Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000
Karl Lamers
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Andres, Gerd SPD 16.11.2000
Balt, Monika PDS 16.11.2000
Behrendt, Wolfgang SPD 16.11.2000*
Burchardt, Ursula SPD 16.11.2000
Catenhusen, SPD 16.11.2000
Wolf-Michael
Ehlert, Heidemarie PDS 16.11.2000
Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 16.11.2000
Joseph DIE GRÜNEN
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.11.2000
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 16.11.2000
Hempelmann, Rolf SPD 16.11.2000
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 16.11.2000
DIE GRÜNEN
Hornung, Siegfried CDU/CSU 16.11.2000
Kramme, Anette SPD 16.11.2000
Lörcher, Christa SPD 16.11.2000*
Nietan, Dietmar SPD 16.11.2000
Poß, Joachim SPD 16.11.2000
Schily, Otto SPD 16.11.2000
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 16.11.2000
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 16.11.2000
Schultz (Everswinkel), SPD 16.11.2000
Reinhard
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 16.11.2000
Vogt (Pforzheim), Ute SPD 16.11.2000
Wülfing, Elke CDU/CSU 16.11.2000
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU)
zurAbstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeits-
verträge und zur Änderung und Aufhebung
arbeitsrechtlicher Bestimmungen (Tagesord-
nungspunkt 9 a)
Eine Reglementierung der Arbeitgeber durch einen all-
gemeinen oder auch beschränkten Rechtsanspruch be-
stimmter Bevölkerungsgruppen auf Teilzeitarbeit ist ab-
zulehnen.
Deutschland kann eine erfreuliche Bilanz vorweisen:
Seit 1991 stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten um
über ein Drittel auf 6,3 Millionen. Die Teilzeitbeschäf-
tigten haben inzwischen an allen abhängig Beschäftigten
einen Anteil von 19,5 Prozent. Unter den gegenwärtigen
rechtlichen Bedingungen ist davon auszugehen, dass die
Zahl der Teilzeitbeschäftigten noch weiter zunehmen
wird.
Diese Erfolgs-Story möchte die Regierung nun mit ei-
nem allgemeinen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit fort-
schreiben. Sie wird damit das Gegenteil von dem errei-
chen, was sie beabsichtigt.
Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass mit ei-
nem Weniger an Reglementierung ein Mehr an Teilzeitar-
beitsplätzen geschaffen wird. Den Unternehmen Fesseln
anzulegen hat hingegen zur Folge, dass den Betrieben die
Planungssicherheit aus der Hand genommen wird. Zudem
sind Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert.
Gerade kleine und mittlere Betriebe werden daher aus
betriebsorganisatorischen Gründen von Einstellungen sol-
cher Personen absehen, bei denen zu befürchten ist, dass
sie einen Anspruch auf Teilzeitarbeit geltend machen
könnten, obwohl betriebliche Gründe dagegen stehen.
Auch ein auf bestimmte Bevölkerungsgruppen be-
schränkter Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit wird den
dann bevorzugten Gruppen – etwa Arbeitnehmern mit
Kindern unter 12 Jahren oder mit pflegebedürftigen nahen
Angehörigen – nicht gerecht werden. Vielmehr wird die-
ser eingeschränkte Rechtsanspruch zur Folge haben, dass
gerade diese Gruppen bei Einstellungen das Nachsehen
haben werden.
Statt mit neuen Gesetzen den Unternehmern etwas
aufzuzwingen, sollte lieber überlegt werden, wie die Rah-
menbedingungen – etwa bei der Sozialversicherungs-
pflicht – verändert werden könnten, um Teilzeitarbeit für
Arbeitgeber wie Arbeitnehmer attraktiver zu gestalten.
Deshalb lehne ich den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Teilzeitarbeit mit Entschiedenheit ab.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnen-
schifffahrt erhalten und sichern
– Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der
Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb
der Binnenschifffahrt beseitigen
(Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesord-
nungspunkt 5)
Annette Faße (SPD): Bei Regierungsantritt im
Herbst 1998 haben wir versprochen, den Schutt der alten
Regierung Stück für Stück wegzukehren und im Sinne des
Koalitionsvertrags eine effiziente und umweltgerechte
Verkehrspolitik zu verwirklichen. Das halten wir ein. Wir
gestalten ein Verkehrssystem, das zum einen die Mobilität
aller Menschen flächendeckend und umweltverträglich
gewährleistet und zum anderen dem Wirtschaftsstandort
Deutschland gerecht wird. Darüber hinaus sorgen wir
dafür, dass infrastrukturelles Wunschdenken und die harte
haushaltspolitische Realität endlich wieder deckungs-
gleich sind. Im Gegensatz zu unseren abgewählten Vor-
gängern haben wir uns zum Ziel gesetzt, nur das zu ver-
sprechen, was wir auch halten können.
Das Verkehrssystem Schiff/Wasserstraße ist in vielen
Fällen besonders geeignet, unsere verkehrspolitischen
Ziele optimal miteinander zu verbinden. Die Nutzung der
Wasserstraßen trägt erheblich zur Sicherung von Stand-
ortqualität und Arbeitsplätzen bei. Binnen- und Küsten-
schifffahrt sind umweltfreundliche und wirtschaftliche
Transportalternativen. Trotz aller Schwierigkeiten liegt
die Transportleistung der Binnenschifffahrt derzeit nur
ungleich niedriger als die Transportleistung der Eisen-
bahnen. Im letzten Jahr transportierte die Binnenschiff-
fahrt 228,9 Millionen Tonnen (Verkehrsleistung: 62,6 Mil-
liarden Tonnenkilometer), die Eisenbahnen brachten es
auf 287,3 Millionen Tonnen (71,4 Milliarden Tonnenkilo-
meter).
Die Binnenschifffahrt ist keinesfalls nur ein Massen-
guttransporteur. Sie ist unter anderem mit dem Container-
transport im Seehafen-Hinterlandverkehr in einem Markt-
segment tätig, das aufgrund des stark wachsenden
Außenhandels und einer Güterstrukturentwicklung in
Richtung containerisierbarer Güter auch zukünftig außer-
ordentlich gute Zuwachsraten verspricht. Die Binnen-
schifffahrt ist trotz aller häufig geäußerten gegenteiligen
Meinungen ein innovativer Wirtschaftszweig. Deshalb
müssen wir die Wettbewerbschancen der deutschen Bin-
nenschifffahrt auch zukünftig fördern und die Arbeits-
plätze in diesem Bereich sichern.
Ein Baustein dazu ist das Forschungsprogramm der
Bundesregierung „Schiffbau und Meerestechnik für das
21. Jahrhundert“, das sowohl der See- wie auch der Bin-
nenschifffahrt zugute kommen soll. Das Programm ist mit
insgesamt 180 Millionen Mark ausgestattet und hat eine
Laufzeit von fünf Jahren. In der Schiffstechnik zielt das
Programm auf die Verbesserung des Produktes Schiff und
die Erhöhung der Produktivität der Werften und ihrer Zu-
lieferer. 1999 hatten Binnenschiffswerften beispielsweise
27 Binnenschiffe im Wert von 88 Millionen DM bei ihren
Auftraggebern abgeliefert. Für die Schifffahrt sollen neue
Anstöße zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf
die Wasserwege gegeben werden. Immerhin wird etwa
55 Prozent der in der EU erbrachten Verkehrsleistung von
der Binnenschifffahrt auf dem deutschen Wasserstraßen-
netz abgewickelt. Das Programm soll dazu beitragen,
neue Forschungsmöglichkeiten an unseren Hochschulen
zu schaffen und ein enges Forschungsnetzwerk zwischen
Werften, Zulieferern, Dienstleistungsunternehmen und
der Wissenschaft zu knüpfen.
Vor der Sommerpause haben wir einen Gesetzentwurf
zur Errichtung eines Deutschen Binnenschifffahrtsfonds
zur weiteren parlamentarischen Abstimmung auf den Weg
gebracht. Die Mittel des Fonds können nach EU-Maßgabe
zur Förderung der Binnenschifffahrt und, im Falle einer
schweren Marktstörung, für Abwrackmaßnahmen ver-
wendet werden. Der Fonds soll aus den Restmitteln der
bis zum 28. April 1999 durchgeführten Strukturbereini-
gungsmaßnahmen und den aufgelaufenen Sonderbeiträ-
gen gespeist werden. Hinzu kommen Zinseinnahmen aus
der Verwaltung der Finanzmittel. Für die nationale Ver-
wendung der Zinseinnahmen sollen zusammen mit den
Verbänden Vorschläge erarbeitet werden. Nach einer Ver-
ordnung des EU-Rates vom 29. März 1999 über kapa-
zitätsbezogene Maßnahmen für die Binnenschifffahrts-
flotten der Gemeinschaft und zur Förderung des
Binnenschiffsverkehrs ist jeder EU-Mitgliedstaat ver-
pflichtet, einen Binnenschifffahrtsfonds zu errichten. Bis
zur Errichtung des Binnenschifffahrtsfonds können die
nationalen Abwrackfonds beibehalten werden und deren
Aufgaben wahrnehmen. Der Fonds soll, wie bereits der
nationale Abwrackfonds, von der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung West in Münster verwaltet werden.
Seit 1999 stehen zudem 3 Millionen DM jährlich zur
Ausbildungsförderung in der Binnenschifffahrt bereit.
Damit kann die Nachwuchssituation in der deutschen
Binnenschifffahrt maßgeblich verbessert werden. Derzeit
wird in der deutschen Binnenschifffahrt aufgrund der Er-
tragssituation nur in sehr geringem Umfang ausgebildet.
Die Folge ist bereits heute ein Mangel an fachlich gut qua-
lifizierten deutschen Binnenschiffern. Durch die Ausbil-
dungsbeihilfen schafft der Verkehrsminister nun eine
wichtige Voraussetzung, diesen Mangel zu beseitigen und
die Binnenschifffahrt als kostengünstigen und umwelt-
freundlichen Verkehrsträger stärker in ein integriertes Ge-
samtverkehrssystem einzubinden. Ausbildungsbeihilfen
werden für die Ausbildung von Schiffsjungen als nicht
rückzahlbare Zuschüsse gewährt. Die Ausbildungsbei-
hilfe für den einzelnen Auszubildenden darf dabei 50 Pro-
zent der gesamten Ausbildungskosten, höchstens jedoch
50 000 DM für die Dauer der gesamten dreijährigen Aus-
bildungszeit zum Binnenschiffer nicht überschreiten.
Eine wettbewerbsfähige Binnenschifffahrt setzt eine
wirtschaftlich leistungsfähige Infrastruktur voraus. Der
Ausbau des Wasserstraßennetzes ist daher eine verkehrs-
politisch vordringliche Aufgabe, insbesondere da die öst-
lichen und südöstlichen Verkehrsverbindungen zu unse-
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ren neuen EU-Beitrittsländern erhebliche Schwachstellen
aufweisen. Wasserstraßeninvestitionen kommen nicht nur
Schifffahrt und Häfen zugute, sondern entlasten auch
Straße und Schiene. Die Bundesregierung hat zurzeit für
die künftigen Investitionen in die Infrastruktur von
Straße, Schiene und Wasserstraße drei Programme vorge-
sehen. Bis zur Überarbeitung des BVWP hat die Bundes-
regierung als ersten wichtigen Schritt im November 1999
das „Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundes-
verkehrswege 1999 bis 2002“ verabschiedet, in dem das
Verhältnis zwischen notwendigen Baumaßnahmen und fi-
nanzieller Machbarkeit wieder auf den Boden der Realität
gestellt wird. Das IP stellt in dem Zeitraum von 1999 bis
2002 insgesamt 67,4 Milliarden DM für Investitionen in
die Verkehrswege zur Verfügung. Alle laufenden Wasser-
straßenausbauprojekte sind im Investitionsprogramm ent-
halten.
Zum Anti-Stau-Programm. Als weitere konsequente
Maßnahme zur „Vermeidung des Verkehrsinfarkts“ wer-
den vom Bund zusätzliche 7,4 Milliarden DM zur Besei-
tigung von Engpässen im Autobahnnetz, im Schienenwe-
genetz und im Netz der Bundeswasserstraßen zur
Verfügung gestellt. Mit dem Anti-Stau-Programm mobili-
sieren wir Mittel, die ab 2003 zusätzlich zum normalen In-
vestitionsprogramm in die Verkehrsinfrastruktur gesteckt
werden können. Aus diesem Programm sind für die Was-
serstraßen 900 Millionen DM vorgesehen.
Zudem arbeiten wir an einer neuen Fassung des Bun-
desverkehrswegeplans. Der noch gültige BVWP hat dazu
geführt, dass in vielen Bereichen Hoffnungen auf eine
schnelle Planung und Baudurchführung geschürt wurden,
ohne sie auch nur im geringsten einhalten zu können. Un-
ser Ziel ist eine integrierte Planung, die erstmals Bau-
maßnahmen bei Straße, Schiene und Wasserstraße aufei-
nander abstimmt. Ich denke, dass wir im neuen BVWP
und vor allem mit einem damit verbundenen Wasser-
straßenausbaugesetz klare Akzente und Entwicklungsper-
spektiven für die Binnenschifffahrt setzen können.
Wir wissen aber auch alle, dass Wasserwege sensibel
auf Eingriffe reagieren und daher sorgfältige und ausge-
wogene Planungen Voraussetzung für eine Realisierung
sind. Dies erfordert natürlich auch entsprechende Zeit.
Eine Zusammenarbeit mit den Umweltschutzverbänden
ist für uns selbstverständlich, auch wenn diese nicht im-
mer einfach ist. Gemeinsam erarbeitete Lösungen sind
aber besser als spätere Klagen. Dennoch muss Politik
auch den Mut haben, nach Abwägung auch gegen Ver-
bände zu entscheiden.
Die beschränkten Finanzressourcen werden bei der
Prioritätensetzung eine noch wichtigere Rolle als in der
Vergangenheit spielen. Dies gilt besonders für Projektlis-
ten mit Projekten hoher und niedriger Rentabilität. So
wird es auch auf das Augenmaß ankommen, Ausbauziele
nicht so hoch anzusetzen, dass die hieraus resultierenden
Kostensprünge die Rentabilität nicht in Unrentabilität
verkehren.
Das Koalitionsziel eines integrierten Verkehrssystems
unter dem Leitmotiv Steigerung der Effizienz und der
Umweltverträglichkeit werden wir konsequent anstreben
und umsetzen. Wir bemühen uns, den engen Investitions-
spielraum zugunsten der deutschen Binnenschifffahrt und
der Wasserstraßen zu nutzen. Das macht der Verkehrs-
haushalt für dieses Jahr deutlich. Bei den Bundeswasser-
straßen liegt der Etatansatz für Investitionen bei rund
1,3 Milliarden DM.
Für eine erfolgreiche Umsetzung von Verlagerungs-
konzepten auf den Wasserweg ist die Rolle der Häfen als
Schnittstellen von entscheidender Wichtigkeit. Die Opti-
mierung dieser Schnittstellen ist deshalb ebenfalls eine
sehr wichtige Aufgabe. Vor allem gilt es, durch Investi-
tionen in die Infrastruktur (zum Beispiel Optimierung ei-
nes Netzes von „nassen Terminals“) die Leistungsfähig-
keit der Häfen zu steigern. Die Binnenhäfen sind die
Schnittstellen in multimodalen Transportketten schlecht-
hin, die eine effiziente Verknüpfung der Verkehrsträger
Wasserstraße, Schiene und Straße erst ermöglichen. Sie
sind bedeutende Umschlagplätze des kombinierten Ver-
kehrs und bieten attraktive Möglichkeiten zur stärkeren
Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsträger. Binnenhä-
fen sind Instrumente der Verkehrs-, der Standort- und Be-
schäftigungs- sowie der Strukturpolitik. Die fast 100 öf-
fentlichen Binnenhäfen in Deutschland sind nach meiner
Wahrnehmung schon längst keine reinen „Wasserbahn-
höfe“ mehr, sondern sind Wirtschaftsstandorte, an denen
Logistik für Europa erbracht wird. Die Einbindung von
Binnenhäfen als Knotenpunkte in die deutsche und euro-
päische Güterverkehrsplanung ist daher unerlässlich. Jede
Tonne, die statt auf der Straße auf Schiene und Wasser-
straße transportiert wird, ist auch ein Beitrag zur Engpass-
beseitigung auf unseren Straßen.
In Zusammenarbeit mit den Ländern versuchen wir, die
logistischen Schnittstellenfunktionen der Binnen- und
auch Seehäfen zu optimieren, um zum einen die hohen Ka-
pazitätsreserven der Binnenschifffahrt, die mir besonders
am Herzen liegt, zu aktivieren und zum anderen die
Schiene wieder attraktiver zu machen. Dafür müssen wir
die Voraussetzungen schaffen. Einerseits müssen wir über
die Investitionspolitik die Hinterlandanbindungen zu den
Häfen attraktiver machen und andererseits über die Ord-
nungspolitik zu einer wesentlich erhöhten Bereitschaft bei
Verladern und Spediteuren beitragen, den Wasserweg und
die Schiene als Transportalternative gegenüber der Straße
zu wählen. Der KV spielt deshalb in unseren Überlegun-
gen eine bedeutende Rolle. Das wird durch die Projekt-
gruppe der SPD-Bundestagsfraktion „Zukunftsperspekti-
ven des kombinierten Verkehrs“ deutlich, die in Kürze
Eckpunkte für eine intelligente und zielführende Vernet-
zung der Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße
vorlegen wird. Ein erster großer Erfolg ist die Aufstockung
der KV-Mittel für Dritte auf 120 Millionen DM. Sie kom-
men auch der Binnenschifffahrt zugute, die gerade in die-
sem Marktsegment hohe Wachstumsraten aufweisen kann.
Wir sind überzeugt, dass der kombinierte Verkehr
(KV) bei der Bewältigung des zukünftigen Güterver-
kehrsaufkommens durch die Optimierung der Rahmenbe-
dingungen und den zielgerichteten Einsatz eine wichtige
Entlastungsfunktion übernehmen kann. Die Treffsicher-
heit der KV-Förderung muss allerdings erhöht werden.
Die KV-Förderung für Dritte ist im Sinne eines integrier-
ten Verkehrssystems für die Verkehrsträger Straße,
Schiene, Wasserstraße zu stärken. Die dafür vorgesehene
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Richtlinie zur Förderung Dritter im KVwird überarbeitet.
In diesem Zusammenhang sollte man zumindest ein paar
Gedanken daran verschwenden, ob die Förderung des
DB-KV nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz
nicht auch angezapft werden kann.
Der Bau und Einsatz innovativer Umschlagtechnolo-
gien muss gefördert werden. Zu den systembedingten
Hemmnissen des KV gehören die Umschlagterminals als
Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern. Deshalb
müssen innovative, Kosten senkende Umschlaganlagen,
die neben dem Ganzzug neue Produktionsformen für neue
Transportmärkte ermöglichen, hinsichtlich ihrer Realisie-
rung unterstützt werden.
Noch einige Worte zur so genannten Pällmann-Kom-
mission: Die angestrebte Umstellung der zeitbezogenen
auf eine streckenbezogene Gebühr für schwere LKW auf
Bundesautobahnen ist eine wichtige Weichenstellung zur
verursachergerechten Anlastung der Preise. Eine neue
Abgabe für die Wasserstraßen wird es mit dieser Bundes-
regierung auch in Zukunft nicht geben. Genauso wenig
wie eine PKW-Maut.
Bei all unseren Überlegungen steht für mich an erster
Stelle, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene und
Wasserstraße zu verlagern. Jede Tonne, die statt auf der
Straße auf Schiene und Wasserstraße transportiert wird,
ist schließlich auch ein Beitrag zur Engpassbeseitigung
auf unseren Straßen!
Wesentlich stärker als bisher müssen wir bei unseren
Entscheidungen die europäische Ebene und die Frage der
EU-Osterweiterung berücksichtigen. Denn nur was wir
heute auf den Weg bringen, hilft uns morgen, den Ver-
kehrsinfarkt zu vermeiden. Wir wollen Mobilität gestal-
ten, statt Staus verwalten.
Renate Blank (CDU/CSU): Die deutschen Binnen-
wasserstraßen zählen zu den bedeutendsten Güterver-
kehrswegen in Europa und sind unverzichtbare Lebens-
adern des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Die
wirtschaftliche Lage der deutschen Binnenschifffahrt
steht aber leider in krassem Gegensatz zu den Zukunfts-
chancen, die ihr als umweltfreundlichem und sicherem
Verkehrsträger mit erheblich freien Kapazitäten einge-
räumt werden.
Ohne ein gut ausgebautes, leistungsfähiges Wasser-
straßennetz, das die großen Seehäfen mit ihrem Hinter-
land und die bedeutendsten Industriezentren miteinander
verbindet, werden die Verkehrszuwächse der vor uns lie-
genden Jahre im Rahmen eines Gesamtverkehrssystems
jedoch nicht zu bewältigen sein. Es muss daher alles ge-
tan werden, um in einer ökologisch vertretbaren Weise die
Binnenwasserstraßen auszubauen, damit der Wirtschafts-
standort Deutschland, aber auch die deutsche Binnen-
schifffahrt gestärkt werden können. Extrem wichtig ist
eine ganzjährige Befahrbarkeit der Wasserstraßen, damit
die Binnenschifffahrt mittels moderner Datenerfassung
Logistiksysteme aufbauen und neue Frachtpotenziale er-
schließen kann.
Die Regierungskoalition reagiert leider nicht auf diese
Fakten, von einem Konzept ganz zu schweigen. Der Was-
serstraßenausbau wird bei allen bisher begonnenen Pro-
jekten zeitlich gestreckt. Neue wichtige Maßnahmen wer-
den nicht begonnen. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Ich
denke hier insbesondere an das VDE-Projekt Nr. 17 und
den Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen.
Der Ausbau der Donau mit ganzjähriger Befahrbarkeit ist
im Hinblick auf die positive Situation im ehemaligen
Jugoslawien und die sich daraus ergebenden Verkehrs-
ströme nach Südosteuropa von Bedeutung. In diesen Län-
dern muss auf das System Wasser gesetzt werden; denn
die dortigen Straßen sind weniger leistungsfähig.
Aussagen und politisches Handeln stimmen bei Rot-
Grün leider nicht überein. Wohlwollenden Erklärungen zu
diesem umweltfreundlichen Verkehrsträger und dessen
Bedeutung für die künftige Abwicklung des Verkehrs-
wachstums stehen harte Fakten gegenüber: Investitionen
in die Infrastruktur werden verringert und ihre Nutzung
zugleich verteuert. Wenn man den in der vergangenen
Woche vorgelegten Verkehrsbericht 2000 liest, wird klar,
dass die Binnenschifffahrt nicht gerade zu den Lieblings-
kindern rot-grüner Verkehrspolitik gehört; denn nur we-
nige Zeilen handeln vom Verkehrsträger Schifffahrt.
Dadurch ist mir auch klar geworden, allerdings ohne jeg-
liches Verständnis für Ihr Nichthandeln, warum Sie unse-
rer maßvollen Erhöhung von 100 Millionen DM für In-
vestitionen im Wasserstraßenhaushalt nicht zugestimmt
haben. Sie wollten doch alles besser machen. Aber wahr-
scheinlich hat hier der Kanzler – der Verkehrsminister
hatte so und so nicht viel zu sagen – Nein und damit
„Basta“ gesagt. Herr Kollege Bodewig, auf Sie warten
nun große Aufgaben.
Der massive Rückgang der Zahlen der deutschen Bin-
nenschifffahrtsunternehmen in den letzten Jahren auf un-
ter 1 000 Unternehmen und die Existenzschwierigkeiten
bei vielen bestehenden Partikulieren müssen uns doch alle
aufrütteln. Wenn nun die Pällmann-Kommission vor-
schlägt, Schifffahrtsabgaben auf Rhein, Donau und Elbe
einzuführen, und gleichzeitig die Bundesregierung Pläne
zur Aufhebung der Mineralölsteuerbefreiung in der Bin-
nenschifffahrt verfolgt, was unabhängig von völkerrecht-
lich bindenden Verträgen enorme Kostensteigerungen
auslösen würde, während in anderen europäischen Län-
dern kräftige Subventionen fließen, dann treibt Rot-Grün
die deutsche Binnenschifffahrt in den Ruin.
Zum Beispiel erhält das niederländische Binnenschiff-
fahrtsgewerbe als Kompensation für die gestiegenen
Gasölpreise 30 Millionen Gulden zum Kauf schadstoff-
und verbrauchsarmer Schiffsmotoren. Unabhängig von
den 30 Millionen Gulden wird der Verkehr über Wasser-
straßen mit jährlich rund 162 Millionen Gulden subven-
tioniert. Auch Frankreich unterstützt das nationale Ge-
werbe kräftig. Zum einen wird der Kauf neuer
Schiffsmotoren subventioniert und ergänzt das Subven-
tionsprogramm zur Modernisierung der Flotte und zum
anderen gibt es direkte finanzielle Entlastungen wegen
der gestiegenen Gasölpreise. Ferner gibt es eine Rege-
lung, dass gezahlte Kanal- und Wasserstraßenabgaben an
die Schifffahrt zurückgezahlt werden. Zusätzlich wurde
die Befahrgebühr – Surpéage – für den Canal du Nord ge-
strichen. Weitere Konsequenzen, sprich Subventionen
sollen folgen.
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Was machte der deutsche Verkehrsminister? Nichts!
Ich bin gespannt, was der neue Verkehrsminister zuwege
bringt. Angesichts der großen Probleme – die enormen
Preissteigerungen beim Gasöl kann kein Partikulierbe-
trieb verkraften – muss er für das deutsche Gewerbe tätig
werden. Herr Bodewig, ich fordere Sie auf, umgehend zu
handeln.
Ich möchte an dieser Stelle allen Partikulieren und
ihren Familien danken, dass sie mit großem finanziellen
Risiko trotzdem durchhalten und nicht aufgeben. Es ist für
mich geradezu makaber, dass ausgerechnet der Verkehrs-
träger Binnenschifffahrt, der nachweislich den geringsten
Energieverbrauch hat und mit seinen vorhandenen freien
Kapazitäten die Straßen nachhaltig entlasten könnte, von
der Bundesregierung im Stich gelassen wird.
Um dem EU-Binnenmarkt und der zunehmenden Ver-
flechtung zwischen nationalen und internationalen Märk-
ten gerecht zu werden, muss auch für die Binnenschiff-
fahrt eine europäische Marktordnung mit harmonisierten
Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden. Dies muss
eine Kernaufgabe der europäischen Verkehrspolitik sein.
Neben den ungleichen Wettbewerbsbedingungen auf EU-
Ebene erschweren Unternehmen aus den mittel- und ost-
europäischen Staaten mit nicht vergleichbaren Lohnni-
veaus die Situation zusätzlich.
Alle Verantwortlichen sollten den Ernst der Situation
erkennen und handeln. Nur mit leistungsfähigen Unter-
nehmen wird es möglich sein, die wachsenden Verkehrs-
ströme zu bewältigen. Wer jetzt die Augen vor drohenden
Existenzvernichtungen verschließt, fügt nicht nur der
Binnenschifffahrt, sondern auch unserer gesamten Volks-
wirtschaft großen Schaden zu. Es ist daher dringend ge-
boten, für die deutsche Binnenschifffahrt ein zukunftsorien-
tiertes Gesamtkonzept zu entwickeln, auch im Hinblick
auf die EU-Ost-Erweiterung; denn hier wird es zuneh-
mend Schwierigkeiten geben. Außerdem ist dem Bundes-
tag jährlich ein Bericht zur Lage des Binnenschifffahrts-
gewerbes vorzulegen.
Wenn nicht gehandelt wird, gibt es bald kein Binnen-
schiff unter deutscher Flagge mehr! Ich hoffe, dass Sie,
Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition,
unserem Antrag im Interesse der deutschen Binnenschiff-
fahrt zustimmen. Ich erwarte, dass der neue Minister un-
sere Forderungen umsetzt.
Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Sicherung und Erhaltung der Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt ist dieser Bun-
desregierung tatsächlich ein zentrales Anliegen. Dies ist
bereits in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen. Zur
Umsetzung der ökonomischen und ökologischen Ziele
sollen Voraussetzungen für die Verlagerung möglichst ho-
her Verkehrsanteile auf Schiene und Wasserstraßen ge-
troffen werden – wir wollen die Harmonisierungsdefizite
im europäischen Wettbewerb so beseitigen, dass die
Marktposition insbesondere der Binnenschifffahrt ge-
stärkt wird. Wir freuen uns, dass wir hier Ihre Unterstüt-
zung haben.
Meine Fraktion kann Ihrem Antrag dennoch nicht zu-
stimmen. Das hat auch gravierende Gründe: Die Umset-
zung von einigen Ihrer Vorschläge erfordert erhebliche
Mehrausgaben. Ziel dieser Bundesregierung ist aber auch
die Konsolidierung der von Ihnen übernommenen Bun-
desfinanzen. Dennoch wird neben den notwendigen Er-
satzinvestitionen auch der Ausbau im Rahmen des Mach-
baren und der Haushaltslage fortgesetzt. Wir sind aber
auch dabei den Bundesverkehrswegeplan zu überarbei-
ten, um eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger und
Verlagerungspotenziale zu berücksichtigen. Sie wissen
selbst, dass der alte Verkehrswegeplan nie finanzierbar
war und Sie haben ihn doch nur als Märchenbuch zur all-
gemeinen Beruhigung gepflegt. Wir wollen ihn der Rea-
lität anpassen. Eine Reihe von Baumaßnahmen haben wir
denn auch in den Haushalt 2001 eingestellt.
Aber auch anderes steht entgegen – und das wissen Sie
auch: An der Donau sind die mit der Bayerischen Staats-
regierung vereinbarten Gutachten über die Art des Aus-
baus noch nicht abgeschlossen und so lange kann die Pla-
nung nicht weitergeführt werden.
Und ich fürchte, die Bayerische Staatsregierung hat
sich hier mit der Nichtausweisung des Bereichs der lsar-
mündung als FFH-Gebiet – obwohl unstrittig alle Voraus-
setzungen hierfür vorgelegen hätten – selbst ein Bein ge-
stellt. Die Begründung: FFH-Gebiete dürften nur dort
ausgewiesen werden, wo Infrastrukturmaßnahmen und
Ähnliches nicht beeinträchtigt werden. Dem steht ein neu-
es Urteil des EuGH diametral entgegen, und ich fürchte,
hier wird der Binnenschifffahrt von der CSU-geführten
Bayerischen Staatsregierung ein Bein gestellt.
Ich bedauere, dass ich wegen der Kürze der mir zur
Verfügung stehenden Redezeit nicht auf alle Punkte ein-
gehen kann.
Die Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen hat
der Bundesverkehrsminister bereits Ende 1998 im Bericht
vor dem Verkehrsausschuss angekündigt, und daran wird
gearbeitet. Seit 1999 werden im Einzelplan 123 Millio-
nenDM für die Ausbildungsförderung in der Binnen-
schifffahrt bereitgestellt. Für die Kooperation der Verkehrs-
träger wird der KV-Leertitel 2001 auf 120 MillionenDM
erhöht. Ein Konzept für eine gesamteuropäische Binnen-
schiffpolitik ist zu begrüßen, fällt aber vorrangig in die Zu-
ständigkeit der EU-Gremien bzw. internationaler Strom-
kommissionen. Für die Wiederbefahrbarmachung der
Donau im jugoslawischen Abschnitt hat auch die Bundes-
regierung Geld zur Verfügung gestellt, wichtig deshalb,
weil im Verkehr mit den südosteuropäischen Staaten die
Donau den wohl wichtigsten Verkehrsweg darstellt.
Ich meine, die Verkehrspolitik der Bundesregierung ist,
was die Binnenschifffahrt betrifft, auf dem richtigen Weg.
Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Endlich haben
wir hier Gelegenheit, die Rolle der Binnenschifffahrt im
Verkehrsgeschehen ins Zentrum unserer gemeinsamen
Überlegungen zu rücken. Eigentlich unverständlich, dass
die Binnenschifffahrt, der Verkehrsweg Wasser, das Meer
insgesamt und unsere maritimen Chancen häufig eine so
untergeordnete Rolle spielen. Dabei liegen die Vorteile
der Binnenschifffahrt als umweltfreundlicher, sicherer
und Energie sparender Transportweg auf der Hand.
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Gerade Binnenschiffe weisen nur eine geringe Lärm- und
Schadstoffemission auf, der spezifische Energiever-
brauch liegt um das 20fache unter dem der LKWs und
deutlich unter dem der Bahn. Bei den Umweltkosten
nimmt die Binnenschifffahrt mit 0,35 DM je tausend Ton-
nenkilometer im Vergleich zu ihren Wettbewerbern eine
unangefochtene Spitzenposition ein (Bahn 1,15 DM,
Straßengüterverkehr 5,01 DM). Es gibt keine Verkehrsbe-
schränkungen an Feiertagen, auch ein 24-Stunden-Rhyth-
mus am Tag ist möglich. Das weitmaschige Netz der Was-
serstraßen verbindet alle bedeutenden Industriestandorte
und Wirtschaftsregionen Deutschlands untereinander so-
wie mit den großen Häfen an der Nord- und Ostseeküste.
Allein 56 von 74 deutschen Großstädten weisen einen
Wasserstraßenanschluss auf. Erstmals verbindet eine
Großschifffahrtsstraße die Nordsee mit dem Schwarzen
Meer auf einer Gesamtlänge von circa 3 600 km. Damit
werden 15 europäische Staaten durch ein Wasserstraßen-
netz miteinander verbunden.
Vor diesem Hintergrund müsste das Bild der Binnen-
schifffahrt eigentlich in hellen Farben erstrahlen, jedoch
sieht die Realität anders aus. Die Binnenschifffahrt be-
findet sich gegenwärtig in einer besonders schweren Si-
tuation, denn die Ertragslage ist absolut unzureichend. In
dieser Situation fühlt sich die Binnenschifffahrt durch die
Verkehrspolitik der Bundesregierung im Stich gelassen.
Mit Erstaunen und Verärgerung hat die Binnenschifffahrt
zur Kenntnis nehmen müssen, dass Investitionsleistungen
des Bundes ganz überwiegend der Straße oder der Bahn
zugesprochen werden, während der Ausbau der Binnen-
wasserstraßen vernachlässigt wird!
Es ist scharf zu kritisieren, dass die Bundesregierung
und die sie tragenden Parteien dem Verkehrsträger Wasser-
weg so wenig Bedeutung beimessen. Der Ausbau eines
Binnenwasserstraßennetzes hat bei der Bundesregierung
keine Bedeutung. In einer gemeinsamen Resolution der
Binnenschifffahrtsvereine sind die Forderungen klar be-
nannt. Der Ausbau der Elbe, der Weser, der Saale, des
Elbe-Lübeck-Kanals und gerade der Donau ist zwingend
notwendig, auch um ein Netzwerk zu den östlichen Nach-
barn zu schaffen. Wenn wir die Engpässe nicht beseitigen,
wenn wir die Brücken nicht erhöhen, um Containertrans-
porte zu ermöglichen, wenn die Schnittstellen zum euro-
päischen Wasserstraßensystem nicht hergestellt werden,
wenn die Kooperation nicht mit anderen Verkehrsträgern
vorangetrieben wird, dann wird die Binnenschifffahrt aus
ihrem nicht selbst verschuldeten Randdasein als Ver-
kehrsträger nicht herauskommen.
SPD und Grüne betreiben gegenüber dem Verkehrsträ-
ger Wasserstraße und unseren Binnenschiffern eine Poli-
tik der Geringschätzung, die beleidigend ist. Dabei sind
die Anstrengungen der deutschen Binnenschifffahrt, sich
selbst in eine gute Ertragssituation hineinzuarbeiten, au-
ßerordentlich groß. Aber eine Fülle von Engpässen im Be-
reich der Binnenwasserstraßen mit kostensteigernden
Umlademöglichkeiten lässt die Kosten für deutsche Bin-
nenschiffe anschwellen und sie den Vergleich mit den an-
deren Verkehrsträgern verlieren.
Neben dramatischen Netzdefiziten im deutschen Bin-
nenwasserstraßennetz werden deutsche Binnenschiffer
gegenüber europäischen Bewerbern sehr stark benach-
teiligt. Gerade gegenüber dem starken Mitbewerber, den
niederländischen Binnenschiffern, gibt es eine solche Fül-
le von Wettbewerbsnachteilen, dass die deutschen Bin-
nenschiffer wegen fehlender Harmonisierung der Kosten
für das Betreiben eines Binnenschiffes hoffnungslos un-
terlegen sind.
Deshalb: Die deutsche Bundesregierung muss mehr für
die Binnenschifffahrt tun. Sie muss Signale aussenden, sie
muss endlich ausreichende Mittel für die Binnenschiff-
fahrt bereitstellen. Und sie muss für die Schifffahrt ins-
gesamt Weichen stellen. An der deutschen Küste kann ein
Großcontainerhafen entstehen. Die Bundesregierung, wir
alle müssen klar sagen, dass wir die Chancen des Küs-
tenlandes Deutschland zukunftsorientiert nutzen wollen.
Ein Tiefwasserhafen für Großcontainerschiffe an der
deutschen Bucht ist das richtige, aber auch notwendige Si-
gnal. Ja, wir wollen an der Verkehrsentwicklung der Zu-
kunft teilnehmen. Wer Ja zum Großcontainerhafen an der
deutschen Nordseeküste sagt, der muss auch Ja zur guten
Hinterlandanbindung sagen, der muss Weichenstellun-
gen vornehmen und Entwicklungsakzente setzen. So ist
zum Beispiel ein Tiefseewasserhafen für Großcontainer-
schiffe möglicherweise in Wilhelmshaven ohne ein Ja
zum Jade-Weser-Kanal nicht vorstellbar.
Die Bundesregierung muss sich darüber im Klaren
sein – und wir müssen sie dazu ermutigen –, dass die
deutsche Binnenschifffahrt nur dann ihren gerechten
Marktanteil sich erkämpfen kann, wenn Zukunftswei-
chen, verbunden mit Zukunftsinvestitionen, konsequent
Bestandteile unserer jeweiligen Haushalte sind. Im vor-
liegenden Antrag der F.D.P. werden wichtige Forderun-
gen erhoben, die bei einer möglichst zügigen Realisierung
ganz entschieden dazu beitragen werden, dass die deut-
sche Binnenschifffahrt in einem gut ausgebauten Binnen-
wasserstraßennetz und bei fairen Wettbewerbsbedingun-
gen beste Zukunftschancen hat.
Der Satz „Navigare necesse est“ – Schifffahrt tut not –
ist hoch aktuell.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Die Anträge von CDU/CSU
und F.D.P. verlangen eine verstärkte Förderung der Bin-
nenschifffahrt. Unter anderem wird eingeklagt: eine „Ver-
lagerung von Transporten auf die Wasserstraßen“ – so der
Antrag von CDU/CSU –, ein „nationaler Aktionsplan für
die Binnenwasserstraßen“ – so der F.D.P.-Antrag. Diese
Bekenntnisse zur christlich-liberalen Binnenschifffahrt
sind grundsätzlich zu begrüßen. Dabei verwundert aller-
dings der christliche-liberale Aktivismus.
Tatsächlich nehmen die Transporte der Binnenschiff-
fahrt seit 1982 in Westdeutschland und seit 1991 in Ge-
samtdeutschland ab, schrumpfte die Zahl der Unterneh-
men seit 1994 und bis 1999 um ein Drittel und ging die
Zahl der Beschäftigten dramatisch zurück: 1982 waren
dies – beim fahrenden Personal – 10 340 und 1998 6 475
Menschen. Ähnlich die Bilanz bei den Anteilen an der
Verkehrsleistung: 1982 hatte die Binnenschifffahrt einen
Anteilen am Güterverkehrsmarkt von 21 Prozent, 1998
waren es noch 13,7. Da bleibt die Gretchenfrage: Wer
stellte in all den Jahren Regierung und Verkehrsminister?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012914
(C)
(D)
(A)
(B)
Wer heute über den Zustand der Binnenschifffahrt klagt,
der sollte sagen: Der Trend, wie wir ihn unter CDU/CSU
und F.D.P. bis 1998 erlebten, hält an. Die Binnenschiff-
fahrt ist in fast allen Bereichen rückläufig.
Hier ist es sinnvoll, sich fünf Strukturelemente und
Grundtendenzen der Binnenschifffahrt vor Augen zu hal-
ten: Erstens. Von allen Verkehrsträgern deckt die Binnen-
schifffahrt die Wegekosten am wenigsten. Allerdings ist
diese Transportart besonders umweltfreundlich und sie
weist wenig „externe Kosten“ auf. Zweitens. Auch imma-
nent ist die Struktur dieses Gewerbes betriebswirtschaftlich
nicht allzu überzeugend. So hatten wir 1998 das folgende
Verhältnis bei den Beschäftigten: Es gab 12700 Beschäf-
tigte für Betreuung von Wasserstraßen und Häfen, 5021 Be-
schäftigte zusätzlich in der Verwaltung und 7 635 Erwerb-
stätige auf den Binnenschiffen selbst. Ein solches
Verhältnis gibt es bei keinem anderen Verkehrsträger: Von
25000 Beschäftigten sind weniger als ein Drittel auf den
Verkehrsmitteln, den Binnenschiffen, beschäftigt.
Drittens. Der beschriebene Rückgang der Zahl der Be-
schäftigten findet dann auch primär beim fahrenden Per-
sonal statt. Die entscheidende Tendenz, die dabei diesen
Abbau der Beschäftigtenzahl und den Bankrott der Bin-
nenschiffer – der Partikuliere – bewirkt, ist in der Tatsa-
che zu sehen, dass es immer größere Schiffe und immer
größere Unternehmen bzw. einen Bankrott der Partiku-
liere gibt.
Viertens. Das wiederum hängt eng mit dem Ausbau der
Wasserwege zusammen: Die Schifffahrtswege werden für
immer größere Schiffe ausgebaut, es gibt immer tiefere
Kanäle, immer größere, also breitere und längere Schleu-
sen. Das heißt aber auch, es gibt immer „tiefere“ Ein-
schnitte in Landschaft und Natur.
Fünftens. Die Binnenschifffahrt steht in erster Linie in
Konkurrenz zur Schiene. Besser gesagt: Sie wird in diese
Konkurrenzsituation gebracht, unter anderem dadurch,
dass Schiene und Binnenschiffe um die so genannten
Massengüter konkurrieren und die Schiene nicht verstärkt
eingesetzt wird, um teure Fertig- und Halbfertigprodukte
zu transportieren, womit sie dem Binnenschiff Kapazität
überlassen und umgekehrt dem LKWTonnage abnehmen
würde.
An dieser Stelle ist auf die Anträge zurückzukommen:
Diese Anträge dokumentieren wenig Einsicht in die ei-
gene falsche Politik im Zeitraum 1982 bis 1998. Noch
mehr: In diesen Anträgen finden sich Vorschläge, die in
den letzten zwei Jahrzehnten realisierte – falsche – Poli-
tik fortzusetzen oder gar zu steigern. Gefordert wird ein
verstärkter Ausbau der Wasserwege, tiefere Schifffahrts-
wege, die Beseitigung von „Nadelöhren“ usw. Und nir-
gendwo wird konkret gesagt, von was denn zur Binnen-
schifffahrt verlagert werden soll. Unter den gegebenen
Bedingungen heißt dies, die Konkurrenz Schiene-Bin-
nenschiff zu steigern.
Hier gibt es im Übrigen kaum einen Unterschied zur
Politik der SPD-Grünen-Regierung. Staatssekretär
Scheffler zum Beispiel sieht im Ausbau der Wasser-
straßen „eine verkehrspolitisch vordringliche Aufgabe“.
Dabei erleben wir gerade in den Binnenschifffahrtsberei-
chen, die ausgebaut werden, wie zum Beispiel im Verlauf
des Projektes 17 zum Teil dramatische Rückgänge der
Tonnage. Als Beispiel sei die Schleuse Kleinmachnow ge-
nannt: Hier hatten wir allein 1999 gegenüber 1998 ein
Minus von 15 Prozent. Dennoch wird diese Schleuse aus-
gebaut für Großmotorschiffe von 110 Meter Länge. Da-
von gibt es in ganz Deutschland gerade mal 11 Schiffe.
Der Fachreferent Winfried Lücking vom BUND äußerte
hierzu: „Für diese elf Schiffe werden 5 Milliarden DM
ausgegeben. Das ist volkswirtschaftlicher Irrsinn.“
Das Kontrastprogramm der PDS sieht hierzu wie folgt
aus:
Erstens. Wir sagen grundsätzlich Ja zur Förderung der
Binnenschifffahrt.
Zweitens. Dabei muss die Tatsache zur Kenntnis ge-
nommen werden, dass alle Verkehrsarten ihre Kosten
nicht decken und dass dies für die Binnenschifffahrt im
besonderem Maß gilt. Daraus folgt: Verkehrsplanung
muss gerade im Bereich Güterverkehr nach volkswirt-
schaftlichen und nach umweltpolitischen Kriterien erfol-
gen.
Drittens. Das Binnenschiff muss vor allem Güter von
der Straße holen; die Konkurrenz zur Schiene ist eine un-
glückliche und umweltpolitisch fatale.
Viertens. Die Schiffe müssen den Flüssen angepasst
sein – und nicht umgekehrt. Das schützt Natur, spart Geld,
erspart Bundeswehreinsätze an der Oder und anderswo
und erhält Beschäftigung.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Namensaktie und zur Erleichterung der
Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz –
NaStraG) (Tagesordnungspunkt 12)
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Wir be-
raten und verabschieden heute in zweiter und dritter Le-
sung das Namensaktiengesetz.
Dieses Gesetz, das im Rechtsausschuss des Deutschen
Bundestages mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der CDU/CSU und der F.D.P., also mit großer Mehrheit
beschlossen worden ist, hat eine bedeutsame Wirkung für
den Finanzplatz und somit auch für die Finanzmärkte in
der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus.
Das Gesetz stärkt die internationale Wettbewerbs-
fähigkeit unseres Landes, denn die Namensaktie ist im in-
ternationalen Wettbewerb die bedeutsamste Form der Be-
teiligung an Unternehmen.
Wo liegen die Ursachen für das neue Gesetz? Durch
den Wechsel der größten deutschen Publikumsgesell-
schaften von der herkömmlichen Inhaber- zur Namensak-
tie ist deutlich geworden, dass die Regelungen zur Na-
mensaktie im Aktiengesetz veraltet sind. Darüber hinaus
ist immer deutlicher geworden, dass die bisherigen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12915
(C)
(D)
(A)
(B)
datenschutzrechtlichen Regelungen zum Aktienregister
völlig unzureichend sind und das sehr umfassende Recht
auf Einsicht in das Aktienregister auf Sorge und Unver-
ständnis stößt.
Die Veränderungen der Kapitalmarktkultur stehen im
Widerspruch zu den bürokratischen Formerfordernissen,
die rund um die Hauptversammlungen im deutschen
Aktiengesetz bestehen. Außerdem haben sie mit der ra-
santen und modernen Entwicklung der Informationstech-
nologie nicht Schritt gehalten. Besondere Schwierigkei-
ten bestehen daher auch im grenzüberschreitenden
Bereich.
Der Gesetzentwurf enthält vielfältige Formerleichte-
rungen und Rücknahmen bürokratischer und gesetzlicher
Erfordernisse, sodass die Unternehmen durchweg von
Kosten entlastet werden.
Das Ziel, das Recht der Namensaktie zu aktualisieren
und den sich aus der Renaissance dieser Aktienform erge-
benden Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, wird von
den Gesellschaften sehr begrüßt. In den Gesprächen der
Berichterstatter mit einer Expertenrunde und auch bei
persönlichen Gesprächen, die von mir geführt worden
sind, wurde das Gesetz durchweg gelobt.
In den vergangenen Monaten ist zwischen der Kredit-
wirtschaft und den Namensaktiengesellschaften ein Streit
darüber entbrannt, wer die Kosten der Übermittlung von
Aktionärsdaten zu tragen hat. Beide Seiten konnten sich
in langwierigen Verhandlungen leider auf keine einver-
nehmliche Lösung einigen.
Die deutsche Industrie befürwortet die vom Rechts-
ausschuss gefundene Lösung, wonach die Emittenten den
Banken „die notwendigen zusätzlichen Kosten“ zu erset-
zen haben. Die Emittenten dürfen aber nur insoweit mit
zusätzlichen Kosten belastet werden, wie diese in den
Kreditinstituten nach dem jeweils neuesten Stand der
Technik unmittelbar für die Übermittlung der Aktionärs-
daten anfallen.
Es bleibt zu hoffen, dass bei der Frage der notwendi-
gen zusätzlichen Kosten zwischen den Gesellschaften
und den Banken bald eine Einigung erzielt wird. Es wäre
sehr schade, wenn der Gesetzgeber zu guter Letzt auf
dem Verordnungsweg eine Kostenregelung herbeiführen
müsste. Ich setze daher nach wie vor auf eine Einigung
unter den Betroffenen.
Die Regelungen zur Namensaktie werden insbeson-
dere in den §§ 67 und 68 modernisiert. Die in das Aktien-
register aufzunehmenden Daten werden neu bestimmt.
Die Umschreibung von Aktien im Aktienregister wird
eindeutig und datenschutzrechtlich klar geregelt. Insbe-
sondere wird das Recht auf Einsicht in das Aktienregister
erheblich eingeschränkt und auf die eigenen Daten des je-
weiligen Aktionärs begrenzt.
Hinsichtlich der Stimmrechtsausübung werden Inha-
ber- und Namensaktie weitgehend gleichgestellt. Bei bei-
den Aktienformen wird künftig die offene wie auch die
verdeckte Stimmrechtsausübung in der Hauptversamm-
lung zulässig und eine generelle Vollmacht über alle
Aktien im Depot möglich sein.
Das Aktienrecht wird für neue Informationstechnolo-
gien, die unter anderem Erleichterungen der Stimm-
rechtsausübung und der Vollmachtserteilung betreffen,
geöffnet. Besonders bedeutsam ist dabei die Zurück-
nahme der Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten
im Aktiengesetz.
Bei der Nachgründung gemäß § 52 des Aktiengesetzes
wird der Anwendungsbereich der Norm stark einge-
schränkt, sodass eine erhebliche Entlastung in der Praxis
und gerade auch bei kleinen Aktiengesellschaften zu
erwarten ist.
Die Erleichterungen bei den Handelsregisterbekannt-
machungen betreffen insbesondere die Bekanntmachung
bei den Zweigniederlassungen.
Der Rechtsausschuss hat die Frage der Entfristung der
Dauervollmachten nach § 135 des Aktiengesetzes erörtert
und befürwortet die vorgeschlagene Entfristung aus
Gründen der Entbürokratisierung. Der Rechtsausschuss
erwartet allerdings, dass sich aufgrund der sich abzeich-
nenden technologischen Entwicklungen, insbesondere im
Bereich der Namensaktien, in den nächsten Jahren neue
Instrumente der Stimmrechtsausübung eröffnen werden.
Diese könnten in einigen Jahren an die Seite der traditio-
nellen Stimmrechtsvollmacht zugunsten von Kreditinsti-
tuten über das gesamte Depot treten und diese überflüssig
machen.
Der Rechtsausschuss fordert daher die Bundesregie-
rung auf, nach Ablauf von drei Jahren einen Bericht da-
rüber vorzulegen, wie die Stimmrechtsausübung in
Deutschland sich seither entwickelt hat und ob die erwar-
teten Veränderungen eingetreten sind.
Abschließend bedanke ich mich sehr herzlich bei der
Bundesregierung, ganz besonders beim BMJ, für die gute
Vorarbeit und auch für die Begleitung bei den Berichter-
stattergesprächen. Herzlichen Dank ebenfalls an Frau
Dr. Tiemann und Herrn Funke für die sehr gute Atmo-
sphäre bei den Abstimmungsgesprächen der Berichter-
statter.
Zu Beginn meiner Ausführungen hatte ich ja schon er-
wähnt, dass es für dieses neue Gesetz eine breite Mehrheit
gibt. Das ist sehr gut und erzielt gleichzeitig eine entspre-
chende positive Außenwirkung.
Die Änderungsanträge der F.D.P. mussten wir leider
ablehnen, da sie unter anderem noch einer intensiven
Überprüfung und weiteren Beratung bedürfen.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu der Ihnen vorliegen-
den Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses und be-
danke mich für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): In der ersten Le-
sung des Namensaktiengesetzes habe ich ausgeführt, dass
der Entwurf des Namensaktiengesetzes eine bedeutsame
Initiative darstellt, weshalb die CDU/CSU dem Gesetz-
entwurf grundsätzlich positiv gegenübersteht, aber im
Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss nachhaltig
darauf hinwirken wird, dass einige ihrer Meinung nach
notwendige Verbesserungen in den Gesetzentwurf mit
aufgenommen werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012916
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Beratungen im Ausschuss waren sehr konstruktiv
und meiner Meinung nach auch sehr effektiv und frucht-
bar. Mit der Verabschiedung des Gesetzes werden wir die
Namensaktie stärken. Wir werden damit dem internatio-
nalen Anpassungsdruck, dem der Finanzplatz Deutsch-
land unterliegt, entgegentreten und auf diese Weise unse-
ren Finanzplatz international konkurrenzfähiger machen.
Die Stärkung der Namensaktie bedeutet dabei nicht, dass
wir sie gegenüber der Inhaberaktie bevorzugen würden.
Inhalt unserer Bemühungen war und ist es, bestehende
Probleme zu beseitigen, damit sowohl Inhaber- als auch
Namensaktie „gleichberechtigt“ sind und die Gesell-
schaften eine wirkliche Wahl zwischen den beiden
Aktientypen haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf reiht sich dabei in eine
Linie ein, die schon von der vorigen Bundesregierung
durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz und nicht
zuletzt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz
im Unternehmensbereich, dem KonTraG, vorgegeben
wurde. Die ist also eine außerordentlich vorausschauende
und weise Politik.
Lange Zeit schien für die Deckung von großen Kapital-
nachfragen die flexible Inhaberaktie besser geeignet. Inso-
fern ist die Namensaktie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
in Deutschland zunehmend von der Inhaberaktie verdrängt
worden. Jetzt scheint sich ein Kreis zu schließen. Die Be-
deutung der Namensaktie hat nämlich in den letzten Jahren
wieder erheblich zugenommen. Der Bedeutungszuwachs
für die Namensaktie ist die logische Konsequenz der Tat-
sache, dass die Namensaktie als die international gängige
Beteiligungsform anzusehen ist. lm Zuge der Globalisie-
rung ist die Anteilseignerstruktur bei deutschen Unterneh-
men internationaler geworden. Gleichzeitig nahm der
Trend zu, Aktien an unterschiedlichen Börsen auf der Welt
zu handeln. Da die bisher in Deutschland verbreitete Inha-
beraktie in einigen anderen Rechtsordnungen völlig unbe-
kannt ist und zum Beispiel eine Notierungsaufnahme an
US-amerikanischen Börsen nur mit „registred shares“, der
US-amerikanischen Namensaktie, erfolgt, haben auch viele
große deutsche Unternehmen zunehmend auf Namensak-
tien umgestellt; von den Unternehmen des DAX bereits
mehr als ein Drittel. Mit diesen Zahlen wird deutlich, dass
auch innerdeutsche Beteiligungen von der Handhabbarkeit
der Namensaktie abhängen.
Wir müssen für die, die sich international betätigen wol-
len, Möglichkeiten hierzu eröffnen und grenzüberschrei-
tende Schwierigkeiten auf ein Minimum reduzieren. Eine
Reduzierung grenzüberschreitender Schwierigkeiten be-
deutet im Fall der Namensaktie, dass die Gesetzeslage auf
den Stand des derzeit technisch Möglichen gebracht wird.
Die Namensaktie hatte bisher erhebliche Nachteile.
Die Gesetzeslage der Namensaktie bot deshalb den Ge-
sellschaften bisher nicht den nötigen Anreiz, um auf die
Entwicklungen der Globalisierung angemessen reagieren
zu können. Ein Hauptgrund für die geringe Akzeptanz der
Namensaktie kann darin gesehen werden, dass die Ab-
wicklung von Geschäften mit Namensaktien wegen des
zu führenden Aktienbuches kompliziert und kosteninten-
siv war. Viele Gesellschaften haben deshalb von einer
Umstellung auf oder der Einführung von Namensaktien
verzichtet, damit aber gleichzeitig ihre Zugangsvoraus-
setzungen zu internationalen Börsen erschwert bzw. ihre
internationale Attraktivität vermindert.
Aufgrund der modernen Computertechnik besteht
heute die Möglichkeit, das Aktienbuch elektronisch zu
führen, wodurch wesentliche Arbeitserleichterungen und
Kosteneinsparungen entstehen. Gleichzeitig bietet das
elektronisch geführte Aktienbuch Möglichkeiten, die vor-
her in diesem Umfang nicht bestanden haben. Mithilfe der
Technologie werden die Gesellschaften in der Lage sein,
den Kontakt zu ihren Aktionären intensiver und effektiver
zu gestalten. Informationen erreichen schneller und kos-
tengünstiger den Aktionär. Durch einen regelmäßigen
Kontakt kann auf die persönlichen Präferenzen der ein-
zelnen Aktionäre eingegangen werden. Ohne Probleme
lassen sich Verkaufs- und Kaufbewegungen verfolgen,
wodurch die Gesellschaft informiert ist, in welchen Hän-
den sich welche Anteilspakete befinden. Gerade die Be-
ziehung zum Aktionär gewinnt im verschärften nationa-
len und internationalen Wettbewerb an Bedeutung. Geld
investiert sich leichter, wenn Chancen und Risiken der In-
vestition richtig abgeschätzt werden können. Die Ent-
scheidung der Anleger hängt davon ab, ob Vertrauen in die
Unternehmensführung besteht. Dieses Vertrauen kann
durch regelmäßige, umfassende und teilweise auch durch
individuelle Informationen gewonnen werden. Die Ein-
führung des elektronischen Aktienregisters war daher ein
notwendiger Schritt.
Gleichfalls bestand die Notwendigkeit, zahlreiche an-
dere Bestimmungen an die Entwicklungen der Wirt-
schaftspraxis anzupassen. Die Veränderung der Anteils-
eignerstruktur, die Zunahme der Zahl der Aktionäre und
der umlaufenden Aktien haben deutlich aufgezeigt, dass
eine Anpassung des Aktienrechts an die Möglichkeiten des
21. Jahrhunderts dringend notwendig ist. Das AktG musste
für neue Informationstechnologien geöffnet werden, um
die Vorteile des elektronischen Aktienregisters auch rich-
tig nutzen zu können und um das Aktienrecht „fit“ für das
21. Jahrhundert zu machen. Dieser Punkt war zwischen
den Fraktionen in den Beratungen unstreitig. Zudem kön-
nen die Gesellschaften mithilfe der neuen Informations-
technologien und der dadurch bedingten Erleichterung
und Beschleunigung von Arbeitsvorgängen erhebliche
Kosten einsparen und die Mittel für neue Investitionen
nutzen.
Da es nicht galt, auf halbem Wege stehen zu bleiben,
waren die formalen Voraussetzungen des Aktienrechts ei-
ner kritischen Überprüfung zu unterziehen. Durch die
größere internationale Anteilseignerstruktur entwickelten
sich bestehende Schrift und Formerfordernisse vielfach
zu „Hemmschuhen“ des Aktienrechts. Notwendig waren
somit Überlegungen, Erleichterungen bei der Stimm-
rechtsausübung und der Vollmachtserteilung zu erreichen.
Trotz aller Notwendigkeiten hat die Fraktion der
CDU/CSU hinsichtlich der Erleichterung von Formerfor-
dernissen nicht nur unkritischen Optimismus an den Tag
gelegt, sondern darauf hingewiesen, dass gerade den
Schriftformerfordernissen im Rechtsverkehr unter ande-
rem eine wichtige Beweisfunktion zukommt und jede Än-
derung gut überlegt und diskutiert werden sollte, da nicht
jede Erleichterung von Formerfordernissen oder die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12917
(C)
(D)
(A)
(B)
Einführung neuer Informationstechnologien auch unter
dem Strich zu einer wirklichen Erleichterung in der Pra-
xis und damit zu einem Fortschritt führt.
Kritisiert haben wir insbesondere, dass in § 134 AktG-E
anfangs keine Verpflichtung zum nachprüfbaren Festhalten
der Vollmachtserteilung vorgesehen war. Wir haben dies zu
Beginn der Beratungen versucht zu korrigieren, um die
Aufnahme einer Verpflichtung, ähnlich der im § 135 II 4
AktG-E, zu erreichen. Die in den Beratungen beschlossene
Änderung des § 134 III 3 AktG-E ist daher sehr positiv zu
bewerten.
Eine mögliche Freistellung von jeder Form hätte zu
Missbrauch einladen können. Zwar geht der Gesetzent-
wurf bei der Vollmacht an Private weiterhin von der
Schriftform als Regel aus, doch stellt er diese Regel zur
Disposition der Satzung. Um Rechtsklarheit zu schaffen
und um unnötige Probleme gar nicht erst entstehen zu las-
sen, ist die Änderung sehr sinnvoll.
Aufgabe der Politik ist es, auf neue Entwicklungen
adäquate Antworten zu geben. Ich bin der Meinung, dass
die Einführung des Aktienregisters und die Öffnung des
Aktienrechts für neue Informationstechnologien eine adä-
quate Antwort auf die bisherigen Probleme der Namens-
aktie sind. Mit diesen Schritten hat die Namensaktie viele
Vorteile gegenüber der Inhaberaktie, sodass im Aktien-
recht nunmehr zwei gleichwertige Aktientypen zur Verfü-
gung stehen. Mit der Stärkung der Namensaktie werden
wir für deutsche Gesellschaften den Zugang zu interna-
tionalen Börsen handhabbar machen. Die Möglichkeit,
Aktien auf bedeutenden Kapitalmärkten einheitlich zu
handeln, wird zusätzlich dazu führen, dass deutsche Be-
teiligungen für ausländische Investoren interessanter wer-
den.
Im Einzelnen möchte ich zum vorliegenden Gesetz-
entwurf noch Folgendes ausführen: Im Rahmen der Be-
ratungen im Rechtsausschuss hat sich gezeigt, dass die
vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung zu § 67 VZ
AktG-E mit dem Inhalt, dass der Aktionär auch Auskunft
über Daten verlangen kann, die zu Aktionären gehören,
denen mehr als 5 Prozent der Aktien der Gesellschaft
gehören, mehrheitlich als nicht notwendig angesehen
wurde. § 21 I Wertpapierhandelsgesetz sieht nämlich be-
reits entsprechende Mitteilungspflichten vor.
Die Fraktion der CDU/CSU hat bereits zu Anfang der
Beratungen die Meinung vertreten, dass die Löschung des
Veräußeres und die Neueintragung des Erwerbers bzw.
des von ihm beauftragten Legitimationsaktionärs begriff-
lich getrennt werden sollten. Begründet haben wir dies
damit, dass sich beim Erwerb von Namensaktien die
neuen Aktionäre oftmals nicht in das Aktienregister ein-
tragen lassen bzw. manche Erwerber erst nach einiger Zeit
in das Aktienregister eingetragen werden, was zu Irrita-
tionen führen kann, da nach § 67 II AktG-E noch der alte
Eigentümer als Aktionär der Gesellschaft gilt, das heißt,
zu Hauptverhandlungen eingeladen wird und dort mögli-
cherweise noch sein Stimmrecht ausübt. Im neuen § 67 III
AktG-E wurde diese begriffliche Trennung vorgenom-
men, sodass auch in diesem Punkt unser Wunsch erfüllt
worden ist.
Zu einem sehr umstrittenen Punkt in den Beratungen
gehörte sicherlich die Frage, ob im Rahmen des § 67 IV
AktG-E die interne Kostenfrage der Datenübermittlung
mitentschieden werden sollte. Dies haben wir sehr inten-
siv beraten und ein Berichterstattergespräch mit Vertretern
des Bundesverbandes deutscher Banken, des Bundesver-
bandes der Deutschen Industrie, der Schutzvereinigung für
Wertpapierbesitz sowie des Bundesbeauftragten für den
Datenschutz am 12. Oktober 2000 geführt. Wir haben uns
daraufhin dafür entschieden, § 128 VI AktG-E dergestalt
zu ändern, dass die Bundesministerien für Wirtschaft und
für Finanzen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung
vorzuschreiben, dass die Gesellschaften den Kreditinstitu-
ten und den Vereinigungen von Aktionären unter anderem
die Aufwendungen für die Übermittlung der Angaben
gemäß § 67 IVAktG-E zu ersetzen haben.
Diese Entscheidung ist aus der Sicht der CDU/CSU
richtig. Für die Entscheidung unserer Fraktion war maß-
geblich, dass wir eine einseitige Abwälzung der Übermitt-
lungskosten durch die Kreditinstitute auf den Aktionär ab-
lehnen. Die Kreditinstitute hätten – in diesem Punkt waren
wir uns sicher – die Kosten auf den Aktionär umgelegt,
wenn eine Erstattung der Kosten von den betreffenden Ge-
sellschaften unterblieben wäre. Der Gesetzgeber musste
also Stellung beziehen. Die Fraktion der CDU/CSU ist kei-
neswegs der Ansicht, dass die Einführung einer Kostener-
stattung der Förderung des Finanzplatzes Deutschland
kontraproduktiv entgegenwirkt. Des Weiteren sind wir
nicht der Ansicht, dass, wie verschiedentlich behauptet
wird, die Kosten der Kreditinstitute im Wesentlichen da-
durch bedingt sind, dass die Kreditinstitute Investitionen
in die EDV unterlassen haben. Ob dies im Einzelfall ge-
schehen ist, möchte ich nicht abschließend bewerten. Mei-
nes Erachtens kann dies aber auch dahinstehen, da die
Übermittlung unstreitig mit Kosten verbunden ist und mo-
derne EDV diese Kosten nur minimieren kann. Über die
Höhe der Kostenerstattung wird im Rahmen des Gesetz-
gebungsverfahren aber, gerade nicht entschieden, da deren
Festsetzung einer späteren Rechtsverordnung vorbehalten
bleibt. Klargestellt wird dagegen, dass nur die „erforderli-
chen“ Kosten zu erstatten sind. Deshalb geht auch der Vor-
wurf ins Leere, wir würden den Modernisierungsdruck zur
Umstellung der EDV-Systeme, dem die Kreditinstitute
ausgesetzt sind, künstlich abschwächen. Kosten sind näm-
lich insoweit nicht erforderlich, als sie durch veraltete Sys-
teme bedingt sind.
Die CDU/CSU hat eine Umlegung der Übermittlungs-
kosten auf den Aktionär abgelehnt, da durch die Transakti-
onskosten die Attraktivität der Namensaktie beeinträchtigt
worden wäre und möglicherweise den Aktionär von der
Eintragung ins Aktienregister abgehalten hätte. Eine Nicht-
eintragung hätte aber wiederum das gesetzgeberische Leit-
bild des vollständigen Aktienregisters konterkariert. Für
unser Empfinden war das Argument, dass der Aktionär
durch seine Order zum Kauf von Namensaktien das Ent-
stehen der beschriebenen Kosten ausgelöst hat, nicht stich-
haltig. Die alleinige Belastung der Kreditinstitute wäre
gleichfalls bedenklich gewesen, da diese im Verhältnis Ak-
tionär/Gesellschaft nur Dritte sind. Die maßgeblichen Be-
ziehungen bestehen im Verhältnis Aktionär/Gesellschaft.
Gerade die Namensaktie dient einer Verbesserung der so
genannten „investor relations“. Deswegen sollten auch die
kostenmäßigen Konsequenzen vorrangig in dieser Bezie-
hung angesiedelt sein. Das Interesse der Gesellschaften an
einem vollständigen Aktienregister, auch gerade im Hin-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012918
(C)
(D)
(A)
(B)
blick auf Investor-Relations-Überlegungen, ist nicht von
der Hand zu weisen. Dieses Interesse sollte sich deshalb
auch im Rahmen einer Kostentragungspflicht widerspie-
geln, weshalb wir auf eine entsprechende Änderung in § 67
IVAktG-E Wert gelegt haben.
Schon in der ersten Lesung haben wir die Änderung in
§ 125 II 3 AktG-E – Pflicht der Gesellschaft, alle zwölf
Tage vor der Einladung eingetragene Aktionäre, zu unter-
richten – begrüßt, da durch sie aufwendige „Nach-Mai-
ling-Aktionen“ reduziert werden. Im Rahmen der Bera-
tungen ist die Frist von zwölf Tagen auf eine Frist von
zwei Wochen verlängert worden. Diese Verlängerung än-
dert nichts an unserer Zustimmung. Zusätzlich haben wir
in der ersten Lesung gefordert, dass die Frist des § 125 II 3
AktG-E auch für die Mitteilung der Kreditinstitute nach
§ 128 I, AtG-E gelten sollte, da auch bei den Kreditinsti-
tuten Unsicherheit darüber besteht, ab welchem Zeitpunkt
auf eine Weitergabe der Unterlagen verzichtet werden
kann.
Diese Ansicht konnten wir im Rechtsausschuss durch-
setzen, sodass entsprechend § 125 II 3 AktG-E, der nun
von einer zweiwöchigen Frist ausgeht, auch für die Kre-
ditinstitute gilt, dass Mitteilungen nach § 125 I AktG-E
nur dann an die Aktionäre unverzüglich weiterzugeben
sind, wenn spätestens zwei Wochen vor der Hauptver-
sammlung Inhaberaktien in Verwahrung genommen wer-
den bzw. das Kreditinstitut zwei Wochen vor der Haupt-
versammlung für Namensaktien, die ihm nicht gehören,
in das Aktienregister eingetragen wird.
Nicht versäumen möchte ich es, mich noch kurz zu dem
Änderungsvorschlag der F.D.P. zur Einfügung eines § 248 a
in das AktG zu äußern. Wir hätten dies durchaus begrüßt.
Die Vorschrift wäre ein akzeptables Mittel gewesen, um
auf unberechtigte, ja missbräuchliche Anfechtungsklagen
zügig zu reagieren. Gleichzeitig wären auch die Rechte der
Kläger gewahrt worden, indem ihnen in Abs. 3 ein Scha-
densersatzanspruch gegen die Gesellschaft zugestanden
hätte. Leider ist die Regelung nicht mit aufgenommen
worden und ich frage mich wirklich, welche Perspektive
die Bundesregierung hier hat. Die gegenwärtige Situation
ist ein wirkliches Ärgernis und lässt sich nicht auf die lange
Bank schieben. Wir werden nach wie vor auf eine zügige
Lösung des Problems drängen. Spätestens 2002 – mir wäre
das zu spät – ergibt sich dafür eine andere Gelegenheit: Die
nächste Bundestagswahl ist schon 2002. Wenn wir wieder
die Bundesregierung stellen, lassen wir die F.D.P. viel-
leicht mitregieren.
Alles in allem kann ich feststellen, dass die meisten Kri-
tikpunkte, die von der CDU/CSU am Anfang der Beratun-
gen genannt wurden, beseitigt wurden. Wir haben ein Ge-
setz vor uns liegen, das in dieser Fassung – man freut sich
ja immer, so etwas ausnahmsweise feststellen zu können –
sorgfältig ausgearbeitet und gut durchdacht ist. Die
CDU/CSU wird daher dem Gesetzentwurf in der uns vor-
liegenden Fassung zustimmen. Wir haben ein schönes
Stück Arbeit geleistet; doch befinden wir uns erst am An-
fang eines neuen technischen Zeitalters. Die Zukunft wird
noch viele Veränderungen mit sich bringen, auf die wir zu
reagieren haben. Ich meine das Stichwort „virtuelle Haupt-
versammlung“. Der Entwurf geht nicht so weit, dass er
statt der persönlichen Stimmabgabe die elektronische Ab-
stimmung vorsähe. Wie in der Begründung aber ausge-
führt wird, erzielen die vorgeschlagenen Formlockerun-
gen praktisch schon jetzt das entsprechende Ergebnis und
schneiden die zukünftige Entwicklung nicht ab. In den Be-
ratungen konnte auch nicht der Vorschlag des Bundesrates
berücksichtigt werden, die Zuständigkeiten für die Geneh-
migung der Einrichtung des automatisierten Abrufsverfah-
rens im Bereich des Grundbuchrechts, des Handels-, Ge-
nossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregisters zu
vereinheitlichen. Nach wie vor werden wir aber überlegen
müssen, ob die Vereinheitlichung in Zuständigkeitsfragen
aus rechtstechnischen Überlegungen nicht in Angriff ge-
nommen werden sollte. Es gibt also weiterhin viel zu tun.
Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):Mit dem hier zur Beratung vorliegenden Ge-
setz machen wir das Aktienrecht fit für das Internetzeital-
ter. Den Charme dieser neuen Aktienart macht schon seine
Bezeichnung deutlich: Namensaktie. Der Aktionär ist mit
Name, Wohnort und Beruf bekannt. Diese drei Angaben
werden eingetragen. Die bisherigen Aktienbücher werden
durch elektronisch führbare Aktienregister ersetzt und der
Datenschutz der Aktionäre wird verbessert: Jeder Ak-
tionär kann künftig nur eigene Daten einsehen. Ob Aktien
auf den Inhaber oder auf Namen lauten, stellt das Gesetz
bekanntlich zur freien Wahl.
Die Entscheidung bei börsennotierten Aktiengesell-
schaften fiel bislang eindeutig zugunsten der Inhaberak-
tien aus. Seit mehr als einem Jahr dreht der Trend von der
Inhaberaktie hin zur Namensaktie. Dieser unerwartete
Trend zur Namensaktie hat uns herausgefordert. Das Ak-
tienrecht war bisher für diesen Trend nicht gerüstet. Im-
mer mehr Gesellschaften setzen auf den elektronisch re-
gistrierten Anteilseigener. Daimler-Chrysler ist sogleich
mit Namensaktien gestartet. Inzwischen sind viele wei-
tere Publikumsgesellschaften wie Siemens, die deutsche
Telekom, Mannesmann oder die Dresdner Bank gefolgt.
Hauptgrund ist: In den USA sind Namensaktien üblich,
sodass eine Notierung an der Wall Street nur mit Namens-
aktien möglich ist. Des Weiteren ist es für international ex-
pandierende Unternehmen wichtig, Beteiligungserwerb in
eigenen Aktien zu bezahlen. Die Aktie ist aber nur dann
eine geeignete Akquisitionsgewährung, wenn sie im Aus-
land akzeptiert ist. Genau das ist bei der Namensaktie der
Fall.
Ich komme nun zu den wesentlichen Reformpunkten.
Die Vorschriften des Aktiengesetzes über Namensaktien
werden aktualisiert: elektronische Aktienregister, Daten-
schutz, Zulassung elektronischer Willensäußerung, ge-
lockerte Schrifterfordernisse etc. Das Aktiengesetz von
1965 beruht noch weitgehend auf den damals üblichen
technischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen.
Den heutigen Bedingungen der Girosammelverwahrung
für Namensaktien und der elektronischen Führung von
Aktienregistern wird das bestehende Gesetz aber nicht
mehr gerecht. In dem neuen Gesetz werden deshalb die in
das Aktienregister aufzunehmenden Daten neu bestimmt.
Insbesondere wird das Recht auf Einsicht in das Aktien-
register erheblich eingeschränkt und auf die eigenen Daten
des jeweiligen Aktionärs begrenzt. Ferner haben wir eine
begrenzende Regelung für die Zweckverwendung von Da-
ten aufgenommen. Die Daten können für aktienrechtliche
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12919
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Aufgaben, aber auch für Investor-Relations-Maßnahmen
verwendet werden. Die weitere Verwendung der Daten für
gewerbliche Zwecke außerhalb der Gesellschaft kann der
Aktionär durch Widerspruch verhindern.
Bezüglich der Stimmrechtsausübung erfolgt eine weit-
gehende Gleichstellung der Inhaber- und Namensaktie.
Bei beiden Aktienformen wird künftig eine offene, wie
auch versteckte Stimmrechtsausübung in der Hauptver-
sammlung zulässig sein und eine generelle Vollmacht
über alle Aktien im Depot möglich. Dadurch kann einem
erheblichen Einbruch der Hauptversammlungspräsenz
bei Publikumsgesellschaften mit Namensaktien entge-
gengewirkt werden. Nicht zuletzt wird das Aktienrecht
den neuen Informationstechnologien angepasst, vor allem
im Bereich der elektronischen Stimmrechtsausübung und
der Vollmachtserteilung. Dieses begrüße ich sehr.
Besonders bedeutsam ist dabei die Zurücknahme der
Schriftform für die Stimmrechtsvollmachten im Aktienge-
setz. Auch damit bereiten wir das deutsche Gesellschafts-
recht auf die künftigen Harmonisierungsmaßnahmen der
EU im Bereich der grenzüberschreitenden Stimmrechts-
ausübung vor.
Zur Erhöhung der Präsenzen müssen dringend die In-
formationspflichten der depotführenden Banken auch für
ausländische Unternehmen ausgeweitet werden. Hier be-
steht Handlungsbedarf vonseiten der Europäischen Union.
Im Gesetzentwurf wird ebenfalls geregelt, dass das De-
potstimmrecht nicht mehr alle 15 Monate neu erteilt wer-
den muss. Das Instrument des Depotstimmrechts ist aber
nur „second best“. Banken, die Kredite an ein Unterneh-
men vergeben, haben hinsichtlich der Unternehmenspoli-
tik andere Interessen als andere Aktionäre. Dieses kann
nicht im Sinne einer effizienten Corporate Governance
sein. Insbesondere deshalb wurde festgelegt, nach drei
Jahren die Möglichkeit zu prüfen, inwieweit durch die
neuen Informationstechnologien das Depotstimmrecht
überflüssig werden kann – Stichwort: Hauptversammlung
im Internet.
Stark eingeschränkt werden zudem die Vorschriften über
die Nachgründung, sprich die Umwandlung einer kleinen
GmbH in eine Aktiengesellschaft. Dadurch erreichen wir
eine erhebliche Entlastung in der Praxis, die vor allem den
kleinen und jungen Aktiengesellschaften helfen wird. Die
Erleichterungen bei den Handelsregistern betreffen vor al-
lem die Bekanntmachungen bei den Zweigniederlassungen.
Hierdurch können kostenträchtige und nutzlose Mehrfach-
bekanntmachungen zurückgefahren werden. Zur Vermei-
dung von Umgehungen der Sachgründungsvorschriften und
zum Schutz der neu hinzukommenden Aktionäre ist es aus-
reichend, wenn die besonders komplizierten Form- und Ver-
fahrenserfordernisse für Nachgründungsgeschäfte auf sol-
che Verträge begrenzt werden, die die Gesellschaft mit den
Gründern oder hinzutretenden Aktionären von einigem Ge-
wicht schließt.
Ich freue mich, dass alle Fraktionen dem Gesetzent-
wurf zustimmen.
Rainer Funke (F.D.P.): Die F.D.P.-Fraktion begrüßt
die Verabschiedung des Namensaktiengesetzes, wenn wir
auch weitergehende Regelungen hinsichtlich der Dauer-
vollmachten im VW-Gesetz sowie eine Ergänzung zu
§ 248 a Aktiengesetz gewünscht hätten.
Im Zuge der Internationalisierung unserer Finanz-
märkte hat sich gerade in den letzten zwei Jahren eine
Rückentwicklung von Inhaberaktien zu Namensaktien,
insbesondere bei den großen DAX-Werten, ergeben. Die
bisherigen Bestimmungen des Aktiengesetzes sind, insbe-
sondere was die heutigen technischen Erfordernisse der
Giro-Sammelverwahrung und der elektronischen Führung
von Aktienregistern angeht, nicht mehr auf dem neuesten
Stand der Entwicklung. Deswegen war diese Novellierung
des Aktienrechts notwendig und ich begrüße, dass diese
Regelung nunmehr auch einvernehmlich aufgrund intensi-
ver Berichterstattergespräche beschlossen werden kann.
Damit haben die betroffenen Aktiengesellschaften schon
für die nächste Hauptversammlungssaison ein modernes
Instrumentarium zur Verfügung.
In zweiter Lesung beantragen wir ebenfalls eine Ände-
rung des VW-Gesetzes, wonach in Zukunft auch Dauer-
vollmachten für die Wahrnehmung der Aktionärsrechte in
der Hauptversammlung erteilt werden können. Sollte
unserem Antrag von der Mehrheit des Hauses nicht ent-
sprochen werden, muss sich das Hohe Haus den Vorwurf
gefallen lassen, dass in der deutschen Börsenlandschaft
Volkswagen die einzige Aktiengesellschaft sein wird, in
der das Vollmachtsrecht der Aktionäre eingeschränkt ist.
Einschränkungen des Aktionärsrechts und Sonderrechte
werden an der Börse nicht mehr honoriert und sind auch
nicht mehr zeitgemäß. Diese Sonderrechte schaden der
Gesellschaft und damit den Aktionären und Arbeitneh-
mern und sollten demnach schleunigst beseitigt werden.
Gleichzeitig legen wir Ihnen einen Änderungsantrag
vor, in dem wir anregen, einen neuen § 248 a des Aktien-
gesetzes einzuführen. Dieser § 248 a orientiert sich an
§ 16 des Umwandlungsgesetzes, der von dem Hohen
Hause im Jahre 1994 fast einstimmig verabschiedet
wurde. Wir wollen mit dieser Ergänzung erreichen, dass
die aktienrechtliche Anfechtungsklage im Interesse der
Gesellschaft und der Aktionäre so verändert wird, dass er-
presserischen Aktionären, die in der Hauptversammlung
insbesondere Fusionen und Kapitalerhöhungen behin-
dern, das Handwerk gelegt wird. Denn diese Aktionäre
haben nicht etwa die Absicht, ihre Minderheitsrechte
wahrzunehmen, wofür ich noch Verständnis hätte, son-
dern lassen sich den Verzicht auf die Anfechtungsklage
mit hohen Summen abgelten, natürlich zulasten der Ge-
sellschaft und der anderen Aktionäre.
Dieser Antrag kommt für die Bundesregierung auch
nicht überraschend. Trotzdem ist sie untätig geblieben,
obwohl sie selbst eingeräumt hat, dass Handlungsbedarf
besteht. Für solch eine Vogel-Strauß-Politik habe ich kein
Verständnis. Dies gilt umso mehr, als der Deutsche Juris-
tentag diese Problematik ausführlichst diskutiert hat.
Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Das Aktiengesetz der
Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1965 geht
noch weitgehend von einem überschaubaren und über-
wiegend nationalen Bestand von Aktionären aus. Zwi-
schenzeitlich hat sich die Aktionärskultur in Deutschland
wesentlich verändert. Die Zahl der umlaufenden Aktien
und der Aktionäre hat erheblich zugenommen. Mit der zu-
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nehmenden Internationalisierung des Aktienmarkts ging
und geht eine Anpassung des nationalen Aktien-, Börsen-
und Kapitalmarktrechts an internationales Recht einher.
Im Zuge dieser Entwicklung haben nunmehr große bör-
sennotierte Aktiengesellschaften auf Namensaktien um-
gestellt. Diese veränderten Rahmenbedingungen und der
Einzug moderner Kommunikationsmedien in das Aktien-
geschäft veranlassten die Bundesregierung nunmehr, ei-
nen Gesetzentwurf eines Namensaktiengesetzes dem
Bundestag zur Beschlussfassung vorzulegen.
Grundsätzlich unterstützt die PDS Bestrebungen, ei-
nige durch die geltende Rechtslage in der Praxis entstan-
dene Probleme zu beheben und das Aktiengesetz zudem
an die Erfordernisse und Möglichkeiten elektronischer
Datenverarbeitung und -übertragung anzupassen. Kritik-
würdig aber ist, dass der Gesetzentwurf den selbst ge-
stellten Ansprüchen nur ungenügend gerecht wird. Die
Bundesregierung macht in der Zielstellung des Gesetz-
entwurfs darauf aufmerksam, dass die bisherigen daten-
schutzrechtlichen Regelungen völlig unzureichend seien
und der Verbesserung bedürften. Nach unserer Auffas-
sung ist der vorliegende Gesetzentwurf aber kaum geeig-
net, den Datenschutz der Kleinaktionäre hinreichend zu
verbessern. Erhebliche Mängel beim Datenschutz, die
durch die Einführung und Verbreitung der Namensaktien
entstanden sind, werden durch diesen Gesetzentwurf
nicht behoben, sondern teilweise sogar verschlechtert.
Inhaber von Namensaktien können sich in den Haupt-
versammlungen gegenüber der Aktiengesellschaft nicht
mehr wirklich anonym durch Dritte vertreten lassen. Da-
mit aber werden die Prinzipien der geheimen Wahl und
der geheimen Abstimmung verletzt. Daraus können für
den Aktionär Nachteile entstehen, wenn er neben seiner
Aktionärseigenschaft noch weitere Rechtsbeziehungen zu
der Aktiengesellschaft unterhält. Dies betrifft beispiels-
weise Kunden und Schuldner der Gesellschaft, insbeson-
dere aber ihre Beschäftigten. Belegschaftsaktionäre, die
ihre Vertreter anweisen, in einer Hauptversammlung ge-
gen die Vorschläge von Vorstand und Aufsichtsrat zu stim-
men, haben ein begründetes und schützenswertes Inte-
resse, dies vor ihrem Arbeitgeber verborgen zu halten. All
das ist unzureichend sichergestellt.
Die Bundesregierung soll sicherstellen, dass auch Be-
legschaftsaktionäre ihre Aktionärsrechte in vollem Um-
fang in Anspruch nehmen können, ohne berufliche Nach-
teile befürchten zu müssen. Dies wird umso dringlicher
vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung im Rah-
men der Rentenreform auch die betriebliche Alterssiche-
rung ausbauen will. Dies wird zweifelsohne zu einem Be-
deutungsgewinn der Belegschaftsaktien führen.
Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammen-
hang ebenfalls, dass die Koalition die Beteiligung von Be-
schäftigten am Kapital der Aktiengesellschaften als zusätz-
liches Instrument der Mitbestimmung betrachtet. Wenn
diese Zielstellung ernst genommen werden soll, muss das
Aktiengesetz ihnen volle demokratische Mitspracherechte
ermöglichen. Dies muss insbesondere die faktische Mög-
lichkeit zur geheimen Abstimmung und Wahl beinhalten.
Der Gesetzentwurf kann aus den genannten Gründen in
dieser Form durch die PDS-Fraktion nur abgelehnt werden.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zurAnpassung des
deutschen Rabattrechts an die EU-Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr
(RabattrechtsanpassungsG)
– des Entwurfs eines Gesetzes zurAnpassung des
deutschen Zugaberechts an die EU-Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr
(ZugaberechtsanpassungsG)
(Tagungsordnungspunkt 13 a und b)
Birgit Roth (Speyer) (SPD): Das deutsche Rabattge-
setz stammt aus dem Jahre 1933. Wir alle wissen, wie ex-
trem sich in der Zwischenzeit die Märkte und Wirt-
schaftsabläufe verändert haben, und es liegt an uns, das
Rabattgesetz auf den neuesten Stand zu bringen.
Wir haben mittlerweile eine E-Commerce-Richtlinie
auf europäischer Ebene, die im Juli 2000 in Kraft gesetzt
wurde und deren Umsetzung auf nationaler Ebene in den
kommenden Monaten ansteht.
Je schneller wir nun die wirtschaftlichen und gesetzli-
chen Rahmenbedingungen für unsere deutschen Anbieter
modernisieren, desto besser.
Denn nehmen wir zum Beispiel das Internet: Im Inter-
net besteht bereits die Möglichkeit, Rabatte über 3 Pro-
zent zu geben; denn entscheidend ist das Rabattgesetz des
Herkunftslandes des jeweiligen Anbieters und nicht die
deutsche Gesetzgebung. Damit können ausländische An-
bieter weit höhere Rabatte einräumen und zu günstigeren
Konditionen anbieten als inländische Unternehmen.
Im Endeffekt werden damit unsere inländischen An-
bieter benachteiligt, weil sie an ein veraltetes Regelwerk
gebunden sind. Eine Benachteiligung deutscher Anbieter
ist für uns aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten
nicht akzeptabel und deswegen streben wir die Liberali-
sierung an.
Vor wenigen Monaten hat es eine Verbändeanhörung
zum Thema gegeben, in der sich eine überwältigende
Mehrheit für die Abschaffung des Rabattgesetzes bzw. der
Zugabeverordnung ausgesprochen hat, auch einige Ein-
zelhandelsverbände.
Doch wenn wir eine neue Regelung finden, dann muss
es auch eine sein, die den Mittelstand unterstützt und
eventuelle Benachteiligungen vermeidet, denn es ist un-
ser erklärtes Ziel, eine mittelstandsfreundliche Politik zu
machen.
Da noch eine weitere Anhörung in Bezug auf die Zu-
gabeverordnung ansteht, überweisen wir den Antrag der
F.D.P. an die Ausschüsse. Bereits in absehbarer Zeit wird
es eine Lösung von unserer Seite geben.
Dirk Manzewski (SPD): In der Vergangenheit hat es
schon häufiger Bemühungen gegeben, Rabattgesetz und
Zugabeverordnung abzuschaffen. Bislang sind jedoch
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alle Initiativen am überwiegenden Widerstand der Inte-
ressenverbände von Wirtschaft und Verbrauchern ge-
scheitert.
Inzwischen haben sich die Aspekte, auf denen die Ab-
lehnung einmal beruhte, jedoch grundlegend geändert.
Dies ist vor allem auf die im Juli in Kraft getretene EU-
Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr zu-
rückzuführen. Danach muss sich ein Anbieter, der über
das Internet wirbt, ausschließlich an das Wettbewerbs-
recht seines Heimatlandes halten – und dies unabhängig
davon, wo er seine Waren oder Leistungen anbietet. Spä-
testens diese EU-Richtlinie zwingt uns nun dazu, erneut
über das Prinzip von Rabattgesetz und Zugabeverordnung
nachzudenken.
Zu Recht verweist die FDPdarauf, dass Deutschland in
diesem Zusammenhang innerhalb der Europäischen
Union die restriktivsten Vorschriften hat. Dadurch sind
Anbieter mit Sitz in Deutschland beim E-Commerce ge-
genüber ihren Mitbewerbern aus den Nachbarländern
massiv benachteiligt. Ausländische Anbieter aus anderen
EU-Staaten dürfen mit höheren Rabatten und attraktiven
Zusatzleistungen in Deutschland um Kunden werben,
während dies den einheimischen Anbietern untersagt ist.
Da das Herkunftslandprinzip gilt, sind deutsche Unter-
nehmen darüber hinaus an das inländische Rabatt- und
Zugabeverbot auch bei Geschäften im europäischen Aus-
land gebunden.
Rabattgesetz und Zugabeverordnung stellen damit in
ihrer derzeitigen Form gravierende Wettbewerbsnachteile
im internationalen Zusammenhang dar. Dies beschränkt
sich nicht nur auf den Bereich des E-Commerce, da Inter-
netanbieter immer mehr auch mit stationären Händlern
und Dienstleistern in Konkurrenz stehen.
Es ist daher nur folgerichtig, dass der Gesetzgeber auf-
grund der Chancengleichheit Vorgaben schaffen muss,
um Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen im In-
und Ausland zu verhindern. Auch deutschen Anbietern
muss es möglich gemacht werden, sich mit Rabatten oder
Zusatzleistungen im internationalen Wettbewerb zu be-
haupten.
Die Bundesregierung hat dies längst erkannt und die
ersten Schritte hierzu eingeleitet. Gemeinsam mit dem
Wirtschaftsministerium hat das Bundesjustizministerium
deshalb auch Ende Juni dieses Jahres einen Anhörungs-
termin durchgeführt, an dem über 70 Verbände und Insti-
tutionen bzw. Behörden teilgenommen haben.
Überwiegend haben sich diese dabei für eine Abschaf-
fung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung ausgespro-
chen. Es sind hierbei aber auch deutlich Ängste um
den Verlust des Wettbewerbsschutzes – insbesondere
durch die Vertreter kleiner und mittelständischer Unter-
nehmen – laut geworden.
Diese Bedenken dürfen wir nicht auf die leichte Schul-
ter nehmen. Es muss sich uns vielmehr die Frage stellen,
ob bei einer Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabe-
verordnung Auffangregeln geschaffen werden müssen,
um Wettbewerbsverstöße angemessen zu ahnden.
Nach meiner Auffassung erscheinen allerdings nicht
alle vorgetragenen Bedenken gerechtfertigt. Soweit be-
fürchtet wird, dass das Schutzniveau des Wettbewerbs-
rechts in Deutschland nun völlig außer Kraft gesetzt
würde, bleibt darauf hinzuweisen, dass die E-Commerce
Richtlinie selbst Anforderungen zum Beispiel an die
Transparenz von Preisen stellt. Im Übrigen gelten bei uns
immer noch die wettbewerbsrechtlichen Auffanggeneral-
klauseln des sittenwidrigen Wettbewerbs und der irre-
führenden Werbung nach §§ 1 und 3 des Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb, die bei Problemen mit Ra-
batten oder Zugaben greifen würden.
Die Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang be-
reits eine Vielzahl von Grundsätzen aufgestellt, die dann
zur Geltung kämen. So sind beispielsweise generell alle
Handlungen sittenwidrig, die darauf gerichtet sind, den
Wettbewerb als solchen zu beseitigen oder auf einem be-
stimmten Gebiet in nicht unerheblichem Ausmaß aufzu-
heben. Die Gewährung von Werbegeschenken ist immer
dann unlauter, wenn sie geeignet ist, einen moralischen
Kaufzwang auszuüben oder einen übertriebenen An-
lockungseffekt zu entfalten. Allein dies zeigt, dass keine
Wettbewerbsschutzlosigkeit eintreten wird.
Im Übrigen muss man sich darüber im Klaren sein,
dass schon heute im alltäglichen Wirtschaftsleben Rabatt-
gesetz und Zugabeverordnung häufig unterlaufen werden.
Höhere Rabatte oder Zugaben als gesetzlich erlaubt sind
– leider – mittlerweile üblich.
Auch der Befürchtung, dass der mittelständische Fach-
und Einzelhandel gegenüber großen Unternehmen bei
Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung ei-
nen Nachteil erleiden würde, kann nicht ungeteilt zuge-
stimmt werden. Rabattgesetz und Zugabeverordnung
können bereits jetzt aufgelegte Bonusprogramme großer
Unternehmen und Unternehmenskooperationen vielfach
nicht unterbinden.
Ein Blick auf Österreich zeigt im Übrigen, dass ein
Missbrauch bei einem größeren Spielraum von Rabatten
nicht unbedingt zu erwarten ist. Die Abschaffung des Ra-
battgesetzes hat dort eben nicht zu einem ausufernden
Rabattwettbewerb geführt.
Wir sind uns also in vielem einig. Gleichwohl sollten
Schnellschüsse vermieden werden. Dazu sind uns die An-
gelegenheit und die Besorgnis aus Teilen des Mittelstan-
des viel zu wichtig. Insoweit bedaure ich es, dass die
F.D.P. mit ihrem Gesetzentwurf etwas vorschnell einer
Entscheidung der Bundesregierung vorgegriffen und
nicht zunächst noch abgewartet hat, bis diese ihre intensi-
ven Bemühungen abgeschlossen hat.
Ich halte es nämlich für sehr vernünftig, dass die Bun-
desregierung das von ihr unter anderem aus der Ver-
bandsanhörung abgeleitete Ergebnis noch mit den Spit-
zenverbänden und -organisationen abschließend beraten
will. Ich wundere mich, warum ihr hierfür von der F.D.P.
nicht die Zeit gegeben wird. Hoffentlich liegt die Ursache
nicht darin, dass man sich gerne mit fremden Federn
schmücken möchte. Im Übrigen muss uns allen klar sein,
dass dieser ganze Komplex zwingend mit einer umfas-
senden Harmonisierung des Werbe- und Wettbewerbs-
rechts in der EU einhergehen muss – nicht nur, weil es
keine Privilegierung von Online-Wettbewerb und -Wer-
bung gegenüber herkömmlichem Wettbewerb und Wer-
bung geben darf.
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Ich begrüße daher ausdrücklich die Ankündigung des
Staatssekretärs Professor Dr. Pick, dass das Bundesjustiz-
ministerium schon Anfang nächsten Jahres eine Exper-
tengruppe zur Erarbeitung von Lösungsvorschlägen ein-
berufen will.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die Wirtschaft be-
findet sich im Umbruch. Das zusammenwachsende Eu-
ropa und die sich globalisierende Weltwirtschaft fordern
sowohl von der Wirtschaft als auch von den Konsumen-
ten neue Flexibilität und Dynamik. Die Öffnung der Märk-
te hat zu veränderten Arbeits-, Lebens- und Konsum-
gewohnheiten und zu neuen Formen der Konkurrenz
geführt. Dies erfordert auch eine Anpassung des deut-
schen Wettbewerbsrechts. Faktischer Handlungsdruck
besteht hier vor allem bei dem über 70 Jahre alten Rabatt-
gesetz und der Zugabeverordnung.
Insbesondere vor demHintergrund der bevorstehenden
EU-Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr,
E-Commerce sind beide Gesetze problematisch. Würden
sie nicht abgeschafft, hätten sie eine Diskriminierung
deutscher Unternehmen zur Folge. In der E-Commerce-
Richtlinie ist nämlich das so genannte Herkunftsland-
prinzip verankert, wonach innerhalb der EU die rechtli-
chen Rahmenbedingungen des Landes gelten, in dem der
Händler seinen Sitz hat. Die deutschen Gesetze in ihrer
Ausformung als Totalverbot sind in ihrer Strenge einma-
lig in Europa. Während sich deutsche Internethändler an
Rabattgesetz und Zugabeverordnung halten müssten,
könnte die Konkurrenz deutschen Verbrauchern Rabatte
und Zugaben gewähren. Der ausländischen Konkurrenz
stünden außerdem Kundenbindungssysteme und neue
Marketinginstrumente wie Community Shopping zur Ver-
fügung, während sie deutschen Händlern versagt bleiben
würden. Auch dem stationären Händler, der mit preiswer-
teren Angeboten aus dem Internet konfrontiert wird,
bleibt keine Möglichkeit, auf diese Angebote zu reagie-
ren.
Die rasante Zunahme des grenzüberschreitenden Mar-
ketings und des Internethandels in Europa machen ein
harmonisiertes europäisches Wettbewerbsrecht dringend
erforderlich. Eine bloß ersatzlose Streichung von Rabatt-
gesetz und Zugabeverordnung kann nicht die Lösung
sein. Sie würde ebenfalls mit einer Diskriminierung der
deutschen Wirtschaft einhergehen, für die im europä-
ischen Vergleich eine weit höhere Messlatte an das Wett-
bewerbsverhalten als in einer Reihe von EU-Mitglieds-
ländern gilt. Ohne Harmonisierung besteht die Gefahr
eines „race to the bottom“, der dann die Bundesrepublik
zwingt, unser Wettbewerbsrecht auf dem niedrigst mögli-
chen Level einzupendeln. Dies kann aber nicht im Sinne
einer mittelständisch orientierten Politik liegen. Wirklich
hilfreich für die gleichzeitige Verwirklichung der Ziele
Binnenmarkt, Verhinderung von lnländerdiskriminierung
und Schutz mittelständischer Interessen ist nur ein inte-
grierter Ansatz auf EU-Ebene mit dem Ziel der Schaffung
eines rechtlich einheitlichen Mindestniveaus für fairen
Wettbewerb, das sich an § 1 des deutschen UWG orien-
tiert.
Auch und gerade der deutsche Mittelstand kann davon
nur profitieren. Durch seine Flexibilität und seine Ser-
viceorientierung könnte er bei einem fairen einheitlichen
europäischen Wettbewerbsrahmen nach Abschaffung von
Rabattgesetz und Zugabeverordnung die neuen Marke-
tingspielräume besonders gut nutzen. Gezielt eingesetzte
Rabatte und neue Kundenbindungssysteme können das
Überleben im Wettbewerb gegenüber Dauerniedrigpreis-
strategien ermöglichen. Die neue Vertriebsform des Inter-
nets kann mit neuen Werbekonzepten genutzt werden. Der
Schutz des mittelständischen Einzelhandels kann durch
die Beibehaltung von Rabattgesetz und Zugabeverord-
nung nicht verbessert werden. Mittelständische Interessen
gilt es vielmehr bei der Reform des UWG zu berücksich-
tigen.
Die EU-Kommission hat im Juli vergangenen Jahres
beschlossen, die deutsche Zugabeverordnung und das
Rabattgesetz im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem
EU-Vertrag vom Europäischen Gerichtshof prüfen zu las-
sen. Schon bald könnte damit neben dem faktischen auch
ein rechtlicher Handlungsdruck entstehen. Daher sollte
nun schleunigst nach neuen, europatauglichen und mittel-
standsfreundlichen Lösungen gesucht werden.
Die Anträge müssen nun an die zuständigen Aus-
schüsse überwiesen werden. Die Union wird die betroffe-
nen Wirtschaftszweige und Verbände in das Beratungs-
verfahren in geeigneter Weise einbinden und kündigt
schon jetzt an, dass wir ein Hearing zu den anstehenden
Fragen durchführen. Wir gehen dabei davon aus, dass die
beiden Vorschriften am Ende des Beratungsverfahrens
aufgehoben werden. Da mit der Aufhebung ganz erhebli-
che Veränderungen in den Marketingstrategien gerade des
Mittelstandes erforderlich sind, halten wir eine Über-
gangsfrist von einem Jahr für unverzichtbar. Mindestens
diesen Zeitraum sollte der Mittelstand haben, um eigene
moderne Marketing-, Vertriebs- und Kundenbindungs-
systeme zu entwickeln. Der Zeitraum ist auch darum er-
forderlich, weil solche Bindungssysteme in den weitaus
meisten Fällen nicht die alleinige unternehmerische Ent-
scheidung eines jeweiligen beteiligten Handelspartners
sein können. Diese Kundenbindungssysteme werden im
Wesentlichen auf Kooperationen aufbauen, für die man
einfach eine gewisse Zeit braucht. Wir erwarten vom Han-
del, dass er keine weitere Zeit verliert und sich unverzüg-
lich auf diese neue Entwicklung vorbereitet.
In diesem Zusammenhang halten wir es jedoch auch
für unverzichtbar, dass die Bundesregierung in der
Wettbewerbspolitik und in der europäischen Harmonisie-
rung der Wettbewerbspolitik, einschließlich der Entwick-
lung einer europäischen Lauterkeitsrichtlinie, nun endlich
ihre völlig zögerliche, wenn nicht gar untätige Haltung
aufgibt und im Interesse eines lebendigen Wettbewerbs,
der mittelstandsfreundlich und verbrauchergerecht ist,
handelt. Die Wirtschaft, die Unternehmen und die Ver-
braucher erwarten klare, einheitliche Rechtsrahmen für
den Wettbewerb und klare, auch nationale Zuständigkei-
ten für die Überwachung und Einhaltung der Marktregeln
bis hin zu klaren gerichtlichen Zuständigkeiten. Der Vor-
stoß der EU-Kommission in diesen Bereichen sollte nicht
einfach nur abgewehrt werden, sondern als Gelegenheit
begriffen werden, nun aktiv eine vernünftige europäische
Wettbewerbsharmonisierung zu betreiben.
Wir stimmen der Überweisung an die Fachausschüsse
zu.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12923
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Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):Deutschland hat die strengsten Regelungen in
Europa und der Welt gegen Rabatte. Weil das so ist, haben
wir den ehemaligen Wirtschaftsminister Günter Rexroth
bei seinem Vorhaben, das Rabattgesetz und die Zugabe-
verordnung im Interesse des Wettbewerbs und im Inte-
resse der Verbraucher abzuschaffen, unterstützt. Das war
im Sommer 1994. Gekippt wurde das Einspruchsgesetz
im Bundesrat und jetzt dürfen Sie mal raten durch wen:
durch den hochmögenden ehemaligen rheinland-pfälzi-
schen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, dem Mann,
der heute hier mit poltrigem Ton ausgerechnet uns, der
rot-grünen Bundesregierung, vorwirft, wir seien struktur-
konservativ und kämen nicht in die Puschen. Wenn Sie
damals im Sommer 1994 nicht gegen die Abschaffung des
Rabattgesetzes im Bundesrat gestimmt hätten und Ihren
eigenen Wirtschaftsminister nicht demontiert hätten, gäbe
es bereits seit 1994 kein Rabattgesetz mehr in unserem
Land. Sie haben die Abschaffung blockiert und ich fände
es nur angemessen, Sie würden dafür erst einmal die Ver-
antwortung hier und heute übernehmen.
Die Abschaffung des über 65 Jahre alten Rabattgeset-
zes und der Zugabeverordnung ist längst überfällig, des-
halb haben wir uns nach dem Regierungswechsel daran
gemacht, mit dem Einzelhandel, mit der mittelständi-
schen Wirtschaft, mit den Verbraucherverbänden über die
Abschaffung des Gesetzes zu sprechen. Wir haben An-
hörungen im BMJ und BMWI durchgeführt und werden
noch in diesem Jahr einen Referentenentwurf dazu vorle-
gen. Wir wollen den Verbrauchern günstigere Angebote
nicht länger vorenthalten und ihnen mehr Spielraum bei
Preisverhandlungen geben. Die Verbraucher sind bisher
die größten Verlierer der bestehenden Regelung. Außer-
dem wollen wir die Rahmenbedingungen für den grenzü-
berschreitenden elektronischen Handel verbessern und
dadurch die Marktposition deutscher Unternehmen im in-
ternationalen Wettbewerb stärken.
Zurzeit gerät das Rabattgesetz durch die zu verab-
schiedende E-Commerce-Richtlinie der EU unter Be-
schuss: Nach Art. 3 des Entwurfs der Richtlinie müssen
europäische Unternehmen, die via Internet auf dem deut-
schen Markt anbieten wollen, in Zukunft nur noch das
Recht ihres Herkunftslandes anwenden; das würde für die
deutschen Unternehmen einen enormen Nachteil darstel-
len, da hier bekanntlich Rabatte verboten sind. E-Com-
merce wird in Deutschland aber immer beliebter. Das
belegen eindrucksvoll neueste Zahlen einer Allensbach-
Studie. Danach hat in Deutschland fast jeder Zehnte der
zwischen 16- und 64-Jährigen schon einmal online einge-
kauft. Der Trend zum Kauf per Internet soll nach Ein-
schätzung der Demoskopen weiter anhalten. Dieser Ent-
wicklung muss in Deutschland nun auch die Rechtslage
angepasst werden.
Deutschland hat eine der strengsten Regelungen in Eu-
ropa und auf der Welt gegen Rabatte, ich sagte es bereits.
Überspitzt ausgedrückt: Nur das 3-prozentige Skonto ist
erlaubt. Alle weiteren Rabatte sind verboten. Folgende
Beispiele machen die Defizite deutlich: eine Versand-
firma will auf ihre Textilien eine lebenslange Garantie ge-
ben; ein Bäcker will beim Kauf von zehn Brötchen eine
Tragetasche aus Stoff dazutun; ein Produkt im Internet
wird billiger, je mehr Käufer sich dafür interessieren – das
so genannte Co-Shopping-Modell. Alles bisher verboten!
Mein Fazit: Das deutsche Wettbewerbsrecht ist in vielen
Teilen überreguliert und schränkt die Kreativität von Ver-
brauchern und Händlern erheblich ein.
Einige Einzelhändler haben Angst, dass damit der
Strukturwandel im Einzelhandel zulasten der kleinen und
mittleren Unternehmen beschleunigt werde. Für die meis-
ten der kleinen Einzelhändler bietet sich aber gerade
durch die Liberalisierung eine Chance, sich in ihrer Ni-
sche zu behaupten: Sie haben die Möglichkeit, situations-
bedingt mit Preisnachlässen zu reagieren. Da der Spiel-
raum des Einzelhandels für systematische Formen der
Rabattgewährung angesichts der niedrigen Betriebser-
gebnisse gering sein dürfte, wird es nach unserer Auffas-
sung zu keiner weiteren Beschleunigung der Konzentra-
tion im Handel kommen. Eher im Gegenteil: Wenn
Rabattgesetz und Zugabeverordnung nicht abgeschafft
würden, fallen gerade die kleinen Unternehmen durch die
E-Commerce-Richtlinie hinten herunter.
Die Regelungen zum unlauteren Wettbewerb (UWG)
müssen dagegen weitgehend bestehen bleiben. Deshalb
setzen wir uns bei der Europäischen Kommission dafür
ein, dass eine Richtlinie dazu erarbeitet wird. Allerdings
gibt es auch beim Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb
einige alte Zöpfe, die infolge einer europäischen Harmo-
nisierung abgeschnitten werden müssen: Beispielsweise
dürfen zum einen beim Sommerschlussverkauf keine
„normalen“ Fahrräder, sondern nur Sporträder (saisonale
Produkte) herunter gesetzt und zum anderen keine durch
Werbeblöcke unterbrochenen kostenlosen Telefonge-
spräche angeboten werden. Es ist zweifelhaft, ob solche
Angebote dem Wettbewerb wirklich schaden.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Wenn sich die wahre Leis-
tungsfähigkeit deutscher Politik daran messen lassen
müsste, dass endlich überflüssige Gesetze und Verord-
nungen abgeschafft werden, dann hätte der Deutsche
Bundestag jetzt eine ideale Möglichkeit dazu.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion legt zwei Gesetzent-
würfe vor, die die Abschaffung von Rabattgesetz und
Zugabeverordnung vorsehen. Übrigens ist dies die Wie-
dervorlage dessen, was schon 1994 der damalige F.D.P.-
Wirtschaftsminister, Dr. Günter Rexrodt, in weiser Vo-
raussicht und zum Vorteil der Verbraucher gewollt hat.
Damals, kurz vor der Bundestagswahl, scheiterte dieses
Vorhaben jedoch an der nötigen Mehrheit im Bundesrat.
Inzwischen, sechs Jahre später, ist eine EU-Richtlinie
über den elektronischen Geschäftsverkehr bis spätestens
Ende 2001 in nationales Recht umzuwandeln. Und daraus
ergibt sich erneut Handlungsbedarf.
Die Europäer haben sich nach langem Ringen auf das
Herkunftslandprinzip geeinigt. Das leuchtet ein; denn ge-
rade einem mittelständischen Exporteur wird es schwer
fallen, das jeweilige Rabatt- und Zugaberecht in 15 und
demnächst sogar in 25 Mitgliedstaaten zu beachten und
danach seine Werbestrategien auszurichten.
In Deutschland bestehen mit dem Rabattgesetz und der
Zugabeverordnung die restriktivsten Vorschriften. Das
hat zur Folge, dass Anbieter mit Sitz in Deutschland ge-
genüber ihren Mitbewerbern aus den Nachbarländern
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massiv benachteiligt sind. Andererseits jedoch werden im
Handelsalltag de facto beide Gesetze inzwischen längst
ausgehebelt.
Laut einer Emnid-Umfrage vom Mai 2000 gaben fast
44 Prozent der westdeutschen und circa 30 Prozent der
ostdeutschen Befragten an, in den vergangenen drei Jah-
ren schon deutlich niedrigere Preise – das heißt mehr als
drei Prozent –, als zunächst angegeben, ausgehandelt zu
haben. Besonders hohe Preisnachlässe gab es demnach
bei Kleidung mit bis zu 33 Prozent, bei Unterhaltungs-
elektronik mit 17 Prozent bei Haushaltsgeräten mit gut 16
Prozent. Auch diese Zahlen belegen: Das Rabattgesetz
aus dem Jahr 1933 ist kein Verbraucherschutzgesetz, son-
dern es behindert den Wettbewerb, und zwar zum Nach-
teil der Konsumenten.
Ähnlich verhält es sich mit der Zugabeverordnung.
Auch diese muss ersatzlos fallen. Der Gesetzgeber kann
nicht länger vertreten, dass etwa die kostenlose Abgabe
einer Stofftasche anstelle einer Plastiktüte als Verstoß ge-
gen die Zugabeverordnung gilt. Wer Ausuferungen bei
den Zugaben befürchtet, dem sei gesagt, dass diese über
das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das UWB,
eingedämmt bleiben.
Den Ankündigungen von Wirtschaftsminister Müller,
nun beim Rabattgesetz und bei der Zugabeverordnung ak-
tiv werden zu wollen, sind bislang keine Taten gefolgt.
Für die F.D.P. ist dies nicht länger hinnehmbar, wenn
durch Abwarten ausländische Anbieter auf dem deutschen
Markt erhebliche Startvorteile nutzen können – was
Arbeitsplätze in diesem Land kosten könnte. Viele Mo-
nate sind nun schon in diesem Jahr verstrichen, ohne dass
seitens der Bundesregierung die nötige Gesetzesinitiative
zur Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabever-
ordnung vorliegt. Wir ergreifen eine solche Initiative
heute. Sie entspricht unserem modernen, liberalen Ver-
braucherbild.
Rolf Kutzmutz (PDS): Die PDS-Fraktion begrüßt die
parlamentarischen Initiativen der F.D.P. und hofft den-
noch zugleich, dass am Ende des Beratungsprozesses eine
etwas andere Antwort des Gesetzgebers steht. Auch wir
plädieren für die Abschaffung von Rabattgesetz und
Zugabeverordnung, allerdings bei Klarstellungen und ge-
gebenenfalls Ergänzungen im Gesetz zur Bekämpfung
unlauteren Wettbewerbs, UWG, sowie der Preisangaben-
verordnung. Für uns ist dabei nicht die E-Commerce-
Richtlinie der EU das „Problem“, sondern bestenfalls der
Anlass, sich diesem Thema endlich gesetzgeberisch zu-
zuwenden.
Aber wenn ich die fundierten Begründungen der
F.D.P.-Kolleginnen und -Kollegen lese, scheint es bei ih-
nen ja ähnlich zu sein. Entscheidend, jetzt zu handeln, ist
nicht die bunte Welt der Internet-Händler, von der heute
noch niemand weiß, ob und wann sie massenhaft aus dem
virtuellen ins praktische Stadium gelangt. Ausschlagge-
bend ist vielmehr die kostenlose Tasse Kaffee in der
Warte-Ecke, für die ein Friseurmeister verklagt werden
kann, oder der satte Barzahler-Rabatt, um den jeder mit
Selbstverständlichkeit beim Neuwagenkauf feilscht.
Wenn das gesetzte Recht im Laufe der Zeit gewachse-
nen, aber inzwischen elementaren Bedürfnissen wider-
spricht – wie im ersten Fall – oder sowieso nicht mehr
durchgesetzt wird – wie im zweiten Beispiel –, dann ist es
spätestens an der Zeit, es zu ändern, zumal es mittlerweile
eher bei Rechtsanwaltskanzleien – getarnt als verbrau-
cherschützende Abmahnvereine – denn im Handel Ar-
beitsplätze sichert, ohne Verbraucher tatsächlich zu schüt-
zen.
Ich gebe zu, auch die PDS war in der vergangenen
Wahlperiode noch gegen die Abschaffung von Rabattge-
setz und Zugabeverordnung. Aber das war auch vor
„payback“ und vor dem erfolgreichen Einschreiten des
Kartellamtes gegen Verkäufe unter Einstandspreis. Zwei-
fellos ist beispielsweise das Payback-System, obwohl es
massenhaft Kunden von kleinen Einzelhändlern wegbin-
det, kein Verstoß gegen das Rabattgesetz. Hier zieht nicht
die Höhe des Rabattes, sondern die Sortimentsbreite, in
der Vergünstigungen locken und das für den Kunden mit
keinerlei Aufwand – nämlich nur dem Zücken einer Kar-
te – verbundene, aber juristisch folgenreiche Wechseln
vom Käufer zum „Vereinsmitglied“. Payback trotz Ra-
battgesetz ist ein Beispiel dafür, wie sich im Zeitalter der
EDV ein einstiger Schutzwall in ein Verlies für kleine und
mittelständische Händler wandeln kann. Natürlich könn-
ten auch sie gegen Metro und Co. erfolgreich konkurrie-
ren, beispielsweise mit lokalen Werbegemeinschaften.
Nur brauchen sie dazu noch viel mehr als die großen Han-
delskonzerne Freiheit bei Preisabschlägen und bei Zu-
gabe-Möglichkeiten zum Kauf der Hauptware.
Mit den inzwischen erfolgreich angewendeten Ausle-
gungsgrundsätzen zum Verkauf unter Einstandspreis nach
§ 20 GWB im Falle Wal Mart, Lidl und Aldi wurde durch
das Kartellamt zugleich exerziert, dass es mittlerweile
auch durchaus erfolgversprechende Rechtsinstrumente
gegen ruinöse Kampfpreise gibt. Auf diesem Feld – dem
der Preiswahrheit, der Preisklarheit und damit der Kos-
tenwahrheit – gilt es unseres Erachtens, weitere Pflöcke
einzurammen, bis Rabattgesetz und Zugabenverordnung
außer Kraft treten. So würde bei deren Wegfall natürlich
auch die Lufthansa mit ihrem breitgefächerten Bonus-
meilen-System juristisch endgültig auf die sichere Seite
kommen; deshalb kämpft ja auch dieser Weltkonzern ge-
meinsam mit McDonalds oder Bertelsmann in der „Initia-
tive Mehr Bonus für Kunden“ vehement für den kleinen
Kaufmann an der Ecke...
Aber umgekehrt müsste dann auch gesichert werden,
dass zum Beispiel beim Anpreisen von Flugtickets
tatsächlich alle Kosten für den Kunden – nicht nur Ticket-
preis und Rabatte, sondern ebenso die Nebenkosten von
Flugsicherheitsgebühren bis zu Kerosin-Aufschlägen –
sofort eindeutig ausgewiesen sind.
Inwieweit dazu die §§ 1 und 3 des UWG, einschlägige
BGB-Paragraphen und die Preisangaben-Verordnung zu
präzisieren sind, muss aus unserer Sicht im anstehenden
Gesetzgebungsverfahren gründlich geprüft werden.
Die neuen Auslegungsgrundsätze des Bundeskartell-
amtes zum Einstandspreis funktionieren zwar, sind
aber nur aufwendig zu handhaben. Wir plädieren des-
halb nachdrücklich dafür, den einstigen § 6 d UWG mo-
difiziert wieder einzuführen, wonach es bei beworbenen
Angeboten keine Abgabemengen-Beschränkung geben
darf. Damit hätte jeder Wettbewerber die Chance, zu
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Kampfpreisen beworbene Produkte oder Dienstleistun-
gen selber aufzukaufen und günstig anzubieten. Wettbe-
werb würde nicht länger allein über den Preis, bei dem die
Kleinen langfristig nur verlieren können, sondern viel
stärker über das gesamte Spektrum der Dienstleistungen
eines Händlers stattfinden. Um solche gesetzgeberischen
Schritte ergänzt könnten Rabattgesetz und Zugabeverord-
nung als Dinosaurier des deutschen Handels- und Wettbe-
werbsrechts dann tatsächlich beerdigt werden.
Dr. Eckart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Uns liegen heute zwei Gesetzent-
würfe vor, mit denen sich die F.D.P.-Fraktion an der Dis-
kussion zur Liberalisierung des Zugabe- und Rabattrechts
beteiligt.
Diese Diskussion ist schon vor einigen Monaten von
der Bundesregierung eingeleitet worden. Nun möchten die
Kollegen von der Opposition ganz offensichtlich auf den
fahrenden Zug aufspringen. Erfreulich daran ist, dass sich
die F.D.P. offensichtlich den schon von der Bundesregie-
rung dargelegten Sachargumenten nicht verschließen will.
Weniger erfreulich ist, dass die F.D.P. wieder einmal
meint, Politik müsse im Wege des „Schnellschussverfah-
rens“ betrieben werden und dabei vergisst, dass sie mit die-
ser Vorgehensweise schon vor sechs Jahren gescheitert ist.
Doch zurück zu den Sachargumenten: An der Spitze
steht zu Recht die Europäische Rechtsentwicklung. Unser
Rabatt- und Zugabeverbot ist nach Ablauf der Umset-
zungsfrist für die E-Commerce-Richtlinie Anfang 2002
nicht mehr zu halten. Von da an müssen Internet-Anbieter
aus dem EG-Ausland diese Verbote nicht mehr beachten
und können mit Rabatten und Zugaben auf den deutschen
Markt drängen. Wenn wir keine Liberalisierung durch-
führen, dann blieben nur noch inländische Anbieter an die
Verbote gebunden. lnländerdiskriminierung und Wettbe-
werbsverzerrungen wären die Folge. Dies wäre insbeson-
dere auf dem Wachstumsmarkt „Elektronischer Geschäfts-
verkehr“ nicht hinnehmbar.
Ich will gar nicht bezweifeln, dass die F.D.P-Entwürfe
auch im Übrigen einige bedenkenswerte Überlegungen
enthalten. So ist es sicherlich richtig, dass Zugabever-
ordnung und Rabattgesetz in der Praxis immer mehr an
Bedeutung verloren haben. Dieses Argument wird auch
nicht dadurch falsch, dass es von der Opposition stammt.
Trotzdem lässt sich die Bundesregierung nicht von ihrem
Reformkurs abbringen, der doch ein wenig von der Oppo-
sitionsinitiative abweicht:
Die Bundesregierung berücksichtigt sorgfältig die von
den Reformgegnern vorgebrachten Gegenargumente und
prüft gründlich, welche Auswirkungen die Liberalisie-
rung für Verbraucher und Mittelstand nach sich ziehen
könnte. Ein gemeinsamer Referentenentwurf des BMWi
und des BMJ wird noch in diesem Jahr mit den betroffe-
nen Verbänden und Organisationen diskutiert werden. Wir
sollten die dort gewonnenen Erkenntnisse abwarten, be-
vor wir uns hier intensiv mit der Materie auseinander set-
zen.
Die Bundesregierung kann auch den gesamteuropä-
ischen Rahmen nicht aus den Augen verlieren. Wir brau-
chen tragfähige Konzepte, um innerhalb der Europä-
ischen Gemeinschaft gleiche Wettbewerbsbedingungen
zu schaffen und einen hohen Schutzstandard gegen irre-
führende und unlautere Werbung zu sichern. Dazu soll
schon Anfang nächsten Jahres eine Expertengruppe beim
BMJ einberufen werden, die entsprechende Lösungsvor-
schläge erarbeitet.
Trotz etlicher Unzulänglichkeiten und der in einigen
Punkten sehr oberflächlichen Begründung des Gesetzent-
wurfs darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von der
F.D.P-Fraktion, für Ihre Initiative danken. Die Bundesre-
gierung fühlt sich dadurch in ihrem Vorhaben bestärkt und
ermutigt. Sie wird die Reform fortsetzen und zu einem für
Wirtschaft und Verbraucher guten Ergebnis führen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Berichts zu den Anträgen:
– Sicherung der außeruniversitären interdiszi-
plinären Grundlagenforschung in der Infor-
mations- und Kommunikationstechnik;
– Keine Fusion des GMD-Forschungszentrums
für Informationstechnik und der Fraunhofer-
Gesellschaft (FhG) zulasten der IuK-Grundla-
genforschung
(Tagesordnungspunkt 15)
Jörg Tauss (SPD): Erneut debattieren wir heute im
Deutschen Bundestag die beabsichtigte Fusion von GMD
und FhG. Erfreulicherweise hat sich gegenüber unserer
letzten Debatte der Nebel etwas gelichtet. Die Modera-
toren haben den Kurs des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung und der beiden betroffenen Einrich-
tungen bestätigt. Jetzt kommt es deshalb darauf an, die
Debatten zu versachlichen. Zum Teil geistern, zumal bei
der GMD, wirkliche Horrorannahmen über die Folgen der
beschlossenen Fusion durch die Gänge, Flure oder gar
durch die Presse. Deshalb war es gut, dass Herr Staatsse-
kretär Catenhusen hier nochmals die Dinge zurecht-
gerückt hat. Ich hoffe, dass künftig auf dieser Grundlage
die Debatte weitergeführt und die Fusion vollzogen wer-
den wird.
Ich hoffe sehr, dass dies jetzt möglich ist. Wenn aber
weiterhin Befürchtungen geschürt werden, dass die
Grundlagenforschung gefährdet und die Arbeitsplätze in
allen Bereichen der GMD gefährdet seien, laufen wir
tatsächlich Gefahr, dass der Fusion ein irreparabler Scha-
den droht. Wir wollen – in sozialer Verantwortung für die
Beschäftigten und in der forschungspolitischen Zielset-
zung des Bundes – mit der Fusion den Wissenschafts-
standort Deutschland und hier vor allem die Informatik in
Deutschland stärken.
Bei einem Gespräch mit dem Präsidenten der DFG
fragte ich diese Woche nach den Stärken der deutschen
Forschungslandschaft. Es fielen ihm viele wichtige und
interessante Bereiche ein. Die Informatik gehörte nicht
dazu, wenngleich wir durch die Initiativen der neuen Bun-
desregierung sicher auf einem guten Weg sind. Diesen
Weg wollen wir weitergehen, damit sich an diesem Zu-
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stand etwas ändert. Sowohl grundlagen- als auch anwen-
dungsbezogen müssen wir eine unglaubliche Aufholjagd
bestehen. Hierzu bedarf es einer Bündelung der Stärken
beider Einrichtungen und der Sachkompetenz aller
Beschäftigten an ihrem jeweiligen Platz. Wir wollen auch
künftig und vermehrt spin-offs der intelligenten jungen
Leute aus GMD und FhG. Wir wollen dort auch künftig
sichere Arbeitsplätze. Wir wollen die Fusion zum Erfolg
führen: im Interesse von GMD und FhG und letztlich in
unser aller Interesse.
Norbert Hauser (Bonn) (CDU/CSU): Herzlichen
Glückwunsch, Ministerin Bulmahn! Herzlichen Glück-
wunsch Staatssekretär Thomas! Gegen alle Widerstände
aus Wissenschaft und Wirtschaft und vor allem der Be-
troffenen haben Sie die Fusion von GMD und FhG auf
den Weg gebracht. Ohne Rücksicht auf Verluste haben
Sie die GMD dem vermeintlichen politischen Erfolg ge-
opfert – nach dem Motto: „Augen zu und durch“. Sie ha-
ben nur vergessen: Wer so handelt, handelt blind.
Pleiten, Pech und Pannen – das passt zum Versuch der
Forschungsministerin und ihres Staatssekretärs, eine Fu-
sion gegen die Widerstände aller von oben zu verordnen.
Zu den Pleiten: Sie haben im Ausschuss und auch in
der Plenardebatte zur Einbringung des Antrages meiner
Fraktion darauf verwiesen, dass alle Fachleute in den Auf-
sichtsgremien für die Fusion gestimmt hätten. Jetzt muss-
ten Sie feststellen: Die Vertreter von Wirtschaft, Wissen-
schaft und Belegschaft, die in der Aufsichtsratssitzung der
GMD im April 2000 noch zustimmten, sind Ihnen inzwi-
schen von der Fahne gegangen. Eindeutiger konnte das
Misstrauensvotum kaum ausfallen. Dickschädel haben
sich gegen Fachleute und Betroffene durchgesetzt. Nicht
mehr die partnerschaftliche Zusammenarbeit stand im
Vordergrund, sondern die „feindliche Übergabe“ an die
FhG.
Zum Pech: Pech haben alle Bediensteten der GMD, de-
nen man in geradezu unverschämter Weise unterstellte, es
ginge ihnen nur um ihren Arbeitsplatz. Nur um ihren Ar-
beitsplatz? Seit wann ist es bei ihnen oder in diesem Hau-
se verpönt, um seinen Arbeitsplatz zu kämpfen? Aber
darum ging und darum geht es nicht einmal. GMD-Pro-
fessoren und ihre Mitarbeiter haben erst recht in Zeiten
von Green-Card keine Angst um ihre Arbeitsplätze.
Wenn Schwerpunkt der zukünftigen Arbeit aber
statt Grundlagenforschung kundenbestimmte Auftrags-
forschung werden soll, können die Wissenschaftler auch
in der Industrie anheuern und dort ein Vielfaches verdie-
nen. Das werden sie jedoch nicht tun. Sie werden dorthin
gehen, wo sie auch in Zukunft Grundlagenforschung be-
treiben können. Sie sind damit zumindest für GMD und
FhG, in einigen Fällen auch für den Standort Deutschland
verloren.
Pech hat damit auch die deutsche Forschungs-
landschaft. Allen beschwichtigenden Erklärungen zum
Trotz: Die Grundlagenforschung ist nach der Fusion nicht
gesichert und angesichts der internationalen Konkurrenz
zu den USAwird diese Politik langfristig nicht ohne Fol-
gen bleiben. Die USA stocken ihre Mittel für die interdis-
ziplinäre Grundlagenforschung auf dem IT-Sektor bis
2004 um jährlich 1,378 Milliarden US-Dollar auf. Zum
gleichen Zeitraum verabschieden Sie sich weitestgehend
aus der IT-Grundlagenforschung. Sie feiern die Green-
Card für Computerexperten als Superlösung, treiben aber
gleichzeitig führende Wissenschaftler ins Ausland. Ihre
Politik hat eine abenteuerliche Logik!
Zu den Pannen, und davon gab es im Fusionsprozess
viele: Hoffnungsfroh hieß es am 29. September 1999 in
der Pressemitteilung der Bundesforschungsministerin zur
beabsichtigten Fusion von GMD und FhG:
Es wird Aufgabe von Vorständen- und Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern sein, eine gemeinsame Unter-
nehmensphilosophie und -identität zu entwickeln
und zu etablieren. Die Verfahren und Abläufe beider
Organisationen sollen in dieser Zeit harmonisiert
werden.
Von diesen Ankündigungen ist nichts übriggeblieben.
Misstrauen und gegenseitige Vorwürfe, gepaart mit poli-
tischem Druck seitens des BMBF, waren kennzeichnend
für das weitere Fusionsverfahren. Um keine völlige Pleite
zu erleben, sah sich das BMBF gezwungen, zwei externe
Moderatoren einzuschalten, um den gordischen Knoten
durchschlagen zu können. Die Fusion im Handstreich war
gescheitert.
Aber bereits bei der Auswahl der Moderatoren zeigte
Staatssekretär Thomas mangelndes Fingerspitzengefühl.
Es musste nicht sein, dass man mit Professor Sommerlatte
einen alten Bekannten auswählte, mit dem man bereits
1969 in einer gemeinsamen Studiengruppe für System-
forschung in Heidelberg war. So ist es kein Wunder, dass
in den VDI-Nachrichten vom 3. November 2000 die
Schlussfolgerung gezogen wurde:
Der Eindruck drängt sich auf, dass das politische In-
teresse auf die Erkenntnisse der Studie nicht ohne
Einfluss geblieben ist.
Aber auch der beste Moderatorenbericht bleibt nur Ma-
kulatur, wenn die Koalition keine Bereitschaft zeigt, ihn
umzusetzen. So scheint es Sie völlig kalt zu lassen, dass
die zentralen Eckpunkte, die die Moderatoren als unab-
dingbar für eine erfolgreiche Fusion herausgearbeitet ha-
ben, keineswegs gesichert sind.
Dazu drei Beispiele: Erstens. Als Ausgleich für aus-
bleibende Mittel für Grundlagenforschung soll das Pro-
jekt „Leben und Arbeiten in einer vernetzten Welt“ ge-
startet werden, das mit zusätzlich 70 Millionen DM vom
Bund und mit 7 Millionen DM von den Sitzländern fi-
nanziert werden soll. Die Mittel sind – zumindest erkenn-
bar – in der Finanzplanung des Bundes nicht enthalten.
Bisher handelt es sich bei diesem Projekt um eine Luft-
buchung, auf die sich die GMD nicht verlassen kann.
Zweitens. Ähnlich verhält es sich bei der IT-Akademie,
auch genannt Exellence-Center oder GMD-University.
NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement hatte Ende
August 2000 in seiner Regierungserklärung die Errich-
tung der IT-Akademie angekündigt. Ausgleichsmittel in
Höhe von 110 Millionen DM aus den Ausgleichsmitteln
für den Regierungsumzug seien sicher, der Bund werde
die Akademie unterstützen. Staatssekretär Thomas si-
cherte noch anlässlich der Schlosstage der GMD in Sankt
Augustin massive Hilfe durch den Bund zu. Zahlen in ei-
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ner Größenordnung von 25 Millionen DM pro Jahr wur-
den genannt.
In den Haushaltsberatungen kein Wort mehr davon!
Ein Antrag der Union in Höhe von 25 Millionen DM im
Ausschuss für Bildung und Forschung wurde abgelehnt,
stattdessen war die Koalition bereit, gerade einmal 5 Mil-
lionen DM zur Verfügung zu stellen und dies auch noch
unter dem Titel „Virtuelles Studium und virtuelle Hoch-
schulprojekte“. Im Übrigen wurden die Stadt Bonn und
ihre Nachbarn mit diesem Thema noch nicht befasst. We-
der gibt es einen entsprechenden Beschluss der Stadt
Bonn noch den notwendigen Beschluss des Koordinie-
rungsausschusses. Die Koalition befindet sich zurzeit
offenbar in einem Diätkurs. Mit diesen „massiven Hilfen“
schaffen sie noch nicht einmal die Lightversion eines
Excellence-Centers.
Drittens. Die Finanzfragen sind die offene Flanke im
gesamten Fusionsverfahren. Erklären Sie doch den Insti-
tutsleitern, mit welcher finanziellen Unterstützung sie in
den nächsten Jahren rechnen können! Bis heute ist unge-
klärt, mit welchem Verteilungsschlüssel von Grundfinan-
zierung und Drittmittelfinanzierung die GMD-Institute in
die Fusion gehen sollen.
Aufgrund der gemachten Erfahrungen kann ich alle In-
stitute der Helmholtz-Gesellschaft und der Blauen Liste
nur warnen: Wenn ein Mitglied dieser Bundesregierung
zu Ihnen kommt und eine Fusion vorschlägt, werfen Sie
ihn sofort raus! Ansonsten laufen Sie Gefahr, dass von Ih-
rer Einrichtung nichts übrig bleibt.
Dass die SPD den Kurs ihrer Ministerin stützte bzw.
stützen musste, um sie vor weiterem Schaden zu bewah-
ren, ist klar. Aber warum tut es ihr Koalitionspartner?
Während die SPD immer mit dem Kopf durch die Wand
wollte, hatten die Grünen in Ausschussberatungen und
auch bei der Plenardebatte im Mai 2000 Verständnis für
die Sorgen der Mitarbeiter gezeigt. Dies schlägt sich auch
in der Beschlussempfehlung des Ausschusses nieder, über
den wir heute abstimmen. Da heißt es:
Vonseiten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird
betont, dass ein Konsens unter den Beteiligten eine
unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen der
Fusion sei.
Ein Konsens unter den Beteiligten liegt nicht vor.
Wenn Sie tatsächlich dieser Meinung sind, dann müssen
Sie von den Grünen, die Beschlussempfehlung ablehnen
und unseren Antrag annehmen.
Bei den inzwischen fünfzehnmonatigen Fusionsver-
handlungen bleibt ein fader Beigeschmack. Was hoff-
nungsvoll begann, endet für die GMD im Desaster. Kritik
wird in dieser Bundesregierung nur akzeptiert, wenn sie
der eigenen Meinung entspricht. Wenn nicht, wird die Sa-
che durchgezogen – „basta“. Sie wollten eine Revolution
in der IT-Forschungslandschaft, das haben Sie erreicht:
Die Wissenschaftler und ihre Mitarbeiter sind auf den
Barrikaden. Und so müssen Sie sich nicht wundern, wenn
in dem bereits zitierten Artikel der VDI-Nachrichten fol-
gendes Fazit aus der Fusion gezogen wird:
Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und ihr
Staatssekretär Uwe Thomas werden den so oft be-
klagten Brain Drain mit der Fusion nicht bremsen,
sondern eher ankurbeln. Und die Gesellschaft für In-
formatik e. V. warnt schon heute, dass die Stellung
der deutschen Informatik- Grundlagenforschung im
internationalen Vergleich katastrophal ist.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Die Bundesforschungsministerin hat durch ihre Politik
einen bleibenden Schaden für die deutsche Forschungs-
landschaft hinterlassen. Dafür kann Sie keinen Applaus
von unserer Seite erwarten.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
möchte die Oppositionsfraktionen von CDU/CSU und
FDP daran erinnern, dass sie 16 Jahre Zeit hatten, die For-
schungsstruktur in der Informationstechnologie zu orga-
nisieren. Statt Forschungsmittel zu kürzen, hätten sie sich
besser um die Verbesserung der Forschungsstrukturen
gekümmert!
Die GMD und FhG hatten letzten Herbst beschlossen
zu fusionieren, um gemeinsame Synergien zu erschließen.
Dieser Beschluss wird jetzt trotz einiger Irrungen und
Wirrungen umgesetzt werden. Die wiederholten Er-
höhungen der Haushaltsmittel für die Informations- und
Kommunikationstechnologie durch Rot-Grün dürften
dazu beitragen, den Fusionsprozess zu erleichtern.
Nach der erfolgten Einschaltung der Moderatoren und
den mittlerweile erfolgten Fusionsbeschlüssen der Auf-
sichtsräte gilt es nun nach vorne zu blicken: An die FhG
möchte ich appellieren, die berechtigten Interessen der
FhG im weiteren Verlauf der Fusion zu berücksichtigen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der GMD sollten
noch einmal allen Mut zusammenfassen und die Fusion
offensiv angehen. Dort, wo die Stärken der GMD liegen,
soll sie diese in den Vordergrund stellen. Dort, wo bislang
Schwächen lagen, soll sie dies als Chance sehen, gemein-
sam mit der Fraunhofer-Gesellschaft auch hier Stärken zu
entwickeln. Dort, wo Verkrustungen entstanden sind, soll-
ten diese in der Fusion aufgelöst werden. Auch sollte
überlegt werden, die Vertreter der Betriebsräte in das
Steering Commitee aufzunehmen. Dies würde sicher als
vertrauensbildende Maßnahme aufgefasst werden.
Es müssen zufriedenstellende Antworten gegeben wer-
den, wie die Mitarbeiter in den Bereichen Verwaltung und
Infrastruktur in die neue Struktur eingebunden werden. Es
geht hier immerhin um 600 Mitarbeiter, für die baldmög-
lichst ein Konzept vorgelegt werden sollte.
Die Sicherung der Grundlagenforschung – was das be-
rechtigte Anliegen der Opposition mit ihren Anträgen be-
trifft – ist aus meiner Sicht mit dem Fusionsprozess mach-
bar. Damit dies aber tatsächlich umfassend gelingt,
scheinen aus meiner Sicht vor allem zwei Punkte von
großer Bedeutung: Erstens sollte das Finanzierungskon-
zept eine Vollfinanzierung für grundlagennahe For-
schungsprojekte vorsehen. Konkret heißt dies, dass
EU-Projekte aus dem Bereich der Grundlagenforschung
durch das Bundesforschungsministerium kofinanziert
werden. Zweitens sollte das 40-Prozent-Modell der FhG
flexibel gehandhabt werden. Das heißt, dass zum Beispiel
Veröffentlichungen in der Evaluierung berücksichtigt
werden müssen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012928
(C)
(D)
(A)
(B)
Doch auch außerhalb des direkten Forschungsbereichs
nimmt die GMD wichtige Funktionen wahr, die in der
FhG erhalten bleiben sollten. So arbeitet die GMD in in-
ternationalen Organisationen mit, die die künftigen Stan-
dards für Internet und Multimedia definieren. Zum Bei-
spiel stellt sie das deutsche Büro des World Wide Web
Consortiums sowie das deutsche Büro und den Vorsitz der
Internet Society. Die GMD nahm darüber hinaus bislang
wichtige Aufgaben in der Ausbildung wahr. Diese Funk-
tion wird dann weiterhin ausgefüllt werden, wenn eine
institutionelle Förderung vorhanden ist, die über das hi-
nausgeht, was rein anwendungsorientierten Einrichtun-
gen zur Verfügung steht.
Zum Abschluss möchte ich noch einmal betonen,
warum ich diese Vorgehensweise für die richtige halte.
Sowohl bei GMD als auch bei FhG handelt es sich um in-
ternational anerkannte Forschungseinrichtungen, die das
Potenzial dazu haben, eine ganz bedeutende Rolle in die-
sem Zukunftssektor einzunehmen. Dies wird gelingen,
wenn beide Partner ihre Stärken erfolgreich einbringen
und miteinander verbinden. Damit dies gelingen kann,
muss der Grundlagenforschung der Rücken gestärkt wer-
den. In diesem Zusammenhang möchte ich auch daran er-
innern, dass der Staat sich vor allem dort engagieren
sollte, wo der Markt wichtige Funktionen nicht erfüllen
kann wie in der Vorlaufforschung.
Bündnis 90/Die Grünen würden sich freuen, wenn der
Fusionsprozess auch dazu genutzt werden würde, die For-
schungsgesellschaften stärker auf gesellschaftliche Be-
dürfnisse auszurichten. Hierzu gehört vor allem eine zu-
kunftsfähige Entwicklung der Gesellschaft sowie der
Erhalt und die Verbesserung der natürlichen Lebensbe-
dingungen.
Ulrike Flach (F.D.P.): Der Zusammenschluss des
GMD-Forschungszentrums für Informationstechnik und
der Fraunhofer-Gesellschaft sollte eine Kompetenzbün-
delung beider Einrichtungen auf dem Gebiet der IuK-
Technologien bringen. Europas größte IuK-Forschungs-
organisation sollte geschaffen werden. Auch die F.D.P.
unterstützt dieses Ziel.
Bei dem Fusionsplan herausgekommen ist der Eindruck
einer feindlichen Übernahme. Die gegenwärtig durch das
BMBF betriebene Verschmelzung, faktisch ein Aufgehen
der GMD in der FhG, führt nach Meinung vieler Wissen-
schaftler dazu, dass die IuK-Grundlagenforschung der
GMD bedeutend geschwächt wird. Die beiden For-
schungseinrichtungen sind in ihrer wirtschaftlichen Orga-
nisation sehr unterschiedlich. Würde man die GMD zur Ei-
genmittelerwirtschaftung nach dem FhG-Modell zwingen,
würde man viele Forschungsräume beschränken.
Ich will aus Zeitgründen nicht auf die intensiven, auch
persönlichen Auseinandersetzungen eingehen, die seit
dem Fusionsbeschluss am 29. September letzten Jahres
gelaufen sind. Vieles liegt auch im atmosphärischen Be-
reich, und leider hat die Bundesministerin nicht zur Ent-
spannung der Lage beigetragen. Sie, Frau Bulmahn, ha-
ben am 30. März in einem Schreiben an die Belegschaft
der GMD gesagt: „Die Umsetzung der Fusion muss sorg-
fältig vorbereitet werden, und zwar unter Bedingungen,
die von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
der GMD und der FhG breit mitgetragen werden.“ Diesen
Anspruch erfüllt der Fusionsplan nicht.
Hier wurde in wenigen Monaten ein Fusionsplan ent-
wickelt, der von der großen Mehrzahl der Wissenschaft-
ler der GMD nicht mitgetragen wird. Die System-Evalua-
tion der HGF durch den Wissenschaftsrat wurde nicht
abgewartet. Vom Standort Birlinghoven hören wir, dass es
zu ersten Kündigungen gekommen ist. Leute, die Alter-
nativen haben, orientieren sich weg von der GMD in die
USA. Das kann doch nicht das Ergebnis sein! Brain Drain
durch Versagen der Politik! Das würde nicht dazu führen,
dass unsere Forschungseinrichtungen gestärkt, dass Cen-
ters of Excellence gebildet werden.
Die F.D.P. unterstützt die Anträge von Union und PDS,
denn wir sind uns in den Zielen einig: Die interdiszi-
plinäre Grundlagenforschung muss auch nach der Fusion
ein wesentliches und umfassend gefördertes Forschungs-
ziel bleiben; wenn keine Übereinstimmung zur Sicherung
der Grundlagenforschung zu erzielen ist, ist als letzte
Konsequenz auf die Fusion zu verzichten. Der Vertreter
des BMBF in der Gesellschafterversammlung der GMD
soll in diesem Fall einer Fusion nicht zustimmen.
Ich werde am 27. November zur Betriebsversammlung
der GMD hier in Berlin gehen. Ich würde mich freuen,
wenn wir unsere Argumente nicht nur hier im Haus, son-
dern auch mit den Betroffenen vor Ort austauschen wür-
den. Mitte Dezember werden die BLK und die Gesell-
schafterversammlung der GMD über die Fusion beraten.
Es ist also noch ein Monat Zeit für Verbesserungen, den
Sie, Frau Ministerin, intensiv nutzen sollten. Wir brau-
chen einen Zusammenschluss mit Genuss, aber keine
Fusion ohne Vision.
Maritta Böttcher (PDS):Was hier passiert ist, ist ein
Desaster. Unter dem Vorwand, das GMD-Forschungs-
zentrum für Informationstechnik und die Fraunhofer-
Gesellschaft zu der größten IuK-Forschungsorganisation
in Europa verschmelzen zu wollen, hat die Bundes-
forschungsministerin Edelgard Bulmahn viel Porzellan
zerschlagen:
Wo einst von beiden Seiten interessierte Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter die neue Forschungsgesellschaft be-
grüßten, laufen der GMD nun die hoch qualifizierten Mit-
arbeiter davon.
Wo die GMD auf solide IuK-Grundlagenforschung
verweisen konnte, stellt sich heute ernstlich die Frage, ob
die Finanzierung der Grundlagenforschung mittelfristig
in der neuen FhG zu halten ist.
Wo bisher eine demokratische Mitbestimmung der
Mitarbeiter und der Institutsleiter in einem Wissenschaft-
lich-Technischen Rat bestand, wird sie durch den Mehr-
heitsgesellschafter Bund mit Zustimmung der Aufsichts-
räte durch eine Vorgabe der Themen und Lösungsansätze
durch „Zuwender“-Gremien und Ministerium ersetzt.
Nicht einmal die Aufsichtsräte vom Bertelsmann-Kon-
zern und von der Telekom haben der Fusion zugestimmt.
Der Wissenschaftlich-Technische Rat bleibt in den offizi-
ellen Papieren unerwähnt und jeder muss davon ausge-
hen, dass eine demokratische Mitbestimmung der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12929
(C)
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Beschäftigten in einer neuen Fraunhofer-Gesellschaft
nicht gewollt ist.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Moderato-
renvorschlag zur inhaltlichen, strukturellen und finanziel-
len Realisierung der Fusion ist mit heißer Nadel gestrickt.
Das Gefälligkeitsgutachten räumte Widersprüche nicht
aus.
Unstrittig ist, dass die Forschung und die Entwicklung
auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikations-
technologien eines der strategisch wichtigen Zukunftsfel-
der dieses Jahrhunderts ist. Dass hier ein riesengroßer Be-
darf an gut ausgebildeten Fachkräften besteht, hat ja Ihre
misslungene Green-Card-Lösung bereits gezeigt.
Warum aber graben Sie mit der Verschmelzung von
GMD und FhG einer kontinuierlichen IuK-Grundlagen-
forschung mittelfristig das Wasser ab, obwohl sie das
Fundament der IuK-Forschung ist? Warum unterstützen
Sie nicht die herkömmlichen Formen der Aus- und Fort-
bildung von Diplomandinnen und Diplomanden sowie
Doktorandinnen und Doktoranden in den Forschungsin-
stituten selbst? Hier sind Arbeit und Lernen verflochten.
Eine Art „Turbo-Uni“ bzw. ein „Center of Excellence“,
in dem die Studentinnen und Studenten schmalspurig auf
dem IT-Gebiet ausgebildet werden und von Anfang an im
Praktikum bei neuen Instituten der FhG stehen, ist kein
Ersatz. Es erweckt eher den Anschein, als ob die studen-
tische Ausbildung einer wirtschaftlich motivierten Aus-
nutzung des Goldes in den Köpfen der Studierenden be-
reits ab dem ersten Semester geopfert wird. Warum haben
Sie keine Lösung favorisiert, die es ausgezeichnet quali-
fizierten jungen Leuten – auch Frauen – auf dem Gebiet
der IuK-Technologien ein Ansporn ist, in einer neuen FhG
mitzuarbeiten?
Inzwischen ist eine überstürzte Fusion zwischen dem
GMD Forschungszentrum für Informationstechnik und
der Fraunhofer-Gesellschaft beschlossene Sache, obwohl
Staatssekretär Lange sich skeptisch zeigt, ob die juristi-
schen Feinheiten bis zum 1. Januar 2001 ausgearbeitet
werden können.
Die PDS-Bundestagsfraktion wird heute dem Antrag
der CDU/CSU zum Erhalt der InK-Grundlagenforschung
zustimmen. Die CDU/CSU hat in diesem Fall den wun-
den Punkt getroffen. Ebenso wie wir ist sie nicht der Mei-
nung, dass durch die Art und Weise sowie die Konditio-
nen dieser Fusion tatsächlich ein solider Erhalt der
InK-Grundlagenforschung gewährleistet ist, auch wenn
nach mündlicher Bekundung von Staatssekretär Uwe
Thomas die Grundfinanzierung in der Substanz zunächst
fünf Jahre nicht angegriffen werden soll. Die Zitterpartie
um die IuK-Grundlagenforschung steht völlig im Gegen-
satz zu den Feststellungen in der Studie „Wissens- und
Technologietransfer in Deutschland.“ Dort wird ausge-
führt:
Wesentlich für die Leistung der Institute ist es aller-
dings, über grundfinanzierte Vorlaufforschung und
Projekte für öffentliche Auftraggeber eine ausrei-
chende Kompetenz aufzubauen, um fortlaufend auf
neue Entwicklung der Forschung reagieren zu kön-
nen. Eine adäquate Balance zwischen kurzfristiger
und langfristiger Forschung ist eine wesentliche He-
rausforderung der Fraunhofer-Institute.
Auch von den Forderungen unseres Antrages ist übri-
gens fast nichts berücksichtigt. Statt dessen werden zwei
Drittel der in der GMD-Forschenden selbst gezwungen,
Fördermittel bei ohnehin stark umkämpften Fördertöpfen
der Industrie, der EU und der Länder einzutreiben; 600 Ar-
beitsplätze in der Verwaltung und den zentralen Diensten
gefährdet, da für diese Beschäftigten kein schlüssiges
Konzept vorliegt; die Forschung noch unmittelbarer nach
wirtschaftlichen Maßgaben und zu Zwecken der Wirt-
schaft organisiert.
Wir meinen: Die Zukunftsentscheidungen für die Ge-
sellschaft dürfen nicht vorrangig in Industrielabors und
Konzernetagen gefällt werden. Eine Umsteuerung der
staatlichen Forschungs- und Technologiepolitik ist not-
wendig, die gesellschaftliche Zielvorstellungen im öko-
nomischen und ökologischen Bereich in einem demokra-
tischen Prozess entwickelt, formuliert und umsetzt. Dies
setzt eine Forschungspolitik voraus, die vom einseitigen
industriepolitischen Interesse unabhängig ist und den
langfristigen gesellschaftlichen Bedarf im Sinne ökologi-
scher, sozialer und ökonomischer Zukunftsvorsorge
berücksichtigt. Und das heißt auch Übernahme von Ver-
antwortung für die Gestaltung der natürlichen Existenz-
voraussetzungen und Ressourcen sowie die Erhaltung des
Wissens- und Qualifikationsniveaus. Durch eine entspre-
chende Schwerpunktsetzung muss ein ausgeglichenes
Verhältnis zwischen technischem Neuerungs- und gesell-
schaftlichem Vorsorgewissen geschaffen werden. Nur so
kann der Staat seine Aufgabe wahrnehmen, die gesamtge-
sellschaftlichen Interessen über die Einzelinteressen zu
stellen.
Von diesen Vorstellungen haben wir uns mit der Fusion
von GMD und FhG als dem Auftakt der Neugestaltung
der Forschungslandschaft gerade ein Stück entfernt.
Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei
der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien haben in der
Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung
Priorität. Mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Ar-
beitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr-
hunderts“ hat die Bundesregierung ein Rahmenkonzept
vorgelegt, das alle Politikfelder umfasst, insbesondere
neue Weichen in der Bildungs- und Forschungspolitik
stellt und alle gesellschaftlichen Gruppen zur Mitarbeit
aufruft.
In diesem Jahr stellt das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung circa 1,2 Milliarden DM für die
Weiterentwicklung, Nutzung und Verbreitung moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien zur Ver-
fügung. Das sind etwa 5 Prozent mehr als im letzten Jahr.
Seit dem Regierungswechsel im Jahr 1998 haben wir den
Mittelaufwuchs in diesem Förderbereich sogar um über
14 Prozent gesteigert. Ähnlich hohe Steigerungen wie in
diesem Jahr werden in den nächsten Jahren erfolgen. Und
bei der Verwendung der Haushaltsmehreinnahmen in-
folge der Zinseinsparungen durch die Schuldentilgung
werden wir hier ebenfalls einen Schwerpunkt setzen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012930
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In Hochtechnologiefeldern wie der Informations- und
Kommunikationstechnik ist die enge Verbindung von
Forschung und Anwendung ausschlaggebend für den Er-
folg am Markt und damit für wirtschaftliches Wachstum
und neue Arbeitsplätze. Die Fusion der Fraunhofer-Ge-
sellschaft mit dem GMD-Forschungszentrum Informati-
onstechnik ist das zentrale Instrument, um die deutsche
IuK-Forschung zu profilieren und international in eine
herausragende Position zu bringen. Die Bundesregierung
hat diesen Aufbruch angestoßen, um wertvolle Kapazitä-
ten auszubauen und Synergien zu nutzen. Mit der Zusam-
menführung wird eine strategische Orientierung und
deutliche Stärkung der Forschung auf diesem Gebiet er-
reicht.
Das von den Moderatoren Dr. Tom Sommerlatte, von
Arthur D. Litte und Prof. Arnold Picot vom Institut für Or-
ganisation der Universität München vorgelegte Konzept
für die Fusion von FhG und GMD ist für die Bundesre-
gierung eine Bestätigung ihres Ansatzes.
Im einzelnen ist Folgendes vorgesehen: Kernstück ist
die Einrichtung einer IuK-Gruppe, in der die Institute der
GMD und die IuK-Institute der FhG zusammengefasst
werden. Damit werden sowohl auf der Ebene der For-
schungsstrategie als auch auf der Ebene der Finanzierung
die Grundlagen für die Fusion geschaffen. Die Strategie
für die Vorlaufforschung wird auf Gruppenebene ent-
wickelt und umgesetzt. Im Hinblick auf die Ertragsleis-
tungen wird nicht jedes Institut einzeln, sondern die
Gruppe als Ganzes betrachtet. 60 Prozent Erträge sind das
Gruppenziel. Und dabei werden sämtliche Erträge, das
heißt eingeworbene Wirtschaftserträge und öffentliche
Projektförderung und nicht nur die Wirtschaftserträge, be-
trachtet. Das Budget der Gruppe besteht aus Grundfinan-
zierung und Erträgen der GMD, Grundfinanzierung und
Erträgen der IuK-Institute der FhG sowie aus zusätzlich
bereitzustellenden Mitteln der Projektförderung.
Auch die Elemente, die für die künftige Entwicklung
der erweiterten FhG von entscheidender Bedeutung sein
werden, finden in dem Konzept Berücksichtigung. Zur
frühzeitigen Positionierung in zukünftig bedeutenden
Technologiefeldern muss die FhG gezielt in eigener Ver-
antwortung Vorlaufforschung betreiben. Mit der Fusion
wird die Vorlaufforschung in der erweiterten FhG gestärkt
und fester verankert. Daneben ist der Ausbau der Aus-
gründungsaktivitäten sowie das Einwerben von EU-Mit-
teln in größerem Umfang als bisher notwendig. Auch hier
werden sich durch das Zusammengehen von FhG und
GMD ganz neue Chancen bieten.
Es ist offenkundig, dass für diese Aufgaben ausrei-
chend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen müssen.
Und ich versichere Ihnen, dass das BMBF dafür sorgen
wird. Wir werden in den nächsten 5 Jahren jährlich zu-
sätzliche Projektmittel für die IuK-Forschung in der FhG
bereitstellen. Darüber hinaus werden wir auch die institu-
tionelle Förderung der erweiterten FhG deutlich anheben.
Das vorliegende Konzept ist tragfähig und überzeu-
gend. Die Forschungskapazitäten von Bund und Ländern
im IuK-Bereich werden dabei mit rund 400 Millionen DM
gebündelt. Es entsteht ein Forschungsbereich, der den
künftigen Anforderungen an die moderne Informations-
gesellschaft Rechnung trägt. Das Konzept verbindet – und
das kann niemand von der Hand weisen – Stärken und
Kompetenzen beider Einrichtungen miteinander. Das ist
auf der einen Seite die konsequente Marktorientierung der
FhG und auf der anderen Seite die Kompetenz der GMD
in der Vorlaufforschung. Für beide Partner wird die Fu-
sion zu einer Verbreiterung der wissenschaftlichen und
technologischen Basis mit neuen Themen und einer er-
weiterten Forschungsstruktur führen.
Noch ein Wort zur Reformfähigkeit der deutschen For-
schungsförderung. Die Bundesregierung hat mit der Fusion
von GMD und FhG gezeigt, dass die von anerkannten In-
stitutionen – ich denke da auch an den Wissenschaftsrat –
geforderte Flexibilität in der institutionellen Forschungs-
förderung ein Stück weiterkommt. Wir überschreiten er-
starrte institutionelle Grenzen. Aber es gibt auch ein festes
Fundament für diese Strukturreform. Denn es gilt die Zu-
sage des Bundes, dass es im Zusammenhang mit der Fusion
nicht zu Entlassungen kommen wird. Sicher ist es für man-
che unbequem, in Neuland aufzubrechen. Aber viele sind
dazu bereit und wir werden sie dabei unterstützen.
Die in den vergangenen Monaten verfolgten Ansätze
für Kooperationen zwischen den Instituten beider Ein-
richtungen sind bereits zahlreich und viel versprechend.
Das BMBF hat einen Fonds von 30 Millionen DM unmit-
telbar für Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt.
Die ersten Vorhaben mit einem Gesamtvolumen von über
20 Millionen DM laufen bereits.
Und wir kommen zügig voran. Der Senat der FhG und
der Aufsichtsrat der GMD haben der Fusion auf der
Grundlage des Moderatorenkonzepts vor wenigen Tagen
zugestimmt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die GMD
die Chance nutzen und die neue FhG diesen Weg erfolg-
reich gehen wird.
Im Übrigen bereitet das BMBF zusammen mit dem Land
Nordrhein-Westfalen die Gründung einer IT-Akademie in
Verbindung mit der GMD vor. Dafür sollen Mittel aus dem
Bonn-Berlin-Ausgleichsfonds, aus dem Zukunftsinvesti-
tionsprogramm und aus Fachtiteln des BMBF-Haushalts
zur Verfügung gestellt werden. Die Unkenrufe des Kollegen
Lauser sind deshalb nichts anderes als eine gezielte Desin-
formation der Öffentlichkeit.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– des Antrages: Transparenz und parlamenta-
rische Kontrolle bei Rüstungsexporten;
– derUnterrichtung: Bericht der Bundesregie-
rung über ihre Exportpolitik für konventio-
nelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüs-
tungsexportbericht);
– des Berichts: Keine Lieferung von Panzern
und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen
an die Türkei
(Tagesordnungspunkt 17 a bis c)
Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Mit großem Interesse habe
ich die Forderung der PDS in ihrem Antrag nach mehr
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 2000 12931
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Transparenz und parlamentarischer Kontrolle bei Rüs-
tungsexporten zur Kenntnis genommen. Die PDS hat of-
fensichtlich nicht mitbekommen, dass die Bundesregie-
rung mit der Verabschiedung der „Politischen Grundsätze
über den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern“ erheblich zu einer verbesserten Transparenz
der Rüstungsexportpolitik beigetragen hat. In diesen
neuen Grundsätzen hat die Bundesregierung klar und
eindeutig zusätzliche Richtlinien festgelegt, die nicht
nur restriktiver sind, sondern auch zu wesentlich mehr
Transparenz führen. Ich will der PDS daher an dieser
Stelle noch einmal kurz die wichtigsten Punkte nennen:
Erstens. Die Beachtung der Menschenrechte ist für
jede Exportentscheidung von besonderer Bedeutung, un-
abhängig davon, um welches Empfängerland es sich han-
delt. Die Grundsätze gehen weit über diejenigen des EU-
Verhaltenskodex hinaus, der sagt, dass erst bei einem
eindeutigen Risiko keine Ausfuhrgenehmigung erteilt
werden soll. Neben dem Menschenrechtskriterium wer-
den ausdrücklich weitere Kriterien wie die nachhaltige
Entwicklung sowie das Verhalten gegenüber der interna-
tionalen Gemeinschaft berücksichtigt.
Zweitens. Es wird klargestellt, dass bei NATO-, EU-
und diesen gleichgestellten Ländern wie Schweiz oder
Australien Genehmigungen die Regel sind und Ableh-
nung die Ausnahme. Bei Drittstaaten sollen Genehmigun-
gen wie bisher zurückhaltend erteilt werden.
Drittens. Die Sicherstellung des Endverbleibs erhält
ein größeres Gewicht als bisher.
Viertens. Der EU-Verhaltenskodex wird zum integra-
len Bestandteil der Grundsätze.
Fünftens. Die Bundesregierung verpflichtet sich, jähr-
lich dem Bundestag einen Rüstungsexportbericht über die
Entwicklungen des jeweils abgelaufenen Kalenderjahres
vorzulegen.
Ich will den Kolleginnen und Kollegen von der PDS
einmal aufzeigen, welche Konsequenzen ihre Forderun-
gen hätten. Sie fordern eine Regelung, wonach vor der
Entscheidung der Bundesregierung bzw. des Bundessi-
cherheitsrates über die Ausfuhr von Rüstungsgütern die
Auffassungen bestimmter Parlamentsausschüsse einzu-
holen und zu berücksichtigen sind. Sie können doch wohl
nicht im Ernst fordern, vor jeder Entscheidung ein derart
langwieriges Verfahren in Gang zu setzen. Wer auch nur
etwas von Wirtschaft versteht, der weiß, dass es bei inter-
nationalen Ausschreibungen um Fristen, Verlässlichkeit
und Vertraulichkeit geht. Diese wichtigen Voraussetzun-
gen wären bei dem von ihnen vorgeschlagenen Verfahren
nicht gegeben. Im Gegenteil: Ein solches Verfahren
würde die deutschen Anbieter zu einer völligen Offenle-
gung ihrer Geschäftsvorhaben zwingen, wovon andere
Wettbewerber aus dem In- und Ausland profitieren wür-
den. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beteiligten
Unternehmen kommen bei dem Antrag der PDS über-
haupt nicht zu Worte. Unter den von der PDS vorgeschla-
genen Bedingungen braucht sich ein deutsches Unterneh-
men wegen Aussichtslosigkeit erst gar nicht mehr an
internationalen Rüstungsexportausschreibungen beteili-
gen. Von daher sollte die PDS doch besser gleich sagen,
was sie wirklich will, nämlich die Verhinderung deutscher
Rüstungsexporte und damit die Abschaffung der deut-
schen Rüstungswirtschaft schlechthin.
Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien
eine optimale Balance bei diesem sicher nicht einfachen
Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es gelun-
gen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzli-
che politische Kriterien anzupassen und dabei die Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrecht zu
halten. Die Richtlinien haben sich schon jetzt bewährt:
Mehr Transparenz und klare Kriterien sind ein guter Ver-
trauensschutz für die deutsche Wirtschaft auch hinsicht-
lich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unterneh-
men in einer stark zusammenwachsenden internationalen
Rüstungswirtschaft.
Die Entscheidungen über Exportvorhaben werden
maßgeblich unter außen-, sicherheits- und bündnispoliti-
schen Interessen, unter Beachtung der Menschenrechte,
aber auch unter Beachtung der ökonomischen Interessen
getroffen. Bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das
Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Be-
deutung sind, wird der Bundessicherheitsrat befasst. Zu-
sätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertretenen
Ressorts nimmt nun auch das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit hieran teil, um besonde-
ren entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu tra-
gen. Ich will es noch einmal sagen: Mit den neuen Leitli-
nien aus diesem Jahr lässt es sich gut arbeiten. Für weitere
Verfahrensänderungen sehe ich keinen Handlungsbedarf.
Wir lehnen daher die beiden Anträge der PDS ab.
Zum Rüstungsexportbericht will ich mich hier nicht
ausführlich äußern. Er liegt allen vor. Darin wird in aller
Offenheit das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgü-
ter, die Auswirkungen von Abrüstungsvereinbarungen auf
die Exportkontrolle, die deutsche Rüstungsexportkon-
trollpolitik im multilateralen Rahmen sowie die Exporte
von Rüstungsgütern im Jahr 1999 dargestellt. In puncto
Transparenz sind wir mit dem Rüstungsbericht im inter-
nationalen Vergleich absolute Spitze. Ich empfehle der
PDS diese spannende Lektüre.
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Dass die Debatte über die
Rüstungsexportpolitik der rot-grünen Bundesregierung
zu dieser Tageszeit stattfindet zeigt, dass diese Regierung
in Fragen der Rüstungsexportpolitik keine überzeugende
Figur macht. Früher hätten SPD und Grüne dafür gesorgt,
dass diese Debatte an herausragender Stelle platziert wor-
den wäre. Das Bild der Koalition ist geprägt von Schein-
heiligkeiten und Inkonsequenz. Sie ist kurzsichtig, kaum
europatauglich, industriepolitisch falsch und nimmt keine
Rücksicht auf die Bündnisfähigkeit Deutschlands.
Die Auseinandersetzungen um die Lieferung eines
Leopard-Panzers zu Erprobungszwecken, die Diskussion
um die spätere Lieferung auf der einen Seite und die Zu-
stimmung zur Lieferung der Munitionsfabrik auf der an-
deren zeigen ein verwirrendes Bild und übertünchen doch
nur, dass diese Regierung in größtem Umfang Waffen je-
der Art an die Türkei liefert. Der vorgelegte Bericht der
Bundesregierung über ihre Exportpolitik für das Jahr
1999 zeigt das ganze Dilemma der Regierung: Es ist ein
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. November 200012932
(C)
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(A)
(B)
Dokument, das sowohl die Grünen durch die geänderten
rüstungspolitischen Grundsätze beruhigen soll als auch
der Regierung einigermaßen die Handlungsfähigkeit im
Rüstungsexport erhalten soll.
Richtigerweise bezeichnet laut „taz“ ein internes grü-
nes Papier ja dann auch die neuen rüstungspolitischen
Grundsätze als „Placebo für die grüne Seele, das im Här-
tetest der Koalition nicht greift“.
Im Ausland wird diese Politik zunehmend als Sonder-
weg angesehen, was unserer Bündnisfähigkeit und unse-
rem Ziel, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
in Europa zu erreichen, nicht förderlich ist. Entsprechend
schlecht sind die Noten für die Bundesregierung in der
Rüstungsexportpolitik von allen Seiten.
Die Rüstungswirtschaft sorgt sich um ihre Kooperati-
onsfähigkeit. Die deutschen Unternehmen sind durch die
neuen exportpolitischen Grundsätze als Partner für andere
Unternehmen in der Gemeinschaft nicht attraktiver ge-
worden. Die Ausrede der Regierung, man könne eine Be-
hinderung von Kooperationen nicht feststellen, entlarvt
sich selbst: Etwas, was gar nicht mehr stattfindet, kann
man auch nicht feststellen. Die Betriebsräte, mit denen
sich die SPD mal wieder unterhalten sollte, wissen ein
Lied von den Konsequenzen zu singen.
Besonders problematisch ist die neue Endverbleibsre-
gelung bei Komponentenlieferung. Diese ist bei Direkt-
export selbstverständlich nötig. Bei Zulieferung dem
Partner aber vorschreiben zu wollen, wohin er exportieren
darf, ist falsch. Das kann man nur über gemeinsame Re-
geln steuern, aber nicht auf diesem Wege. Das Ergebnis
ist, dass deutsche Unternehmen gar nicht mehr als Partner
infrage kommen. Da haben sie völlig außer Acht gelassen,
dass man Regeln verlässlich gestalten und Folgewirkun-
gen vorher bedenken muss.
Auf der anderen Seite wird auch Ihr Anspruch einer
wirklich neuen Politik nicht erfüllt. Mit Recht verbreitet
das Kasseler Friedensforum in einer Stellungnahme die
Aussage: „Die Regierung genehmigt fast alles.“ Die Aus-
rede, 1999 habe es noch keine veränderte Beschlusslage
der Bundesregierung gegeben, zählt nicht, denn zu dieser
Zeit war der europäische Verhaltenskodex vom 8. Juni
1998 nach Aussage der Bundesregierung bereits Grund-
lage ihrer Politik und sie behauptet ja selbst, ihre Grundsätze
seien nichts anderes als eine Übertragung dieses europä-
ischen Kodex in das deutsche Regelwerk.
Es ist schon erstaunlich, wenn man sich an frühere De-
batten erinnert, in welche Länder die Bundesregierung
mit Zustimmung der Grünen Waffenexporte genehmigt
hat. Ich hätte Lust sie alle aufzuzählen. Es ist eine Liste,
die von Albanien, Algerien, Aserbaidschan über Bangla-
desch, Weißrussland, Botswana, Burkina-Faso, Gabun,
Ghana, Indonesien, Libanon, Nepal, Nigeria bis Pakistan,
Philippinen, Sambia, Simbabwe, Uganda und Usbekistan
reicht. Die Konsequenz ist, dass ihre Politik ohne jede
Glaubwürdigkeit dasteht und der Unterschied zwischen
einer hohen öffentlich dargestellten Moral auf der einen
Seite und der politischen Praxis auf der anderen Seite of-
fensichtlich ist. Es wäre viel besser, diese Regierung
würde sich zu dem einfachen Sachverhalt öffentlich er-
klären, dass Rüstungsexport eine schwierige Angelegen-
heit ist und zwar unabhängig davon, was man in den
Grundsätzen niedergelegt hat, dass in jedem Fall die Ab-
wägung schwierig ist, müssen doch in jedem Einzelfall
sowohl außen- und sicherheitspolitische Erwägungen an-
gestellt werden als auch die Sicherheitsinteressen des
Empfängerlandes gebührend gewürdigt werden.
Niemand bestreitet, dass in diese Abwägungsprozesse
auch Menschenrechtsfragen, entwicklungspolitische Fra-
gen, Fragen der politischen Kooperation, strategische
Langfristüberlegungen der Einflussmöglichkeiten in be-
stimmten Ländern, aber auch wirtschafts- und technolo-
giepolitische, bündnis- und europapolitische und sicher
noch weitere Fragen eingehen. Der Öffentlichkeit weis-
zumachen, es gäbe sozusagen wenige exklusiv entschei-
dende Kriterien, ist nichts anderes als Populismus.
Das hat zum Beispiel auch der Vorsitzende des Aus-
wärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose, erkannt, als er
kürzlich erklärte, er hielte den Begriff der Menschen-
rechte für zu unscharf, um ihn im sensiblen Bereich der
Rüstungsexporte als Kriterium gelten zu lassen. Er wäre
sicher nicht so weit gegangen wie die SPD-Verteidi-
gungspolitikerin Frau Wohlleben, die vor wenigen Wo-
chen einen Gastkommentar in der „Welt“ mit der Über-
schrift „Rüstungsexport ist gut“ veröffentlicht hat. Aber
Frau Wohlleben hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass
die wehrtechnische Industrie in einem klassischen Sinne
eine strategische Industriesparte ist und dass man sorgsam
damit umgehen muss, wenn man auf Dauer im Konzert
der europäischen Länder und innerhalb der NATO seinen
technologischen und politischen Einfluss nicht verlieren
will.
Für die CDU/CSU sind die Grundlagen der Rüstungs-
exportpolitik eindeutig. Eine verantwortungsvolle Rüs-
tungsexportkontrolle muss sich einem differenzierten
Abwägungsprozess stellen. Vorrang einer Rüstungsexport
politik muss die gemeinsame europäische Politik und dür-
fen nicht nationale Sonderwege haben.
Deutschland tut gut daran, intensiv dazu beizutragen,
einen gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa und trans-
nationale wirtschaftliche Strukturen in der Rüstungsin-
dustrie zu entwickeln, um Kapazitäten in Europa anzu-
passen und den Druck im Bezug auf die Exporte in die
Entwicklungsländer zu verringern. Dazu gehören dann
auch gemeinsame Exportregelungen.
Wer sich auf Sonderwege – und würden sie auch nur
durch andere so empfunden – einlässt, der verliert mit der
Unfähigkeit gemeinsamer europäischer Entwicklungen
wegen eingeschränkter Exportmöglichkeiten auch einen
wichtigen Einfluss auf politische und strategische Über-
legungen in Europa und der NATO und schadet damit der
Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
politik. Es hat keinen Sinn, als Rot-Grün rhetorisch popu-
listisch Positionen zu vertreten, die dann nicht einzuhal-
ten sind, damit deutsche Einflusschancen zu verspielen
und dennoch nicht an den Realitäten einer einheitlichen
europäischen Politik vorbeizukommen. Gemeinsame eu-
ropäische Regelungen statt des alten Zustandes mit erheb-
lichen Überkapazitäten in Frankreich und Großbritannien
wie auch auf einigen Sektoren in Deutschland verbessern
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immer den europäischen Saldo. Darauf kommt es auch in
Zukunft an.
Die Bundesregierung wird mit ihrem jetzt gewählten
Ansatz in einem Spagat bleiben, der die deutsche Position
bei unseren Partnern unter den Generalverdacht mangeln-
der Fähigkeit zur Zusammenarbeit stellt.
Ein Mitarbeiter des Außenministers hat ja wohl – so
war am 14. September in der „taz“ zu lesen – ein Papier
verfasst, in dem die Wirkung Ihrer Politik als defensiv bis
hilflos bezeichnet wird.
In einem anderen Papier soll darüber nachgedacht wer-
den, „ob auch Deutschland ... die Rüstungsexportpolitik
gegenüber einzelnen Staaten als Instrument politischer
Einflussnahme nutzt“; Rüstungsexport als Instrument
konditionierter Interessenpolitik also!
Man darf gespannt sein, was die Diskussion ergibt.
Warten Sie nicht zu lange mit Entscheidungen, sonst ma-
chen Sie die Bundesregierung handlungsunfähig.
Die Regierung muss auch schnellstens ihr Verhältnis
zum NATO-Partner Türkei klären, was Rüstungsexporte
angeht. Es ist unerträglich, auf der einen Seite der Türkei
den Status eines Beitrittskandidaten für die Europäische
Union zu geben und die NATO-Mitgliedschaft der Türkei
als wertvoll zu erklären, während der NATO-Partner Tür-
kei auf der anderen Seite sozusagen in eine mindere Stufe
der NATO-Mitgliedschaft abqualifiziert wird, wie Sie das
mit Ihrer Rüstungsexportpolitik tun. Die CDU/CSU-
Fraktion setzt auf gemeinsame europäische Lösungen und
auf transparente Abwägungsprozesse, während der rot-
grünen Koalition nichts anderes übrig bleibt, als weiter im
Dunkeln zu munkeln.
Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Vor genau einem Jahr führten wir innerhalb der
rot-grünen Koalition eine recht heftige Debatte über den
berühmt-berüchtigten Testpanzer Leo 2 für die Türkei.
Dieser Streit hatte ein konstruktives Ergebnis: die neuge-
fassten Rüstungsexportrichtlinien. Wie Sie wissen, wur-
den die alten politischen Grundsätze der Bundesregierung
generalüberholt und deutlich verbessert in Richtung Men-
schenrechte, Nachhaltigkeit und verbindlichem Endver-
bleib.
In deutlichem Gegensatz zu den Richtlinien aus dem
Jahr 1982 hatten wir nicht die Absicht, die Ausfuhr von
Waffen weiter zu liberalisieren. Im Gegenteil: Zum ersten
Mal wurden die Rüstungsexportrichtlinien mit dem Ziel
einer Verschärfung überarbeitet. Natürlich: Pazifistische
Rüstungsexportlinien sähen anders aus. Aber: Ich finde,
wir haben eine vertretbare Kompromisslösung gefunden.
Insbesondere wenn ich mir vergegenwärtige, dass in den
neuen politischen Grundsätzen zum ersten Mal ein weit
reichendes Menschenrechtskriterium verankert werden
konnte.
Der Lage der Menschrechte im Empfängerland wird
jetzt bei der Prüfung von Rüstungsexportanträgen beson-
deres Gewicht beigemessen – und das nicht nur aufgrund
eigener Erkenntnisse, sondern auch basierend auf Berich-
ten der UNO, der OSZE, des Europarates oder internatio-
naler Menschenrechtsorganisationen. Wenn der Verdacht
besteht, dass die zu exportierenden Kriegswaffen zu in-
terner Repression missbraucht werden, erfolgt keine
Genehmigung. Und hierbei ist die allgemeine Lage der
Menschenrechte im Empfängerland ein entscheidendes
Prüfkriterium.
Diese Menschenrechtsklausel gilt für alle Staaten glei-
chermaßen, also auch für NATO-Partner und damit auch
für die Türkei – ein großer Verhandlungserfolg. Bundes-
kanzler Schröder hat anlässlich der Verabschiedung der
neuen politischen Grundsätze klargestellt, dass angesichts
der seit langem unhaltbaren Menschenrechtssituation in
der Türkei an einen Export der Leo 2-Panzer derzeit nicht
zu denken sei. Daran hat sich bis heute nichts verändert.
Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission eine
ernüchternde Bilanz über die Entwicklung in der Türkei
in den letzten zwölf Monaten vorgelegt und festgestellt,
dass es in der Türkei keine substanziellen Verbesserungen
gibt. Also wird es auch keine Panzerlieferungen geben
können. Denn die Lage der Menschenrechte ist beunruhi-
gend. Folter ist nach wie vor weit verbreitet. Weiterhin
werden Todesurteile ausgesprochen, wenn auch nicht
vollstreckt. Die Situation der kurdischen Bevölkerung hat
sich, was ihre sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Rechte angeht, ebenfalls nicht zum Besseren entwickelt.
Und das Militär wird nach wie vor nicht zivil kontrolliert.
Enttäuscht über den Kommissionsbericht dürften in
Deutschland nicht nur diejenigen sein, die sich erhofft
hatten, bei einem positiveren Bericht leichter Menschen
in die Türkei abschieben zu können. Auch die Rüstungs-
industrie, die sich neue Aufträge versprach, wird es nun-
mehr schwerer haben – und das ist gut so.
Eine zentrale Frage konnte bei der Neufassung der Rüs-
tungsexport-Richtlinien allerdings nicht gelöst werden,
nämlich das Erfordernis größerer Transparenz und parla-
mentarischer Kontrolle. Hierzu zwei Punkte: Die Bun-
desregierung hat zwar einen Rüstungsexportbericht vor-
gelegt, in dem das Bemühen deutlich erkennbar wird,
über das hinauszugehen, was andere Staaten bereit sind zu
offenbaren. Aber dennoch – Hand auf Herz – dieser Be-
richt enthält kaum Angaben, die nicht über Pressebe-
richte, parlamentarische Anfragen oder über die Fach-
presse bereits bekannt sind.
Ich meine, es gibt hier deutliche Verbesserungsmög-
lichkeiten. Lassen Sie mich dies kurz illustrieren: Im ver-
gangenen Jahr wurden lediglich 85 Anfragen für Rüs-
tungsexporte im Wert von zusammen 10 Millionen DM
abgelehnt. Das klingt bescheiden, wenn ich lese, dass
gleichzeitig Ausfuhren in Höhe von 6,5 Milliarden DM
bewilligt wurden. Das Bundeswirtschaftsministerium
sagt nun: Ja, man müsse berücksichtigen, in wie vielen
Fällen Exportvorhaben nach einer negativ beschiedenen
Voranfrage beerdigt worden seien. Nun frage ich mich:
Warum fehlen im Bericht Angaben über diese abgelehn-
ten Voranfragen? Hieran könnte man doch die restriktive
Haltung der Bundesregierung besser veranschaulichen,
als an den bescheidenen 10 Millionen DM, die schlus-
sendlich vom BSR abgelehnt worden sind.
Ergänzungen für den Rüstungsexportbericht fallen mir
viele ein: So müsste dieser doch Auskunft über bewilligte
oder in Anspruch genommene Hermes-Kredite für Waf-
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fenausfuhren geben. Es fehlt eine Übersicht über interna-
tionale Rüstungskooperationsprogramme mit deutscher
Beteiligung – ein Aspekt von wachsender Bedeutung, wie
mir im Zuge der Verhandlungen über die neuen politischen
Grundsätze klar wurde. Auch gehören Verstöße gegen Ex-
portbestimmungen, zum Beispiel über den Endverbleib
exportierter Kriegswaffen, in einen Rüstungsexportbe-
richt. Ich bin gespannt, welche Vorschläge noch in den
Ausschüssen vorgebracht werden.
Der zweite Aspekt der nicht gelösten Transparenzfrage
bei Rüstungsexporten betrifft die Frage der parlamentari-
schen Kontrolle. Über Rüstungsexporte sollte meines Er-
achtens nicht allein in klandestinen, nicht kontrollierbaren
Runden – wie dem Bundessicherheitsrat – beraten wer-
den. Hier muss Öffentlichkeit geschaffen werden. Wir
brauchen eine parlamentarischen Kontrolle, die einem
Vergleich mit Schweden oder den USA standhält. Ich
finde, dass die PDS hier einen ernst zu nehmenden Vor-
schlag unterbreitet hat.
Ich habe heute der Vernehmung der Herren Max Strauß
und Erich Riedl im Untersuchungsausschuss beiwohnen
dürfen. Derzeit bemühen wir uns dort ja bekanntlich um die
Aufklärung des Panzer-Deals mit Saudi-Arabien. Nach elf
Monaten intensiver Erlebnisse in den Sitzungen des Aus-
schusses ist eine Erkenntnis meiner Meinung nach unaus-
weichlich: Wenn wir Waffenhändlern und Schmiergeldjä-
gern, wie den Herren Schreiber, Holzer, Pfahls und Max
Strauß wirklich das Handwerk legen wollen, dann kommen
wir an der Einrichtung eines parlamentarischen Überwa-
chungsgremiums für Rüstungsexporte nicht vorbei.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: I. Mit dem Rüs-
tungsexportbericht 1999 wird von der Bundesregierung
dem Deutschen Bundestag erstmalig eine detaillierte Auf-
schlüsselung der Rüstungsexporte des Vorjahres vorge-
legt. Der Rüstungsexportbericht beruht auf einer Zusage
in der Koalitionsvereinbarung und in den neuen, im Ja-
nuar 2000 verabschiedeten rüstungsexportpolitischen
Grundsätzen. Sein Ziel ist die Verbesserung der Transpa-
renz unserer Rüstungsexportpolitik. Der Bericht geht
hierbei so weit, wie wir unter Wahrung der Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen ge-
hen können. Dabei müssen wir auch die Kooperations-
fähigkeit unserer Unternehmen in einer immer stärker zu-
sammenwachsenden europäischen Rüstungswirtschaft
beachten.
Die Bundesregierung hat mit dem Rüstungsexport-
bericht einen guten Ausgleich zwischen dem Transpa-
renzinteresse einerseits und dem Vertraulichkeitsgebot
andererseits gefunden. Bei der Transparenz von Rüs-
tungsexporten stehen wir mit diesem Bericht auch im in-
ternationalen Vergleich sicherlich mit in der ersten Reihe.
II. Lassen Sie mich die wesentlichen Ergebnisse des
Rüstungsexportberichts 1999 kurz zusammenfassen:
Erstens. Die Zahlen belegen, dass Rüstungsexporte,
das heißt die Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern, nur einen unwesentlichen Teil an den
deutschen Gesamtausfuhren ausmachen, auf den aus si-
cherheitspolitischen Erwägungen aber auch nicht ver-
zichtet werden kann. So lag der Anteil des Ausfuhrge-
nehmigungsvolumens an den Gesamtausfuhren 1999 bei
0,7 Prozent, nur auf Kriegswaffen bezogen liegt das Ver-
hältnis bei 0,3 Prozent.
Zweitens. Der Genehmigungswert für Rüstungsgüter
ist 1999 auf 5,9 Milliarden DM angestiegen und liegt
damit um 10 Prozent über dem des Vorjahres. Dieser An-
stieg ist auf Sonderfaktoren zurückzuführen, insbeson-
dere auf den Abbau eines Bearbeitungsstaus.
Drittens. Aufschlussreich ist auch, dass rund drei
Viertel unserer Rüstungsexportgenehmigungen für EU/
NATO-Länder und gleichgestellte Länder ausgestellt
wurden, bei denen Rüstungsexporte grundsätzlich nicht
zu beschränken sind. Nur ein Viertel des Genehmigungs-
volumens entfiel auf sogenannte Drittstaaten. Die Geneh-
migungen für diese Staaten werden in dem Bericht nicht
nur nach einzelnen Ländern, sondern auch nach Ausfuhr-
listenpositionen weiter aufgeschlüsselt.
Viertens. Wichtigstes Empfängerland von deutschen
Rüstungsexporten – ich spreche jetzt von tatsächlichen
Ausfuhren – war 1999 die Türkei, gefolgt von den USA
und Italien. Die Türkei ist unter dem Gesichtspunkt der
Beachtung der Menschenrechte als Empfängerland von
Rüstungsgütern schwierig, sie ist aber auch ein wichtiger
NATO-Partner in einer insgesamt unruhigen Region. Des-
wegen prüft die Bundesregierung alle Rüstungsexporte in
die Türkei im Einzelfall sehr sorgfältig. Die Ausfuhren
betrafen deshalb zu 98 Prozent auch Lieferungen im Ma-
rinesektor der Türkei.
III. Ich sagte schon, dass wir mit diesem Bericht in Be-
zug auf Transparenz von Rüstungsexporten so weit gehen,
wie wir unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsge-
heimnisse der betroffenen Unternehmen gehen können.
Außerdem beantwortet die Bundesregierung zahlreiche
Anfragen zu Rüstungsexporten aus dem Parlament, wobei
es allerdings auch hier rechtliche Grenzen gibt. Schließ-
lich legen wir den Bundestagsausschüssen für Wirtschaft,
Auswärtiges und Haushalt zusätzlich jährliche Angaben
über die Ausfuhrgenehmigungen von Dual-use-Gütern
vor.
Zusammenfassend glaube ich, dass die Bundesregie-
rung die Transparenz von Rüstungsexporten wesentlich
verbessert hat.
IV. Im PDS-Antrag „Transparenz und parlamenta-
rische Kontrolle bei Rüstungsexporten“ geht es weder um
Transparenz noch um Kontrolle aufgrund nachträglicher
Unterrichtung. Worum es geht, ist die Mitsprache über
aktuelle Genehmigungsanträge. Eine solche Mitsprache
über aktuelle Einzelfälle des Rüstungsexports kann nach
Auffassung der Bundesregierung aber nicht eingeräumt
werden. Ein solches Mitspracherecht würde Kernkom-
petenzen der Regierung berühren.
V. Was den PDS-Antrag „Keine Lieferung von Panzern
und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei“
angeht, so wurde dieser in allen zuständigen Ausschüssen
beraten und abgelehnt.
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Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung
des Wirtschaftsplans des ERP-Sonderver-
mögens für das Jahr 2001 (ERP-Wirt-
schaftsplangesetz 2001);
– Antrag: ERP-Sondervermögen für Mittel-
standsförderung
(Tagesordnungspunkt 18 a und b)
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Der Gesetzent-
wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 weist, wie
auch im laufenden Jahr 2000, ein Gesamtvolumen an För-
derkrediten in Höhe von 11 Milliarden DM auf. Dieses Vo-
lumen scheint ausreichend bemessen, um den Finanzie-
rungsbedarf für Existenzgründer und die mittelständischen
Unternehmen abzudecken. Aber es ist nicht nur das Ge-
samtvolumen unverändert, auch die Aufteilung auf die ver-
schiedenen bewährten Programme wie das Aufbaupro-
gramm und die Regionale Wirtschaftsförderung, die
Eigenkapitalhilfe, Existenzgründungsdarlehen, Kapitalbe-
teiligungen und Bürgschaftsbanken, Ausbildungsplatzpro-
gramm und Innovationsprogramm sowie die Programme
für Umweltschutzmaßnahmen und Energieverwendung,
aber auch die Lieferungen in Entwicklungsländer sind weit-
gehend gleichgeblieben.
Die geplante Programmaufteilung ist wegen der gegen-
seitigen Deckungsfähigkeit unproblematisch; denn höhere
Beanspruchungen in ein Darlehensprogramm können bei
geringerer Nachfrage in anderen Programmen ausgegli-
chen werden. Darüber hinaus werden etwaige Überschrei-
tungen den zuständigen Parlamentsgremien ja auch unver-
züglich mitgeteilt.
So weit, so gut. Wäre es dabei im ERP-Wirtschafts-
plangesetz geblieben, könnten wir uns wie in nahezu al-
len vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten bei diesem
allseits in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – in den
neuen wie den alten Bundesländern – akzeptierten und als
zentralen Baustein der Finanzierung von Existenzgrün-
dern, kleinen und mittleren Unternehmen gewürdigten
Sondervermögen politisch zurücklehnen und eine im
Deutschen Bundestag sonst seltene Einmütigkeit über alle
Fraktionen hinweg demonstrieren.
Dieses Jahr ist das ersichtlich nicht der Fall, wie die
ausgiebigen Diskussionen im ERP-Unterausschuss bele-
gen. Die Gründe dafür sind zum einen der Verkauf der An-
teile des Bundes an der Deutschen Ausgleichsbank, an die
Kreditanstalt für Wiederaufbau und zum anderen die
Übernahme von Haftungsrisiken für Beteiligungen aus
dem bewährten BTU-Beteiligungsprogramm für kleine
Technologieunternehmen.
Beide Vorgänge haben erhebliche Bedenken, und zwar
parteiübergreifend, in den Reihen des Unterausschusses
„ERP-Rahmenpläne“ und im Wirtschaftsausschuss aus-
gelöst und nicht alle dieser Bedenken sind bisher aus-
geräumt oder auf dem Wege zu einer allseits akzeptierten
Lösung, wie ich als Vorsitzende des Unterausschusses
feststellen muss. Der Verkauf der DtAan die KfW löst Be-
fürchtungen aus, ob die Fortführung der DtA als selbst-
ständige Gründer- und Mittelstandsbank auch wirklich
garantiert sei und ob die Änderungen in der Eigentümer-
position nicht Programmverlagerungen zulasten der Aus-
gleichsbank bewirken werden.
Nach den verlässlichen Informationen des Bundesmi-
nisters für Wirtschaft und Technologie wird die Selbst-
ständigkeit der DtA voll gewahrt und ihr darüber hinaus
durch die Konzentration aller Mittelstandsprogramme aus
dem ERP-Sondervermögen ein bedeutendes Programm-
volumen zusätzlich zufließen. Dass nun konstruktive Ge-
spräche über die Sicherung der Synergie zwischen beiden
Häusern bei der Organisation im Informations- und Kom-
munikationsbereich sowie bei der Refinanzierung laufen,
ist notwendig und, angesichts des raschen Wandels auf
den internationalen Finanzmärkten, auch überfällig. Da-
mit wird auch der Kritik des Bundesrechnungshofs und
der aus den Reihen des Parlaments Rechnung getragen.
Auf beide öffentlichen Banken kommen zudem neue
und gewichtige Herausforderungen zu. Innovative Finan-
zierungsinstrumente werden in der Folge der absehbaren
Inhalte des Baseler Konsultationspapiers entstehen müs-
sen, um die Folgen für die Finanzierung der kleinen und
mittleren Unternehmen abzumildern bzw. neue Gestal-
tungsspielräume für jene Banken bzw. Finanzinstitutio-
nen zu gewinnen, die nur allzu leicht gesonnen sind, sich
aus dem Kreditgeschäft für kleine und mittlere Unterneh-
men oder gar Gründer zurückzuziehen. Die KfW hat in
der vergangenen Woche mir ihrem neuen Verbriefungsin-
strument dafür ein erstes erfolgreiches Beispiel gegeben.
Der Zuschlag des Verkaufserlöses des Bundeswirt-
schaftsministeriums aus dem Verkauf der DtAwird außer-
dem helfen, die Finanzierungsprobleme des ERP-
Sondervermögens aus der Übernahme des BTU-Be-
teiligungsprogramms für kleine Technologieunternehmen
zu lösen.
Allerdings werden die Zinserträge aus diesem Vermö-
gen auf keinen Fall ausreichen, den gesetzlich vorgeschrie-
benen Substanzerhalt des Sondervermögens zu sichern.
Deswegen ist es unerlässlich, dass die ERP-Rücklage der
KfW so schnell wie möglich dem ERP zugeschlagen wird,
um eventuelle Ausfälle, mit denen in Höhen von 30 Prozent
gerechnet wird, abzusichern.
Ich möchte als Unterausschussvorsitzende deutlich
machen, dass der Unterausschuss mit Sorge die zu-
nehmende Übertragung von Haftungsrisiken an das ERP-
Sondervermögen sieht. Auch wenn das Vermögen auf
den ersten Blick achtungsgebietend aussieht, so war sein
bisheriger realer Substanzerhalt doch der Tatsache zu ver-
danken, dass er als revolvierender Fonds nahezu keine Ri-
siken trug – diese lagen und liegen bei den Hausbanken –,
sondern die für kleine und mittlere Unternehmen höheren
Marktzinsen „heruntersubventionierte“. Eine Ausnahme
bildeten nur die speziellen Programme in den neuen Bun-
desländern, wo nach der deutschen Einheit wegen fehlen-
den Eigenkapitals und sonstiger Sicherheiten eine teil-
weise Übernahme des Risikos unvermeidlich war, wollte
man die Banken überhaupt zum Engagement bewegen.
Mit der Übernahme des Eigenkapitalhilfeprogramms
in das ERP-Sondervermögen wurde dieses Prinzip durch-
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brochen. Ein wirtschaftspolitischer Sündenfall zulasten
der Mittelstandskredite, wie ich heute bemerke, im Ver-
trauen auf die schriftliche Zusage des damaligen Bundes-
finanzministers Dr. Theodor Waigel an den damaligen
Bundeswirtschaftsminister Dr. Günter Rexrodt, die Aus-
fälle für das EKH aus dem Bundeshaushalt zu ersetzen.
Ein Jahr später war das heilige Versprechen Dr. Waigels
Makulatur. Zwar werden die Altfälle des Eigenkapitalhil-
feprogramms noch vom Bundesfinanzminister ersetzt
– wenigstens teilweise –, aber die neuen Risiken müssen
vom ERP-Sondervermögen getragen werden. Und diese
Ausfälle summieren sich – hier ist man natürlich auf mehr
oder weniger zutreffende Schätzungen angewiesen – auf
immerhin mindestens 550 Millionen DM pro Jahr. Beim
BTU-Programm werden circa 110 Millionen DM als ver-
mutete Ausfälle eingesetzt.
Und hier sind wir bei einem grundsätzlichen Problem:
Das kleine ERP-Sondervermögen reagiert bei seiner jet-
zigen Höhe natürlich empfindlicher als der große Bun-
deshaushalt auf solche Ausfälle, von denen niemand die
exakte Höhe voraussagen kann. Beim Eigenkapitalhilfe-
programm hat man sich bei den so genannten Altfällen ja
auch mehrfach kräftig verschätzt. Deswegen ist es selbst-
verständlich, dass wir Wirtschaftspolitiker einstimmig
eine volle Information des Parlaments über die jeweilige
Risikolage und denkbare Risikoprognosen erwarten. Die
bisherige kameralistische Buchführung des ERP-Sonder-
vermögen-Gesetzes reicht gewiss nicht aus.
Wir haben deswegen mit dem Bundeswirtschafts- und
dem Bundesfinanzministerium vereinbart, dass sie dem
Parlament demnächst Vorschläge unterbreiten, über die
der Bundestag regelmäßig jährlich nach der Verabschie-
dung des Gesetzes informiert wird und falls durch Ände-
rung der Risiken erforderlich, auch häufiger.
Den Änderungen auf den internationalen Finanzmärk-
ten mit ihrer Fülle von neuen Finanzierungsinstrumenten,
insbesondere den Handel von Risiken, muss auch das öf-
fentliche Finanzwesen Rechnung tragen. Eine bloße Fuß-
note im Gesetz und eine nachträgliche Mitteilung über lei-
der eingetretene Risiken ist sicher zu wenig. Die Neigung,
Risiken in andere Legislaturperioden zu verschieben,
nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ ist für viele
nur zu verführerisch. Ein verantwortliches Parlament
muss deswegen dafür sorgen, dass das öffentliche Kon-
trolling der neuen Problemlage auch gewachsen ist.
Ich glaube nach der letzten Unterausschusssitzung,
dass unser aller Botschaft angekommen ist, und plädiere
deswegen für eine Annahme des Gesetzes in der vorlie-
genden Fassung. Eine Verweigerung durch die CDU/CSU
sowie die F.D.P. hielte ich für nicht gerechtfertigt: Denn
dem Sündenfall der Risikoübernahme des EKH-Pro-
gramms ohne jeden Ausgleich für das ERP-Sonderver-
mögen haben Dr. Waigel und Dr. Rexrodt begangen: Den
Apfel zu essen und die Hässlichkeit des Apfelkitsches zu
beklagen passt nicht ganz zusammen.
Ich darf als Unterausschussvorsitzende allen Kollegin-
nen und Kollegen im Unterausschuss für ihre zuverläs-
sige, offene und kooperative Mitarbeit danken. Es ist
schön, dass es jenseits aller notwendiger politischen Aus-
einandersetzung noch so viel Bereitschaft zum gemeinsa-
men Lernen und Handeln wie etwa bei unseren Potsdamer
Gesprächen gibt.
Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):Das ERP-Sondervermö-
gen ist ein wertvoller Schatz unseres Landes, mit dem wir
pfleglich umgehen müssen. Über den in Zahlen aus-
drückbaren Wert hinaus – der Vermögensbestand beträgt
rund 24 Milliarden DM – hat das ERP-Sondervermögen
auch einen immateriellen Wert, der sich aus seiner Ge-
schichte ergibt: als beispiellose und bewundernswerte
Wiederaufbauhilfe einer Siegernation für den ehemaligen
Kriegsgegner. Es ist deshalb nicht nur unsere juristische,
sondern auch unsere moralische Pflicht, den berühmten
§ 5 des ERP-Verwaltungsgesetzes von 1953 zu respektie-
ren, der uns verpflichtet, das Sondervermögen in seinem
Bestand zu erhalten. Das war bislang stets partei- und
fraktionsübergreifender Konsens und ist es hoffentlich
immer noch.
Es ist normal und folgerichtig, dass sich die Funktion
des ERP-Sondervermögens über die Jahre und Jahrzehnte
hinweg gewandelt hat. Ging es in der Nachkriegszeit um
den Wiederaufbau der wichtigsten Industrien sowie der
Infrastruktur, steht heute, 55 Jahre nach Kriegsende, die
Mittelstandsförderung eindeutig im Vordergrund. Das be-
deutet aber nicht, dass das ERP-Sondervermögen die ge-
samte Mittelstandsförderung allein schultern kann, auch
wenn das der Finanzminister gern sähe.
Der vorliegende Entwurf des ERP-Wirtschaftsplan-
gesetzes 2001 enthält ein Zahlenwerk, das die Beamten
des Wirtschaftsministeriums sorgfältig zusammengestellt
haben und an dem nichts auszusetzen ist. Das Kardinal-
problem dieses Gesetzentwurfes ist indes in § 5 Abs. 1
versteckt: Die Gewährleistungsermächtigung für das
Bundeswirtschaftsministerium wird von 450 Millionen DM
auf künftig 1,65 Milliarden DM fast vervierfacht. Der
Grund liegt in der Haftungsübernahme für das BTU-Pro-
gramm der DtA, mit dem kleinen Technologieunterneh-
men Beteiligungskapital zur Verfügung gestellt wird. Die
Haftung lag bislang beim Bund und hatte mit dem ERP-
Sondervermögen nichts zu tun.
Zweifellos ist das BTU-Programm ein schönes und
sinnvolles Programm, das zukunftweisende Existenz-
gründungen unterstützt und vielfach erst ermöglicht. Aber
es ist mit Risiken für den Beteiligungsgeber verbunden.
Das Bundeswirtschaftsministerium selbst geht von einer
Ausfallquote von 30 Prozent aus. Die Bewilligungen wei-
sen eine stark steigende Tendenz auf: Wurden im ge-
samten Jahr 1999 237 Anträge mit einem Volumen von
153 Millionen Euro bewilligt, so waren es allein von
Januar bis September 2000 schon 295 Anträge mit einem
Volumen von 232 Millionen Euro. Dazu kommt, dass die
von der Regierungskoalition durchgesetzte Unterneh-
mensteuerreform die steuerlichen Rahmenbedingungen
für privates Beteiligungskapital ab dem kommenden Jahr
drastisch verschlechtert. Dadurch wird die Nachfrage
beim BTU-Programm weiter steigen.
Interessant ist nun, was die Regierung zur Abdeckung
dieser neuen Haftungsrisiken vorschlägt. Da wird zum ei-
nen die so genannte ERP-Rücklage in der KfW-Bilanz
herangezogen. Wenn das so einfach geht, ist die Frage er-
laubt, warum diese Rücklage nicht schon früher zur Mit-
telstandsförderung eingesetzt wurde. Zum anderen aber
– und das ist noch viel interessanter – soll der Kaufpreis,
den das ERP-Sondervermögen als DtA-Anteilseigner für
den Verkauf der DtA von der KfW erhält, für die BTU-
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Absicherung herhalten. Hier werden fröhlich die Erlöse
eines Geschäfts verplant, das noch gar nicht stattgefunden
hat.
Die Verlagerung des BTU-Programms vom Bund auf
das ERP-Sondervermögen wirft ein ganz neues Licht auf
den von der Bundesregierung beabsichtigten Verkauf der
DtA an die KfW. Für diese Transaktion führt die Bundes-
regierung wohlklingend Gründe an. Sie redet davon, dass
Synergieeffekte erzielt werden sollen, indem parallele
Strukturen bei DtA und KfW abgebaut werden. Und sie
redet davon, dass das Förderangebot für die mittelständi-
schen Unternehmen durch die Zusammenführung über-
sichtlicher werden soll. Das hört sich alles gut an. Aber
diese löblichen Motive scheinen nur vorgeschoben zu
sein. In Wirklichkeit ist der DtA-Verkauf allein dazu da,
3 Milliarden DM – so viel ist die DtA ungefähr wert – in
die Staatskasse zu spülen.
Der auf den Bundeshaushalt entfallende Teil des Ver-
kaufserlöses ist für die Mittelstandsförderung ohnehin
verloren – das hat uns Herr Staatssekretär Oberhaus im
Unterausschuss unmissverständlich klar gemacht. Aber
auch der Teil des Kaufpreises, der dem ERP-Sonderver-
mögen zusteht, entlastet mittelbar den Bundeshaushalt.
Das ERP-Sondervermögen muss das Geld für die BTU-
Haftungsrisiken einsetzen, die der Finanzminister nicht
mehr tragen will. Mit dem § 5 Abs. 1 des Gesetzentwurfs,
den wir heute beraten, soll diese Risikoverschiebung er-
möglicht werden. Deshalb können wir den Entwurf nicht
gutheißen.
Wir meinen: Wenn die Zusammenführung von DtA
und KfWwirklich etwas für den Mittelstand bringen soll,
dann müssen die Verkaufserlöse vollständig der Mittel-
standsförderung zur Verfügung gestellt werden. Dazu
gehört auch, dass der Bundesfinanzminister die Haftung
für das risikobehaftete BTU-Programm nicht in das ERP-
Sondervermögen „abdrückt“. Das Schlimmste ist jedoch:
Wir sollen als Parlamentarier die Haftungsübernahme für
das BTU-Programm durch das ERP-Sondervermögen ak-
zeptieren, ohne dass feststeht, dass die Finanzierungs-
konstruktion der Bundesregierung überhaupt funktio-
niert. Was ist, wenn der Verkauf der DtA an die KfW
scheitert, weil zum Beispiel die bankrechtlichen Pro-
bleme nicht gelöst werden können? Was ist, wenn für die
DtA ein wesentlich geringerer Wert ermittelt wird, als ihn
das Wirtschaftsministerium derzeit annimmt? Was ist,
wenn das Ausfallrisiko höher als angenommen ist und
wenn mehr Beteiligungszusagen gegeben werden als der-
zeit absehbar? In allen drei Fällen wäre das Ergebnis, dass
die Risiken nicht ausreichend abgesichert sind.
Wir in der CDU/CSU-Fraktion nehmen das seit 1953
geltende Substanzerhaltungsgebot ernst. Das Erbe von
George Marshall ist uns zu schade dafür, dass es Herr
Minister Eichel dafür hernimmt, um seinen Ruhm als
Konsolidierungskünstler zu vermehren. Wir halten die
Übernahme des BTU-Programms durch das ERP-Sonder-
vermögen für unverantwortlich. Wir lehnen diesen Ent-
wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 daher ab.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aus
der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist der vorliegende
Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens ein wichtiger
Einzelhaushalt – hat er doch wichtigen Einfluss auf Mit-
telstandsförderung, Existenzgründungen und – aus bünd-
nisgrüner Sicht besonders wichtig – auch auf Darlehen im
Bereich des Umweltschutzes. Gerade in diesem Bereich
hat die ERP-Förderung vor allem auch im Osten in den
letzten Jahren hervorragendes geleistet. Diese erfolgrei-
che Arbeit gilt es fortzusetzen.
Hinsichtlich des Gesamtfördervolumens sieht der Ent-
wurf des ERP-Wirtschaftsplangesetzes 2001 das gleiche
Volumen wie das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2000 vor.
Innerhalb der einzelnen Ansätze erfolgten leichte Ände-
rungen, mit einer geringfügigen Anhebung zugunsten des
ERP-Umweltprogramms auf 2 150 Millionen DM. Diese
Anhebung darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass
Bündnis 90/Die Grünen gerne eine Mittelausstattung von
2,3 Milliarden DM gesehen hätten. Die Etatisierung von
2,15 Mrd. DM darf nicht als Präjudiz für Prioritäten im
Rahmen künftiger Wirtschaftspläne verstanden werden.
Im Gegenteil wird Bündnis 90/Die Grünen den Mittelab-
fluss genau beobachten und in den kommenden Jahren ge-
gebenenfalls eine Mittelaufstockung einfordern.
Mit dem BMWi besteht Einvernehmen darüber, dass
das ERP-Sondervermögen in der Bewirtschaftungspraxis
Mittel und Wege finden wird, um einem eventuell höhe-
ren Finanzbedarf für ERP-Umweltdarlehen Rechnung zu
tragen. Insoweit ergeben sich aus den Ansätzen für 2001
keine Präjudizien für die Folgejahre.
Das Wirtschaftsplangesetz 2001 steht somit auf soli-
dem Fundament und findet damit die Zustimmung meiner
Fraktion.
Kommen wir nun zur Veräußerung der Anteile der
Deutschen Ausgleichsbank (DtA) an die Kreditanstalt für
Wiederaufbau (KfW). Die bündnisgrüne Fraktion trägt
diese Veräußerung mit, da sie zur Straffung und Effizi-
enzsteigerung der ERP-Darlehen beiträgt. Aus Sicht mei-
ner Fraktion ist es daher wichtig, im Bereich der erfolg-
reichen Umweltdarlehen, die von der DtA bearbeitet
wurden, eine vernünftige Übergangslösung ohne Brüche
zu schaffen. Daher soll, wie im Kabinettbeschluss vom
21. Juni 2000 vorgesehen, bei der Geschäftsfeldabgren-
zung zwischen KfW und DtA die Abwicklung der Um-
weltförderung im Wege der Geschäftsbesorgung durch
die DtA für die KfW erfolgen. Dabei sind aus Sicht der
bündnisgrünen Fraktion in dem noch abzuschließenden
Vertrag zwischen KfW und DtA sowie gegebenenfalls in
einer vertraglichen Vereinbarung des Bundes mit der KfW
folgende Eckpunkte wichtig und zu regeln: Die bestehen-
den Umweltprogramme der DtA (ERP-Umwelt- und
Energiesparprogramm, DtA-Umweltprogramm) sowie
das Umweltbürgschaftsprogramm werden im Zuge der
Geschäftsbesorgung von der DtA im Auftrag der KfW
wahrgenommen, wobei die bisherige Finanz- und Perso-
nalausstattung sowie Verfahrensgestaltung unberührt
bleiben und die vertragliche Regelung der Zustimmung
des BMU bedarf. Die bisher im Wege von Mandatarver-
trägen mit dem BMU von der DtA abgewickelten Pro-
gramme „Pilotprojekte Inland“ und „Pilotprojekte
Ausland“ werden entsprechend den bestehenden vertrag-
lichen Regelungen und Verfahren von der DtA weiterge-
führt. Eine Übernahme dieser Programme durch die KfW
erfolgt mit der Zustimmung des BMU und wenn sicher-
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gestellt ist, dass mit der Abwicklung erfahrenes Personal
betraut wird, das die Vorgaben des BMU kennt und um-
setzt, und mindestens die gleichen Konditionen, die der-
zeit mit der DtA vereinbart sind bzw. regelmäßig verein-
bart werden, gewährleistet sind. Die DtA reicht die
Förderung im eigenen Namen für Rechnung der KfW aus.
Soweit das bisherige DtA-Umweltprogramm im Rahmen
des KfW-Umweltprogramms fortgeführt wird, werden
die hierzu erforderlichen zusätzlichen Mittel entspre-
chend der bisherigen Praxis bedarfsgerecht mindestens zu
den bisherigen Konditionen bereitgestellt.
Das zum Umweitschutzbürgschaftsprogramm vorlie-
gende konkrete Konzept zur Umgestaltung zu einem Be-
teiligungsprogramm wird umgesetzt. Eine Umstellung
der Umweltförderung erfolgt erst auf der Grundlage eines
detaillierten „Überleitungs-Konzeptes“ der KfW zu den
finanziellen, personellen, organisatorischen und verfah-
rensmäßigen Auswirkungen mit der Zustimmung des
BMU.
Wir sind uns sicher, dass mit der Umsetzung dieser
Eckpunkte die erfolgreiche Arbeit der DtA im Bereich der
Umweltprogramme problemlos und ohne Umstellungs-
brüche erfolgen wird. Einer erfolgreichen Finanzierung
der ERP-Darlehen im Bereich des Umweltschutzes steht
auch aus unserer Sicht mit der Übernahme der DtA-An-
teile durch die KfWnichts mehr im Wege. Damit kann das
für die Wirtschaft so wichtige ERP-Sondervermögen wei-
terhin seine Unterstützung für den Mittelstand entfalten.
Für Bündnis 90/Die Grünen eine unverzichtbare Stütze
für eine funktionierende Wirtschaft.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Der Wirtschaftsplan des ERP-
Sondervermögens für das Jahr 2001 weist etliche Risiken
und Unwägbarkeiten auf. Bei gleich bleibenden Mitteln
von circa 13,5 Milliarden DM stellt sich die Frage nach
dem nötigen Kapitalstock für die Mittelstandsförderung,
wenn andererseits neue Risiken aufkommen. Solche Risi-
ken bestehen durch die Verlagerung des Eigenhilfepro-
gramms – EKH – und des Beteiligungskapitals für kleine
Technologieunternehmen – BTU – vom Bundeshaushalt
in das ERP-Sondervermögen.
Besonders beim BTU-Programm ergeben sich viele
Risiken und Fragen wie diese: Weshalb will die Bundes-
regierung die Förderung von High-Tech-Unternehmen für
die nächsten zehn Jahre einfrieren? Diese Frage ist umso
unverständlicher vor dem Hintergrund, dass Deutschland
im internationalen Vergleich Nachholbedarf bei der Grün-
dung von innovativen Unternehmen hat. Gleiches gilt
auch für den Venture-Capital-Markt.
Die Risikoverteilung im BTU-Programm zwischen
dem Bund einerseits und der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau KfW, bzw. der Deutschen Ausgleichsbank, DtA, an-
dererseits ist in den vergangenen Jahren schon einseitig
zulasten der Hauptleihinstitute verschoben worden. Nun
liegt die Frage nahe, ob mit einer weiteren Reduzierung
des Risikoanteils des Bundes zu rechnen ist. Zwangsläu-
fig würde das zu einer Verschlechterung der Förderkondi-
tionen bei KfW und DtA führen.
Davon abgesehen erwarte ich durch den im Bundeska-
binett beschlossenen Verkauf der Deutschen Ausgleichs-
bank an die Kreditanstalt für Wiederaufbau schlechte
Zeiten für den Fortbestand einer zielgerichteten Mittel-
standsförderung. Ich bin überzeugt: Die DtA wird zur
Hauptabteilung der KfW werden, deren Konzernstruktu-
ren nicht zum Charakter einer Mittelstandsbank wie der
DtA passen. Konzernrechnungslegung und -Audit sowie
das Controlling der KfW werden zwangsläufig dazu
führen, dass die vielen kleinen Förderleistungen und vor
allem Beratungsstrukturen der DtA nicht mehr lange Luft
zum Atmen behalten.
Die behaupteten positiven Synergieeffekte aus der Zu-
sammenführung von DtA und KfW erscheinen in diesem
Licht kurz- bis mittelfristig äußerst zweifelhaft. Unzwei-
felhaft ist dagegen, dass der Finanzminister primär von
diesem „Deal“ profitieren wird.
Rolf Kutzmutz (PDS): Eine neue Kultur der Selbst-
ständigkeit, eine Gründeroffensive, Wirtschaftswachstum
und mehr Arbeitsplätze durch Innovation vor allem in jun-
gen Unternehmen – das sind die Schlagworte, mit denen
die Bundesregierung ihre angeblich erfolgreiche Politik
beschwört. Die Tatsachen in der Wirtschaftsförderung
sprechen jedoch eine andere Sprache: Teils bricht sie ein,
teils bekommt die Regierung Angst vor dem Erfolg, weil
er ihr zu teuer wird.
Der massive Rückgang der Zahl der Zusagen insbe-
sondere bei der Eigenkapitalhilfe, aber auch den anderen
Mittelstandsprogrammen des ERP in diesem Jahr werden
auch von Regierung und Koalition nicht bestritten. Die
von ihnen dafür in diversen Ausschussberatungen angebo-
tenen Erklärungsmuster – von vorjähriger großer Nach-
frage wegen steigenden Zinserwartungen über eine „Kon-
solidierung“ des Gründungsgeschehens in Ost und West,
wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, bis hin zur
vergleichsweise guten Liquiditätssituation von Mittel-
ständlern – bleiben jedoch fragwürdig. Zum einen spre-
chen eigentlich bekanntlich alle Wirtschaftsdaten gegen
einen sinkenden Förderbedarf. So lagen auch die preisbe-
reinigten nicht staatlichen Ausrüstungsinvestitionen 1999
nach wie vor unter jenen von 1991! Zum anderen handelt
es sich bei den Rückgängen keineswegs um einen kurzfris-
tigen Trend.
Ich habe einmal die Zusagen der ersten neun Monate
dieses Jahres nicht nur mit jenen im Vorjahreszeitraum,
sondern auch mit denen von 1998 verglichen: Die Eigen-
kapitalhilfe Ost sackte seitdem auf die Hälfte, die übrigen
Zusagen an ostdeutsche Mittelständler um fast 30 Prozent
ab. In Westdeutschland gab es knapp ein Drittel weniger
Eigenkapitalhilfe und mehr als ein Fünftel weniger sons-
tige Zusagen. Nur die Umweltförderung im Westen
scheint – bei starken Schwankungen – zu wachsen. Ost-
deutschen Mittelständlern fehlt aber offensichtlich trotz
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes das Geld für den Ei-
genanteil an Umweltschutzinvestitionen. Hier geht es kon-
tinuierlich bergab, auf mittlerweile nur noch 57 Prozent
des vor zwei Jahren, also noch unter Kanzler Kohl, er-
reichten Zusagenniveaus!
Neben den allgemeinen wirtschafts- und steuerpoliti-
schen Rahmenbedingungen für Existenzgründer und
Kleinunternehmen insbesondere in Ostdeutschland müs-
sen wir uns also möglicherweise auch einmal über die
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Ausgestaltung der Darlehensförderkulisse unterhalten:
Was muss an den Angeboten verändert werden, damit sie
wieder zu mehr Arbeitsplätzen beitragen?
Davor muss aber seitens der Regierung erst einmal ein
schlimmer Verdacht ausgeräumt werden: den einer rigi-
den, hinter die offiziellen Förderkriterien zurückfallenden
Bewilligungspraxis, um nicht die bereits bestehenden Ri-
siken für den ERP-Haushalt zu vergrößern und ihn in den
mittelfristigen Finanzplanungen weiter zurückfahren zu
können, also den einer Mittelstandsförderung allein nach
vermeintlicher Kassenlage statt nach primär volkswirt-
schaftlichen Erfordernissen. Denn wo man bei den Ver-
antwortlichen auch nachfragt, überall wird über die an-
geblich unerwarteten Mehrkosten der ab 1997 ins
ERP-Vermögen verlagerten Eigenkapitalhilfe geklagt.
Konkrete Zahlen rückt die Regierung aber bis jetzt
nicht heraus. Selbst in einer heute zugegangenen Antwort
verdunkelt sie noch mehr, als sie erhellt: Einerseits ver-
meldet sie ohne Zahlenangaben tatsächliche Kosten etwas
unter Vorkalkulation; andererseits spricht sie von einer
dauerhaften Kalkulation von 2 Milliarden DM Eigenka-
pitalhilfe pro Jahr. 1999 wurden aber nur knapp 1,5 Mil-
liarden DM gewährt! Entweder das Finanzierungspro-
blem besteht nicht, dann stellt sich die Frage nach
Defiziten in der Förderkulisse umso schärfer. Oder aber
das Problem ist so groß, dass man neuen Risiken von För-
derprogrammen in diesem Vermögen nicht zustimmen
kann, wenn es einem mit Mittelstandsförderung wirklich
ernst ist.
Ich meine die Kosten für Beteiligungskapital an klei-
nen Technologieunternehmen, die mit dem neuen Wirt-
schaftsplan aus dem Bundeshaushalt in das ERP-Vermö-
gen verlagert werden sollen. Offensichtlich hat hier die
Bundesregierung Angst vor dem politischen Erfolg be-
kommen. Die Förderung wird nicht nur gut angenommen,
sie stützt auch vergleichsweise viele und zukunftsträch-
tige Arbeitsplätze. Das mit diesem Programm mobilisierte
Kapital stieg von knapp 300Millionen 1996 auf fast
1,5Milliarden DM im vergangenen Jahr. Mit dem Volu-
men wuchsen aber auch die Ausfallrisiken: In den beiden
vergangenen Jahren wurden 175 Millionen DM fällig.
Noch wesentlich höhere Beträge mussten schon für die
bis jetzt gewährte Förderung für die nächsten Jahre ein-
geplant werden.
Eine Verlagerung in das ERP-Vermögen darf aber we-
der dessen traditionelle Aufgaben beschränken – über die
Instrumente dazu sollte man, wie gesagt, weiter nachden-
ken –, noch die zukunftsträchtige Beteiligungsförderung
abwürgen. In diesem Zusammenhang muss ich die Regie-
rung schließlich an ihre löbliche Selbstverpflichtung von
Anfang 1999 erinnern: Bis zum Ende der Wahlperiode
wollte sie jährlich 4 Milliarden DM Kapital mobilisieren.
Zur Halbzeit wurde aber erst etwa die Hälfte erreicht.
Nicht weniger Fördervolumen, sondern mehr tut Not,
wenn Innovationen auch tatsächlich in Wertschöpfung
und damit in Arbeitsplätze münden sollen. Mit dem vor-
liegenden Antrag unterbreitet die PDS-Fraktion praktika-
ble Angebote zur Auflösung dieses Dilemmas.
Wir sollten in den nächsten Wochen über die beste Lö-
sung streiten, damit am Ende, wie in der Vergangenheit,
ein von allen Seiten dieses Hauses getragener Wirt-
schaftsplan im Rahmen dieser wichtigen Förderkulisse
steht.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Das ERP-Son-
dervermögen hat sich besonders in den letzten Jahren er-
folgreich zum zentralen Element der finanziellen
Mittelstandsförderung des Bundes entwickelt. Das Eigen-
kapital und die Erträge dieses Sondervermögens, das in
der Nachkriegszeit aus Mitteln des Wiederaufbaupro-
gramms für Europa gebildet worden ist, werden dabei im-
mer wieder revolvierend eingesetzt, um vor allem Kredite
und haftende Mittel zu günstigen Konditionen bereitzu-
stellen. Die ERP-Programme richten sich schwerpunkt-
mäßig an Existenzgründer und an dynamisch wachsende,
investierende Unternehmen. Diese Ausrichtung ist konse-
quent. Denn es sind gerade die jungen Unternehmen, die
den Strukturwandel vorantreiben. Sie stärken die Leis-
tungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirt-
schaft. Sie sorgen für mehr Beschäftigung.
Die beiden Förderinstitute des Bundes, die Kreditan-
stalt für Wiederaufbau und die Deutsche Ausgleichsbank,
flankieren in einer beträchtlichen Größenordnung die im
Kern vom ERP-Sondervermögen gestaltete finanzielle
Wirtschaftsförderung mit ihren jeweiligen Eigenprogram-
men. Beide werden dies nach der jetzt beschlossenen und
im Detail noch umzusetzenden Geschäftsfeldabgrenzung
noch zielgenauer tun können. Dies ist einer der Effekte
der bevorstehenden Übertragung der Kapitalanteile der
Deutschen Ausgleichsbank an die Kreditanstalt für Wie-
deraufbau.
Um diese Förderleistung anschaulicher zu machen: Im
Bereich der Unternehmensgründungen, also bei Existenz-
gründungen einschließlich Nachfolger-Lösungen und beim
Start junger Unternehmen, erwarten wir im nächsten Jahr
rund 75 000 Zusagen beim ERP-Sondervermögen und
bei den beiden Förderbanken. Das damit korrespondierende
Finanzierungsvolumen wird rund 30 Milliarden DM be-
tragen, rund die Hälfte davon als geförderte Mittel. Im Zeit-
punkt der Finanzierungszusage werden rund 500 000 Ar-
beitsplätze geschaffen, vor allem aber gesichert.
Für bestehende und wachsende Unternehmen erwarten
wir beim ERP-Sondervermögen und bei den Förderban-
ken im Jahr 2001 insgesamt rund 30 000 Zusagen mit ei-
nem Finanzierungsvolumen von rund 20 Milliarden DM.
Im Zeitpunkt der Zusagen können rund 60 000 Arbeits-
plätze neu geschaffen und mehr als 900 000 gesichert
werden.
Der heute eingebrachte Entwurf des ERP-Wirtschafts-
plangesetzes 2001 zeigt, dass wir den besonderen Finan-
zierungsproblemen mittelständischer Unternehmen in
den neuen Bundesländern entgegenkommen. Knapp die
Hälfte der finanziellen Fördermittel von insgesamt rund
11 Milliarden DM können von dortigen Unternehmen in
Anspruch genommen werden. Die Nachfrage in den
neuen Ländern geht zwar zurück. Aber in jedem Falle
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bleibt die Förderintensität im Osten deutlich höher als im
Westen, wenn man die Bevölkerungszahlen oder den Un-
ternehmensbestand als Bezugsgröße wählt.
Ein wichtiges neues Element im Wirtschaftsplan 2001
ist die Übernahme von Haftungsrisiken durch das ERP-
Sondervermögen für Beteiligungen, die ab 2001 aus dem
erfolgreichen BTU-Beteiligungsprogramm für kleine
Technologieunternehmen gefördert werden. Dabei muss
ich besonders betonen: Alle Ausfälle für Zusagen in die-
sem Programm, die vor 2001 gegeben wurden, werden
weiterhin aus dem Bundeshaushalt getragen.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der PDS „ERP-
Sondervermögen für Mittelstandsförderung erhöhen“
zeigt, dass noch Unsicherheit darüber besteht, ob das
ERP-Sondervermögen die Übernahme der Risiken aus
dem BTU-Programm ab 2001 dauerhaft tragen kann. Die
Bundesregierung hat nach sorgfältigen Berechnungen
keinen Zweifel daran, dass das ERP-Sondervermögen die
Belastungen aus Neuzusagen im BTU-Programm tragen
kann, und zwar ohne die Substanz des ERP-Sonder-
vermögens zu gefährden und ohne die übrigen Förderauf-
gaben zu vernachlässigen.
Denn dem ERP-Sondervermögen stehen künftig zwei
neue Ertragsquellen dauerhaft zur Verfügung: Einmal
sind dies die Erträge, die das ERP-Sondervermögen aus
der Anlage des Verkaufserlöses erzielen kann, den die
Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Übernahme der
Kapitalanteile der Deutschen Ausgleichsbank leisten
wird. Der zweite Baustein für die künftige Finanzierung
der Ausfälle im BTU-Programm wird durch nachhaltige
Nutzung der jährlichen Erträge aus der so genannten
ERP-Rücklage in der KGW-Bilanz gebildet. Das reicht
nach unseren Berechnungen aus, um dauerhaft 2 Milliar-
den DM Beteiligungskapital jährlich zu mobilisieren.
Allerdings muss sich das ERP-Sondervermögen in der
Ertragssteuerung dafür wappnen, um die zu erwartenden
Ausfälle zeitgleich auch decken zu können. Deshalb ist
beabsichtigt, dass das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie als Verwalter des ERP-Sondervermö-
gens künftig in der KfW-Bilanz, die unabhängig vom
Wirtschaftsplangesetz jedes Jahr aufgestellt wird, eine
Reserveposition zur Absicherung bestehender Risiken aus
BTU-Zusagen bildet. Diese wird dann jederzeit und auch
im Parlament im Zusammenhang mit einer aktualisierten
Ausfallbetrachtung die Beantwortung der Frage erlauben,
ob den Risiken ausreichend Rechnung getragen worden
ist.
Sicherlich wäre es für jeden Mittelstandspolitiker reiz-
voll, noch mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt verwen-
den zu können. Ich betone aber, dass dies mit der BTU-
Übernahme nicht zu begründen wäre. Die finanzielle
Förderung des ERP-Sondervermögens kann auch 2001
ohne Einschränkungen auf dem hohen Niveau der Vor-
jahre fortgesetzt werden und zusätzlich ist die Übernahme
der BTU-Risiken auf der Grundlage der getroffenen Ver-
einbarungen gesichert.
Eine Einschränkung der Mittelstandsförderung – wie
bisweilen behauptet – wird es nicht geben.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Sachgerechter Schutz
derRechte fürSoftware (Tagesordnungspunkt 19)
Hubertus Heil (SPD): Die rasante Entwicklung im
Bereich der Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien macht auf vielen Ebenen eine Überarbeitung bishe-
riger rechtlicher Regelungen notwendig. In diesem Zu-
sammenhang gibt es auch eine Diskussion über die
Bestimmungen des Patentrechts hinsichtlich des Schutzes
von Software. Um es ganz klar zu sagen: Auch wir wol-
len keine generelle Ausdehnung der Patentierbarkeit von
Software, da wir befürchten, dass Monopolstrukturen ge-
stärkt werden, weil kleine Sofwareunternehmen und
selbstständige Programmierer in ihrer Existenz betroffen
und insgesamt der Fortschritt in der Softwareentwicklung
deutlich gebremst werden könnte.
Die Europäische Patentorganisation, EPO, wird auf der
Diplomatischen Konferenz zur Revision des Europä-
ischen Patentübereinkommens vom 20. bis zum 29. No-
vember 2000 in München entscheiden, ob „Programme
für Datenverarbeitungsanlagen“ aus der Liste der „als sol-
che“ nicht patentfähigen Erfindungen des Art. 52 Abs. 2
des Europäischen Patentübereinkommens, EPÜ, gestri-
chen werden soll. Die Bundesregierung hat sich ebenfalls
klar und deutlich gegen eine solche Änderung des Wort-
lauts der Vorschrift ausgesprochen. Bei der Sitzung des
Verwaltungsrates der Europäischen Patentorganisation,
EPO, vom 5. bis 8. September 2000 stimmten 10 der
19 Vertragsstaaten für den entsprechenden Vorschlag des
Europäischen Patentamtes. Dabei wurden die Delegatio-
nen Deutschlands, Dänemarks, Frankreichs, des Verein-
ten Königreichs, Schwedens, Spaniens, Portugals und
Luxemburgs mit nur einer Stimme Mehrheit überstimmt.
Die EU-Kommission bereitet derzeit eine Richtlinie
zur Frage der Patentierbarkeit von Software vor. Die Bin-
nenmarktdirektion hat dazu das Papier „Patentierbarkeit
Computer – Implementierter Erfindungen“ vorgelegt und
einen breiten Diskussionsprozess eingeleitet. Diesem
Prozess darf nicht vorgegriffen werden. Er ist ergebnisof-
fen zu gestalten. Wir Sozialdemokraten unterstützen die
Bundesregierung daher in ihrem Ziel, für die Diplomati-
sche Konferenz die nunmehr notwendige Zweidrittel-
mehrheit für die Beibehaltung der derzeitigen Regelun-
gen zu erlangen, um die Abstimmung innerhalb der
Europäischen Union nicht sinnlos zu machen.
Die bestehenden Patentierungsmöglichkeiten in Bezug
auf Softwareerfindungen sind vor allem bei kleinen und
mittleren Unternehmen, aber auch bei Software-Entwick-
lern nicht ausreichend bekannt. Deshalb sehen sie sich
durch die vorgeschlagenen Änderungen gefährdet. In der
Informationsökonomie gewinnt die Kooperation im Netz-
werk an Bedeutung gegenüber hierarchischer Koopera-
tion. Bei der Softwareentwicklung ist die Zusammenar-
beit von kleinen und mittleren Unternehmen und freien
Softwareentwicklern der Produktion in Großunternehmen
zum Teil überlegen. Bestes Beispiel ist die Netzwicklung
der Open-Source-Software Linux. Es gewährleistet durch
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Offenheit des Quellcodes gleichzeitig Interoperabilität
und Wettbewerb. Es ist – diese Bemerkung sei mir an die-
ser Stelle gestattet – deshalb auch nicht so virusanfällig
wie die weitverbreitete Softwaremonokultur des größten
Herstellers.
Großunternehmen, aber auch kleine und mittlere Un-
ternehmen machen zunehmend von der bereits heute be-
stehenden Möglichkeit, Patente auf Softwareerfindungen
zu erhalten, Gebrauch. Gerade für kleine und mittlere
Unternehmen kann Patentschutz für Softwareentwicklun-
gen besonders wichtig werden, wenn sie sich gegen
Nachahmer schützen müssen. Um zu vermeiden, dass der
Wettbewerb um Innovationen hinter juristische Ausei-
nandersetzungen zurücktritt, müssen die patentrechtli-
chen Regelungen klar und eindeutig gefasst sein, damit
Rechtssicherheit besteht. Volkswirtschaftlich können ne-
gative Effekte bei einer völligen Freigabe der Patentier-
barkeit von Software entstehen. Ein großer Teil der Ener-
gie der Entwicklungsarbeit müsste dann auf die
Recherche bestehender Patente verwandt werden.
Auf der anderen Seite müssen die Rechte der Entwick-
ler von Software gewahrt werden. Unternehmen und Pro-
grammierer müssen angemessene Erträge für ihre Arbeit
realisieren können. Notwendig ist eine breite Debatte über
den geeigneten Schutz der Rechte der Entwickler, die Ge-
währleistung von Anreizen zur Investition in Software,
von Innovationen und Sicherstellung von Wettbewerb auf
den Softwaremärkten.
Für die SPD-Fraktion möchte ich deshalb erklären, dass
wir die Bundesregierung dabei unterstützen, ihre Be-
mühungen fortzusetzen, die Änderung des Art. 52 Abs. 3
des Europäischen Patentübereinkommens auf der Diplo-
matischen Konferenz zu verhindern. Zudem fordern wir
die Bundesregierung auf, eine breite Debatte über Wett-
bewerb und Innovation auf den Softwaremärkten anzu-
stoßen. Die Ergebnisse dieser Beratungen sollten in die
Debatte zur Entwicklung einer EU-Richtlinie einfließen.
Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, den Zeit-
plan der EU-Kommission so zu gestalten, dass dieses
möglich wird.
Dem uns vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion
werden wir nicht zustimmen, und zwar nicht, weil wir die
grundsätzliche Intention Ihres Antrages nicht teilen.
Meine eben gemachten Ausführungen haben das, so
glaube ich, deutlich gemacht. Wir werden gegen diesen
Antrag stimmen, weil er von der Bundesregierung, die im
Übrigen in der Sache auch nicht erst überzeugt werden
muss, etwas verlangt, was unmöglich ist. In diesem
Antrag wird die Bundesregierung unter anderem aufge-
fordert „sicherzustellen“, dass auf der Diplomatischen
Konferenz keine Ausweitungen der Patentierungsmög-
lichkeiten für Software beschlossen werden. – Meine Da-
men und Herren von der CDU, wie soll denn da etwas „si-
chergestellt“ werden? Deutschland ist nicht allein auf der
Welt. Die Bundesregierung wird versuchen, unsere euro-
päischen Vertragspartner zu überzeugen! Nicht mehr, aber
auch nicht weniger!
Dirk Manzewski (SPD): Der Antrag der CDU/CSU-
Fraktion zum sachgerechten Schutz der Rechte für Soft-
ware geht davon aus, das auf der Diplomatischen Konfe-
renz der Europäischen Patentämter Ende dieses Monats
vorgesehen ist, auf europäischer Ebene generell die Pa-
tentierung von Software zu ermöglichen. Richtig ist inso-
weit, dass sich hierfür auf der dieser Konferenz vorange-
gangenen Sitzung des Verwaltungsrates der Europäischen
Patentorganisation eine knappe Mehrheit von einer
Stimme gefunden hat. Die Vertreter aus Deutschland ha-
ben sich im Übrigen ebenso wie die Frankreichs, Groß-
britanniens, Dänemarks, Schwedens, Spaniens und Portu-
gals eindeutig dagegen ausgesprochen.
Da diese Haltung der Union bekannt ist, erübrigt sich
eigentlich bereits ein Teil Ihrer Aufforderung an die Bun-
desregierung, sich insoweit zu positionieren. Dies umso
mehr, als die Bundesregierung auf eine entsprechende
Kleine Anfrage der F.D.P.-Fraktion Ende Oktober diesen
Jahres zum Sinn und den Grenzen der Patentierbarkeit
von Computersoftware ausführlich Stellung genommen
hat.
Eine Änderung des Europäischen Patentübereinkom-
mens zum jetzigen Zeitpunkt erscheint schon aus
gesetzestechnischen Gründen nicht sinnvoll, da die EU-
Kommission derzeit eine Richtlinie zur Frage der Paten-
tierbarkeit von Software vorbereitet. Ein entsprechendes
Sondierungspapier ist bereits am 19. Oktober vorgelegt
worden. Damit wurde ein breiter Diskussionsprozess ein-
geleitet, der ergebnisoffen zu gestalten ist. Diesem Pro-
zess sollte nicht vorgegriffen werden.
Die im CDU/CSU-Antrag geforderte Frist von drei
Monaten, innerhalb derer sich die Bundesregierung zu
Software-Patenten verbindlich positionieren soll, er-
scheint mir in diesem Zusammenhang vollkommen will-
kürlich und bestenfalls hinderlich für die anstehenden
Verhandlungen.
Die Bundesregierung hat in der bereits erwähnten Be-
antwortung der Kleinen Anfrage der F.D.P.-Fraktion im
Übrigen deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik
Deutschland durch Artikel 27 des WTO-Übereinkom-
mens über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums
verpflichtet ist, Patentschutz für Erfindungen auf allen
Gebieten der Technik zu gewähren. Demzufolge müssen
Patente auch für Erfindungen erteilt werden, die sich auf
Software beziehen, wenn dies beantragt wird und die übri-
gen Voraussetzungen für eine Patenterteilung vorliegen.
Demgegenüber dürfen keine Patente erteilt werden,
wenn eine Computersoftware keine Erfindung darstellt.
In diesem Falle ist der Softwareentwickler aber nicht
schutzlos. Ihm steht vielmehr ein rechtlicher Schutz nach
den Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes zu. Die be-
stehenden Patentierungsmöglichkeiten in Bezug auf Soft-
ware-Erfindungen sind jedoch leider vor allem bei
kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch Soft-
wareentwicklern nicht ausreichend bekannt. Gerade für
diese kann aber ein Patentschutz für Software-Erfindun-
gen besonders wichtig werden, weil sie sich nicht wie
Großunternehmen durch Einsatz ihrer Marktmacht gegen
Nachahmer schützen können. Um zu vermeiden, dass
Wettbewerb um Innovationen hinter juristischen Ausein-
andersetzungen zurücktritt, müssen die patentrechtlichen
Regelungen klar und eindeutig gefasst sein, damit Rechts-
sicherheit besteht.
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Es wird jedem einleuchten, dass der Schutz des geisti-
gen Eigentums an einer echten Erfindung dem Erfinder
möglich sein muss. Das Patentrecht hat den Zweck, Un-
ternehmern und Geldgebern Anreize zu schaffen, in die
riskante und kapitalintensive Forschung und Entwicklung
neuer Produkte und Lösungen zu investieren. Doch ge-
rade in Bereichen wie der Softwareentwicklung – oder
etwa der Genforschung – können selbst Experten kaum
überblicken, welche Implikationen eine Neuerung jeweils
beinhaltet. Um die Gefahr von „Trivial- oder Sperrpaten-
ten“ und weltmarktbeherrschenden Monopolen abzuwen-
den, müssen differenzierte Lösungen gefunden werden,
die den Wettbewerb und die Entwicklung in diesem Wirt-
schaftszweig nicht beeinträchtigen, sondern sie fördern.
Genau daran aber wird intensiv gearbeitet.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, in Ihrem
Antrag fordern Sie die Bundesregierung auf, quasi im
Alleingang ein weltweites Moratorium bei der Soft-
warepatentierung zu erreichen. Sie zeigen damit ein
bemerkenswertes Maß an Vertrauen in die globalen
Einflussmöglichkeiten der von Gerhard Schröder geführ-
ten Regierung. Aber auch Sie sollten sich den Realitäten
der globalisierten Weltwirtschaft und den kodifizierten
Regeln des internationalen Handels stellen.
Für mich bedeutet das, eine breite Debatte über Wett-
bewerb und Innovation auf den Softwaremärkten zu ini-
tiieren, auf deren Grundlage wir mit unseren europäischen
Partnern eine Software-Patent-Richtlinie erarbeiten, wel-
che den berechtigten Befürchtungen um Wettbewerbsver-
zerrungen Rechnung trägt und welche auch wettbe-
werbsfördernden Konzepten wie beispielsweise der
„Open-Source-Technologie“ einen Platz einräumt. Mit
einer schlüssigen europäischen Patentrichtlinie, hinter der
die Mitgliedstaaten der EU stehen, kann man meiner An-
sicht nach auch weltweit mehr Einfluss ausüben, als dies
im nationalen Schnellschuss möglich wäre.
Ich hoffe, dass es der Bundesregierung noch gelingen
wird, für die Diplomatische Konferenz die notwendige
Mehrheit für die Beibehaltung der derzeitigen Regelung
zusammenzubekommen. Lassen sie mich dabei noch an-
merken, dass selbst die bei der Diplomatischen Konferenz
getroffene Entscheidung noch nicht das letzte Wort in die-
ser Sache wäre, da diese noch durch die nationalen Parla-
mente ratifiziert werden müssten. Ich bitte daher die Bun-
desregierung, in ihren Bemühungen in diesem Sinne nicht
nachzulassen.
Margarete Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):Auf der Grundlage der vorbereitenden Ver-
handlungen zu der Diplomatischen Konferenz zur Re-
vision des Europäischen Patentübereinkommens vom
20. bis zum 29. November in München ist vorgesehen,
Software aus den Ausnahmeregeln des § 52 Abs. 2 EPÜ
herauszunehmen. Darin sind Gegenstände beschrieben,
die „als solche“ nicht patentierbar sind. Bereits in den
letzten Jahren ist die Patentierbarkeit von Software durch
die Praxis der Patentämter und die Rechtsprechung immer
weiter ausgedehnt worden. Diese Entwicklung darf jetzt
nicht durch die Änderung des EPÜ nachvollzogen wer-
den. Im Gegenteil: Wir brauchen eine grundlegende Prü-
fung der bisherigen Praxis.
Bei der Sitzung des Verwaltungsrates des Europäischen
Patentübereinkommens vom 5. bis zum 8. September 2000
wurden die Regierungen Deutschlands, Dänemarks,
Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, Schwedens,
Spaniens, Portugals und Luxemburgs mit einer Stimme
Mehrheit überstimmt. Die EU-Kommission bereitet der-
zeit eine Richtlinie zur Frage der Patentierbarkeit von
Software vor. Die Binnenmarktdirektion hat dazu ein Son-
dierungspapier zur „Patentierbarkeit Computer-Imple-
mentierter Erfindungen“ vorgelegt und einen breiten Dis-
kussionsprozess eingeleitet. Diesem Prozess darf nicht
vorgegriffen werden. Er ist ergebnisoffen zu gestalten.
Wir unterstützen die Bundesregierung daher in ihrem
Ziel, für die Diplomatische Konferenz die nunmehr not-
wendige Zweidrittelmehrheit zusammenzubekommen,
um zunächst eine Änderung der Rechtslage und eine Aus-
weitung der Patentierbarkeit zu verhindern. Insbesondere
Entwickler von Open-Source-Software, kleine und mitt-
lere Unternehmen und freie Entwickler von Software se-
hen sich durch die Ausweitung der Patentierbarkeit von
Software gefährdet. In der Informationsökonomie gewinnt
die Kooperation im Netzwerk gegenüber der hierarchi-
schen Kooperation an Bedeutung. Bei der Software-
entwicklung ist die Zusammenarbeit von kleinen und mitt-
leren Unternehmen und freien Softwareentwicklern der
Entwicklung in Grossunternehmen zum Teil überlegen.
Open Source hat eine wichtige Funktion bei der Her-
stellung von mehr Wettbewerb auf dem Softwaremarkt. Es
gewährleistet durch die Offenheit des Quellcodes die
Möglichkeit, Interoperabilität und Wettbewerb gleichzei-
tig zu gewährleisten. Open Source ermöglicht es, Wettbe-
werb und Kommunikationsfähigkeit unterschiedlicher
Softwarelösungen sicherzustellen. Das Open-Source-Be-
triebssystem Linux setzt sich bei Servern mehr und mehr
durch – gegen MS-Windows und andere proprietäre Be-
triebssysteme. Es läuft stabiler, ist billiger und kann den je-
weiligen Bedürfnissen der Nutzer dank seines offenen
Quellcodes besser angepasst werden. Zudem lässt sich Li-
nux wesentlich besser gegen Angriffe von außen sichern.
Daher darf Open Source durch Software-Patente nicht be-
hindert werden.
Die Patentierbarkeit von Software nutzt vor allem den
Großunternehmen: Sie verfügen über eigene Patent- und
Rechtsabteilungen, die Recherchen und Anmeldungen
effizient abwickeln können. Die zunehmende Patentier-
barkeit von Software führt dazu, dass der Wettbewerb um
Innovation hinter juristische Auseinandersetzungen zu-
rücktritt. Eine Studie des Massachusetts Institute of Tech-
nologie hat auch volkswirtschaftlich negative Effekte der
Patentierbarkeit von Software nachgewiesen. Ein großer
Teil der Energie der Entwicklungsarbeit müsste dann auf
die Recherche bestehender Patente verwandt werden.
Die Rechte der Entwickler von Software müssen ge-
wahrt werden. Unternehmen und Programmierer müssen
angemessene Erträge für ihre Arbeit realisieren können.
Patente erscheinen uns dafür nicht geeignet. Softwareent-
wickler betonen zum Teil den völlig eigenen Charakter
von Software; andere sehen sich ausreichend durch das
Urheberrecht geschützt.
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Notwendig ist eine breite Debatte über den geeigneten
Schutz der Rechte der Entwickler, die Gewährleistung
von Anreizen zur Investition in Software, von Innovatio-
nen und die Sicherstellung von Wettbewerb auf den Soft-
waremärkten.
Angela Marquardt (PDS): Alle Fraktionen sind sich
einig, dass Software-Patente die Innovationspotenziale
und den Wettbewerb beeinträchtigen. Die PDS fällt da
nicht aus dem Rahmen. Die Entwicklungen im Bereich
der neuen Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien sind derart schnelllebig, dass Patente oftmals wie
Blockaden wirken. Gerade im Bereich der Software wer-
den die bestehenden Programme eigentlich ständig, ohne
Unterbrechung weiterentwickelt.
Software ist am ehesten mit einer gerade entstehenden
ganz neuen Sprache vergleichbar, die dadurch reicher,
umfassender, stimmiger wird, dass sie viele sprechen,
dass sie variiert wird, ergänzt wird. Ein fertiges Produkt
im klassischen Sinne gibt es kaum noch – und ist auch
nicht wünschenswert. Dort, wo eine Software nicht
weiterentwickelt wird, kommt der Entwicklungsprozess
zum Stehen. Es ist also nicht verwunderlich, dass so-
gar die Software produzierende Industrie ein starkes Inte-
resse an Open-Source-Technologie hat. Selbst der welt-
weit zweitgrößte Softwarehersteller ORACLE lehnt
Software-Patente strikt ab.
Neben den volkswirtschaftlichen Gründen, die gegen
eine Patentierbarkeit sprechen, sind es vor allem aber
auch soziale Gründe und Sicherheitsinteressen, die uns zu
Gegnern der Software-Patente werden lassen. Gerade bei
Verschlüsselungssoftware kann man nicht erwarten, dass
sich alle auf nicht nachvollziehbare Programme einzelner
Großunternehmen verlassen. Hier muss das Programm
nachvollziehbar sein, weil nur so die Frage der Sicherheit
nachvollziehbar, die Funktion einer Software beurteilbar
ist. Das heißt, der Quellcode muss einsehbar sein.
Es ist daher sehr zu begrüßen, dass das Wirtschaftsmi-
nisterium die Entwicklung der freien Software Gnu Pri-
vacy Guard unterstützen will, mit der man E-Mails ver-
schlüsseln kann. Die Bundesregierung hat sich in einem
Eckpunktepapier für eine starke und uneingeschränkte
Kryptographie ausgesprochen und gefordert, die Ent-
wicklung deutscher Kryptosoftware zu unterstützen. Ich
sehe die Regierung in diesem Punkt genau auf dem rich-
tigen Weg.
Die Förderung von Open-Source-Software hat, wie er-
wähnt, auch eine soziale, eine politische Funktion. Offene
Betriebssysteme wie Linux sind zwar inzwischen zu ei-
nem kommerziell lukrativen Geschäft geworden, den-
noch kann mit Open Source Software viel Geld gespart
werden, weil teure Softwarelizenzen entfallen.
Diese Einsicht, die auch der Bundesregierung nicht
ganz fremd sein dürfte, hat allerdings bisher nicht zu Kon-
sequenzen geführt. Ich kenne keine Bundesbehörde, die
mit Linux arbeitet. Wir alle sind Microsoft-Abhängige. In
Sachsen hat die PDS-Landtagsfraktion einen Antrag ein-
gebracht, Computer, die im Zusammenhang mit der Ak-
tion „Schulen ans Netz“ angeschafft werden, mit dem
freien Betriebssystem Linux laufen zu lassen. Ich muss
wohl kaum hinzufügen, dass der Antrag abgelehnt wurde.
Dabei befürwortet – wie im Handelsblatt vom 30. Juni
nachzulesen war – inzwischen sogar Staatssekretär
Mosdorf die Möglichkeit, bei „Schulen ans Netz“ Open-
Source zu stärken. Aber da war die PDS wohl mal wieder
etwas der Zeit voraus.
Nach diesen Ausführungen werden Sie sicher nicht er-
staunt sein, dass wir die Forderungen im zweiten Teil des
hier vorliegenden CDU/CSU-Antrages teilen. Unklar er-
scheint mir das von der Union geforderte eigenständige
Schutzrecht für Software. Worauf soll das hinauslaufen?
In den Ausschüssen werden wir sicher darüber sprechen.
Vielleicht schaffen wir es ja, zu einem gemeinsamen An-
trag zu kommen. Ich bekunde hier jedenfalls schon ein-
mal mein Interesse daran.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz:Das Internet und die neuen Tele-
kommunikationsmedien werden sich auf alle Rechtsge-
biete auswirken. Die Gesetzgebung muss hier rasch
gestaltend eingreifen und die Modernisierung unseres
Rechts vorantreiben. Mit dem heute zur Verabschiedung
anstehenden Entwurf eines Namensaktiengesetzes wollen
wir dies für das Aktienrecht tun. Hier erscheint eine Mo-
dernisierung dringlich. Die Verwendung neuer Tech-
nologien ist in den Kapitalmärkten besonders fortge-
schritten.
Um ein Beispiel vor Augen zu führen: Ein Anleger, der
von seinem Laptop aus seine Kauf- und Verkaufentschei-
dungen online trifft, versteht es nicht mehr, dass er be-
stimmte Unternehmensmitteilungen nicht auch online er-
halten oder seine Stimmrechtvollmachten auf diesem
Wege erteilen kann. Das Namensaktiengesetz wird dies
möglich machen.
Erstens wird das völlig veraltete Recht zur Namensak-
tie grundlegend aktualisiert und auf den Stand moderner
Datenübertragung und elektronischer Aktienregister ge-
bracht. Dabei haben wir besonderen Wert auf die daten-
schutzrechtliche Absicherung und Verbesserung gelegt.
Der einzige streitige Punkt war die Frage, wer die Kosten
für die Datenübermittlung tragen sollte. Es wäre schön,
wenn sich die Streitpunkte auch bei anderen Vorhaben auf
solche Details reduzieren ließen. Ich danke den Bericht-
erstattern dafür, dass sie eine sehr ausgewogene Lösung
hierzu gefunden haben.
Zweitens – dieser Punkt ist vielleicht noch wichtiger –:
In dem Entwurf werden viele Formerfordernisse aus alter
Zeit rund um die aktienrechtliche Hauptversammlung so-
weit wie möglich heruntergefahren. Teilnehmerverzeich-
nisse auf den Hauptversammlungen werden in Zukunft
auf Bildschirmen dargestellt, Aufsichtsratssitzungen kön-
nen im Bedarfsfall rasch als Videokonferenz einberufen
werden, Stimmrechtsvollmachten können auch in elektro-
nischer Form erteilt werden und ähnliches mehr. Dies sind
mutige Modernisierungen unseres Aktienrechts.
Das Namensaktiengesetz wird dem nicht mit dem Ge-
sellschaftsrecht befassten Betrachter als eine eher techni-
sche Novelle erscheinen. Der Entwurf hat aber das Poten-
zial, eine beachtliche Modernisierung und Veränderung
anzuschieben. Es wird zum Beispiel interessant zu beob-
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achten sein, wie in der Zukunft die Stimmrechtsausübung
auf den Hauptversammlungen unserer Aktiengesellschaf-
ten neu organisiert werden wird. Das alte Depotstimm-
recht der Banken wird Konkurrenz bekommen, so viel
können wir heute schon vorhersagen.
Das Gesetz enthält weiter eine Einschränkung des sehr
bürokratischen und aus heutiger Sicht unverständlich
komplizierten Nachgründungsverfahrens für neu gegrün-
dete Aktiengesellschaften. Dies betrifft besonders die
Start-Up-Unternehmen und die Neuemissionen am Neuen
Markt. Die beteiligten Kreise haben diesen Gesetzge-
bungsvorschlag mit großer Erleichterung aufgenommen.
Sie können sich vorstellen – oder sie werden es schon wis-
sen –, dass dieser Entwurf hohe Zustimmung bei allen be-
teiligten Kreisen gefunden hat und dringlichst erwartet
wird. Ich möchte deshalb an dieser Stelle den Berichter-
stattern und den Kollegen im Rechtsausschuss, aber auch
im Wirtschaftsausschuss für die sehr zügige und kon-
struktive Beratung des Entwurfs danken. Das gilt über die
Fraktionsgrenzen hinweg. Ich freue mich, sagen zu kön-
nen, dass wir damit auch im internationalen Vergleich auf
diesem Rechtsgebiet eine innovative Rolle übernehmen.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die zwei Ihnen
vorliegenden Änderungsanträge der F.D.P.-Fraktion ein-
gehen. Sie betreffen den Entwurf nicht unmittelbar. Beim
VW-Gesetz ist immerhin ein Zusammenhang nicht zu
leugnen. Es ist auch nicht so, dass wir kein Verständnis für
den Antrag haben. Aber nachdem Sie, meine Damen und
Herren Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P.-Frak-
tion, in der 12. und 13. Wahlperiode zweimal vergeblich
versucht haben, das VW-Gesetz abzuschaffen oder zu än-
dern, sollte Ihnen einsichtig geworden sein: Es wäre rich-
tiger und besser, wenn der Anstoß zur Reform in diesem
Fall von den Betroffenen selbst ausginge.
Auch Ihren Vorschlag zur Reform des Anfechtungs-
rechts nehmen wir durchaus ernst. Ich bin aber nicht da-
mit einverstanden, einen so wichtigen, im Einzelnen in
der Wissenschaft und Praxis umstrittenen Vorschlag von
erheblicher Tragweite handstreichartig und ohne Diskus-
sion mit den beteiligten Kreisen im Rahmen eines völlig
anderen Gesetzgebungsverfahrens mitzuregeln. Es ist Ihr
gutes Recht, auf das Thema hinzuweisen und Änderungen
anzumahnen. Wir lassen uns aber eine sorgfältige Geset-
zesarbeit dadurch nicht nehmen. Das Anfechtungsrecht ist
zudem zentraler Punkt in der von der Bundesregierung
eingesetzten Corporate Governance Kommission, wo wir
Gelegenheit haben, den gesamten Sachverstand einzu-
sammeln.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge
– 46. Plenartagung der Parlamentarischen
Versammlung der NATO (NATO PV) vom
17. bis 21. November 2000 in Berlin;
– Europäische Sicherheit und NATO
(Tagesordnungspunkt 20 a und b)
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
NATO steht in Zeiten des Wandels. Während des Ost-
West-Konfliktes war ihr Bereich auf die kollektive Ver-
teidigung beschränkt. Heute haben sich die Aufgaben ge-
wandelt: Die NATO ist engagiert bei militärischen
Krisenmanagementoperationen. Daher steht sie in einer
besonderen sicherheitspolitischen Verantwortung. Die
Aufgabe heute ist die Weiterentwicklung eines global und
regional verschränkten Multilateralismus.
Die NATO ist Bestandteil eines Netzwerkes von Si-
cherheitsorganisationen für Europa: NATO, Europäische
Union und OSZE. In einem weiten Verständnis von Si-
cherheit gehört auch der Europarat dazu. Darüber hinaus
haben wir kooperative Sicherheitsbeziehungen zu den
osteuropäischen Staaten in unterschiedlicher Dichte auf-
gebaut. Einige sind inzwischen Mitglieder der NATO, die
anderen kooperieren mit uns über die Partnerschaft für
den Frieden. In diesem Kontext hat sie mehrere Funktio-
nen.
Sie ist das wesentliche materielle Band der transatlan-
tischen Beziehungen, um das herum kulturelle und wirt-
schaftliche Verbindungen geknüpft wurden. Sie hat sich
als stabile Organisation erwiesen. Die anderen Ebenen der
transatlantischen Beziehungen müssen jedoch energisch
weiterentwickelt werden.
Die transatlantischen Beziehungen waren in ihrer Ge-
schichte nicht frei von Meinungsunterschieden und Kon-
flikten. Partnerschaft und Freundschaft zeichneten sich
nicht dadurch aus, dass solche Probleme unter den Tep-
pich gekehrt wurden, sondern dass darüber offen debat-
tiert wurde. Die Bewältigung der Probleme hat den Zu-
sammenhang des Bündnisses eher gestärkt. Auch heute
sind sie nicht frei von Differenzen.
Ein Punkt, über den wir in der Gegenwart diskutieren
und der auch Thema in den nächsten Tagen auf der Herb-
sttagung der Nordatlantischen Versammlung in Berlin
sein wird, ist das von den Vereinigten Staaten geplante
System einer nationalen Raketenabwehr. Wir gehen dabei
von unterschiedlichen sicherheitspolitischen Analysen
aus, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Der An-
satz der europäischen Seite im transatlantischen Verhält-
nis geht eher von der rüstungskontrollpolitischen Seite
aus. Die diesjährige parlamentarische Versammlung der
NATO gibt uns die Möglichkeit, die Diskussionen zu die-
sem Thema gemeinsam auch mit amerikanischen Kolle-
gen zu vertiefen.
Ein sicherheitspolitisches Thema, mit dem wir uns in
den nächsten Jahren, nicht zuletzt aus humanitären Grün-
den, intensiv werden widmen müssen, sind Kleinwaffen.
Es sind diejenigen Waffen, durch die gegenwärtig die
meisten Menschen umkommen. Daher ist hier dringender
Handlungsbedarf. Die Mittel der Rüstungskontrolle auf
diesem Gebiet sind noch sehr beschränkt. Notwendig sind
zum Beispiel die unauslöschliche Kennzeichnung von
Kleinwaffen und eine größere Transparenz bei der Her-
stellung und beim Handel mit diesen Waffen. Da diese
Waffen heute vor allem in innergesellschaftlichen Krie-
gen benutzt werden, ist es notwendig, die betroffenen Ge-
sellschaften zu stabilisieren.
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Die Bundeswehr befindet sich in einem fundamentalen
Wandel. Wir unternehmen große Anstrengungen, die ge-
genüber der NATO und der Europäischen Union einge-
gangenen Verpflichtungen der NATO zu erfüllen. Die
Modernisierung und Reduzierung der Bundeswehr wird
ein langwieriger Prozess, der integraler Bestandteil unse-
rer multilateralen Sicherheitspolitik ist.
Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen,
dessen Bedeutung inzwischen in allen sicherheitspoliti-
schen Organisationen an Bedeutung gewinnt: Prävention
im Sinn von Gewaltverhinderung. Das schon erwähnte
Problem der Kleinwaffen zeigt, dass zeitgemäße Sicher-
heitspolitik präventiv orientiert sein muss. Unser Ziel ist
es, unsere militärischen Kapazitäten nicht einzusetzen
und dafür die erforderlichen Instrumente und Mechanis-
men der Prävention zu schaffen. Der Kosovo-Krieg hat
gezeigt, dass unsere Instrumente dafür nicht ausreichend
waren und die Bedeutung einer strategisch angelegten
Prävention zu lange unterschätzt wurde. Die NATO wirkt
jetzt im Rahmen von KFOR stabilisierend und ist damit
auch präventiv tätig. Allerdings kann Militär keinen Frie-
den schaffen, den müssen sich die Menschen in den Ge-
sellschaften selbst erarbeiten. Eine der Lehren aus dem
Krieg ist, dass in den Jahren seit dem Ende des Ost-West-
Konfliktes diese sicherheits- und friedenspolitische Stra-
tegie immer mehr an Bedeutung gewonnen hat und wir
die Handlungsfähigkeit der UNO stärken müssen.
In unserem interfraktionellen Antrag stellen wir he-
raus, dass die transatlantischen Beziehungen und das
Netzwerk der Sicherheitsorganisationen für Europa eine
der besten Garantien gegen eine Renationalisierung der
Sicherheitspolitik ist. Dialog über strittige Punkte wie die
National Missile Defense gehören ebenfalls dazu. Die
NATO spielt in diesem Netzwerk nicht die einzige, aber
eine wichtige Rolle.
Ulrich Irmer (F.D.P.): Die Berliner Plenartagung der
Parlamentarischen Versammlung der NATO diese Woche
in Berlin, zehn Jahre nach Wiederherstellung der deut-
schen Einheit und nach dem Ende des Kalten Krieges, ist
Anlass für eine Bilanz sowie für einen Ausblick auf
zukünftige Herausforderungen. Nach wie vor gilt, dass
die NATO nicht nur das dauerhafteste, sondern auch das
erfolgreichste Sicherheits- und Verteidigungsbündnis der
neueren Weltgeschichte darstellt. Der Erfolg der Allianz
ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die demo-
kratischen Staaten Europas und Nordamerikas nicht nur
zu einem klassischen Militärbündnis, sondern zu einer po-
litischen Wertegemeinschaft verbunden haben, deren
höchstes politisches Ziel eine gerechte und dauerhafte
Friedensordnung in Europa ist. Die Kombination aus mi-
litärischer Abschreckungsfähigkeit und dem Willen zu
Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung war
der Schlüssel zur Überwindung der deutschen und euro-
päischen Teilung. Mit dem Beitritt Polens, der Tschechi-
schen Republik und Ungarns, mit einer Fülle von Part-
nerschafts- und Kooperationsverträgen mit den jungen
Demokratien in Osteuropa und mit seiner Bereitschaft zur
weiteren Öffnung, hat das Bündnis gezeigt, dass es sich
gegen niemanden richtet, sondern als Garant für Stabilität
und Sicherheit an der Gestaltung des politischen Wandels
in Europa mitwirkt.
Wer Freiheit verwirklichen, beschützen und bewahren
will, braucht hierfür auch militärische Durchsetzungs-
fähigkeit. Die Verteidigung der freiheitlichen Verfassung
unserer Gesellschaft ist daher eine zentrale Aufgabe un-
serer Streitkräfte im Rahmen der NATO. Sie können diese
Aufgabe indessen nur dann wahrnehmen, wenn sie hier-
für mit adäquaten Mitteln ausgestattet werden. Dies ist je-
doch nicht der Fall. Lag die Bundesregierung 1990 noch
mit einem Anteil der Verteidigungsausgaben in Höhe von
3,4 Prozent des Bruttosozialproduktes an fünfter Stelle
unter den NATO-Partnern, so bildet sie heute mit 1,4 Pro-
zent das Schlusslicht. Dies hat im Kosovo-Konflikt unter
anderem dazu geführt, dass Luftwaffe, Heer und Marine
bei ihrem Einsatz praktisch kaum Führungsaufgaben
übernehmen konnten, weil sie nicht in der Lage waren,
mit den besser ausgestatteten Bündnispartnern zu kom-
munizieren.
Vor diesem Hintergrund erscheint es schon ausge-
sprochen abenteuerlich, wenn sich der Bundesverteidi-
gungsminister nicht nur zur Stärkung des deutschen An-
teils an den Krisenreaktionskräften der Europäischen
Union und zum Ausbau des Euro-Korps, sondern auch
noch zur permanenten Bereitstellung deutscher Kontin-
gente im Rahmen der UNO-Friedensmissionen verpflich-
tet. Derartige Zusagen erfordern nicht nur erhebliche zu-
sätzliche Aufwendungen im Bereich der strategischen
Transportfähigkeit, der Satellitenaufklärung und moderner
Präzisionswaffen. Sie werfen vor allem auch eminente
verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich Auftrag, Man-
datierung und parlamentarischer Zustimmungspflichtig-
keit deutscher Einsätze auf.
Selbstverständlich muss es auch Aufgabe der Bundes-
wehr in der Zukunft sein können, gemeinsam mit Bünd-
nispartnern Menschen aus Notlagen zu retten, Konflikte
zu verhüten und Krisen zu bewältigen. Derartige Bünd-
nisoperationen bedürfen jedoch ebenso einer zweifels-
freien völkerrechtlichen Legitimierung, wie die deutsche
Beteiligung hieran eine vorherige Zustimmung durch den
Deutschen Bundestag zwingend voraussetzt.
Auch im Rahmen der neuen NATO-Strategie muss die
Bündnis- und Landesverteidigung absolute Priorität bei-
behalten. Es ist bei der überwiegenden Zahl der Mitglied-
staaten, gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrun-
gen in Bosnien und im Kosovo, keine wachsende Neigung
zu militärischen Interventionen außerhalb des Bündnisge-
bietes zu erkennen. Wenn die NATO die Rolle als Stabi-
litätsfaktor im euro-atlantischen Raum beibehalten will,
darf sie nicht die Rolle eines Weltpolizisten übernehmen.
Die Erfahrungen im Kosovo und in Bosnien haben
auch gezeigt, dass der Aufbau einer gemeinsamen euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die die-
sen Namen verdient, unerlässlich ist. Dies kann aus libe-
raler Sicht aber nur komplementär zur NATO über die
Verstärkung einer europäischen Handlungsfähigkeit im
Bündnis selbst erfolgen. Am Ende der gegenwärtig statt-
findenden Bemühungen sollte daher nicht eine – wie auch
immer geartete – „Euro-NATO“, sondern eine ausgewo-
genere Verantwortungs- und Lastenteilung zwischen Eu-
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ropa und den USA stehen. Eine Arbeitsteilung nach dem
Motto: „Amerika kämpft und Europa zahlt“, ist keine so-
lide Grundlage für eine belastbare Sicherheitspartner-
schaft. Deshalb muss die Herausbildung einer eigenstän-
digen europäischen Verteidigungspolitik innerhalb der
NATO auch an die Entwicklung einer transatlantischen
Verteidigungsindustrie gekoppelt sein.
Beide Seiten des Atlantiks verbinden zu viele gemein-
same Interessen, als dass man es sich leisten könnte, ge-
trennte Wege zu gehen. Die Neugestaltung der Aufgaben
im Bündnis, ohne die bewährte Sicherheitspartnerschaft
infrage zu stellen, ist daher die entscheidende Herausfor-
derung für die Zukunft der NATO.
Wolfgang Gehrcke (PDS):Wenn der Umstand, dass
sich der Bundestag erst zu später Nacht- bzw. früher Mor-
genstunde mit der Parlamentarischen Versammlung der
NATO befasst, Ausdruck dafür wäre, wie viel oder eher
wenig die NATO für die deutsche Politik bedeutet, dann
würde mich das aufrichtig freuen. Man soll sich bekannt-
lich nicht zu früh freuen. Für die deutsche Außen-, Innen-
und Sicherheitspolitik gilt noch immer: „NATO first“. Ich
habe dies immer für falsch gehalten. Nach dem Ende der
Systemauseinandersetzung in Europa hätte die Chance
bestanden, weiter abzurüsten und im Zuge dieses Prozes-
ses Militärbündnisse und damit auch die NATO zu über-
winden. Die NATO und mit ihr die deutsche Politik ist
diesen vernünftigen und logischen Weg nicht gegangen;
im Gegenteil: Selbst der Status quo wurde nicht gehalten.
Qualitativ ist eine neue Runde der Hochrüstung eingetre-
ten. Der Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugo-
slawien war vielleicht der tiefste Einschnitt in der Nach-
kriegsgeschichte. Das Bündnis, das für sich selbst immer
wieder den Anspruch erhob, ein Bündnis zur Verhinde-
rung von Kriegen zu sein, hat in Europa Krieg geführt und
dies im Widerspruch zur Charta der Vereinten Nationen,
aber auch zur eigenen Charta.
Die Washingtoner Gipfelvereinbarungen vom letzten
Jahr haben die politische Grundlage der NATO tief verän-
dert: Aus einem Bündnis zur Verteidigung der Territorien
seiner Mitgliedsländer, das seine militärischen Entschei-
dungen an der Beschlussfassung des VN-Sicherheitsrates
– und zwar ausschließlich daran – gekoppelt hatte, wurde
ein Militärbündnis, das weltweit Interessen verficht und
sich weltweite Interventionsmöglichkeiten auch ohne die
UNO anmaßt. Das schafft keine Sicherheit, sondern ist
eine Gefahr für Sicherheit. Mehr Sicherheit entsteht auch
nicht, wenn die NATO sich über ihre jetzigen Mitglieds-
länder hinaus ausweitet. Gerade in Europa kann Sicher-
heit nur Sicherheit mit Russland und nicht gegen Russ-
land sein. Jeder weiß, dass die Aufnahme von Staaten, die
ehemals zur Sowjetunion gehörten, die Sicherheitsinte-
ressen von Russland berührt und in diesem Sinne destabi-
lisierend wirkt.
Die neue NATO-Konzeption drückt sich auch in verän-
derten Zielsetzungen für die Armeen der Mitgliedstaaten
aus. Es spricht für einen grundsätzlichen Paradigmenwech-
sel deutscher Politik, wenn der Generalinspekteur der Bun-
deswehr, General Kujat, auf der jüngsten Kommandeursta-
gung als Ziel der Bundeswehrreform ihre „Veränderung
von einer Verteidigungsarmee in ein hochwirksames In-
strument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ be-
nennt. Dies hätte sich keine CDU/CSU-Regierung leisten
können, ohne einen Sturm der Entrüstung gerade bei der
heutigen Koalition auszulösen.
Die Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik ist
schlichtweg verfassungswidrig und politisch abenteuer-
lich. Wer sie so einsetzen will, wird auf den Widerstand
zumindest meiner Fraktion treffen.
Die grundsätzlich unterschiedlichen Positionen kom-
men auch in den vorliegenden Anträgen, dem überfraktio-
nellen einerseits und dem meiner Fraktion andererseits,
zum Ausdruck. Kollege Markus Meckel hatte meiner
Fraktion angeboten, den interfraktionellen Antrag mitzu-
zeichnen. Ich habe Achtung vor der Zivilcourage des Kol-
legen Meckel, der PDS ein solches Angebot zu machen,
trotz des noch bestehenden Tabus bei der Zusammenarbeit
mit meiner Fraktion. Ich konnte auch keine Absicht erken-
nen, meine Fraktion sozusagen vorzuführen; aber mit-
zeichnen konnten wir den Antrag trotzdem nicht: Die ge-
gensätzlichen Überzeugungen und Einschätzungen lassen
dies nicht zu. Und dies ist gut so. Aber ich komme bei an-
derer Gelegenheit auf dieses Angebot gern zurück.
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