen Opernhauses so
schwierig macht, thematisieren. Wir könnten darüber zum
Beispiel eine Anhörung machen. Aber eine Lösung der
Probleme mit den Opern in Berlin können wir vom Bund
nicht leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man die 100 Millionen DM für die Förderung
der Hauptstadtkultur


(Eckardt Barthel [Berlin] [SPD]: 120!)

und die 27 Millionen DM für die Baumaßnahmen zusam-
mennimmt, dann ist das noch längst nicht alles, was der
Bund für Berlin tut. Deswegen zähle ich das, was wir für
die Stiftung Preußischer Kulturbesitz tun, zu den
Glanzlichtern. Da werden in den nächsten zehn Jahren
noch einmal 250 Millionen DM zusätzlich aufgestockt
werden. Ich finde, das ist außerordentlich beachtlich.

Ich kann auch sagen, dass das, was da auf der Mu-
seumsinsel entsteht, großartig wird. Das wird ein richtiger
Traum. Es wird auch ein ganz großer Publikumsmagnet.
Andere Metropolen werden uns um diese Möglichkeit,
die wir da im Weltkulturerbe haben, wirklich beneiden.
Ich kann nur alle auffordern, mit dahin zu gehen. Das ist
schon jetzt in der Planungsphase grandios, sehr kreativ
und interessant.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir da einen Schwerpunkt haben – und auch ich
habe die Einschätzung, dass wir große positive Schwer-
punkte bei der bildenden Kunst haben –, so stehen dem
aber große Schwierigkeiten zum Beispiel in der Theater-
landschaft entgegen. Gerade deswegen ist dieser Sauber-
zweig-Fonds der 20 Millionen DM so wichtig, weil das
das Geld ist, mit dem wir auch die jungen Künstler und
die Avantgarde in der Stadt zu halten versuchen.

Berlin hat eine unglaubliche Attraktivität auf junge
Künstler ausgeübt. Die sind in einem Maße hierher ge-
kommen, wie man es nicht für möglich gehalten hat. Das
muss auch leben. Die brauchen auch die Möglichkeit, an
bestimmte Subventionen heranzukommen. Deshalb ist
dieser 20-Millionen-Fonds so außerordentlich wichtig,
und wir sollten ihn sehr unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Als Letztes möchte ich sagen: Wir sollten uns damit
auch die Möglichkeit erhalten, etwas so Großartiges wie
die Jahrhundertinszenierung von Peter Stein von Faust I
und II in Zukunft zu unterstützen. Wenn wir hier über die
Berliner Kulturpolitik sprechen, dann gibt es da auch ein
Trauerspiel, nämlich die Kulturkritik, die nicht begriffen
hat, was für eine einzigartige künstlerische und auch In-
tendantenleistung Peter Stein mit dieser Inszenierung ge-
schaffen hat. Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich
doch wenigstens die Kolleginnen und Kollegen darauf




Dr. Antje Vollmer

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(D)



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(B)


hinweisen, dass sie sich von der Kritik nicht abhalten las-
sen sollten, sich dieses Stück deutscher Theatergeschichte
persönlich anzusehen. Der Bund hat das auch ein bisschen
mit gefördert. Es muss aber auch leben im Respekt vor
dem Publikum. Das wäre mein letztes Wort, Sie dazu auf-
zufordern.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413322200
Diese Reklame,
meine Damen und Herren, haben wir außerhalb der Re-
dezeit laufen lassen.

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Heinrich Fink, PDS-
Fraktion.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1413322300
Sehr Verehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen der
Fraktion der PDS möchte ich an dieser Stelle unsere
Freude zum Ausdruck bringen, dass es gelungen ist, in
dieser so wichtigen Frage eine fraktionsübergreifende Be-
schlussempfehlung durch den Ausschuss für Kultur und
Medien zu verabschieden.

Die PDS ist der Auffassung, dass der Bund eine be-
sondere Verantwortung für die Kultur in der Hauptstadt
hat, dass er sich zu dieser bekennen und sie – bei Wahrung
der originären Verantwortlichkeit des Landes und der
Länder – wahrnehmen sollte.

Wir halten ein Engagement des Bundes zum Erhalt der
außerordentlichen kulturellen Vielfalt in dieser Stadt, die
aus der Geschichte erwachsen ist, für erforderlich. In Be-
zug auf die Folgen der Einheit geht es uns sowohl um den
Erhalt und die Weiterentwicklung der überlieferten kultu-
rellen Substanz als auch um das, was an Neuem in ver-
schiedener Trägerschaft nach 1989 entstanden ist.


(Beifall bei der PDS)

Berlin allein ist mit der Aufgabe, diese Vielfalt zu erhal-
ten, überfordert. Das Engagement des Bundes kann und
soll aber der Stadt ihre Verantwortung nicht abnehmen.

Die PDS begrüßt die Absicht von Bund und Land, ei-
nen Vertrag zur Kulturfinanzierung in der Bundes-
hauptstadt für den Zeitraum bis 2004 abzuschließen. Wir
bewerten die mit dem Land erzielte Einigung als einen
Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der PDS)

Es ist ein Fortschritt, wenn der Bund ein Ensemble spe-

zieller Kultureinrichtungen unterhält, das geeignet ist,
eine repräsentative Gesamtdarstellung bundesdeut-
scher Kultur und Geschichte zu ermöglichen. Die Aus-
wahl der Einrichtungen entspricht weitgehend unseren
Vorstellungen. Positiv ist vor allem die Fortsetzung der
Förderung im Rahmen des so genannten Hauptstadtkul-
turfonds.

Trotz dieser Fortschritte gibt es aus Sicht unserer Frak-
tion weiteren konzeptionellen Klärungsbedarf. Die Krite-
rien der Förderung im Rahmen des Hauptstadtkulturver-

trages sollten überdacht werden. Künftig sollte deutlicher
zwischen gesamtstaatlichen Aufgaben, die der Bund auch
dann zu erfüllen hätte, wenn Berlin nicht Hauptstadt wäre,
und hauptstadtbedingten Aufgaben unterschieden wer-
den. Wir könnten uns eine Erweiterung des Engagements
des Bundes für solche gesamtstaatlichen Aufgaben durch-
aus vorstellen, sehen dabei den Weg aber nicht in einer
Ausweitung des Hauptstadtkulturvertrages, sondern in
der Stärkung der gesamtstaatlichen, teilweise gemeinsam
mit den Ländern wahrgenommenen Aufgaben des Bundes
in Berlin. In diesem Sinne halten wir auch ein Engage-
ment des Bundes für weitere Einrichtungen, wie zum Bei-
spiel die Staatsoper und das Konzerthaus, für möglich.


(Beifall bei der PDS)

In Bezug auf die kulturelle Situation in Berlin weist un-

sere Fraktion erneut darauf hin, dass es hier nicht nur
strukturelle Probleme gibt. Berlin braucht ein Kultur-
konzept und kein Strukturkonzept.


(Beifall bei der PDS)

Was fehlt, ist ein tragfähiges Gesamtkonzept für die Kul-
turentwicklung dieser Stadt: von den großen Einrichtun-
gen über die freie Szene bis zur gemeinsamen kommuna-
len Kulturarbeit.

Ich lebe seit 1954 in dieser Stadt und bin bekennender
Berliner. Für mich ist die Faszination dieser Stadt genau
dieser kulturelle Reichtum.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich nenne in diesem Zusammenhang ganz bewusst zwei
Namen: Moses Mendelssohn und Daniel Barenboim.
Zwischen diesen beiden könnte man viele nennen, die
Kultur in Berlin bestimmen. Ich bitte Sie deshalb auch als
Bürger dieser Stadt, der Beschlussempfehlung zuzustim-
men.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413322400
Ich erteile nun dem
Staatsminister Dr. Michael Naumann das Wort.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413322500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich meine Rede in Erinnerung an einen Men-
schen beginnen, der gestern gestorben ist und der für das
kulturelle Leben dieser Stadt – wie übrigens für die ge-
samte Bundesrepublik und darüber hinaus – eine ganz
maßgebliche und stille Stimme war, der Herausgeber des
„Kursbuch“, der Gründer der Wissenschaftsreihe des
Suhrkamp-Verlages, einer der Erfinder der später etwas
spöttisch hinterfragten und bekrittelten Suhrkamp-Kultur,
Karl Markus Michel.

Eine seiner Maximen war es: Wenn man über Kultur
spricht, soll man seine Stimme nicht erheben. Alles in al-
lem ist uns das heute Abend mehr oder weniger gelungen.
Auch ich, obwohl es mir wohl am schwersten fällt und er
mich deswegen öfter ermahnt hat, will mich daran halten.

Was nun die Versuchung betrifft, etwas lauter zu
werden, so nenne ich in diesem Zusammenhang,
Herr Lammert – auch ich gratuliere Ihnen herzlich zum




Dr. Antje Vollmer
12860


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(D)



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Geburtstag –, Ihren Parteikollegen Kampeter, der in den
letzten Tagen mehrfach darauf hingewiesen hat, dass die
Förderung der Berliner Staatsoper sinnlos, planlos, di-
lettantisch oder – in Ihren Worten – eine „Schnapsidee“
sei. Darauf möchte ich ganz einfach mit einer keineswegs
anekdotisch gemeinten, sondern ernsthaften Schilderung
eines Sachverhaltes begegnen, der sich am letzten Sonn-
tag zugetragen hat.

In der Staatsoper hörte die Parteivorsitzende der CDU
in einem schicken neuen Kostüm – es war froschgrün –
„Tristan und Isolde“. Dort trafen wir uns. Am Montag rief
sie mich an und bat mich, unbedingt etwas zu tun, um den
möglichen Weggang von Barenboim, um den Niedergang
der Staatsoper, um eine neuerliche Debatte über das an-
gebliche Plattmachen ostdeutscher Künstler, Kapellen
und Institutionen zu verhindern, also buchstäblich nach
dem Notanker zu greifen. Das wäre dann Ihre „Schnaps-
idee“. Ich habe ihr antworten können: Sie rennen bei uns
offene Türen ein, beim Bundeskanzler, bei der PDS – hor-
ribile dictu –, bei der F.D.P. und auch bei mir. Es ging
nicht um eine strukturelle, der Stadt Berlin überlassene
Förderung der Opernreform, sondern buchstäblich um
eine – übrigens im Hauptstadtkulturfonds verstetigte –
Soforthilfe für die Staatskapelle.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413322600
Herr Staatsminis-
ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Lammert?

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413322700
Ja, gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1413322800
Herr Staatsmi-
nister, ich lasse einmal außen vor, dass ich den Hinweis
auf die Bekleidung des einen oder anderen Opernbesu-
chers im Sinne der wohl beabsichtigten Beweisführung
für ebenso unnötig wie deplatziert halte.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413322900
Es war sehr schick!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1413323000
Für mindestens
so illustrativ hätte ich es gehalten, wenn Sie die eigene
Kostümierung vorgetragen hätten.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413323100
Kein Smoking!


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1413323200
Für noch weniger
passend halte ich, dass ein Gespräch, das zwischen Ihnen
und Frau Merkel stattgefunden hat und das, wie ich von
ihr weiß, ausdrücklich als vertraulich vereinbart war, von
Ihnen heute zum zweiten Mal – erst im Kulturausschuss
und jetzt in der Plenardebatte des Deutschen Bundesta-
ges – angeführt wird.

Was die Sache angeht, bestätige ich Ihnen ausdrück-
lich, was Sie auch monatelang von uns gehört haben: Wir
halten die von Ihnen mehrfach vorgetragene kategorische

Weigerung, als Bund eine Verantwortung für die Neu-
ordnung der Berliner Opernszene zu übernehmen, für
falsch und unhaltbar.

Sie wissen, ohne dass ich Ihnen das noch einmal erläu-
tern muss, dass ich nicht eine Hilfe des Bundes für die
Staatsoper für eine Schnapsidee halte, sondern die jetzt
vorgesehene Initiative. Denn sie löst keine Probleme, son-
dern schafft zusätzliche Probleme. Deswegen meine kon-
krete Frage: Ist über diese einmalige Finanzaktion hi-
naus – deren haushaltsrechtliche Konstellation Sie ja
sicher nachher noch erläutern werden – eine verbindliche,
auf Dauer angelegte, vertraglich zu vereinbarende Ver-
bindung des Bundes mit diesem Opernhaus oder mit wei-
teren Berliner Opernhäusern geplant?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Könnten wir das vielleicht auf eine Frage beschränken?)


D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413323300
Was die Vertraulichkeit betrifft, muss ich Ihnen
sagen: Es ist normal, dass ich von Politikern angerufen
werde und diese hinterher sagen, dass das Gespräch ver-
traulich gewesen sei. In diesem Fall war das aber nicht so.
Es gab also keine Bitte um Vertraulichkeit. Vielmehr war
es ein offenes politisches – und im Übrigen sehr heiteres –
Gespräch, weil wir uns ja beide in der Zielrichtung einig
waren. Ich verrate hier also kein Geheimnis. Sie haben es
ja auch bestätigt.

Jetzt will ich zur eigentlichen Frage kommen, die Sie
vorhin gestellt haben. Sie haben völlig zu Recht gefragt,
wohin das Geld geht. Der Kultursenator Stölzl hat mir er-
klärt, dass er eine neue, sowieso geplante Rechtsform der
Staatsoper beschleunigen wird, nämlich die Gründung ei-
ner GmbH – mit allen Rechten, auch mit einer Eigenbe-
wirtschaftung als Abschied von den zum Teil in Berlin
noch vorherrschenden kameralistischen Wirtschaftsprin-
zipien der Kulturinstitutionen.

Mithin ist eine Überweisung aus dem Hauptstadtkul-
turfonds des Berlin-Kulturvertrags möglich. Diese
3,5 Milliarden DM sind insofern verstetigt, als sie einen
Vertrag zwischen zwei föderalen Institutionen – zwischen
Bund und Land – betreffen und Personalkosten sind. Der
Bund kann mithin nicht eine Teilverpflichtung eingehen,
von der er sich im nächsten Haushaltsjahr wieder verab-
schieden kann. Dadurch ist eine gewisse Kontinuität oder
Verstetigung gewährleistet. So viel zu Ihrer Frage, wohin
das Geld geht.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Worin besteht die Verstetigung?)


– 2001, 2002, 2003. – Darf ich fortfahren?

(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend! Da kommt er nicht mehr raus! 2004 werden wir weitersehen, Herr Abgeordneter. Ich habe aber große Hoffnungen und Berlin darf auch hoffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Staatsminister Dr. Michael Naumann

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sitzen hier im Deutschen Bundestag, dessen
Adresse seit gut einem Jahr „Reichstag Berlin“ heißt. Das
ist ein Umstand, den wir Ihnen, den Abgeordneten, zu ver-
danken haben. Es war eine Gewissensentscheidung, die
die vom Volk gewählten Abgeordneten im Juni 1991 ge-
troffen haben.

Was die Staatsoper betrifft, sagen Kritiker – zum Bei-
spiel Senator Stölzl, der mir das vorgeworfen hat, als Ber-
lin noch einmal eine Zuwendung bekam –: Wer Asagt, der
muss auch B sagen. Ich antworte ihnen: Vielleicht sagt
einmal der Finanzsenator Kurth B. Es kann doch nicht
wahr sein, dass jedes Mal, wenn die Stadt Berlin vom
Bund aus guten Gründen eine Zuwendung bekommt, der
automatische, geradezu pawlowsche Reflex ist: „Das ist
viel zu wenig. Wie gesagt, wir brauchen mehr.“ Das kann
so nicht weitergehen. Zwischen allen Fraktionen im Kul-
turausschuss bestand deshalb überhaupt kein Zweifel da-
ran, eine hundertprozentige Finanzierung und keine
Mischfinanzierung als bevorzugte Form der kulturpoliti-
schen Zuwendungen des Bundes an Berlin anzustreben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Lammert, Sie beklagen die Beliebigkeit des Zu-
schnitts. Der Parameter war aber klar: 80 Millionen DM
und nicht mehr. Der Bund hat keineswegs – dieser Mythos
wird immer wieder beschworen – versucht, das Philhar-
monische Orchester zu übernehmen. In meinem Büro
waren der Vorsitzende des Vereins der Freunde der Phil-
harmoniker, Simon Rattle, Claudio Abbado sowie die bei-
den Vorsitzenden des Orchestervorstandes und allesamt
wollten sie – aus guten Gründen – zum Bund.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir verlässlich sind! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


– Ja, weil wir alle – auch Sie, Herr Lammert – verlässlich
sind und uns bemühen, nicht als verlängerter Arm des
Bundesfinanzministers wahrgenommen zu werden.

In der Folge ist es dazu gekommen, dass Berlin seinen
musikalischen Lokalpatriotismus entdeckt und gesagt hat:
Die Philharmoniker bleiben bei uns. Das hat uns die Mög-
lichkeit gegeben, dieses Paket einer hundertprozentigen
Förderung in harmonischer Absprache mit dem Land Ber-
lin und keineswegs in einem Prozess der Rosinenpickerei
zusammenzustellen, sodass alle Beteiligten zufrieden
sind.

Zu meiner Überraschung fragen Sie nach der neuen
Funktion der Festspiele. Meine Aufgabe ist es nicht, In-
tendant oder – wenn Sie so wollen – der inhaltliche Herr
der Festspiele zu sein. Diese Aufgabe wird von dem neuen
Festspielleiter wahrgenommen. Er hat eine ausführliche
Pressekonferenz gegeben und mit den Mitgliedern des
Rats der Künste und einigen anderen Herren gesprochen.
Die Ergebnisse dieser Gespräche kann man nachlesen; ich
habe keine Schwierigkeiten, Ihnen die entsprechenden
Zeitungsausschnitte mit seinen Vorstellungen in Kopie
zuzuschicken.

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass das Jüdi-
sche Museum, die Topographie des Terrors und das
Mahnmal sozusagen eine Trias des Gedenkens in Berlin
darstellen. Was sagt der Bund nun zur Topographie des
Terrors? Tatsache ist, dass sich der Bund seinerzeit ge-
genüber dem Land Berlin zu einer hälftigen Finanzierung
verpflichtet hat. Entsprechende Ansätze sind in den Haus-
halt eingestellt worden. Allerdings, Herr Lammert, ist
dann das geschehen, was Sie und wir alle in Berlin nur
allzu gut kennen: Die Baukosten sind in einen inzwischen
nicht mehr eruierbaren, geradezu galaktischen Raum der
Unbestimmbarkeit entflohen.


(Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Ähnlich wie beim Jüdischen Museum und beim Mahnmal!)


– Herr Lammert, für das Mahnmal trifft das keineswegs
zu. Das wissen Sie ganz genau, und ich fände es furcht-
bar, wenn Sie jetzt diese Diskussion wieder eröffnen woll-
ten.

Tatsache ist, dass in Berlin derzeit niemand weiß, was
die Topographie des Terrors kosten wird. Ich muss ganz
klar sagen: Der Bund wird keine Zusagen machen, so-
lange nicht die architektonische und finanzielle Reali-
sierbarkeit dieses heiklen Gebäudes feststeht. Ich glaube,
Herr Lammert, dies ist auch in Ihrem Sinne. Ich hielte es
für ungerecht, wenn Sie aus diesen Absichten unsererseits
ein Zeichen der Schwäche ableiten wollten.

Die kulturelle Förderung für Berlin für die Jahre 2001
bis 2004 lässt sich aus dem Haushaltsplan klar ablesen:
80 Millionen DM jährlich für die direkte Unterstützung
wichtiger kultureller Einrichtungen, 23,5 Millionen DM
unter der schönen Formel „Förderung hauptstadtbeding-
ter kultureller Maßnahmen und Veranstaltungen in Ber-
lin“. Der Betrag von 103,5 Millionen DM jährlich ist eine
stolze Summe. Der Bund ist aber nicht nach Gutsherren-
art – wie es oft heißt – bereit, diese Summe für Berlin zur
Verfügung zu stellen; er tut dies vielmehr aus dem Be-
wusstsein heraus, dass erstens die Bundeshauptstadt Ber-
lin das von Herrn Rexrodt völlig zu Recht beklagte histo-
rische Erbe und zweitens eine Funktion in der
Repräsentation und Darstellung unseres Landes nach in-
nen und außen hat.

Dazu kommen weitere erhebliche Mittel aus dem Bun-
desetat von insgesamt weit über einer halben Milli-
arde DM jährlich, die der Berliner Kultur zugute kom-
men. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz. Sie werden verstehen, dass
gerade diese Stiftung, der Masterplan und dieses Projekt
der ganze Stolz unserer kulturpolitischen Arbeit der letz-
ten zwei Jahre sind, und zwar nicht im zentralistischen,
sondern im föderalistischen Sinne. Dies ist eine Institu-
tion, die von Bund und Ländern, inklusive und vor allem
von Berlin, unterstützt wird.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der Vergangenheit war dieses Bauprojekt, das Sa-
nierungsprojekt, auf die wirklich legendäre Frist von
30 Jahren angelegt. Aber in unserer Regierungszeit ist
zum einen eine Veränderung in der Führung in der




Staatsminister Dr. Michael Naumann
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(C)



(D)



(A)



(B)


Stiftung Preußischer Kulturbesitz möglich geworden, und
zum anderen hat sich die Regierung bereit erklärt, sich
hier besonders stark finanziell zu engagieren. Da möchte
ich durchaus auch einmal den Finanzminister loben und
preisen und ihm danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wenn es ihm immer schwer fällt!)


Auch wenn er es mit zusammengebissenen Zähnen tut
und wenn es ihm schwer fällt, so muss man doch sagen,
dass 20 bis 30 Jahre „documenta“ an keinem Finanzmi-
nister spurlos vorbeigehen können.

Meine Damen und Herren, das beliebteste Museum
Berlins ist die Berggruen-Sammlung. Das können Sie
auch an den Besucherzahlen feststellen. Ich glaube, wir
alle sind Heinz Berggruen erstens zu außerordentlichem
Dank verpflichtet. Zweitens schulden wir ihm aber auch
ein paar Momente der Besinnung, wenn ich das sagen
darf, Herr Lammert. Heinz Berggruen hat sich entschie-
den, der Stadt nach einer von uns Deutschen verursachten,
keineswegs fröhlichen Exilgeschichte die Früchte seines
Geistes, seiner Sammlerleidenschaft, seines Geschicks
und dann am Ende doch auch seiner Liebe zu dieser
Stadt – vielleicht auch zu Deutschland; ich weiß es nicht –
zur Verfügung zu stellen, und zwar für eine vergleichs-
weise lächerliche Summe, die er nicht selber kassiert,
sondern die den Pflichtteil seiner Kinder ausmacht. Der
wirklich bemerkenswerte Umstand dieser Sammlung ist
nicht nur die Schönheit, nicht nur der Wert der Bilder,
nicht nur der Geist der Sammlung, der sich gewisser-
maßen in der einmaligen Kombination von Picassos, Gia-
comettis,
Matisses und Klees widerspiegelt. Die wirkliche Einma-
ligkeit liegt vielmehr in der Chance beschlossen, dass wir
in Deutschland mit dieser minimalen Geste, wenn ich mir
den Gesamtetat anschaue, versuchen können, die Ge-
schichte der „entarteten Kunst“, die eine deutsche Ge-
schichte ist, eine Geschichte der Ablehnung, der Zer-
störung, der geistigen Dummheit, wiedergutzumachen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS – Birgit SchnieberJastram [CDU/CSU]: Wir haben Redezeiten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413323400
Nun, Herr Staatsmi-
nister, muss ich Sie ganz behutsam auf die Redezeit auf-
merksam machen.

D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413323500
Das ist das Schöne bei der Kultur: Man kann
meistens irgendwo in der Mitte aufbrechen, das Podium
verlassen, ohne das Gefühl zu haben, man würde sich nie-
mals wieder sehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen schöneren Schluss als Berggruen kriegen Sie sowieso nicht!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413323600
Herr Staatsminister,
Sie sollten das, was Sie eben so literarisch dargeboten ha-
ben, auch einhalten: Da wir uns alle wieder sehen, auch in
anderen Debatten, darf ich mir die Unbotmäßigkeit erlau-
ben, Sie auf Ihre Redezeit hinzuweisen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


D
Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413323700
Frau Präsidentin, ich sehe es ja blinken.


(Heiterkeit)

Ich höre jetzt ganz einfach auf, in der Hoffnung, Herr
Lammert, Frau Vollmer, Herr Barthel, Herr Fink, dass wir
uns bei nächster Gelegenheit in der Sammlung Heinz
Berggruen wiedertreffen, zusammen mit dem Sammler,
und ihm möglicherweise auch persönlich danken.

– Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS sowie des Abg. Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413323800
Wir kommen zur Ab-
stimmung.

Ihnen liegt die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Kultur und Medien zu dem Antrag der CDU/CSU zur
Hauptstadtkulturförderung – Drucksache 14/4597 (neu)
vor. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. I seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen-
probe! – Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. II, den Antrag auf
Drucksache 14/3182 für erledigt zu erklären. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Auch
diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich bitte Sie, noch einen Augenblick aufmerksam zu
sein. Damit alles seine Ordnung hat, möchte ich Ihnen,
Herr Dr. Lammert, im Namen des gesamten Hauses zu
Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren.


(Beifall)

Im Übrigen möchte ich an die Adresse der Verwaltung

eine Epoche machende Bemerkung richten. Unter der Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Me-
dien, die wir eben verabschiedet haben, steht: Vorsitzen-
der Monika Griefahn. Ich rege an, dass zwischen der
Vorsitzenden und dem Vorsitzenden unterschieden wird.
Dann wären wir bei der Gleichberechtigung wieder ein
Stückchen weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer Entfernungspauschale
und zur Zahlung eines einmaligen Heiz-
kostenzuschusses




Staatsminister Dr. Michael Naumann

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(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/4435 –

(Erste Beratung 130. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/4631 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Arndt-Brauer
Jochen Konrad Fromme
Carl-Ludwig Thiele

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/4632 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Barbara Höll

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413323900
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst: Ich wusste eben nicht so richtig, ob ich mich
über das Lob von Staatsminister Naumann freuen sollte;
denn Lob, insbesondere das von Kulturpolitikern, wird in
der Regel teuer. Wenn der Finanzminister gelobt wird, ist
mir das immer suspekt.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abgesehen davon, gebe ich gern zu: Ich war fünf Jahre
lang Kulturdezernent und 15 Jahre lang Vorsitzender des
Aufsichtsrates der „documenta“. Herr Staatsminister, das
war für meine Vorbereitung auf das Amt des
Bundesfinanzministers eher hinderlich.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie gesagt, solche Debatten wie die eben zu Ende gegan-
gene sind mir zwar lieb, aber sie werden auch teuer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun zu dem Thema, über das ich eigentlich reden
möchte: Gewährung einer Heizkostenpauschale und Ein-
führung einer Entfernungspauschale. Ich werde das sehr
kurz machen. Der Ölpreis ist in diesem Jahr wie schon in
den 70er-Jahren in kurzer Zeit dramatisch angestiegen.
Das hat in bestimmten Bereichen soziale Folgen, die
nach Meinung der Bundesregierung und der Koalitions-
fraktionen so nicht hingenommen werden können.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ökosteuer!)


Wir wollen eine einmalige Heizkostenpauschale ge-
währen, weil sich der Preis für Heizöl von einer Heizpe-
riode zur anderen mehr als verdoppelt hat, obwohl die
Ökosteuer – ich kenne ja Ihre These, die Sie sicherlich
gleich noch vortragen werden – gar nicht auf Heizöl er-
hoben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Vier Pfennig!)


Wir fühlen uns selbstverständlich für diejenigen ein Stück
weit verantwortlich, die mit diesem Preisanstieg finanziell
nicht zurechtkommen. Das ist für die Sozialhilfeempfän-
ger gesetzlich geregelt. Wir wollen eine ähnliche gesetzli-
che Regelung auch für die Wohngeldempfänger und die
BAföG-Bezieher treffen. Wir wollen, so ist es in der Vor-
lage vorgesehen, diesen Gruppen die Hälfte der Kosten,
die ihnen durch die Verdoppelung des Heizölpreises ent-
standen sind, erstatten.

Aus unserer Sicht ist es in keiner Weise vernünftig,
wenn sich Bund und Länder weiter über die Aufteilung
der Kosten streiten. Sie entstehen jetzt und müssen auch
jetzt bezahlt werden. Sosehr ich – darauf komme ich
gleich zurück –Verständnis auch für die Haushaltsnöte der
Länder habe: Dieser Streit darf nicht fortgeführt werden.
Deswegen bin ich über die Entscheidung der Koalition
froh, die Zahlung eines einmaligen Heizkostenzuschusses
von der Einführung einer Entfernungspauschale abzukop-
peln, indem gesagt wird: Der Bund übernimmt die Kosten
für den einmalig gewährten Heizkostenzuschuss. Da-
durch kann mit der Auszahlung vor Weihnachten begon-
nen werden. Das ist ein vernünftiger Weg. Dafür sage ich
den Koalitionsfraktionen ausdrücklich: Herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zur Entfernungspauschale: Dieses Thema spielt in
allen Parteiprogrammen eine Rolle. Alle Parteien haben in
ihren Programmen die Umstellung vom Kilometergeld
auf die Entfernungspauschale gefordert, und zwar mit
dem ökologisch richtigen Argument, dass man nicht die-
jenigen benachteiligen dürfe, die mit öffentlichen Ver-
kehrsmitteln, also mit vergleichsweise umweltfreundli-
chen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, unabhängig
davon, dass viele, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, gar
keine andere Möglichkeit haben. Es geht ja nicht darum,
diejenigen dafür zu bestrafen, sondern darum, diejenigen,
die andere Verkehrsmittel – so sie Ihnen zur Verfügung
stehen – wählen, nicht zu bestrafen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern sage ich zunächst, dass im Hinblick auf dieses
Prinzip eigentlich Einvernehmen bestehen müsste. Es ist
in allen Parteiprogrammen enthalten. Es steht übrigens da
und dort auch in den Koalitionsvereinbarungen der Lan-
desregierungen, so zum Beispiel in Rheinland-Pfalz.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Aha!)


Nun bleibt nur die Frage nach der Höhe der Entfer-
nungspauschale.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und aus welcher Kasse!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
12864


(C)



(D)



(A)



(B)


Hier haben wir vor dem Hintergrund der kräftigen Öl- und
Kraftstoffpreissteigerungen, die wir in den letzten andert-
halb Jahren in der Tat erlebt haben, vorgeschlagen, dass
eine Erhöhung von 70 auf 80 Pfennig vorgenommen wird.

Meine Damen und Herren, Folgendes ist ein interes-
santer Vorgang: Ich erinnere daran, dass auch im Steuer-
reformkonzept der Bundestagsfraktion der CDU/CSU
eine Entfernungspauschale enthalten war.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber ohne Ökosteuer!)


– Ja, wunderbar. Sehr verehrter Herr Michelbach, die
Ökosteuer war ja bereits eingeführt. Da kommen Sie nicht
heraus. – Diese Entfernungspauschale betrug 50 Pfennig.
Wir wollen den Autofahrern in Bayern, Baden-Württem-
berg und Hessen


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das ist doch ein ganz anderer Zusammenhang!)


– zum Teil sind dort bald Wahlen; dort wird besonders
laut gefordert, man müsse etwas für die Autofahrer tun; in
anderen, auch in sozialdemokratisch geführten Ländern
wird das ebenfalls gesagt –


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Ökosteuer ganz abschaffen!)


zu unserer großen Freude einmal ganz deutlich sagen,
dass in Ihrem Steuerreformkonzept eine Entfernungspau-
schale in Höhe von 50 Pfennig vorgesehen war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

[CDU/CSU]: Ohne Ökosteuer!)

Meine Damen und Herren, so brutal sind wir zu den
Pendlern nicht. Auch wir glauben, dass an dieser Stelle
angesichts der Entwicklung der Kraftstoffpreise etwas ge-
tan werden muss.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Scheinheiligkeit! Zuerst erhöhen Sie die Ökosteuer fünfmal und dann machen Sie solche Kleinigkeiten!)


Das aber stößt zu einem Teil auf den Widerstand der Län-
der – auch auf den sozialdemokratisch geführter –, die ar-
gumentieren, ihre Kassen gäben das nicht mehr her.

Meine Damen und Herren, im Prinzip habe ich für die-
ses Argument viel Verständnis. Denn im Zuge der Debatte
um die Steuerreform habe ich immer wieder darauf hin-
gewiesen, dass man auch die Länderhaushalte nicht
überfordern darf; das ist wohl so. Nur weise ich die Län-
der darauf hin, dass der Bundeshaushalt schlechter struk-
turiert ist als alle Länderhaushalte. Diese Aussage muss
ich mit einer kleinen Einschränkung versehen: Eine Aus-
nahme ist der Berliner Haushalt, der eine etwas noch
ungünstigere Zinssteuerquote, das heißt, eine relativ
höhere Verschuldung aufweist als der Bundeshaushalt.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Darum kassieren Sie die Ökosteuer auch!)


Wenn aber der Bundeshaushalt diese Kosten tragen
kann – wir wollen das, weil wir sagen, dass hier ein so-
ziales Problem besteht, dem wir uns stellen müssen –,
dann ist allerdings nicht einzusehen, warum nicht auch die

Länderhaushalte ihren Teil – es gibt ja eine diesbezügli-
che Regelung im Einkommensteuerrecht – dazu beitragen
können, nämlich ihre 42,5 Prozent.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor dem Hintergrund der Entscheidung, dass der Bund
bereit ist, die Kosten für den Heizkostenzuschuss voll-
ständig zu übernehmen, ist in Richtung der Länderseite zu
apllieren, diesen Bereich nun nicht mehr auf die lange
Bank zu schieben, sondern zu einem Ergebnis zu kom-
men. Wenn wir uns dann im Vermittlungsverfahren befin-
den, wird es ein konstruktives Mitwirken des Bundes ge-
ben.

Aber, meine Damen und Herren, an einer Stelle sind
die Prinzipien völlig klar: Die Finanzverfassung gilt. Das
Einkommensteuerrecht ist in Bezug auf Einnahmen und
Ausgaben so zu gestalten, wie es verfassungsmäßig
vorgesehen ist. Der Bund und die Länder sind mit je
42,5 Prozent an den Kosten der Entfernungspauschale be-
teiligt. Dabei muss es bleiben. Deswegen richte ich die
herzliche Bitte an die Verantwortlichen in den Ländern,
ihre Position vor diesem Hintergrund noch einmal zu
überdenken. Wenn der Bund den Heizkostenzuschuss
gänzlich übernimmt, ist dies ein starkes Zeichen, das den
Ländern deutlich macht: Der Bund ist kompromissbereit;
aber die Finanzverfassung gilt. Der Bund legt sich
krumm, um die stark gestiegenen Mineralölpreise dort,
wo dies erforderlich ist, abzufedern.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ökosteuer kassieren, und die Länder finanzieren!)


Das muss man dann auch von den Ländern erwarten kön-
nen. Meine Damen und Herren, deswegen bitte ich auch
namens der Bundesregierung um Zustimmung zu diesen
beiden Vorhaben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324000
Das Wort hat jetzt der
Kollege Jochen-Konrad Fromme für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1413324100
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns
über die Inschrift für dieses Haus unterhalten. Es wäre
besser gewesen, wir hätten ein Schild angebracht, auf dem
geschrieben steht: „Reparaturwerkstatt der rot-grünen
Regierungskoalition.“


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Hu!)


Einem Ihrer Reformgesetze folgen mindestens zwei
Reparaturgesetze. Ich nenne die Stichworte: Heizkosten-
pauschale, Entfernungspauschale, Agrardiesel, Steuer-
senkungsgesetz, Steuersenkungsergänzungsgesetz, die
Kirchen, die Aktien und Derivate sowie den Fallensteller-
paragraph.


(Zuruf von der SPD: Das war eben alles sehr reparaturbedürftig!)





Bundesminister Hans Eichel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie sollten sich auch bei der Ökosteuer einer Totalrepara-
tur nicht verschließen. Sie sollten sagen: Wir schmeißen
sie über Bord; Abschaffung ist das einzig Richtige.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Sie wollen uns damit einfangen, dass Sie Gesetzent-

würfe einbringen, die den Menschen etwas vermeintlich
Gutes bringen, indem Sie ihnen eine bessere Entfer-
nungspauschale und eine Heizkostenpauschale gewähren.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Sie wollen damit
verschleiern, dass Sie die Ursache dafür geschaffen ha-
ben, dass die Kraftstoffpreise so gestiegen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glaubt Ihnen doch kein Mensch! – Detlev von Larcher [SPD]: So ein Blödsinn!)


Sie argumentieren, der Anstieg derRohölpreise sei dafür
verantwortlich.


(Zuruf von der SPD: Das ist die Wahrheit!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie ständig die Abgaben
auf den Verbrauch von Rohöl erhöhen, dann ist das eine
Einladung an die Scheichs, auch ihre Preise zu erhöhen.
Deshalb ist die Ökosteuer ein Treibsatz in Bezug auf die
Heizöl- und Benzinpreise, nichts anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit! Der Marktwirtschaftler spricht!)


Die OPEC hat ja im Zusammenhang mit der Erhöhung der
Fördermenge eine Steuersenkung gefordert. Wir werden
sehen, was da kommt.

Es gibt noch etwas Wichtiges, das Sie mit zu verant-
worten haben, und zwar das Sinken des Euro-Kurses.
Wenn sich der Kanzler der wichtigsten Volkswirtschaft in
Europa hinstellt und sagt, ein niedriger Euro-Kurs sei ihm
im Interesse des Exportes recht, dann brauchen wir uns
nicht zu wundern, wenn die Welt den Euro so schlecht be-
wertet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Quittung dafür werden Sie bekommen; die Quittung
ist nämlich eine Steigerung der Inflationsrate in unse-
rem Land. Wenn Sie einmal betrachten, dass wir im Mo-
natsvergleich inzwischen bei einer Inflationsrate von
2,5 Prozent sind, dann werden Sie merken, was das für
uns und was das insbesondere für die kleinen Leute be-
deutet. Und das ausgerechnet von der SPD!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

An der Ökosteuer wird die Politikmethode dieser Ko-

alition doch recht deutlich: Such dir ein sympathisches
Thema – ich tue etwas für die Umwelt, ich will die Ren-
tenbeiträge senken –, vergiss dein Versprechen von ges-
tern – „6 Pfennig Ökosteuer sind genug“; „nur im Rahmen
von Europa gibt es Weiteres“ – und gib einigen Menschen
unter einer anderen Überschrift – damit ja keiner merkt,

dass das miteinander zusammenhängt – wieder ein Stück
von dem zurück, was du ihnen genommen hast. In Wahr-
heit bleibt man aber unter dem Strich bei einem großen
Opfer, das die Menschen aufbringen müssen. Meine Da-
men und Herren, das ist „linke Tasche, rechte Tasche“,
aber doch keine vernünftige Politik. Sie nehmen den Men-
schen auf Dauer mehr, als Sie ihnen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Wir machen das, was wir gesagt haben!)


So ist das doch auch bei der Ökosteuer und der Entfer-
nungspauschale bzw. dem Heizkostenzuschuss: Erst ha-
ben Sie die Preise hochgetrieben und dann geben Sie ein
Stück weit etwas zurück.


(Detlev von Larcher [SPD]: Soll ich noch einmal Herrn Repnik zitieren?)


Am Ende bedeutet das, dass Sie mit Ihren Repara-
turmaßnahmen – abgesehen davon, dass sie völlig unge-
eignet sind – auch noch eine riesige Bürokratie erzeugen,
die keine Gerechtigkeit bringt. Denn was ist denn mit der
Rentnerin, die sich mit einer kleinen Wohnung beschei-
det, für die sie kein Wohngeld benötigt? – Sie hat wegen
der gestiegenen Heizölpreise höhere Heizkosten, be-
kommt aber keinen Ausgleich dafür.


(Detlev von Larcher [SPD]: Vier Pfennig sind es beim Heizöl!)


Sie verfahren nach dem Motto – Herr Finanzminister, das
muss man einmal deutlich sagen –: Der Bund kassiert die
Mineralölsteuer allein. An der Reparaturmaßnahme sol-
len sich dann die Länder und die Gemeinden beteiligen.
So kann es nicht gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Weil Sie merken, dass Sie die Rechnung ohne den Wirt

Bundesrat gemacht haben, haben Sie Ihre Vorhaben jetzt
plötzlich in zwei Gesetzentwürfe aufgeteilt. Sie überneh-
men den kleineren Teil der Kosten, weil Sie meinen, Sie
könnten damit den Druck auf die Länder erhöhen. Ich
hoffe, dass die Länder hart bleiben und Ihnen einen Strich
durch die Rechnung machen. So kann das nicht gehen.
Entweder kassieren wir alle – dann müssen wir alle uns
auch an der Entlastung beteiligen – oder nur der Bund kas-
siert und trägt die Kosten für die Entlastung allein.

Die Ökosteuer war schon im Ansatz völlig falsch.

(Detlev von Larcher [SPD]: Nein, Sie war völlig richtig! Wir haben uns nach Repnik gerichtet!)


Sie haben eine Verbindung zwischen einer Lenkungsab-
gabe und einer Daueraufgabe gesucht. Eine Lenkungs-
abgabe hat das Ziel, den Verbrauch zu senken. Wenn ihr
Ziel erreicht würde, würde das bedeuten, dass das Auf-
kommen aus der Ökosteuer eines Tages null wäre. Nur
dann wäre sie als Lenkungsabgabe geeignet.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sollten den Nobelpreis für Weltwirtschaft bekommen!)





Jochen-Konrad Fromme
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(C)



(D)



(A)



(B)


Auf der anderen Seite wollen Sie mit dieser Abgabe die
Daueraufgabe der Finanzierung der Renten lösen. Sie pro-
duzieren ein Haushaltsloch. Ihre Politik ist es doch, nur
das Heute, aber nicht das Morgen zu sehen. So kann es
wirklich nicht gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Warum machen Sie denn eine Anhörung, wenn Sie Mist lernen?)


– Wir machen deshalb eine Anhörung, damit jedermann
deutlich wird, welchen Mist – um Ihr Wort aufzugreifen –
Sie hier angerichtet haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist aber nicht deutlich geworden!)


Eines haben Sie mit der Ökosteuer allerdings erreicht: ein
rapides Ansteigen der Energiepreise für Heizöl, Strom
und Gas.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Genauso ist es!)

Das ist klar.

Wenn Sie Ihre eigene Koalitionsvereinbarung ernst
genommen hätten, dann hätten Sie Ihr Ziel erreicht und
dann müssten Sie schon aus diesem Grunde die Öko-
steuer abschaffen. Aber das tun Sie natürlich nicht. Sie
wollten über die Ökosteuer Arbeitsmarkteffekte erzielen.
Messbare Wirkungen – das hat die Anhörung ergeben –
gibt es nicht. Die statistischen Verbesserungen rühren
wohl eher von Ihren statistischen Tricks im Umgang mit
den 630-Mark-Beschäftigungen als daher, dass auf die-
sem Gebiet wirklich etwas geschehen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Keiner jammert mehr als Sie!)


Aus der doppelten Dividende, die Sie den Menschen
versprochen haben, ist ein doppeltes Opfer geworden. Die
Menschen bekommen 300 DM mehr; gleichzeitig muss
beispielsweise ein durchschnittlicher Haushalt zusätzlich
1 000 DM zahlen. Was ist mit den Rentnern, mit den Ar-
beitslosen und mit den Sozialhilfeempfängern, die durch
Ihre Maßnahmen nicht entlastet werden? Es werden le-
diglich Berufspendler und Wohngeldempfänger entlastet.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!)


Wenn Sie es mit Ihrem ökologischen Ansatz ernst ge-
meint hätten, dann hätten Sie beim Schadstoffausstoß
und nicht einfach beim Verbrauch einer Menge anknüpfen
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Herr Repnik! Frau Merkel!)


Wenn es Ihnen um den ökologischen Ansatz gegangen
wäre, dann hätten Sie den Kernkraftstrom steuerfrei stel-
len müssen; stattdessen steigen Sie aus dieser relativ um-
weltschonenden Form der Energieerzeugung völlig aus.

Sie erreichen mit Ihrer Politik das Gegenteil von dem,
was Sie unter ökologischen Gesichtspunkten erreichen
wollen. Wenn Sie die deutsche Wirtschaft im Alleingang
mit einer Ökosteuer belasten, dann steigen die Kosten.

Das bedeutet: Ausländische Produkte werden wettbe-
werbsfähiger und die Menschen kaufen diese ausländi-
schen Produkte, die – im Vergleich zu den im Inland er-
zeugten Produkten – mit mehr Energie und im Rahmen
schlechterer Umweltbestimmungen erzeugt werden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was ist, wenn wir die Arbeit entlasten?)


Es ist völlig systemwidrig, wenn Sie etwas gegen den
Schadstoffausstoß tun wollen und dabei die Großbetriebe
außer Acht lassen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ja!)

Dazu waren Sie unter Wettbewerbsgesichtspunkten natür-
lich gezwungen; aber es macht doch deutlich, dass Ihnen
von Anfang an klar war, dass Ihre Ökosteuer ein völlig
falscher Ansatz ist.

Ihre Art von Ökosteuer ist eine einzige Bereicherung
für den Staat.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD] – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Abkassiermodell!)


Allein durch die 33Milliarden DM, die die Wirtschaft und
die Menschen für ihre Energieversorgung mehr aufwen-
den müssen, entstehen zusätzliche Einnahmen im Rah-
men der Mehrwertsteuer in Höhe von 4,2 Milliarden DM,
die nicht eingeplant waren und die Sie einfach einsacken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das sagt der, ohne rot zu werden!)


– Ich brauche nicht rot zu werden. Außerdem bin ich
schwarz bis in die Seele.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Des Weiteren verwenden Sie das vollständige Öko-
steueraufkommen gar nicht zur Senkung der Renten-
beiträge.


(Jörg van Essen [F.D.P.]: Richtig!)

Ich verweise nur auf das, was das Karl-Bräuer-Institut in
der Anhörung am Mittwoch dieser Woche sehr eindrucks-
voll dargetan hat:


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wegelagerer sind das!)


Sie stecken zwar einen Großteil der Einnahmen in den
Rententopf; aber gleichzeitig nehmen Sie an anderer
Stelle aus dem Rententopf Milliarden heraus, sodass
keine Senkung in vollem Umfang stattfindet. Wäre dies
nämlich geschehen, dann hätten Sie den Rentenbeitrag
auf 17,9 Prozent senken können.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin aus dem
Gutachten des Karl-Bräuer-Instituts:

Im Ergebnis fließen vom kumulierten Mehraufkom-
men aus den weiteren Stufen der „Ökosteuer“-Re-
form ab 2000 (50,8 Mrd. DM) netto weniger als 40%




Jochen-Konrad Fromme

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(C)



(D)



(A)



(B)


zusätzlich an die Rentenversicherung. Die übrigen
Mittel dienen überwiegend dem Ausgleich von Min-
dereinnahmen der Rentenversicherung, die wie-
derum aus Kürzungen im Bundeshaushalt resultie-
ren. Da der Saldo der zusätzlichen Zahlungen des
Bundes an die Rentenversicherung geringer ist als
die Summe seiner zusätzlichen Einnahmen aus der
Fortführung der „Ökosteuer“-Reform, fällt auch die
Entlastung der Beitragszahler notwendigerweise ge-
ringer aus ...

Das ist die Wahrheit.

(Detlev von Larcher [SPD]: Nein! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Fromme, Sie sitzen im evangelischen Kirchenvorstand! Sie sollten wissen, was die Wahrheit ist!)


Sie gehen schlicht und einfach nach dem Motto vor:
Die Vorgänge sind so kompliziert, dass sie keiner durch-
schaut; deswegen kann ich Nebelkerzen werfen, indem
ich den Topf an der einen Stelle auffülle und an anderer
Stelle etwas aus ihm herausnehme.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nebelkerzen werfen Sie die ganze Zeit, Herr Kollege!)


Diese Steuererhöhungen sollen weitergehen. Herr
Trittin hat schon gesagt, dass die Ökosteuer auch nach
2003 steigen muss. Sie nähern sich planmäßig Ihrem Ziel
von 5 DM pro Liter Benzin. Das ist gegen die Menschen
in diesem Lande gerichtet. Deswegen fordere ich Sie noch
einmal auf: Nehmen Sie von diesem Unsinn Abstand!
Folgen Sie unserem Antrag auf vollständige Abschaffung
der Ökosteuer!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch die Wirtschaftsinstitute, meine Damen und Her-

ren, haben eine Reform der Ökosteuer gefordert. Aber
eine Reform hat überhaupt keinen Sinn; hier hilft nur eine
Totalreparatur. Wir wissen es auch: Auch der Bundes-
kanzler ist gegen die Ökosteuer. Er traut sich nur nicht we-
gen seines Koalitionspartners, das zu sagen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was Sie alles wissen!)


Deshalb fordere ich den Bundeskanzler auf, dass er hier
einmal „Basta!“ sagt. Dabei sollte er allerdings ein wir-
kungsvolles Konzept in der Hand haben; vielleicht nimmt
er ja unser Konzept auf.


(Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sprach das Konrad-Fromme-Institut!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324200
Ich erteile nun das
Wort der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis
90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollegen! Ich hatte schon fast Entzugserscheinungen be-
kommen. Nun bin ich aber froh, dass uns die CDU/CSU
wieder einmal zum wöchentlichen Ökostammtisch ein-
lädt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil zu Ihnen! Sie erfüllen unsere Erwartungen nicht!)


Versammeln wir uns also fröhlich! Leider gibt es auf die-
sem Stammtisch nur Selters.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein anständiges Bier wäre mir lieber.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie lieber zur Anhörung!)

Ich verstehe ja, liebe Kolleginnen und Kollegen und

lieber Herr Fromme, dass Sie seit zwei Jahren auf der
Suche nach Ihrer neuen Rolle sind. Ich verstehe aber
wirklich nicht, dass Sie das Heil Ihrer Partei nur noch in
systematischer Volksverdummung und in Stammtisch-
parolen suchen. Sie, Herr Fromme, haben uns heute ein
perfektes Beispiel dafür geliefert. Langsam macht es uns
Sorgen, in welche Richtung Sie hier argumentieren.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Langweilig!)


Eigentlich hatten wir, nachdem Ihre Fraktion noch in
der letzten Woche zur Klimakonferenz in Den Haag einen
relativ verantwortungsbewussten Antrag gestellt hat, ge-
dacht, dass die Kollegen vielleicht doch noch einmal zum
Nachdenken kommen und merken, dass der Weg weg
vom Öl sowohl aus Klimaschutzgründen als auch aus
Gründen der Endlichkeit des Rohstoffes eingeschlagen
werden muss. Heute habe ich wieder gemerkt, dass Ihr
Antrag nur so eine Art Flyer für verantwortungsbewusstes
Reden in der einen Sitzungswoche war, Sie in der nächs-
ten Sitzungswoche dann aber wieder praktisch auf
Stammtischniveau diskutieren wollen. Ich würde Sie bit-
ten, einmal darüber nachzudenken, wie Ihre politische Li-
nie aussehen soll.

Ich möchte jetzt doch zur Tagesordnung sprechen, was
Sie offenbar nicht für nötig gehalten haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Auf, auf! Zur Ökosteuer!)


Alle wollten die Entfernungspauschale, auch Sie, wie uns
unser Minister eben berichtet hat. Nun führen wir sie ein.
Sie und 13 Millionen Berufspendler werden Nutznießer
dieser Regelung und endlich auch diejenigen, die mit
Bahn, Bus und Fahrrad fahren.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Erst das Geld abnehmen und dann verteilen! Ökosozialismus!)


Man muss Sie immer wieder auf Ihre eigenen Beschlüsse
verweisen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie heute
gegen die Entfernungspauschale polemisieren.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gegen diese!)





Jochen-Konrad Fromme
12868


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich würde ja verstehen, wenn Sie jetzt sagen würden,
Sie wollten statt der 80 Pfennig lieber eine Entfernungs-
pauschale von 50 Pfennig, die Sie damals gefordert hat-
ten. Dafür hätte ich als Grüne sogar eine gewisse Sympa-
thie. Obendrein hätte ich endlich das Gefühl: Die Partei
bleibt wenigstens einmal in einem Punkt ihren alten Be-
schlüssen treu. Aber nein, Sie müssen ständig Ihre alten
Positionen räumen, weil Sie nicht mehr wissen, was Sie
der Gesellschaft eigentlich vermitteln wollen.

Beim Heizkostenzuschuss muss ich Sie auch noch auf
einen Punkt aufmerksam machen: Es geht nicht nur um ei-
nen Heizkostenzuschuss für Wohngeld- und BAföG-
Empfänger, was ja alleine schon toll wäre. Vielmehr wer-
den wir hier heute mit unserer Mehrheit beschließen, dass
auch andere Haushalte mit dementsprechend niedrigem
Einkommen den Heizkostenzuschuss bekommen können.
Deswegen sind hierfür mittlerweile 1,4 Milliarden DM
veranschlagt. – Ich bitte Sie, Herr Fromme, das zur
Kenntnis zu nehmen, damit Sie nicht auf dem nächsten
Stammtisch wieder falsche Parolen verbreiten, sondern
endlich auch einmal selbst über die Sachverhalte infor-
miert sind und weitere Kolleginnen und Kollegen infor-
mieren können. Das könnte Ihren Wählern eigentlich nur
gut tun.

Dass das Geld hierfür vom Bund aufgebracht wird,
sollten nicht nur Sie registrieren und entsprechend positiv
bewerten, sondern auch die Länder. Von daher würde ich
schon gerne wissen, wie Sie es Ihren Wählern vermitteln
wollen, dass Sie gegen diese Heizkostenpauschale stim-
men. Offenbar gönnen Sie sie den Menschen nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Weil wir die bessere Alternative haben!)


– Ach, Sie haben die bessere Alternative? Ich habe ja eben
gemerkt, wie Ihre Alternative aussieht. So ganz hat zu-
mindest mich das nicht überzeugt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schaffen Sie die Ökosteuer ab, dann brauchen Sie nichts zu verteilen!)


Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt etwas sagen,
damit wir nicht nur auf dem jetzigen Niveau diskutieren.
Es ist ein toller und wichtiger Schritt, wie ich finde, dass
wir heute diese beiden Entscheidungen hier fällen. Das
gilt insbesondere für den Umstieg von der Kilometerpau-
schale auf die Entfernungspauschale.

Ich möchte aber eines feststellen, was gerade mir als
Stadtplanerin und für die Stadtentwicklungspolitik Enga-
gierte wichtig ist: Bei allem Verständnis für die Berufs-
pendler glaube ich, dass wir längerfristig schon dahin
kommen müssen, dass wir nicht einseitig mit der Entfer-
nungspauschale – denn sie wirkt da letztlich genauso wie
die Kilometerpauschale – die weitere Zersiedlung unse-
rer Landschaft vorantreiben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielmehr müssen wir eine Gleichheit zwischen den Be-
wohnern des ländlichen Raums und denen, die in der Stadt
wohnen, die Verkehrslärm, Verkehrsgefahren, Emissio-

nen usw. täglich überstehen müssen und für die das Woh-
nen teurer ist als für diejenigen, die auf dem Land leben,
herstellen.

Von daher möchte ich – nicht unbedingt in dieser
Legislaturperiode, aber langfristig –, dass wir eine Dis-
kussion über ein schrittweises Zurückführen der Entfer-
nungspauschale führen, um Gerechtigkeit zwischen
Fernpendlern und Stadtbewohnern, für die weniger Ver-
kehrsbelastung entsteht, wieder herzustellen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324300
Jetzt erteile ich Kol-
legin Professor Gisela Frick für die F.D.P.-Fraktion das
Wort.


Prof. Gisela Frick (FDP):
Rede ID: ID1413324400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Kollege Fromme, Sie können sich vor-
stellen, dass ich Ihnen gern zustimmen würde, wenn Sie
sagen, das sei ein einziger Reparaturbetrieb, was uns hier
in den beiden Gesetzentwürfen vorgelegt wird.


(Detlev von Larcher [SPD]: Für das, was Ihre Koalition unterlassen hat!)


Aber Reparaturen sollen ja etwas verbessern, und insofern
kann ich diesen Begriff leider nicht übernehmen; denn
das, was uns hier in den beiden Gesetzentwürfen vorliegt,
ist jedenfalls in meinen Augen und in den Augen meiner
Fraktion nur eine Verschlimmbesserung,


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

mit der alle die Fehler, die mit der Ökosteuer gemacht
worden sind, nicht etwa beseitigt, sondern noch ver-
schlimmert worden sind.

Zunächst einmal zum Lenkungscharakter, zum um-
weltpolitischen Ansatz dieser Steuer. Wir haben es eben
von Kollegin Eichstädt-Bohlig gehört: Für diese Funk-
tion ist die Entfernungspauschale schlicht und einfach
zu hoch. Wir haben in unserem Einkommensteuerre-
formgesetz eine Entfernungspauschale vorgesehen, die
wesentlich geringer war und im Übrigen den Nahbereich
von 15 Kilometern nicht berücksichtigte. Das ist ein rie-
siger Unterschied.


(Detlev von Larcher [SPD]: Die meisten sollten nichts bekommen!)


Die Entfernungspauschale ist deshalb zu hoch, weil sie
vielleicht bei den Autofahrern gerade einmal die höheren
Kosten deckt, aber alle anderen, die andere Verkehrsmit-
tel benutzen, natürlich eine Gießkanne bedeutet, mit der
Wohltaten ausgeschenkt werden, die in keiner Weise zu
begründen sind.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig!)

Das ist der eine Punkt.

Die sozialpolitische Seite, die Sie immer so betonen,
ist erst recht verfehlt. Damit rächt sich natürlich auch
der Konstruktionsfehler Ihrer Ökosteuer. Wir können




Franziska Eichstädt-Bohlig

12869


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht mit der Rentenfinanzierung umweltpolitische Ziele
verknüpfen. Das klappt nicht; das hat Herr Kollege
Fromme sehr deutlich ausgeführt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das haben beide Herbstgutachten, sowohl das der fünf
Wirtschaftsweisen als auch das der Wirtschaftsinstitute,
ganz deutlich festgestellt. Diese Konzeption ist ver-
fehlt; denn es besteht eine große Asymmetrie zwischen
denjenigen, die durch die Ökosteuer belastet werden,
und denen, die – von einer Senkung kann man ja kaum
sprechen – von dem Einfrieren der Beiträge zur Ren-
tenversicherung profitieren.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wie finanzieren Sie die Rente?)


Wir haben das hier schon x-mal gesagt; aber ich wieder-
hole es noch einmal: Von dieser Entlastung profitieren
nicht die Rentner, die Studenten, die Arbeitslosen und
auch nicht die einkommensschwachen Familien.

Wenn Sie jetzt an der Entfernungspauschale herum-
doktern, dann erwischen Sie die Gruppe der Arbeitneh-
mer, diejenigen, die Arbeit haben, die wenigstens in etwa
eine gewisse Entlastungswirkung durch Ihre Konzeption
der Ökosteuer in Verbindung mit der Rentenfinanzierung
haben. Nur die begünstigen Sie. Alle anderen entlasten
Sie nicht.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wollt Ihr eine Pauschale für die Freizeit haben oder was?)


Das heißt, alle anderen Personengruppen haben überhaupt
nichts davon, dass die Entfernungspauschale angehoben
wird, sodass wir sagen können: Sie ist nicht nur umwelt-
politisch, sondern auch sozialpolitisch verfehlt.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Insofern ist es ganz konsequent, dass wir jetzt sagen: An
dieser Stelle ist die Entfernungspauschale, die wir dem
Grunde nach durchaus bejahen, in der von Ihnen vorge-
legten Form ganz eindeutig und klar abzulehnen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zu viel oder zu wenig? – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollt Ihr eine Freizeitoder Wochenendpauschale?)


Das Gleiche gilt übrigens auch für den einmaligen
Heizkostenzuschlag. Was soll denn ein einmaliger Heiz-
kostenzuschlag? Als Juristin, als Verfassungsrechtlerin,
habe ich Probleme damit, dass so etwas in einem eigenen
Gesetz geregelt werden soll; denn eigentlich ist das ein
Haushaltsansatz. Wir brauchen kein generell abstraktes
Gesetz dazu, um einen solchen einmaligen Heizkostenzu-
schlag einzuführen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Das tritt zum 1. April wieder außer Kraft!)


– Ja, Wahrscheinlich noch früher, nehme ich einmal an. –
Schon das ist bedenklich.

Aber gut, ich setze mich über die Bedenken hinweg
und widme mich dem Inhalt: Gezahlt werden soll dieser
einmalige Heizkostenzuschuss nur an die Menschen, die
sowieso schon staatliche Transferleistungen erhalten.
Warum erhöht man denn nicht die Transferleistungen,
wenn man sieht, dass der Bedarf höher ist?


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: So ein Gesetz braucht die rot-grüne Koalition! Selbstauflösung!)


Warum macht man hier nur eine einmalige Geschichte?

(Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


– Herr von Larcher, ich kann das an Sie weitergeben. Ich
freue mich über das Bedauern in Ihrer Stimme.

Leider wird mir schon signalisiert – denn ich habe nur
eine sehr kurze Redezeit –, dass ich zum Ende kommen
muss. Der Heizkostenzuschuss als einmaliger Zuschuss
ist umweltpolitisch und sozialpolisch total verfehlt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Nein, das ist Hilfe für Menschen! Das ist Hilfe in konkreter Situation!)


Deshalb müssen wir auch diesem eine Absage erteilen.
Danke schön.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324500
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1413324600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Meine Tochter kostete das Auffüllen
ihres Gastanks 2 300 DM, fast 1 000 DM mehr als im ver-
gangenen Jahr. Sie hat kein üppiges Einkommen und
muss sowieso schon ungefähr 50 Prozent davon für die
Wohnkosten zahlen. Sie arbeitet in Schicht und ihr Ar-
beitsort ist mehrere Kilometer von ihrem Wohnort ent-
fernt.

Der Heizkostenzuschuss und die Entfernungspau-
schale helfen ihr also über das Schlimmste hinweg; das ist
zunächst erst einmal so. Das hilft nicht nur ihr. Beim Heiz-
kostenzuschuss betrifft es ungefähr 5 Millionen Men-
schen und bei den Pendlern ungefähr 13Millionen. Schon
allein aus diesem Grund wird die PDS den beiden Ge-
setzentwürfen zustimmen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wundere mich wirklich – ich finde Ihre Argumente be-
züglich der Ökosteuer zynisch und im Übrigen abge-
lutscht –, dass Sie diesen beiden Maßnahmen, die Verbes-
serungen für Millionen von Menschen bringen, nicht
zustimmen. Machen Sie das bitte mit sich selbst und mit
Ihrer Wählerschicht aus.


(Beifall bei der PDS – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Ist die Ökosteuer eine Verbesserung?)





Gisela Frick
12870


(C)



(D)



(A)



(B)


– Unsere Position zur Ökosteuer kennen Sie. Wir halten
sie ebenfalls für unsozial und für nicht ökologisch.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Trotzdem wollen Sie sie!)


Das hindert uns aber nicht daran, einer Verbesserung, die
Millionen Menschen zugute kommt, zuzustimmen.


(Beifall bei der PDS – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Dann machen Sie doch die Abschaffung!)


Trotzdem ist auch bei uns nicht nur Jubel angesagt.
Was den Heizkostenzuschuss anbelangt, so müsste er ei-
gentlich – das hat der Mieterbund berechnet – nicht bei
nur 5 DM liegen, sondern bei 9 DM.

Die Einmaligkeit des Zuschusses – da haben Sie Recht,
Frau Frick – ist ein Problem. Aber das eigentliche Pro-
blem liegt ganz woanders: Was kann ein Mieter oder
Hauseigentümer dafür, dass die Weltwirtschaft vom Öl
abhängig ist? Was kann er für die Preispolitik der Ölkon-
zerne? Er muss den Preis zahlen, er ist der Letzte in der
Kette, er ist ihnen ausgeliefert.

In anderen Fällen ist er beispielsweise kommunalen
Versorgungsbetrieben oder Kommunen ausgeliefert. Von
17 Positionen im Bereich der Wohnnebenkosten kann der
Mieter keine einzige Position allein beeinflussen; nur sie-
ben kann er mit beeinflussen. Es muss Schluss sein – das
könnte ein Signal sein – mit der Tatsache, dass der Mieter
Kosten zu bezahlen hat, die er nicht verursacht hat und die
er entweder gar nicht oder nur gering beeinflussen kann.
Ich fordere Sie aus diesem Anlass dringend auf, die so ge-
nannte zweite Miete einer grundlegenden Neuordnung
zuzuführen. Sie haben das beispielsweise bei der Miet-
rechtsreform versäumt.

Zur Entfernungspauschale: Die Umwandlung ist klar,
sie steht in allen Parteiprogrammen. Die PDS hatte dies
übrigens schon 1995 hier eingebracht; dies wurde damals
abgelehnt. Das Gute an der Entfernungspauschale ist,
dass sie alle Pendler gleichstellt, egal, ob sie das Auto, das
Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Man
kann hoffen, dass es dadurch vielleicht in geringem Maße
zu einem Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr
kommt. Auch das Schummeln wird sich vielleicht etwas
legen.

Sie haben unseren Entschließungsantrag gelesen. Man-
che wundern sich, dass wir diese beiden so überschauba-
ren Maßnahmen zum Anlass nehmen, hier einen sehr
komplexen Antrag bezüglich einer ökologischen Ver-
kehrswende einzubringen. Wir unterscheiden uns da eben
von Ihnen. Sie meckern hier nur und hacken auf der Öko-
steuer herum,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir haben eine Alternative vorgelegt!)


wohingegen wir die Ökosteuer ebenfalls grundlegend kri-
tisieren, den beiden jetzt vorgesehenen Maßnahmen aber
zustimmen und trotzdem gleichzeitig ein umfassendes
Konzept vorlegen,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist Dialektik! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist ein Widerspruch in sich – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist keine Methode! – Ducken und Mitmachen!)


nach dem beispielsweise, Frau Eichstädt-Bohlig, die Ent-
fernungspauschale in späteren Jahren zurückgeführt wer-
den kann, damit sie eben nicht als Zersiedlungspauschale
wirkt.


(Beifall bei der PDS)

Die Entfernungspauschale allein bremst nicht das An-

wachsen des Autoverkehrs und bringt dem öffentlichen
Verkehr keinen Vorrang. Sie löst auch nicht das Desaster
der Bahn und schafft kein Investitionsprogramm für die
Schiene. Deshalb fordern wir Sie mit unserem Antrag auf,
die gegenwärtige Situation zu nutzen, um diese Schritte
endlich anzugehen.

Zuletzt ein sehr erfreulicher Punkt. Die PDS hatte als
erste und übrigens als einzige Fraktion im Haushaltsaus-
schuss schon vor Wochen beantragt, dass der Heizkos-
tenzuschuss allein vom Bund bezahlt wird. Wir mussten
uns für diesen Antrag beschimpfen lassen – das sind wir
ja gewöhnt – und er wurde abgelehnt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und jetzt haben Sie sich durchgesetzt! Der erste Erfolg der PDS!)


Jetzt machen Sie es doch. Das finde ich hervorragend.

(Beifall bei der PDS)


Ich würde Ihnen aber empfehlen, es auf direktem Wege
zu machen, indem Sie unserem Entschließungsantrag zu-
stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Wie schön!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324700
Als Letzter in dieser
Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Ingrid Arndt-
Brauer von der SPD-Fraktion.


Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1413324800
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir haben
heute ein inhaltlich sehr überschaubares und leicht ver-
ständliches Gesetz vor uns.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Deshalb brauche ich nicht mehr viel dazu zu sagen. Ich
möchte aber noch ein paar Worte auf meine Vorredner
bzw. Vorrednerinnen verwenden.

Es hat mich nicht überrascht, dass Herr Fromme wie-
der auf die Ökosteuer zu sprechen kam.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich bin eben verlässlich!)


– Ja, das war zu erwarten. – Ich darf in diesem Zusam-
menhang kurz Klaus Töpfer zitieren, der gesagt hat:
Wer die Ökosteuer als K.o.-Steuer bezeichnet, hat es nicht




Christine Ostrowski

12871


(C)



(D)



(A)



(B)


verstanden. – Ich möchte dieses Zitat nicht auf Sie per-
sönlich anwenden; aber ich denke, dass es aussagekräftig
ist.


(Beifall bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Aber Herr Fromme versteht das auch nicht!)


Sie haben von einem Reparaturbetrieb gesprochen.
Das trifft in gewisser Weise zu. Aber ich denke, es liegt
daran, dass wir eine Baustelle von Ihnen übernommen ha-
ben, wobei die Grundmauern leider schon standen. Wir
konnten es prinzipiell nicht anders bauen, als es von Ih-
nen angefangen wurde. Ich will nicht alles aufführen, was
wir von Ihnen übernommen haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das haben Sie nun alles selber gemacht, was wir heute verhandeln!)


Wir werden versuchen, das Beste daraus machen.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Versuchen macht klug!)

Ihr Rundumschlag, angefangen bei den 630-Mark-Jobs
bis hin zur Ökosteuer, war deshalb nicht ganz gerechtfer-
tigt.

Ich möchte Ihr Wahlprogramm zitieren – dieser Punkt
ist eben schon angesprochen worden –, in dem steht, dass
es eine Entfernungspauschale von 50 Pfennig ab 15 Kilo-
metern geben soll.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dann stellen Sie es aber bitte in den gesamten Zusammenhang!)


Ich als Münsterländer Radfahrerin und Abgeordnete wäre
damit durchaus einverstanden. Aber die Bürger des Müns-
terlandes, die als Pendler weite Strecken zurücklegen
müssen und die mich ebenfalls in den Bundestag gewählt
haben, um die Interessen dieser Region zu vertreten, kön-
nen damit leider nicht leben. Deswegen ist es sinnvoll,
dass wir die Entfernungspauschale auf 80 Pfennig festle-
gen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie leben besonders gut mit den von Ihnen angehobenen Benzinpreisen! – Walter Hirche [F.D.P.]: Ohne Ökosteuer bräuchten Sie das ganze Theater nicht!)


Das müsste für Sie eigentlich nachvollziehbar sein, weil
Sie teilweise ebenfalls aus ländlichen Regionen kommen
und von den Menschen dort ähnliche Beschwerden hören
können.

Über die Höhe der Entfernungspauschale kann man
streiten. Aber was ich nicht verstehe, ist Ihre Weigerung,
dem Heizkostenzuschuss zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn ich ein wenig mehr Redezeit hätte, würde ich eine
Gedenkminute einlegen, in der Sie einmal an zwei oder
drei kleine Leute, wie Sie sagen, aus Ihrem Wahlkreis
denken können,


(Detlev von Larcher [SPD]: Das können die nicht!)


die Sie in den nächsten Wochen fragen werden: Warum
seid ihr eigentlich dagegen?

Das Problem ist das Folgende: Sie reden immer von der
Ökosteuer auf dem Heizöl. Wir haben einmalig 4 Pfennig
draufgeschlagen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Von der Preistreiberei reden wir und nicht nur von der Ökosteuer!)


Bei einer Tankfüllung für eine Wohnung oder ein kleines
Haus von 2 000 Litern würde sich eine Ersparnis von
80 DM ergeben, wenn wir die Erhöhung um 4 Pfennig
zurücknehmen würden. Wir aber geben den Leuten we-
sentlich mehr.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Welchen Leuten?)


Wir geben ihnen 5 DM Zuschuss pro Quadratmeter. Für
Studenten und Sozialhilfeempfänger macht dies im
Durchschnitt 300 DM aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch den Menschen, die weder Wohngeld noch Sozial-
hilfe empfangen – dazu gehört die Rentnerin, die Sie eben
erwähnt haben –, geben wir einen Zuschuss.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das sind Almosen nach Preistreiberei! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Durch die Wiederholung wird der Quatsch doch nicht besser!)


– Nein, das ist nicht richtig. Sie wissen selber, dass die
Ökosteuer keinen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse
der OPEC hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)


– Wie meine Kollegin gerade sagt: 80 DM sind weniger
als 300 DM.

Der durchschnittliche Heizkostenzuschuss, den die So-
zialhilfeempfänger bekommen, beträgt 300 DM.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch eine Diskriminierung für die meisten! – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Sie bekommen doch nichts, wenn sie kein Wohngeld kriegen!)


Die Anzahl der Haushalte von Sozialhilfeempfängern be-
trägt 1,5Millionen. Sie bekommen, wie gesagt, im Durch-
schnitt 300 DM Heizkostenzuschuss.Da dieser auf die So-
zialhilfe angerechnet wird, kommt er nicht den
Sozialhilfeempfängern direkt – sie zahlen die Miete und
die Heizkosten ja nicht –, sondern den Kommunen zu-
gute. Das heißt, die Kommunen werden durch unseren
Bundeszuschuss um 450 Millionen DM entlastet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die sollen Ihnen auch noch auf Knien dafür danken, ja?)





Ingrid Arndt-Brauer
12872


(C)



(D)



(A)



(B)


– Nein, sie müssen uns nicht auf Knien danken. Denn wir
tun hier unsere Arbeit. Wir tun sie, so gut wir können.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das merkt man! Sie können nämlich nicht mehr!)


Es wäre schön, wenn Sie uns gerade bei diesem Vorhaben
unterstützen würden. Ich denke, das würde auch Ihrer Kli-
entel und Ihren Wählern gut tun.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal die Kommunen, was sie an Ökosteuer zahlen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413324900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ein-
führung einer Entfernungspauschale und zur Zahlung ei-
nes einmaligen Heizkostenzuschusses, Drucksache
14/4435. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/4631, den Gesetzentwurf in den Entwurf eines Geset-
zes zur Einführung einer Entfernungspauschale in der
Fassung der Anlage 1 der Beschlussempfehlung und in
den Entwurf eines Gesetzes zur Gewährung eines einma-
ligen Heizkostenzuschusses in der Fassung der Anlage 2
aufzuspalten und diese beiden Gesetzentwürfe anzuneh-
men.

Wir stimmen zunächst über den Gesetzentwurf zur
Einführung einer Entfernungspauschale in der Ausschuss-
fassung, Drucksache 14/4631, Anlage 1, ab. Ich bitte die-
jenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. ist der Gesetzentwurf damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Ökosteuermannschaft!)


Gegenprobe! –

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Karl-Bräuer-Mannschaft!)

Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf zur Ge-
währung eines einmaligen Heizkostenzuschusses in der
Ausschussfassung, Drucksache 14/4631, Anlage 2, ab.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. ist der Gesetzentwurf in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer

stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen
von CDU/CSU und F.D.P. ist der Gesetzentwurf damit an-
genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/4650. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Gegenprobe! – Mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. ist der Ent-
schließungsantrag abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und b auf:
9 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsver-
träge und zur Änderung und Aufhebung ar-
beitsrechtlicher Bestimmungen
– Drucksache 14/4374 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Karl-Josef Laumann, Dr. Maria Böhmer,
Rainer Eppelmann, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zum Fortbestand befriste-
ter Arbeitsverhältnisse
– Drucksache 14/3292 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard
Schwaetzer, Rainer Funke, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Be-
schäftigungsförderung
– Drucksache 14/4103 –

(Erste Beratung 127. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/4625 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Thönnes

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Horst Seehofer, Peter Rauen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich
und familiengerecht fördern
– Drucksache 14/4526 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.


(Einige Abgeordnete verlassen den Saal)





Ingrid Arndt-Brauer

12873


(C)



(D)



(A)



(B)


– Sie können alle hier bleiben. Das ist ein interessantes
Thema. Das gilt vor allen Dingen für die sozialdemokra-
tische Bundestagsfraktion. Ich erinnere mich an manchen
Kampf um dieses Thema.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für die Unterstützung! – Walter Hirche [F.D.P.]: Frau Präsidentin, man hört die stellvertretende Fraktionsvorsitzende noch!)


– So tragen wir unsere Geschichte mit uns, Herr Kollege.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist wahr!)


Nun eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die
SPD-Fraktion der Kollege Olaf Scholz.


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1413325000
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Heute ist, glaube ich, ein für die Geschichte
der Bundesrepublik ganz bedeutsamer Tag.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja! Klimmt ist zurückgetreten!)


Wir befinden uns nämlich in einem Prozess des Aufho-
lens.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Miserable Rentenreform!)


Wir holen bei europäischen Entwicklungen auf, die die
Bundesrepublik Deutschland über viele Jahre verschlafen
hat und wo es notwendig war, dass wir endlich auf den
Stand der Zeit kommen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr braucht einen neuen Wahlverlierer! Ihr habt noch einen Posten frei!)


In unserem Land haben wir in den letzten Jahren über
Vorbilder diskutiert, die wir nachmachen und deren Er-
fahrungen wir kopieren sollen. Eines dieser Länder, das
immer wieder vorbildhaft erwähnt worden ist, sind die
Niederlande. In den Niederlanden gibt es eine sehr mo-
derne Arbeitsmarktpolitik. In den Niederlanden gibt es
viele Dinge, die zu einer hohen Beschäftigungsquote ge-
führt haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schauen Sie sich das einmal genau an, wie flexibel die sind!)


Ein wichtiger Punkt ist die Teilzeitarbeit. Teilzeitarbeit
ist in den Niederlanden viel mehr ausgeprägt als in unse-
rem Staate. Wie haben die Niederlande das gemacht? Sie
haben im Juli dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet, das
die Teilzeitarbeit für die Beschäftigten mit einem Rechts-
anspruch versieht. Wenn wir uns ansehen, was im No-
vember dieses Jahres im Deutschen Bundestag beschlos-
sen wird, dann stellen wir fest, dass ein Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit in der Bundesrepublik Deutschland be-
schlossen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ende der Vertragsfreiheit!)


Innerhalb von zwei Jahren ist es uns gelungen, einen
16-jährigen Stillstand zu beenden und mit den fortge-
schrittensten Ländern Europas im Bereich der Arbeitszeit
und der Arbeitsmarktpolitik gleichzuziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Neue Reglementierungen! Hervorragend!)


Dabei muss man zugeben, dass die Niederländer natürlich
nicht erst seit Juli einen solchen Rechtsanspruch haben;
sie haben ihn durch Richterrecht schon früher gehabt.
Aber nun gibt es auch ein Gesetz dieser Art. Hier wird im-
mer so provinziell diskutiert. Wir haben uns nun ein Vor-
bild genommen. Viele der gesetzlichen Bestimmungen,
die Sie im Gesetzentwurf finden, stammen aus den Nie-
derlanden und sind, außer dass man sie in die deutsche
Rechtssprache übersetzt hat, identisch.

Insgesamt haben wir, so denke ich, einen Gesetzent-
wurf vorliegen, der sich auf zweierlei Weise mit dem
Thema Flexibilität beschäftigt: Flexibilität, die für den
Arbeitsmarkt wichtig ist, die keine einseitige Angelegen-
heit ist, muss, wenn sie für das arbeitsrechtliche Gesche-
hen und für die Wirklichkeit in den Unternehmen und in
den Betrieben bedeutsam werden soll, für beide Seiten,
also sowohl für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
als auch für die Arbeitgeber, gleichermaßen gelten. Der
eine Teil des Gesetzentwurfes beschäftigt sich mit Flexi-
bilität aus Sicht der Arbeitnehmer. Das ist der Rechtsan-
spruch auf Teilzeit, den wir hier festschreiben. Der zweite
Teil des Gesetzentwurfes beschäftigt sich mit Interessen
hinsichtlich der Flexibilität, die sich aus Sicht der Arbeit-
geber ergeben. Das ist das, was zur befristeten Beschäfti-
gung geregelt wird. Ich glaube, dass das deshalb ein sinn-
voll kombiniertes Gesetz ist, weil es diese beiden Aspekte
beschreibt und sinnvolle, lebenspraktische Regelungen
für die Wirklichkeit in den Unternehmen aufzeigt.

Nun will ich etwas zu den verschiedenen Einwendun-
gen sagen, die gegen den Rechtsanspruch auf Teilzeit-
arbeit vorgebracht worden sind. Ich spreche vor allem der
größten Oppositionsfraktion, der CDU/CSU, ein Lob aus.
Sie hat den heute nicht zur Beratung anstehenden Gesetz-
entwurf „Teilzeitbeschäftigung – wirtschaftsverträglich
und familiengerecht fördern“ vorgelegt. Wenn man sich
ihn ansieht, dann stellt man fest, dass dort nicht unser Weg
gegangen wird. Es wird darin aber festgestellt, dass es ei-
nen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit geben muss. Wir lo-
ben Sie dafür, dass Sie unsere Argumentation unterstüt-
zen. Einen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit soll es
geben. Er ist dort verankert.

Was aber unterscheidet Sie von uns? – Sie sagen, die-
sen Rechtsanspruch soll es nicht für jede Frau und jeden
Mann geben; Sie sagen, es sollen vielmehr nur bestimmte
Bevölkerungsgruppen in bestimmten Fällen die Möglich-
keit haben, diesen Rechtsanspruch durchzusetzen. Das ist
nach all den Erfahrungen, die wir auf dem Arbeitsmarkt
gemacht haben, eine schlechte Lösung. Wenn wir be-
stimmte Bevölkerungsgruppen mit dem Vorteil versehen,
dass für sie besondere arbeitsrechtliche Bedingungen gel-
ten, so birgt das immer auch die Gefahr in sich, dass
sie bei der Einstellung deswegen nicht berücksichtigt




Vizepräsidentin Anke Fuchs
12874


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Darum wäre Ihr Gesetzentwurf in der praktischen
Wirkung, wenn man ihn beschließen würde, ein Gesetz-
entwurf zur Frauendiskriminierung; denn nur sehr fort-
schrittliche Unternehmer würden sich davon nicht ab-
schrecken lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413325100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der will nur seine Redezeit verlängern!)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1413325200
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413325300
Bitte sehr, Herr Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1413325400
Es muss etwas Wichti-
ges gefragt werden. – Herr Kollege Scholz, Sie sind ja
nicht wirklich so naiv, das zu glauben, was Sie gerade ge-
sagt haben. Wie stehen Sie dazu, dass im „Spiegel“ – Heft
45/2000 – zu lesen ist:

Im Ergebnis wird dies
– ihr Gesetz –

dazu führen, dass die Unternehmen künftig schon bei
der Einstellung solche Bewerber aussondern, die
später häufig eine Teilzeitstelle wünschen – wie etwa
Frauen mit Kindern.

Ist nicht bei Ihrem Gesetz die Wirkung genau die gleiche
wie bei dem der CDU/CSU?


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1413325500
Ich glaube, dass auch „Spiegel“-
Redakteure manchmal nicht jeden Satz überdenken, den
sie schreiben. Dieser Satz jedenfalls ist nicht zu Ende ge-
dacht. Es kann und wird nicht so sein, dass man jeman-
dem ansieht, dass er eventuell einen Anspruch auf Teil-
zeitarbeit geltend machen wird – es sei denn, man
unterstellte, dass bestimmte Gruppen von Menschen dies
tun. Wir aber wollen erreichen, dass alle Menschen von
diesem Recht Gebrauch machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte auch noch Folgendes ergänzend sagen: Wir
haben ja den Rechtsanspruch bereits im Zusammenhang
mit dem Erziehungsurlaub geregelt. Das ist eine wichtige
Vorerfahrung. Doch es geht natürlich nicht nur um die Pe-
riode, die dort geregelt ist, sondern um das ganze Leben.
Wir werden auch erreichen müssen, dass fortschrittliche,
moderne Familien die Möglichkeit haben, ihr Arbeitsle-
ben und ihr Berufslebenmiteinander in Einklang zu brin-
gen.

Ich glaube, viele Unternehmen werden uns in ein paar
Jahren dafür loben, dass wir diesen Schritt hier gegangen
sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das glaube ich nicht!)


Denn was soll geschehen? Wenn man zum Beispiel als
Führungskräfte im Unternehmen auf Menschen zurück-
greift, die mit anderen Menschen verheiratet sind oder zu-
sammenleben, die ebenfalls als Führungskräfte infrage
kommen, dann gibt es zwei, die ihre Interessen haben, was
das private Zusammenleben und die berufliche Entwick-
lung betrifft. Das miteinander in Einklang zu bringen,
neue Aushandlungsprozesse möglich zu machen, das al-
les geschieht mit diesem Gesetz. Darum glaube ich, dass
wir eine gute Regelung zustande gebracht haben.

Alle Arbeitgeberinteressen in diesem Zusammenhang
sind berücksichtigt. Wenn es betriebliche Gründe gibt, die
einer solchen Regelung entgegenstehen, dann kann das
eben nicht realisiert werden. Mehr muss man und braucht
man nicht zu regeln. Das ist meines Erachtens sehr sinn-
voll geschehen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Es wird eine Vielzahl von Prozessen über diese Fragen geben!)


– Es wird nicht eine Vielzahl von Prozessen geben, wie
Sie immer sagen. Sie sind viel zu misstrauisch, was die
Kultur und die Rechtskultur in unserem Lande betrifft.
Gesetze werden in unserem Lande – das ist ein Vorzug un-
serer Kultur – meistens befolgt. Nur ein ganz kleiner Teil
von Streitigkeiten – als Anwalt habe ich eine Zeit lang da-
von gelebt –


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Und wahrscheinlich nicht schlecht!)


wird vor Gericht ausgetragen. Die meisten Menschen hal-
ten sich einfach an die Gesetze.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber nur, wenn sie sinnvoll sind!)


Insofern wird dieses Gesetz auch meinungsbildend wir-
ken.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Arbeitgeber vor den Kadi – das ist Ihr Prinzip!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413325600
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?


Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1413325700
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413325800
Danach bitte ich, von
Zwischenfragen abzusehen. Dann machen wir in unserer
Debatte weiter. – Herr Hinsken, bitte sehr.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1413325900
Herr Kollege Scholz,
Sie erwecken hier den Eindruck, als wenn Sie von dem
Geschehen in den Betrieben viel verstehen würden. Ich
möchte Sie einmal konkret fragen, wie das bei einem Be-
trieb ist, der bereit ist, den einen oder anderen Arbeitneh-
mer auf dessen Wunsch hin auf Teilzeit zu setzen und der
dann plötzlich feststellt, dass die Aufträge mehr werden
und er wieder Vollzeitbeschäftigte benötigt. Kann er dann
den Arbeitsplatz wieder umwandeln, ihn länger beschäf-
tigen, um der Auftragslage gerecht zu werden, oder nicht?




Olaf Scholz

12875


(C)



(D)



(A)



(B)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1413326000
Nein, er kann das nicht. Wir leben
nämlich in einem Land, das es durch sein Grundgesetz
verbietet, jemanden zu einer Arbeit zu zwingen, zu der er
sich vertraglich nicht verpflichten möchte.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Arbeitgeber hat bei Ihnen überhaupt keine Rechte mehr! Sie belasten das Betriebsklima!)


Aber es gibt die Möglichkeit: mit den Beschäftigen darü-
ber zu reden, ob sie ihre Arbeitszeit wieder ausweiten
möchten, zu sehen, ob unter den anderen Teilzeitbeschäf-
tigen jemand ist, der das möchte, oder jemanden neu ein-
zustellen. Es gibt also genügend flexible Reaktionsmög-
lichkeiten. Da muss das Gesetz keine Zwangsregelung zur
Mehrarbeit beinhalten, wie Sie das offenbar vorschlagen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Keine Ahnung von dem, was da passiert!)


Ich glaube auch – vielleicht sollte ich das noch ergän-
zend zu Ihrer Frage sagen –, dass man nicht unterstellen
sollte, Arbeitgeber kämen mit ihren Arbeitnehmern nur
klar, wenn sie sie zwingen können. Die meisten Arbeitge-
ber, die ich kenne, sind solche, die das auch ohne Zwang
hinbekommen. Ich glaube, auch das gehört zu unserem
Lande.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie setzen doch auf Zwang!)


Der zweite Teil des Gesetzes beschäftigt sich mit der
Befristung. Hier ist etwas geregelt, was 1985 seinen ers-
ten Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden hat, und
ich will gerne zugeben, dass wir uns damals sehr ge-
fürchtet haben.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Damals waren Sie dagegen!)


Wir haben uns gefürchtet, weil wir annehmen mussten,
die Etablierung einer sachgrundlosen Befristung in unse-
rem Arbeitsrecht könne dazu führen, dass immer mehr Ar-
beitsverträge nur als befristete Verträge ausgestaltet wer-
den. Wenn man das alles betrachtet, muss man im
Nachhinein sagen, dass das nicht eingetreten ist. Die Zahl
der befristeten Arbeitsverträge hat trotz des Beschäfti-
gungsförderungsgesetzes und aller seiner Regelungen
nicht zugenommen. Das hat uns ermutigt, den vielfältigen
Wünschen nachzukommen und zu sagen: Wir wollen das
Beschäftigungsförderungsgesetz in dem Teil der Mög-
lichkeit einer sachgrundlosen Befristung verlängern, weil
wir sagen: Es hat diese schlechten Wirkungen nicht ge-
habt und es ist ein unbürokratisches Flexibilitätsinstru-
ment für Arbeitgeber gewesen. Schließlich hat das man-
chen Beschäftigtengruppen überhaupt erst den Eintritt in
das Berufsleben ermöglicht.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber dazu haben Sie 15 Jahre gebraucht, um das zu begreifen!)


Wir werden dieses Gesetz, das auch Sie immer zur Er-
probung verlängert haben, jetzt endgültig beschließen und
werden den Missbrauch, der sich mit diesen Regelungen
verbunden hat, endgültig und wirksam unterbinden. Es ist

eine gute Reaktion auf all die Erfahrungen, die man seit
1985 machen konnte, dass die langen Befristungsketten,
die einige wenige Arbeitgeber unter dem Deckmantel des
Beschäftigungsförderungsgesetzes realisiert haben,
endgültig durchbrochen werden. Manche haben es näm-
lich tatsächlich so gemacht, dass sie Beschäftigte zwei
Jahre mit einer sachgrundlosen Befristung beschäftigt ha-
ben, sie dann fünf Monate als Urlaubsvertretung einge-
setzt haben, was eine sachlich begründete Befristung ist,
dann für zwei Jahre wieder zu einer sachgrundlosen Be-
fristung übergegangen sind, dann sie als Schwanger-
schaftsvertretung eingesetzt haben, danach sie wieder mit
einer sachgrundlosen Befristung beschäftigt haben usw.

Weil alle diese Missbrauchsmöglichkeiten natürlich
nicht zugelassen werden sollen, haben wir jetzt einen Weg
gefunden, dies in dem Gesetz zu unterbinden, indem man
nur bei einer Neueinstellung die Möglichkeit hat, eine sol-
che sachgrundlose Befristung zu wählen. Ansonsten ist
man auf das angewiesen, was seit Anfang der 50er-Jahre
in unserem Arbeitswesen immer möglich gewesen ist,
nämlich Menschen befristet zu beschäftigen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Was sagt der Sachverständigenrat dazu?)


Ich habe mit Millionengehältern im Jahr bezahlte Un-
ternehmensvorstände gesehen, die sich beklagt haben, es
sei nach dem neuen Gesetzentwurf nicht mehr möglich,
jedes Jahr im Dezember zu Weihnachten immer dieselben
Verkäuferinnen, die damit einverstanden waren, befristet
zu beschäftigen. – So ein Quatsch! Da geht natürlich im-
mer noch. Das ging bis 1985. Aber einige haben zwi-
schenzeitlich vergessen, dass es unser Recht schon immer
zuließ, eine befristete Beschäftigung mit einem sachli-
chen Grund zu rechtfertigen. Deshalb ist diese Behinde-
rung, die einige in dem neuen Gesetz vermuten, gar nicht
gegeben. Es wäre hilfreich, wenn sich die Leute noch ein-
mal anschauten, was in unserem Gesetz wirklich steht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir im Übrigen auch sehr viel Ser-
vicearbeit für die Bürgerinnen und Bürger geleistet haben.
Es kommt bei der Gesetzgebung auch darauf an, dass man
den Menschen, die kein Jurastudium hinter sich gebracht
haben, die Möglichkeit gibt, mit den Gesetzen umzuge-
hen. Die meterdicke Rechtsprechung zur befristeten Be-
schäftigung durch das Bundesarbeitsgericht kann man
nicht jemandem empfehlen, der sich fragt: Soll ich dort
nun arbeiten oder nicht bzw. soll ich ihn nun einstellen
oder nicht?


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das wird durch Ihr Gesetz nicht besser, sondern schlimmer! – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was meinen Sie, was die bei Teilzeit zu tun bekommen?)


Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes über die
Möglichkeiten einer sachlich begründeten Befristung sind
ins Gesetz geschrieben worden. Das ist eine Hilfe, weil
man nur noch in dieses Gesetz schauen muss.

Auch sind die an vielen Stellen durcheinander gerate-
nen Vorschriften darüber, was bei einem Streitfall passiert






(C)



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(A)



(B)


und welche Formvorschriften dabei einzuhalten sind, im
Gesetz geordnet. Ich glaube, auch das ist eine sinnvolle
Ergänzung, die unser Arbeitsrecht dringend benötigt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zu dem zurück, was ich eingangs versucht
habe darzustellen: Die Bundesrepublik Deutschland hat
hinsichtlich eines modernen Arbeitsrechts einen deutli-
chen Rückstand in Europa. Wir liegen hinter anderen Län-
dern zurück, die wir – das kann man in den Sonntagsre-
den aller Parteien hören – immer bewundern. Jetzt ist eine
Regierung angetreten, die gesagt hat: Wir wollen den eu-
ropäischen Standard erreichen. Wir haben uns bei der
Frage der modernen Arbeitszeitregelung an das nieder-
ländische Vorbild mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitar-
beit angekoppelt. Wir haben eine die Arbeitnehmer
schützende und die Unternehmen mit ausreichender
Flexibilität versehende Regelung für die befristete Be-
schäftigung gefunden.

Wundern Sie sich nicht – Sie werden damit noch öfter
konfrontiert werden –, dass wir auf dem Niveau Europas
angekommen sind. Bedauern Sie nicht, dass wir nicht
weiter mit Ihnen zurückbleiben wollen. Das ist nicht un-
sere Absicht.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413326100
Ich erteile der Kolle-
gin Brigitte Baumeister, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Brigitte Baumeister (CDU):
Rede ID: ID1413326200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Scholz, wenn ich die fünf Weisen von gestern
richtig im Ohr habe, dann glaube ich, dass diese an Ihrem
Entwurf wenig Freude haben werden. Das große Erwa-
chen wird mit Sicherheit noch kommen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie wissen, was sie zu Ihren Vorschlägen gesagt haben?!)


Wer gehofft hatte, in dem Gesetzentwurf weniger statt
mehr Regulierungen zum Arbeitsmarkt vorzufinden, der
sieht sich enttäuscht; denn wir haben wesentlich mehr Re-
gulierungen. Das ist der Grund, weshalb die CDU/CSU-
Fraktion diesen Entwurf der Bundesregierung ablehnt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Richtig ist: Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsver-
träge sind ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der
Beschäftigungssituation. Über 6 Millionen Arbeitnehmer
sind teilzeitbeschäftigt und rund 2,8 Millionen Arbeitneh-
mer haben ein befristetes Arbeitsverhältnis. Auch wir
sprechen uns für eine Erweiterung der Teilzeitarbeit aus.
Nur – das haben Sie zu Recht bemerkt und wir bedanken
uns recht herzlich für Ihr Lob –, wir wollen das mit einer
verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und Familie ver-
knüpfen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung will die Be-
schäftigung fördern, und dies besonders bei Frauen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU], an die SPD gewandt: Unser Entwurf ist in Ordnung! Er ist begründbar! Eurer nicht!)


Vollzeitbeschäftigte und Teilzeitbeschäftigte sollen künf-
tig gleichgestellt werden. So soll eine unterschiedliche
Bezahlung bei gleicher Tätigkeit ausgeschlossen sein.
Auch die Möglichkeit der Aus- und Weiterbildung soll ge-
geben sein.

Das Wichtigste ist der einklagbare Rechtsanspruch.
Ihn lehnen wir ab. Arbeitnehmer, die länger als sechs Mo-
nate zum Betrieb gehören, sollen künftig einen rechtli-
chen Anspruch auf die Verringerung ihrer vertraglichen
Arbeitszeit haben. Dabei soll es ausreichen, wenn die Mit-
arbeiter ihrem Arbeitgeber die Absicht drei Monate im
Voraus kundtun. Dies kann nur abgelehnt werden, wenn
dem betriebliche Gründe entgegenstehen. Dazu gehören
zum Beispiel Organisationsfragen, Planungssicherheit im
Betrieb und unverhältnismäßig hohe Kosten. Ein Veto
kann das Unternehmen zudem einlegen, wenn partout
kein passender Ersatz gefunden wird, wobei die Beweis-
last freilich beim Arbeitgeber liegt. Ich denke, da werden
schöne Verhältnisse auf uns zukommen.

Ansonsten sind die Tarifpartner gefordert; denn sie sol-
len nach den Vorstellungen der Bundesregierung die Aus-
schlussgründe im Detail festlegen. Ich kann mir heute
schon lebhaft vorstellen, zu welchen Diskussionen dies in
den einzelnen Betrieben führen wird.

Freie Stellen müssen innerbetrieblich oder öffentlich
auch als Teilzeitarbeitsplätze ausgeschrieben werden.
Teilzeitbeschäftigte, die auf eine freie Vollzeitstelle wech-
seln wollen, sind bevorzugt zu behandeln. – So der Ge-
setzentwurf.

Nun freue ich mich natürlich, dass Sie einen Ände-
rungsantrag eingebracht haben, der zumindest diese Wi-
drigkeit in gewisser Weise abmildert.

Kritik an dem Gesetzentwurf kommt von uns, weil die
Unternehmen belastet werden und weil Ihr Gesetzentwurf
– das ist eben nicht richtig, da Sie das Gegenteil gesagt ha-
ben – weit über die EU-Richtlinien hinausgeht, verehrter
Herr Kollege Scholz.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Allerdings. Da ist von freiwilliger Basis die Rede!)


Das Gesetz, von dem sich die Bundesregierung einen
weiteren Teilzeitschub verspricht, entpuppt sich bei nähe-
rem Hinsehen als Bremse für Produktion und Beschäfti-
gung. Denn der Gesetzentwurf trifft die Unternehmen an
drei – so meine ich – ganz empfindlichen Stellen. Das
Erste ist der Produktionsablauf; ich denke hier nur an
Schichtarbeit. Das Zweite ist der Personaleinsatz; nicht
jeder Mitarbeiter ist ohne weiteres ersetzbar.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)


Zum Dritten denke ich, die Firmen werden bei der
Kapazitätsplanung vermehrt dazu übergehen, dass sie
Überstunden anordnen und keine neuen Arbeitnehmer
einstellen. So wird Ihr Gesetz ganz klar unterlaufen.




Olaf Scholz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Die Expertenanhörung hat ergeben, dass der uneinge-
schränkte Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit das gravie-
rende Problem schlechthin ist. Der Rechtsanspruch be-
reits nach sechs Monaten – in den Niederlanden erst nach
12 Monaten – vorzusehen bedeutet einen Eingriff in die
Vertragsfreiheit und in die unternehmerische Entschei-
dungshoheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt einen Reduzierungsanspruch bereits nach Ablauf
der Probezeit, wobei weder Arbeitgeber noch Arbeitneh-
mer wissen, ob sich der Arbeitnehmer tatsächlich nach
Ende der Probezeit voll in den Produktionsprozess inte-
grieren kann. Auch ist nicht akzeptabel, dass der Verrin-
gerungsanspruch völlig unbegrenzt ist. Er liegt – von
0 Prozent bis 99 Prozent – völlig frei im Belieben des Ar-
beitnehmers.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Ja, er ist nicht ausgewogen!)


Einer der wesentlichen Kritikpunkte der Sachverstän-
digen ist, dass der Teilzeitarbeitnehmer de facto besser ge-
stellt wird. Hier möchte ich noch einmal auf das Beispiel
der Niederlande zu sprechen kommen, das Sie angespro-
chen haben, Herr Kollege Scholz. Ich glaube nicht, dass
man das vergleichen kann; denn das ist ein Vergleich zwi-
schen Äpfeln und Birnen. Denn Sie wissen erstens, dass
die Tradition in den Niederlanden eine völlig andere ist,
und zweitens gibt es dort eine Grundrente. Daraus be-
gründet sich auch dieses völlig veränderte Verhalten.

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt ist, dass eine
Vielzahl arbeitsrechtlicher Verpflichtungen und mitbe-
stimmungsrechtlicher Regelungen von der Zahl der im
Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer abhängt.
Dazu zählen bekanntlich auch Teilzeitkräfte. Die Arbeit-
nehmer haben es in bestimmten Konstellationen selbst in
der Hand, die Betriebsgröße zu bestimmen und dem Ar-
beitgeber damit andere arbeitsrechtliche Rahmenbedin-
gungen aufzuzwingen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das ist ein Skandal!)


Dies betrifft zum einen die Zahl der freigestellten Be-
triebsratsmitglieder und zum anderen die Schwellenwerte
nach den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen.

Die Folge ist, dass arbeitsrechtliche Regelungen ihre
verfassungsrechtliche Legitimation verlieren. Dies könnte
man auch unter dem Stichwort Manipulation einordnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, jede Stelle bei der
Ausschreibung auf ihe Eignung als Teilzeitbeschäftigung
hin überprüfen zu müssen, ist zum Glück nicht mehr vor-
gesehen. Trotzdem bedeutet dieser Gesetzentwurf nach
meiner Auffassung für den Arbeitgeber einen Verlust der
Organisationshoheit und eine zusätzliche bürokratische
Maßnahme.

Zudem beschäftigt mich die Frage, wer über die Mög-
lichkeit einer Teilzeitarbeit entscheidet, wenn mehrere Ar-
beitnehmer Teilzeit arbeiten wollen. Wer legt die Krite-

rien fest, gibt es eine Sozialauswahl und – wenn ja – wie
funktioniert diese? Nach meiner Erfahrung funktioniert
Teilzeitarbeit nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer
eine einvernehmliche Klärung herbeiführen; weil der Ar-
beitgeber auf den Arbeitnehmer nicht verzichten will,
wird er versuchen, zu einer einvernehmlichen Lösung zu
kommen. Wir setzen auf Freiwilligkeit und auf flexible
Vereinbarungen. Wir wollen – das haben Sie richtig er-
kannt – mehr Teilzeitarbeit zur Betreuung von Kindern,
für Beschäftigte, die schwer pflegebedürftige Angehörige
betreuen, sowie für Arbeitnehmer mit Erwerbsminderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte nun noch kurz auf die befristeten Arbeits-

verhältnisse eingehen: Diese sind – wenn ich mich recht
erinnere – 1985 zur Flexibilisierung der Arbeitswelt und
zur Abdeckung saisonaler Arbeitsspitzen ermöglicht wor-
den. Dies hat auch die Bundesregierung erkannt und des-
halb steht sie – im Gegensatz zu den Gewerkschaften – zu
der gesetzlichen Regelung. Allerdings wollen Sie von der
Koalition die Möglichkeit befristeter Arbeitsverhältnisse
einschränken und haben in diesem Zusammenhang, Herr
Kollege Scholz, von einem Missbrauch gesprochen. Ei-
nen solchen kann ich nicht erkennen. Ich denke, dass es
höchstens in ganz wenigen Bereichen – auch Sie haben
das zum Glück betont – einen Missbrauch gegeben hat.
Dies rechtfertigt es aber nicht, die gesetzlichen Möglich-
keiten derart zu beschränken, wie Sie es getan haben.

Kernpunkte Ihres Entwurfs sind die Gleichbehandlung
befristet beschäftigter Arbeitnehmer mit unbefristet Be-
schäftigten. Es ist klar, dass die Befristung eines Arbeits-
vertrages grundsätzlich eines sachlichen Grundes bedarf.
Ohne Vorliegen eines solchen sachlichen Grundes ist eine
Befristung nur bei Neueinstellungen oder dann möglich,
wenn der Arbeitnehmer älter als 58 Jahre ist.

Es gibt eine Informationspflicht des Arbeitgebers so-
wie die Pflicht, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu
ermöglichen. Unsere Kritik bezieht sich auf die vermehrte
Reglementierung und zunehmende Bürokratisierung so-
wie die zu erwartenden Mehrkosten; ich denke dabei, wie
gesagt, an die Informationspflichten, an die Pflicht zur Er-
möglichung von Weiterbildungsmaßnahmen sowie die
Pflicht, Personalakten jahrzehntelang aufbewahren zu
müssen.

Eine Untersuchung von Infratest zum Beschäftigungs-
förderungsgesetz kam zu dem Ergebnis, dass der wesent-
liche Effekt der Beschäftigungsförderung gerade in einer
erleichterten rechtlichen Handhabung besteht. Der Effekt
des geplanten Gesetzes wird sein, dass die Arbeitgeber
vermehrt auf Überstunden ausweichen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Genauso wird es sein!)


Sinn und Zweck des ursprünglichen Gesetzes war es, den
Unternehmern bei einer veränderten Auftragslage und bei
Spitzenlasten mehr Flexibilität zu ermöglichen. Genau
diesen Aspekt berücksichtigt der vorliegende Gesetzent-
wurf nicht.

Nach der bisherigen Ausgestaltung ergab sich zudem die
Chance, bei zusätzlich eingestellten Mitarbeitern zunächst




Brigitte Baumeister
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(B)


zu beobachten, wie sie sich in den Betriebsablauf integrie-
ren, und – ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen –
Arbeitslosen die Möglichkeit einer erneuten Beschäftigung
zu geben. Ich wiederhole mich hier, wenn ich sage, dass ich
in großen Betrieben meines Wahlkreises erfahre, dass durch
die Möglichkeit befristeter Arbeitsverhältnisse durchaus
eine Reihe von unbefristeten Arbeitsverhältnissen entstan-
den ist.

Die Befürchtung, dass in großem Umfang Befristun-
gen ausgesprochen werden, um Stammpersonal durch be-
fristet beschäftigte Arbeitnehmer zu ersetzen, kann ich
nicht nachvollziehen. Denn der Anteil der befristet Be-
schäftigten ist seit 1992 kaum gestiegen, auch nicht in
Ostdeutschland.

Dass kaum von einer großflächigen Umwandlung von
unbefristeten Arbeitsverträgen die Rede sein kann, zeigt
auch die Differenzierung nach Altersgruppen. Diese ha-
ben zum Großteil Jüngere. Wenn ich darauf hinweise,
dass aus jedem zweiten befristeten Arbeitsvertrag ein
Vollzeitarbeitsvertrag wurde, so spricht dies für sich.

Ich bin auch der Überzeugung – damit komme ich zum
Schluss –, dass die Herabsetzung der Altersgrenze von 60
auf 58 Jahre an der Praxis kaum etwas ändern wird.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Da hätten Sie sich eigentlich schon etwas Besseres ein-
fallen lassen müssen. Ich plädiere nachhaltig dafür, auf
55 Jahre zu gehen.

Kurzum: Wir lehnen den Gesetzentwurf sowohl hin-
sichtlich der Teilzeit als auch hinsichtlich der Befristung
ab. Ich denke, dass mit unserem Entschließungsantrag ein
Zeichen dafür gesetzt wird, dass wir etwas für Familien
tun, dass wir etwas für die Pflegebedürftigen tun und dass
wir etwas für diejenigen tun, die Erwerbsminderung er-
fahren haben. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem
Entschließungsantrag zu!


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413326300
Das Wort hat nun die
Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413326400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz über
Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge war in den
letzten Tagen doch wieder sehr umstritten. Beispielsweise
ist der Sachverständigenrat als Kronzeuge aufgerufen
worden, um am Modernisierungskonzept der Bundesre-
gierung Kratzer zu entdecken. Frau Baumeister, Sie haben
es gerade zitiert. Der Sachverständigenrat setzt Sie mit
dem Vorschlag, den Sie gemacht haben, aber auf die glei-
che Schulbank, auf die er uns setzen will.


(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber nicht die F.D.P.! Wir sind sauber!)


Er bescheinigt Ihnen, dass es als Folge Ihres Vorschlages
zur Diskriminierung von Frauen käme. Sie sollten an der
Stelle ganz still sein und nicht den Sachverständigenrat

aufrufen, um für sich Reklame zu machen. Ich sage Ihnen
auch aus unserer Perspektive: Sie brauchen sich nicht zu
grämen. Der Sachverständigenrat war beispielsweise ur-
sprünglich auch gegen die Ökosteuer und hat sie heute als
ein Konzept der Modernisierung erkannt und sogar dazu
aufgefordert, sie einzuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber nicht so, wie sie gemacht ist! Das Prinzip vielleicht, aber nicht die Methode!)


Der Sachverständigenrat ist lernfähig – und ich hoffe,
auch die Arbeitgeber.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Nicht jeder im Sachverständigenrat ist unbedingt weise!)


Die Arbeitgeber haben, denke ich, diese Debatte mit ih-
rer Kritik sehr überhöht. Wir haben das auch in der An-
hörung erfahren. Da wurde beispielsweise vonseiten der
BDA angedroht, diejenigen, die quasi teilzeitverdächtig
sind, zukünftig nicht mehr einzustellen, zu diskriminie-
ren. Das, meine Damen und Herren, erinnert eher an die
20er-Jahre, in denen es schwarze Listen gab, damals al-
lerdings nicht für so genannte Teilzeitverdächtige, son-
dern für Gewerkschaftsmitglieder. Ich glaube, in der De-
batte wird wirklich gnadenlos übertrieben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen alle, dass flexible Arbeitszeit, dass Zeit-

souveränität und auch Teilzeit – sie gehört dazu –
Merkmale einer modernen Arbeitsgesellschaft und nicht
rückwärts gewandt sind. Der Sachverständigenrat bei-
spielsweise bestätigt, dass sowohl Globalisierung als auch
technischer Fortschritt dazu führen werden, dass die Teil-
zeitarbeit zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wenn wir
die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise mit
Holland vergleichen, sehen wir, dass wir wirklich sehr
großen Nachholbedarf haben. Das ist ein Grund für die
Regelung, die wir vorschlagen.

Ich möchte deswegen an einen Sachverständigen erin-
nern, den wir bei der Anhörung im Ausschuss gehört ha-
ben. Das war ein holländischer Vertreter. Er hat darauf
aufmerksam gemacht, dass man sich in Holland fragt –


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In den Niederlanden!)


– in den Niederlanden, Herr Kollege, Sie haben Recht –,
ob Unternehmer wirklich auf der Höhe der Zeit sind,
wenn sie gesetzliche Regelungen zur Teilzeitarbeit ableh-
nen, ob sie wirklich auf der Höhe der Zeit sind, wenn sie
nicht erkennen, welch ökonomischer Vorteil in der Teil-
zeitarbeit liegt, auch in der zusätzlichen Motivation, die
bei den Arbeitskräften durch sie ausgelöst wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen: Moderne Arbeitgeber in der Bundesrepu-
blik Deutschland haben das selbst erkannt und finden
schon freiwillige Lösungen.

Wer als Unternehmer in einer modernen Gesellschaft
– zu Recht – Flexibilität von seinen Arbeitskräften fordert,
muss selber flexibel genug sein, um Zeitsouveränität in




Brigitte Baumeister

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(D)



(A)



(B)


den Betrieben möglich zu machen. Wir haben am Beispiel
Holland gesehen, dass es möglich ist. Dort arbeiten immer
mehr Männer teilzeit. Die Beschäftigungseffekte sind po-
sitiv.

Eben ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir
Änderungen – dieses Recht hat auch die CDU/CSU bei
ihrem Entwurf wahrgenommen – an unserem Gesetzent-
wurf vorgenommen haben. Selbstverständlich ist das Di-
rektionsrecht der Arbeitgeber bezüglich der Bestimmung
der Arbeitszeit erhalten. Wir haben Klarstellungen und
Vereinfachungen vorgenommen. Dadurch ist das Gesetz
handhabbarer geworden.

Das Gleiche gilt für den Teil des Entwurfs zu den be-
fristeten Arbeitsverträgen. Wir sind – das zeigen die Er-
fahrungen – in der Bundesrepublik Deutschland schon
aus ökonomischen Gründen auf die Möglichkeit der Be-
fristung von Arbeitsverhältnissen angewiesen, aber
auch deshalb, weil befristete Arbeitsverhältnisse einen
Einstieg für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt sein können.
In über 50 Prozent der Fälle wird ein befristetes
Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis
umgewandelt. Das ist für die Arbeitslosen eine gute
Brücke, um in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Deswegen
erhalten wir die Möglichkeit der Befristung von Arbeits-
verhältnissen. Wir haben allerdings dem Wildwuchs
– Stichwort: Kettenverträge – einen Riegel vorgeschoben.
Darüber hinaus haben wir mit unseren Änderungen Klar-
stellungen vorgenommen und Regelungen zur Entbüro-
kratisierung eingebracht. Wir haben insbesondere mit der
Regelung der Schriftform für eine Klarstellung gesorgt,
die eine Erleichterung für die Arbeitgeber ist.

Abschließend möchte ich sagen: Wir dürfen es uns
nicht zu einfach machen und behaupten, eine moderne Ar-
beitsgesellschaft entstehe dann, wenn wir viel und mög-
lichst überall deregulieren. Ich erinnere nur an den Be-
reich der Frauenerwerbstätigkeit. In der Verfassung ist
schon seit langem die Gleichberechtigung der Frauen ver-
ankert. Trotzdem mussten wir mit Frauenförderplänen
Druck machen, weil Frauen ansonsten nicht in die ent-
sprechenden Positionen gekommen wären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ähnliches gilt vermutlich auch bei der Teilzeitarbeit.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der nicht mehr der
vollzeit erwerbstätige Mann dominiert. Dieses Bild
gehört in die Mottenkiste. Wir wollen eine flexible Ar-
beitsgesellschaft sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1413326500
Für die F.D.P.-Frak-
tion hat das Wort der Kollege Dr. Heinrich Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1413326600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mir stehen nur dreieinhalb
Minuten Redezeit zur Verfügung, aber ich habe Stoff für
30 Minuten. Deswegen möchte ich meine Ausführungen
stichwortartig gestalten.

Ich finde, Dauer und Uhrzeit dieser Debatte sind der
Bedeutung des Themas in keiner Weise angemessen, weil
die hier zur Verabschiedung stehenden Gesetze einen
wichtigen Einschnitt in die Praxis der Unternehmen un-
seres Landes bedeuten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir haben vorhin 45 Minuten über die Hauptstadtkultur-
förderung debattiert. Jetzt hält es noch nicht einmal ein
Vertreter der Bundesregierung für notwendig, das Wort zu
ergreifen. Die Regierung geht auf Tauchstation. Das finde
ich unerträglich.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vielleicht scheuen Sie eine breitere Öffentlichkeit auch

deshalb, weil Ihr Gesetz eine neue Flut an bürokrati-
schen Vorschriften für die Unternehmen mit sich bringt.
Ich bräuchte mindestens zehn Minuten, um die 15 neuen
Vorschriften aufzuzählen, die regulierend wirken, vom § 7
Abs. 1 bis hin zum § 20. Ich möchte die Unausgewo-
genheit Ihres Gesetzentwurfes beispielhaft am § 8 Abs. 5,
den Sie geändert haben, deutlich machen. Der Arbeitge-
ber habe die Pflicht, seine Entscheidung über den Wunsch
des Arbeitnehmers, die Wochenarbeitszeit zu verringern,
diesem spätestens vier Wochen vor dem Beginn der Ver-
ringerung schriftlich mitzuteilen. Eine Pflicht seitens des
Arbeitsgebers zur Mitteilung bestehe auch hinsichtlich
der Verteilung der Wochenarbeitszeit.

Der Arbeitnehmer hingegen kann jederzeit, ohne die
Schriftform einzuhalten, seinen Anspruch auf Teilzeitar-
beit anmelden. Das heißt, wenn ich als Arbeitgeber dem-
nächst durch meinen Betrieb gehe, muss ich immer mein
Notizbuch für den Fall dabei haben, dass mir ein Arbeit-
nehmer zuruft: Ab 1.April nächsten Jahres arbeite ich nur
noch 30 Stunden und mittwochs gar nicht. Ich muss dann
daran denken, dass ich als Arbeitgeber dem Arbeitnehmer
spätestens vier Wochen vor dem 1. April meine Entschei-
dung über seinen Wunsch, die Arbeitszeit zu verringern,
mitteile. Wenn ich das nicht tue, hat der Arbeitnehmer au-
tomatisch einen Anspruch auf die von ihm gewünschte
Verringerung der Arbeitszeit. Das halte ich für vollkom-
men unangemessen.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Bürokratische Strangulierung der Betriebe!)


– Ganz genau!
Sie gehen weit über das hinaus, was die EU gefordert

hat; denn die EU hat vorgeschlagen, die Teilzeitarbeit auf
freiwilliger Basis zu fördern. Sie haben einen vollkom-
men anderen Weg eingeschlagen. Deshalb bekommen Sie
von vielen Verbänden Gegenwind, wenn ich etwa an die
Stellungnahme des Bundesverbandes Druck denke, in der
festgestellt wird: Wenn die jetzige Regelung tatsächlich
umgesetzt wird, würden die Folgen eines geltend ge-
machten Teilzeitanspruchs in 80 Prozent der Betriebe al-
lein durch Mehrarbeit der Mitarbeiter aufgefangen wer-
den, da eine Einstellung zusätzlicher Fachkräfte nicht
realisierbar ist. Es gibt Branchen, in denen der Arbeits-
kräftemarkt einfach leergefegt ist. Das muss man auch
einmal ganz deutlich sagen.




Dr. Thea Dückert
12880


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn Sie nicht auf den „Spiegel“ und nicht auf die Ar-
beitgeberverbände hören wollen, dann frage ich Sie:
Warum hören Sie nicht wenigstens auf den Sachverstän-
digenrat? Dieser hat Ihnen, das muss man hier sehr deut-
lich sagen, eine Ohrfeige erteilt, indem er Ihnen Folgen-
des sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben hat – ich
muss das hier zitieren; er hat von der desolaten Lage auf
dem Arbeitsmarkt gesprochen –:

Der von der Bundesregierung geplante gesetzliche
Anspruch auf Teilzeitarbeit sowie auf Rückkehr auf
einen Vollzeitarbeitsplatz ist bedenklich – nicht nur,
dass der Arbeitsvertrag mit einem zusätzlichen Ri-
siko behaftet wird; die Möglichkeit, Wünsche aus be-
trieblichen Gründen abzulehnen, wird zu arbeitsge-
richtlichen Auseinandersetzungen führen.

Ihr Gesetz ist also ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für
Anwälte und nichts anderes.


(Beifall bei der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Genau so ist es!)


Diese Ohrfeige des Sachverständigenrates spricht für
sich. Zum Schluss meiner Rede – mehr Zeit habe ich lei-
der nicht – möchte ich aus einem Brief meiner ortsansäs-
sigen Volksbank zitieren, die geschrieben hat, dass sie
Teilzeitarbeit bisher freiwillig gefördert haben, dass ein
Anteil von 23 Prozent an ihrem gesamten Mitarbeiterbe-
stand auf Teilzeitbeschäftigte entfällt und dass sie damit
weit über dem Durchschnitt liegen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413326700
„Dies alles

haben wir bisher freiwillig getan und stehen deswegen Ih-
rer Absicht, eine so genannte Teilzeitgarantie einzu-
führen, ablehnend gegenüber. Denn sie nimmt uns auch in
diesem Bereich unsere unternehmerische Freiheit.“ Das
ist das ganze Problem Ihres Ansatzes.


(Walter Hirche [F.D.P.]: Genau so ist es!)

Sie haben immer noch nicht kapiert, dass man Arbeits-
plätze nicht mit Gesetzen schaffen kann, sondern dass
letztendlich nur Unternehmen – besser: Unternehmer –
Arbeitsplätze schaffen,


(Zuruf von der SPD: Wir schaffen wenigstens welche! Das ist Ihnen nicht gelungen!)


und zwar dann, wenn man ihnen die Freiheit dazu lässt
und wenn es sich für sie lohnt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Walter Hirche [F.D.P.]: Rot-Grün kennt nur zentralistische Vorlagen! Alles strangulieren!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413326800
Letzter Redner dieser
Debatte ist der Kollege Dr. Klaus Grehn für die PDS-
Fraktion.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1413326900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit
ist ein richtiger Ansatz. Er wird von den Gewerkschaften

gefordert und von der PDS seit langem unterstützt. So
weit, so gut. Dem können wir folgen. Das Gleiche gilt für
das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitarbeit und
befristeten Arbeitsverhältnissen. Wenn Sie diese Festle-
gung allerdings anschließend gleich wieder aushöhlen, in-
dem Sie beispielsweise die Formulierung verwenden,
dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung
rechtfertigen, dann ist das wenig wirksam.


(Erika Lotz [SPD]: Warten Sie einmal ab!)

Denn Sie sagen nicht, welche sachlichen Gründe die Un-
gleichbehandlung rechtfertigen und wer den Inhalt dieser
sachlichen Gründe bestimmt. Sie haben ihn nicht be-
stimmt.

Deshalb kritisieren wir an diesem Gesetzentwurf, dass
Sie dem Recht auf Teilzeitarbeit kein Recht auf Rück-
kehr zur Vollzeitarbeit gegenüberstellen. Stattdessen
enthält der Gesetzentwurf die bevorzugte Berücksichti-
gung des Wunsches. Von einem klaren Rechtsansatz ist
das weit entfernt. Das ist Gummi, das ist Vertrösten auf
den Sankt-Nimmerleins-Tag.


(Beifall bei der PDS)

Ich sage das angesichts der Tatsache, dass viele Frauen
– beispielsweise in besonderen Familiensituationen –
Teilzeitarbeit in Anspruch nehmen müssen und wollen.
Sie müssen zurückkehren können. Das muss ihnen ge-
währt werden und darf nicht dem Zufall überlassen wer-
den.


(Beifall bei der PDS)

Eine solche Regelung erschwert die Realisierung des
Wunsches auf Teilzeitarbeit. Das wird dazu führen, dass
sich Ihre großen Erwartungen nicht erfüllen werden.

Statt in § 7 entsprechend den Forderungen der Ge-
werkschaften Verbesserungen vorzunehmen, wird die
Regelung verwässert. Statt aus „betrieblichen Gründen“
für die Nichtausschreibung freier Arbeitsplätze als Teil-
zeitarbeitplätze „dringliche Gründe“ zu machen, for-
mulieren Sie: wenn sich der Arbeitsplatz dafür eignet.
Wann eignet er sich denn? Wer bestimmt, wann er sich
eignet?

Aus dem Mitwirkungsrecht der Betriebsräte wird die
Information der Betriebsräte. Das gilt auch für die befris-
teten Arbeitsverhältnisse. Das höhlt die Stellung der Be-
triebsräte und die Arbeitnehmerschutzrechte in den Un-
ternehmen aus. Ich frage Sie: Ist das ein Vorgriff auf die
Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes, die Sie ja an-
streben?

Lassen Sie mich wenige Bemerkungen zu den befris-
teten Arbeitsverhältnissen machen. Beide Regelungen
ermöglichen den Tarifpartnern, mittels Tarifvertrag
schlechtere Regelungen auszuhandeln, als das Gesetz
vorsieht. Auch das ist eine unmögliche Abweichung, die
wir nicht mittragen können. Wir kritisieren, dass mit dem
Gesetz und den darin angeführten sachlichen Gründen
Kettenarbeitsverträge nicht vermieden werden; sie wer-
den dadurch erst ermöglicht und sogar provoziert.

Wir stimmen diesen Verschlechterungen nicht zu. Sie
verbreiten mit den befristeten Arbeitsverhältnissen nicht




Dr. Heinrich L. Kolb

12881


(C)



(D)



(A)



(B)


weniger, sondern mehr Rauch. Sie werden damit keine
Akzeptanz bei den Gewerkschaften finden. Sie wissen
genau so gut wie wir, dass schon lange gefordert wurde,
das Beschäftigungsförderungsgesetz ganz wegzulassen.
Lösen Sie den Entwurf auf, stampfen Sie ihn ein, fangen
Sie noch einmal von vorn an und bringen Sie etwas Ver-
nünftiges auf die Reihe!


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413327000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über Teilzeit-
arbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung
und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen, Druck-
sache 14/4374. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialord-
nung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/4625 die Annahme des
Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU-,
F.D.P.- und PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf der Fraktion der CDU/CSU zum Fortbestand be-
fristeter Arbeitsverhältnisse auf Drucksache 14/3292. Der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf
Drucksache 14/4625 unter Buchstabe b, den Gesetzent-
wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Fraktion
der F.D.P. zur Intensivierung der Beschäftigungsförde-
rung auf Drucksache 14/4103. Der Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/4625
unter Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt auch hier nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4526 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich bekomme gerade den Hinweis, dass der Kollege
Ernst Hinsken eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31
der Geschäftsordnung abgibt. Diese wird zu Protokoll ge-
geben.1)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung zum Stand der
Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle
und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung
der Streitkräftepotenziale

(Jahresabrüstungsbericht 1999)

– Drucksache 14/3233 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Petra Ernstberger.


Petra Ernstberger (SPD):
Rede ID: ID1413327100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Abrüstung hat in unserer
Gesellschaft – das muss man leider so sehen – heute nicht
mehr den Stellenwert, der ihr von ihrer Tragweite her ei-
gentlich zukommen müsste.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Da die Bedrohung in Europa, insbesondere natürlich in
Mitteleuropa, nach dem Fall des Eisernen Vorhanges nicht
mehr existent ist, sehen viele unserer Mitbürgerinnen und
Mitbürger auch keine unmittelbaren Gefahren für sich
selbst mehr. Dies ist natürlich durchaus erfreulich und ich
beabsichtige nicht, diesen Umstand schlechtzureden. Es
ist trotzdem wichtig, das weite Feld der Abrüstung in das
Gedächtnis und in das Bewusstsein der Menschen zu ru-
fen; denn Bedrohung kann überall und immer entstehen.


(Beifall des Abg. Dr. Eberhard Brecht [SPD])

Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung ist meiner
Meinung nach ein Beitrag, um dieses Bewusstsein zu
schärfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung für das
Jahr 1999 ist – wie die Berichte in den vergangenen Jah-
ren – informativ, thematisch breit angelegt und stellt eine
gute Grundlage für die Arbeit im Unterausschuss Abrüs-
tung dar. Wie in den letzten Jahren ist der zeitliche Ab-
stand zwischen der Abfassung des Berichtes und der par-
lamentarischen Behandlung viel zu groß.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)





Dr. Klaus Grehn
12882


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Er ist leider zu groß, um genau die zeitnahe Arbeit des Un-
terausschusses für Abrüstung wirklich zu gewährleisten.
Der im April dieses Jahres zugeleitete Bericht stellt die
Entwicklung von Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung des Jahres 1999 dar. Er bezieht sich also
überwiegend auf Ereignisse, die ein Jahr und länger
zurückliegen.

Der zu große Abstand zwischen der Veröffentlichung
und der Debatte ist in diesem Jahr besonders spürbar ge-
worden, weil in der Zwischenzeit ganz wichtige Verände-
rungen in zentralen Fragen der Abrüstung stattgefunden
haben, darunter die Ratifizierung von START II durch
das russische Parlament, die Verschiebung der amerikani-
schen Entscheidung zum Bau einer nationalen Raketen-
abwehr und das amerikanisch-russische Abkommen über
die Umwandlung eines Teiles ihres Waffenplutoniums in
MOX-Brennelemente. Auch die Rolle, die dabei das
Hanauer Werk zur Herstellung von Brennelementen spie-
len könnte, musste in dem Bericht unberücksichtigt blei-
ben. Es wäre deswegen wirklich wünschenswert, wenn
wir uns darauf verständigen könnten, die künftigen
Abrüstungsberichte irgendwann im Mai oder Juni eines
jeden Jahres zu beraten.

Nun zur Thematik des Berichtes selbst. Es hat, wie ich
schon erwähnt habe, im Bereich der Abrüstung im Be-
richtszeitraum einige positive Entwicklungen gegeben.
START II wurde durch das russische Parlament, die
Duma, ratifiziert. Das ist ein wesentlicher Fortschritt;
denn damit ist der Weg frei, bis zum Jahre 2007 den Be-
stand strategischer atomarer Gefechtsköpfe von jeweils
6 000 – das ist das bislang geltende START-I-Limit – auf
maximal jeweils 3 500 Gefechtsköpfe zu verringern.
Gleichzeitig – das ist ein wichtiger Schritt – wurde durch
die Ratifizierung die Tür für Verhandlungen über
START III geöffnet. Dieser Vertrag hat das Ziel, die An-
zahl der Gefechtsköpfe noch einmal zu senken, und zwar
auf 2 000 bis 2 500. Im Zusammenhang mit der NMD-De-
batte haben die USAeine noch weitgehendere Absenkung
in Aussicht gestellt.

Positives hat auch im Bereich der Abrüstung konven-
tioneller Waffen stattgefunden. Der alte KSE-Vertrag
vom November 1990, der noch von zwei einander ge-
genüberstehenden Militärblöcken ausging, wurde an die
heutigen außenpolitischen Gegebenheiten in Europa an-
gepasst und durch einen entsprechenden Änderungsver-
trag ersetzt. Die Unterzeichnung dieses Änderungsvertra-
ges fand am Rande des OSZE-Gipfels in Istanbul am
19. November 1999 statt. Allerdings wurde dieser Ände-
rungsvertrag nie ratifiziert. Er ist damit eigentlich über-
haupt nicht in Kraft, weswegen noch immer der alte Ver-
trag gilt.

Der Grund dafür liegt im Tschetschenien-Krieg Russ-
lands. Tschetschenien gehört nämlich zu der so genannten
Flankenregion, für die es im alten wie im neuen Vertrag
besondere Obergrenzen für schwere konventionelle Waf-
fen gibt.

Russland hat diese Grenzwerte vor allem in der Kate-
gorie „gepanzerte Kampffahrzeuge“ erheblich überschrit-
ten. Sollte dies so bleiben, wäre der KSE-Vertrag insge-
samt und damit ein Grundpfeiler der Sicherheit in Europa

gefährdet. Die Bundesregierung ist deswegen aufgefor-
dert, gegenüber Russland weiterhin darauf zu bestehen,
seine Abrüstungsverpflichtungen wirklich einzuhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Dirk Bierling [CDU/CSU])


Die Entsorgung von waffentauglichem Uran und
Plutonium, das durch die Abrüstung atomarer Gefechts-
köpfe frei geworden ist, ist Gegenstand intensiver Ver-
handlungen insbesondere zwischen den USA und Russ-
land geworden. Auch das ist ein positiver Schritt, den wir
unterstützen sollten. Wäre die Beantwortung dieser Frage
weiter hinausgezögert worden, wäre die atomare Abrüs-
tung zu einem immer größeren Risiko geworden, weil
nämlich immer mehr Spaltmaterial aus den abgerüsteten
Atomwaffen hinzugekommen wäre, für die es bislang
keine langfristig sicheren Lagerungsmöglichkeiten gibt.

Bei den jetzt intensivierten Verhandlungen über eine
sichere Entsorgung ging es aber auch darum, das Uran
und Plutonium so zu verändern, dass es für einen erneu-
ten Einsatz in Waffen unbrauchbar wird.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Unbrauchbar bedeutet, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wiederum eine entscheidende Gefahrenverminderung.
Aus rüstungskontrollpolitischen Gründen sind Entsor-
gungspläne grundsätzlich zu begrüßen, und zwar unab-
hängig davon, welche der vorgeschlagenen technischen
Lösungen wir vorziehen würden.

Negative und stagnierende Entwicklungen in der Rüs-
tungskontrolle hat es natürlich auch gegeben. Sie waren
und sie sind weiterhin Gegenstand von Diskussionen im
Plenum, im Auswärtigen Ausschuss und im Unteraus-
schuss Abrüstung, die sich vor allen Dingen auf die indi-
schen und pakistanischen Atomwaffentests, auf das
Scheitern der Ratifizierung des Vertrages über einen um-
fassenden Teststopp von Atomwaffen in den USAund auf
die Blockade der Genfer Abrüstungskonferenz bezogen.

Ich möchte hier noch eine andere Sorge thematisieren.
Es geht um das sinkende Vertrauen in völkerrechtliche
Vereinbarungen, wodurch die Rüstungskontrolle und das
Abrüstungsregime mitten ins Herz getroffen werden. Die
Frage, was wir tun, wenn internationale Rüstungskon-
trollabsprachen gebrochen werden, hat doch in den
zurückliegenden Monaten die Diskussion mehr bestimmt,
als es der Abrüstung gut tat. Sie hat nämlich gerade den
Verfechtern unilateraler Aufrüstung und unilateraler Si-
cherheitsvorsorge Auftrieb gegeben. Die frühere Weige-
rung Nordkoreas, sich an die Regeln des Nicht-
verbreitungsvertrages zu halten, hat diesen Trend ebenso
beschleunigt wie das Verhalten Iraks und der Nachfolge-
staaten des früheren Jugoslawiens.

Auf dem Balkan wurden die zahlreichen Vereinbarun-
gen zu Waffenstillständen immer wieder verletzt. Dies hat
zu der Wahrnehmung geführt, dass das Instrument von
rechtlich bindenden Vereinbarungen über Sicherheitsfra-
gen unwirksamer geworden ist. Die immer schon
Miss-trauischen haben dadurch Bestätigung erfahren und
ihre Forderung nach mehr Flexibilität für militärische




Petra Ernstberger

12883


(C)



(D)



(A)



(B)


Sicherheitsvorsorge leichter legitimieren können. Nur ist
es ein Irrglaube, anzunehmen, damit Friedenssicherung
betreiben zu können.

Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten immer
auch Einschränkung militärischer Reaktionsmöglich-
keiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir Abrüster sind davon überzeugt, dass diese Einschrän-
kungen – wenn sie überprüfbar eingehalten werden – zu
mehr Stabilität im zwischenstaatlichen Verhalten führen.
Die amerikanischen Bemühungen um ein Raketenab-
wehrsystem, das notfalls auch unter Bruch des ABM-Ver-
trages realisiert werden soll, lösten schon deswegen so
viel Besorgnis aus, weil sie als Schlag gegen die Grund-
philosophie der Rüstungskontrolle und der auf sie ge-
stützten Sicherheit wahrgenommen wurden.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist es! Davon steht aber nichts im Bericht!)


Sicherheit als Ergebnis von völkerrechtlich verbindlichen
Vereinbarungen, also auch als ein Ergebnis von Zusam-
menarbeit und Dialog, dieses seit den 60er-Jahren, also
schon seit 40 Jahren erfolgreich praktizierte Konzept steht
im Widerspruch zu der Überzeugung, alle verfügbaren
Verteidigungsoptionen ohne Mitsprache anderer Staaten
zu realisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang ist auch der „Vertrag über
den Offenen Himmel“, „Open Skies“, zu sehen, der eine
vertrauensbildende Maßnahme ersten Ranges ist. Wir
wünschen uns, dass die aus technischen und politischen
Gründen erfolgte Aussetzung der NMD-Entscheidung
dazu genutzt wird, für die Eindämmung von Proliferati-
onsrisiken und neuen nuklearen Gefahren kooperative
Lösungen zu finden.

Im Verhältnis zu Korea ist bereits ein Anfang gemacht.
Ähnliches sollte auch gegenüber dem Iran versucht wer-
den. Beim Irak haben die andauernden Bombardierungen
die rüstungskontrollpolitischen Möglichkeiten zwar zur-
zeit auf Null gefahren. Es sollte aber versucht werden,
hier wieder sowohl im nuklearen als auch im chemischen
Bereich sowie bei der Begrenzung der weitreichenden
Raketen wieder anzusetzen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich denke, es
bleibt in der vor uns liegenden Zeit viel zu tun: China
muss stärker in die Abrüstung strategischer und substrate-
gischer Waffen einbezogen werden. Russland muss im
konventionellen Bereich die Voraussetzungen für das In-
Kraft-Treten des angepassten KSE-Vertrages schaffen.
Auch die Kleinwaffenproblematik – das möchte ich noch
erwähnen – muss mit Nachdruck behandelt werden.

All diese Punkte hat der Abrüstungsbericht der Bun-
desregierung angesprochen. Meine Fraktion nimmt die-
sen Bericht wohlwollend zur Kenntnis.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413327200
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Hans-Dirk Bierling.


Hans-Dirk Bierling (CDU):
Rede ID: ID1413327300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Frau Ernstberger, Ihren aus-
führlichen Eingangsbemerkungen zum Zeitplan dieser
Debatte stimme ich voll und ganz zu. Dabei sind wir ja in
diesem Jahr schon etwas besser dran; denn wir müssen
über den Abrüstungsbericht nicht erst nach Mitternacht
debattieren. Allerdings fürchte ich, dass Sie in Ihrer Frak-
tion ein bisschen Ärger bekommen könnten. Sie hätten
wahrscheinlich sagen müssen: wir Abrüster und Abrüste-
rinnen.


(Petra Ernstberger [SPD]: Das stimmt!)

Aber Scherz beiseite!

Meine Damen und Herren, das Jahr 1999 bietet inter-
national in Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung ein wirklich ambivalentes Bild. Wäh-
rend es gelungen ist, nach mehrjährigen Verhandlungen
den KSE-Änderungsvertrag auf dem Gipfeltreffen der
OSZE im November zu verabschieden, kam es in anderen
Bereichen der Abrüstung und der Nonproliferation zur
Stagnation. So arbeitete im vergangenen Jahr das kom-
munistische Regime in Nordkorea weiter an der Entwick-
lung einer militärischen Rakete mit großer Reichweite.
Ebenso war eine Einstellung der indischen und
pakistanischen Nuklearwaffenprogramme nicht zu regis-
trieren, auch wenn sich die weltweit verurteilten Atom-
tests des Jahres 1998 nicht wiederholt haben. Zudem ist es
nicht gelungen, den bei der Genfer Abrüstungskonferenz
bestehenden Stillstand zu überwinden und endlich ein Ar-
beitsprogramm zu verabschieden.

Einer der schwierigsten Momente für die internatio-
nale nukleare Abrüstungsdiskussion war wohl die Nicht-
ratifikation des Atomteststoppvertrages durch den US-
Senat im September 1999, was einen relativen Stillstand
in dieser Frage nach sich zog. Dieser Zustand ist bis jetzt
nicht überwunden, nicht zuletzt durch den Wahlkampf in
den Vereinigten Staaten. Wie und wann der künftige Prä-
sident der USA sich dieses Themas wieder annehmen
wird, kann man heute nicht abschätzen.


(Zuruf von der F.D.P.: Wenn es den endlich mal gibt!)


Die Debatte über das nationale Raketenabwehrsys-
tem der Vereinigten Staaten hemmte die abrüstungspoli-
tische Diskussion zusätzlich, da insbesondere die russi-
sche Seite darin einen Verstoß gegen den ABM-Vertrag
von 1972 sah.

Der ABM-Vertrag, der die Anzahl von Raketenab-
wehrsystemen zwischen Russland und den USAbegrenzt,
ist einer der Eckpfeiler der internationalen strategischen
Stabilität. Deshalb war es notwendig, sich vor der Kon-
kretisierung US-amerikanischer Pläne für ein nationales
Raketenabwehrsystem mit Russland zu verständigen. Das
ist zum Teil geschehen. Wäre dies nicht geschehen, wäre
die in diesem Frühjahr erfolgte Ratifizierung von
START II durch die russische Duma gefährdet und damit
die weitere Reduzierung der strategischen nuklearen
Waffensysteme Russlands und der USAblockiert worden.




Petra Ernstberger
12884


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Bundesregierung hat allerdings, wie ich meine, in
diesem Zusammenhang bisher versäumt, sich mit den eu-
ropäischen NATO-Partnern auf der Grundlage einer um-
fassenden Bedrohungsanalyse um gemeinsame europä-
ische Positionen zu diesem Komplex zu bemühen. Das
Entstehen verschiedener Sicherheitszonen innerhalb des
atlantischen Bündnisses muss natürlich unbedingt verhin-
dert werden. Russland muss in diesem Zusammenhang
allerdings auch von uns verdeutlicht werden, dass sich die
Pläne einer Raketenabwehr nicht gegen russische Rake-
ten wenden, sondern dass sie mit der globalen Sicherheit
verbunden sind.

Wie sensibel das Verhältnis zu Russland ist, bewies der
Kosovo-Konflikt im vorigen Jahr sehr deutlich. Nach
dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Kosovo-
Albanern und der Bundesrepublik Jugoslawien in Ram-
bouillet im März 1999 und der drohenden völligen Ver-
treibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo
war eine wirklich komplizierte Situation entstanden. Die
internationale Gemeinschaft sah keine andere Möglich-
keit als gezielte Luftangriffe der NATO gegen Serbien,
um noch größeres menschliches Elend zu verhindern.
Russland zeigte sich mit dem Vorgehen der NATO alles
andere als einverstanden und brach daraufhin die Zusam-
menarbeit auf der Grundlage der NATO-Russland-Grund-
akte ab.

Wie wir alle wissen, lenkte das Milosevic-Regime
nach wenigen Wochen ein. Auf der Basis der Resolution
1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen kam es
zum Einsatz der Friedenstruppe KFOR unter Führung der
NATO, der letztlich trotz schwieriger Umstände doch eine
Einbindung russischer Streitkräfte bei der Befriedung der
Region gelang. Die Bundesrepublik unterstützte diese
Friedenstruppe mit 6 000 Bundeswehrsoldaten, die zum
Schutz der ethnischen Gruppierungen und zur Durch-
setzung der Waffenruhe eingesetzt wurden.

Damit sind wir wieder beim Thema der Abrüstung;
denn eine Reduzierung des Besitzes von Kleinwaffen in-
nerhalb der Zivilbevölkerung des Kosovo ist im Vergleich
zu den anderen erreichten Zielen nur unzureichend gelun-
gen und wird KFOR auch in Zukunft beschäftigen müs-
sen, da das bestehende Kleinwaffenpotenzial schnell zu
einer dauerhaften Destabilisierung der Region führen
kann. Beispiele hierfür gibt es viele. Denken wir nur an
Tschetschenien oder Angola!

Die Regierung Kohl hat das Augenmerk der inter-
nationalen Staatengemeinschaft sehr frühzeitig auf das
Problem der so genannten „small arms“ gelenkt. Deutsch-
land brachte verschiedene Anträge mit Kleinwaffenbezug
in die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein,
die letztendlich dazu beitrugen, dass die Vereinten Natio-
nen im Jahr 1999, also im Berichtszeitraum, eine interna-
tionale Staatenkonferenz zu diesem Thema für 2001 ein-
beriefen.

Die amtierende Bundesregierung hat die deutschen Ini-
tiativen in dieser Richtung im Berichtszeitraum konse-
quent fortgesetzt; das ist erfreulich. So gelang es während
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die Ziele und
Prinzipien der bereits Ende 1998 auf deutsche Initiative
hin entstandenen gemeinsamen Aktion der EU auf die

Entwicklungszusammenarbeit zu übertragen. Das stellt
eine entscheidende Voraussetzung für praktische Schritte
zur Reduzierung von Kleinwaffenpotenzialen und deren
Kontrolle in den Entwicklungsländern dar.

Eingang fanden die Parameter der gemeinsamen Ak-
tion letztlich auch in die Arbeit des OSZE-Forums für Si-
cherheitskooperation, das OSZE-weite Maßnahmen ge-
gen eine unkontrollierte Anhäufung bzw. unkontrollierte
Verbreitung von Kleinwaffen erarbeitet.

Auch in Zukunft sollte die Bundesregierung den ein-
geschlagenen Weg fortsetzen und sich weiter für eine Re-
duzierung der weltweiten Kleinwaffenarsenale engagie-
ren. Dazu gehört natürlich auch eine intensive deutsche
Vorbereitung auf die internationale Staatenkonferenz zum
illegalen Handel mit Kleinwaffen im nächsten Jahr.

Ein wichtiger Erfolg deutscher Außen- und Sicher-
heitspolitik ist die bereits von Frau Ernstberger erwähnte
Unterzeichnung der Anpassung des KSE-Vertrages auf
dem OSZE-Gipfel im November vorigen Jahres in
Istanbul. Hierbei hat die Bundesregierung gut daran ge-
tan, den von der Regierung Kohl bereits 1996 aufgenom-
menen Verhandlungsprozess fortzuführen und so über
Diskussion und Beratung innerhalb der Allianz und spä-
ter der Gemeinsamen Beratungsgruppe der Vertragsstaa-
ten in Wien zu Ergebnissen zu gelangen. An dieser Stelle
könnten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition,
ruhig einmal klatschen, da ich mich doch so schinde, die
Regierung zu loben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Modifizierung des KSE-Vertrages erhöht die Sta-
bilität auf dem Gebiet der konventionellen Streitkräfte in
Europa. An die Stelle zu verhindernder Überraschungs-
angriffe durch massive Streitkräftekonzentrationen ist
nun die Verhinderung destabilisierender Streitkräftekon-
zentrationen getreten. Ein enges Regelwerk legt nationale
Obergrenzen für einzelne Waffensysteme fest – Frau
Ernstberger hat bereits darüber gesprochen – und macht
den Vertrag verifizierbar.

Aber – auch dies hat Frau Ernstberger schon angespro-
chen –: Deutschland und andere Staaten haben den KSE-
Anpassungsvertrag trotz Zustimmung zum Vertragstext
bisher nicht ratifiziert, weil Russland derzeit noch die
Vereinbarungen des Flankenabkommens durch den
Tschetschenien-Einsatz verletzt. Bei einem derart konsti-
tutionellen Vertragswerk ist es jedoch notwendig, dass
wichtige Vertragspartner wie Russland von Beginn an
vertragskonform handeln. Eine Ratifizierung des Vertra-
ges durch die Bundesrepublik zum jetzigen Zeitpunkt
würde einer Sanktionierung des russischen Handelns
entsprechen und würde dem Vertragswerk nicht die ihm
entsprechende Wertigkeit bzw. Bedeutung zuerkennen.
Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, sich bei an-
stehenden Gesprächen mit Vertretern der russischen Seite
nachdrücklich dafür einzusetzen, die Kriterien des Ab-
kommens einzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Hans-Dirk Bierling

12885


(C)



(D)



(A)



(B)


Nur danach ist für die Bundesrepublik Deutschland eine
Ratifizierung des KSE-Anpassungsvertrages möglich,
ohne unsere gemeinsamen außenpolitischen Grundsätze
zu verletzen.

Welche Erfolge kontinuierliches Arbeiten erzielen
kann, beweist das am 1. März 1999 in Kraft getretene
Ottawa-Übereinkommen zu Antipersonenminen, das
Deutschland bereits im Juli 1998 ratifiziert hatte. Es sieht
ein umfassendes Verbot von Herstellung, Einsatz, Trans-
fer und Lagerung aller Arten von Antipersonenminen vor
und regelt die Zerstörung vorhandener Bestände. Außer-
dem sieht es ein überprüfbares Verifikationsregime vor.

Ein erstes Treffen der Vertragsstaaten von Ottawa fand
im Mai 1999 in Maputo statt. Einige bisherige Nicht-
zeichnerstaaten erklärten auf diesem Treffen ihre
grundsätzliche Bereitschaft zum Beitritt, zum Beispiel die
Türkei. Auf diesem Treffen wurden Modalitäten des In-
formationsaustausches festgelegt, die das auf deutschen
Vorschlägen basierende Verifikationsregime operationell
machen. Die politische Abschlusserklärung enthielt ne-
ben der Aufforderung zum Beitritt an die bisherigen
Nichtzeichnerstaaten die Bestätigung, dass Zusam-
menarbeit bei Minenräumung und Unterstützung bei der
Opferfürsorge vor allem den Staaten zugute kommen soll,
die einen Einsatz von Antipersonenminen für immer aus-
geschlossen haben. Deutschland ist eines der Länder, das
sich dabei aktiv engagiert.

Kontinuität auf dem Politikfeld von Abrüstung und
Sicherheit – ich erwähnte es schon einmal – ist wichtig. In
dieser Frage stimmen im Grunde alle Fraktionen des Hau-
ses überein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt, die Bundesregierung kann, wenn sie auf die-
sem Gebiet die Bemühungen ihrer Vorgängerin konse-
quent fortsetzt, was bislang in wesentlichen Punkten der
Fall ist, mit der Unterstützung des ganzen Hauses und so-
mit auch der CDU/CSU-Fraktion in Fragen der Abrüstung
und Rüstungskontrolle sowie der Nonproliferation rech-
nen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413327400
Nun spricht der
Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413327500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die wichtigste Botschaft des Jahresabrüstungsberichts
1999 lautet: Neue Herausforderungen und Gefahren bei
der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und ih-
rer Trägermittel wie auch bei konventionellen Waffen ver-
langen noch stärker nach politischen und vertraglichen
Mitteln der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Deshalb
haben wir – nun störe ich den Konsens – die Auflösung
der Abrüstungsabteilung im Auswärtigen Amt, die durch

die Vorgängerregierung eingeleitet worden war, Ende
1998 in letzter Minute verhindert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt kommt wieder Konsens.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN und bei der SPD)

Nachdem die Fortschritte und Rückschritte insgesamt
dargestellt worden sind, möchte ich auf einige Punkte ein-
gehen, in denen die amtierende Bundesregierung beson-
ders initiativ geworden ist.

1999 konnten in vielen Bereichen wichtige Fortschritte
erzielt werden. Es ist ein bedeutender Erfolg der Außen-
und Sicherheitspolitik der Bundesregierung – darauf
wurde eingegangen –, dass der KSE-Vertrag beim
OSZE-Gipfel in Istanbul im November 1999 nach deut-
schen Vorschlägen an die veränderte Sicherheitslage und
die sicherheitspolitischen Bedingungen in Europa ange-
passt wurde. Ich denke, hier sollten wir uns bei den Be-
amten des Auswärtigen Amtes bedanken, die sehr viel
Kreativität investiert haben und sich letztlich auch durch-
gesetzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Stabilität im Bereich der konventionellen Streit-
kräfte ist dadurch entscheidend vergrößert. Verschärfte
rüstungspolitische Beschränkungen und operative Flexi-
bilitäten sind in eine angemessene Balance gebracht.
Destabilisierende Streitkräftekonzentrationen werden
überall im Vertragsgebiet verhindert. Verstärkungen zur
Krisenprävention und -bewältigung bleiben möglich. Mit
der Öffnung des KSE-Vertrages kann sich das Netzwerk
einer deutlich erhöhten konventionellen Stabilität erst-
mals über ganz Europa bis zum Ural legen. Es kommt
jetzt darauf an, dass alle Partner ihre Pflichten aus dem ur-
sprünglichen Vertrag erfüllen, damit die allseitige Ratifi-
kation des neuen KSE-Vertrags zügig erfolgen und der
Vertrag möglichst rasch umfassend implementiert werden
kann. Das gilt auch für Russland, dessen militärisches En-
gagement in Tschetschenien gegen den KSE-Geist und
-Text verstößt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Ebenfalls auf dem OSZE-Gipfel beschlossen und am
1. Januar 2000 bereits in Kraft getreten ist das Wiener
Dokument 99, das das Wiener Dokument 94 über ver-
trauensbildende Maßnahmen unter den damals 54 Mit-
gliedstaaten an die neue Lage anpasst. Es enthält – das ist
ein erheblicher Fortschritt – erstmals einen konkreten Ka-
talog regionaler vertrauens- und sicherheitsbildender
Maßnahmen.

Die Bundesregierung hat sich in diesem Zusammen-
hang intensiv für die Stabilisierung der Krisenregion auf
dem Balkan nach dem Ende des Kosovo-Konflikts ein-
gesetzt. Die Bemühungen um regionale Abrüstung und
Stabilität im Rahmen des Dayton-Abkommens werden in-
tensiv weitergeführt. Im Rahmen des Stabilitätspakts wer-
den zusätzliche Bemühungen zur Verbesserung der de-




Hans-Dirk Bierling
12886


(C)



(D)



(A)



(B)


mokratischen Kontrolle der Streitkräfte, der militärischen
Kontakte und der Transparenz sowie vertrauens- und si-
cherheitsbildende Maßnahmen zur Förderung einer fried-
lichen Entwicklung in der Region auf den Weg gebracht.

Mit der Wahl des demokratischen Präsidenten
Kostunica erhalten diese Bemühungen eine neue,
optimistische Perspektive für die Rückkehr Jugoslawiens
in die Völkergemeinschaft und die friedliche Entwicklung
der gesamten Region.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich freue mich deshalb – dem gilt sicherlich auch Ihr Bei-
fall –, dass Jugoslawien seit letzter Woche 55. Mitglied
des Wiener Dokuments geworden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [F.D.P.])


Die Bundesregierung ist besonders besorgt um die Ri-
siken der Proliferation von Massenvernichtungswaffen,
die 1999 deutlich hervortraten. Das Problem wird ver-
schärft durch die rasche Entwicklung weit reichender mi-
litärischer Trägertechnologie in mehreren Ländern, die
damit ein weit über ihre eigene Region hinaus reichendes
Bedrohungspotenzial erwerben können. Dieses Thema
wurde übrigens beim letzten Besuch in Nordkorea offen-
siv angesprochen.

Die Entwicklung von Raketenabwehrsystemen wird
von der Bundesregierung kritisch bewertet. Ihre Realisie-
rung könnte erhebliche Konsequenzen für das gesamte
Gefüge von Abrüstung und Rüstungskontrolle haben. Die
Perspektive weiterer Fortschritte der nuklearen Abrüstung
und Rüstungskontrolle darf dadurch nicht verstellt wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Die Bundesregierung begrüßt deshalb ausdrücklich, dass
Präsident Clinton weitere Entscheidungen über die Dislo-
zierung vorläufig zurückgestellt hat.

Die Bundesregierung hat sich intensiv gegen Massen-
vernichtungswaffen eingesetzt. Bei der 6. Überprü-
fungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Mai
dieses Jahres haben die Kernwaffenstaaten unzweideutig
ihre Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung
bekräftigt. Die Vertragsstaaten haben sich auf praktische
Schritte zur Stärkung der nuklearen Nichtverbreitung und
zur Fortsetzung der nuklearen Abrüstung verständigt.
Forschungsreaktoren sollen auf deutsche Initiative hin
von hoch angereichertem auf niedrig angereichertes Uran
umgestellt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Bei der Abrüstung von C- und B-Waffen sind weitere
Fortschritte nötig: Der Chemiewaffenverbotsvertrag
muss in allen Vertragsstaaten umfassend implementiert
werden. Der Vertrag über das Verbot der biologischen
Waffen sollte in den Genfer Verhandlungen um ein

substanzielles Protokoll ergänzt werden, das ihn verifi-
zierbar macht.

Ich komme zum letzten Punkt. Die meisten Opfer sind
in regionalen oder innerstaatlichen Konflikten auf den
Gebrauch kleiner und leichter Kriegswaffen, auf so ge-
nannte „small arms“ zurückzuführen. Die Bundesregie-
rung hat die Initiative ergriffen, die weltweit vagabundie-
renden Handelsströme von „small arms“ einzudämmen.
Wie mehrere Redner angesprochen haben, ist es unser
Ziel, bei der im kommenden Jahr stattfindenden UN-Kon-
ferenz zu kleinen und leichten Kriegswaffen verlässliche
Regeln aufzustellen, die Waffenströme wirkungsvoll zu
kontrollieren und möglichst viele Waffen zu vernichten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413327600
Herr Kollege Volmer,
kommen Sie bitte zum Schluss.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413327700
Frau Präsidentin, ich komme zum letzten Satz.
– Das zentrale Ziel all dieser Bemühungen ist eine um-
fassende Politik der Konfliktprävention, das heißt: die
Abwehr von Gefahren für die internationale Sicherheit
und Stabilität durch Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung, über die dieses Haus vor einer Woche
debattiert hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wird im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger
auch zukünftig eines der tragenden Elemente der koope-
rativen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutsch-
land bleiben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413327800
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1413327900
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vor-
liegende Bericht ist wohl die beste Übersicht über den Be-
reich der Abrüstungsbemühungen in deutscher Sprache.
Er ist gut gegliedert, erstaunlich gut lesbar und daher ein
ausgezeichnetes Hilfsmittel für all diejenigen, die ihr Au-
genmerk auf Fragen des Friedens und der Sicherheit in der
Welt richten. Dennoch möchte ich zwei kritische Anmer-
kungen machen.

Erstens. Der Bericht versucht, auch unerfreuliche Ten-
denzen wohlwollend zu beschreiben, statt deutliche Kri-
tik zu üben. So heißt es gleich im ersten Abschnitt:

Gleichzeitig konkretisierten sich amerikanische
Pläne zum Aufbau eines nationalen Raketenab-
wehrsystems, die erst noch in das vertragliche Re-
gime der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung
integriert werden müssen, wozu in einem ersten
Schritt die Anpassung des ABM-Vertrages im Ein-




Staatsminister Dr. Ludger Volmer

12887


(C)



(D)



(A)



(B)


vernehmen mit Russland notwendig ist.
Dieser Vorgang zeigt zu viel Rücksichtnahme auf unseren
großen amerikanischen Partner, lässt er doch jede Distanz
zu der amerikanischen Planung vermissen. In einem deut-
schen Abrüstungsbericht hätte ich mir eine deutlichere
Sprache gewünscht, mit der das ausgedrückt worden
wäre, was dieses Parlament und was die Bundesregierung
zu dem nationalen Raketenabwehrsystem der USA zu sa-
gen haben, nämlich, dass wir dieses System für schädlich
halten.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Detlev von Larcher [SPD]: Das müssen wir uns von der F.D.P. sagen lassen?)


Zweitens. Der Bericht wäre noch besser, wenn nicht
nur Zahlen über das Streitkräftepotenzial in Europa und in
angrenzenden Regionen enthalten wären, sondern auch
über Asien, insbesondere über den Fernen Osten. Unsere
Sicherheit in Europa ist längst nicht mehr nur von der Si-
tuation der Streitkräfte in nahe gelegenen Regionen ab-
hängig. Es gibt viele Gründe, weswegen wir mit großem
Interesse auf die Entwicklung in China, in Korea, aber
auch in Süd- oder in Südostasien blicken. Große Entfer-
nungen haben eine immer kleiner werdende Bedeutung.
Dass China zum Beispiel seine Ausgaben für das Militär
– ich zögere, von Verteidigungsausgaben zu sprechen –
massiv erhöht, während nahezu die ganze Welt ihre Aus-
gaben reduziert, kann nicht ohne Beachtung in einem Be-
richt bleiben, der eine Übersicht über das gesamte Rüs-
tungsgeschehen bieten soll.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Natürlich berichtet die Bundesregierung über die ein-

zelnen Verträge, die zusammengenommen das internatio-
nale Abrüstungsregime ausmachen. Nur in wenigen Be-
reichen konnte von substanziellen Fortschritten berichtet
werden. In den meisten Teilgebieten tritt man auf der
Stelle, wie bei der ständigen Abrüstungskonferenz in
Genf.

Das Jahr 1999 war in der Geschichte der Abrüstung ein
besonderes Jahr. Erstens. Das Übereinkommen über das
Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und
der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren
Vernichtung, das Ottawa-Abkommen, ist in Kraft getre-
ten. Das ist ein großer politischer Erfolg, der unsägliches
Leid für unendlich viele Einzelpersonen, insbesondere für
Kinder, verhindern wird.

Zweitens. Im September ist die Ratifikation des Atom-
teststoppvertrages durch die Vereinigten Staaten ge-
scheitert. Das ist ein herber Rückschlag für die internatio-
nalen Abrüstungsbemühungen mit gefährlichen Signalen
in Richtung der Staaten, die diesen Vertrag deshalb nicht
ratifiziert haben, weil sie eigene Atomwaffenarsenale auf-
bauen wollen, wie zum Beispiel Indien und Pakistan.

Soweit erkennbar, hat die deutsche Bundesregierung
im Jahre 1999 keine Abrüstungsinitiative ergriffen, die
der Stärke unseres Landes entsprechend Wirkung gezeigt
hätte. Stattdessen hat Außenminister Fischer durch seine
Versuche, die NATO auf einen Verzicht der Erstschlags-
option festzulegen, international für Verwirrung und Irri-

tation gesorgt.

(Widerspruch bei der SPD)


In Sachen konkreter Abrüstungsschritte war die Bundes-
republik Mitläufer und nicht Mitgestalter. Das ist bedau-
erlich und das sollte sich ändern.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland wird in den vor uns liegenden Jahren von
Trägersystemen aus dem Iran, aber wohl auch aus dem
Irak, eventuell auch aus Libyen erreicht werden können.
Allein dieser Punkt sollte die Bundesregierung dazu
veranlassen, Schritte in Richtung eines internationalen
Vertrages zum Verzicht auf den Bau oder den Erwerb, je-
denfalls der Stationierung von Trägerraketen mittlerer
und größerer Reichweite zu initiieren, die nicht unter in-
ternationaler Kontrolle stehen und ausschließlich für zi-
vile Zwecke eingesetzt werden können.

Gelingt es nicht, meine Damen und Herren, das Pro-
blem der in Entwicklung befindlichen Trägersysteme in
den Griff zu bekommen, wird es kaum möglich sein, un-
sere Sicherheit vor Angriffen aus anderen, auch kleinen
Staaten zu gewährleisten. Ich glaube, hier wäre ein Feld,
auf dem die Deutschen initiativ werden könnten und soll-
ten.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413328000
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Heidi Lippmann für die PDS-Fraktion.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1413328100
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! 70 Seiten Bericht in drei Minuten
zu behandeln ist unmöglich. Ich verzichte daher auf das
Lob, das der Bericht durchaus verdient hat, aber es kam ja
schon zum Ausdruck. So beschränke ich mich auf An-
merkungen.

Eine aktive Abrüstungspolitik der Bundesregierung
kann nicht losgelöst von der Gesamtausrichtung deut-
scher Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert werden,
die im Jahre 2000 aufrüstungs- statt abrüstungsorientiert
ist.


(Beifall bei der PDS)

Dies beweisen das neue strategische Konzept der NATO
und die Defence Capability Initiative mit 58 Einzelmaß-
nahmen zur qualitativen Aufrüstung, die neue europä-
ische Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit ihrer
60 000 Mann starken schnellen Eingreiftruppe ebenso wie
der Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur
Interventionsarmee.


(Uwe Hiksch [PDS]: Ein Skandal!)

Im Bereich der nuklearen Abrüstung konnte sich zwar

kürzlich die Resolution der New Agenda Coalition durch-
setzen, doch sind wir weit entfernt von einem Verbot für
Nuklearwaffen. Im Gegenteil, es sind eine weitere Proli-
feration und ein erneutes Wettrüsten zu befürchten, wofür
auch – das wurde schon gesagt – die US-amerikanischen




Hildebrecht Braun (Augsburg)

12888


(C)



(D)



(A)



(B)


Pläne für ein nationales Raketenabwehrsystem verant-
wortlich sind.

Zwar gibt es immer mehr kernwaffenfreie Zonen auf
der Welt, doch für Europa ist dies weiterhin Utopie. Nicht
verschwiegen werden dürfen hier die nuklearen Spreng-
köpfe, die immer noch auch auf deutschem Boden statio-
niert sind.

Im Bereich der B- und C-Waffen haben zwar mittler-
weile überaus viele Staaten die Verbotsabkommen unter-
zeichnet, doch es gibt riesigen Handlungsbedarf sowohl
bei der Entsorgung chemischer und biologischer Kampf-
stoffe als auch bei der Überprüfung der Forschung und
Entwicklung zwecks möglicher Abwehrmaßnahmen.
Allein 40 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe in Russ-
land sind ebenso eine tickende Zeitbombe wie die circa
120 vor der Kola-Halbinsel vor sich hindümpelnden
Atom-U-Boote. Zwar unterstützt die Bundesregierung
den Aufbau einer Vernichtungsanlage chemischer Kampf-
stoffe in Gorny, doch dies ist im Vergleich zum Bedarf ein
Tropfen auf den heißen Stein.


(Beifall bei der PDS)

So gut und wichtig das Ottawa-Abkommen ist, liebe

Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns nicht auf das
Verbot von Antipersonenminen beschränken, sondern
müssen das Gleiche auch für die Antifahrzeugminen
erreichen.


(Beifall bei der PDS)

Riesigen Handlungsbedarf gibt es auch im Bereich der

präventiven Rüstungskontrolle. Die Gefahren, die von
den neuen Technologien ausgehen, sind dank engagierter
Wissenschaftler und auch dank des Berichtes des Büros
für Technikfolgenabschätzungen bekannt. Doch sie müs-
sen auch entsprechend ernst genommen werden. Vieles,
was heute noch als Science-Fiction wahrgenommen wird,
kann morgen durchaus tödlich enden. Es gibt keine
Hochtechnologie, die nicht militärisch gebraucht oder
missbraucht werden kann, ob Kommunikations- oder
Computertechnik, Elektronik, Sensorik, Mikro- und Na-
notechnik oder Informationsverarbeitung. Der Cyberwar
rückt in beängstigendem Maße näher, ebenso wie die Mi-
litarisierung des Weltraums.

Wir fordern die Bundesregierung auf, ein eigenes Amt
für Abrüstung, Konversion und präventive Rüstungskon-
trolle einzurichten und hierfür Mittel in signifikanter
Höhe in den Haushalt einzustellen.


(Beifall bei der PDS)

10 Prozent der deutschen Rüstungsausgaben entsprechen
nach NATO-Kriterien rund 6 Milliarden DM. Entspre-
chende Kürzungsvorschläge im Einzelplan 14 haben wir
Ihnen vorgelegt.

Darüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung,
dass sie alles tut, um auch auf die neue US-Regierung Ein-
fluss zur Verhinderung des National-Missile-Defense-
Programms zu nehmen und sich insbesondere von den
europäischen regionalen Abwehrsystemen zu verabschie-
den. Als Programm für Ihre künftige Abrüstungspolitik
empfehlen wir Ihnen das heute veröffentlichte Memo-
randum des Verbandes Deutscher Wissenschaftler, ein

Plädoyer für ein europäisches „Diplomatie zuerst“. Ich er-
laube mir, Ihnen ein Exemplar zu überreichen, Herr
Staatsminister.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413328200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/3233 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 sowie den Zu-
satzpunkt 5 auf:
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate

Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar
Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnen-
schifffahrt erhalten und sichern
– Drucksache 14/4387 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der
Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb
der Binnenschifffahrt beseitigen
– Drucksache 14/4602 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Annette Faße, Renate Blank, Helmut
Wilhelm, Hans-Michael Goldmann sowie Dr. Winfried
Wolf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Ich sehe
keinen Widerspruch im Saal.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb kommen wir gleich zu den Überweisungen. In-
terfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 14/4387 und 14/4602 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.




Heidi Lippmann

12889


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Namensaktie und zur Erleichterung der

(Namensaktiengesetz – NaStraG)

– Drucksache 14/4051 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4618 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann (Hildesheim)

Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der
F.D.P. vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Bernhard Brinkmann, Professor
Dr. Susanne Tiemann, Margareta Wolf, Rainer Funke,
Dr. Uwe-Jens Rössel sowie Professor Dr. Eckhart Pick ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben1).–


(Beifall bei Abgeordneten der SPD,der CDU/CSU und der PDS)


Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch im Saal. Des-
halb kommen wir sofort zu den Abstimmungen.

Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Namens-
aktiengesetzes, Drucksachen 14/4051 und 14/4618. Dazu
liegen zwei Änderungsanträge der F.D.P. vor, über die wir
zunächst abstimmen.

Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache
14/4628. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist gegen die Stimmen von F.D.P. und CDU/CSU bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/4629
auf. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion und bei Ent-
haltung der CDU/CSU- und der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf

ist damit in dritter Beratung und Schlussabstimmung ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten


(Augsburg)

und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Anpassung des deutschen
Rabattrechts an die EU-Richtlinie über den elek-
tronischen Geschäftsverkehr (Rabattrechtsan-passungsG)

– Drucksache 14/4423 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer

(Augsburg)

F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurAnpassung des deutschen Zugaberechts an dieEU-Richtlinie über den elektronischen Ge-schäftsverkehr (ZugaberechtsanpassungsG)

– Drucksache 14/4424 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Birgit Roth, Dirk Manzewski, Hartmut
Schauerte, Margareta Wolf, Gudrun Kopp, Rolf Kutzmutz
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart
Pick haben ihre Reden zu Protokoll gegeben2). – Auch hier
sehe ich keinen Widerspruch im Saal.

Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 14/4423 und 14/4424 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Ich sehe dazu im Hause Einverständnis. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Alfred Hartenbach, Erika Simm, Joachim
Stünker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller


(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜND-

NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Straf-vollzugsgesetzes
– Drucksache 14/3763 –

(Erste Beratung 115. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än-
derung des Strafvollzugsgesetzes
– Drucksache 14/4452 –

(Erste Beratung 130. Sitzung)





Vizepräsidentin Petra Bläss
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1) Anlage 4 2) Anlage 5

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Wolfgang
Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvoll-
zugsgesetzes (5. StVollzÄndG)

– Drucksache 14/4070 –

(Erste Beratung 122. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/4622 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Joachim Stünker
Wolfgang Götzer
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache; denn irgendeine müssen
wir heute ja noch haben. Als erster Redner spricht Kollege
Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1413328300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist fast 22 Uhr und ein
Häuflein Aufrechter möchte sich noch mit dem Fünften
Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes beschäf-
tigen. Diejenigen, die es eigentlich angeht, könnten die
Debatte – selbst wenn sie im Fernsehen noch übertragen
würde, nicht einmal mehr sehen, weil im Vollzug ab
22 Uhr Nachtruhe herrscht.

Worum geht es? Es geht letzten Endes um die ange-
messene Entlohnung von Strafgefangenen für zugewie-
sene Pflichtarbeit im Vollzug. Der Anlass ist, dass das
Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 1. Juli 1998
aufgrund von diversen Verfassungsbeschwerden in den
90er-Jahren festgestellt hat, dass die geltende Regelung
im Strafvollzugsgesetz mit den Grundnormen unseres
Grundgesetzes nicht mehr vereinbar ist. Das heißt, die
geltende Entlohnungspraxis – zurzeit monatlich 215 DM,
also pro Tag 10 DM – ist verfassungswidrig, weil sie kein
angemessenes Leistungsäquivalent darstellt.

Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht
letztendlich die Notbremse gezogen, weil der Bundesge-
setzgeber eigentlich schon seit 15, 16 Jahren verpflichtet
gewesen wäre, den Intentionen des Strafvollzugsgesetzes
aus dem Jahre 1977 folgend, angemessene Veränderun-
gen vorzunehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns ins Stammbuch
geschrieben: Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzge-
ber zur Entwicklung und Umsetzung eines wirksamen
Konzeptes der Resozialisierung im Strafvollzug. Arbeit
im Strafvollzug dient der Resozialisierung. Sie muss da-

her angemessene Anerkennung erfahren, und zwar in dem
Sinne, dass dem, der zur Arbeit verpflichtet ist, der Wert
der Arbeit durch die Entlohnung für das künftige Leben in
Freiheit auch vermittelt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf das Urteil an dieser Stelle zitieren. Dort heißt
es wörtlich:

Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als
Pflichtarbeit zugewiesen ist, ist nur dann ein wirksa-
mes Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Ar-
beit angemessene Anerkennung findet. Diese Aner-
kennung muss geeignet sein, dem Gefangenen den
Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenver-
antwortliches und straffreies Leben in Gestalt eines
für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen.

Nun ist es Bund und Ländern zwei Jahre nach diesem
Urteil nicht möglich gewesen, sich darauf zu einigen, wie
denn dieses Urteil letzten Endes in die Praxis umzusetzen
ist. Aber das Bundesverfassungsgericht hat uns eine Frist
gesetzt, nämlich bis zum 31. Dezember dieses Jahres.
Wenn wir bis zu diesem Zeitpunkt keine Neuregelung des
Strafvollzugsgesetzes haben, werden in jedem Einzelfall
die Gerichte in Deutschland zu entscheiden haben, wie
hoch die Entlohnung zu sein hat.

Von daher haben wir es heute im Ergebnis – ich be-
daure das sehr – mit drei Gesetzentwürfen zu tun, nämlich
mit einem Entwurf der Koalitionsfraktionen, mit einem
Entwurf der CDU/CSU-Fraktion und einem Entwurf des
Bundesrates.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Der erste ist der beste!)


Wenn man diese Entwürfe vergleicht, fragt man sich:
Worum geht es? Es geht letzten Endes ums Geld. Es geht
wieder einmal darum, wie viel Geld wir in der Lage oder
bereit sind, zur Verfügung zu stellen.


(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: Rein zufällig!)


– Rein zufällig ist das vielleicht nicht, Kollege
Brinkmann.

Der Entwurf der Koalitionsfraktionen geht davon
aus, dass wir die jetzt durchschnittliche Vergütung von
215 DM im Monat auf 660 DM erhöhen, während der
Bundesrats- und der CDU/CSU-Entwurf einen Betrag
von 320 DM vorsehen.

Man wird das Ganze im Ergebnis nicht in Mark und
Pfennig messen können. Wir haben die leistungsbezogene
und formalisierte Anerkennung der Arbeitspflicht zu re-
geln. Ich sehe ebenso wie meine Kolleginnen und Kolle-
gen der Koalitionsfraktionen, dass wir uns in einem Span-
nungsverhältnis zwischen dem, was verfassungsrechtlich
geboten ist und dem, was die Länder, die das Gesetz voll-
ziehen müssen, finanziell werden leisten können, befin-
den.

Nur, das verfassungsrechtliche Gebot der Resozialisie-
rung ist keine sozialromantische Spinnerei, sondern folgt




Vizepräsidentin Petra Bläss

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letztendlich Art. 2 und Art. 20 des Grundgesetzes. Von da-
her hoffe ich sehr und vertraue ein wenig darauf, dass in
der Diskussion Vernunft einkehrt und wir im Vermitt-
lungsausschuss, bei dem die ganze Angelegenheit landen
wird, zu einer vernünftigen Lösung kommen werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413328400
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht der Kollege Dr. Wolfgang Götzer.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1413328500
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute in zweiter und dritter Lesung über die Erhöhung
der Gefangenenentlohnung. Uns allen ist dabei klar
– Herr Kollege Stünker hat es schon angesprochen –, dass
in der heutigen Debatte nicht das letzte Wort in dieser Sa-
che gesprochen wird, sondern dass sich aller Voraussicht
nach der Vermittlungsausschuss mit diesem Thema wird
beschäftigen müssen.

Ich kann mir jetzt ersparen, längere Zitate aus dem Ur-
teil des Bundesverfassungsgerichts wiederzugeben, weil
das bereits mein Vorredner getan hat. Im Übrigen hat es
schon zwei Debatten zu diesem Thema gegeben, sodass
man auf die Protokolle der damaligen Sitzungen verwei-
sen kann. Die gestrige Diskussion im Rechtsausschuss
– ich glaube, das war allgemeine Überzeugung – war
sachlich und zielorientiert. Ich möchte mich in diesem
Zusammenhang besonders bei Frau Ministerin Schubert
für ihre Ausführungen zu diesem Thema bedanken, die
unseren Ansichten sehr nahe gekommen sind bzw. ihnen
entsprochen haben.

Gleichwohl sind – ich sage das mit Blick auf die Kol-
leginnen und Kollegen der Regierungskoalition – die Un-
terschiede zwischen Ihrem Gesetzentwurf, dem der
CDU/CSU-Fraktion und dem des Bundesrates deutlich
geworden. Die Regierungsfraktionen wollen eine Ver-
dreifachung der Gefangenenentlohnung, das heißt eine
Erhöhung von 5 Prozent der Bezugsgröße auf 15 Prozent
der Bezugsgröße. Sie wollen diese Erhöhung auf sämtli-
che Gefangenengruppen erstrecken und sehen dabei keine
immaterielle Vergütung vor. Der Entwurf der CDU/CSU
dagegen sieht gegenüber dem bisherigen Zustand eine
Steigerung um 40 Prozent vor, allerdings begrenzt auf die
zur Arbeit verpflichteten Gefangenen, und beinhaltet
außerdem als weitere Kompetente nicht monetäre Maß-
nahmen. Das bedeutet konkret die Möglichkeit, dass Ge-
fangene bis zu sechs zusätzliche Freistellungstage pro
Jahr ansparen können, um diese dann als Hafturlaub oder
zur Vorverlegung des Entlassungszeitraumes nutzen zu
können. Dieses Kombinationsmodell orientiert sich am
einmütigen Beschluss der Justizminister der Länder vom
10. November 1999 und beschränkt sich auf das von der
Verfassung her gebotene Maß einer Erhöhung der
Gefangenenentlohnung. Der Entwurf des Bundesrates
– für den ich spreche – deckt sich im Wesentlichen hin-
sichtlich des Umfangs der Erhöhung der Gefangenenent-
lohnung und der Ermöglichung nicht monetärer Maßnah-
men mit unserem Entwurf.

Was ist unsere Kritik am Gesetzentwurf der Regie-
rungsfraktionen? Zum einen kritisieren wir die geplante
Verdreifachung der bisherigen Gefangenenentlohnung.
Damit schießt dieser Entwurf weit über die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts hinaus. Das wird zu einer er-
heblichen Verteuerung der Arbeitsleistungen führen. In
diesem Punkt darf ich auf das verweisen, was gestern im
Rechtsausschuss die sachsen-anhaltinische Ministerin
Schubert erklärt hat. Viele Privatbetriebe und erst recht
die Eigenbetriebe der Justizvollzugsanstalten werden
nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, wenn tatsäch-
lich eine Verdreifachung der Gefangenenentlohnung vor-
gesehen wird. Wenn die Arbeit zu teuer ist, wird Arbeits-
leistung nicht mehr nachgefragt; es ist leider so. In der
Folge wäre ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen in den
Justizvollzugsanstalten zu befürchten.

Das läuft dem Resozialisierungsgedanken diametral
entgegen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dem
Bemühen um Verbesserung der Bedingungen der Reso-
zialisierung in seinem Urteil breiten Raum eingeräumt.
Das wird mit diesem Entwurf der Regierungskoalition ge-
rade nicht erreicht. Außerdem wird dieser Entwurf, wenn
er denn Wirklichkeit werden sollte, zu erheblichen Span-
nungen unter den Gefangenen führen. Frau Ministerin
Schubert hat davon gesprochen, dass es dann ein Zwei-
klassensystem, sozusagen eine Zweiklassengesellschaft,
in den Gefängnissen geben würde, und zwar eine Klasse
derjenigen, die Arbeit haben, und einer Klasse derjenigen,
die keine Arbeit haben.


(Ulla Jelpke [PDS]: Das ist doch schon jetzt so! Gehen Sie doch mal in eine JVA!)


Nachdem selbst eine SPD-Ministerin in dieser Hinsicht
keine Klassengesellschaft will, wollen wir uns in diesem
Punkt anschließen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo kommen wir da hin! Jetzt muss man schon der SPD die Schaffung einer Klassengesellschaft vorwerfen! – Wolfgang Gehrke [PDS]: Die Klassenkämpfer von der CDU/CSU!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regie-
rungskoalition, die ganze Diskussion dreht sich ja um die
Frage: Was ist eine angemessene Entlohnung? Das ist,
denke ich, nicht allein eine Frage der prozentualen Er-
höhung. Die Angemessenheit kann sich nicht alleine im
Wettlauf um eine prozentuale Erhöhung darstellen. Auch
darüber haben wir ja gestern im Rechtsausschuss debat-
tiert. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass man mit
den 15 Prozent, die Sie planen, gegenüber dem Entwurf
von Union und Bundesrat sozusagen auf der sichereren
verfassungsrechtlichen Seite wäre. Denn wenn in den Jus-
tizvollzugsanstalten die Schere zwischen denen, die Ar-
beit haben, und denen, die keine Arbeit haben, immer wei-
ter auseinander geht, wenn die Zahl derjenigen, die Arbeit
haben, immer geringer wird, und diese dann dreimal so
viel Geld bekommen wie bisher, so stellt sich in diesem
Zusammenhang entsprechend das verfassungsrechtliche
Problem der Gleichheit.

Die Verdreifachung der Gefangenenentlohnung wäre
im Übrigen ein verheerendes Signal an die Opfer von
Straftaten.




Vizepräsidentin Petra Bläss
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(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja absurd! – Gegenruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU]: Das darf man nicht übersehen, Herr Beck! So ist es!)


– Nein, das ist alles andere als absurd. Das ist im Gegen-
teil eine sehr nahe liegende Gefahr, verehrter Herr Kol-
lege Beck. – Wenn außerdem davon gesprochen wird,
dass, wenn die Gefangenen mehr Geld bekämen, mögli-
cherweise auch mehr Geld für die Resozialisierung zur
Verfügung stünde, möchte ich dazu sagen: Es kann ja
wohl nicht sein, dass die Justizvollzugsanstalten und letzt-
lich damit der Steuerzahler die Resozialisierung der Ge-
fangenen übernehmen soll.


(Wolfgang Gehrke [PDS]: Was denn sonst?)

– Dass der Steuerzahler für die Resozialisierung auf-
kommt, ist ein neuer Gesichtspunkt. Das kann ja wohl
nicht sein, außer natürlich, wenn ich vom totalen Staat
ausgehe. Verehrter Kollege von der PDS, mit Ihrem
Staatsverständnis kann ich das in Einklang bringen; aber
ich glaube nicht, dass das der Sinn sein kann.

Unverständlich ist, dass der Entwurf der Regierungs-
koalition keine nicht monetären Maßnahmen enthält,
obwohl das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dies
ausdrücklich als Möglichkeit anspricht.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ist das ein Jurist?)

– Ich weiß nicht, ob Sie Jurist sind, Herr Kollege. Dann
sollten Sie sich besser nicht dazu äußern. – Ich trete gerne
in einen Disput mit Ihnen ein; aber ich weiß nicht, welche
Ausbildung Sie genossen haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Eine sehr gute!)

Ich komme nun noch zu einem Thema, das ebenfalls

erwähnt werden muss, nämlich die finanzielle Belastung
der Länder. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, allein
der bayerische Staatshaushalt hätte Mehrkosten in Höhe
von etwa 33 Millionen DM zu tragen, würde dieses Ge-
setz Wirklichkeit.


(Joachim Stünker [SPD]: Davon geht Bayern Pleite!)


– Bayern ist ein wirtschaftlich sehr solides Land, Herr
Kollege Stünker. Ich habe Ihren Einwurf sehr wohl ver-
standen. Dennoch wäre dieser Betrag faktisch nicht ver-
kraftbar. Darüber haben wir gestern gesprochen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn der bayerische Staatshaushalt diese Summe nicht mehr verkraftet, wird mir aber um Bayern Angst!)


Die anderen Länder, auch die SPD-regierten Länder, ma-
chen ähnliche Rechnungen auf. Bundesweit müssten die
Länder in der Summe etwa 230 Millionen DM ausgeben,
wenn Ihr Gesetzentwurf in die Tat umgesetzt würde.

Ich darf zusammenfassen. Der Gesetzentwurf der Re-
gierungskoalition schießt weit über die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtsurteils hinaus. Er vernichtet
Arbeitsplätze in den Justizvollzugsanstalten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! Er ist unsozial! – Lachen bei der SPD – Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD], zu Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] gewandt: Da lacht er selber!)


Er belastet die Länder unzumutbar und er setzt ein ver-
heerendes Signal für die Opfer.

Dass nicht nur wir das so sehen, sondern auch die Län-
der den Entwurf ablehnen, haben Sie ja an dem einmüti-
gen Votum der Länder erkennen können. Die „Frankfur-
ter Rundschau“ schreibt dazu: 16:0 gegen die
Bundesjustizministerin! So etwas hat es noch nie gege-
ben!


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ist das Eishockey?)


– Wenn es nur um Eishockey ginge, wäre dieses Ergebnis
rechtlich folgenlos, Herr Kollege Hartenbach.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Entwurf der CDU/CSU und auch der des Bundes-

rates sehen eine maßvolle Erhöhung der Löhne für Straf-
gefangene vor, die aber immerhin bei 40 Prozent liegt,
und zwar in Kombination mit nicht monetären Maßnah-
men. Mit diesem Kombinationsmodell tragen wir den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls Rech-
nung, allerdings beschränken wir uns auf das von Ver-
fassungs wegen gebotene Maß. Wir verhindern mit unse-
rem Vorschlag den Abbau von Arbeitsplätzen in den
Justizvollzugsanstalten und halten die finanzielle Belas-
tung der Länder in einem erträglichen Rahmen. Sie
würde nach unseren Vorstellungen bei nur etwa 40 Milli-
onen DM liegen, während nach dem Entwurf der Regie-
rungskoalition Mehrkosten in Höhe von über 230 Milli-
onen DM auf die Länder zukommen.

Die Beratungen im Rechtsausschuss haben gezeigt,
dass die Regierungskoalition eingesehen hat, dass sie
nicht in der Lage ist, ihren Gesetzentwurf gegen die ge-
schlossene Front der Länder durchzudrücken. Unsere
Hoffnung richtet sich deshalb jetzt auf das Vermittlungs-
verfahren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413328600
Das Wort für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1413328700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Götzer,
ich finde es verkehrt, wenn wir in dieser Debatte die not-
wendige Resozialisierung der Täter – damit hat Karlsruhe
sein Urteil begründet – gegen die berechtigten Interessen
der Opfer von Straftaten ausspielen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hier wird überhaupt nichts gegeneinander ausgespielt! Hier wird festgestellt!)





Dr. Wolfgang Götzer

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Das ist der falsche Zungenschlag und nützt auch den Op-
fern nichts.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihnen fällt doch nichts Besseres ein!)


Wenn man für die Resozialisierung der Täter nichts
macht, weil man für die Verbesserung der Situation der
Opfer auch nichts tut – das ist die Bilanz Ihrer Rechtspo-
litik, die Sie 16 Jahre betrieben haben –, dann macht man
einen Riesenfehler. Die jetzige Regierungskoalition
macht genau das Gegenteil. Wir werden durch die Reform
des rechtlichen Sanktionensystems erstmals die Op-
ferhilfe in diesem Land stärken.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Gegen die Länder!)


Es ist in der Tat ein Skandal, dass die Finanzierung der
Opferhilfe, der Hilfe für traumatisierte Verbrechensopfer,
bisher keine rechtliche Grundlage in diesem Land hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hat doch eine rechtliche Grundlage! Was sagen Sie denn da?)


Das werden wir ändern. Das hilft den Opfern tatsächlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Täter, der durch Resozialisierung dazu gebracht

wird, künftig keine Straftaten mehr zu begehen, und der
den Wert der Arbeit im Strafvollzug kennen und schätzen
gelernt hat,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der bekommt jetzt keine Arbeit mehr!)


der ist für die Gesellschaft und auch die potenziellen Op-
fer die beste Sicherheit. Herr Geis, reden Sie bitte nicht
die ganze Zeit dazwischen. Ich habe im Moment über-
wiegend das Wort im Parlament.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber das ist kaum auszuhalten!)


Der Stundenlohn von Strafgefangenen liegt gegen-
wärtig bei 1,72 DM. Karlsruhe ist 1998 der Geduldsfaden
gerissen und hat an die Adresse des Gesetzgebers gesagt:
Dieser Zustand ist nicht mehr haltbar. Die Koalition hat
also die Zahlen nicht ausgewürfelt. Wir setzen vielmehr
die Vorgaben des Verfassungsgerichtsurteils um. Der Va-
ter des Urteils von 1998, der ehemalige Verfas-
sungsrichter Kruis, hat gesagt: Eigentlich müsste das Ni-
veau der Strafgefangenenentlohnung auf 20 Prozent
angehoben werden. Wir sind – mit Rücksicht auf die Fi-
nanzen der Länder – dieser Empfehlung nicht gefolgt und
haben mit unserem Vorschlag das Lohnniveau auf 15 Pro-
zent angehoben. Wir haben einen moderaten Weg ge-
wählt. Aber eines hat Kruis uns auf den Weg gegeben:
Zweistellig müsste die Erhöhung schon ausfallen. Damit
ist ganz klar: Der Gesetzentwurf, den die Union vorgelegt
hat, und leider auch der Vorschlag der Länder bewegen
sich nicht mehr auf der verfassungsrechtlich sicheren
Seite. Das ist bedauerlich. So können wir mit dem höchs-
ten Gericht in unserem Lande nicht umgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben die Rechnung noch immer nicht kapiert!)


Die höhere Entlohnung der Gefangenen

(Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Herr Geis, ich lasse keine Zwischenfragen zu; es ist spät
genug; wir haben darüber lange im Ausschuss und mehr-
mals im Plenum diskutiert; Sie würden heute Abend auch
nichts dazulernen, wenn ich Ihre Zwischenfrage zuließe;
denn Sie wollen gar nichts dazulernen –


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


bedeutet nicht, dass sie mehr Hausgeld zur Verfügung ha-
ben, um im Strafvollzug mehr einkaufen zu können. Da-
rum geht es hier nicht. Deshalb geht auch das Argument
der Zweiklassengesellschaft an der Sache vorbei. Ich fand
die Vorstellung interessant, dass die Union jetzt von einer
klassenlosen Gesellschaft träumt. Zu Ende gedacht ließe
Ihr Vorschlag, Herr Götzer, dass wir keinem Gefangenen
etwas zahlen. Denn die Differenzierung zwischen denen,
die Arbeit haben, und denen, die keine haben, besteht
schon heute.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist die falsche Schlussfolgerung! Aber das ist bei Ihnen ja keine Seltenheit!)


Wie können die Menschen lernen, dass die Arbeit, die sie
leisten, etwas wert ist, wenn sie dafür keine vernünftige
Entlohnung erhalten?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn sie überhaupt eine Arbeit bekommen!)


Meine Damen und Herren, die Entlohnung der Gefan-
genen dient aber auch den Opfern. Denn die Opfer, die
Wiedergutmachungsansprüche zivilrechtlicher Art gegen
die Täter stellen, können nur etwas bekommen, wenn die
Täter auch über Einkommen verfügen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn sie Arbeit haben!)


Deshalb ist es ganz entscheidend, dass sie Arbeit haben,
dass sie Geld verdienen, damit Wiedergutmachung an
die Opfer zahlen und ihre Schulden abzahlen können. Die
Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe hat fest-
gestellt, dass drei Viertel der Strafgefangenen überschul-
det sind. Wenn wir in dieser Situation nicht helfen, dass
sie durch Arbeit selber etwas ändern können, rutschen
diese Leute, wenn sie aus dem Strafvollzug kommen, er-
neut in die Kriminalität ab, weil sie keine Perspektive se-
hen, mit einem Leben in Legalität und frei von Straftaten
einen Weg zurück in die Gesellschaft mit neuen Start-
chancen zu finden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Meine Damen und Herren, wir müssen auch an die
Kinder und Ehefrauen von Strafgefangenen denken. Es
handelt sich ja mehrheitlich um Männer; deshalb formu-




Volker Beck (Köln)

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liere ich es auch so. Denn die Angehörigen haben Unter-
haltsansprüche. Diese gilt es zu realisieren. Auch diesem
Zweck dient der erhöhte Strafgefangenenlohn. Deshalb
ist der Vorschlag der Koalition ausgewogen. Er ist verfas-
sungsrechtlich geboten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihr rammt die Bundesmittel gegen die Wand!)


Ich hoffe, dass die andere Seite des Hauses und auch
der Bundesrat sich im Vermittlungsausschuss auf unseren
Vorschlag zubewegen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413328800
Es spricht jetzt der
Kollege Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1413328900
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich bin ganz sicher, dass der Ver-
mittlungsausschuss zu einem anderen Ergebnis kommen
wird. Mit Interesse werde ich die Reden, die wir hier heute
Abend von den Vertretern der Koalition gehört haben,
dann, wenn wir dieses Ergebnis haben, nachlesen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Dazu haben Sie gar keine Zeit, Herr van Essen!)


Denn dann wird die Koalition nämlich auf einmal bei ei-
nem Ergebnis zustimmen, das mit Sicherheit unter dem
liegen wird, was die Koalition hier heute vorschlug.

Ich bedauere es ganz außerordentlich, dass wir ein Ge-
setz verabschieden, von dem wir schon vorher wissen,
dass es so nicht in Kraft treten wird, weil das eine Art von
Gesetzgebung ist, die ich mir für den Bundestag gerade
nicht wünsche.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das war bei Ihrem Steuergesetz genauso!)


Ich denke, dass alle Gelegenheit gegeben wäre, zu ei-
nem Übereinkommen mit den Ländern zu kommen;
denn die Zeit drängt. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns eine klare Frist gesetzt. Am 1. Januar des nächsten
Jahres muss eine Regelung stehen. Bei uns in der Fraktion
hat es – das will ich gar nicht verschweigen – eine heftige
Debatte gegeben. Viele der Argumente, die heute Abend
eine Rolle gespielt haben, haben auch Kolleginnen und
Kollegen in meiner Fraktion überzeugt. Sie haben sich für
eine deutliche Erhöhung der Gefangenenentlohnung aus-
gesprochen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: 14 Prozent!)

Ich selbst habe zu denen gehört, die dafür plädiert ha-

ben, den Ländern zu folgen. Für mich war die erste und
wichtigste Frage dabei, weil ich der Auffassung bin, dass
wir das, was uns das Bundesverfassungsgericht auferlegt,
auch umsetzen müssen: Ist das, was die Länder vorschla-
gen, verfassungsgemäß? Vom Kollegen Götzer ist ja hier
schon ausgeführt worden – ich denke, auch Frau Ministe-
rin Schubert wird dazu gleich etwas sagen –, dass das
Bundesverfassungsgericht das, was die Länder beabsich-
tigen, ausdrücklich zulässt. Es macht nämlich klar, dass

den Vorgaben des Verfassungsgerichtes nicht nur durch
monetäre Leistungen, sondern auch durch andere Maß-
nahmen entsprochen werden kann. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt, der mir wichtig war, ist, dass wir zu
einer wirklichen Verbesserung für die Gefangenen kom-
men. Denn alles, was wir hier gehört haben – bessere Re-
sozialisierung, bessere Unterhaltsleistungen und bessere
Leistungen an die Opfer –, wird illusionär, wenn die Wirk-
lichkeit dazu führt, dass weniger arbeiten. Wenn die Ar-
beit in den Justizvollzugsanstalten so drastisch teurer
wird, wie es die Koalition vorschlägt, dann hat das zur
Konsequenz, dass wir in den Anstalten weniger Arbeit an-
bieten können.

Wenn einem der Gedanke der Resozialisierung wich-
tig ist – ich gehöre zu diesen Personen –, dann muss man
doch feststellen, dass der Nachweis von permanenter Ar-
beit und das Gewöhnen an die Prozesse von Arbeit, was
ja bei vielen Strafgefangenen vor ihrer Inhaftierung nicht
der Fall war, die besten Vorbereitungen auf die Freiheit
sind. Deshalb scheint mir der Weg, den die Länder gehen,
ein vernünftiger zu sein. Ich habe zwar das Gefühl, dass
die Position der Länder natürlich auch von monetären,
von finanziellen Gesichtspunkten beeinflusst ist. Ich
denke aber, dass, wenn man abwägt, der Weg der Länder –
so, wie sie ihn vorschlagen – ein Weg der Vernunft ist,
weil er möglichst viel Arbeit für die Strafgefangenen in
den Justizvollzugsanstalten erhält.

Ich komme zu meiner letzten Überlegung. Herr Beck
hat von den Opfern gesprochen und die wirklich abstruse
Behauptung aufgestellt, dass jetzt zum ersten Mal etwas
für Opfer getan werde. Wir haben – Gott sei Dank – in der
letzten Legislaturperiode unter dem Bundesjustizminister
Edzard Schmidt-Jortzig erhebliche Fortschritte in der
Frage der Opferentschädigung erzielt. Wenn ich vor der
Entscheidung stehe, wo Verbesserungen für mich den
Schwerpunkt haben sollten, dann muss ich sagen: bei den
Opfern. Es gehört auch zur Ehrlichkeit, zu sagen, dass wir
dann, wenn wir mehr Geld geben, immer noch unter den
Pfändungsfreigrenzen sind und es dann immer noch von
der Entscheidung der Strafgefangenen abhängt, ob die
Opfer tatsächlich mehr Geld bekommen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau so ist es! Alles andere ist eine Illusion!)


Mir ist aber klar: Wenn der Strafvollzug teurer wird, dann
ist in den Länderhaushalten, insbesondere in den Justiz-
haushalten, weniger Geld für Opfer vorhanden. Auch das
macht meine Entscheidung leicht, mich für den Entwurf
der Länder auszusprechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329000
Jetzt hat die Kollegin
Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion das Wort.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413329100
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Ich meine, dass wir heute ein trauriges Kapi-
tel der Strafvollzugsgeschichte erneut diskutieren. Herr
Stünker, bereits 1977, also vor genau 23 Jahren, als man




Volker Beck (Köln)


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die große Strafvollzugsreform hier im Hause verabschie-
det hat, wurde eine Erhöhung der Gefangenenlöhne auf
40 Prozent des Tariflohns bis zum Jahr 1986 vorgesehen.
Schon damals haben Experten gesagt, dass es eigentlich
75 Prozent sein müssten. Auch die Bundesarbeitsgemein-
schaft für Straffälligenhilfe sowie Justizvollzugsanstalts-
leiter – die Strafgefangenen natürlich sowieso – fordern,
dass auf jeden Fall eine Erhöhung, die an den Tariflohn
heranführt, durchgesetzt werden müsste. Es gibt Anstalts-
leiter, die davon sprechen, dass eine Entlohnung unter
20 Prozent verfassungswidrig ist.


(Beifall bei der PDS)

Ich weise darauf hin, dass die Bundesrepublik hin-

sichtlich der Gefangenenentlohnung den neunten Platz
unter den europäischen Ländern einnimmt. Ich möchte
ebenfalls darauf hinweisen, dass wir in den vergangenen
Legislaturperioden immer wieder Anträge eingebracht
haben, die eine tarifliche Entlohnung der Gefangenen und
deren Einbeziehung in die gesetzlichen Renten- und
Krankenversicherung fordern. Diese Forderung ist bis
heute nicht annähernd erfüllt.


(Beifall bei der PDS)

Auch wenn die SPD und die Grünen heute hier sagen,
dass sie einen verfassungsgemäßen Antrag einbringen
wollen, in dem sie gerade einmal 15 Prozent fordern, wird
das dem, was notwendig ist, nicht gerecht.


(Beifall bei der PDS)

Ich will die einzelnen Anträge nicht noch einmal vor-

stellen; dazu reicht meine Zeit gar nicht. Einen Gedanken
will ich aber doch noch aufgreifen. Es geht hier darum,
den Gefangenen zu ermöglichen, mehr Schadenswieder-
gutmachung und Opferentschädigung zu leisten, als sie
es bisher können. Die meisten können es bisher gar nicht,
weil sie arbeitslos sind. Die Arbeitslosigkeit ist in deut-
schen Gefängnissen extrem hoch; das ist zweifellos rich-
tig.

Der Resozialisierungsgedanke – der Kollege Beck hat
es schon erwähnt – ist meines Erachtens aber ganz we-
sentlich. Erst in der vergangenen Woche haben wir hier
über Verbrechensbekämpfung diskutiert. Es wird immer
wieder darüber geklagt, dass die Rückfallquote der Ge-
fangenen sehr hoch ist. Resozialisierung bedeutet, Men-
schen in die Lage zu versetzen, ein neues Leben zu be-
ginnen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was der
Bundesrat fordert, nämlich dass den Gefangenen im Mo-
nat ein Lohn von 320 DM gezahlt wird – davon müssen
sie Tabak und alles Mögliche im Monat bezahlen –, dann
erkennen Sie: Davon bleibt so gut wie gar nichts übrig.
Das heißt, wenn die Entlassung ansteht, dann ist im
Grunde genommen überhaupt kein Geld vorhanden, um
das neue Leben straffrei zu führen. Mit einer solchen Ent-
lohnung ist das Ansteigen der Rückfallquote vorprogram-
miert. Das Herstellen von Lebensbedingungen mit Arbeit
und Wohnung ist nach dem Absitzen einer Strafe so gar
nicht möglich.


(Beifall bei der PDS)

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die meisten Gefan-

genen sind in der Tat – das Statistische Jahrbuch spricht
von Verbindlichkeiten in Höhe von 45 000 DM – hoch

verschuldet. Auch an diesem Punkt muss Hilfe geschaffen
werden. Es kann nicht angehen, dass man so ignorant mit
Strafgefangenen umgeht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329200
Frau Kollegin Jelpke,
Sie müssen zum Schluss kommen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413329300
Ja, ich komme zum Schluss.
Noch etwas zu Ihnen, Herr Götzer: Ich halte Ihr Re-

chenbeispiel zu Arbeitsplätzen, die angeblich geschaffen
werden, indem man die Löhne niedrig hält, für absolute
Demagogie. Es gibt Möglichkeiten, mit mehr Initiativen
seitens der staatlichen Einrichtungen, aber auch durch
Werbung Arbeitsplätze in den Gefängnissen zu schaffen.
Das, was in den Gefängnissen gegenwärtig geschieht, ist
ein Skandal.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es wird in den Gefängnissen auch keine Besserungen ge-
ben, wenn Sie es weiterhin so handhaben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329400
Frau Kollegin Jelpke,
bitte.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1413329500
Einen Satz noch. – Ein Gefange-
ner hat zu mir gesagt: Wie kann man Resozialisierung in
einer asozialen Umwelt erleben? Diese Frage stelle ich
auch Ihnen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329600
Das Wort hat die Jus-
tizministerin des Landes Sachsen-Anhalt, Karin Schubert.

Karin Schubert, Ministerin (Sachsen-Anhalt) (von
Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Ich bin über all das,
was von den einzelnen Fraktionen hier bereits gesagt wor-
den ist, froh. An den Anfang meiner Rede möchte ich ein
ganz kleines Bonmot stellen: Herr Kollege Stünker, Sie
haben davon geredet, dass in den Anstalten um 22 Uhr das
Licht ausgeht. Ich kann mir vorstellen, dass alle hier heute
gerne um 22 Uhr das Licht ausgemacht hätten.


(Zurufe von der SPD: Nein! – Detlev von Larcher [SPD]: Wir wollten Sie alle hören! – Zuruf von der PDS: Wir sind freiwillig hier!)


In den Anstalten wird nicht nur ohne Ende Licht gewährt;
man kann auch Kabelfernsehen, zum Beispiel den Kanal
Phoenix, empfangen. Vielleicht sehen uns die Insassen
heute Abend sogar.


(Beifall bei den Abgeordneten der PDS)

Wir haben folgendes Problem: Die Bundesverfas-

sungsgerichtsentscheidung von 1998 hat angeprangert,
dass die jetzige Lösung der Gefangenenarbeitsvergütung
so nicht verfassungsgemäß ist. Man hat uns aufgefordert,
bis zum Jahresende eine Lösung für das Problem einer an-
gemessenen Entlohnung der Gefangenen zu finden. Nach




Ulla Jelpke
12896


(C)



(D)



(A)



(B)


der Entscheidung des Verfassungsgerichts muss diese Lö-
sung nicht ausschließlich in monetären Maßnahmen be-
stehen; vielmehr hat man ganz bewusst offen gelassen,
wie eine angemessene Anerkennung von Gefangenen-
arbeit aussehen darf.

Vorgesehen ist eine Verdreifachung der Vergütung. Es
handelt sich nicht um eine Anhebung der jetzigen Vergü-
tung um 15 Prozent, wie die Kollegin Jelpke eben gesagt
hat, sondern um eine Anhebung um 200 Prozent. Ich
möchte nicht die finanziellen Aspekte der Länder in den
Vordergrund stellen; denn nicht in erster Linie diese ha-
ben den Bundesrat bewogen, einen eigenen Gesetzent-
wurf einzubringen.

Wir haben uns überlegt, wie man die Verfassungswid-
rigkeit der jetzigen Anerkennung der Arbeit ausschalten
kann. Wir haben festgestellt, dass die realen Verhältnisse
hinter den Mauern, was die Arbeit von Gefangenen
angeht, leider nicht so aussehen, wie es das Strafvoll-
zugsgesetz vorsieht. Richtigerweise wird der Arbeit der
Gefangenen ein hoher Resozialisierungsfaktor beige-
messen. Wir wünschen uns, dass für jeden die §§ 37 und
41 des Strafvollzugsgesetzes umgesetzt werden. Es geht
darum, den Gefangenen Arbeit anzubieten, weil jeder Ge-
fangene nach dem Strafvollzugsgesetz zur Arbeit ver-
pflichtet ist.

Leider ist das Vorhandensein von Arbeitsmöglich-
keiten für Strafgefangene nicht überall der Fall. In kei-
nem Land der Bundesrepublik liegt die Beschäftigungs-
quote über 50 Prozent. Mit Beschäftigungsquote meine
ich nicht nur die wirtschaftlich ergiebige Arbeit, sondern
auch all die Verdrängungsmaßnahmen, die in Strafanstal-
ten unternommen werden, um die Insassen überhaupt zu
beschäftigen. Ich denke an die so genannte wirtschaftlich
nicht ergiebige Arbeit, Hausarbeit usw., an Arbeitsthera-
pie und auch an die Aus- und Fortbildungsverhältnisse.
All das wird bei der Beschäftigungsquote mitgezählt.
Trotzdem kommen wir nicht über 50 Prozent.

Wir haben darüber nachgedacht, wie man die Verfas-
sungswidrigkeit im Bereich der Gefangenenarbeit, die
deswegen besteht, weil nur die Hälfte der inhaftierten Ge-
fangenen Arbeit haben kann, so aufhebt, dass man allen
irgendetwas bietet. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns hierfür den Weg vorgegeben. Wir müssen nicht rein
monetäre Maßnahmen vorsehen. Wir können auch nicht-
monetäre Maßnahmen vorsehen. Das haben wir getan.

Man kann sich in der Tat Gedanken darüber machen,
ob die nichtmonetäre Maßnahmen, die wir jetzt vorsehen,
ausreichen. Der Weg zur Beratung hierüber ist ja vorge-
zeichnet: Im Vermittlungsausschuss können wir uns da-
rüber Gedanken machen, wie wir beides kombinieren.
Bedenken Sie bitte, was heute richtigerweise angeklun-
gen ist: Opfer wollen, dass ihr Schaden wiedergutgemacht
wird, Familien wollen ihren Unterhalt haben. Welches
Opfer hat es denn verdient, dass der Täter keine Arbeit be-
kommt? Dieses hätte dann überhaupt keine Chance auf
Entschädigung. Welche unterhaltsberechtigten Fami-
lienangehörigen hätten es denn verdient, dass nun gerade
das zu Unterhaltszahlungen verpflichtete Familienmit-
glied keine Arbeit hat? Hier liegt die große Schwierigkeit
bezüglich der Umsetzung des Urteils des Bundesverfas-

sungsgerichts. Wir Länder haben gesagt: Die Möglich-
keit, dass eine weitere Klage derer, die nicht in den Ge-
nuss irgendwelcher monetärer Maßnahmen kommen, er-
hoben wird, liegt auf der Hand.

Was macht man nun angesichts dieses Ganges zwi-
schen Skylla und Charybdis? Eine angemessene monetäre
Leistung ist ganz bewusst vom Bundesverfassungsgericht
nicht vorgeschrieben worden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck, haben Sie das gehört? – Der hört ja gar nicht mehr zu!)


Dort hat man sich nicht mit Zahlen befasst, weil man
wusste, wie die realen Verhältnisse sind. Man hat aber ei-
nen Hinweis auf das Strafvollzugsgesetz gegeben. Dort
sah man 1977 in der Tat eine Erhöhung von 5 Prozent auf
40 Prozent bis 1986 vor. Nun könnte man sagen, damit sei
ein Schlusspunkt erreicht. In der Entscheidung des Bun-
desverfassungsgerichtes steht aber drin, dass das nur bei
rein monetären Maßnahmen gilt, die im Gesetzentwurf
der Länder gerade nicht im Vordergrund stehen.

Zum einen steht die Frage im Raum, was vor dem
Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, zum an-
deren sind wir in Eile. Wir müssen noch in diesem Jahr ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen, denn sonst befinden wir uns
ab 1. Januar 2001 im rechtsfreien Raum.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es! Sonst entscheiden die Gerichte!)


Das können wir uns nicht leisten; auch das wäre verfas-
sungswidrig. Deshalb sollten wir alle uns Gedanken ma-
chen, wie wir damit umgehen, wie wir am Besten dem Ge-
danken der Resozialisierung gerecht werden können und
wie wir auch den Gefangenen zu einem einigermaßen
würdigen und der Resozialisierung dienenden Leben hin-
ter Mauern verhelfen können.

Da meine Redezeit schon überschritten ist, möchte ich
nur noch einen Satz sagen: Wir haben festgestellt, dass die
Unternehmer, die uns jetzt Arbeit zu Löhnen, die das
Lohnniveau um über 50 Prozent unterschreiten, anbieten,
in Niedriglohnländer abwandern werden. Uns sind
schon entsprechende Hinweise gegeben worden. Das
würde bedeuten, dass noch weniger Gefangene in den Ge-
nuss von Anerkennung aufgrund einer angemessenen Ar-
beit kommen. Ich möchte Sie deswegen bitten, sich noch
einmal Gedanken zu machen, wie wir allen gleicher-
maßen helfen können.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, CDU/CSU und der PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist jetzt schon zu spät!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329700
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär im
Bundesjustizministerium, Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1413329800
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Es geht hier nicht um die Frage von Böse und Gut




Ministerin Karin Schubert (Sachsen-Anhalt)


12897


(C)



(D)



(A)



(B)


oder darum, wer mehr Lohn geben kann und wer nicht im-
stande ist, das zu tun. Es geht vielmehr um die Frage, wie
das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes angemessen
und adäquat umgesetzt werden soll. Dieses beinhaltet
auch die Abwägung der finanziellen Möglichkeiten der
Länder, verehrte Justizministerin des Landes Sachsen-
Anhalt.

Wir müssen darüber entscheiden, ob wir uns in dem
Rahmen bewegen, den das Bundesverfassungsgericht
vorgegeben hat oder nicht. Es ist sicher richtig, dass vom
Bundesverfassungsgericht nicht nur die monetären
Leistungen zur Disposition gestellt worden sind und eine
Verbesserung dieser Leistungen angemahnt worden ist.
Nichtsdestoweniger ist die finanzielle Seite eine ganz
wichtige. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass
der Entwurf der Koalitionsfraktionen, der sich auf die mo-
netäre Seite beschränkt, den Maßstäben, die das Bundes-
verfassungsgericht in seinem Urteil gesetzt hat, gerecht
wird.

Wir haben den Eindruck, dass eine Erhöhung von 5 auf
7 Prozent der Bezugsgröße, flankiert von der Möglichkeit
einer Haftverkürzung von sechs Tagen pro Jahr Arbeit,
nicht ausreicht und damit der Vorgabe des Bundes-
verfassungsgerichts nicht entsprochen wird.

Ich denke, dass auch richtig ist, noch einmal darauf
hinzuweisen, dass man natürlich nicht so argumentieren
kann: Je höher die Gefangenenentlohnung ist, um so we-
niger Arbeit steht zur Verfügung. Dann müsste ja das um-
gekehrte Argument gelten: Je mehr die Gefangenenent-
lohnung gegen Null strebt, um so mehr Arbeit ist da, und
damit wäre den Gefangenen geholfen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Arbeit ist immer da!)


Auch diese Rechnung, Herr Kollege Geis, geht natürlich
nicht auf.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen wir ja auch nicht!)


Deswegen geht es um die Frage, wie hoch angemessenes
Entgelt ist. Darüber kann man natürlich streiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich fand übrigens den Hinweis von Herrn van Essen

sehr ehrlich, der ja gesagt hat, dass dies in seiner Fraktion
sehr umstritten gewesen ist. Ich denke, das zeigt auch,
dass man sehr unterschiedlicher Meinung über diese
Frage sein kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber eines – das möchte ich doch am Schluss noch sa-

gen – will mir gar nicht einleuchten. Sowohl in dem Ent-
wurf des Bundesrates – da allerdings etwas zurückhalten-
der – als auch im Entwurf der CDU/CSU-Fraktion werden
bestimmte Gefangene ausgegrenzt,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)

bei Ihnen zum Beispiel die Untersuchungsgefangenen,
zum Beispiel die jungen Gefangenen. Ich denke, das ist
gerade der falsche Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gerade in den Bereichen der Jugendlichen, meine Da-
men und Herren, ist es erforderlich, dass diese jungen
Leute die Chance bekommen, den Wert der Arbeit zu er-
leben. Insofern habe ich persönlich kein Verständnis für
die Ausgrenzung gerade der Gefangenen, die besonders
den Wert der Arbeit erfahren müssen. Insofern denke ich,
das ist ein Webfehler, den man deutlich machen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In einer etwas geringeren Form gilt das natürlich auch

für den Bundesratsentwurf, der ebenfalls nicht alle Ge-
fangenen einbezieht. Insofern ist es meines Erachtens
wirklich wichtig, dass in dem Verfahren im Vermittlungs-
ausschuss noch vor Ende des Jahres ein Ergebnis erzielt
wird.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Darüber kann man ja reden, Herr Pick! Da sind wir beweglich!)


Es wäre in der Tat blamabel für den Gesetzgeber, wenn an
seine Stelle schließlich die Gerichte mit unterschiedlichen
Wertungen treten müssten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] – Norbert Geis [CDU/CSU]: Da haben Sie uns voll auf Ihrer Seite!)


Ich finde, das sollte ein Argument sein, lieber Herr
Geis, dass wir uns alle anstrengen, einen Kompromiss zu
finden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Er sagt „lieber Herr Geis“! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das höre ich selten von der SPD!)


– Der Herr Geis verdient manchmal auch den Begriff
„lieb“,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der SPD)


insbesondere wenn er sich so verhält wie heute.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich bedanke mich sehr!)

Deswegen denke ich, wir sind alle aufgerufen, an einem
Ergebnis mitzuwirken,


(Volker Beck [Köln] NEN)

Geis!)

das dann zum einen den Forderungen des Bundesverfas-
sungsgerichts entspricht, zum anderen aber auch dem,
was wir den Gefangenen und letztlich ebenso den Opfern,
finde ich, die ja mit diesen Mitteln auch Genugtuung er-
fahren können, schuldig sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413329900
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar
zunächst zur Abstimmung über den von den Fraktionen




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick
12898


(C)



(D)



(A)



(B)


der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrach-
ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafvoll-
zugsgesetzes, Drucksachen 14/3763 und 14/4622.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU
und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenom-
men.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorhin
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes des Bundesrates zur Änderung des Strafvollzugs-
gesetzes auf Drucksache 14/4452. Der Rechtsausschuss
empfiehlt auf Drucksache 14/4622 unter Buchstabe b, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen den Frak-
tionen der CDU/CSU und der F.D.P. abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir treffen uns im Vermittlungsausschuss!)


Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung
des Strafvollzugsgesetzes auf Drucksache 14/4070. Der
Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4622 unter
Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
auch hier eine weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert

Hauser (Bonn), Norbert Röttgen, Ilse Aigner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Sicherung der außeruniversitären interdis-
ziplinären Grundlagenforschung in der In-
formations- und Kommunikationstechnik

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta
Böttcher, Rolf Kutzmutz, Ursula Lötzer und
der Fraktion der PDS
Keine Fusion des GMD-Forschungszen-
trums für Informationstechnik und der

Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) zulasten
der IuK-Grundlagenforschung
– Drucksachen 14/3097, 14/4037, 14/4373 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Norbert Hauser
Hans-Josef Fell
Cornelia Pieper
Angela Marquardt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Auch hier
kann ich Sie beglücken. Die Kolleginnen und Kollegen
Jörg Tauss, Norbert Hauser, Hans-Josef Fell, Ulrike
Flach, Maritta Böttcher sowie der Parlamentarische
Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen geben ihre Re-
den sämtlich zu Protokoll.1)


(Beifall bei Abgeordneten der PDS, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung auf Drucksache 14/4373. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrages der Fraktion der CDU/CSU zur Sicherung
der außeruniversitären interdisziplinären Grundlagenfor-
schung in der Informations- und Kommunikati-
onstechnik, Drucksache 14/3097. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Keine Fusion des GMD-
Forschungszentrums für Informationstechnik und der
Fraunhofer-Gesellschaft zulasten der IuK-Grundlagen-
forschung“, Drucksache 14/4037. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi

Lippmann, Wolfgang Gehrcke, Dr. Gregor Gysi,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Transparenz und parlamentarische Kontrolle
bei Rüstungsexporten
– Drucksache 14/4349 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Export-politik für konventionelle Rüstungsgüter imJahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999)





Vizepräsidentin Petra Bläss

12899


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

– Drucksache 14/4179 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Heidi Lippmann, Fred Gebhardt, Wolfgang
Gehrke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Keine Lieferung von Panzern und anderen
Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei
– Drucksachen 14/3004, 14/4487 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Dr. Ditmar Staffelt, Erich Fritz sowie
Claudia Roth haben ihre Reden bereits zu Protokoll gege-
ben.1)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDS-
Fraktion hat die Kollegin Heidi Lippmann.

Heidi Lippmann (PDS) (von der PDS mit Beifall be-
grüßt): Vielen Dank, liebe Kolleginnen. Meine Damen
und Herren! Welchen Stellenwert die Rüstungsexportpo-
litik in diesem Hause einnimmt, zeigt sowohl die mit-
ternächtliche Stunde als auch die Tatsache, dass der Rüs-
tungsexportbericht als Anhängsel zu zwei PDS-Anträgen
auf der Tagesordnung steht.

Ist dies Ausdruck der viel gepriesenen und lautstark ge-
forderten Transparenz? – Wohl kaum. Vielmehr ist es der
Versuch, ein unliebsames Thema, das immer wieder zu
Koalitionsstreitigkeiten geführt hat, aus dem Rampenlicht
der Öffentlichkeit zu nehmen.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn? Unglaublich!)


Zur Abstimmung steht heute unser Antrag, keine Pan-
zer und sonstigen Rüstungsgüter und Lizenzen in die
Türkei zu liefern. Was die mögliche Lieferung von
1 000 Panzern betrifft, ist dieses Thema zwar zumindest
vorübergehend auf Eis gelegt, doch nichtsdestotrotz ist es
skandalös, dass nach wie vor in großem Ausmaß Waffen
und Kriegsgüter, Lizenzen für Munition und vieles andere
geliefert werden, obwohl die Menschenrechtssituation
in der Türkei nach wie vor katastrophal ist.


(Beifall bei der PDS)

Allein 1999 gingen 24 Prozent der deutschen Rüstungs-
exporte im Wert von 645 Millionen DM in die Türkei.


(Uwe Hiksch [PDS]: Ein Skandal!)

In dem „Regelmäßigen Bericht 2000 der Europäischen

Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem
Weg zum Beitritt“ vom 8. November dieses Jahres heißt

es unter anderem, dass sich, verglichen mit dem Vorjahr,
die Situation nicht grundlegend verbessert hat und die
Türkei lediglich „Grundmerkmale eines demokratischen
Systems“ aufweist. Zwar werde die Todesstrafe in der
Praxis nicht vollstreckt, „doch die Gesamtsituation bei
den Menschenrechten bleibt Besorgnis erregend. Folter
und Misshandlung sind noch lange nicht verschwunden“,
die „Haftbedingungen haben sich nicht verbessert“, es
kommt „regelmäßig zu Beschränkungen der Meinungs-,
Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit“. Die „Situation
bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten
hat sich nicht verbessert“ und die „Lage im Südosten, wo
die Bevölkerung vorwiegend kurdisch ist, hat sich nicht
wesentlich geändert“.

All dies ist bekannt und kann durch unzählige weitere
Berichte anderer Institutionen ergänzt werden. Doch
reicht es Ihnen, Kolleginnen und Kollegen, immer noch
nicht aus, daraus ein vollständiges Rüstungsexportverbot
abzuleiten.


(Beifall bei der PDS)

Dieses ist insbesondere für Ihre Politik, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, ein Armutszeugnis.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Liest man den Rüstungsexportbericht 1999, dann wird

dies an vielen Beispielen deutlich: Während 1998 Rüs-
tungsgüter im Wert von 1,34 Milliarden DM exportiert
wurden, waren es 1999 effektiv 2,84 Milliarden DM.


(Uwe Hiksch [PDS]: Das ist eine Schande!)

Das ist ein Anstieg von 117 Prozent.

Außerhalb der NATO und der EU lag Israel mit
940 Millionen DM an der Spitze. Das Geld wurde
hauptsächlich für U-Boote ausgegeben, für die sich Israel
anlässlich des kürzlichen Kanzlerbesuchs herzlich be-
dankte. Welchen Einfluss dieses Geschäft auf die ange-
spannte Lage im Nahen Osten hat, zeigt die Empörung in
den arabischen Staaten.

Alarmierend ist, dass Kleinwaffen und Munition in
zum Teil großer Menge an Staaten geliefert wurden, in de-
nen massive Menschenrechtsverletzungen nachgewie-
sen wurden, zum Beispiel an Ägypten, Georgien, Indien,
Indonesien, Iran, Kroatien, Südkorea, Mazedonien,
Nepal, die Philippinen, Sambia und Senegal. Missachtet
wurden sogar die Embargos bezüglich der Bundesre-
publik Jugoslawien, Äthiopien, Kroatien, Bosnien-Herze-
gowina und – last, not least – Sierra Leone.

Von den 1999 weltweit mindestens 100 000 in bewaff-
neten Konflikten getöteten Menschen starben nach Anga-
ben des Instituts für Strategische Studien 60 000 allein in
Bürgerkriegen südlich der Sahara. In drei Vierteln der
schwarzafrikanischen Länder wurden seit vergangenem
Oktober bewaffnete Konflikte ausgetragen, ein Großteil
mit deutschen Waffen.

Nicht erwähnt wird im Bericht die Ausfuhr von Elek-
troschockwaffen, einen beliebten Folterwerkzeug, oder
von Fesselwerkzeugen. Ebenso fehlen wichtige Bereiche
wie die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, der
Transfer von Know-how, die Lizenzvergabepraxis in der




Vizepräsidentin Petra Bläss
12900


(C)



(D)



(A)



(B)


2) Anlage 7

Rüstungskooperation und Exporte von zur militärischen
Nutzung geeigneten Dual-Use-Gütern.

In vielen Fällen fehlen Angaben zur Art der Rüstungs-
güter, sodass man nur spekulieren kann, was im Wert von
13,2 Millionen DM nach Liechtenstein exportiert wurde
und wie der Endverbleib geregelt ist. Erwähnt werden
auch nicht die liefernden Firmen und die konkreten Emp-
fänger, da die Geheimhaltungspflicht für Rüstungsge-
schäfte natürlich wichtiger ist als Transparenz. Dieses be-
weist die Schieflage bei der Abwägung der Rechtsgüter
und macht deutlich, dass der Regierung Profit und Privat-
eigentum wichtiger sind als Menschenrechte und Men-
schenleben – im Zweifelsfall zugunsten der Wirtschaft.


(Beifall bei der PDS)

Ein aktiver Beitrag zum präventiven Schutz der Men-

schenrechte und zur Konfliktvermeidung wäre ein konse-
quentes Rüstungsexportverbot. Wir wissen, dass dieses
bei einem großen Teil des Hauses politisch nicht
durchsetzungsfähig ist. Doch wir hoffen, dass Sie wenigs-
tens unseren Antrag zu mehr Transparenz und parlamen-
tarischer Kontrolle bei Rüstungsexporten unterstützen
werden.


(Beifall bei der PDS)

Eine Mitberatung in den Ausschüssen ist zwar keine

Garantie dafür, dass künftig auch nur eine Waffe weniger
geliefert wird. Doch es kann dann keiner mehr behaupten,
er habe von nichts gewusst.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330000
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht der Kollege Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1413330100
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese
Bundesregierung und insbesondere ihr grüner Teilhaber
verstricken sich immer mehr in Widersprüche.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Einerseits genehmigen sie die Lieferung einer Munitions-
fabrik, andererseits wollen sie den Bau von Leopard-Pan-
zern vor Ort verhindern. Nüchterne Beobachter der Szene
verstehen diesen Eiertanz nicht, was auch kein Wunder
ist, da die Akteure ihr eigenes Handeln selbst nicht ver-
stehen.

Mit Munition für Kleinwaffen kann man die Opposi-
tion im eigenen Land, insbesondere ethnische Minderhei-
ten, in der Tat niederhalten. Dies zu verhindern ist eines
der selbstverständlichsten Ziele der Bundesrepublik
Deutschland, deren Politik auf die Wahrung der Men-
schenrechte in Europa und überall ausgerichtet ist.

Lassen Sie mich eines in aller Klarheit sagen: Die
F.D.P. bleibt bei ihrer Grundhaltung, große Zurückhal-
tung bei Waffenexporten zu üben.


(Uwe Hiksch [PDS]: Das haben wir bei der letzten Regierung gemerkt!)


Wir alle wissen, dass mit Waffenlieferungen Kriege oft
erst ermöglicht oder verlängert werden. Die F.D.P. ist
auch weit davon entfernt, die Frage der Waffenexporte
primär unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplätze im ei-
genen Land zu sehen.


(René Röspel [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Unglaublich!)


Diese stellen nur ein Argument unter mehreren dar, wobei
andere Argumente sehr wohl stärkeres Gewicht haben
können. So würden wir nie Minen produzieren wollen,
mit denen in anderen Ländern unendliches Elend ange-
richtet wird.

Nun aber zum Thema Leopard und Türkei. Wir plä-
dieren für den Export dieser Panzer in die Türkei bzw. für
die Zustimmung zur Errichtung eines Leopard-Werkes in
der Türkei. Die Gründe:

Erstens. Mit dem Leo 2 werden Leoparden der ersten
Generation ersetzt, die wir bereits vor zehn Jahren dorthin
exportiert haben.

Zweitens. Wenn wir den Leoparden nicht liefern, dann
werden mit großer Freude die Franzosen, die Amerikaner,
die Ukrainer, die Kanadier oder wer auch immer liefern.

Drittens. Die Türkei soll im internationalen Rahmen
gestärkt werden, da sie in ihrer Region eine wichtige po-
sitive Rolle spielt. Sie kooperiert mit Israel und sorgt da-
mit dafür, dass arabische Hardliner in der Region den
Friedensprozess nur in geringerem Umfange stören kön-
nen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Viel wichtiger erscheint uns aber, dass die Türkei bei al-
len Mängeln, die wir sehr wohl sehen, als ein laizistischer
Staat den Fundamentalisten des Irak und des Iran, aber
auch den Traditionalisten in Syrien ein Gesellschaftsmo-
dell entgegenstellt.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Entscheidend ist für uns die neue geopolitische Lage,

die sich durch eine erhebliche Zahl von jungen Staaten im
südlichen Bereich der ehemaligen Sowjetunion auszeich-
net, deren Bevölkerung ganz oder teilweise islamischen
Glaubensrichtungen angehört und die zum Teil auch eine
ethnische Nähe zur Türkei haben. Diese jungen Staaten
suchen Orientierung, suchen die Möglichkeit einer An-
lehnung. Natürlich kommt das im Norden gelegene Russ-
land nach den Erfahrungen der vergangenen 80 Jahre hier-
für nicht infrage. Als Alternativen bleiben der Iran,
eventuell Afghanistan und eben die Türkei.

Wir Deutschen, wir Europäer müssen ein großes Inte-
resse daran haben, dass diese jungen Staaten enge Bezie-
hungen zur Türkei aufnehmen, die damit in ihrer Region
– und zwar weit in den asiatischen Bereich hinein – eine
völlig neue strategische Rolle übernehmen kann und soll.
Auch deshalb müssen wir die Türkei stark machen.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Rot-Grün fordert die Aufnahme der Türkei in die Eu-

ropäische Union, die auch wir Liberalen langfristig für




Heidi Lippmann

12901


(C)



(D)



(A)



(B)


richtig halten. Es ist aber geradezu abenteuerlich, diesem
Staat eine nahe Zukunft in der EU zu signalisieren und
gleichzeitig die innerhalb der NATO selbstverständliche
Lieferung von Waffensystemen blockieren zu wollen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uta Zapf [SPD]: Das tut doch keiner!)


Die Türkei ist seit Jahrzehnten ein verlässlicher Partner
in der NATO, der seine Aufgabe an den Dardanellen, aber
auch gegenüber den östlich angrenzenden Ländern immer
wahrgenommen hat. Wer die Türkei in der von Rot-Grün
beabsichtigten Weise brüskiert, schadet den deutschen
und den europäischen Interessen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4349 und 14/4179 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Keine Lieferung von
Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die
Türkei“, Drucksache 14/4487. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/3004 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 a und 18 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son-

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2001)

– Drucksache 14/4299 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Dr.Christa Luft, Ursula Lötzer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
ERP-Sondervermögen für Mittelstandsförde-
rung erhöhen
– Drucksache 14/4556 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Sigrid Skarpelis-
Sperk, Dagmar Wöhrl, Hans-Josef Fell, Gudrun Kopp
und Rolf Kutzmutz sowie der Parlamentarische Staatsse-
kretär Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1). – Auch hier sehe ich Einverständnis im ge-
samten Haus.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/4299 und 14/4556 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Hier gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Bernd
Neumann (Bremen), Sylvia Bonitz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sachgerechter Schutz der Rechte für Software
– Drucksache 14/4384 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.

Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil, Dirk
Manzewski, Margareta Wolf und Angela Marquardt so-
wie der Parlamentarische Staatssekretär Professor
Dr. Eckhart Pick haben ihre Reden bereits zu Protokoll ge-
geben2).

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Martin Mayer.

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU) (von
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Anlass für den Antrag und die
heutige Debatte ist die Diplomatische Konferenz zur
Revision des Europäischen Patentübereinkommens, die
vom 20. bis 29. November dieses Jahres in München
stattfindet. Dabei ist vorgesehen, Programme für Daten-
verarbeitungsanlagen, also Software, aus der Ausnahme-
vorschrift Art. 52 Abs. 2 des Europäischen Patentüber-
einkommens zu streichen und damit die Tür für weitere
Möglichkeiten der Patentierung von Software aufzu-
machen.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der F.D.P. be-
hauptet die Bundesregierung zwar, dass diese Streichung
die gegenwärtige Rechtspraxis eigentlich gar nicht
berühre, weil auch die bisherige Regelung die Patentie-
rung von Software nicht ausschließe. Diese Meinung teile
ich nicht; denn die Streichung der Software aus der Aus-
nahmevorschrift könnte sehr wohl ein Signal für die Ge-
richte sein. Als Folge könnte eine unabsehbare Auswei-
tung der Patentierungsmöglichkeiten bei Software
eintreten. Eine zentrale Frage für die Zukunft der Infor-
mationsgesellschaft kann aber nicht durch Richterrecht
entschieden werden. Hier muss der Gesetzgeber tätig wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Hildebrecht Braun (Augsburg)

12902


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8
2) Anlage 9

Software im weiteren Sinne ist nach der Lexikondefi-
nition der nicht gerätemäßige Teil einer Datenverarbei-
tungsanlage wie Programme und Daten. Im engeren Sinne
werden darunter allerdings nur die Programme verstan-
den. Der Antrag und meine Rede beziehen sich aus-
schließlich auf die Programme. Dabei ist mir bewusst,
dass es bei den Daten, also den Inhalten, beim Schutz der
Rechte gegenwärtig noch größere Herausforderungen
gibt als bei der Programmsoftware, um die es heute geht.
Unsere Fraktion hatte dazu heute eine Anhörung.

Computersoftware bestimmt den technischen Fort-
schritt in unserer Informationsgesellschaft maßgeblich
mit. Sie begegnet uns im Alltag oft unmerklich auf Schritt
und Tritt: vom Computer und vom Telefon bis hin zum
Auto und zur Waschmaschine. Ein Ende dieser Entwick-
lung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Software dringt
mehr und mehr in Produktionsprozesse, Dienstleistungen
und Konsumgüter ein.

Dieser technische Fortschritt ist natürlich nicht um-
sonst zu haben. Der Aufwand der Softwareentwicklung
wird nur dann betrieben, wenn er sich für den Entwickler
und die Firma lohnt. Dass er sich lohnt, wird im Allge-
meinen durch Schutzrechte gesichert. Für mich lautet da-
her nicht die Frage, ob Software geschützt werden muss;
diese Frage wird fast jeder mit Ja beantworten. Die Frage
ist vielmehr, mit welchem Rechtsinstrument Software an-
gemessen geschützt werden kann.

Heute unterliegt Software automatisch dem Urheber-
schutz. Zum Teil ist bestimmte Software auch patentier-
bar. Das Urheberrecht, das ursprünglich zum Schutz von
schriftstellerischen und künstlerischen Werken geschaf-
fen wurde, schützt allerdings nicht die Idee, die hinter ei-
ner bestimmten Software steckt, sondern nur den Wortlaut
des jeweiligen Programms. Es schützt damit nicht vor der
Verwendung gleicher Befehlsformen durch andere, sofern
diese keine Kopie sind. Das ist ähnlich wie bei schrift-
stellerischen Werken. Das Urheberrecht schützt den Soft-
wareentwickler damit nur unzureichend.

Auf der anderen Seite steht der Patentschutz, der un-
ter bestimmten Voraussetzungen auch in Deutschland bei
Softwareprogrammen Anwendung findet. Programme
müssen, um patentierbar zu sein, den generellen Anforde-
rungen eines Patentschutzes genügen; das heißt, die Tech-
nizität und die Erfindungshöhe müssen erfüllt sein.
Der Patentschutz billigt dem Erfinder ein Ausschlie-
ßungsrecht zu. Dadurch, dass kein anderer seine Erfin-
dung, das heißt sein Programm, benutzen darf und auch
keine ähnlichen Produkte zugelassen werden, würde der
technische Fortschritt, so befürchten die Kritiker, nicht
gefördert, sondern gehemmt.

In den USA kann Software auch dann patentiert wer-
den, wenn ihr lediglich ein Algorithmus, das heißt eine
Rechenregel, oder eine Geschäftsidee zugrunde liegt. Die
Regelung in den USA birgt die Gefahr in sich, dass einfa-
che Befehlsfolgen, sofern sie die übrigen Bedingungen er-
füllen, patentiert werden können.

Für Einzelprogrammierer und Kleinbetriebe wird es
dann immer schwieriger, bei allen verwendeten Pro-
grammbausteinen zu überprüfen, ob sie bereits dem Pa-

tentschutz unterliegen. Deshalb wird nicht zu Unrecht be-
fürchtet, dass die Ausweitung der Möglichkeiten des Pa-
tentschutzes auf alle Softwareprodukte zu einem Erliegen
der Arbeit freier Programmierer führt und Softwareher-
stellung nur noch in großen Weltunternehmen mit ent-
sprechenden Rechtsabteilungen möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der größte Widerstand gegen eine Ausweitung der

Möglichkeiten der Patentierung von Software kommt ge-
genwärtig von der Open-Source-Bewegung. Die Open-
Source-Bewegung ist ein Netzwerk von Softwarepro-
grammierern, die den Quellcode ihrer Programme für
andere offen legen und kostenlos ins Netz stellen.

Für die Weiterentwicklung ist dann Bedingung, dass
auch die Neuentwicklung mit offenem Quellcode und
kostenlos ins Netz gestellt wird. Jeder kann so die ent-
wickelte Software kostenlos aus dem Netz beziehen. Die
Entlohnung der Softwareentwickler soll dann nicht durch
den Verkauf der Programme, sondern durch die Anpas-
sung der Software an den konkreten Bedarf von Nutzern
erzielt werden.

Das Geschäftsmodell von Open-Source-Software
trägt zum Teil sozial-romantische Züge. Ob und in wel-
cher Form es sich durchsetzt, wird die Zukunft zeigen.
Tatsache ist aber, dass aufgrund dieses Konzepts der
freien Verfügbarkeit des Programmtextes besonders in
Deutschland eine innovative Softwareindustrie entstehen
konnte. Auf dem bislang von Microsoft dominierten Feld
der Betriebssysteme hat Linux als Open-Source-Betriebs-
system eine echte Alternative gebracht. Die Bundesre-
gierung muss daher dafür Sorge tragen, dass die Open-
Source-Bewegung nicht durch eine Ausweitung der
Patentierbarkeit von Software behindert oder gar abge-
würgt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt auch auf EU-Ebene, wo gegenwärtig an einem
Vorschlag für eine Richtlinie zur Softwarepatentierung
gearbeitet wird.

Die Frage, wie Rechte von Softwareentwicklern ge-
schützt werden, ist kein Randthema, sondern eine zentrale
Frage im Informationszeitalter. Es geht letztlich um den
Lohn für die Arbeit von Softwareprogrammierern und das
Eigentum an Programmen. Eigentum wird vom Grund-
gesetz ausdrücklich geschützt. Eigentum verpflichtet aber
auch: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der All-
gemeinheit dienen.“ Der Schutz der Rechte für Software
muss deshalb so gestaltet sein, dass die Softwareentwick-
ler einerseits die Früchte ihrer Arbeit ernten können, aber
andererseits das Ergebnis ihrer Arbeit auch dem Wohl der
Allgemeinheit dient. Der Rechtsschutz für Software darf
deshalb den Fortschritt nicht behindern, sondern muss ihn
fördern.


(Beifall der Abg. Renate Diemers [CDU/CSU])

Er darf auch nicht zur ungerechtfertigten Behinderung
von einzelnen Softwareentwicklern und kleinen Unter-
nehmen führen.




Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)


12903


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Tatsache, dass sich Linux in Europa und nicht etwa
in den USA entwickelt hat, kann als Beweis dafür gewer-
tet werden, dass das Ausmaß der Möglichkeit, Software
zu patentieren, einen beachtlichen Einfluss auf die Ent-
wicklung von Software in einem Land hat. Aus dieser Er-
fahrung lässt sich auch der Schluss ziehen, dass ein opti-
maler Softwareschutz noch günstigere Bedingungen für
Wettbewerb und Fortschritt schaffen würde. Ob eine bes-
sere Anpassung des Schutzes von Software an die Erfor-
dernisse von Eigentumsschutz und Fortschrittsförderung
im Patentrecht, im Urheberrecht oder in einer eigenen Ka-
tegorie erfolgen kann, muss noch diskutiert werden. Bei
dieser Diskussion müssen Gegenstand, Umfang und Art
des Schutzes ebenso auf den Prüfstand wie die Laufzei-
ten, die viel zu lang erscheinen. Bei Patenten betragen sie
20 Jahre. Das Urheberrecht hat bis 70 Jahre nach dem Tod
des Urhebers Geltung.

In Ihrer Antwort auf die bereits zitierte Anfrage der
F.D.P. sagt die Bundesregierung zu einem Begehren auf
Änderung der Laufzeit von Patenten, das sei nicht mög-
lich, weil im WTO-Übereinkommen über handelsbezo-
gene Aspekte geistigen Eigentums, WTO-TRIPS-Über-
einkommen, 20 Jahre festgelegt seien.

Wer so argumentiert, der hat schon verloren; der hat
schon aufgegeben, bevor das Spiel beginnt. Er ignoriert
vor allem, dass es auch in anderen Ländern, vor allem in
den USA, eine Diskussion darüber gibt, für welche Art
von Software die Patentierung als Schutz der Eigen-
tumsrechte geeignet ist. Ich nenne hier Robert Young von
Red Hat – er spricht in gewisser Weise in eigener Sache –,
aber auch Nicolas Negroponte vom MIT, die beide eine
sehr kritische Haltung zur gegenwärtigen Ausgestaltung
der Schutzrechte für Software in den USA einnehmen.

Wenn es uns also wirklich darum geht, welche Rechte
nun für einen speziell auf die Software zugeschnittenen
Schutz am besten geeignet sind, dann muss eine Grund-
satzdebatte geführt werden. Ein erster Schritt dazu wäre
eine Vorlage der Bundesregierung, in der die Grundlagen
dargelegt werden, wie es in dem Antrag gefordert wird.
Dann muss ein intensiver internationaler Dialog zwischen
den Fachleuten und den Politikern geführt werden.

Eine grundlegende Frage wie die Grenze zwischen Ei-
gentumsrechten und Sozialpflichtigkeit des entscheiden-
den Produktionsfaktors im Informationszeitalter kann
nicht durch einsame Entscheidungen eines Richters be-
antwortet werden. Sie muss vielmehr zuerst in einer brei-
ten Öffentlichkeit diskutiert werden. Deshalb habe ich
heute einmal eine Rede zu diesem Thema im Deutschen
Bundestag gehalten; denn es ist besser, zu später Stunde
über dieses Thema zu reden, als gar nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Frage muss in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert
und dann von den gewählten Parlamentariern entschieden
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330300
Für die F.D.P.-Frak-
tion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1413330400
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Nach der Grundsatzrede von Herrn
Dr. Mayer kann ich mich relativ kurz fassen. Der Antrag
der CDU/CSU zum sachgerechten Schutz der Rechte für
Software mag auf den ersten Blick ganz überzeugend
klingen. Als ich ihn das erste Mal gelesen habe, fand ich
ihn recht eingängig.

Ich muss jedoch sagen, dass dieser Antrag in den Aus-
schussberatungen noch einmal sehr gründlich überarbei-
tet werden muss;


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Dagegen habe ich nichts!)


denn in der Zielrichtung, Softwareprogramme, insbeson-
dere aus dem mittelständischen Bereich, besser als bisher
zu schützen, sind wir uns sicherlich einig. Aber diese Pro-
bleme sind – das haben Sie deutlich gemacht – national
nicht lösbar.

Wir haben heute ein so genanntes gespaltenes Schutz-
rechtssystem: Wir haben zunächst für die technischen
Programme den Patentschutz und für den eigentlichen
Softwarebereich den Urheberrechtsschutz. Es klingt si-
cherlich gut, de lege lata einen wirksamen immateriell-
güterrechtlichen Schutz von Computerprogrammen durch
die Schaffung eines dritten Rechtsschutzbereichs zu ge-
währleisten.

Dem stehen aber die gesamten internationalen Über-
einkommen entgegen; denn diese sehen einen solchen
dritten Rechtsschutzbereich nicht vor. Wir müssen also
versuchen, uns in diesem internationalen Schutzbereich
zu bewegen. Hierbei müssen wir sehen, dass der regulä-
re Urheberrechtsschutz von Computerprogrammen in
Art. 10 des TRIPS-Abkommens und in der EG-Soft-
warerichtlinie geregelt ist. Der ergänzende Patentschutz
technischer Programme ergibt sich aus Art. 52 Abs. 2 c
des Europäischen Patentübereinkommens – Sie haben es
zitiert – und mittelbar auch aus Art. 27 Abs. 1 des TRIPS-
Abkommens.

Was ich juristisch etwas trocken ausdrücken wollte,
war: Wir müssen international miteinander verhandeln.
Wir müssen die Beispiele aus den USA, die Sie eben ge-
nannt haben, betrachten. Wir müssen die Schlussfolge-
rungen aus internationalen Übereinkommen finden. Das
ist völlig richtig. Man kann sicherlich auch über die Frage
sprechen, ob nun 20 Jahre oder eine kürzere Zeit ange-
messen sind. Aber wir müssen uns, wenigstens noch zur-
zeit, im internationalen Bereich so bewegen, wie wir die
Abkommen auch in diesem Hause mit beschlossen haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Wir teilen mit Ihnen die Auffassung, dass der Schutz

der Rechte von Programmierern und Unternehmen so ge-
staltet sein muss, dass diese die Früchte ihrer Arbeit auch
ernten können, und dass die mittelständischen Unterneh-
men auf diesem Gebiet nicht durch große Konzerne ge-
fährdet werden dürfen.


(Beifall bei der F.D.P.)

Deswegen hat die F.D.P. – bereits einen Monat vor Ih-

rer Aktivität – einen entsprechenden Antrag in Form einer




Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

12904


(C)



(D)



(A)



(B)


Kleinen Anfrage eingebracht. Diese ist von der Bundes-
regierung, wie ich meine, richtig beantwortet worden. Wir
werden jetzt anhand der Antwort auf unsere Kleine An-
frage sowie aufgrund Ihres Antrages im Bundestag und
natürlich anschließend im Rechtsausschuss mit Ihnen
hierüber beraten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330500
Ich schließe die Aus-
sprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage
auf Drucksache 14/4384 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Kultur und Medien sowie zur Mitbera-
tung an den Rechtsausschuss, den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union und den Haushalts-
ausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
20a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus

Meckel, Uta Zapf, Peter Zumkley, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeord-
neten Friedrich Merz, Michael Glos und der Frak-
tion der CDU/CSU, der Abgeordneten Angelika
Beer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
der Abgeordneten Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion
der F.D.P.
46. Plenartagung der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO (NATO PV) vom
17. bis 21. November 2000 in Berlin
– Drucksache 14/4601 –
Beschlussfassung

b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Europäische Sicherheit und NATO
– Drucksache 14/4598 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.

Die Kolleginnen und Kollegen Angelika Beer, Ulrich
Irmer und Wolfgang Gehrcke haben ihre Reden bereits zu
Protokoll gegeben1).

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Markus Meckel.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1413330600
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde wol-
len wir uns im Bundestag daran erinnern, dass ab morgen
die Parlamentarische Versammlung der NATO hier in
Berlin tagt. Es ist das zweite Mal nach dem Jahr 1990,

nach einer völlig veränderten Situation in Europa. Dies
haben wir zum Anlass genommen, parteiübergreifend ei-
nen Antrag einzubringen, der uns heute vorliegt und den
wir diskutieren wollen.

Ich möchte nun nicht die verschiedenen Aussagen die-
ses Antrages, die ja grundsätzlichen Charakter haben, im
Einzelnen diskutieren. Ich möchte aber doch daran erin-
nern, dass die Parlamentarische Versammlung der NATO
ein ganz wesentliches Forum ist, schon aufgrund der Tat-
sache, dass sie unmittelbar nach 1990 Parlamentarier der
Staaten Ost- und Mitteleuropas als assoziierte Mitglieder
und Beobachter aufgenommen hat.

Seit zehn Jahren wird in der Versammlung eine ge-
samteuropäische und gleichzeitig transatlantische Dis-
kussion geführt. Das Forum war deshalb ungeheuer wich-
tig, weil es durch diese unmittelbaren Kontakte von
Parlamentariern aus ganz Europa, nicht nur der NATO-
Staaten, sondern auch der anderen Staaten des früheren
Ostblocks, möglich war, Fragen der Sicherheit zu disku-
tieren und zu oft ähnlichen Positionen – bei gewiss auch
unterschiedlichen Vorstellungen – nach und nach zu ähn-
lichen Positionen zu kommen. Wir haben wesentliche
Fragen diskutiert, die für unsere europäische Sicherheit
eine wichtige Rolle spielen. Wir werden dies auch bei der
Versammlung in Berlin tun.

Wir haben zum Beispiel verschiedene Berichte über
die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik,
über die wir miteinander reden wollen und müssen. Wir
können feststellen, dass wir da in den letzten anderthalb
Jahren unglaublich vorangekommen sind. Niemand hätte
vor fünf Jahren geglaubt, dass das so schnell möglich ge-
wesen wäre. Das ist natürlich auch eine Folge des Einsat-
zes der NATO im Kosovo und der Erfahrung, dass wir Eu-
ropäer dabei nicht so wahnsinnig gut ausgesehen haben –
sowohl in Bezug auf die Art und die Dimension unserer
Beteiligung als auch in Bezug auf die Entscheidung über
die Art der Luftangriffe, bei der man durchaus manche
Frage stellen konnte.

Hier werden wir wesentlich vorankommen. Es ist deut-
lich geworden, dass sich allein im Laufe dieses Jahres
manche – auch manche skeptische – Position der Ameri-
kaner verändert hat. Heute gibt es in Amerika mehr Ak-
zeptanz in diesem Bereich. Auch gibt es eine klarere Ab-
stimmung zwischen den europäischen Initiativen, der
NATO und den europäischen Nicht-EU- bzw. -NATO-
Staaten. Das heißt: Hier ist in den letzten zwölf Monaten
eine ganze Menge Arbeit geleistet worden.

Eine andere wesentliche Frage, mit der wir uns be-
schäftigen werden, sind die amerikanischen Pläne für eine
nationale Raketenverteidigung. Wir wissen, dass es
dazu noch großen Diskussionsbedarf gibt und dass sich
die USA wegen technischer Probleme eine endgültige
Entscheidung vorbehalten haben. In Bezug auf konkrete
Akzentuierungen wird einiges davon abhängen, welcher
der beiden Präsidentschaftskandidaten ein paar Hundert
Stimmen mehr hat und Präsident wird. Der Trend in Ame-
rika geht aber klar dahin, dieses Projekt umzusetzen. In
diesem Zusammenhang wird noch über einiges zu disku-
tieren sein.

Für uns ist wichtig – dies ist sowohl in Berichten als
auch in Resolutionsentwürfen enthalten –, über dieses




Rainer Funke

12905


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10

Problem gemeinsam in der NATO zu diskutieren und uns
über die Konsequenzen hinsichtlich der Proliferation von
Massenvernichtungsmitteln Gedanken machen. Wir
müssen fragen, welche Gefahren mit einem Wettrüsten
verbunden sind. In diesem Zusammenhang stehen nicht
nur das Verhältnis zu Russland sowie der Bestand des
ABM-Vertrages zur Debatte, sondern auch die Frage, wie
Staaten wie etwa Indien oder China auf ein solches Wett-
rüsten reagieren. In diesem Zusammenhang besteht
durchaus die Gefahr einer Aufrüstung. Die Frage, was uns
wirklich sicherer macht, ist ein zentrales Problemfeld. Die
Europäer haben sehr viel Zurückhaltung und Skepsis ge-
gen diese Pläne zum Ausdruck gebracht, aber bisher noch
keine wirklich abgestimmten Positionen eingenommen.

An der geplanten Parlamentarischen Versammlung der
NATO wird auch eine Delegation der Duma teilnehmen.
Ich denke, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Nachdem
Vertreter der Duma nach dem Kosovo-Krieg nicht an sol-
chen Versammlungen teilgenommen haben, wird die
Duma nun das erste Mal wieder eine Delegation schicken.
In der Zwischenzeit war eine Delegation des Föderations-
rates anwesend, sodass der Dialog zwischen der NATO
und Russland auch in dieser Zeit fortgeführt worden ist.
Es ist aber wichtig, dass wir mit den Parlamentariern der
Duma die Diskussion weiterführen, und zwar durchaus
auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Perspekti-
ven. Denn es ist immer gut, durch gemeinsame Gespräche
Sicherheit zu schaffen; denn eines wissen wir alle: Ohne
Russland wird es eine europäische Sicherheit von dauer-
haftem Bestand nicht geben.

Obwohl es heute noch kein aktuelles Thema ist, wird
nach dem Abschluss der amerikanischen Präsident-
schaftswahl unter dem neuen Präsidenten die Frage der
Öffnung der NATOwieder auf dem Prüfstand stehen. Es
gibt eine Vereinbarung, bis zum Jahre 2002 zu neuen Ent-
scheidungen zu kommen. Die Versammlung der Parla-
mentarier der NATO war im nordatlantischen Dialog das
Gremium, das sich auch in den vergangenen Jahren
intensiv für eine Öffnung der NATO eingesetzt hat; wir
haben heute drei neue Mitglieder. Die Parlamen-
tarierversammlung setzt sich dafür ein, den Prozess der
Öffnung fortzusetzen. Ich glaube, das ist richtig und an-
gemessen, weil sowohl die Fortsetzung der Bemühungen
um Öffnung als auch die Kooperation mit Russland zu
den Säulen einer künftigen europäischen Sicherheit
gehören.

Ich will als Letztes kurz das Problem eines gemeinsa-
men Engagements in Bosnien und im Kosovo anspre-
chen. Für das Kosovo ist das ganz aktuell: Wir haben nach
dem Sturz Milosevics in Serbien einen wesentlichen Er-
folg erreicht. Unter der Bezeichnung „wir“ verstehe ich
natürlich zuallererst die Serben, das heißt die Demokraten
in Serbien und das serbische Volk. Ich denke, für uns als
Europäer in einer euro-atlantischen Allianz entsteht da-
durch ein Vorteil. Denn das letzte Bollwerk einer Diktatur
im Zentrum Europas ist überwunden worden.

Aber unsere Aufgaben bleiben natürlich weiterhin
groß. Es sind nicht nur Aufgaben, die die NATO zu be-
wältigen hat. Gerade ein Fortschritt in der zivilen Ent-
wicklung dieser Region ist von besonderer Bedeutung.
Aber eines ist auch klar: Ohne eine Präsenz der NATO

wird der Prozess einer zivilen Entwicklung nicht voran-
kommen. Wir sollten uns dessen bewusst sein und deut-
lich feststellen, dass im Kosovo eine langfristige NATO-
Präsenz nötig sein wird, um dort eine friedliche
Entwicklung gewährleisten zu können. Wir sollten in aller
Deutlichkeit sagen – wir sind froh, dass eine große ame-
rikanische Delegation an der Versammlung teilnehmen
wird –, dass wir künftig im Kosovo auch die amerikani-
sche Präsenz brauchen. Wir sollten uns gemeinsam ver-
pflichten, diesen Friedensprozess durch die Präsenz der
NATO und der KFOR abzusichern.

Ich möchte meine Rede schließen, indem ich die Hoff-
nung äußere, dass wir gerade in der Form der Kommuni-
kation, wie sie in der Versammlung stattfindet, sehr deut-
lich machen, dass Sicherheit nicht mehr national zu
gewährleisten ist, sondern nur noch in Absprachen zwi-
schen der Allianz, mit einer weiteren Integration und ei-
ner verbindlichen Kooperation mit den Staaten Osteuro-
pas, mit Russland und mit der Ukraine. Dafür sind
Grundlagen geschaffen und dies gilt es zu implementie-
ren. Wir müssen weiterhin miteinander reden und streiten,
weil dies die Grundlage für Sicherheit in Europa ist, die
wir miteinander verbindlich gewährleisten müssen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330700
Letzter Redner in die-
ser Debatte und am heutigen Tag ist der Kollege Karl
Lamers für die CDU/CSU-Fraktion.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1413330800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Kollege Markus Meckel hat Recht,
wenn er sagt, dass die NATO als Lichtgestalt sicherlich
auch das Licht einer Tagesdiskussion verdient hätte, ins-
besondere im Hinblick auf die Parlamentarische Ver-
sammlung, die morgen hier in Berlin stattfindet. Aber ich
glaube, die NATO überstrahlt auch so das Dunkel dieser
Nacht.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Die Parlamentarische Versammlung der NATO, das

NATO-Parlament, wird am kommenden Wochenende
hier in der deutschen Hauptstadt Berlin ihre 46. Plenarta-
gung abhalten. Dies geschieht zehn Jahre nach der Wie-
dervereinigung Deutschlands.

Zehn Jahre sind auch vergangen, seit die NATO-Part-
ner auf dem Londoner Gipfel im Juli 1990 den ehemali-
gen Gegnern des Warschauer Paktes die ausgestreckte
Hand der Freundschaft anboten. Zehn Jahre ist es auch
her, dass dem vereinigten Deutschland in den so genann-
ten Zwei-plus-vier-Verhandlungen das Recht zugestan-
den wurde, seine Bündniszugehörigkeit frei zu bestim-
men. Neun Jahre sind vergangen, seit die NATO 1991 den
Nordatlantischen Kooperationsrat gründete und die ehe-
maligen Warschauer-Pakt-Staaten sowie die Nachfolge-
staaten der Sowjetunion als Kooperationspartner auf-
nahm.




Markus Meckel
12906


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Kooperation der NATO im Nordatlantischen Ko-
operationsrat, im Programm „Partnership for Peace“, im
NATO-Russland-Rat und in der NATO-Ukraine-Kom-
mission ist seither zentraler Punkt der Außenpolitik der
Bündnispartner. Heute, zehn Jahre nach dem Beginn die-
ser Politik, können wir sagen, dass die Gräben der Kon-
frontation, die in 40 Jahren Kalten Krieges entstanden wa-
ren, eingeebnet wurden. Europa ist heute – zum Glück –
weitgehend frei von den alten Klischees des Freund-
Feind-Denkens.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die 1990 und 1991 oft gehörte Meinung, nicht nur der

Warschauer Pakt, sondern auch die NATO müsse aufge-
löst werden,


(Beifall bei der PDS)

wird heute nurmehr noch von den Unbelehrbaren der PDS
vertreten und artikuliert.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


– Ich freue mich, wie lebendig Sie noch zu dieser späten
Stunde sind. Großartig! – Die Geschichte ist zum Glück
darüber hinweg gegangen. Denn die NATO hat gezeigt,
dass sie mit ihrer Stabilitätspolitik und dem von ihr gesi-
cherten Stabilitätsraum unverzichtbar für den Weltfrieden
ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ja, viele Länder möchten nach wie vor möglichst schnell
unter den Schutzschirm der NATO kommen und ich
meine, sie alle haben einen guten Grund. Sie haben auch
nichts gegen den Stabilitätsexport. Denn das ist es, was
viele Länder seit 1990 wollen: innere und äußere Stabi-
lität, um in Frieden und Freiheit leben zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf zwei weitere Entwicklungen seit 1990/91 möchte

ich hinweisen:
Erstens. Die NATO nahm auf ihrem Jubiläumsgipfel in

Washington im Jahre 1999 die am weitesten fortgeschrit-
tenen Reformstaaten des ehemaligen Ostblocks als
gleichberechtigte Mitglieder auf: Polen, die Tschechische
Republik und Ungarn. Gleichzeitig beschloss sie, dass die
Tür für weitere Mitglieder offen bleiben soll und muss.

Zweitens. Die NATO griff im Auftrag der Vereinten
Nationen zweimal auf dem Balkan ein: zum einen in die
laufenden Bürgerkriegsauseinandersetzungen in Bos-
nien-Herzegowina und zum anderen im Kosovo, um die
ethnischen Auseinandersetzungen zwischen den Volks-
gruppen zu beenden sowie Frieden und Wiederaufbau
voranzubringen. Dies sind die ersten Out-of-area-Ein-
sätze des Bündnisses gewesen.

Die SED-Nachfolgepartei PDS behauptet in ihrem An-
trag,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Jetzt kommt es!)

dies sei „militärisch gestützte Machtpolitik“ gewesen.


(Beifall bei der PDS)


Meine Kolleginnen Renate Diemers und Ursula Lietz hat-
ten durchaus Recht, als sie vorhin in der Diskussion sag-
ten, sie seien über eine solche Äußerung empört.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich muss sagen: Das, was hier betrieben wird, ist geradezu
Geschichtsfälschung; denn die NATO musste handeln,
nachdem sich die UNO im Weltsicherheitsrat trotz massivs-
ter Menschenrechtsverletzungen selbst blockierte. Wäre
man der Linie der PDS-Altkommunisten gefolgt,


(Lachen bei der PDS)

dann hätte man dem Völkermord der Serben tatenlos zu-
sehen und auf ein Eingreifen der OSZE warten müssen.
Wir alle wissen, das wäre das Todesurteil für weitere Hun-
derttausende Menschen auf dem Balkan gewesen; denn
die serbische Diktatur war weder durch Gebete – mit de-
nen haben Sie es sowieso nicht so – noch durch gute
Worte zu beschwichtigen.


(Zuruf von der PDS)

– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, wenn
ich hier die Fakten aufzähle. –


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die OSZE ihrerseits war der konkreten Herausforderung
in diesem Moment in keiner Weise gewachsen.

Die OSZE ist zwar ein wichtiger Teil der europäischen
Sicherheitsarchitektur. Aber zu der Absicht, den Grund-
satz „OSZE first“ baldmöglichst durchzusetzen, vielleicht
auch noch auf Kosten der NATO – das ist eine Forderung,
die auch in diesem Hause immer wieder erhoben wird –,
möchte ich klar sagen: Für uns gilt ohne jede Einschrän-
kung, dass die NATO zentrales Instrument der Sicher-
heitsarchitektur in Europa ist und bleibt. Sie allein ist Ga-
rant des Friedens.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sorgt nicht nur mit Worten, sondern vor allem auch mit
Taten für die Einhaltung der Menschenrechte.


(Gernot Erler [SPD]: Das nenne ich NATOLeitkultur!)


– Das ist ein guter Begriff.

(Lachen bei der SPD und der PDS)


Die Parlamentarische Versammlung der NATO, früher
NAV genannt, hat bei all diesen Epoche machenden Ent-
wicklungen und Ereignissen, die ich angesprochen habe,
wesentliche Schrittmacherdienste geleistet, ja, sogar eine
Vorreiterrolle gespielt. Ich denke an die parlamentarische
Einbindung der ehemaligen Ostblockländer. Wichtig ist
nicht nur, dass Beschlüsse auf Gipfelkonferenzen von Re-
gierungen gefasst werden, sondern auch, dass wir uns auf
parlamentarischer Ebene mit den Dingen befassen und
über sie diskutieren. Das NATO-Parlament ist so zu einem
wichtigen Faktor für die Meinungsbildung im Bündnis
geworden und stellt das parlamentarische Gleichgewicht
zu den Beschlüssen der Bündnisregierungen und Minis-
terräte her. Trotzdem bleibt noch viel zu tun.




Karl Lamers

12907


(C)



(D)



(A)



(B)


Eine zentrale Herausforderung für das Bündnis und
auch für die Parlamentarische Versammlung der NATO ist
das Verhältnis zu Russland.


(Zuruf von der PDS)

– Sehr richtig, das haben auch Sie begriffen. – Ohne eine
funktionierende Zusammenarbeit mit Russland kann we-
der die neue europäische Sicherheitsarchitektur noch die
Friedenssicherung in der Welt funktionieren. Das erfolg-
reiche Eingreifen der NATO im Kosovo hat das Verhält-
nis zu Russland belastet. Aber nachdem es einen Macht-
wechsel in Russland gegeben hat und Vladimir Putin
Präsident wurde, gibt es glücklicherweise Anzeichen für
einen Neustart in der Zusammenarbeit.

Ein weiteres Feld ist das Verhältnis zwischen NATO
und Europäischer Union. Die Entscheidungen für eine
gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik,
für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik, für eine Integration der WEU in die EU
und für die Errichtung einer neuen Krisenreaktionsstreit-
macht in Europa sind Meilensteine auf dem Weg, an des-
sen Ende die Europäer einen größeren Beitrag zur Siche-
rung des Friedens in der Welt als bisher übernehmen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sowohl der NATO als auch der Europäischen Union ist

klar: NATO und europäische Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik sind kein Widerspruch. Sie sind zwei Seiten
einer Medaille. Die EU wird künftig mehr Verantwortung
für die Sicherheit in Europa übernehmen müssen. Wir er-
warten insbesondere vom bevorstehenden Gipfeltreffen
in Nizza weit reichende Entscheidungen zur gemeinsa-
men Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Das Thema „National Missile Defense“ – Markus
Meckel hat es angesprochen – hat in der Parlamentari-
schen Versammlung der NATO zu einer intensiven Dis-
kussion geführt. Wir werden auch am Wochenende da-
rüber sprechen, um hier zu einem gemeinsamen Vorgehen
zwischen unseren amerikanischen Freunden und den Eu-
ropäern zu gelangen.

Meine Damen und Herren, am Herzen liegt uns auch
die Fortführung des Stabilitätsexports der NATO, das
heißt die Fortsetzung der Politik der offenen Tür.


(Gernot Erler [SPD]: Die Stabilität bleibt hier!)


Über unser Verhältnis zu Russland habe ich bereits ge-
sprochen. Zugleich geht es uns aber auch darum, nukleare
Abrüstung zu forcieren und den Anti-Ballistic-Missile-
Vertrag, obwohl dieser teilweise als überholt gelten muss,


(Zuruf von der SPD: Na, na!)

auch für die Zukunft als rüstungskontrollpolitisches Ele-
ment zu erhalten. Deswegen erscheint es uns notwendig,
dass wir insbesondere mit den Russen ins Gespräch kom-
men, um eventuell im Wege einer Modifizierung zum Er-
halt des ABM-Vertrages beizutragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, schließlich fordern wir eine

gemeinsame Strategie der Allianz zur Eindämmung der

Proliferation von Massenvernichtungswaffen und der ent-
sprechenden Trägertechnologie. Die Parlamentarische
Versammlung der NATO fordern wir auf, ihre vorandrän-
gende Rolle bei der Öffnung des Bündnisses für weitere
Mitglieder auch weiterhin wahrzunehmen.

Wir laden die russische Staatsduma ausdrücklich ein,
an der Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung
der NATO teilzunehmen und die parlamentarische Dis-
kussion über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Eu-
ropa und in der Welt aufzunehmen, sich in diese Diskus-
sion hineinzubegeben und so den Versuch zu machen, das
von uns als richtig Erkannte mit zu verwirklichen, näm-
lich einen gemeinsamen Weg zu finden. Frieden und Si-
cherheit durch Kooperation sowie demokratische Stabi-
lität in ganz Europa zu fördern ist und bleibt unser großes
Ziel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Fraktion ist bereit, die geeigneten Maßnahmen
mitzutragen, die uns diesem Ziel gemeinsam näher brin-
gen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P so wie bei Abgeordneten der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1413330900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell ist vereinbart, dass die Anträge auf
Drucksachen 14/4601 und 14/4598, anders als in der Ta-
gesordnung vorgesehen, nicht überwiesen werden, son-
dern sofort zur Abstimmung gestellt werden. – Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung über den
Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. zur 46. Plenar-
tagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in
Berlin. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksa-
che 14/4601? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel „Europäische Sicherheit
und NATO“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksa-
che 14/4598? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ab-
gelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich bedanke
mich ausdrücklich bei allen Kolleginnen und Kollegen für
die Geduld und das Vermögen, hier bis zu dieser späten
Stunde auszuharren, und wünsche Ihnen allen eine gute
Nacht.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 17. November 2000,
9.00 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.